Homer und Mykene: Mündliche Dichtung und Geschichtsschreibung 9783486828009, 9783486559330

Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit der „homerischen Frage" in dem umfassenden Sinn, wie sie sich in der

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Homer und Mykene: Mündliche Dichtung und Geschichtsschreibung
 9783486828009, 9783486559330

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Barbara Patzek · Homer und Mykene

Barbara Patzek

Homer und Mykene Mündliche Dichtung und Geschichtsschreibung

R.Oldenbourg Verlag München 1992

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Philosophie, Geschichtsund Sozialwissenschaften der Universität (GHS) Essen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Patzek, Barbara: Homer und Mykene: mündliche Dichtung und Geschichtsschreibung / Barbara Patzek. - München : Oldenbourg, 1992 Zügel.: Essen, Univ., Habil.-Schr., 1986 ISBN 3-486-55933-8

© 1992 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gesamtherstellung: R.Oldenbourg Graphische Betriebe, München ISBN: 3-486-55933-8

Inhaltsverzeichnis Vorwort Teil I. Die Geschichte der homerischen Altertumskunde in der Neuzeit 1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage. Die Entdeckung der Geschichtlichkeit der homerischen Epen von der „Querelle des Anciens et des Modernes" bis auf Friedrich August Wolf 1.1 Die Querelle d'Homère 1.2 Thomas Blackwell 1.3 Robert Wood 1.4 Christian Gottlob Heyne 1.5 Friedrich August Wolf

IX

1

1 2 6 9 13 15

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert... 2.1 Frühe mythologische und archäologische Forschungen 2.2 Karl Otfried Müller 2.3 Historismus und historische Gegenständlichkeit. Nietzsches Kritik am historischen Positivismus 2.4 Die Monumente und die Frühgeschichte der Griechen. Archäologische Entdeckungen vor Heinrich Schliemann . . . . 2.5 Heinrich Schliemann und die archäologischen Entdeckungen zur griechischen Frühgeschichte 2.6 Die Archaeologia Homérica

22 22 27

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jahrhundert... 3.1 Die doppelte Lösung der Frage nach dem historischen Hintergrund der homerischen Epen 3.1.1 Die Kontroverse um den geschichtlichen Hintergrund der homerischen Epen 3.1.2 Historismus und modernes Geschichtsdenken 3.1.3 Die beiden Wege der homerischen Altertumswissenschaft in diesem Jahrhundert: Entdecken und Rekonstruieren - historisches Verstehen 3.2 Entdecken und Rekonstruieren: Mykene, Homer und die epische Tradition bis auf Martin P. Nilsson und Milman Parry 3.2.1 Martin P. Nilsson 3.2.2 Die homerischen Epen als mündliche Dichtung 3.2.3 Mathias Murko 3.2.4 Milman Parry

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30 33 34 37

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45

46 47 49 50 51

VI

Inhaltsverzeichnis 3.2.5 Traditionelle Dichtung und mykenische Kultur. Die Synthese der Forschungen Parrys und Nilssons 3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute. Geschichtliches Verstehen : Homer, Mykene und die Frage nach der epischen Tradition 3.3.1 Mykene 3.3.2 Die dunklen Jahrhunderte und das homerische Jahrhundert 3.3.3 Homer und die homerische Tradition

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54 54 58 61

4. Zusammenfassung

69

Teil II. Die Archäologie der dunklen Jahrhunderte und die Frage nach den historischen Zusammenhängen zwischen der mykenischen und der frühgriechischen Kultur

73

1. Vorbemerkungen. Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung 1.1 Sprachgeschichte und Kulturgeschichte 1.2 Kontinuität, Tradition und Erinnerung 1.3 Das archäologische Beweismaterial: Realien, Typologien und Tradition 2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten. Kontinuitäten und Diskontinuitäten 2.1 Das Ende der mykenischen Palastkultur 2.2 Das Spätmykenische. Kontinuität oder Diskontinuität? 2.3 Die submykenische Zwischenzeit 3. „Erinnerung" in den frühen dunklen Jahrhunderten 3.1 Geschichtstradition, Gesellschaftsgeschichte und die frühen dunklen Jahrhunderte 3.2 Der troische Krieg im geschichtlichen und literarischen Gedächtnis 3.3 Die dunklen Jahrhunderte und die Frage nach den Möglichkeiten einer epischen Tradition 4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte des „homerischen" Jahrhunderts: Entwicklungen, geschichtliche Neuerungen und die Frage nach der homerischen Tradition 4.1 Der geometrische Stil 4.2 Spuren der Siedlungsgeschichte vom Spätmykenischen zum Protogeometrischen

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104 104 106

Inhaltsverzeichnis

4.3 Zur Frage der Entwicklung einer gesellschaftlichen Stratigraphie vom Spätmykenischen zum Protogeometrischen 4.4 Wanderungen in der Frühzeit der geometrischen Kultur 4.5 Die Entwicklungsgeschichte der „geometrischen" Kultur im 9. und 8. Jahrhundert als Vorgeschichte der homerischen Zeit 5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts: Gesellschaftliche und staatlich Formen. Gemeinschaftsdenken und Geschichtsbewußtsein in den homerischen Epen 5.1 Die frühgriechische Aristokratie im Spiegel der Archäologie . 5.2 Die Archäologie der politischen Gemeinschaften 5.3 Die politische Gemeinschaft im Spiegel der homerischen Epen

VII

106 110 113

121 122 123 129

6. Schlußfolgerungen : Gesellschaftlichkeit, Staatlichkeit, historische Sinnstiftungen und der Reliktkult in homerischer Zeit

136

Teil III. Homer und das 8. Jahrhundert. Dichtung, Monumente und geschichtliches Bewußtsein

145

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein in den homerischen Epen 1.1 Aktualität und Geschichte in der homerischen E r z ä h l u n g . . . . 1.2 Dichterisches Wahrscheinlichmachen von Vergangenheit 1.3 Die aristokratische altertümelnde Kolorierung im homerischen Epos und die mykenische Kultur 1.4 Der homerische Schiffskatalog und die Erfahrungswelt der frühgriechischen Aristokratie 1.5 Dichterische Planung im homerischen Epos und die zeitliche Eingrenzung der homerischen Tradition 1.6 Dichterische Planung und geschichtliches Bewußtsein im homerischen Epos 1.7 Schluß : Vergangenheit und Relikt im homerischen Epos 2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption von der heroischen Zeit 2.1 Totenkult, Ahnenkult und geschichtliches Denken in homerischer Zeit 2.2 Der Heroenkult in homerischer Zeit und als lebensweltlicher Hintergrund im homerischen Epos 2.3 Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption von der heroischen Zeit

145 147 149 151 153 154 157 159

162 166 170 177

Vili

Inhaltsverzeichnis

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit. Poetische Gegenstandsbedeutung und antiquarische Beschreibung 3.1 Die Bedeutung der Metalle in den homerischen Epen 3.2 Der Eberzahnhelm 3.3 Die Funktion des Streitwagens in der Ilias 3.4 Der Nestorbecher und die Gelageszene im 11. Gesang der Ilias

186 188 193 194 196

4. Ausblick: Mykenische Ruinen als Gegenstände nachhomerischer Sagen. Die Kyklopenmauern

203

Literaturverzeichnis

211

Register

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Verzeichnis der im Text genannten modernen Autoren (20. Jh.)

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Stellenverzeichnis

239

Vorwort Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit der „homerischen Frage" in dem umfassenden Sinn, wie sie sich in der Geschichte der neuzeitlichen Homerwissenschaft entwickelt hat, von der Frage nach dem homerischen Dichter und seiner Tradition bis zu der Frage nach deren Zuordnung zu den beiden verschiedenen historischen Epochen, die die archäologischen Forschungen ans Licht gebracht haben, der mykenischen und der „geometrischen" frühgriechischen Epoche. Für diese Frage haben sich, wenn man die wissenschaftlichen Standorte der jüngeren Homerwissenschaft polarisiert, zwei einander entgegengesetzte Lösungen ergeben. Die eine Lösung besagt, daß die homerischen Epen als Teile einer mündlichen Erzähltradition ein hohes Maß an Überlieferungsgut aus dem Mykenischen enthielten, das zur geschichtlichen Rekonstruktion jener Zeit benutzt werden könne und das grundsätzlich nicht in die Zeit des homerischen Dichters, in das 8.vorchristliche Jahrhundert gehöre. Die andere Lösung der homerischen Frage geht davon aus, daß die homerische Dichtung die Zeit der Hörergesellschaft des mündlichen Dichters Homer widerspiegele und daß selbst traditionelles Erzählgut in diesem schöpferisch vergegenwärtigenden Erzählakt neu gedeutet worden sei, so daß die homerischen Erzählungen hervorragende geschichtliche Quellen für das 8. Jahrhundert darstellten, jedoch nicht für die mykenische Zeit auszuwerten seien. Ich stimme der zweiten Lösung zu, weil sie nach heutigem Wissen literatur- und kulturhistorisch glaubwürdiger erscheint. Ich habe die folgende Untersuchung durchgeführt, um dafür aus drei verschiedenen Argumentationszusammenhängen Gründe und Belege herbeizuführen. Der erste, wissenschaftsgeschichtliche Teil dieser Untersuchung befaßt sich mit der Entwicklungsgeschichte der philologischen homerischen Frage und geht ihrer historischen und archäologischen Erweiterung nach. Die Untersuchung versucht das Augenmerk auf die Veränderungen in den interpretatorischen Paradigmata zu lenken, die sich im Laufe der Zeit nicht nur durch den Zuwachs an Kenntnissen und Materialien ergeben haben, sondern auch durch den Wechsel der Interpretationsmuster des geschichtlichen Denkens und der Geschichtswissenschaft zwischen Klassizismus und Moderne, Historismus und Kultur- und Lebensweltphilosophie. Der zweite Teil der Untersuchung versucht, die Frage nach der homerischen Tradition nach heutigem kulturhistorischen Wissen darzustellen. Dabei steht der Begriff der Kontinuität im Mittelpunkt, - bezogen auf die archäologischen Fundgruppen der dunklen Jahrhunderte und auf eine mögliche mündliche Tradition zwischen dem Mykenischen und dem

χ

Vorwort

Frühgriechischen. Der Begriff der Kontinuität hatte im Historismus eine ganzheitliche Bedeutung. Der Zusammenhang einer Kultur ging in dem höheren Begriff der Nationalkultur auf ; für die frühgeschichtlichen Forschungen in Griechenland bedeutete das, daß vorgeschichtliche archäologische Befunde die Einheit der griechischen Kultur bis in die Frühzeit belegten. Diese kulturmorphologische Begrifflichkeit hat sich in den neueren Kulturwissenschaften differenziert. Man geht nicht mehr davon aus, daß die nationale Kultur zu den anthropologischen Konstanten gehöre, die man ohne Voraussetzungen als Wirkungsfaktor in einen frühgeschichtlichen Kulturzusammenhang einsetzen könne, man nimmt vielmehr an, daß bewußte soziale und kulturelle Zusammenhänge vorauszusetzen seien, wenn man von einem als Tradition empfundenen kulturgeschichtlichen Zusammenhang sprechen will. Das betrifft besonders die geschichtliche Erinnerung und ihre Pflege in einem Heldenepos. Diese Art der Kontinuität kann nicht durch einzelne archäologische Funde und Befunde belegt werden, sondern nur in Zusammenhängen, die auf bewußt tradierte kulturelle und soziale Sinnzusammenhänge schließen lassen. Die Untersuchung stützt sich vor allem auf archäologische Materialien und versucht, sie mit der Frage nach den Zeichen der stilistischen und strukturellen Traditionsbildung auf die Frage nach einer geschichtlich bewußten homerischen Tradition zu beziehen. Der dritte Teil der Untersuchung versucht, die Frage nach dem Geschichtlichen in den homerischen Epen aus dem Epos und seiner Funktion in seiner Zeit zu erklären. Altes Relikt soll von altertümlich Erscheinendem getrennt werden, ebenso historisches Erzählen vom aktualisierenden Erzählen. Der Aufbau und der inhaltliche Zusammenhang der homerischen Epen wird auf die kulturellen Zusammenhänge der homerischen Zeit und der dunklen Jahrhunderte bezogen, die im zweiten Teil der Untersuchung dargestellt worden sind. Die Elemente der Tradition der dunklen Jahrhunderte waren dort von den neuen gesellschaftlichen und politischen Sinngebungen des 8. Jahrhunderts gesondert worden. Besonders beachtet wird in diesem dritten Untersuchungszusammenhang die Frage nach dem Entstehen eines geschichtlichen Bewußtseins in den kulturellen und politischen Zusammenhängen des 8. Jahrhunderts. Dieses geschichtliche Bewußtsein tritt uns, wie ich meine, in den homerischen Epen entgegen. Wie konnte ein solches in seinen Raum- und Zeitvorstellungen umfassendes, menschlich beispielhaftes mythisches Geschichtsbewußtsein von einem heroischen Zeitalter entstanden sein? Mit dieser Frage ist die Frage nach den Anfängen und der Bedeutung des Heroenkultes in homerischer Zeit verbunden und die Frage nach der Signifikanz, die die vorzeitigen Relikte in diesem Kult und in anderen kultischen Zusammenhängen zu jener Zeit erlangten. Meinen Argumenten liegt die Frage zugrunde, ob

Vorwort

XI

geschichtliches Bewußtsein aus Erinnerung entsteht, oder ob frühe mythische Erinnerung nicht eine Zurückprojektion eines im Entstehen begriffenen geschichtlichen Bewußtseins sein kann. Die homerischen Epen, besonders die Ilias, werden hier als Zeugnisse eines solchen im Entstehen begriffenen geschichtlichen Bewußtseins interpretiert. Die nachhomerische Sagentradition wird als Zeugnis für das auf die homerische Dichtung folgende Historisieren einer für die Griechen verbindlichen mythisch-geschichtlichen Welt angesehen. Das vorliegende Buch stellt die gekürzte Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die 1986 vom Fachbereich 1, Philosophie, Geschichts- und Sozialwissenschaften, der Universität-Gesamthochschule Essen angenommen worden ist. Die Kürzung soll die grundsätzlichen Argumentationslinien dieser Arbeit hervorheben. Diese Grundsätzlichkeit will den ganzen Argumentationskreis um die homerische Frage im Sinne einer Bestandsaufnahme einfangen, sie will diese Frage aber nicht grundsätzlich oder gar endgültig lösen, - ein Blick auf die Forschungsgeschichte zeigt, wie müßig ein solches Unterfangen wäre. Ebenso schwierig ist es, der gesamten zu diesem Thema erschienenen Literatur Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich habe während der verschiedenen Überarbeitungsphasen versucht, mit den Neuerscheinungen zu diesem Thema auf dem laufenden zu bleiben. Das Manuskript wurde im Sommer 1991 abgeschlossen. Leider konnte ich die vielversprechende Arbeit von James Whitley - Style and Society in Dark Age Greece, Cambridge 1991 - und den von J. Latacz herausgegebenen neuesten Band des Coli. Rauricum zur Homerforschung in meine Überlegungen nicht mehr einbeziehen. Die Homerzitate in diesem Buch richten sich nach den Übersetzungen der Ilias und der Odyssee von Wolfgang Schadewaldt, da sie an die differenzierende Qualität eines homerischen Lexikons heranreichen. Dem Kenner sind die griechischen Originale leicht zugänglich, sonst lohnt es, den Originaltext in seinem Kontext nachzulesen. Gedruckt wurde das Buch mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ihr und vielen Helfern und Beratern gilt mein Dank, besonders Justus Cobet für die Unterstützung während meiner Essener Assistentenzeit. Sehr aufrichtig danke ich Jochen Bleicken und Harald Patzer für freundliche Hilfe und Kritik.

Teil I. Die Geschichte der homerischen Altertumskunde in der Neuzeit 1.

Die Vorgeschichte der homerischen Frage. Die Entdeckung der Geschichtlichkeit der homerischen Epen von der „Querelle des Anciens et des Modernes" bis auf Friedrich August Wolf

Den Menschen der Antike galten die Heroenmythen als Geschichte. Allerdings war die heroische Zeit schon bei Homer und Hesiod eine Zeit, in der ungewöhnliche (vergrößerte) Bedingungen herrschten, die in der menschlichen Welt nicht zu finden waren. Daher unterschieden die Philosophen und die Geschichtsschreiber des 5. Jahrhunderts, am Anfang der griechischen Wissenschaften, die „mythoi" von den „logoi"'. Die Mythen waren wahr, aber ihre Wahrheit war nicht an menschlichen und geschichtlichen Bedingungen zu messen. Die Heldengeschichten waren seither in die moralische und exemplarische Geschichte entrückt, bis sie die neuzeitliche Altertumskunde in eine realgeschichtliche Welt setzte2. Dieser Weg wird im allgemeinen als Fortschritt wissenschaftlichen Erkennens beschrieben. Der Fortschritt zeigt sich weniger in der zeitlichen Folge einzelner Erkenntnisse - viele modern anmutende Beobachtungen treten schon in der Frühen Neuzeit auf - , als Fortschritt wird vielmehr das historische Erkenntnissystem betrachtet, in das die verschiedenen Beobachtungen zu griechischen Heldenepik seit den Anfängen der Geschichtswissenschaft eingefügt wurden. Es entstand eine geschichtliche Homerauslegung, die sich in dem Begriff der „homerischen Frage" bündelte. Die homerischen Epen wurden zur mündlichen Dichtung und sollten in einfacher Form historische Wahrheit aus einer vergangenen „heroischen" Zeit und aus einer späteren „menschlichen" Zeit, der frühen griechischen Geschichte, vermitteln. Die Auslegung der homerischen Epen als mündliche Dichtung oder als „Volkspoesie" hat die homerische Archäologie angeregt und Ende des 19. Jahrhunderts zur Entdeckung zweier neuer geschichtlicher Epochen geführt: Entdeckt wurden die mykenische Kultur des zweiten Jahrtausends als vermeintlich geschichtliche Zeit des homerischen Erzählstoffes und die frühe griechische Kultur des ersten Jahrtau1

Hdt. 1, 1-5; 122. Vgl. Graf (1987)ι 7ff., 117ff. Der Traditionsweg von der hellenistischen über die römische zur mittelalterlichen troianischen Heldengeschichte wird hier ausgelassen, weil es sich um einen eigenen traditionellen Zusammenhang handelt. Vgl. Patzek (1991). 2

2

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

sends und des 8. Jahrhunderts als Zeit und Lebenswelt des letzten homerischen Dichters, eines Sängers, der aus einer langen Reihe mündlicher Erzähler hervorgegangen sein sollte, einer Reihe, die möglicherweise bis in das mykenische zweite Jahrtausend zurückführen konnte. Das Vertrauen auf die aus einer mündlichen Tradition schöpfende, in das zweite Jahrtausend zurückreichende Rekonstruktion von Geschichte, die sich in den archäologischen Monumenten widerspiegeln soll, ist in letzter Zeit brüchig geworden. Die mit dieser Konstruktion verbundenen Fragen und Antworten haben sich in der neuzeitlichen Geschichte der Homerwissenschaft entwickelt. Sie lassen sich aus dieser Geschichte am besten begründen und kritisieren. Ich beginne daher mit einer Darstellung der homerischen Wissenschaftsgeschichte von ihren neuzeitlichen Anfängen her.

1.1

Die Querelle d'Homère

Die kritische Dialektik der französischen Aufklärung entdeckte den historischen Homer in dem vormals göttlichen Dichter. Im strengen Vergleich mit den zeitgenössischen poetischen Idealen tat sich in den homerischen Epen etwas Archaisches und damit etwas Geschichtliches auf. Der Streit der .antiqui' mit den ,moderni' fand für das Thema Poesie viel Stoff in den homerischen Epen. Die erste Analyse, die „Dissertation sur l'Iliade" des Abbé d'Aubignac, wurde zwar erst 1715 veröffentlicht und fand als Buch keine Resonanz. Die Untersuchungen des Abbé waren aber den Vertretern der Moderne schon vor ihrer Veröffentlichung bekannt und bildeten die Grundlage einer an Argumenten reichen ,Querelle d'Homère 3 '. Charles Perrault zählte im vierten Dialog seiner Parallelbetrachtungen (sie sind von 1693 bis 1697 erschienen) die Eigenschaften des Epos auf, die den literarischen Normen seiner Zeit entgegenstanden 4 . Die widersprüchliche Schönheit der alten Poesie erkläre sich aus ihrer Entstehung in einem vergangenen Zeitalter, als sich die Dichtung noch am Anfang ihrer Entwicklung, sozusagen in ihrer Kindheit, befand (S. 17 f.). Diese alte Dichtung könne nicht als Norm für die Gegenwart gelten. - Poetische Schönheit wird hier zu einem „beau relatif, das an seiner kulturellen 3

Zur Querelle des Anciens et des Modernes und zur antiken Literaturkritik, die in diesem Streit eine Rolle spielte, vgl. Jauss (1971) 405ff.; ders., (1964) 8. Zur ersten Homeranalyse in diesem Streit: Fuhrmann (1959) 207 ff. Zum Kreis des Abbé und seiner Wirkung: Pohlenz (1919) 343ff.; Kortum (1966) 65ff. 4 Perrault (1693).

1.1 Die Querelle d'Homère

3

Herkunft gemessen wird. Nur die Kunst des kritischen Vergleiches kann diese historische Schönheit sichtbar machen 5 . Die homerische Fabel habe kein Ziel, kenne keine Ökonomie des Erzählens; so lautet die erste These Perraults (S. 28-33). Der Krieg um Troia werde kaum behandelt; sein höchstes Ziel, die Zerstörung der Stadt, werde nicht geschildert. Ein patriotisches Werk könne das Epos daher nicht gewesen sein. Aber auch das Motiv vom ,Zorn des Achill' verbinde die Geschichte nicht. Es werde zwar im ersten Gesang der Ilias eingeführt, dann aber vernachlässige es der Dichter, weil er eine Fülle neuer Motive erfinde. Außerdem müsse das Zornmotiv mit Hektors Tod enden, sonst verliere die Fabel ihre Moral. Auch von seinen Personen- und Sittenbeschreibungen her erscheine das Epos befremdlich, so die zweite These Perraults (S. 33 ff.). Neben schönen Charakteren, wie Agamemnon, Alkinoos und Nausikaa, fände man tadelnswerte, wie Achill, den zügellosen, und Odysseus, den skrupellosen Helden. Auch bei den Sitten fänden sich solche von zeitloser Schönheit neben anderen, die die Eigentümlichkeiten der Zeit Homers verrieten. Eine dritte kulturgeschichtlich wichtige Beobachtung gewann Perrault aus der homerischen Sprechweise. Um die bildhafte Sprache Homers mit ihren Ausschmückungen, Wiederholungen und scheinbar unangebrachten Gleichnissen als poetisch schön zu erklären, mußte er den Vergleich mit außereuropäischen dichterischen Kulturen suchen. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts kam die Reiseliteratur auf; und auch dort bediente man sich zur Beschreibung des Fremden der vergleichenden Beobachtung6. Besonders die Kunde aus dem zeitgenössischen Orient förderte diese vergleichende Betrachtung der Kulturen. Perrault verglich die orientalische Erzählweise mit der homerischen und fand kulturelle Bedingungen, die die zunächst befremdliche poetische Schönheit der homerischen Epen erklärten. Eine Erzählweise sei vor allem vom Geschmack ihres Hörerkreises abhängig: „J'avoue que si les Poetes d'aujourd'huy mettoient dans leurs ouvrages les mêmes beautez dont Homère a orné les siens, par exemple de ces comparaisons à la longue queuë, j'avoue, dis-je, que l'on se mocqueroit d'eux, mais je dis en mesme temps que si Homère s'étoit servi de comparaisons aussi seches & aussi écourtées que celles de nos Poètes on se seroit mocqué de lui. En voici la raison, c'est que le goust des Grecs, & des Grecs du temps d'Homère, étoit bien different du nôtre. Il ne faut pas estre fort habile pour sçavoir que le langage des Orientaux est tout plein de figures, de similitudes, de metaphores, de paraboles & de comparaisons, qu'ils ne s'expriment presque jamais simplement & que les choses 5 6

Zum Begriff des „beau relatif vgl. Jauss (1964). Vgl. Bitterli (1976) 72.

4

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

qu'ils disent en donnent presque toujours encore d'autres à entendre qu'ils ne disent pas. Leur esprit tout de feu ne peut se contenter d'un seul sens dans un discours. Il n'y auroit pas dequoy occuper la vivacité de leur esprit & l'activité de leur attention. Ils veulent voir en mesme temps plusieurs images différents. Les esprits du pays où nous sommes sont tournez d'une maniere toute opposée, ils ne veulent ou ne peuvent comprendre qu'une seule chose à la fois, encore faut-il qu'elle soit exprimée bien nettement & avec une grande précision, la moindre superfluité les blesse ou les embarasse." (S. 43 f)· Über die Schwierigkeiten bei der Lektüre näherten sich auch andere, wie beispielsweise Claude Fleury, der Geschichtlichkeit des homerischen Textes. Es entstand ein Streit um die Einheit der homerischen Epen. Die einen, darunter Perrault, erblickten in der Nachfolge des Abbé in den Epen eine mündliche Literatur, die Ansammlung mannigfaltiger älterer Lieder, wie in der sogenannten poésie populaire 7 . Dagegen meinte Fleury, in dem eigentümlichen homerischen Stil das Zeichen für eine einheitliche dichterische Komposition erblicken zu können 8 . Unterschiedlicher Meinung war man auch darüber, wie die frühe Zeit, aus der Homer stammte, zu bewerten sei. Fleury meinte, nachdem er die in den Epen geschilderten Lebensbedingungen erforscht hatte, daß sie mit denen der biblischen Geschichten zu vergleichen seien, und daß Homer einer vorbildlichen archaischen Menschheitsgeschichte angehöre, in der noch ein Leben geführt worden sei, das den einfachen Idealformen menschlichen Daseins entsprochen hätte9. Dieser frühe Streit um Homer verunglimpft, wie es die Späteren haben wollten10, den homerischen Dichter nicht. Mit wissenschaftlicher Methodik, der vergleichenden Beobachtung, wurde der alte Text studiert und seine relative, seine historische Schönheit entdeckt und beschrieben. Die Übersetzungen Anne Daciers, die aus dieser Kontroverse hervorgehen, bringen den eigentümlichen Duktus der Dichtung, den „aristokratischen Geschmack Homers" zum Ausdruck11. Der auffallende erzählerische Duktus der Epen wurde einer mündlichen poetischen Kultur zugeschrieben und auch auf seine historische Herkunft, auf einen „Zeitcharakter" hin 7

Die Sammlung solcher einfacher Erzählungen war für die Dichter der Querelle von Bedeutung. Vgl. Patzek (1991) 22ff. Der Begriff der „poésie populaire" stammt von Montaigne (Essais 1582, 1 31 und 54), der die brasilianische mit der altgriechischen „Volkspoesie" vergleicht. Dazu: Bausinger (1980) 19f. 8 Perrault (1693) 23 ff. Fleuries Beobachtungen wurden in einer 1665 konzipierten „Lettre sur Homère" mitgeteilt. Dazu: Kortum (1966) 123f. ' Kortum (1966) 125 ff. 10 So vor allem Friedrich August Wolf: Vgl. Fuhrmann (1959) 210 mit Anm. 92. 11 Patzek (1991) 26 f.

1.1 Die Querelle d'Homère

5

befragt. Die homerischen Epen wurden zu einem kulturgeschichtlichen Phänomen. Die Öffnung gegenüber kulturgeschichtlichen Erscheinungen wurde zu jener Zeit durch die vergleichende Kunde der Völker gefestigt, die die Reisenden, die Händler und die Eroberer der Zeit im Orient und in Übersee antrafen und in ihren Berichten schilderten. Gleichgültig, ob man diese Kulturen primitv oder archaisch nannte, ob man sie ab- oder aufwertete, dem Urteil lag ein Kulturvergleich zugrunde, der nicht nur das Vorurteil, sondern auch den wissenschaftlichen, objektivierenden Vergleich förderte 12 . Immer wieder konnte man beobachten, daß sich die verschiedenen Kulturen eigenständig voneinander abhoben. Das selbstverständliche Leben in der gewohnten kulturellen Welt stellte sich als bedingt heraus. Kultur, oder besser der Geschmack wurde im Zeitalter Ludwigs des XIV. zu einer Gesellschaftsfrage, einer Frage, die sich zu den Grundbedingungen für die Bildung der frühen literarischen und bürgerlichen Öffentlichkeit entwickelte 13 . Für das kulturell und historisch Bedingte mußten neue Begriffe gefunden werden. Die völkerkundlichen und historischen Studien begründeten eine neue Philosophie von der menschlich geschichtlichen Welt. Diese Philosophie eröffnete den Wissenschaften neue Erkenntniswege. Die Frage nach der Natur des geschichtlichen Entwicklungsgangs kam auf, wie sich diese Entwicklung aus den inneren Veränderungen der Kulturen selbst gestaltete. Diese innere Bewegung war, wenn sie keinem objektiven Gesetz zu unterstellen war, eine irrationale Größe. Sie beruhte auf der Entwicklung des menschlichen (kollektiven) Geistes in allen seinen Äußerungen, nicht nur des Verstandes, sondern auch des Gefühls, der Einbildungskraft und des Geschmacks. Daher wurde die innere Bewegung der Kultur ,Geist', oder zuerst ,esprit' genannt 14 . Das Verstehen, das sich Hineinversetzenkönnen in die anders gebildete Kultur, wurde mit diesem Begriff zu einem neuen Erkenntnisgegenstand.

12 Bitterli (1976) 208, 269ff. Zur Wirkung auf die Literaturwissenschaft vgl. Lempicki (1968) 220 ff. 13 L. Hölscher (1979) 8 I f f . 14 Vgl. die Darstellungen bei Meinecke (1959) 13ff.; Lempicki (1968) 222-234; Gadamer (1975) 7 ff.

6

1.2

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

Thomas Blackwell

Die 1735 erschienene „Enquiry into the Life and Writings of Homer" von Thomas Blackwell ist im Sinne dieses kulturhistorischen Begriffs die erste historische Schrift über Homer 15 . Blackwell wurde von der englischen Präromantik, besonders von Hume und Shaftesbury, geprägt 16 . Er suchte nun bewußt nach dem „Zusammenhang der Dinge", die bewirkt haben sollen, daß in der ganzen bekannten Geschichte keiner Homer in der Kunst der epischen Dichtung gleichgekommen sei (S. 4). Ein bestimmter Zusammenhang von natürlichen und menschlichen Umständen habe Homer zum größten Dichtergenie gemacht. Diese Umstände gelte es zu erforschen. Dichtung sei Naturnachahmung, mimesis.,Natur' bedeutete zu jener Zeit die gesamte Schöpfung, Natur und Kultur, in unserem Sinne. Den Begriff der Kultur gab es damals freilich noch nicht 17 . Nachbildungen der Natur waren das epische Gedicht im Ganzen, der Klang seiner Silben, die Vielfalt und Eigenart der Wörter, das Versmaß als Ausdruck einer Sprachmelodie. Nachbildung war aber auch der Gegenstand der Dichtung, Nachbildung einer historischen Welt. Die Natur als Schöpfung umfaßte auch die geschichtliche Welt, selbst das historisch Einmalige fand in der Natur seinen Platz18. Das dichterische Genie, das „Originalgenie", besaß die Fähigkeit, die Wahrheit der Schöpfung selbst in schwierigen geschichtlichen Zeiten auszudrücken (S. 80 f.)19. Die dichterische schöpferische Wahrhaftigkeit verbürgte auch die historische Wahrheit, die Wahrheit des Geschehens und des Gegenstandes der Dichtung. Hören wir Blackwell über Homer und Troia: „Es scheint vielleicht verwegen bey solcher Entfernung der Zeit behaupten zu wollen, daß Homers Schlachtfeld keine Erdichtung sey, sondern mit der wahren Lage des Landes und Meeres übereinstimme.... Wir haben einen sehr gültigen Zeugen für Homers Wahrhaftigkeit (Demetrius Skepsius' Topographie der Troas). Allein wenn uns auch dieser fehlte, so würde uns schon die Wirkung, die seine Gemälde auf unser Herz haben, überführen, daß es Naturgemälde sind. Keine Phantasie ist vermögend, die Allgewalt der Wahrheit zu erreichen" (S. 328 f. Hinzufügung B.P.). Die geschichtliche Welt, die hinter der Wahrheit der Dichtung steht, wird von Blackwell als ein Zusammenwirken der natürlichen und der histori15

Blackwell (1735) zitiert nach der deutschen Übersetzung von Johann Heinrich Voss aus dem Jahre 1776. 16 Vgl. Lempicki (1968) 226ff., bes. 232. Eine treffende Charakterisierung Blackw e l l : Meinecke (1959) 248 ff. 17 Zum Naturbegriff im 17. Jahrhundert vgl. Jorgensen (1984) 339. 18 Jauss (1964) 38 ff. " Lempicki (1968) 227; Blumenberg (1957).

1.2 Thomas Blackwell

7

sehen Erscheinungen beschrieben 20 . Die „glückliche Lage, die die homerischen Gedichte hervorgebracht hat" (S. 323), umfaßt verschiedene Umstände: den „Zustand des Landes, die gemeinsamen Sitten der Einwohner, ihre bürgerliche und Religions Verfassung, mit deren Ursachen und Folgen" (S. 18). Verschiedene Umstände „wirken gemeinschaftlich", neben der natürlichen Umwelt sind es die „Sitten der Einwohner und die der Zeit" (S. 18). Hinzu kommen solche von „eingeschränkter Beschaffenheit", wie die „Privaterziehung und die besondere Lebensart", die von einer kleineren Gruppe von Menschen geteilt werden (S. 18). All diese Zusammenhänge bedeuten Geschichte; für sie sei es schwer einen Begriff zu finden: „Es giebt eine Sache, Mylord, die, ob sie gleich in allen Zeitaltern und bey allen Nationen vorkommt, dennoch schwer zu beschreiben ist. Nur wenige sind im Stande, sie zu bemerken, und daher sind keine Worte erfunden worden, einen Begriff auszudrücken, der die weitesten Aussichten der menschlichen Dinge umspannt. Wir wollen sie den Fortgang der Sitten nennen" (S. 19. Hervorhebung B.P.). Mit dieser Begriffsbildung begann Blackwell eine erste kulturgeschichtliche Darstellung des frühen Griechenland. Er stellte die homerischen Epen in eine Frühgeschichte, die aus den Rekonstruktionsversuchen der klassischen Quellen zu erschließen war. Zunächst ging es ihm um den Epochencharakter der Zeit (S. 20 ff.). Der troische Krieg stand nach der Chronologie des Thukydides an der Schwelle zweier Zeitalter; am Ende eines frühen Zeitalters einfachen Lebens und am Anfang der frühen griechischen Städtegeschichte. Der sagenhafte Krieg soll aus einer frühen Erscheinung der Machtpolitik hervorgegangen sein. Nach seinem Ende und nach dem Fall Troias soll es erneut Wanderungen und Siedlungsgründungen gegeben haben; die frühen griechischen Städte seien daraus erwachsen. Blackwell glaubte, daß Homers Lebenszeit beide Zeitalter umfaßte (S. 30 ff.). Homer habe ungefähr ein oder zwei Generationen nach dem troischen Krieg gelebt, so daß er diese Geschichte noch von den Nachfahren der Troiakämpfer gehört haben konnte. Seine eigene Zeit aber war von einem neuen Fortschritt in Wissenschaft, Recht, Religion und Politik erfüllt. Die älteren Schichten der Kultur, die zu der Zeit vor dem troischen Krieg gehörten, sollten hingegen im herkömmlichen einfachen Leben verblieben sein. Das homerische Zeitalter sollte wegen dieses zweifachen Lebensstils, der herkömmlichen Einfachheit und der neuen Fortschrittlichkeit, eine Zeit der Freiheit gewesen sein. Als Brite stellte Blackwell diesem Zeitgefühl die höfische Zivilisation Kontinentaleuropas entgegen, die er unfrei nannte (S. 34 ff., 72 ff.). Die alten Sitten aber sollten vorbildlich gewesen sein, weil sie aus der Freiheit kamen, die natürliche Tugend und 20

Meinecke (1959) 22 ff.

8

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

Wahrheit wiedergaben und damit die Schöpfung, die göttliche Natur, widerspiegelten. Die Sitten der homerischen Zeit und die der Zeit des troischen Krieges galten Blackwell als ein „lebender Theil" der Epen. Homer hätte sie nicht wiedergeben können, wenn er sie nicht erlebt hätte (S. 43 ff.). Das läßt einen Sinn für die neue historische Erfahrung erkennen, die Gebundenheit des antiken Dichters und des modernen Interpreten an die Sitten seiner Zeit:„In Wahrheit, Mylord, sind wir mit sehr eingeschränkten Fähigkeiten geboren, und scheinen nicht im Stande zu seyn, zweyerley Sitten inne zu haben, oder verschiedene Lebensarten leicht zu begreifen. Unsere Gesellschaft, Erziehung und Zufälle machen tiefe Eindrücke und bilden uns einen Charakter, von dem wir uns später nur schwerlich loswinden können" (S. 43). Die verschiedenen Sitten, die „ways of life", gehörten zur Vielfalt der Schöpfung „War je ein natürlicher Gemälde als der Weg der Welt?" (S. 44)21. Auch die Sprache ist bei Blackwell Natur und damit ein historisches Gebilde. Sie drückt die Gedanken der geschichtlichen Menschen und den Zustand der geschichtlichen Gemeinwesen (der Nationen) aus. Sind die Gedanken „edel, frey und unerschrocken, so wird ihnen auch unsere Rede beydes an Gepräge und Gehalt ähnlich seyn" (S. 47). Die Sprache spiegelt aber nicht nur eine historische Lage wider, sie trägt auch die Zeichen ihrer menscheitsgeschichtlichen Entwicklung. Jede Epoche habe ihre Sprache, das klassische Athen beispielsweise die politische Rede. Der Urstoff einer jeden Sprache sei „eine Mischung aus Einfalt und Bewunderung" ; die abgeleitete „Tochtersprache" verbessere sich „mit dem Staatswesen und dem Genie des Volkes" (S. 57 f.). Die homerische Sprache gehöre schon zu den entwickelten Sprachformen. Sie sei bereits ein „Abkömmling älterer Sprachen" (S. 57). Daraus folgt eine schwierige Ableitung der vorhomerischen Sprachgeschichte und der frühgeschichtlichen Wissensgeschichte, der Mythologie. Die bereits gebildete homerische Mythologie könne nur auf dem Einfluß älterer, altägyptischer Gelehrsamkeit zurückgeführt werden (S. 63 ff., 195 ff.). Die homerischen Epen seien daher schon aus einer langen Entwicklung der alten Wissensgeschichte hervorgegangen. Sie mußten nicht die ältesten Gedichte sein. Schon vor dem troischen Krieg konnten Gedichte gemacht worden sein (S. 99). Wie Perrault vergleicht auch Blackwell das homerische mit dem orientalischen Erzählen (S. 57). Darüber hinaus macht er eine Berufssprache des homerischen Sängers aus (S. 124 ff.). Homer gebe mit seinen Sängerdarstellungen ein Zeugnis von dem Berufsstand, zu dem er selbst gehört hatte 21

Zur Verbindung mit dem antiken Gedanken von der Verschiedenheit der Sitten vgl. Jauss (1964) 60 ff.

1.3 Robert Wood

9

(S. 136). Die homerischen Epen bestünden aber nicht aus einer Sammlung der Lieder einer alten Sängerzunft, sie seien vielmehr die Lieder eines Genies, das aus dieser Zunft hervorgegangen sei. Homer machte, wie seine Kollegen, seine Gedichte nicht zum Lesen, sondern zum „Hersagen". Wer dies nicht berücksichtige, so Blackwell, verderbe sich das Lesevergnügen. „Man versteht weder seinen Styl, noch fühlt man den Ton und die Art seines Gedichts, wenn man sich nicht an die Stelle seiner Zuhörer setzt, die einem singenden Rhapsodisten horchen" (S. 145). Die Berufssprache der Sänger erklärt er aus der „Fertigkeit, die sie für ihre Kunst des Stegreifsingens" brauchten : „Wir haben täglich Proben, was die Uebung bey jeder Kunst und jedem Geschäfte thut. Eine jede Neigung wird zur Fertigkeit, wenn man ihr nachleben kann, und macht endlich den Meister, der ohne Mühe wegarbeitet. Dies hat unmittelbaren Einfluß auf Sprache und Umgang; wie wir täglich an Juristen, Schiffern, und fast allen Ständen sehen, die in ihrer Kunstsprache mit der größten Leichtigkeit fortplandern, und hingegen oft stecken bleiben, wenn sie wie andere Leute reden sollen. Zu welcher Höhe ein Genie als Homer durch eine beständige Uebung steigen mußte, läßt sich kaum aussprechen" (S. 146 f.).

1.3

Robert Wood

Robert Woods 1769 erschienener „Essay on the Original Genius of Homer" 22 führte Blackwells Überlegungen zur Geschichtlichkeit Homers fort. Das unsystematische Werk (Wood wollte es überarbeiten, starb aber darüber) wurde bei seinem Erscheinen gefeiert und auf Christian Gottlob Heynes Fürsprache sogleich ins Deutsche übersetzt; es hatte eine ungeahnte Wirkung auf die deutsche Klassik und auf die im Entstehen begriffene homerische Wissenschaft23. Blackwells Werk wurde über dieser Begeisterung fast ganz vergessen ; Herder monierte das scharf, denn ihm war es an der ganzheitlichen poetischen Wahrheit des Epos gelegen, die für ihn nicht in historische und poetische Wahrheit aufzuspalten war24. Tat22

Wood (1769) im folgenden zitiert nach der deutschen Übersetzung „Versuch über das Originalgenie des Homers aus dem Englischen", die 1773 in Fankfurt am Main erschienen ist. Zu dem unbekannten Frankfurter Übersetzer vgl. Meinecke (1959) 254. 23 Den Anfang dieser historischen Homerbegeisterung machte Heynes euphorische Rezension im Göttingischen Gelehrten Anzeiger - Heyne (1770) - ; sie wurde auch der deutschen Übersetzung als Vorwort vorangestellt. Zum Aufsehen, das das Werk in Frankfurt und bei Goethe hervorrief, vgl. Meinecke (1959) 254. 24 Herder (1803) 225 ff. Heyne Schloß sich ihm später in dieser Auffassung an, indem er die eigene Begeisterung für Wood kritisierte: Heyne (1792).

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1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

sächlich treten bei Wood erstmals die dichterische und die historische Wahrheit auseinander. Wood brachte mit der historischen Landschaft die gegenständliche Geschichte ins Gespräch; mit der Kenntnis dieser historischen Gegenständlichkeit wollte er die Dichtung auf ihren geschichtlichen Gehalt untersuchen. Er nennt nur diese gegenständliche Welt „ N a t u r " ; sie sei die Gegenständlichkeit, die das wirklich Gewesene in dem dichterischen Werk anzeigen könne. Eine zeitlose Gegenständlichkeit soll das poetische Werk historisch korrigieren 25 . Während bei Blackwell Natur- und dichterische Wahrheit noch ein und dasselbe waren, tritt Wood nun eruierend zwischen das Original (die Natur) und die dichterische Wiedergabe. Diese Positionsverschiebung zeigt sich, wenn Wood auf den Vorgänger zurückverweist:,,Vielleicht machen Homers zu eifrige Bewunderer mir gegen meine Unternehmung den Einwurf, daß er unter allen Dichtern am wenigsten einer solchen Erläuterung bedärfe; daß die Genauigkeit seiner Beschreibungen viel zu einleuchtend und treffend sey, um einige Erklärung nöthig zu haben, die, indem sie das Bild aus einander setze, den wahren Geist und das Feuer seines Gemäldes ersticke und auslösche; mit einem Worte, daß sein natürlicher und ungezwungener Ton jene in die Augen fallenden Kennzeichen und das Gepräge der Originalerfindung habe, wodurch wir (beym ersten Anblicke oder nie) sehen, daß das Bild nicht allein nach dem Leben gezeichnet, sondern daß es auch treu und treffend copiert ist.... aber ich glaube doch, daß diejenigen Leser am besten in den Geist der Copie eindringen werden, die am genauesten mit dem Originale bekannt sind. Wir müssen also, wenn wir dem Dichter völlig Gerechtigkeit wollen widerfahren lassen, so viel immer möglich, der Zeit und dem Orte uns zu nähern suchen, wenn und wo er schreibt" (S. 11 f.). Woods Ruhm gründet auf seiner Forschungsreise in die Troas. Reisen heißt nun Forschen. Das „unbeständige und zerstreute Original" (S. 20 f.) muß mit dem lebendigen Bild der Dichtung verglichen werden, um Wirklichkeit und Dichtkunst unterscheiden zu lernen. Die Belagerung von Troia muß von ihrem dichterischen Schmuck entkleidet werden, um zu einem glaubwürdigen historischen Geschehen werden zu können: „Wollen Sie sich ferner auch die Mühe geben, aus dem Gedichte ein bloßes Journal der Belagerung von Troja, von allem poetischen Schmucke entkleidet, heraus zu ziehen, so werden sie, wie ich glaube, finden, daß zwar einen großen Theil desselben die Phantasie des Dichters geschaffen hat, daß es aber dem ungeachtet, wenn wir das Ganze betrachten, eine zusammenhängende Erzählung kriegerischer Begebenheiten enthält, die durch einge25

Der neue methodische Ansatz spiegelt die philosophiegeschichtliche Entwicklung des empirischen Naturbegriffs wider: Kaulbach (1984) 471 ff., 548ff.; Jorgensen (1984) 339. Natur und Kunst sind verschiedene Dinge.

1.3 Robert Wood

11

mischte locale Umstände der Zeit und des Ortes, wie es die wahre Geschichte erfordert, unterstützt und verbunden ist" (S. 28 f.). Der Zusammenhang der Landschaft in ihrem gegenwärtigen und antiken Zustand mit der Dichtung wird durch eine kritisch-vergleichende Methode erforscht. Wood und seine Begleiter maßen ein neues geographisches Forschungsfeld aus: Sie schritten die Troas von der Mündung bis zur Quelle des Skamander ab und verglichen, was sie fanden, mit den detail-realistischen Angaben des Epos (S. *85ff., *94ff.) 26 . Geographisch hatte sich anscheinend vieles geändert. Wood führte das auf Naturereignisse, Erdbeben und Anschwemmungen in der Skamanderebene zurück (S.*84). Das Schlachtfeld vor Troia meinte er in dem Tal vor Bunarbaschi wiederfinden zu können (S.*106). Troia selbst aber war „nicht durch die geringsten Ruinen" gekennzeichnet; es schien für immer verloren zu sein (S.*lll). Wood setzte eine geographisch-historische Landschaftsanalyse ins Werk. Das Königreich des Priamos sei reich an Früchten des Bodens und an Bodenschätzen gewesen (S.*86). Daraus erkläre sich das Interesse der frühen Griechen an dieser Landschaft: „Einem Reisenden, der den Hellespont hinaufsegelt, fällt es gleich in die Augen, daß die Ursache der ersten Wanderungen der Griechen nach Asien, die wir aufgezeichnet finden, bloß die Begierde war, ein armes Land mit einem weit reicheren zu vertauschen, so sehr übertrifft die asiatische Seite die europäische an Schönheit und an Fruchtbarkeit" (S.*89f.). Auf diese Weise sollten sich die drei Belagerungen und Plünderungen Troias historisch erklären lassen, die vor dem berühmten großen Krieg stattgefunden hatten und die der homerische Dichter nur nebenbei erwähnte. Nun erklärte sich auch, warum bei dieser Habsucht von der berühmten Stadt noch nicht einmal eine Ruine übrig geblieben sei (S.*114). Aus der Landschaft aber lasse sich auch auf das „gemeine Leben" ihrer Bewohner schließen, denn dieses Leben sei von der geographischen Umwelt und von der „Denkungsart" eines primitiven Zeitzustandes geprägt gewesen (S.*86). Das Leben der geschichtlichen Menschen sei verschieden, aber graduell verschieden, der Landschaft und dem Zeitzustand gemäß, so daß es der Reisende beobachtend und vergleichend erfassen und seine Schlüsse daraus ziehen könne (S. 173 ff.). Auf seinen Reisen beobachtete Wood verschiedene Kulturformen und verschiedene „Grade der Kultur" (S. 19). Die einfachen Sitten der homerischen Zeit sollten sich in denen des zeitgenössischen Orient widerspiegeln. Die Frage, woher eine solche „Beständigkeit der Sitten" käme, lag nahe (S. 176ff.). Die Sitten 26 Die mit * versehenen Seitenzahlen beziehen sich auf die an die deutsche Übersetzung angebundenen „Zusätze und Veränderungen der neuen Ausgabe von Woods Versuch über das Originalgenie Homers" von 1778.

12

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

der Beduinen des Orients unterschieden sich von den europäischen, sie waren aber darum nicht primitiv zu nennen, sie waren vielmehr einer „heroischen und patriarchalischen Lebensweise" entsprungen. Die „patriarchalische Idee" der nomadischen Lebensweise konnte in verschiedenen Kulturen wiedergefunden werden, auch die Lebensweise der homerischen Zeit sollte über diese Idee erfaßt und vergegenwärtigt werden können. Sogar die Frage nach der Geschichte der Schreibkunst eröffnete Wood einen Weg, dem alten Kulturzustand näher zu kommen (S. 270 ff.). Die Kunst des Schreibens sei eine Erfindung gewesen, die die Griechen von den Phönikern übernommen hätten. Den allgemeinen Gebrauch der Schrift bei den Griechen könne man aber erst mit dem Aufkommen der prosaischen Schriften vermuten. Die in Verse gebundene Rede sei hingegen ein Zeichen für eine mündlich übertragene literarische Kultur. Mündliche Überlieferung in Gelehrsamkeit und Poesie beruhe auf der Stärke des Gedächtnisses und entbehre nicht des Genies. Auch hier verweist Wood auf die außereuropäischen „mündlichen Kulturen". Wood zeigte, wie man sich der alten Welt und ihrer fremden Kultur durch den Kulturvergleich und durch eine kritische Auseinandersetzung mit der gegenständlich erfaßbaren Welt annähern konnte. Der beständige Hinweis auf die Natur, den man zu jener Zeit hörte, sollte, so Goethe im Rückblick, bewirkt haben, daß man die Werke der Alten auf neue Weise sehen lernte. Goethe selbst suchte in den homerischen Epen die „abgespiegelte Wahrheit einer uralten Gegenwart" 2 7 . Das Vergegenwärtigen der Dichtung im Landschafts- und Reiseerlebnis, wie es sich in der Goethezeit entwickelte 28 , gründete natürlich nicht nur auf Tatsachenerforschung, sondern forderte auch die Einbildungskraft des Betrachters heraus. Der unkontrollierbare Vorgang der Divination birgt methodische Probleme, die Wood schon gesehen hat: „ . . . d a ß ich nemlich eine eifrige Liebe für mein Sujet für Kenntnis desselben gehalten" (S. 21). Er verspricht sich aber, durch das Wissen um diese Schwäche, die damit verbundenen Interpretationsfehler ausschalten zu können. Schwärmerei und Enthusiasmus seien aber, so gibt er zu, ein wesentlicher Bestandteil einer jeden historischen Reise auf den Spuren Homers (S. 22).

27

Dichtung und Wahrheit S. 598 (zitiert nach der von W.Ziesemer und G. Wackerl herausgegebenen Ausgabe, Frankfurt 1975). 28 Zur Vergegenwärtigung der Dichtung im Monument, wie sie in der Goethezeit aufkam, vgl. Rehm (1936) 66ff.; Meinecke (1959) 576; Schadewaldt (1949) 135f.

1.4 Christian Gottlob Heyne

1.4

13

Christian Gottlob Heyne

Christian Gottlob Heyne (1729-1812) wurde zum Begründer der homerischen Altertumswissenschaft 29 . Er redigierte und übersetzte nicht nur die homerischen Epen, sondern untersuchte auch die frühen „rhapsodischen" Sprachformen, und er begann die Methodik der philologischen Kritik auf die bildlichen und monumentalen Quellen zu übertragen. Die Wissenschaften von der Mythologie und der Archäologie sind im Entstehen begriffen 30 . Woods „Essay" hatte einen großen Einfluß auf Heynes altertumswissenschaftliche Methodik, er bedeutete „eine Revolution in Heynes Ansicht und Studium des griechischen Altertums", so A. H. Heeren, der Schüler und Biograph Heynes 31 . Erst durch Wood habe Heyne gelernt, „die alten Dichter im Geist ihrer Zeit und ihres Volkes zu lesen" 32 . Das war mehr als die philologische Textkritik bis dahin verlangte. Mit seinen vom beginnenden Historismus geprägten Begriffen forderte Heeren, daß die Literatur aus ihrer historischen Epoche und aus der ihr eigenen Mentalität begriffen werden solle, und folgerte, daß die Dichtung umgekehrt als historische Quelle dafür dienen könne. Wie sehen die späteren Vorstellungen des Biographen bei Heyne selbst aus? Schauen wir in die oben zitierte Göttinger Rezension (Heyne 1770), in der Heyne Woods „Essay" nicht nur feiert, sondern dessen Begriffe auch weiterentwickelt. „Aus Reise- und Länderbeschreibungen der wilden und anderer Völker, die in einer noch ungebildeten Gesellschaft und Staatsverfassung leben, lernt man das meiste über den Homer," heißt es da (S. 8 f.). Heyne, der Philologe, übernimmt die kulturvergleichende Methode. Bei dem Fremden handelt es sich um eine ganze Lebensweise, die in einem fremden Raum oder in einer anderen Zeit liegt, und die durch neue aus der Beobachtung gewonnene Begriffe erforscht werden kann. Homer sei ein Dichter aus einem „ganz anderen Weltalter", dessen „menschliche Gesellschaft in ihrer politischen, bürgerlichen und häuslichen Verfassung" erst erforscht werden müsse, denn solche Verfassungen seien zeitlichen Veränderungen unterworfen. Die Kulturen entwickelten sich „vom rohen Zustand der Natur" zu dem der hochentwickelten „Cul29

Hentschke-Muhlack (1972) 81 ff.; Lloyd-Jones (1981) 15ff.; Muhlack (1988) 156 ff. 30 Zur „Altertumskritik" Heynes, die Archäologie, Mythologie und Sprachwissenschaft gleichermaßen umfaßte, vgl. Leo (1907) 213ff.; Bleicken (1989). Heynes Interesse an den kunstarchäologischen Quellen geht auf seine Bekanntschaft mit J. J. Winckelmann zurück. Vgl. Heeren (1813) 219 ff. 31 Heeren (1813) 210. 32 Ebenda 221.

14

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

tur" (S. 8). Heyne nahm Woods Ansatz auf, die homerische Lebensweise mit dem Leben der arabischen Beduinen zu vergleichen, das patriarchalische System die Grundordnung dieses Lebens zu nennen, und den homerischen Dichter dem Sänger und Erzähler einer Beduinengesellschaft gegenüberzustellen. Später, als die Homerforschungen durch neue historische Erkenntnisse bereichert war, wendete er sich gegen die nur durch den Kulturvergleich begründeten Ansätze Woods. Die homerische Zeit sollte nicht mehr in die Zeit der völkerkundlich „Primitiven" gehören, es handelte sich doch um eine zivilisierte, eigentümliche historische Zeit 33 . Bei der Bewertung der „Religion und Mythologie" Homers merkte Heyne an, wo er sich mit Wood traf und wie er dessen Fragen weiterentwickeln wollte (S. 17 f.). Wood hatte gegen Blackwell bemerkt, daß die homerische Mythologie nicht aus dem Ägyptischen stammen könne, daß sie vielmehr auf griechischem Boden aus lokalen Kulten hervorgegangen sei (Wood S. 146 ff.). Mythologie, so Wood und Heyne, sei etwas „Lokales, aus dem gemeinen Aberglauben eines Zeitalters und Landes entstanden" (Heyne S. 18). Mythologie könne, wie Shakespeares Dichtung zeige, die treffendsten und lebendigsten poetischen Bilder eines Volkes hervorbringen. So sei es auch im Fall der homerischen Epen. Hier nun führt Heyne den Gedanken fort. Man könne auf diese Weise nicht nur die homerische Bildersprache erklären, sondern man könne durch sie auch in eine frühere Zeitstufe vordringen: „Hier getrauen wir uns wohl noch einen Schritt weiterzugehen, wenn wir die Naturlehre und Geschichte vor seiner Zeit, in Bildersprache vorgetragen, dazu nehmen" (S. 18). Homers Dichtung entstamme einer ersten zivilisierten Zeit. Die Vorgeschichte dieser Zeit könne man in der homerischen Sprache noch fassen. Es handele sich um eine mythische Bildersprache, deren Anfänge in primitiven und naturhaften Zuständen zu suchen seien. Dieser Zeitcharakter habe das eigentümliche Ausdruckssystem der mythischen Symbolsprache geprägt. Die mythische Symbolsprache rühre vom Staunen und Schaudern der einfachen Menschen im Angesicht der Gewalt der Naturmächte und des menschlichen Schicksals; die Unbill höherer Mächte sei in den Mythen personifiziert worden. Diese mythischen Welterklärungen stellten eine Vorstufe der rationalen Erklärungen dar, wie sie aus den zivilisierten Zeitaltern bekannt seien 34 . Wenn es aber eine mythische Denkweise als Ausdruck der Weisheit primitiver Zeitalter gab, so Heyne weiter, und wenn diese Weisheit eine andere Form besessen habe als die der rationalen Gelehrsamkeit, dann könne man dieses „spatium mythicum" zurückgewinnen, wenn man die 33 34

Heyne (1792). Heyne (1807). Vgl. Horstmann (1972) 74 ff.

1.5 Friedrich August Wolf

15

Gesetze des mythischen Ausdruckssystems erforschte. Heyne gilt daher als Entdecker des .mythischen Denkens' 35 . Mit diesem neuen Kulturbegriff glaubte er, die Vorzeit der homerischen und hesiodeischen Erzählungen einfangen zu können. Der Begriff der „aetas mythica" bezeichnet die fremde vorgeschichtliche Epoche und deren historischen Abstand zur Welt der klassischen Dichtung. Die Epochengrenze zwischen dem „genus mythicum" und dem „genus poeticum" sei in den Dichtungen Homers und Hesiods noch in Zeugnissen zweier Zeitalter erkennbar. Die „materia" dieser ersten poetischen Dichtungen könne mit der Dichtung der mythischen Zeit verbunden werden. Diese vorgängige Materie sei in den epischen Symbolen für die Naturwelt enthalten und in den Bildern, die für schicksalhaftes (historisches) Geschehen gefunden worden seien36. Heyne erkannte erstmals die Möglichkeit, durch das Entziffern des Mythos zu geistesgeschichtlichen und zu historischen Aussagen vorzustoßen. Der Mythos wurde zu einem historischen Zeichensystem, dessen Wert darin lag, in noch frühere Zeiten als die der überlieferten Dichtung vorstoßen zu können. Allerdings war ihm ein Gedankengebäude, das einen historischen troischen Krieg aus dem Mythos hätte ableiten können, viel zu spekulativ37. Heynes Forschungen mußten sich auf Antiquaria stützen. Das macht seine Kontroverse mit seinem Schüler Friedrich August Wolf immer wieder deutlich38. Er war daher auch der erste, der - wieder auf den Spuren Woods - nach monumentalen Spuren des homerischen und vorhomerischen Zeitalters suchte. Er war aber auch derjenige, der den gegenständlichen Befund am deutlichsten von dem Sinnzusammenhang eines dichterischen Werkes unterschied. Die Dichtung sei nicht in Geschichte umzuwandeln, „hingegen ist es das Verdienst der Geschichte, wenn sie für das Epische paßt" 39 . Ich komme im nächsten Kapitel darauf zurück.

1.5

Friedrich August Wolf

Heynes Schüler, Friedrich August Wolf (1759-1824), gilt als Begründer der modernen Homerkritik; tatsächlich werden Wolfs 1795 in Halle erschienene „Prolegomena ad Homerum sive de operum Homericorum prisca et genuina forma variisque mutationibus et probabili ratione emendandi" ein Meilenstein der Homerwissenschaft genannt. Viele Autoren 35

Heyne (1764) und (1798). Vgl. Graf (1987) 17. Zur Herleitung des Mythosbegriffs von G.J.van Swinden vgl. Wolf (1807) 843. Eine Verbindung zu Vico ist ungewiß, aber möglich: Kerényi (1976) XIV. 36 Heyne (1763) und (1764). Vgl. Horstmann (1972) 75 ff. 37 Heyne (1798) 117 ff. Vgl. Horstmann (1972) 78. 38 Heyne (1795) 30 und passim. 39 Zitat Heyne (1792) XIX.

16

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

greifen auf ihn zurück, besonders wenn es um die Beschreibung der Epen als mündliche Dichtung oder als Volkspoesie geht. Heute ist allerdings schwer nachzuvollziehen, wie Wolfs vermeintliche Entdeckung, daß die Epen nicht das Werk eines Dichters, sondern das Ergebnis einer antiken mündlichen Tradition seien, historisch zu bewerten ist, denn Wolfs Entdeckung deckt sich keineswegs mit den uns geläufigen Vorstellungen von mündlicher Dichtung 40 . Als „mündliche" Dichtung waren die homerischen Epen seit der ,Querelle' im Gespräch. Die für die Homerwissenschaft wichtige Idee, daß die Epen an der Schwelle zweier Kulturepochen stünden, stammte von Blackwell und wurde von Heyne durch die Entzifferung des Mythos philologisch-kritisch erschlossen. Die philologische Kritik hatte sich seit der .Querelle' fortentwickelt, Wolf hatte sie von Heyne übernommen, dieser fühlte sich der englischen Schule um Bentley verpflichtet. Schon Heyne dehnte die philologische Kritik, die Frage nach der Geschichtlichkeit eines Literaturwerkes, auf die Gesamtheit der antiken Realien aus. Dagegen argumentierte Wolf nur philologisch, aber mit dem Anspruch, daß seine Konjekturen die einzig historisch glaubwürdigen seien. Wolfs Wirkung läßt sich besser als ein geistesgeschichtliches Phänomen beschreiben. Er gehört zu den Begründern einer neuen historischen Hermeneutik und er hat auf dieser Grundlage das homerische Epos „vollständig historisiert", wie Muhlack kürzlich betonte 41 . Die Begeisterung für dieses historische Denken, die sich in den Jahren um das Erscheinen der .Prolegomena' ausbreitete und unter anderem auch von Goethe gefördert wurde, brachte Wolfs Werk die hohe Anerkennung und die breite Wirkung auf die historische Forschung ein, mit der wir heute konfrontiert sind. Für Wolf steht die altertumswissenschaftliche Erkenntnisweise den Erkenntnisweisen der exakten Wissenschaften nicht nach. Die historische Divination sei eine Kunst der Beweisführung, die ihrem wissenschaftlichen Gegenstand in gleicher Weise entspreche wie das Rechnen der Mathematik: „Denn worin wäre es sehr verschieden, wenn für den Kenner durch haltbare Beweisgründe dargethan wird, wie etwas nicht sicher Beglaubigtes vor tausend bis zweitausend Jahren war oder nicht war, und wenn durch strenge Demonstration anderer Art das Unbekannte und Unsichtbare in der Natur und im Weltgebäude enthüllt wird? Allerdings verschieden ist die Art der Beweise, so auch die Kunst der Beweisführung: wo letztere gültig sei, wo sie eindringlicheren Scharfsinn und umsichtigeres Urtheil fordere, ob bei dem mathematischen Calcul oder bei der Be40

Zur Diskussion über den wissenschaftsgeschichtlichen Stellenwert der „Prolegomena" vgl. Fuhrmann (1959) 188; Horstmann (1978) 59; Muhlack (1988) 165ff. 41 Muhlack (1988) 172.

1.5 Friedrich August Wolf

17

rechnung und Abwägung unendlich ungleicher geschichtlicher Momente, mögen andere entscheiden: aber die erreichte Gewißheit ist öfters hier nicht geringer als dort, obgleich keine Kommensurabilität in den Graden solcher Gewißheit statt findet; so dass bei denen, welche historisch-kritischen Demonstrationen den Mangel mathematischer Strenge und Evidenz vorwerfen, am Ende die Geschichte ihre Schuld tragen muss, dass sie eben Geschichte ist und nicht Mathematik" 4 2 . Geschichte sei demnach ein wissenschaftliches System, das eigenen Gesetzen gehorche und dem eine besondere Form vernünftiger Erkenntnisweise zukomme. Die Gewißheit der Erkenntnis wachse mit dem Wissen um die Gegenstände des Faches; sie vergewissere sich schließlich in der Kennerschaft des Gelehrten, der über alle altertumswissenschaftlichen Quellen verfüge. Am Ende der Entwicklung der Altertumswissenschaft stünde die vollkommene Rekonstruktion des Altertums 43 . Die „Prolegomena" sollten zwei Zugänge zu den homerischen Epen eröffnen, einen philologischen und einen historischen. Die philologische Untersuchung, die für einen nicht ausgeführten zweiten Teil der Schrift vorgesehen war, sollte durch eine systematische Rezension der überlieferten Scholien einen optimal verbesserten Text hervorbringen (c. 1). Die historische Untersuchung, die uns überliefert ist, fragt nach den Bedingungen, unter denen der letzte antike Text der homerischen Epen und die verschiedenen früheren Texte dieser Tradition zustande gekommen sind. Die Frage nach der Geschichtlichkeit des homerischen Dichters wird an einer einzigen, genau bezeichneten historischen Bedingung, der Entwicklungsgeschichte der Schreibtechnik, gemessen : Wann war die antike Schriftkultur so weit entwickelt, um Werke wie die homerischen Epen schriftlich fassen zu können? Erst mit der schriftlichen Fassung hätte ihnen die literarische Einheit verliehen werden können, nach der sie die Gelehrten der Neuzeit beurteilten. Es ging Wolf um die Entwicklung eines mit dem Schreiben-Können verbundenen kulturgeschichtlichen Zusammenhanges. Wolf meinte, wie vor ihm Wood, daß die frühen griechischen Inschriften keine schriftstellerische Kultur bezeugten, sondern nur auf ein zweckgebundenes Schreiberhandwerk zurückgingen (cc. 13-20). Es spreche daher alles dafür, daß erst die literarische Kultur im peisistratidischen Athen eine erste schriftliche Fassung der Epen hervorgebracht habe 44 . Wolf schloß weiter (cc. 21-25), daß es von ca. 950 bis auf Peisistratos einen ersten Zeitraum homerischer Überlieferung gegeben habe, während 42

Zitat Wolf (1807) 832. Ebenda 823ff., 839. Voraussetzung ist eine möglichst vollständige Überlieferung: Ebenda 825 f., 851. 44 Vgl. Wolf (1797) 106ff., 208; Wood (1769) 271-305. Zur Bedeutung der Schriftgeschichte in jener Zeit vgl. Fuhrmann (1959) 218 ff. 43

18

1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

dessen homerische Gedichte von Rhapsoden aus dem Gedächtnis geformt worden seien. Textgenauigkeit, ein Erfordernis der Schrift- und Gelehrtenkultur, habe es damals noch nicht gegeben ; das Wohlgefallen des Hörers, wir würden sagen die Resonanz des Hörerkreises, bestimmte die Arbeit des Rhapsoden (c.25). Aus den so beschriebenen historischen Umständen der frühen homerischen Überlieferung ergab sich für Wolf zwingend, daß die großen zusammenhängend komponierten Epen erst dem Geschmack einer literarischen Gesellschaft entsprachen. Die großen Epen konnten weder von einem der frühen Sänger entworfen worden sein, noch hätten sie ohne den schriftlichen Text als Gedächtnisstütze ausgearbeitet werden können (c.26). Der Schriftgebrauch minderte die Gedächtnisleistung. Daraus ergab sich eine besondere historische Bedingung für die frühe mündliche epische Überlieferung: Die Kunst des Sängers beruhte auf der Gedächtnisleistung, sie wurde in Sängerschulen eingeübt, die zum Stegreifvortrag, den man an besonderen Festtagen genoß, ausbildeten (c. 24). Mit Vorliebe sollten die frühen Griechen Episoden aus ihrer Vorgeschichte angehört haben. Die von Wolf auf diese Weise erarbeiteten historischen Bedingungen sollten ganz aus „dem Geist und Charakter" der frühen Zeit deduziert worden sein, es sollte sich sich um geschichtliche Verhältnisse handeln, die unumstößlich erwiesen worden seien („Quae omnia, ex illorum temporum, ingeniis ac moribus existimata, locum non relinquunt dubitationi, qui fieri potuerit illud, quod factum esse historicae rationes pervincerunt" (c. 24). Die Entstehungsgeschichte der Epen verlangte, daß es keinen frühen Dichter der Großepen gegeben hatte. Diese Folgerung war für Wolfs methodisches Denken zwingend. Dennoch war die innere Einheit der beiden Epen so deutlich und erschien so ursprünglich mit der Dichtung verbunden, daß sie nach einer Erklärung verlangte. Wolf löste auch diese Frage historisch: Der innere Faden, der die Epen so vortrefflich einte, sei kein künstlicher, an dem erst ein späterer Dichter die epischen Lieder aufgereiht hätte. Dieser Faden sei vielmehr der homerischen Liedertradition selbst entsprungen, schon die frühen Sänger hätten ihn als Grundgedanken im ,,^άπτειν έπη" angelegt 45 . Dieser Faden sollte sich von der spätesten Textrezension des Aristarch bis in die Frühzeit zurückspinnen lassen. Als Kenner der Überlieferung habe Aristarch diesen Faden aufgenommen und kunstvoll zum Großepos unserer Überlieferung zusammengefügt (c.50). Für diese These opferte Wolf das poetische Empfinden der Einheit und Originalität der homerischen Epen, das er mit seinen Zeitgenossen teilte. „ N a m ñeque ars et iunctura illa, etsi summas laudes meruit, ita callida est et subtilis, ut eam ingens ingenium, necessariis subsidiis instruc45

Vgl. Wolf (1797) 114.

1.5 Friedrich August Wolf

19

tum, vel sine exemplo assequi non potuisse; neque vero eadem, ut opinor, in máximo olim numero rhapsodiarum, ita difficilis repertu fuit, ut posterions aetatis studiis et elegantiae non tribuenda videatu. Atque haec ratio eo probabilior fiet, si ab ipso primo auctore filum fabulae iam aliquatenuus deductum esse apparebit" (c. 28). Eine Geschichte des Könnens, der Kunstfertigkeit, wie sie Teil der menschlichen Natur sei, verbinde die Frühzeit des epischen Gesanges mit den Epochen der Schriftkultur und ersetze den Dichter (c.26). Der Gedanke einer poetischen Tradition war entstanden, er traf sich mit dem Traditionsbewußtsein der bürgerlichen Dichter jener Zeit. Das bürgerliche Epos des Johann Heinrich Voss und Goethes konnte sich an die Tradition der „Homeriden" anschließen 46 . Die historische Rekonstruktion der Sprache der homerischen Überlieferung löste in Zukunft die Vorstellung von Homer dem Dichter ab. Eine offenkundige poetische Erfahrung, die dicherische Einheit der Epen, wird aus der wissenschaftlichen Philologie als unwissenschaftlich verbannt (c.27) 47 . Wolf und seine Zeitgenossen haben diesen Widerspruch zum „Gefühl des Lesers" (vgl. Wolf c. 50)48 wahrgenommen; Goethe hat zu dieser Frage oftmals die Meinung gewechselt 49 . Herder, der die „Prolegomena" als Entdeckung einer epischen Tradition begeistert aufgenommen hatte, der aber die poetische Erfahrung über die historische Konstruktion stellte, versuchte, den Widerspruch zwischen Tradition und Dichter aufzuarbeiten. In seiner im selben Jahr wie die „Prolegomena" erschienenen Schrift „Homer ein Günstling seiner Zeit" antwortete er Wolf, daß auch eine mündliche Tradition eine hervorragende Dichterpersönlichkeit, den Sänger „Homer" hervorgebracht haben könnte 50 . Die Argumentation mißfiel wegen ihrer unsystematischen Form; Wolfs „Nemesis Herderi" vertrieb den intuitiven Denker aus der Homerforschung 51 . Herders Ansatz, daß der epische Dichter ältere Sagen und frühere Geschichte neu erzähle, daß er frühere Krieger zu Helden mache (S. 322), aber lebte weiter. Wolf versuchte Herder mit seinem Pochen auf der zwingenden Beweiskraft der wissenschaftlichen historischen Konjektur zu vernichten. Ein erkannter historischer Zusammenhang sei nicht wahrscheinlich, sondern 46

Schadewaldt (1949) 148 ff. Zur Trennung von wissenschaftlicher Philologie und Poetik zu jener Zeit vgl. Lempicki (1968) 4. 48 Vgl. cc. 27 und 50 und Wolfs Einleitung zu seiner Iliasausgabe (1869) Bd. 1, 200. Zu Wolfs innerem Kampf um die Antinomie zwischen historischer und ästhetischer Erkenntnis vgl. Fuhrmann (1959) 224 f. 49 Fuhrmann (1959) 226 ff. Zu den Reaktionen von Voss und Goethe vgl. auch Schadewaldt (1938:1) 13f.; ders. (1960) 286. 50 Herder (1795) 420-444. 51 Wolf (1795:2) 725 ff. Zu Herders Hermeneutik vgl. Lempicki (1968) 360ff„ bes. 367. Zu den Folgen der „Nemesis" vgl. Fuhrmann (1959) 220f. mit Anm. 138. 41

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1. Die Vorgeschichte der homerischen Frage

wahr. Mit dieser Forderung unterschied sich Wolf auch von seinem Lehrer Heyne, dem die „historischen Beweise für Ja oder Nein" in der homerischen Frage fehlten und der von Wahrscheinlichkeitsfragen sprach 52 . In dem verbitterten Streit der beiden Gelehrten antwortete er Wolf immer in diesem Sinne: Es konnte für ihn „keine Wahrscheinlichkeit, daß ein alter Barde so viele Gesänge, als die Ilias und Odyssee enthält, im Gedächtnis gefaßt hatte" geben ; die Epen mußten in der Zeit Homers schriftlich niedergelegt worden sein. Wolf tat einen für die historischen Wissenschaften folgenreichen Schritt: Als er nach dem Gang der homerischen Überlieferung suchte und die Einheit des Epos als Resultat epischen Tradition erklärte, beschrieb er den inneren Zusammenhang einer historischen Tradition. Der „Faden", der die homerische Überlieferung vereinte, wurde zu einem Grundgedanken, den man ähnlich auf andere literarische und historische Traditionen übertragen konnte. Er führte damit die philologische Kritik aus der „Wortkritik" heraus und beurteilte das Werk nach einem historischen Zusammenhang 53 . Allerdings konnte sich seine These von der Beweisbarkeit eines historischen Zusammenhanges so nicht halten. Für Wolf war die Tradition oder die Epoche ebenso wie das gesamte Altertum ein Aggregat der verschiedenen Wissensgebiete in einer allgemeinen menschlichen Bildung. Wenn einmal die Gesamtheit der antiken Überlieferung erreicht wäre, dann wäre, so meinte er, auch die Antike in der Gesamtheit ihrer Bildung zurückgewonnen 54 . Wolf meinte, mit genügend philologischem Fleiß genauso wie ein antiker Autor denken zu können. Er setzte sich mit Aristarch, dem Kompilator der homerischen Epen in eins, ebenso wie er diesem zutraute, die frühe epische Dichtung in ihrem ursprümglichen Sinne weiterdichten zu können, ja den Dichter Homer ersetzen zu können. Die antike Welt oder die verschiedenen antiken Traditionen werden noch nicht, wie in der Milieutheorie der Romantik und des frühen Historismus, als Welten mit jeweils eigenen Ideen erkannt, deren Besonderheit und Fremdheit ihren historischen Charakter ausmachen. Diese historischen Welten können dann nicht mehr durch Kennerschaft und Beweisführung allein erschlossen werden. Das Wissen um die antike Welt wird wieder unbegrenzt und nach seiner Eigenart widersprüchlich. Dennoch muß man Wolfs Entwurf eine Schlüsselstellung auf dem Weg zu einer historischen Hermeneutik einräumen. Die „Prolegomena" inspirierten Schleiermacher bei seiner chronologischen Ordnung der Platonischen 52

Zitat aus Heynes Rezension der Prolegomena in den Göttingischen Gelehrten Sachen von 1795 nach Wolf (1797) S. 30. 53 Zitat aus dem fünften Brief Wolfs an Heyne vom 27.3.1797. Wolf (1797) 143. 54 Wolf (1807) 832 f., 851-873.

1.5 Friedrich August Wolf

21

Dialoge 55 ; sie führten auch durch Schleiermachers Kritik zu einer ersten Definition der hermeneutischen Methode eines historischen Literaturwerkes56. Aus dem Faden einer Tradition wird das Typische, das eine Tradition zusammenhält; dieses Typische wird dem folgenden Jahrhundert bei der Suche nach historischen Zusammenhängen als Erkennungszeichen dienen. Auch die homerischen Altertumswissenschaften werden davon beflügelt werden: die homerische Liedtheorie, die Mythologie, die Archäologie.

55 56

Dilthey (1898) 38. Schleiermacher (1830). Vgl. Gadamer (1975) 167ff.

2.

Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jahrhundert

Mit Heynes Deutung des Mythos als einer eigentümlichen historischen Quelle, die in die frühen Zeiten, die Vorzeiten der Geschichte zurückverweise, und mit Woods Reise in die Landschaft, in der der troische Krieg stattgefunden haben sollte, begannen die Forschungen um die griechische Frühgeschichte. In dem 1787 erschienen populären „Handbuch der klassischen Literatur" von Johann Joachim Eschenburg markierte der troische Krieg die Grenze zwischen einem mythischen und dem historischen Zeitalter: „Revolutionen (Entwicklungen /B.P.) müssen vor der Griechischen Geschichte stattgefunden haben" (S. 355). Besonders Heyne bemühte sich, den Quellen dieses frühen Altertums eine historische Wahrheit abzugewinnen. Die mythologischen und archäologischen Altertümer sollten einen „Inbegriff der Vorzeit aufbewahrt haben, den es nun zu entschlüsseln gelte1.

2.1

Frühe mythologische und archäologische Forschungen

In Herders 1803 erschienenem Aufsatz „Homer und das Epos" finden sich die Programmbegriffe, die die Forschung um die griechische Frühzeit bestimmen sollten2. Der Stoff der homerischen Epen sollte aus einer vorliterarischen Welt, aus der Tradition der „lebendigen Volkssage" (229) stammen. Mit dieser Beschreibung verlor das Problem, ob Homer ein Teil dieser Tradition sei, oder ob - wie bei Wolf - die Tradition selbst der „Dichter" sei, an Schärfe (S. 231 ff., 233 f.). Die Volkssage wurde als das poetische Wort des Volkes anerkannt, das von den Ursprüngen dieses Volkes von Mund zu Mund weitererzählt wurde. Es sollte sich um eine Geschichte von Erfahrungen handeln, die sich selbst überlieferte. Im Laufe dieser Tradition, so Herder, seien immer wieder neue Erzählungen entstanden, Phantasie und Wahrheit hätten sich in diesen neuen und in den alten Erzählungen vermischt. Mit einer wissenschaftlichen Hermeneutik - einer „poetischen Heuristik", so Herder - würde man die verschiedenen Arten der Erzählung, ihren Werdegang und ihre geschichtlichen Anfänge entschlüsseln können (S. 229 ff.). Heyne bestand darauf, daß die Forschung um „Mythologie und Heldengeschichte" nicht nur aus den alten Schriften schöpfen solle, sondern glei1 2

Zitat Heyne (1822) 3. Vgl. Lempicki (1968) 284; Horstmann (1984) 288f.

2.1 Frühe mythologische und archäologische Forschungen

23

chermaßen die archäologischen Funde zu berücksichtigen habe3. In der Einleitung zu seinen „Vorlesungen zur Archäologie der Kunst" 4 stellte er methodische Überlegungen zur Deutung der archäologischen und mythologischen Altertümer an. In beiden Fällen handele es sich im Gegensatz zur Erzählung um gegenständliche Überlieferung, denn auch der Mythos sei ein aus der Erzählung herausgelöster Gegenstand. (Für beide Quellengattungen, die des Zeigefeldes des Überlieferers entbehren, besteht bis heute ein breiter Interpretationsspielraum.) Erst wenn man wisse, so Heyne weiter, wofür der Gegenstand stünde, wenn man das in ihm gelegene Symbol oder die Allegorie erfaßt habe, könne man den Gegenstand zum Erzählen bringen. Heyne erkannte die Bedeutung von Herders Werken für die mythologische Hermeneutik und wollte diesen nach Göttingen berufen wissen, wo er selbst lehrte5. Heyne erkannte auch den Wert der auf Wood folgenden archäologischen Reisen in die Troas für die Fragen zur homerischen Frühgeschichte und begleitete die Reisenden mit einer interessiert kritischen Korrespondenz 6 . Seit Lechevalier 1775 auf den Spuren Woods in die Troas gereist und zu dem Schluß gekommen war, daß der Hügel von Bunarbaschi die Lokalität des homerischen Troia bezeichne, entbrannte der Streit, ob diese Lösung die richtige und wenn ja, wie sie zu beweisen sei. Dieser Gelehrtenstreit ist ein Zeugnis für die aufgeklärte Wissenschaftlichkeit jener Zeit. Das kritische Fragen brachte zugleich eine erste archäologische fundkritische Methode hervor. Heyne postulierte, die Deutung eines historischen Gegenstandes beginne mit dem Begriff, den man sich von dem Gegenstand mache. Die Kritik müsse dann diesen Begriff von allen denkbaren Aspekten her nach seiner Wahrscheinlichkeit hinterfragen. Ein gutes Beispiel dieser Methode ist der Streit um das historische Troia. Wood hatte in der Ebene vor Bunarbaschi das Schlachtfeld der homerischen Helden vermutet, wagte aber nicht, die berühmte Stadt, die nach der antiken Überlieferung dem Erdboden gleich gemacht worden war, zu identifizieren. Lechevalier lokalisierte die Stadt. Zum Beweis dienten ihm die homerischen Entfernungsangaben, die eigenen geographischen Bemessungen und archäologische Streufunde in der Landschaft um Bunarbaschi: die Entfernungen des Ortes von den Skamanderquellen und vom Meer, die strategische Lage des Hügels und seine Aussicht über die Ebene, kegelförmige Steinhügel, die man für die Grabmäler der Helden hielt (spä3

Heyne (1822) 37. Ebenda 1-36. 5 So Heeren (1813) 174 f. 6 Heyne (1792) Vorwort; Lenz/Lechevalier (1800) Vorwort und S. 253: (Schwartz an Lenz) „Heyne hat mir verschiedene Fragen über die Troas nach Constantinopel geschickt."

4

24

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

ter werden sie in die hellenistische Zeit datiert), schließlich die Streufunde verschiedener Zeitalter, die auf eine reiche und prächtige Stadt schließen ließen7. Der gebildeten und gelehrten Öffentlichkeit jener Zeit war aber dieser Befund zu beliebig. Der Vorschlag, daß jene Steinhügel die berühmten Heroentumuli der griechischen Überlieferung darstellten, löste eine hitzige Debatte aus. C.G.Lenz, der Lechevaliers Reisebericht ins Deutsche übersetzte und kritisch überarbeitete, wies darauf hin, daß es der Träumerei bedürfe, um einen beliebigen Gegenstand zum Zeugnis für einen Mythos zu machen. Er zitierte dazu ein ironisches Epigramm des damals bekannten Dichters Göcking: „Dann ging der Prior weiter/ und blieb bei einem Schranke stehn/ und wies uns da ein Stück von der Leiter/ die Jacob einst im Traum gesehn" 8 . Auch Heyne warnte vor den Spitzfindigkeiten gegenständlicher Untersuchungen. Man könne Homer damit nicht überlisten, der Dichter sei weder Geschichtsschreiber noch Geograph. Der epische Dichter sei nur der Anschaulichkeit verpflichtet, nur nach diesem poetischen Prinzip könne man ihm über die Schulter schauen und nach den Gegebenheiten des Lokals forschen 9 . Die zentrale Frage der archäologischen Kritik lautete, wie Lechevalier beweisen könne, daß seine historische Topographie der Troas nicht vom Epos diktiert worden sei. Eine mit Instrumenten hergestellte Karte müsse zuerst, ohne Rücksicht auf das Epos, erstellt werden10. Auch die Tumuli müßten untersucht werden, bevor man sie deuten könne 11 . Die archäologischen Denkmäler, Inschriften, Münzen und Kunstdenkmäler, die Lechevalier erstmals aufgenommen hatte, sollten zuerst einer Kritik unterzogen werden, bevor überhaupt erwogen werden könne, in welchem zeitlichen Verhältnis sie zu den homerischen Epen und zu dem sagenhaften troischen Krieg stünden 12 . Wie würde man die archäologischen Funde sicher deuten lernen, um mit Bestimmtheit sagen zu können, daß ein Ort zu einer bestimmten Zeit bedeutend gewesen sei und daß sich dort eine bestimmte berühmte Geschichte abgespielt habe?13 Die Suche nach den historischen Stätten des Altertums nahm die gelehrte Welt jener Zeit zunehmend in Anspruch. Nicht nur Troia, auch Delphi, 7

Lenz/Lechevalier (1800) 143 ff. Ebenda, zitiert aus der unpaginierten Einleitung. ' Heyne (1792) XIX, XXIV. 10 Lenz/Lechevalier (1800) 243 ff., 252 ff., 259 ff. 11 Ebenda 146f., 259ff., 271 und im unpaginierten Vorwort. Die Frage nach den Tumuli geht auf Pausanias und Strabo zurück. Zu den hellenistischen Funden in diesen Tumuli vgl. Choiseul-Gouffier (1782-1822) Bd. 2.1, Tf. 26/7. 12 Lenz/Lechevalier (1800) 271, 144ff. 13 Ebenda 147: (Notiz von Lenz „Also ist es sehr voreilig, aus dem Daseyn von Marmorsäulen bey Bounar-Baschi zu schließen, daß einst an dieser Stelle eine Stadt gestanden habe." 8

2.1 Frühe mythologische und archäologische Forschungen

25

Athen, Pompeii und die berühmten Orte aus dem alten Ägypten bewegten zu ersten archäologischen Forschungen 14 . Troia aber nahm unter all den ruhmvollen Stätten eine besondere Stellung ein. An diesem Ort manifestierte sich eine große Dichtung, die zudem noch den Schlüssel zu einer frühen und heroischen Welt zu enthalten schien. Troia und der troische Krieg waren gleichbedeutend mit einer heroischen Zeit, alles andere sei in Abdera geschehen, so der ironische Wieland 15 . Im allgemeinen aber war man der Meinung, daß die poetische Welt der Epen, die eine so offensichtlich konkrete Sprache sprächen, eine historische Welt widerspiegelte, die sich in einer gegenständlichen Welt wiederfinden lassen würde. Schon die antiken Hörer, so nahm man mit der antiken Homerkritik an, seien dem Dichter mit den Augen gefolgt16. Herder allerdings mahnte wie Heyne, daß man Dichtung und Geschichtsschreibung unterscheiden müsse: Die dichterische Phantasie schaffe in der Geschichte eine „vollkommene, ewig dauernde Geschichte, indem sie das Besondere und Allgemeine vermittelt ... Was geht mich Troja, oder die Ebene Trojas, wie sie jetzt sein mag, an, wenn ich den alten Homer lese? Schilderte mir dieser Troja und die Ebene nicht vollständig und ganz, wie ich sie in seinem epischen Gedicht zu sehen nötig habe, so wäre er ein schlechter epischer Dichter. Bringt mir ein neuer Reisender dagegen etwas quer in den Weg, so wünsche ich ihn, trotz alles seines guten Willens und seiner Bemühungen, in den Euripus. Aus und nach Homer werde uns, auch wenn Troja nie existiert hätte, eine Ebene vor Troja" 17 . Aber die an die Troas gestellten Erwartungen waren hoch; die Bestrebungen, den mythischen Ort zu finden, begleiteten das Jahrhundert und sie konkretisierten sich methodisch zusehends18. Die archäologischen Reisen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts führten zur Veröffentlichung neuer Funde und zu deren kritischer Beurteilung. Die Fundkritik wurde genauer und die Archäologie, die immer noch eine Hilfswissenschaft der Philologie war, begann ein eigenes methodisches Organon zu entwickeln19. So finden wir in Edward Dodwells Reisetagebuch aus den Jahren 1801 bis 1806 nicht nur die später „mykenisch" genannte Keramik genau beschrieben, der Autor vergleicht auch die Keramiken der frühen Fundstätten in der Argolis und kommt zu dem Ergebnis, 14

Vgl. Michaelis (1908) 13 ff. Chr. M. Wielands „Abderiten" datieren aus den Jahren 1778-80. Zur Gegenüberstellung von Abdera und Troia vgl. den Anhang, „Schlüssel zur Abderitengeschichte". Vgl. auch H. Mayer (1986) 97. 16 Lenz/Lechevalier (1800) 255 f. 17 Zitat Herder (1803) 241. Vgl. Heyne (1792). 18 Vgl. Cobet (1990) 138ff. Zur Troia-Frage bis zur Jahrhundertmitte: Welcker (1843) und (1861). " Vgl. Michaelis (1908) 288ff., 334ff.; Fuchs (1979). 15

26

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

daß Grabungen an den Stellen, wo diese eigentümliche Keramik auftauche, Neues erbringen würden 20 . Hören wir ihn zu den Kuppelgräbern von Mykene: „Unter diesen Ruinen befinden sich noch mehrere andere Hügel, die wahrscheinlich Grabkammern enthalten, und es gibt keinen Ort Griechenlands, wo eine regelmäßig angelegte Ausgrabung so viele Vorteile gewähren und so viele höchst merkwürdige Überreste des höheren Altertums ans Licht bringen könnte, als eben dieser Platz. Zwar würden hier immer mehr Gegenstände von besonderer Merkwürdigkeit, als von großer Schönheit gefunden werden, indem die Stadt früher und vor der Zeit zerstört worden war, ehe die Künste ihre größte Vollkommenheit erreicht hatten. Indessen dürften irdene Gefäße in größter Menge entdeckt werden, wenn wir nach den zahllosen Fragmenten urteilen wollen, die man überall umher verstreut erblickt. Sie sind aber von schlechtem Ton und die Spirallinie nebst dem Zickzack, das man auf den Marmorbruchstücken nahe dem Schatzgewölbe des Atreus erblickt, finden sich auf dem größten Teil der Tongefäße, deren Fragmente unter den Trümmern zum Vorschein kommen. Diese Zierrathen sind gewöhnlich schwarz auf gelbem Grund gemalt" 21 . Das ist eine fast vorurteilslose Beschreibung fremd anmutender Gegenstände nach der Art, wie sie sich von den Kunstwerken der klassischen Antike unterschieden. Es war aufregend, mit diesen Gegenständen in historisches Neuland vorzustoßen ; die Frage nach einer Grabung wurde immer wieder laut und riß bis auf Schliemann nicht mehr ab22. Anders als Schliemann sahen diese Forscher in der Vorzeit eine durch Entdeckungen zu erschließende Zeit, deren Verhältnis zu Homer und zur griechischen Geschichte noch gar nicht zu ermessen war. Zunächst wurde die Vorzeit als Teil einer frühen Stufe geschichtlicher Entwicklung angesehen, deren Kunstgegenstände noch rohe Vorstufen auf dem Weg zur klassischen Kunst waren. Dieser Entwicklungsgedanke brachte eine neue Kunst des antiquarischen Sehens hervor, die frühen Kunstdenkmäler wurden nach genauen Beschreibungen typologisiert. Die Altertümer der Vorzeit spiegelten zunächst nicht das heroische Zeitalter der homerischen Epen wider. Sie waren höchstens mit der alleraltertümlichsten der homerischen Zeitebenen, der Zeit der Lapithen und Kentauern, gleichzusetzen. Die aus riesigen Quadern zusammengefügten polygonalen Mauern der vorgeschichtlichen Zeiten konnte man gut mit jenen Riesen zusammenbringen, von deren Kraft und Unkultur die Odyssee erzählte. Der neue Begriff von den „kyklopischen Mauern" geht auf eine 20

Dodwell (1821) Bd. 1.2, 4-10 (Orchomenos), 93-112 (Athen); Bd. 2.2, 39-59 (Mykene), 65-67 (Tiryns). 21 Zitat Ebenda 50. 22 Welcker (1865) 315; Cobet (1990) 140 ff.

2.2 Karl Otfried Müller

27

spätere antike Erklärung der frühgeschichtlichen Reste zurück23. Euripides unterschied das Baumeisterwesen der Kyklopen, das man am Akropolishang noch sehen konnte, von der Baukunst der perikleischen Akropolis (Or. 60-70; Cyc. 117-240). Die Gelehrten des 19. Jahrhunderts nahmen die verschiedenen kyklopischen Mauerbauten Griechenlands und Italiens auf, beschrieben ein Typenmuster und begannen historische Fragen daran zu stellen. H. G. Plass suchte nach einer Chronologie der verschiedenen Weisen des Mauerbaus 24 . Leo von Klenze fragte sich im Angesicht der Bauweise des klassischen Mauerwerks der Akropolis von Athen, mit welchen menschlichen Kräften, mit welchen Werkzeugen und mit welcher Arbeitsorganisation jene frühen Mauern hatten errichtet werden können ; es hätte sich nur um Despoten oder Pharaonen handeln können, so schloß

2.2

Karl Otfried Müller

Karl Otfried Müller (1797-1840), der Nachfolger Heynes auf dem Göttinger Lehrstuhl, begründete die Wissenschaft von der Mythologie. Er machte auch die Bodenforschung zu einem Schlüssel für die Erforschung der griechische Frühgeschichte26. Mit dem Titel seiner „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie" stellte er sich in die Tradition Wolfs und damit in die Tradition der Wissenschaftstheorie Kants, nach der die verschiedenen Werke der menschlichen Vernunft zentralen Ideen entsprungen seien und damit vernünftigen Gesetzen gehorchten, die der Gelehrte durch seine Analyse zum Vorschein bringen müsse27. Der Art und Weise wie der Mythos Erfahrungen ausdrücke, so Müller, lägen allgemeine Gesetze zugrunde, die sich aus der geschichtlichen Entwicklung der menschlichen Vernunft ableiten ließen. Eine an diesen Gesetzen orientierte Wissenschaft könne das frühzeitige mythische Ausdruckssystem entschlüsseln und in einen rationalen Erzählzusammenhang von Geschichte - der Geschichte des „Geschehenen und Gedachten" umwandeln 28 . Die Mythendeutung hängt davon ab, daß man die mythische Aussage unter das richtige Gesetz stellt. Die Gefahr der Zirkeldeu23

Die neue Brgriffsbildung geht anscheinend auf Dodwell und Gell zurück, die zusammen mit Clarke und Leake im Jahre 1801 Griechenland bereisten. Vgl. Gell (1831). Zur antiken Begriffsbildung und ihrem Verhältnis zu den homerischen Epen s. unten S. 206 ff. 24 Plass (1831). 25 Klenze (1825) 78 ff. 26 Vgl. Graf (1987) 28f.; Döhl (1988); Kerényi (1970). 27 Müller (1825). Vgl. Boeckh (1877) 528 ff. 28 Müller (1825) 67.

28

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

tung hatte Müller gesehen, er begegnete ihr aber - ähnlich wie Wolf - mit dem Hinweis auf die Folgerichtigkeit seiner Argumente 29 . Zunächst, so Müller, seien Mythen historische Werke 30 . Sie seien in den Erzählungen späterer Zeiten erhalten und müßten aus diesen Formen als geschichtliche Materie wieder hervorgeholt werden 3 '. Damit würde der Mythos zur historischen Quelle, - nicht für die Zeit und den Autor, die ihn überliefert hatten, sondern für die Frühgeschichte, die sogenannte mythische Zeit. Die Analyse der Mythen sollte nach den Regeln der Vernunft verschiedene Zeitschichten, in denen Mythen gebildet wurden, zu unterscheiden in der Lage sein. Müller meinte, eine objektive Zeitenschwelle zwischen der mythischen und der historischen Zeit der Griechen feststellen zu können. Es handelte sich um die homerische Zeitaltergrenze zwischen der heroischen und der menschlichen Zeit, der Jetztzeit Homers (S. 124 ff.). Müller stellte fest, daß es Mythen gab, die mit Ereignissen jener späteren Zeit verbunden waren, z.B. die Gründungssagen der griechischen Kolonisation (S. 63). Er folgerte, daß man aus diesen Beispielen einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Mythenbildung und historischer Begebenheit ableiten könne. Die letzten Mythenbildungen datierten in die homerische und in die Kolonisationszeit; die meisten Sagenstoffe aber seien schon in mythischer Zeit entstanden und aus älteren historischen Ereignissen hervorgegangen. Diese Sagenstoffe seien in der historischen Zeit, als man wieder Mythen zur Begründung historischer Handlungen brauchte, neu zum Leben erweckt worden (S. 145). Die frühesten Sagen seien den verschiedenen griechischen Stämmen eigentümlich gewesen ; ein jeder Stamm habe einen Sagenvorrat gehabt, den er auf seinen Wanderungen mitgenommen habe. Bei Seßhaftwerdungen oder anderen wichtigen geschichtlichen Begebenheiten konnte ein Stamm aus diesem Vorrat schöpfen und den Mythos in eine neue Erzählung kleiden (S. 146). Mit den Stämmen glaubte Müller, historische Individualitäten und damit Geschichte fassen zu können. Die Stammesnamen, die in den homerischen Epen und in den späteren Sagen begegneten, gingen für ihn auf historische Volksstämme zurück, deren Einheit weit in die mythische Zeit zurückreichen sollte. An der Geschichte dieser Stämmen würde sich die Chronologie der mythischen Zeit festmachen lassen. Vor den Heraklidensagen aus der Zeit der dorischen Wanderung seien die Heldensagen anzu-

29

Ebenda, Einleitung S. VI. In diesem und den folgenden Punkten hält sich Müller an die theoretischen Grundlegungen seines Lehrers Boeckh. Vgl. Boeckh (1877) 528. 31 Ebenda 532.

30

2.2 Karl Otfried Müller

29

setzen, diese wiederum seien mit Stammesgeschichten verbunden, deren Chronologie noch tiefer in die mythische Zeit zurückreiche 32 . Die Stammesgeschichten würden Müller zufolge auch Gelegenheit bieten, die gegenständlichen Altertümer der Frühzeit zu identifizieren und chronologisch zu ordnen: „Vor den Doriern war ohne Zweifel Mykenae, im höheren Teil der Ebene gelegen, der bedeutendste und angesehendste Ort in der Argolis, und Argos, obgleich der Sitz der ältesten Landeskultur, war davon abhängig und untergeordnet. Zu Mykenae war Eurystheus' kyklopische Vorhalle; Agamemnons goldreiches Haus; und wenn die befestigte Stadt auch klein war, wie Thukydides mit Recht sagt, so war sie doch - wie wir jetzt belehrt sind - voll von großartigen und reichgeschmückten Monumenten, die in ihrer halbbarbarischen aber doch kunstreichen Pracht von der Einfachheit und Ungeschmücktheit dessen, was nachmals die dorische Zeit hervorbrachte, ungemein abstachen" 33 . In Müllers Vorlesungen wurden die archäologischen Gegenstände zunehmend zu eigenwertigen historischen Quellen, die nicht mehr nur dazu dienten, die alte Literatur zu verbildlichen, sondern diese hinterfragen ließen 34 . Müller begann sich Gedanken über die Lebensweise der Völker zu machen, die die kyklopischen Mauern gebaut und benutzt hatten. Zunächst meinte er (ähnlich wie Klenze), daß diese Steinarbeiten aus Fronarbeit hervorgegangen seien, daß sie einer despotischen weltgeschichtlichen Epoche, der „orientalischen Welt" angehörten 35 . Aber schon in seinen „Doriern" von 1824 werden die homerischen Helden mit den kyklopischen Mauern zusammengebracht. Agamemnon herrschte nach Eurystheus, dem Despoten, in Mykene. In den nächsten beiden Jahrzehnten (1834-1848) sondern Müller und Welcker eine Gruppe von Monumenten in Mykene aus, die sie als „reichgeschmückt" und „halbbarbarisch" beschreiben, und die nach ihrer Meinung eine Entwicklung vom Z y k l o p i schen' zum , Halbzivilisierten' (Heroischen) aufzeigten. Der Zierat der Tholosgräber, den schon Dodwell in der frühen Keramik wiedergefunden hatte, sollte die „halbbarbarische" Zivilisationsstufe des Heldengeschlechtes anzeigen 36 . Müller bediente sich sehr kritisch der historischen Begriffe, die ihn zum Erkennen der unbekannten Frühgeschichte befähigen sollten. Der Stammesbegriff war ein heuristischer Begriff, der das Wesen einer geschichtli32

Ebenda 534 ff., 548. Hinweise zur Entwicklung der Stammeschronologie. Zitat Müller (1824) 78. 34 Kerényi (1970) XI, XIII, XIV. Curtius (1882) 257 f. 35 Müller (1817-1823) 150ff. Der Epochenbegriff erinnert an Hegels „Philosophie der Geschichte", deren erste Vorlesungen seit 1822 abgehalten wurden und deren erste Textausgabe aus dem Jahre 1837 stammt. 36 Müller (1848) 24-32; Welcker (1834) 353ff.; (1865) 316ff. 33

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2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

chen Kultur bezeichnen sollte, um von dieser Mitte her die monumentalen Quellen einer Kultur verständlich machen zu können. In seiner Einleitung zu den „Doriern" dachte er über die Schwierigkeiten seiner Methode nach: „... daß wir uns einerseits schon einen Begriff von dem geistigen Wesen eines Volkes gebildet haben müssen, ehe wir dasselbe in dem äußeren Handeln der Einzelnen, in denen sich die Sinnesart der Gesamtheit mehr oder minder darstellt, zu erkennen und nachzuweisen vermögen, und daß uns andererseits doch nichts anderes als die unbefangene Betrachtung des Letzteren zur richtigen Erkenntnis des Ersteren führen kann : ... dies ist der in jeder historischen Forschung mehr oder minder stattfindende Cirkel" (S. IV). Müllers historische Systembegriffe zielen auf eine komplexe historische Welt, deren Zusammensetzung und Zustandekommen wichtiger ist als der Begriff, der als Suchbegriff aufgefaßt wird. Dieses Verhältnis zur historischen Begrifflichkeit änderte sich in der Spätromantik 37 . Begriffe wie der Stammesbegriff, der Begriff vom Volkstum und vom Mythos werden zu Benennungen historischer Seinsweisen. Es wurde nicht mehr gefragt, wie ein geschichtlicher Zusammenhang zustande gekommen und wie er zu fassen sei, das einmal erfaßte Wesen eines geschichtlichen Zusammenhangs wurde zum Wesenselement der Geschichte. Mythos und Volkstum werden als menschliche Seinsweisen von einfacher Wahrheit angesehen, in denen sich Geschichte naiv und unverfälscht äußert und verwirklicht. Für die Erforschung der Vorgeschichte bedeuteten diese Begriffsbestimmungen eine Erweiterung vermeintlichen Wissens auf Kosten der Kritik. Mit den überhistorischen Begriffen vom .Volkstum' und vom .Mythos' begann man die Wissensgrenze zur Vergangenheit zu überschreiten, denn das Spekulative, das in diesen Begriffen seit jeher lag, war nun zur historischen Tatsache geworden.

2.3

Historismus und historische Gegenständlichkeit. Nietzsches Kritik am historischen Positivismus

Die Begriffsverschiebung, die das Theoretische zum Konkreten macht, ist nicht nur ein Ergebnis der Wissenschaftsgeschichte, sie entspricht auch dem allgemeinen Denken der Zeit. Friedrich Nietzsche (1844—1900) beklagte 1869 in seiner Baseler Antrittsvorlesung nicht nur das allgemeine Desinteresse an der Homerphilologie seiner Zeit und die Fehler der Philologen, die dazu beigetragen hätten, er kritisierte auch den unhistorischen 37

Vgl. Freier (1976) 63ff. 191 ff.; Graf (1986) 36ff.

2.3 Historismus und historische Gegenständlichkeit

31

Geist, mit dem die Menschen seiner Zeit die Geschichte für sich einnahmen38. Der Philologe und Philosoph wies in seinen frühen Schriften auf das „Unzeitgemäße" in den Geschichtsbetrachtungen seiner Zeit hin. Dem Hermeneutiker entfremdeten sich die antiken Begriffe, wenn man sie mit den modernen ineinssetzte39. Die Historiker, so Nietzsche, stellten sich ebenso wie die Gesellschaft der Zeit ins Zentrum der Welt, um dann mit ihren gegenwärtigen zeitlich bedingten Begriffen die unterschiedlichsten historischen Welten auszulegen40. Der Philosoph erkannte in der Auseinandersetzung mit den historischen Attitüden der Gesellschaft seiner Zeit, daß die Weltgeschichte keinem allgemeinen Begriffssystem gehorchen konnte. Die menschliche Wahrheit, so Nietzsche in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen (Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn)", sei nicht absolut, sie beruhe vielmehr auf Vereinbarung, einem gesellschaftlichen Verständigungszusammenhang. Die Wissenschaft werde solange irrtümlich erfolgreich sein, wie sie ihre eigene Wahrheit absolut setze, denn in dieser Wahrheit werde „alles Gefundene zusammenstimmen" (S. 379). Wahrheit sei aber ein historisches Produkt; sie sei notwendig, um eine Gemeinschaft in gegenseitiger Gewißheit zu festigen. Diese Gewißheit verpflichte die Menschen einander. Sie gewännen eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Konventionen (S. 371 ff.). Auf dem Grunde der Kultur liege daher die Notwendigkeit, sich zu verständigen, die Gewißheit, nicht die Wahrheit im transzendenten Sinn. Erhebt man aber in der historischen Wissenschaft einzelne Ausdrucksformen zu Begriffen, so gibt man vor, daß diese zeitlichen Begriffe ein Allgemeines ausdrücken könnten (373). Ein jeder Begriff entstünde aber „durch Gleichsetzen des Nichtgleichen" (S. 374). Weil das Verhältnis zwischen Wort und Begriff - zwischen Wahrnehmung und Verallgemeinerung - unbestimmt sei, sei auch die wissenschaftliche Auffassung unbestimmt: „Überhaupt aber scheint mir die richtige Perception, - das würde heissen der adäquate Ausdruck eines Objekts im Subjekt - ein widerspruchsvolles Unding: denn zwischen zwei absolut verschiedenen Sphären wie zwischen Subjekt und Objekt giebt es keine Causalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches Verhalten, ich meine eine andeutende Übertragung, eine nachstammelnde Übersetzung in eine fremde Sprache" (S. 78, Hervorhebungen von N.). Nietzsches Wissenschaftskritik gilt besonders den historischen Wissenschaften, die seit der Jahrhundertmitte, wie Meinecke monierte, unphilo38 39 40

Nietzsche (1869) 251. Nietzsche (1874) Vorwort. Nietzsche (1873).

32

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

sophisch wurden 41 . Das von Nietzsche benannte Problem der Geschichtlichkeit aller Erkenntnis wird die Wissenschaften im 20. Jahrhundert als Auseinandersetzung mit dem Positivismus der Fachwissenschaften beschäftigen. Diese theoretischen Auseinandersetzungen werden auch die homerischen Altertumswissenschaften berühren 42 . Wichtig erscheint mir, daß Nietzsche seine Wissenschaftskritik aus der Gesellschaftskritik entwickelte und daß diese Gesellschaftskritik sich auf den Umgang der Gesellschaft mit der Geschichte bezog. Man lustwandele, so Nietzsche, im Garten des Historischen, ergötze sich dort an Luxus und Überfluß und bete doch bloß die eigene Gegenwart an 43 . Dies läßt sich wiederum auf den Umgang mit den homerischen Epen in jener Zeit rückbeziehen. Das äußerliche vermeintlich Historische an der Dichtung trat in den Vordergrund. Sie wurde zur Geschichte des troischen Krieges. Das Auffinden des geschichtlichen Ortes wurde zum höchsten Ziel, für das Schliemann gefeiert wurde. Seit diesem Augenblick hat auch die homerische Wissenschaftsgeschichte einen gesellschaftsgeschichtlichen Anteil. Die wissenschaftliche Forschung kann popularisiert werden und sie muß mit den einfachen vergegenwärtigenden Auslegungen der allgemeinen Geschichtsbegeisterung rechnen. Nietzsches Kritik kam nicht von ungefähr. Die Wissenschaften, besonders die historischen, waren ein Teil der bürgerlichen Lebenswelt geworden. Die historistischen Vergegenständlichungen historischer Zeiten wirkten, wie Kunst- und Literaturgeschichte zeigen, in der alltäglichen Welt nach. Man imitierte historisch aktualisierte Lebensformen und stilisierte so die Konventionen der eigenen Gesellschaft. Die Verkünstelung der Kultur führte aber dazu, daß der naive Wahrheitsanspruch, der in jeder Lebensform liegt, in Frage gestellt werden konnte, daß man, wie Nietzsche, die Lebensform als „Lüge", als ein gesellschaftliches Rollenspiel entdecken konnte. Darin liegt nicht nur Kritik, sondern auch ein Erkennen dessen, was die historischen Lebensformen, was die menschliche Gesellschaftlichkeit bestimmt: historisch sind die Bewußtseinsbildungen, die hinter den Formen der Verständigung stehen, nicht die Formen selbst. Die Formen können die Zeiten überdauern, der Sinnzusammenhang, in dem sie einmal standen, nicht. Die historische Hermeneutik kann sich nicht mit der Form zufrieden geben, denn in ihr liegt nicht die Aussage; sie ist nur ein Datum für einen historischen Sinnzusammenhang. So brachte der historische Positivismus, der vergangene Kulturformen mit neuen histori-

41

Meinecke (1907) 5. Vgl. unten S. 4 1 - 4 4 . 43 Nietzsche (1874) Vorwort. Zur Kritik am historischen Ästhetizismus der wilhelminischen Zeit vgl. Mayer (1986) 198 f. 42

2.4 Die Monumente und die Frühgeschichte der Griechen

33

sehen Begriffen versah, zugleich die Kritik hervor, die zu einer neuen historischen Heuristik führen sollte.

2.4

Die Monumente und die Frühgeschichte der Griechen. Archäologische Entdeckungen vor Heinrich Schliemann

Mit dem neuen, von Nietzsche bemängelten, positivistischen Selbstbewußtsein treten uns auch die Werke zur griechischen Geschichte jener Zeit entgegen. Hier stellt sich nun die Vorgeschichte in den Gegenständen der Mythologie und der Archäologie wie mit Händen greifbar dar. Johann Friedrich Kortüm (1788-1861) stellte seine „Geschichte Griechenlands" 4 4 ganz in das Bewußtsein seiner Zeit. Neben den historischen Situationen des 19. Jahrhunderts - Industrie, Wirtschaft, Weltstaaten und Kosmopolitismus - steht die Antike als ein einheitliches Ganzes da, das aus seinen Trümmern wiederaufgebaut werden soll, um in den hoffnungsvollen Verlauf der abendländischen Geschichte eingebettet zu werden (S. 1 ff.). Die griechische Frühgeschichte sieht bei Kortüm folgendermaßen aus. Auf einen ersten Zeitraum, „das morgenländische oder pelasgisch-phönikische Leben" (S. 9 ff.), folgen die Hellenen mit einem ersten „ritterlichfürstlichen" (heroischen) Zeitalter (S. 21 ff.). Dieses Zeitalter zerfällt in einer Übergangszeit, „nach dem Ilischen Krieg bis auf Homer" (S. 60ff.). Die verschiedenen Zeitabschnitte werden durch die Vorstellung von verschiedenen Lebensweisen („Verfassung, Sitte und Art" S. 31) rekonstruiert. Dabei handelt es sich um idealisierte Bilder vom morgenländischen, herrschaftlich-üppigen und vom abendländischen, ritterlich-heroischen, Leben. Kortüm sieht die homerischen Realien (Helden- und Stammesnamen, Kriegsschauplätze) als unverfälschte Daten der Vorzeit an und bildet daraus eine frühe Überlieferung aus Ahnentafeln und Herrscherlisten (S. 22 ff.). Der spätere (homerische) Dichter sollte „das Ergebnis einer kulturgeschichtlichen Volksentwicklung" zusammengefaßt haben (S. 22). Die Ruine Mykenes war ein Zeichen für eine erste Revolution in der Frühgeschichte, als das morgenländische vom abendländischen griechischen Leben abgelöst wurde. Die Ruine sollte als „Bollwerk der Hellenenmacht" gedient haben (S. 30). Ähnlich handgreiflich stellt Ernst Curtius (1814-1896) seine griechische Frühgeschichte als eine „mykenische" Geschichte dar 45 . Er ging von anderen Voraussetzungen als Kortüm aus. Die orientalische Kultur sei nicht minderwertig gewesen, im Gegenteil, Kultur und Herrschaft seien von den frühen, den „achäischen Griechen" von dort entlehnt worden. Die 44 45

Kortüm (1854). Curtius (1857).

34

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

zirkelhafte Folgerichtigkeit der einen wie der anderen gelehrten Konstruktion läßt die Beliebigkeit der historischen Bilder erkennen, mit denen das frühgeschichtliche Zeitalter hervorgebracht wurde. Bei Curtius treten uns die mykenischen Altertümer als Zeugnisse einer bekannten historischen Zeit entgegen. Die Ruinen werden von den homerischen Helden bevölkert und künden von den epischen Ereignissen (S. 111 ff.). Die mykenischen Altertümer sollten keiner primitiven Kultur angehören, sie seien Zeugnisse einer hohen Kultur, die aus einer langen Entwicklung hervorgegangen sei (S. 117). Die Mauern seien Zeugnisse von Macht. Man könne aus ihnen allein eine Geschichte rekonstruieren, die dem Sagenstoff in den homerischen Epen wie von selbst gleichen würde: „Wer vor dem Burgtore von Mykenai steht, der muß sich, auch ohne von Homer zu wissen, hier einen König denken, wie den homerischen Agamemnon, einen Kriegsherrn mit Heer und Flotte, einen Fürsten, der mit dem gold- und kunstreichen Asien in Verbindung stand, der, mit hervorragender Hausmacht und ungewöhnlichen Mitteln ausgerüstet, im Stande war, nicht nur dem eigenen Lande eine feste Einheit zu geben, sondern auch kleinere Fürsten seiner Oberhoheit unterzuordnen. Einzelne Sagen und Legenden bilden wohl die Veranlassung rätselhafter Bauwerke; ... aber so können keine, mit so verschiedenartigen und charaktervollen Gestalten erfüllten, epischen Gedichte entstehen, wie die homerischen sind. Auch kann es kein Zufall sein, daß gerade in den Städten und den Landschaften, auf welchen der Glanz der homerischen Dichtung ruht, sich solche Denkmäler finden, die nur in der heroischen Zeit entstanden sein können" (S. 118 f.). Das Argument, daß die mykenische Kultur, auf die man allenthalben stoße, einen sekundären Beweis für die Historizität der homerischen Epen abgebe, da sie auf eine nicht zufällige Weise (topographisch) mit dem kulturellen Hintergrund der homerischen Epen zusammenstimme, wurde 1857 von Ernst Curtius ausgesprochen. - Dieses Argument sollte den Hintergrund von Schliemanns archäolgischen Entdeckungen bilden.

2.5

Heinrich Schliemann und die archäologischen Entdeckungen zur griechischen Frühgeschichte

Heinrich Schliemann (1822-1890) war ein Meister im Inszenieren des Historischen: Damit konnte er den bleibenden Anschein erwecken, die geschichtliche Welt der homerischen Epen in Troia und Mykene entdeckt und die homerische Frage auf einfache Art gelöst zu haben. Obwohl die Fachwissenschaft mit seinen geschichtlichen Phantasien nie einig werden konnte, gehört er wegen seiner Wirkung auf die geschichtsbegeisterte Of-

2.5 Heinrich Schliemann und die archäologischen Entdeckungen

35

fentlichkeit der homerischen Wissenschaftsgeschichte an. Zu einem günstigen Zeitpunkt, auf dem Höhepunkt der Geschichtsbegeisterung seines Jahrhunderts, erfüllten seine Grabungen eine Art wissenschaftlicher Prophétie: Es wurde entdeckt, um es in Abwandlung eines Wortes von Wieland zu sagen, was man zu entdecken sich schon lange in den Kopf gesetzt hatte46. Diese Prophetie wissenschaftlichen Fortschritts, die seit langem in der Homerkritik lag, hat Schliemanns Gedanken genährt, daß in Troia die Geschichte der homerischen Epen begraben liege. Schliemann wurde zum Symbol dieses Fortschritts. Aus diesem Grunde kommt man bei jedem erstaunlichen neuen „homerischen" Fund auf ihn zurück, - in Erinnerung an eine Geschichte erfüllter Prophetien. Um aber Schliemanns Ort in unserer Wissenschaftsgeschichte gerecht zu werden, muß man seine Entdekkungen, die auf die Erfüllung eines populärwissenschaftlichen Traumes zielten, mit der wissenschaftlichen Kritik vergleichen, die die „homerische" Archäologie zu jener Zeit entwickelte47. Die Archäologie wurde erst zur Zeit Schliemanns zu einem altertumswissenschaftlichen Fach. Alexander Conze (1831-1914) bevorzugte während seiner Studienzeit bei Curtius den kunstwissenschaftlichen Zweig der Altertumswissenschaften und erkannte die Notwendigkeit, die archäologischen Denkmäler nach Gattungen systematisch aufzunehmen und die einzelnen Gattungen nach Stilprinzipien zu ordnen und zu studieren. Er förderte die öffentlichen Sammlungen und die Grabungsarchäologie und er bildete „Grabungshandwerker" wie Adler, Humann und Dörpfeld für die systematische Suche und Einordnung von Bodenfunden aus. Er selbst leitete seit 1870 die Ausgrabungen in Athen, Samothrake und Pergamon und suchte dort auch nach Messungssystemen, die eine genaue Fundaufnahme ermöglichen sollten48. Seine stilistischen Untersuchungen der frühgriechischen Keramikgattungen und seine Grabung im Kerameikosgebiet von Athen eröffneten den Weg in die frühe griechische Geschichte. Mit der stilistisch geordneten Keramik als „Leitfossil" konnten die frühgeschichtlichen Fundschichten zeitlich geordnet und Kulturräume abgemessen werden. Schon 1862 entdeckte Conze an den melischen Amphoren einen linearen Stil, der neben dem korinthischen orientalisierenden Ornament auf eine frühe Kunstform hinzuweisen schien49. Der überraschende Fund der hochgeometrischen Dipylonamphoren in Athen (1871) brachte den

46

„Denn was entdeckt man nicht, wenn man sich's einmal in den Kopf gesetzt hat, etwas zu entdecken?" C. M. Wieland, Der Schlüssel zur Abderitengeschichte, 1781. 47 Vgl. Patzek (1990: 2). 48 Vgl. F. Goethert, Art. „Alexander Conze", in Neue Deutsche Biographie Bd. 3, Berlin 1957; Karo (1914); Rodenwaldt (1931). 49 Michaelis (1908) 201 f.

36

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

geometrischen Stil in das Blickfeld der Wissenschaft 50 . Die Lücke, die jenseits der geschichtlichen Zeit klaffte, die archäologisch mit der Zeit des korinthischen Stils begann, war abgedeckt; man war mit dem altertümlichen geometrischen Stil der homerischen Zeit näher gekommen. Weiter ging man mit den Auslegungen nicht. Wie bei allen Wissenschaften jener Zeit stand auch in der Archäologie die Fachkunde im Mittelpunkt des Interesses. Die Archäologen, allen voran Conze, suchten nach exakten Methoden für eine gegenständlich-historische Wissenschaft 51 . Schliemann war wie die meisten Ausgräber seiner Zeit, beispielsweise Adler und Humann, kein Fachwissenschaftler. Sein Sendungsbewußtsein und sein Ehrgeiz, Troia zu finden, ließen es aber auch nicht zu, wie jene anderen produktiv mit den Fachwissenschaftlern zusammenzuarbeiten. Schliemanns Arbeiten sind von ausufernder Phantasie bestimmt gewesen, und sie waren unmethodisch; das bezeugt der Austausch an Argumenten in seinem Briefwechsel mit dem Prähistoriker Max Müller am deutlichsten 52 . Schliemann fehlte es an kritischem Geist und an der für die Wissenschaft notwendigen streitbaren Kollegialität, die ihn mit einem Gelehrtenkreis verbunden hätte. Sein Dilettantismus setze jedes kritische Interesse an seinen Arbeiten ins Unrecht, berichtet Conze nach einem interessierten Besuch in Troia, wo er seine eigenen anfänglichen Vorurteile zu überwinden und Schliemanns Funde und dessen Dilettantismus kritisch gegeneinander abzusetzen suchte 53 . Allerdings, hier stimmten Conze alle Archäologen seiner Zeit zu, brachten Schliemanns Mittel, seine Tatkraft und Begeisterung den Archäologen eine Fülle neuer Funde ein. Schliemann sei von „dem niedrigen Interesse" geleitet, „daß die Sachen so und so alt" seien und „aus Troia und Mykene " stammten, bemerkte Furtwängler über den Außenseiter, der die anderen Archäologen an Ruhm übertraf 54 . Dieser Ruhm, daß er die Geschichte von Ilias und Odyssee entdeckt habe, war aber ein Produkt jenes unwissenschaftlichen „niederen" Interesses. Auch war die Entdeckung von Troia in Hissarlik keine solche Überraschung, wie Schliemann es haben wollte. Die Untersuchungen von Bunarbaschi, die seit Lechevalier im Gange waren, hatten zu dem eindeutigen Ergebnis geführt, daß das alte Troia an diesem Ort nicht gelegen haben konnte; Hissarlik stand zur Debatte und Calvert machte Schliemann darauf aufmerksam 5 5 . 50

Conze (1870) 505ff.; Pernice (1892) 205ff.; Brueckner und Pernice (1893) 73ff. Conze (1897); Michaelis (1908) 202f., 228ff.; 288ff. 52 Schliemann (1873). 53 Conze (1874). 54 Furtwängler (1965) Brief Nr. 36 und 37 aus dem Jahre 1881 an die Mutter und die Schwester. 55 Lehrer/Turner (1989); Cobet (1990) 141 ff. 51

2.6 Die Archaeologia Homérica

37

Die homerischen Epen, die erregende Literatur der Gebildeten des späten 18. Jahrhunderts, waren vergessen. Die „homerische Frage" wurde von den Philologen vereinnahmt, die wissenschaftliche Kritik hatte das Kunstwerk und sein Ideal dem gebildeten Publikum entzogen. Allerdings verlangten die bürgerlichen Gebildeten nach Geschichte, einer illustrierten Geschichte, die sie sich vergegenwärtigen konnten, wie Nietzsche treffend beschrieb 56 . Der troische Krieg war im Historismus zu einer solchen berühmten Geschichte geworden, die Ilias zu einem Geschichtsbuch, aus dem man zitierte, dessen Erzählkunst man aber übersah. Diese triviale Verschiebung war nicht zuletzt ein Ergebnis der Popularisierung des Wissens um die Antike im antiquarisch-historischen Roman und in den Sagen· und Geschichtsbüchern des 19. Jahrhunderts 57 . Schliemann, der die Epen als Geschichtsbücher verstand, ging mit diesen historischen Führern, um Troia, Mykene und andere Schauplätze von Ilias und Odyssee zu finden und auszugraben. Als er sie fand, schien es dem breiten Publikum wie ein neues Wunder des wissenschaftlichen Fortschritts. Die wissenschaftliche Welt war weniger angetan. Die Archäologen suchten nach sicheren Bezügen, die die gegenständliche Welt - eine vertauschbare Kulisse, wie Schliemanns unhaltbare homerische Assoziationen zeigten - mit dem literarischen Werk verbanden. Die Philologen waren frappiert von der Einfachheit, mit der die homerische Frage gelöst werden sollte. Stellte die homerische Archäologie einen zweiten objektivierenden Beweisgang zur homerischen Frage dar, oder gab das literarische Werk der stummen gegenständlichen Kultur nur das Kolorit, das man von der Historie erwartete?

2.6

Die Archaeologia Homérica

Die Entwicklung der Grabungstechnik sowie der typologischen Fundbestimmung machten die Archäologie zu einer Fachwissenschaft. In diesem Zusammenhang, seit ca. 1870, gewann die archäologische homerische Frage deutliche Konturen. Es ging bei dieser Frage um den geschichtlichen Zeitraum, der mit der homerischen Dichtung, der Tradition homerischer Lieder, abzumessen war. Diesen Zeitraum meinte man nun anhand von Keramiktypologien abstrakt erfassen zu können. Furtwängler und Löschcke entwarfen, im Sehen an den geometrischen Vasen geschult, eine erste Typologie der mykenischen Keramik 58 . Dieses ältere Kunsthandwerk bildete eine entfernte Vorform des geometrischen: Vasenformen und Or56 57 58

Nietzsche (1869). Vgl. oben S. 32. Landfester (1988) 52 f. Furtwängler/Löschcke (1886).

38

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

namente waren vergleichbar, nicht aber der künstlerische Ausdruck der beiden Stilerscheinungen. Die mykenische Kultur war vor der geometrischen zu datieren; sie entstammte dem vormals „mythischen" Zeitraum. Die Frage nach den Urhebern dieser Kultur stellte sich ein. Waren sie mit den Trägern der geometrischen Kultur verwandt? Der Streit um die ethnische Herkunft der „Mykener" war entbrannt 59 . Aus diesen Funden erwuchs der Kulturvergleich. Die mykenische Kultur schien nicht nur reicher, sondern auch höher entwickelt zu sein als die geometrische. Die Herrschaftsarchitektur, das Goldgerät und der elaborierte Dekor mykenischer Gerätschaften waren mit den Funden aus geometrischer Zeit nicht zu vergleichen. Auf die „vornehme Pracht" des mykenischen Zeitalters folgte „die ärmliche Bauernkultur" der geometrischen Zeit, so Michaelis 60 . Die Kultur, die in den homerischen Epen geschildert war, aber schien von dieser ärmlichen Kultur abzustechen. War es nicht evident, daß die historische Zeit der Epen im Mykenischen lag, daß die Epen vergangene Größe in Zeiten der Armut aufbewahrt und die Menschen daran erinnert hatten 61 ? Es lag nahe, nach den Spuren zu suchen, die der Weg durch die Zeiten in den Epen hinterlassen haben mußte. Die „Archaeologia Homérica" versprach einen sachlichen Weg. Die homerische Gegenstandswelt, vor allem das Kriegsgerät, sollte durch den Vergleich mit den mykenischen und geometrischen gegenständlichen Kulturen nach beiden Zeitschichten ausgesondert werden. Heibig und Milchhöfer machten hier einen Anfang 62 . Sie meinten, daß die ursprünglichen Epen in der Zerfallszeit der mykenischen Kultur geformt wurden, in der darauffolgenden Wanderungszeit als Erinnerungsgut in hohe Achtung kamen und weit verbreitet wurden. Altes und Neues sei in dieser Erzähltradition übereinander geschichtet worden. Kurz darauf (1894) erschien Reichels Arbeit über die homerischen Waffen, die zur Grundlage der „Archaeologia Homérica" wurde 63 . Er suchte nach den archäologischen Gegenständen, die mit den detaillierten homerischen Gegenstandsbeschreibungen übereinstimmten und die aus einer Zeit stammten, deren Kultur dem homerischen Dichter nicht mehr bekannt gewesen sein konnte. Die dichterische Beschreibung wäre dann erwiesenermaßen eine traditionelle, wörtlich memorierende Beschreibung eines alten Gegenstandes. Reichels berühmteste „mykenische" Entdekkung war der Eberzahnhelm : Er konnte die einzigartige und bis dahin rätselhafte Beschreibung des Helms des Meriones aus der Dolonie mit dem 59 60 61 62 63

Vgl. den programmatischen Aufsatz von Dümmler und Studnicka (1887). Michaelis (1908) 218 ff. Ebenda 219. Milchhöfer (1883); Heibig (1887). Reichel (1894).

2.6 Die Archaeologia Homérica

39

Helm aus Eberzähnen identifizieren, den er zuvor an mykenischen Elfenbeinköpfen gesehen und als typisch für diese Kultur erkannt hatte64. Der Beweis war glänzend, aber konnte er von der Homerkritik abgesichert werden, war die Dolonie ein altes, in der Überlieferung unverändert erhaltenes Erinnerungsstück? Reichel konnte auch zwei Schildtypen, den Turm- und den Rundschild, in dem epischen Text und in den Bodenfunden unterscheiden. Damit waren die Eckdaten für eine mögliche homerische Tradition geschaffen 65 . Der Turmschild schien für die mykenische Kultur typisch zu sein, der Rundschild war erst auf den geometrischen Amphoren vom Dipylon zu finden, die ins 8. Jahrhundert datierten. Die epischen Gegenstandsbeschreibungen lassen den hohen manndeckenden Schild bedeutungsvoll erscheinen. Reichel folgerte, daß der Turmschild, der eine mykenische Kampfestechnik repräsentierte, in den alten Liedern vorkäme, und daß die Partien, in denen mit dem poetisch bedeutungslosen Rundschild gekämpft wurde, spätere Hinzufügungen seien. Allerdings trafen sich diese archäologischen Ergebnisse nicht mit den philologischen. Die Dolonie gehörte zu den jüngsten Partien der Ilias66. Auch die Nestoris war für die Philologen ein jüngeres Element der Dichtung, während die Archäologen - nach Schliemann - den Gesang in die Schachtgräberzeit datieren wollten, aus der der archäologische „Nestorbecher" stammte67. Diese Widersprüche bewegten Wilamowitz, sich mit der Archäologie auseinanderzusetzen 68 . Die Mängel vorschneller archäologischer Interpretationen zeigten sich, so der Philologe, an Schliemanns berühmten Irrtümern. Eine einseitige Auslegung gegenständlicher Funde führe zu nichts. Vielmehr hätten die Archäologen bewiesen, daß das Epos vieles aus der mykenischen Kultur nicht kenne: das Löwentor, die Kuppelgräber, der Blumenflor der mykenischen Malerei würden nicht erwähnt. Im Mittelpunkt der historischen Betrachtungen müsse die Frage nach der epischen Tradition stehen. Sie wähle die Gegenstände aus und gebe ihnen Bedeutung. So sei auch die alte Beschreibung des Nestorbechers in das neue Lied gekommen, das ein Werk des homerischen Dichters sei. Die Frage nach dem Dichter und seiner Intention komme vor der Stoffgeschichte und vor der Gegenstandskunde 69 . Auch Adolf Holms „Griechische Geschichte" 70 aus den achziger Jahren 64 65 66 67 68 69 70

Ebenda 112 ff., bes. 120. Ebenda 5 ff., 19 ff. Wilamowitz (1916) 60 ff. Schliemann (1878) 235-239; Heibig (1887) 371 ff.; Wilamowitz (1916) 356ff. Ebenda 201. Ebenda 20. Holm (1886).

40

2. Die homerischen Altertumswissenschaften im 19. Jh.

des Jahrhunderts kommt auf die Wahrheit der Erzählung zurück. Sie sei nicht mit stofflicher oder gegenständlicher Wahrheit gleichzusetzen. Wahrheit bedeute Gewißheit in einem bestimmten historischen Zusammenhang. Dichtung, besonders mündliche Dichtung, erzähle, was ein historisches Publikum für wahr halte. Daher werde Dichtung in einer Erzähltradition umgeformt (S. 40 f.). Aus gegenständlicher Wahrheit, den alten Monumenten also, könnten nur abstrakte Tatsachen abgeleitet werden. Die mykenischen Burgen zeugten von Herrschaft in einem allgemeinen Sinne. „Nur in diesem Sinne sind Agamemnon und Priamos historische Personen" (S. 59).

3.

Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jahrhundert

3.1

Die doppelte Lösung der Frage nach dem historischen Hintergrund der homerischen Epen

Die Frage nach dem historischen Hintergrund der homerischen Epen hat in diesem Jahrhundert eine unübersehbare Zahl an neuen Funden und neuen Sachverhalten zu Tage gefördert. Neue Fächer, wie die Mykenologie oder die mykenische Archäologie, haben sich eigens für einzelne mit der homerischen Frage verbundene historische Zusammenhänge gebildet. Man kann sagen, daß die verschiedenen mit Homer und seiner geschichtlichen Tradition verbundenen Fragezusammenhänge eine ganze historische Epoche ausmachen, daß der homerische Fragenzusammenhang zu einer Wissenschaft für sich geworden ist. Die herkömmlichen altertumswissenschaftlichen Disziplinen - Philologie, Archäologie und Alte Geschichte - können den methodischen Anspruch der neuen Fachgebiete kaum mehr übersehen und beurteilen. Die Übersicht über die verschiedenen Forschungsbereiche gestaltet sich daher schwierig, noch schwieriger ist es, in den einzelnen Forschungsbereichen zu gegenseitiger methodischer Einsicht zu kommen. Aus diesen Gründen können ein „mykenischer" Homer und ein „frühgriechischer" nebeneinader bestehen und Methoden der Forschung miteinander konkurrieren, die nicht auf einen Nenner zu bringen sind. In diesem Kapitel wird versucht, die Ergebnisse der homerischen Forschungen des 20. Jahrhunderts an einer kulturhermeneutischen historischen Methode zu messen, die aus der Kritik am Historismus des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde.

3.1.1

Die Kontroverse um den geschichtlichen Hintergrund der homerischen Epen

Nebeneinander stehen heute die Archäologien des 1. und des 2. „griechischen" Jahrtausends, die Mykenologie, die homerische Sprachwissenschaft mit ihren verschiedenen Sparten, die Oral-Poetry Forschung und die vergleichende Epenforschung, die traditionelle Homerphilologie, Neoanalyse und Motivforschung, und schließlich die Althistorie. Diese verschiedenen Fächer behandeln oft unterschiedliche, nur in der homerischen Frage vereinte Kulturen: die vorgeschichtlichen griechischen Kulturen, die minoische und die mykenische Kultur, die Kulturen der dunklen Jahrhunderte und die Kultur der homerischen Zeit, das 8. Jahrhundert

42

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

und die frühe archaische Zeit. Die beeindruckende Forschungstätigkeit auf allen Gebieten rechtfertigt den gemeinsamen Stolz der Homerforscher auf den Fortschritt, den das mit Homer verbundene Wissensgebiet vollzogen hat. Dieses Hochgefühl wird durch den Zweifel daran getrübt, ob die einzelnen Wissenschaften jemals wieder zu ihrem gemeinsamen Ausgangspunkt zurückkehren, ob sie je gemeinsam beweisen können, daß die homerischen Epen aus einem geschichtlichen Epos um einen troischen Krieg des 2. Jahrtausends hervorgegangen sind. Die Meinungen über diese Streitfrage sind weiterhin geteilt, wie die beiden jüngsten Kolloquien zum troischen Krieg in Bryn Mawr und in Liverpool zeigen 1 . Einige Archäologen, Mykenologen, Altorientalisten, Philologen und Althistoriker gehen davon aus, daß die erstaunlichen Funde, die im Zusammenhang mit der „homerischen Frage" gemacht wurden, nicht zufällig seien und in der Geschichtlichkeit des Epos ihre Begründung fänden. Die mündliche Tradition, aus der die Epen nachweislich hervorgegangen seien, die mykenischen Lokalitäten, nicht zuletzt das „mykenische" Troia, der Ahhiyawa-Name in der hethitischen Überlieferung, die homerischen Antiquaria und der homerische Wortschatz in der Linear-B Überlieferung, bewiesen zur Genüge, daß die geschichtliche Welt des homerischen Epos die mykenische Welt widerspiegele 2 . Die homerischen Epen böten sich als beredte Quellen für eine frühgeschichtliche Zeit an, die sonst nur durch stumme oder einsilbige „monumentale" Quellen zu uns spräche. Einen „Fortschritt in die Vergangenheit" nannte der Archäologe William A. MacDonald seine Darstellung der homerisch-mykenischen Altertumswissenschaft in diesem Jahrhundert, der Fortschritt beginne mit Schliemanns Entdeckungen in Troia 3 . Andere, besonders Althistoriker und Philologen, stellen diesen Zusammenhang in Frage 4 . Es fragt sich, ob die Zusammenfassung der Argumente für ein Geschichte überlieferndes Epos zwingend ist. Die Argumente für einen mykenischen Hintergrund der Epen bestehen aus einer Auswahl von geschichtlichen Tatsachen, die aus verschiedenen Kulturen stammen, deren Verbindung untereinander fraglich ist. Man kann z.B. nicht beweisen, daß die mykenische mit der frühgriechischen Kultur durch einen ununterbrochenen Traditionsfluß verbunden ist, oder daß die hethitische geographische Bezeichnung „Ahhiyawa" von dem Namen der

1

Foxhall/Davies (1984); Mellink (1986). Eine neuere Zusammenfassung der Argumente: Vermeule (1986). Das erste grundlegende Werk: Page (1959). 3 MacDonald (1967) 3-6. 4 Vgl. die Zusammenfassung bei Foxhall/Davies (1984) 117ff. Heubeck (1984:1); Wickert-Micknat (1986). 2

3.1 Die doppelte Lösung der Frage nach dem historischen Hintergrund

43

Achäer abgeleitet ist, oder daß Troia nicht nur belagert wurde, sondern daß diese Belagerung zum Ursprung eines Heldengedichtes wurde. Die verschiedenen zusammengetragenen Tatsachen sind mehrdeutig. Die Kritiker stellen die schon im letzten Kapitel erwähnte Wahrheitsfrage. Wie kann man die Wahrheit einer Erzählung als eine historische Wahrheit erkennen, als eine Wahrheit, die in einer anderen Situation als der des Erzählers und seiner Tradition liegt? Wie tief reicht die homerische Tradition in die Zeiten zurück? Spielen die mykenischen Altertümer in den homerischen Epen eine so große Rolle, daß die Erzählung ohne sie nicht verständlich wäre? Kann eine relikthaft in den Epen vorhandene vergangene gegenständliche Welt Historizität verbürgen; können Ruinen nicht auch zu Sagenkernen werden? 5 Dorothy Gray meinte in ihrem Forschungsbericht zur homerischen Archäologie, daß die Forschungen zur Historizität der homerischen Epen die Dichtung von der Historie entfernt hätten. Neue faszinierende historische Welten hätten sich aufgetan, die Dichtung hingegen sei wieder Dichtung geworden, die Dichtung einer historischen Welt 6 . Hinter der Kontroverse um die historische Herkunft der homerischen Epen stehen unterschiedliche hermeneutische Ansätze. Im ersten Fall wird die Sage für geschichtliche Wahrheit genommen. Der Mythos enthalte die historische Erinnerung des griechischen Volkes. Die Kontinuität der Sprache, der Monumente und der mündlichen Überlieferung seien historische Tatsachen, die über den Veränderungen stünden, die diese kulturgeschichtlichen Formen in den dunklen Jahrhunderten durchlaufen hätten. Das Wesen des griechischen Volkes habe sich in den dunklen Jahrhunderten bewahrt, auch wenn sich Sprache und Kultur verändert haben. Der homerische Sagenstoff wäre damit eine primäre historische Quelle, in die die verschiedenen Einzelbefunde der „homerischen" Wissenschaften hineinpassen würden. Die historische Arbeit wäre Rekonstruktion, „reconstruction for the sake of an argument", wie H. G. Güterbock es unlängst treffend ausdrückte. 7 Im zweiten Fall geht man kulturhermeneutisch vor und fragt, aus welchem kulturellen Zusammenhang die homerischen Epen hervorgegangen sind. Die Veränderungen, die Sprache, gegenständliche Kultur und der Sinnzusammenhang mündlicher Überlieferung in den dunklen Jahrhunderten durchlaufen haben, werden wichtig. Die homerische Frage wird zu einer Frage der Traditionsvermittlung. Tradition ist hier ein geschichtlicher Lernprozeß, ein Sinn- oder Bewußtseinszusammenhang, der kontingent ist. Die Formen der Sprache, der materiellen Kultur und der mündlichen Überlieferung sind von diesem Sinnzusam5 6 7

Lesky (1967) 752. Gray (1968) 25-31; 47 f. Güterbock (1986) 44.

44

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

menhang geprägt. Nach dieser hermeneutischen Position ist auch der Mythos vor allem Erzählung und damit in dem Sinnzusammenhang einer historischen Welt gebunden. Die Sage als zeitüberdauernde geschichtliche Tatsachen vermittelnde Form ist hier weit schwieriger nachzuweisen, vor allem wenn man annimmt, daß der Erzählzusammenhang mündlicher Überlieferung in den dunklen Jahrhunderten einen kulturellen Umbruch überschreiten mußte.

3.1.2

Historismus und modernes Geschichtsdenken

Diese unterschiedlichen hermeneutischen Ansätze gehen auf Geschichtstheorien der Jahrhundertwende zurück, die sich aus den Auseinandersetzungen mit dem Positivismus der Fachwissenschaften entwickelt haben 8 . Natürlich konnten die Fachwissenschaften ihre Erkenntnisse nicht allein aus ihren Gegenständen schöpfen, wenn auch der Fortschritt der empirischen Wissenschaften dies so erscheinen ließ. Sie brauchten dazu einen hermeneutischen Schlüssel, eine vorgegebene Ansicht von dem, was Kultur und Geschichte sei. Der einfachste Begriff jener Zeit war der der nationalen Kultur und der nationalen Geschichte. Kam dieser Begriff einer kollektiven anthropologischen Wesenheit gleich, oder handelte es sich um einen politischen zeitgebundenen Begriff? War dieser Begriff, wenn man ihn von der Zeitgeschichte abstrahierte, nicht eher ein Ausdruck für die kulturelle Identität, die sich aus kontingenten Zusammenhängen in der Geschichte bildete und die nicht unbedingt in der Nationalität oder dem Volkstum ihre Mitte finden mußte 9 ? Wilhelm Dilthey fragte sich in Auseinandersetzung mit dem Positivismus der historischen Fachwissenschaften, wie Kultur, die gegenständliche und die geistige geschichtliche Welt, aus dem kollektiven menschlichen Handeln entstehe 10 . Die Kulturrealien seien Objektivationen historischen Lebens, sie entstammten einem Wirkungszusammenhang der geschichtlichen Welt. Dieser Wirkungszusammenhang würde die Einheit der historischen Welt hervorbringen. Der Zusammenhang beruhe aber auf „festen strukturellen Beziehungen, welche regelmäßig in allen geistigen Lebensäußerungen auftreten" 11 . Die Gesetze, nach denen die geistigen Lebensäußerungen abliefen, sollten den Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Psyche entsprechen. Der Geist einer Kultur würde einem überindividuellen psychischen Strukturzusammenhang entsprechen. 8

Vgl. Gall (1989) 22 ff. Vgl. Bausinger (1969) 9. 10 Dilthey (1927). Vgl. Gadamer (1975) 477 ff. 11 Zitat Dilthey (1927) S. 19.

9

3.1 Die doppelte Lösung der Frage nach dem historischen Hintergrund

45

Diese Strukturlehre erfüllte zunächst die theoretischen Ansprüche der Geschichtswissenschaften. Sie ließ das Phänomen des geschichtlichen Zusammenhanges nicht unbeachtet und half doch, die Erscheinungen in ihrer Ganzheit, ohne ermüdendes Theoretisieren zu deuten 12 . Den homerischen Altertumswissenschaften war diese Theorie sehr hilfreich; man konnte mit ihr die stilistischen Gemeinsamkeiten der gegenständlichen Realien erfassen und deuten: Der Begriff der mykenischen Kultur entstand im materiellen und im geistigen Sinne; der psychische Strukturzusammenhang dieser Kultur sei, wie manche stilistische Zeichen zeigten, dem der historischen griechischen Kultur verwandt. Den Psychologismus und Historizismus Diltheys stellte Edmund Husserl radikal in Frage 13 . Aus Subjektivität könne man keine historische Welt erbauen, in dem sogenannten psychischen Zusammenhang einer Kultur könne man keine übergeordnete wissenschaftliche Kulturerklärung erblikken. Das konkrete Dasein, die „Lebenswelt", sei die Grundlage der geschichtlichen Welt, in ihr spiegelten sich auch die Gegenstände der Kultur wider 14 . Die Lebenswelt sei das Bedingungsgefüge menschlichen Wissens und menschlicher Kultur. In der Lebenswelt sind die sprachlichen und gegenständlichen Erfahrungsmuster der sozialen Welten enthalten. Diese Erfahrungsmuster sind gleichsam in den kulturellen Realien präsent. Sie stehen in einem dauernden zwischenmenschlichen Verständigungsaustausch. Sie sind allgegenwärtig und werden im Gebrauch weiterentwickelt, umgeformt und sogar durch neu gefundene Formen ersetzt. Das historische Monument, eine Realie, kann keinem unveränderlichen historischen Geist entsprechen. Das Monument gehört in den Sinnzusammenhang der lebensweltlichen Wirklichkeit, in der es angeschaut und benutzt, oder im Falle der Sprache und Dichtung gesprochen und gedeutet wird. Der historische Sinn einer kulturellen Realie ist in der Situation zu finden, aus der sie überliefert wurde, und an der Abfolge der lebensweltlichen historischen Wirklichkeiten zu messen, die ihre Tradition ausmachen.

3.1.3

Die beiden Wege der homerischen Altertumswissenschaft in diesem Jahrhundert: Entdecken und Rekonstruieren - historisches Verstehen

Die Forschungen zur Geschichte und zum geschichtlichen Hintergrund der homerischen Epen in diesem Jahrhundert lassen sich nach den beiden beschriebenen hermeneutischen Ansätzen unterscheiden, dem Entdecken 12 13 14

Hierzu und zum folgenden vgl. Gadamer (1975) 477ff.; Apel (1955-7) 59ff. Gadamer (1975) 229ff,; Marx (1987) 16ff. Marx (1987) 111 f.; Schütz (1932).

46

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

innerhalb eines im vorhinein erkannten kulturellen Strukturzusammenhangs und dem Verstehen lebensweltlich sinnbildender Prozesse. Auf dem ersten Weg läßt sich ein Zusammenhang zwischen der mykenischen und der homerischen frühgriechischen Kultur beschreiben, der in einem theoretischen geistigen Strukturzusammenhang der griechischen und indogermanischen Kulturen liegen würde. Der zweite Weg steht unter der zentralen Frage, wie die Überlieferung zwischen den beiden Kulturen, der frühgriechischen und der mykenischen, ausgesehen hat und ob man in ihr eine geschichtliche Tradition, die Vermittlung lebensweltlicher Sinnzusammenhänge, erblicken kann. In den Geschichtswissenschaften der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts herrschte das Denken in vorgegebenen geschichtlichen Strukturzusammenhängen vor. Die Entdeckungen und die Einsichten in die historischen Traditionen, die die homerische Frage bedingen, wären ohne diesen herkömmlichen Weg des Suchens und Rekonstruierens nicht möglich gewesen. Neuland wurde beschritten, die präfigurierte Vorstellung von dem, was man entdecken wollte, war ein notwendiger Leitfaden. Mit den Entdeckungen wurden aber oft die alten historischen Vorstellungen gesprengt. Die neuen Quellen ließen verschiedene kulturelle Zusammenhänge und verschiedene Traditionen sichtbar werden, wo zunächst nur der eine homerisch-mykenische Kulturzusammenhang vermutet worden war. Diesen neuen Sachverhalten ist nur durch ein differenziertes, auf den inneren lebensweltlichen Zusammenhang der einzelnen Kulturphasen bezogenes Sinnverstehen beizukommen.

3.2

Entdecken und Rekonstruieren: Mykene, Homer und die epische Tradition bis auf Martin P. Nilsson und Milman Parry

Die homerischen Altertumswissenschaften wurden im Anfang dieses Jahrhunderts von vielen neuen Entdeckungen beflügelt. Die Archäologen fanden die mykenische Kultur, die Philologen die Sprachkultur der mündlichen Dichtung. Diese Forschungen erreichten in den Werken M. P. Nilssons und Milman Parrys ihren ersten Höhepunkt und vorläufigen Abschluß.

3.2 Entdecken und Rekonstruieren

3.2.1

47

Martin P. Nilsson (1874-1967)

Nilssons Arbeiten beruhen auf den Fortschritten der zeitgenössischen Archäologie. Neben den neuen Funden in Troia l s und den spektakulären Funden in Knossos und Mykene 16 war es Fimmen, Biegen und Wace gelungen, die mykenische Keramik gründlich zu typologisieren und die damit verbundene materielle Kultur nach Raum und Zeit zu beschreiben 17 . Man unterschied vor allem den minoischen von dem mykenischen Stil und versuchte, die beiden verschiedenen damit verbundenen Kulturen gegensätzlich zu deuten 18 . Das Mykenische sollte dem Griechisch-Indogermanischen, das Minoische hingegen dem Altorientalischen entsprechen. Die weltgeschichtliche Epochengrenze zwischen der altorientalischen und der griechisch-abendländischen Geschichte wurde in das 2. Jahrtausend hinaufdatiert". Nilsson versuchte die Frage nach dem Verhältnis der minoischen zur mykenischen Kultur und die Frage nach der geschichtlichen Verbindung zwischen der mykenischen und der frühgriechischen Kultur mit systematischen methodischen Mitteln anzugehen. Die Typenbildungen innerhalb der Kulturen waren nach seiner Auffassung Hervorbringungen des geschichtlichen Lebens; er versuchte ihnen mit Hilfe der vergleichenden Völkerkunde geschichtliche Inhalte abzugewinnen 20 . Er setzte die Institutionen, die Zeremonien und Riten der Kultur nicht mit ihrem Geist in eins, er suchte aber des Geistes, der Denkweise und Vorstellungswelt innerhalb der Kultur, auf einem anderen Wege habhaft zu werden. Die Religion mit ihren Institutionen und Riten trennte er vom Mythos, der religiösen und geschichtlichen Vorstellungswelt 21 . Ebenso unterschied er den Mythos vom Epos 22 und - im Politischen - die staatlichen Institutionen von der Gesellschaft 23 . Die Institutionen waren Formen, die von verschiedenen Gesellschaften benutzt werden konnten. In der Gesellschaft sollte aber eine zeitlose Struktur angelegt sein, die von der geschichtlichen Herkunft eines Volkes geprägt war. Sprache, Mythos und Gesellschaft waren solche übergeordneten geschichtlichen Strukturzusammenhänge. Die Ge15 Dörpfeld (1893) 199ff.; Tsountas/Manatt (1903) bes. XXIf., 347ff.; Biegen (1958), (1963) und (1967). 16 Evans (1921-1935); Karo (1930) und (1935). 17 Fimmen (1921) bes. 2 7 f f , lOOff, 214ff.; Biegen (1921), (1928), (1937). Wace (1919) 185-209, (1921); Karo (1930). 18 Blegen/Haley (1928) 141 ff, 188f. 19 Karo (1935) 602; Evans (1912) 277-297. 20 Nilsson (1933) 61 f. 21 Nilsson (1941) 12ff. Vgl. Horstmann (1984) 305. 22 Nilsson (1933) 50. 23 Ebenda 212 ff.

48

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

sellschaftsstruktur ist daher bei Nilsson von derselben Festigkeit wie die Grundformen, die den Sprachfamilien gemeinsam sind. Es gebe typische indogermanische Gesellschaftsformen analog zu den indogermanischen Sprachformen. Dasselbe gelte für die Vorstellungswelten, die Mythen der verschiedenen Völker. Vorstellungswelt und Gesellschaftlichkeit seien althergebrachte Lebensformen, sie gehörten zur Psyche eines Volkes. Die Mykener sollten wie die Griechen Indogermanen gewesen sein, und hätten mit diesen den Mythos und die Gesellschaftsform gemeinsam. Die Minoer sollten dagegen der vorindogermanischen Kulturwelt des Mittelmeergebietes angehört haben 24 . In der mykenischen Kultur nahm Nilsson die geschichtliche „Heldenzeit" der Griechen wahr. Dieses Zeitalter sollte eine Kulturstufe der indogermanischen Menschheitsgeschichte darstellen. Die Kultur der Heldenzeit sollte ein immer gleiches charakteristisches Gepräge aufweisen, wie Wilhelm Wundt in seiner „Völkerpsychologie" nachzuweisen versucht hatte 25 . Der Zeitaltertypus „Heldenära" sollte zu einem völkerkundlich gesicherten Zeichen der indogermanischen Kulturen werden; es hatte für die prähistorische Forschung denselben positiven Wert wie die geschichtliche Quelle. Dieses Heldenzeitalter sollte von materiellem Reichtum geprägt sein, der beim Umherziehen und Rauben halbseßhafter Krieger (Helden) erbeutet wurde. Eine solche Zeit würde das Heldenepos von allein hervorbringen, denn „der Held dürstet nach Ruhm und nach der Kundgebung und Erhaltung seines Ruhms" 26 . Die Ilias sollte noch von solchem kriegerischen Handeln sprechen. Die offensichtlich reiche mykenische Kultur sollte den Rahmen der Heldenzeit darstellen; wie die Wikingerburgen sollten auch die reichen mykenischen Burgen Horte des geraubten Gutes und Machtzentren des frühen kriegerischen Adels gewesen sein. Die spätere Ilias sei, so Nilsson, aus einer Tradition hervorgegangen, die bis in diese geschichtliche Heldenzeit zurückreichte. Diese Tradition sollte in der Ilias noch faßbar sein. Nilsson glaubte, das Epos in einzelne Entwicklungsstufen auflösen zu können. In mykenischer Zeit sei das erste Heldengedicht entstanden. Es habe sich in den dunklen Jahrhunderten in ein nostalgisches und archaisierendes Epos verwandelt. In der Kultur des 8. Jahrhunderts, einer Zeit geistiger Wiedergeburt, hätten die Griechen der epischen Tradition wieder anspruchsvollere Konturen gegeben, das homerische Epos sei entstanden. Die großen epischen Themen, wie die Geschichte vom Zorn des Achill, seien in dieser Zeit entstanden 27 . 24 25 26 27

Ebenda 72ff.; Nilsson (1941) 309ff. Ebenda 7ff., 37ff., 42ff. Vgl. Wundt (1912) Kap. III.; Kerényi (1976) 134ff. Zitat Nilsson (1941) 312. Nilsson (1933) 197 ff., 208 ff.

3.2 Entdecken und Rekonstruieren

49

Die mykenische Topographie, die dem Epos zugrunde läge, sei, so Nilsson, ein schlagender Beweis für die mykenische Herkunft des Heldengesanges28. Pylos sei in nachmykenischer Zeit verlassen worden, Troia, Theben, Mykene und andere Orte seien erst in homerischer Zeit neu besiedelt worden. Diese späteren Siedlungen seien zudem klein und unbedeutend gewesen, ungeeignet für ein Sagengeschehen. Den Gedanken, daß die bei den späteren Siedlungen sichtbaren Ruinen zu Sagenbildungen angeregt hätten, ließ Nilsson nicht gelten. Das Sagengeschehen spiegele die vergangenen politischen Verhältnisse zu deutlich wider. Schliemanns Weg in die Vorgeschichte erweise sich daher als ein „vorzügliches heuristisches Mittel, um die Orte der frühen Geschichte aufzudecken" 29 . Nilssons Überlegungen kreisten immer wieder um die Frage, unter welchen Bedingungen und durch welche Mittel sich eine Tradition des Heldengesanges gebildet haben konnte. Hier lag eine Grundbedingung der homerischen Frage. Heldentum und Heldengesang gingen aus dem kriegerischen Leben hervor. Wenn die Heldenethik zum Gegenstand einer Erzähltradition werden sollte, mußte dieses Gesellschaftsideal weiterleben. Eine heroische Erzählung war an die Bedingungen einer geschichtlichen Zeit gebunden; sie wurde von einer Moral getragen, die Erzähler und Hörer verband. Diese Moral war es erst, die bewirkte, daß die Erzählung weiterlebte30.

3.2.2

Die homerischen Epen als mündliche Dichtung

Auch in der Homerphilologie hatte sich seit der Jahrhundertwende viel getan. Die Homeranalyse des vergangenen Jahrhunderts kam ohne die Vorstellung verschieden alter Lieder, aus denen sich das Epos zusammensetzen sollte, nicht aus31. Diese literarischen Formen mußte man sich aber schriftlich verfaßt vorstellen. Das widersprach der Vorstellung von einer mündlichen Dichtung und ihren Sprachformen, wie sie Wolf beschrieben hatte. Als Geschöpfe einer mündlichen Tradition mußten die Epen aus einer eigenen Sprachkultur hervorgegangen sein32. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelte sich mit den empirischen Forschungen auch eine Forschungsrichtung, die die Sprachkultur der Volkspoesie, eine mündliche Sprachkultur, untersuchte. Man dichtete die Volkspoesie nicht mehr nach, wie es noch Jacob und Wilhelm Grimm getan hatten, sondern verlegte sich aufs Hören und versuchte den 28 29 30 31 32

Nilsson (1932) 27 ff., 39 ff. Nilsson (1941) 24. Nilsson (1938) 22 ff. Vgl. Lesky (1957) 53f.; Heubeck (1974) 15ff. Vgl. Latacz (1977) 25ff.; Drerup (1921) 153ff.; A.Parry (1971) XVff.

50

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

gehörten Erzählvorgang als solchen festzuhalten33. Um diese Zeit begannen die klassischen Philologen Herrmann, Ellendt und Düntzer nach dem mündlichen Duktus der homerischen Sprache zu forschen 34 . Anfang dieses Jahrhunderts konnte man eine eigentümliche Sprache, die homerische Kunstsprache, beschreiben. Diese kunstvoll zusammengesetzte Sprache ließ auf eine Tradition epischen Sprechens und eine mit dieser Tradition verbundene Sprachkultur schließen. Man hoffte, anhand der verschiedenen Dialektelemente, die in dieser Kunstsprache zu finden waren, eine Archäologie der homerischen Sprache schaffen zu können und die Kulturschichten ausfindig zu machen, durch die die epische Tradition hindurchgegangen war. Das gelang allerdings nicht35. Der schwerfällige Hexameter der homerischen Dichtung paßte zudem nicht zu den einfachen Sprachformen der Volkspoesie; er konnte, so Meillet, nur als Ausdruck eines kunstvollen und zeremoniellen Sprechens erklärt werden36. Die homerischen Archaismen stellten keine Ablagerungen des zeitlichen Werdegangs der Tradition dar, sie gehörten zu einem kultivierten „heroischen Sprechen". Das feierliche Sprechen verlange nach festlichen Situationen, nach Sängern und Hörern, die in einer höheren Sprachkultur verbunden waren. Meillet schloß auf eine aristokratische Kultur als gesellschaftlichen Hintergrund der homerischen Epen.

3.2.3

Mathias Murko (1861-1952)

Anfang dieses Jahrhunderts machte sich Mathias Murko auf, um die südslawische Volksepik mit dem Phonographen zu erforschen. Er veröffentlichte seine wertvollen Beobachtungen 1919 in dem bekannten Aufsatz, „Neues zur südslawischen Volksepik", aus dem ich im folgenden zitieren werde37. Die südslawischen Gemeinschaften der Jahrhundertwende hatten das althergebrachte Handwerk des Stegreiferzählens und die damit verbundenen sozialen Einrichtungen bewahrt. So wurde Murkos Untersuchung vor Ort zu einer aufschlußreichen Sozialgeschichte des Epenerzählens. Murko konnte vor allem die romantische Auffassung von der ursprünglichen und unveränderbaren Volksepik und mythendichtenden Urgeschichte eines Volkes widerlegen (S. 129 ff.). Seine Gewährsleute, die Sänger, berichteten vielmehr von einer steten Lebendigkeit der Erzähl33

Zur Geschichte der Volkspoesieforschung vgl. Bausinger (1980) 19ff. Zusammenfassend: Latacz (1977) 5 ff. Eine erste Darstellung: Drerup (1921). 35 Witte (1909-1914), (1912), (1913); Meillet (1913); Meister (1921). Vgl. A.Parry (1971) X X f . 36 Meillet (1913) 18Iff. 37 Murko (1919). 34

3.2 Entdecken und Rekonstruieren

51

tradition; es gehöre zu ihrem handwerklichen Stolz, die Erzählungen zu formen, hinzuzuerfinden und auszuschmücken (S. 132). Das Auffassungsvermögen der Hörer sei für den Erzähler wichtig. Dieser dürfe keine Geschichte erzählen, die der Hörer nicht nacherleben könne. Die Erzählung müsse von überschaubaren Ereignissen handeln, einem typischen Geschehen, das der Hörer vergegenwärtigen könne. Handelnde Personen müßten im Mittelpunkt des Geschehens stehen, Helden, mit denen sich der Hörer identifizieren könne (S. 135 ff.). Anschaulichkeit und Vergegenwärtigung formten die Erzählungen immer wieder um. Eine epische Tradition sei nicht ursprünglich und unveränderbar, das schrieb Murko den Homerphilologen ins Buch; unschöpferische Rezitatoren folgten nicht auf schöpferische Dichter, eine lebendige epische Tradition sei stets schöpferisch (S. 139 f.). Diese wichtigen Ergebnisse fanden seinerzeit wenig Beachtung. Murkos Untersuchungen wurden zum Teil einer allgemeinen und vergleichenden Epenforschung, in der der relativierende historisch-soziologische Teil der Evidenz weniger bedeutend erschien als der verallgemeinerbare Befund, die Typologie epischen Sprechens. Murko konnte mit dem Phonographen eine typische Sprechweise mündlicher Dichtung festhalten, die eigenartigen wiederholbaren syntaktischen Mustern folgte (S. 133). Auch die Variationen des Erzählens wurden in solchen flexiblen Mustern aufgefangen, in Schablonen für Handlungsfiguren, in Beschreibungen, Gleichnissen und Ausschmückungen. Der Sänger konnte mit diesen Hilfen erzählen, ohne einem auswendig gelernten Text folgen zu müssen. Mit diesen Mitteln konnte er aber auch gestalten, sich durch besonders schön ausgeführte Teile Ruhm verschaffen. Diese Technik sei es, so Murko, die eine epische Sängertradition ausmache (S. 132 ff.).

3.2.4

Milman Parry (1902-1935)

Parrys Interesse an der homerischen Sprachkultur wurde durch Murkos Vorbild angeregt 38 . Seine Studien schlossen sich zunächst an die Forschungen zur homerischen Kunstsprache an ; er studierte in Paris bei den Linguisten Meillet und Jousse 39 . Parry wandelte jedoch den historisch orientierten Standpunkt Meillets in einen allgemeineren um. Er versuchte, in das Grundmuster der epischen Sprache einzudringen, um in ihrer Funktionalität ihre Einfachheit und Ursprünglichkeit zu finden; es ging ihm darum, die „Physiognomie" und die „Originalität" einer frühen Lite38 39

Vgl. A. Parry (1971) IX ff. Ebenda XXIII.

52

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

ratur aufzudecken. Das entsprach der funktionalistischen Kulturphilosophie seiner Zeit40. Parry unterschied, einen Ansatz F.A.Wolfs wiederaufnehmend, die frühe Literatur als mündliche Poesie (popular tradition) von den späteren literarischen Traditionen mit ihren von Dichterindividuen geprägten Ausdrucksformen 41 . Auch die frühe Literatur vermittele ästhetische Qualität, nur gehe diese nicht auf den einzelnen Künstler, sondern auf das ganze Volk zurück. Parry benutzte diesen Schlüsselbegriff (race) der Kulturphilosophie der dreißiger Jahre, um eine Tradition zu beschreiben, in der Dichter und Hörer (das „Volk") zusammenarbeiteten. Der Zusammenhang zwischen mündlicher Dichtung und ihrem Hörerkreis als stilprägendes Element war für Parry eine Entdeckung. Er fand dafür in der Literaturgeschichte keinen Begriff. Ein Modell fand er in der Kunstgeschichte: Wie jedes bildkünstlerische Werk viele stilistische Vorstufen habe, so habe auch das Epos formale Vorstufen. Wie die Athena Lemnia des Phidias sei auch das Epos nicht nur das Werk eines Meisters, sondern eine Schöpfung der Tradition, eine Schöpfung des ganzen Volkes42. Die Tradition der Dichtung bilde und bewahre sich in typischen poetischen Mustern. Traditionell sei die epische Formelsprache (das wiederholbare syntaktische Typenmuster, das durch den Hexameter bedingt ist) wegen ihrer Einfachheit und wegen der darin enthaltenen breiten Ausdrucksmöglichkeiten43. Ein solches funktionales System könne nur von einer langen Tradition geschaffen worden sein; die einmal gefundene treffende Formel habe sich wegen ihrer breiten poetischen Ausdrucksmöglichkeiten über die Zeiten erhalten, denn sie sei wegen dieser Eigenschaft unveränderlich schön gewesen. Parry verstand seine Arbeiten historisch. Allerdings kümmerte er sich nicht darum, wie die Geschichte der epischen Tradition zu realisieren gewesen wäre; er nahm generell an, daß man anhand der homerischen Dialektgeschichte bis in die Achäerzeit zurückgelangen könne44. Sein Interesse galt vielmehr einer allgemeinen Frühzeit im kulturgeschichtlichen Sinn als Rahmen für mündlich dichtende Gesellschaften. Die Zeit der epischen Tradition stellte für ihn eine Dauer in dieser Frühzeit dar, die keinen Veränderungen unterworfen war. Es gab eine einfache epische Situation, in der Sänger und Hörer in einer „community of thought" verbun40

M.Parry (1928:1) 1. Vgl. A.Parry (1971) X X X I V f f , LVIIIff. M.Parry (1923) 421 ; (1928) 5ff. 42 (1923) 424 f., (1923) 428. „Race" steht hier für die Qualität einer Tradition. Später setzt sich Parry kritisch mit der Kulturideologie seiner Zeit auseinander und ersetzt „race" durch „tradition": Parry (1936) 412. 43 M.Parry (1928:1) 7. 44 Ebenda 8. 41

3.2 Entdecken und Rekonstruieren

53

den waren, und diese Situation sollte in vergleichbaren Kulturstufen immer wieder aufzufinden sein. Parry fand sie in der Sängerkultur der Hertzegowina seiner Zeit wieder, in der er sich die homerische Situation vergegenwärtigte. In diesem Sinne kommentierte er den Dialog zwischen Sarpedon und Glaukos im 12. Gesang der Ilias: „To Homer and the men who sat before him with their different cuts of meat, and their varyingly filled cups of wine, and their different recognized positions of importance in the community, it was another matter. It was the statement in heroic terms of their own way of life. More than that, it was a sanction and an ideal for that way of life. There was no separation there between what Sarpedon said and what they did and saw and admired every day. ... From my understanding of the speech of Sarpedon as a whole, from my knowledge of other early heroic poetries, from the general picture drawn of men of the heroic age by such scholars as Ker and Chadwick, and from what I myself have observed of traditional heroic poetry as it is still sung in the mountains of Hertzegovina, I see that this speech of Sarpedon is really a statement of the rewards and the responsibilities of prestige in the society of Homer's time - a society in which men were fewer in number, the social group smaller and its members known to one another, the mechanic art still undeveloped, and warfare of a certain sort the constant condition of life. And so I make for myself a picture of great detail" 45 .

3.2.5

Traditionelle Dichtung und mykenische Kultur. Die Synthese der Forschungen Parrys und Nilssons

Parrys Analysen des mündlichen Duktus der homerischen Sprache waren beeindruckend. Als erster Historiker wurde Nilsson auf Parrys Ergebnisse aufmerksam, er nahm sie promt in seine Forschungen auf 46 . Mit der Entdeckung der epischen Formelsprache war die homerische Tradition vorstellbar geworden. Nilsson versuchte, Parrys Formelsprache eine Chronologie zu geben, ohne sich allerdings viel um die sprachgeschichtlichen Konsequenzen zu kümmern 47 . Einzelne Formeln, Märchenmotive, die Mythen und das Heldenmotiv seien gesunkenes Kulturgut einer langen epischen Tradition, die man nun stratifizieren könne48. Eine „mündliche Gesellschaft" habe die Tradition zwischen Mykene und Homer bewahrt, eine lebendige Erinnerung zwischen den Zeiten sei möglich gewesen, zumal die Zeiten sich geglichen hätten. Homer und die mündliche Tradition 45 46 47 48

Zitat M.Parry (1936) 411. Nilsson (1933) 179ff., (1930) 319ff. Nilsson (1933) 181. Vgl. A.Parry (1971) XLIIIff. Nilsson (1938) 30ff.

54

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

der epischen Dichtung verbanden das frühgeschichtliche Zeitalter der Griechen, das nur durch eine Zeit der Not in den dunklen Jahrhunderten unterbrochen gewesen sei. In der homerischen Zeit sollte die alte Tradition wieder aufgeblüht sein. Die Idee des einfachen Lebens in Gestalt der funktionalistischen Kulturinterpretation der dreißiger Jahre verband bei Parry und Nilsson die verschiedenen Zeitalter der homerischen Tradition, so daß die Unterschiede zwischen mykenischer und frühgriechischer Kultur und der Epochencharakter der dunklen Jahrhunderte für sie bei der Bewertung dieser Tradition nicht ins Gewicht fiel.

3.3

Die homerischen Altertumswissenschaften heute. Geschichtliches Verstehen: Homer, Mykene und die Frage nach der epischen Tradition

Parrys epische Formelsprache schien eine Tradition volkstümlichen Erzählens zwischen Mykene und Homer vorstellbar zu machen. Nilssons Überlegungen legten nahe, daß es eine gesellschaftsgeschichtliche und eine Tradition geschichtlicher Erinnerung zwischen Mykene und Homer gegeben habe. Beide Standpunkte setzten voraus, daß die beiden geschichtlichen Zeitalter eine gemeinsame Struktur hatten und daß sich zwischen diesen Zeitaltern nichts historisch Bedeutsames ereignet hatte. Die neuen Funde der beiden Archäologien, der sogenannten mykenischen und der des dunklen Zeitalters, und die neuen Erkenntnisse der mykenischen Sprachwissenschaft, der Homerphilologie und der vergleichenden Epenforschung verändern dieses Bild. Sie zwingen dazu, die Frage nach einer kulturellen und geschichtlichen Tradition zwischen Mykene und Homer neu zu durchdenken. Wir müssen nun „Mykene", „Homer" und die Archäologie der dunklen Jahrhunderte getrennt betrachten.

3.3.1

Mykene

Die Erfolge der mykenischen Archäologie bestätigten die Archäologen zunächst darin, auf der Fährte Schliemanns weiterzugehen. Biegens Forschungsbericht aus dem Jahre 1967 läßt erkennen, welche betörende historische Beweiskraft man in jedem vorgeschichtlichen Fund an einem epischen Schauplatz erblickte 4 '. Im Laufe der Zeit stellte sich aber heraus, daß die mykenische Siedlungslandschaft so dicht gewesen war, daß es 49

Biegen (1967).

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

55

eher dem Zufall gleichgekommen wäre, wenn man an einem der „homerischen" Orte nichts Früheres gefunden hätte50. Die dichterischen Bedeutungskriterien, die dazu führten, daß eine Ortschaft in den Schiffskatalog aufgenommen wurde, können mit einem mykenischen ebenso wie mit einem frühgriechischen Monument verbunden werden. Die homerischen Epitheta zu den „gutummauerten" Städten beziehen sich tatsächlich auf mykenisch/frühgeschichtliche und auf frühgriechische ummauerte Städteanlagen 51 . Der archäologische Atlas zum homerischen Schiffskatalog, den Hope Simpson und Lazenby zusammenstellten, zeigt zwar, daß an jedem der bei Homer erwähnten Orte frühgeschichtliche Objekte gefunden werden konnten, daneben aber auch Gegenstände aus dem frühen ersten Jahrtausend oder aus homerischer Zeit52. Eine politische mykenische Landschaft läßt sich aus dem Schiffskatalog dagegen nicht rekonstruieren. Die großangelegten Landschaftsuntersuchungen der amerikanischen und englischen Archäologen bringen kleinteilige mykenische Herrschaftsräume in die Diskussion, Herrschaftsräume, die auf einer mit der überschaubaren Landschaftskammer verbundenen hochorganisierten agrarischen Produktionsweise basierten53. Die einzelnen Regionen waren auf ihren agrarischen Ertrag hin durchgliedert und hierarchisch verwaltet worden. Der Boden war so intensiv genutzt worden, daß er am Ende der mykenischen Zeit und in den frühen dunklen Jahrhunderten an Fruchtbarkeit einbüßte 54 . Seßhaftigkeit, eine spezifische Arbeitsorganisation und eine damit verbundene Verwaltungshierarchie haben das Leben in mykenischer Zeit geprägt55. Arne Furumark hatte schon in den vierziger Jahren bei seinen Untersuchungen der mykenischen Keramik festgestellt, daß deren Produktion ein organisiertes Handwerk voraussetzte56. Die Verbreitung der mykenischen Handelsware ließ schließlich auch auf einen organisierten Handel schließen, der bis in den Orient und nach Ägypten reichte57. Die Belege für einen Kontakt der kretisch-mykenischen Kulturen mit dem Orient sind seit-

50

Vgl. MacDonald/Rapp (1972) 136 ff. Hope Simpson/Lazenby (1970) U l f . , 136. ,,'ευκτίμενος" bezieht sich auf Mykene (11.2, 569) und Athen (546) mit ihren „kyklopischen" Mauern und auf Iolkos (715) mit seiner archaischen Mauer, ,,τειχιόεις" werden Tiryns (559) und das archaische Gortyn (646) genannt. 52 Hope Simpson/Lazenby (1970) passim. 53 Bintliff (1977); Hope Simpson und Dickinson (1979). 54 Kroll (1984) 21 Iff. 55 Vgl. Leuven (1980). 56 Furumark (1941) 1-111. 57 Furumark (1950); Schaeffer (1936/7) und (1949); Woolley (1955) 347ff. 51

56

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

her angewachsen58. Die Folgerung verdichtet sich, daß die ägäischen Kulturen einen Teil der orientalischen Welt des 2. Jahrtausends ausmachten 59 . Das System der orientalischen Palastverwaltung und Palastgesellschaft belegen die Linear B-Schrifttafeln für die mykenische Kultur60. Eine ähnliche Organisationsweise hatte schon Evans nach den Linear Α-Tafeln für die Verwaltung in Knossos angenommen, er prophezeite sogar ketzerisch, daß man diese dereinst im indogermanischen Mykene werde finden können61. 1939 und 1953 fand Biegen in Pylos die in Linear-B beschriebenen Lehmtafeln in solchen Mengen, daß man aus ihnen ein Entzifferungssystem entwickeln konnte 62 . Seither wissen wir detailliert Bescheid über die Ausmaße, die die mit der Schrift verbundene Verwaltungsorganisation in der mykenischen Kultur eingenommen hatte. Allerdings nimmt man bis heute oft an, daß dieses „orientalische" Verwaltungssystem zwar das Leben im minoischen Kreta grundlegend geprägt habe, im „indogermanischen" Griechenland aber nur eine „angelernte Verwaltungsperfektion gewesen sei"63. Der historischen Analyse hält das nicht stand. Eine ökonomische Organisationsweise, die sich bis in das Personenstandsrecht auswirkte, kann man nicht als ,techne' abtun, sie war gesellschaftsbildend64. Man wird die Epochengrenze zwischen den altorientalischen Kulturen und der griechischen Kultur nicht ins zweite Jahrtausend hinaufdatieren können. Das Entzifferungssystem, das Michael Ventris für die Linear B-Texte entwickelte, beruht auf der Voraussetzung, daß die Mykener griechisch sprachen65. Ventris geriet nach der Logik der „homerischen" Entdeckungen in das Fahrwasser Schliemanns und wurde ebenfalls zum genialen und umstrittenen Entdecker. Wieder stand man vor einem anscheinend schlagenden Beweis, für den man keine Absicherung finden konnte: Die griechische Sprache in Mykene, der Kultur der homerischen Heldenzeit? Schien ein früher Homer nicht direkt aus diesen Tafeln zu sprechen? - Zurecht ist gegen die Naivität solchen Entdeckertums polemisiert worden 66 . Man wird diese Zurückhaltung bis heute bewahren müssen, selbst wenn die Arbeitshypothese, die mit der Entzifferung verbunden war, sich in der 58

Helck (1979); Marinatos (1973). Zusammenfassend: Hooker (1977) llOff. ® Demargne (1964) 83 ff. Eine ausführliche Analyse: Renfrew (1972). 60 Heubeck (1966); Hiller/Panagl (1976); Hooker (1977) 183ff. 41 Evans (1894) 270ff. Dagegen: Karo (1935) 602; Nilsson (1933). Nach der Entzifferung von Linear B: Nilsson (1954) 498 ff. " Biegen (1967) 14 f. 63 Zitat Latacz (1985) 48. 64 Vgl. Polanyi (1960) 340ff.; Finley (1957:1) und (1957:2). 65 Ventris/Chadwick (1953) 54ff. 66 Grumach (1957). Vgl. Heubeck (1959); Beattie (1956); Levin (1964). 5

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

57

indogermanischen Sprachwissenschaft bewährt hat67. Die Kritik wendet sich heute auch weniger gegen die Hypothese, daß das Mykenische eine Vorform des Griechischen sei, als gegen die Gleichmacherei, die zwischen der mykenischen und der homerischen Kultur und Sprachkultur nicht unterscheidet68. Zunächst wurde tatsächlich jedes mykenische Wort homerisch gedeutet. Heute sieht die Begriffsgeschichte zwischen Mykene und Homer diskontinuierlich aus, wie vor allem die Forschungen Heubecks und Rischs zeigen. Beide setzen voraus, daß das Mykenische eine sehr frühe Form des Griechischen darstelle, daß es aber nicht mit der uns bekannten griechischen Sprache identisch sei69. Das Mykenische läßt sich zwar durch das spätere Griechische morphologisch erfassen, die lexikalische Aufarbeitung der Begriffe, besonders der sozialen Begrifflichkeit, zeigt aber, wie schwierig es ist, die Bedeutungsgeschichte eines Wortes bis in die frühere Zeit zurückzuverfolgen. Die Spekulationen der Archaeologia Homérica konnte Heubeck mit lexikalischen Argumenten korrigieren70. Die homerischen Antiquaria seien nicht mit der mykenischen Gegenstandswelt identisch, auch stimme die homerische gegenständliche Begriffswelt nicht mit der mykenischen überein. Das gelte mit nur wenigen Ausnahmen für das Gerät der Helden (Kriegerausstattung, Hausrat, Kunstgegenstände), für die verschiedenen Sparten des Handwerks und für das Gesellschaftswesen. Selbst wenn man morphologisch eine Begriffsübertragung zwischen Mykene und Homer festhalten könne, zeige sich eine Gedächtnislücke oder gar eine inhaltliche Vertauschung der Begriffe. Von begrifflicher Kontinuität zwischen Mykene und Homer wird man global nicht mehr sprechen können 71 . Die mündliche Dichtung spricht eine gegenständliche Sprache. Daher hatten die Philologen, die sich mit der homerischen Motivforschung beschäftigen, angenommen, daß die Gegenstandswelt Homer und Mykene am ehesten verbinden und den Beweis für eine Tradition der Zeitalter erbringen würde72. Der Wandel der gegenständlichen Begrifflichkeit zwischen Mykene und Homer deutet aber darauf hin, daß es keine unmittelbare Tradition der Wortbedeutungen zwischen den Zeitaltern gegeben hat und daher auch keine „Requisitenerstarrung", wie sie in altherkömmlicher „Volkspoesie" zu beobachten ist73. Wir können nicht von einer kontinuierlichen Vermittlung einer „mykenischen" Ependichtung mit gleich67

Heubeck (1961) 159ff. Sehr positiv: Palmer (1986). Vgl. Else (1967) 328f.; Heubeck (1975) 91 ff. 69 Heubeck (1961) und (1963). Risch (1980) und (1985). 70 Heubeck (1984) bes. 10ff.; ders. (1979) bes. 234ff., 242ff. 71 Heubeck (1984) 581 f.; Wickert-Micknat (1986). 72 Kakridis (1972) 12; ders. (1971) 108 ff. 73 Vergleichende Literaturhinweise zur Requisitenerstarrung in der Volkspoesie: Burkert (1979) 28, Anm. 8. 68

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3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

bleibenden Gegenstandsbeschreibungen und gleichbleibenden Bedeutungselementen und Sinngebungen ausgehen. Dieser Einwand trifft nicht nur auf die Requisiten zu, sondern auch auf die einzelnen Motive der Dichtung vom Märchen- bis zum Heldenmotiv. Jedes dieser inhaltlichen Elemente kann zwar im Laufe der epischen Tradition entstanden oder in diese Tradition aufgenommen worden sein; wir können aber den Zeitpunkt nicht ermitteln, an dem ein solches Motiv zum notwendigen, d.h. sinngebenden Bestandteil der Dichtung wurde. Es ist nicht ermittelbar, ob ein Motiv notwendig zu eventuellen ursprünglichen Elementen der Dichtung zählte. Auch den Bedeutungswandel können wir nicht ermessen, den die möglichen inhaltlichen Motive einer älteren Dichtung zwischen Mykene und Homer durchlaufen haben, wenn es einen solchen Traditionszeitraum überhaupt gegeben hat74.

3.3.2

Die dunklen Jahrhunderte und das homerische Jahrhundert

Da das Historische in den homerischen Epen lange fast ausschließlich in der mykenischen Vorgeschichte gesucht worden ist, wurde die Bedeutung des homerischen Jahrhunderts und der dunklen Jahrhunderte für die geschichtliche Herkunft und für den geschichtlichen Hintergrund der Epen lange unterschätzt. Die Archäologie der dunklen Jahrhunderte und des 8. vorchristlichen Jahrhunderts brachte jedoch Quellen hervor, die sich plausibler mit der Frage nach der Tradition der homerischen Dichtung verbinden ließen als es mit den mykenischen Monumenten der Fall gewesen war. Ende der dreißiger Jahre wurde das alte Grabungsprojekt Conzes im Kerameikos zu Athen wiederaufgenommen 75 . Die Keramik des frühen Gräberareals spiegelte eine bedeutende frühe kunsthandwerkliche Entwicklung wider. Sie reichte vom 10. bis ans Ende des 8. Jahrhunderts und zeigte einen qualitativen Fortschritt im Technischen und im Künstlerischen, der sich mit der Zeit potenzierte. Bernhard Schweitzer analysierte die Entwicklung dieser geometrischen Keramik mit kunstgeschichtlichen Mitteln und hatte damit einen ersten kulturgeschichtlichen Abriß der unmittelbaren geschichtlichen Tradition gewonnen, aus der die homerischen 74

Burkert (1979) unterscheidet verallgemeinerbare feste Motive von erzählerischen Sinnbildungen. Vgl. Reinhardt (1948); Armory Parry (1966). Zur vergleichenden Forschung: Bausinger (1980) 55ff. 75 Kraiker/Kübler (1939); Kübler (1943) und (1954).

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

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Epen hervorgegangen waren76. Der geometrische Stil des Keramikhandwerks fand sich auch im Dekor der Kleinkunst wieder, selbst die Plastiken zeigten einen geometrischen Aufbau. Dieser Stil wurde im 8. Jahrhundert künstlerisch vollendet, seine Vorformen gingen aber bis ins frühe 9. und späte 10. Jahrhundert zurück. Es lag nahe, die Entwicklung der Keramikkultur mit der Entwicklung der epischen Tradition zu vergleichen. Andreae und Flashar haben gezeigt, daß die beiden Traditionen einem ähnlichen Rhythmus folgen und daß beide im 8. Jahrhundert auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung stehen77. Die Bilddarstellungen der hochgeometrischen Keramik zeigen Zeremonien, die in den homerischen Epen beschrieben sind. Das Zeremoniell der Hörergesellschaft der homerischen Zeit spiegelte sich auf den Vasen und in idealisierter Form in den homerischen Epen wider. Damit war bewiesen, daß sich die homerische Erzählung im Zeremoniell der homerischen Zeit vergegenwärtigte78. Die Sammlung homerischer Bilder auf geometrischen Vasen hat sich vervollständigt. Himmelmann und Fittschen zeigten, daß es sich bei nahezu allen Bildarstellungen dieser Zeit, nicht wie vorher angenommen, um Sagendarstellungen handelte, sondern um Alltagsbilder, „Lebensbilder" des Adels der homerischen Zeit79. - Auch dieses Ergebnis ist wichtig für die Frage nach einer altertümelnden homerischen Sagentradition. Die Bildtradition nimmt die Sage erst zur Zeit der homerischen Epen auf, sie kennt die vorhomerischen Sagen nicht. Setzte vielleicht erst mit dem für die frühgriechische Kultur verbindlichen homerischen Großepos das Bewußtsein ein, über eine verbindliche allgemeinverständliche Sagentradition zu verfügen? Eine altherkömmliche mykenische Sagenbildtradition können wir archäologisch nicht festhalten, daher fehlt der Beweis für eine ebenso verbindliche ältere Erzähltradition. In den fünfziger Jahren verglich Hampe die sogenannten Alltagsbilder geomertischer Vasen mit den Lebensbildern der homerischen Gleichnisse und fand aufschlußreiche Parallelen: Beide seien funktional und stellten alltägliche Situationen dar, die sich in der Lebenswelt und den Lebensformen des Adels der homerischen Zeit wiederfinden ließen80. Zur selben Zeit überprüfte Schadewaldt die kretisch-mykenische Malerei auf homerische Bezüge und kam zu einem negativen Ergebnis. Die minoisch-mykenische Bilderwelt stimmt mit der homerischen nicht überein. Die ältere, 76

Schweitzer (1917) und (1969). Vgl. Desborough (1948) 260; Coldstream (1968). Andreae/Flashar (1977). Vgl. Starr (1961). 78 Himmelmann (1960), (1969:1), (1969:2). 7 ' Himmelmann (1969:2). Grundlegend: Fittschen (1969). Zuletzt: Kannicht (1982) 70 ff. 80 Hampe (1952). Vgl. Strasburger (1953). 77

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3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

anmutige Bilderwelt war im Vergleich zur homerischen erlesen und kompliziert 81 . Die geometrische Keramik scheint in Ornamentik und Gefäßformen auf mykenische Vorbilder zurückzugehen. Allerdings hat der geometrische Stil daraus schon früh eine eigene künstlerische Aussage entwickelt, das spezifisch Geometrische ist im Mykenischen nicht zu finden. Die Gemeinsamkeiten führten zu der Frage, ob die geometrischen Formen eigenständige Schöpfungen oder ob sie mit den mykenischen Formen so nahe verwandt seien, daß man sie denselben Urhebern zuschreiben konnte. Die herkömmliche Formenanalyse setzte den Stil mit dem historistischen Begriff vom Volkstum in eins. Viele befanden mit Desborough, dem wir die meisten Arbeiten zu diesem Thema verdanken, daß die Stilunterschiede beträchtlich seien, daß der neue Stil auf Neueinwanderer, womöglich die Dorer der Sage, zurückginge 82 . Der Widerspruch dieser These zu der von der Kontinuität der Epentradition hat zu vielen Spekulationen geführt, die das Argument vom Volkstum obsolet erscheinen lassen 83 . Die mykenische und die geometrische Keramiktradition scheinen eigene Traditionsgebilde zu sein, die wenige formale Charakteristika teilen. Auch eine mögliche epische Tradition wird man an diesem Phänomen messen müssen. Per Àlin brachte die Frage nach dem historischen Geschehen auf, das mit den Zerstörungsschichten der mykenischen Burgen und mit dem Zerfall der mykenischen Kultur verbunden ist84. Er räumte mit der Vorstellung auf, daß es sich dabei um ein einziges Ereignis gehandelt haben könnte, und machte deutlich, daß mit den Vorstellungen von der Zerstörung der mykenischen Mauern und von der Einwanderung der Dorer zwei Jahrhunderte beschrieben wurden. Alin forschte nach dem Ende der mykenischen Fundschichten und untersuchte daraufhin breiträumig die mykenischen Fundstätten. Er konnte dabei einen von mehreren Zerstörungsereignissen unterbrochenen Geschichtsablauf festhalten, in dem die mykenische Kultur sich graduell aufgelöst hatte. Das sogenannte Ende der mykenischen Kultur ist ein kulturgeschichtlicher Prozeß, der, wie Snodgrass gezeigt hat, nach den Verlaufsformen der einzelnen archäologischen Kulturen genauestens untersucht werden muß 85 , um die Kultur der dunklen Jahrhunderte einschätzen und zu der Frage nach möglichen nachmykenischen Traditionsbildungen Stellung nehmen zu können.

81 82 83 84 85

Schadewaldt (1951). Desborough (1948), (1964) und (1972). Diskussion und Literaturübersicht: Schnapp (1974); Hooker (1977) 140ff., 163ff. Àlin (1962). Snodgrass (1971). Vgl. Schnapp (1974).

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

3.3.3

61

Homer und die homerische Tradition

Auch die philologischen Forschungen der letzten fünfzig Jahre führten von Mykene zu Homer zurück. Die Homerphilologie läßt eigentlich nur noch einen theoretisch möglichen Bezugspunkt der Stoffgeschichte zur Vorgeschichte gelten. Das Wissen um die Herkunft des Stoffes hilft aber nicht mehr, das Epos zu verstehen. „Hinter der Heldensage steht zumeist geschichtliches Geschehen, aber es ist in ihr mit denkbar größter Freiheit gegenüber Zeit, Person und Handlung umgeformt", schreibt Lesky in seiner griechischen Literaturgeschichte 86 . Mykene oder der troische Krieg können höchstens als historische (Stoff-)Relikte der epischen Erzählung angesehen werden, den historischen Hintergrund der Erzählung aber macht die Zeit aus, in der das Epos komponiert wurde. Das (Stoff-)Relikt kann sich aber nur als Allgemeinplatz in der Überlieferung gehalten haben. Es kann sich sogar, wenn es sich nur um einen Ortsnamen handelt, um einen unechten Stoff handeln, um eine Ruine, die in späterer Zeit zum Zentrum einer Erzählung, zu einem sogenannten Sagenkern wurde. Die Archäologen konnten die Stoffgeschichte der Epen in der Vorgeschichte nicht bestätigen, die geschichtliche Welt Homers ist vor allem ein Spiegel der Welt der homerischen Zeit geworden, so schließt Else seine kritische Übersicht der altertumswissenschaftlichen Beiträge zur homerischen Frage. Das Interesse am homerischen Epos habe sich von der mythisch-frühgeschichtlichen Vergangenheit wieder zur homerischen Gegenwart und zum homerischen Text hingewendet 87 . Der herkömmliche Grundsatz, daß Heldendichtung notwendig einen vorgeschichtlichen Kern haben müsse, überzeugt nicht mehr. Heldenepen können geschichtliche Ablagerungen enthalten, sie müssen es aber nicht. Der Germanist Klaus von See notierte unlängst, daß das Interesse an der Heldenepik keineswegs aus dem Gedächtnis an eine ferne Vergangenheit entspringe. Bei dieser Form des Gedächtnisses handelt es sich um ein dichterisches Produkt des Historismus. „Erinnerung" oder „Gedächtnis" im umfassenden Sinn seien, so von See weiter, von dem zufällig weiterverwendeten Relikt, der Requisitenerstarrung in einer Dichtung, zu unterscheiden 88 . Im Mittelpunkt der Heldendichtung aber stünden menschliche (soziale) Konfliktsituationen, in diesen sei das eigentliche Geschichtliche der Heldendichtung enthalten. Diese geschichtliche Situation der Erzählung werde solange bewahrt und aktualisiert, wie es ein Hörerpublikum gebe, dessen gesellschaftliches Lernbedürfnis aus dem Epos schöpfe. Gedächtnis und Erinnerung seien Produkte gesellschaftlicher Identität; die 86 87 88

Lesky (1957) 35. Vgl. ders., (1967) 756. Zuletzt: Latacz (1984). Else (1967). Von See (1971) 9-20.

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3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

Heldendichtung hänge daher vom Ethos, der Gesinnung einer Hörergemeinschaft ab, sie reproduziere ein historisches, in der Gegenwart des Erzählaktes liegendes Menschenbild. Das veraltete Requisit aber könne Historisches in einer obsolet gewordenen Erzählung nicht wiedererwekken, es bleibe ein unzeitgemäßes Relikt. Begonnen hatte diese Wende der Vorstellungen vom romantisch-vorgeschichtlichen Heldengedicht zum zeitgemäßen mit Andreas Heuslers Studien zur Geschichte des Nibelungenliedes und den Veränderungen, die diese mehrfach überlieferte Erzählung im geschichtlichen Wandel erfuhr 89 . Sage, so werden wir belehrt, ist immer Erzählung, wir können den Sagenstoff nicht vom Erzählten, dem Sinnverstehen trennen. Wolfgang Schadewaldt machte in seinem 1938 erschienenen Aufsatz über „Homer und die homerische Frage" auf die Erkenntnisse Heuslers aufmerksam und übertrug sie auf die Homerforschung 90 . Schadewaldt verdanken wir eine neue konkrete Hermeneutik um Homer und die „homerische Frage". Er begann seine Homerforschungen mit dem gerade erwähnten Aufsatz im Anschluß an Wilamowitz91. Die Rückkehr zum erzählenden Dichter, die jener schon forderte, war für Schadewaldt zum zentralen historischen Problem, zu einem Wegweiser durch die homerische Altertumskunde geworden. Er unterschied die Frage nach dem historischen Stoff von der Frage nach dem epischen Erzähler. Die achäische Zeit, die mögliche Heldenzeit, war durch die archäologischen Forschungen in eine ferne Zeit entrückt, so daß sie für die Frage nach dem epischen Erzähler und seiner Tradition unbeachtet bleiben konnte92. Von dieser Last befreit, konnte sich Schadewaldt dem homerischen Dichter, der authentischen Quelle für das Epos zuwenden. Der historische Erzähler, seine Hörerschaft und der historische Sinnzusammenhang der Erzählung traten in den Mittelpunkt der Homerforschung. Die poetische Qualität der Dichtung wurde wieder zu einem Teil ihrer historischen Aussage. Diese Qualität entsprach dem künstlerischen Vermögen des Sängers und der Rezeptionsfähigkeit seiner Hörer. Sie bestimmte die poetische Sprache ebenso wie den poetischen Aussagezusammenhang. Die hohe dichterische Kunst führte in die aristokratische Gegenwart der homerischen Zeit und war selbst ein Zeugnis für das kulturelle Niveau dieser Zeit. Schadewaldt arbeitete mit dem poetischen Aspekt eine Seite der Dichtung auf, die seit Wolf vernachlässigt worden war. „Kunst" ge89

Heusler (1922). Ein detaillierter und aufschlußreicher Vergleich zwischen dem Erzählerischen und der Schriftlichkeit der altfranzösischen Chansons de geste und der homerischen Epik: Shepard (1929). 90 Schadewaldt (1938) 30. 91 Ebenda 28 ff. 92 Ebenda 31 f.

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

63

hörte bei diesem nicht zum historisch Wissenswerten, später ließ sich „Kunst" nicht mit der Idee der „Volkspoesie" vereinbaren 93 . Nun war die dichterische Kunst wieder zu einem historischen Phänomen geworden, sie wurde zum Produkt historischer gesellschaftlicher Bedingungen. Der homerische Dichter war bei Schadewaldt ein Sänger, der aus einer Tradition epischen Dichtens hervorragte. Einen wichtigen Anteil an dieser Tradition hatte das Hörerpublikum, das zeitliche Gegenüber des Sängers. Diesem Gegenüber mußte sich der spätere Interpret nähern, um die Dichtung in ihrer sprachlichen und inhaltlichen Intentionalität zu erfassen. Der Gestaltkreis der Erzählung erschließt sich aus der erzählerischen Situation, zugleich spiegelt sich in dieser Situation auch mittelbar das Herkommen der Dichtung und das Herkommen der Hörergesellschaft ab. Von der Oral Poetry Forschung inspiriert, veröffentlichte Schadewaldt 1942 eine Studie über die antike Homerlegende 94 . Darin bestimmte er wie Parry - Homer als einen Sänger der mündlichen Tradition. Zugleich verband Schadewaldt die Frage nach der griechischen epischen Tradition mit den nachhomerischen Quellen. Die Vorstellung von einer frühgriechischen mündlichen Dichtung schwebte nicht mehr in romantischer Zeitferne, sondern wurde an die historischen Bedingungen geknüpft, die man in der späteren griechischen mündlichen Poesie noch ausmachen konnte. In der Studie über „Homer und sein Jahrhundert" verankerte Schadewaldt schließlich den homerischen Dichter und die Erzählsituationen von Ilias und Odyssee in der Kultur des 8. Jahrhunderts 95 . Die epischen Ereignisse waren mit dem historischen Konfliktgeschehen der frühen archaischen Zeit zu vergleichen. Die Kultur, die das Epos widerspiegelte, Städte, Tempel, Versammlungsplätze, Grabmäler, zählte zu den Errungenschaften, die das homerische 8. Jahrhundert hervorgebracht hatte. Diese Zeit stand an der Grenze zur archaischen Zeit der Griechen, einer Zeit mit einem eigentümlichen Epochencharakter, dessen Grundzüge sich in den homerischen Epen wiederfinden ließen. In einem grundlegenden Aufsatz, der 1946 veröffentlicht wurde, brachte Alfred Heuss die typischen gesellschaftlichen und politischen Strukturen dieses Zeitalters und deren Konfliktmuster in das Bewußtsein der Historiker96. Auch Heuss kam zu dem Ergebnis, daß die homerischen Ereignisse der Struktur nach „echte Ereignisse" seien, die in dem geschichtlichen Kontext des späten 8. und frühen 7. Jahrhunderts nachvollziehbar seien97. 93

Vgl. Fuhrmann (1959) 224ff.; Lempicki (1968) 2ff. Schadewaldt (1942:1) und (1943). Zur Kritik an der antiken Homerlegende vgl. Latacz (1985) 32 ff. 95 Schadewaldt (1942:2). 96 Heuss (1946) und (1981). 97 Zitat (1946) S. 30. 94

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3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

Das Epos war keine Quelle für einen überzeitlichen Stoff, es war zu einer historischen Quelle geworden, zu einem Zeugnis für den Sinnzusammenhang einer historischen Zeit. Die poetisch überhöhte heroische Vergangenheit des Epos spiegelte vergrößert die homerische Gegenwart wider. In den Handlungsformen, der Typik, den Motiven, selbst in dem Stoff der Dichtung lag geschichtliche Signifikanz, dichterische Vermittlung in einer besonderen historischen Situation hatte sie geprägt. Mit dem Blick auf die historische Situation der Dichtung war auch der hermeneutische Zugang zum homerischen Menschen- und Heldenbild eröffnet, zum Bild des Kriegs- und Alltagslebens im Epos, selbst zum Bild der Dichtung und ihrer gesellschaftlichgeselligen Situation98. Auf diese Weise gewann man einen tiefen Einblick in die geschichtliche Lebenswelt des homerischen Dichters, während das mykenische Zeitalter und seine Monumente immer weniger durch die epischen Bezüge geschichtlich erklärt werden konnten. Einen poetologischen Zugang zum homerischen Epos erarbeitete Schadewaldt in seinen „Iliasstudien" 99 . Die mündliche Dichtung bestand nun nicht mehr aus Liedern oder aus einzelnen unabhängigen Motiven, sondern aus flexiblen Grundformen, Formen in einem poetischen Bedeutungssystem. Schadewaldt fand in der Ilias Motivreihen, die aufeinander verwiesen und in der laufenden Erzählung einen Spannungsbogen aufbauten, der dem Hörer Momente des Erkennens und der Einsicht vermittelte. - In der tragischen Motivverknüpfung der Achill-Patroklos-Handlung gebe es keinen Gegenstand, keine Person und keine Szene, die zufällig gewählt wären; alle stünden in dem Bedeutungszusammenhang, den der Spannungsbogen der erzählerischen Handlung beschreibe. Die homerische Dichtung offenbarte nicht nur die Handwerksmittel der mündlichen Dichtung, sondern sie zeigte auch einen Dichter, der ingeniös über die Mittel seines Handwerks verfügte. Dieser Dichter hatte einen unverkennbaren eigenen Stil und eine eigene Botschaft des Erzählens. Dieser Befund wurde auch von der Motivforschung, der Forschung nach den „Geschichten" in Ilias und Odyssee, unterstützt. Besonders Karl Reinhardt hat immer wieder gezeigt, daß die „Weisheiten" der epischen Geschichten aus ihrer Erzählung hervorgingen und daß Homer seine traditionellen Materialen kunstvoll zu einer gemeinsamen Weisheit verbinde100. Das spätere Geflecht der Erzählung könne im nachhinein nicht mehr in die Elemente eines zeitlichen Herkommens aufgelöst werden. 98

Zum Helden- und Menschenbild: Marg (1965); Latacz (1984). Zum Kriegs- und Alltagsleben: Strasburger (1953) und (1972); Schwartz (1928) 14ff. Zum Bild des Dichters in der Dichtung: Marg (1957). " Schadewaldt (1938:2) und (1975). 100 Reinhardt (1948) und (1961). Vgl. Hölscher (1978) und (1988).

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

65

Offensichtliche Requisiten- und Formenerstarrungen, die die epische Tradition zurückdatieren könnten, gibt es im homerischen Epos nicht. Freilich gibt es Rückbezüge, „Zitate" aus der Ilias in der Odyssee, die typischen starren Formen der dekadenten Dichtung lassen sich aber erst in der Dolonie, dem später hinzugefügten 10. Gesang der Ilias und in der nachhomerischen Epik finden101. Bis zur Zeit Homers arbeitete die epische Tradition anscheinend kreativ; dieser fortschrittliche Bogen erstarrte erst mit der schriftlichen Fassung der Ilias. Der Dichtername Homer stellt für uns den dichtesten Punkt und wahrscheinlich den dichterischen Höhepunkt dieser Tradition dar. Nur aus der Kenntnis seines Formen- und Ausdrucksschatzes können wir - schematisch - den Weg seines Herkommens ermitteln. Der Vergleich mit anderen mündlichen Dichtungen zeigt, daß die Ilias poetisch unübertroffen ist102. Es handelt sich bei den homerischen Epen daher nicht um traditionell weitererzählte mündliche Poesie, sondern um poetische Schöpfungen aus einer mündlichen Kultur, die für eine bestimmte Gesellschaft geschaffen wurden und die durch ihre schriftliche Fassung für diese Gesellschaft zu einer verbindlichen Kulturform wurden. Das haben die homerischen Epen mit anderen Heldendichtungen gemein. Heldendichtung, so stellt sich in der vergleichenden Forschung heraus, gehört nicht zu den einfachen Formen der sogenannten Volkspoesie, sondern zu den höheren dichterischen Formen, die „Kultur", Gesellschaftlichkeit ausdrücken 103 . Vielerlei Forschungswege bieten heute Einblick in die historische Werkstatt des Dichters. Zum dichterischen Handwerk Homers gehörten vielerlei typische Formen, die sich allgemein für die mündliche Dichtung nachweisen lassen. Typik gehört zum anschaulich gegenstandsorientierten, beispiel- und gleichnishaften epischen Sprechen104. Zu den typischen Formen der homerischen Dichtung zählen daher die Gleichnisse, die typischen Szenen und Handlungsfiguren, wie z.B. die Aristie. Fränkel, Arend und Schröter haben diese Formen erstmals zusammengestellt und auf ihre poetische Signifikanz untersucht105. Die Vielschichtigkeit des Aussagevermögens des homerischen Dichters war erstaunlich. Unter diesem Aspekt muß man heute auch die epische Formelsprache betrachten. Die Wende des Interesses vom Ursprung der epischen Dichtung zum homerischen Dichter und seiner Zeit macht sich auch in der Oral-Poetry Forschung bemerkbar. Milman Parrys Schüler gingen zwei entgegengesetzte 101 Schwabl (1982) und (1986). Heubeck (1954). Vgl. Patzer (1972) 48f.; Schadewaldt (1938:2) 142 und Anm. 4. 102 Dirlmeier (1971). 103 Vgl. Bausinger (1980). 104 Vgl. Hamburger (1948). 105 Fränkel (1921); Arend (1933). Vgl. dazu M.Parry (1936:2). Schröter (1950).

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3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

Wege, deren Richtungen in Parrys Auffassung von der mündlichen Dichtung schon angelegt waren. Die einen suchten nach den Funktionen der epischen Sprachtechnik und fanden in diesen vor allem das traditionelle altertümliche Element der Dichtung106. Die anderen, vor allem Adam Parry, suchten hinter den Funktionen die Mitteilung, die dichterische Aussage, die sich einer mündlichen Literatursprache bediente. Sie fanden eine kommunikative veränderbare Formelsprache, die den Dichter und seinen Hörerkreis in einer historischen Situation verband. Adam Parry zeigte107, daß die epischen Formeln ebenso wie die typischen Szenen Sinngebungen folgten, die sich in ein aristokratisches Wertesystem übersetzen ließen. Die epischen Konfliktsituationen stellten gerade diese Werte in Frage, das sprach für die Aktualität der Dichtung. Es gebe im Epos eine Fülle formelhaft ausgesprochener ethischer Wertvorstellungen, kriegerische, patriotische, häusliche, hedonistische, die den Sinn der Handlung erst aufschlüsselten und die Erzählung mit einer historischen Gesellschaft verbanden. Diese Ergebnisse ließen sich mit der homerischen Neoanalyse widerspruchslos verbinden108. Patzer hat sich von der Seite der deutschen Forschung diesem Verständnis der Oral Poetry-Theorie zugewendet und deren formenanalytische Ergebnisse in ein sinnvolles Verstehen der dichterischen Formelsprache umgewandelt109. Er kommt zu einer schönen Synthese: Die poetischen Formen des mündlichen Dichterhandwerks, Formel, typische Szene und typische Handlungsfigur bauen sich organisch zu einem signifikanten Aussagezusammenhang auf, der Dichter und Hörer in den Sinngebungen ihrer eigenen Zeit und Gesellschaft verbindet. Kirk suchte umgekehrt nach Zeichen, die auf die vorhomerische Herkunft der epischen Formeln schließen ließen110. Sein Versuch zeigt, daß man über theoretische Erwägungen nicht hinauskommt. Man kann die Tradition nicht von ihren (unbekannten) Anfängen her denken. Eine Formel, die notwendig als eine frühe epische Formel anzusehen wäre, konnte Kirk nicht sicher belegen111. Er fand aber, daß die Gegenstände, die man lange als Relikte früherer Zeiten angesehen hatte, sich in den späten Teilen des Epos befanden 112 . Das dichterische Archaisieren macht es unmöglich, frühe, in der Tradition unbewußt erhaltene, von bewußt eingesetzten 106

Lord (1960); Notopoulos (1960). Vgl. dazu A.Parry (1971) XLIf. A. Parry (1966). 108 Lesky (1954); Heubeck (1978); Kulimann (1984). 109 Patzer (1972). Ein Buch Patzers zu dem dichterischen Zeigesystem der Odyssee ist angekündigt. 110 Kirk (1962) und (1985). 111 Dazu Heubeck (1986) 578 ff. 112 Kirk (1962) 188; ders. (1960) 180 ff. 107

3.3 Die homerischen Altertumswissenschaften heute

67

Archaismen zu unterscheiden. Immerhin haben wir hier den Beweis für ein mit der Ilias beginnendes bewußtes Archaisieren der epischen Sprache, ein Beweis, der wiederum darauf aufmerksam macht, daß das Historische und Historisierende zu den Bewußtseinselementen der homerischen Zeit gehört und daher nicht notwendig durch eine althergebrachte Tradition vermittelt sein muß. Die neueste Oral Poetry-Forschung zeigt, daß man nicht ohne weiteres von dem homerischen Formelsystem auf ein vorhomerisches schließen kann. Die Untersuchungen von Hainsworth und Hoekstra kommen zu dem Ergebnis, daß sich epische Formeln wie jede Sprachkultur mit dem Gebrauch verändern 113 . Sie müssen zu einer geschichtlichen Aussage passen, die sich mit der Zeit verändert. Formeln können vergessen werden, wenn sie „schlecht" sind, durch neue „gute" ersetzt werden. Die neueren Untersuchungen zur homerischen Kunstsprache führen von einer antiquarischen homerischen Sprache zu einer dichterisch archaisierenden. Das Nebeneinander verschiedener Dialektelemente in der Dichtung offenbart keine Sprachstratigraphie der homerischen Tradition, das Phänomen gehört, wie Heubeck darlegte, zu den dichterischen Stilmitteln114. Bei den altertümlich erscheinenden Sprachelementen handele es sich oft um unrichtige Nachahmungen älterer Sprechweisen oder um altmodisch gewordene Ausdrucksweisen. Nun ist auch das letzte Fundament für die historische Herkunft der griechischen Sagen, die Sagenchronologie, ins Wanken geraten. Auch hier führt die Evidenz von den antiquarischen Schichten des Erzählens zu einem Antiquarisieren und Historisieren, das ein gestalterisches Element der homerischen und nachhomerischen Zeit ist. Der Mythos soll bewußt als Geschichte erzählt werden, um den historischen Bedingungen der frühgriechischen Gegenwart ein allgemeines Bewußtsein zu geben. Friedrich Prinz zeigte in einer breiten gut belegten Untersuchung, daß es in der Ilias zwar erste Spuren der griechischen Gründungssagen und ihrer Erzählsysteme gebe, daß die großen Sagensysteme von der dorischen oder der ionischen Wanderung aber in nachhomerischer Zeit weiter ausgestaltet wurden115. Auch dieses Ergebnis weist darauf hin, daß die frühen Griechen mit der Gestaltung und Systematisierung geschichtlicher Sagen in homerischer Zeit begonnen haben und daß diese Tradition in archaischer und klassischer Zeit weitergeführt wurde. Diese Sagengeschichte verläuft 113

Hainsworth (1962), (1969) und (1978); Hoekstra (1965). Beide bestreiten allerdings nicht, daß die epische Tradition ins Mykenische zurückreichen könnte. Vgl. dazu unten S. 102 f. 114 Heubeck (1981). 115 Prinz (1979).

68

3. Die homerischen Altertumswissenschaften im 20. Jh.

parallel zur Geschichte der griechischen Staatlichkeit und zum griechischen Gemeinschaftsbewußtsein, ihr Bewußtseinshorizont wird von daher geprägt. Es ist nicht zu beweisen, daß dieses geschichtliche Bewußtsein aus früheren Zeiten tradiert worden ist.

Zusammenfassung

4.

Die neuzeitliche Homerwissenschaft hat einen historischen Homer geschaffen. Das war ohne theoretische Vorstellungen nicht möglich. Verschiedene Prämissen über die Herkunft der dichterischen Sprache, des dichterischen Stoffes, von der historischen Zeit und dem historischen Publikum Homers waren dazu nötig. Diese theoretischen Vorstellungen wurden mit den epischen Aussagen zu einem produktiven Frageverhältnis verwoben. Es entstand das „Blackwellsche Problem, wie sich in jenem Zeitalter Griechenlands ein Dichter der Ilias und Odyssee habe bilden können" 116 . Verschiedene Positionen der historischen Homerinterpretation wurden erarbeitet und im gebildeten und gelehrten Streit, einer typischen Form bürgerlicher Wissenschaftlichkeit, aneinander geschärft. Im ersten Streit, der Querelle des Anciens et des Modernes, wurde einem aristokratischen Dichter von Ilias und Odyssee, dem vorbildlichen Homer, eine „poésie populaire", eine unordentliche Sammlung von Volksliedern gegenüber gestellt, mit der die homerischen Epen ebenfalls zu vergleichen wären. Man stritt um den Geschmack des homerischen Zeitalters, dessen Kultiviertheit so mancher in Zweifel zog. Die Diskrepanz zwischen dem hohen dichterischen Gehalt der Epen und der angenommenen Primitivität des frühen Zeitalters, das sie hervorgebracht hatte, wird in verschiedenen Formen den Streit um Homer beherrschen. In dem nach einem Jahrhundert auf die Querelle folgenden altertumswissenschaftlichen Streit zwischen Christian Gottlob Heyne und Friedrich August Wolf, der die Grundlagen der modernen Homerwissenschaft schuf, ging es in der Folge von Woods realgeschichtlichen Untersuchungen um die Dichtung und die Geschichte der frühen Erfindungen 117 . Dichtung in unserem Sinne sollte nach Wolf in der Frühzeit noch nicht möglich gewesen sein, da die Schrifterfindung und das Buchwesen noch in ihren Anfängen gelegen hätten. Die homerischen Epen seien ein Beispiel griechischer Volkspoesie. Das Interpretationssystem der Volkspoesie und die Idee einer frühen unverfälschten Volkstümlichkeit gewannen in der Romantik die Oberhand. Die homerische Dichtung sollte ein besonders schönes Beispiel der indogermanischen Volkspoesie darstellen. Diese Dichtung sollte - natürlich schön und auf eine naive Weise ehrlich - die Wahrheiten und Schönheiten früher Zeiten der Volksgeschichte aufbewahrt haben. Das 19. Jahrhundert, zu dessen historisch-gesellschaftlichen Grundbegriffen die Idee der Volkstümlichkeit gehörte, machte die homerische Dichtung zum Zeugnis einer 116 1,7

Zitat Wolf (1797) 184. Vgl. Ebenda 51.

70

4. Zusammenfassung

mythischen heroischen Epoche der Griechen, Indogermanen und aller in der griechischen Tradition stehenden europäischen Völker. Die Sprachund Mythenforschung und später die Archäologie konnten neue antiquarische Welten aus der Dichtung und aus dem griechischen Erdboden hervorholen. Das heroische Zeitalter, in dessen Mittelpunkt der troianische Krieg stand, wurde zu einer faszinierenden, weil vorbildlichen historischen Epoche. Die Forschungen dieser Zeit haben uns mit einer ungeahnten Welt frühgeschichtlicher Quellen konfrontiert. Aufgabe dieses Jahrhunderts scheint zu sein, diese Quellen auf ihren historischen Gehalt zu befragen und sie unabhängig von den homerischen Epen zu interpretieren. Dabei scheint es förderlich, noch einmal zu den Anfängen der homerischen Feldforschungen zurück zu blicken. Wieland warnte Ende des 18. Jahrhunderts spöttisch davor, über dem wissenschaftlichen Fortschritt die Eigendynamik der eigenen Gedanken und Vorstellungen zu vergessen: man fände immer, was man sich vorher in Gedanken festgelegt hätte 118 . Das Interpretationssystem kann, so folgerichtig es auch angelegt ist, über seinen historischen Gegenstand hinausschießen. Beispiele sind Wolfs ingeniöses Gedankengebilde von der die ganze griechische Antike umfassenden homerischen Tradition, oder die romantische Idee von der sich selbst dichtenden und bewahrenden Volkspoesie. Heyne warnte in Auseinandersetzung mit den neu aufkommenden Theorien davor, eine dichterische Quelle zu einem antiquarischen und geographischen Geschichtsbuch zu machen. Man müsse die historische Mitteilung durch den Spiegel der Dichtung sehen 119 . Diese Anleitung ist bis heute nicht veraltet. Sie läßt sich auf die verschiedenen Quellengattungen und auf die verschiedenen historischen Epochen übertragen, die die Homerforschung hervorgebracht hat. Mit den Denkmälern der mykenischen Zeit, den Denkmälern der dunklen Jahrhunderte und denen des 8. Jahrhunderts, mit der homerischen Dichtung und mit der Vorstellung von einer vorhomerischen epischen Tradition haben wir jeweils eigene historische Sinnzusammenhänge vor uns, in deren Mitte, in deren historische Sprache wir vordringen müssen. Diese Sprachen müssen in jeweils verschiedenen historischen Lebenswelten vorgefunden werden. Diese historischen Welten durch vorgeprägte theoretische Modelle zu deuten und aufeinander zu beziehen, scheint verfehlt zu sein oder läßt doch erhebliche historische Zweifel offen. Das zeigen die Zusammenfügungen der mykenischen und frühgriechischen Welt auf der Grundlage einer Volks- oder Nationalkultur, deren Überlieferung in den homerischen Epen enthalten sein soll. Es bleibt bei diesen Rekonstruktionsversuchen 118

Vgl. oben S. 24 ff., 35. Heyne (1792) XIX, XXIVf.

4. Zusammenfassung

71

eine recht leblose mykenisch-griechische Geschichte, die nur durch die homerischen Ereignisse Farbe erhält. Die Vorstellung von einer in den homerischen Epen enthaltenen frühgriechischen Nationalgeschichte bleibt Theorie. Es wäre ebenso plausibel anzunehmen, daß der rückwärtsblickende historische Sinn ein Produkt der neuen „nationalen" griechischen Geschichte ist, die im 8. Jahrhundert beginnt und deren Ideale sich in den homerischen Epen ausdrücken. Unsere Begriffe, so meine ich, müssen aufgrund der neuen Forschungslage überprüft werden und sie müssen mit den historischen Zusammenhängen, die uns die einzelnen Quellengattungen und die einzelnen geschichtlichen Zeitabschnitte immer deutlicher bieten, in ein produktives dialektisches Verhältnis gebracht werden. Dies soll im folgenden versucht werden.

Teil II. Die Archäologie der dunklen Jahrhunderte und die Frage nach den historischen Zusammenhängen zwischen der mykenischen und der frühgriechischen Kultur 1.

Vorbemerkungen. Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

Die Archäologie der dunklen Jahrhunderte steht von ihrer Wissenschaftsgeschichte her im Zeichen der Kontinuität. Schon bevor man begann, diesen Zeitraum archäologisch zu erforschen, diente er als Überlieferungszeitraum für eine möglicherweise aus dem Mykenischen stammende griechische Heldenepik. Dieser Vorgabe gemäß, wurden die archäologischen Funde nach einfachen Merkmalen des Kontinuierlichen aussortiert: Die Kontinuität einzelner Orte und die Kontinuität keramischer Formen sollten eine historische Tradition verbürgen. Mit dem Fortschritt der Archäologie aber sprach der Zusammenhang der Funde der verschiedenen Zeitabschnitte der dunklen Jahrhunderte immer weniger für kontinuierliche Zusammenhänge im Sinne einer historischen Tradition. Die nach einfachen Merkmalen des Kontinuierlichen vorgeformte Auswertung komplizierter Fundzusammenhänge macht bis heute das methodische Problem der Archäologie der dunklen Jahrhunderte aus. Man muß sich fragen, was die sogenannte Kontinuität der materiellen Kultur für die historische Frage nach den Möglichkeiten von Traditionsbildungen in jener Zeit bedeuten kann. In den großen zivilisatorischen Zusammenhängen (Sprache und Technologie) der Zeit zwischen Mykene und Homer läßt sich zwar ein gewisser Zusammenhang feststellen, kulturgeschichtlich aber lassen sich die dunklen Jahrhunderte in zwei verschiedene Epochen unterteilen, eine nachmykenische und eine frühgriechische. In der Entwicklung der Kultur zwischen Mykene und Homer ist ein Bruch festzustellen: Im Nachmykenischen (ca. 1200-ca. 1125) löst sich der mykenische Kulturzusammenhang zunehmend auf, im Protogeometrischen (ca. 1050-ca. 900), das aus einem ,submykenisch* genannten Kulturhiat (ca. 1125-ca. 1050) entstanden ist, wird eine Tradition begonnen, die neuen, eigentümlichen Mustern folgt 1 . Die Argumente für eine Kontinuität der Kultur in den dunklen Jahrhun1 Alle relativen Daten folgen Snodgrass (1971). Vgl. ebenda 360ff. zu den Merkmalen der „geometrischen" Tradition. Zu den Kulturabschnitten der dunklen Jahrhunderte vgl. auch: Schnapp (1974); Sarian (1989); Patzek (1990:1).

74

1. Vorbemerkungen, Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

derten beziehen sich heute auf die großen zivilisatorischen Zusammenhänge, etwa die Sprachgeschichte oder die Geschichte des Siedlungsraumes. Die Frage nach den Tradierungen einzelner kultureller Formen wird dagegen unterbelichtet. Man könne zwar eine Diskontinuität in den höheren kulturellen Strukturen bemerken, aber das sei unwichtig für die Frage nach der homerischen Tradition, so Latacz, denn man könne sich auf ein Grundfaktum der Kontinuität berufen. Diese höhere Kontinuität drücke sich in den „Basisstrukturen des Ethnos, der Sprache, des Siedlungsraumes, der Nahrungsquellen u.s.w." aus. Auch Religion und Mythos seien Ausdruck dieser Kontinuität; sie sei vom griechischen Adel in Familienerinnerung und in einer gemeinsamen gesellschaftlichen Wertewelt durch die Jahrhunderte getragen worden 2 . Dieser weit verbreitete Ansatz, die homerische Tradition zu rekonstruieren, geht von einigen zivilisatorischen Kontinuitäten aus und verbindet damit, ohne Beweis, die Tradition des gesellschaftlichen und geschichtlichen Bewußtseins. Latacz nimmt wie andere an, daß ein gemeinsames Volkstum die Geschichten der frühgriechischen und der mykenischen Zeit verbinde, und daß dieses Volkstum „wie in jeder Nationalgeschichte" eine zeitlose historische Größe sei, die in jedem geschichtlichen Untersuchungsfeld zur apriorischen Sinnstiftung eingesetzt werden könne 3 . Dieses historistische Paradigma ist, wie ich gezeigt habe, durch das 19. Jahrhundert eng mit der Geschichte der „homerischen Frage" verbunden. Man setzte den historischen Zusammenhang, die große Entdeckung jener Zeit, mit dem Geist einer Kultur und dem Geist des Volkes gleich, das sich als Träger der Kultur definierte. So kam es dazu, daß jeder Fund zwischen Mykene und Homer zum Beweis für eine gesellschaftlich-historische Kontinuität zwischen diesen beiden Zeitaltern erhoben werden konnte. Heute ist diese Begriffsbildung obsolet geworden. Die modernen Autoren wie Latacz benennen mit dem Begriff des Volkstums ein geschichtliches Traditionsbewußtsein; sie meinen einen traditionsgeleiteten historischen Zusammenhang, den man oft oberflächlich als Produkt des „Volkstums" bezeichnet. Der Begriff des Traditionsbewußtseins bedeutet aber, daß sich eine Gemeinschaft in einer bestimmten Kulturphase als eine geschichtliche Gemeinschaft erfährt und ihr herkömmliches Brauchtum zum Zeichen dieses Gemeinschafts- und Geschichtsbewußtseins bestimmt. Es handelt sich um eine historische Synthese, die nicht aus einer zivilisatorischen Kontinuität hervorgeht. Sie entsteht dadurch, daß sich die Menschen einer Gemeinschaft in einem gemeinsamen herkömmlichen Bewußtsein einen gemeinsamen Namen geben, der oft ein Volksbegriff ist und 2

Zitat Latacz (1985) 54. Diese Prämisse ist so weit verbreitet, daß sie nicht hinterfragt wird. So auch bei der kritischen „New Archaeology": vgl. Morris (1987) 2. 3 Zitat Ebenda S. 58.

1.1 Sprachgeschichte und Kulturgeschichte

75

der oft von Autochthonie- oder Einwanderungsvorstellungen ausgeht, da geschichtliches Bewußtsein immer einen Anfang und eine Raumvorstellung verlangt. Die menschlichen Gemeinschaften aber erfahren diese Gemeinschaftlichkeit in der sie verbindenden Kultur bewußt erst an einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Geschichte, benennen sich danach und tradieren ihren Namen und ihre Erfahrungen weiter im Sinne eines realen oder mythischen Geschichtsbewußtseins 4 . Kontinuität zwischen „Mykene" und „ H o m e r " würde heute heißen, daß wir ein Traditionsbewußtsein und ein Geschichtsbewußtsein zwischen den beiden Zeitaltern voraussetzen müssen, ein Bewußtsein, das die dunklen Jahrhunderte überdauert hätte. Nicht zufällig bemüht man heute oft einen mykenisch-griechischen Adel, der die dunklen Jahrhunderte überdauert und in Erinnerung und im Bewußtsein gemeinschaftlicher Werte die eigentliche geschichtliche Kontinuität getragen haben soll. Wir brauchen menschliche Bewußtseinsträger, also eine menschliche Gemeinschaft, die das geschichtliche Wissen aus Mykene über die dunklen Jahrhunderte tradiert hätte. Gesellschaftliche Kontinuität bringt Tradition, ein sinnvoll zusammengesetztes übertragenes Wissen hervor. Zivilisatorische Kontinuität dagegen nur zufälliges Wissen oder hoch abstrahierbare zivilisatorische Formen wie sie die Sprachfamilien vermitteln. Die Vorraussetzung einer Kontinuität zwischen Mykene und Homer enthält eine (unbewiesene) Maximalvorstellung von gesellschaftlicher Tradition und geschichtlicher Überlieferung. Diese Voraussetzung muß zunächst durch die Analyse der archäologischen Kulturabfolgen und die Analyse der Sprachgeschichte in den dunklen Jahrhunderten bewiesen werden. Diese Analyse muß zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zivilisatorischer Kontinuitäten und bewußten historischen Traditionsbildungen unterscheiden.

1.1

Sprachgeschichte und Kulturgeschichte

Mit der Kontinuität der Sprache wird oft der Gedanke von einer nationalen Kontinuität verbunden. Dabei wird selten geklärt, welchen sprachlichen Kulturzusammenhang man mit „Sprache" bezeichnet. Ob die Tradition der Sprachformen, die in den homerischen Epen enthalten sind, bis ins Mykenische zurückreicht, bleibt unbewiesen. Man kann das sprachliche Amalgam der homerischen Kunstsprache nicht zum primären Beweis für eine Überlieferungstradition zwischen Mykene und Homer erheben. Die Frage nach dieser Überlieferungstradition kann erst dann erwogen werden, wenn feststeht, daß es zwischen der mykenischen und der früh4

Dazu allgemein: Bausinger (1969).

76

1. Vorbemerkungen, Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

griechischen Kultur eine Tradition bestimmter Sprachformen, der Dialekte etwa oder des poetischen Sprechens gegeben hat. Die allgemeine Geschichte einer Sprache ist aber ebenso komplex wie jede Zivilisationsgeschichte. Der große Zusammenhang der Sprachgeschichte bürgt nicht für die einzelnen Traditionsverläufe, die Dialektgeschichte oder die Traditionen des Erzählens, gar des poetischen Erzählens 5 . Mit einer größeren Sprachgemeinschaft ist nicht notwendig eine geschichtliche Tradition verbunden. Die Sprache stellt zunächst einen Zivilisationskreis dar und keinen Traditionskreis, wie der einzelne Dialekt, die häusliche, öffentliche oder religiöse Sprache, oder gar die erzählende und die poetische Sprache. Die Sprachgeschichte vom Mykenischen zum Frühgriechischen verläuft im einzelnen nicht kontinuierlich. Die frühgriechischen Dialekte gehen nicht direkt aus dem mykenischen hervor, selbst die dieser Sprache am nächsten stehenden südgriechischen Dialekte sind von einem „nordgriechischen" beeinflußt und umgestaltet worden 6 . In die Zeit der dunklen Jahrhunderte fällt nach Risch die Entwicklung wichtiger Gestaltmerkmale der griechischen Sprache: Die Labiovelare werden beseitigt, das Kasussystem wird umgestaltet. In diesem Zusammenhang entstand wahrscheinlich auch der bestimmte Artikel 7 . Die Umwandlung der Sprache zeigt sich auch in neuen Assimilationsvorgängen; mykenische Entwicklungen werden, z.B. bei der Assibilation, verlassen und im Frühgriechischen auf einer primitiveren Entwicklungstufe neu begonnen. Es werden Formen gebildet, die nicht aus dem Mykenischen hergeleitet werden können 8 . Wie kann man diese Sprachgeschichte auswerten? In der Geschichte der Sprache zwischen dem Mykenischen und dem Frühgriechischen zeigt sich keine lückenlose Kontinuität; der Rhythmus des Tradierens ist in mehreren Entwicklungslinien gestört; man findet diachrone Prozesse, die darauf hinweisen, daß die Bevölkerung in dem ehemals mykenischen Sprachgebiet in ihrer Zusammensetzung nicht gleich geblieben ist, daß vielmehr verschiedene Dialektträger zusammengekommen sind und die alte Sprachkultur gestört haben. Das war wohl der Anfang einer Rückentwicklung der Sprachkultur, auf deren Basis die frühgriechischen Dialekte sich dann erst aufbauten. Dieser Einschnitt ist nicht marginal, sondern er be-

5

Vgl. Hoekstra (1981) 33ff., 42. Allgemein: Mühlmann (1985) 9 f f . ; Narr (1985) 57 ff. 6 Risch (1980) 91 ff. 7 Risch (1985) 165 ff. Anders Ruijgh (1989). Er nimmt eine durch die angenommene homerische Tradition bewiesene kontinuierliche Sprachgeschichte an. Die Dialektdifferenzen zwischen dem Mykenischen und dem historischen Griechischen seien Ereignisse, die zur Lebensgeschichte einer jeden Sprache gehörten. 8 Heubeck (1985) 159 ff.

1.1 Sprachgeschichte und Kulturgeschichte

77

trifft den Funktions- und Bedeutungskreis der Sprache 9 . Der Sinnzusammenhang der Kontinuität ist in diesem Fall gering: Der größere Umriß der Sprache ist zwar erhalten geblieben, die einzelnen Gestaltungen sind aber einem Wandel unterworfen worden, aus dessen Qualität erst das Frühgriechische hervorgeht. Nicht jede Bevölkerungsumbildung bringt aber wie hier, im Anfang der dunklen Jahrhunderte Dialektverschiebungen oder gar neue Dialektgruppen hervor. Die Dialektbildungen und -bewahrungen sind kulturelle Phänomene, die an historische und gesellschaftliche Bedingungen geknüpft sind 10 . Wenn die Kultur der Einwanderer nur schwach ausgeprägt, die Kultur im Einwanderungsgebiet aber hoch entwickelt ist, dann wird diese die Einwanderer dominieren. In der kulturellen Assimilation verschwinden auch die Spuren der Sprache ehemaliger Einwanderer. Der mykenische Dialekt zeigt beispielsweise keine Zeichen von Einwandererdialekten. Die Konsistenz und Kontinuität der Sprache der Linear-B Tafeis spricht dafür, daß die mykenische herrschende Schicht für den Erhalt ihrer Schriftsprache sorgte. Das Gegenbild dazu finden wir in der Wanderungsgeschichte nach 1200 und ihrem Resultat, der neuen Dialektgeographie. Die damit verbundenen Migrationen müssen bevölkerungsreich und das Einwanderungsgebiet muß kulturarm gewesen sein. Der mykenische Dialekt scheint nicht mehr dominiert zu haben. Eine mykenische Oberschicht, die an der alten Sprache festgehalten hätte, ist nicht auszumachen. Die gemeinsamen Merkmale der frühgriechischen Dialekte müssen in der Zerfallszeit der mykenischen Kultur entstanden sein, bevor sich eine neue Geographie der Dialekte, also festere historische Traditionen, gebildet hatten. Daher muß man schon in den frühen dunklen Jahrhunderten eine Bevölkerungsumschichtung annehmen, die die ehemaligen Kulturräume verändert hatte". Mit dem Ende der mykenischen Verwaltungspraxis, das sich in dem Verschwinden der Schrift äußert, wird auch der dichte hochkulturelle Zusammenhang der mykenischen Kultur und Sprache zerfallen sein. Es scheint in den frühen dunklen Jahrhunderten keinen kontinuierlichen sprachkulturellen Zusammenhang mit dem Mykenischen zu geben, der das dichte innere Geflecht der Kultur und deren Qualität einschließen würde.

9

Ebenda 164ff.; ders. (1979) 227ff. So Risch (1980) 93 f., 101 ff. 11 Ebenda 109 f. 10

78

1. Vorbemerkungen, Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

1.2

Kontinuität, Tradition und Erinnerung

Der Überblick über die Sprachgeschichte zeigt, daß der Kontinuitätsbegriff für verschiedenes verwendet werden kann, für den großen zivilisatorischen Zusammenhang - die sogenannte kulturelle Durchlässigkeit - und für den Traditionsfaden des kulturgeschichtlichen Zusammenhangs, der sich z.B. in der Geschichte eines Dialekts widerspiegeln kann. Der Begriff ,Kontinuität' ist ein Schlagwort, das in der Geschichte der Traditionen immer trifft, weil es für diese zu groß ist. Man kann mit ihm keine spezifischen historischen Zusammenhänge beschreiben. Die historische Entwicklung, die im Zusammenhang mit der „homerischen Frage" gesucht wird, setzt Bedingungen. Wir fragen, ob es eine Erinnerung, gar eine historische Tradition zwischen Homer und Mykene gegeben habe. Danach müssen wir den Kontinuitätsbegriff ausrichten. Diese Frage führt zunächst in die Theorie der Tradition. Der Kontinuitätsbegriff wurde Anfang dieses Jahrhunderts geprägt, um der historistischen Kulturtheorie, dem Begriff von den autonomen nationalen Kulturen, entgegenzuwirken. Der Begriff der Kontinuität setzte diesem Autonomiebegriff den Zusammenhang der weltgeschichtlichen Kulturen entgegen. Man unterschied bei seinem Gebrauch zunächst nicht die historischen Qualitäten der verschiedenen Zusammenhänge, die man entdeckte, etwa die Kulturtradition von dem zivilisatorischen Fortschritt und diesen von einem Traditions- und Geschichtsbewußtsein 12 . Die Kritik an diesem weitläufigen Kontinuitätsbegriff unterscheidet zwischen Zivilisation und Kultur. Die Kultur steht der geschichtlichen Epoche näher als die Zivilisation, die man mit dem weltgeschichtlichen Fortschritt gleichsetzen kann 13 . Die Kulturgegenstände (Realien), die in beiden Zusammenhängen tradiert werden können, nehmen darin verschiedene Funktionen wahr. Der Kulturzusammenhang ist ein dichtes System, in dem die Realien in einem inhaltlichen Sinnzusammenhang stehen, der von einer geschichtlichen Gemeinschaft getragen wird. Im Zivilisationszusammenhang können bestimmte Realien als Formen überleben, Ideogrammen gleich, die verschiedenen Deutungen dienen können. Den inneren Zusammenhang der Kulturen wird man nach den geschichtlichen Gemeinschaften bestimmen müssen, die sie tragen. Die Kulturen können je nach der Sozialwelt größere und kleinere Gebilde sein, Herrschaftskulturen und sogenannte Volkskulturen. Zwischen diesen Kulturen kann es einen Austausch geben, besonders wenn sie zur selben Zeit und am selben Ort gebräuchlich sind und wenn sich Bezüge zwischen den so12 13

Zur Begriffsgeschichte vgl. Bausinger (1969) 9 ff. Vgl. Mühlmann (1952) 107 ff.

1.2 Kontinuität, Tradition und Erinnerung

79

zialen Welten bilden. Dann werden Kulturgegenstände übernommen, Sitten und Gebräuche nachgelebt, kopiert, verworfen oder sogar karikiert 14 . Dabei bleiben die Funktionen und Sinngebungen, die mit den Kulturgegenständen verbunden waren, teils erhalten, teils werden sie durch die Übernahme verändert, teils bewußt umgestaltet. Je weiter die sich beeinflussenden Kulturen voneinander entfernt sind, je weniger Funktionen und Sinngebungen werden bei den Übernahmen übertragen. Die Realien behalten dann als zivilisatorische Errungenschaften einen nützlichen Wert. Die mit diesen Übernahmen verbundenen Zivilisationswanderungen kann man zwischen verschiedenen Kulturen und über große Zeiträume hinweg beobachten. Diese Kontinuitäten gehören zum Bereich des zivilisatorischen Fortschritts. Auch bei der geistigen Kontinuität, die zwischen Mykene und Homer angenommen wird, muß man nach zivilisatorischen und kulturellen Zusammenhängen unterscheiden. Das Produkt dieser Kontinuität wäre die geschichtliche Erinnerung an den Troischen Krieg und seine historischen Umstände. „Erinnerung" ist an die Identität einer geschichtlichen Gemeinschaft gebunden. Die Forschungen zur „Oral History" zeigen, daß es die Erinnerung, die alles Erlebte um der Sache Willen behält, in der sozialen Welt nicht gibt 15 . Erinnerung setzt Sinngebung und Bestätigung dieser Sinngebung voraus. Die geschichtliche Erinnerung, die wir im Hintergrund der homerischen Tradition voraussetzten, setzt eine größere politische Gemeinschaft voraus, denn es handelt sich bei dem Erinnerungsgegenstand um ein allgemein bedeutendes Ereignis, einen großen Krieg zwischen koalierenden Gegnern, von Heerführern geleitet, die einem bestimmten kriegerischen und sozialen Code folgen. Dieser historische Zusammenhang muß, wenn er zum Gegenstand einer Erinnerung geworden ist, in der Kontinuität einer sozialen und politischen Welt bewahrt worden sein. Das gilt auch im Falle einer in einem Heldengedicht tradierten Erinnerung. Auch diese Dichtung muß, wie Murko gezeigt hat, in einer sozialen Welt verständlich und anschaulich sein 16 . Um etwas anderes handelt es sich, wenn wir „Erinnerung" in dem Phänomen der kulturellen Durchlässigkeit suchen. Dann handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um Erinnerung, oder um Oral History, sondern um die Traditionswanderung einfacher literarischer Formen. Eine Legende oder gar eine Sage soll vom mykenischen in den frühgriechischen Kulturzusammenhang gewandert sein. Eine „einfache Form" der Literaturgeschichte wandert als Erzählform durch verschiedene historische Traditio14

Verschiedene Beispiele aus der Volkskunde: Bausinger (1969) 18ff. Zur Sozialgeschichte der Erinnerung vgl. Halbwachs (1925); Schütz (193). Zur „Oral History" vgl. Niethammer (1985) 20ff. 16 Vgl. oben S. 50 f. 15

80

1. Vorbemerkungen, Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

nen und Sinnzusammenhänge. Dabei wird ein mögliches Memorai, das in die Sage oder das Märchen Eingang gefunden hat, umgedeutet; der mögliche Erinnerungsanteil ist bei solchen Formen nur schwer, meistens überhaupt nicht zu bestimmen 17 . Beim Verallgemeinern der „homerischen Frage" auf mögliche historische Zusammenhänge müssen wir zwischen der Traditionswanderung dem Zivilisationszusammenhang - und dem geschichtlichen Kulturzusammenhang zwischen dem Mykenischen und dem Frühgriechischen unterscheiden. Nur in diesem können wir einen inhaltlichen Zusammenhang, einen Zusammenhang von historischen Sinngebungen voraussetzen, der der angenommenen epischen Tradition entspräche. Bei einer Traditionswanderung zwischen Mykene und Homer hingegen hätten wir nur mit einer Wanderung einiger kultureller Formen zu rechnen, die nicht auf ein organisches System von Tradition schließen und daher auch nicht auf ein gegenseitiges Vorhandensein rückschließen lassen. Diese Erwägungen sind zunächst theoretisch. Sie können für die homerische Frage nur mit Hilfe der Archäologie nachgewiesen werden. Wie kann die archäologische Fundauswertung mit der Suche nach historischen Traditionen verbunden werden? Wie können wir in der Archäologie Zivilisation und Tradition als verschiedene Formen der Kontinuität unterscheiden?

1.3

Das archäologische Beweismaterial: Realien, Typologien und Tradition

Die archäologischen Kulturen sind für den Historiker „stumme" Kulturen, sie überliefern keine Selbstdeutungen der Menschen der Vergangenheit und vermitteln keinen unmittelbaren Eindruck von deren besonderen historischen Sinngebungen. Menschliche Selbstdeutung und Sinngebungen menschlicher Handlungen gehören aber zu den Komponenten der Geschichte, der Erinnerung und zu den Strukturen der Erzählung. Daher ist es schwer, den von der „homerischen Frage" vorgegebenen geschichtlichen Zusammenhang mit den archäologischen Kulturabfolgen der dunklen Jahrhunderte zu verbinden. Die archäologischen Funde kann man zu den Kulturgegenständen (Realien) zählen. Meistens handelt es sich bei ihnen um kulturelle Einrichtungen, Lösungen menschlicher Lebensbedingungen, die im Falle der gegenständlichen Kultur oft dem leiblichen menschlichen Daseinsbereich entspringen. Die Gegenstände menschlicher Kultur unterstützen als Hilfsmittel die menschlichen Tätigkeiten oder dienen als Gerätschaften bei Ritualen und Zeremonien verschiedener Art. Beim Gebrauch wird ihnen dar17

Vgl. Ranke (1965), (1969); Röhrich (1966) 4ff.;

1.3 Das archäologische Beweismaterial

81

über hinaus eine Wertschätzung zuteil. Sie ist oft mit der Bedeutung von Besitz oder mit der Bedeutung des Brauchtums verbunden, zu dem der Gegenstand gehört. Der archäologische Gegenstand drückt das nicht unmittelbar aus. Wie jede kulturelle Realie ist er konkret, ja dinglich, er ist aber als Realie menschlicher Kultur Teil eines Sinnzusammenhangs, er hat bestimmte Funktionen, Bedeutungen werden mit ihm assoziativ verknüpft. Die Form des Gegenstandes kann durch verschiedene Kulturen und Zivilisationen wandern. Diese Wanderungen sind oft auf die „technische Lösung" zurückzuführen, die in dem Gegenstand als Lösung einer menschlichen Daseinsbedingung liegt. Dagegen kann man selten feststellen, daß die mit dem Gegenstand in der ursprünglichen Kultur verbundenen Funktionen und Bedeutungen bei solchen Wanderungen unverändert erhalten bleiben18. Wenn man die archäologischen Kulturen historisch auswerten will, muß man zwischen dem gegenständlichen Kontinuum, das man unmittelbar aufzeichen kann, und dem geschichtlichen Zusammenhang der Bedeutungen und Funktionen unterscheiden, der in dem Kontinuum liegen kann oder auch nicht. Dazu liefert die archäologische und die frühgeschichtliche Methode ein recht zuverlässiges Hilfsmittel. Die prähistorische Typologie und die archäologische Stilgeschichte zeigen auf verschiedene Weise Traditionsbildungen an, die einem bestimmten Rhythmus des Tradierens folgen. Typologie und Stilkunde sind Methoden, die sich mit den formalen Eigenschaften von Gegenständen beschäftigen, die als menschliches Gerät Produkte menschlicher Herstellung, Handwerksprodukte, sind. Typenreihen und Stilgeschichten bezeichnen Raum und Zeit solcher Handwerkskulturen. Nach dem historistischen Kulturmuster waren damit auch geschichtliche Epochen und geistesgeschichtliche Einheiten gekennzeichnet. Heute verbindet man mit dieser Evidenz ein heuristisches Konzept19. Wir können mittels der Typenreihen oder der Stilabfolgen nicht notwendig auf einheitliche Kulturen im Sinne des Historismus schließen. Selbst die Frage nach der kulturellen Kontinuität oder Diskontinuität läßt sich der einzelnen formalen Beobachtung, einer Typenreihe beispielsweise, nicht abringen. Prähistorische Typenreihen können ihren gemeinsamen Nenner in einer „technischen Lösung" haben. Solche Typenreihen sind über lange Zeiträume und über große geographische Ausdehnungen zu verfolgen. Typenreihen können aber auch die komplexe Machart eines Gerätes bezeichnen, 18 19

Bausinger (1969) 11 ff., 17 ff. Narr (1978) 21 ff.; Eggert (1978) Iff.; Lüning (1976) 174ff.

82

1. Vorbemerkungen, Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

die ganze Handschrift einer Handwerkstradition. Ja, sie können sogar das ästhetische Moment der Herstellung erfassen, das Kunstschöne, das mit den Produkten des Handwerks verbunden ist. Diese Typenreihen sind in Raum und Zeit enger begrenzt als die zuerst genannten, denen die „technische Lösung" zugrunde liegt. Man wird in dieser Differenz den graduellen Unterschied zwischen der zivilisatorischen Kontinuität und dem kulturgeschichtlichem Zusammenhang ansetzen können. Man kommt an die Kultur, den geschichtlichen Traditionszusammenhang, näher heran, wenn die typischen Merkmale der Formen sich verdichten und wenn diese nicht allein durch technische Erfordernisse zu bestimmen sind, wenn die Besonderheiten des Stils hinzukommen und auf einen funktionalen Sinn und auf eine gesellschaftliche Wertewelt schließen lassen. Die Wertschätzung, die sich in der Schönheit der Form gegenständlich äußert, wäre mit einer geschichtlichen Gesellschaft der Auftraggeber und mit bestimmten inhaltlichen Werten und Sinngebungen zu verbinden. Diese Inhalte erschließen sich nicht aus der formalen Betrachtung. Die Annahme, daß sie für formale Besonderheiten verantwortlich sind, macht aber das heuristische Konzept der prähistorischen Typenforschung aus. Vor allem der Kunstcharakter der Werke läßt darauf schließen, daß sie als Gegenstände ästhetischer Wertschätzung auch eine soziale Bedeutung hatten 20 . Die Geschichtlichkeit einer Typenreihe läßt sich noch näher einkreisen, wenn man weitere typische Zusammenhänge findet, die mit ihr in einem Raum-Zeit-Zusammenhang verbunden werden können. Wenn man nur wenige gleichverlaufende Typenreihen feststellen kann und wenn diese sich vor allem technisch erklären lassen, wird man von wenigen Kontinuitäten in einem komplexen Feld von Diskontinuitäten sprechen müssen. Wenn man aber ein dichtes Netz von Typenreihen verfolgen kann, wenn sich die Typologie bis auf formale und stilistische Besonderheiten ausdehnen läßt, dann kann man von einem kulturellen Zusammenhang sprechen, der Parallelen in gleichverlaufenden historischen Zusammenhängen haben kann. Kontinuität, Diskontinuität, Kulturveränderung und Kulturunterbrechung sind für den Prähistoriker graduell verschiedliche Begriffe, sie entsprechen der quantifizierenden und qualifizierenden formalen Beobachtung, von der man dann abstrakt auf mögliche historische Prozesse schließen kann 21 . Die kunstwissenschaftliche Stilgeschichte wertet die künstlerische Qualität einer Reihe von Werken aus. Auch diese Methode geht typologisch vor, eine kunsthandwerkliche Entwicklung wird an einem idealen Typus

20 21

Narr (1973) 36, 39ff., 56ff. Lüning (1976) 176ff.

1.3 Das archäologische Beweismaterial

83

ausgerichtet 22 . Die künstlerische Qualität eines gegenständlichen Werkes weist auf eine Kultur des Handwerks und auf eine Kultur des Geschmacks (des Stilgefühls) bei den Benutzern der Handwerksprodukte hin. Die Artefakte werden in menschlichen Gemeinschaften häufig mit Wertvorstellungen ausgestattet, sie repräsentieren die gesellschaftliche Selbstauffassung ihrer Besitzer. Allerdings ist auch diese inhaltliche Dimension nur assoziativ mit dem Artefakt verknüpft. Mit der Feststellung eines Stils ist nicht unmittelbar dessen gesellschaftsgeschichtliche Auslegung verbunden. Nur die Frage danach ist aufgetan. Durch die Aufnahme der Handwerksprodukte in der Gesellschaft wird das Handwerk gefördert, es kann sogar ein gesellschaftlich geschätztes Künstlertum entstehen. Innerhalb des Handwerks wird der Antrieb gefördert, den so hoch geschätzten Stil der Werke zu vervollkommnen, gar zu übertreffen. Handelt es sich um eine schnelle Entwicklung der Qualität, kann man die Werke der Meister- und der Schülergenerationen unterscheiden, dann können die Archäologen von handwerksgeschichtlichen Abläufen sprechen. Ein solcher geschichtlicher Ablauf muß wiederum nicht unbedingt mit anderen historischen Abläufen, etwa einem gesellschaftsgeschichtlichen oder geistesgeschichtlichen gleich verlaufen, er muß auch nicht dieselben Epochengrenzen anzeigen. Die Stilkunde gehört zur Kulturforschung, sie kann aber die Kulturanalyse nicht ersetzen, wie es in einer historistischen Geistesgeschichte noch möglich war. Auch der Stilbegriff hat heute vor allem einen heuristischen Wert. Die Geschichte kunsthandwerklicher Qualität hat eine eigene Geschichte. Sie läßt jedoch auf die Wirkungen anderer kultureller und gesellschaftlicher Faktoren schließen und damit indirekt auf den Verlauf eines historischen Zusammenhanges. Die folgende Darstellung der Kulturgeschichte zwischen dem Mykenischen und dem Frühgriechischen kann sich fast nur an archäologischen Befunden orientieren. Auf geschichtliche Inhalte kann daraus nur mit Hilfe der Theorie geschlossen werden. Eine solche historische Deutung kann nicht anschaulich sein, sie bleibt immer auf der Ebene der Abstraktion. Das steht dem historischen Erzählen entgegen. Da aber das homerische Epos mit seinem geschichtlichen Sinn einen jeden dazu einlädt, eine Vorgeschichte der homerischen Zeit zu denken, muß eine solche theoretisierende Erzählung gewagt werden. Diese Erzählung orientiert sich an den Gegenpolen der zivilisatorischen und der kulturellen, geschichtlichen Kontinuität. Die Typendeutung der kulturellen Realien ist der heuristische Pfad dieser Darstellung. Die Typenbildung der Realien wird auf die 22

Himmelmann-Wildschütz (1960).

84

1. Vorbemerkungen, Kontinuität, Tradition und historische Erinnerung

Frage nach den Lebensformen bezogen, die sich in den geschichtlichen Zusammenhängen bilden und die, wenn sie tradiert werden, den Sinnzusammenhang einer geschichtlichen Tradition bilden. Es steht also immer der Form die Frage nach ihrem Inhalt, die Frage nach ihrer Einbettung in die Sinngebungen einer Tradition gegenüber.

2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten. Kontinuitäten und Diskontinuitäten Die Völkerwanderungsbewegung um 1200 bedeutete für die Kulturen der östlichen Mittelmeerwelt einen Zivilisationsbruch. Diese historische Katastrophe war gravierender und folgenreicher als die mit dem Untergang des römischen Reiches verbundene geschichtliche Katastrophe 1 . Das hatte wahrscheinlich weniger mit der Qualität der Ereignisse zu tun als mit dem Zustand der Zivilisationen zu jener frühen Zeit. Mehrere Kulturen verschwanden unter dem Ansturm von Einwanderern und Belagerern: Die mykenischen Burgen mit ihren Verwaltungszentren verschwanden ebenso wie Bogazköy, das Zentrum des Hethiterreiches mit seinen herrschaftlichen und ökonomischen Strukturen. Auch Troia wurde zerstört, Ugarit und das zyprische Enkomi wurden ausgelöscht. Ein Weiterleben der herkömmlichen geschichtlichen Strukturen gab es nur dort, wo die alten Reiche sich militärisch verteidigen konnten, in Ägypten, Assyrien und Babylonien. Allerdings überlebten auch diese Staaten auf „Sparflamme", es ist wenig Überlieferung aus dieser Zeit auf uns gekommen 2 . Nur in diesen Refugien blieb das kulturelle Wissen erhalten, das schriftlich aufbewahrte Wissen und auch das gesellschaftliche und herrschaftliche Wissen. Dieses Wissen konnte im herrschaftlichen und religiösen Zeremoniell und in einer kaum gestörten Lebenspraxis bewahrt und weitertradiert werden. Außerhalb dieser Schutzzonen aber hat sich die orientalische Welt in den dunklen Jahrhunderten verändert, besonders im syrisch-phönikischen Bereich. Die Kontakte mit dem Orient, die man schon früh in den dunklen Jahrhunderten in Griechenland belegen kann, kommen nun aus den phönikischen Städten und bringen neben Artefakten die Alphabetschrift und neue literarische Anregungen in das frühe Griechenland 3 . Die innovativen orientalischen Einflüsse stehen in keinem Zusammenhang mit den Einflüssen aus dem Orient, die das mykenische Griechenland erfuhr. Die altorientalischen Herrschafts- und Verwaltungsformen spielten im mykenischen Griechenland eine große Rolle, sie sind im frühen Griechenland verschwunden. Die orientalischen literarischen und bildkünstlerischen Einflüsse im frühen Griechenland gehen dagegen nicht auf die alten Ver-

1 2 3

Vgl. Braudel (1985) 73 ff. Labat (1967) 9ff. Burkert (1984).

86

2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten

mittlungswege zurück, diese sind im ersten Jahrtausend neu erschlossen worden 4 .

2.1

Das Ende der mykenischen Palastkultur

Wie stellt sich die Geschichte der frühen dunklen Jahrhunderte im mykenischen Kulturbereich dar? Mit der Organisationsform, die wir mit dem Begriff der Palastkultur verbinden, ist ein historischer Funktionskreis aufgelöst worden. Herrschaft, Gesellschaft, Lebensweise und Wirtschaft waren von einem Verwaltungswesen bestimmt, das vom Palast, einem Herrschaftszentrum, ausging5. Auch wenn das mykenische Kulturgebiet nach dem Fall der Paläste weiterbesiedelt wurde, müssen wir doch bei diesem Zerstörungsereignis von einem Ende sprechen. Der funktionale Befund, der Verlust des Verwaltungszentrums und des Verwaltungswesens, wiegt schwerer als der quantitative, die Fortexistenz der Siedlung. Per Àlin hat das Ende der historischen Struktur „Mykene" von der Weiterbesiedlung des mykenischen Kulturgebietes in diesem Sinne unterschieden 6 . Diese Weiterbesiedlung spielt sich zudem auf einem geringeren kulturellen Niveau ab. Âlin weist darauf hin, daß die einst um die mykenischen Paläste gruppierten Siedlungen, die von der mykenischen palatialen Verwaltung organisiert worden waren, nach deren Ende dramatisch zurückgingen. Nach Renfrews theoretischen Überlegungen kann man schließen, daß mit den mykenischen Burgen/Palästen - ähnlich wie in Kleinasien und Syrien - hochorganisierte und „streßanfällige" historische Strukturen gestört wurden und zerfallen sind. Sie versagten militärisch und hatten kein kulturelles Hinterland, das sie bei ihrem Wiederaufbau mit kulturellem Wissen hätte unterstützen können 7 . Dieses Ergebnis scheint sich in der Bodenforschung zu bestätigen, die sich mit den Spuren der landwirtschaftlichen Nutzung und Arbeitsweise in mykenischer und spätmykenischer Zeit befaßt 8 . Spezialisierung und übermäßige Nutzung scheinen schon in mykenischer Zeit eine Regression der Produktion eingeleitet zu haben, die im Spätmykenischen zu einem Zusammenbruch der agrarischen Wirtschaft führte. Auf Grund dessen mußten etliche Siedlungen aufgegeben werden. Damit war für viele Menschen die ehemals sichere Lebensweise verloren gegangen. Die neu erbauten spätmykenischen Siedlungen sind geringer an Zahl und an Einwohnerstärke. Man kann vermuten, daß einige der ehemaligen Siedler ein 4 5 6 7 8

Burkert (1983) 5Iff. Renfrew (1972) 288ff.; Sarkady (1975) 107-116. Àlin (1977) 33 ff. Renfrew (1978) 203 ff. Betancourt (1976) 40ff.; Kilian (1982) 166ff.; Kroll (1984) 211 ff.

2.1 Das Ende der mykenischen Palastkultur

87

Wanderleben begannen. Weder diese noch neu eingewanderte Siedler scheinen in der Lage gewesen zu sein, die herkömmliche Lebensform oder die damit verbundene herrschaftliche Organisation wieder einzurichten. Es ist wichtig festzuhalten, daß es im ägäischen Raum keine Fundstätte gibt, die nahelegen könnte, daß mögliche mykenische „Auswanderer" versucht hätten, ihre herkömmliche Lebens- und Staatsform wiederherzustellen9. Können wir aber annehmen, daß sie ihre „ideellen" Lebensformen, Gesellschaftlichkeit, Wertewelt, historische Identität und Erinnerung, in den neuen Lebensverhältnissen bewahrt haben? Die zentrale Frage ist, ob die mykenische Gesellschaftsstruktur die Zerstörung der Burgen, die Auflösung der Palastorganisation, überlebt hat. Auch wenn „Gesellschaft" heute zu einem historischen Schlüsselbegriff geworden ist, ist die damit bezeichnete historische Struktur keine Konstante, die von historischer Wirklichkeit und von historischem Wandel nicht berührt würde. Wir bezeichnen im Falle Mykenes mit Gesellschaft eine bestimmte Form des Sozialsystems, ein Gemeinwesen, das hierarchisch strukturiert gewesen ist. Die Hierarchie ergab sich, soweit wir das den Schrifttafeln entnehmen können, aus der Verteilung ökonomischer Mittel. Diese elitäre Struktur wurde wahrscheinlich durch Institutionen, Normen, Werte und andere höhere Kulturformen an das gesamte Gemeinwesen vermittelt, wenn man den gegenwärtigen theoretischen Ableitungen von Gesellschaftlichkeit folgen will10. Dabei, ich theoretisiere weiter, wird die herrschende Schicht zu einer Einheit höherer Ordnung, sie nimmt einen sozialen Status an, und sie übernimmt Rollen im zwischenmenschlichen Spiel des Gemeinwesens. Mit diesen Rollen ist ein Wertekonsens, ein System moralischer Normen, kulturellen Wissens und lebensweltlicher Bedeutungen verbunden, das die gesamte soziale Ordnung zusammenhält. Dieses Normensystem reproduziert und verändert sich kontinuierlich in gesellschaftlichen Handlungen. Das historische Bewußtsein in der Gesellschaft aber bewahrt und sanktioniert das Normensystem. Die historische Kontinuität einer Gesellschaftsform hängt von den Möglichkeiten solcher normentradierender Handlungen ab. Dieser Handlungsspielraum kann bei einer hochorganisierten, elitären Kultur durch materielle Unsicherheit oder gar durch die Zerstörung der äußeren Lebenswelt bedroht werden. Die mykenische Gesellschaft hat mit dem Untergang der Paläste ihre ökonomischen Mittel verloren und wahrscheinlich ihre in der Palasthierarchie gebundenen hochspezialisierten Rollen aufgeben müssen. Man fin' Selbst auf Zypern, wo die mykenischen Schriftzeichen erhalten geblieben sind, konnte keine mykenische Herrschaftsform im herkömmlichen Sinn wieder errichtet werden. Vgl. Karageorghis (1980) 761 ff. und (1983) 294 ff. 10 Vgl. Habermas/Luhmann (1971); Luhmann (1984) und (1971) 101 ff., 142ff.

88

2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten

det im Spätmykenischen keine Spuren von der vorherigen elitären Kultur und ihrer Organisation. Ein wichtiges Zeichen dafür ist das Ausbleiben einer neuen Schriftkultur. Der durch die Ökonomie garantierte soziale Zusammenhalt in einem Gemeinwesen, das in einem größeren Umkreis des Palastareals siedelte, muß zerfallen sein. Der innere Zusammenhang dieser Gemeinschaftsformen und ihre gesellschaftlichen Bezüge waren gestört. Die neuen Bedingungen der Wanderungszeit scheinen das herkömmliche elitäre Sozialsystem aufgelöst zu haben; es scheinen sich andere, in der materiellen Kultur kaum sichtbare, soziale Rollen in den spätmykenischen Siedlungen gebildet zu haben. Die verpflichtenden sozialen Handlungen und das gegenseitig rückversichernde Wertesystem, die den inneren Zusammenhalt einer historischen Gesellschaftsform ausmachen, scheinen einem veränderten Code zu folgen, - soweit man sich das spekulativ an der gegenständlichen Kultur veranschaulichen kann, die dem höheren mykenischen Code, Palast, Schrift, Artefakte, nicht mehr folgt. Man muß sich fragen, ob einzelne Menschen, die den Untergang der mykenischen Kultui überlebten, ohne das ehemalige typische Sozialsystem und dessen Handlungsfiguren wieder aufbauen zu können, sich noch als Teile der alten Gesellschaft fühlen und deren Wertewelt ideell nachleben konnten. Spezialisierte soziale Systeme scheinen eher auf eine relativ unveränderliche Umwelt und auf eine darin geschützte kommunikative Gemeinschaftswelt angewiesen zu sein. Aus diesen Gründen sollte man den Fall der mykenischen Burgen nicht als ein singuläres Ereignis verstehen, als einen Krieg oder eine Katastrophe, die über die Menschen gekommen wären und sie unverändert hinterlassen hätten. Die Geschichte der Auflösung der mykenischen Kultur hat mit diesem Ereignis, das den Untergang der Palastkultur herbeiführte, kein Ende, die Geschichte der Auflösung der Kultur setzt sich in der spätmykenischen Periode (ca. 1200-ca. 1125) fort.

2.2

Das Spätmykenische. Kontinuität oder Diskontinuität?

Wie in Kleinasien, in Bogazköy und Troia, finden wir auf oder nahe den ehemaligen Burgen Nachfolgesiedlungen 11 . Die Archäologen verzeichnen eine Fundkontinuität, die den spätmykenischen Zeitraum umfaßt. Diese Siedlungen werden gegen Ende des Spätmykenischen oft aufgegeben. Für den spätmykenischen Zeitraum sind die Befunde aus den Siedlungen von 11

Bittel (1983) 27ff. Zu Troia Vllb: Podzuweit (1982) 82. Korfmann (1986:1) 14 und Anm. 32.

2.2 Das Spätmykenische, Kontinuität oder Diskontinuität?

89

Lefkandi, Teichos Dymaion, Asine und Tiryns von großer Bedeutung 12 . Besonders die Wiederbebauung der Unterburg von Tiryns scheint ein größer angelegtes und auf Dauer geplantes Unternehmen gewesen zu sein13. Die spätmykenische Siedlung ist auf dem alten mykenischen Siedlungshügel errichtet, der umfassend planiert worden ist. Man findet einen Kultraum und ein Hofsystem mit Wohn- und Nutzflächen. Die Siedlung, zu der auch ein Hafen gehörte, scheint reich gewesen zu sein. Das neue Gemeinwesen muß anfangs stabil gewesen sein, die Siedlung wurde dreimal zerstört und nach denselben Orientierungen wiedererbaut. Dabei bildeten sich aber zunehmend „Individualbebauungen" heraus, um es mit einem Begriff der Ausgräber zu sagen 14 . Einen strukturellen Zusammenhang dieser mit der späteren geometrischen Siedlung in Tiryns scheint es nicht zu geben. Neben den genannten in einem größeren Rahmen errichteten spätmykenischen Siedlungen gibt es andere, die viel bescheidener gewesen sind 15 . Hier sind wie in Mykene, Tiryns oder Pylos keine Strukturen erhalten geblieben, die auf ein Weiterbestehen der mit dem Palast verbundenen ökonomischen und herrschaftlichen Lebensweise hinweisen könnten. Keine der größeren Siedlungen enthält Spuren von einer Sozialpraxis, die der herkömmlichen mykenischen ähnlich gewesen sein könnte. Bei den meisten der spätmykenischen Siedlungen kann man wie in Tiryns Zerstörungen nachweisen, die so gravierend waren, daß sie zu großangelegten Neubauten führten. Eine friedliche prosperierende Entwicklung wird man trotz dieser Wiederaufbauten und einer wahrscheinlich damit verbundenen inneren Stabilität des sozialen Lebens nicht annehmen können. Schließlich führten abermalige Zerstörungen zur Auflösung dieser Siedlungen. Für den Verlauf des Spätmykenischen stellt sich eher die Vorstellung einer negativen Entwicklungskurve ein. Man könnte sagen, daß die innere Stabilität der Siedlungen durch äußere Ereignisse zunehmend gestört und schließlich aufgelöst wird. Eine Siedlungstradition, die zu den späteren geometrischen Siedlungen überleitete, ist nicht nachzuweisen. Man kann folgern, daß sich der innere Zusammenhang der mykenischen Kultur, soweit er im Spätmykenischen noch vorhanden war, in dieser Zeit zunehmend aufgelöst hat. Zusammenhänge des Spätmykenischen mit dem Mykenischen gibt es vor allem in den Bereichen des Handwerks. Hier ist besonders die Keramik zu 12

Lefkandi: Popham und Sackett (1968) 11, 22. Teichos Dymaion: Praktika 1965, 121. Asine: Frödin und Persson (1938) 75. Tiryns: Kilian (1978). Vgl. Hooker (1977) 151, 168f.; Desborough (1964) 98ff. 13 Kilian (1978:2) 457ff.; 468ff. 14 Ebenda 466. 15 Snodgrass (1971) 360ff.; Àlin (1977) 37; ders. (1962); Mylonas (1968) 31 ff.

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2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten

nennen, deren Entwicklung sich aus den Formen der mykenischen Keramik ableiten läßt16. Auch ein Teil des Brauchtums, der Bestattungsbrauch, den man archäologisch gut fassen kann, entwickelte sich aus mykenischen Formen. - Im attischen Perate hat man einen spätmykenischen Friedhof gefunden, der uns neben einer qualitätvollen spätmykenischen Keramik, Kammer- und Schachtgräber mykenischer Art überliefert hat17. - Der Friedhof wurde von ungefähr vier Generationen bis zum Ende der spätmykenischen Zeit für Familienbestattungen benutzt, um dann aufgegeben zu werden. Man kann bei der Deutung dieser Bestattungskultur probeweise von äußeren Gesellschaftsmustern sprechen, die sich an mykenische Formen anlehnen18. Man kann aber die Gesellschaft von Perate nicht ohne weiteres mit der mykenischen identifizieren. Die Gräber sind im Vergleich zu den mykenischen ärmlich. Es findet sich kein Hinweis auf ein in größerer Ordnung organisiertes Gemeinwesen. Man findet auch keine Andeutungen, daß sich diese Gesellschaft bewußt auf die frühere mykenische Tradition rückbezogen hätte. Aus den Grabfunden läßt sich keinesfalls ersehen, daß man sich zu jener Zeit an geschichtliche Personen mykenischer Zeit erinnert hätte, oder daß diese gar idealisiert worden seien, um zum Personal einer Heldendichtung zu werden. Die mykenischen Gräber werden erst in homerischer Zeit zu Gegenständen kultischer Verehrung. Im Spätmykenischen wurden sie weiterbenutzt, ohne daß man die älteren Bestattungen beachtet hätte, im Gegenteil, diese wurden oft bei der Anlage eines neuen Begräbnisses zerstört19. Das historische Geschehen jener Zeit läßt sich auch durch die archäologisch indirekt nachweisbaren demographischen Bewegungen charakterisieren. In den meisten griechischen Landschaften hat sich die Zahl der Siedlungen nach dem Fall der Burgen drastisch reduziert; am deutlichsten kommt dieser Befund bei den Flächengrabungen in Messenien ans Licht20. Andernorts, vor allem in der Peripherie des ehemaligen mykenischen Kulturgebietes, findet man Zeichen für ein temporäres Anwachsen der Bevölkerungszahlen21. Auch Wanderungen aus dem griechischen Kulturgebiet in die Küstengebiete des Nahen Ostens lassen sich anscheinend verfol16

Vgl. Schweitzer (1969). Iakovidis (1970). Zur Datierung vgl. Desborough, Gnomon 45, 1973, 393 ff. Zum mykenischen Grabbrauch: Dickinson (1983) 55ff. 18 Zur sozialgeschichtlichen Deutung des Grabkultes allgemein: Morris (1987) 3140. " Iakovidis (1970) 427. MacDonald/Rapp (1972) 144. 20 Àlin (1962) und (1977) 37. MacDonald/Rapp (1972) 142 ff. Anders aber ohne Beweise: Mylonas (1951) 64 ff. 21 Desborough (1972) 19ff.; Snodgrass (1971) 360ff.; Hammond (1976) 146ff. Vgl. Bouzek (1969) 50 ff. 17

2.2 Das Spätmykenische, Kontinuität oder Diskontinuität?

91

gen22. Jedoch ist uns von diesen Bevölkerungsbewegungen keine historische Nachricht überliefert, bewußte Erinnerung an eine ehemalige soziale Identität scheint man nicht bewahrt zu haben. Die Menschen homerischer Zeit kennen keine „orientalischen" Griechen, die des Orients keine Einwanderer mykenisch-griechischer Herkunft. Den kulturgeschichtlichen Hintergrund dieser demographischen Bewegungen kann man nur aus der Sprachgeschichte erschließen. In der Sprachgeschichte hat um 1200 eine Art Kulturbruch stattgefunden. Der mykenische Dialekt konnte einen fremdartigen, „nordgriechischen", nicht assimilieren. Der Formenaufbau der Sprache zerfiel teilweise und setzte sich später unter neuen Vorzeichen in veränderten Strukturen zusammen. Das kann nur in der Zeit nach der Zerstörung der mykenischen Burgen geschehen sein, als die Migrationsbewegungen auf ihrem Höhepunkt waren. Als die demographischen Bewegungen nachließen, setzten auch die neuen Dialekttraditionen ein23. Man kann nicht von einem Weiterleben der mykenischen Sprachkultur oder der mykenischen Sozialkultur sprechen. Die fremden Elemente sind anscheinend nicht von einer stabilen Sprach- und Sozialkultur aufgenommen worden, im Gegenteil, sie bewirkten neue geschichtliche Entwicklungen. Sie scheinen, wenn man die materielle Kultur betrachtet, zuerst eine Auflösungsphase im Spätmykenischen durchlaufen zu haben, um im frühen 10. Jahrhundert wieder zu stabilen Formen und zu einer neuen Entwicklungsrichtung zu finden. Um diese Zeit wird man auch die formale Herausbildung der bekannten griechischen Dialekte ansetzen können. Die vielen formalen Gemeinsamkeiten dieser Dialekte untereinander wird man dann auf die Intensität der ihrer Formwerdung vorausliegenden demographischen Bewegungen zurückführen können. Wie soll man aber diese Einwanderungs- und Assimilationsgeschichte bewerten, wenn die Neuankömmlinge wie die Einheimischen, wie vermutet wird, ähnliche, dem Griechischen zugeordnete Sprachformen benutzten? Seitdem man das Mykenische zu den vorgriechischen Sprachformen zählt, gibt es einen nicht hinterfragten Konsens, daß in den dunklen Jahrhunderten kein fremdes Volk nach Griechenland eingewandert sein könne und daß eine ethnische und kulturelle Kontinuität die Geschichte dieser Zeit präge. Die diskontinuierlichen Erscheinungen in der Kultur der dunklen Jahrhunderte passen allerdings nicht in diesen Interpretationsrahmen 24 . Einige Gelehrte setzen, wie gesagt, auf ein Weiterleben des Volkstums, sie bewerten dann die Bevölkerungsbewegungen, den Siedlungsrückgang und den Regressionsprozeß der Kultur als nebensächliche 22 23 24

Haider (1988). Risch (1980). Vgl. oben S. 76 f. Vgl. Schnapp (1974) 1465 ff.

92

2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten

historische Erscheinungen. Andere suchen nach den Spuren, die nordwestgriechische Einwanderer, die Dorer, hinterlassen haben könnten 25 . Der kulturgeschichtliche Wandel erklärt sich aber auf beide Weisen nicht. Die materielle Kultur deutet nicht auf Auseinandersetzungen zweier geschichts- und kulturbewußter Völkerschaften hin. Im Spätmykenischen lassen sich eher instabile kulturgeschichtliche Synthesen finden, die aus dem Miteinander sogenannter einheimischer und fremder Bevölkerungsgruppen hervorgegangen sind. Von Fremden und Einheimischen wird man in dem Geschehen der dunklen Jahrhunderte auch sprechen müssen, wenn die beiden Gruppen Sprachen benutzten, die derselben Sprachfamilie angehörten. Man unterscheidet dann die Menschen, die in der mykenischen Kultur zu Hause waren, von denen, die aus einfacheren Kulturen kamen, - Kulturen, die in Nordgriechenland und angrenzenden Gebieten zu lokalisieren wären26. Anscheinend brachte die große Völkerwanderungsbewegung der Jahrtausendwende nicht nur fremde Sprachgruppen in das zivilisierte östliche Mittelmeergebiet, sondern löste auch Wanderungsbewegungen unter den seßhaften Bevölkerungen aus, zunächst wohl gerade in den weniger entwickelten Kulturen des Balkangebietes, die auch militärisch nicht in der Lage waren, sich zu verteidigen27. Derartige Wanderbewegungen machten sich anscheinend schon im mykenischen Griechenland, in der letzten Phase der Palastzeit (SH HIB) bemerkbar. Alin konnte zahlreiche Zerstörungen an den Burgmauern zeigen, die auf Belagerungsattacken hinweisen können 28 . - Nomaden können, wie wir aus altorientalischen Quellen wissen29, für die seßhafte Lebensweise gefährlich werden, denn sie rauben den in Arbeit erworbenen Wohlstand. Wenn sie ohne eigene Erwerbsquellen sind, stürmen sie die befestigten Siedlungen. Anhaltende Nomadenattacken können eine Kultur zerstören. Anscheinend waren die mykenischen Herrschaftszentren um 1200 nicht mehr in der Lage, solchen Angriffen organisatorisch und militärisch zu begegnen. Vermutlich waren nach dem Fall der mykenischen Burgen auch die Menschen, die im Schutz der mykenischen Herrschaftsorganisation standen, zum Teil zu einem Wanderleben gezwungen. Man wird annehmen müssen, daß dieser unsichere Zustand, trotz der verschiedenen neuaufgebauten Siedlungen, noch eine Zeitlang angehalten hat. Wahrscheinlich gehören auch die Zerstörungen, die man an den spät25

Desborough (1964) und (1972); Sourvinou-Inwood (1974) 215ff.; Deger-Jalkotzy (1977); Rutter (1977) Iff. 26 Bouzek (1983) 27Iff. 27 Dobesch (1983) 179ff.; Kirsten (1983) 35ff., bes. 357ff., 400ff. 28 Àlin (1962) passim und Schluß. 29 Klengel (1966) 205 ff.

2.2 Das Spätmykenische, Kontinuität oder Diskontinuität?

93

mykenischen Siedlungen beobachten kann, noch zu den Folgeerscheinungen der großen Wanderungsbewegung. Snodgrass machte darauf aufmerksam, daß die Befestigungen von Mykene, Tiryns, Athen und sogar die von Milet im Spätmykenischen bei Belagerungen weiterhin als Fluchtburgen dienten 30 . Die äußeren Bedingungen, in die die neuerbaute spätmykenische Kultur hineinwächst, sind weiterhin unsicher. Diese Unsicherheit erklärt am besten, warum diese Kultur keine positive Entwicklung durchläuft und warum die spätmykenischen Siedlungen mit der Zeit verarmen. Keine Naturkatastrophe, kein einmaliges Kriegsereignis, keine umfassende Auswanderungsbewegung kann diesen negativen Epochencharakter hinlänglich erklären 31 . Das Umbruchsphänomen zeigt sich auch in der materiellen Kultur. „Fremde" haben sich nicht in die höhere Kultur eingepaßt. Diese Einwanderer, über die wir nichts wissen, haben nicht nur bei der Zerstörung der Paläste mitgewirkt. Sie haben die Paläste nicht erobert und nicht zum Wiederaufbau der alten Herrschaftskultur beigetragen 32 . Die archäologische Evidenz scheint die These zu bestätigen, daß es nach der Zerstörung der Burgen keine intakte mykenische Gesellschaft mehr gab, die das alte kulturelle Wissen in einer neuerbauten nachmykenische Welt hätte umsetzen können. Man muß annehmen, daß schon die spätmykenischen Nachfolgesiedlungen nicht nur von überlebenden „Mykenern" bewohnt waren, sondern auch von „Fremden" und daß sich in dieser neuen Gemeinschaft von Siedlern auch eine neue Form der Gesellschaftlichkeit herausbildete. Diese Gesellschaft bediente sich kultureller Restbestände aus mykenischer Zeit. Daher können wir in gewissen langlebigen Kulturformen, im spätmykenischen Handwerk, in Teilen des Brauchtums, beispielsweise den Bestattungssitten, aber auch in der Sprache, noch Restbestände der mykenischen Tradition finden. Damit hätten wir eine partielle mit der Zeit sich auflösende Kontinuität innerhalb bedeutender demographischer und gesellschaftlicher Veränderungen. Der spätmykenische Zeitraum stellt eine eigene Kulturphase dar. Die Entwicklung dieser Kultur hat jedoch keine Zukunft; es findet kein Fortschritt statt, die archäologischen Gegenstände zeigen keine mit der Zeit zunehmende Quantität oder Qualität, im Gegenteil, die kulturelle Entwicklung geht zurück, stagniert und kommt nach ungefähr vier Menschengenerationen gänzlich zum Stillstand.Diese folgende submykenische Kulturphase ist historisch besonders schwer einzuordnen. Gehört sie, wie der 30

Snodgrass (1971) 361. Ebenda 363ff.; ders. (1980) 31 ; Àlin (1977) 37ff. 32 Desborough (1972) 21 ff. Anders: Schachermeyr (1980) 64ff., 101 ff. Dazu: Hooker, Gnomon 57, 1985, 26 ff., bes. 28. 31

94

2. Die spätmykenischen und submykenischen Fundschichten

Name andeutet, noch zur mykenischen Kulturentwicklung, oder gehört sie schon der frühgriechischen, der geometrischen archäologischen Kultur an?

2.3

Die submykenische Zwischenzeit

Die spätmykenische Kultur endet in einer regressiven Kulturphase, der sogenannten submykenischen Kultur (ca. 1125-ca. 1050)33. Der Übergang von der spätmykenischen zur submykenischen Zeit, vor allem aber deren kulturgeschichtliche Qualität werden von den Archäologen unterschiedlich beurteilt. Die submykenischen Keramikfunde zeigen keine stilistische Entwicklung, sie sind auch nicht an allen spätmykenischen Fundplätzen zu finden34. Man findet sie aber gerade an den Orten, an denen man eine gewisse Siedlungskontinuität bis in die frühesten geometrischen Kulturstraten verfolgen kann: in Athen und Salamis, in Lefkandi, in Argos, Asine und Tiryns, und sogar im fernen Milet35. Andere spätmykenische Siedlungen oder Anlagen, wie z.B. das attische Perate, brechen in den Anfängen des Submykenischen ab. Ob historische Ereignisse - Wanderungen und Belagerungen - zu diesem neuen Kulturzustand geführt haben, oder ob dieser Zustand das Ergebnis der schon im Spätmykenischen beginnenden Verarmung der Kultur ist, läßt sich nicht leicht entscheiden. Snodgrass weist auf einen kontinuierlichen Siedlungsrückgang hin. Während auf dem griechischen Festland in mykenischer Zeit ungefähr dreihundertzwanzig Siedlungsplätze zu zählen waren, findet man im 12. Jahrhundert nur noch ungefähr hundertdreißig und im 11. Jahrhundert nur vierzig Siedlungen36. Dieses Ergebnis könne man, so Snodgrass, nicht nur auf Auswanderungen zurückführen, es weise vielmehr darauf hin, daß sich die Lebensbedingungen im Griechenland der frühen dunklen Jahrhunderte für die Menschen so schlecht entwickelten, daß wenige überleben oder in Sicherheit leben konnten. Man kann daran noch die Frage anknüpfen, ob diese Lebensbedingungen dazu geeignet waren, feste Gemeinschaftsformen und damit verbundene kulturelle Traditionen zu fördern. 33

Zum Begriff und zur Datierung, die auf die Keramikanalyse zurückgehen, vgl. Furumark (1941) 577ff.; Styrenius (1967) 24ff., 163; Desborough (1964) 258; Snodgrass (1971) 153, 360ff.; Iakovidis (1979) 493ff. Die Kulturphase wird unterschiedlich bewertet, Iakovidis gibt ihr einen Zeitraum von 25, Snodgrass von 75 Jahren. Vgl. Dazu Morris (1987) 13; Krause (1976) 4f.; Desborough, Gnomon 45, 1973, 393 ff. 34 Àlin (1977) 37f.; ders. (1962) 54, 102ff., 117. 35 Snodgrass (1971) 363ff.; Alin (1977); Hommel (1983). 36 Snodgrass (1971) 364ff.; Buck (1969) 276f.

2.3 Die submykenische Zwischenzeit

95

In den Anfängen der submykenischen Kulturphase sind Zerstörungen von Siedlungen zu beobachten 37 . Sie sind aber sicher nicht der einzige Grund für die geschichtliche Gestalt der submykenischen Zeit, einer Entwicklung zur Verarmung und Isolation der wenigen Siedlungen, in der nun auch die Kenntnisse mykenischer Fertigkeiten und Bräuche weitgehend verloren gehen38. Die submykenischen Siedlungen sind nicht mehr nach ihren spätmykenischen Vorgängern ausgerichtet, es entstehen neue Nutzungsbereiche 39 . Die Gräberareale, aus denen die submykenische Keramik zumeist stammt, zeigen, daß das mykenische Brauchtum aufgegeben wurde: Die mykenischen Kammergräber mit ihren Mehrfachbestattungen verschwinden ganz und machen Kisten- und Erdgräbern Platz, die Einzelbestattungen dienen. Es findet sich auch eine neue Zusammenstellung der Grabbeigaben 40 . Ob die submykenische Keramik noch einen künstlerischen Stil offenbart, ist fraglich. Die Gefäßformen und der Dekor lassen sich zwar von spätmykenischen Prototypen ableiten, die neue Keramik ist aber ohne Qualität hergestellt41. Hält man sich an die allgemeine Entwicklungstendenz jener Zeit und an die von den Archäologen vorgeschlagenen absoluten Daten, so stellt die submykenische Kulturphase eine Übergangszeit dar, die etwa fünfundsiebzig Jahre, drei Generationen, anhielt. Es ist ungewiß, ob sich in dieser und der vorangegangenen spätmykenischen Zeit zusammenhängende Traditionen, etwa im Gemeinschafts- und Geschichtsbewußtsein, gebildet haben konnten. Gerade die kulturarmen letzten Perioden der spät- und submykenischen Zeit lassen daran zweifeln. An diesen Zweifeln wird man aber die Frage messen müssen, ob es eine geschichtliche Erinnerung an die mykenische Zeit, oder gar eine poetische Tradition aus dieser Zeit gegeben haben kann, die „Mykene" und „Homer" in einer frühen epischen Tradition verbinden würde.

37

Desborough (1972) 21 f.; Schnapp (1974) 1470; Deger-Jalkotzy (1983) 165. Snodgrass (1971) 379. Desborough (1972) 32ff.; Àlin (1962) 102f. 40 Desborough (1972) 32ff. Dagegen Hooker (1977) 178; Snodgrass (1971) 177-187, 314-317. 41 Desborough (1972) 30f.; Styrenius (1967); Snodgrass (1971) 28ff. 38

39

3.

Erinnerung" in den frühen dunklen Jahrhunderten

Können wir in dem homerischen Erzählstoff geschichtliche Ereignisse aus mykenischer Zeit ermitteln? - Über die Ereignisgeschichte der mykenischen Zeit wissen wir nichts. Ob es zu jener Zeit eine politische Geographie gab, die den Koalitionen des troischen Krieges entsprochen hätte, läßt sich aus den archäologischen Quellen nicht ersehen. Alle Bestandteile einer solchen Rekonstruktion sind spekulativ1. Auch die homerischen Epen überliefern uns keine einzigartigen historischen Konstellationen, die nur in der mykenischen Zeit ihren Ort fänden. Von mykenischer Literatur, gar von mykenischer Geschichtsschreibung zu sprechen ist müßig, da wir keine Überlieferung davon haben. Die „indirekte" homerische Überlieferung, die wir in eine frühe mündliche Tradition projizieren, gehört zu unserem Theorie- und nicht zu unserem Quellenbestand. Wir müssen wohl annehmen, daß es in mykenischer Zeit Literatur gab, neben den „einfachen Formen" eine epische, profane und kultische Literatur. Über den Inhalt dieser Literaturen wissen wir nichts. Es ist ungewiß, ob es Balladenerzählungen, frühe Formen der Heldendichtung, gegeben hat, oder gar ein Heldenepos homerischer Gestalt. Ein Blick auf die altorientalischen Literaturen jener Zeit offenbart eine Fülle möglicher Formen der epischen Literatur, auch Heldendichtungen 2 . Die umgekehrte Hypothese jedoch, daß die Heldendichtung notwendig eine indogermanische Literaturform sei und daher notwendig im Mykenischen vorkommen müsse3, bleibt solange unbewiesen, bis die Heldenthemen der Literaturen anderer Sprachfamilien, z.B. die altorientalischen Heldenepen, mit den indogermanischen verglichen sind. Der frühe Tod, der Ruhm und der idealisierte Nachruhm großer Taten, spielt in vielen Gesellschaften eine Rolle. Diese Thematik läßt sich auch im Orient finden4. Die beiden Vergleiche mit dem indogermanischen Heldenepos und dem altorientalischen reichen aber nicht aus, um einem mykenischen Heldenepos Gestalt zu geben oder es gar als einen Vorgänger des homerischen Epos zu bestimmen. Auch bei den Fragen nach einer mykenischen historischen Literatur oder einem mykenischen historischen Bewußtsein, tappen wir im Dunklen. Gab es Feldzugsberichte, wie im Alten Orient, die ein Unternehmen gleich dem troischen Krieg hätten erfassen und lobend verbreiten können? Schriftlich können solche Berichte nicht vefaßt worden sein, dazu reichten die Ausdrucksmöglichkeiten der mykenischen Linearschrift nicht aus. Ein 1 2 3 4

Zuletzt Easton (1985) 188 ff. Webster (1960); Gordon (1967). Schmitt (1967). Dazu: Risch, Gnomon 41, 1969, 321 ff.; Graf (1987) 73ff. Zum Gilgames-Epos: Wolff (1969); Böhl (1953) und (1958); Oberhuber (1977).

3.1 Geschichtstradition, Gesellschaftsgeschichte

97

Feldzug, wie der gegen Troia als Kriegsdarstellung aus übergeordneter Sicht, müßte aber, wenn wir auf die altorientalischen Parallelen schauen, zunächst Gegenstand eines solchen herrscherlichen Feldzugsberichtes gewesen sein. Eine mündliche Balladendichtung, die ein bedeutsames Ereignis in erzählerische Episoden umgestaltet hätte, würde auf die geschichtliche Genauigkeit und die Größe des Feldzugsberichts verzichtet haben 5 . Die wenigen Bildzitate, die uns aus dem Mykenischen als mögliche historische Darstellungen überliefert sind, etwa das Miniaturfresko aus Thera, gehören einer im Alten Orient verbreiteten Ikonographie an und können daher nicht zu den Darstellungen singulärer historischer Ereignisse gezählt werden6. Man kann aus ihnen nicht schließen, daß es mykenische Bildepisoden von der Geschichte des troischen Krieges gegeben hat. - Wir können weder aus den homerischen Epen oder aus den mykenischen archäologischen Sachverhalten schließen, daß es eine geschichtliche oder erzählerische Tradition zwischen „Mykene" und „Homer" gegeben hat. Wir können nur indirekt fragen, ob die kulturellen Zusammenhänge der frühen dunklen Jahrhunderte erlauben, eine Tradition des „Erinnerns" und des konsistenten Erzählens in ihnen anzunehmen.

3.1

Geschichtstradition, Gesellschaftsgeschichte und die frühen dunklen Jahrhunderte

Kollektive Erinnerung, so sind wir von den Sozialgeschichtlern belehrt worden, ist ein sozial- und kulturgeschichtliches Phänomen 7 . Erinnerung setzt Bewußtsein und damit geschichtliche Identität voraus. Geschichtliche Erinnerung oder das Bewahren einer historischen Tradition kann es nicht ohne ein historisches Bewußtsein geben, das den historischen Fakten Bedeutung zumißt und sie in den Lernprozeß einer historischen Gemeinschaft, einer Gesellschaft oder auch eines Staates und seiner Machthaber einordnet. Dieses Bewußtsein ist demnach nicht im vorhinein vorhanden, im Keime der geschichtlichen Entwicklung angelegt, wie man früher sagte, sondern es ist als eine gemeinschaftliche Bewußtseinssynthese das Ergebnis sozialer Handlungen. Die historische Gemeinschaft, die Gesellschaft oder der Staat begreifen sich als eine durch ein Herkommen verbundene Einheit, und versuchen, diese Einheit historisch zu begründen. Mit dieser Begründung beginnt das historische Gedächtnis. Ebenso wie das Gedächtnis des Individuums zeichnet auch das soziale Gedächtnis das Erinnerungsgut nicht zufällig auf, sondern es behält etwas auf Grund ei5 6 7

Zu den ethnologischen Parallelen vgl. Dorson (1968). Zuletzt: Säflund (1981). Vgl. oben S. 79 f. mit Anm. 15.

98

3. „Erinnerung" in den frühen dunklen Jahrhunderten

nes bestimmten Interesses oder einer bestimmten in der Deutung wiederkehrenden Problematik, daher ist der Inhalt des Erinnerten durch Strukturen der Sinngebung bezeichnet, die für eine historische Gemeinschaft typisch sind. Die sogenannte Erinnerung an eine frühere Zeit, die Zeit eines Herkommens, die vor der Zeit der geschichtlichen Identitätsstiftung liegt, muß von dem historischen Gedächtnis unterschieden werden, es handelt sich dabei um aus den Sinnstrukturen des historischen Gedächtnisses zurückinterpretierte mythische Geschichte8. Das historische Gedächtnis ist an die soziale Einheit, oft auch an ein historisches Brauchtum und sogar an eine gegenständliche Umwelt gebunden. Das historische Bewußtsein und das Gedächtnis sind an Bedeutungen und Problemen orientiert, an Verstehensmustern, die die historische Gemeinschaft in ihrer Geschichte entwickelt hat. Da das Deuten und Umdeuten historischer Ereignisse aus der geschichtlichen Welt der Gedächtnisträger hervorgeht und sich sich mit ihr verändert, ist das historische Gedächtnis an den Bestand dieser Welt gebunden und es wird umgekehrt die Veränderungen dieser Welt abzeichnen. Es ist fraglich, ob das kollektive Gedächtnis sich über gravierende Umbruchsituationen in der Lebenswelt einer historischen Gemeinschaft erhalten kann. Im Mykenischen wird es eine historische Kultur in irgendeiner Form gegeben haben. Können wir uns vorstellen, daß diese Tradition die frühen dunklen Jahrhunderte überlebte? In den geschichtlichen Verhältnissen jener Zeit sind zeitüberdauernde Gemeinschafts- und Bewußtseinsbildungen, wie wir sie uns für das Mykenische vorstellen, kaum anzunehmen. Die archäologischen Daten sprechen von unterbrochenen und verarmenden Traditionen. Eine mykenische historische Überlieferung müßte die Wanderungen und Vermischungen der Bevölkerung, die neuen Dialektbildungen, den Verlust der Lebensformen der Palastkultur, die Zerstörungen der nachfolgenden Siedlungen und der möglicherweise darin entwickelten Lebensformen, sowie den Prozeß der Verarmung der Kultur im Spät- und Submykenischen überdauert haben.

3.2

Der troische Krieg im geschichtlichen und literarischen Gedächtnis

Historische Überlieferung kann verschiedene Formen haben, je nach der Gemeinschaft, die sie formt und tradiert. Es gibt historische Überlieferung im „weltgeschichtlichen" Sinn: Eine Geschichte wird aus der Sicht der 8

Bausinger (1969) 9; Dorson (1968) 33ff. Zur historischen und altertumswissenschaftlichen Diskussion vgl. die verschiedenen Beiträge in Ungern-Sternberg/Reinau (1988).

3.2 Der troische Krieg

99

Machthaber oder einer führenden Gesellschaftsschicht erzählt, den Initiatoren der großen Ereignisse, deren Identität als geschichtlich Handelnde mit dem erzählten Ereignis verbunden ist. Sie sind fähig, Ereignisse größerer Ordnung, Weltgeschichte in ihrem Sinne, zu überblicken. Ein solches weltgeschichtliches Bewußtsein zeigt sich in der weiträumigen ost-west-polarisierten Geschichte vom troischen Krieg, die zudem eine Epochengrenze darstellt, die Zeitenschwelle zwischen der Heldenzeit und der menschlichen Geschichte. In diesem Sinne steht die Geschichte vom troischen Krieg am Anfang der späteren griechischen Geschichtsschreibung. In der Tradition einer solchen Geschichtsschreibung kann weiträumige und differenzierte geschichtliche Erinnerung überdauern. Daß das mythisch-historische Geschichtsdenken in der Zeit Homers, der Zeit der Städtebildungen, mit den Anfängen einer politischen Tradition eingesetzt hat und zum Anfang einer Geschichtstradition werden konnte, ist leicht nachzuvollziehen. Kann aber das erzählte „weltgeschichtliche" Ereignis vom troischen Krieg schon aus mykenischer Zeit stammen? Man könnte der mykenischen Elite ein ähnliches großräumiges Bewußtsein von Geschichte zutrauen. Jedoch ist kaum vorstellbar, daß eine solche großräumige geschichtliche Überlieferung, mit ihren Feldherrennamen, ihren komplizierten Koalitionen, ihren adligen Querelen, in den gesellschaftlichen Verhältnissen der frühen dunklen Jahrhunderte nacherzählt worden ist. Neben der großen Historie gibt es die Geschichte aus dem Gedächtnis weniger kultivierter Gruppen, des sogenannten Volkes, die „Oral History". Diese Geschichte beschreibt die großen Ereignisse nicht aus der Sicht ihrer Initiatoren, sondern aus dem Blickwinkel, den der die Geschichte Erleidende sich von dem Ereignis bilden kann. Auch der Horizont für die Deutungen und Umdeutungen der Geschichte ist in der Oral History enger begrenzt und ganz an die Lebensgeschichte der Gemeinschaft gebunden. Die mündlich überlieferte Erinnerung ist fest mit der Gemeinschaft und dem Bestand ihrer Lebenswelt verwoben. Das Memorat wird in die lebensweltliche Deutungsgeschichte der Gemeinschaft aufgenommen und ist oft an den Ort gebunden. Migrationen beispielsweise oder Veränderungen der Lebensweise löschen diese Erinnerung, die dann höchstens noch als ein Stichwort - etwa in der Poesie - erhalten bleibt. Das kollektive Gedächtnis ist nur von kurzer Dauer, es überlebt im besten Fall nicht mehr als drei Generationen 9 . Die Geschichte des troischen Krieges hätte, wenn man die weltgeschichtliche elitäre Überlieferung in Zweifel zieht, die dunklen Jahrhunderte nur als Gegenstand der „Oral History", in „kleiner" Form überdauern kön9

Bausinger (1980) 192 ff. Vgl. Murko (1919) 140 f.

100

3. „Erinnerung" in den frühen dunklen Jahrhunderten

nen, erzählt aus der Perspektive der leidenden Menschen, ohne die große Landkarte und ohne die Kenntnis der verschiedenen politischen Konstellationen. Finley schlug vor10, daß eine solche Volksüberlieferung möglicherweise mit der großen Zerstörung Troias um 1200 einsetzte. In diesem Fall kann die „kleine" episodenhafte Sichtweise der Erzählung erst in homerischer Zeit in die „große" weltgeschichtliche Perspektive verwandelt worden sein. Wenn es aber in der mykenischen Zeit einen troischen Krieg von weltgeschichtlichen Dimensionen gegeben haben sollte und eine ebensolche geschichtliche Erzählung, so muß diese Perspektive in der Volksüberlieferung der dunklen Jahrhunderte verkleinert worden sein, weil sie nicht verstanden worden wäre. Die weltgeschichtliche Sicht müßte der Geschichte vom troischen Krieg zuerst verloren gegangen sein, um dann in homerischer Zeit wiedererweckt zu werden. Neben den eigentlichen historischen Gedächtnisformen gibt es noch die literarischen Formen der Überlieferung, in denen ein geschichtliches Memorai in einer poetischen Form überleben kann 11 . Zu diesen literarischen Formen gehören die großen Heldenepen, aber auch die kleinen Formen, das Märchen, die Fabel und Legende, sogar die historische Legende. Das Heldenepos gehört zu den entwickelten literarischen Formen, es ist das Ergebnis einer bewußt gepflegten dichterischen Kultur, die es im Rahmen der mündlichen Dichtungen durchaus gibt. Die „einfachen Formen" zählen dagegen zur sogenannten Volkspoesie, einer weniger bewußt kultivierten mündlichen Literaturform. Das große Epos ist aber auch ein „Sagenmagnet"; es nimmt die kleinen Formen auf und deutet sie in dem neuen Erzählzusammenhang um12. Diese Literaturformen können einen geschichtlichen Kern haben, der etwa mit einem erwähnten Ort oder einer Person der Geschichte ehemals verbunden war. Es gibt allerdings nur wenige nachweisbare „historische" Legenden, meistens sind die Grenzen zwischen Sage und Geschichte verwischt13. Das mögliche Memorat wird jedoch in der Erzählung umgedeutet. Das ehemals singuläre Ereignis wird zum Kern einer verallgemeinernden Idee, zu einem Beispiel für eine schreckliche oder in irgendeiner anderen Form mystifizierbare Begebenheit. Ein solches Faszinosum kann sich im Laufe der Zeit mit verschiedenen anderen fiktiven Geschichten verbinden. Auf diese Weise erklären die Germanisten die verworrenen nicht entzifferbaren historischen Ereignisse 10

Finley (1964:1). Vgl. Hooker (1979). Bausinger (1987); Röhrich (1988). 12 Bausinger (1969) 188. 13 Bausinger (1958) 248ff.; Röhrich (1966) 47ff.; ders. (1988). Ranke (1969) 106ff. kann nur eine mit Sicherheit historische Legende nennen. Dasselbe gilt für die Balladenliteratur: Dorson (1968) 28 ff. 11

3.2 Der troische Krieg

101

in den germanischen Heldensagen14. Die Geschichte vom troischen Krieg wäre, wenn man sie aus einer historischen Legende herleiten würde, im homerischen Epos nicht als ein singuläres historisches Ereignis erhalten, sondern als ein Faszinosum, ein beispielhaft schreckliches Ereignis längst vergangener Zeit. Das Memorat, die schreckensvolle Zerstörung einer Stadt, wäre vielleicht mit einem Monument, einer Ruine oder einem Grabhügel, verbunden gewesen und hätte in variierenden Erzählungen die Zeiten überdauert. Allerdings kann das vermeintliche Memorat auch ein fiktives Ereignis sein, das nicht auf Erinnerung beruht, sondern als Scheinmemorat das Vorhandensein einer Ruine oder eines anderen befremdlichen Gegenstandes erklärt. Die sagenhafte, faszinierende Geschichte, die sagenumwobene Ruine und die Gegenstandsaitiologie können historische Erinnerung an sich gebunden haben, die Erinnerungen werden in der Überlieferung aber verallgemeinert; außerdem können Sagen und Gegenstandsaitiologien im Laufe einer Überlieferung auch neu entstehen. Wie kann man bei dieser Überlieferungslage den historischen Kern einer Geschichte ausmachen und wie kann man entscheiden, ob eine historische Reminiszenz überhaupt im Anfang einer Erzählung gestanden hat? Das „Ereignis" vor Troia kann auch in homerischer Zeit erdacht worden sein. Städtezerstörungen sind in mehr als einer Kultur verhängnisvoll. Die Sage vom Krieg um Troia kann eine Geschichtsbegründung gewesen sein, die der politischen Kultur der homerischen Zeit gut zu Gesicht stünde. Die Geschichten um den „Troerkrieg", die unabhängig vom homerischen Epos in den verschiedenen geschichtlichen Epochen, in der Antike, im Mittelalter und im 19. Jahrhundert erzählt worden sind, zeigen, wie faszinierend und schillernd die TroiaLegende seit Homer gewesen ist und wie wenig Historisches zu ihrem Faszinosum beigetragen hat15. Die Debatte um die Glaubwürdigkeit mündlicher Traditionen kreist um das Phänomen der Umdeutung von historisch einmaliger Erfahrung in der verallgemeinernden Erzählung und um die Deutung der Fiktion als historische Erfahrung. Die möglichen historischen Ereignisse verlieren in der Erzählung ihre singuläre Geschichtlichkeit, die sie vom fiktiven Ereignis unterscheiden könnte. Erinnerungen und Erzählungen sind geistige Äußerungen, die nicht nur „Gespeichertes" wiedergeben, sondern „Gedeutetes"; sie deuten mit vorgegebenem Wissen neue historische Situationen. Ob ein aus der Vergangenheit stammendes Faktenwissen in den Ereignisdeutungen der mündlichen Dichtung vorhanden ist oder nicht, kann man nicht durch Generalisierungen entscheiden. Das Verhalten gegenüber dem 14 15

V. See (1971) 61 ff.; Bender (1988). Scherer (1964); Buchthal (1971).

102

3. „Erinnerung" in den frühen dunklen Jahrhunderten

Vergangenen ist in den verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte unterschiedlich: Einmal gilt es, etwas Faktisches zu bewahren, dann wieder wird das Faktische erfunden, um eine bedeutende Wahrheit als eine geschichtliche Wahrheit zu würdigen. Daher sind auch die vermeintlichen mündlichen geschichtlichen Überlieferungen, je nach ihrem historischen Kontext, aus verschiedenen Fäden gewoben 16 . Sie können geschichtlicher Herkunft sein, sie können aber auch geschichtliches Bewußtsein in historischen Fiktionen überliefern.

3.3

Die dunklen Jahrhunderte und die Frage nach den Möglichkeiten einer epischen Tradition

Man kann folgern, daß es in den dunklen Jahrhunderten alle möglichen Formen mündlicher Überlieferungen gegeben haben kann. Die Erinnerungen einer kultivierten Gesellschaft und die Erinnerungen der sogenannten einfachen Menschen, die epische Literatur und die einfachen Erzählformen, werden in dem Wandel der Verhältnisse umgewandelt worden sein. Eine geschichtliche Erinnerung an einen troischen Krieg in mykenischen politischen Dimensionen müßte Einbußen erlitten haben, selbst wenn sie von einer adligen Gesellschaftsschicht, die sich aus dem Mykenischen ableitete, getragen worden wäre. Man kann sich in den archäologischen Gegebenheiten der dunklen Jahrhunderte keine Gesellschaft vorstellen, die ein gesamtgriechisches Gemeinschaftsbewußtsein gepflegt hätte und in der Lage gewesen wäre, sich einen festländischen Bündniskrieg gegen die Stadt Troia am Hellespont vorzustellen. Dagegen spricht die zunehmende Isolation der seßhaften Gemeinden in spät- und submykenischer Zeit, aber auch der Verarmungsprozeß und die häufigen Zerstörungen, die an den Siedlungen jener Zeit zu beobachten sind. Wie lange eine hypothetische Gesellschaft mykenischer Tradition ihre gesellschaftliche Welt hätte erhalten können, ist ungewiß. Blickt man auf die Geschichte anderer Traditionen in den frühen dunklen Jahrhunderten, das Keramikhandwerk, die Grabsitten und die Siedlungsstrukturen, so zeigt sich, daß sich die typischen Kulturmuster im Laufe der Zeit auflösten. Analog dazu kann man annehmen, daß sich in diesem Zeitraum auch die Gemeinschaftsformen auflösten. Auch eine vermeintliche Tradition epischen Dichtens wird man an diesem Auflösungsprozeß messen müssen. Die Homerphilologie macht dagegen geltend, daß sich die Geschichte des troischen Krieges in der literarischen Form der Heldendichtung und in der gebundenen Sprache mündlicher Dichtungen, der hexametrischen 16

Vansina (1965) 170f.; Bausinger (1987).

3.3 Die dunklen Jahrhunderte

103

Formelsprache, über vierhundert Jahre hätte erhalten können 17 . Hier muß man zwischen den ermittelbaren Fakten und Spekulationen unterscheiden. Die Entwicklung der epischen Formelsprache kann nur aus den überlieferten Epen erschlossen werden. Es zeigt sich, daß sich diese Sprache in einer unmittelbaren homerischen Tradition, etwa im 8. Jahrhundert, wenn man die Ilias gegen Ende dieses Jahrhunderts datiert, zügig und schöpferisch entwickelt hat. Man nimmt mit guten Gründen an, daß diese kultivierte poetische Tradition nicht von ungefähr gekommen sein kann. Dagegen kann man den Verlauf einer früheren homerischen Tradition philologisch nicht erfassen. An dieser Stelle beginnt das weite Feld einer spekulativen „Urgeschichte" der Heldensage. Da man glaubt, daß der historische Hintergrund der homerischen Epen aus mykenischer Zeit stammen müsse, wird die epische Tradition in die dunklen Jahrhunderte und die mykenische Zeit zurückversetzt. In den dunklen Jahrhunderten, so Hoekstra, könne man keine kreativen poetischen Tendenzen erwarten18. Daher müsse man annehmen, daß das dichterische Grundmuster, in Hexameter gefaßt, aus der mykenischen Palastkultur stamme. Das mykenische Heldenepos sei in den Zeiten der Verarmung erstarrt und in fester Form reproduziert worden, um in homerischer Zeit zu neuem Leben erweckt zu werden. Die epische Tradition hätte, so Hoekstra weiter, die „Form einer Sanduhr"; die gleichwertigen Traditionen der mykenischen und der homerischen Kultur wären durch eine unkreative Phase des Wiederholens und Bewahrens verbunden gewesen19. Das mykenische Heldenepos wäre ungefähr vierhundert Jahre lang unverändert weitertradiert worden, sein Inhalt hätte den Sinnbezug zum historischen Kontext verloren, seine Sprache wäre zum Teil unverständlich geworden, seine Gegenstandsbeschreibungen wären größtenteils nicht mehr nachvollziehbar gewesen. Einen solchen Konservativismus kann man sich nur im Rahmen einer fest gefügten Gesellschaft vorstellen, die versucht hätte, in einer inneren Emigration schwierige Zeiten zu überleben. Aufgrund dieses Bewahrungswillens hätte die Gesellschaft der dunklen Jahrhunderte eine Sängerkultur gefördert, die äußerst kultiviert gewesen wäre und die das mündliche Epos ähnlich einer „heiligen", für die Kultur grundlegenden Schrift bewahrt hätte. Können wir uns aber in den geschichtlichen Gegebenheiten der dunklen Jahrhunderte eine solche Bewußtseinskultur vorstellen, deren Bewahrungswille im Gegensatz zur Entwicklung aller anderen Kulturformen gestanden hätte? 17

Hoekstra (1981) 40-53; Kirk (1962) und (1985); Latacz (1988). Hoekstra (1981) 81 ff. " Zitat Ebenda 86. 18

4.

Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte des „homerischen" Jahrhunderts: Entwicklungen, geschichtliche Neuerungen und die Frage nach der homerischen Tradition

Die homerische Zeit, das 8. vorchristliche Jahrhundert, gehört in den Zusammenhang der „geometrisch" genannten archäologischen Kultur. Die geometrische Handwerkskultur beginnt mit dem Protogeometrischen (ca. 1050-ca. 900), sie findet ihren Höhepunkt im 8. Jahrhundert und sie ist um die Zeit der Niederschrift der Ilias (ca. 720) in eine neue Umwandlungsphase eingetreten. Der geometrische Stil der Handwerksprodukte wird von einem orientalisierenden Stil abgelöst. Dabei entsteht auch eine neue Bildersprache, Sagendarstellungen beherrschen nun den Dekor der Keramik und der Geräte. Die Entwicklungsgeschichte der geometrischen Kultur kann man nur an der Entwicklung des Keramikhandwerks verfolgen. Die Geschichte des übrigen Kunsthandwerks, die Geschichte der Siedlungen und Bauweisen und die Geschichte der Ausbreitung der Siedlungen sind weniger einheitlich. Es finden sich Lücken und Sprünge, die darauf hinweisen, daß wir auch die Geschichte der geometrischen Kultur nicht als ein Kontinuum betrachten können, in dem sich alle Sparten der Kultur gleichzeitig auf derselben Höhe entwickelten. Die Stilabfolgen der geometrischen Keramik können daher lediglich als Hilfskonstruktion dienen, die die Ausbreitung dieser Kultur in Raum und Zeit veranschaulichen. Mit Hilfe der Stilgeschichte kann man aber ermessen, ob es allgemeine Tendenzen zum Fortschritt oder zum Rückschritt in der Kultur gegeben hat. Außerdem kann die Stilanalyse die Frage nach der Kontinuität zur mykenischen Keramikkultur präzisieren.

4.1

Der geometrische Stil

Die Qualität des Töpferhandwerks entwickelte seit der protogeometrischen Phase einen Trend zum Fortschritt. Das spät- und submykenische Töpferhandwerk hatte zwar einige mykenische Formen bewahrt, die Entwicklung der Handwerkskunst verlief aber negativ und endete in einem Qualitätszerfall. Die protogeometrische Keramik zeigt eine Reihe neuer Erfindungen, die der Herstellung der Gefäße dienen und die sich auch in der Qualität dieser Waren bemerkbar machen. Die protogeometrischen Gefäßformen sind straffer als die mykenischen, sie sind nun durchgehend auf der schnellen Töpferscheibe hergestellt. Das im Mykenischen vorgebildete Ornament aus abstrakten Mustern wird im Protogeometrischen

4.1 Der geometrische Stil

105

ebenfalls gestrafft; Zirkel und Mehrfachpinsel werden beim Bemalen der Gefäße eingesetzt, geometrische Lineaturen werden entwickelt 1 . Dieser konsequente Gebrauch von Mitteln, die an sich schon bekannt waren, die jedoch selten benutzt wurden, führte zu dem neuen geometrischen Stil2. Die gleichmäßig proportionierten, gestreckten Gefäßkörper entsprechen dem geometrisch strukturierten Dekor. Es entstehen Zonen, die einem geregelten optischen Rhythmus folgen. Auch innerhalb des linearen ungegenständlichen Ornaments bildet sich mit Hilfe der graphischen Mittel ein festes Formengefüge und ein kalkulierter Rhythmus heraus, der den geometrischen Stil ausmacht. Dieser Stil ist mit dem mykenischen nicht mehr verwandt, man kann ihn als Ausdruck eines veränderten Geschmacks bezeichnen. Obwohl das Keramikhandwerk der beiden Kulturen aus einem Zivilisationskreis hervorgegangen ist, bildet die Stilentwicklung vom Submykenischen zum Protogeometrischen eine neue Traditionsfolge heraus 3 . Aus herkömmlichen Formen, die einst in einen eigenen stilistischen Zusammenhang gehörten, wird ein neuer stilistischer Zusammenhang gebildet. Wir finden Diskontinuitäten in der Kontinuität: Stil, Technik und die Entwicklungstendenz eines Handwerks haben sich in einem zivilisatorischen Kontinuum geändert. Die Geschichte der Keramik zwischen dem Spätmykenischen und dem Protogeometrischen kann nicht zu historischen Schlußfolgerungen herbeigezogen werden, etwa dem Rückschluß auf die innere Tradition einer Adelsgesellschaft. Die Gesellschaften der beiden Epochen haben als Auftraggeber des Handwerks einen unterschiedlichen Geschmack entwickelt. Das kann auch Ausdruck einer veränderten geistigen Tradition sein. Die „Erfindung" des protogeometrischen Stils wird attischen Töpfern zugeschrieben 4 . Daran sind nun Zweifel angemeldet worden 5 . Die frühe Keramik taucht gleichzeitig in Attika und in der Argolis auf, sie gleicht sich an beiden Fundorten stilistisch und kann doch in beiden Fällen lokaler Herkunft sein. Man muß annehmen, daß handwerkliche Kunde schon zu dieser frühen Zeit über große Entfernungen ausgetauscht wurde. Asine, Athen und Lefkandi, die Orte an denen die frühe Keramik auftritt, waren von der mykenischen bis zur geometrischen Zeit besiedelt.

1

Snodgrass (1971) 45 ff. ; Coldstream (1977) 26 ff. Styrenius (1967) 60ff., 87ff. Zur Definition und zur Entwicklungsgeschichte des Stils: Schweitzer (1969); Himmelmann-Wildschütz (1960) 28f.; ders.(1962); Andreae/Flashar (1977) 239f. 3 Schweitzer (969) 22 f. 4 Snodgrass (1971) 44, 57; Coldstream (1977) 26ff., 51 f. 5 Wells (1983) 120 f. 2

106

4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

4.2

Spuren der Siedlungsgeschichte vom Spätmykenischen zum Protogeometrischen

In den Siedlungen von Athen und Attika sind für die kritischen Phasen vom Spät- zum Submykenischen und zum Protogeometrischen keine bemerkenswerten Zerstörungsschichten gefunden worden 6 . Die Flächenaufteilung der Siedlungen und der Landschaften hat sich jedoch zwischen dem Spätmykenischen und dem Protogeometrischen sichtbar geändert. Eine Kontinuität des Ortes gibt es nur in Athen und eventuell auch in Eleusis. Im Submykenischen verschwanden neben dem Friedhof von Perate mehrere Siedlungen, in derselben Phase wurden neue Siedlungen nach veränderten Orientierungen errichtet 7 . Der mykenische Friedhof auf der athenischen Agora wurde bebaut, zur selben Zeit entstand der Friedhof am Kerameikos 8 . In demselben Zeitraum entstanden auch die ersten Sequenzen des attisch-geometrischen keramischen Stils9. Ein ähnliches Bild wie in Attika zeigt sich in der Siedlungsgeschichte der Argolis und in den Bebauungsfolgen von Lefkandi 10 , innerhalb einer kontinuierlichen Besiedlung des Ortes oder des Gebietes zeigen sich neue Strukturen. Vor allem die Funktionen der verschiedenen Lokalitäten innerhalb der Siedlung werden neu bestimmt".

4.3 Zur Frage der Entwicklung einer gesellschaftlichen Stratigraphie vom Spätmykenischen zum Protogeometrischen Die spätprotogeometrischen Fundschichten in der Argolis (Asine), in Messenien (Nichoria), auf Euböa (Lefkandi) und auf Kreta (Knossos) lassen Strukturen erkennen, die vielleicht auf die Lebensweise in der Frühphase der dieser „geometrischen" Kultur schließen lassen 12 . Bei dem Versuch, diese neuen gegenständlichen Daten zu interpretieren, können wir zum ersten Mal vorsichtig auf homerische Beschreibungen zurückgreifen. Dagegen ist der Interpretationszusammenhang mit den Daten der mykenischen Kultur sinnlos geworden. 6

Broneer (1956). Hooker (1977) 152; A l i n (1962) cf. Athen/Attika. 8 Thompson/Wycherley (1972) 3.17; Morris (1987) 67ff. 9 Kübler (1939) 138ff.; Styrenius (1967) 87ff.; Hachmann (1963) 47ff.; Snodgrass (1971) 44. 10 Hägg (1974) bes. 42ff.; ders. (1982) 297ff.; Wells (1983) 17ff.; Popham/Sackett (1979/80) 355 ff. " Drerup (1969) 80ff.; Krause (1976) 171 ff.,197f.; Snodgrass (1971) 268ff. 12 Wells (1983); Popham/Sackett/Touloupa (1982); MacDonald (1972) 218ff.; ders. (1975) 85 ff. 7

4.3 Zur Frage der Entwicklung einer gesellschaftlichen Stratigraphie

107

Das auffälligste Merkmal der neuen Siedlungskultur ist das monumentale Apsidenhaus, das in Asine, Nichoria und Lefkandi nach einem einheitlichen Schema erbaut wurde13. Das größte unter diesen Häusern befindet sich in Nichoria, es mißt 13,6 mal 8 m. Das Gebäude war überdacht, seine Wände mußten aus statischen Gründen verdickt und mit Pfeilern abgestützt werden, die Grundmauern sind daher bis zu 1,20 m breit14. Keines dieser großen Häuser stand lange Zeit, das monumentale Haus verschwindet mit der protogeometrischen Kulturphase. Diese Häuser stürzten wegen der gewagten Bauweise schnell ein und wurden nach wenigen Versuchen, sie wiederzuerrichten, aufgegeben 15 . Das Haus von Lefkandi ist wahrscheinlich schon während der Bauzeit eingestürzt. Seine Erbauer ahnten wohl nicht, daß sie es über einem mykenischen Kammergrab erbauten, das sich als ein unsicherer Grund für die schweren Wände des Hauses erwies16. Außer in dem Gebäude von Lefkandi, das wahrscheinlich niemals im Gebrauch war, sind in allen anderen Gebäuden Gegenstände des täglichen Lebens gefunden worden, vor allem Spinnwirtel, Webgewichte und handgemachte Gebrauchskeramik 17 . In beiden Gebäuden hat man Vorrichtungen für Verbrennungsstellen gefunden, runde aus Steinen zusammengesetzte Platten, die als Herde, aber auch als Altäre gedient haben können 18 . Vermutlich haben wir es bei diesen Häusern mit einer frühen Form des homerischen adligen „oikos" zu tun, dem Haus des Odysseus oder des Alkinoos vergleichbar (Od. 6,298 ff. ; 7,48 ff)· Dieses Haus ist der Sitz verschiedener handwerklicher und landwirtschaftlicher Tätigkeiten. Das Haus ist aber auch ein Ort, wo geopfert wird, und es kann auch als Versammlungsort einer Speisegemeinschaft gedient haben. Der „oikos" war der Mittelpunkt einer dörflichen Siedlung19. Durch den oikos bildete sich wohl eine erste soziale Stratigraphie in dem einfachen Gemeinschaftswesen der protogeometrischen Siedlungen. Dieses einfache Gemeinschaftswesen ist, nach den archäologischen Funden, typisch für die frühe geometrische Kultur. Das Dorf war anscheinend eine Produktionseinheit und bei Gelegenheit auch eine Verteidigungseinheit. Die einfache herrschaftliche Stratigraphie kristallisierte sich anscheinend an der Organisationsfähigkeit und an den materiellen Mitteln Einzelner heraus. Festgelegt wurde die Stratigraphie in neuen Gemeinschaftsformen und 13 MacDonald (1972) 253ff.; Popham/Sackett/Touloupa (1982) 169ff.; Wells (1983) 88 ff. 14 MacDonald (1972) 253. 15 MacDonald (1975) 140; Wells (1983) 89. 16 Popham/Sackett/Touloupa (1982) 173. Vgl. BCH 107, 1983, 807. 17 Wells (1983) 80; MacDonald (1975) 92. 18 MacDonald (1972) 253; ders. (1975) 92. " Wells (1983) 33ff., 89; Drerup (1969) 96ff., 123ff.

108

4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

gesellschaftlichen Rollen, die sich gegenständlich in dem Apsidenhaus widerspiegeln. Die neue Gesellschaftsform und ihre ökonomischen Bedingungen scheinen sich in protogeometrischer Zeit zu stabilisieren. In der Landwirtschaft entwickelten sich regelmäßige Arbeitsweisen. Die Felder wurden jährlich bewirtschaftet, Vieh wurde gezüchtet und auf Weiden getrieben 20 . Es entstanden auch, soweit wir sehen können, recht stabile weitläufige Handelsbeziehungen 21 . Den Mittelpunkt dieser Wirtschaftsweisen bildete Homer zufolge die aristokratische Haushaltung. Man kann vermuten, daß die Anfänge dieser Ökonomie und die mit ihr verbundenen Lebensformen in der protogeometrischen Zeit gefunden wurden. Äußerlich manifestierten sich diese Neuerungen und die mit ihnen verbundene erste soziale Hierarchie in einer mit geringer Baumeisterkenntnis errichteten monumentalen Herrschaftsarchitektur, einem Experiment, das in seinen unpraktischen monumentalen Ausmaßen bald wieder aufgegeben wurde 22 . Der einmalige Fundzusammenhang des Hauses von Lefkandi kann die geschichtliche Interpretation vielleicht noch weiter führen. Die Mauern des Hauses wurden eingeebnet, nachdem es eingestürzt war. Dabei wurde der Fußboden des Hauses aufgeschüttet, in der Mitte der so entstandenen Einfriedung piazierte man dann ein aufwendiges Begräbnis 23 . Dieses bestand aus einem Bronzepithos phönikischer Herkunft, in dem die Asche eines Mannes in Tücher gehüllt beigesetzt worden war, außerdem noch aus einem Schachtgrab, in dem sich ein mit reichem Goldschmuck versehenes Frauenskelett befand. In diesem Grab waren kostbare orientalische Importstücke zu finden. Neben dem Bronzepithos lagen noch zwei Pferdebestattungen. Außerhalb der Einfriedung aus den Restmauern des Apsidenhauses wurde ungefähr um die gleiche Zeit ein Friedhof angelegt. Auch die dort Bestatteten gehörten nach den Grabbeigaben einer gehobenen Schicht an 24 . Das Begräbnis mit seiner architektonischen Einfriedung erregte Aufsehen unter den Archäologen und wurde von den Ausgräbern zunächst als Heroon gedeutet 25 . Eine Grabarchitektur als Heroenmonument gibt es allerdings erst in späterer Zeit und auch die Einfriedung, die einen Ort des Heroenkultes kennzeichnet, erscheint erst im späten 8. Jahrhundert 2 6 . Die wichtigsten Merkmale des Heroenkultes, so wir ihn seit dem 8. Jahrhun20

Popham/Sackett (1979/80) 398ff.; Wells (1983) 123. Wells (1983) 121; Popham/Pollard/Hatcher (1983). 22 In vernünftigen Größenordnungen lebt die Hausform weiter: Drerup (1969) 87 ff. 23 Popham/Sackett/Toupoupa (1982:1) 170 ff. 24 Popham/Sackett/Touloupa (1982:2). 25 Popham/Sackett/Touloupa (1982:1) 173f.; Blome (1984) 12ff. 26 Hampe (1956) 5 f. 21

4.3 Zur Frage der Entwicklung einer gesellschaftlichen Stratigraphie

109

dert kennen, fehlen: die Reliquie und der Kultaltar. Diesen Heroenkult können wir im 8. Jahrhundert in Lefkandi finden, er gilt dann dem eingestürzten mykenische Kammergrab unter dem Apsidenhaus und nicht dem vermeintlich zum Helden emporstilisieren Vorfahren, dessen Asche auf „homerische Weise" in Tücher gehüllt in dem Bronzepithos inmitten des Apsidenhauses bestattet wurde. Dieser Sachverhalt läßt umgekehrt darauf schließen, daß es im Spätprotogeometrischen schon eine Art des Ahnenkultes gegeben hat, der in den kulturellen Zeichen (Begräbnissitten) der homerischen Zeit wiederzufinden ist27. Dieser Ahnenkult brachte aber nur ein kurzes Gedächtnis hervor, da die lokale Tradition schon bald unterbrochen wurde. Der Ahnenkult, so können wir diesem Befund entnehmen, hat hier nichts mit dem späteren Heroenkult zu tun. Die Bestattungen innerhalb der Einfriedung und die außerhalb gelegenen, die zusammen ein Friedhofsareal bilden, datieren vom 10. Jahrhundert bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts 28 . Der Friedhof kann das Dokument einer frühen adligen Femiliengeschichte sein29. - Wenn wir mit „Adel" die Elite bezeichnen, die aus dem oben genannten dörflichen Hauswesen und seiner Ökonomie hervorgegangen ist. Es handelt sich bei dem Begriff um eine Hilfskonstruktion, die strukturell wenig mit dem Begriff der späteren griechischen Aristokratie zu tun hat. - Gegen Ende des 9. Jahrhunderts hörte die Begräbnistradition in Lefkandi auf ; anscheinend verließ ein großer Teil der Siedler um jene Zeit den Ort, um sich - wie man annimmt - in Eretria anzusiedeln30. Eine „Oral History" oder eine Legendenbildung, die bis zu der bemerkenswerten Grabstätte in Lefkandi zurückginge oder die spätere Umsiedlung beschriebe, gibt es nach unserer Überlieferung nicht. Das Grab des sogenannten Helden von Lefkandi war im 8. Jahrhundert schon vergessen; es wurde auf jeden Fall nicht beachtet, als man anfing, Spendeopfer in dem nahen mykenischen Kammergrab darzubringen. Ein ähnlich aufwendiger Friedhof wie in Lefkandi wurde im Tekke, einem Teil von Knossos gefunden 31 . Es handelt sich bei diesem Friedhof um eine Reihe von Kammergräbern, die vom 10. bis ins 7. Jahrhundert datieren. - Auf Kreta war die nachmykenische Kulturgeschichte, ähnlich wie auf Zypern, konservativ. Es wurden mehr mykenische Kulturformen als auf dem Festland weitertradiert, in diesem Fall das Kammergrab. Auf beiden Inseln entwickelte sich aber keine mykenische Nachfolgekultur. 27

Zur Verallgemeinerung des Phänomens vgl. Cavanagh (1977) 385f.; Morris (1987) 182. 28 Popham/Sackett (1979/8o) 363; Popham/Sackett/Touloupa (1982:2) 245f. 2 " Ebenda 246ff. 30 Ebenda 245 f. 31 Catling (1978) U f f .

110

4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

Besonders die Grabsitten können nicht als Zeichen dafür gelten, im nachmykenischen Griechenland differieren sie besonders an den verschiedenen Fundorten der neuen Kultur 32 . - Interessant sind die Grabbeigaben aus dem Friedhof in Knossos. Nach diesem Funden blühte dort schon im 10. Jahrhundert der Handelsaustausch mit dem phönikischen Osten. Aus dem ältesten Kammergrab (J) stammt eine Bronzeschale, auf der eine phönikische Inschrift eingraviert ist33. Grabbeigaben geben Auskunft über den Wert, den Artefakte in einer Gesellschaft haben, sie geben auch Auskunft über die Selbsteinschätzungen der Mitglieder dieser Gesellschaft, über die Wertschätzung verschiedener sozialer Rollen. In den zum Grabkult gehörenden (homerischen) Scheiterhaufen auf dem Toumbafriedhof von Lefkandi hat man ein Gerät, den Bratspieß, gefunden, der beim Opfer und in der Speisegemeinschaft eine große Rolle spielte und als Requisit der Helden auch in eine homerische Formel eingegangen ist34. Dieses Requisit gehört in die soziale Welt des Apsidenhauses, es gehört zu der neuen Lebensform, der Hauswirtschaft, und ihrer sozialen Stratigraphie. Braten dfcsen bei Homer nur die Helden, der Bratspieß als Grabbeigabe deutet auf den Edlen, das hervorgehobene Mitglied einer Gemeinde hin, das vielleicht im Sinne der Gemeinde opfert und mit anderen bedeutenden Mitgliedern der Gemeinde speist und sich berät. Andere Zeichen der Begräbniskultur, wie die Pferdebestattung, die Wagenmodelle als Grabbeigaben, die Zurschaustellung anderen Kriegsgerätes, weisen darauf hin, daß das Kriegswesen innerhalb der sozialen Gruppe eine Rolle spielte und daß der Edle wohl kriegerische Lebensformen zur Schau stellte35. Dieses Kriegswesen wird zu jener Zeit wohl keinen politischen Konstellationen, sondern, den Zuständen der Zeit gemäß, den Konflikten zwischen Seßhaften und Umherwandernden entsprungen sein.

4.4

Wanderungen in der Frühzeit der geometrischen Kultur

Auch zur Zeit der frühen geometrischen Kultur scheint es immer noch wandernde Menschen und Neueinrichtungen von Siedlungen gegeben zu haben. Das zeigen die Verhältnisse in Lefkandi, vor allem aber die sogenannte ionische Wanderung an. Man nennt diese Wanderung oft Koloni32

Portzmann (1969) 397ff.; Snodgrass (1971) 273f. Vgl. die Übersicht bei Blome (1984) 12-18. 33 Catling (1978) 12 und Tf.28. 34 Popham/Sackett/Touloupa (1982:2) 227 ff. Zur typischen Szene der Speisezubereitung und der Mahlzeit vgl. Arend (1933) 17ff., 68ff. 35 Popham/Sackett/Touloupa (1982:2) 239ff. Zur Pferdebestattung vgl: Blome (1984) 18; Andronikos (1968).

4.4 Wanderungen in der Frühzeit der geometrischen Kultur

111

sation und greift damit vor auf einen Begriff der homerischen und der darauffolgenden archaischen Zeit. Man bleibt aber besser bei dem Begriff der Wanderung 36 , denn es ist zweifelhaft, ob wir es hier, wie im 8. und den darauffolgenden Jahrhunderten, mit politischen Handlungen zu tun haben, geplanten, großangelegten Neubesiedlungen außergriechischer Landschaften, die zum Ziel hatten, Städte, politisch organisierte Gemeinwesen zu gründen. Auch die sagengeschichtliche Überlieferung müssen wir daran messen. Die ionische Kolonisationssage gibt vor, als sei Ionien durch eine Folge von Gründungsakten kolonisiert worden, es ist aber fraglich, ob diese Sagen Erinnerungen an derartige politische Taten des 10. und 9. Jahrhunderts bewahrt haben können 37 . Wie die archäologische Evidenz auf dem griechischen Festland gezeigt hat, scheint es großangelegte und zeitüberdauernde geschichtliche Erinnerung, in Form des Ahnenkultes etwa, zu jener Zeit dort nicht gegeben zu haben. Die Erzählstruktur der Sagen erinnert an die Kolonisationssagen des 8. und 7. Jahrhunderts. Es ist möglich, daß die Zyklen der Gründungssagen auf die politischen Formierungen jener Zeit zurückgehen, daß es sich bei ihnen um zurückentworfene Geschichte handelt. Einige dieser Sagen sind in den homerischen Epen schon erwähnt; die ionische Kolonisationssage und die griechischen Städte Kleinasiens können aber aus sagengeschichtlicher Logik ausgelassen worden sein, weil der troische Krieg in die heroische Zeit, das sagengeschichtliche Zeitalter vor den Wanderungszügen gehört (vgl. unten 153 ff.). Es ist nicht bewiesen, daß, wie der homerische Schiffskatalog scheinbar will, in mykenischer Zeit an der kleinasiatischen Küste keine mykenischen Siedlungen, sondern nur Handelskolonien bestanden hätten. Ich halte es eher für wahrscheinlich, daß das griechische Festland, die ägäischen Inseln und die kleinasiatische Küste, im 2. wie im 1. Jahrtausend zu einer Kulturlandschaft gehörten, deren Mitte das ägäische Meer gewesen ist. Das Meer stellt nicht Entfernung, sondern Nähe her38, es kann also zur Festigkeit einer Kulturlandschaft beitragen. Kleinasiens Küste muß daher nicht durch gezielte Landnahme von einem fremden in ein griechisches Kulturgebiet verwandelt worden sein. Das Küstenland kann schon zum mykenischen Kulturkreis gehört haben und es kann in der Wanderungszeit nach 1200 in den Kreis der Bevölkerungsbewegung einbezogen gewesen sein, aus der die spätere griechische Sprache mit ihren Dialekten hervorgegangen ist. 36

Vgl. Snodgrass (1971) 373. Vgl. Prinz (1979) 314ff. Anders: Hertel (1991). 38 Vgl. dazu Schadewaldt (1942:2) 96ff. Unter „Kulturlandschaft" versteht man die geographischen Bedingungen, die die Bevölkerung eines Gebietes dazu bewegen, sich miteinander auszutauschen. 37

112

4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

Wie wir in Milet und sogar in Troia sehen können, gibt es an diesen Orten eine Kontinuität der Siedlungen, die mit der Siedlungskontinuität auf dem Festland vergleichbar ist. Auch in Kleinasien zeigen sich bemerkenswerte Einschnitte im Übergang von der mykenischen zur geometrischen Kultur 39 . Mit aller Vorsicht kann man nach dem Stand der Ausgrabungen schließen, daß hier die Zahl der Siedlungen und der Bevölkerung noch stärker als auf dem Festland zurückgegangen sind. Man muß bisher auch annehmen, daß die kleinasiatischen Siedlungen die frühe geometrische Kultur nicht aus eigenem Antrieb hervorbrachten, daß das Protogeometrische hier mit einer kurzen Phasenverschiebung aufgetreten ist, eingeleitet durch festländische Importstücke aus der Wende vom 11. zum 10. Jahrhundert 40 . Ob man hier von Handelsbeziehungen oder einem Bevölkerungsaustausch oder von beidem sprechen soll, ist ungewiß ; man muß bedenken, daß zu jener Zeit seßhafte Lebensformen gesucht wurden, dazu gehört auch die Suche nach Siedlungsgebieten41. Auf dem Festland zeigen sich zur selben Zeit Anzeichen für ein Wachstum der Bevölkerung, Abwanderungen und Umsiedlungen können damit verbunden gewesen sein42. Aus den für die frühen dunklen Jahrhunderte charakteristischen demographischen Bewegungen könnten die späteren kleiasiatisch griechischen Dialekte hervorgegangen sein. Wenn das Mykenische eine Vorform des Griechischen war, so wird es auch in den mykenischen Siedlungen Kleinasiens gesprochen worden sein. Wir wissen auch, daß das Ionische zwar mit den älteren südgriechischen Dialekten verwandt ist, daß es sich aber nicht bruchlos aus einem „mykenischen" Dialekt entwickelt hat, sondern wie alle frühgriechischen Dialekte von den Neuerungen geprägt ist, die die Verschiebungen der Dialekte in den dunklen Jahrhunderten mit sich brachten 43 . Diese Sprachentwicklung kann auf den Einfluß von Einwanderern des Festlandes zurückgehen. Auf eine kulturelle und politische Identität dieser Einwanderer, darauf, daß sie sich in irgendeiner Form organisiert hatten, weist nichts hin. Es finden sich keine festländischen Kulturinseln an der frühgriechischen kleinasiatischen Küste. Erst mit den ionischen Gründungssagen scheint ein Erzählzusammenhang zu beginnen, der die geschichtlichen griechischen Identitäten bestimmt und der auch für politische Ideologien ausgenutzt werden kann 44 . 39

Snodgrass (1971) 373ff.; Bittel (1983) 42ff.; Hommel (1983); Hertel (1991). Vgl. Hanfmann (1953)2, lOff.; Thomas (1966) 401 ff.; Cook (1982); ders. (1975) und (1958). 41 Hanfmann (1953) 11 ff. 42 Z.B. in Asine und Lefkandi am Ende der Phase 3 des Protogeometrischen: Wells (1983) 88ff.; Popham/Sackett (1979/80) 362ff.; Blome (1984) lOf. 43 Risch (1980) 103 ff. 44 Prinz (1979) 331 ff., 347ff., 353ff.; Anders: Heubeck (1983) 218f. 40

4.5 Die Entwicklungsgeschichte der „geometrischen" Kultur

113

4.5 Die Entwicklungsgeschichte der „geometrischen" Kultur im 9. und 8. Jahrhundert als Vorgeschichte der homerischen Zeit Im folgenden geht es um die Entwicklungsgeschichte der archäologischen „geometrischen" Kultur und ihr Verhältnis zur Kultur der homerischen Zeit, in die der Höhepunkt und der Zerfall dieser Kulturentwicklung fällt. Nach der archäologischen Formenanalyse hat sich die protogeometrische Tradition auf dem Boden einer degenerierenden submykenischen Kulturphase entwickelt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß diese Entwicklung in keinem geschichtlichen Zusammenhang mit dem vorausgehenden Spätmykenischen steht. Der Wandel vom Spätmykenischen zum Protogeometrischen zeigt sich in den funktionalen Veränderungen der Kulturgegenstände, die sich im 10. Jahrhundert nach einer fast hundertjährigen ereignislosen Zeit bemerkbar machen, in der man kaum eine Entwicklung der Kultur beobachten kann. Mit dem landwirtschaftlichen Hauswesen, der Oikoswirtschaft, tritt eine neue Lebensform auf, die das Sozialwesen der Siedler in der protogeometrischen Zeit bestimmt. In dem Funktionszusammenhang des neuen Sozialwesens sind auch die Kulturgegenstände in einen neuen repräsentativen Sinnzusammenhang getreten, das belegen besonders die Grabfunde aus Lefkandi. Damit läßt sich erklären, warum das Handwerk, hier das Keramikhandwerk, im 10. Jahrhundert eine neue qualitative Entwicklung durchmachte. Als Gegenstand der Repräsentation wird das Artefakt wieder wertvoll, die Ambition des Handwerkers muß dem nachkommen. Der Kunstgegenstand wird auch zum Handelsgut, er stellt eine Ware von Wert dar45. Das Leben im Siedlungsverband, die materielle Sicherheit und die ökonomische Organisation im landwirtschaftlichen Hauswesen, - all dies förderte auch das Handwerkswesen und bewegte die Kunsthandwerker zu neuen technischen und künstlerischen Versuchen. Die Entwicklung der sogenannten geometrischen Kultur im 9. und im 8. Jahrhundert läßt sich weiterhin am besten an der Entwicklung des keramischen Handwerks verfolgen. Äußerlich sieht diese Entwicklung kontinuierlich aus, sie macht aber im Übergang zum 8. Jahrhundert einen Sprung. Bei der Stilanalyse zeigt sich ein immer ausgeprägteres Formenbewußtsein, eine immer schneller werdende stilistische Entwicklung vom Hoch- zum Reif- und zum Spätgeometrischen46. Im attischen Handwerk erscheinen Meister, z.B. der Meister der DipyIon-Amphoren 47 . Dieser 45 46 47

Cook (1959). Schweitzer (1969) 32 ff; Coldstream (1968). Andreae/Flashar (1977) 230 ff.

114

4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

Meister bediente sich neben dem geometrischen Dekor eines geometrisch stilisierten Bildprogramms. Diese Vasenbilder stellen die Begräbniszeremonie, Prothesis und Ekphora, und andere adlige Lebensformen dar 48 . In den anderen griechischen Landschaften findet man zu dieser Zeit ausgeprägte lokale Stile, Hinweise für festgefügte und stilbewußte Handwerkstraditionen 49 . Der geometrische Stil ist im 8. Jahrhundert als künstlerisch sicher ausgeführte Form auch im Bronzehandwerk zu finden. Grundlage dessen ist eine neue Metallindustrie 50 . Wir wissen nun auch mehr über den Gebrauch der Artefakte. Die Bronzen findet man als Weihgaben in den verschiedenen im 8. Jahrhundert neu gegründeten Heiligtümern 5 ', die Dipylon-Amphoren stehen als monumentaler Grabschmuck auf den Gräbern des attischen Adels. Das Bildprogramm der großen Grabamphoren erzählt von der adligen Selbstdarstellung, vom Gebrauch der Gegenstände in der Zeremonie. Snodgrass bemerkte, daß diese Kultur eine Überhöhung des Alltäglichen darstelle 52 . Die gegenständliche Kultur des 8. Jahrhunderts spricht von einem Bewußtsein, mit dem sie gebraucht wurde. Sie verkörpert eine gesellschaftliche Identität, sie verweist nicht nur auf einen materiellen und ästhetischen Wert, sondern auf die soziale Rolle, die der Eigentümer eines Kunstgegenstandes inne hatte 53 . Das spiegelt auch die Literatur wieder, nicht von ungefähr ist der wertvolle Gegenstand oder das Artefakt ein Erkennungszeichen des Ranges und der Tatkraft der homerischen Helden. Es scheint, als habe sich zu jener Zeit die soziale Welt des frühgriechischen Adels stabilisiert und als habe dieser Adel zu überregionalen Repräsentationsformen gefunden. Die Kulturgegenstände des 8. Jahrhunderts sind in einen Funktionszusammenhang eingebunden, den wir aus der griechischen Überlieferung zu kennen scheinen. Der Gebrauch der verschiedenen kulturellen Realien ist ablesbar geworden, er verbindet sich für den Interpreten mit der kulturellen Praxis, die für die griechische aristokratische Kultur typisch ist. Wegen der neuen Erkenntnisqualität, die nun in der frühgeschichtlichen materiellen Kultur liegt, spricht man von einer Renaissance oder von einem „enlightenment" 5 4 . Es kann sich aber nicht um ein Wiederaufleben einer alten „erinnerten" historischen Qualität han48 Himmelmann-Wildschütz (1969:2); Ahlberg (1971); Fittschen (1969); Snodgrass (1980) 66 f. 49 Coldstream (1983:1) 17 ff. 50 Himmelmann-Wildschütz (1964); Snodgrass (1980) 49ff. 51 Ebenda 52ff.; Coldstream (1983:2). 52 Snodgrass (1980) 67 f., 76. 53 Himmelmann-Wildschütz (1969:1) 36 ff. 54 Snodgrass (1980) 66ff.; Hägg, Hrsg. (1983) 208-10. Der Begriff „Renaissance" wurde zuerst von A. R. Burn - (1936) 49, 150 ff. - unter dem Einfluß der Kulturtheorie Toynbees angewendet.

4.5 Die Entwicklungsgeschichte der „geometrischen" Kultur

115

dein. Es handelt sich eher um das Resultat der Entwicklung des neuen Kulturzusammenhangs, um den Sprung zur historischen Qualität der griechischen Geschichte. Die frühgriechische Kultur erreicht im 8. Jahrhundert die Stufe einer Hochkultur; diese Kulturstufe ist nur in einem abstrakten Sinne mit der kulturellen Entwicklungsstufe des Mykenischen zu vergleichen. Im 8. Jahrhundert werden in der griechischen Kulturlandschaft überlokale Einheiten gegründet, Spiele, Kultfeiern, Amphiktyonien entstehen, und damit bildet sich ein neuer Aktionsradius für gesellschaftliches Handeln heraus. Die einzelnen Edlen lokaler Herkunft finden gemeinsame Lebensformen, die in den überlokalen Begegnungsstätten ausgetauscht und gleichzeitig gesellschaftlich anerkannt werden. Daraus bilden sich die gemeinsamen hellenischen aristokratischen Kulturformen. Es entsteht nun auch eine politische Kultur, der Stadtstaat, das institutionalisierte Gemeinwesen, in dessen Rahmen die einzelnen Adligen Rollen und Repräsentationsformen annehmen, die über die persönliche Einflußsphäre des Einzelnen hinausgehen. Mit den Poleis entsteht auch die großräumige politische Kultur, das Bündniswesen und die Kolonisationsunternehmen 55 . Angesichts dieser Entwicklung muß man sich fragen, ob man die dem 8. Jahrhundert vorausgehende Kultur- und Gesellschaftsgeschichte schon mit der homerischen Kultur vor Augen interpretieren kann. Die Veränderungen im Gesellschaftsbild des 8. Jahrhunderts sprechen eher dafür, daß wir nur bedingt von einer Entwicklung sprechen können, daß der Entwicklungssprung des 8. Jahrhunderts die innere, sinngebende Struktur der Kultur aufs Neue verändert haben kann. Die aristokratische Gesellschaft steht nun in einem überregionalen politischen und kulturellen Aktionsradius. Wir haben es jetzt mit einer hochkulturellen Gesellschaftlichkeit zu tun; die einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaft stehen in einem vielschichtigen Beziehungssystem, in dem sie ihre Rollen behaupten müssen. Der Geschenkaustausch, die Siegerpreise bei den Wettspielen, die Weihgaben in den Heiligtümern spiegeln das adlige Rollenspiel und das mit ihm verbundene Konkurrenzverhalten wider. Es genügt nun nicht mehr, innerhalb einer Siedlung die Stellung des Herrn innezuhaben und persönlichen Einfluß auszuspielen, dem „Edlen" steht nun ein Rang in einer Gesellschaft zu, den er zeigen und verteidigen muß. Diese aristokratische Selbstdarstellung ist Teil einer gesamtgriechischen Gesellschaft. In dieser Gesellschaft werden die einfachen Lebensformen der vorherigen Jahrhunderte zu bewußt aristokratischen Lebensformen stilisiert. Wenn wir mit anschaulichen geschichtlichen Begriffen sprechen wollen, können wir nach unseren Kenntnissen erst für das 8. Jahrhundert von einer Gesell5S

Snodgrass (1986).

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4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

schaft aristokratischen Typs und den mit ihr verbundenen stilisierten Lebensformen sprechen. Diese Gesellschaft ist aber aus den einfachen Formen der Gesellschaftlichkeit hervorgegangen, die in den frühgriechischen Siedlungen entstanden war; sie bedient sich auch der Kulturpraxis, die in jenen Zeiten schon vorgeformt wurde. Die Lebensformen der Hausherren, das ländliche und kriegerische Adelswesen56, das uns in den typischen Erzählformen der homerischen Epen entgegentritt, haben sich schon in der Frühzeit der „geometrischen" Kultur entwickelt. Diese Lebensformen werden in der Selbstdarstellung einer gesamtgriechischen Aristokratie aufgewertet, ihr Publikum, für das die Darstellung aristokratischen Lebens bestimmt ist, erweitert sich. Die hellenisch-achäische heroische Welt Homers ist die Idealisierung eines hochdifferenzierten Gebildes, das der neuen überregionalen Gesellschaftsordnung des 8. Jahrhunderts entspricht und das sich wahrscheinlich aus dem Zusammenspiel verschiedener lokaler Traditionen gebildet hat. Wie kann man das komplizierte Kultursystem der homerischen Zeit auf dessen einfache lokale Vorformen rückbeziehen? Zunächst mag der unerwartete Reichtum der protogeometrischen Kultur, vor allem der Gräber von Lefkandi blenden und dazu führen, in dem homerischen Adel ein zeitloses Gebilde zu sehen, das schon in den Anfängen der frühgriechischen Kultur angelegt war. Dieser Reichtum ist aber nicht mit dem Reichtum zu vergleichen, den die Grabbeigaben und die Weihgaben der verschiedenen Kultorte des 8. Jahrhunderts widerspiegeln57. Im 10. und 9. Jahrhundert finden wir nur wenige prosperierende Siedlungen ; nichts deutet darauf hin, daß eine mögliche Elite unter den Siedlern sich zu einem überregionalen Gesellschaftswesen verbunden hätte. Die frühen Siedlungen sind bevölkerungsarm und kaum mit den Siedlungen des 8. Jahrhunderts zu vergleichen58. Es ist auszuschließen, daß sich die frühen Siedler zu politischen Verbänden zusammengeschlossen haben. Das persönliche Bindungswesen der dörflichen Gemeinschaft bedurfte dessen wohl nicht. Es ist nicht zwingend anzunehmen, daß die Herrschenden in den einzelnen Siedlungen untereinander einen exklusiven Zirkel bildeten. Die stilistische „koine" der proto- und mittelgeometrischen Keramik mag dem sozialgeschichtlichen Bild von isolierten, dörflichen Gemeinschaftsbildungen mit einfachen, lokalen Hierarchien in frühgriechischer Zeit widersprechen. Die kulturelle Einheitlichkeit findet sich zu dieser Zeit jedoch allein bei den keramischen Erzeugnissen, - die kostbaren einander gleichenden Artefakte derselben Fundzusammenhänge stammen meistens aus dem phönikischen Handel. Diese Funde verraten, daß große 56 57 58

Strasburger (1953); Stein-Hölkeskamp (1989) 49-56. Morris (1987) 148 ff. Ebenda 145ff.; Snodgrass (1980) 20ff.

4.5 Die Entwicklungsgeschichte der „geometrischen" Kultur

,

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Wege für den Handel zurückgelegt wurden. Auch wandernde Handwerker wird es zu dieser Zeit gegeben haben; das verrät die stilistische Einheitlichkeit der Keramik ebenso wie die ähnliche Bauweise der geometrischen Häuser. Die Kommunikationsformen der örtlichen Eliten untereinander, die wohl die Auftraggeber und Schutzherren dieser Unternehmungen gewesen waren, sind nicht so leicht zu ermitteln. Es gab wohl einen Verkehr dieser „Edlen" untereinander, ob sie sich aber schon als Teile einer überregionalen Gesellschaft fühlten, ist ungewiß. Mit Sicherheit gab es aber einfache Verkehrsformen und Möglichkeiten des gegenseitigen Austausche. Dazu gehörten die Formen der Gastfreundschaft, die wir in den homerischen Epen beschrieben finden und die in vielen einfachen Kulturen verbreitet sind. Das Apsidenhaus oder allgemeiner das geometrische Herdhaus, das aus dem großen protogeometrischen Apsidenhaus hervorgegangen ist, kann als frühe repräsentative Architektur gelten. Diese Architektur kann darauf hinweisen, daß es schon in der Frühzeit der geometrischen Kultur religiöse und gesellige Zeremonien gegeben hat, die denen der homerischen Zeit ähneln. Dieses geometrische Herdhaus ist ein Langhaus mit einem Firstdach, in dem sich ein Rauchabzug befindet. Es besitzt einen Apsisoder einen Rechteckabschluß; so kennen wir diesen Haustyp von geometrischen Tonmodellen 59 . Die Bauweise unterscheidet sich vom mykenischen Haus (Megaron)60. Das frühgriechische Herdhaus wird gegen Ende des 9. Jahrhunderts zur Grundform der Tempelarchitektur 61 . Diese Architektur wird, mit einer Ringhalle umgeben, zum repräsentativen kultischen Monument der archaischen Zeit62. Das Herdhaus scheint in der frühen Zeit eine doppelte Funktion erfüllt zu haben, es diente als Opferstätte und zugleich als Repräsentations- und Festraum für die Männergemeinschaft des „oikos" 63 . Das Haus steht entweder frei und dominierend inmitten der Häuser eines Landwirtschaftsbetriebes, oder es erscheint als große Halle in einem mehrgliedrigen Bau. In Zagora finden wir ein Beispiel für den zweiten Fall, nach dem auch das Hauswesen des Odysseus in der Dichtung rekonstruiert wird64. Die protogeometrischen Apsidenhäuser sind Vorläufer dieser Architektur. Schon in diesen Häusern kann man Relikte finden, die als Zeichen für gesellige und kultische Zeremonien gedeutet werden können. Dazu gehören die runden " Drerup (1969) 70f.; Vermeule (1974) 136. 60 Drerup (1969) 184; Snodgrass (1971) 369 ff. 61 Drerup (1969) 28; Vermeule (1974) 136. 42 Drerup (1969) 128. 63 Ebenda 126 ff. Zur inneren „Ordnung des Hauses" vgl. Wickert Micknat (1983) 185-193. 64 Drerup (1969) 130.

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4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

Steinkonstruktionen, die als Herde und als Altäre gedeutet werden. Die aufwendige Konstruktion könnte als Gerät einer Opfer- und Speisegemeinschaft gedient haben, deren Sozialwesen wir aus den homerischen Epen kennen 65 . Das Opferzeremoniell wurde, wie Drerup zeigte, später in die kultische Zeremonie des Tempels überführt. Der Tempel von Thermos beispielsweise wurde an der Stelle einer im Freien gelegenen Brandopferstätte einer älteren Opfer- und Speisegemeinschaft errichtet66. Zur Zeit Homers scheint es die ursprüngliche gesellig-kultische Zeremonie noch gegeben zu haben. Homer ist auch der Tempel als Kultraum bekannt, er läßt jedoch mit einer Ausnahme (II. 6,90 ff.) den archaischen Tempel mit der Ringhalle aus, der ausschließlich der Behausung des Kultbildes dienen sollte67. Im Symposion fand das frühgriechische gesellige Zeremoniell eine feste gemeinschaftlich verbindliche Form 68 . - Die Zeremonie der Mahlzeit gehört zu den einfachen und weit verbreiteten geselligen Ritualen69. Die Speisegemeinschaft nimmt Teil an einer gemeinsamen Kultur, der gemeinsame Geschmack an den Speisen und Getränken und das gemeinsame Wohlgefallen an der Zeremonie und den zu der Zeremonie gehörenden Geräten verbindet70. Das sinnliche Erlebnis ist oft mit einer religiösen Handlung verbunden und es kann zum Teil einer größeren Festlichkeit gehören. Das festliche Ereignis fördert nicht nur die Geselligkeit, es dient auch der Selbstbestätigung einer Gemeinschaft. Oft ist mit dem Fest oder der festlichen Mahlzeit auch die Beratung und der Ratschluß verbunden. Die Grundform der einfachen Geselligkeit ist in den homerischen Epen mit einem bedeutungsreichen Zeremoniell verknüpft. Die Mahlzeit, der immer eine Spende an die Götter vorangeht, wird im Hause eines Helden ausgerichtet, oder als Kulthandlung auf dem Opferplatz. Die Unterhaltung bei der Mahlzeit folgt einer ranggemäßen Redeordnung 71 . Auch den Fremden, den man mit einer aufwendigen Mahlzeit begrüßt und in das Haus aufnimmt, behandelt man dem Rang gemäß. So wird Odysseus von den Phäaken empfangen und gefeiert. Zu Ehren eines hochrangigen Fremden wird ein Fest abgehalten, in dem der Sängervortrag einen Höhepunkt bildet. Die typische Szene für das Opfer und die Mahlzeit dient in den Epen als ein Erkennungszeichen für verschiedene zwischenmenschliche Handlun65 66 67 68 69 70 71

Drerup (1969) 126ff.; Wells (1983) 88; MacDonald (1975) 92; Hägg (1983) 189ff. Drerup (1969) 123. Ebenda 128. Vgl. Lorimer (1950) 439ff. Murray (1983) 194ff. Zur Festkultur vgl. Bollnow (1955) 213 ff. Zur Kultur des „Geschmacks" vgl. Buytendijk (1957). Cobet (1981) 32.

4.5 Die Entwicklungsgeschichte der „geometrischen" Kultur

119

gen72. Mit dem Opfern und Speisen endet der Tag. Die Hoffnung auf eine gute Zukunft für die Opfergemeinde wird damit ausgedrückt. Diese Hoffnung ist oft verbunden mit einem Ratschluß und mit einer gemeinsamen Entscheidung. Bei der Mahlzeit der Helden wird Rat und Umstimmung gesucht. Versöhnung wird gestiftet, wie zwischen Priamos und Achill, oder ein Komplott wird geschmiedet, wie zwischen Nestor und Patroklos. Die Gemeinschaft kann aber auch zerfallen, wie es zwischen Achill und der Bittgesandtschaft geschieht. Die Mahlzeit nimmt den Fremden in die Gemeinschaft auf, indem die Teilnahme an der Zeremonie, das Vertrautsein mit den Sitten, den Rang und die kulturelle Zugehörigkeit des Fremden offenbart; Odysseus wird von den fernen Phäaken als einer der ihren erkannt. Die homerische Mahlzeit- und Opfer-Szene mit ihrem reichen inhaltlichen Funktionskreis verrät, daß die Mahlzeitzeremonie in homerischer Zeit mehrere gesellschaftliche Repräsentationsformen vertrat und Sozialisationsfunktionen erfüllte. Wenn auch Fremde auf diese Weise sozialisiert werden konnten, wird man annehmen dürfen, daß die Grundform des Zeremoniells ähnlich wie die Grundform des Gastrechtes über den inneren kulturellen Zusammenhang der spezifischen Gesellschaft hinaus verständlich gewesen ist. Man kann annehmen, daß die Geschichte dieser sozialen Funktionskreise in der frühen geometrischen Zeit begonnen hat. Allerdings kann man das ganze homerische Bild nicht auf die Frühzeit übertragen. Am Anfang wird das Zeremoniell weniger differenziert gewesen sein, die einzelnen damit verbundenen Institutionen weniger festgelegt. Es wäre interessant, mehr über die frühen Festlichkeiten zu wissen und über ein zum Fest möglicherweise beitragendes Personal. Mahlzeitzeremonien sind Zeremonien des Gesprächs, des Erzählens und der literarischen Erbauung. Die einfache Zeremonie fordert jedoch nicht einen so fein ausgebildeten Sänger, wie wir ihn in Homer vermuten müssen. Den Sänger und Erzähler treffen wir auch in einfachen Kulturen an, seine Geschichten sind allerdings von einfacherer Form als die großen Heldenepen. Daß die Sänger schon in der protogeometrischen Zeit eine Berufsgruppe gebildet und sich auf mykenische Ursprünge berufen hätten, daß sie ein längeres mykenisches Epos durch die Jahrhunderte tradiert hätten, ist nicht zu beweisen und erscheint bei dem Zustand der Kultur unglaubwürdig. Möglich ist allerdings, daß einzelne ältere Erzählungen weitertradiert worden sind. Die zum Mahl hinzukommenden Fremden, der Händler, der Handwerker und der ranghohe Fremde, sind natürliche Erzähler gewesen. Neuigkeiten, aber auch einfache Erzählungen können ausgetauscht worden sein. Auch die phönikischen Händler jener Zeit können aus dem orientalischen 72

Arend (1933) 34ff., 68ff.

120

4. Die „geometrische" Kultur als Vorgeschichte

Schatz von Erzählungen beigetragen haben. Vielleicht ist auch von erschreckenden Erlebnissen erzählt worden, wie wir sie in den Schifferschnurren der Odyssee vorfinden, oder von seltsamen Vorkommnissen, etwa den siamesischen Zwillingen, die wir aus den Epen und von Vasenbildern her kennen 73 . Allerdings befinden wir uns hier in den Bereichen der Spekulation. Vielleicht haben sich auch Episoden um vom Hörensagen bekannte Krieger (Helden) gebildet,- wenn man am Anfang des Heldenepos eine einfache und ursprüngliche Form menschlicher Selbstdarstellung vermutet74. Diese Geschichten treten uns aber in den homerischen Epen in einem neuen Sinnzusammenhang entgegen, sie sind rationalisiert und zugleich auch idealisiert worden. Sie werden ihrer episodischen Pointe beraubt, um in einem großen geschichtlichen und gesellschaftlichen Konflikt- und Sinnzusammenhang aufzugehen 75 . Damit gehören die homerischen Epen der neuen geschichtlichen Epoche einer gesamtgriechischen Aristokratie an.

73 74 75

Snodgrass (1980) 76ff. Reinhardt (1953) 420ff. Petzold (1979) 146 ff.

5.

Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts: Gesellschaftliche und staatlich Formen. Gemeinschaftsdenken und Geschichtsbewußtsein in den homerischen Epen

Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts offenbart gegenüber den vorhergehenden „frühgeschichtlichen" Jahrhunderten eine neue historische Qualität. Wir können den gesellschaftlichen Sinnzusammenhang erkennen, in dem die verschiedenen Kulturgegenstände in diesem Jahrhundert stehen, und wir können die sozialen, die staatlichen und politischen Strukturen jener Zeit mit dem Ideenzusammenhang verbinden, der in der späteren griechischen Geschichte aus diesen Grundstrukturen entwickelt worden ist. Wir finden im 8. Jahrhundert Gesellschaftsformen und Gemeinschaftsformen, die im Gegensatz zu den einfachen Formen der früheren Entwicklung als bewußt eingesetzte Praktiken erscheinen. In historischen Daten ausgedrückt heißt das: Wir finden die Form des griechischen Stadtstaates und die Struktur der überregionalen griechischen Adelsgesellschaft. Das Artefakt erscheint als Wertgegenstand und als Geschenk, es ist als Weihgabe und als Preis ein Gegenstand mit dem Ehre ausgedrückt wird. Wir finden das erste Architekturmonument, den Tempel, als einen ausgesonderten und monumentalen Raum, der dem Kult vorbehalten ist. Wir finden Inschriften, die in poetischer Sprache gefaßte Epigramme wiedergeben, und wir finden eine in ihrer Sprache für die gesamte differenzierte griechische Kulturlandschaft allgemeinverbindliche epische Literatur. Ein anderer bemerkenswerter Zug dieses Zeitalters läßt sich in Spuren sichern, die dafür sprechen, daß sich die Menschen jener Zeit bewußt dem Vergangenen zuwandten. Relikte aus mykenischer oder noch älterer Zeit werden, nachdem man sie vierhundert Jahre nicht beachtet hatte, zu Kultgegenständen im Heroen- und im Götter- und Grabkult 1 . Heiligtümer werden an Stellen erbaut, die durch vorzeitige Ruinen gekennzeichent sind, altes Relikt wird in den Tempeldepositorien niedergelegt2. Das 8. Jahrhundert zeigt ein neues Geschichts- und Traditionsbewußtsein. Ich will nicht behaupten, daß diese Neuerungen ohne vorangehende Entwicklung aufgetreten sind., daß sie allein das Ergebnis von Erfindungen seien. Natürlich muß man Entwicklungen voraussetzen. Wie ich aber bei der Auseinandersetzung mit dem Kontinuitätsbegriff gezeigt habe, denkt man unhistorisch, wenn man nur von geschichtlichen Entwicklungen ausgeht3. Historische Entwicklungen, auch feste traditionelle Zusammen1 2 3

Vgl. Snodgrass (1971) 397 ff. Vgl. Burkert (1977) 92 f. Oben S. 78 ff.

122

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

hänge, bringen im allgemeinen Sprünge hervor. Eine historische Struktur ändert sich auch bei kontinuierlicher Entwicklung. Menschliches Handeln und der Fortschritt der Kultur verändern die historische Struktur, selbst wenn sie konservative Ziele verfolgen. Der Sprung erfolgt, wenn eine Strukturveränderung bewußt wird und dieses Bewußtsein zu neuem Handeln mit anderen Zielrichtungen auffordert. Ein solcher Bewußtseinsakt ist anscheinend nicht an das alltägliche Handeln gebunden, dessen Intention scheint eher auf ein Bewahren des Herkömmlichen ausgerichtet zu sein. Das Bewußtsein der Menschen, in einem neuen geschichtlichen Zusammenhang zu stehen, tritt plötzlich auf, trotz der Entwicklung, die notwendig zu dem neuen Zusammenhang geführt hat.

5.1

Die frühgriechische Aristokratie im Spiegel der Archäologie

Welche kulturgeschichtlichen Zeichen kann man für das neue geschichtliche Handeln finden? Zunächst zu den Zeichen, die dafür sprechen, daß sich eine überregionale Gesellschaft des Adels gebildet hat. Wir finden im 8. Jahrhundert Kultorte mit ersten Tempelbauten und prächtigen Weihgaben, die nicht zu einer lokalen Gemeinde gehören, sondern Zentren überregionaler Zusammenschlüsse (Amphiktyonien) bilden. In Delphi, Delos, Kalaureia auf Poros und auf dem Berg Mykale sind solche Heiligtümer entstanden 4 . In Olympia ist für diese Zeit zwar noch kein Tempel bezeugt, die dort gefundenen Weihgaben sprechen aber dafür, daß es eine zentrale Kultstätte gegeben hat. Die Liste der Olympiasieger geht auf 776 v. Chr. zurück, ein wohl annähernd richtiges Datum 5 . Die Teilnahme an den Wettkämpfen war zunächst auf umliegende Gemeinden auf der Peloponnes begrenzt, sie wurde aber schon Anfang des 7. Jahrhunderts auf das übrige Griechenland erweitert. Von der überregionalen Bedeutung Delphis und Dodonas erzählen die homerischen Epen. Die Odyssee berichtet, daß Agamemnon nach Delphi gegangen sei und auf der „steinernen Schwelle in der hochheiligen Pytho" von Apollon den künftigen Untergang Troias erfahren habe (Od. 8,79 ff.). Von Odysseus wird erzählt, daß er nach Dodona gegangen sei, „damit er aus der hochbelaubten Eiche des Gottes den Rat des Zeus vernähme", um die List zu erfahren, mit der er wohlbehalten in das eigene Haus auf Ithaka zurückkehren würde (Od. 14,327 ff.; 19,296 ff.). 4

Zu den Heiligtümern, von denen man vor allem durch Weihgaben Kunde hat, vgl. Snodgrass (1980) 53 ff und 221. Zu Delos: Gallet de Santerre (1958). Zum Panionion: Cook (1959/60). Eine Übersicht: Snodgrass (1971) 396ff. und Anm. 36. 5 Vgl. Herrmann (1964); Heilmeyer (1979); Mallwitz (1972).

5.2 Die Archäologie der politischen Gemeinschaften

123

Das Opfer- und Festritual dieser Heiligtümer wurde von einem Verband der Adligen der umliegenden Gemeinden besorgt, ebenso die Verwaltung. Aus diesen Kultverbänden wurden keine politischen Vereinigungen. Dennoch scheinen sie für die politische Geschichte wichtig gewesen zu sein. Die Adligen der umliegenden Gemeinden fanden sich an diesen zentralen Orten zusammen. Sie konkurrierten in Wettkämpfen miteinander und mit ihren Weihgaben um die Gunst der Gottheit und um gesellschaftliche Anerkennung. Das gesellige Miteinander und der Wettstreit führten zu einem Austausch der Kultur, zur sozialen Selbstdarstellung der Gemeindemitglieder und wohl auch zur Festlegung der Rangordnungen 6 . Eine Gesellschaft fand zu ihren Erkennungszeichen. Auch Wissen wurde an diesen überregionalen Kultorten ausgetauscht. Das Wissen, das diese Gesellschaft benötigte, um die neuen politischen Gemeinschaften zu bilden und zu lenken, Kolonisationsunternehmen zu führen, oder an Kriegsbündnissen mitzuwirken, wurde an diesen zentralen Begegnungsstätten ausgetauscht. Delphi und Dodona mit ihren politischen Orakeln sind die besten Zeugen dafür. Wie schon erwähnt 7 , erhalten die älteren in den einzelnen Dorfgemeinschaften der frühen „geometrischen" Kultur schon praktizierten Lebensformen nun die Öffentlichkeit, die einer Gesellschaftsform ansteht. Der ideale Gehalt der aristokratischen Lebensform wird in den frühen Staatsbildungen auch zu einem Unterpfand politischer Fähigkeiten.

5.2

Die Archäologie der politischen Gemeinschaften

Als neue Gemeinschaftsform wurde im 8. Jahrhundert der Stadtstaat, die Polis, gefunden 8 . Auch hier haben wir es nicht nur mit einer Entwicklung, etwa dem Größerwerden eines Siedlungsverbandes zu tun, sondern mit historischem Handeln, das bewußt Neuerungen hereiführt. Staatlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang Verwaltung und Willensbildung in einer größeren Gemeinde, die eine Großsiedlung und eine dazugehörige Landschaft mit weiteren Siedlungen umfassen kann. Diese Zusammenfassung geht über die persönlichen Bindungen einzelner hinaus. Willensbil6

Morgan (1990); Snodgrass (1980) 55f.; ders. (1986). Oben 107 ff. 8 Zur Ableitung des Wortes vgl. Chantraine, Dictionnaire étymologique de la langue grecque, Paris 1968, 926 f. In den homerischen Epen hat das Wort einen politischen Unterton, es bezeichnet die größere durch Kult und gemeinschaftlichen Verkehr in Versammlungen gebundene Gemeinschaft. Vgl. Hoffmann (1956) 153 ff. Allerdings scheinen weder die Verkehrsformen noch die Institutionen rechtlich festgelegt zu sein: Stein-Hölkeskamp (1989) 34ff. Von „Staat" oder „Stadtstaat" in dem Sinne eines verfassungsrechtlich genau definierten Gebildes wird man nicht sprechen dürfen. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Ideologiegehalt des Begriffes vgl. Gawantka (1985). 7

124

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

düngen und Entscheidungen können nicht mehr nur durch die Wirkungen eines persönlichen Bindungssystems umgesetzt werden, wie es in den traditionellen Wohn- und Siedlungsgemeinschaften wohl der Fall gewesen war. Willensbildung und Entscheidungen werden vielmehr durch eine elaborierte Streitkultur der Adligen einer größeren Region getroffen, wenn wir die homerischen Epen für dieses Problem zu Hilfe nehmen. Wichtig für diese Streitkultur sind der Rang, die kriegerische und ethische Fähigkeit, schließlich das Amt, das der einzelne Adlige einnimmt. Die homerischen Epen beschreiben solche politischen Gemeinschaften, etwa die Heeresgemeinschaft der Achäer, die Volksversammlung auf Ithaka, die Gerichtsversammlung auf dem Achilleus-Schild. Sie geben auch zu erkennen, wie wenig gefestigt die Institution und das Amt gewesen waren, die den Aristokraten an die Gemeinde banden. Selbstdarstellung, der Hinweis auf die adlige Lebensform und die adligen Fähigkeiten, waren nötig, um sich in der größeren Gemeinde gegen Konkurrenten durchzusetzen. Die Epen erwähnen die traditionelle Gemeinde, die einfache Haus- und Dorfgemeinschaft nicht. Um die Frage nach der Entwicklung der neuen Form des Gemeinschaftslebens beantworten zu können, müssen wir auf archäologische Quellen zurückgreifen. Diese Quellen berichten nichts von staatlichen Formen, sie können nur, wie Hägg formulierte, Begleiterscheinungen einer möglichen Entwicklung zum Stadtstaat aufzeigen 9 . Bei den protogeometrischen Siedlungen handelte es sich um Dörfer oder einzelne Gehöfte. Auch wenn diese dicht beieinander lagen, läßt nichts darauf schließen, daß sie untereinander einen Gemeindeverband bildeten 10 . Das änderte sich wohl während des 9. Jahrhunderts. In Argos und Korinth treten an den Stellen, wo die späteren Stadtzentren liegen werden, Bebauungsagglomerationen auf. Mehr als eine Zusammenballung der Häuser an bestimmten Stellen ist aber nicht auszumachen". Spuren von Planung, Bezirke und Zentren, sind in den größeren Siedlungen des 9. Jahrhunderts noch nicht zu finden. Im Ionien des 9. Jahrhunderts zeigen sich diese Großsiedlungen in einer fortgeschrittenen Entwicklung 12 . Die erste Stadtmauer befindet sich in Smyrna. Drerup wies darauf hin, daß die Konfigurationen dieser Siedlungen von orientalischen Vorbildern inspiriert sein können 13 . Es handelt sich um Großsiedlungen, die sich mit einer Verteidigungsmauer gegen das umliegende Land abgrenzen und die man äußerlich mit dem späteren euro' Hägg (1982) 298. 10 Ebenda 300; Hägg (1983) 31; Thompson und Wycherley (1972) lOff.; Roebuck (1972) 98. Vgl. Snodgrass (1980) 19ff. 11 Hägg (1982) 302; Roebuck (1972) 103; Drerup (1969) 96ff. 12 Akurgal (1987) 13-20; Nicholls (1958/9). 13 Drerup (1969) 101. Vgl. Snodgrass (1980) 32f.

5.2 Die Archäologie der politischen Gemeinschaften

125

päischen Begriff der Stadt benennen kann. Diese frühen Städte geben aber keine Planungen zu erkennen, wie wir sie aus dem griechischen 8. Jahrhundert, etwa von den Städten der Kolonisation kennen. Weder ein zentrales Heiligtum ist zu finden, noch ein Versammlungsplatz. Die Bedingungen, unter denen sich die Siedlungsagglomerationen des 9. Jahrhunderts bildeten, gehen unter anderem auf geographische Ursachen zurück 14 . In Korinth lassen sich diese Bedingungen anscheinend am besten verfolgen 15 . In anderen griechischen Landschaften gab es die Tendenzen zur Großsiedlung überhaupt nicht, hier entstand im 8. Jahrhundert die „έθνη" als verfaßte Gemeinde 16 . Ob aus dem Zusammensiedeln des 9. Jahrhunderts ein Bewußtsein von Gemeinschaft entstand und ob dieses Zusammensiedeln aus gemeinschaftsstiftenden Ursachen erfolgt ist, ist nicht mehr zu erkennen. Der spätere Begriff des „synoikismos" legt dies zwar nahe, er stammt aber nicht aus diesem geschichtlichen Zusammenhang 17 . Es wäre wichtig zu wissen, ob die Siedlungen des 9. Jahrhunderts schon Wehrgemeinschaften gebildet haben, die eine Organisation der Verteidigungskräfte mit sich gebracht hätten. Allerdings wissen wir für diese Zeit nichts über Kriegsbedingungen oder Kriege 18 . Vielleicht sind Fehden und Rechtsstreitigkeiten zu jener Zeit noch durch eine traditionelle Streitund Kampfform gelöst worden, die an die kleinere Haus- und Dorfgemeinschaft gebunden waren. Sicher wird es aber Entwicklungen vom kleineren zum größeren Verband gegeben haben, die Politik nötig machten. Diese Entwicklungen sind jedoch nicht nachvollziehbar. Zeichen für eine Veränderung der sozialen Strukturen, die mit einem Stadtstaat einhergegangen sein könnten, sind in den bisherigen Ausgrabungen kaum freigelegt worden. Hägg scheint aber in der Argolis Zeichen für eine interessante Entwicklung gefunden zu haben 19 . Mit dem Anwachsen der Großsiedlung um Argos scheinen sich im Laufe des 9. Jahrhunderts die reichausgestatteten Kistengräber, die man dem Adel zuschreibt, im Gebiet von Argos zu häufen, während sie in der umliegenden Landschaft nicht mehr zu finden sind. Die Landbesitzer scheinen, so Hägg, in der Stadt zusammengesiedelt zu haben. Das wäre die umgekehrte Entwicklung, wie man sie in Athen beobachten kann, wo zu jener Zeit gerade 14

Kirsten (1956). Roebuck (1972) 98 ff. 16 Vgl. die Übersicht zu den verschiedenen Landschaften in: CAH III.1,2 (1982), Part III (Hammond, Snodgrass, Cook und Boardman). Zur Einrichtung des Stammstaates: J.Beachler (1980) 231 ff; Gschnitzer (1971) und (1981). Beide gehen allerdings von einer Analogie zum indoeuropäischen Stammesverband aus und verankern das Gebilde in der Zeit der Vorgeschichte der griechischen Sprache. 17 Cobet (1983:2). 18 Hägg (1982) 302. " Hägg (1983) 31. 15

126

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

die umliegende Landschaft Attika dichter besiedelt wird. Verbunden ist damit wahrscheinlich, wie Whitley jüngst herausstellte20, ein in beiden Landschaften unterschiedlich verteilter Heroenkult. In Attika wurde der Kult anscheinend zuerst in den ältesten Demen eingerichtet, in der Argolis zentrierte er sich ursprünglich um das argivische Heraion. Sichere Zeichen dafür, daß die Stadt als eine politische Gemeinschaft begriffen wurde, findet man erst in homerischer Zeit gegen Ende des 8. Jahrhunderts. Als erste Stadtgründung kann man vielleicht die Erbauung Eretrias um 800 bezeichnen. Dieser Ort wurde anscheinend von den ehemaligen Bewohnern Lefkandis neu errichtet, ohne jedoch zu Anfang schon die äußeren Merkmale einer griechischen Stadt zu zeigen, die wir vom Ende des Jahrhunderts kennen 21 . Die erste bekannte Kolonie scheint eine Gründung zu sein, die von Eretria ausging: Pithekussai. Dieser Ort scheint schon vor 750 von Griechen besiedelt worden zu sein ; es ist aber nicht sicher, ob es sich zu Anfang um ein Handelsemporion, oder schon um eine Stadtgründung gehandelt hat22. Immerhin scheint die Gründung Eretrias und die frühe Kolonisation, die von hier ausging, zu zeigen, daß planerische Vorstellungen von einer Stadtgründung in Anfängen vorhanden gewesen sind. Die wichtigsten gegenständlichen Zeichen der geplanten Stadt sind der Tempel, das Stadtzentrum und - weniger sichtbar - die Agora und Bezirke, in denen die verschiedenen Sparten des Handwerks ansässig waren23. Eine Architektur, die wie der Tempel genau definierte Funktionen übernahm, wurde im Laufe des 8. Jahrhunderts gefunden, Anfang des 7. Jahrhunderts gibt es aber erst eine verbindliche Architektur und eine vorgeschriebene Funktion für den Tempel. Ähnlich scheint es mit der Agora gewesen zu sein24. Die Archäologie der homerischen Epen zeigt, daß die Dichtung diese Schnittstelle in der Entwicklung der Tempelarchitektur markiert25. Das zentrale Heiligtum steht für den landschaftlichen Raum einer Kultgemeinde, die auch eine städtische politische Gemeinschaft sein kann. Man kann annehmen, daß der gemeinsame Kult und sein äußerer Ausdruck im Monument das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeindemitglieder förderte und die politische Gemeinschaft sanktionierte26. Sicher förderten auch die anderen wohldefinierten Orte der Stadt und ihre Funktionen die Identität der Gemeindemitglieder, - die 20

Whitley (1988) 176-182. Snodgrass (1980) 40ff.; Bérard (1970). 22 Snodgrass (1980) 40. Buchner (1970). 23 Snodgrass (1977); Coldstream (1984); Martin (1951); Hägg (1982) 298, 302. Das deutlichste Zeichen sind im 8. Jahrhundert die Heiligtümer, vgl. Morris (1987) 23. 24 Ebenda 7 f. 25 Oben S. 118. 26 De Polignac (1984) 41-65. 21

5.2 Die Archäologie der politischen Gemeinschaften

127

Agora als Ort des Redestreites vielleicht besonders die politische Identität27. Die Bevölkerungszahlen waren im Griechenland des 9. Jahrhunderts langsam gestiegen; Snodgrass begründet das mit dem Fortschritt der landwirtschaftlichen Technik28. Die erwähnten Großsiedlungen waren wohl eine Folge davon. Im 8. Jahrhundert scheint sich dieses Bevölkerungswachstum zu potenzieren; man könnte meinen, daß sich die Sicherheit und die sich anbietenden Formen der Arbeitsteilung in den Großsiedlungen bewährt haben 29 . Diese Entwicklung war wohl ein Motor, der zur Entstehung der Stadt als Gemeindeverband führte und der zur Kolonisation, der Städtegründung in außergriechischen Gebieten zwang. Die beiden Prozesse fallen in dieselbe Zeit, das dritte Drittel des 8. Jahrhunderts, sie müssen einander bedingt und gefördert haben. Das Anwachsen der Bevölkerung konnte an den einzelnen Orten verschiedene Folgen haben. In Athen führte es wohl dazu, daß Attika dicht besiedelt wurde, so daß die ganze Landschaft in den Gemeindeverband Athen integriert wurde30. In anderen Gebieten führte das Bevölkerungswachstum zur Siedlungsagglomeration und zur Kolonisation. In allen griechischen Landschaften ist zu dieser Zeit ein Anwachsen der Zahl der gefundenen Gräber zu verzeichnen. Ian Morris hat mit quantitiativen Mitteln zu zeigen versucht, daß es sich dabei nicht um zufällige archäologische Fundaufnahmen handelt, sondern um eine Evidenz für die demographische Strukturgeschichte jener Zeit31. Die Gräbergruppen scheinen sich vergrößert zu haben, dabei scheinen sich viele „arme" Gräber um die hervorgehobenen Gräber des Adels zu scharen. Man wird Morris nicht zustimmen wollen, wenn er nach dem Schema der Philosophen des 4. Jahrhunderts folgert, daß die Anfänge der Polis von einem Klassenkampf bestimmt gewesen seien. Sicher sind hier nicht „άριστοι" und „κακοί" als Gleiche nebeneinander bestattet worden. Vielleicht deutet die Auslegung größerer Gräbergruppen eher darauf hin, daß die Einflußreichen sich einer politisch notwendigen Gefolgschaft versichern wollten32. Ein wichtiges Anliegen der Kolonisten, aber auch der Siedler im heimi27

Kolb (1981). Snodgrass (1971) 377ff.; ders. (1980) 21 ff. Snodgrass (1977) und (1980) 28 ff. 30 So Snodgrass (1977) lOff. Vgl. Cobet (1983:2) 23ff. 31 Morris (1987) 45-95. 32 Daß es in homerischer Zeit keine institutionalisierten Verwandschaftsgruppen und -verbände gegeben hat, legen Bourriot (1976) und Roussel (1976) nahe. Gefolgschaften konnten von dem griechischen Adel wohl nicht auf Dauer verpflichtet werden. Vgl. Stein-Hölkeskamp (1989) 8-11. Ein Werben um Gefolgschaften hat es aber gegeben, das zeigt die Streitkultur in den homerischen Epen an. Vgl. unten 131 ff. 28

29

128

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

sehen Griechenland, war der Landbesitz, das Verteilen von Land und die Gewährung eines Besitzrechtes. Snodgrass vermutete33, daß die Bevölkerungsexplosion im 8. Jahrhundert und das vermehrte Bedürfnis nach bebaubarem Land dazu führte, daß Rechtssicherheiten für den Landbesitz herausgebildet werden mußten. Der Bedarf an Rechtsnormen und Institutionen sollte dann zum staatlichen Leben geführt haben. Der um diese Zeit auftretende Heroenkult gehe mit diesem Gedanken einher, er sei entstanden, um dem Recht auf Landbesitz ein Zeichen zu setzen. Ob man den Heroenkult so eindeutig auslegen kann, ist fraglich. Immerhin bleibt die Beobachtung, daß dieser Kult zusammen mit den frühen politischen Einrichtungen auftaucht und daß er sogar, wie wir gesehen haben, mit den verschiedenen Strukturbildungen einhergeht, die in den griechischen Landschaften während dieses Prozesses auftreten 34 . Die Kolonisation war ein vom Adel angeführtes Unternehmen. Mehrere Aristokraten brachten Siedler aus verschiedenen Gebieten übers Meer, um zunächst auf Sizilien und in Unteritalien eine Stadt zu gründen. Die gefahrenreichen Unternehmungen hatten anscheinend schon im 8. Jahrhundert einen Rückhalt in den zentralen Heiligtümern, Delphi und Dodona, wo die aristokratische Führungsschicht ihr Wissen um Gefahren und gangbare Wege austauschen konnte. Von dort ging wohl auch das Wissen um die Städtegründung aus, welches die Einheitlichkeit des archäologischen Befundes um diese Gründungen erklären könnte 35 . Das Kolonisationsunternehmen verband die daran beteiligten Menschen in einer Gefahren- und Organisationsgemeinschaft. Das galt nicht nur für die Fahrt auf dem Meer, sondern auch für die Landnahme. Die neuesten Ausgrabungen im Süden Italiens zeigen, daß die Kolonisten zunächst ein provisorisches Lager bauten, das mit einer aus Holz und Lehm gebauten Mauer, ähnlich der Mauer des Achäerlagers vor Troia, befestigt war36. Von dort erkundeten sie das Land und widerstanden den möglichen Angriffen einer einheimischen Bevölkerung. Oft begannen sie erst Jahre später mit dem Bau der steinernen Stadt. Die Kolonisten bildeten nach außen eine Wehrgemeinschaft. Nach innen mußten sie eine Gemeinschaft bilden, die zunächst die Konflikte der Landverteilung zu regeln hatte. Später müssen dann alle die in Folge der Seßhaftigkeit möglichen inneren Konflikte und Verwaltungsaufgaben von dieser Notgemeinschaft gelöst werden. Die Gemeinschaft der Kolonisten war keine gewachsene Gemeinschaft, sie mußte in der neuen Situation verbindliche Konfliktlösungsme33

Snodgrass (1980) 36f. und 220; ders. (1982). Eine Diskussion der neuen Theorien zum Heroenkult: Whitley (1986) 173-175. Vgl. unten 170 ff. 35 Boardman (1964) 191 ff.; Dunbabin (1957). 36 Orlandini (1986). 34

5.3 Die politische Gemeinschaft im Spiegel der homerischen Epen

129

thoden anstreben. Wenn die notwenigen Arten von Konfliktlösungsstrategien zu jener Zeit schon in dem Typus der „Polis" angelegt waren, hätten wir eine Erklärung dafür, warum alle Kolonisten, selbst wenn sie aus Stammesgebieten kamen, in der Kolonie den Typus der Polis vorzogen. Man muß annehmen, daß die adligen Anführer der Kolonisten, allen voran der „oikist", für die Lösung der Konflikte verantwortlich waren und Methoden dafür bereit hielten oder neu ersannen. Ihnen oblagen, wie Heuss bemerkte37, unternehmerische Aufgaben, diese lagen im Bestehen der verschiedenen Gefahren, sowie gemeinschaftsstiftende Aufgaben. Diese Aufgaben verlangten, daß die Konflikte der Kolonistengemeinschaft in den Gefahren der Landnahme bis zum seßhaften Leben in der Stadt auf friedliche, die Ansprüche jedes einzelnen beachtende Weise gelöst wurden. Die aristokratischen kriegerischen und moralisch-ethischen Fähigkeiten, die wir aus den homerischen Epen kennen, waren ein Spiegelbild dieser Aufgaben, die das Können und Wissen der adligen Anführer sanktionierten. Wie hoch die Fähigkeiten des „ktistes" geehrt wurden, daß sie in der Anschauung über das persönliche Können des Einzelnen hinausragten, zeigt der Grabkult für den Städtegründer, der sich wie der Heroenkult als einzige Form des Grabkultes an einem öffentlichen Ort befinden und sich eines öffentlichen Kultes erfreuen durfte. Eine Parabel aus den Irrfahrtsgeschichten der Odyssee, weist auf die mit der Kolonisation verbundenen Autoritätskonflikte und das Werben einzelner um Gefolgschaften hin. Odysseus verliert, trotz seines immerwährenden guten Rates alle Gefährten, weil diese sich durch die beständigen Hetzreden des Aufrührers Eurylochos von seinen Weisungen abbringen lassen. Die Figur des Eurylochos gemahnt mit ihrem Mangel an Einsicht an die „königlichen" Fähigkeiten des Odysseus, die Wissen und Vorausschau, aber auch Gerechtigkeit bedeuten. Eurylochos' Machthunger und seine geringen Führungsqualitäten machen ihn zu einer der typischen Opponentenfiguren in den Epen, die didaktisch auf die möglichen eigennützigen Absichten des Adligen hinweisen, die eine Gemeinschaft wie die Notgemeinschaft der Kolonisten in Gefahr bringen und zerstören können.

5.3

Die politische Gemeinschaft im Spiegel der homerischen Epen

Die homerischen Epen setzen die Polis voraus. Gisela Wickert-Micknat beschrieb die homerische Polis unlängst als eine Gefahrengemeinschaft. Die frühen Städte bekriegen einander; es gibt offensichtlich viel Reichtum 37

Heuss (1981) 7ff. Zum „oikisten" vgl. zuletzt Stein-Hölkeskamp (1989) 74.76.

130

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

und Menschenbeute in ihnen zu holen38. Die homerischen Heere, angeführt von einzelnen kampfestüchtigen Adligen, verteidigen eine Stadt oder greifen eine andere feindliche an. Durch die Stadt und ihr Bestehen ist auch die Freiheit der Bewohner gesichert, das Recht als Freie und nicht als Sklaven zu leben. Gesichert sind mit dem Bestehen der Stadt auch die Privilegien, die die verschiedenen Personen nach ihrem Stand genießen39. Eine Kernidee, eine „idée essentielle" der homerischen Darstellungskunst dreht sich um die Situation der bedrohten und gefallenen Stadt. Ausführlich ist diese Idee in Andromaches Abschiedsrede an Hektor gestaltet, in der sie auf das Los der Alten, Frauen und Kinder hinweist, das ihnen bestimmt ist, wenn die Stadt genommen sein wird und die Männer gefallen sind. Diese Vorahnung der Leiden der Menschen nach einer Stadteroberung ist ein stereotypisiertes Bild, das vom Dichter des öfteren herbeigerufen wird40. Diese Anrufung der „Leiden der Vielen" hat in jüngster Zeit zu einem Umdenken in der Forschung geführt: Man erkennt nun, daß das Heldenepos kein Siegeslied ist und keine stumpfe Heldenverherrlichung im Sinn hat, sondern als ethischen Gegenpol die Verantwortung benötigt, die die Gemeinschaft der Vielen, der Abhängigen, den Helden abverlangt. Die dichterische Qualität der homerischen Epen schöpft geradezu aus dieser schillernden Zweideutigkeit der Heldenhandlungen, einem tragischen Konflikt zwischen heldenhaftem Durchsetzungsvermögen und der Schuld des Helden gegeüber der Gemeinschaft 41 . Die dichterische Verknüpfung der Heldenhandlung mit den „Leiden der Vielen" und die daraus resultierende moralische Schuld des Helden wird in der neuesten Literatur oft als eine „demokratische" Kritik an der Aristokratie in homerischer Zeit gedeutet42. In der frühen politischen Geschichte sollen sich zwei „Parteien", die Aristokraten und das Volk, gegenüber gestanden haben. Der homerische Dichter habe das aristokratische Publikum mit der Ethik einer neuen Zeit vertraut machen wollen. Es steht aber in Frage, ob eine andere als die aristokratische Schicht zu jener Zeit im Stande gewesen sein konnte, eine solche elaborierte Gemeinschaftsethik zu entwickeln. Mir scheint es eher so, als gehöre diese Gemeinschaftsethik zu dem neuen Herrschaftsdenken jener Zeit. Den Widerspruch zwischen dem Eigennutz des Helden und seiner sozialen Verantwortung hatte Werner Hoffmann in seinem Aufsatz zur Polis bei Ho-

38

Wickert-Micknat (1983) 7 ff. Ebenda 50 f. 40 Ebenda 7ff., 51. II. 6, 400ff.; 9, 590ff.; 15, 347-51; 16, 69f.; 17, 156ff. 41 Reinhardt (1951) 8ff.; Patzer (1972) 43. 42 Donlan (1973); Nicolai (1981) und (1987); Effe (1988); Raaflaub (1989); Ulf (1989). 39

5.3 Die politische Gemeinschaft im Spiegel der homerischen Epen

131

mer im Sinne einer aristokratischen Ethik zusammenzufügen vermocht43. Die adlige Wertewelt, die das Epos widerspiegelt, ist ebenso auf ehrgeizige wie auf gemeinschaftsverpflichtete Handlungsmotive bedacht. Tatsächlich schildert das Epos die „Leiden der Vielen" nicht aus deren eigener Sicht, wie es ein Gedicht der unteren Schichten täte, sondern aus der Sicht derjenigen, die für deren Leiden verantwortlich sind, und zu deren gemeinschaftsverpflichtender Ethik es gehören muß, die vitalen Bedürfnisse der Abhängigen zu schützen. Auf jede andere Weise würde ihnen die Gefolgschaft streitig gemacht werden können. Die Verfassung der homerischen Polis zeichnet sich weniger durch ihre Institutionen als durch eine auffällige Streitkultur aus, ein Konfliktlösungsverfahren des Redens und Widerredens in der Versammlung. Allerdings ist das Verfahren in der frühen Staatlichkeit nicht fest etabliert. Versammlungen können, müssen aber nicht stattfinden, das hängt von der Entscheidung der Aristokraten ab. Diese Form politischer Entscheidung wird oft mit der Geschichte der Demokratie verbunden 44 . Es handelt sich dabei aber nicht um ein elaboriertes Verfassungsinstrument, wie in der athenischen Demokratie, sondern um eine einfache Form von Staatlichkeit. Der Altorientalist Thorkild Jacobsen nannte dieses Phänomen mit Blick auf die Rechtsgeschichte eine „primitive democracy" 45 . Für die Soziologen stellt sich die einfache Verfassungsgeschichte heute als Konfliktgeschichte dar46. Frühe Staatlichkeit besteht weder in einem absoluten Königtum noch darin, daß die Menschen einen Gemeinschaftsvertrag abschließen, daß sie das Recht durchdenken und Institutionen einsetzen, sondern darin, daß sie existentiell an verschiedenen Konflikten beteiligt sind und diese in einfacher Rede und Widerrede lösen. Die Versammlung oder der Rat vertreten in der frühen Verfassungsgeschichte die ganze Gemeinschaft. Die beiden kollektiven Institutionen zeigen, daß der Konsens, der die Bedürfnisse aller an der Gemeinschaft Teilhabenden berücksichtigt, die Grundlage einer Gemeinschaftsstiftung darstellt. Dieses Prinzip zeigt sich besonders deutlich in der Geschichte des frühen Rechts, auf die schon Jacobsen verwies47. Die Konsensfindung, die Friedensstiftung erhält eine Gemeinschaft, sie legitimiert auch eine jede Herrschaftsform innerhalb dieser. Das Recht auf eine Versammlung ist aber in den frühen Verfassungen nicht im Sinne der Vielen festgeschrieben, Versamm-

43 44 45 46 47

Hoffmann (1956). Forrest (19.60); Meier (1982); Raaflaub (1989) 6 f. Vgl. Gschnitzer (1976). Jacobsen (1943) und (1957). Apel (1962); Luhmann (1965) 7f.; Habermas (1981) Bd. 1, 31 ff. Timasheff (1939); Viehweg (1963).

132

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

lungen werden von den Herrschenden zusammengerufen, weil Konsensfindung zu den Instrumenten der Herrschaft gehört48. Die homerischen Gemeinschaften werden recht häufig in der Form der Versammlung dargestellt, in der bestimmte typische Konfliktmuster ablaufen. Die typische Versammlungsszene zählt zu den homerischen typischen Szenen49. Formeln für die Kritik an bestimmten mit entscheidenden Aufgaben betrauten Helden, z.B. Agamemnon, treten darin hervor; das berühmte Wort von den „Volksgut verzehrenden Königen" ist eine typische Formel50. Die darin enthaltene Kritik ist aber, wie ich glaube, kein Zeichen für den Austausch freier Rede, sondern für den Streit der Adligen untereinander. Die Reden der homerischen Helden sind in ein gesellschaftliches Ordnungssystem eingebunden; nicht nur was gesagt wird, ist wichtig, sondern von wem es gesagt wird. Achill und Thersites bringen dieselbe Anschuldigung, aber in verschiedener Form, gegen Agamemnon hervor (II. 1,225 ff; 2,225 ff). Auf Achills Seite steht die Sympathie des Hörers, obwohl es nicht recht ist, den Heerführer zu schmähen und aus der Heeresgemeinschaft auszusteigen. Das Schuldmotiv des Achill entwickelt sich dann aus dieser Situation. Die Kritik an Agamemnon ist jedoch berechtigt, denn Agamemnon hatte sich beinahe unfähig erwiesen, das Heer vor der Gefahr der Pest zu bewahren und die beleidigte Gottheit zu versöhnen. Er ist eigensüchtig, besteht auf seiner Beute und sieht darüber die Interessen der ihm anvertrauten Heeresgemeinschaft nicht. In der großen Heeresversammlung im 2.Gesang der Ilias greift Thersites, ein Mann von geringem Adel51, Achills Argumente wieder auf - allerdings in krauser Form, denn er weiß nicht „nach der Ordnung mit den Königen zu streiten" (II. 2,214). Agamemnon scheint in dem Aufruhr des Heeres den ihm anvertrauten Aufgaben als Heerführer nicht gerecht zu werden. Tatsächlich wird Odysseus, von Hera und Athene als der bessere Ratgeber erkannt (II. 2,169 ff.), ausersehen, Agamemnons Zepter zu übernehmen, um Frieden in der Versammlung zu stiften (IL, 2, 185 ff.). Thersites bekommt mit seiner Schmährede nicht Recht, sondern wird von Odysseus grob in die Schranken verwiesen. Thersites' Rede erscheint in der rhetorischen Dramaturgie der Versammlungsszene als Antiklimax. Die Rede führt zur Umkehr der Stimmung in der Versammlung. Sie wen48

Jacobsen (1943). Zur germanischen und mittelalterlichen Praxis des geheimen und öffentlichen Verfahrens vgl. L. Hölscher (1979) 11-20. 49 Bannert (1987). 50 Vgl. Cobet (1981) 20-23. 51 Gebhard (1984); Kirk (1985) 138f. Thersites scheint eine poetische Gegenkonstruktion zu sein, ein „Gegenachill". Vgl. Reinhardt (1951) 9. Ähnlich ist das Gegenbild, das der Dichter in Polydamas zu Hektor entwirft: Reinhardt (1961) 272 ff.Wie der Eurylochos der Odyssee gehört Thersites zu den typischen homerischen Oppositionsfiguren.

5.3 Die politische Gemeinschaft im Spiegel der homerischen Epen

133

det sich nun, da ein Geringer gegen den Heerführer redete, Agamemnon zu und läßt sich für dessen Vorhaben umstimmen. Odysseus wird von allen gefeiert, weil er dem Lästerer Einhalt geboten und die Herrschaft des einen Königs gefestigt hat. Dieses Wort des Odysseus (204-207) zeigt, worum der Konflikt geht und wessen wir belehrt sein sollen. Der Redestreit und das eitel eingesetzte Argument können zum Wechsel der Gefolgschaft führen und damit zur Anarchie. Der uns vorgeführte Streit ist vor allem ein Streit der redegewandten Adligen (Helden) untereinander. Die Heeresgefolgschaften akklamieren und lassen sich durch Redestrategien leiten. Odysseus weiß sie am besten zu regieren. Der Redner wird nach seinem Können und nach der Ordnung seiner Rede beurteilt, das Urteil entscheidet über seinen adligen Stand. Thersites kann auf diese Weise unschädlich gemacht werden. Odysseus zeigt, daß die Institution des Zepters und eine notwenige rhetorische und moralische Fähigkeit das Amt des Heerführers oder des Königs erst ausmacht. Hierin liegt auch die Kritik an Agamemnon, der nicht aller dieser Gaben teilhaftig ist. Die dichterische didaktische Figur zeigt, wie nötig in den Zuständen der frühgriechischen Staatlichkeit neben den einfach organisierten Institutionen die verschiedenen Fähigkeiten der einzelnen Adligen waren und wie labil diese Staatlichkeit infolge dessen gewesen sein muß. Das typische Argument gegen den Eigennutz eines Königs, ist an sich nicht aufrührerisch und kann durchaus von allen geteilt werden. Das Argument spricht aber nicht für sich, sondern es ist an den Sprecher und seine soziale Rolle gebunden. Berechtigte Kritik, wie sie ζ. B. Nestor oder Odysseus vortragen, soll den eigennützigen einzelnen wieder in die Gemeinschaft zurückführen (vgl. II. 1,275 ff;.2, 200 ff). Unberechtigte Kritik aber ist vom Motiv des Aufruhrs entstelllt, Thersites sucht Gefolgschaft, die mit ihm gegen die Heerführer opponiert, ebenso wie Eurylochos in den verschiedenen Episoden der Odyssee eine Faktion gegen Odysseus unter dessen Gefährten aufzubauen versucht. Beide verlieren, gegen den idealen König Odysseus, den Sprecher mit den „sanften Worten", der Zeus „an Einsicht gleicht" (II. 2,169 und 180). Die Lehre, daß die Gemeinschaft, wenn sie keinen Schaden nehmen will, dem Besten unter den Adligen unbedingt vertrauen muß, zeigt sich besonders deutlich in den Streitszenen zwischen Odysseus und Eurylochos (Od. 10,428ff.; 12, 277-352). Eurylochos ist von geringerem Adel, ein näherer Verwandter des Odysseus (Od. 10.441), der einen Teil der Gefährten anführen (10, 204 f.) und den Opfern vorstehen kann (11,23). Eurylochos hetzt die Gefährten schon bei Kirke zum Ungehorsam auf und schadet ihnen damit. Er bringt sie vollends ins Verderben, als er sie auffordert, gegen Odysseus' Rat die heiligen Rinder des Helios zu schlachten. Das „soziale" Argument, einem König mit allzu hartem Sinn, wie Odysseus es sei, die Stirn zu bieten, ist

134

5. Die Kulturgeschichte des 8. Jahrhunderts

nicht im Gemeinschaftssinn gedacht, sondern es ist demagogisch, es dient dem Geringeren, eine eigene Gefolgschaft zu gewinnen. Dasselbe Argument kann aber auch in einem „sozialen" Sinn gebraucht werden. Polydamas, der Ratgeber und das Gegenbild Hektors unter den Troianern, spricht es gegen Hektor aus, als dieser sich anschickt, die Mauer des Achäerlagers zu durchbrechen. Hektor, der „allzu harte König", macht sich schuldig, weil er auf den Rat nicht hört, sein Übermut wird den Troianern Unglück bringen, ein Vogelzeichen beweist es (II. 12, 210-229). Das dichterische Zeigefeld läßt uns diese Argumente jeweils richtig deuten. In der Wirklichkeit der Versammlungen homerischer Zeit aber wird die Gemeinschaft immer die ganze Person des Sprechers beurteilt haben müssen. Die homerischen Gemeinschaftswesen waren labil, weil eine weitverzweigte adlige Gesellschaft sich nicht in die Ordnung einfügte, deren Stabilität auf den Fähigkeiten der Besten unter ihnen beruhte. Im Spiegelbild der Heldengesellschaft sehen wir die Adelsgesellschaft der homerischen Zeit. Wir sehen, daß es eine festgelegte Rangfolge unter den Helden gibt, die in den Handlungen der Helden genauestens eingehalten werden muß, ein jedes Vergehen führt zum Mißerfolg und zur Bestrafung durch die Götter 52 . Die besten Krieger führen den Kampf an, die besten an Einsicht, die Ratgeber, leiten die Versammlungen. Die homerische Heldentypologie beachtet diese Unterschiede und führt sie bis zu körperlichen Merkmalen aus (II. 3,161 ff.). Der Gemeinschaftssinn wird durch Rechtschaffenheit gefördert und gestärkt. Ein vorbildliches Handeln wie das des Odysseus steht aber den eigennützigen Gefühlen des mit der Macht des Königs Ausgestatteten und den potentiellen Anwärtern auf dessen Stellung entgegen 53 . In Ilias und Odyssee spielt dieser Konflikt eine zentrale Rolle. In der Odyssee gerät die adlige Welt Ithakas durch die lange Abwesenheit des Odysseus in Unordnung. Odysseus' gemeinschaftsbindende Fähigkeiten werden zu einem mythischen Ideal. In der Ilias sind die Helden nicht nur positiv Handelnde, sie geraten vielmehr durch ihre Tüchtigkeiten in einen moralischen Zwiespalt, der ihnen beim Hörer des Epos eine „Spaltung der Sympathie" einträgt, wie Reinhardt das Phänomen treffend benannte 54 . Die Gesetze der Aristie treiben den Helden dazu, seine Fähigkeiten auszuleben und sie treiben ihre Handlungen dadurch auf die Spitze. Wenn sie sich von diesen Handlungsgesetzen eigennützig leiten lassen, schaden sie damit der Gemeinschaft. Die Fähigkeiten, die die Helden zu den Besten in einem Sozialverband machen, die ihnen Ruhm einbringen, können dem Sozialwesen schaden und bringen dem Helden selbst einen tragischen Untergang ein. Agamemnon handelte so, als er seine Machtbe52 53 54

Erbse (1986) 13 ff. Cobet (1981) 29 ff. Zitat Reinhardt (1951) 8.

5.3 Die politische Gemeinschaft im Spiegel der homerischen Epen

135

dürfnisse als Heerführer vor das Gemeinwohl stellte, Achill, als er seine gekränkte Ehre höher als das Wohl der Achäer erachtete; selbst Hektor, der gute Verwalter der Interessen der Troianer frevelte gegen die eigene Verantwortung, als er die Mauer des Achäerlagers niederzureißen und die Schiffe anzugreifen sich anschickte. Das Handeln des einzelnen Helden, die Aristie, ein Reüssieren durch persönliche Kraft in einer unmöglichen Situation, gehört zu den Grundformen der homerischen Kompositionsweise 55 . Die Aristie macht das Grundmotiv des Heldenepos aus. Wir sehen aber, daß die Aristie, die Handlung, die die Fähigkeit des Helden oder des Adligen herzeigt, in einem engen und wechselseitigen Verhältnis mit den Gemeinschaften steht, für die der Held oder der Adlige verantwortlich ist. Die zentrale Situation in Ilias und Odyssee, die Bedrohung der Gemeinschaft durch inneres Unwesen und äußeren Krieg, läßt sich auf die politische Welt der frühgriechischen Städte beziehen. Beide Epen sind von einer Ethik durchdrungen, die die Tüchtigkeit des Einzelnen ebenso preist, wie sie sie kritisch nach Eigennutz und Gemeinnützigkeit unterscheidet.

55

Schröter (1950) 35ff., 109ff„ 112.

6.

Schlußfolgerungen: Gesellschaftlichkeit, Staatlichkeit, historische Sinnstiftungen und der Reliktkult in homerischer Zeit

Die homerischen Epen spiegeln die politische Topik der Gesellschaftsgeschichte des 8. Jahrhunderts recht unmittelbar wider, wenn man in der dichterischen Heldenwelt die lebensweltliche Wirklichkeit der Hörergesellschaft des epischen Dichters wiedererkennen will. Die Heldengesellschaft stellt sich dann als eine überregionale politische Aktionsgemeinschaft dar, die zu gemeinsamen Zielen finden kann und die typische Formen der Geselligkeit teilt, der Auseinandersetzung und der Friedensstiftung. Die homerische Geographie, die landkartenartige Sicht auf die Siedlungsgebiete der Gegner und Bündner der Troer, veranschaulicht in poetischer Form das vielfältige und systematisierte Wissen um die Geographie der griechischen Kolonisationszeit, das zum Wissensfundus des frühgriechischen Adels gehört. Die homerischen Gemeinwesen stellen wie beispielsweise die Stadt Troia größere Gefahrengemeinschaften dar: hier die Stadt, dort das Heerlager und - in der Odyssee - die Gemeinschaft der Kolonisten, in denen die Adligen durch ihre Tugenden und durch ihr Wissen gerechtfertigte politische Rollen übernehmen. Die homerischen Epen sprechen ein kulturelles und landschaftliches Zugehörigkeitsbewußtsein des frühgriechischen Adels an und ein von allen geteiltes politisches Konfliktbewußtsein. Politische Klugheit, Redegeschick und Kampfesglück sind die Tugenden, in denen sich die homerischen Helden bewähren müssen. Diese Tugenden sind im Epos in ein ethisches Spannungsfeld eingefügt. Ihre unternehmerische Qualität, das Reüssieren im Unmöglichen, wie sie die Aristie hervorbringt, ist an einen Schatten gebunden. Das Unternehmen wird mit Schuld belastet, wenn es nur der selbstsüchtigen Durchsetzungskraft des Helden genügt, wenn der Held seine Bindung an die Gemeinschaft aus den Augen verliert. Die adlige Tugend muß ebenso unternehmerisch sein, wie sie gemeinschaftsfördernd und gemeinschaftsverpflichtet ist. Die dramatischen Höhepunkte der beiden Epen sind von diesem Konflikt bestimmt, der die aristokratische und gemeinschaftliche Ethik der Zeit unmittelbar einfängt. Hier handelt es sich um aktuelle Sinngebung, die unmittelbar in der poetischen Qualität der Epen aufgeht, sie kann nicht aus den Erinnerungssedimenten einer epischen Tradition hervorgegangen sein. Es handelt sich um Sinnstiftungen, die in den idealisierten Topoi des Helden- und Vergangenheitsmotivs die unmittelbaren lebensweltlichen Sinngebungen des aristokratischen und gemeinschaftlichen Lebens der homerischen Zeit reflektieren.

6. Schlußfolgerungen

137

Größere Gemeinschaftsstiftungen und das mit ihnen verbundene Konfliktpotential, das wir so deutlich in dem Sinnzusammenhang der homerischen Epen wiedererkennen können, führen aber oft zu historischen Sinnstiftungen, „Erinnerungsbildern", die die neu gegründeten Gemeinschaften in einem mythischen Vergangenheitsbewußtsein moralisch stärken und innerlich festigen sollen. Kann es sich bei der vergesellschafteten homerischen Heldendarstellung und bei Motiv des heroischen Zeitalters um solche mythischen Stiftungen von Geschichte handeln? Diese Frage wird im dritten Teil dieser Untersuchung ausführlich behandelt werden. An dieser Stelle will ich aber, als Abschluß der weitgehend archäologischen Teiluntersuchung die historischen und gegenständlichen Daten aufzählen, die die Vermutung nahelegen, daß in der homerischen Zeit erst eine Rückwendung zur Vergangenheit, zu einem Kult der Relikte einsetzte, den wir nicht als eine Rückwendung innerhalb der Kontinuität einer historischen Erinnerung begreifen können. Es scheint, als habe die neu gefundene Identität einer Gesellschaft und die neue Form der Staatlichkeit erst das geschichtliche Denken hervorgebracht. Eine Kulturphase wie das fortschrittliche 8. Jahrhundert - Schadewaldt nannte es das „schnelle Jahrhundert" 1 - kann ein geschichtliches Bewußtsein hervorbringen. Die Menschen erlebten den Erfolg und die Folgen eines neuen zielgerechten gesellschaftlichen Handelns. Sie begründeten Gesellschafts- und Gemeinschaftsformen, höhere Bewußtseinszusammenhänge, für die äußere Merkmale, Institutionen, geschaffen werden mußten. Der Tempel etwa, das architektonische Zeichen einer Kultgemeinschaft, ist in diesem Zusammenhang entstanden. Die einmal geschaffenen Institutionen sollten fortbestehen, das Handeln der Menschen war auf Bestand, auf Dauer und damit auf die Zukunft ausgerichtet. Die Zukunft, die man nur erhoffen kann, wird durch die Vorstellung von Vergangenheit sicherer. Was in der Zeit bestehen soll, hat in der Vergangenheit schon lange bestanden. Die Kulturgründung wird mit einem Relikt verbunden, der Tempel etwa wird auf einem Relikt erbaut. Die Gegenwart und ihre Handlungswelt kann in mythischen Erinnerungsbildern gefestigt werden. Erinnerung ist dann ein Beiwerk der Kulturstiftung, es handelt sich um projektierte Erinnerung, um zurückgewendete Gegenwart. Nicht der geschichtlichen Faktenzusammenhang produziert das Bewußtsein von Geschichte, sondern das Geschichtsbewußtsein stellt einen solchen Zusammenhang in der Erinnerung erst her. Erst wenn eine Kultur als Bewußtseinszentrum einer Gemeinschaft empfunden wird, wird sie auch zum „ E r b e " dieser Gemeinschaft, erst dann beginnt man im geschichtlichen Bewußtsein die Fäden zu verknüpfen, die die gemeinsame 1

Zitat Schadewaldt (1942:2) 126.

138

6. Schlußfolgerungen

Kultur ausmachen. Die einfache Kultur dagegen wird von den Menschen als unwandelbar und naturgegeben angesehen. Mit der Kulturstiftung wird das historische Bewußtsein lebendig, zugleich setzt auch die Wahrnehmung vom historischen Wandel ein. Vergangenheit wird als eine zeichensetzende, mythische Dimension notwendig, sie wird im Herkommen gesucht, aber auch als mythische Stiftung erdacht. So können in homerischer Zeit herkömmliche gesellige Formen, etwa des adligen Landlebens der früheren Zeit, in das Gesellschafts- und das Geschichtsbild aufgenommen werden. Aber auch herkömmliche poetische Formen, Märchen und Legenden etwa, können historisiert worden sein. Sehr zweifelhaft ist dagegen, ob mögliche ältere historische Überlieferung, die in Sagenkernen erstarrt wäre, in dieser Zeit wieder als Historie ausgesondert werden konnte. Das geschichtliche Bewußtsein regt sich in einer historischen Kultur mit den übergeordneten, den sogenannten hochkulturellen Kulturstiftungen. Dieser Akt erscheint der Nachwelt wie ein plötzlicher Bewußtseinsschub. Voran geht aber sicher ein sozialer Lernprozeß. Die Vorgeschichte des geschichtlichen Bewußtseins ist im Nachhinein kaum wahrnehmbar, man kann sie aber nicht unendlich in die Vergangenheit zurückverlängern. Die Frühgeschichte des geschichtlichen Erinnerungsbewußtseins wird etwa die Drei-Generationen-Phase des Gedächtnisses der Oral History ausmachen. Erst das offizielle geschichtliche Bewußtsein, das aus einer höheren Gesellschaftsform oder einer größeren verfaßten Gemeinschaft hervorgeht, schafft die historische Aufzeichnung, die lineare Zeitrechnung, die Genealogie und die große raum-zeitliche Ordnung einer mythischen Vorgeschichte. Reinhard Wenskus zeigt, daß die germanischen Stammessagen historisierende Produkte eines Geschichtsbewußtseins waren, das mit der Verfassungsbildung der Stämme einherging2. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Heniges Untersuchungen zur Chronologie in der mündlichen Überlieferung einiger afrikanischer Stämme3. Er wie auch Vansina, Goody und Watt können zeigen, daß die „Oral Tradition" historisches Faktenwissen nicht um seiner selbst willen bewahrt und daß die Erzählung von Vergangenem Fiktives und Faktisches nicht unterscheidet 4 . Henige kommt nach seinen Untersuchungen zu dem Schluß, daß Vorgeschichte in einer mündlichen Tradition Mythos und nicht Geschichte sei. Die Zeitenfolgen der Vergangenheit seien aus einer bestimmten, kulturgründenden Gegenwart, aus dem Bedürfnis nach Erinnerung entstanden. Es handele sich um Rekonstruktionsversuche, die aus der Vorstellungskraft einer bestimmten Zeit entstanden seien. Antiquarisches Denken 2 3 4

Wenskus (1961) bes. 240. Henige (1974). Vansina (1965) 27 ff. Goody (1968) 7 ff.

6. Schlußfolgerungen

139

spiele dabei keine Rolle. Die Rekonstruktionen von vergangenen Zeitfolgen können sich aber bei Neusiedlungen auf die Objekte einer älteren Kulturlandschaft beziehen und geschichtliche Ereignisse in diese Gegenstände hineinsehen. Die authentische Geschichte dieser Gegenstände hätten die späteren Siedler nicht kennen können. Kulturelle Werke, gegenständliche Artefakte, aber auch Poesie sind immer in einem allgemeinen und mehrdeutigen Sinne auslegbar. Dieser allgemeine Sinn und nicht das in ihm gelegene historisch Einmalige öffnet sie der historischen Deutung. Erst die antiquarische wissenschaftliche Methode unterscheidet diese allgemeine phantasiereiche menschlich-poetische Deutung von der Deutung des Kunstwerks durch das Wissen um seine historische Herkunft. Von verschiedenen Seiten wird heute dafür plädiert, daß der Heroenkult, der in homerischer Zeit auftritt, eine Form der Kulturstiftung darstelle5. Coldstreams Analyse der bekannten Heroenkulte hatte gezeigt, daß der Heroenkult nicht aus einer kontinuierlichen Gedächtnistradition an mykenische Gräber hervorging, wie Nilsson angenommen hatte, sondern daß dieser Kult ein Reliktkult ist, der im späten 8. Jahrhundert um die Zeit Homers einsetzte und später von dem Heroenepos geprägt wurde6. In den früheren geometrischen Kulturphasen zollten die Bewohner Griechenlands den mykenischen Gräbern und Friedhöfen keinerlei Beachtung. Anders als in der spätmykenischen Zeit, als man die Begräbnisstätten noch nach altem Brauch benutzte 7 , scheinen diese Begräbnisstätten seit der submykenischen Zeit in Vergessenheit geraten zu sein. Seit dieser und in der darauf folgenden Zeit wurden ältere Gräber oft zufällig beim Anlegen eines neuen Grabes aufgedeckt und zerstört, also ohne Pietät behandelt 8 . Ein Beispiel dafür ist das 1951 ausgegrabene mykenische Kammergrab unter dem Ares-Tempel auf der athenischen Agora9. Dieses Grab enthielt ungefähr sechzehn Bestattungen aus mykenischer und möglicherweise noch aus spätmykenischer Zeit. Nachdem das Grab dann fast zweihundert Jahre lang unberührt blieb, wurde es in der späten protogeometrischen Zeit erneut benutzt. Das Innere des alten Grabbaus, dessen Kuppel zu dieser Zeit schon eingestürzt war, wurde aufgeschüttet, die mykenischen Bestattungen wurden zum Teil zerstört, zum Teil deplaziert. Es deutet nichts darauf hin, daß die Menschen jener Zeit mit den mykenischen Gräbern Erinnerungen verbanden. Anders sieht das Verhalten der Menschen gegenüber dem altertümlichen 5

C. Bérard (1982); Snodgrass (1982). Coldstream (1976). Vgl. Nilsson (1950) 584ff. 7 Coldstream (1976) 9-12; Kübler (1954) 36; MacDonald und Rapp (1972) 143f.; Hägg (1974) 97 f. 8 Coldstream (1976) 15 mit Anm. 56 und 57. 9 Townend (1955). 6

140

6. Schlußfolgerungen

Relikt im Heroenkult des 8. Jahrhunderts aus. Die alten Gräber werden nicht mehr weiterbenutzt und gestört, sie werden vielmehr erhalten, durch Altäre ausgezeichnet und mit Weihgaben geehrt. Dieses Verhalten ist nicht mehr vom Nutz-Prinzip regiert, sondern es drückt eine ehrfurchtsvolle Distanz gegenüber dem nun als „alt" erkannten Relikt aus. Die so geehrten Gräber stammen nicht aus einer bestimmten Zeit, jedes vergessene Grab, aus helladischer, mykenischer oder gar geometrischer Zeit wird auf diese Weise behandelt 10 . - Das Gebiet der Agora von Athen war seit helladischer Zeit als Begräbnisstätte benutzt worden, erst nach dem 8. Jahrhundert wurde das Friedhofsgebiet ganz auf das Kerameikosareal verlagert. Das Gebiet der Agora wurde Ende des 8. Jahrhunderts zu einem „heiligen Bezirk" 11 . Die ersten Heroenkulte an älten Gräbern können dort um diese Zeit beobachtet werden. Sie bilden den Anfang einer Reihe, die sich bis ins 5. Jahrhundert fortsetzt. Seit dem frühen 7. Jahrhundert werden auch die reichen Familiengräber auf der Agora, die aus der spätgeometrischen Zeit stammen, durch Reliktbeigaben und Altäre mit dem Heroenkult verbunden 12 . Der Heroenkult wird dadurch nicht zum Erinnerungskult für historische Personen, vielmehr wird die personale Erinnerung durch die mythische ersetzt. Man sieht, wie diese geschichtliche Sinnstiftung der homerischen Zeit in der historischen Zeit weitergeführt wurde. Der Heroenkult wäre als ein Gründerkult der politischen Gemeinde zu bezeichnen. Er stünde für eine Kulturstiftung, die Gründung der Stadt, oder die Gründung einer Institution 13 . Den Reliktkult findet man auch im Zusammenhang mit den Gründungen der Kultorte im 8. Jahrhundert. In der frühen Phase der dunklen Jahrhunderte gibt es an den ehemaligen mykenischen Kultorten kaum Anzeichen für eine Kontinuität der ehemaligen Kultpraxis 14 . Ein Fortleben der mykenischen Kultorganisation wird man nicht annehmen können 15 . Eine archäologisch nachweisbare Kultkontinuität gibt es über das Submykenische hinaus nicht. Selbst Amyklai und Ayia Irini wurden zu jener Zeit nicht mehr als Kultorte wahrgenommen 16 . Kalapodi wird erst im Sub10

Coldstream (1976) 14ff.; Snodgrass (1971) 192ff„ 398ff.; ders. (1980) 3 8 ^ 0 ; Hägg (1974) 60ff.; Thompson und Wycherley (1972) 119ff.; Kolb (1981) 6 mit Anm. 7. 11 Thompson und Wycherley (1972) 3ff„ 10, 119; Martin (1951) 49ff.; Kolb (1981) 5 ff. 12 Lalonde (1980) 97ff.; Themelis (1976) 88ff.; Humphreys (1980) 96ff. 13 Vgl. unten S. 170 ff. 14 Desborough (1964) 40-47. Vgl. Dietrich (1968) 153 ff. 15 Dazu: Hiller (1980) 95ff. 16 Zu Amyklai: Snodgrass (1971) 131, 275; Burkert (1977) 93; Catling (1976) 77ff.; Hope Simpson und Dickinson (1976) 107f. Zu Ayia Irini: Burkert (1977) 92; Caskey (1981) 127ff.; Renfrew (1981) 135, 211.

6. Schlußfolgerungen

141

mykenischen als Kultplatz eingerichtet, der archaische Tempel steht nicht über einem mykenischen Heiligtum, sondern über einer mittelgeometrischen Kultstätte17. Eine Kontinuität der Benutzung vom Mykenischen bis zum Geometrischen gibt es nur in wenigen Fällen, bezeichnender Weise beim Höhlenkult. Man muß annehmen, daß das Numinose dieser Orte deren Heiligkeit über die Jahrhunderte bewahrte18. Es ist schwierig, eine Religionsgeschichte zwischen dem Mykenischen und dem Frühgriechischen zu rekonstruieren. Vielleicht sind einige Götternamen, einige Opferbräuche und Kultgeräte, wie Kernos und Schlangenröhre aus dem Mykenischen ins Frühgriechische tradiert worden". Bei all dem handelt es sich aber um verbreitete und einfache Formen, an die man keine geschichtlichen Inhalte binden kann 20 . Ich glaube nicht, daß man von einem sogenannten Volksglauben sprechen kann, der die mykenischen und die frühgriechischen religiösen Vorstellungen verbunden hätte. Die Wanderungsbewegungen der Bevölkerungen Griechenlands in den frühen dunklen Jahrhunderten sprechen dagegen. Die einfachen religiösen Vorstellungen kennen keinen dogmatischen Götterglauben, sie assimilieren leicht jede fremde Form der Mystik, des Aber- und Wunderglaubens21. Naturreligionen assimilieren darüber hinaus andere religiöse Inhalte und andere Götterfiguren. Wir wissen nicht, welche Veränderungen mit den religiösen Vorstellungen und Mythen in den dunklen Jahrhunderten vor sich gegangen sind. Mit kultischen Motivverschiebungen, Umschichtungen von Erinnerungen, wird man rechnen müssen22. - Das Verhalten gegenüber möglichen Traditionsbeständen aus dem mykenischen Kult in submykenischer und protogeometrischer Zeit ist gebrauchsbestimmt. Die Heterogenität der verschiedenen kultischen Überlieferungen spricht dafür, daß es sich um „zufälliges" unbewußt mitgeführtes Traditionsgut handelt, nicht um eine bewußt fortgeführte, mit Erinnerung verbundene Tradition 23 . Anders sieht das Verhalten gegenüber den altertümlichen Resten bei den neuen Kultbauten des 8. Jahrhunderts aus. Fast alle im 8. Jahrhundert ge17

Snodgrass (1971) 275-285; Felsch (1981) 81 ff. bes. 89; Wells (1983) 34. Vgl. BCH 107, 1983, 774ff.; ABSA 65, 1970, 21 ff. 18 Burkert (1977) 91. Zu Kreta: Hooker (1969) 70f.; Nicholls (1970) 10ff. Zu den festländischen Heiligtümern, die dagegen oft „vergessen" wurden: Snodgrass (1971) 398 mit Anm. 38. 19 Nicholls (1970) 12ff.; Wells (1983) 34f., 76; Burkert (1977) 90; Xanthourides (1905/6) 9 ff. 20 Vgl. Burkert (1972) 31 ff.; Kirk (1980); Hägg und Marinatos (1981) 95ff., 125ff., 214. 21 Kroeber (1948) 405ff.; Schaeffer (1983) 105ff. Vgl. Bausinger (1971) 200. 22 Vgl. Bertholet (1938). 23 Hägg (1983) 120ff. Dazu: Bouzek in: Gnomon 57, 1985, 154f.

142

6. Schlußfolgerungen

gründeten Tempel befinden sich an einem durch vorzeitige Hinterlassenschaften gekennzeichneten Ort24. Sie sind entweder über einem früheren Kultbau errichtet, oder auf einen Hausgrundriß aus alter Zeit gestellt, oder sie befinden sich gar auf einem mykenischen Burgberg25. Unter manchen Heiligtümern finden sich Gründungsdepositorien, die altertümliche Relikte enthalten26. Am merkwürdigsten sind die mykenischen Plastiken, die in den neuerbauten Heiligtümern von Asine und Ayia Irini als Kultgegenstände verehrt wurden. Es handelt sich dabei um Gegenstände, die zur Zeit der Gründung des neuen Heiligtums gefunden wurden und zu einem Zweck in dem neuen Tempelkult eingesetzt wurden, der nicht ihrem Gebrauch in mykenischer Zeit entsprach 27 . Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Kultlegenden von Samos, Sparta und Tiryns, nach denen die Xoana dieser Heiligtümer vom Himmel gefallen und steinwurfbreit entfernt von den mykenischen Relikten aufgeschlagen seien28. Fragt man nach dem Grund hinter diesem neuen Verhalten, so kann man nach der langen Zeit der Indifferenz gegenüber den älteren Gegenständen nicht Erinnerung dafür verantwortlich machen. Die konsequente Hinwendung zu den alten Gegenständen, ja ihre Entdeckung als Relikte muß auf eine Erkenntnis zurückgehen. In der Erkenntnis der Griechen des 8. Jahrhunderts erscheint, wenn man den archäologischen Zeugnissen und den homerischen Epen folgt, der Zeitraum der Vergangenheit. Vergangenheit nicht in dem kurzen und individualisierenden Zusammenhang der „Oral History", sondern Vergangenheit als verbindliche Größe, als Monument, das mit den Monumenten der gegenwärtigen Kultur zusammengebracht werden kann. Die Gegenstände der Vergangenheit werden als Werke mythischer „früherer Menschen" verstanden, aber auch als Werke einer hohen heroischen Zeit, die von den Menschen der Gegenwart durch eine Zeitenwende getrennt ist29. Kultur wird sozusagen abstrakt als menschliches und idealisiert menschliches Werk verstanden. Diese Erkenntnis geht mit der Kulturstiftung in homerischer Zeit einher. Das Relikt, das nach der archäologischen Evidenz plötzlich aufgetan wird, hat etwas Numinoses an sich. Es drückt vielleicht die Dauer menschlicher Kultur aus, den eigentlichen Wert für den geschichtlich Denkenden. Das Alte wird durch seine Dauer zum Ausdruck des Verbindlichen, des Vorbildlichen. Das gegenständliche Relikt heiligt den Gründungsakt des Tempels, des Ver24

Vermeule (1974) 5, 75, 132. Zu den Ausnahmen: Burkert (1977) 91 f. Auf älteren Kultbauten errichtet: Burkert (1977) 92f.; Kilian in: Hägg (1983) 121. Auf älteren Häusern errichtet: Snodgrass (1971) 398 mit Anm. 38. Auf mykenischen Festungsresten erbaut: Burkert (1977) 93; Drerup (1969) 17 f. 26 Burkert (1977) 92. 27 Hägg (1981:2) 91-94; Caskey (1981) 127ff.; Burkert (1977) 64ff. 28 Vgl. Vermeule (1974) 75, 140, 158. 2 ' Vgl. unten S. 170 ff., 182 ff. 25

6. Schlußfolgerungen

143

sammlungsplatzes oder gar der Mauer der homerischen Stadt. Diese werden als Götter- oder Heroenwerke zu unzerstörbaren Gegenständen. Man kann umgekehrt fragen, diese Frage soll Gegenstand des folgenden dritten Teils meiner Untersuchung sein, ob man in dem homerischen Großepos, trotz der traditionellen Herkunft der verschiedenartigen Motive des Textes, ähnliche Stiftungen von Vergangenheit, Sinnstiftungen homerischer Gegenwart erkennen kann.

Teil III. Homer und das 8. Jahrhundert. Dichtung, Monumente und geschichtliches Bewußtsein 1.

Geschichte und geschichtliches Bewußtsein in den homerischen Epen

Das Heldenepos als literaturwissenschaftliche Gattung beschreibt ein Geschehen im Sinne einer bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit, so wie es in dieser Zeit erlebt, und in der Kunst nacherlebbar gewesen ist. Die Heldendichtung handelt von menschlichen Konfliktsituationen, von menschlicher Entscheidung, Tat und Verfehlung. Aus diesem Grund hat man sie seit jeher als eine Dichtung mit einem geschichtlichen Wahrheitsgehalt angesehen. Die Heldendichtung gehört nicht zu den einfachen literarischen Formen. Sie steht an der Grenze zur höheren Literatur, daher ist sie meistens schon in schriftlicher Form auf uns gekommen 1 . Diese Dichtung erweist sich als ein „Sagenmagnet", sie verarbeitet und rationalisiert die einfachen, episodischen Erzählformen der mündlichen Überlieferung 2 . Die innere Konsistenz dieser Dichtung ist von der Beziehung des Sängers und Dichters zu seinem Publikum abhängig. Die Heldendichtung ist voller Aussagekraft, solange sie für ein Publikum komponiert wird, das an den Sinngebungen und Konfliktzusammenhängen der Dichtung interessiert ist. Diesem Publikum ist auch an einer fortwährenden Erneuerung der Dichtung gelegen. Die Heldendichtung verliert an Qualität, wenn sie als eine volkstümliche oder gar als eine nationale Dichtung angesehen wird und, in einer Ideologie gefroren, fast unverändert über die Jahrhunderte bewahrt wird 3 . - Die homerischen Epen zeichnen sich durch eine hohe literarische Qualität aus. Diese Qualität kann nicht auf eine vermeintliche uralte Herkunft des Epos zurückgehen. Glaubwürdiger läßt sich diese poetische Qualität mit dem aktuellen Interesse begründen, das die mündliche Dichtung in ihrem Hörerkreis, der adligen Gesellschaft des 8. Jahrhunderts genossen hat 4 . 1

Bausinger (1980) 188f. Vgl. von See (1971) 11 ff. Bausinger (1980) 189; Spamer (1934) 440. Vgl. Petzold (1979); Hölscher (1988). 3 Bausinger (1960). Zum Qualitätsunterschied: Dirlmeier (1971). Das Argument gilt gegen Bowra (1964), der Qualität und Tradition der verschiedenen Dichtungen keine Beachtung schenkt. 4 Zu den geschichtlichen Bedingungen literarischer Qualität: Jauss (1977) 12ff. Zum homerischen Hörerkreis: Schadewaldt (1942:2); bes. Patzer (1972); Latacz (1984) und (1985) 15-39. 2

146

I. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

Die Leitgedanken des homerischen Gedichtes, etwa die Aristien und die Städtebelagerungen, sind, wie ich zu zeigen versucht habe, auf die typischen Konflikte der adligen Lebenswelt des homerischen Jahrhunderts bezogen. Homer war ein Zeitgenosse dieser Welt und er reflektierte sie aus dem Blickwinkel seines Publikums. Der Dichter war in die Verhaltensformen dieser adligen Gesellschaft eingeweiht, ihre Handlungsmotive, ihre sozialen Sinngebungen, ihre Rituale. Dieser gesellschaftliche Code 5 drückt sich in dem anschaulichen dichterischen Zeichensystem aus, auf das das Publikum mit Zuspruch und Anteilnahme reagierte. Diese intersubjektive Wahrheit, die Mitwisserschaft, macht die Qualität des Gedichtes und ihren historischen Charakter aus6. Sänger und Publikum waren mit bestimmten menschlichen Grundsituationen vertraut, die für ihre Zeit typisch waren; in diesem allgemeinen Sinne haben die homerischen Geschehnisse Anteil an historischem Geschehen. Verschiedene Szenen der Odyssee führen im poetischen Bild vor, daß für die Menschen der homerischen Zeit erst das eigene Erleben die Wahrheit einer Erzählung verbürgte. Odysseus ist von der Erzählung der Einnahme Troias, die der Sänger Demodokos vorträgt, ergriffen, weil er diese Geschichte selbst erlebt hat (Od. 8,83 ff.). Er wird den „historischen" Bericht vor den Phäaken weiterspinnen und das spätere Geschehen vortragen, das offensichtlich noch nicht in den epischen Gesang eingeflossen ist und daher von Demodokos noch nicht vorgetragen werden kann. Will man in der homerischen Welt Wahres über die Vergangenheit erfahren, so muß man die Zeugen eines Ereignisses befragen. Um einem Geschehen wirklich auf den Grund zu gehen, reist man wie Telemachos und überprüft die Nachrede (Od. 3,327 ff.; 4, 346ff.). Von einem jüngst vergangenen Geschehen zeugt das Denkmal. Wenn, so Telemachos, Odysseus gestorben wäre, hätten die Achäer ihn bestattet und sein Grabhügel hätte ihm, seinem Sohn, große Kunde für später erworben (Od. 1, 239 f.). Auch die über das Grabmal erzählte ruhmvolle Geschichte gehört für den Helden noch in den Bereich der geschichtlichen Zeitzeugenschaft. Telemachos' Hinweis auf die spätere „große Kunde" bezieht sich nach der Logik der Dichtung auf den späteren homerischen epischen Hörerkreis, der diese Kunde einer gesteigerten menschlichen Wirklichkeit, die er heroische Vergangenheit nennt, hier sozusagen aus dem Munde des heroischen Zeitzeugen vernehmen wird. Geschichte stellt sich innerhalb des epischen Geschehens als „Oral History" dar, denn wie dort kann nur der Zeitzeuge genaues berichten oder die historische Situation richtig einschätzen. Die erzählte Geschichte kann 5 6

Vgl. Reucher (1983) 1-11. Boeder (1959) 92ff.; Heitsch (1962) 31 ff.

1.1 Aktualität und Geschichte in der homerischen Erzählung

147

unmittelbar in ein poetisches Kunstwerk umgeformt werden, wie das für die Gesellschaft der Phäaken noch recht aktuelle Lied der Eroberung Troias zeigt. Wenn die Geschichte zum Lied geworden ist, verfügt eine ganze Gesellschaft über sie. Die Hörer des Symposions bei den Phäaken sind bereits Experten, wenn es um den troischen Krieg geht. Sie stellen Fragen zu bestimmten Situationen, wollen das Geschehen überprüfen u n d wollen immer wieder Neues hören (Od. 12,452 f.). Die Beziehung der epischen Dichtung zur Zeitzeugenschaft, zum Hörensagen u n d zu den Kommentaren einer Gesellschaft von Kennern bürgt f ü r ein frühes Stadium der Entwicklung einer geschichtlichen K u n d e in der homerischen Gesellschaft 7 . Von dieser zeitgenössischen geschichtlichen K u n d e ist uns nichts überliefert, sie scheint ganz in dem heroischen Erzählen, in dem über alle Realität gesteigerten heroischen Ereignis aufgegangen zu sein. Enthält die heroische Erzählung eine weitere Form von Geschichte, ist auch geschichtliche K u n d e aus längst vergangener Zeit als geschichtliche Tradition bewahrt worden, eine Tradition die weit über die Möglichkeiten einer Oral History hinausginge? K a n n man in den homerischen Epen zeitgenössisches historisches Denken u n d Erleben von einem historischen Wissensfundus trennen, der weit in der Vergangeheit zurückläge? Im folgenden soll das aktuelle historische Denken homerischer Zeit einem möglichen historischen Wissen aus ferner Zeit prüfend gegenübergestellt werden. Mein Ziel ist herauszufinden, ob die homerische Konzeption von einem heroischen Zeitalter und von der Geschichte des troischen Krieges ein Ergebnis dichterischer Planung ist, die der geschichtlichen Auffassung seiner Zeit entspricht, oder ob die heroische Zeit eine historische Vorgabe ist. Haben wir es mit einer historisch gedachten Fiktion zu tun oder mit echter Historie?

1.1

Aktualität und Geschichte in der homerischen Erzählung

Die Elemente des Aktualisierens des heroischen Geschehens gehören der homerischen Gegenwart an, die Geschichtskunde aus der Sage würde zu den ahistorischen Elementen der Erzählung gehören, wenn man die Geschichtlichkeit einer Erzählung an ihrem Sinnverstehen und nicht an ihrem Faktenzusammenhang mißt. Die Geschichte vom einem troischen Krieg des 2. Jahrtausends hätte längst das Stadium der mündlichen K u n d e überschritten haben müssen, u m als Sage die Zeiten zu überdauern. Das aktuelle Interesse der homerischen Helden an ihrer Geschichte, das gespannte Erwarten neuer Botschaften, das Deuten und Umdeuten des Geschehens sprechen dafür, daß sich die Erzählung einen Weg bahnt, der 7

Vgl. Vansina (1965) 3-12.

148

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

sich an der Sicht aktuellen geschichtlichen Geschehens orientiert, so wie es in der homerischen Gegenwart erfaßt und gedeutet wurde. Natürlich kann man einwenden, daß sich das Interesse der Helden beziehungsweise der Hörer des Epos aus der Aktualität auf die Vergangenheit zurückwendet und daß die Kenntnis von der Vergangenheit in einer historischen Erzählung überliefert gewesen sein kann. Die Umdeutung des Vergangenen in dem aktuellen Verstehen eines Geschehens würde aber ein möglichwerweise vorgegebenes historisches Erzählmuster, selbst dessen historischen Faktenzusammenhang gestört haben 8 . Oft wird argumentiert, daß es dieselbe Geschichte, nur anders erzählt, schon in der Vergangenheit gegeben haben kann, daß sich die Konstellation der Fakten, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt, auch in der Umdeutung erhalten habe. Es würde dann eine unveränderbare historische Gegenständlichkeit, historische Ereignisse und Monumente im Epos geben, die in aktualisierenden Deutungen ihre eigentliche historische Herkunft unverfälscht bewahrt haben würden. Latacz z.B. spricht von einem seit alters verbindlichen Faktenzusammenhang der griechischen Heldenepik, der sich in der epischen Geschehens- und Gegenstandswelt widerspiegele9. Zu diesen vermeintlich „harten Fakten" gehörten zunächst die sogenannten Sagenkerne, die troianischen und thebanischen Kriege mit ihren sagenumwobenen Fundorten. Tatsächlich gibt es aber in den homerischen Epen mehrere Kriege um Troia und Theben. Die Kriege dienen als zeitliche Fixpunkte in der erzählten Vergangenheit der Helden10. Diese Ereignisse gehören zu den zentralen Topoi im Geschichtsbewußtsein der homerischen Akteure; um die Kriege von Theben (II. 4,377ff.; 5,800ff.; 23,676ff.), Kalydon (9,530ff.), Elis (11,670ff.) und Ilion (5,640ff.; 14,250ff.; 20,144ff) gruppieren sich verschiedene unabhängige Episoden, die als Heldenerinnerungen in das größere Kriegsgeschehen aufgenommen worden sind. Bei den Kriegen handelt sich um Ereignisse, zu denen sich die Helden, ihre Vorfahren oder ihre Gastfreunde getroffen haben, bei deren Gelegenheit verschiedene Geschichten ausgetauscht wurden und neue Geschichten sich ereignet haben. Man erinnert sich an das große Ereignis, das in der Zerstörung einer Stadt endete, um den Zeitraum der kleinen Ereignisse zu fixieren und um im Gespräch die Erinnerung in Gang zu setzen. Die sogenannten Sagenkerne

8

Zu den mittelalterlichen Parallelen vgl. Vollrath (1981) 576ff.; Wickert-Micknat (1970) 57 ff., bes. 70. 9 Latacz (1988) 161 ff., 166 ff. 10 Strasburger (1966) 29. Der Stoff dieser Erzählungen erscheint nicht singulär historisch, jedoch wird geltend gemacht, daß alle Orte der Geschehnisse zu den mykenischen Kapitalen gehören. Vgl. Hooker (1979) 18.

1.2 Dichterisches Wahrscheinlichmachen von Vergangenheit

149

führen in eine Vergangenheit, die nicht anders als durch das beispielhafte Ereignis benannt werden kann. Der Kern dieser Erinnerungen besitzt aber keinen spezifischen historischen Gehalt; es handelt sich lediglich um eine austauschbare Kriegssituation an einem austauschbaren Ort. Diese Situation, ein größerer Koalitionskrieg, kann den politischen Gegebenheiten der homerischen Zeit, etwa dem lelantischen Krieg entsprochen haben 11 . Eine ähnliche Situation mag in mykenischer Zeit möglich gewesen sein, zu beweisen ist das nicht. Es sieht daher nicht so aus, als habe ein singuläres historisches Ereignis aus der fernen mykenischen Zeit am Anfang der Heldendichtung gestanden. Man kann dieses Ereignis nicht in einer unverkennbaren Konstellation von Fakten wiedererkennen. Es sieht eher so aus, als sei der mehrdeutige Ereigniskern als Metapher auf typisches zeitgenössisches Geschehen aus einem späteren Geschichtsbewußtsein erwachsen. Die historische Metapher hätte dann als „Großereignis" verschiedene märchen- und legendenhafte Episoden in ihren Bann gezogen. Die sogenannten Sagenkerne wären Rahmenhandlungen, die zur chronologischen Ordnung des Großepos gehörten. Der Handlungsrahmen „Krieg" ist auf seinen historischen Inhalt besehen ebenso stumm wie das Monument, das von ihm zeugt. Die Ruine und der Geschehensrahmen sind mehrdeutig, sie verweisen auf potentielle menschliche Realitäten. Die epische Vergangenheit wird aus solchen vieldeutigen historisch leeren Fakten aufgebaut, es handelt sich nicht um einen mit historischem Wissen gefüllten Zeitzusammenhang. Das historische Wissen wird erst durch das Sinnverstehen homerischer Gegenwart, das in dieser geschichtlichen Kunde liegt, in das Epos hineingetragen. Es wird durch das Hörensagen und durch das Wiedererkennen und Weiterspinnen des Ereignisses in der Heldenerzählung innerhalb der Dichtung und durch den Sängervortrag den eigentlichen Hörern vermittelt. Es besteht kein Grund, die fiktive geschichtliche Wirklichkeit der Heldenerzählung von der Wirklichkeit der Hörer des Epos zu unterscheiden. Geschichte ist in dieser Wirklichkeit eine einfache Welt des vorstelligen Erzählens.

1.2

Dichterisches Wahrscheinlichmachen von Vergangenheit

Vergangenheit liegt in dem homerischen Erzählstoff nicht in einer Reihe historischer Fakten, Vergangenheit wird vielmehr als eine Dimension menschlicher Erfahrung beschrieben, durch diese allgegenwärtige Erfah11

Schadewaldt (1942) 106ff. Vgl. Rzach (1922) 2361 ff.

150

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

rung wird sie dem Rezipienten zur geschichtlichen Wahrheit12. - Das Zeitalter der Heroen umfaßt drei menschliche Generationen, die Generation Nestors, des Alten, der sich bis in die unglaublichen Zeiten der Riesen und der Tiermenschen zurückerinnern kann, die Generation der Helden vor Troia, der idealisierten, beispielhaften halbgöttlichen Menschen, und die Generation der Heldensöhne, die die Last der Taten ihrer größeren Väter zu tragen haben. Von den „sterblichen Menschen" homerischer Zeit sind die drei Heldengenerationen gleich weit entfernt. Die Helden sind untergegangen und mit ihnen ihre übermenschliche Kraft, ihre halbgöttliche Herkunft. Nach der Heldenzeit greifen die Götter nicht mehr in irdisches Geschehen ein. Die Vorstellung, daß Vergangenheit sich über drei Generationen erstreckt, entspricht einfacher menschlicher Erfahrung, ein jeder begegnet diesen drei menschlichen Generationen in seinem Leben. Der Zeitraum von drei Generationen entspricht daher dem kollektiven Gedächtnis der Oral History. Bei den drei heroischen Generationen handelt es sich um Vergrößerungen dieses einfachen Sachverhalts. Sie dauern um so länger je älter sie sind, die Lebewesen sind wunderlicher, größer und stärker, je tiefer sie in der Vergangenheit stehen. Göttliches Eingreifen wird durch die mythische Zeitentfernung glaubhaft; auch die übermenschliche Körpergröße der Helden und ihre wunderbaren körperlichen und geistigen Kräfte erscheinen in der anderen Weltdimension real. Das heroische Zeitalter gehorcht anderen Maßstäben, es handelt sich um einen Zeitraum der Vorstellung, der nach den menschlichen Erfahrungen von Zeit vollendet vergangen ist. Dennoch sind die Ereignisse der heroischen Zeit, wie man dem geschichtlichen Kundschaften im Epos sehr schön entnehmen kann, an wirklich geschichtliche in menschlichen Dimensionen verlaufende Entwicklungen gebunden 13 . Strasburger prägte für die dichterische Methode, Vergangenheit wahrscheinlich zu machen, den Begriff der „heroisch-altertümlichen Kolorierung" 14 . Dieses Kolorit entspringt wie die dichterische Generationenzählung keinem historischen Faktenwissen, sondern einem Erfahrungswissen um eine überschaubare menschliche Vergangenheit. Es ist auch kein antiquarisches Denken in dieses Kolorieren gemischt, - so als hätte der Dichter des 8. Jahrhunderts wie ein Historiker versucht, die Vergangenheit durch Wissen um ihre Andersartigkeit und durch einzelne andersartige Fakten und Antiquaria auszumalen 15 . Die Gegenstände, für die man in der Ilias selten ein archäologisches Pendant findet und in der Odyssee nur 12 13 14 15

Dazu ausführlich Strasburger (1972). Vgl. Finley (1964:2). Strasburger (1972) 27. Vgl. Lesky (1966) 32. Anders: Nicolai (1981) 95ff. und (1987).

1.3 Die aristokratische altertiimelnde Kolorierung im homerischen Epos 151 solche aus der Zeit des frühen orientalisierenden Stils, spiegeln keine antiquarische Realität wider, sondern eine vorstellige Realität, eine Steigerung menschlicher Größe und Reichtums. Die dichterischen Gegenstandsbeschreibungen spielen in dem heroischen Geschehen eine bedeutende Rolle, weil sie die aristokratische Heldentypik veranschaulichen und deutend auf die Handlungen einzelner Helden verweisen.

1.3

Die aristokratische altertiimelnde Kolorierung im homerischen Epos und die mykenische Kultur

Obwohl eine Steigerung menschlicher Realität in der Fiktion keine historischen Kenntnisse voraussetzt, erweckt der homerische Dichter mit seiner wirklichkeitsgetreuen Kunst den Anschein, daß es sich bei seiner Vorzeit um eine abgeschlossene Vergangenheit handele, um eine Welt eigentümlicher Normen. Diese poetische Wirklichkeit war so überzeugend, daß Hesiod das heroische Zeitalter in die mythische Schöpfungschronologie aufnahm (Erga 156 ff.), daß die griechische Geschichtsschreibung dieses Zeitalter als Gründungszeit ihrer Geschichte behandelte, daß die Gründungssagen der Römer und selbst der mittelalterlichen Völker sich an den troischen Krieg anschlossen und daß noch die modernen Historiker in einer realgeschichtlichen heroischen Zeit Zeichen für die geschichtlichen Anfänge der Griechen aufzuspüren suchen. Mit Schliemanns Entdeckungen wurde aus dem vorstelligen „Wirklich-Sein" dieses poetischen Zeitalters ein materielles „Wirklich-Gewesen-Sein". Die neu gefundene Kultur mit ihren monumentalen Bauten und ihrem Reichtum schien zu beweisen, daß es das Zeitalter der Heroen gegeben habe. Die Gleichung zwischen dem Poetischen und dem Gegenständlichen beruht aber auf einer allgemeinen und daher plausiblen Voraussetzungen : Hohe Kultur wird durch Herrschaft ins Werk gesetzt. Es gibt in den homerischen Epen, aber auch in anderen Heldenepen eine idealtypische Handlungsweise, die aristokratischen Handlungsnormen entspricht: Herrschaft beruht auf zwischenmenschlichem Handeln; durch das Vorrang-Gewinnen vor anderen, durch Taten, Ruhm, Reichtum und durch Fürsorge für Abhängige bewährt sich der Adlige. Dieser Vorrang zeigt sich äußerlich im materiellen Besitz des Edlen, in seinen Häusern, in seinen Waffen, in seinen Geräten und in seinem Schmuck. Diese Gegenstände zeigen seinen Reichtum und seine sozialen Fähigkeiten an. Man findet dieses gegenständliche Rollenspiel in fast jedem altertümlichen Grabkult und seinen Beigaben, so auch im mykenischen und im frühgriechischen. Kann man aber den mykenischen Krieger mit dem homerischen

152

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

Helden identifizieren? Und kann man aus diesem Gleichnis zweier anthropologisch gleicher Verhaltensweisen ein mykenisches aristokratischkriegerisches Gesellschaftswesen rekonstruieren 16 ? Der homerische Dichter arbeitet, wie jeder mündliche Dichter, mit anschaulichen menschlichen Grundkonstellationen, denn er muß eine fiktive Realität schaffen, die für sein Publikum wahrscheinlich ist. Wahrscheinlichkeit ist in der mündlichen Dichtung aber keine kognitive Qualität, sondern sie drückt sich durch Anschaulichkeit und Gegenständlichkeit aus. Anschaulichkeit liegt in der Typik der menschlichen, aber auch der gesellschaftlichen Situationen17, Gegenständlichkeit darin, daß diese Grundsituationen durch gegenständliche Kultur ins Bild übersetzt werden18. Die Handlungstypik der Ilias läßt sich durch die epischen Elemente der Anschaulichkeit leicht mit der mykenischen gegenständlichen Kultur verbinden. Die meisten Gegenstände, die in den homerischen Epen beschrieben sind und die altertümlich erscheinen sollen, können aber in die homerische Zeit datiert werden19. Dagegen gibt es keine homerische Beschreibung, die antiquarisch genau ein mykenisches Kunstwerk, oder auch nur einen banalen Gegenstand früherer Zeit bezeichnen würde. Die Gegenstände, die die Helden benutzen, die also bildlich deren Aristien festhalten, sind fiktive Gegenstände, die aus der phantasievollen Steigerung von wirklichen Gegenständen entstanden sind, die in homerischer Zeit benutzt wurden und bekannt gewesen sind. Ihr heroisches Kolorit läßt sie aus kostbar glänzendem Metall hergestellt sein, läßt sie größer und schwerer sein, reicher dekoriert erscheinen. „Größe und Reichtum" sind die Metaphern, auf die man den vergangenheitlichen Schein dieser Gegenstände reduzieren muß. Die Menschen homerischer Zeit hatten ein Bewußtsein von der sozialen Bedeutung der Kultur; die vorstellige Sprache des Epos gibt davon vielfältige Kunde. Ähnlich mögen die Menschen mykenischer Zeit als Auftraggeber von Kunstwerken gedacht haben. Die Bedeutung des Kunsthandwerks in homerischer Zeit läßt aber darauf schließen, daß diese Erfahrung der Welt des 8. Jahrhunderts entsprungen ist.

16

So zuletzt Kirk (1976:2) 40ff. Vgl. Snodgrass (1974) 114ff. Vgl. Hamburger (1948). 18 Vgl. Bühler (1934); Rosier (1983) 9ff. " Kannicht (1982); Heubeck (1986). 17

1.4 Der homerische Schiffskatalog

153

1.4 Der homerische Schiffskatalog und die Erfahrungswelt der frühgriechischen Aristokratie „Größe und Reichtum" zählen auch zu den Attributen der homerischen Topographie, die den Geschehensraum des Vergangenen ausmessen soll. Zugleich ist diese Topographie aber ein Ausdruck des Weltbewußtseins der homerischen Zeit. Die großräumige heroische Landschaft spiegelt die politische Handlungswelt des frühgriechischen Adels und das west-östliche Handeln jener Zeit wider. Die Genauigkeit der homerischen Landschaftsbeschreibungen, die landschaftliche Detailgenauigkeit des Schiffskatalogs sprechen für eine an der Gegenwart der Anschauungen orientierte Vorstellungswelt; solche Beschreibungen können ohne ein konstantes politisches Bezugsbild nicht in den Wiederholungen mündlichen Repetierens die Zeiten überdauert haben 20 . Die homerische Topographie zeigt ein Bewußtsein von der Bedeutung kultureller Grenzen an, das dem Denken des 8. Jahrhunderts entspricht, dem Selbstverständnis des Adels, in einer gemeinsamen panhellenischen Kultur zu leben, und den Erfahrungen der griechischen Kolonisten mit den Fremden, den Einheimischen in den neuen Siedlungsgebieten. Der troische Krieg ist ein Krieg aller Hellenen gegen die Fremden, die Kleinasien bewohnen. Dieses Bild entspricht zunächst nicht der frühgriechischen historischen Realität, denn es läßt die kleinasiatischen griechischen Städte aus. Diese Besonderheit reicht allerdings nicht aus, den Schiffskatalog in eine mykenische politische Geographie zu setzen, denn wir wissen zu wenig über eine solche Geographie, schon gar nichts über eine mykenische kulturpolitische Bewußtseinslage. Die Situation des Schiffskatalogs erscheint zunächst paradox, denn der homerische Dichter stammt selbst aus ionischer Tradition, folglich hätte er diese Städte und den ionischen Adel den Gegnern der Troer zuordnen müssen21. Daß der Dichter das strikt vermeidet, weist auf ein Kompositionsschema hin, ein Ost-West-Bewußtsein, das sich gerade in Kleinasien gebildet haben kann 22 . Die kleinasiatischen orientalischen Herrscher gehörten während der ganzen archaischen Zeit zum Kommunikationskreis des griechischen Adels. Kroisos, der lydische Fürst, der sich in Delphi berät, ist das beste Beispiel dafür 23 . Dennoch gehören diese „Orientalen" im Bewußtsein der Griechen zu einem anderen Kulturkreis. Auch Homer 20

Zur Diskussion um die geschichtliche Herkunft des ,Schiffskataloges' vgl. zuletzt Kirk (1985) 168ff.; Heubeck (1979). 21 Kakridis (1956); Latacz (1988) 161. 22 Vgl. Ehrenberg (1933) 46 ff., 57 ff. 23 Heuss (1973).

154

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

erweist den orientalischen Fürsten und Verbündeten der Troer Reverenz und koloriert sie doch gleichzeitig zusammen mit den Troern oberflächlich als Fremde24. Der Unterschied zwischen den Griechen und ihren orientalischen Nachbarn, der für das Selbstverständnis der kleinasiatischen Griechen wichtig gewesen war, wird im Epos durch die beiden Zeitstufen der heroischen Zeit und der Jetzt-Zeit der wirklichen Menschen und ihrer politischen Situation versinnbildlicht. Vor der Zeit der Wanderungen, die mit den Heldensöhnen verbunden werden, kann es das ionische Kleinasien noch nicht gegeben haben. Das Epos hält sich genau an die Chronologie der Sagen. Der troische Krieg fand vor der ionischen Kolonisation statt, daher ist Kleinasien der Ort, der den Gegensatz zwischen den frühen Griechen und den kleinasiatischen Orientalen veranschaulichen kann25. Durch das klare Ost-West-Schema der dichterischen Vorstellungswelt wird die Identifikation der ionischen Hörer mit den Hellenen gefestigt. - Ähnlich kann unter den Kolonisten im Westen durch die im Epos spürbare Abgrenzung gegen eine Einheit der (mythischen) Fremden das Zugehörigkeitsgefühl zu den Hellenen gestärkt worden sein.

1.5

Dichterische Planung im homerischen Epos und die zeitliche Eingrenzung der homerischen Tradition

Der mythische Zeitraum „Vergangenheit" wird in den homerischen Epen mit verschiedenen, der menschlichen Erlebniswirklichkeit entnommenen Motiven beschrieben und wahrscheinlich gemacht. - Es entsteht eine reale Struktur, eine poetische „Zeit-Insel" 26 . Die Konsistenz und die Logik dieser vorstelligen Welt in ihrer gegenständlichen Fülle und landschaftlichen Weite lassen eine dichterische Planung vermuten. Kann man sich ein solches planendes Vorstellungsvermögen als Produkt einer mündlichen dichterischen Tradition vorstellen? Es mag zunächst unwahrscheinlich erscheinen, daß eine so episodenreiche Geschichte wie die vom troischen Krieg als ganze ersonnen worden sei. Ebenso unwahrscheinlich wäre es aber, wenn die erstaunliche homerische Detailgenauigkeit, die zahlreichen Namen und Orte, die ihren jeweils angemessenen und sinnvollen Platz im Epos haben, als Fakten einer längeren Überlieferung erhalten geblieben wären. Vielleicht geht gerade das Fixieren der vielen Geschichten einer 24

Malten (1944); Schwabl (1961). Vgl. meinen Aufsatz „Homer und der Orient", der 1992 in der Festschrift für Th. Beran in der Reihe „Alter Orient und Altes Testament" erscheinen wird. 26 Zitat Schadewaldt (1934) 153. 25

1.5 Dichterische Planung im homerischen Epos

155

unbestimmten Tradition in einem verbindlichen Schema von Zeit und Raum auf einen dichterischen „Planungswillen" zurück27. Damit komme ich zu dem homerischen Dichter, besonders dem Iliasdichter, und zu der Frage nach dem Verhältnis der homerischen Tradition zur homerischen Dichtung. Wenn wir die homerischen Epen als Werke planendender und gestaltender Meister ansehen, dann können wir diese Werke nicht in eine unbestimmt lange mündliche Tradition einordnen, sondern wir müssen zunächst die Tradition der uns bekannten poetischen Absichten abstecken. Eine verallgemeinernde Vorstellung von der „mündlichen Herkunft" der homerischen Dichtung bringt fehlerhafte Hypothesen hervor, weil sie den Gedanken von einer „naiven" Qualität enthält, als ob ein Phänomen wie künstlerische Qualität ohne kulturelle Arbeit, ohne Gesellschaftlichkeit, ohne Geschichte entstünde. Die Qualität der großen Epen läßt sich nicht aus einfacher mündlicher Überlieferung erklären oder mit den Formen der Volkspoesie vergleichen. Diese Heldendichtung setzt eine differenzierte Kultur voraus und eine gebildete Hörergesellschaft, die das ethische, politische und aktuelle historische Wissen des Dichters beurteilen konnte. Die homerischen Epen sind zudem die ersten Werke einer schriftlichen literarischen Kultur und sie sind durch ihre Niederschrift zu den wichtigsten Monumenten der griechischen Literaturkultur geworden. Der Wandel von der mündlichen zur schriftlichen Kultur kann kein Zufall sein, er ist das Produkt eines kulturellen Bewußtseins. Die homerische Motivforschung, die Neoanalyse und die Oral-PoetryForschung zeigen, daß der homerische Dichter über die Formelelemente, das Handwerkszeug der mündlichen Poesie aufs trefflichste verfügte: Er komponierte aus einfachen Geschichten ein komplexes und wirkliches beispielhaftes menschliches Geschehen. Er entwarf die dramatische Konstruktion der Achilleus-Handlung mit ihrem tragischen Konflikt um Achill und Patroklos. Er setzte Formeln zu Szenen zusammen und baute aus diesen Szenen Handlungsabläufe auf, deren Spannung in dem Erweitern und Auslassen szenischer Details vorweggenommen wird28. Dabei unterläuft ihm kein Fehler, den man bei einem wiederholenden, sich auf die Erinnerung verlassenden Dichter vermuten müßte. Der homerische Dichter läßt auch keine alten Elemente stehen, Szenen etwa, die aus der Tradition für seine Geschichte schon hätten bereit stehen können. Daher muß man annehmen, daß vor allem der Iliasdichter den menschlich-gesellschaftlichen Sinnzusammenhang seiner Erzählung formte, daß er diesen Sinn in dem langen Spannungsfeld der Erzählung immer vor Augen hatte und weiterentwickelte. Er konnte sich nicht auf Vorbilder berufen, wie die 27 Reinhardt (1961); Schadewaldt (1975). Vgl. Amory Parry (1971) und Latacz (1981). 28 Schadewaldt (1938:2); Reinhardt (1961); Patzer (1972).

156

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

Dichter der Odyssee oder gar der Dichter der Dolonie, die den Iliasdichter zitieren und variieren können 29 . Andreae und Flashar schlugen vor, daß wir uns die Arbeitsweise des Iliasdichters ähnlich vorstellen sollten wie die des Meisters der Dipylonamphoren 30 . In beiden Fällen hätten wir einen Komponisten vor uns, der aus dem reichen Angebot einer Tradition schöpfte, dessen Schöpfung aber ein Meisterwerk war, das neue Qualitätsansprüche aufstellte. Das hervortretende Moment dieses neuen Qualitätsanspruchs wäre wie beim Dipylonmeister das kompositorische Ordnungselement: Das Handwerkszeug der Tradition, die Stilmittel werden unter neuen Zeichen zusammengefügt. Man kann annehmen, daß auch die unmittelbare Tradition des homerischen Großepos um die Zeit des hochgeometrischen keramischen Stils im Laufe des 8. Jahrhunderts eingesetzt hat. Die epische Großkomposition wäre ähnlich wie die großen Grabkratere am Dipylon als Kunstwerk die Auftragsarbeit einer adligen Gesellschaft, die ihre gemeinsamen kulturellen Ausdrucksformen in jener Zeit fand. Die planerischen und kompositionellen Elemente der homerischen Dichtung könnten in eine unmittelbare vorhomerische Tradition datiert werden. Die epische Kunstsprache und die epischen Formeln gehörten wie die Großkomposition in einen Traditionszusammenhang, der vom Sprachkünstlerischen her nicht älter als ungefähr drei Generationen sein könnte 31 . Die einzelnen Motive, die „einfachen Formen" einer noch früheren mündlichen Tradition, sind hingegen nicht so leicht zu datieren. Für die Motive, die aus dem Orient herzuleiten sind, hat sich ergeben, daß diese spät übernommen worden sind, um die Zeit der unmittelbaren homerischen Tradition 32 . Die Evidenz spricht dafür, daß sich in dem Jahrhundert vor Homer eine literarische Tradition entwickelt hat, eine bewußte Tradition, die bestimmten Intentionen folgte und für ein Publikum bestimmt war, das man Gesellschaft' nennen kann. Die homerische literarische Tradition kann man nach den neueren Forschungen mit der Geschichte der griechischen Schrift verbinden. Alphabettafeln zeigen, daß die phönikische Alphabetschrift erst durch die für das Griechische wichtigen konsonantischen Schriftzeichen vervollständigt wurde, als die Griechen versuchten, Poesie in schriftliche Form zu fassen33. Griechische Schreiber haben anscheinend in Zusammenarbeit mit orientalischen Schreiberschulen Buchstabenlisten angelegt, mit deren Hilfe man die konsonantischen Schriftzeichen für das Griechische ausson29 30 31 32 33

Heubeck (1954); Schwabl (1982). Andreae/Flashar (1977). Heitsch (1968); Hoekstra (1981) und (1965); Hainsworth (1962). Zusammenfassend: Burkert (1983). Latacz (1988) 155ff.; Heubeck (1986:2); Burkert (1984) 29ff.

1.6 Dichterische Planung und geschichtliches Bewußtsein

157

dem konnte. Dieser Aufwand war wohl zuvor für Händleraufzeichnungen unnötig gewesen. Die mykenische Linearschrift lehrt, daß für Listenaufzeichnungen auch unvollkommene Zeichensysteme ausgereicht haben. Die ersten griechischen Inschriften zeichnen literarische Formen auf. Man kann sagen, daß sich in diesen Epigrammen die homerische literarische und gesellschaftliche Tradition widerspiegelt. Die kunstvollen Inschriften auf Prachtgefäßen reflektieren das Bewußtsein, mit dem Kultur in der homerischen Zeit gebraucht wurde. Auch wenn das Athener Kännchen vom Dipylon oder der sogenannte Nestorbecher aus Pithekussai in unseren Augen „nur" Keramik sind, so waren sie doch, wie ihre Inschriften bezeugen, Pracht- und Ehrgefäße: zum Preis im Wettkampf ausgesetzt, oder, im Fall des Bechers aus Ischia, repräsentativer Besitz eines adligen Kolonisten, der sich parodistisch mit Nestor vergleichen lassen konnte 34 . Dem homerischen Dichter, einem Meister der literarischen Kultur, muß man ein hohes kompositorisches Vermögen zutrauen. Man muß annehmen, daß eine Dichtung wie die Ilias und in ihrem Gefolge die Odyssee für eine schriftliche Fassung komponiert wurden. Die Gedichte wurden zwar mit den kompositorischen Mitteln des mündlichen Dichters verfaßt, sie scheinen selbst aber nicht - wenn man die Länge und die Dichte der inneren Verweise betrachtet - für die mündliche Rezitation geeignet gewesen zu sein. Wir können zwar in den mittleren Gesängen der Odyssee verfolgen, wie die Gesellschaft der Phäaken tage- und nächtelang dem Sänger und dem Erzähler lauschte. Die Beobachtung berechtigt aber nicht zu dem Schluß, daß das für unsere Verhältnisse große Rezeptionsvermögen eines „mündlichen" Publikums, ein Gedicht wie die Ilias in ihrer ganzen Kunstfertigkeit und Länge hätte erfassen können 35 . Die erste schriftliche Fassung des Epos mag den Sängern als Gedächtnisstütze für das große, aus vielfältigen Lokalen und Mythen zusammengesetzte Meisterwerk gedient haben. Solche Sängeraufzeichnungen können wir in der mittelalterlichen Liedkultur verfolgen36.

1.6

Dichterische Planung und geschichtliches Bewußtsein im homerischen Epos

Ich möchte weiter folgern, daß die Ilias als ein dichterisches Monument geplant war, daß sie sozusagen dazu bestimmt war, Geschichte zu machen. Sie sollte ein verbindliches Dokument des Wissens und des Kulturbewußt34 35 36

Heubeck (1979:2) 116ff. Vgl. unten 202. Dihle (1970) bes. 144ff.; Kulimann (1988) 187ff. Vgl. Shepard (1921).

158

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

seins ihrer Zeit sein37. Das käme einem aktuellen geschichtlichen Bewußtsein gleich. Wenn sich die Menschen einer Gesellschaft der Bedeutung ihrer Kultur bewußt werden, beginnen sie diese zu erhalten, daß sie auf künftige Generationen weiterwirke. Diesem Gedanken folgt auch die homerische Heldenwelt. Die Taten und die Monumente der längst untergegangenen Heroen sollen auf die künftigen Menschen, die „jetzigen Menschen" Homers wirken. Dann wäre das dichterische Konzept der Heroenzeit mit dem historischen Bewußtsein der homerischen Zeit verwandt und wir könnten auf eine neue geschichtliche Idee jener Zeit zurückgreifen. Wie drücken sich das Bewußtsein von der Identität und von der Vergangenheit der frügriechischen Kultur in der homerischen Dichtung aus? Die homerische Kunstsprache z.B. war keine gesprochene Sprache, sondern eine gehobene Sprache, sie war exklusiv und an bestimmte Formen der Geselligkeit gebunden 38 . Diese Sprache entwickelte Kunstformen, die aus altertümlichen Sprechweisen und aus verschiedenen Dialekten zusammengesetzt waren. Von diesen wirklichen Sprechweisen wurden in der Dichtung zusätzliche Kunstformen gebildet, die wohl niemals zur gesprochenen Sprache gehört haben 39 . Die Kunstsprache hat einen sprachgeschichtlichen Hintergrund ; sie besitzt aber auch einen schöpferischen Ursprung. Die schöpferische Intention verrät ein reflektiertes Sprachbewußtsein, ein Distanzbewußtsein gegenüber den älteren Sprachformen und ein Bewußtsein von der Verschiedenartigkeit der frühgriechischen Dialekte. Erst diese Bewußtheit kann zur Schöpfung der kunstsprachlichen Elemente geführt haben. Diese Kompositionsweise stammt aus der unmittelbaren homerischen Tradition, sie zeigt den homerischen Sänger und vielleicht seine Vorgänger als Koordinatoren verschiedener älterer und lokaler Sprechweisen. Hinter dieser Arbeit verbirgt sich ein panhellenischer Anspruch, der die Sprachkultur aller Griechen erfassen will. Dabei zeigt sich auch ein Kulturstufenbewußtsein, ein Wissen um das Neue in der großepischen Schöpfung, das sich im Gebrauch und im Stilisieren des Altertümlichen ausdrückt. Wie wir nun wissen, ist die epische Großkomposition aus vielen einzelnen episodischen Dichtungen, aus den „einfachen Formen" mündlicher Poesie zusammengesetzt40. Petzold zeigte, wie diese episodischen Formen ihrer Pointe beraubt werden, um in dem neuen dichterischen Zusammenhang der Heldenpoesie aufzugehen 41 . Die Heldendichtung hat ein großan37

Patzer (1952); Vernant (1959); Hölscher (1988). So schon Meillet (1913). 39 Heubeck (1981). 40 Zum „epischen" Anspruch der homerischen Poesie, der sich von den Formen des einfachen Erzählens unterscheidet, vgl. Hölscher (1988) 74 und passim. 41 Petzold (1979) 149 ff. 38

1.7 Schluß : Vergangenheit und Relikt im homerischen Epos

159

gelegtes (panhellenisches) Raum- und Zeitraster. Alle Personen des überaus zahlreichen homerischen Personals werden genauestens in diesem Raster fixiert und jeweils mit einer für sie charakteristischen Geschichte ausgestattet. Die Personen, auch die unwichtigsten, die nur einmal vorkommen, erhalten einen Ort ihres Wirkens und eine Lebenszeit, indem ihre Genealogie mit einem der größeren epischen Ereignisse verbunden wird. Wie im Falle der Kunstsprache hat auch hier der epische Dichter (und seine möglichen Vorgänger) verschiedene Erzählformen der griechischen Tradition gesammelt und für seinen Zusammenhang umgeformt. Der Dichter hat diese Geschichten auch genauestens lokalisiert, denn die verschiedenen Märchen und Legenden, die in den Epen vorkommen, waren ursprünglich keine lokalen Geschichten, sie gehören wegen ihrer einfachen Mehrdeutigkeit zum volkskundlichen Wandergut, das zeigt z.B. das Scheitmärchen, das im homerischen Epos mit der Meleagrosgeschichte und der Stadt Kalydon (11.9, 524-599) verbunden wird42. Durch das planmäßige Lokalisieren entsteht erst der größere gesamthellenische Zusammenhang, das Gundmuster des homerischen Epos43. Die Helden der einzelnen episodischen Erzählungen, die der homerische Dichter zusammenführt, waren ursprünglich wohl isolierte Gestalten, Einzelpersonen in einer märchen- oder legendenhaften Geschichte. Diese vereinzelten Helden sind typisch für die Welt der einfachen Märchen und Legenden44. In der homerischen Erzählung werden diese beziehungslosen Märchenfiguren einer früheren Tradition zu Menschen in einem gemeinschaftlichen Beziehungsgeflecht. Sie werden an die Stadt und ihr Schicksal gebunden, sie werden dadurch, wie z.B. Meleagros und Niobe, zu Beispielen für vernünftiges gemeinverantwortliches menschliches Handeln 45 . Die Gemeinschaft der Helden wird zur Gesellschaft, diese Heldengesellschaft mit ihrem kulturellen und historischen Bewußtsein scheint eine Schöpfung des Großepos zu sein.

1.7

Schluß: Vergangenheit und Relikt im homerischen Epos

Die Art und Weise, wie der homerische Dichter mit einer traditionellen Sprach- und Erzählkultur umgeht, verrät eine gestalterische Absicht, der ein kulturelles und geschichtliches Bewußtsein zugrunde liegt. Die homerische Dichtung erschafft eine Epoche der Helden, indem sie eine mythische Zeit durch eine Ordnung aus Raum und Zeit und menschlichen Er42

Petzold (1979) 146 f., 152 ff. Zum Märchen als Wandermotiv vgl. Ranke (1965); Hölscher (1988). 43 Graf (1987) 67. 44 Vgl. Lüthi (1943). 45 Petzold (1979) 83 ff.

160

1. Geschichte und geschichtliches Bewußtsein

eignissen historisch gestaltet. Die geschichtliche Zeit, aus der die homerischen Epen stammen, befindet sich an einer Epochenschwelle, die bildkünstlerische Kultur wandelt sich in unseren Augen von der „geometrischen" in die „orientalisierende" Kultur, in der geschichtlichen Kultur beginnt die Geschichte des Adels und die Geschichte der Städte das Feld des politischen Handelns zu bestimmen. Diese geschichtliche Situation schlägt sich auch in dem homerischen geschichtlichen Bewußtsein nieder. Der homerische Dichter erschafft mit der heroischen Zeit eine Zeitenschwelle. Auch er folgt dem Blick seiner Zeit auf das Vergangene, dem Blick auf die Vergangenheit als Bestätigung der Zukunft, der sich in der Gründung neuer Städte, Kultorte, Feste und Institutionen in Verbindung mit dem Reliktkult bemerkbar macht46. Die ersten Kolonisationslegenden, die in das epische Repertoire aufgenommen worden sind, stellen die Dichtung in die frühe Kolonisationszeit47. Diese Kolonisationslegenden sind mit einem heroischen Zeithorizont verknüpft, sie datieren in die Zeit der Heldensöhne, die Zeit nach der Zerstörung Troias, eine Zeit, die unmittelbar auf die eigentliche heroische Zeit folgt. Mittelpunkt dieser Zeitenschwelle ist die Ruine. Die neuen Institutionen, die die geschichtlichen Gemeinschaften binden sollen, sind auf den Relikt- und den Heroenkult bezogen. Diese kultischen Handlungen sind mit einem geschichtlichen Bewußtsein verknüpft, das sich mit den älteren Kulturgegenständen auf eine eigentümliche Weise assoziiert. Auch die homerischen Epen nennen solche alten Relikte, wie die Mauer von Troia, sie kennen auch - im lebensweltlichen Hintergrund der Erzählung - den Heroenkult. Noch häufiger aber rankt der homerische Dichter Ereignisse um fiktive Monumente der heroischen Vergangenheit. Wie bei der Tradition der Sprache und der erzählerischen Motive verfügte er auch in diesem Fall über ein Wissen, das ihn befähigte, das gegenständliche Faktum in der dichterischen Komposition im Sinne seiner Zeit einzusetzen. Die zerstörten Mauern Troias und die von den Göttern dem Erdboden gleichgemachte Mauer des Achäerlagers, ein Gegenstand poetischer Phantasie, stehen für die Zeitenschwelle zum heroischen Dasein und für das besondere Geschehen der Ilias: eine schicksalshafte Verzögerung vor dem Fall Troias, vor der Vollendung der heroischen Zeit. Daß Troia zerstört werden wird, wissen alle, die das Epos hören48. Hätte es sich nicht so zugetragen, dann wäre Troia noch unzerstört und es würde die Mauerruine nicht geben. Die Handlung um Achill, das Hauptthema der Ilias, aber stellt gerade dieses Ende in Frage. Die zerstörte Mauer jedoch kündet 46

Hölscher (1988) 159 ff. Aus der dichterischen Gegenwart wird auf die Vergangenheit, die das Relikt vertritt, hingeweisen. 47 Prinz (1979) 83 ff. 48 Patzer (1962) 150 f.

1.7 Schluß: Vergangenheit und Relikt im homerischen Epos

161

von dem wahren Ende der Heroenzeit, sie ist ein Zeichen, das ein Geschehen zwischen Göttern und Heroen gesetzt hat, ähnlich dem Heroenkult. „Geschichte" liegt im homerischen Epos in der dichterischen Konzeption einer heroischen Zeit. Die idealisierte Zeit der Helden endet mit der Zerstörung Troias. Dafür gibt es ein „heroisches" Zeichen. Das Zeichen drückt Geschichtsbewußtsein aus, die vergangene Zeit ist aber ein Symbol für das Kulturbewußtsein der homerischen Zeit. Die Helden werden zu Personen in einer Gesellschaft, gesellschaftliche Normen zu Motiven der Heldenhandlungen. Der troische Krieg und seine Bedeutung für die Helden der beiden streitenden Parteien ist ein beispielhaftes Ereignis, das den Handlungsnormen der homerischen Gesellschaft entspricht. Heroische Geschichte ist beispielhafte - literarische - Geschichte. Das Verhältnis der Helden selbst zu ihrer Geschichte ist aber nach dem geschichtlichen Kundschaften einer einfachen mündlichen Geschichtskultur gezeichnet. Die Besonderheiten dieser frühen Geschichtskultur wird man in der homerischen Zeit suchen müssen. Wie läßt sich das Vergangenheitsbewußtsein, das man im Grabkult und besonders im Heroenkult des 8. Jahrhunderts beobachten kann, mit dieser Geschichtskultur verbinden?

2.

Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption von der heroischen Zeit

„Ich bin Odysseus, mein Ruhm reicht bis zum Himmel, ich wohne aber auf Ithaka, der gut sichtbaren" (Od. 9, 19 ff.). - Die homerischen Helden sind durch die Künste menschlicher Vorstellungskraft mit einer sichtbaren menschlichen Realität in Raum und Zeit verbunden. Die Helden sind halbgöttliche Wesen, die sterblich sind. Sich zu mühen und in schlimmen Kämpfen zu sterben, ist ihnen von den Göttern gegeben (11.14, 84-87). Die halbgöttlichen Helden sterben einen physischen Tod und sie müssen wie die Toten bestattet werden. Selbst die Götter dürfen ihre Kinder und ihre Lieblinge unter den Heroen nicht entrücken. Hera ermahnt Zeus, Zeus wiederum Apollon, daß Sarpedons Leiche wie die eines sterblichen Menschen von Brüdern und Anverwandten bestattet werden müsse, „mit Hügel und Grabstein", daß sei „die Ehre der Gestorbenen" (II. 16, 456 f., 674 f.). Die homerischen Helden können ein Grabmal in der menschlichen Welt haben 1 . Der homerische Dichter führt das Heroengrab als Denkmal ein, wenn damit eine Botschaft an die späteren Menschen, die Menschen seiner Zeit verbunden ist. Als Menelaos vom Pfeil des Pandaros getroffen wird - die Geschichte des troischen Krieges also durch Götterwillen wieder in die richtige Bahn gebracht wird - , beginnt Agamemnon darüber nachzudenken, was bei seines Bruders Tod hätte geschehen können (II. 4, 155-182). Das Grabmal des Gefallenen würde an der Stelle der Tat aufgestellt worden sein. Die Troer würden dort später die Rettung ihrer Stadt feiern. Menelaos' Grab wäre ein Denkmal des unvollendeten troischen Krieges geworden. Eine ähnliche Verbindung zwischen einem imaginären Denkmal und einem fiktiven Geschehen stellt Hektor in seiner Rede an die Versammlungen der Achäer und Troer her, in der er den tapfersten der Achäer, Aias, zum Zweikampf herausfordert (11.7, 67-91). Dieser Kampf soll den Krieg beenden. Hektor trägt die Formalitäten vor. Der besiegte tote Held solle seiner Gemeinde übergeben, um bestattet oder verbrannt zu werden. Die Waffen dürfe der jeweilige Sieger behalten ; er, Hektor, würde sie auf der heiligen ,Ilios' im Tempel des Apollon aufhängen. Und, so fährt er prahlerisch fort, wenn die Achäer seinen Gegner bestattet hätten, würde sein Grabmal am Hellespont in künftigen Zeiten den Vorbeifahrenden auf den Schiffen von seinem, Hektors Sieg erzählen. Wenn die zukünftigen Menschen beim Anblick dieses Denkmals von ihm sprechen würden, 1

Schadewaldt (1952) 20; Nagy 9f.; Griffin (1980) 81 ff.

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

163

dann würde sein Ruhm nie vergehen. - Hektor führt das Spiel mit der Vorstellungskraft noch weiter als Agamemnon aus. Er sieht die Zukunft voraus und weiß, daß Denkmäler aus einer längst vergangenen oder unbekannten Zeit Geschichten, Heroengeschichten erzählen können 2 . An beiden Beispielen kann man sehen, wie leicht sich die Horizonte von Vergangenheit und Gegenwart über das Grabmal oder das Denkmal als Gelenk verschieben lassen. Zwischen den Helden, die aus der dichterischen Vergangenheit heraus sprechen, und den Hörern der Gegenwart gibt es eine gemeinsame geographische und gegenständliche Realität, auf die die Sprecher aus der Vergangenheit und der Gegenwart zurückgreifen können. Das dichterische Heldenpersonal verkündet in der heroischen Zeit, daß es im Munde der späteren Menschen weiterleben werde (II. 6,757; 9,413). Der Dichter verbindet seine mythischen Personen fest mit der Realität seiner Zeit, sei es durch den Bezug auf das Grabmal, sei es, daß er die Erinnerung, das Nachleben im Ruhm der historischen Tat anklingen läßt, in einem Gründungsereignis wie im Falle der „beinahe" Grabmäler des Menelaos und des Aias. Dieses dichterische Spiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart kann nicht schon seit je her in dem Grabmal oder dem Denkmal angelegt gewesen sein. Wir kennen zwar Beispiele der Volkspoesie, in denen das Denkmal eine geschichtliche Erzählung der Vorzeit seit alters an sich gebunden hatte, die archäologische Evidenz des Heroenkultes zeigt aber, daß ein mit dem Denkmal verbundener Vergangenheitskult erst in der homerischen Kultur einsetzte. Der ebenso sinnvolle wie anschauliche dichterische Kunstgriff ist ein Ergebnis des historischen Denkens der homerischen Epoche. Wir müssen daher den lebensweltlichen Hintergrund des dichterischen Konzeptes von Erinnerung in dieser Zeit suchen. Hierfür stehen uns nur die Denkmäler des im 8. Jahrhundert einsetzenden Ahnenkultes und des Heroenkultes zur Verfügung. Heldendichtung, Grab- und Heroenkult unterscheiden sich voneinander, lassen sich aber in dem Konzept von „Erinnerung" miteinander verbinden. Das ihnen Gemeinsame und das sie Unterscheidende soll nach einigen Vorbemerkungen Thema des folgenden Kapitels sein. Das Epos verweist auf einen Grabkult, der sich mit der späteren griechischen Tradition verbinden läßt, in der das Grab ein sichtbares „Zeichen" ist, das den Vorübergehenden an den Verstorbenen erinnern soll3. Das Grabmal, der Tymbos, die Stele, oder gar der monumentale Krater und die Amphore, wie wir sie aus Athen kennen, sollten das Gedenken an den Toten und an dessen Taten hervorrufen. In dem Nachruhm, den das Grabmal bei den Vorübergehenden hervorruft, kann man einen Kern ge2 3

Détienne (1967) 9 ff. Humphreys (1980) 101 ff. und (1983) 152ff.

164

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

schichtlichen Erinnerungsbestrebens sehen. Sally Humphreys nennt das öffentliche Phänomen „memoralism" und unterscheidet es von der Ahnenverehrung innerhalb der Familientradition 4 . Dieser „memoralism" hat später geschichtliche Personen mit Legenden, kulturellen oder historischen Gründungsgeschichten verbunden. Diese historische Legende erzählt nicht singuläre Geschichte, sondern beispielhafte 5 . Persönliche Geschichte wird im Beispiel verallgemeinert. Ich habe im letzten Kapitel darauf hingewiesen, wie nahe beieinander in der fiktiven Welt der Odyssee geschichtliche Kunde und Sängerbericht stehen. Zeitzeugenschaft, Zeugenaussage sind für das Verstehen eines die Zeitgenossen betreffenden Geschehens wichtig. Diese Äußerungen weisen auf eine beginnende Tradition historischen Erzählens in der gesellschaftlichen Welt des 8. Jahrhunderts hin. Da uns keine geschichtliche Kunde aus jener frühen Zeit überliefert worden ist, kann man annehmen, daß jene Erzählkultur nicht in größerer Form entwickelt wurde, weil ihr Sinn in dem Heldenepos aufging, - die singulären Ereignisse waren weniger wichtig als ihre paradigmatische Durchdringung im Mythos. Der Mythos erzählt von echten Ereignissen, vermeidet aber jede Verwechselung mit der Wirklichkeit, sei es der Wirklichkeit des Geschehens oder des Gegenstandes. Der homerische Dichter hält das Gebot der mythischen Distanz aufs genaueste ein. Die heroische Zeit ist gesteigerte, nicht realgeschichtliche menschliche Wirklichkeit. Zwischen Helden und Menschen wird deutlich unterschieden. Geschichtskultur und die Kultur des Heldenepos unterscheiden sich durch einen Qualitätsunterschied. Das Epos erhöht, verallgemeinert und durchdringt gedanklich das geschichtliche Geschehen, aus dem die Realitätserfahrung des epischen Hörerkreises entspringt. Das Geschehen wird in den Mythos entrückt. Zum Mythos gehört auch die religiöse Erfahrung, - man wird des Göttlichen, des Ränkespiels und der Gesetze einer göttlichen Handlungswelt gewahr. Sucht man das Geschichtliche in der Welt des Epos, so wird man es hinter der Steigerung und Verallgemeinerung und der religiösen Deutung suchen müssen. Ähnlich verhält es sich mit den homerischen Helden ; es handelt sich bei ihnen nicht um vergrößerte geschichtliche Menschen, in ihrem Handeln manifestieren sich hohe Beispiele gesellschaftlicher Tugenden und deren Gefährdungen, in ihrer halbgöttlichen Welt zeigt sich aber auch der Zwiespalt zwischen göttlichem und menschlichem Tun. Die gesteigerte Welt der Helden ist durch die Reduzierung allein nicht zu fassen. Die Helden sind beispielhaft vergrößerte, verallgemeinerte Men4 5

Humphreys (1983) 152. Vgl. Burkert (1977) 317.

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

165

sehen, ihre Kräfte, ihre Antriebe, ihr Schicksal sind von einer höheren Qualität. Die Heroen gehören zu einem halbgöttlichen Geschlecht (II. 9,23), ein Geschlecht, das jedoch die Sterblichkeit mit den Menschen teilte, und das untergegangen ist mit dem geschichtlichen Anspruch der Menschen, über den Tod hinaus im Ruhm seiner großen Taten weiterzuleben (II. 12,322-8; 14, 85-87) 6 . Die Leiden, Taten und der Ruhm dieser sterblichen Welt folgen aber dem vergrößerten paradigmatischen Konzept, das für die Griechen im Heroischen lag. Erinnerungskult („memoralism") und Heldenkult gehen durch die Steigerung und Verallgemeinerung ineinander über. Die Zukunftsträume Agamemnons und Hektors, die sich um das imaginäre Grabmal ranken, gehen über den einfachen Nachruhm, das Hörensagen, hinaus. Mit dem Grab als Institution verbindet sich die Gründung: Menelaos' Grab wäre der Mittelpunkt einer jährlichen Siegesfeier; Hektor würde die Waffen des Aias im Tempel von Ilion stiften, zum Gedenken im Götterkult an die Rettung der Stadt. Die von den Göttern abstammenden Heroen werden in der sozialen Welt als schützende Wesenheiten durch einen Relikt- und Grabkult geehrt. Diese Verbindung ist charakteristisch für den griechischen Heroenmythos 7 . Die homerischen Helden gehören zu einer Stadt, einem Stamm oder einer Landschaft 8 . Das verweist auf ihre kultische Funktion als Kultur·, Gründer- und Schutzheroen. In ihrem Wesen sind die homerischen Heroen mit den Schutzheroen verwandt, sie teilen mit diesen die übermenschlichen Kräfte, die sie als göttliche Wesenheiten aus der Menschenwelt herausheben. Der Heros ist eine einmalige Schöpfung der frühgriechischen gesellschaftlichen und religiösen Kultur und daher nicht mit dem allgemeinen und verschwommenen Begriff vom literarischen Helden zu verwechseln, mit dem sich der Hörer oder Leser eines jeden Zeitalters identifizieren kann. Die Erfahrung des Heroischen, die der homerische Hörer durchlaufen hat, liegt als religiöse Erfahrung in der Nähe der Erfahrung des späteren Tragischen 9 . Will man die von Jauss vorgeschlagenen literarischen Rezeptionsmuster für die homerischen Heldendarstellungen verwenden, so wird man neben dem Modell der „admirativen" auch das der „kathartischen" Identifikation für den antiken Hörer herbeibemühen müssen 10 . 6

Strasburger (1972) 22 f. Reinhardt (1961) 267. 8 Pfister (1948) 105 ff. 9 Patzer (1962) 124ff., 144ff. 10 Anders Effe (1988). Er zieht die „admirative" Identifikation vor und hält die kritische Situation, in die der Held gerät, für ein dichterisches Mittel gesellschaftlicher Belehrung. Er spricht von Belehrung durch „Irritation". Zu den ästhetischen Interaktionsmustern dichterischer Rezeption vgl. Jauss (1977) 227-249. 7

166

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

Tatsächlich wird der heutige Leser, von dessen Reaktion wir bei dieser Frage behelfsweise ausgehen müssen, bewundernd dem Helden in seine Verfehlung folgen und erst durch die Götterhandlung die Fehler erkennen, die dem Helden zum tragischen Verhängnis werden. Achills leidenschaftliche Verweigerung, Hektors übergroßer Wille, seine Stadt durch den zu weit getriebenen Angriff zu retten, Patroklos' übersteigerter Kampfeseifer, erscheinen nach dem Aristiestreben der Helden - einem Grundmotiv der Dichtung - verständlich, wenn sie auch durch Hybris und Göttertrug fehlgeleitet sind. Vor solch gewaltigem Schicksal steht man fassungslos da und durchschaut doch zugleich die göttliche Lenkung des Geschehens, „religiöse Gefaßtheit" tritt ein. Ich glaube nicht, daß der Dichter seine Gesellschaft - eine einfache literarische Gesellschaft - belehren wollte, um eine kriegerische bewußt in eine humane städtische Gesellschaft umzuerziehen, sondern daß das homerische gesellschaftlich-ethische Erzählmuster auf einem mythischen „kathartischen" Grundmuster aufbaut. Das innerweltliche ethische Paradigma, das den Helden an die Gemeinschaft band, war religiös sanktioniert. In diesem religiösen Moment kann man vielleicht den Heros des Kultes mit dem Heros des Epos verbinden. Selbstverständlich wird man aber zwischen den einfachen kultischen Formen und Legenden des Heroenkultes und dem differenzierten dichterischen gesellschaftlich-ethischen Konzept des Heroischen unterscheiden müssen. Ebenso wird man die „heroische" Erinnerung von der Erinnerung unterscheiden müssen, die sich im Ahnenkult manifestiert.

2.1

Totenkult, Ahnenkult und geschichtliches Denken in homerischer Zeit

Zunächst zum anschaulichen an den Gegebenheiten des Menschlichen orientierten Gehalt der heroischen Welt. - Die homerischen Helden werden in der Dichtung nach dem Totenkult der homerischen Zeit bestattet. Die Helden leben auch von dem Ruhm, der wie bei den Menschen mit ihrem Grabmal verbunden ist. Kann man einen Reflex von geschichtlichem Denken in den Begräbnissen der homerischen Zeit fassen? In welchem Zusammenhang stünde dieses Denken mit dem „heroischen Gedanken" und seiner übertragenen mythisch geschichtlichen Rückbindung? Totenkulte werden in fast allen menschlichen Kulturen praktiziert. Verfeinerte Totenrituale und Bestattungssitten werden in benachbarten Kulturen oft ausgetauscht; der spätere Betrachter kann daher selten ein eigentümliches Brauchtum mit ihnen verbinden, oder gar aus bestimmten „stummen" archäologischen Gegebenheiten besondere geschichtliche Inhalte ableiten. Eine Tradition der Bestattungssitten vom Mykenischen

2.1 Totenkult, Ahnenkult und geschichtliches Denken

167

zum Frühgriechischen gibt es nicht, wenn auch einige Trauersitten, wie die Aufbahrung des Toten und die Totenklage, in beiden Kulturen praktiziert wurden11. - Die Institution der Klagefrauen mit ihrem festgeschriebenen Ritual gehört bekanntlich zum zivilisatorischen Bestand der Mittelmeerwelt. - Eine Tradition des frühgriechischen Totenkultes zeichnet sich bereits im Protogeometrischen ab. Die prunkvollen Bestattungen von Knossos und das Gräberareal von Lefkandi mit seiner in einzigartiger Weise hervorgehobenen Doppelbestattung lassen kultiviertes überregionales Brauchtum vermuten. Man kann diese einzelnen Befunde jedoch nicht zu einem geschlossenen Traditionskreis zusammenfügen, schon gar nicht wird man sie auf eine Geschichtskultur hin befragen können. Der Mythos oder gar die frühesten geschichtlichen Erinnerungen der Griechen enthalten keine Spuren von dieser frühen Kultur. Eine konsistente Tradition läßt sich erst mit der Entwicklung des Städtewesens nachweisen12. Die in den Städten des 8. und 7. Jahrhunderts streng abgegrenzten Gräberbezirke kann man archäologisch gut aufnehmen, während die Gräber des 10. und 9. Jahrhunderts oft in anderen Gebieten liegen und schwer aufzufinden sind. Der Grabkult des 8. Jahrhunderts läßt sich aus den früheren Gebräuchen ableiten. Gräbergruppierungen zeigen sich in Lefkandi und Knossos an Häufigkeit zunehmend im 9. und im 8. Jahrhundert 13 . In den Gruppierungen und den Hervorhebungen einzelner Gräber kann man das Bestreben einzelner Familien sehen, sich als gesellschaftliche Einheiten von anderen abzugrenzen14. Die Pflege der einzelnen Begräbnisplätze hält allerdings nicht sehr lange an, höchstens drei Generationen (60 Jahre) wird eine solche Familientradition bewahrt. Das trifft auch noch für den Grabkult des 8. Jahrhunderts zu15. Eine langlebige Erinnerung kann man mit diesem Grabkult nicht verbinden. Im 8. Jahrhundert lösen die Mehrfachbestattungen in einem Grab die für die geometrische Zeit charakteristischen Einzelbestattungen ab16. Hervorhebungen einzelner Gräbergruppen durch Mauerbauten, die man auch bei den kultisch verehrten Heroengräbern findet, werden von den Archäologen des öfteren beobachtet 17 . Kostbare Grabbeigaben finden sich häufig, daneben Grabmonumente, wie die schönen Kratere und Amphoren vom Dipylon, und Grabinschriften, meistens Epigramme18. Die ersten Anzeichen für die Verbindung eines Grabmals mit öffentlicher Erinnerung fin11 12 13 14 15 16 17 18

Burkert (1977) 293 ff. Morris (1987) 46-87. Snodgrass (1971) 191 ff.; Hägg (1974) 159. Humphreys (1980) 105 ff. Ebenda. Snodgrass (1971) 141 ff. Humphreys (1980) 106; Morris (1987) 151 ff. Burkert (1977) 298 f.

168

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

det man in dem sogenannten Heroon am Westtor der Stadt Eretria". Die Anlage stammt aus der Zeit um 720. Sie liegt, wie es später für ein „sprechendes" Grabmal wichtig ist, an einem öffentlichen, viel begangenen Weg20. Es handelt sich um eine Gruppe von mehr als fünfzehn Gräbern mit reichen Beigaben: Kriegergräber und Frauengräber als Brandbestattungen, die Gräber von Kindern und Halbwüchsigen als Körperbestattungen. An den Beigaben lesen die Ausgräber eine gesellschaftliche Hierarchie unter den Bestatteten ab. Zwei große Bronzekessel gehören zu den Beigaben des reichsten Grabes (Grab 6), in ihnen befanden sich viele Preziosen und ein Relikt, eine helladische bronzene Lanzenspitze. Bérard spricht daher vom „Grab des Prinzen" und schlägt vor, daß die Lanzenspitze als ein königliches Zepter zu deuten sei, ein Gegenstand der durch sein Alter die göttliche und uralte Deszendenz des königlichen Attributes in den homerischen Epen versinnbildlichen würde21. Die ganze Grabanlage wurde im frühen 7. Jahrhundert, nachdem sie nicht mehr benutzt wurde, mit einem dreieckigen Monument überbaut und mit einem Gründungsdepositorium versehen. Dieses Depositorium wurde in einem Graben beigesetzt, ähnlich dem Gründungsdepot von Delos. Bald darauf wurde diese Anlage mit einem fünfzimmrigen Haus überbaut, in dem der Grabkult praktiziert wurde. Dieser Kult blieb bis in die frühklassische Zeit erhalten. Die Verbindung von Grabkult, Reliquienkult und der Bezug zum Bezirk des Daphnephoreion sprechen dafür, daß an dieser Stätte seit dem 7. Jahrhundert ein Heroenkult praktiziert worden ist22. Man muß fragen, ob in diesem Fall die Erinnerung an ein historisches Geschehen und an die bestatteten, gesellschaftlich bedeutenden Personen zu einer Heroisierung dieser Personen geführt haben kann, - oder ob diese Erinnerung nicht durch die Heroisierung des Grabmals entpersönlicht wurde. Wir kennen diesen Vorgang aus vielen, auch frühen Beispielen der griechischen Geschichte. Ein Grab mußte öffentlich als Heroengrab anerkannt werden; es wurde dann einem Stifter- oder Gründerheros zugeschrieben und mit einem Gründungsmythos verbunden. Der Kult und die Feierlichkeiten um das Heroengrab gehörte der Gemeinde, er konkurrierte mit den Grabstätten, den Begräbnisfeierlichkeiten und damit mit dem geschichtlichen Gedächtnis der einzelnen angesehenen Familien23.

19

Bérard (1970) bes. 56ff„ 65ff. Vgl. Coldstream (1976) 15; de Polignac (1984) 140 ff. 20 Vgl. Humphreys (1983) 152 f. 21 Bérard (1972) 219ff.; Schefold (1972). Zur Kritik vgl. Stein-Hölkeskamp (1989) 19. 22 Bérard (1974) 59 ff. 23 Burkert (1977) 299f.; Humphreys (1980) 98ff.

2.1 Totenkult, Ahnenkult und geschichtliches Denken

169

Die geschichtlichen Personen wären allenfalls zu Gründerfiguren geworden. Das Heroengrab gehört zu den Institutionen, die die Gemeinde verbinden, die persönliche Erinnerung und auch die Einzigartigkeit historischen Geschehens wird in der Verallgemeinerung aufgehoben, die mit der Institution und dem Mythos verbunden ist. Diese Trennung von Institutionellem und Persönlichem scheint ein Kennzeichen des griechischen politischen Denkens zu sein. Nach dieser Logik ist zu vermuten, daß die Grabanlage von Eretria zunächst ein Grabmal des ansässigen Kriegeradels gewesen war und daß sie wohl bald darauf zum Heroenkult erhoben und mit einem Gründungsmythus verbunden worden ist. Dieser Mythos hätte die Stadtgemeinschaft in den Vordergrund gestellt und die konkrete Erinnerung und den daraus ableitbaren Anspruch bestimmter Familien ausgelöscht. Der Befund aus Eretria ist nicht einmalig. Familiengräber, die in der Zeit um 750 auf der Agora von Athen angelegt worden sind, wurden später zu Heroengräbern ernannt oder auf einen Heroenkult bezogen24. Der öffentliche Ort der Agora machte es unmöglich, daß dort ein persönlicher Erinnerungskult praktiziert wurde25. Eine besonders reiche ältere Gräbergruppe auf der Agora wurde im 7. Jahrhundert eingefriedet und mit dem Kult des Heros Strategos verbunden 26 . Man muß davon ausgehen, daß der Heroenkult entweder vergessene Gräber an bedeutenden Orte ehrte oder einen Ort unvergessener personenbezogener Erinnerung mythisierte. Wurde eine Person, ein Ktistes oder später gefallene Krieger mit heroischen Ehren bedacht, so wurden sie zu Gründerfiguren oder sie wurden ins Beispielhafte enthoben. Erst in späterer Zeit werden Lebende zum Heros erhoben, und damit persönliche und singuläre Geschichte geehrt. Eitrem bemerkte treffend, daß der „wahre Glanz des Heros in diesem grellen Lichte" verblasse27. Aus diesen Gründen möchte ich zwischen der aristokratischen Kultur, in die die Helden in der dichterischen Fiktion als Abbilder der Menschen hineingestellt sind, von dem Gesamtsinnzusammenhang des Heroischen unterscheiden. Es wäre unvorsichtig, etwa die exquisiten Elemente der frühgriechischen Adelskultur, wie Grabsitten und Bestattungsfeierlichkeiten, weil sie im Epos beschrieben werden, „heroisch" zu nennen und zu folgern, daß der Heros in einer einfachen Verbindung mit dem frühgriechischen Ahnenkult stünde. 24 25 26 27

Thompson (1978) 98ff.; Lalonde (1980) 97ff.; Bérard (1970) 59f. Burkert (1977) 316ff.; Martin (1951) 194ff.; Morris (1987) 68. Thompson (1978) 99 f. Zitat Eitrem (1913) 1139.

170

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

2.2

Der Heroenkult in homerischer Zeit und als lebensweltlicher Hintergrund im homerischen Epos

Kennzeichnend für den Heroenkult ist die Verbindung von Totenkult und Reliktkult und der Bezug zu einem Tempelbezirk. Die Heroen sind den Göttern untergeordnete höhere Wesen, ihre Macht geht von den Gebeinen des Begrabenen oder vom Relikt aus. Der Heroenkult ist ein Gemeindekult28. Dieser Kult ist seit dem letzten Viertel des 8. Jahrhunderts archäologisch nachweisbar29. Alte Gräber, mykenischer oder helladischer Herkunft, aber auch alte Häuser und sonstige ältere Gegenstände werden durch einen Grabkult verehrt. Der Grabkult deutet auf den Gedanken hin, daß die heroischen Wesenheiten, obwohl sie Götterkinder sind, sterben müssen. Mit der Idee der Sterblichkeit ist die Idee der Erinnerung verbunden. Im Relikt scheint sich daneben eine Art Gegenstandsmagie zu manifestieren, die die Kraft des Heros mit dem Gegenstand verbindet. Aus den Gründungsdepositorien der Heiligtümer jener Zeit kann man ableiten, daß den Relikten eine besondere sakrale bewahrende Kraft zugeschrieben werden konnte. Zu den Eigenschaften der Agalmata, die zu Objekten des Relikt- und Heroenkultes wurden, gehört, daß sie alt sind, also nicht zu der Gebrauchskultur des 8. Jahrhunderts gehören. Ihre Geschichte war verloren gegangen, die Gegenstände wurden frei für eine höhere Bedeutung, wie Bérard treffend bemerkte30. Diese Relikte wurden zufällig gefunden; sie mußten aber, wie Burkert geltend macht31, durch ein magisches Ritual als „Relikt" zum Objekt des Heroenkultes werden. Erst dann wurde wahrscheinlich die Vorstellung von einem „δαίμων" mit dem Gegenstand verbunden, einer halbgöttlichen mystischen Kraft, die man mit einem Namen, einer überhöhten menschlichen Gestalt und mit einer Legende versah32. Vereinzelte Relikte älterer Zeit, die wir als Weihgaben und als Grabbeigaben des öfteren finden, die aber nicht nach den Formen des Heroenkultes verehrt werden, können nicht als Zeichen für eine „Heroisierung" des Fundzusammenhangs gelten. Bei diesen Gegenständen ist es schwierig herauszufinden, ob es sich um geweihte Gegenstände oder um einfache Mirabilien handelte. Grab- und Heroenkult unterscheiden sich nach dem archäologischen 28

Ebenda 1119-1126. Coldstream (1976). 30 Bérard (1972) 222 f. 31 Burkert (1983:2); ders. in: Gnomon 57, 1985, 210f. 32 Zum „δαίμων" als Kraft und Wirken des Göttlichen vgl. Wilamowitz (1931) Bd. 1, 356f.; Mader (1982) 198ff.; Schenkeveld (1988); Erbse (1986) 259ff. 29

2.2 Der Heroenkult in homerischer Zeit

171

Sachverhalt voneinander. Gemeinsam scheint beiden eine Verehrung des Vergangenen zu sein. Verallgemeinerbare Parallelen lassen sich in der Völkerkunde finden33. Ahnenkulte trifft man in einfachen Kulturen an, wenn erste Institutionen gestiftet werden, die die Menschen bewußt zu Gemeinschaften zusammenfinden lassen. Der Ahnenkult steht dann im Mittelpunkt der Gemeinschaft. Diesem Ahnenkult wird von den Ethnologen eine gentil-charismatische Kraft zugesprochen, ideelle Inhalte werden mit ihm verbunden. Die Ahnen können heroisiert werden, auch das Konzept von einer heroischen Zeit kann mit ihnen verbunden werden. Oft stehen aber Ahnen und Heroen, oder Ahnen und Schutzheilige als verschiedene Wesenheiten nur in einem analogen Verhältnis zueinander. Bei den frühen Griechen finden wir den Ahnenkult schon in den frühen geometrischen Kulturen, den Heroenkult erst im Zusammenhang mit den politischen Gemeinschaftsbildungen im 8. Jahrhundert. Damit scheint der Heorenkult die neuen geschichtlichen Ideen, die mit den Kulturgründungen des 8. Jahrhunderts einhergehen, für sich eingenommen zu haben. Der Heroenkult kann nicht, wie Coldstream und andere meinten34, auf die Wirkung der homerischen Epen zurückgeführt werden; so als hätten die Menschen nach Homer in Kenntnis der dichterischen heroischen Vergangenheit, die sie als wirkliche Vergangenheit ansahen, nach deren authentischen Gräbern und Monumenten Ausschau gehalten. Das homerische Epos nennt beiläufig Heroengräber und durch einen Heros gesicherte Institutionen und zeigt, daß der Heroenkult zur Lebenswelt der Zeit des homerischen Dichters gehörte35. Alte Relikte und die Idee, daß es frühere Menschen gegeben habe, sind den homerischen Helden wohlbekannt. Sie kennen sogar den Heroenkult. Die Heldenwelt spiegelt hier das Alltagswissen der homerischen Zeit wider. Allerdings ist dieses Alltägliche nur als Hintergrund in der Erzählung von der Heroenwelt vorhanden. Wir bekommen an diesen Stellen kein zusammenhängendes Wissen mitgeteilt; der Dichter erwähnt vielmehr Selbstverständlichkeiten aus der Lebenswelt seiner Zuhörer. Diese können dazu dienen, die Inhalte des Heroenkultes in homerischer Zeit deutlicher zu erfassen. Diese alltäglichen Gegebenheiten müssen von dem funktionalen Zusammenhang getrennt werden, in den das Relikt und die Heldengeschichte in der heroischen Erzählung treten. Im dreiundzwanzigtsten Gesang der Ilias, beim Wettkampf zu Ehren des Patroklos, wird eine Wegmarke zum Ziel des Wagenrennens ausgesucht. Nestor nennt das Zeichen, es sei „entweder das Grabmal eines Mannes, der vor Zeiten gestorben oder (es sei) als Wendemarke von früheren Men33 34 35

Vgl. Mühlmann (1969). Coldstream (1976) 15. Vgl. Burkert (1977) 313. Zuerst Farneil (1921). Price (1973).

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2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

sehen errichtet worden" (11.23, 326-332; vgl. 11.21, 403^05). In homerischer Zeit konnte man altes Relikt erkennen und als solches auffassen. Man konnte sich vorstellen, daß schwer deutbare, aber von Menschen gemachte Gegenstände, Werke „früherer Menschen" seien. Diese Früheren waren geschichtslos, sie besaßen keine eigenartige Kultur in der Vorstellung der homerischen Helden oder der homerischen Hörer. Diese „früheren Menschen" gehörten nicht zum Mythos, sie bildeten keinen Teil der heroischen Genealogie. Ein altertümlicher Gegenstand als das Werk früherer Menschen war aber eine Mirabilie, die zum Zeichen eines Wettbewerbes eingesetzt werden konnte. Die Mirabilie konnte ebenso zum Kultgegenstand werden, wenn man übereinkam, sie durch eine kultische H a n d l u n g in eine heroische Ableitung hineinzusetzen. Das Zepter des Agamemnon ist ein solcher Gegenstand in der Dichtung. Sein lebensweltliches Pendant wollen die Ausgräber in der helladischen Lanzenspitze des genannten Heroons von Eretria erblicken. Die Analogie ist nicht gesichert. Gegenüber dieser simplen Lanzenspitze ist das Zepter Agamemnons reich geschmückt. Dieser Gegenstand der Vorstellung ist von Hephaistos gefertigt und Agamemnon in langer Genealogie der Götter und Heroen von Zeus her vererbt worden (II. 2,100-109). Das Zepter ist der Gegenstand, der die Macht des „basileus" nicht nur versinnbildlicht, sondern der sie als magischer Gegenstand vertritt 36 . Nach der Logik des homerischen Epos muß der richtige Held den richtigen Gegenstand besitzen, sonst nimmt der falsche Besitzer, wie z.B. Patroklos mit den Waffen des Achill, durch die höhere Kraft des Gegenstandes Schaden. Agamemnon füllt in der Heeresversammlung der Ilias die Kraft des Königs nicht aus. Erst als Odysseus auf Athenes Rat und auf Heras Befehl das Zepter nimmt, gelingt es, durch die besonderen Kräfte dieses Redners die Versammlung zu ordnen (II. 2,155ff.; 185ff.). Ein Gegenstand so kann man schließen, kann zum Repräsentanten einer Institution werden; er besitzt dann die magische Kraft, die zur Ausübung des institutionalisierten politischen Handlungsfeldes gehört. Man muß schließen, daß Gegenstand und Institution durch eine kultische Handlung initiiert wurden. Der Gegenstand ist dann nicht mehr das Werk der früheren Menschen sondern er ist Götterwerk. Die Mirabilien menschlicher Kultur oder die Mirabilien einer Kulturlandschaft besitzen eine profane und, wenn sie dazu ernannt werden, auch eine mythische wegweisende Funktion. Die in den Epen genannten Heroengräber erfüllen solche Zeichenfunktionen. Mehrere dieser Gräber werden im Schiffs- und Troerkatalog genannt, um eine Landschaft zu 36

Vgl. Willenbrock (1944) 38 ff. Er spricht von einer „dynamischen Wirklichkeit des Gegenstandes".

2.2 Der Heroenkult in homerischer Zeit

173

kennzeichnen (II. 2,603f.; 793; 811; vgl. II. 24,349; 11,166ff.). Das Grabmal des Eetion, so erzählt Andromache befindet sich in einem schönen, von den Nymphen mit Ulmen umpflanzten Hain (II. 6,415 ff.) Das „Haus des Erechtheus", die „steinerne Schwelle" des delphischen Heiligtums, die dessen Schätze birgt (II. 9,404), das reiche minyische Orchomenos, das „gutgebaute und goldreiche Mykene", die „ummauerte Tiryns" zählen zu den Orten in der homerischen Landschaft, die Relikte aufwiesen und an denen ein Relikt- und Heroenkult eingerichtet wurde. Diese Orte werden mit den Landschaftsbeschreibungen und den Städten der homerischen Gegenwart in einem Atemzug genannt; man muß annehmen daß die verschiedenen erstaunlichen Werke der griechischen Landschaft zur Zeit Homers berühmt und in aller Munde waren37. Zwei spätere Heroenlegenden der Odyssee weisen deutlich auf die Verbindung des Heroenkultes mit einer Kulturstiftung hin. Auf dem Grabmal des Elphenor wird ein Ruder aufgestellt, zur Ehre des „kleinen" Helden, als Zeichen, das in Zukunft von dem Ruderer im Kreis der Gefährten um Odysseus und von dessen Unglück künden soll (Od. 11,74—78). - Phrontis, Menelaos' Steuermann, wird beim Tempel von Sunion von Apollons Geschossen getötet. Sein Grabmal wurde an jener Stelle, im Bezirk des Heiligtums, errichtet, so daß die Menschen seither dessen Kunst, die Schiffe zu meistern, preisen konnten (Od. 3, 278 ff.) Davies' Analyse, nach der man in der homerischen Gesellschaft den Heroenkult mit einer Gründung oder Kulturstiftung verband, wird von diesen späten und offenkundigen Stellen bestätigt38. Die ältesten Heroenkulte sind uns durch Homer bekannt 39 . Das Haus des Erechtheus in Athen und das Grabmal des Ilos vor Troia gehören zu den städtischen Institutionen. Die beiden Heroen gehören nicht zu den aktiven homerischen Helden; sie sind auch im Epos mythische Gründerfiguren. Erechtheus wurde aus der Erde geboren und von Athene aufgezogen. Die Göttin gab ihm einen Kultort und ein Fest in ihrem heiligen Bezirk auf der Akropolis. Erechtheus verband so die Menschen der Stadt Athen mit ihrer Stadtgöttin (II. 2, 547ff.; Od. 7,80f.). Das Erechtheion ist mit der alten mykenischen Befestigung eng verbunden, vielleicht gab es an dieser Stelle auch ein späteres Depositorium mit älteren Gegenständen, das im Zusammenhang mit dem Heroenkult stand40. Der göttliche Ilos ist der Stammvater der Dardaniden, des Geschlechtes des Priamos (II. 20 230 ff.). Sein Name ist offensichtlich eine Ableitung, die die elaborierte Genealogie der troischen Herrscher vervollständigen 37 38 39 40

Price (1973) 137 ff. Davies (1984) 95-97. Eine Liste aller einschlägigen Stellen: Pfister (1948) 106ff. Coldstream (1976) 16.

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2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

soll. Ilos ist kein mythischer Held, wie sein Bruder Ganymed, von dem eine Göttergeschichte erzählt werden kann. Er hat aber ein „großes" Grabmal vor den Mauern Troias, ein Zeichen in der Landschaft, das der homerische Dichter gern erwähnt, wenn es um topographische Angaben geht. Dieses topographische Zeichen wurde als Grabmal des Ilos, des Alten eingesetzt, um den Versammlungsort der Troer zu markieren (II. 11, 166, 371 ; 24, 347; 10,415). Das entspricht dem Zusammenhang von Heroenkult und Versammlungsplatz (Agora), den man in den frühgriechischen Städten beobachten kann 41 . Ebenso wie die Institution konnte die adlige Genealogie mit dem göttlichen Heroengeschlecht verbunden werden ; - allerdings mußte der Generationenriß zwischen dem Heroengeschlecht und dem Menschengeschlecht beachtet werden, den Homer zwischen seiner Welt und der heroischen Welt der Erzählung so genau markiert. Der Heros scheint hohes adliges Streben, die Tugenden der Vorbildhaftigkeit und des Gemeinschaftssinnes zu repräsentieren. Der Heros und der sich auf ihn zurückberufende Aristokrat gehören aber nicht derselben Welt an. Die Weltalter des heroischen und des menschlichen Geschlechtes stehen in einer mythischen Distanz. Eine Verbindung zwischen den Geschlechtern stellen die Kulturgründungen dar. Malten machte darauf aufmerksam, daß es in der Ilias eine Lücke in der sonst streng eingehaltenen Notwendigkeit vom Ende der heroischen Zeit gibt, an dem alle Helden, Troer, Hellenen und Barbaren untergehen müssen(Il. 12,8-21)42. Aineias überlebt, es ist ihm verheißen, Nachkommen zu zeugen, denn der Stamm der Dardaniden werde auch in Zukunft in der Troas herrschen (II. 20, 303 ff.). Die Königlichkeit eines Geschlechtes wird durch die heroische Deszendenz bewiesen. Auf ähnliche Weise wie Aineias überleben auch die Heldensöhne die Zeitenschwelle des Krieges; sie bieten einen indirekten Anschluß an das heroische Zeitalter für die heroische Genealogie einer frühgriechischen Einrichtung. Aber schauen wir näher hin, wie der Iliasdichter diesen indirekten genealogischen Anschluß der Troer seiner Zeit an die Heldenzeit bewerkstelligt. Die Einführung des Aineias in den Kampf und dessen Zusammentreffen mit Achill (20,160-308) ist einmalig in der Dichtung, ja sie scheint den Gesetzen der Aristie zu widersprechen. Aineias, ein kleiner Held unter den Troern, muß von Apollon Mut eingeflößt bekommen, um dem rasenden Achill entgegenzutreten. Das geschieht in einem höchst spannungsreichen Moment, Zeus hatte zuvor zum großen Götterkampf um die Mauern Troias aufgerufen. Apollon nennt Aineias ,ήρως' und erinnert ihn an 41 42

Martin (1951) 40 ff., 47 ff. Malten (1931) 33 ff.

2.2 Der Heroenkult in homerischer Zeit

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seine Abstammung von Zeus, um ihn für den Kampf zu rüsten (104 ff). Achill aber begegnet dem schwachen Verteidiger der Mauern mit provozierenden Lästerungen : Aineias treibe der (Über)mut mit ihm, dem kampfestüchtigsten Helden, zu streiten, weil er sich erhoffe, das Königsamt von Priamos zu übernehmen und über die Troer zu herrschen (179 ff.). Er verkenne dabei aber die realen politischen Verhältnisse, vor ihm kämen noch viele Nachfolger auf Priamos' Thron. Aineias antwortet mit der berühmten Geschichte seines Geschlechtes (200 ff.). Der Hinweis, daß die sterblichen Menschen diese Geschichte erzählten, verweist auf das Geschichtsbewußtsein der Hörer Homers. Gegenwart und Vergangenheit begegnen sich in der Erzählung des Aineias, in der sein Verwandtschaftsverhältnis in dem weitverzweigten Geschlecht des Priamos genau festgelegt wird. Die Götter schauen dem darauf sich anbahnenden Kampf sorgenvoll zu, sie wissen, daß Aineias Achill unterlegen ist. Poseidon ergreift für ihn Partei. Aineias der Schuldlose, soll keine Schmerzen erleiden, er soll aus dem Verderben des Kampfes gerettet werden. „Denn ihm ist es bestimmt zu entkommen, auf daß nicht ohne Samen das Geschlecht und spurlos vergehe des Dardanos, den der Kronide liebte vor allen Söhnen, die aus ihm geboren wurden und sterblichen Frauen. Denn schon ist des Priamos Geschlecht verhaßt dem Kronion. Jetzt aber soll nun des Aineias Gewalt über die Troer herrschen und seiner Söhne Söhne, die künftig geboren werden" (303-308). Der spottende Achill hatte sich geirrt, das Unmögliche ist später eingetreten, Priamos Geschlecht ist mit dem Krieg untergegangen, Aineias wurde zum Stammvater der (menschlichen) Herrscher in der Troas. Eingesetzt wurde er von Poseidon, dem Gott der das Geschlecht des Priamos ehemals verflucht und der die Zerstörung Troias bei Zeus eingefordert hatte. Ein mythisch sinnvolles Schema erscheint; die nach dem Fall der Stadt versöhnte Gottheit stellt sich als Begründer der neuen Stadt und des neuen Herrschergeschlechtes dar, der Fluch wird zum Segen. Die Geschichte vom Fall Troias löst sich folgendermaßen auf13. Von der Zeit der Gründung durch den Stammvater Laomedon lastet auf der Stadt ein Fluch, den einzulösen Zeus den betrogenen Göttern Poseidon und Apollon versprochen hat (II. 21, 443; 7,452). Schon die im Erzählhintergrund stehende Herkaklesgeschichte zeigt, wie der erzürnte Poseidon die Stadt zu zerstören drohte (II. 5,638ff.; 20,145). Aineias stammt nicht wie Priamos aus der Linie des Laomedon, als Urenkel des Assarakos ist er mit dem Herrscherhaus nur über den Stammvater Tros verwandt. Die Geschichte des Aineias des zukünftigen Herrschers von Troia ist eine typi43

Zur Troia-Geschichte, allerdings ohne den historischen Aufbau des Mythos zu berücksichtigen: Fehling (1989).

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2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

sehe Sukzessionslegende, die über die Ruine Troias das neue Herrscherhaus begründet. Die Ruine aber kennzeichnet die Zeitenschwelle zwischen dem heroischen und dem menschlichen Geschlecht. Karl Reinhardt nannte die Episode von dem Kampf zwischen Aineias und Achill und Aineias' Entrückung durch Poseidon eine „Huldigung" an ein Herrschergeschlecht in der Troas, das sich von dem Heros Aineias und dessen göttlich-heroischer Genealogie herleitete44. Die Nosten, die Thebais und die Geschichten der Heldensöhne dienten später ebenfalls als Anknüpfungspunkte für Gründungslegenden und adlige Genealogien an die heroische Zeit des großen Epos. Solche Geschichten sind von dem homerischen Dichter innerhalb seiner Erzählung als Perspektiven in die Zukunft eingerichtet, die aus der heroischen Zeit hinausweisen45. Sie sind oft mit einem gegenständlichen Relikt verbunden, das auf dieselbe Weise über die Zeit hinausweisend verstanden werden kann. Die homerische Dichtung setzt den Heroenkult voraus. Nach den homerischen Zeugnissen handelte es sich bei den mit dem Kult verbundenen Legenden um einfache Erzählungen, die mit verschiedenen Gründungen verbunden waren. Die Geschichte des Laomedon trägt die typischen Züge des Märchens und der Gründungsgeschichte: der ungeheuer grausame König bittet die Götter um die typischen Einrichtungen der Stadtgründung, den Mauerbau und die Viehweide. Nachdem er sie betrogen hat, schickt Poseidon ein Meerungeheuer gegen die Stadt, Herakles verteidigt die Stadt und wird abermals vom König betrogen (II. 21,441-460; 5,638 ff.). Die Dichtung hat aus einer lokalen Welt einfacher Mythen und mythischer Wegzeichen eine geschichtlich-heroische Welt geschaffen, die für die ganze griechische Kulturwelt verbindlich gewesen war. Die dichterische Idealisierung der Helden als Teil einer überlokalen gesellschaftlichen Elite wäre ein neuer Gedanke. Tatsächlich gehören die handelnden Personen (Heroen) in den homerischen Epen nicht zu den lokalen Heroen, deren Kult und Mythos in der Erzählung beiläufig genannt wird. Die aktiven Heroen Homers gehören vielmehr einem gesamthellenischen Kultur- und Zeitalterbewußtsein an46. In dem heroischen Zeitalter würde der geschichtliche Ruhm, der Ruhm, der von exemplarischen Taten, vorbildlichen Tugenden und hohem Schicksal ausginge, als beispielgebend für alle Griechen zum Ausdruck kommen. Es scheint, als sei das bewußte Historisieren und Antiquarisieren der Heroen und des Heroenkultes eine Erscheinung, die unmittelbar auf die homerischen Epen folgte. Wenn man die frühen archäologischen Monu44 45 46

Reinhardt (1961) 450. Hölscher (1988) 159f., 317. Vgl. Prinz (1979) 4ff. Eitrem (1913) 1131 f.

2.3 Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption

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mente zum Heroen- und Götterkult betrachtet, so bemerkt man, daß sie mit den Lokalitäten der späteren Kultlegenden oft nicht übereinstimmen47. Die Legenden unserer Überlieferung sind erst unter dem Einfluß der homerischen Epen in die Form gegossen worden, die wir kennen. In den homerischen Epen treten uns selten Gründungsgeschichten und Geschichten heroischer Deszendenz entgegen. Diese Geschichten sind erst in homerischer Zeit in eine formative Phase getreten. Das muß einen Grund gehabt haben. Er lag in dem Wunsch, die mythische Gründungsgeschichte mit der allgemeinverbindlichen gesamthellenischen Heldengeschichte zu verbinden. Die homerischen Epen als kultureller Besitz des griechischen Adels wurden erst nach den frühesten Gründungen und den mit ihnen verbundenen Kulten und Legenden zum Bezugspunkt für ein ordnendes geschichtlich gegenwärtiges Denken. Man muß davon ausgehen, daß es vorhomerische Gründungsmythen und vorhomerische geschichtliche Begründungen gegeben hat48. Die homerischen Epen brachten eine allgemeinverbindliche Typologie und Topographie dieser Kult- und Gründungslegenden hervor. Selbst neue Heroenkulte wurden nach dem Muster der homerischen Erzählung angelegt, so daß es dem heutigen Archäologen erscheint, als habe man, von den homerischen Epen geleitet, im Nachhinein nach geschichtlichen Gräbern gesucht49. In der Ilias zeigt sich dieses Historisieren von Gegenständen und Orten durch die Legende noch kaum, in der Odyssee und den nachfolgenden Epen findet man dann die konkrete (historisierende) Gegenstandsbedeutung.

2.3

Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption von der heroischen Zeit

Helden und Menschen sind bei Homer verschiedene Wesenheiten, die aber die zeitliche Existenz, das Schicksal und die Sterblichkeit gemeinsam haben. Daraus erwächst ihnen die Aufgabe zu historischem Ruhm, dem Ruhm in der Kunde der Nachwelt. Achill weist für viele Helden darauf hin, wenn er allen berühmten Reichtum seiner Zeit vor seinem Schicksal zurückweist, einen frühen aber ruhmvollen Tod sterben zu müssen (II. 9, 400-417)50. Und Helena sagt zu Hektor, daß es ihr und des Heldengeschlechtes Los sei, vieles zu leiden und im Ruhm dieser Leiden in der Welt der Menschen weiterzuleben (II. 6,357 f.). Helden und Menschen sind aber ein unterschiedliches Geschlecht, sie stammen nicht voneinander ab, zwi47

Coldstream (1976). Vgl. Bérard (1982) 70f. und Jean Bérard (1957) 334ff. Heubeck in: AAW 1983, 212ff. zu Prinz (1979). ' Cook (1953). 50 Griffin (1980) 81 ff., 103ff.; Whitman (1958) 181 ff., 221 ff.; Redfield (1975).

48 4

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2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

sehen ihnen liegt ein Generationenriß, der höchstens durch die ferne Ableitung von einem Stammesheros überbrückt werden kann. Der homerische Dichter betont diesen Riß immer wieder, wenn er die Menschen seiner Zeit („wie sie nun sind") von dem an Kräften vollkommenen Heroengeschlecht trennt 51 . Der Dichter schafft aus diesen Motiven ein allgemeines Konzept von einem heroischen Zeitalter. Die Verallgemeinerung schöpft aus den einfachen menschlichen Erfahrungen, die uns schon angesichts des Ahnen- und Heroenkultes begegnet sind, Sterblichkeit, Leiden, Nachruhm und Denkmal, und sie schafft daraus den mythischen Abstand zu einem höheren Dasein. Im folgenden sollen die Erfahrungsstrukturen von Vergangenheit aufgezeigt werden, die hinter der dichterischen Konzeption von der heroischen Vergangenheit liegen können. Es soll dann gefragt werden, wie sich diese Konzeption mit dem Relikt verbindet. Das Heldengeschlecht selbst besitzt eine Genealogie von drei Generationen, die nach dem Vorstellungsvermögen mündlicher Erinnerung ausgemessen sind. Auch diese Generationen unterscheiden sich nach dem zur Gegenwart hin kleiner werdenden Maßstab der Kräfte. Die Heroengenerationen bezeichnen Epochen in einer unermeßlichen Vorzeit, die bis zum Zeitalter der Kentauern zurückreicht, die in Nestors Jugend vernichtet worden sind (II. 1,260-272). Die Heroenzeit endet mit der Zerstörung Troias und lebt in geringerer Größe noch in der Generation der Heldensöhne fort. Von dieser Generation oder von der Zeit nach Troias Untergang leiten sich die meisten politischen Gründungsmythen ab. Die Zeitdimension der mythischen Vergangenheit hat nichts mit einer längeren historischen Zeiterfahrung der Zuhörer Homers zu tun. Wir können nur schließen, daß auch diese begannen, ihre Zeit auf drei Generationen zurückzurechnen, und daß auch für sie die abgeschlossene Zeit der Vergangenheit, die bessere, die vorbildliche Zeit war. Diese Vorstellung wurde auf das heroische Zeitalter übertragen. Die geschichtlichen Zeiterfahrungen der Menschen des 8. Jahrhunderts unterschieden sich aber in deren Bewußtsein von der heroischen Geschichte. Die heroische Zeit war eine höhere Zeit, deren Generation auf tragische Weise untergegangen war. Die mit den Heroen verbundenen Relikte waren nicht Zeichen eines realen historischen Geschehens, sondern Zeichen des Untergangs der mythischen Zeit, so wie die Mauer Troias gerade diesen Zeitenbruch verbildlicht. Zeit bedeutet im Epos Vergänglichkeit, wie das schöne Gleichnis ausdrückt, mit dem Glaukos dem Diomedes antwortet: „Was fragst du nach meinem Geschlecht? Wie der Blätter Geschlecht ist auch das der Männer. Die Blätter - da schüttet diese der Wind zu Boden, und andere treibt der 51

Strasburger (1972) 22 f.

2.3 Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption

179

knospende Wald hervor, und es kommt die Zeit des Frühlings. So auch der Männer Geschlecht: dies sproßt hervor, das andere schwindet" (II. 6,145-149). Dann aber fährt er fort und berichtet von seinem Geschlecht; diese Geschichte wüßten viele Männer (150 f.). Der Mythos als geteiltes sozusagen historisches Wissen wird von der Vergänglichkeit und dem Vergessen der alltäglichen Erscheinungen getrennt. Das Heldengeschlecht, so mahnt Odysseus Agamemnon, wird eines Tages dahingeschwunden sein, nachdem es die von Zeus gegebenen Aufgaben erfüllt hat, „schmerzliche Kämpfe von der Jugend bis zum Alter abzuwickeln"(Il. 14,83-87). Diese Kämpfe aber werden später allen Sterblichen bekannt sein. Vergangenheit heißt, daß das heroische Geschehen einer höheren vergänglichen Welt angehörte und daß es zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen war 52 . Vollendet war diese Zeit durch die Vollendung des hohen Schicksals, das den Heroen von den Göttern aufgegeben worden war. Das Heroenschicksal war beispielhaftes Schicksal. Dies macht den Ruhm und die große Kunde der heroischen Zeit aus. In dieser Vorstellung wird die Erfahrung von der Vergänglichkeit in der Zeit verbunden mit der Vorstellung von der in der Vergangenheit liegenden Zeit als Vollendung menschlichen Daseins. Die Zeitferne verleiht dieser Vorstellung den Charakter des Wirklichen. In der als Zeit vorstellbaren Vergangenheit waren Dinge möglich, die in der Gegenwart nicht mehr möglich sind. Vergangenheit ist die Zeit der erfüllten Ideale der Gegenwart. Hermann Fränkel zeigte, daß es in den homerischen Epen keine lineare Zeitauffassung gibt, ein Zeitbewußtsein, das durch die chronologische Anordnung von Ereignissen entsteht 53 . Der Zeitverlauf stellt keine Ordnungskategorie des epischen Geschehens dar, die Zeit spielt nur als „ D a u e r " eines exemplarischen Geschehenszusammenhanges eine Rolle. Ilias und Odyssee stellen Episoden dar, die am Ende eines langen Geschehens stehen und die sich „beinahe" nicht erfüllen. In der Technik, durch das „Beinahe" eine mythische Handlung in der Situation zu bannen, Vergangenheit und Zukunft in dem Moment der Hoffnung und Täuschung einzufangen, liegt die Kunst des epischen Dichters. Der gespannte Augenblick der Odysseeerzählung liegt in dem letzten verzögerten Schritt der Heimkehr des Odysseus und in dem letzten Hoffen in seinem Hause auf Ithaka, daß der Heimkehrende die häusliche und die politische Ordnung wieder ins Lot bringen möge. Die Spannung der Iliaserzählung liegt in dem Augenblick der Entzweiung der Könige und dem daraus erwachsenden Groll des Achill, der fast die Zerstörung Troias verhindert hätte und der durch den Tod des Patroklos, Hektors und schließlich Achills eigenen Tod diese 52 53

Kulimann (1968). Fränkel (1960).

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2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

Zerstörung doch vorbereitet. Dennoch eröffnet sich dem Hörer die davor liegende lange Vergangenheit durch das Vorstellungsvermögen der Helden, ihre Erinnerung an andere in bestimmten Episoden gebundene Geschehenszusammenhänge. Die Vor- und Rückblenden kristallisieren sich um „Schicksalstage", die sich durch die Erinnerung mit der Gegenwart der Handlung verbinden. Zeit materialisiert sich in der außerordentlichen Begebenheit, die als Beispiel Vergangenheit und Gegenwart verbindet54. Auch der Tag als Geschehenseinheit entspricht einem gegenständlichen Vorstellungsvermögen5S. Die Zeit ist im Epos ebenso sachlich gebunden wie die Raumvorstellung. Zeit- und Raumordnung greifen in der Erzählung ineinander. Im ersten Gesang der Ilias geht die Fahrt nach Chryse von dem Ufer aus, wo Achill zürnend sitzt und auf die Rückkehr der Thetis wartet (1,428); die Expedition kehrt später zu dem Ort zurück, wo Achill immer noch zürnend harrt (488 ff), während Thetis zur selben Zeit Zeus für Achills Racheplan gewinnt (493 ff.). Auf dieselbe Art muß auch die zeitliche Vor- und Rückblende zu dem Gedächtnis oder zu dem Vorstellungsvermögen der Helden als Ort zurückkehren. Das Gedächtnis gilt aber nur, solange die Erlebniseinheit eines Menschenlebens angesprochen wird, solange es einen Sprecher für erlebte Erinnerung gibt. Die Geschichte der fernen Zeit, des heroischen Zeitalters liegt innerhalb der Dichtung im Gedächtnis der Helden. Sie besitzen die einfachen Gedächtnisstrukturen der Menschen der homerischen Zeit. Von der heroischen Zeit kann das spätere Gedächtnis nicht erzählen, das Wissen der Muse muß befragt werden56, ein Wissen, das sich im Musenanruf offenbart und das mit einem gegenständlichen Zeichen verbunden werden kann. Vom beispielhaften fernen Geschehen erzählt die Muse, sie tritt als Gewährsperson eines höheren Gedächtnisbereichs zum Dichter hinzu. Auch das Relikt oder die Mirabilie konnte in homerischer Zeit die Heroenlegende einfangen, wenn es durch den Kult rituell damit verbunden worden ist. Die göttliche Wesenheit oder der religiöse Kult verwandeln die stummen Zeugen der Vergangenheit zu beredten Zeugen, indem sie ihnen eine Geschichte geben. Dinge aus dem Erfahrungsbereich werden mit dem Bereich des nichterfahrbaren Vergangenen verbunden und dadurch vorstellbar. Das Relikt bedeutet Vergänglichkeit, aber auch das Untergegangensein früherer Menschen oder der mythischen Heroen. Das gegenständliche Zeigefeld gehört zur vorstelligen Sprache der epischen mündlichen Literaturen 57 ; es handelt sich dabei jedoch nicht nur um einen dichterischen Kunstgriff, der eine fiktive Handlung in den Köpfen seiner Hörer 54 55 56 57

Kullmann (1968) 22ff. Fränkel (1960) 5; Latacz (1985) 134 ff., 175 ff. Reinhardt (1961) 267. Vgl. Bühler (1934); Rosier (1983) 9ff.

2.3 Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption

181

wirklich erscheinen lassen sollte. In den homerischen Epen stellt sich diese Gegenstandsbedeutung nicht als ein kluges Spiel mit der Wahrheit des Fiktiven dar. Im Gegenteil, der dichterische Ernst, der dem Gegenstand beigemessen wird, steht dem Ernst nahe, mit dem der Heroenkult vollzogen und die Heroenlegende oder die Gründungsgeschichte, erzählt wird. Die Bedeutung, die der Iliasdichter dem Gegenstand beimißt, hat noch nichts mit dem Historisieren zu tun, das wir später antreffen können. Die Historizität der Heroengeschichte soll durch den Gegenstand nicht bewiesen werden. Der Gegenstand scheint vielmehr die Heroengeschichte inspiriert oder gebunden zu haben. Damit ist eher eine mystische als eine empirische Wahrheitsvorstellung verbunden. Nehmen wir an, daß in der Alltagswelt des 8. Jahrhunderts die göttliche Kraft eines Heros in dem alten Gegenstand gebunden gedacht gewesen ist und daß ein kultisches Ritual diese Bindung bestätigt hat, so daß ein bloßes Werk früherer Menschen in der Erzählung einer Kultlegende zum Götterwerk und zum Besitz der Heroen werden konnte. Nehmen wir weiter an, daß die heroische Zeit der Dichtung auf Grund dessen an das Relikt gebunden war, - denn nur so konnte diese Zeit in der Vorstellung der Menschen zu einer beispielhaft wirklichen Zeit werden. Das große Heroenepos Homers, das die Welt der Adelskultur des 8. Jahrhunderts einfing, konnte sich jedoch nicht nur auf einen lokalen Kult und eine einzelne Kultlegende beziehen, denn es beschrieb ja ein ganzes heroisches Zeitalter und eine heroische Gesellschaft. Das Epos mußte sich den lokalen Kulten und ihren Legenden überordnen und es durfte diesen nicht widersprechen. Das dichterische heroische Zeitalter und die heroische Gegenstandswelt des dichterischen Geschehens sind daher den Heroenkulten der Alltagswelt, die in der Dichtung, wie gezeigt, oft beiläufig erwähnt werden, übergeordnet. Die heroische Gegenstandswelt wird wegen ihrer dichterischen Signifikanz zum Gegenstand dichterischer Planung. Die Ruine Troias scheint zu einem solchen Wegzeichen der Dichtung geworden zu sein. Sie bindet über die lokale Gründungsgeschichte hinaus die große Welt der All-Achäer und ihrer Gegner, Griechen und Barbaren, an sich. Alle Episoden der homerischen Handlung werden von dem in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegenden „Schicksalstag" der Stadt Troia beherrscht. Dieses Ereignis kommt einem absoluten Datum gleich58. Die Spannung der Iliashandlung gipfelt immer wieder in dem Satz, daß Troia untergehen werde, oder in der Hoffnung, daß es nun doch errettet werden könne (II. 4,164f.; 6,448f.; 13,625; 15,70,558; 16,100). Die zerstörten Mauern des Burgberges künden aber von diesem Untergang. Die Ruine steht 58

Lesky (1967) 750ff., bes. 752 und 755.

182

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sie ist Zeichen des vollzogenen Geschehens. So dachten die Menschen der homerischen Zeit, wie ein Wort des Agamemnon beweist. In seiner bekannten Trugrede im zweiten Gesang der Ilias prüft er die Gefolgschaft der Achäer, indem er sie auffordert, ihre Schiffe für die Heimfahrt zu bereiten. Der Krieg sei zu Ende, Zeus werde es schon wissen, „der schon vielen Städten die Häupter gelöst hat und auch noch lösen wird" (II. 2,117 f.). Stellt man sich vor, daß die zerstörten Mauern des alten Troia zu den Mirabilien der homerischen Kulturlandschaft gehörten, so straft der Hinweis auf die zerstörten Akropoleis die Rede Lügen. Das sichtbare Monument hätte hier dieselbe orakelhafte Zeichenfunktion, den der Vogelflug hat, wenn er die Rede eines Helden bewahrheitet oder Lügen straft. Bei der homerischen Geschichte vom troischen Krieg handelt es sich wahrscheinlich um eine Vergrößerung einer einfachen Gründungslegende der Stadt. Der troische Krieg nimmt in der homerischen Erzählung die Gestalt eines großen historischen Kriegsereignisses an. Ein Zweikampf soll im dritten Gesang nach weltlicher Logik den Streit um Helena schlichten. Damit antwortet die gesellschaftliche Logik und das Kriegsrecht homerischer Zeit auf eine mythische Logik des Geschehens. Ein Vergehen gegen diesen Vertrag begründet das Kriegsgeschehen in der Ilias. Hinter dem fehlschlagenden weltlichen Bemühen stehen die Götter, die dem menschlichen Handlungsplan Schritt für Schritt folgen. Die Fluchgeschichte gegen Troia und das Haus des Priamos wird zum Teil dieser numinosen Dynamik. Poseidon und Apollon, die beiden Rachegötter wachen in dem großen Götterkampf wie Schutzgötter über das Bestehen der Mauer, denn die Mauer droht durch den Siegeslauf des rasenden Achill zur Unzeit zerstört zu werden (II. 20,30; 21,515-517). In der Spannung der Erzählung konkurrieren weltliches und göttliches Handeln miteinander, der mythische Gegenstand, die Mauer, und der mit ihr verbundene Mythos vom Fluch gegen Troia, erhalten eine höhere dichterische Dimension. In der dichterischen Ausweitung des Mythos dient dieser Fluch dazu, menschliches Handeln in seiner Bedingtheit zu reflektieren. Der Mythos erhält eine frühe geschichtsphilosophische Dimension 59 . Der Gegenstand, die Ruine Troias, wäre ein aitiologisch und religiös gedeuteter Gegenstand, wenn man den Troia-Mythos auf diese Weise als eine historisch gewachsene Geschichte rekonstruiert. Das epische gegenständliche Zeigefeld würde sich nicht künstlich mit historischer Empirie verbinden, in dem Sinne, daß der Dichter den Gegenstand und eine ursprünglich wahre Geschichte aufeinander bezogen hätte60. Dagegen steht 59 60

Vgl. Hölscher (1988) 159ff.; Patzek (1990:3). In diesem historisierenden Sinn zuletzt Nicolai (1981). Dagegen: Tausend (1990).

2.3 Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption

183

der mythische Ernst, den der Dichter der Mauer Troias in dem großen Götterkampf angedeihen läßt. Gegen ein historisierendes Verwenden der Realie läßt sich auch einwenden, daß der Iliasdichter nicht zwischen erdachten und wirklichen Gegenständen unterscheidet. Die Mauer Troias und die erdachte Mauer des Achäerlagers werden zu wichtigen Zeichen des heroischen Geschehens. „Die dichterische Phantasie" so Karl Reinhardt, „gebietet über Sein und Nichtsein" 61 . Der vorgestellte Gegenstand ist, wie bei den genannten imäginären Grabmalen des Menelaos und Hektors62, eng mit dem poetischen „Beinahe" verbunden. Der vorgestellte Gegenstand steht für die Wahrheit einer fehlgehenden Hoffnung, diese tragische Vorstellung wird zur Wahrheit in einem vorgestellten Zeichen. In einem solchen vorgestellten Zeichen manifestieren sich die tragischen Wendepunkte der Hektor- und Achilleus-Handlung. Dieses Zeichen, die Achäermauer, bildet zugleich den eindrucksvollsten Fixpunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, der eigens auf die Handlung der Ilias zugeschnitten ist. Die Beschreibung ihrer Zerstörung in der Zukunft im Proömium des 12. Gesanges ist ein solches dichterisches Zeichen. Sie leitet die Geschichte von Hektors Sturm auf die Mauer des feindlichen Lagers ein63. - Der Sturm auf die Mauer wird Hektors Hybris entfachen, - die Mahnrede des Polydamas und ein Vogelzeichen beweisen es (II. 12,200 ff.). Damit wird sich Achills Fluch gegen die Achäer erfüllen, daß er erst in den Kampf eintreten werde, wenn Hektor vor den Schiffen der Achäer stünde (II. 9,650-655). Inzwischen hat auch Nestors List gezündet; Patroklos ist entschlossen, für Achill in den Kampf zu treten. Damit hat sich das große Beinahe-Geschehen der Ilias gewendet. Achill wird in den Kampf eintreten, Hektor wird getötet werden. Nach dem Tod der beiden Helden wird Troia fallen. Die Achäermauer wird nicht von Hektor, sondern von den Göttern zerstört werden. Dieses Zeichen setzt das Pröomium des 12.Gesanges gegen den hoffnungsvollen und beinahe siegreichen Ansturm der Troer. Die Achäermauer sollte in der troischen Ebene gestanden haben, ähnlich dem Herakleswall (II. 20,145 ff.), einem mythischen Lokal, das mit der Fluchgeschichte des Poseidon gegen die Stadt verbunden ist. Die Achäermauer wurde nach dem troischen Krieg von den Göttern Poseidon und Fortsetzung Fußnote von Seite 182 Die Rolle des Gegenstandes, der Troia-Mauer als Bezugspunkt des Mythos, betont jetzt Dieter Hertel und entwickelt daraus einen neuen Forschungsansatz. Vgl. Kölner Universität Journal 21,1 - 1991, 56 ff. Zur Bedeutung der Mauer in der Dichtung vgl. Scully (1981) 5ff. 61 Zitat Reinhardt (1961) 268. 62 Vgl. oben 162 f. 63 Ebenda 267 ff.

184

2. Totenkult, Heroenkult und die dichterische Konzeption

Apollon dem Erdboden gleichgemacht, als sie die Götter in einer Erdbeben- und Flutkatastrophe vollkommen auflösten (II 12,17 ff.). Der Dichter führt die Augen seiner Hörer von der friedlichen Ebene der Gegenwart in das dichte Kampfgetümmel an jenem schicksalshaften Tag in der heroischen Vergangenheit (12,30-37). Vergangenheit und Gegenwart fließen in dem vorgestellten Anblick und in der Vorstellung von der enttäuschten Hoffnung ineinander. Die leere Ebene vor Troia wird zum Zeichen für ein vorgestelltes dichterisches Monument und die Fülle des tragischen dichterischen Geschehens. Diese Achäermauer ist als Produkt der schöpferischen Phantasie mit vielen kulturellen Merkmalen des 8. Jahrhunderts ausgestattet. Es handelt sich um eine Erdbefestigung, die mit Wall und Graben umgeben und von hölzernen Türmen geschützt war. Als Fundament dienten Holz und Steine. Diese Befestigungstechnik entspricht den provisorischen Befestigungen der frühen Kolonisten64. - Die Befestigung des Achäerlagers wurde auf den Rat Nestors am vierundzwanzigsten Tag der Iliashandlung (11.7, 326-345) ganz am Ende des troischen Krieges angelegt. Sie wurde anscheinend eigens für unsere Ilias geschaffen. Vielleicht als ein Gegenmonument zur ruhmvollen Ruine Troias. Das ließe sich aus der homerischen Legendenbildung ablesen. Die Mauer wurde nach der Dichtung an einem einzigen Tag von den Helden erbaut. Die Helden jedoch vergaßen zu opfern (433-442). Voller Neid betrachten die Götter auf dem Olymp das Werk (443-463). Poseidon und Apollon befürchten, daß der Ruhm dieser Mauer ihr berühmtes troisches Meisterwerk überschatten könnte, daß die nur von Menschen erbaute Mauer der Sieger vor Troia Bestand haben, die Erinnerung aber an Troias Mauer, das göttliche Werk, nach deren Zerstörung veblassen würde. Zeus aber verspricht den beiden Göttern, daß sie zur rechten Zeit die frevelhaft errichtete Mauer vernichten würden. Die Legende, die das völlige Verschwinden der Achäermauer erklärt, ist offensichtlich von der Legende abgeleitet, die vom Fluch der Mauer Troias erzählt, der ihr von Laomedon her anlastet. Auch die gegenständliche Beschreibung der Mauer stammt aus der homerischen Gegenwart, es handelt sich um eine von den Belagerungsmauern der Kolonisten abgeleitete Vorstellung. Die verdoppelte Götterlegende beweist, daß es zuerst eine troische Ruinenlegende gegeben hat. Die vorgestellte Achäermauer ist ein zusätzliches dichterisches Zeichen, das durch die Erweiterung und Verweltlichung der mythischen Handlung in einem panhellenischen kriegerischen Hintergrund nötig geworden war; die Vorstellung von einem west-östlichen Krieg und einer Belagerung, wie man sie aus der Kolonisa64

Drerup (1969) 101.

2.3 Zeitbewußtsein und Relikt in der dichterischen Konzeption

185

tionszeit kennt, in der Kolonisten sich jahrelang hinter provisorischen Mauern verschanzten, um die Sicherheit eines Ortes für eine Siedlung zu erproben. Die Mauer als dichterisches Zeichen kündet von dem gesamten tragischen Geschehen vor Troia, dem Schicksal der Achäer und der Troer, und zugleich vom Ende des heroischen Zeitalters. Troia, das „Zeichen am Hellespont", wenn man das Wort Hektors abwandelt (11.7,87-90), gehört nicht mehr nur einer Stadtgeschichte an, es ist zum idealen Bezugspunkt des gesamten hellenischen Adels geworden. Nicht nur die Troianer werden untergehen und ihre Stadt als eine Ruine stehen lassen, sondern auch alle Helden der Achäer werden untergehen, hinweggeschwemmt wie die Trümmer ihrer Mauer (II. 12,10 ff.). Damit wird das Zeitalter des halbgöttlichen Menschengeschlechtes vollendet sein ( 11.20,23). Dieser dichterische Blick in die Zukunft eröffnet seinen Hörern die friedliche Ebene vor Troia, eine mythische Landschaft mit vielen mythischen Zeichen aus einem mythischen Zeitalter.

3.

Das dichterische Vergangenheitskolorit. Poetische Gegenstandsbedeutung und antiquarische Beschreibung

Aus dem vorherigen Kapitel geht hervor, daß die heroischen und menschlichen Generationen in den homerischen Epen streng voneinander getrennt sind. In der vollendeten Zeit, dem Zeitalter der Heroen war wesentlich mehr, an Göttliches Grenzendes möglich. An der Schwelle zwischen den Welten der Vergangenheit und der Gegenwart steht das Relikt, das durch seine altertümliche, zerstörte oder gar nicht vorhandene Existenz das beispielhafte Vergangene in die Vorstellung der Menschen der homerischen Zeit ruft. Vergangenheit und Gegenwart werden in der Dichtung aber nicht auf antiquarische Weise unterschieden, die beiden Welten werden nicht nach der Verschiedenheit der Techniken beschrieben, mit denen z.B. ihre Geräte hergestellt wurden, sondern die beiden Welten unterscheiden sich nach den heroischen und den menschlichen Wertdimensionen. In der Vergangenheit war alles in einem gesteigerten Maße möglich, das Schicksal, die Tugenden und die Verfehlungen der Helden waren größer, ihre Lebensformen edler und ihre Geräte kostbarer. Das ist eine sehr kultivierte Erweiterung der einfachen Vorstellung von der märchenhaften „guten alten Zeit" 1 . Die Geräte der Heldenkultur, das ist meine These, sind nicht im antiquarischen Sinne altertümliche Gegenstände, sondern sie werden durch die heroische Steigerung zu Gegenständen und zu Symbolen einer vollendeten Zeit. Dagegen steht die These, daß der homerische Dichter exakt zu antiquarisieren suchte, daß er aus den Resten der alten Heldendichtung und aus den Resten der mykenischen Vergangenheit eine hohe Vergangenheit wieder heraufbeschwören wollte2. Der Dichter hätte zwischen dem Kulturgut der Vergangenheit und der Gegenwart genau zu unterscheiden vermocht und hätte versucht, die Reste der Vergangenheit wieder zusammenzusetzen. Ein solches Tun würde ein neuzeitliches wissenschaftliches Kritikvermögen voraussetzen3. Kann man in den homerischen Epen ein solches antiquarisches Bestreben finden: Die exakte Beschreibung eines „opus nobile", das die Heldendichtung aus einem mykenischen Epos übernommen hätte und als Gegenstandsbeschreibung über die Zeiten genau bewahrt hätte? Oder kann man vermuten, daß der homerische Dichter ein Fundstück seiner Zeit, das wie die Fundstücke des Heroenkultes aus älterer Zeit 1 2 3

Zum märchenhaften „es war einmal" vgl. Finley (1964:2) 285; Hölscher (1988). So zuletzt Nicolai (1981). Vgl. Lorimer (1929) 159.

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

187

stammte, exakt beschrieben hätte, um es antiquarisch genau in seiner heroischen Zeit zu piazieren? Antiquarisch genau beschriebene Gegenstände finden sich in der Ilias selten, öfters aber in der Odyssee und in der Dolonie, den Dichtungen die auf die Ilias folgen4. Aus diesem Grunde kann man keinen der beschriebenen Gegenstände in der Ilias genau datieren, selbst ein so plastisches Werk wie der Becher des Nestor im 11. Gesang des Gedichtes war nicht in den archäologischen Fundschichten anzutreffen, sei es in den mykenischen oder in den frühgriechischen. Anders steht es mit dem Eberzahnhelm aus der Dolonie oder mit dem schönen Erkennungszeichen des Odysseus, der kostbaren Goldbrosche orientalisierenden Stils. Hier wird, wie allgemein in der Dichtung, die auf die Ilias folgt, ein wirklicher Gegenstand als etwas Bewunderungswürdiges detailgenau beschrieben. Wenn hingegen der Iliasdichter die Werke seiner Kultur unterscheidet, dann unterscheidet er im Sinne einer Bedeutung, die er einer bestimmten sozialen Gepflogenheit und ihrem Gerät gibt. Wie bei den Sprachmustern seiner Kultur trennt er auch bei den Kulturmustern älteres und ehrwürdigeres Brauchtum von jüngerem. Das ältere Brauchtum ist aber nicht alt in dem Sinne, daß es in der homerischen Kultur nicht mehr gegenwärtig wäre. Es erscheint nur als ein in einer Zeit der Neuerungen veraltetes Relikt. Die ältere Sprachkultur wird in der Kunstsprache zu einer höheren Sprache; der aristokratische Zweikampf, zu dem die Protagonisten mit dem Wagen herangebracht werden und in dem sie den großen manndekkenden Schild benutzen, wird als höhere Art zu kämpfen von der Phalanx mit den schnellbeweglichen Männern und den kleinen Rundschilden unterschieden. Ein solches Nebeneinander von Gebräuchen und den dazu gehörenden Gegenständen können wir auch auf den geometrischen Vasenbildern der homerischen Zeit beobachten. Aus den Bilddarstellungen geht hervor, daß es für jedes Gerät einen sozialen Ort gibt, daß also verschiedene Gebräuche, Kriegstechniken und Lebensformen nebeneinander her gingen. Wenn ein Gegenstand in einem Bild betont wird, so soll er auf die Lebensform hinweisen, die in der Darstellung zum Ausdruck gebracht werden soll5. Auch in der Ilias liegt die Bedeutung des Gegenstandes, wie Harro Willenbrock gezeigt hat6, nicht in einer geschehensindifferenten optischen Anschaulichkeit, sondern in der Wirklichkeit, die das Gerät in der Heldenhandlung gewinnt. Das von dem Helden benutzte Gerät besitzt eine Qualität, die dem Heroischen entspricht und sich im Glanz, in der Kraft, in der Furchtbarkeit der Waffe, oder im Gewicht, in der Größe und der 4 5 6

Vgl. Müller (1958) 154ff.; Kirk (1962) 188. Himmelmann (1969:2). Willenbrock (1944) bes. 17 ff.

188

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

gewaltigen optischen Wirkung des Heldenbesitzes äußert. Solches Gerät ist Götterwerk, für den Helden von Hephaistos eigens geschmiedet, wie der Schild Achills oder das Zepter Agamemnons, die in langer Weitergabe durch die Zeiten und deren große Generationen von den Göttern an die Helden vererbt wurden. Oft hat das Gerät schon von den Göttern her einen symbolischen Wert, wie das Zepter des Agamemnon oder die Esche vom Pelion. Die Macht des Zepters ist, wie gesagt, in manchen Augenblikken zu groß für Agamemnon 7 ; die Esche, die nur Achill tragen kann, fehlt schicksalshaft in der Rüstung des Patroklos, der sie nicht hätte tragen können (II. 16, 140 ff.). Das Gerät bestimmt symbolisch seinen Besitzer oder dessen soziale Rolle, wenn man die Aristien der Helden auf den aristokratischen Wertekanon der homerischen Zeit überträgt 8 . Die „dynamische Wirklichkeit" 9 der Gegenstände in der Ilias steht in einem direkten Zusammenhang mit den Aristien, den typischen Heldenhandlungen. Der Glanz, die Schönheit, die ästhetische Kraft des Heldengerätes begleitet diese Handlungseinheiten und zeigt deren Erfolg oder Scheitern an. Wie Schröter bewies, zeigt die Beschreibung des entsprechenden Gerätes und der Hinweis auf seinen göttlichen Stammbaum die Aristie eines Helden, ihr Gelingen oder ihr Scheitern an; in dem Gerät liegt das Ziel der Handlung schon offen 10 .

3.1

Die Bedeutung der Metalle in den homerischen Epen

Eine Gegenstandsgruppe, die Waffen und Geräte aus Bronze und Eisen, fällt bei dem Argument, der homerische Dichter habe über ein antiquarisches Zeitalterbewußtsein verfügt, besonders ins Gewicht. Bekanntlich sind die Waffen der homerischen Helden nahezu ausschließlich aus Bronze, während die Geräte der homerischen Gegenwart, die in den Gleichnissen dargestellt ist, sehr häufig aus Eisen sind11. Dieser Gegensatz scheint den prähistorischen Typenreihen von Bronze- und Eisengerät so nahe zu stehen, daß man verleitet wird, darin eine historische Spur vom Übergang der Bronze- zur Eisenzeit zu sehen. Außerdem, so stellt man sich meistens vor, seien die mykenischen Bronzewaffen schon längst unter dem Erdboden begraben gewesen als die homerische Zeit begann, in der das Eisen das übliche Gebrauchsmetall geworden war. Die Helden ausschließlich mit Bronzewaffen auszustatten, müßte einem bewußten Anachronismus in der Dichtung entsprechen und einem realhistorischen Be7

Vgl. oben S. 132, 172. Gernet (1948) 94 ff. ' Zitat Willenbrock (1944) bes. 17ff., 20ff. 10 Schröter (1950). Zur Aristie als typischer Handlung vgl. Patzer (1972). 11 Lorimer (1950) 111 ff., 117ff.; Lesky (1967) 741. 8

3.1 Die Bedeutung der Metalle in den homerischen Epen

189

wußtsein entsprungen sein. Ein Bewußtsein, das den technischen Fortschritt erkennt und als Zeitalterstufe verwendet, gibt es aber in der Antike nicht. Man müßte annehmen, daß in den einfachen Verhältnissen der dunklen Jahrhunderte der Fortschritt der Eisentechnologie erkannt und als Datum festgehalten wurde, und daß dieses Datum in der epischen Dichtung zum Zeitunterscheidungskriterium wurde. Oder man müßte andersherum annehmen, daß die Menschen homerischer Zeit in den von ihnen aufgedeckten Heroengräbern Bronzewaffen fanden, daß sie diese Technologie von der ihren unterschieden und zur Rekonstruktion einer heroischen Vorzeit benutzten. Man muß jedoch vermuten, daß diese bronzenen Waffen in der homerischen Zeit korrodiert waren, so daß sie gar nicht zu dem epischen Motiv von den glänzenden Heldenwaffen gepaßt hätten. In nachhomerischer Zeit, in einer Tradition, in der der alte Gegenstand für sich bedeutsam geworden war, wurden Gräber mit bronzenen Beigaben tatsächlich als Zeichen der mythischen Zeit interpretiert 12 . Es bleibt aber die Frage, ob die Bronze schon in homerischer Zeit diesen antiquarisch bestimmenden Wert hatte, denn man verwendete zu dieser Zeit Eisen und Bronze noch simultan. Handelt es sich also um poetische Kriterien, nach denen der Dichter die verschiedenen Metalle und ihre Eigenschaften verwendet, oder um antiquarische? Schon die dichterische Ordnung für die Verwendung der Metalle - bronzene Waffen für die Heldenaristie und eisernes Gerät für die Arbeitswelt zeigt, daß die Metallgegenstände nicht nach Zeitalterstufen unterschieden werden. Die verschiedenen Metallgeräte stehen für verschiedene Situationen, die sie versinnbildlichen ; die Eigenschaften der Metalle gehen oft in Gleichnissen auf13. Die glänzenden Waffen zeichnen die Helden aus, sie stehen im Einklang mit der Heldenaristie14. Der Glanz versinnbildlicht die Wirkung der Waffe, die Waffe wiederum die Bedeutung des Helden. Eisen als Gerätemetall ist hingegen das wirksame Hilfsmittel des Handwerkers. Die eiserne Axt des Bäumefällers drückt im Gleichnis die Wucht und Härte des Kampfes aus, oder den harten Charakter des mutigen Helden im Kampf 15 . Die Kraft der Waffe liegt in ihrem Glanz16, das Eisen dagegen ist grau aber hart, es ist unbiegsam und schwer zu bearbeiten. Das sind die gleichnishaften Bezugspunkte des Eisens17. Eisen steht für Härte, Bronze für Glanz. Dieser Zusammenhang der Metalleigenschaften mit der 12 13 14 15 16 17

Lorimer (1950) 454 mit Anm.3. Frankel (1921) 1-16. Patzer (1972) 28; Schröter (1950) 80ff. Fränkel (1921) 35 ff., 55 f. Patzer (1972) 37. Fränkel (1921) 55. Vgl. II. 3,60.

190

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

erzählerischen Situation findet sich an jeder Stelle der Ilias sinnvoll durchdacht. Dagegen ist die Relation der Metalle zu den Zeitalterstufen nicht so konsequent durchgehalten. Eisen und Bronze als Gebrauchsmetalle werden in den beiden Zeitalterstufen zwischen Heroenepos und dichterischen Gleichnis nicht unterschieden. Die Heroen betrachten das Eisen als wertvollen Besitz und als hervorragendes Gerätemetall (II. 23,826ff.,850ff.); die Zimmerleute der Gleichnisse verwenden Bronze- und Eisenäxte simultan. Eisen und Bronze werden jedoch nie verwechselt, wenn es um ihre Eigenschaften in der Aristie und im dichterischen Gleichnis geht; der Glanz der Heldenwaffe steht für einen anderen Bedeutungszusammenhang als die Härte des Eisens. Das Eisen wurde in homerischer Zeit als Gebrauchsmetall höher geschätzt als die Bronze. Die Eisenverarbeitung war zu jener Zeit noch nicht allgemein verbreitet, und das Eisen mußte noch oft durch die weichere Bronze ersetzt werden18. Eine homerische Redewendung für den häuslichen Besitz nennt Bronze, Gold und das vielbearbeitete Eisen in einem Atemzug (II. 6,48; 11,133; 10;379; Od. 14,324, 21,10)". Es spricht nichts dagegen, daß diese Besitzvorstellung den aristokratischen Häusern homerischer Zeit entsprachen, von wo sie auf die heroische Zeit übertragen wurden. Zu den Edelmetallen gehörte damals auch das Eisen, dessen Wert in seiner vielfältigen Verwendbarkeit gelegen hat. Das neue Metall ist, weil es sich noch nicht überall durchgesetzt hat, wertvoll, sein technologischer Wert steht über der Bronze und macht seinen Besitz erstrebenswert. Der Wert des Goldes und der Bronze liegt hingegen im Ästhetischen. Es handelt sich mit dem Silber um die strahlenden Schmuckmetalle, die für Repräsentationsgegenstände verwendet werden. Der ästhetische, der „Glanzwert" der verschiedenen Metalle hat in vielen Kulturen eine metaphorische Bedeutung und er spielt in einigen einfachen Erzählungen, Märchen und Legenden eine symbolische Rolle. Der unterschiedliche Glanz und die Farbe der Metalle werden zu Steigerungen verwendet; mit dem Gold und seinem Sonnenglanz ist oft eine übermenschliche, auf die Götterwelt hinweisende Symbolik verbunden. Im Alten Orient ist das Gold ein königliches Metall20, sein Glanz symbolisiert, wie die Sonne, die überhöhte Stellung des Königtums. Auch in den homerischen Epen - ich spreche, wie immer, zuerst von der Ilias - bindet der metallische Glanz eine Fülle superlativischer Inhalte. Das gilt besonders für die beiden gelben Metalle, das Gold und die Bronze. Der Bronze an Glanz überlegen ist das Gold. Tatsächlich finden sich in " Murray (1980) 78 f. 19 Lorimer (1950) 118 mit Anm.3. 20 Vernant (1960) 30 f.

3.1 Die Bedeutung der Metalle in den homerischen Epen

191

der Ilias typische Rüstungsszenen, in denen die Goldrüstung die bronzene ersetzt: die Götterrüstung 21 . Die Helden sind den Menschen überlegen, sie tragen glänzende bronzene Rüstungen, die Menschen aber Waffen aus dem grauen Eisen. Die Götter jedoch, den Helden überlegen, tragen goldene Waffen. Gold und Bronze werden zu Erkennungszeichen für Götter und Helden. Die verschiedenen Metalle können die verschiedenen Sphären, der Götter-, Heroen- und Menschenwelt unterscheiden. Diese Symbolik wird im hesiodeischen Weltaltermythos auf die Weltzeitalter übertragen22. Die Glanzsymbolik der Metalle im homerischen Epos erschöpft sich aber nicht in dieser Ordnungskategorie. Der Metallglanz wird zum Ausdruck von Kraft; der Gold- und Bronzeglanz wird mit dem Glanz der Naturerscheinungen verglichen, dem Glanz der Sonne, des Mondes und der Sterne, dem Glanz des Blitzes und des Feuers. Der Glanz bedeutet Geschwindigkeit, Verwüstung, er kündet ein drohendes Unheil an. Der ganzen Bandbreite dieser Metaphorik kann ich hier nicht nachgehen. Sie ist im Unterschied zu der Metallsymbolik in Hesiods Weltaltern voll reicher poetischer Assoziationskraft. Diese Metaphorik geht im Fluß und in der Dramatik der homerischen Erzählung vollkommen auf. Ein Beispiel soll hier für viele stehen. Der Wiedereintritt Achills in den Kampf wird von dem Verlauf einer dynamischen Lichterscheinung begleitet. Zunächst führt die von dem Tod des Patroklos erweckte Selbsterkenntnis dem Helden vor Augen, daß er mit seiner stolzen Verweigerung gegen die Achäer dem Freund nicht zum „Licht" geworden war, sondern zur „nutzlosen Last der Erde" (II. 18, 102 ff.). Nun zeigt er sich, noch unbewaffnet aber kampfbereit, den Troern (18, 203 ff.). Dabei wirft ihm Athene die Ägis um die Schultern und Hera breitet eine Wolke über ihn aus; eine Illusion von Rauch und Feuer steigt von dem Helden auf. Der Lichtschein führt zu dem Gleichnis von einer umkämpften und bedrohten Stadt, die die Kunde von ihrem Unheil mit flammenden Feuerzeichen gen Himmel sendet (207-214). Nachdem er die „hellleuchtende Rüstung" erhalten hat, die ihm von Hephaistos geschmiedet wurde (18, 610,617), rüstet er sich inmitten eines kampfstrotzenden blitzenden erzgepanzerten Heeres, dessen „Glanz zum Himmel leuchtet" (19,361 f.). Achill selbst leuchten die Augen, „wie der Glanz des Feuers", im Schmerz um den toten Freund und in Vergeltungssucht (19,365 ff.). Von seinem silbernen Schwert aber „ging ein Glanz aus, wie der des Mondes" (374), der „hoch in den Äther ging" (378), vergleichbar dem Licht eines einsamen Gehöfts, das nachts den vom Sturm umgetriebenen Schiffern am fernen Ufer erscheint (375-8). 21 22

Patzer (1972) 32ff. West (1978) 172 ff.

192

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

Schließlich leuchtet der Helm mit dem goldenen Roßschweif wie ein Stern vom Kopf Achills (382ff.). Mit der Bewegung des Helden in den Kampf bewegt sich auch das Licht, .das von ihm ausgeht. Zuerst wird es als rasendes Feuer beschrieben (20,490ff.; 21,12; 22,134), dann funkelt es als Unglück verheißender Stern in Priamos' Augen. Schließlich kristallisiert sich aller Glanz in der gutgeschärften Lanzenspitze Achills, die auf Hektor zielt (22,312 ff.). Der Strahl der am Ziel verharrenden Waffe erscheint Hektor, der nun im Zeichen des Todes steht, wie der schönste aller Sterne, der Abendstern, mit seinen ruhigen Bewegungen im Dunkel der Nacht (22,317 f)· Bewegung und Schrecken der Feuerzeichen gehen in dem Leuchten der vollkommenen Ruhe des Todes auf 23 . Der Glanz, der von den Waffenmetallen und den Rüstungen der Helden ausgeht, begleitet als deutende und umdeutende Metapher den Verlauf einer Heldenhandlung. In den Aristien sind die Heldenwaffen wirksam und nahezu identisch mit ihren Besitzern. Die Waffe spiegelt den Glanz des Helden, sogar dessen und seines Feindes Schicksal wider. Waffenglanz ist Schreckensglanz24; diese Symbolik gipfelt in der Beschreibung der Ägis des Zeus und der Athene (II. 5,736-742; 15,309). Daher wird das Eintreten der großen Helden in den Kampf durch das Blitzen ihrer Rüstungen versinnbildlicht. Nicht nur die große Achilleus-Aristie wird auf diese Art sinnlich verdeutlicht; die Lichtdynamik der Metalle gehört zu den Formprinzipien der Aristie25. Wir sehen in einer verkürzten Szene, Idomeneus auf dieselbe Art wie Achill in den Kampf treten :„Doch Idomeneus, als er zur Hütte, der gutgebauten gelangte/Tauchte mit seinem Leib in die schönen Waffen und ergriff zwei Speere/Und schritt hin und ging, dem Blitz gleichend, welchen Kronion/Faßt mit der Hand und schwingt ihn vom glänzenden Olympos,/Weisend ein Zeichen den Sterblichen, und stark kenntlich sind seine Strahlen/So leuchtete ihm das Erz um die Brust, wie er dahinlief" (II. 13,240-245). Die Dichtung wählt ein umso glänzenderes Metall aus, je nachdem wie stark der Glanz wirken soll, der mit einem Helden oder mit einem Gott verbunden ist. Bronze, Silber und Gold bedeuten auch hier Steigerungen. Meistens genügt der Glanz des Erzes für den Helden. Bei einer gesteigerten Aristie, wie der des Achill, müssen aber Gold und Silber wirksam werden. Das Heer, in dessen Mitte Achill sich rüstet, ist daher auch nicht wie üblich als eine schwarze glanzlose Masse beschrieben, sondern es funkelt selbst im erzenen Glanz (II. 19,359 ff.)26. Für solche Abstufungen und Stei23 24 25 26

Vgl. Marg (1965) 46. Schröter (1950) 85 ff. Willenbrock (1944) 19; Patzer (1972) 36 ff. Frankel (1921) 22 f.

3.2 Der Eberzahnhelm

193

gerungen gibt es keine gegenständlichen oder gar antiquarischen Gründe, sie ergeben sich aus der Dynamik der epischen Handlung. Es bekomme ein jeder, was ihm zustehe, so hören wir im 1 O.Gesang der Ilias, dessen Dichter die Kompositionsprinzipien des Iliasdichters genau beobachtet und eklektisch nachvollzieht27. Gold und Silber, so heißt es da, geziemen sich nicht für die Rüstung eines Sterblichen (II. 10,438—441). Die Rede ist von dem König der Thraker, der mit goldenen und silbernen Waffen reichlich ausgestattet ist. Wir wissen von den Gräbern der Thraker sehr wohl, daß deren Oberschicht sich mit Gold und Silber schmückte. Diese Beschreibung, die für die Erzählung keine Konsequenz hat, geht auf Anschauung zurück. Der Verfasser des 10. Gesanges wollte diese Mirabilie nicht auslassen und fügte sie in das Lied ein. Er bemerkte aber, daß die goldenen Waffen des Verbündeten der Troer nicht zu den Stilprinzipien des Iliasdichters paßten, daß das Gold für die Götter und nicht für einen fremden Fürsten schicklich sei. Der 10. Gesang mit seiner Vorliebe für antiquarische Details, die in der Erzählung aber eigentümlich stumm bleiben, zeigt durch die falsch verstandene Absicht, daß der Iliasdichter die Bedeutung der Gegenstände nicht im Antiquartischen, sondern im Metaphorischen ansiedelte.

3.2

Der Eberzahnhelm

Auch die Darstellung des Eberzahnhelmes gehört in den 10. Gesang der Ilias (261-270). Sie erweist sich als eine antiquarisch genaue Beschreibung eines scheinbar einzigartigen mykenischen Rüstzeugs. Die Beschreibung zeichnet diesen Helm als ein Unikum und als eine altererbte Kostbarkeit aus. Als altes Beutestück, dessen Herstellungstechnik gepriesen wird, ist der Helm unter den Heldengeschlechtern bis auf Meriones vererbt worden. Anders als die metallenen Stücke der Heldenrüstungen ist dieser Gegenstand nicht kostbar, er erweckt auch keine Furcht durch Glanz und furchtbares Nicken, wie es die Heldenhelme des Iliasdichters tun. Der Helm des Meriones ist ein Einzelstück; nichts zeichnet ihn aus als seine interessante Technik. In mykenischer Zeit war dieser Helmtyp der übliche Kopfschutz des Kriegers. Seine Beschreibung als ein singuläres „opus nobile" läßt sich aus einer mykenischen Tradition folglich nicht erklären. Die Vermutung liegt nahe, daß ein solcher Helm in der Zeit, als die Dolonie abgefaßt wurde, als Einzelstück berühmt gewesen ist und von dem Verfasser des Liedes ebenso wie die oben erwähnte Thrakerrüstung gese27

Patzer (1972) 48 f.

194

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

hen worden ist. Diesem Verfasser geht es um die erstaunliche Beobachtung und deren genaue Beschreibung. Wie kann dieser aus Eberzähnen gefertigte Helmtypus dem Verfasser der Dolonie vor Augen gekommen sein? Die Vermutung liegt nahe 28 , daß dieser Helm vielleicht in geometrischer Zeit in einem älteren Grab gefunden und als ein Wunderwerk bewahrt oder in einem Tempel gestiftet worden ist, oder es wurde seinetwegen gar ein Heroenkult eingerichtet. Man muß sich aber fragen, wie das organische Material, die Lederriemen, die die Zähne zusammenhielten, die Zeiten unversehrt in einem Grab überdauert haben konnte. Der Verfasser der Dolonie weiß die Konstruktion des Helmes genau zu beschreiben. Die Archäologen des vergangenen Jahrhunderts aber konnten die von ihnen in mykenischen Gräbern gefundenen Eberzähne erst zusammenfügen, als sie den Helm auf Bildern dargestellt fanden 29 . Es bleibt noch eine andere Erklärung für die Erscheinung dieses Helms in der Dolonie. Es ist möglich, daß dieser Helmtypus in den Mittelmeerkulturen gar nicht so einmalig gewesen ist und daß einige nördliche und östliche Nachbarn der Griechen diesen wirksamen und wenig aufwendigen Kopfschutz ebenfalls herstellten30. Diese Herleitung würde die Wertschätzung erklären, die der Verfasser der Dolonie der mit dem Helm verbundenen Handwerkskunst zuteil werden läßt.

3.3

Die Funktion des Streitwagens in der Ilias

Wenn ein Requisit in einer mündlichen Dichtung in festen Beschreibungsformeln aufbewahrt wird, so wird diese Beschreibung im Laufe der Zeit veralten. Das Requisit erstarrt, sein Aussehen und seine Funktion können von späteren Hörern kaum mehr erfaßt werden, der „Sitz-im-Leben" des Gegenstandes und seine Bedeutung in der Dichtung sind nicht mehr auszumachen. Der homerische Streitwagen wird oft zu diesen sinnlos gewordenen Requisiten gezählt, wegen seiner anscheinend wenig sinnvollen Funktion, die Helden zum Kampf zu transportieren, ohne ihnen darin zu nützen31. Die archäologischen Funde zeigen, daß es den Streitwagen in mykenischer und in homerischer Zeit gegeben hat32. Die Darstellungen des Streitwagens auf Vasenbildern der geometrischen Keramik und die plastischen Wagendarstellungen in Ton und Bronze lassen darauf schließen, daß der Wagen in dieser Zeit ein bedeutendes repräsentierendes Gerät war, das im 28 29 30 31 32

Vgl. H ampi (1975) 81 f.; Heubeck (1986) 582. Reichel (1894) 112 ff., 120. Borchardt (1977). Zuletzt Murray (1980) 39. Greenhalgh (1973) 12ff., 30ff.; Kilian (1982:2) 205ff.

3.3 Die Funktion des Streitwagens in der Ilias

195

Begräbnisritual, im Wettkampf und auch im Kriegsgeschehen eine wichtige Rolle spielte". - Die mykenischen und die frühgriechischen Streitwagen sind, so machen die Archäologen geltend, aus derselben technischen Entwicklung hervorgegangen. Diese Entwicklung gehört zu dem technologischen Austausch, der die östlichen Mittelmeerkulturen des späten zweiten und frühen ersten Jahrtausends umfaßte und der in den dunklen Jahrhunderten in den konstanten Traditionen der orientalischen Kulturen nie ganz unterbrochen wurde. Die frühe griechische Begriffsgeschichte beweist aber, daß es in diesem Bereich keine technikgeschichtliche Entwicklung vom mykenischen zum frühgriechischen Streitwagen gegeben haben kann. Die mykenischen Fachausdrücke für die Einzelteile, die Ausstattung und die Ausschmückung des Wagens sind im Frühgriechischen durch andere ersetzt worden 34 . Dieses Ergebnis schließt auch die Hypothese aus, daß der Streitwagen und seine Funktionen im homerischen Epos aus altem Formelgut erdichtet worden sei. Wenn sich die Kampfwagen mykenischer und frühgriechischer Herkunft technisch gleichen, so ist das auf den technischen Austausch mit dem Orient zurückzuführen, an dem sich beide Kulturen auf verschiedenen Wegen beteiligt haben. Wie gesagt, erfüllte der Wagen in homerischer Zeit nicht nur eine praktische, sondern auch eine repräsentierende Funktion. Schon in der frühen geometrischen Zeit gehörten, wie die Funde aus Lefkandi zeigen, das Pferd und der Wagen zum Besitz eines Edlen. Wenn der Iliasdichter den Wagen für wert erachtet, gönnt er ihm, wie jedem anderen Waffenstück, eine detaillierte Beschreibung. Der Wagen gehört dann zur Rüstungsszene, er steht am Anfang der Aristie, der Wagen wird vorgeführt und wird dann den Helden zum Kampfplatz bringen. Die Wagenbeschreibung enthüllt die Bedeutung des Helden oder der Gottheit, die im Begriff sind, in den Kampf zu ziehen (vgl.il. 5,722 ff; 19,392ff.). Wenn man die Ilias aber als antiquarische Quelle liest, sich von der poetischen Gegenstandsbedeutung, die sich um den Kampfwagen rankt, nicht blenden läßt, findet man den Kampfwagen auch als kriegerische Ausrüstung. Man muß dann verstreute Informationen zusammentun. Der Dichter legt Wert auf die Zweikämpfe der großen Helden, die Aristien, neben deren hellem Licht verblaßt die Schlachtschilderung. Aber auch für diese Schlachtschilderungen gibt es ein Repertoire von häufig wiederkehrenden Formeln, auch hier kann man von typischen Szenen sprechen, zu deren Fundus auch der Einsatz des Kampfwagens in der Schlacht gehört35.

33 34 35

Vgl. Wiesner (1968); Schweitzer (1969) 154ff.; Himmelmann (1969). Heubeck (1984:1) 14. Vgl. Fenik (1968).

196

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

Im Epos werden drei verschiedene Kampfesweisen genannt: der Zweikampf, der Massenkampf und der Wagenkampf 36 . Während der Massenkampf der Fußtruppen sicher zu den Neuerungen der Stadtgeschichte gehört, kann der Einzelkampf, die Verfolgungsjagd im Kampfwagen und der damit verbundene Renn- und Jagdsport zu den aristokratischen Lebensformen gezählt werden, die sich während der geometrischen Zeit entwickelten und die in homerischer Zeit zu gesellschaftlicher Bedeutung gelangten. Nur wenn man in der Kampfestechnik der homerischen Zeit allein die der Hoplitenphalanx erblickt, erscheinen der Zweikampf und die kriegerische Wagenfahrt antiquiert und nach der Logik der Archaeologia Homérica mykenisch. Der Wagen gehört aber ebenso wie der Massenkampf zu einer homerischen Schlacht. Leimbach konnte nachweisen, daß es in der - unterbelichteten Schicht der großen Heeresaufstellungen - in „der ganzen Ilias die Vorstellung einer ständigen Präsenz und Verfügbarkeit der Wagen im vordersten Kampfbereich" gibt37. Die Wagen stehen dann in den durchbrechenden vordersten Reihen vor den Fußkämpfern. Nach dieser Ordnung stellt auch Nestor sein Heer auf (II. 4, 297 ff.).

3.4

Der Nestorbecher und die Gelageszene im 11. Gesang der Ilias

Auch die ausführliche Darstellung des Nestorbechers (II. 11,632-637) läßt sich mit der typischen gegenständlichen Metaphorik des Iliasdichters verbinden. Ich gehe auf dieses Trinkgefäß und seine Bedeutung für die Handlung der Ilias im folgenden ausführlich ein, weil sich an diesem Gegenstand besonders deutlich zeigen läßt, wie oft wir die scheinbare optisch antiquarische Bedeutung, die wir seit dem Historismus mit diesen Gegenstandsbeschreibungen verbinden, vor die dichterische Gegenstandsbedeutung setzen. Die in dem dichterischen Gegenstand gelegene Deutung ist jedoch in der Antike oft paraphrasiert worden. Der Becher des Nestor als Sinnbild für die Fähigkeiten und den Charakter des Helden, der in diesen Paraphrasen immer wieder auftaucht, erklärt indirekt auch den Grund für seine Beschreibung und Plazierung an der prominenten Stelle der Ilias, wo Patroklos in das Zelt Nestors treten und der Alte sein Überredungswerk beginnen und das Schicksal Achills und aller Helden wenden wird. Die Beschreibung des Nestorbechers in der Ilias enthält keine antiquarisch sinnvollen Angaben, mit denen man das Gefäß einer bestimmten Kulturschicht zuordnen könnte. Ein einleuchtender Vergleich der Beschreibung mit Fundstücken aus der mykenischen oder der geometrischen 36 37

Leimbach (1980) 419; Kirk (1976) 40 ff. Zitat Leimbach (1980) 424.

3.4 Der Nestorbecher und die Gelageszene im 11. Gesang der Ilias

197

Kultur ist bisher nicht gelungen 38 . Der berühmte „Taubenbecher" aus dem vierten Schachtgrab Mykenes, in dem Schliemann den Nestorbecher erkennen wollte, kann als Vorbild für die homerische Darstellung ausscheiden. Marinatos hat nachgewiesen, daß Tauben - wie Homer sie über den Henkeln auf dem Rand des Bechers sitzen und picken läßt - nach der antiken Bildlogik niemals als Flugvögel mit ausgebreiteten Schwingen dargestellt werden, sondern sie sitzen oder laufen wie Schwimmvögel 39 . Auf dem mykenischen Becher aber sehen wir Flugvögel, die mit ihren ausgebreiteten Schwingen die Nahtstellen der Henkel des Metallgefäßes verdekken. Übrigens steht auch die begriffsgeschichtliche Herleitung für den ,,δέπας" genannten Becher des Nestor aus dem Mykenischen 40 auf schwachen Füßen. Nach den mykenischen Tafeln und ihren Piktogrammen bezeichnet „ d i p a " das große Vorratsgefäß ; im homerischen Epos aber meint ,,δέπας" das Trinkgefäß im allgemeinen, das größere Mischgefäß ebenso wie den kleineren Becher 41 . Der metaphorische Hintergrund aller Bilder vom Becher des Nestor ist die Trinkfreude des alten Helden und die mit dem Trinken verbundene gelöste Zunge, die Geschwätzigkeit und die Tröstung. Dieses Bild steht hinter Schliemanns Vorstellungen um den goldenen Humpen aus Mykene, hinter der Anspielung auf dem Becher aus Pithekussai, hinter dem Bild des weinseligen Trösters in den Kyprien, hinter Lukians Zoten über den weinseligen geschwätzigen Weisen und hinter den Anspielungen im Gelehrtengastmahl des Athenaios 42 . Die Grundlage dieser Bilder ist die Gelageszene im 11. Gesang der Ilias, die kleine Ruheszene zwischen Nestor und Machaon, die sich durch Patroklos' Eintritt erweitert und Nestor die Möglichkeit bietet, seine kühne Überredung ins Werk zu setzen. Die Grundsituation des Gelages steht in den homerischen Epen für eine bestimmte menschliche Handlungsweise: die Überredung, die Umkehr der Handlungsziele. Diese Situation ist ebenso ausdrucksstark wie die Situation des Zweikampfes. Man kann darin auch eine recht allgemeingültige kulturelle Gestalt erblicken 43 . Das festliche Gelage und seine zeremonielle Ausgestaltung erfüllt fast in jeder Kultur vergleichbare Funktionen. Die gemeinsame Mahlzeit stellt Gemeinschaft her, sie führt zur Ruhe nach Auseinandersetzungen, sie schafft die Atmosphäre für das Gespräch eine unkriegerische menschliche Auseinandersetzung - , sie führt zur Ver38

Furumark (1946); Marinatos (1954); Heubeck in: Gnomon 29, 1957, 38-44. Marinatos (1954) 11 ff. 40 Hiller (1976). 41 Wickert-Micknat (1986) 342ff., bes. 344; Brommer (1942) 357ff.; Mader (1982:2) 249 ff. 42 Alle Stellen zusammengetragen bei Hiller (1976) 22ff. Vgl. Kulimann (1960) 4ff. 43 Zum völkerkundlichen Hintergrund: Bollnow (1955) 222ff. Vgl. Kerényi (1952) 45ff.; Finley (1979) 129ff. 39

198

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

handlung, zum Beschlüsse-Fassen, zu einem neuen Handlungskonzept, zu neuen Hoffnungen für die Zukunft. Die Gelagezeremonie bestätigt Verträge, sie schafft auch, als Opfer- und als Totenmahl, Gemeinschaft zwischen verschiedenen Wesenheiten, den Göttern oder den Toten. Wir kennen diese Gestalten und Funktionen des Gelages aus den Bildprogrammen der antiken Kulturen; und schon die antiken Ethnographen erkannten das Gelage als eine vergleichbare und typische Sitte und nahmen es in die Logoi ihrer Völkerbeschreibungen auf"*. Die gehobene und befriedigende Stimmungslage der Mahlzeit verbindet, sie schafft den Boden für das Reden, Erzählen und Überreden. Die Gelageszenen gehören zu den typischen Szenen der homerischen Epik, es gibt offizielle Gelage und das Gelage, das auf das Opfer folgt45. Diese Szenen können wie die kriegerischen Aristien durch ausführliche Gestaltung und Ausschmückung hervorgehoben werden, einzelne Szenen erlangen auf diese Weise den Stellenwert von selbständigen Episoden. Diese Episoden stehen aber immer auch für eine Geschehenseinheit im dramatischen Gesamtzusammenhang des Großepos. Die Gelageszene bei Chryses im ersten Gesang der Ilias (431-476) steht für die Versöhnung des Priesters und seines Gottes mit dem Achäerheer, und sie bezeichnet das Ende der Ursache der ersten großen Auseinandersetzung im Epos, aus der der Zorn und Racheplan Achills hervorgehen soll. Im Opfer wird die Gottheit gefeiert, die sich erfreut, an der Festlichkeit teilnimmt und im Opfer versöhnt wird (473 f.). Im festlichen Zusammensein versöhnen sich auch die Menschen. Ebenso beschließt die Göttermahlzeit am Ende des ersten Gesanges eine heftige Auseinandersetzung unter den Göttern in Frieden und Gelassenheit (573 ff.). Eine eindrucksvolle Versöhnungshandlung spielt sich auch beim Mahl zwischen Achill und Priamos im 24. Gesang ab (600-672). Der Genuß von Speise und Trank öffnet die beiden einander, sie blicken auf und begegnen sich in Achtung (629-633); eine kurzzeitige Versöhnung der Feinde ist besiegelt, sie führt zum Waffenstillstand der Heere für die Zeit der Trauerfeierlichkeiten zu Ehren Hektors. Die Gelageszenen bilden dynamische Ruhepole im dramatischen Handlungsgeschehen, sie tragen die Ruhe des Entschlusses und die Spannung seines Gelingens oder Scheiterns in der Zukunft in sich. Ein Assoziationszusammenhang zwischen Mahlzeit, Gespräch und der Kunst der Überredung rankt sich um die Figur des Nestor. Die zentrale Episode für Nestors besondere Geschicklichkeit ist die berühmte Szene im 11. Gesang, die mit der Beschreibung der Zubereitung der Erfrischung für Nestor und Machaon mit den zugehörigen Geräten beginnt, in deren 44 45

Vgl. Trüdinger (1918) 25, 49, 76, 95. Arend (1933) 64ff.

3.4 Der Nestorbecher und die Gelageszene im 11. Gesang der Ilias

199

Mitte der goldene, reichgeschmückte und herrlich gestaltete Becher steht. Die Episode kommt einer Aristie des Ratgeberhelden gleich, die sich in dessen Gerät widerspiegelt. Die Bedeutung dieser Szene ergibt sich aus der Gestalt des 11.Gesanges46. Er besteht aus zwei Teilen, in deren Mitte die Gelageszene steht. Der erste Teil ist erfüllt vom morgendlichen Kampfgeschehen des dritten Kampftages, der mit der Aristie des Agamemnon beginnt, schließlich bringt dessen Scheitern die Achäer in höchste Not (1-217). Hektor droht immer weiter vorzubrechen (218-595). Der zweite Teil spielt in Nestors Zelt. Dorthin hat Nestor den verwundeten Machaon gebracht, um ihn zu versorgen und zu laben. - Achill hatte beobachtet, wie die beiden vom Schlachtfeld fuhren. Er ruft Patroklos aus dem Zelt und schickt ihn zu Nestor, um den Namen des Verwundeten zu erfahren (597-654). Auf seinen Ruf tritt Patroklos aus dem Zelt „dem Ares gleich: das war für ihn des Unheils Anfang" (604). Der recht einmalige Hinweis des Dichters kündet die Bedeutung der folgenden Szene an. Patroklos tritt in das Zelt Nestors und wird gefangen von Nestors langer Paränese, die ihm den Sinn verwandelt und die ihn in den Tod führen wird (655-848). Die Beschreibung des Gelages (621-643) benennt den Szenenwechsel vom dynamischen Aktionsfeld auf dem Kampfplatz zu der ruhigen Gesprächssituation. Die detaillierte gegenständliche Ausschmückung der Szene kündet an, daß etwas Besonderes geschehen wird. Nestor und Machaon kühlen sich ab und setzen sich zur Erfrischung, die die Dienerin Hekamede ihnen bereitet. Hekamede, die Heroine und Tochter des Arsinoos, wurde Nestor eigens als Beutestück zugeteilt, weil er der Beste im Ratgeben gewesen war. So wie diese Dienerin drücken auch die erlesenen Geräte in Nestors Zelt diese ,,άρετή" ihres Besitzers aus. Den schweren Becher gar, kann nur Nestor heben. Das erinnert an die besonders wirksamen Waffen der Aristien, die auch nur von ihren Besitzern getragen werden können und die daher mit ihren Taten identisch sind. Auch der Becher kann darauf hinweisen, daß das, was nun geschehen wird, nur durch Nestor, den größten der Ratgeber gelingen kann. Die Helden trinken beide aus dem herrlichen Gefäß, ergehen und freuen sich im Gespräch. Die Not der Achäer scheint vergessen; wir haben ein kleines Fest vor uns. „Die Werke der erfreulichen Mahlzeit" sind im Gange. - Odysseus spricht dieses Wort - allerdings im negativen Sinne im 9. Gesang bei der Bittgesandtschaft im Zelt Achills aus, als er merkt, daß Achill nicht überredet werden kann (9, 228). Die sich nicht erfüllende Gelagezeremonie ist ganz analog zur Nestorszene im 11. Gesang aufgebaut, Speise und Trank werden bereitet, dann beginnen die Gespräche. 46

Vgl. Schadewaldt (1938:2) 9-22; Reinhardt (1961) 251-264.

200

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

Phoinix, der Alte, beginnt anstelle Nestors eine lange, an Beispielen reiche Paränese, beeindruckt Achill aber nicht. Wir begegnen Patroklos wieder, wie er in das Zelt Nestors tritt und die beiden Helden, Machaon und Nestor, in friedlicher Geselligkeit antrifft (11, 644 ff.) Er wird nach der Konvention von Nestor begrüßt, in den Raum geleitet und zum Sitzen aufgefordert. Patroklos lehnt diese Aufforderung mit ebenso höflichen Worten ab, wie Hektor Helenas versöhnliche Einladung, in ihr Haus zu kommen: „du wirst mich nicht überreden" (11.6, 360)47. Die Patroklos angebotene Gastfreundschaft bedeutet dessen Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Achäer. Patroklos aber will nicht an deren Leiden teilnehmen, er kennt die von Achill gezogenen Grenzen. Nestor, der Meister des Rates, aber hat genug gehört. In Achills Besorgnis um den verwundeten Machaon hat er das Stichwort für den dringend nötigen Rat gefunden, den er nun in der Form einer ausführlichen Paränese, der eindringlichen und begründeten Mahnrede, erteilen wird48. Die Weitläufigkeit dieser Rede veranschaulicht das nachdrückliche Zureden und das Gewicht, das der Redner und der Dichter seinen Begründungen beimißt. Zunächst (656 ff.) geht Nestor auf Achills Auftrag ein, Patroklos nach dem verwundeten Machaon fragen zu lassen. Die Frage nach nur einem Verwundeten sei halbherzig, meint er, waren doch die besten der Achäer getroffen und lagen verwundet in den Schiffen, Diomedes, Odysseus, Agamemnon und auch Eurypylos. Die Achäer seien in höchster Not. Diese vollständige Nachricht solle Achill hören! Im mittleren Teil der Rede (670 ff.) folgt das große Heldenparadigma, eine ausführliche Erzählung von der Aristie Nestors, wie der jugendliche Held im Streitgeschehen zwischen den Epeiern und Pylos seine ganze Kraft einsetzte, um den letzten der mutigen Epeier zu verfolgen und zu töten. So sei er gewesen, sagt Nestor. Seine Kraft reiche nun nicht mehr aus, auf dieselbe Art den Achäern beizustehen, hieß es am Anfang des Paradigmas. Nestor schließt nun das Gleichnis, er habe alle seine Kräfte für die eigene Stadt eingesetzt, Achill aber wolle „allein seiner Tapferkeit froh sein" (763). Nestor endet mit dem gerechten, in der Rede immer wiederkehrenden Appell an Achills Gemeinschaftssinn (vgl.9, 590-605). Nach dieser Emphase wendet sich Nestor nun direkt an Patroklos (765 ff.). Er erinnert ihn an den Rat, den Menoitios ihm aufgetragen hatte, als Nestor und Odysseus in Phthia um die Gefolgschaft des jungen Achill und seines Gefährten Patroklos baten. - In der Empfangsszene beim Opfer, bevor Ratschläge ausgetauscht und Beschlüsse gefaßt werden, hält Pe47

Reinhardt (1961) 263. Die Anregung zu den folgenden Beobachtungen verdanke ich einem Gespräch mit Harald Patzer und einem darauffolgenden langen Brief von ihm.

48

3.4 Der Nestorbecher und die Gelageszene im 11.Gesang der Ilias

201

leus, der Hausherr, ebenfalls einen goldenen Becher - 772 ff. - Patroklos, so Menoitios, sei der Ältere, wenn auch geringer von Stand und an Kraft, so müsse er dem Jüngeren doch immer gut zusprechen, „mit dichten Worten raten und Weisung geben" (785 ff.). Daraus entwickelt Nestor seinen Auftrag an Patroklos (791 ff.). Er solle Achill nun die vollständige Nachricht von der Not der Achäer überbringen, er solle ihn mahnen, ihm zureden, ihm den Mut bewegen. Wenn alles nicht helfe, solle Patroklos Achill um dessen Waffen und das Myrmidonenheer bitten, um wenigstens die Troer durch Furcht zurückzuschlagen. Die Macht dieser Rede wird Patroklos nicht mehr loslassen. Die Begegnung mit dem verwundeten Eurypylos (809 ff.) läßt ihn die Not der Achäer direkt miterleben. Sein Entschluß ist gefaßt, er will Nestors Auftrag ausrichten (839 f.). Später (15, 390 ff.) wird er, als er mit dem verarzteten Eurypylos beim Gespräch sitzt, vom Mauersturm der Troer überrascht und erinnert sich an Nestors dringenden Auftrag (401 ff.) Schließlich tritt er zu Achill, kündet durch Tränen sein Mitleid mit den Achäern an und beginnt die schicksalshafte Rede, in der Nestors Bericht, Beispiel und Mahnung, aber auch das Erlebnis mit Eurypylos mitschwingt (16, 20 ff.). Nestors Plan, durch die Kunst der Rede zu siegen, ist aufgegangen. Die homerische Dichtung spricht, wie epische Dichtung überhaupt, über das Gegenständliche, Beispielhafte und Typische zu ihren Hörern. Die homerischen typischen Szenen halten „menschliche Grundsituationen" fest, diese Situationen verallgemeinern im Beispiel vielfältige menschliche Problem- und Wahrheitsgehalte 49 . Das Sprachspiel in der Gelageszene im 11. Gesang der Ilias zeigt, wie vielschichtig der menschliche Umgang hinter ihren konventionellen Umgangsformen sein kann und wie man sich dieser Formen für die eigenen Absichten bedienen kann. Dies zu erkennen, war Nestors Kunst und die Kunst des Iliasdichters. Ab- und Zuwendung in halben Fragen und ganzen Antworten, Anteilnahme durch Anspielungen, Beispiele, Gleichnisse und Mahnungen werden von Nestor durch Rede gesteuert. Durch diesen dichterischen Kunstgriff ist diese Nestorszene berühmt geworden. Schon in der Odyssee wir sie parodiert (14, 457-512) 50 . Odysseus sitzt als Bettler verkleidet bei Eumaios, dem Schweinehirten seines Hauses. Eine kalte, feuchte Nacht kommt herauf. Er will Eumaios' Milde erproben, ob dieser ihm wohl einen Mantel für die Nacht geben würde, und er beginnt Eumaios mit einer weitläufigen Rede zu umgarnen, die viele Anspielungen auf die Nestorrede in der Ilias offenbart. Die Rede komme ihm leicht 49 50

Patzer (1972) 29ff.; A.Parry (1971) XXXVIII. Vgl. Heubeck (1954) 26 ff.

202

3. Das dichterische Vergangenheitskolorit

von den Lippen, sagt Odysseus, weil sie der Wein hervorbringe. Worte, die vielleicht nüchtern ungesagt geblieben wären, erfüllen ihm nun den geheimen Wunsch. Eumaios bekommt durch den Spiegel einer beredten Episode über die Situation vor Troia und den unermüdlichen Witz seines ehemaligen Herrn Odysseus zu wissen, was der vermeintliche Bettler von ihm erwartet. Er gibt ihm den gewünschten Mantel als Belohnung für seine Beredsamkeit. Als eine Parodie auf den Nestorbecher läßt sich auch die Inschrift des Keramikbechers aus Pithekussai deuten. Die erste Zeile nennt Nestors Becher oder bezieht sich auf einen gewissen Becher, der einst Nestor gehörte51. Für Becher steht nun ,,ποτήριον". Das neue Wort entstammt der ionisch-äolischen Umgangssprache, mit ihm wird das Heldengefäß auf den Boden des Alltäglichen geholt52. Dem entspricht das Versmaß dieser ersten Zeile, die mit ihren iambischen Trimetern mit den heroischen Hexametern der folgenden Zeilen kontrastiert. Die folgenden Verse mahnen: Wer zuviel aus diesem Becher trinke, werde alsbald vom Verlangen nach der schönbekränzten Aphrodite ergiffen. - Der Wein betört, wie die Rede betört, der irdene Becher steht für jene alltägliche Verwandlung, der goldene des Heros für die rhethorische Kunst eines Nestor. Bei dem Becher aus Pithekussai handelt es sich um eine rhodische Vogelschale, ein brauchbares Trinkgefäß, aber kein alltägliches. Das kunstvoll bemalte Importstück war wohl ein exklusiver Gebrauchsgegenstand 53 und gehörte einem der Edlen der neuen Einwanderergesellschaft auf Ischia54. Das Gefäß ist in die Zeit um 720, also zwischen Ilias und Odyssee, zu datieren. Daß diese Parodie auf das heroische Vorbild so schnell erfolgte, zeigt, wie verbindlich das Großepos des Iliasdichters geworden war und wie schnell es verbreitet wurde.

51 52 53 54

Schadewaldt (1965:2) 413ff.; Heubeck (1979:2) 109ff. Dihle (1969) 257 ff. Vgl. Schweitzer (1969) 92 ff. Rüter und Matthießen (1968) 245.

4.

Ausblick: Mykenische Ruinen als Gegenstände nachhomerischer Sagen. Die Kyklopenmauern

Unterschiede im Sehen und Deuten der vergangenen Kultur lassen sich in den verschiedenen Phasen der griechischen Mythopoiie nachweisen. Die nachhomerischen Sagen fassen die Ruinen der Frühzeit nahezu antiquarisch auf und deuten sie als Zeichen einer fremden uralten Kultur. In den homerischen Epen war die mykenische Ruinenlandschaft hingegen Achsenpunkt für ein bildhaftes Gleichnis, mit dem man sich in die Geschehnisse der heroischen Zeit hineinverwandeln konnte. Ohne das heroische Gleichnis waren diese Gegenstände stumme Zeugen nicht genau benannter früherer Menschen1. Die antiquarische Sehweise der nachhomerischen Sagen steht der archäologischen Hermeneutik näher, daher werden besonders diese Sagen für eine Rekonstruktion der griechischen Vorgeschichte benutzt. Diese Sagen können aber ebenso wenig Erinnerung an die mykenische Zeit und an die frühen dunklen Jahrhunderte enthalten haben wie die homerischen Epen. Friedrich Prinz hat zudem nachgewiesen, daß diese Sagen auf die homerischen Epen folgen, daß sie aus dem für die Griechen verbindlichen Großepos neue lokale Sagen, besonders Stammessagen ableiten2. Die Sagen, die ich im folgenden behandeln will, handeln von den Kyklopen oder anderen vorgeschichtlichen Erbauern der gewaltigen mykenischen Mauern. Als erster Sagenkomplex bezieht sich die Erzählung von der Wanderung der Herakliden auf die mykenischen Ruinen und faßt diese als Monumente einer vorgriechischen, barbarischen Kultur auf. Die Sagen von den Kindern des Herakles sind der Struktur nach Sukzessionslegenden, - sie erklären eine nicht kontinuierliche Geschichte. Die alte barbarische Herrschaft des Eurystheus wird durch die jungen Heraklessöhne abgelöst. Die neuen frühgriechischen Gründungssagen beschreiben die wirkliche politische Landschaft der archaischen Zeit und lösen die Topographie der Heroenzeit ab, die scheinbaren Herrschaftsgebiete der Helden mit ihren mykenischen Burgbergen wie sie der homerische Schiffskatalog beschreibt3. Die meisten dieser Sagen stellen Erweiterungen des homerischen Sagenkomplexes dar, die dazu geschaffen sind, die wirklichen historischen Situationen der archaischen Zeit mit dem Mythos zu verbinden 4 . Die Sagen beziehen sich auf eine historisierende und antiquarisierende Art auf den 1 2 3 4

Strasburger (1972) 36. Prinz (1979) 3 ff. Ebenda 207, 222 f. Ebenda 1-15.

204

4. Ausblick

vorhergehenden Mythos. Der homerische Mythos ist verbindlich; verbindlich sind auch die neugeschaffenen politischen Gemeinden und Gemeinschaften. Ebenso wie in der Nachfolge Homers mythische Szenen in der bildenden Kunst bewußt dargestellt werden, so ist sich auch die nachhomerische Mythopoiie ihres Stoffes als Gegenstand und als Aussage bewußt. Einzelne Aussagen werden aus dem Mythos herausgegriffen, sie enthalten einen Hinweis und werden mit der Wirklichkeit der historischen Menschen und mit der Wirklichkeit der Gegenstände ursächlich verbunden. Der Mythos wird historisiert, weil er als Ausgangspunkt für die Erklärung einer gegenwärtigen Situation benutzt wird 5 . Das Relikt wird analog dazu antiquarisiert, weil es als etwas Fremdes, nicht zu der gegenwärtigen Kultur Gehörendes beschrieben wird. In den homerischen Epen wurde die Heroenwelt im Rahmen der Kulturwelt der Griechen des 8. Jahrhunderts beschrieben und in einen Konflikt, einen Ost-West-Gegensatz, mit den nichtgriechischen Kulturen Kleinasiens gestellt. Dieser panhellenische Gehalt der homerischen Epen wird in den späteren Sagen konkretisiert, der Hellenenname wird aufgegriffen und erhält einen eponymen Heros, ebenso die Stammesnamen, die zu dieser Zeit ihr historisches Gesicht erhalten 6 . Durch die Stammessagen entstehen Gemeinschaftsvorstellungen, die auch die einzelnen Kulturgemeinschaften neu bestimmen. Den Anfang solcher Sagensystematisierungen vor einem aktuellen geschichtlichen Hintergrund machen die homerischen Epen und die mit ihnen wohl annähernd gleichzeitigen frühen Kolonisationssagen aus. Man kann annehmen, daß die Griechen in der frühen archaischen Zeit und besonders in den Situationen der Kolonisation sich ihrer Kultur deutlich bewußt wurden und daß sie sich gegen die Nachbarvölker abzugrenzen begannen, im hellenischen gesamtkulturellen Sinn und im Sinne ihrer Stammeszugehörigkeit 7 . Die Kenntnis fremder Völker kann man schon in der Ilias ausmachen. So wendet sich Zeus einmal vom troischen Kriegsgeschehen ab und läßt seinen Blick zu den Völkern im Norden schweifen, zu den „rossepflegenden Thrakern", den „nahkampfstreitenden Mysern", den „milchtrinkenden Hippomolgen" und den„gerechtesten Abiern" (11.13, 3 ff.). Diese Epitheta beschreiben jeweils eine Besonderheit der anderen Kultur, sie können in diesem Sinne auch die Sitten der verschiedenen griechischen Stämme beschreiben, z.B. 11.13,712 ff., wo die Episode von den im Nahkampf versagenden Lokrern geschildert wird. Schon die um etwa eine Generation jüngere Odyssee weiß von ihrem Helden zu be5

Fittschen (1969) 9-14. Vgl. Snell (1952) 3; Heuss (1946) 30ff.; Schadewaldt (1934) 152ff.; Schwartz (1928) 14ff. 6 Prinz (1979) 206ff.; Heuss (1942) 31-38. 7 Schwabl (1962) 3 ff.

4. Ausblick

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richten, daß er „von vielen Menschen sah die Städte und lernte Kennen ihre Sinnesart" (Od.l, 3). Das Motiv des Kennenlernens und des Erforschens der anderen „Sinnesart" durchzieht die Odyssee. Das Auskundschaften des fremden Landes und seiner Bewohner gehört zu den Tätigkeiten der Kolonisten. Die Odyssee enthält Szenen, die eigens diese Tätigkeit beschreiben (z.B. Od. 6,119ff; 9,174ff.; 10,1 ff.). Diese Völkerbeschreibungen beschränken sich nicht mehr auf einzelne fremde Sitten, sondern sie versuchen die Satzungen, die Sinnesarten, der fremden Kulturen zu erfahren. Das bewußte Sehen und Beschreiben des Fremden und Andersartigen beginnt in der Kolonisationszeit und zeigt sich zuerst in der Odyssee. Durch das Kennenlernen des Fremden entsteht das antiquarische Sehen, das die Gegenstände verschiedener Kulturen unterscheidet und authentisch zu beschreiben anstrebt. Diese Tendenz zur Versachlichung von Gegenständen verändert auch den poetischen Gegenstandsgebrauch. Waren die Gegenstände der Ilias von gleichnishafter Bedeutung, so bekommen sie in der Odyssee einen sachlichen und verursachenden Wert, sie werden bewußt als Requisiten in die Erzählung eingesetzt8. Der Gegenstand als Requisit kann dann mit einer bestimmten menschlichen Welt nach Zeit und Ort identifiziert werden. Aus dieser Änderung erklärt sich, warum die frühgeschichtlichen Gegenstände in den nachhomerischen Sagen als Gegenstände früherer und fremder menschlicher Kulturen erklärt werden, während sie für den Dichter der Ilias noch namenlose Gegenstände waren oder Gegenstände des Heroenkultes. Eine Sage, die sich unmittelbar auf die mykenischen Ruinen bezieht, ist die von den Kyklopenmauern, von den Riesen und barbarischen Baumeistern, deren Handwerk sich in den riesigen polygonalen Steinen dieser Mauern widerzuspiegeln scheint. Die Kyklopen gehören als mythische Gestalten in die Vorzeit vor dem troischen Krieg. Ihre gesteigerten Kräfte machen diese Herkunft besonders deutlich. Ihr Unwesen läßt sie in der Odyssee zum Gleichnis für die Barbarenwelt werden. Die Kyklopen werden schließlich zu mythischen barbarischen Handwerkern ; später, in alexandrinischer Zeit, sind sie die riesenhaften Schmiedegesellen des Hephaistos. Der Begriff von den kyklopischen Mauern wurde von den Reisenden des ausgehenden 18. Jahrhunderts aufgegriffen und diente als Typenbegriff für die ersten antiquarischen Vergleiche der Monumente der frühesten Mittelmeerkulturen. Im Klassizismus wurde deutlich, wie das Kyklopenhandwerk von dem klassischen Handwerk zu unterscheiden war9. Zu einer 8

Müller (1968) 69. ' Vgl. oben S. 26f.; Dodwell (1834).

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ähnlichen Begrifflichkeit entwickelte sich auch die Sage von den kyklopischen Baumeistern in der archaischen und klassischen Mythendichtung der Griechen, von wo sie dann von den neuzeitlichen Gelehrten übernommen wurde. Diese Vorstellungswelt stammt nicht aus den homerischen Epen. Die Helden der Ilias sind von mächtigen Burgbergen umgeben, deren Mauerwerk gelobt wird und deren Zerstörungszustand üble Geschehnisse verkündet. Die Helden werfen mit Steinen, die die Menschen der späteren Zeit nicht mehr bewegen können, oder wie es wirklichkeitsheischend heißt: zwei Männer könnten einen solchen Stein gerade stemmen (II. 5,302f.; 12,380ff., 445ff; 20,286). In der Odyssee wird indirekt zum erstenmal eine Lebenswelt der Kyklopen beschrieben. Die Kyklopen leben, wie alle fremden und mythischen Figuren der Irrfahrten, auf einer Insel und frönen barbarischen Zuständen. Sie besitzen keine gemeinschaftlichen Sitten, der Hausherr allein bestimmt, was für seine Sippe gut ist (Od. 9., 105 ff.). Diese Kyklopen benutzen mächtige Türsteine aus Felsen um ihre Höhlen zu verschießen, das wurde bekanntlich Odysseus und seinen Gefährten beinahe zum Verhängnis (240 ff.). In Hesiods Theogonie (139 ff.) werden die Kyklopen in die frühen Göttergenerationen eingeordnet, sie tauchen dort auch als Handwerkergötter auf (141, 504 f.). Sie schenken Zeus Donnerkeil und Blitz, die sie selbst geschmiedet haben10. Sie gehören zu den Riesen, der ungelenken und grobschlächtigen Göttergeneration, und sie sind wie Hephaistos Handwerker, deren Werke von staunenswerter Qualität sind. Diese Vorstellungen, die den mit Hephaistos verbundenen Eigenschaften gleichen (vgl. II. 1,590ff.; 18,369 ff.) entspringen den Wertvorstellungen, die die frühen Griechen mit ihrem Handwerkerstand verbunden haben 11 . Die Handwerker, besonders die schwer arbeitenden Schmiede, haben ein unmenschliches Äußeres und unheimliche Kräfte. Das stempelt sie zu Randfiguren der Gesellschaft. Sie können jedoch für ihre nützlichen Werke auch gepriesen werden. Die Sagen von den Kyklopenhandwerkern fassen diesen Assoziationszusammenhang zusammen : Die alte grobschlächtige Göttergeneration gehört zu den Außenseitern, von denen die Olympier nichts wissen wollen. Sie leben als Fremdlinge auf einer fernen Insel, sie werden zu „Charakterbildern eines wüsten Lebens vor aller Kultur" 12 . Pindar (frgm.l69*Snell Z.l-8) nennt die Mauern Mykenes „kyklopisch". Herakles führt die Rinder des Geryones zu dem „kyklopischen Vorhof des Eurystheus". Das Gedicht handelt von der Eigengesetzlichkeit, die in der übermenschlichen Kraft liegt und die Gewalttaten hervorruft. Der Dichter 10 11 12

Eitrem (1922) 2332f.; Roscher (1890-94) 1676ff. Himmelmann (1969) 37ff.; 4 7 f f . ; Schweitzer (1969) 172. Zitat Preller und Robert (1887) 622.

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beweist mit dem Heraklesabenteuer, daß der mythische Raub in der Natur dieser vorzeitigen Welt, in ihrer von Kraft und Stärke bestimmten Gesetzlichkeit liegt (vgl. Platon, Gorgias 484B). Die mit dem „Kyklopischen" verbundene Vorstellung kann man doppelt deuten. Die Metapher von der kyklopischen Vorhalle des Eurystheus scheint als Teil des Heraklesmythos bekannt zu sein, sie entspricht auch dessen Logik13. Das Bild bestärkt die Geschichte von dem Unrecht, das Herakles auf Geheiß des Unrechtsherrschers begehen muß, und es steht für das uralte Gesetz von Stärke und Gewalt. Dieses Gesetz zeigte sich auch gegenständlich in den riesigen Mauern Mykenes. Aus ungefähr derselben Zeit stammt auch die Gründungssage von Tiryns, in der die Kyklopen als Baumeister für die starken Mauern des Ortes herbeigerufen werden. Diese Sage ist in einem Epinikion des Bakchylides (epin.l l)14 erhalten. - Die Orphiker hatten inzwischen die Handwerkergeschichte, die im Keim schon bei Hesiod angelegt war, weiterentwickelt. Die Kyklopen wurden zu frühen Baumeistern und den Lehrern der Künste des Hephaistos15. - Zu der Gründungsgeschichte des Heiligtums der Artemis Hemera in Metapont (Z.33 ff.), dem Heimatort des von Bakchylides Gepriesenen, gesellt sich eine Ursprungsgeschichte von Tiryns (57 ff.), die aus strukturellen Gründen wie die erste Gründungsgeschichte nicht vor dem 5. Jahrhundert datiert werden kann 16 . Aus Tiryns soll der Gründer des großgriechischen Heiligtums gekommen sein, der alte Ort, der offenbar noch keine eigene Ursprungssage hatte, muß auch mit einer solchen Sage versehen werden, sie wird von der griechischen Stadt Argos abgeleitet: Nach dem Streit der Brüder Proitos und Akrisios um die Herrschaft, erhält der eine Argos, der andere Tiryns. Zeus hatte den Streit geschlichtet und die Kyklopen herbeigerufen, um der neu erbauten Stadt eine herrliche Mauer zu errichten (77 f.) - Die Legende trägt die Züge der Kolonisationslegenden. Es wird um fruchtbares Land gestritten. Der Streit endet mit dem Bau einer neuen Stadt. Die Kyklopen kommen auf Zeus' Geheiß, als Gewährsleute für seine Billigung der Neugründung. Tiryns wird zu einer Gründung von Argos. Der in archaischer Zeit politisch unbedeutende Ort bei der alten Ruinenstätte, die homerische wohlummauerte Tiryns (II. 2,559), erhält eine Gründungssage, die die alten Mauern sekundär erklärt. Der Mythos von den Kyklopenbaumeistern scheint seit der Mitte des 5. Jahrhunderts an Popularität gewonnen zu haben. Von den Tragikern verwendet nur Euripides die Metapher von den kyklopischen Mauern. 13 14 15 16

Prinz (1974) 167 f. Vgl. Maehler (1968). Eitrem (1922) 2332f.; Preller und Robert (1887) 624ff. Prinz (1979) 162ff.

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Euripides nennt oft, wenn Mykene oder Argos als Orte der Heroensage heraufbeschworen werden, deren kyklopische Mauern, oder die Sage von den Kyklopenbaumeistern (IA 265ff.; HF 15f.; E1.1157; Or.957). Er vermittelt sogar realistische Vorstellungen von der Technik dieser Kyklopenbauten. Die Kyklopen benutzen Meißel und Richtscheit und fügen ihre Mauern nach Maß und Ziel. Freilich sind die Mauerblöcke groß und schwer, die Kyklopen verrichten Sklavenarbeit. Im „Kyklop" führt Euripides die Kyklopen als Barbaren vor (117 ff.), die als Steineschlepper in ein fremdes Land entführt worden sind (238 ff.). Sie werden von Odysseus, dem zivilisierten Griechen, verspottet und überlistet. Das Griechische und Barbarische stehen sich in diesem Bild gegenüber. Auch die alten „kyklopischen" Steinmauern unterschieden sich für den Athener von seiner Kultur, wenn er sich in patriotischem Stolz die feine neue Baukunst des neu eingerichteten Akropolisplateaus vor Augen rief. Das alte Gemäuer versinnbildlicht dagegen eine alte gewalttätige Ordnung, es zeugt von einer fremden und überwundenen Welt. Nach dem 5. Jahrhundert liegt das Kyklopenthema fest und wird weiter ausgebaut. Die Kyklopen sind Fremde, Barbaren aus Thrakien oder aus Lykien17. Sie sind Baumeister von übermenschlicher Kraft, die sich auch in ihren Geräten ausdrückt (Plin.,n.h. 8,56.95 nach Aristoteles). Strabo und Pausanias interpretieren auch die Sage von Tiryns. Proitos selbst ließ nun die Kyklopen aus Lykien herbeirufen (Paus. 2,25.8; Strabo 8,6.11(372)). Pausanias folgert gar (2,16.5), daß die Mauern Mykenes von denselben Meistern stammen müßten, denn die Steine seien hier ebenso groß und schwer wie dort. Auch fremde Völker können in der Sage als Ureinwohner Griechenlands und als Baumeister der vorgeschichtlichen Mauern gelten18. Eine solche Baumeistersage aus Athen zeigt, wie unhistorisch diese alten Mauern wahrgenommen wurden und wie sie zu immer neuen, sich widersprechenden Mythenkonstruktionen führten. Es handelt sich um die Sage von den Pelasgern, den Baumeistern der alten Akropolismauer. Herodot (6,137 ff.) erzählt, daß die Pelasger die Mauer, Pelargikon genannt, erbaut und dafür Siedlungsrecht am Hymettos erhalten hätten. Die Geschichte hat zwei Brüche, auf die schon Eduard Meyer hinwies19. Der Pelasgername ist seit Hesiod (frgm. 43,44) als Synonym für die Ureinwohner Griechenlands bekannt. Die Athener, die sich im Gegensatz zu den Dorern autochthon nannten, erklärten folglich, daß sie von den Pelasgern abstammten (Hdt. 1,56 f.) Die Sage behandelt die Pelasger aber nicht als Einheimische, sondern als Einwanderer, die um Siedlungsrecht bitten und wegen eines Inte17 18 19

Eitrem (1922) 2330. Lochner-Hüttenbach (1960). Vgl. dazu Neumann in: Gnomon 34, 1962, 370ff. Meyer (1892) 6 ff.

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grationskonfliktes sogar aus der Stadt vertrieben werden. In einer anderen Version der Sage (Hdt. 2,51) werden die Pelasger zu Mitbewohnern der Athener; sie gelten aber auch hier als Fremde, die später hinzu kamen und erst dann zu Athenern und Griechen wurden. Der Begriff des Fremden haftet den Pelasgern an. Diese Baumeistergeschichte ist keine alte Geschichte aus den autochthonen Ursprüngen der Athener, sondern eine sekundäre Legende, deren Konstruktion man noch verfolgen kann. Aus einer Klangassoziation mit dem Pelargikon, dem Storchennest, wurde das Pelasgikon. Schon die Tatsache, daß sich die neue Ableitung nicht durchsetzte, zeigt, welcher Name der ältere war20. Die alten Mauern der Akropolis scheinen ursprünglich den Störchen als Brutplatz gedient zu haben und wurden daher umgangsprachlich Storchennest genannt. Das ist eine anschauliche Namensgebung, die keiner Erläuterung bedarf. Das Pelargikon war zwischen der oberen und unteren mykenischen Mauer im Westen der Akropolis gelegen21. Die das Pelargikon beschreibenden Mauern wurden aber anscheinend nicht als Altertümer geehrt. Sie wurden, wie wir wissen, während der archaischen Zeit teils genutzt, teils wurden sie, um Steine zu gewinnen, abgebaut22. Sie dienten Hippias und seinen Anhängern als Schutzmauern, als sie von Kleomenes belagert worden waren (Arist. AP 19,5). Vielleicht führte der Verteidigungscharakter der Mauern zu der delpischen Fluchgeschichte, nach der es Unglück brächte, an dem Ort zu siedeln. Thukydides (2,17) berichtet bereits aus dem Jahre 431, daß das Siedlungsverbot, das das pythische Orakel für den Ort ausgesprochen hatte, unter dem Druck des Krieges aufgehoben werden mußte. Thukydides folgert, daß sich das Orakel, nachdem die Athener unter dem Zwang des Krieges den Ort besiedeln mußten, umgekehrt als erwartet erfüllt hätte. Das Psephisma des Lampón (IG I Suppl., no. 27b, 47 ff.)23 bezeugt, daß die Pietät gegenüber dem alten Ort schon zur Zeit des Nikiasfriedens in Vergessenheit geraten war. Mit dem Neubau der Akropolis scheint aber eine pietätvolle Beobachtung des alten Gemäuers einherzugehen. Die neue Burgumfriedung läßt einen kleinen Teil der alten Befestigungsmauer an der Nikebalustrade stehen. Die Sage von den pelasgischen Baumeistern stammt wohl aus dieser Zeit. Sie erklärt das fremde Aussehen der Mauern und ihre Herkunft aus alter Zeit. Die Struktur und die Begrifflichkeit der Sage erweisen sie als eine Konstruktion aus dem Athen der perikleischen Zeit. Die Baumeistersage fällt zeitlich mit der Baumeistersage von den Kyklopen zusammen 20 21 22 23

Ebenda 9 f. Travlos (1971) 52, 566. Ebenda 448, 480, 490, 566. Körte (1896) 320 ff.

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und sie trennt wie jene die alte, fremde und barbarische, von der neuen Kultur. Auch die Ableitung der Athener von den Pelasgern wird nicht sehr alt sein, sie beweist nicht, daß die Athener tatsächlich Ureinwohner ihres Siedlungsgebietes sind, daß sie sich also von den Mykenern ableiten könnten. Die athenische Pelasgersage ist wohl nicht ohne den Blick auf die dorische Einwanderersage zu verstehen ; es handelt sich um ein Gegenbild zur spartanischen Nationalsage. Die Ureinwohnerschaft Attikas wurde ebenso „entdeckt" wie das alte Gemäuer und als Fremdes in die attische Sagenwelt eingegliedert. An den verschiedenen Sagenkonstruktionen um die vorgeschichtlichen Altertümer Griechenlands kann man, wie ich glaube, deutlich sehen, daß sie nicht auf Geschichte, sondern auf immer neue Mythenbildungen zurückgehen, deren geschichtlicher Zweck sich nach den kulturellen und staatlichen Gegebenheiten ändert. Wäre mit den Monumenten ein historisches, auf einer eindeutigen Erinnerung beruhendes Geschehen verbunden gewesen, hätte man sie nicht in so vielfältiger Hinsicht als Zeugen herbeirufen können. Daß der Mythos seit Homer in einem gesteigerten Sinne für Geschichte galt, widerspricht dem nicht. Vielmehr haben die homerischen Epen und die Sagensysteme der archaischen Zeit die Vorlage für dieses durch den Mythos sprechende historische Denken gebildet. Die geschichtliche Wahrheit der mythischen Erzählungen wandelt sich mit den aktuellen historischen Ansprüchen der jeweiligen Zeit, was bleibt, ist das Monument und der Anspruch, daß Geschichte ein mythisches Beispiel haben müsse.

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Personen- und Sachregister Adel 108 f., 114 ff., 121 f f , 124, 128136, 138, 151 Agora 126 f., 143, 174 Ahhiyawa 42 Ahnenkult 109. 11, 163, 166 f f , 171, 178 Antiquarisieren 176 f., 187, 188f, 193, 195, 202 ff. Apsidenhaus 107 f f , 110, 117 Archaeologia Homérica 37-40, 57, 196 f. Archäologie (Geschichte der) 13, 15, 21, 23 f f , 27, 29, 33 f , 35 f , 37 - Methode 80-84 Archaisieren 66 f , 150f, 158, 187 Argolis 25,29, 105 f , 125 f. Argos 94, 124, 207 f. Aristarch 18,20 Aristie 65, 135, 146, 152, 166, 188ff, 199 Asine 89,94, 105, 107 Athen/Attika 93,94, 105 f , 125 f f , 139f., 169, 173, 208 ff. Athenaios 197 Bakchylides 207 Bestattungssitten/Grabkult 90, 93, 95, 108 f f , 114, 125, 127, 139, 151, 162f„ 166-169 Blackwell, Th. 6 f f , 9, 10, 16 Bogazköy 85,88 Bunarbaschi 23 f , 36 Calvert, F. 36 Conze, A. 35 f. Curtius, E. 33 f. d'Aubignac, F. H. 2 Delphi 122 f., 128, 153, 173 Demokratie 130 f. Demetrius Skepsius 6 Dialekte 50, 52, 7 6 f , 91, U l f . Dilthey, W. 44 f. Dodona 122 f., 128 Dodwell, E. 25 f , 29 Dolonie 65, 156, 187, 193 f. Dörpfeld, W. 3 5 f. Dorer (dorische Wanderung) 28 f f , 60, 67,92, 208,210

Dunkle Jahrhunderte 4 1 , 4 3 , 5 4 , 5 5 , 58-60, 73-77, 85 f , 91, 97, 102 f., 202 Eberzahnhelm 3 8 f. Einfache Formen 7 9 f , 100, 138, 156, 159 Epos 47 Episches Sprechen (homerische Kunstsprache) 3 f , 8 f., 1 6 f , 49 f , 51 f , 62, 67, 156, 158 Epische Formelsprache 52 f , 65 ff. - typische Formen 6 5 f , 118f, 130, 132 f., 135, 145, 152, 155, 188, 195 f , 201 - Gleichnisse 59, 64 f. Eretria 109, 126, 168f, 172 Erinnerung 43, 61, 75, 78 f , 87, 90, 95103, 111, 114, 136 f f , 140, 142, 148 f., 163, 165, 167 f f , 180 Eschenburg, J. J. 22 Ethik 130 f., 134f, 136, 166 Euripides 27, 207f. Furtwängler, A. 36, 37 f. Gastfreundschaft 117 Gegenstandsbeschreibung (dichterische) 150 f f , 186 ff. -bedeutung 172, 187 ff. Geometrische Keramik 35 f , 37 f , 5860, 111 f f , 156 f., 160, 167 Geometrische Kultur 38,60, 104 f f , 111,113-120 Geometrische Vasenbilder 59, 104, 113 f., 194 Geometrisches Herdhaus 117 Geschenkaustausch 115,121 Geschichtstheorie 44f., 78, 121 f. Gesellschaft (Begriff) 47 f , 52 f , 61, 87, 93, 115, 121, 132 Goethe, J. W. v. 12,16,19 Grabmal 162 ff. Grimm, J . u . W . 49 Großsiedlung 124, 127 Gründungsdepositorien 142, 168, 170, 181

Gründungssagen 67, U l f , 169, 175ff, 202 f f , 207

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Personen- und Sachregister

Handel 117, 119, 127 Handwerk/Handwerker 80ff., 113f., 117, 119, 126, 156, 206 Heeren, Α. H. 13 Heibig, W. 38 Held (Heros) 159, 161, 164ff„ 169, 176, 181, 187 ff. Heldendichtung/sage 61, 65, 79, 90, 96, lOOf., 102 f., 119 f., 130, 145, 148f., 151, 155, 158 Heldendichtung, mittelalterliche 61 f., 101, 138, 157 Heldenzeitalter 48 f., 150 f., 154, 158> 159 ff., 164, 174, 176-185, 186 Heraklidensage 28, 67, 202 f. Herder, J. G. 9, 19, 22 f., 25 Hermeneutik 16ff., 20f., 22f., 31 f., 43 f., 44 ff., 62 Herodot 208 Heroenkult 108f., 126, 128, 129, 139f., 160 f., 163, 165, 167 ff., 170-174, 178, 181, 186, 205 Heroon 168 f. Hesiod 15,191,206,208 Heyne, Chr. G. 9, 13 ff., 20, 22 f., 25, 69 f. Hexameter 50, 102 ff. Hissarlik 36 Historisches Bewußtsein (in homerischer Zeit) 66 ff., 74 f., 98 f., 111, 121, 123, 137, 143, 146, 149, 158, 160f., 163, 175 ff., 178 f. Historismus 1 3 , 4 1 , 6 1 , 7 4 , 8 1 , 8 3 Holm, A. 39 f. Homerische Geographie 111,136, 153 f., 159, 173, 177, 182, 184 f., 204 Homerische Zeit/Gesellschaft/Lebensformen 59, 63 f., 90, 107, 110, 113120, 136, 145 ff., 151 f., 153, 155 f., 160, 168 f., 188, 195 ff. Homerische Zeit/Staatlichkeit 67, 99, 121, 123 ff., 129-135, 137, 167 Homerlegende 63 Husserl, E. 45 Iliasdichter 155 f., 183, 193, 196, 201 f. Indogermanische Kulturformen 46, 47 ff., 56 f., 69 f., 96 Ionier (ionische Wanderung) 67, llOff., 153 f.

Kant, I. 27 Klenze, L. v. 27 Knossos 47, 106, 109, 167 König 132 ff., 172 Kolonisation U l f . , 123, 125-129, 136, 153, 160, 184 f., 204 f. Kolonisation/Sagen 129, 160, 169 Kontinuität 73-75, 78 f., 81, 83, 88, 93, 105, 121, 140 Korinth 124 f. Kortüm, F. 33 Kulturbegriff 5, 6, 9 f. Kulturgeschichte 7f., U f f . , 13f., 17,20, 29 f., 31 ff., 33 f., 44 ff., 47 f., 52, 7579, 81 ff., 91 f., 94, 97, 115 f., 122 ff., 137 f., 197 ff. Kulturhermeneutik 41,43 Kulturlandschaft 111,121 Kulturvergleich 3 ff., 13 Kultlegende 142, 177 Kunstgeschichte (Stilgeschichte) 52, 81 ff., 105 ff., 113, 156 Kyklopen/Mauern 26 f., 29, 205-208, 209 Lebenswelt (Begriff) 45 f., 59 Lechevalier, J. B. 23 f., 36 Lefkandi 89,94, 105 ff., 108 ff., 113, 116, 167, 195 Lenz, C . G . 23 f. Liedtheorie 18,21,37,39 Löschcke, G. 37 f. Lukian 197 Meinecke, F. 31 Messenien 90, 106 Michaelis, A. 38 Milchhöfer, A. 38 Milet 93 Motivforschung 41, 53, 58, 64, 155 f., 159 Mündliche Dichtung (Oral Poetry) 4, 12, 16 ff., 22 ff., 40, 41 ff., 46,48-54, 57, 62ff., 65ff., 79, 99f„ 102f., 138, 145, 152, 155, 157 Müller, K. O. 27 ff. Müller, M. 35 Mykene 26, 29, 33 f., 36, 40, 89, 93, 173, 207 f. Mykenische Bilderwelt 39, 59, 97

Personen- und Sachregister Mykenisches Epos 42 f., 56, 95, 96 f., 102 f. Mykenische Keramik 25 f., 37, 47, 55, 60, 88 ff., 93 ff., 113 Mykenische Kultur 34, 38, 39, 41 f., 45f., 54-58, 86ff., 106, 151 f., 194f., 197 Mykenische Kultur/Zerstörung 60, 77, 85 ff., 92 f. Mykenische Topographie 49, 54 f., 111, 153 Mykenologie (Sprachwissenschaft) 41, 56 f., 76,91 Mythologie (Wissenschaft) 8, 13 ff., 21, 22 f., 27-30,33 Mythos 47 f., 67, 74, 164, 167, 176, 179, 182, 202 f., 208 ff. "Nationalkultur 44, 60, 70 f., 74, 91 f. Neoanalyse 41,66, 155 Nestorbecher 39, 157, 187, 196-202 Nichoria 107 Nietzsche, F. 30-33 „oikos" 107,113,117 Olympia 122 Opfer 107, 117 ff., 123 Oral History 99, 109, 138, 146 f., 150, 161, 164, 198 ff. Orient/altorientalische Kulturen 3 f., 8, 11 f., 33 f., 47, 55 f., 85 f., 90 f., 92, 96 f., 110, 116, 120, 124, 153 f., 156, 190, 195 Palastverwaltung/Gesellschaft 56, 86 ff., 92 f. Pausanias 208 Pelasger 208 ff. Perate 90,94 Perrault, Ch. 2 ff. Pindar 206 f. Plass, H. G. 27 Poetik 19, 52, 62 f., 64 Positivismus 32, 44 Pylos 89 Querelle des Anciens et des Modernes (Querelled'Homère) 2ff., 16,69 Realie (Begriff) 45, 78 f., 80 ff., 83 f. Reichel, W. 38

237

Reisen 3,5, lOff., 13, 23f., 25f. Relikt/Reliktkult 139 ff., 160, 165, 170 ff., 178, 180 ff., 186, 202 Renaissance, griechische 114 f. Requisiten/-erstarrung 57, 61 f., 65 f., 194 f., 205 Romantik 13, 30, 50, 62, 69 Ruine 43, 49, 61, 137, 160, 176, 181, 202 f., 205 Sagenchronologie 67, 111, 154, 160, 176, 204 Sagenkern 43,49,61, 101, 138, 148f. Sänger/Hörer 5 0 f . , 6 2 f „ 103f., 118ff., 134, 136, 145 f., 149, 152, 155ff„ 164 Smyrna 124 Speisegemeinschaft/Symposion 110, 118 f., 197 ff. Sprachgeschichte 8, 47 f., 56 f., 75 ff., 91, 111, 158 Schiffskatalog 55, 111, 153f., 172f. Schleiermacher, F. E. 20 f. Schliemann, H. 26, 32, 34-37, 39, 49, 54, 56, 151, 197 Schriftgeschichte/Schriftkultur 12, 17 f., 56, 88, 155 ff. Stadteroberung/-zerstörung 130, 148 f. Stoffgeschichte 61, 64, 96, 147 f. Strabo 208 Streitkultur 124, 131-134 Strukturzusammenhang, historischer (Begriff) 44, 46 Tempel 117 f., 121 f., 126, 137, 140 ff. Thermos 118 Thukydides 209 Tiryns 89, 93 f., 173,207 Tradition (Begriff) 73-75, 78 ff., 81, 94 Tradition/mündliche/epische 19 f., 43 f., 45, 52 ff., 58, 60, 65, 73, 79, 97, 103 f., 154 ff. Troia (Troas) 6, 7, 10 f., 23 ff., 34, 36, 42, 47, 85, 88, 173 ff. Troia/Gründungslegenden 174 ff. Troia/Stadtmauer 160f., 174, 178, 181185 Troianischer Krieg 7, 10, 15, 22, 24 f., 42 f., 61, 70, 79, 96 f., 98 ff., 102 f., 111, 146 f., 153 f., 160, 178, 182 Ugarit 85

Personen- und Sachregister

238

Versammlung 123 f., 131 f. Verhältnis von Ilias zu Odyssee 65, 156, 187, 201 f. Völkerkunde 47, 171 Volkssage/Volksepos/Volkspoesie 22, 28, 49f., 57, 69, 100, 145, 163

Welcker, F. G. 29 Wettspiele 115, 122, 157, 171 f. Wieland, Chr. M. 25, 35, 70 Wilamowitz, U. v. 39, 62 Wolf, F. A. 15 ff., 27 f., 49, 52, 69 f. Wood, R. 9ff., 13, 14, 22ff.

Wanderung 77, 87 f., 90 ff., 94, 99, llOf., 154 Weihgaben 114f., 121 f.

Zagora 117 Zeitauffassung 178 ff. Zivilisation (Begriff) 75-83, 85

Verzeichnis der im Text genannten modernen Autoren (20. Jh.) Andreae, B. 59, 156 Àlin, P. 60, 86 f.

Leimbach, R. 196 Lesky, A. 61

Biegen, C. W. 47, 54

MacDonald, W. A. 42 Marinatos, S. N. 197 Meillet, A. 50,51 Meyer, E. 208 Muhlack, U. 16 Murko, M. 50 f., 79

Coldstream, J. N. 171 Davies, J. K. 173 Desborough v. R. d'A. 60 Drerup 118,124 Else, G. F. 61 Evans, A. 56 Fimmen, D. 47 Fittschen, K. 59 Flashar, H. 59, 156 Gray, D. 43 Güterbock, H. G. 43 Hainsworth, J. B. 67 Heubeck, A. 57,67 Heusler, A. 62 Heuss, Α. 63, 129 Himmelmann-Wildschütz, Ν. 59 Hoekstra, Α. 67, 103 Hope Simpson, R. 55

Nilsson, Μ. P. 46, 47-49 Parry, Α. 66 Parry, M. 46, 51 ff., 63, 65 Patzer, H. 66, 200 Petzold, Κ. E. 158 Prinz, F. 67, 202 Reinhardt, Κ. 64, 176, 183 Risch, E. 57,76 See, K . v . 61 Snodgrass, Α. M. 93, 94, 114 Schadewaldt, W. 59, 62-64, 137 Schweitzer, Β. 58 f. Strasburger, Η. 150 Ventris, M. 56

Kirk, G. S. 66 Latacz, J. 74, 148 Lazenby, F. J. 55

Wace, A. J. Β. 47 Whitley, J. 126 Willenbrock, H. 187

Stellenverzeichnis Aristoteles, Ath. 19,5 Bakchylides, epin. 11 Euripides, ΙΑ 265 ff. H F 15 f. El. 1157 Or. 957 Hesiod, Erga 156 ff. Theogonie 139 ff. 504 f. frgm. 43, 44 Herodot 1,56 f. Homer, Uias 1,204-207 214 225 ff. 275 ff. 428 488 ff. 493 ff. 590 ff. 2,100-109 117 f. 155 ff. 169 180 185 ff. 200 ff. 225 ff. 260-272 559 603 3,161 ff. 4,155-182 164 f. 297 ff. 377 ff. 5,302 f. 638 ff. 640 ff. 722 ff. 736-742 800 ff. 6,90 ff. 145-149 357 f. 360 407-439 415 ff. 757 7,67-91 87-90 326-345

209 207 208 208 208 208 151 206 206 208 208 132 132 132 133 180 180 180 206 172 182 172, 188 133 133 132, 172, 188 133 132 150, 178 207 173 134 162 181

196 148 206 175 f. 148 195 192 148

433-463 452 9,23 228 400-417 404 413 524-599 530 ff. 590-605 650-655 10,261-270 379 415 438-441 11,1-217 133 166 ff. 218-595 371 604 621-643 632-637 644 ff. 655-846 656 ff. 670 ff. 79 Iff. 809 ff.

12,8-21 8-33 10 ff. 200 ff. 210-229 322-328 380 ff. 445 ff. 13,3 ff. 240-245 625 712 ff. 14,83-87

118

150 f. 177 200 130 173 163 162 185 184

250 ff. 15,70 309 390 ff. 401 ff. 558 16,20 ff. 100 140 ff.

184 173, 175 165 199 177 173 162 159 148 200 183 193190 174 193 199 190 173, 174 199 174 199 199 196-200 200 199 200 f. 148 200 f. 201 174 160,183 185 183 f. 134 165 206 206 204 192 181

204 162, 165, 179 148 181

192 201 201 181

201 181

188

240

Stellenverzeichnis 456 f. 674 f. 18,102 ff. 203 ff. 369 ff. 497-508 610 617 19,3 59 ff. 365 ff. 374-378 3 82 ff. 392 ff. 20,23 30 144 ff. 160-308 230 ff. 303 ff. 386 490 ff. 21,12 404 f. 441-460 443 515-517 22,134 312-318 23,326-332 676 ff. 24,347 349 602-618

162 162 191 191 206 124 191 191 192 191 191 192 195 185 182 148, 175, 183 174 f. 173 174 206 192 192 171 176 175 182 192 192 170 f. 148 174 173 159

Homer, Odyssee31, 239 f. 2,6-257 3,278 ff. 327 ff. 346 ff. 6,119 ff. 298 ff. 7,48 ff. 80 f. 8,79 ff. 83 ff. 9,105 ff. 177 ff. 240 ff. 10,1 ff. 204 f. 428 ff. 441 11,23 74-78 12,277-352 452 f. 14,324 327 ff. 457-512 19,296 ff. 21,10 Pausanias 2,25.8 Pindar frgm.l69*Snell Platon, Gorgias 484B Plinius n.h.8,56.95 Strabo8,6.11 (372) Thukydides 2,17

205 146 124 173 146 146 205 107 107 173 122 146 206 205 206 205 133 129,133 133 133 173 129, 133 147 190 122 201 f. 122 190 208 206 207 208 208 209