Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung [Reprint 2014 ed.] 3110178842, 9783110178845, 9783110923957

Der Prozess der Entstehung und dogmatischen Fixierung christlicher Glaubensbekenntnisse (Kurzfassungen zentraler Glauben

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Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung [Reprint 2014 ed.]
 3110178842, 9783110178845, 9783110923957

Table of contents :
Abschnitt I: Grundlegung - Die Problemstellung Vom >urchristlichen Kerygma< zum »kirchlichen Dogma< und zurück? Frühchristliche Bekenntnisbildung als Problem theologischer Wissenschaft(en)
1.1 Die Forschungsgeschichte: Bekenntnisbildung, Bekenntnisbewahrung, Bekenntniskritik
1.1.1 Ausgangsfrage und Antworthorizont: Frühchristliche Bekenntnisbildung und ihre hermeneutischen Grundstrukturen
1.1.2 (Mittelalterliche) Forschungsgeschichte als konstruktive Ätiologie: Typologie, Symbol, Legende
1.1.3 (Neuzeitliche) Forschungsgeschichte als historisch-kritische Analyse: Datierung, Sammlung, Aktualisierung
1.2 Der methodische Neuansatz: Frühchristliche Bekenntnisbildung im Fadenkreuz systematisch-generativer Grundlagenforschung
1.2.1. Die Defizite: Sprachregelung, Periodisierung, Deutung
1.2.2 Der Lösungsvorschlag: Historische Semantik und strukturelle Semiotik, generative Systematik und theologische Archäologie
Abschnitt II: Entfaltung - Die (Be-) Deutung Was heißt ein Glaubensbekenntnis? Frühchristliche Bekenntnisbildung in ihrem religiösen Kontext - Historisch-semantische Bestandsaufnahme
2.1 Frühchristliche Glaubensbekenntnisse in ihrem religiösen Kontext I - Die religionswissenschaftliche (Be-) Deutung
2.1.1 Religionswissenschaftliche Spurensuche I: Allgemeine Phänomenologie religiöser Glaubensbekenntnisse
2.1.2 Religionswissenschaftliche Spurensuche II: Die vor- und nichtchristlichen Kontexte frühchristlicher Bekenntnisbildung
2.2 Frühchristliche Glaubensbekenntnisse in ihrem religiösen Kontext II - Die historische (Be-) Deutung
2.2.1 Frühchristliche Spurensuche I: Bekenntnisse in Altem und Neuem Testament
2.2.2 Frühchristliche Spurensuche II: Außerkanonische Texte frühchristlicher Herkunft. Großkirchliche Bekenntnisse und die Bekenntnisse devianter Bewegungen
Abschnitt III: Folgerungen - Die Deutung Was bewegt frühchristliche Bekenntnisbildung? Gottes Heilsgeschichte mit seiner Schöpfung - Strukturell-semiotische Analyse
3.1 Gottes Heilsgeschichte mit seiner Schöpfung - Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung. Ansätze zu einer generativen Systematik
3.1.1 Das Ringen um verbindend-verbindliche Formulierungen I: Zwischen alttestamentlichen Vorgaben und großkirchlichen Sym- bola. Bekenntnisentfaltende Prinzipien frühchristlicher Bekenntnisbildung
3.1.2 Das Ringen um verbindend-verbindliche Formulierungen II: >De lectis non lecta conponereGeschichte< mit der Geschichte. Das bekenntnisgenerierende Grundprinzip frühchristlicher Bekenntnisbildung
3.2 Hermeneutische Spezifika frühchristlicher Bekenntnisbildung. Konklusionen theologischer Archäologie

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Gerda Riedl Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle · H.-P. Müller

Band 123

W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gerda Riedl

Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung

W DE G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017884-2 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Vorwort Etwa 140 Jahre zurück reichen die Anfange wissenschaftlich verantworteter Rückfrage nach den Umständen frühchristlicher Bekenntnisbildung. Sie verbinden sich - aufschlussreich genug - mit dem Namen des jüdischstämmigen, deutsch-norwegischen Lutheraners Karl Paul CASPARI (1814 - 1892) und seinem dreibändigen Werk über die »Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensregel< (1866 / 1869 / 1875). Seither behauptet die so genannte >Symbol-Forschung< ihren festen Platz im thematischen Gefuge antiker Kirchen- und Theologiegeschichte. Zuletzt erbrachte das vergangene Jahrzehnt eine neuerliche Intensivierung einschlägiger Forschungsarbeit; nacheinander erschienen umfangreiche Untersuchungen von Reinhart STAATS (Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, 1996), Wolfram KINZIG / Christoph MARKSCHIES / Markus VINZENT (Tauffragen und Bekenntnis, 1999), Liuwe H. WESTRA (The Apostles' creed, 2002) und Jaroslav PELIKAN (Credo, 2003). Ausgerichtet blieb solche >Symbol-Forschung< bis heute auf die Nachzeichnung feinster Entwicklungslinien (früh-) christlicher Bekenntnisbildung; sie wußte und weiß sich historisch-genetisch orientiert. Vorliegende Studie über >Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung« beschreitet einen gänzlich anderen Weg: Nicht historischgenetisch, sondern systematisch-generativ geht sie methodisch vor. Nicht historische Entwicklungslinien frühchristlicher Kirchen- und Theologiegeschichte möchte sie in erster Linie offenlegen, sondern deren systematischen Entfaltungsprinzipien sucht sie auf die Spur zu kommen. Insofern sieht sie sich weniger dem binnentheologischen Erkenntnisgewinn verschrieben, als vielmehr aufgeschlossen für interkonfessionelle und interreligiöse Zusammenhänge: Ihr ist es zu tun um die Aufdeckung grundlegender Traditionszusammenhänge zwischen abrahamitischen und nicht-abrahamistischen Religionen, Christentum und Judentum, christlich gelesener Bibel und kifchlich gestalteter Glaubenslehre. Einen besseren Ansatzpunkt als das - uneigentlich zu sprechen - letztlich >ökumenische< Gut von so gemeinsam strukturierten wie unterschiedlich ausgeprägten (Glaubens-) Bekenntnissen vermochte sich die Verfasserin dabei nicht zu denken. Dankesverpflichtungen ergaben sich über den Arbeiten zu vorliegender Studie in mannigfaltiger Weise. Sie gelten zuvorderst den (Universitäts-) Bibliotheken in Augsburg, München und Tübingen fur die umgehende Bereitstellung der teilweise entlegen publizierten Sekundärliteratur sowie dem Verlag Walter der Gruyter,

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Hermeneutik frühchristlicher Bekenntnisbildung

insbesondere Frau Aurich und Herrn Dr. Döhnert, fur die geduldige Betreuung der Drucklegung. Mit vorliegender Studie habilitierte sich die Verfasserin im Jahr Z003 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Ihre Arbeit erhielt die kirchliche Druckerlaubnis des Bischöflichen Ordinariates Augsburg, Nr. 3893 vom 30.06.2003 (gez. Prälat Konstantin Kohler, Generalvikar). Augsburg, den 10. April 2004 Gerda Riedl

Inhalt

A b s c h n i t t I: G r u n d l e g u n g - D i e Problemstellung V o m mrchristlichen Kerygma< zum >kirchlichen Dogma< und zurück? Frühchristliche Bekenntnisbildung als Problem theologischer Wissenschaft(en) Li

Die Forschungsgeschichte: Bekenntnisbildung Bekenntnisbewahrung, Bekenntniskritik

1.1.1

Ausgangsfrage und Antworthorizont: Frühchristliche Bekenntnisbildung und ihre hermeneutischen Grundstrukturen Das andere Erkenntnisinteresse: Vom historisch-genetischen zum systematisch-generativen Ansatz. S. ι - Der hermeneutische Mehrwert eines systematisch-generativen Ansatzes: Das Beispiel des so genannten >Vierten Bekenntnisses von SirmiumTypologieSymbolApostolicumDe lectis non lecta conponereErläuterungErläuterungenhermeneutische Quelle< der Bekenntniskonflikte des 4. Jahrhunderts. S. 270 Hermeneutischer Ausweg. S. 276. 3.1.3

Das Ringen um verbindend-verbindliche Formulierungen III: Vom Wirken Gottes in der Geschichte, seinem Wesen jenseits aller Geschichte und seiner >Geschichte< mit der Geschichte. Das bekenntnisgenerierende Grundprinzip frühchristlicher Bekenntnisbildung

284

Bekenntnisgenerierender Mechanismus: Heilsgeschichdiche Orientierung aus prophetisch-apokalyptischem Geist. S. 284 - Apokalypse und Apokalyptik. S. 285 - Ursprünge frühjüdisch-frühchristlicher Apokalyptik. S. 289 - Erlösung und Vollendung: Apokalyptische Deutungskategorien frühestchristlichen Glaubenswissens. S. 297 - Apokalypsis Gottes. S. 299 - Vom autoritativen >Glaubens-Gesetz< zu normativen >Glaubensbekenntnissenkirchlichen Dogma< und zurück? Frühchristliche Bekcnntnisbildung als Problem theologischer Wissenschaft(en) i.i Die Forschungsgeschichte: Bekenntnisbildung, Bekenntnisbewahrung, Bekenntniskritik i.i.i Ausgangsfrage und Antworthorizont: Frühchristliche Bekenntnisbildung und ihre hermeneutischen Grundstrukturen Das andere Erkenntnisinteresse: Vom historisch-genetischen zum systemarisch-generativen Ansatz. Eigentlich ist das Problem beinahe so alt wie die Geschichte der Erforschung religiöser Überzeugungen selbst: Von welchen Grundannahmen her, aus welchem Denkhorizont heraus und über welche Argumentationsmuster hinweg organisiert sich eigentlich je neu Formulierung, Annahme oder Weitergabe des aktuell in wissenschaftlicher Rede stehenden Glaubens? Gestellt erscheint damit nichts weniger als die Frage nach den hermeneutischen Grundstrukturen theologisch verantworteter Bekenntnisbildung überhaupt. Genuin historisch orientierte Forschungsbeiträge verdecken diese epistemologische Ausgangsfrage gelegentlich eher denn dass sie ihre Beantwortung befördern helfen. Besagte Feststellung gilt besonders in Bezug auf die verschlungenen Wege der Entfaltung des - oder vielmehr der - frühchristlichen Glaubensbekenntnisse. Beinahe eineinhalb Jahrhunderte wissenschaftlicher >SymbolforschungSymbolforschung< werden gewöhnlich mit den Publikationen Karl Paul CASPARIS (1814 - 1 8 9 2 ) in Zusammenhang gebracht. Seine Schriften nennt bereits Georg Ludwig Hahn »vor allen übrigen verdienstvoll, ja recht eigentlich Grund legend« (August HAHN / G . Ludwig HAHN [Hg.]: Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der Alten Kirche [1897], S. VII). Tatsächlich bedeuteten die verzweigten Quellenarbeiten des jüdischstämmigen, deutsch-norwegischen Lutheraners den eigentlichen Beginn quellenkritischer Forschungsarbeit; vgl. v.a. Carl P. CASPAM: Ungedruckte, unbeachtete und wenig beachtete Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensregel (1866/1869/1875); DERS.: Alte und neue Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensregel (1879)·

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Abschnitt I: Grundlegung

lichster Textsortenzugehörigkeit ans Licht gebracht; ihre chronologische, geographische oder gattungsanalytische Gruppierung beschäftigt die kirchenhistorisch orientierte Wissenschaft jedoch bis heute. Unbeschadet dessen scheint ein Forschungskonsens zumindest unter entstehungsgeschichtlichen Maßgaben in weite Ferne gerückt; aller gewonnenen Erkenntnisse zum Trotz verweigert sich der gewählte Gegenstand schlicht seiner objektivierenden Verortung. Um die Überlieferungsproblematik des >Nicaeno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses< (NC) scheint es dabei nicht besser bestellt als um Apostolisches Glaubensbekenntnis< (T) und seine Vorlage, das so genannte >Altrömische Glaubensbekenntnis< (R). Mit Christoph MARKSCHIES stellt ein ausgewiesener >Symbolforscher< der jüngsten Generation jedenfalls hinsichtlich der beiden letzteren noch 1998 einigermaßen resigniert fest: »Die neue Symbolforschung (Kelly, Campenhausen) unterschied streng zwischen frühen >GlaubensformelnGlaubensregel< und >GlaubensbekenntnissenDe principiis< (1998); Bernd JASPERT: Biblische Theologie und Kirchengeschichte (1999); Konstantinos NIKOLAKOPOULOS: Grundprinzipien der orthodoxen patristischen Hermeneutik (1999); Christoph MARKSCHIES: Ambrosius und Orígenes (1999); Günter STEMBERGER: Griechisch-römische und rabbinische Hermeneutik (1999); Paul BEAUCHAMP: Lecture christique de l'Ancien Testament (2000); Pablo ARGÁRATE: Herméneutica y exegesis de los Padres de la Iglesia (2002); Carol J . DEMPSEY U. a. (Hg.): Theology and Sacred Scripture (2002); Joel B. GREEN: Scripture and theology (2002); Petr POKORNY u.a. (Hg.): Philosophical hermeneutics and biblical exegesis (2002).

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Abschnitt I: Grundlegung

kengänge haben mit erheblichen Widerständen zu kämpfen. Ihr Erkenntnisinteresse - die stimmige Beschreibung textgenerierender Deutungsprinzipien formelhafter Kurzfassungen frühchristlicher Glaubensinhalte - liegt nicht nur jenseits der Ursprungs-, Herkunfts- und Abhängigkeitsvermutungen historisch-genetisch operierender Forschungsansätze. Auch frühchristliche Glaubensbekenntnisse verhalten sich ihnen gegenüber ausgesprochen spröde: Einschlägige Texte und deren engeres Umfeld nach Reflexen hermeneutischer Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung absuchen zu wollen, bedeutet jedenfalls häufig, Enttäuschungen in Kauf nehmen zu müssen. Nichtsdestoweniger gelingt so mancher Fund. Beispielsweise bewahrt das >Vierte Bekenntnis von Sirmium< einen entsprechenden Reflex: Von einer bischöflichen Arbeitsgruppe am 22. Mai 359 unter Aufsicht Kaisers Constantius' II. (317 - 361; reg. seit 337) zur synodalen Textvorlage erkoren und seiner ausfuhrlichen Datierung wegen (»während des Konsulats der erlauchtesten Flavier, Eusebius und Hypatius, in Sirmium am elften Tage vor den Kaienden des Juni« 7 ) auch als >Datiertes Bekenntnis< bezeichnet, enthält es die aufschlussreiche Schlusspassage des folgenden Inhalts: »Weil das Wort >Wesen< von den Vätern zwar einträchtig angenommen wurde, aber erheblichen Anstoß erregt, da es dem (Gottes-) Volk unbekannt und auch nicht in den Schriften enthalten ist, hat es uns richtig geschienen, es zu entfernen, und außerdem soll auch in Bezug auf Gott das Wort >Wesen< nicht weiter erwähnt werden, weil die heiligen Schriften auch niemals vom Wesen des Vaters und des Sohnes sprechen. Demgegenüber sagen wir, dass der Vater dem Sohn

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V g l . zu den hier und im Folgenden angedeuteten Vorgängen Richard KLEIN: Constantius II. und die christliche Kirche (1977); Hanns Christof BRENNECKE: Hilarius von Poitiers und die Bischofsopposition gegen Konstantius II (1984); Winrich A . LOHR: Die Entstehung der homöischen und der homöusianischen Kirchenparteien (1986); Hanns Christof BRENNECKE: Studien zur Geschichte der Homöer (1988), S. 5-58; Timothy D . BARNES: Athanasius and Constantius (1993); Daniel H . WILLIAMS: Another exception to later fourth-century >Arian< typologies (1996); Gerhard WIRTH: Constantin und seine Nachfolger (1996); Giorgio BONAMENTE: Chiesa e impero nel I V secolo (1000).

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»('Υ)πατείςι Φλαυίων Εύσεβίου κ α ί Ύ π α τ ί ο υ των λαμπρότατων έν Σιρμιω τη προ ια' καλανδων Ιουνίων« (Athanasius: De synodis 8,3 [Opitz Bd. 2, S. 235]). Sofern nicht anders vermerkt folgen die gegebenen Übersetzungen den einschlägigen Translationen; vgl. Adalbert KELLER: Translationes patristicae Graecae et Latinae (1997 ff.) sowie Siegmar DÖPP / Wilhelm GEERLINGS (Hg.): Lexikon der antiken christlichen Literatur (2002). - Originalsprachliche Quellentexte und ihren literarischen Kontext wiederum bietet die beigegebene Textsammlung; sie soll die unübersichtliche und veraltete Zusammenstellung von August HAHN / Georg Ludwig HAHN (Hg.): Bibliothek der Symbole und Glaubensregeln der Alten Kirche (1897) ersetzen helfen. Von einem ganz anderen Gattungsverständnis her versuchen ähnliches auch Jaroslav PELIKAN / Valerie HOTCHKISS (Hg.): Creeds and confessions of faith in the Christian tradition (2003); diese ansonsten verdienstvolle Edition englischsprachiger Ubersetzungen

Forschungsgeschichte

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in allen Dingen ähnlich ist, wie die heiligen Schriften selbst sagen und lehren.«8 Historisch-genetische Untersuchungen betonen völlig zurecht die gleichermaßen >antinizänische< wie >anhomöische< Stoßrichtung besagten Glaubensbekenntnisses. Wenn ihm der wirkungsgeschichtliche Erfolg dennoch versagt blieb, so resultiert dieser Sachverhalt womöglich aus den unverhohlen politischen Absichten seiner Verfasser. Tatsächlich suchten Kaiser Constantius und die von ihm favorisierten Bischöfe Basilius von Ancyra (gest. 363), Acacius von Cäsarea (gest. 365) oder Marcus von Arethusa (gest. nach 361)9 mit gehörigem Nachdruck ein >homöisches< Bekenntnis zu lancieren, das den permanent schwelenden Glaubensstreitigkeiten kirchenpolitisch ausgewogen beikommen sollte (359). Noch der Tagungsort Sirmium - das heutige Sremska Mitrovica nahe Belgrad, damals Bischofssitz, Provinzhauptstadt Illyriens und westlicher Vorposten der oströmischen Reichshälfte in einem - verweist auf den programmatischen Kompromisscharakter der vorgeschlagenen Bekenntnisformulierungen. Unabhängig davon bestätigen Vergleichsmöglichkeiten mit überlieferten Bekenntnisfragmenten (etwa antiochenischer Provenienz) besagte These zusätzlich: »Einige Merkmale im zugrunde liegenden Text deuten auf eine Verwandtschaft mit dem Bekenntnis von Antiochia hin. [...] Es war ein Vermittlungsmanifest, dessen Formulierung möglichst jedem zusagen sollte, und es gab der neuen >homöischen< Kompromißformel Ausdruck, die von Acacius von Cäsarea vorgeschlagen und vom Kaiser angenommen w u r d e - ÄHNLICH IN ALLEN DINGEN - und die sich streng aller termini technici

enthielt. Die >OrthodoxenBekenntnisSensus fideliumVierten Bekenntnisses von SirmiumDatierten Bekenntnisses< gerade auf die offenkundige Ungereimtheit, den (im antiken Sinn des Wortes) >katholischen< - mithin weder legalistisch-absolut noch chronologisch-bedingt, sondern gerade end-gültigen - Glauben kalendarisch verorten zu wollen,12 womit (5) die theologische Überzeugung vom unaufgebbaren Überlieferungszusammenhang frühchristlicher Bekenntnisbildung angemahnt wäre. Die Wahrung des Überlieferungszusammenhanges als textgenerierendes (hermeneutisches) Prinzip frühchristlicher Bekenntnisbildung. Derart gebündelt begegnen potentielle Ansatzpunkte fur die Beantwortung jener epistemologischen Ausgangsfrage nach den hermeneutischen Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung selbstverständlich äußerst selten. Nichtsdestoweniger bewahren

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John N o r m a n D . KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse (1972), S. 287 f. [Die Schreibweise in KAPITÄLCHEN deutet auf ein Zitat aus einzelnen Artikeln von Glaubensbekenntnissen.] - Z u m intendierten Kompromisscharakter des >Datierten Bekenntnisses· passt auch eine Nachricht des Historikers Sokrates: Historia ecclesiastica 2,37,17 ( G C S Ν . F. 1, S. 154): Danach soll das Original in lateinischer Sprache abgefasst gewesen sein.

11

Vgl. zur frühchristlichen Bedeutung dieses Begriffes etwa Peter HÜNERMANN: Art. Sensus fidei (2000) sowie aber auch Peter SCHARR: Consensus fidelium (1992); Günter KOCH (Hg.): Mitsprache im Glauben? (1993); Dietrich WIEDERKEHR: Der Glaubenssinn des Gottesvolkes (1994); G u i d o BAUSENHART: >Ein wahres Wort ist ein helfendes Wort« (2001); Walter FÜRST: Sensus fidelium, sensus fidei, sentire cum ecclesia (2002); Josef WOHLMUTH: Sensus fidei (fidelium) (2002).

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Vom Spott der Gegner des >Vierten Bekenntnisses von Sirmium< berichtet Athanasius: De synodis 3 (Opitz Bd. 2, S. 232 f.): Danach hielten sie es — in bewusster Verkennung gesetzgeberischer Intentionen der Verfasser — fiir nachgerade unbegreiflich, den .katholischen« Glauben mit einer Datumsangabe zu versehen.

Forschungsgeschichte

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viele Zeugnisse bekenntnisartigen Zuschnitts unterschiedlichster chronologischer, geographischer oder gattungsspezifischer Herkunft (Glaubensformeln, Glaubensregeln, Glaubensbekenntnisse u. a.) ein wenigstens rudimentäres Bewusstsein fur die Notwendigkeit textgenerierender Prinzipien z u m Z w e c k eigener Legitimation. U n d regelmäßig noch laufen entsprechende Überlegungen aus den verschiedensten Argumentationsrichtungen auf die W a h r u n g eines wie auch immer gearteten, jedenfalls aber fur vollkommen unentbehrlich gehaltenen Überlieferungszusammenhanges frühchristlicher Bekenntnisbildung zu. Darin k o m m e n neben den Synodalbekenntnissen des vierten auch einschlägige Textzeugen aus d e m zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert überein: N o c h ein Orígenes (um 185 - 253) betont beispielsweise an mehreren Stellen seines verzweigten Werkes die traditionsgestützte Unverzichtbarkeit der immer gleichen Glaubenssätze (»die Artikel, die, w e n n sie geglaubt werden, den Menschen erlösen, der sie glaubt« 1 3 ), obwohl sich im strikt gattungstheoretischen Sinn besagter Begriffe weder G l a u bensformel noch Glaubensregel oder gar ein Glaubensbekenntnis dieses bedeutenden Theologen erhalten h a b e n . 1 4 U n d vor Orígenes erinnert bereits Tertullian (um 1 6 0 - 2 2 0 ) an das nämliche hermeutische Prinzip, indem er eine seiner >Glaubensregeln< mit der entsprechenden Einleitung versieht: »Nicht so sehr die Neuartigkeit als vielmehr die Wahrheit überwindet die Irrlehre. Was immer an Wissen im Widerspruch zur Wahrheit da ist, das ist Häresie, sogar alte Gewohnheit. Übrigens ist es auch eigenes Fehlverhalten, w e n n einer etwas nicht kennt: er hätte ebenso nach d e m ihm Unbekannten fragen müssen wie er das als richtig Erkannte annehmen muss. D i e Glaubensregel [»regula fideiregulafidei1he rule of faithregulafideiCreo en uno solo Dios, Padre< (ι999).

Abschnitt I: Grundlegung

IO

nachgerade unverzichtbaren, weil eben heilsvergewissernden Überlieferungszusammenhang galt es zu wahren vermittels formelhafter Kurzfassungen christlicher Glaubensinhalte. Dieses Bestreben liegt - unbeschadet der konstatierten Differenzen inhaltlicher Art — ausgefeilten Synodal- oder altehrwürdigen Taufbekenntnissen ebenso zugrunde wie theologisch motivierten Individual- oder katechetisch instrumentalisierten Lokalbekenntnissen. Die Wahrung des Überlieferungszusammenhanges frühestchristlicher Anfänge mit jüdischen (Text-) Traditionen. Besagtes Bestreben lässt sich bis auf frühestchristliche (>urgemeindlich-neutestamentlicheApostolische Vater< wie Ignatius von Antiochien (gest. um no oder 140) oder >Apologeten< wie Justin der Märtyrer (gest. wohl nach 162) in ihren bekenntnisähnlichen Formeln auf den davidischen Stammbaum Jesu Christi oder die geistgewirkte Prophetie des Alten Testaments. Im Zusammenhang mit seiner Taufbeschreibung bietet etwa Justin (um 150) den Lesern seiner >Ersten Apologie< die folgende Erklärung des geltenden Ritus: »Uber den, der sich entschieden hat, wiedergeboren zu werden, und der seine Sünden bereut hat, wird der Name des Vaters und Herrn der Welt [το του πατρός των όλων καί δεσπότου θεού ονομα], ausgesprochen, wobei der Funktionsträger, der den Kandidaten zum Wasser führt, diese und nur diese Bezeichnung Gottes verwendet [...]. Der N a m e dieses Reinigungsbades ist >Erleuchtung< [φωτισμός], wobei daran gedacht ist, dass diejenigen, die diese Unterweisung empfangen, in ihrem Geist erleuchtet werden. U n d zwar geschieht es im Namen Jesu Christi, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, und im Namen des Heiligen Geistes, der durch die Propheten die Ereignisse der Jesusgeschichte angekündigt hatte, dass der Erleuchtete gewaschen wird.« 1 7

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Justin der Märtyrer: Apologia 1,61,10-13 (PTS 38, S. 118 f.) Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 26. Entsprechend äußert sich auch Ignatius von Antiochien: Ad Smyrnaeos 1,1 f. (Lindemann, S. 226). Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 25. Aus inhaltlichem Blickwinkel betrachtet, fallt hier zudem der antidoketische Affekt ins Auge. Vgl. auch Ignatius von Antiochien: Ad Trallia-

Forschungsgeschichte

II

Die neutestamentlichen Glaubensformeln wiederum schärfen die Schriftgemäßheit der eigenen Glaubensüberzeugung an nahezu jedem denkbaren Berührungspunkt mit Textzeugnissen bekenntnisartigen Zuschnitts ein. 1 8 Der Verfasser des nachpaulinischen Hebräerbriefes etwa nutzt die rhetorische Figur der Typologie, um eine sinnfällige Verknüpfung eigenen Bekenntnisses zum end-gültigen >Hohenpriester< Jesus Christus mit den alttestamentlichen Beglaubigungs-Gestalten eines Moses oder Melchisedek aufzudecken: »Darum, heilige Brüder, die ihr an der himmlischen Berufung teilhabt, schaut auf den Apostel und Hohenpriester, dem unser Bekenntnis [της ομολογίας] gilt: auf Jesus, der - wie auch Mose in Gottes Haus - dem treu ist, der ihn eingesetzt hat [Num 12,7 G]. Denn er hat größere Herrlichkeit empfangen als Mose, so wie der, der ein Haus baut, größeren Ruhm genießt als das Haus. Denn jedes Haus wird von jemand erbaut; der aber, der alles erbaut hat, ist Gott. Mose war in Gottes ganzem Haus treu als Diener, zum Zeugnis der künftigen Offenbarungen; Christus aber ist treu als Sohn, der über das Haus Gottes gesetzt ist; sein Haus aber sind wir, wenn wir an der Zuversicht und an dem stolzen Bewusstsein festhalten, das unsere Hoffnung uns verleiht.« (Hebr 3,i-6)' 9

nos 9 (Lindemann, S. 204). Siehe zu den Glaubensformeln der >Apologeten< und >Apostolischen Vater« bes. Richard P. C. HANSON: Tradition in the Early Church (1962), S. 52-74 (>The creedPneuma prophetikon< (2000). 18

Der neutestamentlicheTextbefund ist recht gut aufgearbeitet; vgl. bes. den Forschungsbericht von Ivan HAVENER: The credal formulae of the New Testament (1976). Siehe außerdem Oscar CULLMANN: Die ersten christlichen Glaubensbekenntnisse (1943); Hans CONZELMANN: Was glaubte die frühe Christenheit? (1955); Helmut KÖSTNER: Grundtypen und Kriterien frühchristlicher Glaubensbekenntnisse (1971); Hans von CAMPENHAUSEN: Das Bekenntnis im Urchristentum (1972); Ferdinand HAHN: Bekenntnisformeln im N T (1980); Gerhard SCHNEIDER: Christologische Aussagen des >Credo< im Lichte des N T (1980).

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Ein typologischer Verweis auf Melchisedek (Gen 14,17-20; Ps 110,4; vgl. auch Hebr 7,1-24) begegnet - unter ausdrücklicher Nennung des neutestamentlichen BekenntnisbegrifFes »Homologie« [ομολογία] - in Hebr 4,14-5,10; der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 22. Bezeichnenderweise beziehen sich alle einschlägigen Zitate des Hebräerbriefes auf den Septuaginta-Text des Alten Testaments; vgl. zu den genannten Passagen des Hebräerbriefes bes. Günther BORNKAMM: Das Bekenntnis im Hebräerbrief (1959); James W. THOMPSON: The hermeneutics of the Epistle to the Hebrews (1996); Bernhard OESTREICH: Worttheologie und Schriftauslegung im Hebräerbrief (1996/97); Jeremy PUNT: Hebrews, thought-patterns and context (1997); Michael THEOBALD: Vom Text zum »lebendigen Wort« (1997); Claus P. MÄRZ: Melchisedek (1998); Joseph A FITZMYER: Melchizedek in MT, LXX and the N T (2000); George H. GUTHRIE: Hebrews' use of the Old Testament (2003); Claus P. MÄRZ: >Wir haben einen Hohenpriester ...< (2003). - Deutschsprachige Zitate aus Altem und Neuem Testament folgen soweit nicht anders gekennzeichnet der Einheitsübersetzung; vgl. Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Hg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands u. a. Stuttgart 1980 u. ö.

12

Abschnitt I: Grundlegung

Der historische Paulus seinerseits reagiert auf die Turbulenzen und Verwerfungen im Glaubensleben der korinthischen Gemeinde mit dem Hinweis auf eine ebenso verheißungs- wie traditionsgestützte Glaub-Würdigkeit des eigenen Evangeliums: »Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. [...] Denn vor allem habe ich euch überliefert [παρέδωκα], was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift [κατά τάς γραφάς], und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf.« (i Kor i j . i - j ) 2 0 Neutestamentliche Taufszenarien schließlich enthalten gemeinhin nicht nur ein Bekenntnis des Kandidaten (Apg 16,14 f.; 19,1-7; 22,12-16 u.a.), sondern den vorbereitenden Hinweis auf die Schriftgemäßheit des anzunehmenden Glaubens selbst. Von der Taufe eines äthiopischen Hofbeamten durch Philippus etwa weiß die lukanische Apostelgeschichte das Folgende zu berichten: »Der Abschnitt der Schrift, den er [der Kämmerer] las, lautete: Wie ein Schaf wurde er zum Schlachten gefuhrt; und wie ein Lamm, das verstummt, wenn man es schert, so tat er seinen Mund nicht auf. [Jes 53,7] In der Erniedrigung wurde seine Verurteilung aufgehoben. Seine Nachkommen, wer kann sie zählen? Denn sein Leben wurde von der Erde fortgenommen. [Jes 53,8 G]. Der Kämmerer wandte sich an Philippus und sagte: Ich bitte dich, von wem sagt der Prophet das? Von sich selbst oder von einem anderen? Da begann Philippus zu reden und ausgehend von diesem Schrifiwort verkündete er ihm das Evangelium von Jesus. Als sie nun weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle. Da sagte der Kämmerer: Hier ist Wasser. Was steht meiner Taufe noch im Weg? [Da sagte Philippus zu ihm: Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, ist es möglich. Er antwortete: Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist.]« (Apg 8.32-37) 21

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Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 19. Einschlägige Forschungsbeiträge bilden etwa Hans CONZELMANN: Zur Analyse der Bekenntnisformel ι. Kor 15,3-5 (1965); Karl LEHMANN: Auferweckt am dritten Tage nach der Schrift (1968); Klaus WENGST: Der Apostel und die Tradition (1972); Martin HENGEL: Der stellvertretende Sühnetod Jesu (1980); Jürgen BECKER: Der Volkerapostel Paulus im Spiegel seiner neuesten Interpreten (1997); Victor P. FURNISH: Paul and the Corinthians (1998); Andreas LINDEMANN: Paulus als Zeuge der Auferstehung Jesu Christi (1998); Martin HENGEL: Das Begräbnis Jesu bei Paulus und die leibliche Auferstehung aus dem Grabe (2001); Wolfgang SCHRÄGE: Die Bedeutung der >Schriften< im 1. Korintherbrief (2002).

21

Der originalsprachliche Gesamttext ist abgedruckt in der Textsammlung unter Nr. 17. Vers 37 — hier in eckige Klammern gesetzt —findetsich nur als Textvariante so genannter »westli-

Forschungsgeschichte



Noch das Osterereignis stellt der Evangelist Lukas in den ausdrücklichen Überlieferungszusammenhang mit alttestamentlichen Verheißungen: Hier ist es der Auferstandene selbst, der den beiden Emmaus-Jüngern ob ihrer verstörenden Erfahrung mit Jesu Tod und dem leerem Grab buchstäblich die Augen öffnet fur verborgene Beziehungen zu seiner Person. Dabei endet der literarisch geschickt heraufbeschworene Nexus zwischen neutestamentlicher Ostererzählung und alttestamentlicher Glaubensbegründung neuerlich in einer Glaubensformel bekenntnishaften Zuschnitts und höchstwahrscheinlich hohen Alters: »Da sagte er zu ihnen: Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. [...] Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück, und sie fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt. Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.« (Lk 24,25-27. 33 f . ) 1 1 Womöglich lassen sich Spuren entsprechender Überlieferungszusammenhänge aber sogar bis in vorösterliche Zeiten zurückverfolgen. Dabei setzt das - übrigens von allen vier Evangelisten mit kleineren oder größeren Abweichungen gleichermaßen bezeugte - Messias-Bekenntnis des Petrus (»Du bist der Messias!«: M k 8,29; vgl. M t 16,16;

Lk 9,20; Joh 6,69; vgl. Joh 1 1 , 2 7 ) ^ in der Ausgestaltung heu-

cher Textzeugen< der lukanischen Apostelgeschichte. Sein hohes Alter ist aber infolge eines Irenäus-Zitats (Irenaus von Lyon: Adversus haereses 3,12,8 [SC 211, S. 215]) gesichert; vgl. etwa die ausfuhrliche Problematisierung bei Gerhard SCHNEIDER: Die Apostelgeschichte. 1. Teil (1980), S. 496-509 und Cottrell R. CARSON: Acts 8:37 (1997). Siehe zuletzt aber auch André BENOIT: Die Taufe in der Alten Kirche (1994); Joel B. GREEN: From Johns baptism< to >baptism in the name of the Lord Jesus< (1999); David S. DOCKERY: Baptism in the New Testament (2001); Gerhard BARTH: Die Taufe in frühchristlicher Zeit (2002); Anthony L. ASH: John's disciples. A sererious problem (2003); Karl-Heinz FLECKENSTEIN: Emmaus in Judäa (2003). 22

Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 16. Entsprechende Bekenntnisse begegnen selbstverständlich auch in den Grußpassagen der paulinischen Briefe (Rom 1,1-4; Gal, 1,3-5 u.a.). Um es noch einmal zu betonen: Für vorliegenden Zusammenhang interessieren besagte Texte weniger unter exegetischem denn unter bekenntnishermeneutischen Gesichtspunkten; siehe aber zur genannten Stelle immerhin Joachim WANKE: Die Emmauserzählung (1973); Martin PÖTTMER: >Brannte nicht unser Herz ..., als er uns die Schriften öffnete?< (2001); Anna M. SCHWEMER: Der Auferstandene und die Emmausjünger (2001); John GILLMAN: The Emmaus story in Luke-Acts revisited (2002).

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Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 15. Siehe hierzu und zum Folgenden neben den Angaben der einschlägigen Kommentarliteratur etwa Ekkehard STEGEMANN: Messias-Vorstellungen bei Juden und Christen (1993); Johan KONINGS: O tema do messias no Quarto Evangelho (1997); Reuven KIMELMANN: The messiah of the

H

Abschnitt I: Grundlegung

tigen Endtextes selbstverständlich die Ostererfahrung der jungen Gemeinde(n) voraus. Besagter Sachverhalt tut jedoch einer Überlegung keinen Abbruch, welche sich an die vorösterlich jedenfalls mögliche, vielleicht aber sogar geläufige Parallelisierung Jesu mit jüdisch-apokalyptischen Endzeitpropheten im allgemeinen und Elija im Besonderen knüpft (Mk 8,28 parr; M k 6,14-16 par Lk 9,7-9). Als prägendes Präludium der Geschichte Christi mit seiner Kirche und ihrem Glauben an ihn erscheinen hier Gestalt und Geschick des historischen Jesus jenem unentbehrlichen Überlieferungszusammenhang eingeschrieben, der als hermeneutische Grundstruktur frühchristlicher Bekenntnisbildung überhaupt gelten darf. Wenn im unmittelbaren Anschluss an das Messias-Bekenntnis des Petrus - andeutungsweise noch im johanneischen Kontext (Joh 6,70 f.) — Leiden und Auferstehung Jesu thematisiert werden, so öffnen sich über apokalyptische Denkmuster der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition jene Kanäle glaubensverkündigender Sprachregelung, deren Ausdruck die frühestchristlichen Textzeugnisse bekenntnisartigen Zuschnitts samt und sonders darstellen. 24 In der Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14-36) wagt es der Autor des lukanischen Doppelwerks, vermittels ältester Traditionselemente genau jenen Überlieferungszusammenhang zwischen alttestamentlich-frühjüdischer Apokalyptik (Joël 3,1-5 G; Ps 16,8-11 G), vorösterlicher Jesus-Bewegung und nachösterlicher Kirche aufzurufen: »In den letzten Tagen [έν τάις εσχάταις ήμέραις] wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch [...]. Ich werde Wunder erscheinen lassen droben am Himmel und Zeichen unten auf der Erde... [Zitat Joël 3,1-5 G ] . Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer [Ίησοΰν τον Ναζωραΐον], den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen [...], ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetz-

Amidah (1997); Frans van SEGBROEK: Elia in het Nieuwe Testament (1997); Markus ÖHLER: Elia im Neuen Testament (1997); Gabrielle OBERHÄUSLI-WIDMER: Der leidende Messias in der jüdischen Literatur (1998); Markus ÖHLER: The expectation of Elijah (1999); Andrew M. OKORIE: Jesus and the eschatological Elijah (2000); Peter von der OSTEN-SACKEN: >Ja, ich komme bald!< (2001); Heinz-Josef FABRY / Klaus SCHOLTISSEK: Der Messias (2002); William HORBURY: Messianism among Jews and Christians (2003). 24

Vgl. hierzu und zum Folgenden bes. Karlheinz MÜLLER: Studien zur frühjüdischen Apokalyptik (1991), S. 35-173; Martin HENGEL: Das früheste Christentum als eine jüdische messianische und universalistische Bewegung (1997); Karlheinz MÜLLER: Das Weltbild der jüdischen Apokalyptik und die Rede von Jesu Auferstehung (1997); Ferdinand HAHN: Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik (1998); Gerbern S. OEGEMA: Zwischen Hoffnung und Gericht (1999); Thomas SÖDING: Feuer und Schwert (2000); Hermann J. VENETZ: Die Gemeinde des Messias Jesus und die Praxis der Königsherrschaft Gottes (2001); Christopher ROWLAND u. a. (Hg.): Apocalyptic in history and tradition (2002); Gerda RIEDL: Die Spur des Eschaton (2003).

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losen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt [άνέστησεν]; denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde. David nämlich sagt über ihn ... [Zitat Ps 16,8-11 G].« (Apg 2,i7-z8)2S Erneut bestätigt sich demzufolge im Umgang mit frühchristlichen Textzeugnissen bekenntnisartigen Zuschnitts (Glaubensformeln, Glaubensregeln, Glaubensbekenntnissen u. a.) der Befund durchweg differierender Schwerpunktsetzungen inhaltlicher Art; darin unterscheiden sich Apologeten, Apostolische Vater und neutestamentliche Autoren wenig von einander und in nichts von ihren patristischen Nachfolgern. Genauso aber erhärtet sich selbst bezüglich des frühen zweiten wie des ausgehenden ersten Jahrhunderts der Verdacht auf Existenz gewisser Strukturanalogien zwischen Einzelbeispielen frühchristlicher Bekenntnisbildung und deren beschriebener Tendenz zur heilsgeschichtlichen Anordnung zentraler Glaubenswahrheiten zwischen dem Schöpfungs-, Erlösungs- und Vollendungshandeln (des dreieinen) Gottes. Noch mehrgliedrige Glaubensformeln neutestamentlichen Ursprungs wie das Bekenntnis des paulinischen Korintherbriefes (1 Kor 15,1-5) zeigen jenen Hang zur Historisierung göttlicher Heilstaten im Bekenntniskontext (vgl. auch Rom 1,1-4 u · v · a.). Über all dem aber rangiert die Bedeutung des - wenigstens in einem Status permanent eingeforderten Soll-Zustandes - unversehrt bewahrten Überlieferungszusammenhanges selbst: In zwei Etappen reicht er (1) von ausgefeilten Synodal- oder altehrwürdigen Taufbekenntnissen, von theologisch motivierten Individual- oder katechetisch genützten Lokalbekenntnissen zurück bis auf einschlägige Textzeugnisse frühestchristlicher (>urgemeindlich-neutestamentlicherGeschichte und Theologie altchristlicher Glaubensbekenntnisse< (aus dem Jahr 1 9 7 2 ) tut einschlägige Überlegungen W i l h e l m BOUSSETS (1916) und Oscar CULLMANNS (1943) zu einem, wie auch immer gearteten Uberlieferungszusammenhang zwischen jüdischen Bekenntnissen (Glaubensgebet >Sch'ma Israel·, Achtzehngebet >Sch'mone 'EsreSch'maBekenntnisSch'ma Israel« (Dtn 6,4-9; 11,13-21; Num 15,37-41) entsprochen hätte. Und zu Wilhelm BOUSSET (1916) erklärt der Autor: »So hatte auch wahrscheinlich W. Bousset recht mit der Behauptung, daß letztere [die Glaubensformel >Gott, der den Herrn Jesus Christus von den Toten erweckt hat«, Anm. der Verf.; eine entsprechende Notiz findet sich im zitierten Werk W. Boussets auf S. 36] eine den historischen Tatsachen der christlichen Offenbarung angepaßte Reminiszenz der feierlichen Nennung Gottes als >Der du die Toten erweckest« war, die einen Teil des Schmone 'Esre, der Reihe der fur eine dreimalige tägliche Wiederholung vorgeschriebenen Lobpreisungen, bildete und im Ohr jedes Juden geklungen haben muß.« (John Norman D. KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse [1972], S. 33) Jaroslav PELIKAN: Credo (2003), S. 130-136 (>Creeds in Scripture«). Offenkundig identifiziert J. Pelikan das alttestamentlich-jüdische Glaubensbekenntnis >Sch'ma Israel« schlicht mit dessen, auch von Jesus zitierten Eingangsversen (Dtn 6,4 f.; vgl. Mk 12,29 f· P a r r )· Weiteren Inhalten oder gar dem Aufbau des Glaubensgebetes selbst schenkt er keinerlei Beachtung, obwohl es der zugehörigen Textsammlung (Jaroslav PELIKAN / Valerie HOTCHKISS [Hg.] : Creeds and confessions of faith [2003]) in vollständiger Übersetzung vorangestellt ist (ebd. Bd. 1, S. 27-29). Dies hat weitreichende Folgen: Weniger audrücklich vertreten denn eher nebenbei bemerkt, lokalisiert J. Pelikan die Anfänge des bekennenden Christentums im >Sch'ma«-Bekenntnis Jesu, nicht im Auferstehungsglauben seiner nachösterliche Gemeinde(n): »Behind and beneath all the primitive creeds of the apostolic and subapostolic era there stands, as a monument and a fiery pillar, the primal creed and confession of the Christian church, The Shema [sic!]: >Hear, O Israel: The Lord our God is one Lord.« The Shema did not, of course, arise from within the history of Christendom at all; rather, the history of Christendom may in a real sense [sic!] be said to have arisen from it.« (Jaroslav PELIKAN / Valerie HOTCHKISS

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eine feste Formel zu verstehen, welche die wesentlichen Artikel ihrer

Religion zusammenfaßt und von der kirchlichen Autorität [sie!] sanktioniert ist. [...] Aber die Glaubensbekenntnisse der Christenheit [sie!] sind niemals staubtrockene Dokumente gewesen, die ihre Leser aufforderten, sie nach typischen Merkmalen einzuteilen, zu katalogisieren und genau zu datieren [sie!]. Sie waren theologische Manifeste, durchwirkt mit dogmatischer Bedeutung und manchmal auch tief gezeichnet mit den Spuren der Kontroverse.« 28 Raum fur erhellende Aussichten auf kulturraumzeitlich konkurrierende, womöglich sogar außerchristliche >Ränder< des eigenen Überlieferungszusammenhanges bleibt unter solchen Umständen naturgemäß ebenso knapp bemessen wie fur generative Überlegungen aus dem hermeneutischen Geist tendenziell dogmatisch-fundamentaltheologischer Provenienz. Unter den geschilderten Prämissen scheinen vielmehr eher die Mittel bereit gestellt für eine bemerkenswerte Reduktion der epistemologischen Ausgangsfrage (nach hermeneutischen Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung) auf axiomatische Antworten des folgenden Zuschnitts: »Die Ansicht, die wir verfechten möchten, ist die folgende: wenn der Rahmen, innerhalb dessen Bekenntnisformeln gebildet wurden, der Taufakt war, und wenn dieser unter dem Einfluß des Herrenbefehls im Matthäus-Evangelium [Mt 28,19; A n m . der Verf.], überall der gleiche war, dann wird jede Diskussion über gemeinsame Wurzeln o.ä. unnötig und sogar sinnlos. [...] Der trinitarische Taufbefehl des Herrn war

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[Hg.]: Creeds and confessions of faith [2003]. Bd. ι, S. 7) Derartig mißverständlich formuliert besteht jedenfalls die Gefahr, entweder den historischen Jesus zum ersten Christen erklären oder das Christentum als innerjüdische Glaubensrichtung ansehen zu müssen. John Norman D. KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse (1972), S. 9; 133. Seine Ausfuhrungen werden hier übrigens nur exemplarisch und der Bedeutung seiner Monographie wegen zitiert. Entsprechende Verkürzungen finden sich aber bis in die jüngste Vergangenheit: »Before we begin, it appears useful first to define what a creed is. We mean by creed a formal pledge of allegiance to a set of doctrinal statements concerning God and his relationship to his creation in general and to mankind in particular.« (Wolfram KINZIG / Markus VINZENT: Recent research on the origin of the creed [1999], S. 540) Auch dieser Definition ist ihr frühchristlicher Bezugspunkt deutlich anzumerken. Noch unbefangener gibt sich der Religionswissenschaftler J. Pelikan: In seiner >CredoErstarrung u n d VersteinerungKonstantinischen Wende< das »Bleigewicht des Traditionalismus« a u f f r ü h christlicher B e k e n n t n i s b i l d u n g lasten. 3 1 A u c h R e i n h a r t STAATS fasst das E r g e b n i s der neueren S y m b o l f o r s c h u n g d a h i n g e h e n d z u s a m m e n : » D a s E r g e b n i s der n e u eren S y m b o l f o r s c h u n g lautet kurz: [...] (E)rst seit d e n kaiserlichen R e i c h s k o n z i lien v o n N i z ä a 3 2 5 u n d K o n s t a n t i n o p e l 381 gibt es i m W o r t b e s t a n d feststehende Glaubensbekenntnisse als Ν u n d N C , w e l c h e als kodifizierte N o r m t e x t e fiir die gesamte C h r i s t e n h e i t innerhalb des I m p e r i u m R o m a n u m d o g m a t i s c h v e r b i n d lich w u r d e n . [...] V o r d e m D a t u m des Konzils v o n N i z ä a 3 2 5 w a r die G e s c h i c h t e des christlichen Bekenntnisses die G e s c h i c h t e einer insgesamt m u l t i d o g m a t i s c h e n Verschiedenheit, die sich n u r d u r c h ihren J e s u s - C h r i s t u s - B e z u g miteinander versöhnt u n d christlich v e r b u n d e n w u ß t e . « 3 2 U n d H a n s - J o a c h i m S C H U L Z sieht die kirchliche L e h r e frühchristlicher Z e i t e n deshalb kurzerhand a u f d e m W e g >vom apostolischen K e r y g m a z u m definierten D o g m a « . 3 3 W i e d e r wiese das Q u e l l e n m a -

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»Für unsere Fragestellung bedeutet diese neue >reichskirchliche< Situation vor allem, daß nun, mithilfe des «christlichen Kaisertums< und seiner Organe, die Einheit in der formulierten Lehre in den Bereich des Machbaren gerückt, ja, >Dogma«, Bekenntnis, zu einer Größe erzwingbaren Rechts geworden zu sein schien.« (Adolf M . RITTER: Art. Glaubensbekenntnis [se], V. Alte Kirche [1984], S. 411) Die Zitate im Text finden sich ebd. Adolf M . Ritter verleiht seiner These damit Nachdruck, dass er besagten Artikel über die >Alte Kirche< mit dem Abschnitt >Nizäa als Wende« (ebd., S. 411 f.) beschließt; die Synodalbekenntnisse seit dem 4. Jahrhunden muss er zu diesem Zweck allerdings den >Privatbekenntnissen< ([sie!]; ebd., S. 408-410) subsumieren. D a der nachfolgende Artikel (Raymond FOREVILLE: Art. Glaubensbekenntnis [se], V I . Mittelalter [1984]) überdies mit einem Verweis auf das Konzil von Forum Julii (Friaul; 796/797) beginnt, tut sich eine chronologisch, thematisch und hermeneutisch gewaltige Lücke auf.

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Reinhart STAATS: Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (1996), S. 145. Der Genauigkeit halber sei allerdings betont, dass sich R. Staats unbeschadet dessen an mehreren Stellen von jedem Anachronismus aus dem Geiste heutiger Verstehensvoraussetzungen distanziert: »Dieses symbolgeschichtliche Resultat kann uns also nicht so sehr überraschen, sofern wir das Verhältnis von Schrift und Tradition in der Frühen Kirche [...] nur nicht im neuzeitlichen und zumal neuprotestantischen, gar fundamentalbiblizistischen Sinne zu verstehen suchen.« (Reinhart STAATS: Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel [1996], S. 145). Z u Beginn seiner Ausführungen versetzt der Autor den Beginn [sie!] des vermuteten Wandels gar erst ins 5. Jahrhundert; vgl. ebd., S. 11.

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Hans-Joachim SCHULZ: Bekenntnis statt Dogma (1996), S. 107-179 (>Vom apostolischen Kerygma zum definierten Dogma«). Auch diese Fachmeinung ist durchaus gängig; schon der ausgewiesene Symbolforscher Richard P. C . Hanson sprach - freilich mit Blick auf das >Athanasianum< (>Symbolum Quicumque vultQuicumqueAthanasianum< siehe bes. die gründliche Studie von John Norman D . KELLY: The Athanasian creed (1964); vgl. aber auch Pasquale IACOBONE: Mysterium Trinitatis (1997).

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Abschnitt I: Grundlegung

terial eigentlich andere Analysewege: Nicht nur der nervöse Umgang mit philosophischer Begrifflichkeit etwa im so genannten >Vierten Bekenntnis von Sirmium« oder dessen latent evozierte Spannung zwischen Konzilsautorität und »Sensus fidelium< reduzieren das Geltungspotential der nizänischen Formel noch das ganze vierte Jahrhundert über auf den bloßen Anspruchscharakter. Auch kann von einer reichsrechtlich ebenso bindenden wie akzeptierten Kodifikation des nicaeno-konstantinopolitanischen Bekenntnisses erst im Codex Iustinianus (aus dem Jahr 534) gesprochen werden; 34 zuvor aber hatten beide Bekenntnisse - ihrer immensen Wirkungsgeschichte zum Trotz und mindestens bis zum Konzil von Chalkedon (451) - mit erheblichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen. 35 Der Antworthorizont: Schwellen- und Umbruchserfahrungen anstelle von Ursprungsund Wendepunkten. Infolgedessen griffe eine implizite Terminierung frühchristlicher Bekenntnisbildung auf das Datum der >Konstantinischen Wende< den tatsächlichen Ereignissen buchstäblich vor. Erst die allmählich Raum greifende Installation der frühmittelalterlichen >Urkundengesellschaft< markiert - spätestens seit dem Ende des Justinianischen Zeitalters (565) - jene >SchwelleKommunikationsgemeinschaft< zunehmend erzeugt. Bis dahin aber wollten christlicher Glaube und sein

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Diese Tatsache wird innerhalb der »Symbolforschung« bis heute gerne ignoriert; vgl. zuletzt wieder Wolfram KINZIG / Christoph MARKSCHIES / Markus VINZENT: Tauffragen und Bekenntnis (1999). Eine Ausnahme bilden jedoch seit längerem die Arbeiten von Reinhart Staats. R . Staats stellt auch klar, dass die rechtliche Dimensionierung frühchristlicher Bekenntnisbildung nicht erst ein Phänomen des 4. Jahrhunderts darstellt; vgl. bes. Reinhart STAATS: D a s G l a u b e n s b e k e n n t n i s v o n N i z ä a - K o n s t a n t i n o p e l ( 1 9 9 6 ) , S . 6 2 u n d 1 9 0 ; D E R S . :

Kanon und Kapitaldelikte (1992), S. 28-46 sowie Spyros N . TROIANOS: Das Gesetz in der griechischen Patristik (1992). Den nämlichen Standpunkt vetritt jetzt auch Jaroslav PELIKAN: Credo (2003), S. 225-228 (>Civil Law on Adherence to Creeds«). - Ausdrücklich sei verwiesen auf das Edikt >Cunctos populos« des Kaisers Theodosius (347 - 395; reg. seit 379) vom 27. Februar 380 (Codex Iheodosianus 16,1,2 [Mommsen, S. 833]; vgl. zum originalsprachlichen Gesamttext Nr. 61 der Textsammlung); anders als Justinians Kodifikation des nicaeno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnissen ( N C ) aus dem Jahre 534 (Codex Iustinianus 1,1,7 [Krüger, S. 8-10]; vgl. zum originalsprachlichen Gesamttext Nr. 62 der Textsammlung) hatte es sich jedoch nicht durchzusetzen vermocht. Siehe zur Bedeutung beider Gesetzessammlungen die Artikel in Siegmar DÖPP / Wilhelm GEERLINGS (Hg.): Lexikon der antiken christlichen Literatur (2002), S. 157 f. (Lit.) Keine Berücksichtigung fand dort Jakob SPEIGL: Formula Iustiniani (1995); Elio DOVERE: Il vescovo >teodosiano< quale riferimento per la normazione >de fide< (1996). 35

Bekanntlich ist das nicaeno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis nur in den Akten des Konzils von Chalkedon (451) überliefert (vgl. zum originalsprachlichen Gesamttext Nr. 50 der Textsammlung). Innerhalb der neueren >Symbolforschung< löste dieser durchaus überraschende Sachverhalt eine veritable Forschungskontorverse aus; vgl. etwa Luise ABRAMOWSKI: Was hat das Nicaeno-Constantinopolitanum (C) mit dem Konzil von Konstantinopel 381 zu tun? (1992); Adolf M . RITTER: Noch einmal: »Was kat das Nicaeno-Constantinopoiitanum (C) mit dem Konzil von Konstantinopel 381 zu tun?« (1993); Wolf-Dieter HAUSCHILD: Art.

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Bekenntnis im Heiligen Geist errungen sein. Frühchristliche Bekenntnisbildung jedenfalls lernte nach und nach verfugen über wenigstens fünf Modi dieses nicht immer glücklich beendeten Ringens: (i) liturgische Zelebration, (2) katechetische Unterweisung, (3) theologische Diskussion, (4) konziliare Kanonisation und (5) juristische Kodifikation. Oder noch einmal anders und ungleich pointierter ausgedrückt: Die Anfänge (und nicht etwa den Anfang) frühchrisdicher Bekenntnisbildung bezeichnen einen Umbruch, aber keinen Ursprung. Und ihr Ende bedeutet keineswegs die Erfahrung einer >Wende< (Adolf M . Ritter), sondern das Überschreiten einer >Schwellekonstruktiven Ätiologisierung< 38 von Ursprungs- und Diversifikationsproblemen: >TypologieSymbolApostolicumTypologieSymbolApostolicumSchwellenzeit< behandelten zuletzt William H. FREND: Christianity in the second century (1997; Literaturbericht); Joachim GNILKA: Die frühen Christen (1999); Stefan SCHIMA: Caput Occidentis? (2000); Gerd THEISSEN: Die Religion der ersten Christen (2000); Michael LABAHN (Hg.): Zwischen den Reichen (2002); Dieter ZELLER (Hg.): Christentum I (2002). Zu den historischen Umständen der Bekenntnis-Konflikte selbst vgl. insbesondere die in Anm. 3 genannte Literatur. 38

Der >ÄtiologieGründungslegendenfili0queDer vom Vater und vom Sohn ausgeht< (2001); Bernd OBERDORFER: Filioque (2001); Charles P. PRICE: Some notes on >Filioque< (2001); Robert M . HADDAD: The stations of the filioque (2002); Bernd OBERDORFER: The Filioque problem (2002); Athanasios VLETSIS: Filioque. Ein unendlicher Streit? (2002); David COFFEE: The Roman >clarification< of the doctrine of the Filioque (2003).

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»Regeneratus pridem, et in episcopatu aliquantisper manens, fidem Nicaenam numquam nisi exsulaturus audivi.« (Hilarius von Poitiers: Liber de synodis 91 [PL 10, Sp. 545]). Siehe hierzu etwa Hanns Christof BRENNECKE: Hilarius von Poitiers und die Bischofsopposition

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Abschnitt I: Grundlegung melten Gemeinde laut gesungen wird, damit so der wahre Glaube bezeugt und das Volk befähigt werde, heranzutreten und mit durch den Glauben gereinigtem Herzen an Christi Fleisch und Blut teilzuhaben.« 4 ^ Freilich ist damit nur etwas über die V e r w e n d u n g des N i c a e n o - C o n s t a n t i n o p o -

litanums ( N C ) w ä h r e n d der Messfeierlichkeiten ausgesagt; schon u m seinen Einsatz als Taufbekenntnis scheint es im Einflussbereich der westlichen Teilkirchen aber wieder anders bestellt: N o c h Papst L e o I. der G r o ß e (um 4 0 0 - 4 6 1 ; Papst seit 440) - m i t d e m N i c a e n u m ( N ) gut vertraut 4 7 und darüber hinaus entschiedener Verfechter der chalcedonensischen Beschlüsse^ 8 - bewahrte über das NicaenoC o n s t a n t i n o p o l i t a n u m ( N C ) ein kirchenpolitisch eisernes Stillschweigen; und selbst ein Brief des Papstes Vigilius (Papst 537 - 555) gestattete sich in den m o n o physitischen W i r r e n (des Jahres 552) nicht mehr denn eine leise A n d e u t u n g : »Es sollen also alle wissen, dass wir jenen Glauben verkünden, festhalten und verteidigen, der von den Aposteln überliefert und durch ihre Nachfolger unversehrt bewahrt wurde [inviolabiliter custoditam], den das ehrwürdige nicaenische Konzil der 318 Vater mit der Erleuchtung des Heiligen Geistes annahm und in die Form des Bekenntnisses [symbolum] brachte: und danach haben die drei anderen heiligen Konzilien, nämlich das konstantinopolitanische der 150 Väter [...] und das erste ephesinische [...] und das chalkedonensische

gegen Konstantius II. (1984); Daniel H. WILLIAMS: Ambrose of Milan and the end of the Nicene-Arian conflicts (1995); Michael DURST: Nizäa als autoritative Tradition< bei Hilarius von Poitiers (1996); DERS.: Die >Epistula de synodis< des Hilarius von Poitiers (2002). 46

Concilium Toletanum III, Kap. 2 (Mansi IX, Sp. 992 f.). Die toletanischen Synoden der Jahre 633, 638 und 675 (DH 485; 490; 527) bestätigen diesen Ansatz. Das Toletanum VIII des Jahres 653 wiederum belegt, dass sich die entsprechende Praxis mittlerweile eingebürgert hatte; vgl. Eduard SCHWARTZ: Das Nicaenum und das Constantinopolitanum auf der Synode von Chalkedon (1926), S. 62. Siehe außerdem José ORLANDIS / Domingo RAMOS-LISSÓN: Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (1981); Domingo RAMOSLISSÓN: La utilización de la Biblia en las Actas del III Concilio de Toledo a. 589 (1995/96); José ORLANDIS: Estudioos de historia eclesiástica visigota (1998); Catherine NAVARRO CORDERO: El giro recarediano y sus implicaciones políticas. El catolicismo como signode identidad del reino visigodo de Toledo (2000); Joachim CONRAD: Die altspanische Liturgie in Toledo als Ausdrucksform mittelalterlichen Landeskirchentums (2002); ; Luis A. GARCÍA MORENO: Etnia goda e iglesia hispana (2002).

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Vgl. Papst Leo I.: Brief 104 (an Kaiser Leo, 17. August 458; ACO 2.4, S. 114). Siehe hierzu etwa Peter STOCKMEIER: Leo I. des Grossen Beurteilung der kaiserlichen Religionspolitik (1959); Martien F. PARMENTIER: /Ihe sayings of Bishop Leo« (Dicta Leonis episcopi) as an anti-adoptianist creed (1997); S. Ρ COWE: The tome of Leo (1998); Lucio CASULA: Leone Magno. Il conflitto tra ortodossia ed eresia nel quinto secolo (2002).

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Vgl. Papst Leo I.: Brief 61 (an Kaiser Markian, 21. März 453; ACO 2.4, S. 67-71).

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der 630 Vater [...] denselben Glauben in ein und demselben Sinn und Geist ausfuhrlichst erklärend veröffentlicht.«49 Unbeschadet dessen sieht jedoch das stadtrömische >Sacramentarium Gelasianum vetus< (aus der Mitte des 7. Jahrhunderts) anlässlich der Taufspendung die Rezitation des Nicaeno-Constantinopolitanums (NC) sowohl in lateinischer als auch in griechischer Sprache vor; 50 andere Quellen weisen in dieselbe Richtung. John Norman D . K E L L Y fasst von daher zusammen: »Erstens sehen sowohl das Gelasianische Sakramentar und das Sacramentarium Gelionense vor, daß bei der traditio des Bekenntnisses durch griechisch-sprechende Kandidaten C [NC; Anm. der Verf.] in seinem ursprünglichen Griechisch verwendet wird. Hierin liegt nichts Außergewöhnliches, denn es beweist nur, das C im Westen als das Taufbekenntnis der griechischen Welt anerkannt war. Zweitens aber (und das ist nun allerdings wirklich bedeutsam) lassen sowohl das Gelasianische Sakramentar als auch der Ordo Romanus VII erkennen, daß das bei der traditio den lateinisch sprechendenden Kandidaten übergebene und mutmaßlich bei der redditio von ihnen zurückgegebene Bekenntnis kein anderes als C in lateinischem Kleid war. Im Augenblick der Taufe selbst blieben die Fragen die alten; in Form und Inhalt schlossen sie sich, obwohl gekürzt, eng an R [das altrömische Lokalbekenntnis; Anm. der Verf.] an. Wir dürfen hinzufügen, daß in dem Wirrwarr von Taufriten im Ordo Romanus antiquus (10. Jahrhundert) C das Bekenntnis ist, daß am regelmäßigsten vorkommt, während im Codex Sessorianus 52 C fiir die redditio symboli am Karsamstag vorgeschrieben wird. Es scheint sogar, daß C noch im frühen 9. Jahrhundert in der römischen Taufliturgie verwendet wurde [...].« Die an und fiir sich bereits schwierige Problem- und Quellenlage kompliziert sich noch weiter. Denn (beinahe) selbstverständlich übernahmen nicht alle westlichen Teilkirchen - im Unterschied etwa zur britannischen und westgotischen Synodalgemeinschaft - die Vorgaben (des damals byzanznahen) Rom; und dieses wiederum verweigerte sich seinerseits - sehr zum Unwillen etwa eines Berno von

49

»Sciant igitur uniuersi nos illam fidem praedicare tenere atque defendere quam ab apostolis traditam et per successores eorum inviolabiliter custoditam reverenda Nicaena synodus C C C X V I I I patrum sancto spiritu sibi reuelante suscipiens redegit in symbolum ac deinde tres aliae sanctae synodi, id est Constantinopolitana centum quinquaginta patrum [...], et Efesena prima [...] sed et Chalchidonensis sexcentorum triginta patrum [...] eandem fidem uno eodemque sensu atque spiritu declarantes latissime ediderunt.« (Vigilus von Rom: Ep. I vom 5.2.552 [Schwartz, S. 5 f.]). Vgl. hierzu bes. Eduard SCHWARTZ: Vigiliusbriefe (1940); Filippo CARCIONE: Vigilius nelle controverse cristologiche (1987/1988); DERS.: Ambasciate bizantine presso la Santa Sede in età giustinianea 527 - 565 (1994).

50

Vgl. Liber sacramentorum Romanae Aeclesiae ordinis anni circuii (Sacramentarium Gelasianum; R E D . F 4). Hg. Leo Cunibert Mohlberg u. a. 3. Aufl. Rom 1981, S. 48-50.

51

John Norman D . KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse (1972), S. 341 f.

28

Abschnitt I: Grundlegung

Reichenau (um 9 7 8 - 1 0 4 8 ) - bis 1 0 1 4 einer Rezitation des Nicaeno-Constantinopolitanums ( N C ) im R a h m e n der Messfeier. »Wenn uns [dem ostfränkisch-deutschen Klerus; A n m . der Verf.] daher, wie häufig gesagt wird, verboten ist, den Engelshymnus an Festtagen zu singen, weil der römische Klerus ihn nicht zu singen pflegt, können wir ähnlich das Bekenntnis [symbolum] nach dem Evangelium ungesagt lassen, weil die R ö m e r dasselbe bis zur Zeit des Kaisers Heinrich gesegneten Angedenkens niemals sangen. Als sie aber von diesem Kaiser in meiner Gegenwart gefragt wurden, warum das bei ihnen Brauch sei, hörte ich sie in etwa Folgendes antworten, dass nämlich die römische Kirche sich offenkundig niemals mit dem Bodensatz der Häresie befleckt habe, sondern in der Reinheit des katholischen Glaubens entsprechend der Lehre des heiligen Petrus unerschütterlich geblieben sei und dass es daher diejenigen, die sich von einer Irrlehre beschmutzen ließen, nötiger hätten, das Bekenntnis häufiger zu singen. Aber der kaiserliche Herrscher ließ nicht nach, bis er mit allgemeiner Z u s t i m m u n g den apostolischen Herrn Benedikt [Benedikt V I I I . , Papst 1 0 1 2 - 1024; A n m . der Verf.] überredet hatte, dass sie das Bekenntnis in der öffentlichen Messe singen. O b sie aber diesen Brauch bis heute pflegen, können wir nicht bestätigen, weil wir keine zuverlässigen Informationen besitzen.« 5 2 D i e dokumentierten Auseinandersetzungen zwischen O s t - u n d Westkirche einerseits sowie Päpsten und fränkisch-deutschen Herrschern andererseits u m die diplomatisch w i e theologisch gleichermaßen heikle >FilioqueRomanumCapitularia imperatoria« (2002).



Abschnitt I: Grundlegung

mit kleineren Unsicherheiten auch aus der Schrift >Commentarius in symbolum apostolorum< (entst. um 400) des Tyrannius Rufinus von Aquileja (um 345 - 412) rekonstruieren lässt. 56 In zahlreichen Varianten überliefert, unterscheidet es sich, je nach herangezogenem Textzeugen unter Umständen erheblich differierend, vom altrömischen Lokalbekenntnis >Romanum< (R) fur gewöhnlich durch zusätzliche Aussagen über (1) das Schöpferwirken Gottes, (2) die soteriologische Relevanz des Todes Jesu, (3) den sog. >Höllenabstieg< des Gekreuzigten, (4) die Katholizität der Kirche, (5) die Gemeinschaft der Heiligen< und (6) das ewige Leben. 57 Vom historisch-genetischen Gewicht dieser Differenzen inhaltlicher Art für die Dogmengeschichte einmal vollkommen abgesehen, kann in Anbetracht solcher Befunde auch unter Berücksichtigung des systematisch-generativen Aspekts einer Rückfrage nach hermeneutischen Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung unmöglich deren zunehmend doktrinäre Entwicklung vom lebendigen Kerygma zum petrifizierten Dogma als textgenerierendes Wirkprinzip ausgemacht werden. Doch damit keinesfalls genug: Pirmins von Reichenau genanntes Missionshandbuch des Titels >De singulis libris canonicis scarapsus* (entst. 710 - 724) enthält nämlich nicht nur die erste annähernd vollständige Textform des heutigen Apostolicum (T). Vielmehr zitiert er es in der gleichen Schrift noch zwei weitere Male: einmal einigermaßen wortwörtlich, freilich, weil unter dem Gesichtspunkt der Tauferinnerung, in interrogatorischer (Frage-) Form und das andere Mal ungezwungen assoziativ, da einer ausfuhrlicheren Glaubens- und Sitten-Paränese integriert. 58 Besonderen Sinn aber fur die womöglich sakrosankte, weil dogmatisie-

56

Den neuesten Forschungsstand repräsentieren Markus VINZENT: Die Entstehung des römischen Glaubensbekenntnisses (1999) und Liuwe H. WESTRA: The Apostles' creed (2002). Die Predigt Cäsarius' von Arles hat sich unter den Sermones des Augustinus enthalten; vgl. [Pseudo-] Augustinus: Sermo 244 (PL 39, Sp. 2194 f.) sowie die Edition unter der Autorschaft Caesarius' von Arles: Sermo 10 (CChr.SL 103, S. 51 f.). Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 55.

57

Die Varianten verzeichnet akribisch John Norman D. KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse (1972), S. 171-180 (>Tochterbekenntnisse von RDie Ursprünge des Apostolischen Glaubensbekenntnisses^. Ein recht optimistisches und gelegentlich gezwungen konstruiertes Bild des einigermaßen fragmentarischen Uberlieferungsbestandes liefert (in Form eines textkritisch gewonnenen Stemmas) auch Liuwe H. WESTRA: The Apostles' creed (2002), S. 99-401 (>In search of Regional Types of the CreedAnonymous Witnesses to the form of the CreedEntfaltungWende< seit den Reichskonzilien des 4. Jahrhunderts angelastet werden; und vor systematischgenerativem Hintergrund wiederum verbietet sich angesichts der erstaunlichen Beweglichkeit breiter Teile des Bekenntnismaterials eines frühmittelalterlichen, dabei zunehmend verwestlichenden Traditionszusammenhanges (Liturgie- und Taufverwendung des Nicaeno-Constantinopolitanums, Wirkungsgeschichte des [Pseudo-] Athanasianums, Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte des Apostolicums) das Postulat einer Entwicklung vom lebendigen Kerygma zum definierten Dogma< als hermeneutischer Grundstruktur frühchristlicher Bekenntnisbildung überhaupt. Ungeachtet beider Feststellungen markierte die allmählich Raum greifende Installation der frühmittelalterlichen >Urkundengesellschaft< spätestens seit dem Ende des Justinianischen Zeitalters (565) eben jene >SchwelleKommunikationsgemeinschaft< je länger desto irreversibler erzeugte. Bekenntnisbewahrung schien seither erheblich angesagter denn Bekenntnisbildung; ein ehemals lebendiger Überlieferungszusammenhang in wechselnder Ost-West-Richtung gerann zusehends. Allerdings ereignete sich besagter Gerinnungsvorgang frühchristlicher Bekenntnisbildung weniger auf historisch-genetischer denn auf systematisch-generativer Ebene: Nicht die Petrifikation ehemals leicht beweglicher Textinhalte zur sakrosankten Textgestalt dogmatisierend-definitiven Zuschnitts bildete seinen Gegenstand, sondern eine — mit dem Ende der tief verunsichernden und schwer vernarbenden Bekenntniskonflikte des 4. Jahrhunderts - schlagartig zunehmende Bereitschaft zur Reflexion auf hermeneutische Grundstrukturen christlicher Bekenntnisbildung. Lediglich dieser (systematisch-generativ wirksame) Reflexionsvorgang, nicht aber das (historisch-genetisch analysierbare) Bekenntnismaterial selbst verändert seinen Charakter seit dem ausgehenden vierten Jahrhundert und scheint seit dem späten 8. Jahrhundert tatsächlich abgeschlossen; er zeigt sich verbunden mit >TypologieSymbolApostolicum-LegendeTypologieNicaenum< w i e > N i c a e n o - C o n s t a n t i n o p o l i t a n u m < ,

firmieren,

übri-

g e n s i n O s t u n d W e s t , e n t w e d e r u n t e r d e m b l o ß e n N a m e n des >Nicaenum< o d e r - dies h a u p t s ä c h l i c h i m E i n f l u s s b e r e i c h w e s t l i c h e r T e i l k i r c h e n - als » S y m b o l u m patrumdeclarativum s y m b o l i a p o s t o l o r u m < . ^ D a m i t w a r n i c h t n u r d i e E i n o r d n u n g d i f f e r i e r e n d e r o d e r gar d i v e r g i e r e n d e r B e k e n n t n i s t r a d i t i o n e n in e i n e n e i n z i g e n Ü b e r l i e f e r u n g s z u s a m m e n h a n g geleistet, m i t h i n e i n e k o n s t r u k t i v e Ä t i o l o g i e installiert: j e n e der a p o s t o l i s c h e n U r s p r u n g s f i k t i o n . U n t e r R ü c k g r i f f a u f d i e V a t e r t h e o l o g i e g e l a n g es sogar n o c h , das >Apostolische G l a u b e n s b e k e n n t n i s < ( A p o s t o l i c u m , > S y m b o l u m apostolorumfigurativen< Einsatz (quasi-) typologischen Denkens. Zum >TypologieSymbolBekenntnis< (griech. ομολογία; lat. confessio: 2 Kor 9,13; 1 Tim 6,12 f.; Hebr 3,1; 4,14; 10,23 u. a.), wobei die zugrunde liegende BegrifFssemantik nach allgemeiner Forschungsmeinung eher juristisch-aktuale denn privat-emotionale Assoziationen impliziert. 65 Demselben Begriffshintergrund weiß sich im 2. und frühen 3. Jahrhundert der Ausdruck >Glaubensregel / Leitfaden des Glaubens< (ό κανών της άλη θείας; lat. regula fidei / veritatis) verpflichtet, wo - wie im späteren 3. und früheren 4. Jahrhundert - nicht einfach von >Glaube< (πίστις; lat. fides) oder >Lehre< (μάθημα; lat. doctrina) überhaupt die Rede ist. Und umgekehrt verhält es sich nicht anders: Selbst im Rahmen eindeutig christlichen Sprachgebrauchs verweist nicht jede Nennung des >SymbolAdversus Marcionem< (entst. 207/208): Unter spöttischer Anspielung auf den ökonomischen Erfolg Marcions als Schiffsreeder am Schwarzen Meer fordert Tertullian von diesem eine stichhaltige Begründung für dessen widersinniges Verfahren, Paulus einerseits als Apostel vereinnahmen und gleichzeitig Altes Testaments wie neutestamentliche Apostelgeschichte fur unkanonisch erklären zu wollen: »Es würde mich freuen, wenn du uns, SchifFskapitän vom Pontus, mitteilen würdest, mit welchem Bekenntnis / welcher Vollmacht [quo symbolo] du den Apostel Paulus an Bord deines Schiffes genommen hast?«67

65

Vgl. etwa den grundlegenden Aufsatz von Günther BORNKAMM: Das Bekenntnis im Hebräerbrief (1959), S. 192.

66

Vgl. zum Folgenden zuletzt etwa Andreas MERKT: Symbolum (2001). Eine gute Zusammenfassung bietet aber auch John Norman D. KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse (1972), S. 57-65.

67

»Quamobrem, pontice nauclere, [...] cautior utique et fidelior in dei rebus edas uelim nobis, quo symbolo susceperis apostolum paulum.« (Tertullian: Adversus Marcionem 5,1,2 [CChr.SL ι, S. 663 f.]) Z u Marcion von Sinope und seiner - hauptsächlich durch Tertullian bezeugten - Lehre vgl. zuletzt etwa Gerhard MAY: Marcion in contemporary views (1987/88); David S. WILLLAMS: Reconsidering Marcions gospel (1989); Antonio ORBE: Marcionitica (1991); Gerhard MAY: Marcione nel suo tempo (1993); Gilles QUISPEL: Marcion and the text of the New Testament (1998); Wolfgang SCHENK: Die Jesus-Rezeption des Markion als theologisches Problem (1998); Gerhard MAY u.a. (Hg.): Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung (2002).

Forschungsgeschichte

35

Weil der K o n t e x t eher v o n biblischen Schriften denn frühchristlichen Bekenntnissen handelt, ist hier m i t einiger Sicherheit auf nicht mehr angespielt als eine profane B e d e u t u n g s k o m p o n e n t e des >SymbolGlaubst du an die Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben durch die heilige Kirche?«, dann ist die Frage, die sie stellen, eine verlogene, denn sie besitzen die Kirche nicht.« 68 D e r neueren Forschung gelten freilich auch diese Textbelege - w e g e n ihrer überdeutlichen Unterscheidung zwischen verbalem Taufbekenntnis (>interrogatiosymbolumSymbolSymbolApostolischen Canones< bes. Bruno STEIMER: Vertex traditionis (1992); Eva Maria SYNEK: >Dieses Gesetz ist gut, heilig, es zwingt nicht ...< (1997); Johannes MÜHLSTEIGER: Die sogenannten Cánones Apostolorum (zooi).

74

Besagte Datierung orientiert sich an den Ausführungen von Markus VINZENT: Die Entstehung des römischen Glaubensbekenntnisses (1999), S. 406-409 ^Zusammenfassung«), Freilich differieren die Ansetzungen nach wie vor. Christoph Markschies etwa resümiert (noch 1998): »Die Fülle recht ähnlicher westlicher Formeln im 4. Jh. und deren Verwandtschaft zu östlichen Formeln wird am besten durch die Hypothese erklärt, daß R irgendwann im Laufe des 3. Jh. aus einem trinitarischen und christologischen Teil zusammengewachsen ist [...].« (Christoph MARKSCHIES: Art. Apostolicum [1998], Sp. 649) John Norman D. KELLY: Altchristliche Glaubensbekenntnisse (1972), S. 128-132 (>Folgerungenunverfálschte< Festhalten am >Bekenntnis der Apostel·. »Aber w e n n man nicht den Lehren [doctrinis] der Priester glaubt, soll man den Geheimnissen [oraculis] Christi, soll man den M a h n u n g e n der Engel glauben [ . . . ] , soll man dem Bekenntnis der Apostel [symbole apostolorum] glauben, das die römische Kirche makellos [intemeratum] immer hütet und bewahrt.« 7 5 N u r zehn Jahre später wird Tyrannius Rufinus von Aquileja dieses A r g u m e n t anlässlich seiner Schrift >Commentarius in s y m b o l u m apostolorum< (entst. u m 4 0 0 ) wiederholen. V o n diesem Zeitpunkt an erscheint es dem spätantik-frühmittelalterlichen Überlieferungszusammenhang des Westens beinahe topisch; 7 6 wirklich w a r der kombinatorische W e g von den Uberzeugungen des 2. u n d 3. Jahrhunderts her nicht eben weit: Sowohl Tertullian, der bei Gelegenheit davon sprechen konnte, dass die Glaubensregel (regula fidei) von Christus durch seine Gefährten den G e m e i n d e n übermittelt worden s e i , 7 7 als auch Irenäus von L y o n wurden nicht müde, den Z u s a m m e n h a n g zwischen Glaubensregel u n d apostolischer Überlieferung zu betonen. Irenäus von L y o n ging sogar so weit zu behaupten, dass die Christen fur den Fall fehlender schriftlicher Hinterlassenschaften der Apostel je-

75

Ambrosius von Mailand: Epistulae extra collectionem traditae 15 (CSEL 81.3, S. 305); siehe zum Problem Francis R. M. HITCHCOCK: The Explanatio symbol i compared with Rufinus and Maximus of Turin (1946); Christoph MARKSCHIES: Ambrosius von Mailand und die Trinitätstheologie (1995); Daniel H. WILLIAMS: Ambrose of Milan and the end of the NiceneArian conflicts (1995); Heinz HEINEN: Der heilige Ambrosius, Bischof von Mailand (1997); Christoph MARKSCHIES: Ambrosius und Orígenes (1999).

76

Vgl. etwa [Pseudo-?] Ambrosius: Explanatio symboli ad initiandos (CSEL 73, S. 1-12); Apostolische Konstitutionen 6,14 (SC 329, S. 338); Nicetas von Remesiana: De symbolo (PL 52, Sp. 865-873; Gamber, S. 118 f.); Johannes Cassianus: De incarnatione Domini contra Nestorium 6,3 (CSEL 17.1, S. 327 f.); Maximus II. von Turin: Sermo 83 (PL 57, Sp. 433); Fulgentius von Ruspe: Contra Fabianum Frg. 36 (CChr.SL 91A, S. 854-860); Isidor von Sevilla: De ecclesiasticis offici is 2,23 (CChr.SL 113, S. 99); Venantius Fortunatus: Expositio symboli ( M G H Auctorum Ant. 4.1, S. 253-258); Ildefons von Toledo: De cognitione baptismi 32 f. (PL 96, Sp. 126 f.); Missale von Bobbio (>Sacramentum GallicanumApostolicumέκ τυμπάνου εφαγον έκ κυμβάλου επιον έκερνοφόρησα· ύπό τον παστόν ύπέδυν.< ταΰτα ούχ ΰβρις τα σύμβολα; ού χλεύη τα μυστήρια« (Wenn ich fortfahre die Losungsworte ihrer Einweihung in die Mysterien zu zitieren, werden sie euch, ich weiß es, zum Lachen bringen, auch wenn ihr nicht in entsprechender Stimmung seid, sobald euch die Riten erklärt werden: >Ich aß von der Trommel, ich trank aus den Zimbeln, ich trug die geweihten Speisen, ich stahl mich in die Brautkammer«. Sind solche Losungsworte nicht Frevel? Sind solche Mysterien nicht Spott?). In Clemens von Alexandrien: Protrepticus 2,18,1 (GCS 12, S. 14) und 2,22,5 ( G C S 12, S. 17) bezeichnet der Begriff >symbolon< allerdings Kultgegenstände. Vgl. zum Problemzusammenhang zuletzt etwa Christoph RIEDWEG: Mysterienterminologie bei Piaton, Philo und Klemens von Alexandrien (1987); Lars ALBINUS: Greek demons and the ambivalence of Clemens Alexandrinus (1995); Susi HAUSAMMANN: Die Arkandisziplin als Zugang zum christlichen Mysterium bei Clemens von Alexandrien (1999).

Forschungsgeschichte

41

Arnobius der Ältere von Sicca 84 vor ihm - das Folgende über die Losungsworte der Mysterienreligionen aus. »Ich möchte jetzt einen Bericht über die Zeichen oder Bekenntnisse [quibus se signis vel quibus symbolis] geben, an denen die erbärmliche Schar mitten in ihren abergläubischen Zeremonien einander erkennt. Denn sie haben ihre besonderen Zeichen [propria signa], ihre besonderen Antworten, die ihnen bei ihren gotteslästerlichen Treffen durch die Unterweisung des Teufels mitgeteilt worden sind.«"5 Freilich haftet Deutungsvariante (3) und (4) das O d i u m profaner Latinität an; genuin christlichem Latein verpflichtet wissen sich nur Deutungsvariante (z) und (1). Beide aber begegnen erstmals im Zusammenhang mit der konstruktiven Ätiologie frühchristlicher Bekenntnisbildung. Wirkungsgeschichtliche

Bedeu-

tung entfalteten sie aufgrund ihrer Verwendung im zitierten Werk des Tyrannius Rufinus von Aquileja mit dem Titel >Commentarius in symbolum apostolorum< (entst. um 400). Tyrannius Rufinus, einem ausgewiesenen Übersetzer griechischer Werke etwa des Orígenes, 8 6 ging es nun zuallerletzt um die exakte Ermittlung

84

Arnobius der Altere benutzt den Terminus >symbola< fur die schändlichen Formeln, die Initianden der Mysterien von Eleusis aufzusagen hatten: »Eleusiniorum vestrorum notas et origines producunt turpes et antiquarum elogia litterarum, ipsa denique symbola quae rogati sacrorum in acceptionibus respondetis >ieiunavi atque ebibi cyceonem: ex cista sumpsi et in calathum misi: accepi rursus, in cistulam transtuliDe fideSymbolTypologieSymbolApostolicumSymbolLosungsformel< und >Gemeinschaftswerk< gelöst. (2) Das Problem der intertestamentarischen Kontinuität: Die frühchristlichen und frühmittelalterlichen Theologen halfen sich mit Typologien und dachten womöglich an die Legende von der >SeptuagintaApostolicumApostolicumPfingstwunder< entweder johanneischer (Joh 20,19-23) oder lukanischer Prägung (Apg 2,1-13). (5) Das Problem der stimmigen Periodisierung: Die >ApostolicumKirchenpostille< (1521) einigermaßen unzweideutig erklärt: »Diese bekentnis haben wir nicht gemacht noch erdacht, die vorigen Veter auch nicht, sondern wie eine bine das honig aus mancherley schoenen, lustigen bluemlin zu samen zeucht, also ist dis Symbolum aus der lieben Propheten und Apostel buechern, das ist: aus der gantzen heiligen Schrifft, fein kurtz zusamen gefasset fuer die kinder und einfeltigen Christen. Das mans billich nennet der Apostel Symbolum oder Glauben, Denn es ist also gestellet, das mans nicht hette besser und feiner so kurtz und klar koennen fassen. U n d ist von alters her also in der Kirchen blieben, Das es entweder die Aposteln selbs haben gestellet oder je aus jrer Schrifft und Predigten von jren besten Schuelern zusamen bracht ist.« 1 3 4

Infolge der unbedingten Achtung wesentlicher Reformatoren vor dem >Apostolicum< ignorierten viele katholische Kontroverstheologen und Katechismus-Autoren des 16. Jahrhunderts die Einwände Lorenzo VALLAS, Reginald PECOCKS und ERASMUS' VON ROTTERDAM auf noch viel umfassendere Weise. Selbst ein Roberto BELLARMINO (1542 - 1621) geht 1617 in seiner >Explicatio symboli apostolici darüber insofern völlig unaufgeregt hinweg, als er unverändert an der >ApostolicumDer heiligen Zwölfboten Zahl< (1997); Martin SEILS: Luthers Predigt vom Glauben in der Kirchenpostille (1997); Robin A. LEAVER: Luthers catechism hymns. 3. Creed (1998); Gunther WENZ: >Das ist mein Glaube ...Großes Bekenntnis< von 1528 (1998); Friedrich MORDSTEIN: Übersehene Präambeln des Glaubens? (1998); Gunther WENZ: Gottes Gebot und die Sünde des Menschen (1999); Horst G . PÖHLMANN: Sinn und Zweck von kirchlichen Bekenntnissen (1999). 135

»Dicitur autem Apostolorum symbolum, quoniam sancti Apostoli, antequam separarentur ab invicem, ut per totum orbem terrarum Evangelium praedicarent, hanc doctrinae summam fidelibus tradiderunt, atque ea causa est, cur symbolum hoc Apostolicum duodecim sententias complectatur, quoniam duodecim fuerunt Apostoli, qui symbolum confecerunt.« (Roberto BELLARMINO: Explicado symboli apostolici. A d usum pastorum suae dioecesos, olim edita, & ab eodem nuper latine reddita [1617], S. 5 f.) Vgl. hierzu zuletzt den Literaturbericht von Franco MOTTA: Beilarminiana (1997); Jared WICKS: Argumentive legitimation in i6th century Catholic theology (1997); Thomas DIETRICH: Die Theologie der Kirche bei Robert Bellarmin (1542 - 1621) (1999).

6o

Abschnitt I: Grundlegung

entsprechende Tradition (mit Väterstellen-Verzeichnis) in seiner >Summa doctrinae christianae< (aus dem Jahre 1555). 136 Heinrich FABRICIUS (1537 - 1 5 9 8 ) fasst die katholische Auffassung des 16. Jahrhunderts in seinem deutschsprachigen Katechismus schließlich wie folgt zusammen: »Was dann ein Christenmensch erstlich wissen und halten soll, ist einmal das, welches die Vorgeher und Lehrer des Glaubens, nämlich die Heiligen Apostel, so mit dem Geist Gottes angewehet waren, in die zwelff Artikel des Glaubens getheilt und gefasst haben. Denn als sie hetten von Christo dem Herrn den befelch empfangen, dass sie als seine Legaten und Gesandten in die ganze weite weit verräisen und aller Creatur das Evangelion predigen solten, so haben sie fur gut erkant, ein sonderliche form des christlichen Glaubens zu stellen, damit sie allesampt gleiche meynung und wort fiireten, und zwischen denen keine Ungleichheit und Spaltung were, welche sie zu einigkeit des glaubens beriifft hetten, sondern dass dieselben vollkommen in einerley sinn und in einerley meinung weren.«1'7 Dabei befleißigte sich selbst der >Catechismus Romanus< des Konzils von Trient (1566) bereits einer recht vorsichtigen Sprache: Festgestellt wurde lediglich, dass das >Apostolische Glaubensbekenntnis< von den Aposteln herrühre, was immer es auch mit den genauen Umständen seiner Abfassung auf sich habe. 138 In den Kirchen der Reformation wiederum verhielt es sich nicht viel anders: Auch die protestantischen Autoren des 16. Jahrhunderts mochten den reformatorischen Lehrautoritäten nicht bedingungslos folgen; sie erklärten das >Apostolicum< in ihrer Mehrzahl zwar dem Inhalt, nicht aber der Autorschaft nach fur apostolisch. Mit den Forschungsbeiträgen von Gerardus Ioannes Vossius (Gerrit Jan Vos; 1577 - 1649) und James USHER (Usserius) von Armagh (1581 - 1656) veränderte sich im 17. Jahrhundert zwar die Quellenlage; der logisch-kombinatorische Umgang mit dem Material freilich blieb erhalten: Dabei gelangen zumal dem anglikanischen Theologen James USHER bahnbrechende Entdeckungen, die er als

136 Vgl. Petrus CANISIUS: Summa doctrinae christianae (1571), S. 3. 137

Heinrich FABRICIUS: Kurtzer Catholischer Catechismus, wie sich desselben die Heilig Rö. und Apostolisch Kyrch, von anfang biß dahero jeder zeit recht gebraucht (1570), S. 9. Vgl. Eugen PAUL: Petrus Canisius als Katechet und Pädagoge (1996); Paul BEGHEYN: Canisius-Literatur im 20. Jahrhundert (1996); Lothar GROPPE: Die Katechismen der hl. Petrus Canisius zur Festigung des katholischen Glaubens (1997); Rainer BERNDT (Hg.): Petrus Canisius SJ (1521 - 1 5 9 7 ) (zooo).

138

»Hanc autem christianae fidei et spei professionem a se compositam symbolum appellarunt Apostoli [sic!] sive quia ex variis sententiis, quas singuli in commune contulerunt, conflata est, sive, quia ea veluti nota et tessera quadam utentur [...].« (Catechismus Romanus ex Decreto Concilii Tridentini (1567), p. 1. c. 1. q. 3) Siehe hierzu Gerhard J. BELLINGER: Bibliographie des Catechismus Romanus ex Decreto Concilii Tridentini ad Parochos 1566 — 1978 (1983); DERS.: Der Catechismus Romanus des Trienter Konzils (1997).

Forschungsgeschichte

6l

persönlich militanter Gegner des römischen Katholizismus seiner Zeit freilich lediglich zur Bestätigung eines nichtapostolischen Ursprungs des >Apostolischen Glaubensbekenntnisses< nutzen sollte. Besagten Sachverhalt erschloss er aus zwei Handschriftenfunden: Die eine davon - das so genannte Psalterium AethelstaniTochter-

152

Carl Paul CASPARI: Ungedruckte, unbeachtete und wenig beachtete Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensregel (1866-1875). Bd. 1, S. I V f. (>VorwortUrformel< erschien ihm nicht symmetrisch, mithin nicht ursprünglich genug. Daraus zog er den Schluss, dass sein Kontrahent die Mittel der philologischen Textkritik überspannt habe, man folglich diesem chronologisch frühen Zeitpunkt der Bekenntnisbildung (um 150 n. Chr.) kein Bekenntnis mehr abgewinnen könne. Statt dessen sah sich Hans LIETZMANN beschränkt auf die, nunmehr vollkommen symmetrisch angelegte und einer Glaubensformel des paulinischen Korintherbriefes (1 Kor 8,6) i 6 z nachgebildete Rekonstruktion einer gemeinsamen Wurzel aus westlichem (Romanum; R) und östlichem Bekenntnistypus (Nicaenum; N). Als zeitlich zwar etwas später anzusetzendes, dafür aber allen Teilkirchen gemeinsames Taufbekenntnis hätte es folgende Textgestalt angenommen: »Ich glaube an einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, aus dem alles ist, und an einen Herrn, Jesus Christus, den eingebornen Sohn Gottes, durch den alles ist, und an den Hl. Geist.«1^'

161 Adolf von HARNACK: Zur Abhandlung des Hrn. Holl >Zur Auslegung des 2. Artikels des sog. apostolischen Glaubensbekenntnisses< (1919), S. 112. Entsprechende Versuche unternahm Adolf von Harnack durchaus des öfteren: Auch das Bekenntnis Justins des Märtyrers und Ignatius' von Antiochien glaubte er rekonstruieren zu können; vgl. Adolf von HARNACK: A n h a n g (1897), S. 389.

162 »Und selbst wenn es im Himmel oder auf der Erde sogenannte Götter gibt - und solche Götter und Herren gibt es viele - , so haben doch wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr: Christus Jesus. Durch ihn ist alles und wir sind durch ihn.« (1 Kor 8,5 f.) Der originalsprachliche Gesamttext findet sich in der Textsammlung unter Nr. 19. 163 Hans LIETZMANN: Geschichte der alten Kirche (1936), Bd. 2, S. 108. H. Lietzmann setzt noch hinzu (ebd., S. 108): »Aus diesem [orientalischen, Anm. der Verf.] Symbol ist in Rom durch Streichungen, Zusätze und straffe Gliederung jene neungliedrige Formel hervorgegangen, die wir bereits kennengelernt haben [>RomanumArchetypen< nicht etwa gesicherter Text-Filiationen, sondern erschlossener Uberlieferungszusammenhänge lässt sich — wie etwa im anschließend zitierten Falle John Norman D. KELLYS - noch deutlich herausspüren: »Bei Verwendung derart drastischer Methoden wäre es möglich, fast alles zu beweisen. Wäre das ihr [der römischen Bekenntnisformel R, Anm. der Verf.] Ursprung gewesen, dann fordert die absichtliche Tilgung des Hinweises auf das Werk Christi als Schöpfungsmittler eine befriedigendere Erklärung als die Bedürfnisse der Symmetrie.« 164 Neuzeitliche >SymbolArchetypusGlaubensregel< und >GlaubensbekenntnisRegula fideiGlaubensbekenntnis< und >Glaubensregel< unterschieden werden müsse, letzterer aber im Unterschied zu ersterem kaum eine normative, geschweige denn eine sakrosankte Dimension eigne: »Kein Zweifel mithin: Es handelt sich bei der regula um eine freie Zusammenfassung, in den Grundzügen freilich festliegend, aber im einzelnen und besonders in der Formgebung frei beweglich. [...] Oder anders gesagt, wie dem Urchristentum genügt der Kirche der ersten beiden Jahrhunderte eine substantielle Bekenntniseinheit, ohne Bekenntnisformel, ohne ein normatives, im einzelnen wie im ganzen verbindliches Lehrbekenntnis oder Symbol.« 109 Jüngste >SymbolNizäa(s) als Wende« (vgl. Anm. 31 und die zugehörige Textpassage). 170 Siehe bes. Reinhart STAATS: Die römische Tradition im Symbol von 381 ( N C ) und seine Entstehung auf der Synode von Antiochien 379 (1990); DERS.: The eternal kingdom of Christ (1990); DERS.: Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (1996); Wolfram KINZIG: >... natum et passum est etc.c (1999); Markus VINZENT: Die Entstehung des römischen Glaubensbekenntnisses (1999). 171

Vgl. etwa Martin TETZ: Z u m altrömischen Bekenntnis (1984); DERS.: Ante omnia de sancta fide et de integritate veritatis (1985); DERS.: Z u r strittigen Frage arianischer Glaubenserklärungen auf dem Konzil von Nicaea (325) (1993); DERS.: Athanasiana (1995); Christoph MARKSCHIES: Ambrosius von Mailand und dieTrinitätsstheologie (1995); DERS.: Was ist lateinischer >Neunizänismus