Seneca und die Dichtung

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Seneca und die Dichtung

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B 510500 ! w

BIBLIOTHEK

DER

KLASSISCHEN

ALTERTUMSWISSENSCHAFTEN

Neue Folge - Band 51

]OACHIM(ISINGEL

-

M

S, 40500

(5]

{ifenem und die Dichtung

HEIDELBERG CARL

WINTER

1974

ı UNIVERSITÄTSVERLAG

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

5.10500

i!

Uxori filigeque carissimis |

ISBN 353302327 3 (Ko) ISBN 353302328 1 (Ln) Alle Rechte vorbehalten © 1974. Carl Winter Universitätsverlag, gegr. 1822, GmbH,, Heidelberg Photomechanische Wicdergabe nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den Verlag Imprime en Allemagne, Printed in Germany Satz und Druck: Georg Appl, Wemding-Schwaben

BUWA

VORWORT

Diese Arbeit hat, zusammen

mit Untersuchungen

zu den

Deklamationen Quintilians, im Wintersemester 1971/72 dem

Fachbereich Altertums- und Kulturwissenschaften der Universität Tübingen als Habilitationsschrift vorgelegen. Sie ist inzwischen an einigen Stellen geändert und ergänzt worden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat meine Arbeit durch ein Habilitationsstipendium gefördert, für das ihr — wie

für den Druckkostenzuschuß — auch an dieser Stelle gedankt sei. Fiir Hinweise und Kritik danke ich Hubert Cancik, Walter Jens, Richard Kannicht, Giinther Wille, Ernst Zinn und meiner Frau, die auch die Korrekturen mitgelesen hat. Tiibingen, im Januar 1974

J.D.

INHALT

Einleitung

. . . . . . ..

...

L.

L.

..

m

. .. . . | . . . . . . einige

20 28 39 48

1. Senecas Poetik 1. 2. 3. 4. 5.

Das platonische Muster . . . . . . . . Das Wort des Dichters als Appell . . . . Die unphilosophische Absicht der Dichtung Der Ausschluf der Tragiker . . . . . . Kunst, Dichtung und Grammatik: über

Mißverständnisse

. . . . . . . ..

..

L.

59

1. Die Kritik und ihre Miffachtung . . . . . ...

65

2. Die Negation der Oedipus .« Phoenissert . . Thyestes . . . Agamemmon . Troerinnen . . Phaedra . . .

72 72 80 84 90 92 94

II Senecas Tragddien

Medea

Philosophie . . . . . . .. . . . . .o . . . . ... .. ... . . . . ... ... ... . . . . . . .. ... ... . . . . ... ... ... . . . . .. .. ... ...

. . . . . . ..

...

...

Hercules furens . . . . . . . . . .. Folgerungen . . . . . .., . ...

.

...,

100

... ...

109 115

3. Mythusund Realität . . . . . . . . . . .. Hercules, der Tyrannenmorder . . . . . . . . Anspielungund Symbol . . . . .. ... L. Literatur

. . . . . . ...

..o

L.

121 121 130 135

EINLEITUNG Daß Senecas literarisches Werk zugleich philosophische Schriften und Dichtungen umfaßt, hat seine Interpreten seit dem Mittelalter iminer wieder veranlaßt, beides als Teile eines einheitlichen Ganzen anzusehen. Dabei versteht es sich gemäß einer Gewohnheit europäischen Denkens von selbst — doch scheint es mir nicht überflüssig, darauf hinzuweisen —, daß nicht etwa Senecas Tragödien! die Würdigung seiner Philosophie bestimmt

haben,

sondern

daß seine Tragödien

im

Sinn seiner Philosophie aufgefaßt worden sind, d. h. als mo-

ralische Belehrung in poetischer Form. Der

mittelalterliche

Tragödienkommentator

TREVET schreibt: «Cuius (d. h. Senecas)

NICOLAUS

doctam maturitatem

in arduo virtutum culmine obversantem ad scribendas tragedias reor inclinatam, ut more prudentium medicorum, qui amara

antidota melleo involuta dulcore, gustu inoffenso ad

humorum purgamentum et sanitatis fomentum transmittunt, cthica documenta fabularum oblectamentis inmersa cum iocunditate mentibus infirmis ingereret, per que, eruderatis vitiis, uberem

virtutum

segetem

iniectis

seminibus

procre-

aret.»? Hier ist die Poetik des Luctez auf Seneca angewendet: 1 Von der Apocolocyntosis und den Epigrammen kann ich hier absehen. In der Antwort an Kardinal ALBERTI, der ihn um die Kommentiervng gebeten hat, zitiert nach E. FRANCESCHINI, Studi e note di filologia latina medievale, Milano 1938, 30. Die Rezeption der Tragddien Se-

necas von der Antike bis zum 15. Jahrhundert beschreibt M. PASTORESroccH, Un chapitre d’histoire littéraire aux XIV® et XV° sidcles: Seneca poeta tragicus, in: JACQUOT, Les tragédies de Séndque, 11~ 36, Zum «Vorhumanismus» jetzt A. CH. MEGAS, ‘O mgoovpavioti-

wbg wimhog e Mdovag (Lovato Lovati — Albertino Mussato) xai ol vorywdieg ot L. A. Seneca ... Thessaloniki 1967.

2

Einleitung

Einleitung

der Philosoph als Arzt, seine Lehre als bittere Medizin; damit

Ganz anders beschreibt im 19, Jahrhundert LEOPOLD VON RANKE die Philosophie dieser Tragödien. Sie erscheinen ihm «als Produktionen eines poetisch angeregten Philosophen», und er verweist dazu auf die «psychologische Analyse», die «politischen Erörterungen», das Fragen nach der «Einwirkung der Götter auf die menschlichen Dinge», die Vorliebe für «das Grausen der Unterwelt, das verderbliche Wirken der geheimen Kräfte»,? Das sind freilich Dinge, die von den Dichtern, besonders den Tragikern, schon immer behandelt worden sind.

der Patient sie schluckt, muß sie mit den Mitteln der Dichtung versüßt werden.? Ging es Seneca nach TREvETs Meinung um die Moral seiner Zeitgenossen allgemein, so sieht dreihundert Jahre später

DanieL HEINSIUS vor allem Nero als den Adressaten an:* «Cui cum venisse carminum amotem, ut est apud Tacitum, vidisset, simul et occasionem istam occupavit, et austeritatem discipli-

nae, qua uti non poterat, prudenter temperavit.» Dabei hat

Heinsius die bekannte Stelle der Annalen mifverstanden: Nicht von Neros Vergniigen an Senecas Gedichten ist dort die Rede, sondern von dem an seinen eigenen, die Seneca iibertreffen wolle® Wie HEInsıus sich die beabsichtigte Wirkung

der Tragddien auf Nero dachte, zeigen die Worte, mit denen er ihren als aktuell empfundenen moralischen Nutzen charakterisiert: «Quae sermonis castitate et sententiarum gravitate facile id evincunt: vitam autem tum civilem, tum privatam, prudentissimis praeceptis informant» — Senecas Tragödien als

13

Mancher Satz RANKEs liest sich, als wäre er nicht über Seneca,

sondern über Euripides geschrieben: «Die Uatiefen namentlich des weiblichen Gemiiths hat vielleicht Niemand mit gröBerem psychologischen Scharfsinn ergriffen ...» RANKE spricht denn auch statt von einer stoischen Moral der Tragsdien von ihrer «triiben Lebensanschauung». Die neuere Forschung hat, soweit sie Senecas Dramen als Ausdruck seiner Philosophie interpretiert, nicht den Ansatz RANKEs weitergeführt, sondern eine Deutung entwickelt, wie

Anstandsbuch.®

sie bel TREVET und HEINSIUS begegnet. (Dieser Tradition ist

$ Lucrez 1,935-950 u. 4,10-25,

man sich freilich nicht bewußt.) Nach T. Birt war Senecas Zweck «kein dichterischer, sondern ein padagogischer», «ein rein moralistischer, ethischer».® Bestimmt waren seine «grausamen Abschreckungsbilder, denen die Moraltendenz der Stoa, der Feindin aller freien Leidenschaft, an der Stirne ge-

4 Im Widmungsbrief zu seinen Tragddienanmerkungen, die zusammen mit seiner Edition zuerst 1611 erschienen. Ich zitiere nach dem Abdruck in der Ausgabe von P. Scriverius, Lugd. Batavorum 1620, 2.

schrieben steht», fiir den kaiserlichen Schiiler Nero.®

nenerer Zeit ist ihm KNOCHE, Senecas Atreus 63, zum Opfer gefallen.

In U. KNocHEs folgenreichem Aufsatz heißt es: «Senecas Tragbdie war ihrer Absicht nach eine philosophische. Ihr Inhalt war also erhabener, als daf ihre Aufgabe die Zerstreuung

Teil, 280£. 5 Tacitus, Ann. 14,52,3. Das Mißverständnis der Stelle paßt vorzüglich zu einer motalphilosophischen Deutung der Tragödien Senecas. In

Unklar auch schon BirT, Was hat Seneca gewollt 347 u. 352 S Das wird von THOMAS FARNABIUS in der Vorrede seiner Ausgabe {Amsterdam 1623, hier zitiert nach dem Druck von 1632, S, A 3) in bezeichnenden Bildern ausgemalt: «Huc (d.h. in das Theater Sene-

cas) vel ipse Cato intret, expectet, spectetque, Neque enim hic prodeunt

veste

exuta

mimae

aut

nudatae

uxores

Summoenianae;

sed

graves matronae, cothurnatae deae. Namque hic philosophia dominatur cothurnata, personata regnat Stoa ...»

des Zuhörers hätte sein können. Sie bezweckte vielmehr in

7 Tragodien Seneca’s 69-71. & Was hat Seneca gewollt 336f, 9 Was hat Seneca gewollt 347, Bırts These fand Zustimmung u. a. bei MONSCHIR, Senecas Werke 85; WEINREICH, Apocolocyntosis 41; SırpLE, Politischer Erzicher 43ff.; RICHTER, Problem der Bildung 102,303; EGERMANN, Dichterphilosoph, passim. Vgl. auch unten Anm. 12.

1

Einleirung

Einleitung

einer philosophisch bestimmten Weise die Willenserweckung und Willenslenkung.»" B. MaRTI vergleicht, wie schon TREVET es getan hatte, Senecas Verfahren mit dem des Lucrez: «His aim always remained the teaching of philosophy, but since it was proving a bitter pill for his contemporaries to swallow, he used the dramatic form as sugarcoating, somewhat as Lucretius before him had used poetry to make Epicureanism more palatable.»™ In den letzten Jahren haben sich die Interpretationen und Darstellungen, die ein solches Verstindnis der Tragédien Senecas propagieren, gehäuft.!? Demgegeniitber mochte dieses Buch zeigen, daf das Insistieren auf einer moralisch-philosophischen Tendenz das Wesen der Tragddien Senecas verfehlt. Ich verstehe, mit anderen, Senecas Tragodien als autonom poetisch. Dabei dient «poetisch» vorerse lediglich als positiver Terminus statt des negativen «unphilosophisch». Wie der Begriff «poetisch» inhaltlich zu fiillen ist, soll gleich noch angedeutet werden, doch kann verbindlich erst am Schluß der Untersuchung davon die Rede sein. Das poetische Verständnis der Tragddien ist historisch eng mit der Frage von Senecas Verfasserschaft verkniipft, die zu-

erst seit dem 14. Jahrhundert — für alle Stücke oder für einen

15

Teil — bestritten wurde.!* Wer Senecas Autorschaft bezweifelte — wie ERasMus™

oder

LEessing®

—, hatte

natürlich

keinen

Grund, die Tragödien als Ausdruck stoischer Philosophie zu deuten. Doch war das poetische Verständnis nicht an diese Bedingung gebunden. Vielmehr ist es bis heute durchaus üb-

lich, die Tragödien auch des Philosophen auf die literarische Gattung zu verpflichten, der sie nach ihren äußeren Merkmalen angehören. Im Bemühen, die ästhetische Eigenart der vermeintlich un-

cchten Senecatragödien zu fassen, hat schon das 17. Jahrhundert eine Eigenschaft an ihnen notiert (und ihnen teilweise zum Vorwurf gemacht), die dann im 19. und 20. Jahrhundert die Beurteilung auch der echten Stiicke bestimmte: «rhetorisch», * ‘genaver: «deklamatorischy. Dieses Urteil lag nahe, wo Seneca der Altere fiir den Autor gehalten wurde, doch blieb sie kei-

; neswegs auf die ihm zugeschriebenen Stiicke beschrinkt. So fand Hemstus die Sprache der vermeintlich vom Rhetor stammenden Tragödien «deklamatorischer»

als die seines Sohnes,

bezeichnete aber auch den fiir ihn anonymen Autor der Phoe-

nissen als «declamator».* Das Verdikt wurde durch A. W. SCHLEGEL klassisch,'” durch F. Leo für die Fachwissenschaft lange Zeit verbindlich.®

1 Senecas Atreus 64.

2 Seneca’s Tragedies 219. Das MarTische Konzept iiberzeugender zu begriinden, versucht N. T. PRATT, Jr., The Stoic Base of Senecan Drama, TAPhA 79, 1948, 1-11,

18 Als antiker Kronzeuge hat dabei immer wieder Sidonius Apollinaris

fungiere (Caem. 9,230f.). Zu seinem Irrtum vgl. Bırr, Was hat Seneca gewollt 359f; TRiLLITZSCH, Seneca Bd. 1, 189f.

%® Ich verweise besonders auf die im Literaturverzeichnis genannten Arbeiten von K. voN Frirz, J.-M. CroisitLe, G. MAURACH, J. D. BrsHoP, E. LEFEVRE, C. ZiNTzEN. Vgl. auch TRILLITZSCH, Seneca Bd. 1,

16. 43; MAzzoL1, Seneca ¢ la poesia, passim; M, FUHRMANN, Seneca, in: Die Grofen der Weltgeschichte Bd. 2 (hrsg. von K. FaBmann),

1 Im Ciceronianus fällt die Bemerkung: «Nam tragoediae quae proban-

tar a doctis, vix videntur a Seneca scribi potuisse», DESIDERN ERASMI Roterodami opera omnia, tom. I, Lugd. Batavorum 1703, 1006 B, 1 Den Zweifel driickt seine Jugendschrift schon im Titel aus: «Von den

Berlin 1930, 89-166, hier 160} und M. PoHLENZ (Stoa Bd. 1, 324-327}

lateinischen Trauerspielen welche unter dem Namen des Seneca bekannt sind». LESSING hat auch spiter an seiner Skepsis festgehalten. %® In der Ausgabe des SCRIVERIUS (s. oben Anm. 4) 286 u. 300. ¥ Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, Stuttgart usw. 1966, 1. Teil, 234. SCHLEGEL zweifelte an Senecas Autorschaft.

cun,

1 Observationes criticae 158.

Miinchen

1972, 294-309, hier 302. FUBRMANN

modifiziert die These,

wic dies erwa auch J, GEFFCKEN (Der Begriff des Tragischen in der Antike, in: Vortrige der Bibl. Warburg, Vortrige 1927-1928, Leipzig-

16

Einleimng

Einleirung

Die Vertreter der philosophischen und der poetischen Interpretationsweise unterscheiden sich in ihrer Methode. Die Anhänger einer philosophischen Deutung gehen vom Stoizismus Senecas aus, wie er sich in den Traktaten darstellt. Aus seinem

die Dichtung einbeziehenden Moralismus wird auf den ethischen Zweck der Tragödien geschlossen; dieser Zweck wird

dann an den Stücken im einzelnen demonstriert. Mit der theoretischen Grundlage der philosophischen Interpretation haben sich die Befürworter einer poetischen Deutung bis heute nicht wirklich auseinandergesetzt.” Zumeist haben sie sich darauf beschränkt, sie pauschal abzulehnen; nicht sel-

ten ist das Postulat einer philosophischen Tendenz der Tragödien einfach ignoriert worden. Wer sich gegen dieses Postulat wendet, muß also zundchst priifen, ob sich Dichtung und Ethik in Senecas philosophischen Schriften wirklich so verhalten, wie man es in diesem Zusammenhang zu behaupten pflegt. Dabei muß gelten, was eigentlich selbstverstiandlich sein sollte:.dafé für Seneca nur Seneca verbindlich ist, nicht Epi-

ktet oder Marc Aurel oder gar «die Stoa», Man hat, zum Schaden der Sache, immer wieder die Unterschiede ignoriert, die zwischen den Vorstellungen der Stoiker bestehen. Divergenzen gibt es bei ihnen auch im Verstindnis von Dichtung. So inter%® Vgl. z. B. HERZOG, Datierung 62; G. C. GIARDINA, Caratteri formali del teatro di Sencea, in: Due studi sul teatro di Seneca, Universita

... Bologna, Studi pubbl, dall’ ist. di filologia classica 13, 1963, 97

131, hier 110-114; GriMaL, Les tragédies de Sénéque S, ZIEGLER,

Tragoedia 2006, verwirft die Annahme einer besonderen pidagogischen Tendenz Senecas und betont stattdessen die seiner Meinung nach für Seneca giiltige Tradition

der hellenistischen Poetik,

«die

dem Dichter das dgehsiv ebensosehr wie das Ttomsıy zur Pflicht machtes. Auch REGENBOGEN verweist hie und da auf den moralischen Aspekt, wenn auch undeutlich: Schmerz und Tod 440f. («den sozu-

sagen moralischen Hintergrund groRartig vertiefend»). 442 («der Dichter und Prediger Seneca»). REGENBOGENS Urteil über den Tragiker

Sencea ist stark vom Hercules Oetaeus bestimmt, den er für echt hielt,

17

pretiert Epikeet den Ausruf des Sophokleischen Odipus i

Kibarpdv®® als das zwangslaufige Ergebnis einer mit gesellschaftlicher Exponiertheit einhergehenden Selbsttauschung,® während dies Zitat bei Marc Aurel vorbildliche Leidensfshigkeit evoziert, entsprechend seiner Uberzeugung, daß die Gattung Tragodie eingefiihrt wurde, damit die Zuschauer sich in das Ungliick der «größeren Bühne Welt einüben.? Es wird sich erweisen, daß Senecas theoretische Auerun-

gen bisher im Hinblick auf seine eigene Dichtung fehlgedeutet worden sind. Entgegen landliufiger Meinung zeigen auch sie, daß die Tragödien poetisch verstanden werden miissen. Die theoretischen Äußerungen reichen freitich micht hin, dieses Poetische genauer zu bestimmen; nur die Dramen selbst können dazu verhelfen. Deshalb wird sich an die Darstellung der Senecanischen Poetik eine Untersuchung der Tragédien anschlieBen. Die Interpretation der Stiicke wird daranf hinauslaufen, daß die Tragödien nicht aus Senecas Philosophie, und doch

= nur aus ihr, zu erkliren sind. Dies freilich nicht so sehr deshalb — vordergriindig und altbekannt —, weil die Dramen überall stoische Vorstellungen präsentieren,® sondern weil sie die poetische Negation stoischer Vorstellungen sind.

* Sophokdes, 0. T. 139%; vgl. K. REINHARDT, Sophokles, Frankfurt/M. 51947, 141£. z B Arrian 1,24,15#,

® Marc Aurel 11,6, Beide Stoiker zielen nur auf die Leidenssituation ab. Der mythische Odipus und das er unterworten ist, bleiben außer Betracht. — Nähe zu Marc Aurels zeigt Seneca, Ad. Pol. 11,5%; vgl. unten S.

exemplarische Schicksal, dem der Auffassung 42€,

als solchen höher geschätzt hätte als Tragödie und Komédie.

*# Zum

denn auch an anderer Stelle, in der Trostschrift für Marcia,

digt; es ist keine Rede davon, daß Seneca etwa den Mimus

* Wie MAGUINNESS,

Publikum

des Mimus

s. ReicH,

Mimus

142-156,

zur Protek-

tion der Herrschenden 182-204. Den Zugang zu neveren Aspekien

Seneca and the Poets 84; MazzoLy, Seneca e la

und zur neueren Literatur vermittelt jetze am bequemsten K, VRETSKA,

* Gemeint sind sicher die rémischen: Non attingam tragicos nec to-

1 Die antiken Zeugnisse über Publilius Syrus sind gesammelt in der Tusculum-Ausgabe seiner Sentenzen (hrsg. von H. Brcksy, Minchen

griechische bzw. «räzisierende Komödie (palliata) genannt sein. Au-

1969), 65-77. 16 Senecas Verhilinis zum Mimus behandelt ReIicH, Mimus 69-74. ” Vgl. De ira 2,11,3. Uber die sckundire Herkunft der Zirate aus La-

poesia 71.

gatas nostras; das Possessivpronomen bezieht sich auf beide Glieder. Wire die griechische Tragddie mitgemeint, dann müßte auch die

Kerdem ist der dann folgende Mimendichter wieder ein Romer,

Mimus, Der kleine Pauly 3, 1969, 1309-1314.

berius und Syrus MAZZOLL Seneca e la poesia 202-204.

3 Dingel, Sencca und die Dichtung

34

1. Senecas Poetik

2. Das Wort des Dichters als Appell

anfithren wie Sentenzen aus dem Mimus: Ecce nescioqui non ex philosophorum domo clamat, ex medio conventu populos gentesque damnatura vox mittitur: «Non hospes ab hospite tutus» etc.*® Ganz wie im 8. Brief stehen sich hier dichterische und philosophische Äußerung gegeniiber, wird die dichterische der philosophischen gleichgeachtet. Bemerkenswert ist die von Seneca imaginierte Rolle dessen, der diese Verse spricht: Es ist ein anonymer Rufer in einer versammelten Menge. Das ist eine Senecas, und eine sehr erhel-

lende, Seneca abstrahiert einerseits vom literarischen Genus

und vom jeweiligen Kontext, stellt sich aber andererseits eine dichterische Formulierung als konkreten Aufruf an ein Publi-

kum vor.

Warum

18st Seneca

Kontext, warum

die Sentenzen

aus ihrem poetischen

zieht er vor, daf sie innerhalb eines philo-

sophischen Zusammenhangs dargeboten werden (Ep. 108,9)2 Seneca

hat diese Frage

nicht erörtert;

doch

läßt sich seine

Meinung indirekt ziemlich sicher eruieren. Im 115. Brief zitiert Seneca Verse des Euripides (14): Pecunia, ingens generis humani bonum, cui non voluptas matris aut blandae potest par esse prolis, non sacer meritis parens;

tam dulce si quid Veneris in vultu micat, merito illa amores caelitum atque hominum movet.®

Dazu berichtet er (15), daR die Zuschauer sich auf diese Worte hin erhoben und den Abbruch der Aufführung verlangten, bis Euripides selbst eingriff und sie abzuwarten bat,

welches Ende der Bewunderer des Goldes nehmen werde. In der betreffenden Tragödie aber habe Bellerophontes die Stra-

'® De benef. 5,15,3: Ovid, Met. 1,144-146. ist auch in De ira 2,9,2 zitiert.

Dicselbe Stelle (bis V. 148)

%9 Fr. 324 NaUCK®. Zur Frage, ob das Fragment dem Bellerophontes oder der Danae (so NAUCK) zuzuweisen ist, s. unten S. 1.

35

“ Te erlitten, die jeder Mensch in seiner (gelebten) Tragödie er-

; leide: Dabat in illa fabula poenas Bellerophontes quas in sua quisque dat?® Es handelt sich hier um eine jener Anekdoten, die von der Reaktion des Publikums auf Maximen einer Bühnenperson berichten, So sollen, als im Afolos des Euripides die Worte 5 fielen TL 8° aloyodv Av In wolor yowpévers Soxii;, die Athener protestiert und Antisthenes daraufhin den Vers gerufen haben: Aloyxodv 16 y' oloyody, v Boxfj xdv pf 80472 Und Cicero erzählt in den Tusculanen (4,63), Sokrates habe bei der Auffithrung des Euripideischen Orestes die Wiederholung der drei ersten Verse verlangt (die Cicero an dieser Stelle übersetzt).

Auf der Bühne gesprochene Maximen provozieren das Publikum, sei es zum Beifall,® sei es zum Widerspruch. Denn es gehdrt zum Wesen der Sentenz, daß sie sich verabsolutieren läßt, ja daß sie verabsolutiert sein will (siehe LEssing und ScHILLER). Die Sentenz stellt den unmittelbaren Bezug

zur Wirklichkeit des Zuschauers her, sie kann seine konkrete Situation in so starkem Maße evozieren, daß er aus der Illu-

sion ausbricht. Zwar zeigt der beschriebene Auftritt des Euripides, daß Leute, die mehr von Literatur verstehen, solche gefährlichen ;.Maximen nicht, zumindest nicht nur, isoliert betrachten, sondern sie im Zusammenhang des ganzen Dramas sehen. (Zu den Verständigen gehören in diesem Fall der Dichter und die Erzähler

der Anekdote,

also

auch

Seneca.)

Doch

zeigt die

Anekdote eben auch, daß weniger verstindige Leute das Gegenteil tun. Und dies ist fiir Seneca offenbar der entschei-

% Zum Bild Leben als Theaterspicl vgl. Mazzoty, Seneca € Ia poesia 123. Wesentliche Konsequenzen für Senecas Verhältnis zur Dichtung ergeben sich nicht. %1 Plutarch, De poetis aud. 33 C: Euripides, Fr. 19 Navck®. 22 Vgl, Ep. 108,8f. und dazu oben S. 30.

36

2, Das Wort des Dichters als Appell

J. Senecas Poetik

37

dende Gesichtspunkt.” Denn die inkriminierten Verse sind das letzte einer ganzen Reihe von Beispiclen, die einen be-

Publikums,

stimmten Sachverhalt illustrieren.

die

Gnomologium — selbst die Devise des Zynikers zum Appell. Es kommt dann zwar vor, daß die Zuschauer rebellieren. Es gibt aber auch eine ganz andere Reaktion: daß ein Zuschauer — méglicherweise ein gesellschaftlich exponierter — den zyni-

sie das Gold ver-

schen Helden als Modell für sich selbst vetsteht. Die Biihnen-

Es geht darum, daß die Menschen in ihrer Uneinsichtigkeit den Reichtum schätzen und die Armut verachten — ein auch personliches

Problem

des Ethikers

Seneca —*

Dichter sie darin noch bestirken, indem

und

daß

die ihm beweist, daf auch gefihrliche Sentenzen

yerabsolutiers werden. So wird im Theater — und später im

herrlichen (Ep. 115,12): Accedunt deinde carmina poetarum,

figur wird dann zum Katalysator fiir verhingnisvolle Aktivi-

quae adfectibus nostris facem subdant, quibus divitiae velut unicum vitae decus ornamentumque laudantur. Nibil illis melius nec dare videntur di inmortales posse nec habere. Es folgen zwei Zitate aus Ovids Metamorphosen, Verse, die den goldenen Palast des Sonnengottes und seinen goldenen Wagen beschreiben,® Es schließt sich die Bemerkung an, daß

täten des einzelnen in der Gesellschaft.

die Dichter dasjenige Zeitalter, das sie als das beste kannt sehen wollen, «goldenes Zeitalter» nennen.?

aner-

Und dann kommt etwas abrupt ein Hinweis auf die griechische Tragödie (14): Nec apud Graecos tragicos desunt qui lucro innocentiam, salutem, opinionem bonam mutent. (Es folgen Zitate, zuletzt die Euripidesverse.)

sem Zusammenhang

Das

kann

in die-

nur heiffen, daß die griechischen Tra-

giker, ebenso wie die anderen Dichter, die Menschen in ihrer

Wertschitzung des Reichtums bestirken. Zwar impliziert die sich anschließende Euripidesanekdote eine Relativierung dieser Aussage, aber Seneca führt sie augenscheinlich nicht an,

weil ihn das Problem des rechten Verstindnisses dramatischer Gnomik interessiert, sondern wegen der Reaktion des

® Diese Tendenz verkennt ZINTZEN, Virtus animosa 152, % Vgl. POHLENZ, Stoa Bd. 1,312, % Ovid, Met. 2,1f. u. 107£. Vgl auch Sencca, Ep. 87,8, gegen Vergil, Aen. 7,277-279. % Zu diesem Motiv vgl. B. GATz, Weltalter, goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen, Spudasmata 16, Hildesheim 1967, 128, Uber die für Seneca besonders wichtige Stilisierung der Neronischen Epoche als eines «goldenen Zeitalters» GATZ 136-138.

Dies spricht Seneca in einer anderen Schrift gleich zweimal aus. Und es ist gewiß kein Zufall, daf er es in De dementia tut, einem Werk, das Nero gewidmer ist. Im 1. Buch dieser

Abhandlung heißt es (12,4):

et illo execrabili versu, qui

multos praecipites

«Oderint, dum

dedit, utitur:

metuant.»™

Die unmoralische Maxime eines Biihnenhelden — es handelt sich um den Atreus des Accius — hat demnach als Richtschnur

gedient

und

den,

der sich an

sie hielt, ins Unglück

gestiirzt. Man weiß, daß Caligula den Vers des Accius im Munde fiihrte,? subinde iactabat, heißt es bei Sueton (Cal. 5 30,1). Wie populdr solche Maximen werden, ist im 2. Buch von De clementia ausgesprochen (2,2): ... multas voces magnas, sed detestabiles, in vitam humanam pervenisse celebresque volgo ferri, ut illam: «Oderint, dum metuant», quoi Graecus versus similis est, qui se mortuo terram misceri ignibus inbet,™ et alia buius notae. Sentenzen also können den Menschen gefihrden, vor allem

solche, die, wie der Vers des Accius, den Charakter eines gefliigelten Wortes angenommen haben. Aber sie kénnen auch

27 Vgl. De ira 1,20,4¢. Ahalich schon Cicero, Philipp. 1,34. » Accius, Atreus Fr. V (V. 203f.) RIBBECKS. 2 Wie Ciisar eine Stelle aus den Euripideischen Phönissen (524£): Cicero, De off, 3,82, danach Sueton, Div. Inl. 30,5. % Der Acciusvers: OTT0, Sprichwörter 252, 5 Fr. trag. adesp. S13 NAUCK®.

38

L Senecas Poetik

in ihrem ursprünglichen Kontext mißverstanden werden. Denn das in der Anekdote von der Aufführung des Bellero-

phontes gegebene Modell Jäßt sich nicht auf alle Tragödien

übertragen. Mochte nämlich nach dieser Anekdote der Zu-

schauer, wenn er nachdachte, die anstößige Maxime des Hel-

den zu seinem kläglichen Ende in Beziehung setzen, so fehlt am Schluß anderer Stücke nicht selten jener auch für das

naive Publikum sinnfällige Sturz des Bösen, der verwerfliche

Prinzipien proklamiert hat, Dies gilt zumal für Seneca: Atreus, Medea, Aegisthus — sie werden eben nicht bestraft (Medea:

nicht einmal in der außerhalb des Dramas liegenden Fortset-

zung des Mythus).

39

3. Die unphilosophische Absicht der Dichtung Dichtung, insbesondere dramatische, ist also mißverständ-

lich. Hierauf bezieht sich der Vorbehalt des Philosophen. Da-

bei muß beachtet werden, daß Seneca die Mehrdeutigkeit der Poesie offenbar als unabiinderlich hinnimmt. Nirgends hat er verlangt, daß ein dramatisches Geschehen dem naiven Zuschauer einsichtig oder für den gefihrdeten Zuschauer heilsam sein miisse, nirgends hat er eine Dramaturgie des «Fabula docet» proklamiert. Ja, er hat nicht einmal angedentet, daß Dichtung dieser Art überhaupt moglich sei.

In den Auferungen Senecas über das Ziel der Dichtung witt denn auch nirgends der Aspekt des Lehrhaften und Niitztichen hervor.! Selbst über Vergils Georgica urteilt er — es ist das einzige Mal, daß er sich zu einem «Lehrgedichts äußert —, daß der Dichter non quid verissime sed quid decentissime® diceretur aspexit, nec agricolas docere voluit sed legentes de; [ectare (Ep. 86,15). Er begriindet dies Urteil, indem er eine Angabe Vergils gegen das hilt, was er selbst beobachtet hat. Diese Beobachtung ist allerdings nicht unbedingt verbindlich, und selbst wenn sie es wäre, könnte ein Fehler des Dichters

picht beweisen, daß er keine lehrhafte Tendenz verfolgt.®

Doch ändert das nichts daran, daß Seneca im Prinzip Recht hat und daf er modernes Urteil antizipiert:* Vergils «Lehr1 Außerungen wie Ep. 75,5 Non delectent verba nostra sed prosint beziehen sich allein auf die Worte des Philosophen. Sie auf Dichtung

anszudehnen — Mazzovl, Seneca € Ia poesia 27 —, ist unzulässig.

¢ Vgl Nat. quaest. 2,44,1, wo iiber die Vorstellung, Jupiter benutze Blitze von verschiedenem Gewicht, geurteilt wird: Poeticam istud

licentiam decet. (Es folgt Ovid, Met. 3,305-307.}

3 Richtig LANA, Seneca e Ia poesia 390.

4 Vgl. z.B. W. RicHTER, Vergil Georgica, Miinchen 1957, 6¢; E. ZINN, Vergil, Lex. d. Alten Welt (1965) 3205-3212, hier 3207£. — Kritik an Senecas Urteil übte Reng Rapin, Hortorum libri IV (1665, ediert von

40

3. Die nnphilosophische Absicht der Dichtung

T. Senecas Poetik

gedicht» will mehr als nur im technischen Sinn belehren, es hat einen umfassenderen Zweck, den Seneca allerdings mit delectare, dem konventionellen Gegenbegriff zu docere, nur

unvollkommen bezeichnet.

Die Ars poetica des Horaz sieht drei Möglichkeiten vor, in denen diese Ziele der Dichtung auftreten können (333£): Aut prodesse volunt aut delectare poetae, | aut simul et incunda et idonea dicere vitae, also 1. prodesse (= docere) al-

lein, 2. delectare allein, 3. prodesse und delectare zusammen. Vor dem Hintergrund einer solchen zur Anschauung Platons schon hingewiesen worden. Besondere Bedeutung für die Vermittlung Platonischer Doktrin kommt der Neueren Akademie zu,® die, was die Bewertung der Poesie angeht, die Abneigung ihres Archegeten teilt. Zur Ilustration können die Ausfithrungen dienen, die Cicero in De natura deorum dem

Aure-

lius Cotta in den Mund legt.?? Fiir den Stoiker Seneca

wiirde man sich den Zugang zu

Platon am ehesten durch Panaitios und Poseidonios vermittelt denken. Panaitios gilt in der antiken Doxographie gera-

dezu als Platoniker.® Doch könnte ein Einfluß der «mittleren Stoa» allenfalls dafiir verantwortlich sein, daß Platonische Gedanken iiberhaupt aufgenommen werden. Daß diese Philosophen nämlich Platons besonderes Verhältnis zur Dichtung geteilt und vermittelt hitten, dafiir fehlt jeder Anhalespunke. Im Gegenteil: Wenn Poseidonios, der Panaitiosschiiler,

definiert: ITolnows 8¢ 2om ompavriedy molnuo, piynow wegiyov seiner Tragddien, daß dies Prinzip für ihn nur theoretische Bedeutung hatte. Vgl. DE Lacy, Stoic Views 263-271.

1 Dazu u.a. H. HUNGER, Allegorische Mythendeutung in der Antike

und bei Johannes Tzetzes, Jb. d. Osterr. Byzantinischen Ges. 3, 1954, 35-54; J. PEpiN, Mythe et aliégotic, Les origines grecques et les con-

testations judéo-chrétiennes, Paris 1958; M. vON ALBRECHT, Allegorie, Lex. d. Alten Welt 121-124; CurTius, Europäische Lireratur 211ff. u. 6. Zur Allegorese der Stoiker vgl. auch DE Lacy, Stoic Views 257— 263. 2# Ep. 88,5, vgl. STUCKELBERGER, Senecas 88. Brief 104-106.

# Die Stelle steht im Kontext ciner Polemik gegen die Grammatiker, die den Anspruch erheben, Tugend zu lehren. Um ihren Ansprach noch griindlicher zu widerlegen, macht Seneca das rhetorische Zu-

gestandnis Demus illis Homerum philosophum fuisse: Dann habe

Homer seine Weisheit erworben, bevor er Dichtung kennen lernte, und man miisse folglich das lernen, was ihn weise gemacht hat, nicht, was die Grammatiker' sekundär aus ihm herauslesen. Dieser Sachverhalt erscheint völlig verdreht bei Krauss, Vergil-Zitate 27: «... Ho-

mer, den Seneca ... sogar über jeden Philosophen stellt, deshalb, weil man bei ihm erwas über die virms erfährt ... So heißt es ep. 88,4 im Hinblick auf ihn: si docent (scil. grammatici virtutem) philosophi sunt. Mit anderen Worten: Seneca hält Homer nur deshalb für den größten Dichter, weil er ihm zugleich der größte Philosoph ist.» Nichts davon steht im Text. Was den Satz si docent ... betrifft, so fällt er in einem ganz anderen Zusammenhang: Grammatiker lehren keine Tugend; wenn sie es doch tun, sind sie keine Grammatiker, sondern Philosophen. % Mit Gedanken Platons mag Seneca auch durch den Neupythagoreismus in Berührung gekommen sein, dem er in seiner Jugend anhing, vgl. Ep. 108,17-22. 3,76f. 91 (Polemik gegen die Stoiker). Zu Cicero vgl. E. MALcovarı, Cicerone e la poesia, AFLC 13, 1943. # Testimonien: Fr. 55-59 VAN STRAATEN; vgl. POHLENZ, Stoa Bd. 1,194f. Bd. 2,98, Poseidonios und Platon: K. REINHARDT, Poseidonios von Apameia, der Rhodier genannt, RE 22, 1953, 558-826, hier 624f.

46

3. Die unphilosophische Absicht der Dichtung

I Senecas Poetik

47

delov xal dvigoneiov,* dann ist deutlich, daß er Dichtung

Denn Seneca war auch als Dichter kein Epikureer; ein Epi-

in ganz anderer Weise ecnst nimmt als Seneca.®® Nun wird aber das Verhiltnis, das die Akademie zur Dichtung einnimmt, von den Epikureern weitgehend geteilt. Wie-

" kureer schreibt keine Tragödien, sondern höchstens Epigramme, wie Philodem. Lucrez ist die große Ausnahme. Doch gerade er kann nicht als Kronzenge dienen; denn wenn er auch darin ein untypischer Anhänger Epikurs ist, daß er ein grofes Lehrgedicht schreibt, so korrespondiert doch der Inhalt dieses Poems mit der epikureischen Doktrin, was entschiedene Kritik an der Mythologie einschlieBt. Seneca aber verwen-

derum liefert Ciceros Schrift De natura deorum dazu eine eindrucksvolle THustration,

diesmal in der Rede

des Velleius.2

Sie ist besonders aufschlufireich, weil hier dieselbe Kritik an Chrysipp geübt wird, wie Seneca sie in De beneficiis vortrige. Nun hat aber Epikur auch sonst eine starke Faszination auf Seneca ausgeübt,” und so liegt der Schluf nahe, daß tatsichlich er es war, der Senecas Verhiltnis zur Dichtung entschei-

dend bestimmt hat.? Doch soll darauf nicht insistiert wer-

den: Nicht um die Genese der Senecanischen Auffassung geht es, sondern um ihre Art.

2 Diogenes Laertios 7,60, vgl. S. KosTER, Antike Epostheoricn, Palingenesia 5, Wiesbaden 1970, 128£.

%® Mit wenig Erfolg hat man einen Einfluf der Poetik des Aristoteles aufzuzeigen gesucht (vgl. oben Anm. 8). So verweist MazzoLy, Seneca

€ la poesia 135,50, zu tragice grande Ep. 100,10 auf das in der Aristotelischen Tragédiendefinition postulierte péyedog (Poet. 1449b 25),

det in seinen Dichtungen

Motive,

die er als Philosoph

lehnt. Faßt man

kurz zusammen,

so hat man

festzustellen, daß

Seneca der Dichtung nur in einem einzigen Punke wirklichen Wert zubilligt: was die Formulierung moralischer Senten;en angeht? Daß ganze Dichtungen, Tragddien etwa, Elemente, die dem Prosawerk und den Tragddien gemeinsam sind, unter diesem Begriff zu subsumieren, Das hat aber nur dann einen Sinn, wenn diese Ele-

mente vergleichbaten Bedingungen gehorchen. Wo es nicht der Fall ist, wird das Ergebnis bestenfalls «schongeistiger> Art sein, wie in einem — schon in anderem Zusammenhang zitierten —

Aufsatz von A. MicHEL. Hier nur ein Beispiel daraus: Seneca setzt in Ep. 41,6 dem goldgeschmiickten Lowen den natürlich-wilden entgegen: Hic scilicet impetu acer, qualem illum natura esse voluit, speciosus ex horrido, cuius bic decor est, non sine timore aspici, praefertur illi languido et bratteato. MicrEL bemerke dazu:** «N’y a-t-il pas 4 toute une conception du tragique et de sa beauté? La tragique fureur du lion est

belle . . .» Und diesen Schluß wendet er auf die mit einer Tige2 Rhétorique 250.

13 Med. 863-865, Rhétorique 255.

II. SENECAS

TRAGÖDIEN

1. Die Kritik und ihre Mißachtung Der Dichter Seneca ignoriert die Kritik des Philosophen Seneca. In der Unterweltsschilderung des Hercules furens wird “ Lethe als ein Fluß beschrieben, der windungsreich ist wie der Mäander. Drei Verse sind diesem Vergleich gewidmet (683~ 685). Seneca hat damit selber jenem Gegenstand seinen Tribut * gezollt,! den er im 104. Brief so bezeichnet (15): Maeander, poetarum omnium exercitatio et ludus. Das ist ein indirektes Urteil über seine eigenen Verse, die sich demnach aus der Per-

pektive des Philosophen als poetische Spielerei darstellen. Aber nichr allein das Maandergleichnis, sondern liberhaupt - die ganze Beschreibung des Totenreichs gehört zum Inventar der poetischen Motive, gegen die Seneca polemisiert hat. In der Trostschrift fiir Marcia führt er aus (19,4}, daß den Toten kein Ubel mehr treffen kénne und daf die Schrecken der Unterwelt von Dichtern erfunden seien: Luserunt ista poetae et vanis nos agitavere terroribus.?

Seneca hat in De brevitate vitae den Dichtern das Motiv der verdoppelten Nacht vorgeworfen (16,5, vgl. oben S. 25). Jedoch auch dieses Motiv begegnet in seinen Tragödien. Im Pro- log des Hercules furens wertet Juno die Verlingerung der Nacht als Anzeichen dafiir, daß der Sohn Alkmenes die Sterne

besitzen werde. Dem Eingriff in den Wechsel von Tag und Nacht sind drei Verse gewidmet (24-26); der Gedanke hat also

fiir Juno erhebliche Bedentung3

* Der Miander auch Phoen. 605 f. Vgl. auch die Beschreibung des Arar, Apoc. 7,2{V. 12£). 2 Vgl. HERRMANN, Th&ätre 472 f.; HERZOG, Datierung 58 £. 3 Vgl HL£. 11581,

$ Dingel, Seneca und die Dichtung

11 Senecas Tragödien

1. Die Kritik und ihre Mißachtung

In ähnlicher Funktionalisierung begegnet das Motiv in einem Chorlied des Agamemnon (814-826), wo die gewaltige Kraft des Hercules als Grund für die Verlingerung genannt wird: . .. violentus ille / nocte non una poterat creari (825 £.). Bemerkenswert ist, daß auch hier das astrale Phinomen im Mittelpunke steht; mehr als zehn Verse Jang malt der Chor aus, wie Phoebus seinen Wagen langsamer treibt, wie Phoebes

die Motive des Zeus, in der ausdrücklich statuiert wird ı@ mhiBeL 0B xQd5 Tiv mendoroutay ÄvalemdEvros XOÖVOU AQDONLTIVAL v {negBory tic 100 yevwndnoopevou dopms. Kıe.” Demnach muß man annehmen, daf die philosophische Kritik keine

66

Gespann

zusiickkehrt,

schliefflich Aurora

an der Seite ihres

Gatten wieder einschlift.4 Nun ist aber die Verdoppelung der Nacht in den Tragédien so funktionalisiert, daß sich darin die auferordentliche Größe

67

Riicksicht auf die Möglichkeit einer Funktionalisierung des Motivs nimmt.

Dafiir spriche auch die Art, wie Seneca das Thema in De vita beata behandelt. Dort formuliert er seine Kritik umfassender. Er läßt den Weisen zu den im Irrtum befangenen Menschen sagen (26,6), er ertrage ihre Phantastereien so, wie Jupiter — er nennt ihn mit seinem vollen rémischen nicht : Man muß das wieder konkret als Verhalten eines Dimons interpretieren; Laius war zuvor seinem Sohn in einer Vision erschienen (39-44):

Genitor vocat. Sequor, sequor, iam parce — sanguineum gerens

insigne regni Laius rapti furit; en ecce, inanes manibus infestis petit

foditque vultus. Nata, genitorem vides? Ego video. Nimmt

der Interpret diese Vision

ernst, und

nimmt

er an,

daß sie in einem poetischen Zusammenhang mit dem Ausbleiben des Selbstmordes steht, so gibt es nur zwei Möglich-

keiten: Entweder hat Laius, um des spiteren noch schrecklicheren Geschehens willen, von Oedipus abgelassen, oder seine Erscheinung wollte gar nicht den Selbstmord des Oedipus provozieren, sondern jenes spitere Geschehen vorberei%0 Vgl. bes. Phoen. 8. 92£. 143,

6 Dingel, Seneca und die Dichrung

82

x

IL, Senecas Tragödien

2. Die Negation der Philosophie

;el;e,f;l;„i;ese zweite Deutung sprechen die Worte sanguineum gneA regni . . . rapti, 3 die sich als Omen aı uf den g bl ng::)n l\-{achtkampf der Oedipussshne deuten lassen. -

pus in stoischem Sinn hervorgehen.* Es ist deutlich, daß Oedi Bedingungen ignoriert, nur vordergründig Recht hat, da er die Antigona dagegen, die t. knüpf an die der Stoiker den Freitod den wahren stoischen itt auf diese Bedingungen hinweist, vertr auf des Stückes gibt ihr Standpunkt. Aber der weitere Verl pietas, sondern zugleich Unrecht, und so wird nicht nur die die pietas übereingeht, die philosophische Haltung, mit der he Auseinandersetzung ad absurdum gefiihrt.** Die moralisc är, auf die allgemein zielt also nicht, jedenfalls nicht prim

ten.

v

Für

di

x

edg[ill;s b]:lbt am

Leben, und dies fithrt zur Verfluchuny

unsli) odfm . Damit bewahrheiten sich die Worte des Ocdi-

Eats (\g;r ie Fu{-sm.'ge Antigonas, die seinen Freitod verhindert DE f8_4): Ah/qms est ex me pius? | Non esset umquam, fata ovi mea, / nisi ut noceret. eret. DieseDies Worte fo rmulieren fecemein eine dfrtfundame?mlen Paradoxien des Stiickes. Dabei sch]iefl:i:::' epi: a;gf_genuber fie{,n Vater kritische Distanz zu den Géttern n : Antigona ) will bei Oedipus S bleiben, 5 auch wenn Jupite i dBIalézz)gjgen sie schleudert (59-61), und sie beharrt (:fllafilll;fr ik 2e051pus schuldlos, auch gegen den Willen der Gétter., sc: —205): . . . nec ulla pectus hoc culpa attigit. / Et hoc m:zgis

S ß qu inno te, > genitor, 2 insonte: m voca, / quod cens es disn quoque in.® vitis

. Da Seneca keinen Zweifel an der moralisch i en Integrität Antigonas a\lfkqnln?en Jäßt, kann die Konsequenz nur feißaen* ?n gnex" Welt, wie élese Tragödie sie präsentiert, ist pietas nur‘als f:_glfrung göttlichen Willens — contra deos, nicht erga deos — ;r:;g vlvcl;l Dda alär mch; die Moralität des Menschen, sondern er Wille der Götter den Weltlauf besti S i pietas nur zum Bösen ausschlagen. s kan auch die muß auchauch diedi Auseinandersetzung : In diesem Rahmen ge15;};3: ul‚;ffjen, in C]!:r es um den Selbstmord des Oedipus äciet 6 ädoyers berufen sich auf Prinzipi Prinzipien der stoischen i } & geltend, daß ihm der Selbstmord frei ;tehz }l[:d auch r-r?öglich sei,® Antigona hilt ihm entgeg‘:r;

seir cl sdrmord Ndurfc keine Flucht vor einem elenden Leben’ ein, sondern müsse aus einer leidenschaftslosen Entscheidung

% Phoen. 328-358.

b Ocdipus selbst erklärt 2 Auch erklirt sich sich fürfi unschuldig,i scelera quae feci % Phoen. 102-105 u. 146-153.

viduelle mythische Situation menschliche, sondern auf die indi

des Oedipus. Disput zwischen Iocasta Dasselbe gilt fiir den moralischen t fiir Teile davon. Zu den Argu

und ihren Söhnen, zumindes Bruderkrieg zu verhindern menten, mit denen die Konigin den

suche, gehört dieses (451-454):

Error invitos adhuc

fecit nocentes, omne Fortunae fuit nefas peccantis in nos crimen: hoc primum inter scientes geritur. kein allgemeiner im Sinn Das ist ein moralischer Appell, aber den mythischen Vorausder stoischen Ethik, sondern ein an ta hegt die Ubersetzungen der Tragddie orientierter. Tocas gen cines Labdakidenzeugung, daß selbst unter den Bedingun

ematik des Selbstmordes s phoen. 188199, Zur philosophischenN, Probl Todeserlebnis im Denken Das LEEMA hier nur der Hinweis auf A. D. 329-331. Dort auch hier 33, 322-3 1971, 78, m Senceas, Gymnasiu 206f. Guide ‚weitere Literatur. Senecastellen bei MoTTo, s gedeutet worramm Prog Die Phoenissen sind im Sinn eines stoischen Senecas Phoenisvon art Eigen zur ngen den von A. PAUL, Untersuchu Heft 1, Bonn ogie, Klass. Philol Sen, Habelts Dissertationsdrucke, Reihe lnen Mit PAULS sich. igt erübr 1953, 81ff. Eine Widerlegung im einze, Zu Senecas Phoenissen, in: OPELT I r nande Arbeit setzt sich ausei die Verf. gerade auf Lertvee, Senecas Tragödien 272-285, doch geht ein. nicht die Frage der philosophischen Programmatik

84

2. Die Negation der Philosophie

I Senecas Tragödien

schicksals noch freie Entscheidung zum Guten oder Bösen möglich sei. Doch sie weiß nicht, daß der Zweikampf der Söhne durch den Fluch des Oedipus — der dabei als Werkzeug des Verhängnisses handelt — schon determiniert ist. Dies schließt nicht aus, daß Eteocles und Polynices sind.® Aber wenn sie es sind, so deshalb, weil das Schicksal sie dazu verdammt hat: Pacietis, scio: / sic estis orti, sagt

Oedipus in seiner Fluchrede {337£.). Das Verhingnis des thebanischen Kénigshauses erfüllt sich auch an ihnen.” Thyestes . Der Haß der Gotter, der den Menschen eigenes Verschulden

auch ohne sein

trifft, ist eines der zentralen Motive der

Senecanischen Tragödie, Als «Geschlechterfluch» manifestiert

sich dieser Haf besonders deutlich in den Tantalidendramen. Dabei muß man ernst nehmen, daf Seneca diese Motivik nicht

allein in den subjektiven Erwigungen seiner Dramenfiguren (einschliefflich des Chors)

verwendet, sondern

sie stets auch

auf der und dennoch «Reprisentantin stoischer Gelassenheit» sein.® Voluptas — und dazu prava — bei einem stoischen Weisen? (Abgesehen einmal von Fragen wie der, ob denn iiberhaupt eine Frau fiir den stoischen Weisen stehen kann.) Die Gewaltsamkeit

des Kompromisses zeigt an, daf die These falsch ist. Troerinnen In den Troerinnen streiten Agamemnon

und Pyrrhus um

die Opferung Polyxenas (203 ff.). Agamemnon vertritt, durch den Untergang Trojas einsichtig geworden (266f£.), die moralisch und philosophisch besseren Prinzipien: Selbstbeherr-

schung,

Milde,

Mäßigung,

Scheu

vor dem

Übermaß

des

Gliickes und der Unbestindigkeit Fortunas, Dabei ist es an sich unerheblich,

ob er fiir diese Prinzipien

um

ihrer selbst

willen eintritt oder ob er sie nur als Vorwand für etwas anderes benutzt: Thre objektive Richtigkeit wiirde von einem etwaigen «Mißbrauch» nicht beriihrt werden2 Allerdings kann bei Agamemnon von einem solchen Miß2 Schicksal und Selbstverschuldung 486£. 491; Schuld des Agamemnon

75. 89, Dagegen SEIDENSTICKER, Gesprachsverdichtung 132,166, 134, 172; ZWIERLEIN, 2.2.0. {oben Anm. 24).

#7 Schicksal und Selbstverschuldung 485, vgl. Schuld des Agamemnon 76. Dagegen ZWIERLEIN, 2.2.0. ® Schicksal und Selbstverschuldung 490£., vgl. Schuld des Agamemnon 881, % Gegen SCHETTER, Troerinnen 238.

93

brauch keine Rede sein. Der Versuch W. STEIDLES, gegen frühere Beurteiler Agamemnon als charakterschwachen Schönredner zu erweisen,® hat im Gegenteil dazu geführt, daß die positive Rolle des Königs nur umso klarer bestätigt wurde.* Es tut dieser Rolle keinen Abbruch,

daß Agamemnon

Furcht

auch um sein eigenes Schicksal hat,* Der Seneca in dieser Zeit nicht allein. Er hat sein Gegenstiick jm Werk Macht, Lucans.®® Für Lucan ist das Schicksal eine ungerechte

die es auf den Sieg des Bösen und den Untergang des Guten

hen zwar abgeschen hat. Géttliche providentia, die dem Mensc

Leiden auferlegt, aber nur, um ihm Gelegenheit zur Bewäh bei fehlt rung zu geben, — diese optimistische Konzeption Lucan wie bei Seneca. Vor der Schilderung der Schiacht von Pharsalus reflektiert : der Dichter (7,445 f£.): Sunt nobis nulla profecto 7 numina Tovem. e regnar mur menti cum caeco rapiantur saecula casu, / (er Er fragt, ob Jupiter die Schlacht tatenlos mitansehen wird ), regiert wird es, und daran erkennt man, daß er nicht die Welc es und er fragt weiter, ob Jupiter selbst eingreifen oder ob er Cassius {iberlassen wird, Cäsar zu erschlagen: eine rhetorische Frage, da jedermann weiß, daß Cassius, nicht Jupiter den Dikn tator getötet hat — nicht die Götter tun, was richsig ist, sonder

die moralbewuBten Menschen. Man hat die beriihmten Verse als Ausdruck des Zweifels

beerklirt, der einen Stoiker in einer schrecklichen Situation

fällt, seiner Gliubigkeit aber im übrigen keinen Abbruch tut.” da Doch darf man die Stelle nicht in dieser Weise relativieren, sals Schick des eit chtigk Ungere der sich die Uberzeugung von

durch das ganze Epos zieht.” So heißt es etwa im 1. Buch von

Fortuna, daß sic Cäsar, der den Bürgerkrieg von sich aus begonnen hat, nachträglich rechtfertige (1,264-267): iustos For-

ichker ist wohl die Ungerechtigkeit der Gotter nicht zu kennze eincs g mierun nen, als wenn in ihrem Eingreifen die Legiti Rechtsbruches gesehen wird. Daß im 7. Buch die Grundanschauung des Dichters ausgesprochen ist, ment hervor. lichung der 459), kann Lucans

geht auch aus dem starken politischen EngageDie Verachtung, mit der hier von der Vergöttrömischen Herrscher gesprochen wird (7,455nur als die wirkliche und feste Uberzeugung

aufgefat

werden.”

Zwar

ist, besonders

von

O. S.

von Duk, betont worden,® daß man den historischen Lucan muß. n trenne t, dem Ich, das uns in der Pharsalia entgegentrit heit Im Prinzip ist das durchaus richtig: Mit wirklicher Sicher kann man nur feststellen, welche Gedanken das Epos entrseits hält, nicht, was die Gedanken Lucans waren. Andere dachte, spricht nichts dafiir, daß Lucan grundsitzlich anders

Uberals er es in seinem Werk ausdrückt. Daß die politischen seine macht waren, zeugungen der Pharsalia die Lucans selbst chend hinrei ng Beteilignng an der Pisonischen Verschwdru

deutlich, Daß die Leugnung der gbtilichen Gerechtigkeit eben-

so ernst gemeint ist, braucht nicht bezweifelt zu werden. Aber selbst wenn, wie DU formuliert hat, in der Pharsalia könnte nur die pessimistische «Maske» Lucans sichtbar ist, so

selten man dem entgegenhalten, daß der Mensch sich niche gibt. en erkenn zu erung Maski seiner Wahl gerade durch die überAlles in allem ist es äußerst unwahrscheinlich, daß ein

zeugter Stoiker quasi als Spielerei ein so pessimistisches Werk sagt: «Le schreibt, wie es Lucans Epos ist. Wenn DUE also stoid’un celui masque que porte Lucain dans la Pharsale est beselbst cien qui a perdu la foi», so darf man dies auf Lucan

tuna laborat / esse ducis motus et causas invenit armis. Stär-

ziehen.

1 Vgl. dazu vor allem W. H. FRIEDRICH, Cato, Caesar und Fortuna bei Lucan, Hermes 73, 1938, 391-423; DUr, Lucain et la philosophie; ScHOTEs, Stoische Physik. % So H. 1z BoNNIEC, Entretiens 15, 231£. =1 Zahlreiche Belege bei SCHOTES, Stoische Physik 115 ff.

t, vgl. bes. 2 Die Verherrlichung Neros in 1,33-66 bleibt davon unberühr

ironique?, P, GriMaL, L'éloge de Néron au début de Ja Pharsales est-il

von Nero ab. REL 38, 1960, 296-305. Lucan wandte sich erst spiter 214. hie philosop a et 2 Lucain

119

IL Senecas Tragödien

2. Die Negation der Philosophie

Viel dringlicher stellt sich dieselbe Frage bei Seneca, dessen Dichtungen ja neben einem — viel umfangreicheren — philosophischen (Euvre stehen, Trägt Seneca eine Maske, und wenn ja: trägt sie der Dichter oder der Philosoph? Senecas philosophische Schriften sind der gleichsam