Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik: Band 2 [Reprint 2022 ed.]
 9783112668009, 9783112667996

Table of contents :
Inhalt des ersten Stücks
I. Nachricht von der ehemaligen musikalischen Gilde in Friedeland
II. Reflections on Antient and Modern Musick, with the application to the cure of diseases, to which is subjoined an essay to solve the question, wherein consisted the difference of antient Musick from that of modern time / Betrachtungen über die alte und neue Musick, mit derselben Anwendung zur Heilung der Krankheiten, nebst einem Versuche die Frage aufzulösen: Worinn der Unterschied veralten und neuen Musik bestanden hat. London, 1749. 8vo, 82. Seiten
III. Galland, von dem Ursprünge und Gebrauche der Trompete, bey den Alten
IV. Des Herren Abts Fraguier Untersuchung einer Stelle aus dem Plato, vonder Musik. 1716
V. Herrn Ernst Gottlieb Barons Beytrag zur historisch- theoretisch-und practischen Untersuchung der Laute
VI. Vertheidigung der Opern
VII. Vermischte Nachrichten
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Inhalt des zweyten Stückes
I Herrn Friedr. Wilhelm Riedts Betrachtungen über die willkührlichen Veränderungen der musikalischen Gedanken bey Ausführung einer Melodie
II. Herrn Barons Abhandlung von dem Notensystem der Laute und der Theorbe
III. Herrn Barons zufällige Gedanken über verschiedene musikalische Materien
IV. Fortsetzung der Gedanken von der Musik
V. Einige Stellen aus des Herrn Remond de St. Mard Gedanken von der Oper, die Vertheidung der Opern im I. Stück u. Band dieser Beytrage, IV. Artikel, theils bestärken, theils zu ergänzen
VI. Scherzlied vom Herrn Grieß, componirt von dem Königl. Preuß. Kammermusicus Herrn Schale
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Inhalt des dritten Stückes
I. Vermischte Gedanken, welche dem Verfasser der Beyträge zugeschicket worden
II. Gedanken der Madame Dacier über die Floren der Alten, aus derselben Noten über den Terenz
III. Chronologisches Verzeichniß der seit 1645. bis 1754. in Paris aufgeführten Opern, nebst dem Leben verschiedener Französischen Componisten
IV. Die Melodie nach ihrem Wesen sowohl, als nach ihren Eigenschaften, von Christoph Nichelmann, Königl. Preuß. Kammermusikus. Nebst 22 Kupfertafeln
V. Nachrichten
VI. Fortsetzung der Nachricht vom Berlinischen Opertheater
VII. Scherzlied von dem Herrn von Hagedorn
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Inhalt des vierten Stückes
I. Ob und was für Harmonie die Alten gehabt, und zu welcher Zeit dieselbe zur Vollkommenheit gebracht worden
II. Herrn Mag. Nicol. Brelins Erfindung, wie man der Güte der Claviere und Clavicimbel sehr zu statten kommen könne
III. Gedanken über Herrn Daubens Generalbaß in drey Accorden
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Inhalt des fünften Stücks
I. Herrn Friedrich Wilhelm Riedts Tabellen über alle drey - und vierstimmige in der vollständigen diatonisch- chromatisch- enharmonischen Tonleiter enthaltne drey-und vierstimmige Grundaccorde, ihre wahre Anzahl, Sitz und Vorzug in der Composition daraus zu erkennen
II. Lebensnachrichren von einigen berühmten französischen Sängerinnen
III. Le Glorie della poesia e della Musica contenute nell’ esatta Notitia de Teatri della citta di Venezia, e nel catalogo purgatissimo de Drami musicali quivi sin’ hora rapresentati. Congl' Autori della Poesia e della Musica, e con le Annotationi a suoi luoghi proprii. 264 Seiten in 12
IV. Du Bos, von den theatralischen Vorstellungen der Alten, (nach der Uebersetzung des Hm. M. Leßing.) Eingang
V. Fortsetzung der Gedanken des Hrn. D. Gemme! über den Generalbaß rc. des Herrn Daube
VI. Die Königl. Capell-und Cammer-Music zu Dreßden. 1756
VII. Scherzlied vom Herrn Ossenfelder
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Inhalt des sechsten Stückes
I. Fortsetzung des Verzeichnisses der Opern in Venedig
II. Grundlegung zur Tonordnung insgemein. Abermahl durchgehends mit musikalischen Exempeln abgefaßt und Gesprächweise vorgetragen von Joseph Riepel, Sr. Durch!, des Fürsten von. Thurn und Taxis Kammermusicus. Frankfurt und Leipzig 1756. 130 Seiten in Folio
III. Fortsetzung der Abhandlung des du Bos von den theatralischen Vorstellungen der Alten
IV. Fortsetzung der Gedanken des Herrn D.Gemmels über Hrn. Daubens Generalbaß
V. Lebenslauff Herrn Johann Heinrich Ouiels, Organisten und Schuladjuncti zu Nimtsch in Schlesien
VI. Auszug eines Schreibens von unbekannter Hand an den Verfasser der Beyträge aus Hamburg vom 12. Febr. 1756
VII. Die Churfürstl. Pfälzische Capell- und Kammermusik zu Mannheim, im Jahre 1756
VIII. Vermischte Nachrichten
Register über die sechs Stücke des zweyten Bandes

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Historisch - Kritische

Beylrüge zur

Aufnahme der Musik von Friedrich Wilhelm Marpurg. 11 Band.

Erstes Stück.

Berlin, Verlegtö Gottlieb August iange, > 7 Z e.

Inhalt des

ersten Stücks. I. Nachricht von der ehemaligen musikalischen Gilde in Friedeland. II. Reßections on Antient and Modern Musick,

with die applicanon ro die eure of diseases, to which is lubjoined an estäy to folve the question, whevein consiffed the difltrence of an­ tient Mutick from that o£ modern time. d. L Betrachtungen über die alte und neue Musick, mit derselben Anwendung zur Heilung der Krankheiten, nebst einem Versuche die Frage aufzulösen: Worinn der Unterschied veralten und neuen Musik bestanden hat. London, 1749. 8vo, 82. Selten. III. Galland, von dem Ursprünge und Gebrauch« der Trompete. IV. Dös Herrn Abts Fragvier Untersuchung'einer .Stell« aus dem Plato, von der Musik. 1716. V. Herrn Ernst Gottlieb Barons Beytrag- zur historisch- theoretisch- und praktischen Unter­ suchung der Lame. VI. Vertheidigung der Opern. Vli. Vermischte Nachrichten.

I. Nach-

L

Nachricht von Der ehemahligen,

musikalischen Gilde in Friedeland. Stadt Friedeland, wovon allhkerdie' Rede ist', lieget im Stargatdischest Kreise des Herzogthums Meklenbürg. Herr Enoch Friedrich Gimsnrs, Rector der Schule daselbst, gab töt Jahre 1730» eine Beschreibung von dieser Stadt heraus, und aus dieser Beschreibung ist es, daß ich folgende Nachricht von der ehemahligen musikalischen Gilde daselbst entlehnet habe. Ich werde solche mit des Herrn Rectors eignen Wolken meinen Lesern miktheilen. Die vormahlige musikalische Gilde in Friede­ land, schreibt et, ist noch übrig, und auch wohl wehrt, daß deren Andenken, beybehalten werde. Escheweget mich dazu: daß die Sache an sich

!• Stück. 2. Land.

A

was

2 I. Nachricht von der ehemahligen was artiges ist; daß diese Gilde von dem römischen Pabst und Kayser pri'vileqkret, und mir vielen Jmmunitaribus und Gerechtigkeiten be.nadiget worden; und daß es X 1600. schon undenkliche Jahre gewesen, da solches geschehen; daß viele Namen unter den Gildebrüdern sind, welche einer oder anderer gerne lesen, und von der Vergessenheit gerettet sehen möchte; daß wir auch sehen, was die lieben Vorfahren für weife Ordnungen gemacht und gehabt, auch in Sachen^ darin Wir es wohl nicht vermuthen; und wer weiß, ob diese Nachricht nicht Gelegenheit geben könne, daß Sie noch «inst wieder aufgerichtet werde?

Alles aber, was ich davon berichten kann, ist

-Herold

von der gütigen Hand des Herrn M. mir communicirek worden, und lautet also;

LEGES MUSICALES FRIDLANDENSES denuo confirmatae ab

Ampliflimo SENATU cum Ratificatione S. $. Mirti steril diflae Ciuitatis Friedeland,Anno Christi; quo DEUM coniunctis votfs & vnitis fufpiriis tt&iaKsLTTTto$ obfecramus & refecramus.



musikalischen Gilde in Friedcland. 3 DapaCeM! Dominica Qualimodogeniti. Frider. Taubmannus. Quem non viua fuo delectat MUSICA flexu, Hunc ego non hilurn cor dis habere puto. Coloff. III. v. l6vfeqq. Ts XpigS sv up.iv eiden;> Toig (pd’öyyoig Trjg kvgag TTgogy^Srai, TOV T£ w&cqxgijv zett tov 7rai^£vö(jisvov, dro^ovTag Trpogyo^oa rd pent, nebst dem Leben verschiedener französischen Coinponisten. IV. Die Melodie nach ihrem Wesen sowohl, als nach ihren Eigenschaften, von Christoph Nichelmann, König!. Preuß. Kammermusikus. V. Nachrichten.

VI. Fortsetzung der Nachricht vom Operthealer.

berlinischen

VH. Scherzlied von dem Herrn von Hagedorn.

I. Vermischte Gedanken, welche dem Verfasser der Beyrräge zngeschicker worden. Hoch mehrender Herr, Da wir bemerket haben, daß sie in ihren Bey­ tragen auch den Aufsagen anderer Personen Platz gönnen: so überschickcn wir ihnen beygehende ver­ mischte Gedanken, mit ergebenster Birte, solche bey Gelegenheit der SB.lt bekant zu machen, wenn sie es der Mähe wehrt halten. Wir muffen ihren aber dabey sagen, daß es nicht lauter von uns crfunbne- neue Gedanken sind. ES sind meistens Uebersetzungen und Einfalle, die wir ohne Lesung anderer Bücher vielleicht nicht gehabt haben wur­ den. Indessen ist man mit Originalschriften eben noch nicht überhäuft, und vielleicht bekommen unsere Gedanken dadurch einigen Wehrt, daß wir offen­ herziger als andre Schriftsteller stad. Wir sind :c.

33%

,

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X- V. Z. I♦

'KL^enn die Musik geschickt ist, dem

ermüdeten Geiste neue Munterkeit zu geben, woran niemand zweifelt, so sollte man meynen, da sie zugleich die Sin»

II. Band. Z. Stück.

N

»en

182

i. Verwischte Gedanken.

nett auf eine so sanfte als unschuldige Weise er» gehet, daß jeder sie lieben müsse, und man sieht doch Leute, die sie fl-chen; und man sclte glauben, daß dre Tonkunsiler von Profeßwn nicht aufhören würden, sich darin zu üben, und man siehet doch deren so ivema, bte sich siusiig üben, und daß dre meisten ihr nur gelegen» heirllch obliegen. §. 2. Solte es wohl wahr seyn, was ein gewis­ ser Verfasser sagt, daß dre Oper all.'ö der Mu­ sik, die Musik aber mchts der Oper zu danken habe? Mich dünkt nach dem rechten Begriffe, den man sich von einer Oper machen muß, fcK»' te es nicht so seyn. Denn äussert gleich dabey die Musik ihre Kraft am merklichsten und starker als die Poesie, die Mahlerey, die Tanz­ kunst rc. so sollen doch diese Schwestern der Tonkunst mit Nichten von ihr so sehr verdrän­ get werden, baß an selbige gar nicht, un­ nur allein an ihre glänzendere Schwester gedacht werde. Doch dem sey wie ihm wolle, so gereichet eö der Musik zu keinem Nachtheil, wenn man glaubet, sie verursache das Haupt» sachlichste Vergnügen in den Opern, die noch immer fieißig besucht werden.

§-

3-

Eben der Autor saget, daß taufend Leute die Musik lieben, welche sonst von groben Sinnen und ungezogen sind, und daß man doch

i. Vermischte Gedanken.

183

doch auch niemand von zärtlichem Gefühl fin­ de, der sie nicht gleichfals hebe. Von welcher Sache kann man dreß mehr sagen?

§• 4* Die Musik ist das ausgesnchkeste und zu-» gleich das unschuldigste Vergnügen. Ern son­ derbarer Vorzug! Man sey so alt wie man wolle; man habe eine Lebensart, welche man wolle; man befinde sich wo man wouc; mm habe fairst Vergnügen woran man Wolle: Die Musik vertragt sich mrt allem.

§.

5.

Der Musik und dem Spiele ist dieses ge­ mein, daß die so sich damit beschäftigen, ein­ ander wenig den Unterscheid mehr me-ken toi* fett, der sonst unter ihnen ist Ern Graf, der nur mikspielen kann, lasser sich gefallen, d rß fern Privatconcerr von seinen? Dorfcar-cor bin* giret wird, und ein Fürst getrauet sich nrcht auf dem Ball im Kartenspiel es übel zu nchmen, wenn sein Mitspieler, etwa ein Kaufiman, ihm einen begangenen Fehler verwerset. Eine Aehnlrchkeit der Wirkungen, die der Tonkunst nachcherhg seyn würde, wenn Man nicht wüste, daß bte herrlichsten Sachen mit den schlechtesten Dingen in einem gewlffen Betracht Übereinkommen.

§.

6.

Wir köttnen sogar mittelmäßigen Sangern

oder Jnstrumenrsptelem, oft ganze Stunden N 2 zuho-

i84

L Vermischte Gedanken,

anzuhören; und wenn wir auf die Länge daran nicht mehr ein sonderlich Vergnügen finden, so erregt es uns doch auch selten ein unauestehliches Miövergnügen. Wer also die Musik treibt, kann sich auf Unkosten anderer Leute sehr ergötzen und fällt ihnen doch auch nicht leicht sehr beschwerliche §.

7.

Man nehme gute Lieder der Gondelfahrer zu Venedig, und gute französische Trink- oder Scherzlieder. Man nehme auch italienische Stücke von einer erhabenern Schreibart, und mehrerer Ausführlichkeit, die aber doch beyder­ seits einerley Empfindungen ausdrücken und beyderseits in ihrem Geschmacke gut und vortreflich sind. Man singe oder spiele die Melo­ dien dieser Lieder oder Stücke ohne alle Be­ gleitung , und man wird den Mangel der Be­ gleitung an den italienischen Stücken gar sehr gewahr werden, bey den französischen hingegen den Baß und die Begleitung weniger ver­ missen: Jenen mercket man eö an, daß sie alsdenn erst recht gut klingen würden, wenn der Baß dazu ginge; diese aber gefallen ohne denselben schon; ja man könnte vielleicht fran­ zösische Trinklieder zeigen, die von einem mit­ gehenden Baße eher etwas zu verliehren schei­ nen, als daß ihre Schönheit von selbigem auf­ gestützt würde. Soll man alfo die italienischen Weisen deswegen für vorkresiicher halten als

die

i Vermischte Gedanken.

185

die französischen, weil sie eine Begleitung er* heischen, oder sind diese vortrefiicher als jene, weil sie auch ohne dergleichen schön seyn kön­ nen ? Ein Baß muß allenthalben zum Grunde liegen: aber aller Grund darf nicht gesehen werden.

§» 8« Wenn man wahrnimmt, wie mancher Can­ tor oder Musikdirector ein solch Getöse macht, als wenn er Holh hackte; wenn man sich ver­ wundert, daß er sich die Achseln nicht ausrenket; und wenn die Kraft feines Arms Furcht einjaget: so muß man auSrufen! O wie sind die Gaben in der Welt so unrecht ausgetheilet, und wie zeiget sich das Genie doch, bey einem jeden, obwohl nicht allemahl am rech­ ten Orte! Wäre dieser Mann bey einer Glas­ hütte, oder bey einem Eisenhammer bedient; er würde berühmt und reich werden können. §. 9. Vielen französischen Balleten: (den musika­ lischen) wird der Titel: Feste, gar uneigent­ lich beygelegt: weil man dabey von wenig Frölichkeit eingenommen wird. Noch weniniger verdienen viele Stücke unserer kriegeri­ schen Musik den Nahmen-Marsche, den man ihnen giebt. Wo sie nicht einer Bittschrift gleichen, so würde man sie doch eher für Lie­ beserklärungen als für eine Aufmunterung jum Streit halten.

N 3

i86

i Vermischte Gedanken. §.

IO.

Sind wir nicht glücklich, daß wir eine so lenkbare Einbildungskraft haben, die in der Oper einen techzigjährigen Castraren kür einen zwanzigjährigen Liebhaber ansehen kann, blos weil der Dichter und der Musikus es haben wetten? Und wir lassen uns so täuschen, ob* gl ich die Sänger oft alle scheinen alles zn thun, damrc solche Absicht verhindert werde. 11. Es ist eine sonderbare Art von Singspielen, wo die Handlung der Aekeurö von den Tänzen oft so sehr Uirter gebrochen wird, baß jene in den Wi lke! geheti müssen, um den Tänzern Plaz zu machen, obgleich, was vorgehet, gar Nicht uni der lehtern willen da ist, und ob gleich der Schöpfer der Oper, der Porte, ganz andere Absichten gehabt har. Dieser Uebel» stand wird vollende aufs höchste getrieben, wenn man die- Acreurs zwischen dem Tanze etwas singen, und zu dem Ende wieder hervor, und mitten unter die Springer treten last, blos um sie straks wieder in den Winkel zu schi­ cken, wenn sie ihre zwey Worte hergcsungen haben. Die Chöre der Alten, wo sich jeder­ mann auf dem Theater pantomimisch bewegte, können freylich ganz andere Wirkungen gethan haben.

§.

12.

Es ist lustig anzusehen, daß, obgleich die Ballete zwischen den Handlungen der Oper, mit

i. Vermischte Gedanken.

187

mit selbigen einem Zusammenhang haben, und einen Theil des Singspieles ansmachen sollten, dennoch die Ballete dabey so vollkommen nichts zu thun haben, daß man müste zaubern können, wenn man einen tauglichen Grund ihrer Zwischenkunst angeben wollte. §.

13.

Brunere sagt: die Fürsten beurtheilten alles ohne Wissenschaft und ohne Regeln, nach ei» ttcm Geschmack, der blos in der Vergleichung Mit andern Dingen seinen Grund hat; denn sie wären im Mittelpunkte von lauter vortressi« chen Sachen gebohren und auferzogen, nach welchem sie alles, was sie lesen, sehen und hören, abmessen; was sich vom Lully, Racine und Le Brun zu weit entfernet, das verwürfen sie alles. Glückliche Fürsten! und wie muß ein Ton« künstler von noch keinem Ansehen, der aber doch die Vortrcflichkeit ftineö Genies fühlet, in Verlegenheit seyn, zu bestimmen, wenn die Zeit da ist, da er anfangen soll, sich und seine Composiriories vor solchen vornehmen Personen hören zu lassen. Indessen wenn dieß vielleicht der Grund mit ist, wmum musikalische Fürsten nicht un­ mittelbar gute junge Tonkür,stier ziehen, weil sie nur lauter vorcrefliches um sich haben wol­ len, so muß es auch angehende Künstler zu desto größerm Bestreben antreiben, bald durch sich selbst, Racine» und Le Brun gleich zu kommen.

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l Vermischte Gedanken.

14. Eben derselbe Schriftsteller sagt, daß es in der Welt eine Sache gebe, die die allerunbegreiflwhste wäre. Ern gewisser Mensch schiene grob, schwer, dumm zu seyn; er könae nicht sprechen und nicht erzehlen, was er nur den Augenblick zuvor gesehen. Fienge er aber an, etwas aus eigenem Kopse zu schreiben, so mache er lauter Muster schöner Erzehlungen, Er laße Thiere, Baume, Steine, alles wasnicht reden kann, vorkreflich sprechen; man treffe in fernen Werken nichts als Leiehrigkert, Zier­ lichkeit, das schönste Naturel und das zärtlich­ ste Wesen an. Man glaubt, daß Bruyere hier den La Fontaine geschildert habe; und wenn es Tonkünstier giebt, die dem La Fontaine in den Fehlern gleichen; giebt es auch viele, die dabe^ in ihrer Kunst so vonresiich sind, als er in seiner war?

§♦

iS-

Nothwendig mag es wohl nicht seyn, aber die Erfahrung bestätiget doch, daß viele große Genies nicht auch die artigste Lebensart haben. Solche Kopfe könnten vielleicht nicht so vortr.fl-ch seyn, wenn sie den unwiderstehlichen Haug ihrer Seele zu ihrer Kunst und Wissensthaft durch Bemühungen und Handlungen un­ terbrächen , ohne welche sich eine gute Lebens­ art nicht erlangen laßer. Die großen Helden sind selten jugieich die artigsten Hofieute. §. 16.

i. Vermischte Gedanken. §.

189

16.

Sich bey seinen Arbeiren nicht rathen zu lassen, und selbige auf keine Vorstellung verb-ssern wollen, ist pedantisch. Sonderlich sol­ len auch Musici die Gewohnheit annehmcn, ihre CompoükioniS mehr als einmahl aufzu­ führen, ehe sie solche für vollkommen hielten, da­ mit sie sie, wo es nöthig, ändern und bessern könten. Allein wer glaubt, daß wenn die Partitur einmal abgefchrieöen ist, er das Smck noch ausbessern dürfe? Die Componisten wis­ sen Nichts von dem: nonum prematur in annum. §* *7Man kann aber durch allzuvieles Aendern und Ausbessern ein Stück gar verderben, oder ihm das Feuer benehmen. • - - Wenn soll man also aufhören zu verbessern? Man hat keine Regeln darüber; gute Genies aber füh­ len, wenn es Zeit ist aufzuhören.

§«

18.

Es ist unstreitig, daß zuerst die Frölichkeit uns singen und musiciren gelehret hat. Die zweyte Lehrmeisterin dieser Kunst war die Liebe und die Traurigkeit; denn Bussi Rabutin sagt; qui dir amoureux, dir triste. Endlich hat die Begeisterung darin» noch weiter Unter­ weisungen gegeben. Den meisten jetzigen Stü­ cken wirft man vor, daß sie traurig oder doch enthusiastisch schwermütig seyn. So angenehm Ns «

i9o i Vermischte Gedankett. es aber auch ist, sich in süße Schwermütigkei­

ten versetzen zu lassen, so würde es doch noch angenehmer, der bürgerlichen Gesellschaft nütz­ licher , und den Tonkünstlern selbst vorträglicher seyn, wenn wir auch wiederum öfterer aus der ersten und vornehmsten Quelle der Tonkunst schöpfen wollten, und uns die Musik haupt­ sächlich ruhig, zufrieden, vergnügt, freudig und frölich machen ließen. Ich fürchte zwar und vielleicht mit Grunde, 6aß viele ins Platte, Schäkerige und Poßenhafte verfallen möchten. Allein bey Erfüllung welcher Wün­ sche muß man nicht etwas fürchten? Auch möchte es deshalb schwerer seyn, nicht so viel traurige oder enthusiastische Stücke mehr zu se­ tzen, weil fast jedermann mißvergnügt, und weil es leichter ist, die Einbildungskraft bis zur Ergeisterung zu erhitzen, als das Herz blos sanfte Regungen einer vernünftigen Freu­ de erzeugen zu lassen. Aber sind wir zu dem was schwer ist, nicht eben desto mehr verpflich­ tet? soll die Musik nicht eine Belustigung des menschlichen Geschlechts seyn? ist nicht der­ jenige der beste Weltbürger, der uns mit der Freundin des Lebens und der Gesundheit, ich meyne mit der Freude, recht besannt macht? und werden wir denen Tonkünstlern nicht eher Dank wissen und Beyfall geben, welche unser Ge­ müth erheitern, als denen die zwar unsere Einbil­ dungskraft beschäftigen und ihr Nahrung geben, aber nicht die Sorgen aus dem Herzen verja­ gen.

i Vermischte Gedanken.

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gen, sondern sie nur in süße Traume der Phan«

tasey verhüllen. Ans dem mehresten unserer Concerten kommet man ermüdet nach Hause; nur bey wenig musikalischen Stucken wird das Herz ierchk, das Gemuch heiter und der Geist so Helle und aufgeräumt, alö wir es von der Musik, die duzn vornehmlich bestimmt ist, erwarten, verlangen und hoffen können. Möchten doch unsere große Meister ein Ver­ dienst darinn setzen, auch ihrerseits durch Ver­ fertigung sinnreich fröftcher Stücke, und durch Einführung eines Vortrages, der solchem ge­ meinnützigen Affecre Vorschub thut, zum Be­ sten der Welt etwas bey,zutragen! Ich muß es wiederhohlen, sie wurden dabey zugleich nicht wemger thun, alö sich der ersten und Hauprquell der Musik, und deren vornehm­ stem Endzweck nähern. §.

19.

Ihr, die ihr höchstens zuweilen eine Par­ titur studiret, niemals aber doch ein musika­ lisch Buch leset; die ihr höchstens mit euren Kunstgenoffer, von der Musik sprechet, nie­ mals aber von Gelehrten, von Weltweisen, von Kunstrichtern, von Frauenzimmern zu wissen verlanget, was eure Compositiones auf sie für Würkung thun; wisset ihr wohl, daß wahr­ haftig große Tonkünstler entweder in ihrer Jugend den schönen Wissenschaften fleißig ob­ gelegen, oder doch bey mehreren Jahren noch ange-

192

i. Vermischte Gedanken.

angefangen haben, sich fleißig um die Regeln der Wohlredenheit, der Dichtkunst, der Schau­ bühne, und überhaupt des Schönen zu be­ kümmern , mit Bedauren, daß sie nur spät da­ zu gekommen, und mit Verdruß, daß sie gleichsam rückwärts lernen müssen? §.

20.

Als T. und P. gefragt wurden, wie W. das Solo gespielt hatte, womit er sich letzthin beym G. v. Z. zum erstenmahl hören ließ, anworteten sie frostig; er habe es ganz reinlich und deutlich gespielt. Sie glauben W. damit wenigstens kein Lob zu geben, brachten mir aber eine so vortheilhafte Meinung von seinem Vortrage bey, -aß ich glaube, dieser könne kein grösser Lob von ihnen verlangen, wenn er auch so ruhmredig wäre, als er bescheiden ist. Wahre Kenner der Musik fordern nichts so sehr, als Reinlichkeit und Deutlichkeit im Vortrage. Zwar hätte man fragen können, ob W. nicht auch Schwürigkeiten gespielet habe? ob er nicht brav VariationeS gemacht? ob er nicht mit viel doppelten Griffen gespielt? ob er nicht sehr in die Höhe gegangen? rc. rc. Aber man hätte auch dagegen fragen können, ob dieses bey jedem Solo, und bey jedem Audi» torio nothwendig sey? In einem Wettstreit, -en zwey Tonkünstler unter einander darüber anstellen, welcher der stärkeste von ihnen sey, und die meiste Kunst besitzt, könte derjenige ver-

i. Vermischte Gedanken.

193

Verslehren, der keine Variationes, keine Schwürigketten spielte. Und dennoch muffen auch selbst diese Tonkünstler in solchem Falle sich vornemlrch der Deutlichkeit beflerssrgen; denn diese giebt jeglichem Werke des GersteS dem wahren und grösten Wehrt:

§.

21.

Es würde schwer seyn, sich in unserer Oper zu befinden, und nicht wahr zunehmen, daß wenn dieselbe gut aufgeführet wird, solches der Gegenwart ihres großen Stifters und Gön­ ners mrt zu zuschreiben ist. So sehr ist es wahr, daß Leichtsinn und andere Ursachen, einige Tonkünsiler oft bey ihren wichtigsten Be» schäftigungen abhalten, ihrer Schuldigkeit ge­ gen das Publikum gebührend nachzuleben. §.

22.

Laßet euch, auch nur alte Händ. Operarien Vorspielen, so werdet ihr finden, (oder ihr müsset nicht wissen, daß wahrhaftig schöne Sa­ chen nur deswegen so leicht scheinen, weil sie unter einer großen Menge schwerer Gedanken ausgesucht worden): daß H. Verdienste nicht dem Zufalle zu zuschreiben sind, daß sie ihm Mühe gekostet haben, und daß er des Bey­ falls aller Völker mit Grunde würdig ist. §.

23.

Wird man es glauben, daß meistens nur diejenigen Tonkünstler, ihre Erfahrungen und Be-

194

L Vermischte Gedanken.

Betrachtungen über die Musik, der Welk im Drucke mittheilen, die nicht reichlich besoldet, und nicht im vorzüglichen Ansehen sind? Ha­ ben sie mehr Zeit dazu als andere ? und wo­ durch werden sie angekrieben, bessere musikali­ sche Weltbürger zu sinn? Doppelt sind also diejenigen zu preisen, die wider die böse Ge­ wohnheit sich ihre gemächlichen Umstande, und den erworbenen B-'ykall nicht abhalten lassen, auch lesenden L-ebhabern ihrer Kunst einige Stunden zu weihen. 24. Unglückliche Manieren dige Veränderungen! Ihr Gesang anszieren ; und ihr dem schönen Gesänge nur

H.

und beklagenswür­ seyd erfunden, den dienet meisiemherlö zur Beschimpfung.

25.

Man verlanget von dem Componisten nichts so sehr, als einen schönen Gesang; und in der Ausführung befleißigen sich die Tonkünst­ ler ans nichts weniger, als auf den schönen Ge­ sang; sie suchen nur Auszierungen und Ver­ änderungen, worüber der schöne Gesang ganz verschwindet.

§.

26.

Faustus ist liederlich, ungezogen, versoffen, undankbar, und man muß ihn doch oft an­ dern vorziehen; ein Merkmal, daß wahre Ge­ nies nicht so hauffig sind als man glaubt, s- -7.

I. Vermischte Gedanken.

195

§. 27. Einen ganzen Jahrgang Kirchenstücke, nach einer und eben derselben Form, und mit dem männlichen Geiste zu verfertigen, sehe ich als eine zwangvvlle Sache an für Componrsten, die daö was sie setzen nicht mittelmäßig, oder daß es nur angehen kann, sondern mit der geböeigen Vollkommenheit und Schönheit seHe!» wollen. Die Mannigfaltigkeit rst bey den Werken des Geistes eine nothwendige Erforderniß, und ich glaube daß unser Geist, nicht allein, nicht mit glücklichen Erfolg wirken kann, wenn wir ihn nicht auf mannigfaltige Objecte wenden, sondern auch alsdenn, wenn wir seine Ausbrüche mehrmal in einerley Forrü eim schränken. Wir haben Jahrgänge genug, uiid die CantoreS und Directores der Kir­ chenmusiken, welche sich über die großen Componisten beklagen, daß selbige keine Jahrgänge machen wollten, dürfen nur folgendes thun.' Sie dürfen einige gute Dichter bitten, ihnen über allerley geistliche und moralische Mate­ rien, Verse zu kurzen Kirchenstücken von zwey, drey bis höchstens vier Arien, mit untermeng­ tem Recitativ, und etwa einem Choral oder Tutti zu verfertigen. Dergleichen kleiner Arbei­ ten werden sich christliche Dichter leicht unter­ ziehen, und man wird sie ihnen oft zumuthen können. Eben so werden die mit andern Ge­ schäften Überhäuftesten Componisten, für die Kirchennmsik nicht so wenig Liebe itnb Eyfer haben.

196

I. Vermischte Gedankem

haben, daß sie nicht von Zeit zu Zeit einige solche kleine Kirchemexke in Musik bringen fokeit» Nach ihren Vocationen und Instruc­ tionen sollen die meisten Cantoreö zwar alle Sonntage oder alle vierzehen Tage eine Kir­ chenmusik aufführen; aber es ist ihnen doch nicht vorgeschrieben, daß die Texte sich noth­ wendig zum Ev«vg»lio schicken müssen. Wo nur alle vierzehen Tage musiciret wird, inuß ohnedem immer ein Evangelrum un besungen bleiben. Mit den musikalischen Jahrgängen gemahnet eö mich, wie mit dem ziemlich aus -er Mode kommenden Jahrgängen der Pre­ diger. . Z. E. lehren, leben, leiden, kann un­ möglich zwey und fur'.fzig Sonnrage und noch y)ohl funfzehe« Festtage. hinter einander mit gleicher Geschicklichkeit und Anmuch vorgestellet werden. Die Neuigkeit muß allenthalben, folg­ lich auch irr d-r Ordnung der Werke unsers Geistes seyn. Hingegen weiß bey den gewöhn­ lichen Jahrgängen der Zuhörer beständig: nun kommt das Recitativ, nun -er Choral, nun das Tutti rc. re.

§.

28.

Man findet in dem Buche: von der mustklifchen Poesie eine grosse Menge Regeln, die von dem Singgedicht der Italiener .abgezogen sind. Die folgende Regel aber findet man nicht davon, ohngeacht sie in allen italienischen Singstücken beobachtet ist, einmal: daß die Reci«

i. Vermischte Gedanken.

197

Recitative sich nur mit einem weiblichen, und die Arien nur mit einem männlichen Reim bequem schließen. So leicht kann man was übergehen, das doch nicht unwichtig zu seyn scheinet. §- 29. Ein gewisser Schriftsteller sagt, daß die Franzosen jedesmal, wenn von ihrer Mlisik die Rede ist, allen andern Volkern das Recht davon zu urtheilen, absprechen, und daß sie ihre Ursachen dazu hatten. Wenn indessen eben diese Franzosen versichern wollten, daß die chinesi­ sche Musik abscheulich sey, so glaube er nicht, daß sie bey diesem Urtheile die Meynung der Chlneser eingcholt hatten; wie könnten sie al­ so dasjenige andern untersagen, dessen sie sich doch selbst so frey bedienten. Es scheint in der That etwas sonderbares zu seyn, daß, da doch die Töne in allen Landern der Welt aus einerley Werkzeugen hervorgebracht werden, wir die Töne der oder jener Nation nicht sol­ len beurtheilen können, es sey denn daß wir -selbst zu solcher Nation gehören, oder wenig­ stens sehr lange unter ihr gelebt haben; gleich als wenn ein Türke zum Ausdruck seiner Ver­ zweifelung sich solcher Laute bediente, die der Spanier anwenbet, wenn er eine schmachtende Sehnsucht zu erkennen gebe» will. §. 30. Beine ldeter Autor sagt ferner, daß die söge« nante italienische Musik jedermann, der nur Ohren II. Band. 3. Stück. O hak,

198

i Vermischte Gedanken»

hat, Vergnügen gebe, und daß man dazu gar nicht zubereitct seyn dürfe. Ich weis nicht, ob die­ ses von allen italienischen Musiken wahr sey, wenn sie auch gleich mit allen den Auszierun­ gen deren sie fähig und vielleicht nicht fähig sind, wie gewöhnlich, vorgetragen werden. Eö scheinet vielmehr glaublich zu seyn, daß, wenn in Frankreich die glänzende Versamlung der Zuhörer in den Singspielen, das artige und galante Betragen derselben, die rührende Action der Sänger, und mehrere äusserliche Umstände, den Fremdling so ange­ nehm ergötzen und einnehmen können, daß er endlich auch an der Opel musik Geschmack sindet, und sie für schön hält: so müsse man ebenfals auch viele italienische Musikm angehörek, viel bravo mitgerufen haben, und durch schöne Stimmen, viele bewundernswürdige Schwürigkeiten der Sanger in ihren Läufen, und viel Kühnheiten im Ausdruck, in Erstaunen gefetzet worden seyn, bevor man alles was in der welschen Musik vorkomt', begreifen, ver­ stehen, und Geschmack daran finden könne. Es mag wohl ausgemacht seyn, daß die fran­ zösischen Schauspieler die besten in der Welt sind. Wer aber kann sie, sonderlich in gere­ deten Trauerspielen, wenn er sie zum ersten mal höret, verstehen, und an ihren Vortrage so gleich Gefallen finden? Die Declamation der Griechen und Römer war etwas unver­ gleichliches, und selbst das Volk wüste davon



i. Vermrsthte Gedanken. 199 zu urtheilen; ober mir wie vieler Künstlichkeit gieng man dabey nicht zu Werke?

Z.

3i*

Bey gedachtem Verfasser heisset eS weiter,

daß man die Eigenschaften der Sprache kennen müsse, um von einer Nationalmrssik zu urthei­ len ; daß die französische Oper große Schön­ heiten habe; daß sie sich zu dem Genie der Sprache wohl schicke, daß sie eine ganze Art der Schönheit auemache, worauf die Nation mit Recht eysersuchtig seyn könne. Diß scheint Platz zu greifen, wenn man davon spricht, rote weit eine Vocalmufik mit den Worten übereinkomme, die ihr zum Grunde hegen. Ich halte aber dafür, daß eine Melodie in dieser letzten Absicht vollkommen, und doch nicht so vortreflich seyn könne, als eine an­ dere über eben diese Worte, bey welcher der Componist zwar sich nicht so ängstlich nach den Regeln der Rednerdeclamation gerichtet, wobey er aber doch die Worte und die den Tönen zum Grunde liegende Empfindung, Ge­ müthsbewegung und Letdenschaft nicht weniger glücklich nachgebildet, und auch einen Zuhörer erreget hat, weil er sich über die jenigen Mittel weit hinweggeseßet, durch welche ein redender Schauspieler zu eben dem Zweck eilet, und weil er genug kühne Geschicklichkeit gehabt, solche» Zweck durch Mittel zu erreichen, davon der Grund der Wirkung blos in den Tönen liegt.

0

3

§. 32.

200

i. Vermischte Gedanken.

§. 32. Envehnker Verfasser schreibt ferner, er ha« be, als er das erstemal in der französischen Oper zn Paris gewesen, wider Vermuthen eine Mi«sik und eine Stimme darinn ange­ troffen; Es wäre Platee aufgeführet werden, ein erhabenes Werk, und welches in einer Musikart abgefasset sey, die Herr Rameau in Franckreich erzeuget, wovon einige Leute von Geschmack gerühret worden, worüber aber der grosse Haufen allerley Urtheile gefallet habe « - - Es ist etwas eigenes mit dem Herrn Rameau. Man sagt von ihm, sein moralischer Character solle eben nicht der schäHbareste sey»». Ich bin aber nicht in Frankreich ge­ wesen, noch weniger habe ich mich über seiner Person, unmittelbar oder mittelbar betrachtet, zn beklagen. Aber ihn als einen bloßen Tonkünst­ ler anzusehen, so fönte man ihn von fünf ver« schiedenen Seiten betrachten. Erstlich wird sein Buch von der Harmonie von einigen Per­ sonen recht sehr gerühmet, und ob sie gleich nicht alles, was darinn vorkommt, annehmen, so sagen sie doch, daß man so wohl viel neues als gründliches darinn antreffe. Ein Freund hat solches Buch und überhaupt des Herrn Rameau Lehren von der Komposition, den Deutschen gemeiner machen wollen. Es wäre dieses nicht schlimm; denn wenn Herr Rameau auch nicht von halb Frankreich verehrt würde, wie doch geschicht, so ist es doch niemals schlimm.

i Vermischte Gedanken.

201

schlimm, über eine Sache allerley Personen, besonders von verschiedenen Nationen zu hören und zn lesen. Ferner soll Herr R. ein so guter Organist seyn, daß er aus dem Stegereis eine Fu­ ge mit erlichen Subjecten schön ausführen kaun; eine Geschicklichkeit, die nur noch wenig Or­ ganisten in Deutschland besitzen, wo doch der Sitz' des Fugenspielens seyn soll. Weiter hat man verschiedene andere Handsachen fürs Clavier von ihm, unter denen mir allerley, be­ sonders kleine Stücke, .insonderheit auch dieje­ nigen , deren man sich in einigen unserer Bal­ leten bedienet, recht gut gefallen. Nächstdem ist er ein berühmter Opercomponist. Allein was soll ich in diesem Betracht zu dem großen Beyfall sagen, den man ihm giebt? Sollten seine Opern so gar anders klingen, als sie aussehen? Verschiedene, gar nicht übereilte Kunstrichter, und sonst große Liebhaber des Gründlichen, glauben, darinn nichts sonder­ bares, und vielmehr viel mittelmäßiges zu finden. Ich sollte meynen, eine Oper verdienet doch, daß der Componist sich durch etwas Neues und Ausgesuchtes hervor thut; und ich dächte doch, Herr R. mäste es auch thun, weil er doch nur von halb Frankreich verehret

wirb.

§.

33-

So oft wir etwas hören, bekommen wir eine gewisse Vorstellung in der Seele. Von O z die-

ros

i. Vermischte Gedanken.

Liesen Vorstellungen aber sind einige einfacher,

andere mehr od-.r weniger zusammen gesetzt. Einfache Vorstellungen sind bey allen Men? schen ungefehr einerley^ Ein jeder halt den Zukel für eine schönere Figur, als ein Dreyeck. Dahingegen in stark zusammen gesetzten Vor­ stellungen die Urtheile verschieden seyn können. Man siehet oft, daß einer dieß Gebäude für schöner hält, als jenes,.dem ein anderer den Vorzug über das erstere giebt. Hier stellen sich dem Gemüthe sehr viel Sachen auf ein­ mal vor; daher es leicht geschiehet, daß ver­ schiedene Uatheile herauökommen, weil in so stark zusammen gesetzten Vorstellungen leicht einer auf etwas siehet, das der andere nicht bemerket. Daher kommt es denn auch, daß eine vollkommen schöne Menuet, eine derglei­ chen Anette, mehrer» Leuten gefällt, als ein vollkommen schönes Concert, eine dergleichen Arie. Daher kommt eö, daß diejenigen Componisten eines allgemeinern Beyfalls gewiß sind, die schon in den Gesang der Hauptstim­ men große Vollkommenheiten legen, als die­ jenigen , in deren Stücken sich solche Vollkom­ menheiten unter alle Stimmen »ertheilt finden. Daher kommt es, daß diejenigen Melodien für schöner gehalten werden, die auch ein nicht ganz ungeschickter Tonkünstler heraus bringen kann, und die doch schon gute Wirkung thun, als Liejemgen, die die größte Zierlichkeit und Künst­ lichkeit tty Vortrage Letz Aueübers erfordere

34*

i. Vermischte Gedanken. §-

203

34«

Die Verschiedenheit des Geschmackes in der Musik rühret mit daher, daß man Nebenerfordermsse mit den Haupterfordernissen musi» kalischer Stücke verwechselt. Man muß die« jenige Verschiedenheit der Grundlöne einem Gesänge zum Grunde legen, die zum Vorge­ setzten Zwecke nothwendig ist. Wie viel Com« ponisten aber setzen nur so, wie sich der Ge« sang zierlich ausüben, und mit vielen Manieren bereichern läßt? Andere glauben, weil Imitatio­ nen, fugirtes Wesen und dergleichen einige Arten der Composition schön machen so müsten sie der­ gleichen allenthalben anbriugen. Noch andere halten dafür, wenn sie nur ihrem Sänger, ihrem Virtuosen recht gefällig setzen, so sey ihr Stück auch recht schön. Begehet nun ein Componist dergleichen Verwechselungen der Nebenerfordernisse mit den Haupterfordernissen oft, so gewöhnt er sich zuletzt einen ganz an­ dern Geschmack an, als er würde angenommen haben, wenn er allenthalben fürnemlich auf die Haupterfordernisse gesehen hätte.

§.

35«

Ein gewisser Schriftsteller nennet den Pergolese göttlich, und jagt poetisch, daß er schon völlig ausgebildet aus dem Gehirn des wahren musikalischen Geschmacke» hervorgekommen sey» Ein anderer Schriftsteller sagt von ihm, er habe zwar einen hervorragenden Geist spüren O 4 lassen.

204

I. Vermischte Gedanken.

lassen, und große Hofnung gegeben; er habe zum schmeichelnden, zärtlichen und angenehmen viel Naturell gehabt, und einen guten Willen zur arbeitsamen (Komposition gezeiget; er sey aber frühzeitig abgestorben und nicht völlig zur Reife gekommen. Diese beyden Urtheile scheinen sich zu wiedersprechen; das letzte aber ist das gegründeste; man darf nur des Pergolese Salve Regina, welches eines feiner besten Stücke ist, ansehen, um es zu glauben.

§•

36.

Die Werke vieler Tonkünstler die zugleich Welkkluge und artige Leute sind, scheinen mehr dadurch vortrestich zu seyn, wodurch des Boileau Gedichte sich von andern unterscheidenals durch solche leichte, natürliche und unerzwtmgene Schönheiten, dergleichen man int La Fontaine vorzüglich findet. Nun liefet man beyde Dichter noch begierigst, und man mag also den Boileau für ein eben so großes Genie als den La Fontaine halten, obwohl Mokiere anderer Meynung gewesen, wie sich auf fol­ gender Begebenheit schließen läßt. Er speisete einsmals mit dem Racine La Fontaine, Defpreaux, und Descokeaux, einem berühmten Flötenspieler, zu Abende. La Fontaine war selbi­ gen Tag ganz ausserordentlich zerstreuet, und Ra­ cine und Dcspreaux fingen an, ihn deshalb so sehr zu schrauben, daß Meliere glaubte, sie überschritten

die Grenzen.

Er zog deshalb den Descokeaux

i. Vermischte Gedanken.

205

„nach Tische bey Seite, und sagte zu ihm: litt» „sere witzigen Köpfe mögen thun was sie wol* „len, sie werden jenen guten Mann nicht aus­ sprechen. Und in der That, des La Fontaine Schönheiten kommen uns um so viel vortreflicher und auserlesener vor, als man glaubt, -aß er sie ohne Muhe gefunden, und sie «hm gleichsam von selbst zugefallen. Allein ohne dieses auszumachen, wird man sagen können: je mehr ein Componist ernsthafte, gearbeitete oder ins Starke gehende Stücke fetzt, je mehr kann er sich ein dem Boileau gleiches Genie wünschen; und wer sich dem blos angenehmen, zärtlichen und besonders dem Naiven in' der Musik (welches wir vielleicht noch nicht kennen noch bezeichnen mögen) widmen wollte, der mäste sich den Geist des La Fontaine vom Apollo erbitten.

§*

37*

Man hak eine besondere Unschicklichkeit in die Texte unserer Kirchenmusiken eingefüh» ret, daß nemlich ein großer Theil derselben mehr aus lehrreichen Säcken, als aus erha­ benen und feurigen Gedanken bestehet, und -aß sie mehr die Unterweisung in den göttlichen Wahrheiten, als das Lob Gottes, und die Er­ hebung des Geistes zur Andacht und der dar­ aus zu nächst fliessenden Wirkungen, zur Ab­ sicht haben. Ich befcheide mich, daß in allen Zeiten, die Weisheit durch Gesänge gelehret

2ö6

i. Vermischte Gedanken.

And fortgepflanzet worden; und dieß würde auch jetzo noch angehen, aber nur in den Kirchen» gefangen und in Oden. Denn in der Frguralmusik, worinn unsere jetzigen Kirchensiücke abgefasset sind, werden nothwendig Worte er« fordert, deren innere Beschaffenheit sehr poe­ tisch ist. Mit Unrecht nimmt man also zu denen Chören oder Stücken, die wir zwischen die Arien und Recitativen cinstreuen, oft solche biblische Sprüche, die zwar an sich vortrefiiche sittliche Wahrheiten enthalten, deren Ausdruck aber nid^t einmal mit poetischem Feuer belebet ist. Jede Musik ist schon ein feyerlicher Ausdruck unserer Gedanken und Empfindun­ gen ; und man muß daher auch die Musik nur mit solchen Worten verknüpfen, die zugleich -Mannigfaltigkeit der Handlung, Größe der Gedanken ^Reichthum der Figuren und Bil« düngen, und Stärke und Schönheit der Aus­ drücke in sich schließen. Z. E. was kann ein Musikus auf die folgende und dergleichen Worte setzen: Wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seyd Gottes Ackerwerk und Gebau rc. Ihr Mund ist glätter denn Butter und haben doch Krieg im Sinn rc. Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müsset rc. Der poetische Theil der Bibel reichet gnugfame Sprüche dar, in welchen sich ein Strahl der höchsten engli­ schen Andacht, und der allervortrcstichsten Sitt­ lichkeit ausbreitet, welcher in das Gemüthe

i Vermischte Gedanken. 207 -es Lesers die allerwichtigsten Wahrheiten, die edelsten Gebote und 'Anweisungen ernsiöffet, die nur erdacht werden können, um dasselbe auf alle Umstände und Beschaffenheiten des Le­ bens zu bilden und geschickt zu machen. Und diese Sprüche bestehen auch aus Ausdrücken und Figuren, welche Stärke und Hoheit haben, und. doch nicht weniger nach der Fas­ sung und Einsicht der Jugend und der Unge­ lehrten eingerichtet, als sie zugleich bequem sind, die tiefste Aufmerksamkeit und Bewun­ derung in denenjenigen zu erwecken, die darin» die aller geschicksten Meister sind. Besonders kann nichts majestätischere!, und bis zur Erstaunung erhabeners gedacht werden, als die beyden unnachahmlichen Gesänge Mosiö, die Lieder der Debora und der Hanna, das ganze Buch der Psalmen, das Hohelied, das Dank­ gebet Hiökias, das Buch Hiob, ein großer Theil des Propheten Jesaia, und dir Klage» lieber.

§• 38. Auch an die Tonkünstler läst sich die Frage thun, die jemand an die Dichter thut. W»

ist,

sagt er, der neuere witzige Kopf der sein Werk, nach Horazenö Art, so lange an sich halt, bis er von jedem Wort (Tone) Rechenschaft geben kann, warum er eö geseßet hak, warum zu dieser Zeit, warum in dieser -Verbindung, warum vor allen andern? Viele kom«

208 l Vermischte Gedanken. kommen auf die Gedanken, sie schwächten durch solchen Fleiß ihr Genie, man würde ihrem Werke den Zwang ansehen. Allein man muß so lange arbeiten, bis man auch den Zwang ver­ stecket hat, und das Genie wird nicht erdrückt werden: wenn sie zuerlc ihrem guten Gefthmake und ihrer erhitzten Phantasey gefolgt sind, zu­ letzt aber die philosophische Critlk zur Muse anrufen. 39Die Musik, so wie die andern Künste, muß i) vollkommene und würdige Sachen nachahmen (nicht das Gnorren eines Hundes, das Ge­ knarre der Räder) 2) sie vollkommen nachah­ men ; (nicht erhabene Worte eines Helden mit einem Gesänge voller Läufer, und der von Flöten unterstützet wird, versehen) 3dem Aus­ druck, womit sie die Nachahmung macht, alle Vollkommenheit geben, deren er fähig ist; 4) kei­ ne fehlerhafte Harmonie, keine falsche Intonation rc. alles muß darinn richtig, leicht deutlich, anständig seyn.

40. Jener Priester wurde von einem Kranken ersuchet, daß er für ihn beten möchte. Er fragte den Kranken, zu welcher Zeit er ein bes­ serer Christ wäre, bey kranken oder bey gesunden Tagen; und da der Kranke antwor­ tete: bey kranken Tagen; so versetzte der Prie-

i. Vermischte Gedanken.

209

fier: eS ist also besser, daß ihr so bleibt, da­ mit- ihr desto frömmer werdet. Beklagen sich viele Tonkünstler darüber, daß sie von den Fürsten nicht reichlich genug belohnt werden, so geben diese ihnen vielleicht so schlechte Besol­ dung, damit sie desto tüchtiger in ihrer Kunst werden sollen, aber wie ost finden sich die Für­ sten nicht auch, in dieser Absicht betrogen! §.

41.

Auch leider die Musici sind bey mehr als einem Stücke dasjenige was zu ihrer Kunst gehört, in ihrem ganzen Leben genötiget, nur durch die öftere Uebungsregeln, aus einander zu wickeln, die sie, ehe sie an­ gefangen, hätten wissen sollen, und die sie kaum eher kennen lernen, als bis sie nicht mehr int Stande sind, sie zu brauchen.

§-

42.

Ein Stück mit Manieren und Verände­ rungen auözieren wollen, ehe man gelernt hak, es nach dem Tact und der Reinigkeit der Töne zu spielen, heisset mahlen wollen, ohne die Zei­ chenkunst vorher begriffen zu haben. §.

43-

In des Riccoboni Werke, die Schauspiel­ kunst genannt, heisset es, daß man nimmer mehr seine Rolle so spielen könne, wie man

ee sich vorsetzt, wen« man nicht vorher alle Schwü-

2io

i. Vermischte Gedanken.

Schwürigkeiten der Stellung überstiegen habe; und daher handelt solcher Autor auch erst von der Bewegung. Den Jnstrumenkalmusicis gebe ich zu überlegen, ob sie sich auch um die Stellung und um die Bewegungen des Koepers zu bekümmern haben. Andere haben sie indessen schon dazu ermahnet. Aber bey den Theatral auch andern Sängern ist es, ob zwar mehr oder weniger von der höchsten Wichtigkeit, ein gu­ tes Ansehen zu haben, und die Arme und alle Theile des Körpers gehörig zu bewegen, weil von derselben Uebereinstimmung die ganze An­ muth eines TtzeaternsängerS abhangt.

44“ Wenn die Organisten bey den Kirchengesangen doch bedenken wollten, daß sie mit der Orgel die Gemeine im Tone und in der Ord­ nung halten sollen. Allein so wie die meisten spielen, lässet es, als machte die Gemeine den Canto firmo, damit der Organist mit Handen und Füssen brav darauf herum kramen könne. Welchen Mislaut solches giebst, daß läßt sich zu verdrießlich anhören, als daß man es noch beschreiben fönte. Weil sich diese Orgelspieler in ihr Gewühle, und lermendcö Varuren so sehr verliebt haben, so spielen sie so wankend, daß es klingt, als wenn sie die Melodie nicht wüsten, und sie erst von der Gemeine lernen wollten, denn sie kommen beständig hinter der­ selben her, an statt daß sie mit ihr zugleich spie-

i. Vermischte Gedanken.

211

spielen sollen, indem nur dadurch möglich ist, dieselbe in Tone zu erhalten. Die guten Her« ren wollen beym Choralspielen geübte und ge« schickte Finger und Füsse auf der Orgel kriegen, und wollen dabey den Fehler gut machen, daß sie ausser dem Gottesdienste nie eine Orgel ober Pedalcavier berühren. DaS Allerlustigste ist noch, daß sie eben so in vollen und doch geschwind hinter einander folgenden Accorde» praludiren, auch sich sorgfältig in Acht neh­ men , diese Accorde selbst nicht etwa einmal ein wenig zu brechen, als wenn sie den General Baß eines Andante oder Allegretto spielten, und ist man noch glücklich, wenn sie nicht et­ wa gar einen italienischen Trommelbaß hören lassen, sondern wenn sie beym Choralspielen ihren Füssen doch so viel Geschwindigkeit ange­ wöhnet haben, daß sie dieselben auch beym Präludiren in achtelmäßiger Bewegung können fortspaziren lassen; wobey denn gleichfals für ein Glück zu achten ist, wenn die Hände noch geschwind genug die Accorde zu den fortschrei­ tenden Grundnoten finden, und nicht gar zu viel Leeres, oder gar zu grobe Quinten und Oktaven zum Vorschein kommen.

§.

45.

Wir bewundern oft die Kunst eine- Fugen­ sehers, dessen Contrasubject ungezwungen zu dem Thema stimmt. Allein er hatte jenes schon fest gesetzt, als er dieses suchte, und dieses

wird

2i2 i. VcrnnMte Gedanken. wird also daS Unnatürliche seyn, wie es auch ist. Er hätte die Worce mit einem ganz an­ dern Gesinge versehen, wenn er deren Ver­ stände und Nachdruck gesolget wäre. Wie schwer ist ce also, in Singstücken, Fugen zu machen; weil man dabey so leicht den rhe­ torischen Sinn der Worte aus den Au­ gen setzen kann. Und wenn folglich dadurch die Verständlichkeit wegsällt, wie kann man sich auf die Rührung Hofnung machen. Es ist nicht jedermann erlaubt, ein Händel, Telemann, Graun oder Bach zu seyn, und das Rührende mit der Kunst zu verbinden. §.

46.

Vielleicht mehr als ein Componist setzet auf gewisse Worte deswegen Fugen, weil er sich nicht getrauet, Fehler zu vermeiden, die er selbst bey einem andern Gesänge, in Absicht auf den Affect, den Nackdruck, der Ein­ schnitte rc. rc. nicht übersehen würde, und er hoffet, daß die Zwangregeln der Fugen ihn ge­ gen die deshalbigen Vorwürfe in Sicherheit setzen werden z. E. wenn er den Spruch: Wir sehen ein ander Gesetz in unsern Gliedern, als da widerstrebet dem Gesetze in unserm Geiuüthe, comvoniren solte, so hätte er einer großen Feinigkeit der Empsindung nöthig, um in seiner Phantasey sich den Streit des Geistes mit dem Fleische vorstellig zu machen. Wenn er aber gleich christlich und fein und ruhig

genug

i. Vermischte Gedanken.

213

genug dazu wird er auch im Stande .sey«, solche Töne zu finden, dre das Betrüb« nrß merkbar schildern, welches er über dusen Streit in ferner Seele fühlen soll. Es kommet hier nrcht schlechterdings auf klagende Löne an. Er muß den. Dtrert characcensüen , der sem Klagen verursachet. Er muß dre Lust bemer­ ken , die sein Flersch an den Wollüsten hak, und die Bestreitung mahlen, wodurch der Gcrst jene unterdrückt. Welches Feuer der Erubllhmrgskrafc wrrd dazu erfordert Wre sehr aber muß er auch Herr davon seyn, wre sehr m«F er die Töne und deren Nachdruck in seiner Ge­ walt haben, um diejenigen auszufinden, wel­ che im Gemüthe der Zuhörer das vorzustelle-.de Bild erregen, doch aber auch dem Ort gemäß find. Die meisten Componisten werden daher lieber eine Fuge auf gedachten Spruch setzen, U.uh dieselbe recht kunstmäßrg, und wo es hoch komt, sinnreich mrt zween sich wiLerstreuenden Subjecten aussühren, im Vertrauen, daß sie alödeny ollen Kunstrichtern, die etwa am Aus« und Nachdruck der Worte und deren PinneS etwas, tadeln wollten, so fort dm Wund damit stopfen können, daß die Regeln der Fugen es nicht anders, als wie sie es ge­ mache, zügel affen, und daß foyst die Fuge nicht so schön geworden wäre. §. 47* Carl Patin, ein witziger Franzose, Hak ge­ sagt, dre C.harrafanerre mache öre Qumr^sscuz II. Band. 3. Stück. P der

214

L Vermischte Gedanken.

der Medicin aus. Sollte die Musik davon beftenet seyn? Ein Buch von der Charlatanerie der Tonkünstler würde ein guter Band werden.

48.

Die Mahlerey belebet die Leinewand; die Tonkunst aber drückt die Empfindungen selbst vermittelst einer Sprache aus, die allen Men­ schen gemein und verständlich, und also weit natürlicher ist, als keine Sprache der Welt. Der Mahler schaffet einen Zornigen, kann ihn aber auf einem Gemählde in nicht mehr als einer Bewegung vorstellen: Der Tonkünstler hingegen giebt dem Zärtlichen, dem Trauri­ gen, dem Lustigen den er schäft, allerley Ge­ danken, Empfindungen, allerley Ausdrücke und Bewegungen. Der Mahler stellt die Bege­ benheit nur vor; Der Musikus kann mancher­ ley Begebenheiten fast in ihrem ganzen Um­ fange noch einmal geschehen lassen. Und wenn bey solchen durch Töne vorstellbaren Begeben­ heiten und Folgen der Empfindungen die Ton­ kunst unvollkommen ist, so liegt es nicht an ihr, sondern an den Fehlern derjenigen, die nicht so lange suchen, bis sie die dazu geschick­ teste Folge der Töne finden, und dercrjenigen, die, wenn der Componist die rechten Töne gefunden hat, nicht Mühe genug anwrnden, sie dem vorgesetzten Zwecke gemäß auszu­ drücken. §» 49-

i. Vermischte Gedanken.

215

§- 49. Die Natur muß dem Lonkünler entwerf«-«; die Kunst muß rym vollends aukbildeu; da­ her sind diejenigen glücklich, welche, wenn sie sich auf die Tonkunst legen wellen, einem Meister in die Hande gerathen, welcher untersuchen kann, cb sie auch die natürlichen Gaben haben, ohne welche man keinem An­

höher gesaut. Denn haben sie diese nicht, so ist es unmöglich, diejenigen Vollkommenheuen zu erlangen, welche den B-rsall der Zuhörer von Geschmack und Ernsicht an sich reissen. §.

$0.

Ein Musikus kann in seiner Kirnst nicht

vorkrefiich seyn, wenn er nicht mit eurem ge­ schwinden und sichern Blicke, dasjenige zu er­ kennen vermag, was ihm bey ganzen auszu­ übenden Stucken obliegt. Erye feine Empsindung dessen was sich schickt, muß ihn überall leiten. Nicht genug, daß er alle Schönheiten und Schwürrgkeiten seiner Partie faßt. Er muß die wahre Art, mit welcher jede von die­ sen Schönheiten auszrttrucken ist, unterscheiden. Nicht genug, deß er sich in den Affect sitzen kann; man verlanget auch, daß er es nie­ mals als zur rechten Zeit, und nur in demje­ nigen Grade thue, welchen die Umstände er­ fordern. Nicht genug, wenn er so singt und spielt, wie sichs in jedem gegebenen Falle, für P 2

die

2i6 i. Vcrnnsihte Gedanken. die Kirche, die Kammer, oder das Theater schicke; wir si»d unzufrieden, wenn sein Aus­ druck liicht beständig und genau die Empfin­ dungen trift, w«e die allerbesondersten Umstande eS erfordern. Er muß nicht nur von der Stärke und Feinheit der musikalischen Gange nichts lasten verlehren gehen; er muß ihnen auch noch alle Annehmlichkeit verleihen, die ein guter und feuriger Vortrag ihnen geben kann. Es ist nicht hinreichend, daß er bloß dem Compomsten treulich folgt: er muß ihm nachhelfen, er muß ihn untersuchen. Er muß selbst Eomponist werden, er muß nicht blos alle Feinheiten feines Stückes ausdrücken; er muß auch neue hinzuthun, er muß nicht blos ausführen, er muß selbst schaffen. Em Bo­ genstrich, ein Vorschlag ist zuweilen ein sinn­ reicher Einfall oder eine Empfindung. Eine Wendung der Stimme, ein Sülischweigen, ein Anhalten, das mit Kunst angebracht ist, machen zuweilen das Glück eines mufkalifchen Gedankens, der die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht an sich gezogen, wenn ihn ent mittelmäßiger Tonküustler ausgeführet hätte. §.

5i.

Wenn von einer gewissen Sammlung von Gedichten gefaget wird, man sinde in ei­ nigen eine ordentliche leicht zu übersehende Anlage, ausgefchmückt mit einem hohen poeti­ schen

i. Vermischte Gedanken. 217 fchen Ausdruck und mit kühnen Ausschweifun«

den beschenke; und in andern seyen die Aus­ drücke nicht hoch, aber angemessen schön, die Bilder nicht majestätisch, aber lachend, und keine Ausschweifung beschwerten den allerleich« testen Plan: so dünkt mich, werden auch die musikalischen Stücke nicht vorkr-silch seyn, wenn sie es nicht ans eine oder die andere gleich be­ schriebene Art sind. Die Poesie und die Mu­ sik haben mehr gemeine Regeln als man viel« leicht glaubt. Ich merke dabey noch beson­ ders an, daß in allen Oden eine leid re Anlage seyn soll, und glaube das; Hand. Smcke, deren Plan allemal so leicht zu übersehen ist, hauptsächlich mit deswegen so sehr gefallen.

§-

52.

Darin aber scheint die Poesie mit der Mu­ sik keine Gemeinschaft zu haben, das; die Oden sich oft sehr mit einer Ausschweifung schließen, ohne wieder zur vorigen Materie zurück zukeh­ ren; die musikalischen Stücke hingegen allezeit einen ordentlichen wohlzubereiteten Schluß mit der Hauptempfindung haben wollen.

§-

s3-

Die Schauspieler der Alken besoldeten ge­ wisse Leute, welche von Zeit zu Zelt in die Hände klatschen, und dadurch den Beyfall der Versamlung erregen musten. Haben die P 3 Mu-

2*8

I Vermischte Gedanken.

Musici dazu nicht Geld, so sind viele doch so verschmitzt, sich nur in solchen Venamlunqeir hören zu lassen, wo ihre gute Freunde oder L-'hrlinge zugegen sind, von denen sie der Bra­ vos versichert sind, foltert selbige auch nur deswegen gegeben werden, wer! eö nicht a cig ist, in einem Concert zu seyn, und mcht manch­ mal Bravo zu rufen,

§.

54-

Wenn man sich in den Gsberden,

in Zei­

nen Manieren, ur d im Reden ziert , das komt g meiiikglich von Faulheit, und Gleichgültigkeit her. Welcher Musikus aber sich d>S was er zu thun hat, recht angelegen seyn lasset, seine Geschäfte aus eine ernsthafte Art abwar­ tet, und sie so vollkommen auszurichten suchet, als er nach gutir Ueberlegung sinder, daß es nöthig ist, der wird bey Ausübung seiner Kunst in allem ganz natürlich zu Wwke gehen. Auch sind meist nur junge, leich'.sinnige, cavalierische Tonknnstler zugleich aff.ctirt.

5fMehr als ein Musikus ist zu einem ho­ hen Grade der Vollkommenheit blos deswegen n«cht gekommen, weil ihn sein Lehrmeister entweder aus Neid oder aus Unverstand verab­ säumet hat. ~ $ auf die jetzigen so schlechten italienischen Musikalien in Paris so erpicht ist? vielleicht ist eö enie Wirkung der Mode» sucht; von einigen Deutschen aber laßt sich versichern, dasi sie blos deswegen die wel­ schen. Stucke allen andern vorziehen, weil selbige weit Herkommen, viel Fracht kosten, und nicht auf lange sondern breite Bogen geschr leben sind. §.

62.

Die Welk ist immer einerley, rüste Horaz bev den Schausvielen seiner Zeit aus: infanvs oculos & gaudia vana! so können wir m

UN»

I. Vermischte Gedanken. unsern

meisten

Concerten

221

auörufLN r infanas

aures & gaudia vana! 6z. Wir haben auch Tonkünstler, deren Arbei« kett und Verdienste man so unterdrücken will, wie der Cardinal Richelieu des Corneille Cid, (dm nach Boileaue Ausdruck jederman so schön fand als Roderich die Chunene,) unterdrücken wollte. Diesen Tonkünstlern wünsche ich, daß sie Corneille» auch darrnn gleichen mögen, welcher sagte: daß der Cid so lange schön blei­ ben würde, brs ein anderes Stück zum Vor­ schein käme, dessen die Zuhörer auch bey der dreißigsten Vorstellung noch Nicht überdrü-

ßrg wären. §'

64.

Es hat jemand gesagt, es wäre nichts so erhaben, so majestätisch, so schrecklich und so übereinsilmmlg, zu gleicher Zelt aber auch so lercht, so sanft, so zärtlich und so rührend, als der poetische Theil der Bibel, wogegen alle heidnische Verse platt und niedrig wären. Nun wollen unsere Componrsten doch nicht gern an solche Worte, die von Gedanken so schwer sind, als Horazens Oden, und ferner Nach­ ahmer ihre Verse. Wo es also Nicht möglich ist, daß unsere geistlichen Sinqdrchter den zu­ gleich leichten Ausdruck der erhabenen hebräi­ schen Poesie erreichen, so dürfen sie nur gleich, P s sonder-

222 i. Vermischte Gedanken. sonderlich zu Chören, Worte aus dem poeti­ schen Theil der Bibel nehmen, und dabey nachfolgendes beobachten. Erstlich daß sie sich nicht an unsere gemeine Ueberschung hal­ ten, sondern neue Uebersetzungen machen, die dem Grundtexte so viel als möglich beykommen; zweytens daß, sie nach Erfordcrniß der Um­ stände das was in der Bibel in der ersten Person vorgetragen ist, in der dritten Person ausdrücken, und so umgekehrt. Z. E. In der Schrift heisset es: die Himmel, und die Him­ mel der Himmel sind des Herrn deines Got­ tes 5 Mos. io. 14. Ich will euren Him­ mel wie Eisen, und eure Erde wie Erz ma­ chen 3. Mos. 26. Statt dessen kann man nach Gelegenheit singen lassen: die Himmel « sind unsers Gottes, er har ihren Himmel -« gemacht. §.

6s.

Öfters mögen aber doch wohl die Componi« sten Recht haben, die Worte neuerer Dichter, die so gedankenvoll schreiben wollen, zu ver­ abscheuen. Beyspiele von der leichtfaßlichen Erhabenheit der biblischen Poesien, und dem schwerverständlichen Ausdrück neuerer Dichter kann man aus folgenden nehmen. Von der ersten Art sind: der Herr neigte die Himmel und kam herab; Finsterniß war unter seinen Füssen. Er macht die Wolken zu seinem Wa­ gen, und gehet einher auf den Fittichen seines

223

i Vermischte Gedanken.

Windes rc. 0 Gott die Gewässer sahen dich; sie erbebten, und dre Tiefen zitterten rc. - - 0 haß mein Volk nach mir hören möchte, daß Israel in meinen Wegen möchte gehen wollen! Aber mein Volk w-ll meine Stimme nicht hören; Jüael will sich nicht in mir be­ ruhigen. Und von der andern Art: Ihr, Chri­ sten, fauchzec den Nachhall des Himmelt-, mit) gießt euch ans in jubilirende Psalmen rc. 0 Mensch, wie groß bist du, verehre dich sel­ ber; Denn deine abgerissene Sphäre an die seeligen Welten wieder zu binden, sank der Gesalbte in die Nacur des Menschen nieder rc. Dieses sey mein Dank, der ewig daure, daß mein Schöpfer mich schuf, und nun mich weg« wmkt, von der Schwelle des Lebens zum un­ sterblichen Leben empor.

§.

66.

In schönen Sachen ist überall die Einför­ migkeit mir der Verschiedenheit anzurreffen, und streßet daher, daß ein Concert, dessen Theile aus neun in drey Concerten befindlichen Theilen zusammen gesetzt wäre, nicht schön seyn kann. Ein Verfasser dreyer Concerte hat bey jedem ein besonders vnum, und folglich würde auch ein Concert, dessen drey Theile von drey Componisten g'stztt waren, in diesem Betracht nicht wahrhaftig schön seyn. Eben so gehet eö den Opern, deren Arien von verschiedenen Componisten gesetzt sind.

§«

67.

224 11 Gedank. der Madame Dacier §. 67. Die Zauberinnen in den Opern mögen zwar um vieler Ursachen willen lächerlich seyn; sie sind es aber um etwas mehr schwerlich als deswegen, weil sie fallen alles wissen u-.d alles thun können, und doch sehr oft nicht einmal singen können.

II.

Gedanken der Madame Dacier über die Floren der Alten, aus derselben Noten über den Lerenz. übersetzt von Hrn. Friederich Christian Rackemann.

H?-eber keine Sache des Alterthums si«d die Gelehrten getheilter, als über bre Ftöten, welche die Alten rechte und linke (droites & gauches) gleiche und ungleiche (egales & inegales) nannten. Ich werde nicht alles, was man davon geschrieben hat, anführen, sondern mich begnügen, dasjenige zu berühren, was mir am wahrscheinlichsten vorkommt, und zum Verständniß der Schwürigkeiten in den Ueberschrifren der Comedien des Terenz, soviel als möglich beytragen kann.

über die Flöten der Alten. 225 In diesen Comedien spielten die Flötenisten allezeit zu gleicher Zeit auf zwey Flöten. Die, weiche sie mit Der rechten Hand spielten, nannte man aus dieser Ursache, die rechte, und folglich die, welche mit der linken Hand gechrelet wurde, die linke Flöte. Jene hakte nur wenig Locher, und gab einen tiefen Ton von sich; diese hatte mehrere Oefnungen, und gab einen Hellern und höher» Ton von sich. Wenn nun die Musici sich dieser verschiedenen Arcen von Flöten zugleich bedienten, so sagte man, daß das Stück, mit ungleichen Flöten (tibiis imparibus) oder mit rechten und lin­ ken Flöten (dextris & finiftris) sey gespielet worden; spielten sie aber auf zwey Flöten von gleichem Ton, als auf zwey rechten oder zwey linken, welches oft geschahe; so sagte man, das Stück sey mit gleichen rechten Flöten (tibiis paribus dextris) gespielet worden, (hier­ unter verstand man die vom tiefern Ton,) oder, mau hätte eö mit gleichen linken Flö­ ten (tibiis paribus bnißris) gespielet, (hierun­ ter verstand man die vom hohem Ton.)

Wenn diesem so ist, wie ich denn glaube, daß man nicht daran zweifeln darf: so scheint es sogleich, daß diejenigen, welche diese Ueber« schrift für verfälscht gehalten, solches nicht ganz und gar ohne Grund geglaubt haben. Denn, wie hak man zum Erempel in der Co« medie Andria, zu gleicher Zeit, auf gleichen rech-

226 ii. Gedank. der Madame Dacier rechten und linken Flöten (tibiis pmbus dextris & liniltris) spielt « können, indem die Flöten nicht können gleich rechte und linke gcnennt werden, als wenn sie emerlcy sind, und entweder, alle mit der linken oder rechte« Hand gesp>eler werden. Denenjenigeu, die dieß gedacht haben, ist

es nicht eingefallen, daß man diese Worte nicht von einer einzelnen Vorstellung allein, versteheu müße, sondern von Vielen verschiedenen, als in welchem dre F'öken allezeit gleich gewe­ sen sind, doch so, daß man bald auf gleichen rechten (d. i. den tiefen) und bald auf gleich linken (\ i. den hoher-) tpidte. Derrn es wurde nicht allezeit zu eben derselben (fomedre weder mit eben denslben Flötet', noch aus eben der­ selben Tonart g.sprelet, sondern man wechselte oft damit ab, wie unö solches Donar selbst,

in dem Fragment, lehret, welches uns von feinem Traktat über die Comoedie, übrig ge­ blieben ist, als wormnnen er saget: nequc enim omuia üsdetn mcdis in vno cantico agebantur, fcd faepe mutans, vt fignificanr qiü tres numeros in Ccmccdiis ponunt, qui tres continent muratos mcdos cantici illius. Es wurde nicht bey allen Stücken eben die­ selbe Tonart und Melodie gebraucht, son­ dern man wechselte hrerinnen esc, wie uns diejenigen Zolebes belehren, die d>e mit den drey an der Sirr ne der Comoc« dre

über die Flöten der Alten. 227 die gesetzten Buchstaben: M. M. (£.

Veränderungen der Tonart ges anzuzeigen pflegen.

die

des Gesan­

In der That bedeuteten auch die drey Buch­ staben , M. M. C. so viel als: mutatis modis cannci Oder mit abwechselnden Tonarten. Eben derselbe Donar, bezeichnet uns, in der Vor­ rede der Adelphen, den Ort, wo man die drey Buchstaben hinschreibt: denn er sagt ganz deut­ lich, daß man sie hinter die Liste der AcceurS zu sehen pstegte. Saepe tarnen mutatis per fcenam modis cantica mutauit, quod fignificat titulus fcenae, habens subiectas perfonis litteras M. M. C. d. i. Er wechselte oft wahrendein Aufzuge mit dem Gesänge ab, wel­ ches die Uebersthrift der Tomoedie an­ zeigt, indem man hinter den Namen der Acteurs, die Buchstaben M. M. stndet. Es wäre auch zu glauben, daß man während derselben Vorstellung, etlichemal diese Veränderung gemacht, und zu einem jeden Zwischenspiele andere Flöten genommen habe, so, baß man wechselsweise zu dem einem auf den rechten (oder tiefen,) und zum andern Zwischenspiel auf den linken (oder hohen) Flö­ ten gespielet. Donar sagt, daß, wem» der Inhalt der Comoedie ernsthaft war, man sich alSdenn der gleichen rechten Flöten bediente, die man auch die Lydischen neunte, und welche einen ernsthaften Ton hätten: wäre aber die Materie sehr lustig: so nähme man blos die gieb

228 Ti. Gedank. der Madame Dacier gleichen linken Flöten, welche die Tyrischen oder SiirraniB qenennet würden. Diese hatten einen lustigen Ton und sch.ckren sich daher am besten zur Freude: wäre aber endlich die Ma­ terie -von Freude und Ernst vermischt: so be­ diente man sich der ungleichen Flöten,'>nemlich der rechten und lmken zugleich und dre mau die Phrygischen nennte. Dextrae autem & Lydi-ae fua grauitate -feriam Comoedie dichonem pronuntiabanr: sinistrae & Sarranae acutniuis leuitate iocum in Cornoedia oftendebant: ubi aatem dextra & finiftra ada fabula inferibebatur, miidm joci & gravitatis denuntiabatur. Die rechten oder Lydrstchen Floren kündigten mir ihrem wsthafcen Ton, eme ernsthafte Lomoedie an : die linken oder Garramjlben F ören bezeictmeren eine lu­ ftige Lomoedre: die rechte und Unke ab-rr, oder ungleichen F-ören gaben zu erkenne-r, daß man ein von Scherz und Ernst vermischtes Spiel vorstelien würde. Allein ich finde hierin dennoch einige Schwierigkeiten, welche Mich überreden, / daß sich Donat gcirret habe. Eine davon ist die­ se, weiche mir unüberwindlich vorkomt; wolte man ner-'lich durch den Ton der Flöte den In­ halt der Comoedie anzeigen, so hätte man, weil der Inhalt allezeit ebenderselbe ist, nothwendig müssen allezeit ebendieselben Flö­ ten gebrauchen, ohne >>e jemals abzuwechseln. Man

über die Flöten der Men. 229 Man siehet aber aus der Überschrift des Heauconrimorumenos, daß man bald mit im« gleichen Flören, ncmlich mit einer rechten und einer linken (oder mit einer tiefen und einer hohen,) bald aber auch mit zwey rechten (tiefen) gefpielec hat. Aber wie? war der Inhalt der Comoedie erstlich halblustig, und wurde derselbe bey einer zweyten Vorstellung mit einmahl ernsthaft? Ein jeder siehet, wie lächerlich dieses ist. Ich bin gewiß ver­ sichert , daß sich die Musik nicht nach dem Inhalt der Comodie wird gerichtet haben, sondern vielmehr nach der Gelegenheit, bey welcher diese vorgesteilet wurde. Diese Anmer­ kung kommt mir sehr wichtig vor, indem sie uns alle Schwierigkeiten, die sich dieserhalb ereignen, in ein helleres Licht stellet. Es wäre in der That abgeschmackt gewesen, wenn man z» einem einer Leiche zu Ehren aufge­ führten Stücke, eine lustige Musik gemacht hätte. Eben daher kam eS, daß man sich bey der ersten Vorstellung der Adolphen der lydischen Flöten ' tibiarum Lydiarum aut dcxtrarum) bediente, nemlich der zwey rechten, und hingegen bey der zweyten Vorstellung, die eine freudige Begebenheit veranlasset hatte, die zwey linke Flöten (tibiae Sarranae aut fiui>ftrae) erwehlet wurden. Geschahe eS nun, daß ein Stück während der großen Feste auf« geführet wurde, bey welchen Freude und An­ dacht vermischt waren: so spielte man ordent« II. Band. 3. Stück. Q licher

2Zo n. Gedank. der Madarne Dacier sicher weise auf ungleichen Flöten (tibiis imparibus) oder das eine mal auf zwey rechten und -aS andere mal auf zwey linken Flöten, oder

man verwechselte die Flöten bey einem jeden Zwischenspiel. Auf diese Art glaube ich, ist die Cc-moedie Andria gespielet worden. Doch es mag genug seyn von den Flöten der Alten, von welchen wir doch niemals eine ganz vollkommene Kantniß erlangen werden. Man müßte sie gesehen oder gehört haben. Mrin Vater war so sehr wider sie aufgebracht,

daß er zum Lobe der Minerve, welche die Flöte inS Wasser geworfen, und um diejenigen

zu verwünschen, welche sie wieder heraus ge­ zogen, und so viel Unheil und Streit unter

den Gelehrten dadurch angerichtet haben, fol­ gende Verse verfertigt hat. Ich glaube man werde es mir nicht übel nehmen, daß ich dieselben hierher sehe; sie sind gewiß so schön,

daß man sagen fönte, sie waren in dem au* gustischen Jahrhundert gemacht.

Ad Palladem Mineruam. Cerebri liquor paterni, Pallas Attica,

Mollis medulla, sanguen et succus Iouis, Quae nee Deam, nec feminam matrem des, Te, Diua, merito vates fapientem vocant: Quae olim tumentes cum. videres bucculas, Niddofque ocellos nimio tendi fpiritu, Irata

über die Flöten der Alten.

231

Irata in vndas tibiam proieceris. O bene, quod illam nigris merseras aquis! Bene quod volueras esse millani tibiam? Ar. qui profundo fuftulit mersam vado> Debcbat ille confuta gula emori; Debcbat ille Marirae tat um oppetens, Siccasque arenas tabo irrorans vifccrum^ Peilern boanti praebuifie tympano. Tantum illa doctis tibk concinnat mall. Saltie itaque, o Pallas, unici germen Iouis, At vos perlte, vos perlte, tibiae.

Auf Deutsch. Ausfluß des Gehirns, Mark, Bluk und Kraft und Leben DeS großen Jupiters, gezeugt in Griechen* land; Die keine Mutter hier, noch im Olymp ge« kannt, Dich, weife Pallas, muß der Dichterchor er« heben.

Von gar zu starker Luft sahst du die Ba* (feit schwellen, Und Auge und Gestalt vom Ansatz sich der* drehn. Du warfst die Flöre weg, aus Eifer, dies zu sehn. Wie klüglich übergabst du sie dem Spiel der Wellen! Q 3 Die

2Z2 hl Chronologisches Verzeichniß Flöten wolltest du aus dieser Welt verbannen; Wer langte sie heraus? Wer macht uns neue Noch? Mit zugenehtem Mund empfind er Pein und Tod! Man müße seine Haut auf laute Trommeln spannen.

Die

Er muß,

MarsyaS, den Sand mit Blut besprengen. Weil Flöten solche Noth für die Gelehrten sind! Drum, Pallas, leb und blüh, des Jovis einzigs Kind; Ihr aber Flöten sterbt! bleibt in den Wäldern hängen. wie

vom Hm. C. G. Lieberkühn. ^44-4^4-4.4.4.4.4.^ 4.4.4-44.44.4.4.4.4.44

III.

Chronologisches Verzeichniß der seit 1645. bis 1754. in Paris aufgeführ­ ten Opern, nebst dem Leben verschiedener Französischen Componisten. 164s. I^.r festa theatrale della finta Pazza. 1647. l6s

I.

Orfeo ed Euridice. Cajsandre,

1659*

der französischen Opern. i6s9»

1660. 1661.

233

La Paßorale de Petrin. Ercole amanie. Ariane oder le Mariage de Bacchus.

Von diesen Stücken kann man das dritte Stück des ersten Bandes dieser Beytrage nachsehen.

Die Texte zu den nachhero bis iho auserführten Opern sind in verschiedne Bände gesammlet, und bey Christoph Ballard in 12. gefcrucft worden.

I. Band. 1671. 1672. 1672.

Pomone. Les peines E5* les plaißrs de Tamour. Les Fetes de l’atnour de Bacchus.

Ist ein Schaferspiel, und die erste Oper des Lully, wozu Quinault den Text gemacht.

1673.

Cadmus y* Hermione, eine Tragödie

von den vorigen Verfassern. 1674. Alceße, eine Tragödie, von den vori­ gen Verfassern.

In dieser Oper haben folgende Personen gesputet

Gänger. Meß.

Sängerinnen.

Gaye. Mesdem. Dela Garde. LangeaiS de St. Christophe. Morel. Bony. Godonefche.

Q Z

Gin-

SZ4 NI. Chronologisches Verzeichniß Meß. Gingan. CledLere. Frizon. 1675. Thesis, Tragödie von Lully und die Poesie von Quinault. 1675. Le Carnaaal, ein Ballet; die Musik ist von Lully und die Poesie von verschie denen Buctoribus.

1676. Atys, Tragödie, von Lully und Quinault.

II, Band. Isis, Tragödie, von den beyden vorigen Verfassern. 1678. Psyche, Tragödie. Der Text ist von Thom. Corneille» und die Musik von Lully.

16*77«

1679. Bellerophon, Tragödie, von den bey­ den vorigen Verfasser». i6go. Prosirpive, Tragödie, von Lully und Quinault. l6§i. Le triamphe delamour, Ballet von den vorigen. 1682. Perße, Tragödie von den vorigen.

1683.

Photon, Tragödie, von den vorigen.

1684. Amadis de Gaule, Tragödie, V0N dktt vorigen. III. Band.

!68s. Roland, Tragödie, von Qrrinault.

Lully

und 1685»

r68s.

L’Idille für la paix, $5* TEglogue da

Versailles, der Tert ist von Quinault, Ra­

cine und Mokiere; die Musik von Lully. l6Zs. Le tetnple de la paix, Ballet, V0N O.Uinault und Lully.

1686. Armide, Tragödie, von den vorigen.

Man nennet die Armide die Oper der Da­ men;- Alys die -Oper des Königs, Pha?tmr die Oper des Volks, und Isis die Oper der Musikverständigen. 1686. Aas siV Galatee, heroisches Schäfer» spiel, wozu Campistron die Poesie und Lully die Musik gemacht.

1687. Achills, Tragödie; der Poet war Cam­ pistron, und der Musikus Colaße. Pascal Lolaße, Kammer - und Capell« Musikoirector Ludewigs des XIV. wurde 1639. zu Paris gebohren. , Er studirte rrnter dem berühmten Lully die Musik, und hak nicht allein theatralische Stücke, sondern auch verschredne geistliche Musiken verfertiget. Ma» würde noch mehrere, und noch sieißiger ausgrarbeiceke Sachen von ihm haben, wenn er es sich nicht hätte in den Kopf kommen laßen, den Stein der Weifen zu suchen, als wodurch er von seiner ordentlichen Arbeit abgezogen und seine Gesundheit geschwächt ward: Er starb 1709. im siebenzigsten Jahre seines Alters. 1688« Zephire ssi Flore, Ballet; der Text ist von Du Bottlay und die Musik von den Q 4 Brü-

2Z6 in. Chronologisches Verzeichniß Brüdern Lully.

Ludewig

und

Johann

Ludewig

1689. Thetis Pelee, Tragödie; die Poesie ist von Fontenelle und die Musik von Colaße,

IV. Band. 1690. Orphee, Tragödie; der Text ist von Du Boulay und die Musik von Ludewig Lully, Sohne von Joh. Bapt. Lully.

1690. Ente Lavinie, Tragödie von Fon­ tenelle und Colaße. 1691. Coronis, Schäferspiel; der Text vom Bauge und die Musik von Theobalde. Thesdalde, (Theobaldo de Gatti) geb. zu Florenz in Italien, bekam einige Sachen von Lully in seinem Vaterlande zu sehen, und wurde so sehr davon eingenommen, daß er, um den Verfasser kennen zu lernen, eine Reise nach Paris that. Lully war nicht un­ empfindlich gegen die Höflichkeit seines Lands­ manns, sondern machte ihn zum Königl. Mu­ sikus. Theobald componirte gut, und spielte das Violoncello vortreffich.

1691. Aflrce, Tragödie, de la Fontaine mach­ te die Worte, und Colaße die Musik. 1692. Ballet de Villeneuve St. George; der Text ist von Bansy, und die Musik von Colaße.

1693.

der französischen Opern.

237

Alcide ou le triomphe d’Hereitle, Tra« gödie, von Campistron, die Musik machten Ludewig Lully und MaraiS.

1693.

Marrn Marals, Königl. Kammermust« kus und Gambist, wurde i6$6. den zr. März zu Paris gebohren. Sein Lehrmeister auf der Kniegeige war St. Colombe, der aber bald von seinem Schüler übertroffen ward, als welchem er nach sechs Monathen Lection ankü-idigte, daß er ihm nichts mehr zu wei« fett hätte. Marais fügte diefent Instrumente die siebente Sayte hinzu, und bediente sich zuerst der drey besponnen dicken Sayten. Ec starb den i s. Aug. 1718. im drey und sieben« zigsten Jahre seines Alters. Bidon, Tragödie, von Mad. de Sain« tonge, und die Musik von DeSmaretS.

1693.

Heinrich Desmarets, wurde 1662. zu Paris gebohren. Als im Jahre 168Z. vier Capellmeistcr bey der Capelle zu Versailles angenommen werden sollten, so gab sich unter andern auch Desmarets an. Sein Probemotet wurde aufgeführet, und sehr wohl ausge­ nommen. Der König aber fand ihn zu einem Capellmeistcr zu jung, und nahm den ncnc>s, das f Hypare hypacon, u. f. w. wie uns solches Gaudenrius, in der meibomifchen Ausgabe

Veteres omnium sonum grauiffimum, a quo initium faciebant, ad hannoniae acumen al'cendendo, Proslambanomenon vocabant. Hüne autem non femper natura grauiffimum sumse re, l’ed & pofitione. In singulis enim modis non idem erat Proslambanomenos fonus, fed in alio alit(Man Seite 6. in folgenden Worten lehret:

kann im Vorbeygehen merken, wie in vorherge­ hender Stelle das Wort Harmonie für VITeio«

die führen, nemlich a. b, c, d, c, f, g, | h, i, k, 1, m, n, o. p. Als man nach der Zeit, unter der Regie­ rung des Pabstes Gregorins des Großen, im sechsten Jahrhundert bemerkte, daß, weil die mit h, i, k. je. angezeigtcn Tone nichts anders als eine Wiederhohlung der ersten Ocrave waren, auch diefe letztere Buchstaben überflüßig waren: so wurden solche abgefchasset, und nur die sieben ersten beybe­ halten. Diese Veränderung zog eine andere nach sich, nemlich das Auf- und Absteigen der Töne mit gewissen nach Proportion auf- und absteigenden Puncten zu bemerken, und zu dem Ende mehrere Li­ nien anzunehmen. Doch kam es hiemit noch nicht zur völligen Richtigkeit, bis endlich Guido Arerinus und Johannes de Muris erschienen, wo­ von jener das Liniensystem verbesserte, dieser aber die Puncte in Noten verwandelte, und damit end­ lich zur heutigen Schreibart der. Grund gelegte ward.

der Alten beschaffen gewesen rc. 285 die gebraucht wird). Auf der 21. Seite des Gaudcntiuö findet man mehrere Nachricht von der respcctiven Bedeutung der angeführten grie­ chischen Benennungen, wohin ich den Liebhaber, Raums wegen, verweise. Die Figuren, deren man sich, anstatt dieser Nahmen, zur Bezeichnung der Töne bediente, findet man ebendaselbst, aus­ führlicher aber beym Alypius, und auch bey den andern griechischen Scribentcn. Es ist leichte zu fehen , daß die Töne aus dem kleinern System, Paranete Jjneiiimenon und Netefyncmmenon von denen aus dem größer»» System: Trite diezeugmcnon, und Paranete diezeugmenon, (c und d ) gar nicht verschieden, sondern Einklänge sind. Indessen pfiegten die Al­ ten, wenn sie die beyden Systemen zusammensehten, ob sie gleich nur eigentlich sechzehn verschiedneTöne enthielten, dennoch ihrer achczehn, und also füiifTerrachorden zu zählen, und dieses geschahe folgendergestalt:

r

Proslambanomenos. Hypate hypaton» 3- Parypate hypaton. 4- Lichanos hypaton. 5- Hypate inefon. 6. Parypate mefon. 7- Lichanos mefon. 8- Mele. Trite synemmenon. 9 10. Paranete synemmenon. ii. Nete synemmenon. 2.

A. -p f 0 I ei

H e 'S* ! d -•M

n

f g

& A

b c - J>

12. Pa*

286

i. Wie die Harmonie

12. Parameie.

13. 14. Is. 16. 17. l8-

Tri re diezeugmenön. Paranere diezeugmenön. Nete diezeugmenön. Trite hyperbolaeon. Paranete hyperbolaeon. Nete hyperbolaeon.

Jedes Tetrachord bestand allhier wie man sieht,-

aus einem großen- halben, und aus zwey gan­ zen Tönen, und auf den Gebrauch dieser gan­

zen und großen halben Töne gründete sich das sogenannte diatomjche RlanggestHlechc.

Als aber die Tonkünstler in der Folge der

Zeit sich nicht mit diesen ganzen und großen

halben Tönen begnügten,

sondern, bey Ver­

bindung der beyden Systemen, unmittelbar

das b und h

hintereinander zu gebrauchen an-

fiengen: So gab dieses, bey weiterm Nachden­ ken Gelegenheit, auch zwischen die ganzen Tö­

ne, die wir mit unserm f — g und c — d vor« gestellet haben, einen kleinen halben Ton ein­

zuschieben.

Dadurch

entstand

ein

zweytes

Klanggeschlecht, welches das chrsman'sthe ge-

nennet ward. Dieses chromatische System he folgendergestalt ans:

sa­

r) Pros»

der Alten beschaffen gewesen rc. 287 I. 2. 3. 4. s. 6. 7. 89. IO. II. 12.

Proslambanomenos. A H ' Hypate hypaton. Parypate hypaton. e Lichanos hypaton chromatice. cis Lichanos hypaton. d Hypate melbn. e Parypate mcfon. f Lichanos mcfon chromatice. < fis Lichanos melbn. g Mefe Trite fynemmenon. b Paranete fynemmenon chroma­ h tice. 13. Paranete fynemmenon. c 14. Nete fynemmenon. d . Is. Paramcfe. h ' I6. Trite diezeugmenon. e 17. Paranete diezeugmenon chroma­ eis tice. 18- Paranete diezeugmenon. b . 19. Nete diezaugmenon. r e 20. Trite hyperbolaeon. 7 21. Paranete hyperbolaeon chroma­ fis tice. 7 22. Paranete hyperbolaeon. 23. Nete hyperbolaeon. a

Allein man ließ es noch nicht bey diesen Tö­ nen bewenden, sondern schob annoch durch eine neue Theilung zwischen die kleinen hal­ ben

288

i Wie die Harmonie

ben Töne, die wir durch b —h f—fit? und c—cis vorgestellet haben, neue Klänge ein, und brachte damit die sogenannten ViertheilStöne auf.

Dadurch entstand ein drittes Klanggcfchlecht, nemlich das enharmonifche, welches folgen­

dergestalt ausfahe:

1. 2. z. 4.

5.

6. 7. g. 9.

IO. 11. 12. 13. 14.

Is. I6. 17.

Proslambanomcnos. A Hyparc hypaton. H c Parypate hypaton. Lichanos hypaton enarmoc+ nios. 0Nische Töne sind tnejenigcn, die in der Ver# nist!-rrng einer Lonjonanz, (das ist, wenn sie zwischen der ü)crave und der Quinte

stehen,) zwischen einer Lonsonanz und Dis­ sonanz das Mittel halten; vti in tonis

videtur, a parypate meson vsque ad paramesen; d. j. wie man aus den zwischen der Parypate tnesori und der paramese gelegnen Tonen sehen kann. Wer sind diese Töne anders als die Terzen £—a ; und g—h? Ich finde allhier keiner andern Erklä­ rung

der Alten beschaffen gewesen rc. 309 rung vonnöthen, ob sich gleich Gaudentius etwas dunkel ausgedrücket hat, welches vielleicht deßwegen geschehen, um es nicht mit den andern Theoreticis zu verderben. Wenn Gaudentius übrigens das Wort paraphonum allhier in einem andern Verstände gebraucht hat, als dort beym pfellus geschahe, so ist dieses bey den Alten nichts neues, und ist es eben, wie mit dem Worte Harmonie bey ihnen, damit beschaffen. Es wollen zwar einige aus folgender Stelle des Horaz:

Ur gratas inter mensas fiymphonia dificors OfFcndit: Sic animis natum inuentumque poüma iuuandis Si paullum a summo difccflit, vergit ad imum. beweisen, daß die Alten sich der Dissonanzen be­ dienet. Aber diese Erklärung ist unrichtig. Der ganze Zusammenhang, und die übrigen Verglei« chungen geben es zur Gnüge, daß von einer verstimmten, oder deutlicher, von einer mit übel«' gestimmten Instrumenten gemachten Musik, die Rede ist. Einen stärker« Beweiß für die Dis­ sonanzen könnte man aus dem 83. Briefe des

Seneca nehmen, allwo er schreibt: ad mustcam transeo ; doces nie, quomodo inter fe acutae ac graues voces confonent; quomodo neruorum disparem reddentium sonum fiat concordia; d. i. ich komme auf die Musik; du lehrest mich, wie dre höhern und liefern Töne zu­ sammen klingen, und was es mir der Ueber-

T 3

ein-

3io

L Wie die Harmonie

einstimmung zweier Sagten, die einen versckiednen Rlang haben, für eine Be­ schaffenheit habe. Sollten hier nicht einige in die Versuchung gerathen, den lehren Absatz folgender gestalt zu übersehen: und wie die distonirenden Gayren wieder zu consonirenden werden, d. i. wie sie aufgelöster werden. Allem es hat es mit diesen nernis dijparem reddentibus finum keine andere Bewand» uist, als mit dem ämOwvov des Plato (*), wel­ ches oben von dem pstellus erklärt worden.

Wir sitzen also die vermeinten Gründe fürdie Dissonanzen der Alten bey Seite, um nur aus einigen Schriftstellern annoch einige Be­ weise (*)- In der im II. Bande i. St. IV. Art. der Beytrage aus dem Macrobiuö angeführten Stelle: fit covc.ntw ex dißoriis, bedeutet das dijsonum eben» fals nichts anders als das, was plaro durch nntiph mm tu saget. Mir fallt bey dieser Gelegenheit die Aufgabe des gelehrten Herrn Priors Spieß ein: ob es möglich sey, eine große und kleine Terz, «ine große und kleine Sexce, eine große Decime, und eine (Quarte und (Quinte zur Uebereinstimmung zu bringen, und welche mit folgendem aus den ersten s chs harmonische» Zahlen entstehende» Satze aufgelöset wird; e

c g e e

C : c

der Alten beschaffen gewesen rc. 311 weise für die Harmonie, aber consonirende Har« monie der Alten anzuführen. So schreibt z. E. P$Cvto an einem gewissen Orte: Concentus eß

ordo, qui in voce acuta £/ graut ßmul contcmperatis adparet, d. i. die ^arnionic besteht dar­ innen, daß man einen hohen und riefen Ton zusammen hören läßt. Cicero schreibt in dem 1 Buche der Tuscul. Fragen : Hartno•

niam atitetn ex interuallis ßonorum nojse poßumtir, cpiorum varia compoßtio etiam harmonias ejßcit plures. Ist etivann allhier die Melodie gemeint? Es ist nicht glaublich. Gehört nicht Mühe und «ine Estevisthe Metaphysik dazu, diesen klaren und deutlichen Worten angesehner und bewähr­ ter Scribenten, Worten, die nichts weniger als verfälscht, verstümmelt, untergeschoben oder streithaft sind, Worten, womit die dogmatischen Scribenten der Musik vollkommen Übereinkom­ men, einen andern Verstand anzudrehen? Wir haben annoch die Meinung derjenigen zu berühren, welche behaupten wollen, daß die Alten die Harnionie schon völlig nach unsrer Art ansgeübet haben. Da wir aber genungfam be£ 4 wie-

C C E G c e e C

: : ; : ; : : :

c —2 E— 5 6—6 c —4 E —8 G— 3 C—5 G— 3

: : : : ; : : ;

I 4 5 3 5 5 2 2

Octave. große Terz, kleine Terz. Quarte, kleine Sexte, große Sexte, große Deeüue. Quinte.

Zi2

i. Wie die Harmonie

wiesen, daß sie den Gebrauch der Dissonanzen nicht gekennet, so ist die Meinung dieser P.iftNen bereits zum Theile dadurch widerleget wor­ den. Aber die Alken haben nicht einmahl den obli­ gaten consonirenden vierstimmigen Satz gehabt. Hätten sie denselben gehabt, so hatte Macrobms Unrecht, daß er in der Beschreibung des Concert­ her Alten, von nicht mehr als 3. Stimmen spricht, von der höhern, mittlern und tiefern, und alle Scribenien der mittlern Zeit hätten Un­ recht, daß sie dem Dunft.ru die Erfindung der vier Hauptstimmen, wovon bey den Alren kein Wort befindlich ist, zueignen. Vincenz» Galilei setzet in seinem dialogo della mulica antica e moderna, die Erfindung des obligaten Satzes nicht einmahl bis auf die Zeiten deDunftans, welcher im zehnten Jahrhundert Christi lebte, zurück, wenn er sich folgenderge­ stalt hierüber erkläret: Certa cosa ö per quello ehe hö potuto raccornc da diverse parti, ehe la maniera di cantare oggi tarne arie infieme, non d piu di cento cinquanta anni, ehe l'ö in uso. E- war aber ums Jahr isgr. als Galilei die­ ses schrieb, und also wäre nach ihm der obligate Satz erst etwann um- Jahr 1430. erfunden worden. Allein man muß bedenken, daß er allhier ohne Zweifel von den mit eilf und zwölf, ja zwanzig bis dreißig obligaten zu seiner Zeit ge­ setzten Motetten redet, und diese starke vollstim­ mige Sehart hat allerdings erst im fünfzehnten Jahrhundert ihren Anfang genommen, nachdem

der Alten beschaffen gewesen ?c. 313 der ordentliche aus (Eon* und Dissonanzen beste­ hende vierstimmige Saß schon lange vor dieser Zeit bekannt geworden war. So lange nun die Scribenten mittlerer Zeit, die dem Dunstall die Erfindung hievon zu­ eignen , nicht widerlegt sind, so lange kann man gewlfi seyn, daß der obligate Satz vor ihm nicht misgeübt worden ist. Hätten ihn die alten Griechen gehabt, so wäre es ihnen nicht ein­ mahl möglich gewesen, ihn bequem aufzuschreibeu oder zu notiren. Da sie sich zur Bezeich, nung eines einzigen Tons allezeit zweyer neben oder übereinander gesetzten Buchstaben bedienten; so mußten sie entweder acht Buchstaben gebrau­ chen , einen vierstimmigen Satz anzuzcigen, oder sie mußten ihre Figuren verkürzen. Von dieser verkürzten Art zu schreiben aber wußten sie kein Wort, und das erste war viel zu unbequem, als daß man darnach vielstimmig spielen konnte. Man könnte hier zur Noth einwenden, daß diese Unbequemlichkeit nur die Partitur des Componisten betroffen hatte, und daß die Spie­ ler ja nicht mehr als einer Stimme gebrauchen. Wie aber, wenn der Spieler sich zu seinem Ge­ sänge accompagnjrte? Zwey Stimmen erfor­ derten ja hier schon vier Buchstaben, u. s. w. Der Einwurf ist also wenig erheblich, weil alles übrige wider die obligate Harmonie der Alten streitet. Wie soll man sich denn also die Setzarl derselben vorstellen? Ohne Zweifel nicht anders als so, daß sie solche auf eine gar freye Art ausx < grübet.

3M

L Wie die Harmonie

geübet, daß sie nur meistentheilS zweystimmig componirt, und die dritte Stimme nur hin und wieder, und nur meist bey Schlüffen und Absä­ tzen hinzugefugt haben. Sweyftimmtg nenne td) ihren Sah, wenn sie mit dem Einklänge, der Octave, Quinte, Terz und Sexte wechselsweise gegen die Stimme oder gegen ein ander Instru­ ment modulirten; Dreyftiminig, wenn sie die Töne dergestalt unter einander verbanden, daß, nach unsrer Art zu reden, entweder der harmo­ nische Dreyklang oder einer von den beyden da­ von abstammenden Accord irz'.'m Vorschein kam. Dieses ist alles, was sich in Ansehung der Harmonie zum Vortheile der alten Griechen dar­ thun lasset, und man muß dem berühmten engli­ schen Bischöfe Dunstan, und also den mittlern Zeiten und zwar dem zehnten Jahrhundert, die Ehre lassen, den Gebrauch der Dissonanzen, und vermittelst derselben den ungleichen Contrapunct, und also den ordentlichen obligaten mit Con-und Dissonanzen vermischten, und aus gebundnen, durchgehenden und Wechselnoten bestehenden Satz erfunden zu haben (*). Von dieser Zeit,

das (*) Da einige Anctores den Psellus, dessen oben wider den Gebrauch der Dissonanzen bey den Alten gedacht worden, ins rüste Jahrhundert setzen : So scheint es, weil doch die Harmonie schon im zehnten Saculo bereichert und also schon zur Vollständigkeit gediehen war, daß die Meinung derjenigen wahr­ scheinlicher ist, die diesen Auctorem ins neunte Jahr­ hundert setzet:, oder die neuen Entdeckungen im Reiche

der Alten beschaffen gewesen k. 315 das ist, von dem zehnten Jahrhundert fanget also ein neuer Zeitpunct in der Musik an, und die darinnen gemachte glückliche Entdeckung ward durch die beyden ReformacoreS der Kunst, den Guido Arerinus, und den Johannes de Muris der Welt nicht wenig erleichtert. Guido lebte in dem eilfren Jahrhundert, und war Musikdircctor zu pompoft in Italien, und ver­ besserte nicht allein das Liniensystem, wie schon oben gesagt worden, sondern erweiterte auch den Umfang der polyplectrischen Instrumente, und reifete allenthalben herum, um die von ihm annoch verbesserte Dunstanfche Methode in der Musik bekannter zu machen. Zu der von ihm ersundnen, und aus den sechs Syllben: Ur, re, mi, fa, (bf, la, bestehenden Gamme, wurde in dem sechzehnten Jahrhundert, zur Erleichte­ rung der Solmisation von dem Erycms Pi?c teauus, einem so großen Gelehrten als Ton­ künstler, eine siebente Syllbe, Nahmens bi, hinzugcfüget, welche aber nach der Zeit, nemlich im verwichenen siebenzehnken Säculo, etwann ums Jahr 1676. von einem gewissen Sangmeb ster Reiche der schonen Künste müssen damahls nicht fa geschwinde als itzy bekannt geworden seyn, welches von wegen des großen Raums zwischen Conftantinop-.l, wo sich Psellus anfhielre, und zwischen Cankerbory, wo Dnnßan blshete, bey damahligen Feiten, ungeachtet die WUensthaften annoch damahls ru Constaktinspel susgeäbet wurden, leicht mögs dich ist.

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i. Wie die Harmonie

ster zu Paris, Nahmens Metrü, in fi der» wandelt worden ist. Johannes de Muris (Jean des Murs) war ein Doctor der Sorbonne und Domherr zu Paris, lebte im vierzehnten Jahrhundert, und erfand die Noten, wie oben bereits gejagt worden. Die ersten Tonmeister, die sich in dem mehr» stimmigen Satze hervorthaten, waren unter an­ dern Wilhelm Dufay, Laron, Lonrad, Binchois, und Düsnoe, meistens lauter Franzosen, und diese verdienten Männer waren eö, die die doppelten Conkrapuncte und Fugen erfanden, und den Gebrauch von der harmoni­ schen Fortschreitung der Con- und Dissonanzen durch Gesetze einzuschränken anfingen, und die Dunstan-Aretinische Methode also verbesser­ ten. Doch aller Bemühungen dieser braven Tonkünstler ungeachtet, kam eö mit dem Ge­ brauche der Harmonie noch nicht zur Vollkom­ menheit. Dieses Glück war dem fünfzehnten Jahrhundert, und zwar Flandern Vorbehal­ ten. Hier sind die berühmtesten Practici dieses Landes: 1) Jacobus Obrecht, ein Mann, der nach Glareans Bericht, soviel Feuer und Er­ findungskraft besaß, daß er nicht mehr als eine Nacht brauchte, die vortreflichste Messe zu componiren. 2) Johannes Ockenheim, der Bach sei­ ner Zeit, und welcher sich nicht allein in allerley Arten vor Fugen hervorthat, sondern auch zu­ gleich

der Alten beschaffen gewesen rc. 317 gleich sehr vielstimmig setzte, und Motetten von zwanzig, dreißig und mehrern Stimmen componirte. 3) Ioßien Dcsvrex, (^osquinus oder Jodocus pratensis) anfänglich Musikdirector zu Cambray, und hernach Capellmeister bey Lu­ dewig dem XII. Könige von Frankreich, welcher ihm eines Tages, wegen eines von ihm aufge­ führten und von dem Hofe mit besondrem Bey­ falle aufgenomnen Kirchenstückes eine Präbende versprach. Als aber des Königs Versprechen ins Stecken gerieth: so componirte Joßren ein Motet über die Worte: Memor eßo verbi tui. Der König mochte nicht sogleich die Absicht des CapellmeisterS errathen. Dieses bewog densel­ ben ein zweytes Stück, und zwar über die Worte: Portio '.nea non eß in terra viue.itium, aufzuführcn. Der König merkte endlich, wo Joßien hinauswollte, und beschenkte ihn mit der versprochenen Präbende, worauf derselbe ein drittes Motett über die Worte setzte: Bonitatetn fecißi cum Jeruo tuo. Die Kenner aber wollen bemerket haben, daß Joßien sein Verlangen besser, als seine Dankbarkeit ausgedrücket habe. Man hat sonst von dein Joßien gesaget: daß er ein Meister der Noten wäre, daß er damit machte, was er wollte, und daß andre damit machten, was sie könnten. Seines vortrcstichen Genies und seiner großen Einsichten unge­ achtet psiegte er sich mir seinen Compositionen nicht zu übereilen, sondern sahe sie immer von Zeit

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l Wie die Harmonie

Zeit zu Zeit durch, und machte sie erst »ach etli« chen Jahren gemein. Diese drey Männer, alle aus Flandern gebürtig, und Die im fünfzehnten Jahrhun­ derte blüHeren, waren es besonders, durch welche die Harmonie und mir der die Kunst dec Fuge empor tarn. Die Franzosen waren nicht die letzten, die ihren Nachbarn nachzueifern suchten. Aber erst im sechzehnten Jahrhundert wur­ den die Jtalianer rege, welche doch gleichwohl ihren Vorgängern mit so großen Schritten nach­ folgten, daß sie sie nicht nur bald wieder ein* höhlten, sondern auch von der Zeit an dis in die ersten zwanzig Jahre des ißigen Jahrhunderts alle andere Nationen in Ansehung der Menge vortreflicher Harmonisten übertroffen haben. Die Deutschen fiengen fast um gleiche Zeit mit den Jcalianern an, sich durch berühmte Künstler zu zeigen. Die andere Nationen haben sich chäter eingefunden. Hier sind die berühmtesten Harmonisten aus dem XVI. Jahrhundert. i) Francois Mouton, ein Franzose, und Schüler des Jsßien Desprex. 2) Adriano Wiltart (Vuillaerre) aus Brügge in Flam dern, ein Schüler von Mouton, undCapellmeister der Repnblick zu Venedig. Er that unter der Regierung Pabsts Leo des X. eine Reise nach Rom, allwo eines Tages in der Päbstlichen Capelle ein vortreflicheö Motet über die Worte: Verbum bonum & suaue, mit vie­ lem

der Alten beschaffen gewesen rc. 319 (em Beyfall abgesungen ward, und welches man für Ioßiens Arbeit hielte. Als Wittert sich aber als Verfasser dazu angegeben hatte, so woll­ ten die Musici, und zwar, wie Zarlino sagt, entweder aus Boßheit oder Unwissenheit, dieses Stück nicht mehr aufführen, z) Giosesfo Zarlino, aus Chioggia in Italien, Schüler von Wittert, und Capellmeister bey der Republick zu Venedig. Er ist nicht der erste, der die Regeln der Fuge und des ContrapunctS" öffentlich in Schriften gelehrt hat; er ist aber unstreitig der erste, der es zuerst auf eine gute Art öffentlich gethan hat in seinen Iftitutioni harmoniche. (4) Costanza potht, aus Cre­ mona. (5) Andrea Gabriele aus Venedig. (6) Pater Artust. (7) (Bio. Maria Na­ nins. (8) Cipriano Rore. (9) Jacques de Wert. (1 o) (Orlando deLaßo. (n) Pierre de la Rüe, (Petrus Platensis). (12) Jacques Arcadet, Schüler von Ioßien. (13) Ale­ xander Uterrdal. (14) Johann Ixnefel. (15) Ludewig Senfe! (Senfli). (16) Fer­ dinand de las Infantas. (17) 2lnunsn Blasius, (i 8) (Ottavio Bariola. (19) Annibal Patavinus. (20) (Orazio Loluinbani. (21) Jacob -Hanel, sonst Gallus. (22) Pietro pontio. (23) Michel Varoti, (24) (Orazio Vecchi. (25) Severin Corner. (26) Nicolaus Gombert!, Schü­ ler von Iosiien. (27) Johann Leo Daßler. (28) Jacques past. (29) (Bio. Battista pineUi.

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i. Wie die Harmonie

pinelli. (30) Gio. Mana Roßt. (3-) An­ tonio Scandelli. (32) Christoph N7oralis. (33) tltcoL Rost 2c. rc. Man kann von allen diesen Mannern wie auch von den fol­ genden das Ma'rherilche Lexicon nachschlagen, um mehrere Nachricht davon ZN haben. XVII. Jahrhundert. (1) Camillo Angleria. (2) Ludov. Viadana, der Erfinder des Generalbasses. (3) Alessandro Milleville. (4) Ercole pasquino. (5) Grrolamo Frescobaldi. (6) Teodoro Casati. (7) Luigi Larciferri. (8) Leandro Galerano. (9) Giovanni palarini. (10) Pier Francesco Valentini. (11) Romano Micheli. (12) Athanasius Kircher. (r 3) Job. 2lndr. Herbst. (14) Jo­ hann Jacob Frobergcr. (15) Joh. Cassar Kerl." (r6) Joh Roftnmüller. 17 Clau­ diu der jüngere. (r8)Le Begue. (19) Jean Henri d'Angleberr. (20) Andreas Hamnrersthnudr. (21) Angelo Berardi. ,22) Co# renzo penna. (23) Francisco podio. (24) Gianerro palestina (insgemein prenestini). (25) Giov. Franc. Capello. (26) Fr. Immanuel Cardoso. (27) Job. Bapust Lullv, der Schöpfer des Frauchs. Geschmacks. (28) Andr. Finold. (29) Vincentis Gallo. (30) Johann Klemnre. (31) Grov pao'o Cima. (32) Caspars Vcllani. (33) Jean de Lousu. (34) Giovanni Croce. (3 s) Gia­ como Larißimi. (Z6)paoli Lorenzani. (37)

der Alten beschaffen gewesen re. 321 (37) Grazio Benevoli. (38) Giovanni Le« grenzt. (39) Ioh. woltz. (40) Tarqui­ nis Merula. 141) Llaudio Monceverde. (42) Gio. Antonio Rigatti. (43) Fran, cesco Turini. (44) Johann Sradelmeyer. (4v) Giovanni Roverra. 46) Antonio Saverra. (47) N7arco Scacchi. (48) Bernard Rlingenstein. (40) Giuseppe Scarani. (50' Benederro palavicino. (51) Abbarini. (52) Agost. Ägazzario. (53) Ste­ fano Bernardi. (54) Christoph Bernard. (55) Gius. Anton. Bcrnabei. (56) Giov. Baptist Baßani. (57) Lonstanzo Anregnari rc. rc.

XVIII. Jahrhundert. (1) Johann Baptist Samber. (2) Marc Ancoine LHarpencier. (3) -Henri Desmarers. (4) Andr. Lampra. (s) Michel Richard de la Lande. (6) L'Alouerce. (7) Madin. (8) 2llegändro Gcarlatci. Dieterich Burtehude. (10) Georg Muffac und Gottlieb Muffar. (ir) Ioh. Gottfried Malcher. (12) Bononcini. (iZ)Jc»h. Theil. (14) Ioh. Rrieger. (15) Ioh. Lafp. Ferdin. Fischer. (15) Ioh. Christoph Schmidt, Capellm. zu Dresden« (17) Arcangelo Lorelli. (18) Franc. Mar. Veracini. (19) Zachar.Tevo. (2o)Franc. Taver. Anron Murschauser. (21) Giov. Mar. Lastni. (22) Ioh. -Heinr. Burtstecr. (23) Ioh. Zelenka. (24) Festing. (25) pe­ ll. Band. 4. Stück. 9) dusch.

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i. Wie die Harmonie re.

busch. (26) Pascal Lolaste. (27) Ancon. Lorri. (28) de Brostard. (29) Abt Ver­ nier. (30) Ioh. Ruhnau. (31) Joh. Pachelbel. (32) Albinoni. (33) Johann Joseph Für. (34)Franc. Lonri. (zs)Ancon. Laldara. (36)Ioh. David^einichen. (37) Gottfr.-Heinr. Grölzel. (38) Johann Boi> vin. (30) Franc. Dandrieu. (40) Johann Sebastian Bach. rc. rc. Von den noch lebenden berühmten Contrapunctisten auf eine andere Zeit. Miifa laude dignum virum vetat mori. Hör.

II.

Herrn Mag. Nicol. Brelins Erfin­ dung, wie man der Güre der Elaviere und Clavicünbel sehr zu statten koinmen könne. (aus den Schwedischen Abhandlungen.) Tangenten, welche die Sayten der ClaviSy cimbel und anderer dergleichen Saytenspiele rege machen, sind bisher alle mit losen Zungen, worein man Rabenfedern gesetzt, verfertiget worden, welche aber von keiner Dauer sind, sondern immer wieder eben gemacht und zugerichtet, wo sie aber gänzlich abgenutzet, mit neuen wieder verwechselt werden müssen. Nach einer reifen Ueberlegung und vielen gemachte» Probe» aber habe ich ein Mittel gefunden, wie man

Hn.M- Nie. BrelLns Erfindung, re. 323 man solche Tangenten so ernrichten könne, daß sie von einer bestäi di gen und unveränderlichen Dauer bleiben, wenn man nemlich Schlagfedern aus Knochen oder einer andern dichten Materie, an'rart der Rabenfedern, verfertigte, und d.esil« den durchbohrete, daß sie in den Tangenten rote ttt einer Achse hangen blieben, zugleich aber mittelst ,emer darmn beßndbchen Rolls.der ge­ trieben würden, und nach starken oder «Minderen Schlägen sich auf- oder niederwärts drucken lief» sin. Durch dergleichen neue Tangenten, zumal, wenn dieselben, was die Nollfedcrn betrifft, qe» hcrig gemacht worden, bekommen die Clavi» cunbel einen so vollkommenen und angenehmen Klang, als die bisher gewöhnlichen; und sie haben den Nutzen, daß sie keiner täglichen Aus» besterung bedürfen, sondern, wie erwähnet wor» den, von einer gleichbeständigen Dauer sind. Die Probe davon sinder man bey der Akademie. Äußer diesem ist auch ein neuer Versuch von Clavieren von nur emgegeben worden, wodurch ich qezelget, wie derselben angenehmer Klang vermehret werden könne, und zwar folqenderge» stalt. Keine Sayre muß auf dem Hol^ des Steges selbst ruhen, sondern an ev-em kleinen meflngenen oder eisernen Stifte befestigt siyn, welcher, zu Festhaltung der Sayte, eingekerbet seyn muß. Dieses kann unmöglich schnarren ober einen unangenehmen Laut von sich geben, wenn nur die Kerbe nut einer dreyeckigten Feile so emgeschnttten ist, daß dje Sayten an Heyden 9) 2 Sei»

324 Hn.M.Nic. Vrelins Erfindung rc. Seiten fest halten. Die Sayten müssen, von der feinsten an zu rechnen, wenigstens über das halbe Clavier, einen doppelten Raum oder Aus­ messung haben, der doppelte Octaven ausmacht, so, daß dieselben sich über zween Stege erstre­ cken , und sowohl am hinteren, als am vorderen Theile des vordersten Steges, der den Stiften entgegen stehet, einen gleisten Laut von sich ge­ ben. Solchergestalt wird der Mislaut in einen angenehmen Wohlklang verändert, wenn die hintere Sayte von gleicher Länge einen Wieder­ hall des rechten Tones vorne an dem Stege giebt, welches alles nach den Gesehen der Natur seinen festen Grund hat, wie aus der gleichgeschwinden Bewegung der Schwangru­ then von gleicher Länge, und der Beschaffenheit des Schwunges in der Luft abzunehmen ist, da nemlich die eine Sayte ihre zitternde Bewegung einer andern Sayte, die von gleicher Länge und Ausspannung ist, mittheilet. Die Sayten müssen unter sich ihren Lauf, von dem einen Ende zu dem andern, in gerader Linie fortseHen. Der Steg wird nicht dicker, als etwa einen' fünften Theil eines Decimalzolles, jedoch einen guten Zoll hoch gemacht, und kann leicht zu einer solchen Form oder Einrichtung, als die Mensuren erfordern, gebeuget werden. Je weniger Holz an dem Stege ist, je stärker wird der Klang. Der hintere Steg wird so niedrig gemacht, als der Raum zwischen dem Boden und den Sayten erfordert.

Gedan-

III.

Gedanken über Herrn Daubens Ge­ neralbaß in drey Accorden. (*) Ich nehme mir die Freiheit, ihnen einige bey müßigen Stunden von mir entworfene Ge­ danken über des Herrn Daubens General­ baß in drey Zlccorden zuzuschicken, mit Bitte, solche gelegentlich der Welt vermittelst ihrer Beyträge zur Beurtheilung vorzulegen. SollP 3 ten

(*) Der vollständige Titel dieses sehr sauber ge­ druckten Werks ist : Generalbaß in drey Accor­ den, gegründet in den Regeln der alt-und neuen Auccoren, nebst einem hierauf gebaueren Un­ terricht, wie n»an aus einer jeden aufgegebnen Tonart , nur mit Zwey Mittelsaccorden, in eine von den drey und zwanzig Tonarten, die man begehret, gelangen kann, und der hier­ auf gegründeten Runft zu praludiren, wie auch zu jeder Melodie einen Baß zu fetzen, daß also durch diese neue und leichte Anleitung, zu­ gleich auch zur Lomposition unmittelbar der weg gebahnet wird von Johann Friedrich Daube, Hochfürstl. würtembergischen Rammermusicus. Leipzig 1756. Verlegrs Johann Benjamin Audra, Buchhändler in Frankfurt am Mayn.

(Sollte es dem Herrn Daube gefallen, vermittelst dieser Beytrage dem Herrn 3). Gemme! zu antwor­ ten, so versichert man denselben, daß man seine Antwort mit Vergnügen einrückrn wird. M)

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ni. Gedanken

ten solche ettvann von dem Herrn Daube beantwortet werden, und ihnen diese Antwort ehe als mir in die Hände gerathen: so bitte ich mir die Gewogenheit von Ihnen ans, dem P iblicv und mir nur solche durch eben diesen Weg bekannt zu machen. Da es mir bloß um Vre Wahrheit zu thun ist, und ich für die^ Person des Herrn Daube, den ich nicht kenne, alle mögliche Hochachtung hege: so wurde es mir gar nicht unangenehm seyn, meine geäusferren Zweifel wider diejenigen Puncte, wo ich nicht seiner Meinung bin , von ihm selbst erört rt, und entweder bestätigt ober widerlegt zu sehen. Ich bin rc.

Gemmel, Dort, der Arzneygelartheit.

Der Vorbericht nebst dein i. Capitel.

Wn dem Vorbenchte giebet der Herr Verfasser die Ui fache an, die ihn bewogen, dieses Werk zu schreiben. Bey so vielen Schriften, sagt er, die zur Aufnahme der practischen Musik Herauskomm n, fehlt es an einem guten Unter­ richt in dem Generalbasse und in der Compofition. Der Unterricht nemlich ist entweder münd­ lich oder schriftlich. Den ersten kaun man sel­ ten gut haben. Die gründlichen Lehrmeister sind rar zu bekommen. Es fehlet ihnen bald an Zeit und bald an Geduld zu informiren. Be« kömmt

über Hrn.Däubens Generalbaß re. 327 kömmt ein Anfänger einen Lehrmeister, der selbst

wenig versteht, so ist leichte zu erachten, was der Schüler lernen kann. Er muß also zu Bü­ chern seine Zustucht nehmen. Allein, da seht es eben so viele Schwürigkeiten, als bey dem mündlichen Unterricht. Eine ungeheure Menge von Regeln und Observationen verursachen sie. Hiezu kömmt, daß ein Schriftsteller lobet, was der andere verwirft, wobey NB. selten eine an­ dere Ursache angezeiget wird, als: dieses ist gut, jenes aber böse. Nun haben zwar Matthejon, Heimchen, Fux durch ihre vortrefliche Werke diesem Uebel aufs möglichste abzuhelfen gesucht. Allein man muß erwägen, zu was für einer Zeit diese Män­ ner geschrieben haben, und in Ansehung dessen wird ftdj keiner vermuthlich finden, der es die­ sem berühmten Kleeblatte übel nehmen wird, wenn sie die Regeln des Generalbaßes und der Composition nicht mit aller Deutlichkeit ausgeführet haben. Ein jeder, der nach einem an­ dern Schriftsteller lebt, kann die Arbeit seiner Vorgänger mit leichter Mühe verbessern. Der­ jenige nun, dem dieser Ruhm vorbehalten war, und der sich im Stande befand, einen Matthe-

son, Heimchen und Fux zu verbessern, und also noch vortreflichere Sachen zu liefern, ist der Herr Daube, und er lebt der Hofnung, daß solches in gegenwärtigen Tractat geschehen ist. Es ist kein geringes, was der Herr Daube verspricht, und ich wünsche von Herzen, daß

9) 4

der

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in. Gedanken

der Beyfall des Publici mit der guten Meinung, die er von sich hat, übereinstimmen möge. Das I. Capitel handelt von den Inter­ vallen. Solche auf mathematische Lehrart vorzukragen, und dasjenige zu wiederhohlen, was bereits von vielen geschehen ist, z. E- von Fux, Matthejon, Heimchen, Werkmeister, Prinz, Mizler, Spieß und andern, dünkt dem Herrn Verfasser eine vergebliche Arbeit zu seyn. Seine Absicht ist nicht, bloß die Zahl der musikalischen Schriftsteller zu vermehren, und nach vieler Gewohnheit, aus zehn Büchern das eilfte zu machen. Hier scheint sich der Herr Verfasser etwas zu widersprechen. Er hak uns ja zuvor in dem Vorberichte versichert, daß er alles deutlich und ordentlich abhandeln will, und allhier ist es ihm schon wieder leyd. Erinnert er sich denn nicht, daß die mathematische Lehrart die deutlichste von allen ist? Allein ich gedenke ihn schon zu entschuldigen. Nicht wahr, daß durch den Vortrag der Intervallen auf mathematische Lehrart, die Lehre von der mathematischen Berechnung der Inter­ vallen verstanden werden soll? Dergleichen Schreibfehler entwischen jemanden leicht, und würde derjenige sehr Unrecht haben, der hieraus schliessen wollte, der Herr Daube hatte keine richtige Art im Denken, oder er könnte sich nicht im Schreiben richtig und genau auödrü« eken. Indessen wird mir derselbe es doch nicht übel nehmen, daß ich mit dem tiefen Stillschwei« gen

überHrn.Daubens Generalbaß rc. 329 gen gar nicht zufrieden bin, welches er in Anse­ hung der Lehre von den Vcrhälnnssen Her Töne beobachten will. Nach der ihm so besonders bcywohnenden Gabe der Deutlichkeit hatte er über alle diese Materien eine neue Art von Klar­ heit auebreiten sollen, und da er sich so schön kurz zu fassen weiß, so würde dieses sein Buch ja nur nm einen oder zwey Bogen aufs höchste vermehret haben. Man würde ihn nicht be­ schuldiget haben, daß er ausgeschrieben hatte. Die Art deS Vortrages und die Ordnung, die er beobachtet haben würde, hätten ihn vor die­ sem garstigen Vorwurfe gesichert. Wer ein Buch von einem Alphaberh und etlichen Bogen aus nichts als aus eigner Erfahrung zu schrei­ ben weiß, der hat noch genungsamen Vorrath übrig, etliche Blätter hinzuzuthun. Doch viel­ leicht wird dieses in dem zweyten Theile gesche­ hen , welchem die Welt unstreitig mit Ungeduld von Messe zu Messe entgegen sehe« wird. Die Intervallen, sagt der Herr Verfasser, theile ich in gewöhnliche und ungewöhnliche. (Er hat Recht, das rch hinzuzufügen, um sich von denjenigen gar scharfsinnig zu un­ terscheiden , die vielleicht aus Vorurtheil oder wer weiß, aus was für andern Absichten mit dieser Eintheilung nicht zufrieden seyn werden. Jede harre Tonart hat sieben gewöhnliche Intervallen. Dieses aber ist zu verstehen, wenn der Grund- oder EndigungSton im Basse liegen bleibt. Man sehe z. E. die Baßnote C Y 5 ' in

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in. Gedanken

in C dur. Die hieraus entstehenden sieben ge­ wöhnlichen Intervallen sind i) die vollkommne (Q-llince, 2) die große Terz, z' die große Serce, 4) die vollkommne Quarre, 5) die große Septime, 6; die große Gesunde und 7) die große None. ' Verändert man aber die Baßnote, so entspringen nod> mehrere. Das D giebet eine kleine Terz, und kleine Septime; das E giebet eine kleine Secunde und kleine Serte; das F giebt eine übermäs­ sige (Quarte; das G und A geben nichts neues; das Hgiebt endlich noch die falsche Quinte. Man siehet, wie gar artig der Herr Daube die In­ tervallen aus der Beschaffenheit der Tonart her­ zuleiten weiß, gewiß eine Sache, wo, um sei­ ne Worte aus der Vorrede zu parodiren, schwer­ lich vor ihm jernand gedacht hat. Ein andrer würde unstreitig die Intervallen als Elemente der Tonart ansehen, und glauben, daß die Be­ schaffenheit einer Tonart von der Beschaffenheit der Intervallen bestimmet würde, und daß diese eher gewesen wären, als jene. Sobald man uemlich anfieng, die Proportion der sieben auf einander folgenden Töne zu bestimmen, woraus eine jede harre Tonart bestehen sollte, und sobald man fand, daß sie sich in keiner beßern Propor­ tion auf einander folgen könnten, als wenn die Secunda und Tertia Toni groß, die Quarte und Quinte vollkommen, die Sexca und Septima aber wieder groß wären: So wurde dadurch zugleich die Eigenschaft aller übrigen Interval­ len

über Hm. Daubens Generalbaß rc. 331 len, die aus der verschiednen harmonischen Verbindung dieser andern Intervallen n, ter sich entstehen können, bestimmt. EmeS ist mir dem andern unzertrennlich verbunden. Doch wir stellen diese metaphysische Tonklaubcrey, die in der Prapi von sehr geringem Nüßen ist, auf die Seite, und wollen cs mir dem Herrn Verfasser halten, welcher nunmehro die ^eivo^rdicbcn jntcivrdkn der weichen Tonart durchgeht, und findet, daß derselben, in Betracht gegen den liegenbleibenden Grundton, neun an der Zahl sind: nemlich i) die vollkommne Euriure, 2) die kleine Terz, z) 4) die kleine und große Sexte, 5) die vollkommne (iXiurte, 6) die kleine und große Septime, 8) 9) die große Secunde und große klone. Der liegenblei­ bende Grundcon ist hier die Baßnote C ans C mol. Warum der Herr Verfasser nicht lieber A mol dafür gcwehler hat, ist mir nicht bekannt. Man psseget sonsten diese beyden Tone c und a zur Erklärung der beyden Tonarten, und ihrer Intervallen insgemein einander entgegen zu stel­ len. Verändert man nun den Grnndton, so be­ kömmt man noch gegen D eine kleine Secunde und verminderte (IXumce; gegen Es eine große Terz und übermäßige (iXninte, und gegen F eine übermäßige (Quarre. Das sind nunmehro die gewöhnlichen Inter­ vallen des Herrn Daube in der großen und klei­ nen Tonart. Daß aber die vollkommne Ocrave nebst dem vollkommne« Einklänge aus beyden Ton-

332

in. Gedanken

Tonarten, ingleichen verschiedene andere Inter­ vallen aus der weichen Tonart ausgelassen wor­ den find, ist wohl nicht aus bösem Willen gesche­ hen. Doch vielleicht werden wir alles dieses in dem Verzeichnisse der ungewöhnlichen Interval­ len finden. Wir wollen sehen. Es enthält dasselbe folgende vierzehn Intervallen: Zwey Secunden,

Eine Quarte,

c—des (eine kleine) c—fis (eine übermäßige.) e—dis (eine übermäs­ Zwey dXuinten. c—ges (eine falsche) sige-) Zwey Terzen. c—gis(eine übermäßige) e—es (eine kleine) Zwey Sexten, c—eis (eine übermäs­ c—as (eine kleine) c—ais (eine übermäßige.) sige.) Eine Septime, Zwey Occaven. c—b (eine kleine.) c—ces (eine vermin­ Zwey Nonen, derte.) c—des (eine kleine) c—cis (eine übermäs­ c—dis (eine übermäßige.) sige.) Aber noch entdecke ich hier weder den vollkommnen Einklang noch die Octave, noch die verminderte Septime, übermäßige Secunde rc. Eine möchte ich gerne wissen, ob der liegenblei­ bende Grundton c, so wie vorher entweder nach der harten oder aber nach der weichen Tonart c oder ob er nach allen beyden zugleich betrachtet wird. In dem ersten Falle gehört keines von allen diesen Intervallen in C dur zu Hause. So gehört z. E. der Triton c - fis ins G dur, die

über Hm. Daubens Generalbaß rc. 333 die übermäßige Secunde c - dis ins E mol, u. s. w. In dem zweyten Falle , so sind ja wie es der Herr Daube auch selbst §. 4. bemerkt, die Intervallen der kleinen Terz c—es der kleinen Sexte c—as und der kleinen Septime c—b, schon einmal unter den gewöhnlichen Intervallen der harten Tonleiter aufgeführet worden. „Alleinheißt es, es werden solche ungewöhnlich gelten« net, wenn sie in der harten Tonart vorkommen, welches auch zuweilen geschieht.,, Wie nun die Intervallen c—es—c—as— und c—b in der harten Tonart C Vorkommen können, ist mir ein Räthsel. Dauus tum, non Oedipus. Wenn in einem aus dem c dur gesehten Stücke vermit­ telst der Modulation in andre Töne, oder nur vermittelst der Veränderung der Tonart dieses Haupttons c, andere Intervallen zum Vorschein kommen, als diejenigen, die c dur in seinem Umfange enthält: so gehören ja diese andere In­ tervallen alsdenn nicht ins Gebiet von c dur. Es sind dieselben allezeit aus einem fremden Tone entlehnet, und wenn sie auch nur im Vorbeyge­ hen berühret werden. Ich gebe den Fall, daß zu der haltenden Baßnote E in c dur, und zu welcher Note ich den Accord von der Sexte supponire, in der Oberstimme folgende vier ge­ schwinde Noten hintereinander gemacht werden: c g fis g, so ist das fis schlechterdings vermit­ telst einer Modulation in der Melodie, woran die Harmonie keinen Antheil hat, aus dem Tone g entlehnet worden. Will nun der Herr Daube in

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ul- Gedanken

in Absicht auf ein solches Verfahren, -en Ton fi& allhier einen ungewöhnlichen Ton in C dur nennen; so hat er Recht. Allein da wir- daWorr ungewöhnlicher Ton m dem allerbe-

fondersten Verstände genommen; und aus dem Zusammenhänge lasser sich nicht schliessen, daß dieses das Absehen des Herrn Aucrorö gewesen. Denn, wie ist es möglrch, daß alle die 'Sette 4. und z. angegebnen ungewöhnlichen Intervallen dergestalt in der Melodie von c dur vorkommen können, daß die Harmonie daran keinen Antheil hak? Ich wäre begierig, von allen denselben Erempel des Herrn Verfassers zu sehen. So­ bald aber dre Harmonie daran Ancherl nimmt, so ist es eine ordentliche harmonische Modula­ tion , und aledcnn kann man ja nicht mehr sagen, baß diese Intervallen in C dur vorkom­ men, gesetzt, daß das Smck aus dem C dur geht. Dee Intervallen eines fremden TonS kön­ nen nicht lNik den Intervallen des Hauptrons eine einzige Drrr oder Molloctave ausmachen.Doch wir kommen auf den dritten Fall, und fragen, ob drese 14. oben angeführte Intervallen nach allen beyden Tonarten zugleich betrachtet werden feile». Dieser Fall ist nun unstreitig auch nicht möglich, so lange jede Tonart ihre eigene Natur har, und c dur und c mol nicht untereinander gemifthet werden können. So wenig übrigens alle diese 14. Inter­ valle in den Umfang von C dur gehören, so wenig gehören sie in C mol, die drey Intervalle c—es, c—as und c—b ausgenommen. Doch

über Hm. Daubens Generalbaßrc. 335 Doch vielleicht errathe ich den Sinn des Herrn Danbe. (Man kann auch deutlich seyn, und nicht recht verstanden werden.) Es will derselbe so viel sagen, als daß dieses oder jenes von ihm so genanntes ungewöhnliches Jmekvall -in die harte oder in die weiche Tonart hingehöret; Daraus aber will er nicht gefolgert wis­ sen, daß eS ekwann in C dur oder in C mol hin­ gehören muß. Er spricht nur überhaupt von der Sache. Aber, wenn dieses die Absicht Les Herrn Daube ist, so hätte er nicht pag. 2. die harte Tonart C, und auch nicht pag. 3. die weiche Tonart C zur Herleitung seiner Jncervallen feste setzen sollen. Auf eben die Art, als er pag. 4. feine ungewöhnlichen Intervallen findet, nemlich ohne auf eine gewisse Tonart Absicht zn haben, hatte er auch seine gewöhnliche Inter­ vallen finden können. Da er aber einmahl an­ gefangen, sich der harten und weichen Tonart besonders zu bedienen, so deucht mich, hatte er auch bey denselben alleine bleiben sollen, und hätte er vermittelst derselben alle seine Intervallen mit gar leichter Mühe , etwann folgeirdermassen her­ aus bringen können.

Intervallen in der harren Tonart C. C und C machen zusammen einen vollkommnen Einklang. Der Finalton C macht mit d eine große Secunde,

.mit e eine große Terz. Mit

336

ni. Gedanken

mit f eine vollkommne Quarre. mit g eine vollkommne Quinte. mit a eine große Sexte, mit h eine große Septime, mit c eine vollkommne Octave. Die Gecunda Toni v macht mit £ eine kleine Terz. mit c eine kleine Septime. NB. Die Gattungen von Intervallen, die schon vorhanden gewesen sind, bleiben allezeit in der Folge weg. Die Tertia Toni B macht mit £ eine kleine Se­ cunde. mit c eine kleine Sexte. Die (Quarta Toni macht mit h eine übermäs­ sige Quarte. Die (Quinta Toni G und Serra Toni A machen nichts neues. Die Geptima Toni bl macht mit f eine vermin­ derte Quinte. Da hat man vierzehn unrerfchiedne in jeder harren Tonart liegende Intervalle, als i) 2) Die vollkommne Octave und den vollkommnen Einklang. 3) 4) Die vollkommne und verminderte Quinte. 5) 6) Die vollkommne und übermäßige Quarte.

7) 8)

über Hrn. Daubens Generalbaß rc. 337 7) 8) Die große und kleine Terz. 9) 10) Die große und kleine Sexte. 11) i2) Die große und kleine Septime. 13) 14) Die große und kleine Secunde. Was von C dur gilt, das gilt von allen ander» Durtönen. Wir wollen izo betrachten die

Intervallen in der weichen Tonart A mol. Der Finalkon A macht mit h eine große Secunde, mit c eine kleine Terz, mit d eine vollkommne Quarte. Mite eine vollkommne Quinte, smit s eine kleine Sexte, [mit fis eine große Sexte. {mit g eine kleine Sepcime. mit gis einegroßeSeptime. mit a eine vollkommne Octave. Die SecundaToni H macht mit c eine kleine Se­ cunde. mit f eine vermin­ derte Quinte. Die Tertia Toni C macht mit e eine große Terz, mit fis eine übermäßige Quarte. mit gis eine übermäßige Quinte und verkehrt ei­ ne verminderte Quarte.

II.Bknd.4.Srück.

Z

Die

338

ni. Gedanken

Die (Quarta Toni D ingleichen Die (tXuirtto Toni E machen nichts neues. Die Sexta Toni? macht mit fis von unken nach oben einen übermäßigen, und von oben nach unten gerech­ net, einen verminderten Ein­ klang'. In der Verkehrung ad Oetavam werden daraus übermäßige und verminderte Octaven.

Die GeM Toni E macht annoch mit gis eine übennäßige Secunde, und in der Verkehrung eine vermin­ derte Septime.

Die Septima Toni 6 Macht mit gis das was das f gegen fis hervor­ gebracht. Die Septima Toni 6is macht nichts neues.

Da hat man zwanzig unterschiedne in jeder weichen Tonart liegende Intervalle, als: i) 2) 3) Der vollkommne, verminderte un­ übermäßige Einklang. 4) 5) 6) Die vollkommne, verminderte un­ übermäßige Ockave. 7) 8) 9) Die vollkommne, verminderte un­ übermäßige Quinte, 10) 11) 12) Die vollkommne, verminderte und übermäßige Quarte. 13) 14)

überHrn. Daubens Generalbaßrc. 339 13) 14) Die große und kleine Terz. is) i5) Die große und kleine Sexte. 17) 18) Die verminderte, kleine und große Septime. 19) 20) Die kleine, große und übermäßige Secunde. Alle diese zwanzig der weichen Tonart eigne Intervallen sind als ordentliche und gewöhn« liche Intervallen zu betrachten, obgleich das eine öfter als das andere zum Vorschein kommen kann, und ist gar kein ungewöhnliches darunter. Ungewöhnliche oder außerordentliche In­ tervallen kann man keine andere als diejenigen nennen, die entweder aus den »»eigentlichen Dreyklängen, die man dem Ausdruck zu Gefal« len, ingewissen Fällen die Stelle der eigentlichen Dreyklänge vertreten lässet, oder die aus der Verwechselung des Geschlechts enrsprin« gen. Diese Intervallen sind

1) Die verminderte Terz, die aus dem harten verminderten Dreyklang z. E. aus sf ■< dis zwischen dis und f entsteht. |h L) Die übermäßige Sexte, welche nicht­ anders als die Verkehrung von vorher« gehender Terz ist. Sie hat ihren Platz unter den ungewöhnlichen Intervallen, nicht wegen ihres Gebraustes, der sehr häuffig ist, sondern wegen ihres Ur« Z 2 sprungs,

ui. Gedanken

340

sprungs, weil sie in keiner Tsnark allein eigentlich zu Hause ist. 3) Die übermäßige Terz und umgekehrt 4) Die verminderte Sexte, die der Ver­ wechselung des Klanggeschlechrs ihr Da­ seyn zu danken haben.

Will man iHo alle diese ißt erklärten Inter­ valle in dem Umfang einer gewissen Ocrave,z.E^ in der C Octave, alle nach einander anschrn, ohne aber weder C dur noch C mol zu si-ovomren: So kann solches folgendermassen geschehen.

cis c Jc cl cis

fdes «1 d I dis

verminderter Einklang. vollkommner Einklang. übermäßiger Einklang.

kleine Secunde. große Secunde. übermäßige Secunde.

cis es

verminderte Terz.

es cN e ^eis

kleine Terz. große Terz. übermäßige Terz.

Yes

c*

£

fis

*ges c« g i ff»

verminderte Quarte. vollkommne Quarte. Übermäßige Quarte.

verminderte Quinte. vollkommne Quinte. übermäßige Quinte.

cis

über Hm. Danbens Generalbaß re. 341 cis as

as c* a ais cis b

c{h

verminderte Sexte.

kleine Sexte, grosse Sexte, übermäßige Sexte. verminderte Septime,

kleine Septime, grosse Septime. Die einmahl vergrößerte Septime c—his, die sich Seite 5. in dem Ge­ neralbasse des Herrn Daube findet, scheinet aus einem Versehen des Se­ tzers daselbst eingeschlichen zu seyn. Ich glaube nicht, daß es mit Willen des Herrn Verfassers geschehen. Er laßt sich ja in dem §. 7. pag. 6. ziem­ lich nachdrücklich wider dergleichen ungewöhnliche Intervalle heraus.

"ces c cis

verminderte Octave. vollkommne Octave. übermäßige Octave.

Daß die Intervallen weder unzahlbar sind, noch so genennet werden können, wie der Herr Verfasser §. 8. glaubt, solches, deucht mich, ist in des Herrn Riedts Versuche über die musi­ kalische Intervallen, zur Gnüge erwiesen worden.

Z 3

Das

342

in. Gedanken Das ii. Capitel

von den CoN'UNd Dissonanzen, und woher letztere enspringen. Herr Daube hält die Quarte für eine Consonanz, und zwar mit Recht. Daß er aber solche mit der Unde, cime, welche dissoniret, vermischet, ist ohne Zweifel Unrecht. „Wenn oder Z vorkömmt, „sagt er, so dissoniret dieses. Allein beym ersten „Accord verursacht solches die 9. und im letztem „kommt es daher, weil beyde Intervalle so nahe „neben einander liegen.,, Wegen der £ dient zur Antwort, daß nicht allein die None, son­ dern auch die durch eine 4. hieselbst bezeichnete Undecime dissoniret. Woher entspringet die Undecime? Von der Septime. So wie diese dissoniret, so thut es auch jene, und fordert jene eine Auflösung, so verlanget solche auch diese. Von einer Consonanz kann man gehen will. Getraut sich der Herr Verfasser wohl dieses mit der Undecime in \ zu thun? Ich zweifle daran. Beyde Intervallen in diesen» Accord müssen ree solviret werden.

Mit dem Aecorde $ ist es in Ansehung der durch eine 4 nach gewöhnlicher Art vorgestellten Undecime nicht anders bewandt, und ist solche darinnen dissonirend, die Intervallen mögen nahe neben einander, oder einen Septimenraum von einander liegen. Wenn der Herr Verfasser sagt, daß das Vollkommene nichts unvollkom­ menes zeugen kann, und solches auf den harmo­ nischen

über Hm. Daubens Generalbaß rc. 343 Nischen Dreyklang anwendet: So hat dieses zwar in Ansehung des Sexten-und des Sext« quartenaccords, aber doch nur gewisser massen seine Richtigkeit, indem es auch wahr ist, daß je mehr sich ein Accord von seinem Ursprünge entfernet, desto weniger er vollkommen ist, wie man aus dem Sextenaccorde sehen kann, der ja bey weitem nicht so vollkommen ist, als der wo« von er entspringet, und der Sextquartensah ist ja bey weitem nicht so vollkommen, als der vor ihm gezeugte Sextenaccord, weswegen auch die Quarte, als das schwächste Intervall, in dem Sextquartenaccord unter oder über sich aufgelö» set werden muß. Aber entspringen denn \ und s aus dem harmonischen Dreyklang? Seite „ Obgleich beym heutigen Operstil, nach 7. „welchem sich fast ein jeder richtet, der Ge„brauch der Dissonanzen so frey und unge* „bunden, wie der Consonanzen, angewen« „det wird, daß zwischen beyden ein schlech« „ter Unterscheid bleibet, so soll dennoch ein „Angehender den Grund und wahren Unter» „scheid wissen.,, Wer in dem Operstil schreiben will, der rich­ tet sich allerdings darnach. Sind aber alle Stü« cke Opern! Werden in Trios, in Quadros, in Duetten, in Fugen rc. keine Bindungen mehr gebraucht? Wenn aber nun in gewissen Arten von (Kompositionen nicht so viele Bindungen als in andern Gattungen derselben gebrauchet werden, so hebet ja dieses den Unterscheid der Z 4 Con-

344

in. Gedanken

Conionanzen und Dissonanzen nichr auf. Der Herr Daube hätte allen denen, die diesen ewi­ gen Unterscheid nicht wissen, das in dem Vorberichte angeführte drirre Hauptstück des vollkomm» nen Capellmeifters, wo von der Folge der Con» sonanz n gehandelt wird, und die darauf fol­ gende Abtheilung von dem Gebrauche der Dis­ sonanzen empfehlen sollen. Der Herr Verfasser ist gegen s ine Scholaren zu gelinde. Er nehme sich in Acht. Sie können ihm verwildern, und La wird er wenig Ehre davon haben. In der That ist es seltsam, einen Musicum von den Con- und Dissonanzen dergestalt sprechen zu hö­ ren , und zumahl, wenn eben derjenige kurz zu­ vor §. i. gesagt: „Was eine Con-oder Disso­ nanz sey, wird ein jeder, der nur etwas Er­ fahrung besitzt, leicht zu unterscheiden wissen. Ee lst vielmahls Leuten bekannt, die gar nichts in der Musik gethan haben. „ DaS war ja aus einem andern und ungleich beßern Tone ge­ sprochen. Serke8 »Alle Accorde können con- oder disso» UNd9. „nirend werden, (a) Jenes geschieht, „wenn das dissonirende Intervall bey „einem Accorde wegqelaffen wird, (b) „Dieses, 1) wenn ein Intervall von ei» „nem Accorde weggelassen wird, an dessen „Stelle ein anderes hinzukömmt, (c) „2) bey beständig fortwährenden Bindun» „gen, welches in Kirchenstücken, Mess „ftn, u. st w. auch,im Kammerstil, des» glei-

überHm.Daubens Generalbaß rc. 345 „gleichen bey Duetten im Opernstile, hau* „fig angetroffen wird, (d) 3) Wenn die „Oberstimme oder der Baß in lauter halben „Tönen auf-oder absteiget, welches man „im dreyfachen Stil oftmahls antrift, (e) „Seitdem die Opern in Deutschland so sehr „im Flor sind, — seitdem ist auch der über« „mäßige Gebrauch der Dissonanzen abge« „kommen, und beschäftigen sich nur noch „einige Sonderlinge damit, (f). Ca) Was ist ein Accord vorher, ehe er cott* soniret oder dissoniret? Dieses Mittelding ist zur Zeit noch nicht erkläret worden. Sonst pfle­ get man sich so auszudrücken: daß, wenn Intervallen zusammengesehet werden, daraus entweder consonirende oder dissonirende Accorde entstehen. Mich deucht, daß der Herr Daube allhier nicht so deutlich ist, als Mattheson oder Heinichen. Doch wir wollen ihn weiter hören. Vielleicht wird es aus der Folge deutlicher. Ein Accord wird confonirend, heißt es bey (b), wenn das dissonirende Intervall weggelassen wird. Also entspringet tue Lonsonanz aus einer Disso­ nanz. Wenn es nun bey (c) heisset: daß die dissonirende Sätze entspringen, wenn ein Inter­ vall von einem Accorde weggelaffen wird, an dessen Stelle ein anderes hinzukömmt: So will solches so viel sagen, als: die Dissonanz ent­ springet von einer Lonsonanz. Da sage man mir itzo, ob ein Schriftsteller eö mit seinem Z 5 Scho-

346

ui. Gedanken

Scholaren treuer meinen, und ob jemahls eine Sache deutlicher gcmachet werden kann. Wor­ aus entstehet der consonirende Accord? Aus ei» nein dissonirenden. Woraus entsteht denn der drsssnirende? Aus einem consonirenden. Wer dieses nicht begreift, der begreift sein Tage nichts. Was bey (d) von den Bindungen in Oper» duetten gesagt wird, scheint demjenigen, was kurz zuvor von den Bindungen gesprochen wor­ den, zu widersprechen. Der Herr Verfasser beliebte ja zu sagen, daß in der Oper keine Bin­ dungen mehr vorkämen. Ist das erste oder letzte nun wahr? (e) Im dreyfachen Gcil wird verdollmetschet im dreistimmigen Gay. (f) In was fü- einer Gattung van Compo« sitionen ist denn vor der Oper in Deutschland ein so übermäßiger Gebrauch der Dissonanzen gemachet worden? Es beliebe dem Herrn Daube «ine einzige Gattung zu nennen. Er führe da» bey berühmte Männer, und keine seichte Com» ponisten an, als welche leztern, weil sie vielleicht den Unterscheid zwischen den Con- und Dissonan­ zen nicht möge» gewust haben, mit den einen so wie mit dein andern können zu Werke gegan­ gen seyn. Allein von solchen Stümpern ist nicht die Rede. So viel finde ich in den Werken der Alten, daß sie weit behutsamer mit den Disso» nanzen umgegangen sind, als man es itzo thut. Man sprang in keine Dissonanz. Sie muste vor-

über Hm. Daubens Generalbaßrc. 347 vorher liegen.

Man lösete sie ordentlich und

zwar allezeit, ohne Verwechselung, in derjenigen Stimme auf, worinnen sie gelegen hatte; man bedienete sich nicht einmahl so vielerley Gattun­ gen von dissonirenden Sähen, als man heutiges Tages thut. Zum Zeugnisse sehe der Herr Daube die Messen von einem Für, und andern an. Er wird so wenig die Dissonanzen allhiev verschwendet, als unrecht gebraucht finden. Aber vielleicht kann man dem Herrn Daube beweisen, daß in der Oper die Dissonanzen nicht allein öfters verschwendet, sondern auch unrecht ge­ braucht werden. Ist ihm denn die recitativische Operschreibart nicht bekannt? Wo findet er wohl mehrere im Uebermasse und oft sehr unrecht gebrauchte Dissonanzen als da, beysammen? Er nehme also doch nicht die Oper zu seinem Stich­ blatte. Hatte er ein gutes harmonisches Werk stiften wollen, so hätte er sich wider diesen über­ mäßigen und öfters unrechten und unnatürlichen Gebrauch der Dissonanzen in den Operrecitativen auflehnen sollen. Er hätte augenscheinlich be­ weisen sollen, daß der oder jener Affect nichts von seinem Ausdrucke verlohren hatte, wenn auch die Dissonanz sich regelmäßig aufgelöset hätte. Er hätte fragen können, woher die recita­ tivische Schreibart die Freyheit bekommen, wider die Regeln von der Fortschreitung der Dissonan­ zen so ungestraft «zu sündigen. Alles dieses hat man nun vor Erfindung der recitativischen Schreibart nicht gethan. In keiner Messe, in keiner

ui Gedanken

348

keiner Fuge wird der Herr Daube davon Spu­ ren finden. Sind denn nun die Opercomponi« sten die Sonderlinge, die sich mit den Dissonan­ zen auf diese Art beschäftigen? Aber hat man denn der Dissonanzen etwann nicht nöthig in der Musik? Wie ist eö möglich, daß ein Mu­ sikus, ein Lehrer des Generalbasses in drey Accorden, wovon die beyden leßtern selbst dissonirend sind, dergleichen seltsame Einfälle haben, und aller Welt vor Augen legen kann ? Seite 9. stehet folgendes Exempel; Oberstimmen g £ e d ehe e d c a g d e

'

Baß

C

D~E

F TG G

C

Darunter liefet man:

„Man wird finden, daß dieses Exempel „nach den Regeln der Composition richtig, „ob gleich keine Dissonanz darunter gefun„den wird, (a) Sollte aber der Baß voll„stimmig gehöret werden, so werden frey« „lich noch einige Dissonanzen dazu ge­ griffen.» (b) (a) Das Exempel ist nicht richtig nach den Regeln der Composition. Denn die zum An­ fänge des zweyten Tacts über g verdoppelte Octave gegen dre Quarte macht den Satz viel zu leer, als daß er richtig seyn könnte. Anstatt der Octave g hätte die Sexte e müssen genommen werden. Alödenn wäre der Satz regelmäßig

gewesen.

(b) ES

über Hrn. Daubens Generalbaß re. 349 (b) Es wäre ja wunderlich, wenn man den hieselbst befindlichen Baß nicht ohne Dissonan­ zen d.i. mit nichts als confonirenden Accorden,voll­ stimmig machen sollte. Der Herr Verfasser beliebe nur den Baß ordentlich anzusehen. Wel­ ches von beyden am besten klinget, wenn die dis« sonirenden Sätze wegbleiben, oder wenn sie hin« zuqefüget werden, das ist eine andere Frage. Ein jede« Drng kann an seinem Orte nach Be­ schaffenheit der Umstände gut seyn.

Seite u. „Der Nutzen, den man sich von 12. „Con- und Dissonanzen zu versprechen „hat, ist glerch groß. Man kann „eines so wenig als das andere ent„behren. — — Kein musikalisches „Stück kann gut seyn, das aus lauter „Consonanzen besteht rc. rc. „

Vorher» wurden die Dissonanzen apostrophiret. Hier werden sie wieder erhoben, und den Con­ sonanzen gleich geschäßet. Solche jählings Widersprüche von einem §. zum andern hätte ich mir nicht vermuthet. Was ein Anfänger Hiebey gedenken soll, weiß ich nicht. Verstän­ dige werden dadurch nicht irre gemacht. Die Lehrart des Herrn Verfassers hat mit dem ab­ wechselnden Gebrauch der Con-und Dissonan­ zen in der Musik, und nnt de», Seite 12. bey f) angeführten zuwiderlauffenden Dingen in der sichtbaren Welt sehr viel ähnliches.

Das

350

ul Gedanken Das ni. Capitel.

Von den drey Haupraccorden, und wie dielerley Nebenaccorde daraus entspringen. IM kommt der Leser aufs Hauptwerk. Die drey Hauptaccorde, worauf der ganze Grund des Generalbasses beruht, find nach dem

Herrn Verfasser:

1) Der Accord der Finalfayte, d. i. der har­ monische Dreyklang. 2) Der Accord von der Quarta Toni, der nach Seite 16. aus | besteht, und also

der Sextquinkenaccord ist. z) Der Accord von der Quinta Toni, bestehend aus

§ , d. i. der kleine Septimen«

accord auf der Dominante. „Diese drey Accorde, sagt der Herr Verfasser, „enthalten alle andere, sowohl con-als dissoni« „rende Accorde t« sich, die nur im Generalbass „vorkommen mögen. Bisher fährt derselbe mit „einem zuversichtlichen Tone fort, hak sich mei« „nes Wissens noch niemand hervorgethan, der „diese Grundwahrheiten entdeckt, untersuchet, „und sie so denn zum Nutzen und zur Aufnahme „der musikalischen Wissenschaften anö Licht gestel« „(et hätte. Alle bisher herausgekomnrne Schrif„ten zeugen von der Känntniß so vieler Accorde, „Ziefern rc. Man erschricket (hier geräth der „Herr

über Hm. Daubens Generalbaß re. 351 „Herr Daube in eine Entzückung), wenn man die „Tabellen eines -Heimchen, Fuchs, Mac„rhefons und andrer mehr ansieht rc. „

Bevor wir unsere Gedanken über diese soge­ nannten Grundaccorde des Herrn Verfassers sa­ gen, wollen wir nur zuförderst bemerken, daß, weil doch seines Wissens dieselbe zur Zeit noch keiner entdecket hat, der Titel seines Werks ohne Zwerfel falsch ist, wo es heißt: Generalbaß in dre- Accorden, gegründet in den Re­ geln der alt- und neuen Aucroren. Wie kann der Herr Daube von einer Sache Erfinder seyn, die schon alte und nerre Aucrores in ihren Regeln gelehrek haben? Oder hat er bey dem Entwürfe des Titels feine Erfindung schon ver­ gessen gehabt?

Weil der Herr Verfasser, wie man sicht, gar wohl mit den Schriften des Herrn Ranreau bekannt ist, so will ich denjenigen zum besten, die sie nicht kennen, eine Stelle herauözcrchnen, woraus man sehen kann, wie ähnlich der Herr Daube mit dem Herrn Rameau gewisser­ massen denket. Es schreibet der letztere, in sei­ nem Plan abrege d’une Methode non veile d’accompagnement pour le clavcdn, den man un Mercure de France, vom Monathe Marz 1730. findet, folgendergestalt: (*) was die Folge der

(*) Pour ce qui eß de la succeßion des accmds, il eß tlair qu’ itant tous consonans oudtjjonans, eile ne pent conji•

352

ni. Gedanken

der Accorde berrjft, so ist leichte zu sehen, daß, da sie alle entweder consönirend oder dißonirend sind, solche nicht anders als auf dreyerley Art geschehen kann, entwe­ der, confißer que dans celle des confonans entre eux s desdijjb• nans entre cux3 VS des confonans meles avec les dijjbnans. Le principe de [ces fucceffions rejide dans deux cadences fun­ damentales, dont tune qui defiend de 5. comme de fol a M- s'appelle parfaite, VS dont lautre qui monte de 5. commede fa a ut, s’appelle imparfake ou irreguliere; les notes qui formen? ces cadences, portent chacune l accord confonant, VS la derniere de chaque cadence eß toujours la tonique, ceß a d la principale note du ton. Ces deux cadences ordonnent d' abord de la fucceffion des acCords confonans entreux; mais comme le principal but de la fuccejßon des accords eß d3 entretemr d f oreille la modularion ou le ton qui exijie, VS que pour cet effet, V art VS t exptrience out revctu t harmorde de la dif* fonance ; on t ajoute en cnnfequence d la prenuere* note de chacunt, de ces deux cadences ; VS de Id natt la fucceffion des accords confonans vieles de dijfonasis. Si au Heu de terrniner la cadence paifite par I accord confonant, on apüte encore d celui-ci la meme dijfo* nance, il en refdte un progres oblige d' accords dffihans, dont la xonclufan ne fe peut faire que par le f:ul ac*. cord confonant, VS ce neß qualors que la cadence. parfaite apparoit; car ceUes qui fe fönt d un accord dissonant d un autre dissonant, n en fönt que T Imita­ tion. Ains T Imitation de la cadence paifaite, eß T origine de la fucceffion des accords dijjbnans entreux\ VS c* eß en ces deux mouvemens de la meme cadence que git tout r artifice de la compofition VS de t accompagne* ment; car la cadence irreguliere eß toujours concluante, VS ne s imite point.

überHrn.Daubens Generalbaß re. 353 der, daß sich nur lauter consönirende, oder laurer dissonirende Sätze auf einander folgen, oder daß die consonirenden Gäye mir dissonirenden abgewechselr werden. Der Grund dieftr Folge beruht auf den zwey Grundschlußfällen, wovon der eine, der von der (Quinte in die Finalsayce geschicht, als vom giiie c, ein vollkommner Schlußfall; der andre aber, der von der (D.uarra Ton» in die Finalsayce gefchicht, als vom f ins c, ein unvollkommner Schlußfall genennec wird. Die Noten, womit diese Schlußfalle gemacht werden, haben ein jeder den harmonischen Dreyklang, und die letzte Note eines jeden Schlußfalls ist allezeit die tonische Note, d. i. die -Haupt- oder Finalsayce des Tons. Diese beyden Schlußfalle nun bestimmen zuförderst die Folge der consonirenden 2k« corde unter sich. Tiber, weil der Haupt­ endzweck der Folge von Accorden darinnen besteht, die Modulation und den Vorhand» nen Ton im Ohre zu unterhalten, imt> die Runst und Erfahrung zu diesem Ende die Dissonanzen in die Harmonie eingeführek haben; So wird dem zu Folge jeder ersten Note von den beyden, woraus die Schluß­ fälle bestehen, eine Dissonanz hinzugefügec, und daraus entspringet die abwech» ftlnde Folge der Ton- und Dissonanzen. Wenn man, anstatt den vollkommnen Schlußfall mit dem harmonischen Drey» II. Band. 4. Stück A a klang

Ul- Gedanken

354

klang zu endigen, annoch diesem eben sol­ che Dissonanz hinzufüget, st> entstehet dar» aus eine obligate Fortschreitung von disso» nirenden Sätzen, die nicht anders als mit dem harmonischen Dreyklang allein geen­ det werden kann, und erst alsdenn kommt der vollkommne Gchlußfall zum Vorschein; denn die Schlußfalle von einem dissonirenden Gay zu einen» andern dissomrenden sind nichts als eine blosse Nachahmung davon. Also ist die Nachahmung des vollkommnen Gchlußfalls der Ursprung von der Folge der distonirenden Gaye un­ ter sich, und in diesen bevden Bewegun­ gen eben desselben Schlußfalls steckt die ganze Runst der Lomposirion und des Accompagnemencs; denn mit dem unvollkommnen Schlußfall wird allezeit ein Ab­ satz gemacht, und kann derselbe nicht nachgeahmer werden rc.

Einigen Lesern zum Besten will ich dasje­ nige, was der Herr Rameau allhier gesagt, mit Exempeln erläutern.

Erstes Exempel.

G

C

F

C

überHm.Daubms Generalbaß rc. 355 Ist ein vollkommner I Ist ein unvollkommner Schlußfall von der Schlußfall von der Quinte in die Final- Quarta Toni in die Fi« sayte. nalsayte. Diese beyde Schlußfälle bestimmen, nach dem Herrn Rameau, die Folge der consonirenden Accorde unter sich. Zweytes Exempel, h c c c

g f d

g e c

-



a g f e de





Hier wird jeder ersten Note von den beyden Schlußfallsuoten eine Dissonanz hinzugefügk. Beym vollkommnen Schlußfall bekömmt die erste Note einen Septimenaccoed; beym tut« vollkommnen einen Gextquintenaccord. Aus dem erster« Verfahren nimmt die abwechselnde Folge von Con- und Dissonanzen ihren "Ursprung.

Drittes Exempel.

h g f G

a h f g e e C | F

a £ d H

Anstatt daß die letzte Note des vollkommnen Schlußfalls allhier mit dem harmonischen Drey« klang geendet wird, so wird demselben eine ähn­ liche Dissonanz, als die erste gehabt, nemlich eine Septime hinzugefügek, und auf diese Art, Aas so

356

in. Gedanken

so lange man will, von Note zu Note in fallen» der Quinten-und steigender Quartenproqreßron des Basses, continuiret. Aue diesem Verfah­ ren entsteht dre Folge der dissonirenden Sätze unter sich. Wenn der Herr Rameau in der angeführ­ ten Stelle die Folgen der Harmonien aus den zwey benannten Schlußfällen herleltet: So sie­ het ein jeder mit leichter Mühe, rote keine an­ dere Accorde, als der harmonische Drechlang auf der Finalscmtc, der Sexrqmnteiraccorl) auf der Quarra Toni und derSeptimenaccord auf der Dominante, daselbsten paradiren, und wie der Herr Rameau schon vor 26 Jahren mit dem Herrn Dauve übererngestlmmet hak« Jedoch stimmet er nicht gänzlich nur ihm über­ ein. Denn das saget Herr Rameau nirgends, daß diese drey Accorde alle andere, sowohl conals dissonirende Accorde, die nur im General­ basse vprkommen, enthalten. Ich will nicht diejenigen Sätze berühren, die Herr Daube hievon ausnimmt. Aber wenn nun auf der Fi­ fl» ualsayte, z. E. auf c der Septimenaccord -t | Lc vorkömmt, wenn auf eben derselben Sayte der r« Sextquintenaceord gemacht wird, wenn auf l*

eben derselben Sätze der Quartterzenaccord

e „c

gegrif»

überHm.DaubensGmemlbaßrc. 357 gegriffen werden soll, u. s. w. und eben so mit Len übrigen Tönen der Leiter: ist denn da nut einer von diesen Accorden, der aus der Umkeh­ rung des DreyklangeS auf der Finalsayte, oder -es SextquimenaccordS auf der Quarta Toni, oder des Septimenaccords auf der Dominante entspringet ? Der Herr Daube wird unstreitig mit keinen andern Sähen, als seinen sogenann­ ten drey Hauptaccorden, und -en vermittelst der Umkehrung davon abstammenden Sätzen zu com» poniren erlauben. Diesem zu Folge wird die Secunda Toni allezeit den Quartterzenaccord, die Tertia Toni allezeit den Sextenaccord, die Quarta Toni allezeit den Sextquintenaccord, u. s. w. ha­ ben sollen. Wird das nicht eine vortrefliche Composition werden ? Zum wenigsten wird man alsdenn keine Ziefern zum Generalbasse brau­ chen. Der größte Ignorant wird denselben trotz dem besten Meister ohne diese Hülfsmittel spielen können. Jede Sayke hat ja alsdenn ihren gewissen eignen Accord, der beständig und in allen Fällen auf derselben erscheinet. Ich sollte fast auf die Gedanken gerathen, eS müsse der Herr Verfasser sich durch das Exempel einiger und auch berühmter Franzosen haben verführen lassen. Es sind nemlich ihrer viele in der Gewohnheit, daß sie zu der oder jener Sayte ihre geschwornen Accorde in der Bezieferung eines Generalbasses gebrauchen, die Solostimme mag dieselben erlauben oder nicht. Ueber kein Semitonium Modi werden diese die 6 alleine Aa j setzen;

358

ui. Gedaukm

setzen; es muß allezeit eine durchstrichne s da seyn, welches Zeichen sie der Kürze wegen zur An« deutung des Accords der falschen Quinte gebrau­ chen, und gleichwohl gehört nur öfters die Sexte ganz alleine, ohne Begleitung der falschen Quinte dahin. Kommt die Quarta Toni im Basse vor, so muß der ganze SextqutNtenaecord herhalten,

er

mag sich dazu schicken oder nicht. Der har« momsche Dreyklang ist ihnen nicht genung. Der Accord muß dissoniren. Den blossen Sexten« accord auf der Secundä Toni wird man nie« mahle von der Welt alleine im Generalbasse an« gezeigt finden. Die Quarte muß ohne Aue» »ahme mit dabey seyn. Heißt das nach Em« pfindung componirt, und, ist ja darnach compo« nirt, ist da die Harmonie, der Empfindung des Componlsten gemäß, in dem Generalbasse anqe« zeigt? Ich übergehe die garstigen Progressen, die wider die Regeln der harmonischen Fortschrei­ tung öfters dadurch entstehen. So verfährt kein Graun, kein Telemann, kein Haste, kein Bach, kein Händel. Doch muß man in Ansehung drests letzter« die von ihm in Paris ge« stochnen Werke nicht zu Mustern der Beziefe« rung nehmen, als welche nemlich daselbst von einem oder andern Johann Ballhorn schon bis zum' Eckel verfälscht worden find. Es ist wahr, daß es gewisse Accorde giebt, die nur auf dieser oder jener Sayte, und nie« gends anders gemachet werden könne. Z. E. Der Accord der verminderten Sepcüne, der Accord der

über Hm. Daubens Generalbaß rc. 3 59 der übermäßigen Quarte, der übermäßigen Se­ cunde, u. s. w. Aber in keinem Ton und in keiner Tonart sind gewisse Sayten vorhanden, worauf nur dieser oder jener Satz alleine statt findet. Wäre dieses, daß jede Sayte ihren bestimmten Accord hätte, wie gefesselt würde da das Genie eines Sehers seyn, und wie wenig Verände­ rung würde alsdenn in ein Stück gebracht wer­ den können? Wie armselig würde es alsdenn um den Ausdruck stehen? Aber laßt uns dem Herrn Daube kein Un­ recht thun. Er wird sich über diesen Artikel ganz anders zu erklären wissen. Ich will selbst seine Vertheidigung übernehmen. Er wird so viel sagen wollen, als : es giebt keine andere als drey Grundaccorde, der harmonische Dreyklang, der Sextquinten und- und der Geptimenaccord. Von diesen stammen alle andere Harmonien her. Ja, in diesem Falle hätte er nicht ausdrück­ lich diejenigen Sayten einer Tonleiter benennen sollen, wo Liese Hauptaccorde gemachet werden müssen. Jede Sayte eines Tons hätte als, denn, wie billig, eine solche Sayte abgeben kön­ nen, worauf man einen Grundaccord gemacht hätte. Alsdenn hätte er aber auch nur zwey Hauptaccorde annehmen dürfen, einen confoni« renden und einen lnssonirenden. Denn was aus einem Sextguintenaccarde herstammet, da­ stammet auch von einem Septimenaccorde her. Dieser letztere aber wäre unstreitig der rechte Aa 4 disso-

360

in. Gedanken

dissonirende Hauptaccord gewesen, und alödenn würde Herr Daube dem Herrn Rameau voll­ kommen ähnlich, und recht gelehret haben. ES hat aber derselbe lieber ein eignes Sy­ stem erdenken wollen, und zu diesem Endzwecke konnte er nicht besser gelangen, als wenn er die 3. Accorde, worauf und auf deren Nachahmung der Herr Rameau den Ursprung der Folge von Harmonien oben gründete, zu seinen 3. Hauptaccorden erwählte. Da sehen wir nunmehr worinnen der Herr. Daube mit einem berühmten Scribenten übereinkömmt, worinnen er von ihm abgeht, trab wie eine Erfindung die andere erzeuget. Daß cs in Absicht auf diesen leHtern Punct einigermassen seine Richtigkeit haben muß, ist daraus zu scheu, weil der Herr Verfasser gerade die 3. von dem Herrn Rameau, obgleich in einer ganz andern Absicht angeführten Ac­ corde beybehalten hak. Er hätte sonst ja anstatt des Sextquintenaccords den SeptimenfaH auf der Secunda Toni wählen können. Denn in der That, mit was für Recht kann der Here Daube den Sextquintcnaccord für einen Grundaccord ausqeben? Sind ihm die characteristi« schen Merkmahle eines Grundaccordes nicht be­ kannt ? Wo finden sich aber diese in dem Sextquintenaccord? Mit eben dem Recht als er den­ selben für einen Grundaccord ansiehet, kann ein andrer den Secundenaccord auf der Finalsayte dafür annehmen. Wenn man denselben hernach in den Accord der falschen Quinte auf dem Se-

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über Hw. Daubens Generalbaß rc. 361 mitonio Modi auflöset: so hak man vermittelst ihrer Verkehrung eben diejenige Anzahl von Accorden, die der Herr Daube angiebt. Dünkt demselben dieses Verfahren lächerlich, so kann er versichert sevn, daß man zu dem seinigrn auch nicht ernsthaft aussehen kann. Warum er aber zwey dissonirende Grundaccorde, die nichts ver­ schiedenes hervorbringen, annehmen kann, bleibt zur Zeit mir noch unbegreiflich, indem über­ haupt, und zwar nach dem System des Herrn Rameau, es nur zweyerley Grundaccorde, einen consonirenden und einen dissonirenden geben kann. Doch vielleicht wird sich mein Zweifel in der Folge aufklären. Wir wollen also unsere allge­ meine Betrachtungen auf die Seite setzen, und einige Sätze des III. Capitels besonders durchge­ hen, um uns mit dem Lehrgebäude des Herrn Verfassers näher bekannt zu machen. Seite i6.---------- „Da viele Menschen, „die niemahls die Noten erlernet haben, den­ noch Melodien in der großen Tonart C, fel» „ten aber in den übrigen hören lassen, so ist „daraus unter andern zu schliessen, daß ein „Anfänger den Anfang zum Generalbasse dar„innen machen solle. Die Erfahrung von dem Singen der Men­ schen in C dur ist nagelneu. Man kan alle Tage die Probe damit massen. Man nehme eine unmusikalische Person, und lasse sie ein ihr bekanntes gemeines aus einem Durton gesetztes Gassenlied anstimmen, und probire alödenn bett

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ui. Gedanken

Ton derselben auf dem Claviere. Man mache diesen Versrrch mit mehrer» Personen, und zwar Personen von verschtednem Alter und Geschlecht. Die eine wird allezeit ihren Ton eine Secunde, Terz, Quarte rc. höher oder tiefer nehmen. Nun fragt es sich, wie denn alle diese verschiedenen Töne C dur seyn können. Doch Herr Daube wird ein veränderliches Maaß bey der Höhe und Trefe des C Tons annehmen, und vermittelst des­ selben auf zwölferley Art die Intonation von C verändern können. Braucht es aber solcher fal« schen Erfahrung, um zu erweisen, daß ein Generalbaßschüler in C dur zu lernen anfangen soll?

Seite iS. „Matkheson, Heimchen, »Spieß und Rellner haben zwar etwas wen!« „ges von der Unwendung gesagt: Allein sie „haben es nur bloß bey dein Recitativstyle „erwehriet, ohne zu entdecken, wie die meisten „Accorde, Bezieferungen rc. hieraus entsprin« „gen, das doch einem jeden Anfänger unge„meine Dienste würde gethan haben. „ Also ist der Herr Daube der erste, der die Verkehrung der Accorde nach aller Form lehrt. Aber ist ihm nicht etwann entfallen, daß Herr Rameau solches in feinem traite de l’harmonie, der 1722. zu Paris herausgekommen ist, bereits ge­ than hat? Doch Herr Daube redet nur viel« leicht von den Tonlehrern unter den Deutschen. Aber wie lange vor ihm ist die Verkehrung der Accorde

über Hrn. Daubens Generalbaß re. 363 Accorde auch schon nach aller Form hieselbst be­ kannt geworden? Sollte der Herr Verfasser ein solcher Fremdling in der musikalischen Litteratur seyn, und z. E. die Schriften des Herrn Gorge niemahls, auch nur von ungefähr, gese­ hen haben? Was hat dieser anders gethan, als daß er die Verkehrung der Accorde gelchret hat? Aber war denn, ehe diese Männer mit ihren Lehrbüchern ans Licht traten, die Verkehrung der Accorde eine so gar unbekannte Sache? So alt als der doppelte drey und vierstimmige Contrapunct ad Octavam ist, so alt ist auch die Verkehrung der Accorde. Hieran kann kein andrer zweifeln, als derje­ nige, der nicht weiß, was ein doppelter Contra­ punct in der Octave heißt.

Der Herr Rameau, ein Mann, dessen vortrefiiche Einsichten die vollkommne Achtung der Welt verdienen, hat kein anderes Verdienst in diesem Stücke, als -aß er zuerst die Lehre von der Verkehrung der Säße auf den General­ baß appliciret hat, daß er hernach auf die In­ tervallen, woraus die Accorde bestehen, beson» dere zurückgegangen ist, und darunter die Sep­ time als die Quelle aller Dissonanzen entdecket hat. Daß, da die Lehre von der Verkehrung der Intervallen und Accorde sonsten nirgends als in den Schulen der Conkrapunctisten zu er­ lernen war, Herr Ramearr vermittelst dieser Application auch denjenigen, die nicht so weit zehen

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ni. Gedanken

gehen wollen, einen ungemeinen Nutzen gestiftet, und folglich deßwegen allen nur möglichen Dank verdienet, brauchet nicht erwiesen zu werden. Seite i8- „Mich wundert, daß so viele be„rühmte und erfahrne Mannet, bieder musikali„schen Leiter gedacht, dennoch nicht daran gedcn„fen, eine Septime auf die Quintam Toni zu »setzen, sondern sie entweder mit 3 oder Beyfü„gung der 8 bezeichnet wisse» wollen, (a) Bey „solcher Bezeichnung frage ich, was für ein Un„terscheid sey zwischen dem Grundtonsaccorde | „und diesem unter dem Grundkon stehenden (Duin> „renaccord. (b) Nun ist aber bekannt, daß von „einer vollkommnrn Consonanz zur andern eben „so vollkommnen Consonanz zu gehen, wenn es „auch sprungs-oder fallsweise geschahe,) nicht „gut, ja nicht einmahl wohl erlaubt ist. Hier „aber müßte man dieses beständig hören, (c)

(a) Dieses wird ohne Zweifel deßwegen geschehen ftyn, weil die Septime nicht vorher gelegen hat, oder sich in den folgenden Accord nicht hat auflöseu können. Der Herr Daube hat es sich ja ziemlich oben merken lassen, daß 'er kein Freund von Disso­ nanzen ist. Warum spricht er denn so zum Vor­ theile der Septime ? Ich bemerke hier wieder einen französischen Gedanken. Oie Quinta Toni soll kei­ nen andern Accord haben als den Septimenaccord. Aber wenn nun weder der Ausdruck, noch die fol­ genden oder vorhergehenden Stimmen eine Septime erfordern, wie wird es denn da halten ?

Der Unterscheid, der hier übrigens zwischen Zünd | gemacht wird, ist zu subtil, als daß ich ihn so­

gleich begreiffen sollte. Ich werde der Sache nach­ denken. Soviel weiß ich, daß man niemahls einen andern Accord greift, als den harmonischen Dreyklang,

über Hm. Daubens Generalbaß rc. 365 klang, es mag eine 3. 5. oder 8. oder es mögen alle diese Ziefern über einer Note stehen. Wenn man übrigens öfters lieber eine 3. als 5 oder 8, und umgekehrt, nimmt, so geschicht dieses zu Folge einer vorhergegangenen Dissonanz, die entweder in die 3. 5. oder 8. dieses Accorbs sich auflösen soll. (b) Der Unterscheid zwischen dem Dreyklange auf der Finalsayte und der Dominante ist, deucht mich, mit Handen zu greifen. Macht die verschiedene Hohe nebst der Folge der Satze nicht Unterscheids genung ? Ein andrer mögt« aber wohl den Herrn Verfasser fragen, warum er den Septimenaccord auf der Quinta Toni, einen Lluimenaccord und den Sextguintenaccord auf der Quarta Toni, einen (üuar# renaccord nennet. Wenn nun in einem fremde» Stücke (nicht etwa»» in einer Composition vom Hrn. Daube) auf einer andern Tonsayte, als der Qnarta, z E. auf der Quinta oder Sexta Toni, im Lauste der Modulation in C dur, ein Sextquintenaccord vorkömmt, so kann ja dieser Accord alsdenn uns möglich mehr ein Quartenaccord heissen. Bey dem Quintenaccord kan man sich hingegen nichts anders als den vollkominnen harmonisthen Drepklang concipiren. Ich weiß nicht, wie in einem so deutlich und ordentlich geschriebnen Werke solche ganz Vers wirrte und falsche Benennungen vorkommen können. Doch dieses gehöret mit unter die neuen Erfindun­ gen. Wer ein neues System« auf die Bahn brin­ get, der hat schon die Erlaubniß, neue Nahmen ein# zuführen, ob sie gleicht nicht richtig sind, und eine Quinte in eine Quarte, die Septime aber in eine Quinte zu verwandeln. Ich glaube aber nicht, daß der Herr Verfasser viele Nachfolger haben wird; welches auch zum Besten der Sache des Apollo nicht zu wünschen ist. (c) Da haben wir einen Beweiß, wie gründlich der Herr Verfasser in der kehre von der Folge der

Con-

366 ui. Gedanken über Hn.Daubens re. Man fetze folgendes

Confonanzen unterrichtet ist. Exempel: SS 4 5 3

G

G

8 5 3

|

C

Dieses tadelt der Herr Daube; warum ? weil es nichc erlaube ist, von einer vollkommnen Lonfonanz zur ander«» zu gehen. Wie sehr sind unsere Vorfahren zu bedauern, daß sie diese Regel nicht so erkläret haben! Ihre musika­ lische Seligkeit lepbet in der That darunter. Aber was halte ich mich be«) einer Sache auf, die Herr Daube nur ohne Zweifel zum Scherz so hingeschriebcn ? Vielleicht haben ihm die wiederholten Ziefem I s dazu Gelegenheit gegeben. Sollte sich aber

wohl em Accompagnateur finden, der solches folgendergestalt spielte? g

e

h

i

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G

C

g

Mit dem wurden die unbarmherzigen neun Musen nichts anders als wie mit dem Marsias verfahren; Allein wen«: ttutt auch ein unwissen­ der Accompagnateur solches thäte, würde dieses der eigentlichen Folge dieser Sätze Lort thun? Ich schä­ me mich bei-nahe, von dieser Materie im Ernst ge­ sprochen zu haben. Ich übergehe deßwegen die übrigm Fragen, die der Herr Daube in der großen Anmerkung bey (e) Seite 18. annoch thut. Es sind Fragen, die wohl einem Schüler des Generalbasses, aber fernem Lehrer desselben erlaubt sind. Die Fortsetzung uric nächste»».

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