Held und Heldentum bei Homer: das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung 9783823368373, 3823368370

Zielsetzung dieses Buches ist es, auf der Grundlage der spezifischen Entstehungsgeschichte zunächst eine normative Form

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Held und Heldentum bei Homer: das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung
 9783823368373, 3823368370

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. Methodische Vorbemerkungen: Die „Homerische Frage“ und die Tradition der epischen Heldendichtung
I. Das homerische Heldenkonzept oder: Die Rede des Sarpedon
I.1 Der homerische Held als Anführer
I.2 Leistung und Agonalität
I.3 Der Held im Kampf
I.4 Anerkennung und Ehrerbietung: Der Lohn des Helden
I.5 Ehre und Schande
I.6 Der Tod des Helden
I.7 Schlussfolgerungen: Der iliadische Held
II. Die Ilias und das heroische Ideal
II.1 Achill und Agamemnon
II.2 Achill und Hektor
II.3 Der Tod Achills
III. Die Odyssee und der Held im Wandel
III.1 Die Telemachie und die Vorstellungen von Heldentum in derOdyssee
III.2 Der Held auf Irrfahrten
III.3 Die Bewährung des Helden
III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee
Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Index

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CLASSICA MONACENSIA

Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung von Fabian Horn

Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung

CLASSICA MONACENSIA Münchener Studien zur Klassischen Philologie Herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Band 47 · 2014

Fabian Horn

Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds der VG WORT

Die vorliegende Arbeit wurde als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht.

© 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: [email protected] Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Printed in Germany ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-8233-6837-3

Inhalt Vorwort ............................................................................................... 1 Einleitung ........................................................................................... 3 1.

Methodische Vorbemerkungen: Die „Homerische Frage“ und die Tradition der epischen Heldendichtung ..........................3

2.

Held und „Heroisches Zeitalter“: Die Implikationen des epischen Heldenbegriffs .................................................................10

I.

Das homerische Heldenkonzept oder: Die Rede des Sarpedon ................................................................................ 31 I.1

Der homerische Held als Anführer .............................................. 33 I.1.1 I.1.2

Die Funktion des Herrschers .................................................. 33 Die Legitimation der Herrschaft............................................. 41

I.2

Leistung und Agonalität ................................................................ 46

I.3

Der Held im Kampf ........................................................................ 64 I.3.1 I.3.2 I.3.3 I.3.4

Die Waffen des Helden ............................................................ 65 Schlachtordnung in der Ilias.................................................... 74 Iliadische Kampfdarstellung ................................................... 77 Die Aristie des Helden und die Darstellungsmittel des Heldenmuts ............................................................................... 86

I.3.4.1 I.3.4.2 I.3.4.3 I.3.4.4 I.3.5 I.4

Göttlicher Beistand .......................................................... 87 Das Löwengleichnis......................................................... 88 Verwundung und Blutvergießen ................................... 89 Der Kampfrausch ............................................................. 95

Der „Hinterhalt“ ....................................................................... 96

Anerkennung und Ehrerbietung: Der Lohn des Helden .......... 98 I.4.1 I.4.2

Ausgleich und Ehre .................................................................. 98 Respekt der Feinde ................................................................. 100

I.4.2.1 I.4.2.2 I.4.2.3 I.4.2.4 I.4.3

„Flyting“.......................................................................... 100 Sammeln von Spolien .................................................... 103 Schlachtfeldhikesien ...................................................... 105 Vergeltung und Verstümmelung................................. 111

Ehrerbietung der Freunde ..................................................... 116

vi

Inhalt I.4.3.1 I.4.3.2 I.4.3.3

Besitz und Ehre .............................................................. 116 Geschenke unter Freunden ........................................... 122 Zorn und Ehre ................................................................ 127

I.5

Ehre und Schande ......................................................................... 130

I.6

Der Tod des Helden ..................................................................... 136 I.6.1 I.6.2

I.7

Der Heldentod und die letzte Ehre ...................................... 136 Die Unsterblichkeit des Helden ............................................ 139

Schlussfolgerungen: Der iliadische Held .................................. 144

Die Ilias und das heroische Ideal .................................... 147

II. II.1

Achill und Agamemnon .............................................................. 148 II.1.1 Der Auslöser des Streits......................................................... 148 II.1.2 Das Angebot Agamemnons .................................................. 162 II.1.3 Der Tod des Patroklos und das Aussetzen des Ehrzornes ................................................................................. 181 II.1.4 Die Lösung des Konflikts ...................................................... 193 II.1.5 Zusammenfassung der Beziehung zwischen Achill und Agamemnon.................................................................... 199

II.2

Achill und Hektor......................................................................... 200 II.2.1 Die Aristie Achills .................................................................. 200 II.2.1.1 Das Wüten Achills ......................................................... 201 II.2.1.2 Der Zweikampf mit Hektor .......................................... 213 II.2.2 Die Lösung Hektors ............................................................... 225 II.2.3 Zusammenfassung der Beziehung zwischen Achill und den Troianern.................................................................. 234

II.3

Der Tod Achills ............................................................................. 235

II.4

Schlussfolgerungen: Achill, der ideale Held............................. 238

III.

Die Odyssee und der Held im Wandel ........................... 241

III.1

Die Telemachie und die Vorstellungen von Heldentum in der Odyssee ................................................................................ 242

III.2

Der Held auf Irrfahrten................................................................ 255

III.2.1 Der Held und seine Gefährten .............................................. 257 III.2.2 Der Troia-Kämpfer im Märchenland ................................... 263 III.2.2.1 Im Land der Kyklopen .................................................. 264 III.2.2.2 Der Held und die Frauen: Kirke und Kalypso ........... 271 III.2.2.3 Odysseus bei den Phaiaken .......................................... 274

vii

Inhalt III.3

Die Bewährung des Helden ........................................................ 282

III.3.1 Die Rückkehr in die Heimat.................................................. 282 III.3.2 Der Held im Bettlergewand .................................................. 288 III.3.2.1 Der Bettler und der Schweinehirt ................................ 288 III.3.2.2 Der Bettler im Palast des Odysseus ............................. 292 III.3.3 Bogenprobe und Freiertötung: Die Aristie des Odysseus.................................................................................. 300 III.3.4 Die innere Heimkehr.............................................................. 313 III.3.5 Die Rückgewinnung der Herrschaft .................................... 317 III.4

Tod und Ruhm in der Odyssee .................................................... 322

III.4.1 Das Schicksal der Ilias-Helden in der Odyssee .................... 323 III.4.2 Ruhm und Tod des Odysseus ............................................... 328 III.5

Schlussfolgerungen: Odysseus, der andere Held..................... 332

Schlussbetrachtung ...................................................................... 335 Abkürzungsverzeichnis............................................................... 337 Literaturverzeichnis ..................................................................... 341 Textausgaben und Scholien .................................................................... 341 Sekundärliteratur ..................................................................................... 341

Index ................................................................................................ 371

Vorwort Das vorliegende Buch ist eine geringfügig überarbeitete und durch einen Index erweiterte Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 2012 am Institut für Klassische Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Dank sei an dieser Stelle zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Martin Hose, der mich stets mit unschätzbarem Fachwissen und zahlreichen hilfreichen Hinweisen unterstützte, sowie meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Susanne Gödde, deren Anmerkungen ebenfalls dazu beitrugen, meine Dissertation in die nun vorliegende Form zu bringen. Weiterer Dank gebührt Dr. Bernd Villhauer vom Narr-Verlag Tübingen für die schnelle und unkomplizierte Aufnahme meiner Arbeit in das Verlagsprogramm sowie für die Begleitung bis zur Publikation. Ferner ist hier der Ort, um meinen Eltern für ihre jahrelange geduldige und unerschütterliche Unterstützung während meines Studiums und meiner Promotion meinen herzlichen Dank auszusprechen. Sie haben mir zudem bei der Korrektur bzw. bei der Formatierung des Manuskripts unschätzbare Hilfe geleistet. Nichts, was ich hier sagen könnte, wird im Entferntesten dem gerecht, was ich ihnen zu verdanken habe. Gewidmet sei dieses Werk meinem Großvater Dr. med. Anton Tullius, der mich schon in frühester Jugend für die griechische Sagenwelt begeisterte und damit mein anhaltendes Interesse für Alte Sprachen und Kulturen weckte. Ohne seinen prägenden Einfluss läge dieses Buch heute nicht vor. Augsburg, im Juli 2013

Fabian Horn

Einleitung 1.

Methodische Vorbemerkungen: Die „Homerische Frage“ und die Tradition der epischen Heldendichtung

Die beiden hexametrischen Großepen Ilias und Odyssee, die unter dem Namen „Homer“ überliefert sind,1 markieren den Beginn der griechischen wie auch der abendländischen Literatur. Sie stehen am Übergang zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und entstanden vermutlich in der 2. Hälfte des 8. Jhd. v. Chr., obgleich die Umstände ihrer Entstehung im Dunkeln liegen. Die Frage nach der Autorschaft und der Genese der homerischen Epen wird in der Forschung als „Homerische Frage“ bezeichnet und wurde seit dem Einsetzen der modernen Homer-Philologie zum Ende des 18. Jhd. intensiv und kontrovers diskutiert. Jede Arbeit zu Homer muss notwendigerweise zu dieser für jegliche Interpretation grundlegenden Frage Stellung beziehen. Mit der Fragment gebliebenen Arbeit Prolegomena ad Homerum (1795) des deutschen Philologen Friedrich August Wolf geriet zunächst die Frage in den Blick, ob beide Gedichte von (jeweils) nur einem einzigen Dichter verfasst wurden, und der Gegensatz zwischen Unitariern und Analytikern bestimmte für mehr als ein Jahrhundert insbesondere die deutsche Forschung zu den homerischen Epen. Erst infolge der zunächst auf Französisch veröffentlichten Dissertation L’Epithète traditionelle dans Homère (1928) des amerikanischen Homer-Forschers Milman Parry, die die Formelhaftigkeit der homerischen Kunstsprache untersuchte, entwickelte sich die sog. oral poetry-Forschung, die die Formation der homerischen Gedichte von einer langen Tradition mündlichen Dichtens geprägt sah.2 Waren die homerischen Epen als älteste Literaturzeugnisse des Abendlandes zuvor als literarischer Urknall gedeutet worden, die gleichsam aus dem Nichts und als das Werk eines einzelnen, monumentalen Dichters entstanden seien, wurde nun auf die ihnen vorangegangene Tradition verwiesen.3 Ilias und Odyssee konnten damit als die grandiosen und vielleicht erstmals unter

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In den folgenden Ausführungen steht der Name Homer als Chiffre für „der Dichter/die Dichter von Ilias und Odyssee“, ohne dabei auf die Frage nach der Autorschaft genauer einzugehen. Die Frage nach der Autorschaft ist für die folgende Untersuchung nicht von Bedeutung und hinsichtlich der Traditionalität der Epen zumindest teilweise hinfällig. Für eine aktuelle Annäherung an die „homerische Frage“ siehe u.a. Graziosi/Haubold 2005, 15-34. Zur Geschichte der unitarischen und analytischen Homerforschung bis hin zur oral poetry-Theorie siehe z. B. Whitman 1958, 1-16, Turner 1997, Fowler 2004b sowie Saïd 2011, 20-44. Vgl. auch die Kritik derartiger Formulierungen bei Graziosi/Haubold 2005, 11-13.

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Einleitung

Zuhilfenahme der Schrift komponierten Endprodukte einer jahrhundertelangen Tradition mündlichen Dichtens erklärt werden. Ihre erste schriftliche Fixierung erfuhren die Epen nach der communis opinio in der zweiten Hälfte des 8. Jhd. v. Chr., wobei üblicherweise angenommen wird, dass die Odyssee etwa eine Generation nach der Ilias entstanden sei.4 Nach der Etablierung der oral poetry-These folgten weitere Forschungsansätze, deren Ziel darin bestand, die Entstehung der homerischen Epen aus der vorangegangenen Tradition heraus zu erklären. Eine überwiegend von deutschen Philologen verfolgte Richtung, die sog. Neoanalyse, versuchte, insbesondere die Ilias motivgeschichtlich zu der nur fragmentarisch erhaltenen Troia-Epik in Bezug zu setzen.5 Die gesamte Geschichte des Troianischen Krieges wurde im sog. „Epischen Kyklos“ erzählt, aus dem Ilias und Odyssee nur kleine Ausschnitte darstellen. Schon in der Antike war der Name Homers, unter dem ursprünglich weit mehr, heute verlorene Werke überliefert wurden, eine Chiffre für die ganze Gattung der epischen Heldendichtung.6 Die Neoanalyse ging davon aus, dass zahlreiche Motive der Ilias aus anderen Epen des Kyklos (insbesondere aus der Aithiopis) stammten, und versuchte, auf diese Weise die Genese der Ilias zu erklären. Da sich jedoch die meisten Motive schon aus der Ilias selbst als typische Szenen oder Elemente erweisen lassen, kann der Versuch, auf diesem Wege die Entstehung der Ilias nachzuzeichnen, als Irrweg angesehen werden.7 Dennoch weist die Existenz allgemeiner, typischer Motive, die von der Neoanalyse aufgezeigt und gesammelt wurden, auf den gemeinsamen Ursprung der frühgriechischen Einzelepen hin.8 Ein ähnlicher Ansatz findet auch in der vergleichenden Epenforschung Anwendung. Hier wurde diese Methode auf eine breitere textuelle Grundlage gestellt, indem auch die Traditionen der Heldendichtungen anderer Völker und Kulturen miteinbezogen wurden. Heldenepos sei hierfür als eine objektive Erzählung von den Handlungen ausgezeichneter Menschen

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Vgl. die Ausführungen bei Pulleyn 2000, 9-11. Für eine ausführliche und vorsichtige Zusammenstellung der Datierungskriterien, die zu diesem Schluss führen, siehe Kirk 1962, 282-287. Osborne 2004 datiert die Epen aufgrund der Darstellung der homerischen Gesellschaft (wofür sich jedoch vor allem in der Odyssee Anhaltspunkte finden lassen) um 700 v. Chr. Siehe hierzu die methodischen Überblicksdarstellungen von Kullmann 1992a und 1992b, Willcock 1997 sowie West 2003, 4-5. Zum Inhalt der sog. „Kyklischen Epen“ siehe Davies 2003. Für das Verhältnis der homerischen zu den kyklischen Epen siehe auch Griffin 1977, Dowden 1996 und Burgess 2001. Vgl. Graziosi/Haubold 2005, 24-27. Siehe insbesondere Fenik 1968, v.a. 229-240, dessen Arbeit sich gegen die Neoanalyse richtet. Siehe dazu Dowden 1996 mit weiteren Literaturangaben.

Methodische Vorbemerkungen

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in gebundener Sprache definiert, deren Protagonisten, jene „ausgezeichneten Menschen“, als „Helden“ bezeichnet werden.9 Die Resultate der vergleichenden Epenforschung zeigen, dass Heldendichtung neben der Göttersage die älteste Form von Dichtung überhaupt darstellt und seit ältesten Zeiten zum Kulturbesitz der Menschheit gehört haben muss: 10 „Dichtungen solcher Art finden sich bei den meisten Völkern der Erde und bei nicht wenigen bis auf den heutigen Tag. Zwischen russischen Bylinen, nordischen Heldenliedern und Gesängen von Sumatra sind die Unterschiede im einzelnen natürlich groß, aber trotzdem zeigt sich Gemeinsames in hohem Maße. Immer steht im Mittelpunkt solcher Gesänge der Held als der durch Mut und physische Kraft vor allen anderen Ausgezeichnete. Sein Tun ist allein von dem noch unproblematischen Begriff der Ehre bestimmt. Große Art kann er auch in der Freundschaft bewähren. Diese Dichtung hat Ursprung und Pflege meist in einer ritterlichen Oberschicht, der Kampf, Dichtung und Tafelfreuden den Inhalt ihres Lebens bilden, wobei zu letzteren auch das Lied des Sängers gehört. Das in solchem Kreise Gesungene wird später meist Besitz der Gesamtheit. Den Hintergrund solchen Heldensanges bildet ein Heroenzeitalter, das dem eigenen gegenüber als größer geartete Vergangenheit empfunden wird.“11 Das unabhängige Auftreten identischer Motive und vergleichbarer Formeln in distinkten Dichtungstraditionen lässt oftmals den Schluss auf einen gemeinsamen Ursprung in indogermanischer Mythologie und Dichtungstradition zu.12 Auch nach den Ergebnissen der motivgeschichtlichen Forschung kann als unbestritten angesehen werden, dass Ilias und Odyssee in sprachlicher wie auch motivisch-thematischer Hinsicht auf eine lange Tradition zurückgehen, und die Erforschung der Traditionen und Konventionen, aus denen die homerischen Epen erwachsen konnten, stellt eine unabdingbare Voraussetzung für ihre Interpretation und Wertschätzung dar. Dieser Abriss der Homer-Forschung gibt eine Vorstellung, wie stark jede Deutung und jede Würdigung der homerischen Gedichte von der Betrachtungsweise des Interpreten abhängig ist und geprägt wird. Die vorliegende Arbeit stellt sich in die Tradition der oral poetry-Forschung und

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Zur einer ausführlichen Definition von Heldendichtung siehe auch Bowra 1952, 1-90. Zur Heldendichtung allgemein siehe insbesondere Bowra 1952. Zu den Themen indogermanischer Heldendichtung vgl. West 2007, v.a. 375-503. Lesky 1999, 33. Vgl. auch Kirk 1962, 57-59, der an Vergleichsbeispielen konstatiert, dass, auch wenn die Dichtung sich an eine breite Öffentlichkeit richtet, Protagonisten und Themen der ursprünglichen „Hofdichtung“ dennoch erhalten bleiben. Vgl. z.B. West 2007. Zum Gegensatz von Neoanalyse und vergleichender Epenforschung siehe Grossardt 2009, 54-58.

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Einleitung

schließt methodisch an die Neoanalyse und die vergleichende Epenforschung an, insofern als die homerischen Epen als Produkte einer Dichtungstradition gelesen werden, die für die Interpretation unbedingt zu berücksichtigen ist. Die homerischen Epen werden dafür als Texte betrachtet, so wie sie nach ihrer in mündlicher Dichtung begründeten Tradition schriftlich überliefert wurden,13 und hinsichtlich ihrer typischen Motive untersucht.14 Da jedoch die Ansätze der Neoanalyse aufgrund der fragmentarischen Überlieferung der Kyklischen Epen15 und der vergleichenden Epenforschung wegen des disparaten Materials immer mit einem gewissen Maß an Spekulation verbunden sind, soll in den folgenden Ausführungen eine intratextuelle Herangehensweise zur Anwendung kommen. Obwohl die beiden homerischen Epen aus der gleichen Tradition hervorgegangen sind, wird die Grundlage der Untersuchung des homerischen Heldenkonzepts die Ilias sein. Ihre Entstehung ist trotz aller Schwierigkeit einer absoluten Datierung relativ gesehen vor der der Odyssee einzuordnen,16 und es darf angenommen werden, dass der Ilias ein wesentlich älteres Heldenkonzept zugrunde liegt, das durch die traditionelle Technik mündlichen Dichtens in der formelhaften epischen Sprache gleichsam konserviert wurde.17 Denn wenn die Ilias innerhalb der epischen Tradition Neues und Großartiges bot, das ihre Überlieferung bis in die heutige Zeit sichern konnte, dann lag dies

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Ich habe mich dementsprechend für die Benutzung der beiden Vulgata-Editionen, van Thiel 1991 für die Odyssee sowie van Thiel 2010 für die Ilias entschieden. Aufgrund dieser Herangehensweise konnten auch zahlreiche ältere Arbeiten in der Interpretationstradition der Homer-Analyse nicht berücksichtigt werden. Zu dem Ansatz einer Verbindung von Neoanalyse, Intertextualität und oral poetryTheorie siehe auch Burgess 2006. Aufgrund des Reichtums der homerischen Dichtersprache, die trotz aller metrisch bedingter Festlegungen zahlreiche Formulierungen und Variationen für einzelne Vorgänge ermöglicht, beschränkt sich die Untersuchung auf größere motivische Einheiten und wird nur in einzelnen Fällen auf einzelne Formeln eingehen. Zur Unterscheidung in Formeln („traditional phrase“), Motive („motif“) und Typszenen („motif sequence“) siehe Nagler 1974, 1-130. Für eine Sammlung der Forschung zu einzelnen typischen Szenen siehe Edwards 1992. Die spärlichen Fragmente der Kyklischen Epen lassen es kaum zu, deren Handlungen zu rekonstruieren; unsere Kenntnis des Verlaufs der Erzählungen des Troischen Sagenkreises beruht daher besonders auf den knappen, spätantiken Prosa-Inhaltsangaben des Proklos (5. Jhd. n. Chr., ediert in Allan 1912, 93-109), die allerdings keine Rückschlüsse auf die poetische Gestaltung erlauben. Zu sprachhistorischen Kriterien für eine relative Datierung archaischer Epik siehe Janko 1982, v.a. die Zusammenfassung 188-200. Vgl. z.B. die detailreiche Untersuchung von Fenik 1968 zur Typologie der iliadischen Schlachtszenen, die zu dem Ergebnis gelangt, dass die Sprache der Kampfszenen in der Ilias vollständig formelhaft und damit traditionell ist. Allgemein zu Homer und der Tradition mündlichen Dichtens siehe auch Edwards 1992.

Methodische Vorbemerkungen

7

gewiss nicht in ihrer unerhörten Darstellung der heroischen Vergangenheit, sondern vielmehr in ihrem bisher nie dagewesenen Umfang und ihrer kunstvollen Komposition.18 Es ist somit davon auszugehen, dass die Tradition epischen Dichtens und die damit verbundenen Vorstellungen als Hintergrund und Folie gerade in dem älteren der beiden homerischen Epen, das aus unserer Sicht am Endpunkt einer langen Entwicklung stand, in besonderer Weise präsent sind. Beim zeitgenössischen Zuhörer, dessen Kenntnis der epischen Tradition wesentlich breiter als die des modernen Kritikers war, verbanden sich damit bestimmte Vorstellungen und Erwartungen, die seine Rezeption des Epos steuerten. 19 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand typischer Motive der Ilias die Konventionen des iliadischen Heldenideals zu beschreiben, um auf dieser Grundlage die Handlungen der Haupthelden von Ilias und Odyssee, Achill und Odysseus, zu analysieren und zu interpretieren. Zu einzelnen Aspekten des homerischen Helden existieren hervorragende Studien, 20 doch bisher wurde kein Versuch unternommen, das heroische Ideal, wie es sich in der Ilias darstellt, umfassend zu beschreiben und für eine Interpretation der homerischen Gedichte fruchtbar zu machen.21 Zunächst sollen dabei anhand der Darstellung der Ilias die wichtigsten Kategorien der heroischen Existenz und ein normatives Ideal eines homerischen Helden entwickelt werden.22 Zu diesem Zweck ist es nicht sinnvoll, sich auf den Charakter bestimmter Helden zu beschränken23 oder einzelne

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Vgl. z.B. Thornton 1984, 9-12. Dazu auch Nagy 1999, 3 (§ 6): „To my mind there is no question about the poet’s freedom to say accurately what he means. What he means, however, is strictly regulated by tradition. The poet has no intention of saying anything untraditional. In fact, the poet’s inherited conceit is that it is in his power to recover the exact words that tell what men did and said in the Heroic Age.“ Vgl. dazu den Begriff der „Resonanzen“ („resonances“) bei Graziosi/Haubold 2005, 11-13. Zu nennen sind hier beispielsweise Schröter 1950, Donlan 1980, Schein 1984, Edwards 1985a, van Wees 1992, Patzer 1996, Hellmann 2000. Die bisher einzige mir bekannte Arbeit zum homerischen Helden ist die Dissertation „Achilles and Hector: The Homeric Hero“ von Seth Benardete (1955 verfasst, jedoch erst 2005 postum zum ersten Mal in Buchform publiziert, daher zitiert als Benardete 2005), die trotz zahlreicher interessanter Beobachtungen im Detail unvollständig und unsystematisch ist. Die umfangreichste Behandlung der „Formgesetze“ des Epos bietet unzweifelhaft das hervorragende Buch von Patzer 1996, das jedoch keinen Versuch einer weitergehenden Interpretation macht. Zu diesem Ansatz siehe auch Patzer/Hölscher 1990, 498-500. Zu diesem Idealbild siehe den Überblick bei Patzer 1996, 164-169. Für Untersuchungen zu Einzelhelden siehe Whitman 1958, 181-220, McNamee 1960, 8-32, Schein 1984, 89-167, King 1987, 1-49, Effe 1988, Zanker 1994, Latacz 1995 sowie Minchin 2011, 338-341 zu Achill; Donlan 1971 und Taplin 1990 zu Agamemnon; Trapp 1961 zu Aias; Edgeworth 1985 zu Aias und seinem Halbbruder Teukros; van der Valk 1952 zu Aias und Diomedes; Andersen 1978, Benardete 1968 und Minchin

8

Einleitung

Helden gesondert zu betrachten,24 wie dies im Falle der bedeutendsten Protagonisten der Ilias schon oft getan wurde. Die Ilias bietet einen Blick auf die Helden in einer Momentaufnahme,25 und es spricht für „Homers“ Fähigkeit als Dichter, dass jeder seiner Helden über eine eigene und individuelle Persönlichkeit verfügt;26 umso mehr ist es notwendig, alle Helden der Ilias in die Untersuchung miteinzubeziehen. Ferner ist nicht nur das aktuelle Handeln der Helden von Bedeutung, denn es ist mittlerweile communis opinio, dass die zahlreichen eingelegten Erzählungen wichtige Informationen liefern, da sie immer der situativen Darstellungsabsicht angepasst und im Kontext instrumentalisiert werden. 27 Auch Passagen, die die Handlung nicht unmittelbar voranbringen, sind unverzichtbare Bestandteile des Werks, indem sie Interpretationsmuster und Verhaltensmaßstäbe vorgeben, an denen die Handlung gemessen werden kann.28 Die Gesamtheit formaler wie inhaltlicher Darstellungskriterien eines homerischen Helden wird im Folgenden mit dem abstrakten Begriff des „Heldenkonzepts“ bezeichnet. Vorannahme der folgenden Untersuchungen ist dabei, dass die homerischen Gedichte trotz aller Vielfältigkeit ihrer Einzelhelden über ein einheitliches – wenn auch vielleicht in Ilias und Odyssee nicht identisches – Heldenkonzept verfügen.29

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2011, 331-333 zu Diomedes; Roisman 2005 und Frame 2009, v.a. 105-329 zu Nestor; Haft 1990 sowie Clay 1999 zu Odysseus in der Ilias; Erbse 2005 zu Odysseus und Diomedes in der Ilias; Barck 1971 und Minchin 2011, 336-338 zu Menelaos; Farron 1978, Erbse 1978 und Metz 1990 zu Hektor. Zur Problematik der Charakterisierung einzelner Helden siehe Collins 1988, 14-21. Siehe z.B. die Betrachtungen der Einzelhelden bei Spieß 1913, 100-281 und die umfangreiche Stoffsammlung zu den wichtigsten Helden bei Classen 2008, 14-65. Für den Versuch, die Helden aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenheiten zueinander in Bezug zu setzen, siehe Miller 2000, 355-359. Zur Ilias als Momentaufnahme des Helden vgl. den Befund von Austin 1966, 305: „In the Iliad the heroes seem to have almost no past at all, unless the past can provide not just information for its own sake but a persuasive argument for some present action or behavior.“ Zur Individualisierung durch Epitheta siehe Passakos/De Raad 2008, 89-91 sowie Minchin 2011 zu Charakterzeichnung aus Sicht der Kognitionswissenschaft. Allgemein zu Charakterisierung in antiker Epik siehe Gordesiani 1999 mit dem Ergebnis, dass der Individualisierungsgrad homerischer Helden vergleichsweise hoch ist. Vgl. auch den Begriff des „Heroenpluralismus“ bei Seeck 1993. Vgl. Willcock 1964, Austin 1966 und Alden 2000. Alden 2000, 13-47 führt hierfür den Begriff der „para-narrative“ ein. Zur Kritik an diesem Terminus, mit dem weite Teile der Handlung belegt werden müssten, siehe die Rez. von Clay 2005, 307. Vgl. Friedrich 1973, 119. Tatsächlich ist angesichts der mittlerweile vorherrschenden communis opinio, dass die Epen von (mindestens) zwei verschiedenen Dichtern komponiert wurde, sogar davon auszugehen, dass Ilias und Odyssee zwar jeweils ein in sich geschlossenes Wertesystem darstellen, dass diese beiden Normen jedoch nicht

Methodische Vorbemerkungen

9

Das iliadische Heldenkonzept soll als Folie dienen, vor der das spezifische Verhalten des Achill in der Ilias, dessen Handlungen nur für die Erstellung des normativen Heldenbildes herangezogen werden, soweit sie vor das Einsetzen der Ilias-Handlung fallen (wie z. B. die Eroberungen von Städten im Umland Troias), 30 sowie des Odysseus in der Odyssee objektiv bewertet und interpretiert werden können. Diese Methode steht damit in der Tradition des Grundsatzes „Ὅμηρον ἐξ Ὁμήρου σαφηνίζειν“, der allgemein aber wohl fälschlicherweise dem hellenistischen Homerphilologen Aristarch von Samothrake (ca. 217-145 v. Chr.) zugeschrieben wird,31 demgemäß internen Interpretationskriterien immer der Vorrang vor externen oder aus Vergleichen gewonnenen Bewertungsmaßstäben gegeben werden muss. Die Fokussierung auf den Helden zur Interpretation der gesamten Gedichte wird durch die Beobachtung gerechtfertigt, dass in der traditionellen Heldendichtung der Charakter und die Person des bzw. der Protagonisten ebenso wichtig sind wie die Handlung selbst.32 Zunächst bedarf es jedoch einer genaueren Bestimmung des Begriffs des „Helden.“

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identisch sind, vgl. Krischer 1995, 84-86. Zu demselben Ergebnis gelangen auch Donlan 1981/82, v.a. 171-173, der bei der Untersuchung von ökonomischem Austausch und Reziprozität bei Homer zu dem Schluss kommt, dass die beiden homerischen Gedichte ein in sich konsistentes Bild hinsichtlich der sozialen Strukturen ergeben, sowie van Wees 1992, 5-21, der aus Sicht des Historikers ein kohärentes Bild hinsichtlich der Darstellung der Gesellschaft in der Ilias postuliert. Eine Gegenposition findet sich bei Taplin 1992, 6-7. Vgl. Zarker 1965, 110-114, Zanker 1994, 8-9 sowie Schein 1984, 103: „The Achilles she describes is terrible and deadly in his fighting, but humane and generous in his treatment of the dead and of captives. This picture of the pre-mēnis Achilles deepens our appreciation of his characteristic heroism prior to his emotional dislocation, and serves as a moving foil to his savage treatment of Hector’s corpse.“ Dabei handelt es sich um eine Funktion der früheren Eroberungen Achills, die im Aufsatz von Taplin 1986, 15-19 ausgelassen wurden. Der früheste Beleg dieser interpretatorischen Maxime findet sich bei Porphyrios (3. Jhd. n. Chr.). Zur zweifelhaften Zuschreibung an Aristarch siehe Wilson 1971, 172 und Schäublin 1977. Vgl. hierzu auch Andersen 1990, 44-45 für eine radikale Deutung dieser Leitlinie, die die Ilias nicht als Stellvertreter der epischen Tradition, sondern als eigenständige Tradition behandelt. Vgl. Bowra 1952, 91: „In the poetry of heroic action leading parts are assigned to men of superior gifts, who are presented and accepted as being greater than other men. Though much of their interest lies in what happens to them and in the adventures through which they pass, an equal interest lies in their characters and personalities. Their stories are the more absorbing because they themselves are what they are.“

10

2.

Einleitung

Held und „Heroisches Zeitalter“: Die Implikationen des epischen Heldenbegriffs

Nach diesen methodischen Überlegungen ist es zunächst notwendig, den Gegenstand der Untersuchung genauer zu bestimmen, da der Begriff „Held“ vielfältig und auch oftmals unscharf verwendet wird. Zumeist ist „Held“ eine Bezeichnung für eine Person mit herausragenden Fähigkeiten oder Eigenschaften, die sie befähigen, hervorragende Leistungen, sog. Heldentaten, zu vollbringen; in der Literaturwissenschaft jedoch kann jede Hauptperson eines literarischen Werkes ganz allgemein und neutral als Held bezeichnet werden, und die Protagonisten der homerischen Epen werden in der Forschungsliteratur wie selbstverständlich als „Helden“ bezeichnet. Der Begriff des Helden in der Literatur ist überaus komplex und die Deutung sehr stark vom jeweiligen Kontext abhängig, in dem er gebraucht wird.33 In einem ersten Schritt gilt es daher, auf die Implikationen des Heldenbegriffs bei Homer einzugehen. Die Vokabeln des homerischen Griechisch, die im Deutschen mit dem Begriff „Held“ wiedergegeben werden, sind ἥρως (74 Belegstellen in der Ilias, 40 in der Odyssee) oder ἀριστεύς (21 Belegstellen in der Ilias, 9 in der Odyssee).34 Während ἀριστεύς eine Ableitung vom Superlativ ἄριστος „der Beste“, ist und auf eine Erwartung an den Helden verweist,35 konnte die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Begriffs ἥρως noch nicht geklärt werden.36 Es empfiehlt sich nicht, zum Verständnis der Bedeutung bei Homer auf ungesicherte Etymologien zurückzugreifen, die ohnehin weder dem Dichter noch dem Publikum bewusst bekannt gewesen sein können, sondern beim Gebrauch in den Epen selbst anzusetzen. Eine philologische Betrachtung der Verwendung in der Ilias ergibt, dass von den 74 Belegstellen mehr als ein Drittel (26 an der Zahl) pluralische Formen aufweisen und

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Für den Versuch einer typologischen, genealogischen und historischen Bestimmung des epischen Helden ausgehend von den homerischen Epen im Vergleich mit den Dichtungstraditionen anderer indogermanischer Sprachen siehe Nagy 2005, 71-89. Zum Begriffswandel in der Antike siehe Jones 2010, für einen historischen Überblick des Begriffs von Homer bis zur Gegenwart siehe Miller 2000, 1-26. Zur Vielfalt des Heldenbegriffs siehe auch Campbell 1949, Brelich 1958 und Miller 2000, v.a. 1-69. Zählungen nach Prendergast/Marzullo 1962, 57 bzw. 183-184 sowie Dunbar/Marzullo 1971, 51 bzw. 170. Vgl. auch Langerwerf/Ryan 2010, 8-9 zur Verteilung auf die einzelnen Bücher der Ilias. Zum semantischen Unterschied zwischen „Heros“ und „Held“ siehe Himmelmann 2010. Vgl. auch LfgrE I, 1283-1285: ἀριστεύς und ἄριστος sind Synonyme, und die Konnotation ist meist „der Beste im Kampf“, vgl. auch Donlan 1968, 32-36. Zu möglichen Etymologien des Wortes siehe Eitrem 1913, 1111, Frisk 1960, 644-645, Pötscher 1961, 329-339, Adams 1987, Currie 2005, 62-67 sowie Grethlein 2006a, 93-94. Für antike Worterklärungen siehe Σ D zu Il. 1,4.

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damit eine Gruppe von Helden als Kollektiv bezeichnen. 37 Dieser Befund zeigt, dass ἥρως bei Homer keine exklusive oder singuläre Bezeichnung ist. Der homerische Held ist kein Einzelgänger, sondern Mitglied einer „Gesellschaft von Helden.“38 Häufig erscheinen die formelhaften Wendungen ἥρωες Ἀχαιοί (Il. 15,219)/ἥρωας Ἀχαιούς (Il. 12,165; 13,629; 15,230, 261, 702; 19,34, 41) und ἥρωες Δαναοί (Il. 2,110; 6,67; 15,733; 19,78). Zwar gibt es keine vergleichbare Fügung, wie etwa *ἥρωες Τρῶες, für die Helden der Gegenseite, doch der Plural ἥρωες wird ohne ethnische Spezifizierung auch für Kämpfer der troianischen Seite verwendet. Hinsichtlich des heroischen Status besteht kein Unterschied zwischen „den Griechen“ und „den Troianern“, zumal es sich keineswegs um homogene Gruppen handelt. Das Heer der Griechen setzt sich aus einer Vielzahl regionaler Kontingente zusammen (Il. 2,494-760), deren Identität sich über die Heimat(stadt) (πάτρη) definiert, da die Idee eines einheits- und identitätsstiftenden Griechentums zur Zeit Homers keinesfalls schon entwickelt gewesen sein kann.39 Ebenso stehen ihnen nicht nur Kämpfer aus der Stadt Troia gegenüber, sondern auch zahlreiche Kontingente von Bundesgenossen, die mit den Troianern durch verwandtschaftliche oder gastfreundschaftliche Beziehungen verbunden sind (Il. 2,130-131, 816-877).40 Wenn im Folgenden trotzdem von Griechen und Troianern die Rede ist, bezeichnen diese Begriffe summarisch die beiden Kriegsparteien, ohne von einer inneren Homogenität dieser Gruppen auszugehen. Bei einer genaueren Betrachtung ist ferner zu konstatieren, dass eine generelle Unterscheidung der beiden Kriegsparteien schwer fällt: Die Helden der Ilias sind einheitlich konzipiert und unterscheiden sich nicht im Hinblick auf ihre Bräuche41 oder ihre Sprache,42

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Vgl. auch LfgrE II, 938-941. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Mythen anderer Kulturen und auch vielen anderen griechischen Heldensagen, in denen ein einzelner Held und seine Abenteuer im Mittelpunkt stehen. Vgl. den Begriff „monomyth“ oder „the hero’s journey“ bei Campbell 1949, 47-251, v.a. Zusammenfassung 245-246. Vgl. Hall 1989, 7-8. Der Lykier Sarpedon wird explizit als Hektors Gastfreund bezeichnet (Il. 17,150) und der Paphlagone Harpalion ist als Gastfreund des Paris genannt (Il. 13,661). Vgl. auch Mackie 1996, 85-89. Auch hinsichtlich ihrer Herrschaftsform, ihres Aussehens, ihrer kultischen Einrichtungen oder ihres Verhaltens besteht in der Darstellung des Dichters kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Griechen und Troianern. Vgl. dazu die grundlegenden Ausführungen bei Hall 1989 zu Gesellschaft und Herrschaft 14-15, identischem Aussehen 40-41, Religion und Kult 43-45 und vergleichbarem Verhalten auf dem Schlachtfeld 25-30. Beide Kriegsgegner bedienen sich desselben Idioms, ganz offenbar des Griechischen, sodass an keiner Stelle der Ilias von einer Sprachbarriere die Rede sein kann, vgl. dazu Hall 1989, 19-21. Zu Unterschieden in Themen und Diktion zwischen griechischen und troianischen Sprechern siehe jedoch Mackie 1996. Es gibt ferner Hinweise darauf, dass die Verbündeten der Troianer nicht alle dieselbe Sprache sprechen (Il.

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und auch anhand von Eigennamen lässt sich keine Unterscheidung durchführen.43 Obwohl in vielen älteren Arbeiten von einer moralischen Unterlegenheit der Troianer ausgegangen wurde, deren Annahme schon auf die Ilias-Scholien zurückgeführt werden kann und meist die späteren Vorurteile gegen die orientalischen „Barbaren“ widerspiegelt, liefert die Ilias dafür keine Indizien.44 Der in klassischer Zeit für das griechische Selbstverständnis grundlegende Antagonismus zwischen Griechen und „Barbaren“ ist bei Homer noch nicht ausgebildet.45 In den Schlachtschilderungen sind die Griechen den Troianern allerdings quantitativ hinsichtlich der Zahl ihrer Siege in Zweikämpfen überlegen,46 doch darin kommt m.E. keine Bevorzugung der Griechen zum Ausdruck, sondern es ist lediglich der Vorverweis auf die griechische Überlegenheit, die letztlich zum Fall Troias führen wird. Wie der Schiffskatalog und die Teichoskopie auf die Abfahrt der Griechen aus Aulis vor dem Krieg und den ersten Aufmarsch des griechischen Heers vor Troia zurückverweisen, weist der Tod des Patroklos auf

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2,204-205; 4,438), doch werden einzig die Karer einmal explizit als βαρβαρόφωνοι (Il. 2,867) bezeichnet. Dies ist jedoch der einzige Beleg für das Wort βάρβαρος in der gesamten Ilias. Einerseits tragen einige Griechen Namen asiatischen oder vorgriechischen Ursprungs (z.B. Zethos oder Theseus), andererseits sind die Namen vieler prominenter Troianer eindeutig griechisch (z.B. Andromache, Alexandros, Hektor), vgl. Hall 1989, 20. Ferner finden sich auf beiden Seiten Krieger, die dieselben Namen tragen, wie Agelaos (Troianer in Il. 8,257; Grieche in 11,302), Antiphos (Troianer in Il. 2,864; 4,498; 11,101, 104, 109; Grieche in 2,678), Adrestos (Troianer in Il. 2,830; 6,37, 45, 63; 11,328; 16,694; Grieche in 2,572; 14,121), Alastor (Troianer in Il. 5,677; 20,463; Grieche in 4,295; 8,333; 13,422), Amphimachos (Troianer in Il. 2,870; Grieche in 2,620; 13,185, 203), Areilykos (Troianer in Il. 16,308; Grieche in 14,451), Medon (Troianer in Il. 17,216; Grieche in 2,728; 13,693; 15,332), Noemon (Troianer in Il. 5,678; Grieche in 23,612), Orestes (Troianer in Il. 12,139; 193, Grieche in 5,705; 9,142), Peisandros (Troianer in Il. 11,122; 13,601; Grieche in 16,193) und Tlepolemos (Troianer in Il. 16,416; Grieche in 2,653; 5,659), vgl. Johnston 1988, 21 mit Anm. 5. Vgl. Maronitis 2004, 11-12. Zur Ablehnung der Position der edlen Griechen gegenüber den degenerierten troianischen Barbaren siehe Hall 1989, 21-25. Die umfangreichste Behandlung dieses Themas findet sich bei Hall 1989, 19-47. Vgl. auch Taplin 1992, 110-115. Für Unterschiede hinsichtlich der Darstellung durch Epitheta siehe Benardete 2005, 18-28. Benardetes Klassifizierung der Griechen als zivilisiert und der Troianer als „barbarisch“ sowie die daraus resultierende qualitative Unterscheidung der beiden Kriegsparteien kann ich jedoch in der Ilias nicht feststellen. Siehe insbesondere den numerischen Befund bei Armstrong 1969, 30, der bemerkt, dass nur 61 Griechen gegenüber 208 Troianern in der Ilias den Tod finden. Zur Darstellung der Troianer im Kampf siehe ferner die umfangreiche Monographie von Stoevesandt 2004 sowie Neal 2006a, 63-111. Zur griechischen Überlegenheit vgl. ferner Reinhardt 1961, 120-122, Benardete 1963, 3-12, Hall 1989, 30-32 sowie die Beobachtung von Jones 1995, dass der Dichter sich scheute, auf griechische Misserfolge der ersten neun Kriegsjahre einzugehen.

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den Tod Achills voraus, und ebenso ist der letztendliche Sieg der Griechen in den griechischen Erfolgen auf dem Schlachtfeld schon angedeutet.47 Dadurch, dass die Kämpfer beider Seiten gleichermaßen als Helden bezeichnet werden, kommt zum Ausdruck, dass es sich in dieser Hinsicht um eine einheitliche Gruppe handelt.48 Helden können durch äußere Umstände auf verschiedenen Seiten stehen, doch da sie durch ihre Zugehörigkeit zu einer der beiden Kriegsparteien nicht deutlich voneinander abgegrenzt werden, ergibt sich die Annahme, dass sie als Kollektiv auch einem einheitlichen „heroischen Code“ folgen, der ihre Bezeichnung als Helden rechtfertigt. Denn ehrenhaftes Verhalten wie auch ehrenvoller Kampf ist immer nur zwischen gleichrangigen Gegnern möglich, die einander aufgrund ihrer Ebenbürtigkeit mit Respekt begegnen können. 49 Die Stärke eines Kämpfers bemisst sich immer nach der Stärke seiner Gegner (vgl. Il. 1,266-267), und insofern wäre es der Darstellung von Heldentum abträglich, wenn eine der beiden Seiten deutlich schlechter dargestellt wäre, oder wenn die Gegner einander allzu ungleich wären.50 Es scheint charakteris-

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So schon Arist. Poet. 23 (1458a35-37) zur homerischen Technik: νῦν δ᾿ ἓν μέρος (sc. τοῦ πολέμου) ἀπολαβὼν ἐπεισοδίοις κέχρηται αὐτῶν πολλοῖς, οἷον νεῶν καταλόγῳ καὶ ἄλλοις ἐπεισοδίοις διαλαμβάνει τὴν ποίησιν (zitiert nach Aristotelis de arte poetica liber, ed. R. Kassel, Oxford 1965). Vgl. Hall 1989, 29: „But the whole story of the war from the judgement of Paris to the fall of Troy is telescoped into the poem’s narrative; the successes of the Achaeans in the earlier parts of the poem therefore prove not that the epic poets were jingoists, but that they were recapitulating the Achaean victories in the first nine years of the conflict.“ Zu dieser Position siehe auch Heubeck 1991 sowie Dowden 1996, 55-58 mit Literaturhinweisen. So auch Hall 1989, 19: „The heroic world remains homogenous, its inhabitants of more or less uniformly heroic status.“ Zur Ähnlichkeit der Kriegsgegner siehe auch Buchan 2012, 13-18. Vgl. Bowra 1952, 70: „In general, however bloodthirsty and fierce war may be, and whatever fury may possess its exponents, they are still bound by a certain code which insists that a hero’s opponents are ultimately of the same breed as himself and that he should treat them as he would wish to be treated himself.“ Ein aus heutiger Sicht bemerkenswerter Beleg hierfür findet sich im Treffen von Glaukos und Diomedes auf dem Schlachtfeld, Il. 6,119-236 und im Unentschieden des Zweikampfes Hektor gegen Aias, Il. 7,299-302. Vgl. auch Andreev 1975, 285, Kirk 1968, 112, van Wees 1996a, 30-34 sowie Silk 2004, 61: „Hector, Achilles and the other heroes, Trojan and Achaean, are conceived of as heroes first and Trojans or Achaeans next.“ Zur Ähnlichkeit der Kriegsgegner siehe auch Buchan 2012, 13-18. Vgl. Kirk 1962, 19, der zunächst als Grund für die Ähnlichkeiten von Griechen und Troianer „poetic simplification“ anführt, dann jedoch fortfährt: „But if the Trojans really had always been remembered as ‘barbarians’ in the Greek sense – non-Greek in their speech, that is, and therefore in their customs – then we might expect to find many of their peculiarities emphasized by the epic poets in order to increase the dramatic and pictorial effect of their songs. Carried too far, this would admittedly reduce

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tisch für die Vorstellung von Heldentum in der Ilias zu sein, dass die Helden als Männer mit gleichen Wertvorstellungen und Zielen gegeneinander kämpfen, und nicht etwa gegen fabelhafte Monster oder fremdartige Gegner, die ihnen deutlich über- oder unterlegen sind.51 Durch diese Universalität der Wertmaßstäbe impliziert der Dichter automatisch eine allgemeine Gültigkeit dieses Heldenkonzepts. Die pluralische Verwendung des ἥρως-Begriffs als Kollektivbezeichnung für Griechen und Troianer betont vor allem die Gleichwertigkeit der beiden Seiten, und ein Blick auf die Einzelhelden bestätigt diese Annahme. Die 48 Belegstellen im Singular beziehen sich ausschließlich auf menschliche, niemals auf göttliche Protagonisten des Epos: 33 entfallen auf unmittelbar namentlich genannte Helden. Explizit mit dem Epitheton ἥρως versehen werden Agamemnon (Il. 1,102; 7,322; 9,609; 13,112), Protesilaos (Il. 2,707), Peiroos (Il. 2,844), Machaon (Il. 4,200), Leitos (Il. 6,35), Adrestos (Il. 6,63), Laomedon (Il. 7,453), Agastrophos (Il. 11,338-339), Menoitios (Il. 11,770; 18,325), Eurypylos (Il. 11,818, 837), Asios (Il. 12,95), Thoas (Il. 13,92), Idomeneus (Il. 13,164, 384), Alkathoos (Il. 13,428), Meriones (Il. 11,575), Helenos (Il. 13,582), Kebriones (Il. 16,751, 781), Patroklos (Il. 17,137, 706; 23,151; 747), Asteropaios (Il. 21,163), Deiphobos (Il. 22,298), Meriones (Il. 23,893) und Automedon (Il. 24,474, 574). Bei den restlichen 15 Belegen wird der Name des betreffenden Helden nicht explizit genannt, und in diesen Fällen fungiert ἥρως nicht als ein Epitheton, sondern als eigenständige Beschreibung. Der Name kann aus dem Kontext ergänzt werden, und die Helden, die auf diese Weise als ἥρωες bezeichnet werden, sind Menelaos (Il. 3,377), Aineias (Il. 5,308; 20,104), Sthenelos (Il. 3,327), Agamemnon (Il. 6,61; 7,120; 23,896), Teukros (Il. 8,268), Diomedes (Il. 10,154, 179), Odysseus (Il. 10,416; 11,483), Meriones (Il. 13,164), Paris (Il. 13,788) und Achill (Il. 23,824). Es fällt auf, dass sowohl bedeutende Protagonisten der Ilias wie Agamemnon, Patroklos und Achill als auch „kleine Kämpfer“ eine Bezeichnung als ἥρως erfahren,52 während einige der wichtigsten Kämpfer beider Seiten in der obigen Liste nicht auftauchen, wie z.B. der Große Aias

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the heroic dimensions of the whole expedition.“ Vgl. auch Yamagata 1994, 196 zur Bemerkung, dass häufig gerade gefallene Helden mit dem durchwegs positiv konnotierten Adjektiv ἐσθλός bezeichnet werden. Monster erscheinen nur in der Zeit der Vorgängergenerationen der iliadischen Helden, wie z.B. die Chimaira, gegen die Bellerophon kämpfte (Il. 6,179) oder das Meerungeheuer aus der Zeit des Herakles (Il. 20,147). Vgl. Griffin 1977, 40-41 und Mackie 2008, 21-59. Siehe auch Bielohlavek 1957, 22-29 zum „Abenteuerheldentum“ des Herakles. Zur Unterscheidung von „großen Helden“ und sog. „kleinen Kämpfern“, deren einzige Funktion darin besteht, unmittelbar von bedeutenderen Helden getötet zu werden, vgl. die Monographie von Strasburger 1954.

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oder Hektor. Angesichts der Verwendung von ἥρωες als indifferentem Kollektivbegriff und der Anwendung des Singulars auf ansonsten vollkommen unbedeutende Helden lässt dieses Fehlen keinesfalls den Schluss zu, dass Kämpfer, die nicht explizit ἥρωες genannt werden, keine Helden wären. Exemplarisch deutlich wird dies bei Aias und Hektor, die nie als ἥρωες bezeichnet werden, aber doch unzweifelhaft als iliadische Helden zu gelten haben. Nachdem die Betrachtung der einzelnen explizit als ἥρως bezeichneten Helden folglich keine Begriffsabgrenzung ermöglicht, bietet es sich an, abermals die Helden als Kollektiv in den Blick zu nehmen und auf diesem Wege eine Definition zu versuchen. Der früheste Beleg für eine systematische Klassifizierung der ἥρωες findet sich in dem Werke und Tage genannten Lehrgedicht (Ἔργα καὶ ἡμέραι, Erg.) des böotischen Dichters Hesiod von Askra (vermutlich um 700 v. Chr.). Hesiods Einordnung kann zur Bestimmung des Wesens des homerischen Helden herangezogen werden, da seine Dichtung derselben epischen Tradition zuzurechnen ist und ein vergleichbares Weltbild präsentiert.53 In den Ausführungen über die fünf Zeitalter erscheint das Heroengeschlecht an vierter Stelle:54 Erg. 156-172: αὐτὰρ ἐπεὶ καὶ τοῦτο γένος κατὰ γαῖα κάλυψεν, αὖτις ἔτ᾿ ἄλλο τέταρτον ἐπὶ χθονὶ πουλυβοτείρῃ Ζεὺς Κρονίδης ποίησε, δικαιότερον καὶ ἄρειον, ἀνδρῶν ἡρώων θεῖον γένος, οἳ καλέονται ἡμίθεοι, προτέρη γενεὴ κατ᾿ ἀπείρονα γαῖαν. καὶ τοὺς μὲν πόλεμός τε κακὸς καὶ φύλοπις αἰνή τοὺς μὲν ὑφ᾿ ἑπταπύλῳ Θήβῃ, Καδμηίδι γαίῃ, ὤλεσε μαρναμένους μήλων ἕνεκ᾿ Οἰδιπόδαο, τοὺς δὲ καὶ ἐν νήεσσιν ὑπὲρ μέγα λαῖτμα θαλάσσης

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Auch wenn Hesiod im Fortgang der Werke und Tage eine Lebenswelt beschreibt, die mit seiner eigenen Zeit übereinstimmen dürfte, ist seine Vorstellung der heroischen Vergangenheit mit Homers epischer Welt identisch, vgl. Matthiessen 1977, 181-183, Clay 1983, 170-176, Thalmann 1984, xi-xiii, Slatkin 1987, 160-166 Ford 1992, 44-47 sowie Graziosi/ Haubold 2005, 35-43: „(...) the Homeric and the Hesiodic epics describe the same world, albeit from different perspectives and at different stages of development. This shared vision of the cosmos lies at the heart of the early epic tradition“ (36). Zum „heroischen Kosmos“ der frühgriechischen Epik siehe auch Thalmann 1984, 75-77. Es sei vorweggenommen, dass das homerische Heldenbild mit dem hesiodeischen insofern übereinstimmt, als die Helden als ein vergangenes Menschengeschlecht klassifiziert werden. Der einzige Unterschied beider Darstellungen besteht darin, dass bei Hesiod die Helden nach dem Tod eine Existenz auf den Inseln der Seligen erwartet, während diese Vorstellung in der Ilias vermutlich bewusst ausgeblendet wird. Der Verweis auf die Katabasis des Herakles bezieht sich auf eine frühere Zeit (Il. 8,367-369), vgl. Mackie 2008, 25-26. Zur Struktur des Weltzeitaltermythos bei Hesiod siehe Calame 2009, 71-85 sowie Schwinge 2012, dort v.a. 436-440 zum Heroischen Geschlecht.

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Einleitung ἐς Τροίην ἀγαγὼν Ἑλένης ἕνεκ᾿ ἠυκόμοιο. ἔνθ᾿ ἦ τοι τοὺς μὲν θανάτου τέλος ἀμφεκάλυψεν, τοῖς δὲ δίχ᾿ ἀνθρώπων βίοτον καὶ ἤθε᾿ ὀπάσσας Ζεὺς Κρονίδης κατένασσε πατὴρ ἐν πείρασι γαίης, καὶ τοὶ μὲν ναίουσιν ἀκηδέα θυμὸν ἔχοντες ἐν μακάρων νήσοισι παρ᾿ Ὠκεανὸν βαθυδίνην· ὄλβιοι ἥρωες, τοῖσιν μελιηδέα καρπόν τρὶς ἔτεος θάλλοντα φέρει ζείδωρος ἄρουρα.55 Jedoch nachdem auch dieses Geschlecht die Erde verborgen hatte, erschuf Zeus, der Sohn des Kronos, noch ein viertes Geschlecht auf der vielnährenden Erde, gerechter und besser, ein göttliches Geschlecht von Heroen, die Halbgötter genannt werden, unsere Vorgängergeneration auf der unendlichen Erde. Schlimmer Krieg und schreckliche Schlacht tilgte auch diese, die einen beim siebentorigen Theben im Lande des Kadmos im Kampf wegen der Herden der Oidipus, die anderen aber, als er sie in ihren Schiffen über den Meeresschlund nach Troia geführt hatte wegen der schönhaarigen Helena. Die einen umfing dort nun das Ende des Todes, den anderen aber verlieh fern der Menschen Leben und Wohnsitze Vater Zeus, der Sohn des Kronos, und versetzte sie an die Ränder der Erde, und mit unbeschwertem Mut leben sie auf den Inseln der Seligen am tiefwirbelnden Okeanos: Die seligen Heroen, denen honigsüße Frucht dreimal im Jahr die fruchtbare Erde spendet.

Die Heroen erscheinen bei Hesiod als Angehörige eines „Heroenzeitalters“, eines früheren Menschengeschlechts, das chronologisch zwischen dem ehernen Geschlecht (Hes. Erg. 143-155) und dem fünften Geschlecht der heutigen Menschen (Hes. Erg. 173ff., leider korrupt56) angesiedelt ist. Wie die Verweise auf den Thebanischen und den Troianischen Sagenkreis zeigen, sind ihre Existenz und ihre Zeit durch große Kriege gekennzeichnet, die zum Untergang des gesamten Geschlechts führen (Erg. 161-166).57 In der Zuordnung zu unterschiedlichen „Geschlechtern“ kommt ein „ausgeprägtes historisches Bewußtsein von der Verschiedenartigkeit der dargestellten Zeit zur Gegenwart“58 zum Ausdruck. Diese Vorstellung, dass es sich bei den Troia-Kämpfern der homerischen Epen um ein vergangenes Geschlecht handelt, findet sich nicht nur in epischer (also aus unserer

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Text zitiert nach West 1978. Siehe dazu West 1978, 194-197 ad loc. Zum Verhältnis des Eisernen Zeitalters zum Heroischen Zeitalter siehe auch Calame 2009, 81-85. Vgl. Pötscher 1961, 334. Vgl. auch Mackie 2008, v.a. 155-186 zur Ausführung der These, dass innerhalb des heroischen Geschlechts eine Entwicklung steigender Destruktivität stattfand. Kullmann 1995, 60. Siehe hierzu auch Grethlein 2006a, 163-179, der betont, dass die Unterschiede ausschließlich quantitativer, nicht jedoch qualitativer Art sind.

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heutigen Sicht fiktionaler, d.h. poetisch geformter Literatur), sondern ist allgemein fest im griechischen Denken verankert. Der Troianische Krieg und seine Protagonisten waren auch für die Griechen der Klassischen Zeit noch historische Realität: Sie sahen in den homerischen Epen Erzählungen von realen Ereignissen aus einer längst vergangenen Zeit, die immer noch einen mehr oder weniger direkten Einfluss auf ihre Gegenwart ausübten und zur eigenen Gegenwart in Bezug gesetzt werden konnten.59 Allerdings wurde eine deutliche Trennung zwischen der heroischen Vergangenheit und der Gegenwart des Dichters vorgenommen, die der heldenhaften Vorzeit in jeder Hinsicht unterlegen war.60 Zwar sind die Helden der homerischen Epen menschliche Wesen und zeichnen sich durch die gleichen Fähigkeiten wie die späteren Generationen aus, doch besitzen sie diese in höherem Maß.61 Es sei vorweggenommen, dass diese Steigerung keine Idealisierung bedeutet, sondern einzig „eine Erhöhung des dem Menschen Möglichen im ganzen, sei es gut oder böse.“62 Ein Aspekt, der diese Erhöhung zu illustrieren vermag, ist das Aussehen und die „äußeren Qualitäten“ der Helden.63 Die Helden, die im Kollektiv εἶδος ἀγητοί „an Aussehen Vortreffliche“, genannt werden, zeichnen sich durch Schönheit, Größe und vornehmes Aussehen aus,64 und der Vorzug körperlicher Schönheit fungiert als ein äußeres Kennzeichen herausragender Helden.65 Sie ist ein Darstellungsmittel zur Hervorhebung eines

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Vgl. Hdt. 1,3-4, Thuk. 1,9-11. Zur Bedeutung Homers für die Konstruktion griechischer Geschichte und Identität siehe Grethlein 2010, 393-396. Siehe auch Ford 1992, v.a. 13-56 zur Bestimmung der Literaturgattung Epos als „poetry of the past.“ Vgl. Patzek 1992, v.a. 145-185 sowie Kullmann 1995, 59-61. Das Gefühl der Unterlegenheit bezieht sich dabei sowohl auf die Größe, Stärke und Leistungsfähigkeit, die den Helden zugeschrieben wurden, wie auch auf die materielle Kultur. Vgl. Patzer 1996, 158-160 sowie Grethlein 2010, 391. Die Vorstellung von der Überlegenheit der Vorzeit, die insbesondere in den Reden Nestors zum Ausdruck kommt, bestimmt auch das Verhältnis der Helden zur Vergangenheit im Epos. Zu diesem „heroischen Plusquamperfekt“ siehe Grethlein 2010, 388-389; zu einem daraus im Epos entstehenden „Generationenkonflikt“ siehe Querbach 1976. Patzer 1991, 22. Vgl. auch Marg 1962, 22-23, Clarke 2004, 79-80 sowie Grethlein 2006a, 43-62. Vgl. die Begriffsbestimmung bei Bernsdorff 1992, 16-19: „Unter ‚Aussehen‘ einer Person verstehe ich die Summe der Qualitäten, die an dem Körper der Person ohne eine Aktivität des Trägers unmittelbar optisch wahrnehmbar sind“ (S. 18). Vgl. Spieß 1913, 9-11 sowie Bowra 1952, 99: „A hero’s appearance reveals his essential superiority and difference from other men. There is something about it which reveals unusually strong fires within him. Divine blood may sometimes help, but it too is not essential.“ Ebenso auch Miller 2000, 193-195. Vgl. King 1987, 3-4 sowie Patzer 1996, 166-167. Siehe auch Kluth 1957, 10: „Der Mensch von Prestige braucht eine sinnlich wirksame, plastische, konkrete Erscheinung.“

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Einzelhelden aus dem Kollektiv, und wenn ein Held besonders hervorgehoben werden soll, wird er als außerordentlich ansehnlich dargestellt oder mit den Göttern verglichen (z.B. Agamemnon in Il. 2,478-483, v.a. 2,483: ἐκπρεπέ᾿ ἐν πολλοῖσι καὶ ἔξοχον ἡρώεσσιν). So wird das Aussehen des Aias, der ansonsten weniger für seine Schönheit, als vielmehr für seine Standhaftigkeit im Kampf gerühmt wird,66 einmal ausdrücklich erwähnt und dies gerade an einer Stelle, als der Dichter die Vortrefflichkeit und Kampfkraft des Aias hervorzuheben sucht (Il. 17,279-280).67 Die Ansehnlichkeit des Helden ist somit immer Indikator seiner Fertigkeit und Kampfkraft, und während diese Verbindung von äußerer Schönheit und hervorragenden Qualitäten in anderen Bereichen in den homerischen Epen nie explizit erwähnt wird, kann sie doch ex negativo aus Stellen erschlossen werden, an denen die Diskrepanz zwischen Aussehen und Fähigkeiten hervorgehoben wird.68 So ist Nireus „als der schönste Mann nach Ilion gekommen {vor den anderen Danaern, nach dem vortrefflichen Sohn des Peleus}“, doch gleichzeitig wird gesagt, dass „er schwach war, und wenig Kriegsvolk folgte ihm“ (Il. 2,673-675).69 Auch an Paris, der mehrmals als „gottgleich“ (Il. 3,16, 30, 37, 58: Ἀλέξανδρος θεοειδής) bezeichnet wird und aufgrund seiner Schönheit die Ursache des Troianischen Krieges wurde, zeigt sich, dass edles Aussehen ein Grund für Spott und Verachtung sein konnte, wenn der Held sich seiner Schönheit nicht würdig erweist. So spricht Hektor seinen Bruder Paris als εἶδος ἄριστε (Il. 3,39) an und weist ihn in der folgenden Rede darauf hin, dass er sich das Gelächter der Griechen zuziehen werde, sobald diese erkennen, dass er zwar schön, aber kein wehrhafter Krieger ist (Il. 3,43-45).70 Die Schönheit eines Helden bedingt eine Erwartungshaltung hinsichtlich seiner kämpferischen Fähigkeiten und hat im Falle des Versagens Spott und Hohn zur Folge. 71 Die Bedeutung des Aussehens lässt sich durch einen kurzen, aber aussagekräftigen Blick auf die wenigen Gegenbilder abrunden. In der Ilias treten nur zwei Personen auf, die offen als hässlich bezeichnet werden, der

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Zum Charakter des Aias siehe Trapp 1961 sowie Classen 2008, 33-38. Vgl. Benardete 2005, 44. Vgl. Bernsdorff 1992, 25-35 zum „Werteverhältnis +/-.“ Der Topos „gutes Aussehen, aber schlechte Kampfleistung“ ist ein häufiger Bestandteil epischer Schlachtparänesen. Vgl. auch Bernsdorff 1992, 25, Benardete 2005, 44 und Hildebrandt 2007, 191. West 1998-2000 hält den Vers Il. 2,674 für interpoliert, da er mit Vers Il. 17,280 identisch ist. Angesichts der Beobachtung, dass es sich bei Schönheit um einen Topos zu handeln scheint, der nach Bedarf zum Ausdruck von Kampfkraft eingesetzt werden kann, bin ich eher geneigt, den Vers als echt anzusehen. Zur Verwendung der Anrede εἶδος ἄριστε als Beleidigung siehe auch Fenik 1968, 167168 sowie Krieter-Spiro 2009, 29 ad loc. Vgl. auch Il. 5,787; 8,228; 17,142. Zu Paris siehe ferner Collins 1988, 36-39 sowie Bernsdorff 1992, 28-35.

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griechische Soldat Thersites in Buch 2 und der troianische Späher Dolon in Buch 10, der als „hässlich im Aussehen, aber fußschnell“ (Il. 10,316: εἶδος μὲν κακός, ἀλλὰ ποδώκης) beschrieben wird.72 Im Falle des Thersites handelt es sich um die ausführlichste Beschreibung körperlicher Merkmale in der Ilias, und dies verfolgt offenbar den Zweck, ihn durch die Verbindung von Äußerlichkeiten und moralischen Wertungen zu charakterisieren. Damit weist diese Passage auf eine soziale Unterteilung der heroischen Gesellschaft hin, die der bisherigen Betrachtung des ἥρως-Begriffs nicht inhärent ist.73 Die Darstellung des Thersites nimmt negativ Bezug auf die Eigenschaften, die sonst echten Helden zugeschrieben werden: Thersites ist hässlich (Il. 2,216: αἴσχιστος), ein homerischer Held hingegen gottgleich in seiner Schönheit (θεοείκελος, θεοειδής u.a.). Thersites ist krummbeinig und hinkt (Il. 2,217: φολκός, χωλός), ist bucklig und beinahe glatzköpfig (Il. 2,217-218: ὤμω κυρτώ ἐπὶ στῆθος συνοκωχότε; 2,219: ψεδνὴ λάχη).74 Das Aussehen eines echten Helden lässt sich gleichsam als Gegenbild zu Thersites konstruieren, denn insgesamt finden sich nur wenige konkrete Aussagen zum Aussehen der Helden. Die häufigste Beschreibung ist die unbestimmte Formel ἠύς τε μέγας τε „tüchtig und groß“ (z.B. Il. 3,167, 226), in dem die Charaktereigenschaft ἠύς „tüchtig“ oder „wacker“ (zu ἐύ/εὖ „gut“), mit dem offensichtlich das Aussehen beschreibenden Adjektiv μέγας „groß“, „stattlich“ gepaart wird. Die beiden Adjektive stehen in keinem erkennbaren Abhängigkeitsverhältnis, doch die formelhafte, kopulative Beiordnung deutet an, dass beide Begriffe zusammengehören.75 Weitere Adjektive, die den Körperbau eines Helden und den Eindruck, den er auf andere macht, beschreiben, sind πελώριος „gewaltig“ (Aias, Il. 3,166, 229; 7,211; 17,174, 360; Periphas, 5,842, 847; Hektor, 11,819; Achill, 21,527; 22,92), γεραρός „stattlich“ (Agamemnon, Il. 3,170), εὐρὺς ὤμοισιν „breitschultrig“ (Odysseus, Il. 3,194). Daraus lässt sich ableiten, dass es zum Bild eines Helden gehört, groß gewachsen und von ansehnlicher Gestalt zu sein, während Thersites bucklig und verkrüppelt ist. Zudem pflegen Helden die Haare lang zu tragen (vgl. Il. 2,11, 28, 51, 65, 323, 443, 472, 542: κάρη κομόωντες Ἀχαιοί), wobei

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Zu Dolon und seiner Charakterisierung vgl. Bernsdorff 1992, 38-40. Vgl. besonders Thalmann 1988, 15: „In his person, Thersites radically challenges [the heroic] norm: not everyone in this heroic world is well-formed. His grotesque ugliness, moreover, seems to play on the Greek tendency to regard physical appearance as a correlate of moral worth, and to relate both to social class (aristocrats, of course, being both good and handsome). This assumption is ideological; it attempts to justify social distinction by giving them a biological basis and thus by making what is cultural seem natural.“ Siehe auch Bernsdorff 1992, 42-43. Zu Thersites‘ Aussehen und seiner Wertung siehe Bernsdorff 1992, 40-45. Der Gesamteindruck ist trefflich zusammengefasst bei Reinhardt 1961, 100: „Der Plebejer in der Karikatur, der wie in einem Steckbrief alle Merkmale des Unheldischen in seiner Gestalt vereinigt, (...).“ Vgl. Bernsdorff 1992, 20-24.

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die langen Haare des Helden nicht nur Symbol von Kraft und Jugendlichkeit zu sein scheinen, sondern auch – zumal im Kontrast mit der Glatzköpfigkeit des Anti-Helden Thersites – ein Statusmerkmal.76 Ferner steht auch die Lahmheit des Thersites in pointiertem Gegensatz zur Schnelligkeit und Gewandtheit mancher Helden (vgl. die Epitheta πόδας ὠκύς, ποδώκης, ποδάρκης). In der Welt des Heroischen Zeitalters werden die Helden folglich als stattlich und schön dargestellt, und ihr Aussehen ist sowohl Standeskennzeichen als auch äußerer Ausdruck ihrer überlegenen Stärke. Im archaischen Denken war es nur selbstverständlich, dass die innere Wesensart eines Menschen, seine φύσις, ihren Ausdruck in einem bestimmten Aussehen finden musste, und die φύσις der ἥρωες besteht insbesondere in ihrer aus Sicht des Dichters übermenschlichen Stärke. Exemplarisch deutlich wird dies in Bemerkungen, die sich auf die Fähigkeit der Helden beziehen, gewaltige Feldsteine aufzuheben und als Wurfgeschosse zu verwenden, die keiner der Menschen späterer Generationen auch nur anzuheben in der Lage wäre (Il. 5,302-304; 12,381-383, 445-449; 20,285-287). Hierin zeigt sich die Distanz der erzählten Zeit zur Erzählzeit,77 und es wird ersichtlich, dass die Menschen der homerischen Welt gegenüber den Menschen der Gegenwart des Dichters hinsichtlich ihrer Größe und Stärke als weit überlegen imaginiert wurden. Mit Bemerkungen, die auf die außergewöhnliche Schönheit oder Stärke der Helden verweisen, hält der Dichter seinem Publikum präsent, dass sich die Handlung des Epos in einer mythischen Vergangenheit, dem „Heroischen Zeitalter“, abspielt.78 Der Dekadenzgedanke, der hierin zum Ausdruck kommt, also die Vorstellung, dass frühere Generationen ihren Nachkommen überlegen sind, gehört zum Gedankengut der homerischen Epen wie auch der gesamten frühgriechischen Dichtung. Entsprechend werden auch die Helden vergangener Generationen als den Helden der Ilias überlegen dargestellt.79

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Zur besonderen Bedeutung der Haare eines Helden in der Heldendichtung siehe Miller 2000, 195-197. Vgl. auch Bremmer 1978 zu den ephebischen Zügen der meisten bedeutenden Helden der Ilias. Zu dieser „epischen Distanz“ siehe Redfield 1994, 35-39, Tandy 1997, 8-13, Graf 1998, 477 sowie Grethlein 2006a, 163-179. Entsprechend wäre es auch exakter, hier statt vom Dichter vom externen Erzähler zu sprechen, vgl. de Jong 2004, 44-45. Siehe van Wees 1992, 6-10. Vgl. die Erzählungen Nestors aus seiner Jugend (Il. 1,260, 262, 271-272), das Exemplum des Tydeus (Il. 4,370-400) oder der Verweis auf die erste Eroberung Troias durch Herakles (Il. 5,638-643). Ausnahmen dieses Schemas sind erwähnenswert, z.B. Periphetes, der Sohn des Kopreus, „der bessere Sohn eines schlechteren Vaters“ (Il. 15,641). Kritisch zur epischen Vergangenheit in der Ilias siehe Turkeltaub 2010. Siehe auch Querbach 1976 zu einem aus diesem Denken entstehenden „Generationenkonflikt“ im Epos sowie Mackie 2008, 34-40 zu iliadischen Helden und Helden der Vorgängergenerationen.

Held und „Heroisches Zeitalter“

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Ein weiterer Aspekt der epischen Überhöhung, der für das Verständnis des Wesens der homerischen Helden essentiell ist, ist ihre Bezeichnung als „Halbgötter“ (nur Il. 12,23: ἡμίθεοι). Der Dichter berichtet aus der Distanz seiner eigenen Zeit von der Zerstörung der Schiffsmauer bald nach dem Troianischen Krieg (Il. 12,10-35), die dadurch erfolgte, dass die Götter Flüsse dorthin umlenkten, „wo viele Rindshautschilde und Helme niederfielen in den Staub und das Geschlecht der halbgöttlichen Männer“ (Il. 12,22-23: ὅθι πολλὰ βοάγρια καὶ τρυφάλειαι / κάππεσον ἐν κονίῃσι καὶ ἡμιθέων γένος ἀνδρῶν). Dabei handelt es sich um die Prolepse der Ilias, die am weitesten in die Zukunft ausgreift, und daher ist dies in beiden homerischen Epen die einzige Stelle, an der der Dichter die Illusion der erzählten, epischen Zeit durchbricht und das Geschlecht der Helden als „Halbgötter“ (ἡμίθεοι) bezeichnet.80 So konstatiert auch der Lehrdichter Hesiod, der ebenfalls aus der epischen Distanz spricht, dass die Menschen des „Heroischen Zeitalters“ in seiner Zeit Halbgötter genannt werden (Erg. 159-160: ἀνδρῶν ἡρώων θεῖον γένος, οἳ καλέονται / ἡμίθεοι81). Denn obwohl einige Helden tatsächlich formal korrekt als Halbgötter zu bezeichnen wären, insofern als sie ihre Abkunft auf göttliche Vorfahren zurückführen können, entspricht die Bezeichnung als Halbgötter nicht der normalen Anthropologie der Ilias. Es lässt sich zeigen, dass in der griechischen Literatur nach Homer die Bezeichnung ἡμίθεοι ungeachtet tatsächlicher göttlicher Abkunft eine Ausweitung auf das gesamte Menschengeschlecht der epischen Zeit erfuhr,82 wohingegen der Begriff mit Ausnahme der oben zitierten Passage bei Homer fehlt. Dies liegt darin begründet, dass der Dichter die Helden nur aus der epischen Distanz der Erzählzeit als ἡμίθεοι bezeichnen konnte, während in der erzählten Zeit des Epos diese

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Vgl. Ford 1992, 148-149 und v.a. Nagy 1999, 159-160 (§§15-16). Siehe auch de Jong 2004, 88, die diese Stelle unter dem Überbegriff der „external prolepses“ behandelt. Im Zuge der Homer-Analyse wurde diese ungewöhnliche Bezeichnung der Helden hingegen dadurch erklärt, dass die Stelle als „spät“ eingeordnet wurde, so z.B. Eitrem 1913, 1112. Auch die anderen Belegstellen für die Vokabel ἡμίθεοι (immer Plural) im frühgriechischen Epos, Hes. Frg. 204,100 Merkelbach/West (vermutlich auch Frg. 1,12, vgl. Matthiessen 1977, 181-182) sowie Hym. Hom. 31,19 und 32,19, beziehen sich jeweils auf das vergangene Heroengeschlecht als Ganzes. Vgl. West 1978, 370-373, Thalmann 1984, 103-106 und Calame 2009, 78. Vgl. van Wees 2006, 364-366 sowie Hainsworth 1993, 320 ad Il. 12,23. Vgl. auch Bremmer 2006, 25 mit Anm. 93 zur Beobachtung, dass ἡμίθεος nicht nur als „halbgöttlich“, sondern auch als „beinahe göttlich“ (Vergleich mit ἡμι-θνής) gedeutet werden kann. Siehe auch Langerwerf/Ryan 2010, 11-16 zur Entwicklung des HerosBegriffs bei Platon und den Tragikern.

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Bezeichnung einen Anachronismus darstellt: 83 „Whereas hḗrōes is the appropriate word in epic, hēmítheoi is more appropriate to a style of expression that looks beyond epic.“84 So fehlt dem Wort ἥρως, das in den homerischen Gedichten ausschließlich lebende Personen bezeichnet, jegliche religiöse Implikation und wird erst im späteren Griechisch zur Bezeichnung für einen Heros des Kults. 85 Es besteht weitestgehend Konsens darüber, dass die Ursprünge der historisch nachweisbaren Heroenkulte bis in protogeometrische Zeit und die „Dark Ages“ zurückreichen,86 sowie darüber, dass der epische Dichter mit den Kultbräuchen der Heroenverehrung seiner eigenen Zeit vertraut war.87 Die in klassischer Zeit gängigste Funktion des Helden als Lokalheros oder

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Zur Auffassung späterer Dichter, dass der Held als ein Wesen galt, das eine Zwischenstellung zwischen Göttern und Menschen innehat, siehe Pind. O. 2,2: τίνα θεόν, τίν᾿ ἥρωα, τίνα δ᾿ ἄνθρωπον κελαδήσομεν; (zitiert nach Pindarus: Epinicia, edd. B. Snell/H. Maehler, Stuttgart/Leipzig 81997). Siehe dazu auch Eitrem 1913, 1111-1112 sowie Currie 2005, v.a. 29-84 zum Vergleich des homerischen mit dem pindarischen Heldenbild. Nagy 1999, 160 (mit Hervorhebungen). Zum Begriff des ἥρως in den homerischen Gedichten siehe auch West 1978, 370-373 sowie LfgrE II, 939, das vom „retrospektiven Zug“ des epischen ἥρως spricht, das „im Abstandgefühl des Späteren die mit hervorragenden Eigenschaften ausgestatteten Männer einer großen Vergangenheit“ bezeichne. Zu dem gleichen Schluss kommen auch Cunliffe 1963, 183, Taplin 1992, 139, Clarke 2004, 78-79, v.a. Anm. 20, Mueller 2009, 193 und Jones 2010, 3. Brelich 1958, 307 sowie van Wees 1992, 7-8 und 2006, 366-370 hingegen argumentieren, dass ἥρως auch bei Homer schon einen halbgöttlichen Krieger eines ausgestorbenen Geschlechts bezeichnet. Der Unterschied dieser beiden Deutungen liegt ausschließlich in ihrer Perspektive: die Krieger, die in der dramatischen Zeit des Epos in ihrem heroischen Zeitalter sterbliche Kämpfer sind, sind aus der Sicht des Dichters schon halbgöttliche Wesen einer vergangenen Zeit. Vgl. Snodgrass 1988, 182 sowie Pulleyn 2000, 119 ad Il. 1,4. Siehe ferner LSJ Bedeutung 3 von ἥρως: „heroes, as objects of worship“ für spätere Belegstellen. Zu diesem Aspekt siehe v.a. Nagy 1983, 195-206 und 1999, 94-117 sowie Bremmer 2006, v.a. 17-20 zum Befund, dass die religiöse Bedeutung von ἥρως nicht vor dem Ende des 6. Jhd. v. Chr. nachweisbar ist und sich viele Aspekte des Heroenkults erst im Laufe des 5. Jhd.s v. Chr. herausbildeten. Zur archäologischen Evidenz für Heldenkulte in vorhomerischer Zeit siehe Hadzisteliou Price 1979. Vgl. auch Kullmann 1985, 16: „(…) the poet of the Iliad does not seem to believe in a lasting activity of the heroes in their tombs, that is, in a limited immortality, as presumably did many of his contemporaries.“ Die Position, dass sich historische Heroenkulte aus Ahnenverehrung entwickelt hätten und dass die homerischen Epen keine Hinweise auf vergleichbare Kultpraktiken enthielten, wurde von Rohde 1908 und Farnell 1921 vertreten und gilt mittlerweile als widerlegt. Zu Spuren von Heldenverehrung in den Epen siehe v.a. die bei Pfister 1948, 150 aufgeführten Passagen sowie Hack 1929, 64-65, 72-73, Hadzisteliou Price 1973, v.a. 131-142, Coldstream 1976, 15-17, Currie 2005, 48-59. Zur Evidenz für Heldenverehrung in geometrischer Zeit siehe Deoudi 1999.

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Kultheld wurde jedoch vom Dichter aus offensichtlichen Gründen bewusst ausgeblendet, und das Fehlen von Heldenverehrung ist in den Erfordernissen der Gattung begründet: Zum einen ist die erzählte Zeit der homerischen Epen das Zeitalter der Heroen, in dem die Helden, die später in der Zeit des Dichters als mythisch-halbgöttliche Wesen einer vergangenen Ära verehrt wurden, noch leben. Damit wäre auch die Idee von Heroenkult in der heroischen Welt ein „Anachronismus“, insofern als die kultische Verehrung verstorbener Kämpfer die epische Fiktion durchbräche.88 Zum anderen widerspricht die Vorstellung vom Helden als halbgöttlichem Kultheros der Konzeption, die Homer ansonsten in seinen Gedichten entwirft und in der gerade die Sterblichkeit des Helden von besonderer Bedeutung ist.89 Zudem spricht auch die panhellenische Ausrichtung der homerischen Epen gegen die Erwähnung von Heroenkulten und Kulthelden, deren Verehrung und Einfluss traditionell lokal begrenzt war.90 Als Definition kann somit festgehalten werden, dass ἥρως bei Homer einen in der epischen Gegenwart lebenden Krieger eines vergangenen Menschengeschlechts bezeichnet, das für die Zeit des Dichters Vorbildcharakter besitzt.91 In der Gegenwart der epischen Welt dient der Begriff des ἥρως als allgemeiner Terminus für einen „Kämpfer“ oder „Krieger“. Diese Einschätzung findet auch in der oben zitierten Hesiod-Passage Bestätigung, da das Geschlecht der Helden insbesondere durch seine Kriege um Theben und Troia gekennzeichnet ist (Hes. Erg. 161-166). Damit deckt sich die homerische Bedeutung des Wortes ἥρως mit der Etymologie der deutschen Vokabel „Held“, deren Grundbedeutung ebenfalls „Mann“ oder „Kämpfer“ gewesen zu sein scheint.92 Die Bezeichnung „Heros“ hingegen enthält im Deutschen eine religiös-kultische Konnotation, die den homerischen Epen

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Vgl. Hack 1929, 68-74, Hadzisteliou Price 1973, 129-130, Nagy 1983, 201, Antonaccio 1994, 391, Patzek 2003, 102-103, Currie 2005, 48-57 und van Wees 2006, 366-370. Zum umstrittenen Einfluss der Epen auf die Entwicklung des Heldenkults siehe Snodgrass 1988 und Antonaccio 1994. Vgl. dazu Schein 1984, 47-49 mit dem Fazit: „If Homer had introduced hero cults into the Iliad, he would have violated the poem’s general Panhellenic orientation as well as its thematic emphasis on mortality and human sufferings and achievements“ (S. 49). Dazu Nagy 1999, 116: „The hero of cult must be local because it is a fundamental principle in Greek religion that his power is local. On the other hand, the Iliad and Odyssey are Panhellenic. What results is that the central heroes of this epic tradition cannot have an overtly religious dimension in the narrative.“ Vgl. auch Danek 2010, 68. Vgl. die Rückführung auf altgerm. *haliƥ-, *haluƥ- „(freier) Mann“, „Krieger“; „Held“ in: Duden. Das Herkunftwörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, Mannheim/Zürich 42007, 332 s.v. Held. Siehe auch die Hinweise auf sanskr. viras, lat. vir, goth. vair bei Ebeling 1963, 548.

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fern liegt, und deshalb wird auch in den folgenden Ausführungen von homerischen Helden, nicht von Heroen die Rede sein. Der homerische Gebrauch ist mit dieser Klassifizierung gut zu erklären: Der ἥρως ist im epischen Sprachgebrauch ein Kämpfer eines vergangenen Menschengeschlechts.93 Die Bezeichnung ἥρωες im Plural bezeichnet das gesamte Geschlecht und wird damit in der erzählten Zeit, in der das Heroenzeitalter ja die Gegenwart darstellt, manchmal auch nur zu einem Synonym für „Männer.“94 Da der Begriff des Helden durch seinen starken Bezug auf ein vergangenes „Heroisches Zeitalter“ im griechischen Denken eine unbestreitbar historische Dimension besitzt, ist es nötig, kurz auf die Historizität der epischen Darstellung einzugehen. Denn insbesondere in der neueren Forschung wurde die Frage aufgeworfen, in welcher historischen Epoche die in den homerischen Epen dargestellte Zeit zu verorten sei. Aus philologischer Warte ist zu konstatieren, dass die Gedichte einen literarisch-fiktiven Kosmos entwerfen, der zunächst keine Historizität beanspruchen kann. Allerdings ergibt die Darstellung der Welt, wie sie in den homerischen Epen erfolgt, ein in sich geschlossenes Bild, das in der Forschung daher als „homerische Gesellschaft“ bezeichnet wird.95 Die Frage nach einer möglichen historischen Einordnung der homerischen Gesellschaft ist ausführlich diskutiert worden, und es darf als unbestritten gelten, dass die homerischen Epen aufgrund der langen Tradition der Epen Bezüge auf die materielle und soziale Kultur der Zeit Homers (8. Jhd. v. Chr.), der sog. „Dark Ages“ (ca. 12. – 8. Jhd. v. Chr.) und vielleicht sogar der mykenischen Epoche (17. – 12. Jhd. v. Chr.) enthalten.96 Jedoch besteht über deren jeweiliges Ausmaß und ihre exakte historische Einordnung kein Konsens in der Forschung, 97

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So auch Ebeling 1963, 548: „Heros: homo, qui vixit primis Graeciae temporibus.“ Vgl. Miller 2000, 3 sowie van Wees 2006, 366-370. Darauf scheint sich auch ein homerisches Scholion zu dem Begriff zu beziehen, das nur lapidar konstatiert: ἥρωάς φασι --- τὸ τῶν ἀνθρώπων γένος (Σ A zu Il. 1,4). Vgl. auch Calhoun 1963, v.a. 433-434 zur Beobachtung, dass die im Epos dargestellten Männer beinahe ausnahmslos freie Krieger sind, die sich zwar in ihren spezifischen Fähigkeiten und Qualitäten, nicht jedoch prinzipiell hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Status unterscheiden. Vgl. z. B. van Wees 1992, 261-262. Vgl. Lesky 1999, 73-79. Ausführlich zu Bezügen auf die mykenische Zeit siehe Page 1959, 218-264, Bowra 1961, Kirk 1962, 105-125, Luce 1975 sowie Patzek 1992. Wie Kullmann 1995, 57-59 beantwortet Patzek 1992 jedoch in ausführlicher Studie die Frage nach zuverlässigem Material zur mykenischen Zeit insgesamt negativ. Zur prinzipiellen Problematik solcher Betrachtungen siehe v.a. Snodgrass 1974, 122125 sowie Andreev 1988, 5-6, Stein-Hölkeskamp 1989, 15-22, Raaflaub 1997, 625-628, Osborne 2004, v.a. 216-218 und Hildebrandt 2007, 172-178. Für einen Forschungsüberblick zu dieser Fragestellung siehe insgesamt Snodgrass 1974, 114-115 und den Aufsatz von Gschnitzer 1991.

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und einige Gegenstände, wie beispielsweise der große Rundschild der Helden, scheinen überhaupt kein historisches Gegenstück zu haben. 98 Dieser Befund deckt sich mit den Beobachtungen zur homerischen Sprache, auf die an dieser Stelle jedoch nicht ausführlich eingegangen werden kann. Festzustellen ist jedoch, dass es sich bei der sog. „homerischen Kunstsprache“ um eine Sprachform handelt, in die neben Elementen verschiedener historischer griechischer Dialekte auch Formen Eingang gefunden haben, die jeglicher sprachlichen Realität entbehren und zu keiner Zeit Bestandteil der gesprochenen Sprache waren. Der Zweck der künstlichen wie auch kunstvollen Form der homerischen Sprache besteht nicht nur darin, für die nötige metrische Flexibilität zu sorgen, sondern auch darin, der epischen Sprache einen ehrwürdigen und archaisierenden Charakter zu verleihen.99 Inhalt wie Sprache der Epen sollen für das Publikum den Glanz und die Würde vergangener Zeit wieder aufleben lassen, und der Schluss erscheint plausibel, dass auf die Historizität der homerischen Gesellschaft dieselben Überlegungen zutreffen wie auf die homerische Kunstsprache. Ebenso wie die epische Sprache eine archaisierende Mischung unterschiedlicher Dialekte zu verschiedenen Stadien der Sprachentwicklung ist, in der sich auch vollständig ahistorische Formen finden, so bildet auch die Lebenswelt der homerischen Epen keine historisch bestimmbare Zeit ab. Bei dem Bild, das sich uns in den Epen präsentiert, handelt es sich um ein Amalgam aus verschiedenen historischen Wirklichkeiten und poetischer Fiktion und Intention.100 Es ist anzunehmen, dass Homers Zuhörer aufgrund von offensichtlichen Diskrepanzen zu ihrer eigenen Lebenswelt die Welt der Helden in eine für sie weit zurückliegende, heldenhaft überhöhte Vergangenheit einordnen konnten, dass sich jedoch gleichzeitig aktuelle Elemente fanden, die es dem Publikum ermöglichten, die epische Welt zu ihrer eigenen Welt in Bezug zu setzen.101 Dies näher auszuführen ist hier nicht der Raum, zumal die Frage nach der Historizität der homerischen Gesellschaft für die gegenwärtige Fragestellung nicht weiter von Bedeutung ist. Die folgende Untersuchung des homerischen Heldenkonzepts bezieht sich ausschließlich auf ein literarisches Konstrukt, ohne dabei dessen Interaktion mit der

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Hierfür sei nur kurz auf van Wees 1992, 17-21 mit der Rezension von Cairns 1993c, 6 sowie auf Saïd 2011, 78-86 verwiesen. Zur homerischen Kunstsprache und ihrem „heroischen ἦθος“ siehe Heubeck 1981, 73-79, Patzer 1996, 60-86 sowie Schmidt 2006, 439-440. Zum kulturellen und linguistischen Amalgam der homerischen Epen siehe ausführlich Kirk 1962, 179-210, Andreev 1988, 5-14 sowie Saïd 2011, 86-91, die sowohl archaisierende als auch modernisierende Tendenzen konstatieren. Zur poetischen Intention siehe auch Andersen 1990 zur Feststellung, dass Darstellungen der Vergangenheit immer auf die epische Gegenwart ausgerichtet sind. Insbesondere Snodgrass 1974 wies auf einige Inkonsistenzen der homerischen Lebenswelt hin und schloss daraus, dass sie sich nicht zuverlässig einer bestimmten historischen Zeit zuordnen ließe.

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Ideologie einer real existierenden Aristokratie zu berücksichtigen. Insofern verwende ich im Folgenden das Adjektiv „homerisch“ ohne Miteinbeziehung einer mykenischen oder archaisch-griechischen Zeit, sondern ausschließlich mit Bezug auf die literarisch-fiktive Gesellschaft, wie sie sich in den epischen Gedichten Ilias und Odyssee präsentiert. Mit dieser zeitlichen Verordnung in eine vergangene und teilweise mythisch verklärte Epoche ist jedoch die Begriffsbestimmung, die sich aus der Verwendung von ἥρως in der Ilias vornehmen lässt, noch nicht erschöpft. Denn durch die Tatsache, dass ἥρωες in der epischen Bedeutung „Krieger“ im Epos ausschließlich auf Männer angewendet wird, kann eine weitere Bestimmung vorgenommen werden. Die Beschränkung auf männliche Figuren des Epos nimmt nicht Wunder, da die homerische Gesellschaft wie jede Gesellschaft, die dem indogermanischen Kulturkreis zugeordnet werden kann, patriarchalisch organisiert ist. Der homerische ἥρως ist somit immer ein Mann, und die Bezeichnung als Mann (ἀνήρ) ist von der Bezeichnung als Mensch (ἄνθρωπος) zu unterscheiden.102 So ist auch mehrfach in epischer Redundanz von den „Heldenmännern“ (ἀνέρες ἥρωες, z.B. in Il. 5,746-747) die Rede, und die beiden Begriffe sind bei Homer fast als Synonyme zu betrachten. Seine Männlichkeit ist für den Helden weitaus prägender als seine Menschlichkeit, und so ergibt es sich, dass der Begriff des *ἥρως ἀνήρ eine zweifache Abgrenzung ermöglicht, die für das Wesen des Helden bestimmend ist: (1) In einem biologischen Sinne ist der Held als Mann der Frau (γυνή) gegenübergestellt, und obgleich in der homerischen Gesellschaft auch Frauen von Rang Ehre und Ansehen genossen und über eine ihnen eigene Fertigkeit (ἀρετή) verfügen konnten, ist in der Ilias der Held, der auf dem Schlachtfeld kämpft und stirbt, immer ein Mann.103 Weibliche Heldenfiguren, wie sie im Epischen Kyklos in der Aithiopis in Gestalt der Amazonenkönigin Penthesilea auftreten, kennt die Ilias nicht oder ignoriert ihre Existenz.104 Die homerische Gesellschaft ist patriarchalisch geprägt; Frauen

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Dazu siehe Benardete 1963, 1-5. Vgl. Redfield 1994, 119-120, Felson/Slatkin 2004, 101-102 sowie Wöhrle 1999, 18-48 zum Patriarchat in den homerischen Epen. Zum Thema weiblicher ἀρετή in der Odyssee siehe Od. 7,66-74 zu Königin Arete oder vgl. Jaeger 1954, 47-49 sowie Sullivan 1995, 134-140 zu Penelope. Es ist hierbei jedoch zu bemerken, dass große Frauengestalten im Kriegsgeschehen der Ilias keinen Platz haben und erst in der Welt der Odyssee auftreten. Die Ausweitung des Heldenbegriffs auf weibliche Personen im privaten Kult ist eine Erscheinung späterer Zeit. In diesem Kontext konnten auch „Heroinen“ verehrt werden, siehe dazu Jones 2010, 48-65. Vgl. Felson/Slatkin 2004, 98. Die Amazonen treten in einer Erzählung des Priamos (Il. 3,184-190) und des Glaukos (Il. 6,186) auf und tragen an beiden Stellen das Epitheton ἀντιάνειραι. Da sie jedoch in beiden Fällen als Gegner der Troianer erwähnt werden, ist wahrscheinlich, dass der Dichter die Episode der Amazonenkönigin Penthesilea ignorierte, die für die Troianer Partei ergriff. Der alternative Schlussvers der

Held und „Heroisches Zeitalter“

27

treten in der Ilias ausschließlich als Ehefrauen, Mütter oder Sklavinnen in Erscheinung, sind immer von Männern abhängig und erlangen einzig durch ihre Relation zu den Helden Bedeutung.105 Andromache und Hekabe erscheinen in ihren Rollen als Hektors Ehefrau bzw. Mutter, doch oftmals werden Frauen als Kennzeichen von Status wie Besitz behandelt. In dem Fall, dass die Beziehungen und die Ansprüche zweier Helden auf ein und dieselbe Frau zueinander in Konkurrenz werden Frauen mehrfach Auslöser für Streit und Krieg (Helena, Chryseis, Briseis). 106 Krieg, die wichtigste Betätigung des homerischen Helden, ist ausschließlich Angelegenheit der Männer (Il. 5,332: ἀνδρῶν πόλεμον; 6,492: πόλεμος δ᾿ ἄνδρεσσι μελήσει), und Kriegsführung hat einen deutlichen Bezug zur Männlichkeitsideologie.107 Im Kontext der Schlachtparänese ist die Aufforderung, „Männer zu sein“, ein Aufruf zu kriegerischer Stärke (Il. 5,529; 8,174; 11,287; 15,487; 561; 661; 734; 16,270: ἀνέρες ἔστε),108 und im Gegenzug ist die Bezeichnung als Frauen und das Absprechen der Männlichkeit in einer Kampfsituation eine Beleidigung (Il. 2,235; 7,96: Ἀχαιίδες οὐκέτ᾿ Ἀχαιοί, vgl. Il. 8,163: γυναικὸς ἄρ᾿ ἀντὶ τέτυξο).109 Diese grundlegende Bestimmung des Helden enthält jedoch eine inhärente Ambiguität: Denn während beim Bezug auf das Verhalten in der Schlacht die Bezeichnung als Mann gegenüber einer Bezeichnung als Frau durchwegs positiv konnotiert ist und auf Stärke und Kampfkraft hinweist (ἠνορέη „Mannhaftigkeit“), wird leichtsinniges und waghalsiges Verhalten,

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Ilias, den u.a. ein Scholion Σ T ad Il. 24,804 überliefert, dürfte eine spätere Interpolation sein: ὣς οἵ γ᾿ ἀμφίεπον τάφον Ἕκτορος· ἦλθε δ᾿ Ἀμάζων, vgl. auch Dubielzig 1996, 11. Zur Aithiopis siehe ferner Davies 1989, 51-59. Vgl. v.a. Farron 1979, Redfield 1994, 119-121 sowie Johnston 1988, 70 über die Rolle von Frauen, Kindern und Alten: „(...) they must derive their sense of worth from their relationship to a warrior as part of his identity. (...) these non-combatants nearest and dearest the warrior have no intrinsic value as human beings, or if they do, it is far outweighed by their contribution to the warrior’s standing among his peers.“ Dies wird auch in der passiven Totenklage der Frauen für die aktiv kämpfenden männlichen Protagonisten des Epos deutlich, siehe dazu siehe Easterling 1991. Vgl. Gottschall 2008, 57-80 sowie indirekt Mackie 2008, 2-3, 61-62, 85-90. Zum symbolischen Wert von Frauen siehe von Reden 2003, 49-55. Vgl. dazu Vermeule 1979, 101-103 sowie Effe 1989, 10, der in seiner Einleitung zu Krieg und Frieden in der antiken Welt konstatiert, dass „im Rahmen des männlich orientierten Wertehorizonts der ganzen Antike der Krieg schon insofern gleichsam unentbehrlich war, als er das eigentliche und vorrangige Betätigungsfeld für diejenige Tugend darstellte, die den Mann in den Augen der Griechen und Römer in erster Linie auszeichnet: die Tapferkeit (ἀνδρεία; virtus).“ Zu den weiteren Implikationen dieser Aufforderung siehe Graziosi/Haubold 2003, 68-69. Vgl. Vermeule 1979, 101-103. Dies gilt auch für Gleichnisse, wenn der Vergleich nicht mit einem männlichen, sondern einem weiblichen Tier vollzogen wird (vgl. Il. 4,243245), vgl. Lonsdale 1990, 29-30.

28

Einleitung

das nicht selten den Helden und andere ins Verderben stürzt, als übertriebene Männlichkeit bezeichnet (Il. 9,700; 12,46; 22,457: ἀγ-ηνορίη).110 In der Männlichkeit des Helden ist folglich eine charakteristische Ambivalenz angelegt, und auch die Gefahr, die die Stärke eines Helden für seine eigene Gemeinschaft birgt, ist in der epischen Sprache formelhaft festgehalten. 111 (2) Ferner umfasst die Einordnung der homerischen Helden als ἀνέρες einen Rang innerhalb der Hierarchie der homerischen Weltordnung. Dies geschieht durch die Abgrenzung gegen die Götter (θεοί) einerseits sowie gegen gewöhnliche Menschen (ἄνθρωποι) andererseits.112 Nur gegenüber den Göttern wird ein Held als ἄνθρωπος bezeichnet, während auf der menschlichen Ebene eine Unterscheidung in ἥρωες/ἀνέρες und ἄνθρωποι besteht.113 Die Gruppe der ἄνθρωποι umfasst ausschließlich Frauen und Kinder, denn der homerische ἥρως-Begriff impliziert zunächst keine Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Stand.114 Über dem Helden stehen die Götter, die schon aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen für die Helden keine mysteriösen, fernen Entitäten sind, sondern ihnen nahe stehen und an ihrem Leben Anteil nehmen. Helden sind vielfach von göttlicher Abkunft,115 doch die wenigsten iliadischen Helden sind unmittelbar Söhne von Göttern und damit echte Halbgötter im ursprünglichen Wortsinn. Nur Sarpedon als Sohn des Zeus (Il. 5,683; 12,292) und die Brüder Askalaphos und Ialmenos als Söhne des Ares (z.B. Il. 2,512-515; 9,82) sind wahrhaft Söhne von Göttern, und ebenso sind nur Aineias als Sohn der Aphrodite (Il. 2,820-821) und Achill als Sohn der Thetis (z.B. Il. 1,280; 4,512; 16,860) Söhne von Göttinnen. Einige andere Helden haben in früheren Generationen einen Gott oder eine Göttin im Stammbaum, und so kann sich Idomeneus prahlend gegenüber Deiphobos auf seine Abstammung von Zeus berufen (Il. 13,448-454). Ein in der Ilias so bedeutsamer und kampfstarker Held wie Diomedes kann bei der Aufzählung seiner Genealogie auf keine göttlichen Vorfahren verweisen (Il. 14,113-125),

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Vgl. Michna 1994, 27-28 zur Verbindung von ἠνορέη und ἀρετή. Der Gegensatz positiv konnotierter ἠνορέη und negativ belegter ἀγηνορίη ist von Graziosi/Haubold 2003 überzeugend herausgearbeitet worden. Vgl. Haubold 2000, 28-32 zum Motiv der „Zerstörung des λαός“. Zu dieser problematischen Doppelnatur des Helden siehe auch Redfield 1994, 103-106, 200-203 sowie Gill 1996, 114-115. Zur Unterscheidung von ἀνέρες – ἄνθρωποι siehe v.a. Benardete 2005, 11-17. Vgl. Benardete 1963, 3. Vgl. Haubold 2000, 6-8. Siehe hierzu allgemein Bowra 1952, 94: „Once a society conceives of the hero as a human being who possesses to a notable degree gifts of body and mind, the poets tell how he makes his career from the cradle to the grave. He is a marked man from the start, and it is only natural to connect his superiority with unusual birth and breeding. The greatest heroes are thought to be so wonderful that they cannot be wholly human but must have something divine about them.“ Ebenso auch Miller 2000, 70-73.

Held und „Heroisches Zeitalter“

29

und wenn Hera zu Zeus spricht, dass viele υἱέες ἀθανάτων (Il. 16,448-449) um die Stadt des Priamos kämpfen, dann muss es sich um unbedeutendere Helden und kleine Kämpfer handeln, die in der Ilias keine wichtige Rolle spielen.116 Auch das generische Epitheton διογενής „zeusentsprossen“ verweist nicht auf eine genealogische Verbindung, sondern bezeichnet den legendären und aus epischer Distanz übermenschlichen Status des gesamten Heroengeschlechts.117 Doch auch einer tatsächlichen genealogischen Verbindung zu den Göttern wird in der Ilias nur wenig Bedeutung beigemessen, da die Götter ihren menschlichen Nachkommen ihre Unsterblichkeit nicht vererben können.118 So hat auch eine unmittelbare familiäre Beziehung eines Helden keine Auswirkungen auf die Sterblichkeit der betroffenen Helden, und bei Homer sind alle Helden ohne Ausnahme sterblich (vgl. v.a. Il. 18,117-119). Der Begriff des ἥρως dient somit zur Bezeichnung jedes männlichen Kriegers im literarisch-fiktiven Kosmos der homerischen Epen. Er bewirkt eine Abgrenzung in synchroner Perspektive gegenüber weiblichen und göttlichen Charakteren, wie auch in diachroner Hinsicht zu den späteren Menschen, und diese Konnotation einer aus der Perspektive des epischen Dichters vergangenen und mythisch überhöhten Zeit ist bestimmend für den epischen Heldenbegriff. Damit ist eine erste Bestimmung des Heldenbegriffs vorgenommen, und in den folgenden Ausführungen bezeichnet der Begriff des „homerischen Helden“ jeden handelnden und namentlich genannten Menschen in der erzählten Zeit der Ilias.119 Damit gründet sich die antike Bezeichnung

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Vgl. van Wees 2006, 366. Dazu van Wees 2006, 364: „’[T]he demigods’ became a shorthand label for all the heroes of legend, without implying that they enjoyed semi-divine status (see Rohde 1893 [1907]: 152, n. 2, West 1978: 191 ad 160; Hainsworth 1993: 320 ad Il. 12,23).“ Die homerischen Götter erscheinen letztendlich nur als „mächtige Menschen“, die sich außer durch ihre Unsterblichkeit nur hinsichtlich der Quantität, nicht jedoch der Qualität ihrer Fähigkeiten unterscheiden, vgl. Il. 9,497-498 mit Wilson 1996, 240 ad loc. sowie allgemein Benardete 1963, 4, Adkins 1969a, 21-22 und Jones 1996, 108-114. Damit stellen die Götter in der Ilias keine moralische Instanz dar und sind nicht auf Gerechtigkeit, sondern überwiegend auf ihre eigene Ehre bedacht, vgl. ausführlich Kullmann 1985, Yamagata 1994, 3-101. Zur Bedeutung und Interpretation der iliadischen Götter allgemein siehe ferner z.B. Griffin 1980, 144-178, Johnston 1988, 3754 oder Redfield 1994, 225-247. Die hier vorgenommene Definition des homerischen Helden entspricht der Begriffsbestimmung bei Gill 1996, 98-99: „The term ‘hero’ is radically ambiguous in contemporary usage, designating both a figure who has a special status in her society (or someone who is a member of a special type of society, namely a ‘heroic’ one), and a figure who has a special status within a work of art, the ‘hero’ of the story. In the Iliad, and Greek tragedy – unlike comedy and modern literature in general – the central problematic figures are invariably ‘heroes’ in both senses.“

30

Einleitung

im Unterschied zum modernen Heldenbegriff nicht auf die Erbringung bestimmter Leistungen, sondern ist als Kollektivbezeichnung für die Menschen einer genau umrissenen Zeit erheblich weiter gefasst.120 Es zeigt sich jedoch, dass der Dichter der Ilias die Darstellung selektiv auf eine Gruppe von Menschen beschränkt, die einer bestimmten sozialen Schicht zugeordnet werden können, einheitliche Wertmaßstäbe beachten und denselben Verhaltenskodex befolgen. Die Bestimmung der individuellen Kennzeichen und der gesellschaftlichen Position der Helden wird im nächsten Kapitel erfolgen. Achill ist zwar unzweifelhaft dieser Gruppe zuzuordnen, doch um der Gefahr des Zirkelschlusses bei der anschließenden Interpretation seiner Handlungen zu entgehen, stützen sich die folgende Darlegung nur auf das Verhalten der anderen Helden und nimmt Achill hiervon weitestgehend aus. Es ist meine Hoffnung, dass die überwiegend deskriptiv gehaltene Darstellung des homerischen Heldenkonzepts auch für die Interpretation von Heldenfiguren in späterer epischer Literatur und weiteren Gattungen, die sich auf Homer zurückbeziehen, Anwendung finden kann.

120

Dasselbe gilt für den englischen Sprachgebrauch, vgl. dazu z.B. Clay 2009 („How to be a Hero“), die auch den modernen Heldenbegriff zur Anwendung bringt und typische Verhaltensweisen des Helden auszumachen versucht.

I.

Das homerische Heldenkonzept oder: Die Rede des Sarpedon

Die Rede des lykischen Anführers Sarpedon an seinen Gefährten Glaukos (Il. 12,310-328) bietet einen geeigneten Ausgangspunkt für die Betrachtung des homerischen Heldenkonzepts.121 Zwar ist dies nicht die einzige Rede, in der ein Held seine Beweggründe darlegt,122 doch der Vergleich mit anderen Passagen zeigt, dass dieser Rede programmatische Funktion und normativer Wert zukommen. Da Sarpedon, der selbst diese Anforderungen in besonderer Weise erfüllt,123 die wichtigsten Eckpunkte der Existenz eines Helden vorbringt, sei die Rede hier zunächst in extenso zitiert:124 Il. 12,309-328: αὐτίκα δὲ Γλαῦκον προσέφη παῖδ᾿ Ἱππολόχοιο· „Γλαῦκε, τίη δὴ νῶι τετιμήμεθα μάλιστα ἕδρῃ τε κρέασίν τε ἰδὲ πλείοις δεπάεσσιν ἐν Λυκίῃ, πάντες δὲ θεοὺς ὣς εἰσορόωσιν, καὶ τέμενος νεμόμεσθα μέγα Ξάνθοιο παρ᾿ ὄχθας, καλὸν φυταλιῆς καὶ ἀρούρης πυροφόροιο; τὼ νῦν χρὴ Λυκίοισι μέτα πρώτοισιν ἐόντας ἑστάμεν ἠδὲ μάχης καυστειρῆς ἀντιβολῆσαι, ὄφρα τις ὧδ᾿ εἴπῃ Λυκίων πύκα θωρηκτάων· ‚οὐ μὰν ἀκληεῖς Λυκίην κάτα κοιρανέουσιν ἡμέτεροι βασιλῆες ἔδουσί τε πίονα μῆλα οἶνόν τ᾿ ἔξαιτον μελιηδέα· ἀλλ᾿ ἄρα καὶ ἴς ἐσθλή, ἐπεὶ Λυκίοισι μέτα πρώτοισι μάχονται.‘ ὦ πέπον, εἰ μὲν γὰρ πόλεμον περὶ τόνδε φυγόντε

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Vgl. Claus 1975, 21 zur betreffenden Rede: „most extensive statement of the heroic “code”.“ Dieselbe Bedeutung wird der Rede auch von Johnston 1988, 62-63, Hainsworth 1993, 352, de Roguin 2007, 65-69 und Clay 2009, 30-31 zugestanden. Mackie 1996, 78-79 hingegen bemerkt, dass Sarpedons Worte die Werte der Kriegeraristokratie implizit in Frage stellt. Tatsächlich ist den heroischen Werten eine grundlegende Ambivalenz inhärent, ohne eine Abweichung von der Tradition annehmen zu müssen. Vgl. den Einwand von Gill 1996, 132. Zu Sarpedon als idealem Helden, der noch innerhalb der Handlung der Ilias den Heldentod findet, siehe Clay 2009, 35-38. Zu den Reden von Sarpedon und Glaukos als Ausdruck des heroischen Ethos siehe auch Moulton 1981, 4-5. Vgl. Parry 1956, 3: „Moral standards and the values of life are generally agreed upon by everyone in the Iliad. The morality of the hero is set forth by Sarpedon in book 12 (310-28). Sarpedon’s speech there to Glaucus is divided into two parts. The first expresses the strictly social aspect of the Homeric prince’s life: his subjects pay him honour in palpable forms, and he must make himself worthy of this honour by deeds of valour. The second part expresses a more metaphysical aspect: it is the hero’s own awareness of the imminence of his death that leads him to scorn death in action.“ Zur Rede siehe ebenfalls Pucci 1988 sowie Clay 2009.

32

I. Das homerische Heldenkonzept αἰεὶ δὴ μέλλοιμεν ἀγήρω τ᾿ ἀθανάτω τε ἔσσεσθ᾿, οὔτε κεν αὐτὸς ἐνὶ πρώτοισι μαχοίμην οὔτε κε σὲ στέλλοιμι μάχην ἐς κυδιάνειραν· νῦν δ᾿ ἔμπης γὰρ κῆρες ἐφεστᾶσιν θανάτοιο μυρίαι, ἃς οὐκ ἔστι φυγεῖν βροτὸν οὐδ᾿ ὑπαλύξαι, ἴομεν, ἠέ τῳ εὖχος ὀρέξομεν, ἦέ τις ἡμῖν.“ Und sogleich sprach er zu Glaukos, dem Sohn des Hippolochos: „Glaukos, warum sind wir beide am meisten geehrt mit Ehrensitz und Fleischstücken und vollen Bechern in Lykien, und alle blicken auf uns wie auf Götter, und ein großes Landgut bebauen wir an den Ufern des Xanthos, ein schönes, mit Baumgarten und weizentragendem Saatfeld? Darum müssen wir bei den Lykiern jetzt unter den Ersten stehen und uns der brennenden Schlacht entgegenwerfen, auf dass manch einer so spricht von den dicht gepanzerten Lykiern: ‚Wahrlich nicht ruhmlos herrschen in Lykien unsere Könige und speisen fette Schafe und auserlesenen, honigsüßen Wein: sondern auch ihre Kraft ist vortrefflich, da sie bei den Lykiern unter den Ersten kämpfen!‘ Ja mein Lieber, denn wenn wir, nachdem wir diesem Krieg entronnen sind, auf ewig ohne Alter und ohne Tod sein würden, dann würde ich selbst nicht unter den Ersten kämpfen und auch dich nicht in die männerehrende Schlacht schicken: Jetzt aber stehen gleichwohl zehntausend Todesgöttinnen bei uns, vor denen kein Sterblicher fliehen oder ihnen entrinnen kann, nun gehen wir, ob wir wohl einem anderen Ruhm verleihen oder einer uns!“

Die Rede besteht aus zwei Teilen, von denen sich der erste mit dem Leben und dem Ansehen des Helden befasst (Il. 12,310-321), der zweite mit seinem Tod (Il. 12,322-328). In der ersten Hälfte legt Sarpedon die Mechanismen von Ehre und Ansehen zu Lebzeiten (τιμή, vgl. Il. 13,310: τετιμήμεθα) dar, in der zweiten Hälfte verweist er auf die Sterblichkeit des Menschen und deutet die Aussicht auf Ruhm im Tod (κλέος) an. Aus der Rede lassen sich bedeutsame Folgerungen für die Darstellung der homerischen Helden ziehen: 1. 2. 3. 4. 5.

Der homerische Held nimmt in seiner Gesellschaft eine Führungsposition ein. Er muss diese Führungsposition durch das Erbringen von Leistungen rechtfertigen. Insbesondere im Bereich des Kampfes werden von ihm Höchstleistungen erwartet. Zeichnen sich Helden besonders aus, gewinnen sie Ehre vor ihren Feinden und erhalten Ehrungen von ihrer Gemeinschaft. Erfüllen Helden die an sie gerichteten Erwartungen nicht, drohen ihnen gesellschaftliche Sanktionen.

I.1 Der homerische Held als Anführer 6.

33

Der Held ist sterblich, und diese Sterblichkeit ist bestimmend für sein Handeln, weil er jenseits der Ehrungen zu Lebzeiten im Tod Ruhm erlangen will.

Sarpedon zeichnet damit das Idealbild des homerischen Helden, dem er selbst in besonderem Maße entspricht.125 In den folgenden Abschnitten gilt es nun, die von ihm vorgebrachten Eckpunkte des Heldenkonzepts zu präzisieren und durch weitere Textbelege zu ergänzen.

I.1

Der homerische Held als Anführer

I.1.1

Die Funktion des Herrschers

Es ist bezeichnend, dass der Begriff ἥρωες in Sarpedons Rede nicht fällt, denn der homerische ἥρως-Begriff beinhaltet keine soziale Klassifikation, sondern beschränkt sich auf die Evokation vergangener Zeiten. Sarpedons Rede hingegen bezieht sich auf den Zustand der epischen Gegenwart, und es ist offensichtlich, dass er nicht auf die gesamte „Gesellschaft der Helden“, sondern ausschließlich auf politische Anführer eingeht (vgl. Il. 13,310: τετιμήμεθα μάλιστα; 13,315: Λυκίοισι μέτα πρώτοισιν ἐόντας; 13,318: Λυκίην κάτα κοιρανέουσιν).126 Diese sind damit als homerische Helden im engeren Sinn anzusehen, wobei politische und militärische Funktionen des Anführers untrennbar miteinander verbunden sind (vgl. Il. 13,315-321). Die homerische Gesellschaft kennt keine feste Klasseneinteilung,127 doch kann kein Zweifel bestehen, dass es sich um eine hierarchische Gesellschaft handelt, in der zwischen einzelnen Individuen deutliche Unterschiede hinsichtlich ihres sozialen Status bestehen.128 Wenn in der Forschung von „Helden“ (bzw. engl. „heroes“) die Rede ist, wird damit üblicherweise auf die herrschende Schicht des „Heroischen Zeitalters“ Bezug genommen.129

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Siehe dazu v.a. Clay 2009, 37-38. Vgl. auch Hainsworth 1993, 45; „The simplest way to exalt a hero is to give him status.“ Zum Begriff des Politischen in der Ilias siehe Hammer 2000, 19-29. Vgl. ausführlich Calhoun 1934 und 1963, 432-438, Geddes 1984 sowie Rihll 1992, 43. Für einen guten Überblick über die hierarchische Strukturierung der homerische Gesellschaft siehe Hammer 2002, 58-62. Siehe auch Thalmann 1998, 243-271 für eine Diskussion der korrespondierenden Strukturen in historischer Zeit. Die Vorstellung, dass nur Herrscher und Anführer als ἥρωες gelten können, lag schon in der Antike vor, vgl. Σ ad Il. 13,629: ὅτι σαφῶς πάντας τοὺς Ἕλληνας ἥρωας καλεῖ, πρὸς Ἴστρον λέγοντα μόνους τοὺς βασιλεῖς ἥρωας λέγεσθαι ὑφ᾿ Ὁμήρου. Der hier namentlich erwähnte Istros war vermutlich ein alexandrinischer Gelehrter des 3. Jhd. v. Chr. Vgl. besonders deutlich Redfield 1994, 99: „(...) heroism is for Homer a definite social task, and the heroes are a definite social stratum. The name is given to those who are, have been, or will be warriors. This is the Homeric governing class, the propertied class, and also the class on which the burden falls of maintaining the community.“ Zur Kritik an dieser Position siehe Haubold 2000, 5-6.

34

I. Das homerische Heldenkonzept

Ohne eine differenziertere Unterscheidung vorzunehmen, kann konstatiert werden, dass sich die homerische Gesellschaft im sozialen und politischen Bereich in zwei Klassen einteilen lässt. Dies zeigt sich in der Unterscheidung von zwei Gruppen im Heer infolge der Heeresprobe des Agamemnon (Il. 2,188-206).130 Nach dem Scheitern des Versuchs, das Heer durch die Ankündigung, den Feldzug abzubrechen und in die Heimat zurückzukehren, zu neuem Kriegsmut anzustacheln, fällt Odysseus die Aufgabe zu, die Männer zurückzuhalten: Jeden Helden, den er dabei antrifft (Il. 2,188: βασιλῆα καὶ ἔξοχον ἄνδρα), versucht er mit Worten zu überzeugen und gebietet ihm, für Ordnung unter seinem Gefolge zu sorgen (Il. 2,191), Männer aus dem Volk (Il. 2,198: δήμου τ᾿ ἄνδρα) verweist er mit Schlägen in die Schranken (Il. 2,199). Die Zurechtweisung des δῆμος durch Odysseus legt Zeugnis von der aristokratischen Ideologie des homerischen Helden ab, der sich dem einfachen Kriegsvolk in jeder Hinsicht überlegen fühlte (Il. 2,200-202), und auch die Zurechtweisung des Thersites durch Odysseus wird dadurch verständlich (Il. 2,212-269).131 Die zahllosen Männer des Volks vor Troia bleiben zwar nicht unerwähnt,132 doch die Beschränkung auf die bedeutendsten Exponenten der homerischen Gesellschaft unter weitgehender Vernachlässigung des gemeinen Volks ist typisch für die Darstellung heroischer Dichtung.133 Aufgrund der poetischen Fokussierung der Ilias treten nur Mitglieder der kriegerischen Elite als handelnde

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Siehe dazu auch Kirk 1985, 134-135 ad loc. sowie Brügger et al. 2003, 63-68 ad locc. Vgl. Andreev 1988, 63-64 sowie die Bezeichnung des Thersites als „der einzige Angehörige der freien Unterschichten, der in der Ilias einmal direkt zu Wort kommt“ bei Stein-Hölkeskamp 1989, 39. Siehe auch Rankin 1973 zu Thersites als Prototyp des unzufriedenen gemeinen Soldaten. Ausführlich zur „Funktion der Masse“ im Kampf siehe Latacz 1977, 116-223. Zum Schiffskatalog als einer Ehrung des λαός siehe ferner Heiden 2008, 127-140. Bowra 1952, 53: „(...) characteristic of heroic narrative is that on the whole it concentrates on the happy few and neglects the others. In the crowded battle-scenes of the Iliad very little is said about the rank and file. They are present, and their mass action in advance or retreat is sketched in a few words or illuminated by an apt simile, but they take no part of importance, and their personal destinies are not thought interesting. When characters of humble lineage, like Dolon or Thersites, are necessary to the story, they are made unpleasant or ridiculous.“ Ebenso Kirk 1962, 88 im Vergleich mit jugoslawischen Heldenliedern: „Most of those themes are aristocratic in content – that is, they concern the affairs of leaders and heroes and pay little attention to common folk.“ Bemerkenswert ist, dass der Konflikt zwischen Helden und König ein traditionelles Thema indogermanischer Heldendichtung darstellt, in der Darstellung der Ilias jedoch jeder Held immer auch ein Herrscher ist. Siehe Jackson 1982, 1-111, v.a. 7-16 zur Deutung der Ilias nach dem Muster des Gegensatzes von König und Held. In der griechischen Mythologie erscheint dieser Gegensatz zwischen Held und König besonders deutlich im Fall von Herakles und König Eurystheus von Tiryns und Mykene.

I.1 Der homerische Held als Anführer

35

Personen auf und können als Helden im engeren Sinne bezeichnet werden.134 Namentlich genannte Helden tragen oftmals Funktionsbezeichnungen, die sie als Herrscher ausweisen (oft ergänzt durch ein Ethnikon im Gen. Pl.: ἄγος, Il. 4,265, 519; 5,217, 647; 7,13; 13,221, 259, 274, 311; 16,490, 541, 593; 17,140; 23,450, 482; ἄρχος, 1,311; 2,541, 685, 846; 4,115, 195, 464; 5,39, 577; 14,426; 15,337, 516, 519; ἡγήτωρ, 5,462; 14,512; 15,330; 17,73; 20,383; ὄρχαμος, 2,837; 6,99; 12,110), doch durch das Fehlen sozialer Differenzierung innerhalb des dargestellten Personenkreises entsteht die „Illusion einer allgemeinen Adligkeit.“135 Der Held ist ein militärischer Anführer und politischer Machthaber, und im Denken Homers sind diese zwei Funktionen untrennbar miteinander verbunden, sodass der homerische Held zu Recht als „warrior aristocrat“, als ein Angehöriger des Kriegeradels, bezeichnet wird.136 Der Fokus der Ilias sind aristokratische Krieger und die dargestellten Werte sind die einer herrschenden Oberschicht,137 und aus Sarpedons Rede geht hervor, dass er und Glaukos eine besondere Ehrenstellung als βασιλῆες (Il. 12,319) im Volk der Lykier innehaben (Il. 12,310: νῶι τετιμήμεθα μάλιστα).138 Aus dem vorangestellten Verb κοιρανέουσιν (Il. 12,318) lässt sich ersehen, dass es sich um eine Führungsposition handelt. Zusätzlich zu den allgemeinen Bezeichnungen für Anführer (ἄγος/ἄρχος/ἡγήτωρ/ὄρχαμος) sind

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Die Ilias selbst nimmt diese Einschränkung nur für die Verwendung des Begriffs ἥρως im Singular vor, der ergänzend vor den Eigennamen gestellt werden kann, vgl. Latacz et al. 2009, 18. Im Plural bezeichnet ἥρωες immer eine Gruppe von Kämpfern ohne genauere Spezifizierung. Vgl. Andreev 1988, 59-63 (Zitat von S. 62). Siehe auch Geddes 1984, 19-27 zu den Schwierigkeiten, eine „Unterschicht“ in den homerischen Epen auszumachen. Siehe z.B. Donlan 1980, 1 und Patzer 1996, 152-155. Vgl. Hainsworth 1993, 50-51: „The Iliad is an epic with a wide vision but a sharp focus. It is concerned with twin concepts, honour (τιμή) and glory (κλέος or κῦδος), that are the driving force of a small group of men, the heroes. No one else is of serious consequence.“ Dies entspricht zudem dem „Sitz im Leben“ der griechischen Ependichtung, die vermutlich von einem Sänger im Rahmen eines Symposions in einer aristokratischen Runde vorgetragen wurden, vgl. Strasburger 1953, 102: „Dieser Stand stellt alle Träger der menschlichen Handlung in der Ilias und überwiegend auch in der Odyssee, er wird in seinen Lebensgewohnheiten und geistigen Eigentümlichkeiten am weitaus umfassendsten beschrieben; es ist ja zugleich der Stand, f ü r den die Dichter schreiben.“ Ebenso auch Effe 1989, 12-14. Für die Gegendarstellung der Tradition anti-aristokratischen Gedankenguts in der frühen griechischen Literatur siehe Donlan 1973. Die Rede des Sarpedon zeigt tatsächlich eine Art von Klassenbewusstsein, vgl. Thalmann 1988, 5-6.

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I. Das homerische Heldenkonzept

βασιλεύς und ἄναξ die wichtigsten Herrschertitel der Ilias, die es kurz zu betrachten gilt:139 Der Titel ἄναξ tritt beinahe ausschließlich im Singular auf, und seine Deutung als „Herr“ oder „Herrscher“ ist gesichert (vgl. Il. 2,77: Νέστωρ, ὅς ῥα Πύλοιο ἄναξ ἦν ἠμαθόεντος).140 Am häufigsten jedoch erscheint der Titel ἄναξ nicht in der speziellen Bedeutung als Herrscher eines bestimmten Gebiets, sondern als ein epitheton ornans in der Verbindung ἄναξ ἀνδρῶν „Herr der Männer“, das in der Ilias fast ausschließlich Agamemnon, dem König von Mykene und mächtigstem Herrscher im griechischen Heer, vorbehalten ist (insgesamt mehr als 40-mal). Es verbietet sich allerdings, den Titel als „Oberbefehlshaber“ zu deuten, da ihn auch Nestor (Il. 2,77), Idomeneus (Il. 2,405), Anchises (Il. 5,268), Augeias (Il. 11,701), Helenos (Il. 13,582), Euphetes (Il. 15,532) und Eumelos (Il. 23,288) tragen. Es handelt sich nicht um eine institutionalisierte Herrschaftsposition, und aus dem Befund, dass ἄναξ auch für Gottheiten verwendet wird (Il. 2,104; 7,23, 37; 15,253; 21,461), lässt sich erschließen, dass die Betitelung mit ἄναξ gegenüber dem häufigeren Titel βασιλεύς für einen homerischen Aristokraten „Ausdruck besonderer Würde und Sollemnität“141 war. Obwohl ἄναξ die ehrenvollere Amtsbezeichnung ist, ist der wichtigste Herrschaftsträger im homerischen Epos der βασιλεύς.142 Agamemnon trägt nicht nur den Titel ἄναξ ἀνδρῶν, sondern ist zugleich βασιλεύς von Mykene (Il. 7,180; 11,46). Doch handelt es sich um kein exklusives Amt, da das ho-

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Beide Titel erscheinen in ihren mykenischen Formen wa-na-ka und qa-si-re-u auf Linear-B-Täfelchen, obgleich ihr Gebrauch auch dort noch nicht zweifelsfrei geklärt ist, vgl. Yamagata 1997, 1-2, Schmidt 2006, 443 sowie Hildebrandt 2007, 185-189. Vgl. Puhvel 1956, 203, Carlier 2006, 101 sowie Hildebrandt 2007, 101-102. Bemerkenswert ist, dass ἄναξ als Ehrentitel sowohl für Menschen als auch für männliche Gottheiten verwendet wird, am häufigsten für Zeus, Apoll und Poseidon (vgl. z.B. Il. 7,23; 18,118), vgl. Deger 1970, 48-49. Dies zeigt abermals, dass Homer die göttliche und menschliche Sphäre als prinzipiell identisch aufgebaut imaginierte. Deger 1970, 49. Siehe hierzu allgemein Andreev 1979, 379 sowie Carlier 1997, 462-465. Es wurde vorgeschlagen, dass der Titel des ἄναξ in der Zeit Homers zu einem Ehrentitel ohne technische Bedeutung verblasst war, während die tatsächlichen Funktionen des Herrschers wohl zumindest teilweise auf den βασιλεύς übergegangen sind. Vgl. Starr 1961, 130, Thomas 1966, 387-393 sowie aktueller Schmidt 2006, 443-446. Yamagata 1997 schlug vor, den Titel des ἄναξ als die private Seite eines Herrschers als Herr seines eigenen Hausstands (οἶκος) zu deuten, während der Titel des βασιλεύς die öffentliche Funktion des Herrschers bezeichne. Diese Deutung, die überwiegend auf Passagen der Odyssee Bezug nimmt (vgl. hierzu auch Schmidt 2006, 443-445), kann angesichts des sicherlich nicht ausschließlich privaten Titels ἄναξ ἀνδρῶν nicht überzeugen, doch ist unzweifelhaft richtig, dass dem βασιλεύς die politisch bedeutsamere Funktion zukam. Hingegen kann ἄναξ bisweilen auch nur den Hausherren, Herren über Sklaven oder Tiere bezeichnen, vgl. Carlier 2006, 101.

I.1 Der homerische Held als Anführer

37

merische Epos mehrfach den Plural βασιλῆες verwendet, und die adjektivische Verwendung des Substantivs βασιλεύς zeigt durch Komparativ und Superlativ an, dass eine relative Hierarchie innerhalb der Gruppe der βασιλῆες besteht, die nicht alle über denselben Rang und dieselbe Autorität verfügen (Il. 9,160, 392; 10,239: βασιλεύτερος; 9,69: βασιλεύτατος).143 Der βασιλεύς hat eine besondere Beziehung zu Zeus, von dem er seine Macht erhält (vgl. Il. 2,196-197; 205-206); seine Aufgabe besteht in Rechtsprechung und der Bewahrung der Ordnung (v.a. Il. 2,204-206),144 und die Würde seiner Position wird durch einen Amtsstab (σκῆπτρον) symbolisiert, der ihm von Zeus verliehen wurde (vgl. Il. 1,279; 2,205-206).145 So tragen homerische Herrscher neben den Epitheta διίφιλος „zeusgeliebt“, δῖος „göttlich“ oder ἰσόθεος „gottgleich“146 auch das Beiwort σκηπτοῦχος „zeptertragend.“147 Doch schon innerhalb dieser Gruppe der besonders ausgezeichneten Kämpfer und Berater des griechischen Heers, die sich aus Agamemnon, Menelaos, Idomeneus, Nestor, Diomedes, den beiden Aianten und Odysseus zusammensetzt, bestehen deutliche Diskrepanzen hinsichtlich der politischen Macht der einzelnen Herrscher, da sich die Größen der Kontingente, die jeder Held für den Feldzug gegen Troia mobilisieren konnte, stark voneinander unterscheiden.148 Der hohe Status eines βασιλεύς beruht

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Vgl. Calhoun 1934, 303-304 sowie Geddes 1984, 28. Eine Hypothese der Begriffsentwicklung vermag dabei einige Probleme zu klären, auch wenn der Dichter sich sicherlich der ursprünglichen Bedeutung in keiner Weise bewusst war. Die genaue Herkunft und Wortbedeutung des Titels βασιλεύς liegt im Dunkeln, kann jedoch mit ausreichender Sicherheit auf die mykenische Amtsbezeichnung qa-si-re-u zurückgeführt werden (vgl. Frisk 1960, 222-223; zur Rekonstruktion der Etymologie von qa-sire-u/βασιλεύς siehe Janda 2004), die einen lokalen Vorsteher einer Produktionseinheit im mykenischen Palaststaat bezeichnete, siehe hierzu v.a. Gschnitzer 1965 sowie Thomas 1976b, 188-193 und Hildebrandt 2007, 107-116. Die Annahme erscheint plausibel, dass infolge des Zusammenbruchs der zentralisierten mykenischen Palaststaaten und des Verschwindens des wa-na-ka als oberstem Machthaber niedere Funktionäre (qa-si-re-we – βασιλῆες) als regionale Kleinkönige das entstandene Machtvakuum füllten, so auch Gschnitzer 1965, 106-112, Thomas 1966, 387-393 und 1976b, Andreev 1979 sowie Tandy 1997, 91-92. Vgl. Gschnitzer 1965, 101 mit weiteren Belegstellen. Das Zepter könnte auf eine mykenische Tradition göttlich sanktionierten Königtums zurückgehen, siehe hierzu Mondi 1980, 204-212 sowie Hammer 2002, 116-120. Vgl. auch die Argumentation bei van Wees 1992, 276-280, dass jeder homerische βασιλεύς über ein eigenes Zepter verfügte und es bei Versammlungen, Gericht oder im Rat trug. In jedem Fall scheint es sich um ein Symbol von ererbter Macht zu handeln. Zur Frage nach der Göttlichkeit des mykenischen wa-na-ka siehe Walcot 1967, Thomas 1976a sowie Palaima 1995. Vgl. Hainsworth 1993, 45-46. Vgl. Andreev 1979, 379 mit Anm. 47 und Carlier 2006, 104. Für eine Diskussion des Zepters siehe auch van Wees 1992, 274-280. Der sog. Schiffskatalog vermag dies zu verdeutlichen: Agamemnon kommandiert das größte Kontingent mit insgesamt 100 Schiffen (Il. 2,569-580), wobei es ihm immer

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I. Das homerische Heldenkonzept

vordergründig nicht auf seiner Kampfkraft, sondern auf seiner Abkunft und der Größe seines Machtbereichs. 149 Die Unterschiede hinsichtlich des gesellschaftlichen Ranges der einzelnen βασιλῆες zeigen jedoch, dass auch dieser Titel nicht auf einer institutionalisierten Machtbasis beruht, und die Bedeutung von βασιλεύς bisweilen nur unbestimmt „Adeliger“ oder „Aristokrat“ sein kann.150 Der Plural βασιλῆες bezeichnet die Ersten einer Gruppe, Gemeinde, Phyle, Phratrie o.ä., sodass der Titel βασιλεύς Herrscher unterschiedlicher Ränge umfasst. 151 Während Agamemnon einen königsgleichen Rang einnimmt, gebieten andere βασιλῆες nur als Hausherren über ihren eigenen Hausstand (οἶκος), die kleinste soziale Einheit.152 Die homerische Lebenswelt ist bäuerlich geprägt,153 doch mehrere οἶκοι in räumlicher

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noch möglich war, den Arkadern des Agapenor 60 Schiffe zur Verfügung zu stellen, da sie keine eigenen besaßen (Il. 2,603-614). Dicht hinter Agamemnon folgen Nestor mit 90 Schiffen (Il. 2,591-602) sowie Diomedes (Il. 2,559-568) und Idomeneus (Il. 2,645652) mit jeweils 80 Schiffen. Menelaos befehligt 60 Schiffe (Il. 2,581-590), der Kleine Aias 40 Schiffe (Il. 2,527-535) und Achills Truppenkontingent scheint mit 50 Schiffen (Il. 2,681-694) von mittlerer Größe gewesen zu sein. Die genaue Zahl der Männer, die ein Schiff fasst, ist nicht einheitlich zu bestimmen. In Il. 2,719-720 und 16,168-170 werden je 50 Mann pro Schiff angegeben, Il. 2,509-510 hingegen erwähnt, dass die Boioter 120 Mann auf jedem Schiff nach Troia brachten. Dennoch ist eine deutliche Tendenz feststellbar, und besonders auffallend ist die geringe Größe der Flottenkontingente des Großen Aias (Il. 2,557-558) und des Odysseus (Il. 2,632-637), die jeweils nur 12 Schiffe umfassen. Die Größe des Truppenaufgebotes ist zwar ein Indikator für die Macht eines Helden, ein Fehlen in diesem Bereich konnte jedoch durch individuelle Fähigkeiten wieder wettgemacht werden, so auch Hellmann 2000, 3638. Denn sowohl Aias hat aufgrund seiner Kampfkraft einen festen Platz im Rat der Heerführer (siehe z.B. Il. 2,404-408), als auch Odysseus aufgrund seiner Fähigkeiten als kluger Ratgeber. Vgl. die Aussage Nestors über Agamemnon: ἀλλ᾿ ὅ γε φέρτερός ἐστιν, ἐπεὶ πλεόνεσσιν ἀνάσσει (Il. 1,281: vgl auch 1,325). Dies zeigt ferner auch die Anweisung Agamemnons an Diomedes, für den nächtlichen Spähgang zum Lager der Troianer nicht den besseren Kämpfer zugunsten eines βασιλεύτερος zu übergehen (Il. 10,239-240). Vgl. auch Carlier 2006, 102: „The hierarchical scale among βασιλῆες is not grounded mainly on individual qualities, but on something else: birth of course, number of subjects, wealth, and also support from the gods.“ Die häufige Übersetzung als „König“ mag falsche Vorstellungen evozieren, vgl. hierzu kritisch Rihll 1992, v.a. 47 sowie Raaflaub 1997, 634, der den Stand der βασιλῆες als „aristocracy-in-formation“ bezeichnet. Siehe jedoch Carlier 2006, 102: „The singular βασιλεύς most often (in 63 cases out of 67) designates the hereditary leader of a political community – what we call a king.“ Vgl. auch van Wees 1992, der hier konsequent von „princes“ spricht, um damit sowohl die hohe Stellung zum Ausdruck zu bringen als auch die Vorstellung von Exklusivität zu vermeiden. Vgl. Gschnitzer 1965, 104-105. Diese Position vertrat z.B. Rihll 1986, 86-89. Vgl. dazu jedoch Yamagata 1997, 10-13 zur Öffentlichkeit des Amts des βασιλεύς. Zum οἶκος siehe Andreev 1988, 40-41, SteinHölkeskamp 1989, 25-26, Bryant 1996, 21-27 sowie Raaflaub 1997, v.a. 630-633. Dazu Strasburger 1953, 102-107.

I.1 Der homerische Held als Anführer

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Nähe können eine Stadt (πόλις/ἄστυ) bilden.154 Wenn von den βασιλῆες Τρώων die Rede ist (vgl. Il. 20,84) und der Priamos-Sohn Paris βασιλεύς genannt wird (Il. 4,96), kann der Begriff nur einen οἶκος-Vorsteher in Troia unter dem Oberbefehl des Priamos bezeichnen.155 Die epische Sprache verfügt über keine semantische Differenzierung zwischen einem „Oberkönig“, wie Agamemnon, dem als primus inter pares der Oberbefehl für das gesamte griechische Heer während des Troianischen Krieges obliegt, regionalen Herrschern, die mit ihren Kontingenten vor Troia liegen, und einfachen οἶκος-Vorstehern.156 Aus dem Fehlen formalisierter Rangabstufungen innerhalb der Gruppe der βασιλῆες resultiert eine dynamische Hierarchie, in der der einzelne Held seinen Rang in Interaktion mit seinen Standesgenossen definiert und bei der gegenseitige Anerkennung und Rücksichtnahme von großer Bedeutung waren.157 Jedem βασιλεύς ist eine Gefolgschaft (θεράποντες und ὀπάονες) zugeordnet, die ihm formal unterstellt ist, aber aus freien Kriegern besteht, die auch selbst beachtliches Ansehen genießen können.158 Auch sie sind von edler Abkunft, die sich in der Bezeichnung mit Patronymika niederschlägt, 159 und unterhalten eine enge persönliche Bindung zu ihrem βασιλεύς.160 Oftmals sind θεράποντες aus ihrer eigenen Heimat aufgrund einer Blutschuld oder eines anderen Vergehens vertriebene oder flüchtige Adelige, die am Hof eines anderen Herrschers im Austausch für ihre Dienste Zuflucht fin-

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Vgl. ausführlich Scully 1990 sowie van Wees 1992, 28-31 zur homerischen Stadt. Siehe dazu auch Andreev 1979, 370 sowie die Argumentation bei Geddes 1984, 28-36 zum Befund, dass der homerische βασιλεύς zwar eine besondere Ehrenstellung in der Gesellschaft einnahm, deren Ausmaß jedoch nicht einheitlich war, und die nicht zwangsläufig mit einer politischen Funktion verbunden sein musste. Vgl. Gschnitzer 1965, 101-104, Andreev 1979, 362-366 und Stein-Hölkeskamp 1989, 32-40. Vgl. auch die Bezeichnung des Troiazugs als „außerordentlich lockere Koalition“ bei Kullmann 1995, 62. Siehe Donlan 1982, 3: „The political leader (basileus) of a Homeric community was the ranking member of the dominant descent group, whose household (oikos) was the wealthiest and most prominent one in the group. Although politically, socially, economically and militarily powerful, the paramount chief was no autocrat; a kind of primus inter pares, his authority and prestige were greater than other, lowerranking, chiefs, also called basileis, but he did not control them absolutely. As lineageleaders and heads of eminent oikoi themselves, ambitious lesser chiefs posed a constant threat to the rule of the paramount, who, accordingly, had to wear his mantle of authority lightly.“ Vgl. Calhoun 1963, 441: „It is difficult to assign a precise status to the personnel of these retinues, since words like ἑταῖρος and θεράπων range as widely in their connotations as do ‘comrade’, ‘companion’, or ‘attendant’.“ Ebenso auch Finley 1975, 104105 und Greenhalgh 1982, 83. Vgl. Greenhalgh 1982, 83 mit Anm. 45. Vgl. Schlunk 1976, 201-204 sowie Greenhalgh 1982, 83.

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I. Das homerische Heldenkonzept

den (Il. 9,458-481; 16,571-574; 23,85-90). Während θεράπων ein enges persönliches Dienstverhältnis zu bezeichnen scheint, kommt der Titel des ὀπάων besonders geachteten und weitestgehend selbstständigen Gefolgsmännern zu, die sogar selbst Herrscher sein können: 161 So ist Patroklos als Gefolgsmann (θεράπων, z. B. Il. 16,165; 17,271; 23,90) Achills immer in dessen Nähe (z.B. Il. 1,307; 9,190; 11,602-603), schläft in derselben Hütte (Il. 9,663-668) und agiert als sein persönlicher Diener (z.B. Il. 1,337-338; 9,202204, 211, 216; 11,611-612), wohingegen Phoinix als ὀπάων des Peleus (Il. 23,360) weitgehende Selbstständigkeit genießt, selbst Herrscher über die Doloper ist (Il. 9,483-484), und nur auf explizite Einladung in Achills Hütte nächtigt (Il. 9,617).162 In beiden Fällen handelt es sich um ein reziprokes Verhältnis, bei dem der Gefolgsmann für seine Dienste von seinem Herren geachtet und geschützt wird. Auch die Bezeichnung als ἑταῖροι/ἕταροι impliziert ein wechselseitiges Verhältnis, das nicht auf Gefolgschaft fußen muss, sondern auch auf Kameradschaft basieren kann. 163 Die in der Ilias dargestellten homerischen Helden umfassen somit Krieger unterschiedlicher sozialer Ränge, sowohl Herrscher (βασιλῆες) als auch deren Gefolgsmänner (θεράποντες und ὀπάονες). Homerische Helden werden durch ihre Funktionen beschrieben und tragen Epitheta wie ἡγήτορες ἠδὲ μέδοντες „Anführer und Berater“ oder σκηπτοῦχοι βασιλῆες „zeptertragende Könige“, die auf ihre Führungsposition hinweisen. Im Singular erscheint mehrfach die formelhafte Wendung *ποιμήν λαῶν „Hirte des Kriegsvolks“ (insg. 19x im Dat., 25x im Akk.),164 die nicht nur den Gegensatz des Anführers zur namenlosen Menge der Gefolgsleute (λαός/πληθύς) hervorhebt, sondern auch auf die Funktion des Helden für seine Gesellschaft verweist.165 Im homerischen Epos bezeichnet λαός das Kriegsvolk, also die waffenfähigen Männer, die einem Helden auf

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Siehe dazu Greenhalgh 1982, 82-86. Vgl. auch Meriones, den θεράπων (Il. 13,246, 328-331; 23,113, 124, 528, 860, 888) und ὀπάων (Il. 7,165-166; 8,263-264; 10,58-59; 17,258-259) des Meriones, der selbst ebenfalls über einen ὀπάων, der als sein Wagenlenker fungiert (Il. 17,610). Die von Stagakis 1966 vertretene Position, dass die Bezeichnungen θεράπων und ἑταῖρος/ἕταρος als Synonyme zu betrachten seien, wurde von Greenhalgh 1982, 81-82 überzeugend widerlegt. So war Patroklos nicht nur ein θεράπων Achills (z. B. Il. 16,165; 17,271; 23,90), sondern auch sein ἑταῖρος (Il. 11,602; 16,240; 24,416), und umgekehrt war Achill auch der ἑταῖρος des Patroklos (Il. 1,345 = 9,205 = 11,616). Haubold 2000, 47 Anm. 2 zählt insgesamt 44 Belegstellen in der Ilias, vgl. auch Haubold 2000, 197 Appendix A.1 zu ähnlichen Formulierungen. Vgl. Campbell 1992, 130: „In Homer heroism is a social role.“ Ebenso auch Dué/Ebbott 2010, 237 ad Il. 10,3 und Hainsworth 1993, 49: „Unless their heroism is pure pursuit of fame heroes are champions who fight for their people. To induce them to do so society punishes them with disgrace (22.104-7) or rewards them with honour (12.310-21). Fame is an aspect of honour.“

I.1 Der homerische Held als Anführer

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einen Kriegszug folgen.166 Die Bezeichnung als Hirten drückt die Schutzverpflichtung der Helden aus, die für ihre Gefolgsmänner die Verantwortung tragen (vgl. Il. 2,24-25 = 61-62).167 Homers Helden sind keine halbgöttlichen Einzelgänger, sondern Menschen, die in ihrer Gesellschaft mit anderen Helden interagieren und eine eigene soziale Klasse darstellen, deren Aufgabe im Schutz der Gesellschaft besteht, z.B. im Frieden gegen Piratenüberfälle und Raubzüge.168 Die Beziehung zu anderen Menschen und die gesellschaftliche Verpflichtung zur Verteidigung der eigenen Familie oder des Vaterlands169 sowie zum Schutz von Kameraden sind von besonderer Bedeutung für einen homerischen Helden. 170 I.1.2

Die Legitimation der Herrschaft

Der homerische Held ist ein Mitglied der Kriegeraristokratie, und es scheint, als sei dieser Status zunächst auf den Rang des Vaters zurückzuführen, denn der homerische Held, wie ihn die Ilias zeigt, ist immer der Sohn eines bedeutenden Vaters und der Spross der herrschenden Klasse seiner Gesellschaft. Die homerische Gesellschaft ist patriarchal und patrilinear organisiert, und es besteht eine enge Bindung zwischen Vater und Sohn.171 Das unveräußerliche symbolische Kapital, auf bedeutende Ahnen

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Zum Begriff des λαός und der Deutung als „Kriegsvolk“ siehe v.a. Heubeck 1984. Haubold 2000 nimmt in seiner Monographie hingegen keine Worterklärung vor und untersucht einzig den Gebrauch und die Implikationen des λαός-Begriffs, so auch die Rez. von Burgess 2000: „In the end we are not left with a very clear sense of what the Homeric laos actually is. “Homer’s people” remain amorphous.“ Ungeachtet der genauen Bestimmung findet sich bei Haubold 2000, 14-46 jedoch deutlich die Verwundbarkeit des λαός herausgearbeitet. Die Verpflichtung des βασιλεύς gegenüber dem λαός ist ausführlich herausgearbeitet bei Haubold 2000, 14-46. Vgl. Adkins 1960a, 46-48, Rowe 1983, 250-251 und Yamagata 1994, 127-130. Zur Position, dass die Stellung des βασιλεύς ursprünglich ausschließlich durch seine Schutzfunktion gegen äußere Bedrohungen bedingt war, siehe Bryant 1996, 15-19. Vgl. auch Il. 2,114-115; 9,21-22, wo angedeutet wird, dass der Verlust von Kriegsvolk für einen Herrscher einen empfindlichen Ehrverlust bedeutete, siehe dazu Haubold 2000, v.a. 24-40 und Holmes 2007, 49-53. Zum Patriotismus vgl. Greenhalgh 1972 sowie van Wees 1996, 14-16. Vgl. dazu auch Stein-Hölkeskamp 1989, 33: „Die Verantwortung für eine größere Gemeinschaft wurde also für den homerischen Helden höchstens im Fall einer unmittelbaren Bedrohung zur Verpflichtung, wenn sie ja ohnehin mit der Verteidigung des eigenen Besitzes und der eigenen Familie notwendig zusammenfiel.“ Vgl. Griffin 1980, 72: „(...) Homeric conception of heroism: family pride and social obligation uplift and compel the hero, who remains aware of inevitable death.“ Zur Kameradschaft vgl. van Wees 1996, 16-21. Finlay 1980, 268: „In Homeric society, the relationship between father and son was fundamental. The patriarchal household was the basic unit of society, and communal

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I. Das homerische Heldenkonzept

verweisen zu können, ist ein konstanter Faktor für den Status des Helden (vgl. Diomedes in Il. 14,113: πατρὸς ἐξ ἀγαθοῦ καὶ ἐγὼ γένος εὔχομαι εἶναι), und das Patronymikon als fester Bestandteil der homerischen Dichtersprache zeigt, dass die Genealogie des Helden von hoher Bedeutung für seine Identität ist.172 Helden werden oftmals mit ihrem Patronymikon angesprochen, und diese Anrede bringt zumeist eine besondere Ehrerbietung des Sprechers zum Ausdruck.173 Die Benennung mit dem Vatersnamen bewirkt einerseits eine temporale Einordnung des Helden im heroischen Kosmos, da Genealogien als historisch strukturierendes Prinzip fungieren,174 andererseits auch eine soziale Einstufung. Durch die Nennung des Vaters wird die Geschichte der Familie evoziert, und die Vergangenheit und die Taten der Vorfahren in die Gegenwart des Helden projiziert. 175 Der Held stammt immer aus einer angesehenen und der herrschenden Schicht zugehörigen Familie, und das Patronymikon fungiert als Adelsprädikat und Ausdruck dieser edlen Abkunft.176 Indem ein Held einen anderen nicht nur mit seinem Eigennamen, sondern auch mit seinem Patronymikon anspricht,

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institutions were shaped in the image of the household.“ Vgl. auch Crotty 1994, 2433 und Wöhrle 1999, 32-48. Der Befund, dass das Patronymikon den Eigennamen nicht nur regelmäßig ergänzte, sondern auch vollständig ersetzen konnte, zeigt deutlich, dass beide auch in der Vorstellung des Publikums untrennbar miteinander verbunden gewesen sein mussten. Zur metrischen Flexibilität der Patronymika siehe Higbie 1995, 43-61. Vgl. Brown 2006. Zu den Formen des Patronymikons siehe Higbie 1995, 47-57. Eine Figur, die bezeichnenderweise kein Patronymikon erhält, ist der „Anti-Held“ Thersites, vgl. Rankin 1972, 48 mit Anm. 45. In der Regel wird der Name des Vaters genannt, seltener auch des Großvaters (Papponymikon), wodurch die Einordnung noch um eine Generation ergänzt wird, vgl. Achill, der als Sohn des Peleus (Πηληιάδης, Πηλείδης, Πηλείων oder Πηλῆος υἱός – zu den Formen und der Häufigkeit der Verwendung siehe Prendergast/Marzullo 1962, 320-321) bezeichnet wird, seltener auch als Enkel des Aiakos (Αἰακίδης). Dabei ist zu beachten, dass Αἰακίδης sich sowohl in der Bedeutung „Sohn des Aiakos“ auf Peleus beziehen konnte (z.B. Il. 16,16; 18,433; 21,189), als auch als „Enkel des Aiakos“ auf Achill (z.B. Il. 11,108; 16,854; 16,865; 23,28), siehe Prendergast/ Marzullo 1962, 12. Für weitere Belegstellen dieser Praxis siehe Higbie 1995, 6-7. Vgl. auch Graziosi/Haubold 2005, 57-58, die v.a. die zeitliche Dimension des Patronymikons betonen. Vgl. Tsagalis 2010, 92-93. Vgl. Higbie 1995, 6: „The way in which one is identified, then, conveys to the audience more information than the name alone: to be identified by a proper name and a patronymic is clearly to belong to the higher social classes in the Homeric world.“ Zur homerischen Gesellschaftsordnung vgl. auch Strasburger 1953, 98: „Die Gesellschaft, die uns die Epen zeigen, zerfällt, im großen gesehen, in zwei Klassen, die in der allgemeinen Auffassung der Zeit durch eine tiefe Kluft getrennt scheinen: eine Oberschicht vornehmer oder adeliger Familien, deren Macht und Ansehen aufs engste mit der Größe ihres Besitzes verknüpft ist, und eine abhängige bzw. dienende Schicht.“

I.1 Der homerische Held als Anführer

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bringt er seine Anerkennung des sozialen Status und des gesellschaftlichen Anspruchs des anderen zum Ausdruck (vgl. Il. 10,68-69: πατρόθεν ἐκ γενεῆς ὀνομάζων ἄνδρα ἕκαστον / πάντας κυδαίνων).177 Zugleich kommt darin auch eine Erwartungshaltung des Sprechers zum Ausdruck. So spricht Agamemnon bei der Musterung der Truppen (ἐπιπώλησις) einzelne Helden mit Namen an und fordert sie zum Kampf auf. Die Anrede der Heerführer, die er lobend bedenkt, erfolgt dabei mit dem eigenen Namen (Idomeneus, Il. 4,257; die beiden Aianten, Il. 4,285). Menestheus und Diomedes jedoch, die er beide rügt und zu größerer Tapferkeit antreibt, spricht er als Sohn des Peteos bzw. als Sohn des Tydeus an (Il. 4,338 bzw. 370), um sie daran zu gemahnen, dass sie sich ihrer Väter würdig erweisen. 178 Das Patronymikon ist untrennbar mit der Identität des Helden verbunden, Metronymika hingegen erscheinen nur sehr selten. 179 Es ist der Status des Vaters, der für den sozialen Stand eines Kindes ausschlaggebend ist, und daher gibt es auch keinen prinzipiellen Unterschied zwischen ehelich gezeugten Söhnen und Söhnen von Nebenfrauen oder Sklavinnen,180 zumal es sich bei dem Vater unehelicher Kinder immer um einen bedeutenden König handelt.181 In der Ilias existiert die Terminologie zur Unterscheidung von „echtbürtigen“ Söhnen (γνήσιοι, vgl. Il. 11,102) und „unehelichen“ Söhnen (νόθοι υἷες, vgl. Il. 2,727; 4,499; 5,70; 8,284; 11,102-103, 490; 13,694; 15,333; 17,738), doch verbindet sich damit keine automatische Bewertung des gesellschaftlichen Rangs.182 Teukros, der Halbbruder des

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Vgl. Higbie 1995, 9-10 und Brown 2006, v.a. 40. Teilweise ist die Verwendung des Patronymikons gegenüber dem Eigennamen sicherlich nur metrisch bedingt, doch gerade an diesen Beispielen lässt sich zeigen, dass sich mit dem Patronymikon immer auch weiterreichende Assoziationen verbinden konnten, siehe dazu den Aufsatz von Brown 2006. Vgl. die singuläre Bezeichnung Achills als Θέτιδος πάις (Il. 16,860) sowie Higbie 1995, 122: „The evidence of metronymics and matrilineality is almost non-existent in Homer. Although a hero’s mother might be named, particularly if she could provide a useful divine or royal connexion, her name doesn’t seem to have played any role in the formation of his.“ Zu Spuren von Matrilinealität in der griechischen Mythologie siehe Finkelberg 1991, v.a. 308-316. Eine Ausnahme bildet zudem auch Odysseus, der als einziger Held auch bisweilen durch seinen Sohn Telemachos identifiziert wird (Il. 2,260; 4,354), vgl. Clay 1999, 366. Vgl. auch Finley 1975, 55 und Bryant 1996, 25: „Concubinage functioned alongside marriage, and the aristoi not only bred warriors’ sons through dependent women, they also determined their legitimacy and rights of these offspring – in marked contrast to later times when questions of legitimacy were determined solely by state law.“ Vgl. Strasburger 1954, 23-24 sowie Fenik 1968, 18. Eine uneheliche Tochter wird nur einmal erwähnt, Medesikaste, die Tochter des Priamos (Il. 13,173). Vgl. Gottschall 2008, 70-73. Zum Status unehelicher Kinder in den homerischen Epen siehe auch Ogden 1996, 21-26. Er beschreibt die homerische Gesellschaft als eine „society in which bastards born of concubines were honoured and integrated into a

44

I. Das homerische Heldenkonzept

Großen Aias ist ein „Bastardsohn“ des gemeinsamen Vaters Telamon, aber nur insofern weniger geehrt und geachtet im Heer der Achaier, als er seinem Bruder an Kampfkraft nachsteht. Er trägt wie Aias das patronyme Adjektiv Τελαμώνιος (Il. 8,281),183 und Agamemnon erwähnt, dass Telamon Teukros in seinem eigenen Haus aufgezogen habe. Es ist kein Einzelfall, dass ein unehelicher Sohn im Hause des Vaters aufgezogen wurde (vgl. Il. 5,69-71), und die Erwähnung von Teukros‘ Abkunft als νόθος zeigt nach der ehrenvollen Anrede, dass damit kein prinzipieller Makel verbunden ist (Il. 8,281-294).184 Teukros gehört offensichtlich zum Heereskontingent seines Halbbruders Aias und die beiden Brüder kämpfen oftmals Seite an Seite (vgl. v.a. Il. 8,266-272).185 Auch zwei Söhne des Priamos, der uneheliche Isos und der echtbürtige Antiphos kämpfen zusammen, wobei Isos als Wagenlenker eine niedrigere soziale Position einnimmt (Il. 11,101-104); dieselbe Konstellation findet sich auch bei Hektor und seinem Halbbruder Kebriones (Il. 16,737-738). Der Status des Vaters ist für einen homerischen Helden überaus bedeutsam, doch die Vorstellung von „adeligem Blut“ oder einem daraus resultierenden Geburtsadel findet sich nicht. Trotz der Bedeutung der Genealogie ist die entsprechende Terminologie noch nicht ausgeprägt, und Adjektive, die auf edle Abkunft (z.B. εὐγενέτης, εὐγενής, εὐγένεια) oder die Abstammung von einem tüchtigen Vater (z.B. εὐπατρίδης, εὔπατρις, εὐπάτωρ) hinweisen und in der späteren griechischen Literatur überaus gängig sind, fehlen in der Ilias vollkommen.186

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man’s legitimate family, but permitted a lesser share in inheritance and a society in which bastards could marry women of the best families. Evidently, no such status as citizenship is at issue, and a bastard was, as far as the state was concerned, of a status legally indistinguishable from that of any free man“ (S. 23). Vgl. Ogden 1996, 26, der jedoch diese Stelle nicht beachtet, wenn er richtig konstatiert: „For what it is worth, the Iliad does not withhold patronymics from nothoi, although it only uses a strictly patronymic phrase once: the nothos Doryclus is described as Priamidēn, ‘son of Priam’. [Verweis auf Il. 11,490].“ Erst in hellenistischer Zeit wurde diese Erwähnung als unpassend empfunden und der betreffende Vers Il. 8,284 athetiert, vgl. Kirk 1990, 322 ad loc. Die Ilias gibt keine weiteren Angaben zu der Mutter der Teukros, doch andere Quellen nennen Hesione, eine Schwester des Priamos (Σ D ad Il. 8,284). Die beiden arbeiten auf dem Schlachtfeld tatsächlich so gut zusammen (Il. 8,266-272), dass angenommen wird, dass der Dual Αἴαντε nicht den Großen und Kleinen Aias bezeichnet, sondern vielmehr die zwei Söhne des Telamon, Aias und Teukros, von denen Aias als besserer Krieger dann namensgebend für beide wäre, vgl. Trypanis 1963, 291 und Edgeworth 1985, v.a. 29-31. Vgl. Calhoun 1934, 195-204, Donlan 1968, 50-51, Geddes 1984, 19-22 und SteinHölkeskamp 1989, 23-24. Es fällt schwer, im Hinblick auf Inhalt und Textmenge der Ilias dieses Fehlen auf Zufall oder die metrische Untauglichkeit einzelner Flektionsformen zurückzuführen, und der Schluss liegt nahe, dass das Konzept „adeligen Blutes“ für die Darstellung des Helden in der Ilias keine Bedeutung hat. Die einzige

I.1 Der homerische Held als Anführer

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Ein Blick auf die Herrschaftsfolge vermag diesen Befund zu erklären, denn in der Ilias sind Anzeichen dafür, dass die Herrschaft des Vaters wie bei einer typischen Erbmonarchie auf den ältesten Sohn überging, nur spärlich vorhanden.187 Hingegen weist vieles darauf hin, dass ein Herrscher seinen Nachfolger selbst auf der Grundlage individueller Leistungsfähigkeit auswählt.188 Es steht einem Herrscher frei, auch einen seiner jüngeren Söhne zu bevorzugen oder sogar trotz des Vorhandenseins eigener Söhne einen anderen Nachfolger auszuwählen und durch Adoption einzusetzen. Diese Praxis dürfte der Schmährede des Achill an Aineias zugrunde liegen, der ihm unterstellt, er würde nur in der Hoffnung gegen ihn antreten, im Falle eines Sieges von Priamos zu seinem Nachfolger bestimmt zu werden (vgl. Il. 20,178-186).189 Die Nachfolge kann auch dadurch legitimiert werden, dass der amtierende Herrscher den Nachfolger seiner Wahl mit einer seiner Töchter verheiratet, und es war offenbar ein gängiger Topos der griechischen Mythologie, dass ein fremder und aus der eigenen Heimat verstoßener Held an den Hof eines Herrschers gelangt und, nachdem er seine Tapferkeit und Kampfkraft bewiesen hat, dessen Tochter heiratet und Anteil an der Königsherrschaft bekommt, wie die Erzählung des Glaukos gegenüber Diomedes zeigt:190 Bellerophon war aus seiner Heimat Argos vertrieben worden und gelangte zu Proitos, dem Herrscher der Lykier, der Weisung erhalten hatte, Bellerophon zu töten. Dieser trug ihm daher auf, gegen verschiedene Untiere ins Feld zu ziehen, und so erschlug Bellerophon die Chimaira, bekämpfte die Solymer und die Amazonen und kehrte, nachdem er auf dem Rückweg auch den Hinterhalt der Schergen des Proitos überlebt hatte, siegreich zurück (Il. 6,179-190). Dafür erhielt er die Hand der Königstochter, die Hälfte der Königsherrschaft sowie ein Landgut als Ehrbezeugung der Lykier (Il. 6,191-195). Das Kriterium bei der Auswahl des Nachfolgers in der Herrschaftsfolge ist also individuelle Leistung, die

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Belegstelle für den Gedanken „guter Abkunft“ ist εὐπατέρειαν in Il. 6,292, das sich an dieser Stelle jedoch auf die Zeustochter Helena bezieht und somit kaum als Beleg für die Vorstellung von adeliger Abkunft gelten kann. Der beste, wenn auch dürftige Beleg für die Existenz einer derartigen „Erbmonarchie“ ist das Zepter der Atriden (Il. 2,100-108), das Symbol der ererbten Macht des Agamemnon, siehe Griffin 1980, 9-12. So auch Redfield 1994, 112: „The geras of kingship is in the gift of one king to the next, and he can give it to anyone he wishes.“ Vgl. Redfield 1994, 110-113 sowie Hellmann 2000, 24-25. Siehe jedoch auch Finkelberg 1991, 303-306 für weitere mythologische Beispiele bei späteren Autoren. Sie bemerkt: „On the whole, however, the rate of the sonless kings in Greek tradition is as extraordinary as the rate of the kings who exile their sons, and it can hardly be a mere coincidence that the sons of the latter category of kings usually become sons-in-law and successors of the former“ (S. 305).

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I. Das homerische Heldenkonzept

es einem Helden auch ermöglichen kann, durch Adoption oder Heirat in ein fremdes Königshaus aufgenommen zu werden.191 Vermutlich wird jedoch angestrebt, die Herrschaft an den eigenen Sohn weiterzugeben, und so erscheint in der Ilias Hektor als Nachfolger seines Vaters Priamos auf dem Thron von Troia. Doch auch seine Position als „Kronprinz“ beruht auf seinen Fähigkeiten als Krieger und Heerführer, nicht auf einem Primogeniturprinzip. Denn er ist zwar der älteste Sohn des Priamos, aber nicht sein Lieblingssohn, denn dies ist sein jüngerer Halbbruder Polydoros (vgl. Il. 20,407-410). Hektors Rang als designierter Nachfolger des Priamos ist in seiner überlegenen Kampfkraft begründet, die ihn zum alleinigen Schutzherrn Troias machte (vgl. Il. 6,403: οἶος γὰρ ἐρύετο Ἴλιον Ἕκτωρ).192 Die Unsicherheit der Herrschaftsfolge kommt auch in Hektors Gebet für Astyanax zum Ausdruck, in dem er die Götter bittet, dass sein eigener Sohn die Kraft besitzen möge, nach ihm über die Troianer zu herrschen (Il. 6,476-478), und auch Aineias ist ein hervorragender Kämpfer und damit offenbar ein Anwärter auf die Herrscherwürde des Priamos (Il. 14,513; 20,180-186). Die Legitimation der Herrschaft besteht in körperlicher Stärke und militärischem Erfolg, und der Sohn eines Helden soll sich schon vor der Herrschaftsübernahme als würdig und fähig erweisen. Im Generationenmodell der Ilias ist der größte Wunsch eines Helden, sein Sohn möge ihm gleichen oder ihn gar übertreffen (vgl. Il. 6,476-481). Denn nur wenn ein Held sich als der beste Kandidat für die Herrschaft bewährt, kann er die Position des Vaters übernehmen, und jede Vorrangstellung ist prekär und in Gefahr, von anderen für sich beansprucht zu werden.193

I.2

Leistung und Agonalität

Die Darstellung der homerischen Lebenswelt zeigt eine insofern idealisierte Gesellschaft, als dass die Geburt als ein Mitglied der Oberschicht und als Abkömmling einer Gottheit nicht allein als Rechtfertigung des hohen

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Zur Hypothese, dass die Herrschaft in griechischer Frühzeit ursprünglich matrilinear weitergegeben wurde und damit auf Heirat beruhte, siehe Finkelberg 1991, 308-316. Das homerische Epos, das fest in der Tradition indogermanischer und damit patrilinearer Erbfolge steht, liefert dafür zwar sporadische Belege, bevorzugt aber m.E. bewusst die Darstellung von Herrschaftsfolge auf der Grundlage individuellen Verdienstes. So auch Geddes 1984, 30: „Hector is the commander of the forces in the field, but Priam consistently makes it clear that he is so because he is a fighter, not because he is the eldest son or any constitutional heir to the throne.“ Vgl. Stein-Hölkeskamp 1989, 40-43.

I.2 Leistung und Agonalität

47

sozialen Status ausreichend ist, sondern die Herrschaft des Einzelnen immer auch auf seiner individuellen Leistungsfähigkeit beruht.194 Leistung zeigt sich im Handeln, und das Handeln des Helden gestaltet sich als Manifestation und Sichtbarwerden seiner Vortrefflichkeit. Es besteht keine Opposition zwischen Abkunft (φύσις) und individueller Leistungsfähigkeit (ἀρετή195), denn in den Taten und Leistungen des Helden manifestiert sich für alle sichtbar seine Wesensart. Es handelt sich um eine kausal-konsekutive Verbindung, denn für ἀρετή ist das Vorhandensein der richtigen φύσις die notwendige Vorbedingung und ἀρετή ist der Ausdruck der φύσις. Die Vorstellungen von Abstammung und Leistung sind im homerischen Heldenkonzept untrennbar miteinander verbunden, doch erst nach entsprechender Erziehung und der richtigen Ausbildung kann der Held sein Potential entfalten. Die Abkunft stellt jedoch die Garantie für das Vorhandensein des benötigten Potentials und die Grundlage der Ausbildung dar.196 Im Gegensatz zu anderen Traditionen sind die Helden der Ilias nicht schon bei ihrer Geburt mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet, sondern werden als Menschen geboren, aufgezogen und ausgebildet.197

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Vgl. ausführlich Ulf 1990, 1-49 sowie van Wees 1992, 89-100, der argumentiert, dass die tatsächliche Bedeutung von persönlicher Stärke wesentlich geringer ist als der Wert, der ihr zugeschrieben wird. Es scheint somit so, als wolle der Dichter gezielt ein Bild eines Leistungsadels entwerfen, vgl. van Wees 1988, 19: „(...), we find that the poet does not think that inheritance is a sufficient justification for privilege“ und 21: „In the Iliad, the poet paints an ideal world, in which βασιλῆες deserve their status.“ Zur geringen Bedeutung göttlicher Abkunft siehe auch Rihll 1992, 47. Vgl. Jaeger 1933, 26-37, Sullivan 1995, 123 et passim. In der Ilias bezeichnet ἀρετή zwar überwiegend die Leistungsfähigkeit eines Kriegers in Schlacht und Wettkampf, doch liegt dem eine allgemeinere Bedeutung zugrunde, und während ἀρετή im Singular ohne weitere Konkretisierung meist die kriegerische Tüchtigkeit eines Kämpfers bezeichnet, kann der Begriff im Plural auch einzelne Fähigkeiten und Fertigkeiten bezeichnen, vgl. LfgrE I, 1229-1232 sowie Michna 1994, 19-44. Zur Vielseitigkeit des Begriffs der ἀρετή siehe auch Adkins 1960b, 28: „Arete in Homer is courage and physical prowess and success and social position and possessions and fame. It denotes and commends all these qualities together because the general needs of Homeric society demand that all should be united in certain individuals, and because in this society it is impossible that e.g. possessions should long remain the property of anyone who has not the courage and strength needed to defend them; and fame, of course, is included in virtue of the sanction of Homeric society. The agathos needs to be well spoken-of. Since all these qualities must exist together, they are naturally commended together. All are arete.“ Vgl. Brillante 1991, 11: „La presenza di qualità innate rappresenta, nella paideia arcaica, una permessa indispensabile per la riuscita del processo educativo.“ Zur Beobachtung, dass eine gute Erziehung zusätzlich zur Geburt ausschlaggebend für die Heldwerdung ist, siehe Sullivan 1995, 127-129. Vgl. die Kindheit und Erziehung Achills in der Erzählung des Phoinix in Il. 9,485495, siehe auch Mackie 1997 zu Phoinix und Cheiron als Lehrer Achills. Für den Bildungsgang homerischer Helden an den Beispielen von Achill und Telemachos

48

I. Das homerische Heldenkonzept

Die Genealogie des Helden ist damit gleichsam als „symbolisches Startkapital“ nur Vorbedingung für seinen Status, nie jedoch dessen alleinige Rechtfertigung.198 So fehlt im homerischen Epos die Terminologie eines Geburtsadels ebenso wie ein Kollektivnomen zur Bezeichnung der herrschenden Klasse als Ganzes. Homerische Herrscher werden durch unbestimmte Adjektive wie ἀγαθοί, ἐσθλοί, ἄριστοι oder ἔξοχοι ἄνδρες gekennzeichnet,199 die sich auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Individuums beziehen. Sie sind die stärksten positiv wertenden Adjektive, über die die Sprache Homers verfügt.200 Wenn ein Held zu anderen Menschen in Bezug gesetzt wird, ist er relativ gesehen „besser“ (z.B. Il. 2,239; 4,405 et passim: ἀμείνων; 2,707; 10,237; 16,557; 21,410; 23,588: ἀρείων; 1,80; 3,71, 92; 19,217; 20,334; 23,578: κρείσσων oder 1,186, 281; 2,201 et passim: φέρτερος).201 Diese Bezeichnungen verweisen auf die bestimmenden Kennzeichen der homerischen Helden, Mut, Tapferkeit und Körperkraft, jedoch ohne ethisch-moralische Wertung.202 Individuelle Fähigkeit und Leistung sind im Denken des homerischen Menschen untrennbar mit seinem sozialen Status verbunden, doch die Übertragung der Adjektive ἀγαθός und ἐσθλός auf den sozialen Rang und die Abkunft der Mitglieder der Gruppe der ἀγαθοί ist nur sekundär, und die Betitelung eines Mannes als ἀγαθός oder ἐσθλός erfolgt in der Ilias niemals nur aufgrund seiner Abstammung.203 Sie bedürfen einer Legitimation durch Leistung, und können sowohl eine beschreibende als auch bewer-

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siehe Jaeger 1954, 49-55 bzw. 55-59 sowie van Wees 1996b allgemein zu Erziehung in den homerischen Epen. Es scheint so, als hätten die homerischen Helden eine echte Kindheit, wohingegen die Jugend anderer Helden in der griechischen Mythologie durch Spuren von Initiationsriten geprägt ist, dazu Brillante 1991. Siehe auch Campbell 1949, 318-334 zur wundersamen Kindheit der Helden anderer Traditionen. Siehe dazu ausführlich Ulf 1990 und Blum 2001, der auch auf den materiellen Aspekt eingeht, da Besitz als Statusgrundlage vermutlich in der Familie vererbt wurde. Für Belegstellen sei hier nur auf die Materialsammlung bei Donlan 1968, 9-37 verwiesen. Zum Fehlen einer scharfen Abgrenzung der homerischen Oberschicht siehe auch Starr 1961, 137-138 und Hildebrandt 2007, 192-195. Zu den Bezeichnungen der homerischen Aristokratie siehe Stein-Hölkeskamp 1989, 54-56. Vgl. Adkins 1960a, 30 und 1997, 698-699. Für eine Relativierung dieser Einschätzung nach dem jeweiligen Kontext siehe jedoch Dover 1983, 36-40. Vgl. auch Ulf 1990, 29-40. Für eine Studie des Wortfelds ἀγαθός bei Homer und den Bedeutungsnuancen seiner einzelnen Bestandteile siehe Donlan 1968, 9-37 sowie Yamagata 1994, 184-208 und Classen 2008, 4-7. Siehe auch Donlan 1968, 37-51 bzw. Yamagata 1994, 208-221 für die negativen Gegenbegriffe. Vgl. Long 1970, 126-128 und Bryant 1996, 30-31. Siehe dazu auch Ulf 1990, 15-29. Für Belegstellen zum Gebrauch von ἀγαθός etc. sei an dieser Stelle auf die umfangreiche Materialsammlung bei Donlan 1968, 9-37 verwiesen.

I.2 Leistung und Agonalität

49

tende Funktion erfüllen. Im ersten Fall bezeichnen sie nur die Zugehörigkeit zur adeligen Führungsschicht, im zweiten Fall bringen sie auch eine positive Wertung zum Ausdruck.204 Die Vorstellung eines Leistungsadels liegt jeder sozialen Differenzierung in der homerischen Gesellschaft zugrunde, und in der idealisierenden homerischen Anthropologie sind Abkunft von tüchtigen Vorfahren, militärische Exzellenz, materieller Wohlstand und hoher sozialer Status untrennbar miteinander verbunden und bedingen einander.205 Die Zugehörigkeit zum homerischen Adel, der nicht über institutionalisierte Macht verfügte, definiert sich über die Funktion, die ein Held aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten innerhalb seiner Gesellschaft wahrnimmt.206 Aus dem Fehlen von starren Gesellschaftsstrukturen ergibt es sich, dass jeder waffenfähige Mann der homerischen Gesellschaft seine Leistung beständig demonstrieren und seinen Anspruch auf sozialen Status verteidigen und aktualisieren muss (vgl. Il. 6,209: μηδὲ γένος πατέρων αἰσχυνέμεν).207 Dies geschieht in Auseinandersetzung und Wettstreit mit anderen Helden innerhalb des eigenen Standes, sodass die homerische Gesellschaft von beständigem Leistungswettbewerb und andauerndem Positionskampf geprägt ist.208 Rivalität beherrscht den Umgang zwischen gleichrangigen und gegenüber höherrangigen Helden, und Erfolg wird mit Gewinn an Ansehen

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Vgl. Long 1970, Rowe 1983, 264. Vgl. Bielohlawek 1950, 13, Andreev 1988, 66-68 und Adkins 1997, 698-702. Vgl. die Wendungen ἀφνειός τ᾿ ἀγαθός τε „reich wie auch tüchtig“ (Il. 13,664; 17,576) sowie ἀφνειὸς ἀμύμων „reich, untadelig“ (Il. 5,9). Vgl. auch Hellmann 2000, 27-28. Vgl. auch die Schlussfolgerung bei Stein-Hölkeskamp 1989, 42, „dass die Dichter von Ilias und Odyssee keine entpersonalisierte und institutionalisierte königliche „Amtsgewalt“ kannten, die ihrem jeweiligen Inhaber und seiner Familie jenseits aller individueller Qualitäten eine stabile und dauerhafte Vorrangstellung gesichert hätte. Der epische basileus mußte vielmehr seinen Anspruch auf Vorherrschaft stets aufs Neue durch die Demonstration seiner persönlichen Überlegenheit aktualisieren.“ Vgl. auch insgesamt Ulf 1990 und Patzek 2003, 48-49, die die homerische Gesellschaft charakterisiert als „eine noch offene Gesellschaft ohne starre Rangstufen, in der der Konkurrenzkampf einzelner starker Individuen und nicht Tradition oder Herkunft über die soziale Stellung entschied.“ Zur dieser Herleitung des agonalen Verhaltens aus der Gesellschaftstruktur siehe Nicolai 1993, 318-325, zum Wettkampfdenken der homerischen Gesellschaft siehe ferner Létoublon 2007. Vgl. auch Classen 2008, 11 zu den prägenden Faktoren für das Handeln eines Helden der homerischen Epen, die sich daraus ergeben: „1. das Streben des einzelnen nach Überlegenheit in allen Bereichen des Lebens im Vergleich zu einem oder mehreren anderen oder zu allen anderen, 2. das Streben nach solcher Überlegenheit in allen Bereichen des Lebens, 3. die Berücksichtigung des eigenen Nutzens oder Vorteils, 4. die Beurteilung des einzelnen durch andere, vor allem durch die Gruppe, der er angehört, aber auch durch Fremde und Gegner, und die entsprechend in ihn gesetzten Erwartungen und 5. die Beurteilung nicht nur im Vergleich zu Menschen, sondern auch zu Göttern.“ Für eine kritische Bewertung der

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I. Das homerische Heldenkonzept

und Aufstieg in der sozialen Hierarchie belohnt. 209 Die Ausprägung der Oberschicht als Leistungsadel hat zur Folge, dass es innerhalb der patriarchalen Herrschaftsfolge für den jungen Helden früh notwendig wird, sich gegen seine Brüder durchzusetzen und die Anerkennung des Vaters zu erlangen.210 Aufgrund des Fehlens eines formalisierten Bildungsgangs für angehende Helden besteht in dieser Konkurrenz auch die treibende Motivation zur Aneignung wichtiger Fähigkeiten unter jungen Männern. 211 Wie ernst auch scheinbar triviale Spiele genommen werden, zeigt der Fall des Patroklos, der als Junge im Zorn einen Freund beim Würfelspiel erschlug und dafür in Verbannung gehen musste (Il. 23,85-88). Agonales Verhalten ist bezeichnend für den Helden, und die Essenz des heroischen Lebens ist im letzten Rat, den erwachsene Söhne vor ihrem Auszug in den Krieg von ihren Vätern mit auf den Weg gegeben bekommen, hervorragend zusammengefasst: Sie sollen danach streben, „immer der Beste zu sein und den anderen überlegen“ (Hippolochos zu Glaukos, Il. 6,208; Peleus zu Achill, Il. 11,784: αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων). Die Formulierung ist prägnant, absolut und stellt die Maxime der Existenz eines homerischen Adeligen dar: Ein Held soll bestrebt sein, sich in jedem Lebensbereich immer vor allen anderen als der Beste (ἄριστος) hervorzutun.212 Der Begriff der ἀρετή „Leistung“ ist damit etymologisch verbunden und stellt die Grundlage des gesellschaftlichen Ansehens dar.213 Die Bezeichnung ἄριστος und die Ableitung ἀριστεύς fungieren gleichsam als Titel, die einen Helden besonders auszeichnen. 214 Die Autorität des homerischen Helden besteht folglich einerseits in seinem unveräußerlichen Rang als Sohn eines tüchtigen Vaters und andererseits in seiner eigenen Leistungsfähigkeit.215 Das Verhältnis zwischen beiden besteht im Idealfall

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modernen Sicht der Wettbewerbszentrierung der Griechen siehe Ulf 2011, der allerdings vorwiegend auf die historische Zeit Bezug nimmt. Siehe Qviller 1981, 118, Donlan 1982, 3 und Beidelman 1989, v.a. 231-234, z.B. 233: „No one gains by besting an utter inferior.“ Zu Agonalität und Patriarchat siehe auch Wöhrle 1999, v.a. 37-40. Vgl. van Wees 1996b, 9. Vgl. Edwards 1987, 150-152, Latacz 1995, 39-40 und Hildebrandt 2007, 189-192. Zu ähnlichen Formulierungen siehe die Zusammenstellung bei Létoublon 2007, 22-25. Zum Begriff der ἀρετή siehe Jaeger 1954, 26-31 sowie 41: „Die Ilias denkt sich ihre Welt als ein Zeitalter der fast ausschließlichen Herrschaft des altertümlichen heroischen Geistes der Arete, und sie verkörpert dieses Ideal in allen ihren Helden.“ Ebenso auch Yamagata 1994, 185-188. Zur Beobachtung, dass auch Charaktere, die nicht selbst dem Kriegeradel angehören, sich zu diesem Ideal bekennen, siehe die Studie von Collins 1988. Vgl. Edwards 1984, 62-66 zur Verwendung von ἄριστος als Titel. Der homerische Held entspricht damit dem anthropologischen Konzept des „big man“; diese Position hat sich mittlerweile als communis opinio der Homer-Forschung herausgebildet, vgl. z. B. Finley 1975, Qviller 1981, Ulf 1990, 223-231, Gschnitzer 1991,

I.2 Leistung und Agonalität

51

darin, dass die Abkunft die Voraussetzung dafür schafft, dass ein Held Tüchtigkeit ausbilden und für seine Gesellschaft einsetzen kann (vgl. Il. 5,125: μένος πατρώιον).216 Das Ziel des Helden besteht im Gewinn von Ehre (τιμή), dem Ausdruck der Anerkennung, die er in seiner Gemeinschaft genießt. Die Bedeutung des Ansehens für einen homerischen Helden kann gar nicht überschätzt werden und Ehrverletzungen bilden den Ausgangspunkt vieler heroischer Gedichte.217 Das Streben nach persönlichem Ruhm und Ehre ist das bestimmende Kennzeichen eines homerischen Helden, das ihn auch von der Masse des Kriegsvolks abhebt. Nur der außergewöhnlich starke und tapfere βασιλεύς verfügt über die Möglichkeit, sich durch seine Taten als Individuum auszuzeichnen, wohingegen der Mann des δῆμος nur auf seinen Anteil an der kollektiven Ehre des Gesamtheers oder an der Ehre seines Herrschers, die auch auf ihn zurückfällt, hoffen kann.218 Angesichts des hohen Stellenwerts der Anerkennung der Standesgenossen und der ganzen Gesellschaft ist die Performativität der Handlungen, also die bewusste und visuell wirksame Zurschaustellung der Taten eines Helden, von nicht zu überschätzender Bedeutung. Denn damit eine Leistung entsprechend gewürdigt werden kann, bedarf sie immer eines Publikums und muss in einem öffentlichen Raum inszeniert werden.219 Die Agonalität der homerischen Gesellschaft motiviert den Helden, sich als Individuum innerhalb seiner Gruppe auszuzeichnen, bindet ihn jedoch dadurch, dass bedeutende Taten immer der Anerkennung durch die Gruppe bedürfen, fest in diese ein. 220 Der Wettkampf und das Streben nach Ehre sind mit der Identität des Helden verbunden und bestimmen sein Wesen, und in einer Gesellschaft,

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Raaflaub 1991, van Wees 1992, Donlan 1993 und 1998, Thalmann 1998 sowie Hammer 2002, 144-169. Vgl. Andreev 1988, 64-66 zur Position, dass der Held seine körperlichen Vorzüge und vor allem seinen kriegerischen Edelmut von seinen Eltern erbt. Vgl. Bowra 1952, 61: „Honour is central to a hero’s being, and if it is questioned or assailed or insulted, he has to assert himself, since he would be untrue to his standards if he failed to do anything to prove his worth. This assumption lies behind most heroic poetry and gives to it its special atmosphere and outlook.“ Zum Motiv des Heldenzornes siehe ferner Grossardt 2009. Hierzu LfgrE II, 939 sowie van Wees 1996a, 24: „The prospect of becoming famous for individual deeds of prowess is therefore an incentive only to the very strong and the very brave. The mass of ordinary warriors does not and cannot aspire to this type of personal glory.“ Zum Konzept der kollektiven Ehre siehe van Wees 1996a, 23-25, zur Identifikation des Kriegsvolks mit seinem Anführer vgl. auch Haubold 2000, 3537. Zur kollektiven Ehre einer Familie siehe auch Finley 1975, 71-108. Vgl. Donlan 1980, 3-25, van Wees 1992, 71-74 sowie Bryant 1996, 27-33. Vgl. auch die Formulierung des „politischen Raums“ bei Hammer 2002, 19-48. Vgl. z.B. Parks 1990, 27-30. Besonders pointiert hier S. 27: „(...) the attempt to affirm heroic identity through winning honor remains meaningless without community endorsement.“

52

I. Das homerische Heldenkonzept

in der die Zurschaustellung des Status eines Individuums nach außen einen so hohen Stellenwert besitzt wie in der homerischen, ist das kompetitive Element verständlicherweise allgegenwärtig.221 Dabei muss sich der Held nicht nur gegen Feinde auf dem Schlachtfeld behaupten, sondern auch gegenüber den eigenen Standesgenossen seinen gesellschaftlichen Rang geltend machen.222 Der Schwerpunkt bei der Darstellung der Vortrefflichkeit der iliadischen Helden liegt auf deren Leistungen im Kampf und dem Ideal der βίη, doch die Ilias zeigt ihre Helden auch außerhalb des Schlachtfelds. Die heldische Vortrefflichkeit besitzt neben dem Schlachtfeld und dem Sportplatz noch eine weitere Bühne, auf der der Held auftreten und sich behaupten muss. Als die zwei Orte der Betätigung eines homerischen Helden werden in der Ilias Schlacht und Versammlung genannt, an denen es ihm möglich ist, sich vor seinen Standesgenossen auszuzeichnen. 223 Dies zeigt die Verwendung des Epithetons κυδιάνειρος „männerehrend“, das sowohl die Schlacht (Il. 6,124; 7,113; 8,448; 24,391) als auch die Agora (Il. 1,490) charakterisieren kann.224 Diese Zweiteilung liegt auch der Anrede der Helden als „Anführer und Berater“ zugrunde (Il. 2,79; 9,17; 10,533; 11,276, 586, 815; 12,376; 14,144; 16,164; 17,248; 22,378; 23,457, 573: ἡγήτορες ἠδὲ μέδοντες, vgl. 1,258), die einer weiteren, von den Epen selbst vorgenommenen Unterscheidung entspricht: So wird der Kanon der heroischen Fertigkeiten

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Bowra 1952, 51: „First, since honour is most easily won by showing superiority to other men, there is often an element of competition.“ Ebenso auch Edwards 1987, 149-150 und Gehrke 2010, 42-43. Vgl. Mueller 2009, 38-39: „The warrior’s life is governed by two forms of competition. He competes with his enemy for victory and with his peers for honour. The paternal advice ‘always excel’ means ‘always excel among your peers by defeating your enemies’ (11.784). The warrior takes part in a dual distribution of rewards. In the competition with the enemy he seizes what he can take by force. His success supports his claim in a second distribution, where he receives what his peers are willing to allot him as his honour or timê: literally, an assessment of his worth expressed in material goods. This second distribution determines his standing among his peers, and it is essential that his allotment be given to, rather that taken by, him.“ Van Wees 1992 hat hierfür den Begriff des „status warrior“ geprägt. Zur Identifikation der Konkurrenz der Helden untereinander mit der „guten Ἔρις“ bei Hesiod siehe Nagy 1999, 309-312. Vgl. Edwards 1984, 62: „The aristoi as a group within the Achaean and Trojan warrior societies comprise an elite associated with two spheres of activity: the council and the battlefield. In battle, moreover, the aristoi are identical with the promachoi, the group of champions who customarily make up the first rank of the Homeric phalanx.“ Vgl. Pulleyn 2000, 246 ad loc. Zum Begriff des κῦδος, des „Siegesruhmes“ (vgl. auch Il. 4,415-416), dessen Grundbedeutung wohl am besten mit dem obsoleten deutschen Wort „Prangen“ wiedergegeben werden kann, siehe Steinkopf 1937, 23-33, Benveniste 1969, II.57-69 sowie Pucci 1997, 204-207.

I.2 Leistung und Agonalität

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(ἀρεταί) ebenfalls in zwei Gruppen unterteilt, die sich in Phoinix’ Formulierung des Ausbildungsziels eines Helden widerspiegeln, „ein Sprecher von Worten und ein Täter von Taten zu sein“ (Il. 9,443: μύθων τε ῥητῆρ᾿ ἔμεναι πρηκτῆρά τε ἔργων, vgl. auch 9,53-55).225 Bei Worten wie auch Taten ist die Performativität der Handlung von hoher Bedeutung, damit die Leistung anerkannt werden kann, 226 doch die beiden Bestandteile heroischer Fähigkeit sind in der Darstellung der Ilias nicht gleichwertig. Die Fertigkeit im Kampf nimmt überragende Bedeutung ein, die sich am Gebrauch des Titels ἄριστος Ἀχαιῶν „Bester der Achäer“227 zeigt, auf den die bedeutendsten griechischen Helden Anspruch erheben. Ein Blick auf die Frage, durch welche Fähigkeiten der „Beste der Achaier“ sich auszeichnen muss, um diese Bezeichnung zu verdienen, gibt Aufschluss über den Wert von Tapferkeit gegenüber Klugheit: Achill bezeichnet sich selbst als ἄριστος Ἀχαιῶν (Il. 1,243-244), ist jedoch offen bereit einzugestehen, dass seine Fertigkeiten im Bereich des Kriegshandwerks liegen, und kann ohne Gesichtsverlust zugeben, dass Andere bessere Redner sind als er (Il. 18,106-107; vgl. auch 19,217-219). Auch als Helenos Hektor auffordert, den ἄριστος Ἀχαιῶν (vgl. Il. 7,50, 73) zum Zweikampf herauszufordern, gründet sich diese Bestimmung ausschließlich auf kämpferische Fähigkeit. Es ist offenkundig, dass Kampfkraft die bestimmende heroische Vortrefflichkeit vor allen anderen Eigenschaften eines Helden darstellt.228 Dieselbe Anschauung kommt implizit auch in der Rede des Polydamas an Hektor zum Ausdruck, als er gnomisch ausführt, dass unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Fähigkeiten gegeben sind. Er versucht damit, seinen Rat an Hektor zu rechtfertigen (Il. 13,729-734), und sieht sich als den überlegenen Denker, ohne jedoch Hektors Position als ἄριστος Τρώων, die

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Vgl. Wilson 1951/52, 269. Ebenso auch Parry 1956, 4: „Phoenix here makes a practical separation, but no real distinction in kind: the hero must know how to do things – in the accepted manner; and how to talk about things – in the accepted manner. The two are complementary halves of the hero’s abilities, and the obverse and reverse of his great purpose: to acquire prestige among his fellows.“ Ebenso auch Sullivan 1995, 127: „‘Speaker of words, doer of deeds’ sums up the essence of aretē.“ Zur Deutung von μῦθοι konkret als „authoritative speech-acts“ siehe Martin 1989, v.a. 26. Vgl. Martin 1989, 146: „Every hero is a performer. That is the essence of the dictum Peleus entrusts to Phoinix, who in turn reminds Achilles to be a speaker of words and a doer of deeds. Between the two concepts no distinction is drawn. Both are performances.“ Zu dieser Wendung vgl. v.a. Nagy 1999, 26-41. Vgl. van Wees 1992, 72. „By far the most prominent male excellence, however, is military prowess. Not only are great warriors honoured and given special privileges, but physical strength and courage are such important qualities that “the best men” often simply means “the best fighters”, and “a bad man” equals “a coward”. Second place is taken by excellence ‘in counsel’ and third place by good looks.“ Vgl. auch Johnston 1988, 60-64.

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I. Das homerische Heldenkonzept

dieser aufgrund seiner Kampfkraft innehat, für sich zu beanspruchen (vgl. auch Il. 18,251-252).229 Der Kampf ist die wichtigste Tätigkeit des homerischen Aristokraten, und selbst wenn er sich nicht auf Kriegszug befindet, sind Raubzüge und daraus resultierende Kleinkriege häufige Ereignisse.230 So erzählt Nestor Patroklos von der Fehde gegen Elis in seiner Jugend, die durch einen nicht näher bestimmten Rinderraub entstanden war und während der er reiche Beute machte (Il. 11,671-684). Seine Erzählung weist viele strukturelle Gemeinsamkeiten mit iliadischen Schlachtschilderungen auf (Il. 11,737762).231 Die Episode zeigt, wie schnell ein Raubzug zu einem Krieg eskalieren kann, und auch auf dem Schild des Achill ist abgebildet, wie Kampf und Tod – ebenfalls infolge eines Rinderraubs – in einer ansonsten idyllischen Szenerie Einzug halten (Il. 18,520-540).232 Der Raubzug erfüllt für die Gemeinschaft des Helden neben der Möglichkeit zu individuellem Prestigegewinn auch eine ökonomische Funktion,233 und insofern ist ein homerischer Held, dessen Legitimation in kämpferischer Leistung besteht,

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Hierzu van Wees 1988, 19-22: „In short, whatever status and privilege a man has, and whichever way he has come by it, his claim to it is legitimate, in the poet’s view, only if he proves to be a deserving warrior“ (S. 19). Ebenso auch Bowra 1952, 97: „The greatest heroes are primarily men of war. But even in battle what really counts is the heroic force, the assertive spirit which inspires a man to take prodigious risks and enables him to surmount them successfully or at least fail with glorious distinction.“ Vgl. auch Walcot 1979, v.a. 327-329 zur Evidenz dafür, dass der Raub von Frauen, wie z.B. im Falle Helenas, oder von Vieh die häufigsten Kriegsgründe der heroischen Zeit darstellten, sowie Andreev 1988, 69-73. Vgl. Pedrick 1983, 63-66 zu den Parallelen von Nestors Bericht zu den Aristien der Ilias. Siehe auch Lonsdale 1990, 118-122 zur Nähe von Löwengleichnissen zu Darstellungen von Rinderraub. Vgl. Nowag 1983, 148-158, der anhand von Beispielen, die allerdings überwiegend aus der Odyssee und den Fragmenten Hesiods stammen, feststellt, dass Vieh das begehrteste Beuteobjekt bei Raubzügen darstellte. Zur Schwierigkeit der Unterscheidung von Krieg und Raubzug siehe ebenda 94-112. Bryant 1996, 23 nennt neben Handel „booty raids“ und „looting wars“ als zweite (und bedeutendere) Möglichkeit zum Erwerb von Ressourcen. Siehe dazu den Abschnitt „negative reciprocity“ in Donlan 1981/82, 141-143 sowie Nowag 1983, 163-170, der allerdings die Anschauung von Raub als geachteter Erwerbsart relativiert: „Der Verfasser ist nach diesen Ausführungen der Auffassung, daß es einen Zusammenhang von Raubtaten und gesellschaftlichem Status nur mittelbar gegeben haben kann, mittelbar in dem Sinn, daß der bei Raubtaten erworbene Reichtum den gesellschaftlichen Status hob, nicht jedoch der Raub selbst“ (S. 169). Vgl. auch die Bemerkung bei Hildebrandt 2007, 190, dass „auch bei den homerischen Helden Raub und Handel noch eng miteinander verknüpft [sind], auch wenn diese negativen Züge gemeinhin den Phöniziern zugeschrieben wurden, die mehrfach in den Epen als Sklavenhändler auftauchen.“ Patzek 2003, 79-81 spricht sogar gewagt von einer „Gesellschaft der Plünderer“ (S. 80).

I.2 Leistung und Agonalität

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dadurch auch der materielle Garant seiner Gesellschaft.234 Die Helden der Ilias sind nicht produktiv tätig, sorgen aber durch ihre kriegerischen Fertigkeiten für das Vorhandensein von Vieh, Rohstoffen und Sklaven.235 Nur der kampfstarke Held kann sich Besitz und Reichtum verdienen und dann auch gegenüber konkurrierenden Helden verteidigen.236 Beim Besitz kriegerischer Exzellenz, aus dem materieller Wohlstand und gesellschaftliche Anerkennung resultieren, können andere Bereiche vernachlässigt werden, denn die Helden der Ilias teilen ein Wertesystem, an dessen Spitze das Ideal der Erbringung individueller Leistungen auf dem Schlachtfeld steht. 237 Die Fähigkeit zu überzeugender Rede hingegen ist zwar nicht bedeutungslos, doch kommt ihr eine untergeordnete Rolle zu. Durch Redefertigkeit kann ein Held seine eigene Kampfesleistung hervorheben, doch es bedarf immer zuerst der Vortrefflichkeit im Kampf, und für das Recht, öffentlich zu sprechen dürfen, muss ein Held sich als Kämpfer bewährt haben. Obgleich Nestor, der „süßredende, hellstimmige Redner der Pylier“ (Il. 1,248) auch noch auf dem Schlachtfeld agiert, legitimiert er seine Reden beständig durch Verweise auf vergangene Kampfesleistungen (Il. 1,260273; 11,668-762; 23,629-645).238 So ist auch der Vorwurf, in Worten besser

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Vgl. hierzu auch Pedrick 1983, 57-62 zur Position, dass der Raubzug des jungen Nestor im Kontext (Il. 9,656-764) als ein Exempel für kämpferischen Einsatz für die Gemeinschaft fungiert. Vgl. Donlan 1981/82, 142: „Raiding (or warfare) has as its main purpose plunder (cattle, horses, sheep, goats, swine, women, children, men, luxury objects, armor, metals) for use, treasure, barter-sale or ransom. The raid is the principal means of acquiring moveable wealth in Homeric society, (...). The raid, which has a prominent place in the activities of the Homeric Greeks, thus serves important social as well as economic functions. Besides being a means of enrichment for the group it is a unifying mechanism, for it structures the political hierarchy, creates or affirms leaders, and validates the dominant ideology of strength, courage, warcraft and personal glory.“ Hervorragend dargestellt bei Bryant 1996, 28-30. Jedoch gilt dem Helden nicht nur der Neuerwerb von τιμή als erstrebenswert, sondern ebenso essentiell ist auch die Fähigkeit eines Helden, seine schon bestehende τιμή im Wettstreit mit anderen Helden zu bewahren. Vgl. Rutherford 1996, 40. „At the heart of the value-system of the Homeric heroes is honour, τιμή, expressed through the respect of one’s peers and embodied in tangible forms – treasures, gifts, women, an honourable place at the feast. In time of war it is inevitable that honour be won above all through prowess in battle, ability as a leader and a fighter. Other qualities are also admired, ability as a speaker, piety, sound judgement and advice, loyalty, hospitality, gentleness, but these are secondary and the last would indeed be out of place in combat.“ Ebenso auch Hellmann 2000, 38-42 zur individuellen Kampfesleistung als bestimmender Faktor für den sozialen Rang. Zum Stil Nestors als vollendetem Redner vgl. Martin 1989, 101-109. Zum aus der Diskrepanz zwischen Beratungsfunktion und aktueller Kampfesleistung entstehenden „Generationenkonflikt“ siehe auch Querbach 1976.

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I. Das homerische Heldenkonzept

zu sein als in Taten, für einen homerischen Helden eine Beleidigung (vgl. Il. 4,399-400).239 Die überragende Bedeutung kämpferischer Fertigkeit und der allgegenwärtige Leistungs- und Agonalitätsgedanke durchzieht alle Lebensbereiche des epischen Helden.240 Tätigkeiten wie der sportliche Wettkampf und die Jagd, mit denen ein Held sich in Friedenszeiten auf den Ernstfall vorbereiten und seine Fähigkeiten zur Schau stellen kann, mögen hier als Beispiele dienen.241 Die Jagd, die in der Ilias nur indirekt in Gleichnissen und Erzählungen präsent ist,242 gehört zu den typischen Aktivitäten eines Aristokraten und ist auch ein Standessymbol. Bei ihrer Ausübung stehen kriegerische Fertigkeiten im Mittelpunkt, da zum Erfolg Treffsicherheit mit Speer, Lanze und Bogen nötig ist. Die Jagd ist nicht ungefährlich und durchaus einer Schlacht vergleichbar, wie Verweise auf Verwundungen und Todesfälle während der Jagd zeigen. Für junge Krieger ist die Jagd die erste Erprobung ihrer Ausbildung, während kampferprobte Helden ihre Fähigkeiten auf diese Weise auch in Friedenszeiten beweisen können. Zusätzlich zur Übung der Kriegstugenden ist bei der Jagd noch ein zusätzlicher Aspekt wichtig, der für das Wesen eines homerischen Helden bestimmend ist: Denn die Jagd ist, wie ein Kriegszug, ein gemeinschaftliches Unternehmen mehrerer Helden, und Jagdexpeditionen sind zumeist bedingt durch das Auftreten eines gefährlichen Tiers, das die Gemeinschaft bedroht. Indem sie dieser Gefahr gemeinsam entgegentreten, nehmen die Helden ihre Verpflichtung wahr, die Gesellschaft zu schützen. Die Erzählung vom Kalydonischen Eber zeigt jedoch (Il. 9,539-549), dass auch eine Jagd Anlass für Streitigkeiten geben konnte, wenn sich beteiligte Helden durch den Ausgang der Jagd in ihrer Ehre gekränkt fühlten. In diesem Fall entstand ein Streit um die Jagdtrophäe, der letztendlich sogar zu einem Krieg zwischen Kureten und Aitolern führte (Il. 9,547-549). Neben der Jagd ist der sportliche Wettkampf, in dem Helden sich freundschaftlich miteinander messen, eine institutionalisierte Form des Kampfes um Anerkennung innerhalb der homerischen Aristokratie. Die in der Ilias erwähnten Wettspiele finden bei den Beerdigungsritualen für lo-

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Vgl. Alden 2000, 118: „Diomede is not like his father, Agamemnon says: he is worse in battle, and better at speaking in the assembly. This last is not a compliment to Diomede’s rhetorical powers: Agamemnon is implying he is not much good for anything.“ Erklärend hierzu Patzek 2003, 91: „(...) die Gepflogenheiten des friedlichen und produktiven Gemeinschaftslebens passen nicht zum kriegerisch-individualistischen Ethos der Heldensage.“ Siehe auch Allan/Cairns 2010. Vgl. dazu auch Patzer 1996, 194-196 zu Wettspielen bzw. 193-194 zur Jagd in den homerischen Gedichten. Zu Jagdgleichnissen siehe auch Lonsdale 1990, 71-83.

I.2 Leistung und Agonalität

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kale Herrscher statt, wenn Helden zusammenkommen, um den Verstorbenen zu ehren.243 Bestattung und die anschließenden Spiele sind gemeinschaftliche Handlungen aller Teilnehmer in einem öffentlichen Raum und werden von den Angehörigen des Verstorbenen ausgerichtet.244 Bei den Disziplinen, in denen die Helden gegeneinander antreten, handelt es sich ebenfalls um kriegerische Fertigkeiten (vgl. die Leichenspiele für Patroklos in Il. 23,259-897):245 Das Führen eines Wagens, die Fähigkeit, schnell zu laufen, und der Kampf in Waffen sind Grundfertigkeiten des homerischen Kriegers, das Schleudern von Speer oder Stein sowie das Bogenschießen sind spezielle Kampffertigkeiten. Boxkampf und Ringkampf sind ohne direkten Bezug zum Kriegswesen, erfordern jedoch als waffenlose Kampfkünste dieselben Fähigkeiten, über die auch ein Krieger verfügen muss. Junge und unerfahrene Kämpfer können auf diesem Wege erste Erfahrungen sammeln, zumal sich in der Ilias keine Hinweise auf eine formelle militärische Ausbildung finden.246 Ein Sieg in überregional abgehaltenen Spielen bedeutet einen erheblichen Zuwachs an gesellschaftlichem Ansehen. Sich vor den Augen der eigenen Standesgenossen und gegen gleichrangige Kontrahenten im sportlichen Wettkampf bewähren zu können, legt von der guten Ausbildung oder erfolgreichen Karriere eines Helden Zeugnis ab. Die meisten Helden, die sich bei den Leichenspielen des Patroklos zum Wettkampf stellen, sind auch sonst bedeutende Kämpfer. Ausnahme ist der ansonsten in der Ilias an keiner anderen Stelle auftretende Epeios, der selbst zugibt, nur im Faustkampf, nicht jedoch in der Schlacht ausgezeichnet zu sein (Il. 23,668-671). Ein Sieg im Wettkampf ist folglich ehrenvoll, kann jedoch nicht alleine den hohen Status eines Helden rechtfertigen. Nur die Helden, die neben ihren Siegen sich auch in der Feldschlacht auszeichnen, können als große Krieger gelten. Epeios, der zwar den Titel des besten Boxers für sich in Anspruch

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Die Ilias erwähnt die Leichenspiele des Amarynkeus in Buprasion (Il. 23,630-631) und die des Oidipus in Theben (Il. 23,679-680), doch das einzige explizite Beispiel sind die Leichenspiele, die Achill für seinen gefallenen Gefährten Patroklos im Anschluss an dessen Bestattung abhält (Il. 23,259-897), siehe dazu die Interpretation bei Redfield 1994, 204-210. Zu Leichenspielen als politischer Inszenierung siehe v.a. Hammer 2002, 134-143. Vgl. Willcock 1973, 1-4: Wagenrennen (Il. 23,259-652), Boxkampf (Il. 23,653-699), Ringkampf (Il. 23,700-739), Wettlauf (Il. 23,740-797), ein Zweikampf in Waffen und Rüstung (Il. 23,798-825), Weitwurf mit einem Eisenklumpen (Il. 23,826-849), Bogenschießen (Il. 23,850-883) und Speerwurf (Il. 23,884-897). Zur Nähe von sportlichem Wettkampf und Krieg siehe auch Schröter 1950, 116-117, Richardson 1993, 165, Redfield 1994, 204 sowie Bennett 1997, 103-107. Auch der Begriff ἄεθλος wird gleichermaßen für Kampf (Il. 3,126) als auch für Wettspiele (z.B. Il. 23,753) verwendet. Vgl. van Wees 1996b, v.a. 15-16.

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I. Das homerische Heldenkonzept

nehmen kann, ist kein ausgezeichneter Kämpfer und in der Darstellung der Ilias ansonsten bedeutungslos (vgl. Il. 23,669-671).247 Das Prestige des Sieges und die Anerkennung der Gemeinschaft findet ihren Ausdruck durch Kampfpreise, die aus dem Besitz des Verstorbenen oder des Veranstalters der Spiele gestellt werden (vgl. Il. 23,631). Sie legen sichtbares Zeugnis vom Erfolg des Wettkämpfers ab, und an ihnen lässt sich die Bedeutung einer Disziplin ermessen. Das bedeutendste Ereignis der Spiele ist offenbar das Wagenrennen, da ihm in der Darstellung des Dichters der breiteste Raum gegeben wird und die ausgesetzten Kampfpreise verglichen mit den Preisen anderer Wettkämpfe die wertvollsten sind.248 Nicht nur der Sieger wird mit einem Preis geehrt, sondern jeder Teilnehmer erhält einen Preis, und die Teilnahme an Wettkämpfen allein ist schon eine Auszeichnung für einen Helden. Die Disziplinen der Spiele entsprechen nicht nur den Fertigkeiten eines Kriegers, sondern alle Wettkämpfe werden auch mit der gleichen Erbitterung ausgetragen. Der Kampf in Waffen bis zum ersten Blut (vgl. Il. 23,802806) wird im Fall des Kampfes zwischen Diomedes und Aias aus Angst um das Leben des Aias abgebrochen, da Diomedes auf den Hals seines Kontrahenten zielt (Il. 23 ,820 -221).Auch bei einem solchen Kampf kann ein Held sein Leben verlieren, zumal ein Held offenbar keine Hemmungen hat, einen Kameraden für den Sieg zu töten. Im Rahmen der Leichenspiele des Patroklos entsteht Streit unter den Zuschauern wie auch den Teilnehmern, der allerdings schnell beigelegt werden kann (Idomeneus – Aias, Il. 23,456490; Menelaos – Antilochos, Il. 23,566-611). Doch kann auch handfester Streit bei Wettspielen entstehen, wie die Erzählung von Diomedes‘ Vater Tydeus zeigt: Als er als Gast in Theben war, forderte Tydeus die Kadmeier zu Wettspielen heraus und siegte mit Hilfe der Athene in allen Disziplinen. Um diese Schmach zu rächen, lauerten ihm fünfzig Männer der Kadmeier auf seinem Rückweg auf, die Tydeus bis auf einen der Anführer alle tötete (Il. 4,387-398). Spiele sind für den Helden von hoher Bedeutung für sein persönliches Ansehen und das Ansehen seiner Gemeinschaft, das gegebenenfalls auch mit Waffengewalt verteidigt werden muss.249 Die Kadmeier

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In der Odyssee gilt Epeios als der Erbauer des Troianischen Pferds (Od. 8,493; 11,523), doch in der Ilias wird künstlerischen oder handwerklichen Fähigkeiten weiter keine Bedeutung beigemessen. Zwar ist es schwer, im Bereich der Sachpreise den genauen Wert abzuschätzen, der nur gelegentlich explizit mit der gleichwertigen Anzahl Rindern bezeichnet wird. Jedoch ist der Preis für den Sieger im Wagenrennen eine Sklavin und ein Dreifuß (Il. 23,263-265) und dieselben Gegenstände sind auch die Preise im Ringkampf, ein Dreifuß im Wert von 12 Rindern für den Sieger und eine Sklavin im Wert von vier Rindern für den Verlierer (Il. 23,702-705). Ferner ist der dritte Preis im Wagenrennen ein neuwertiges Becken, was auch den Siegespreis für den Speerwurf darstellt (Il. 23,267 = 885: ἄπυρον λέβητα). Vgl. van Wees 1992, 202-206.

I.2 Leistung und Agonalität

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versuchen, die schmähliche Niederlage gegen den Fremden durch dessen Tod zu bereinigen, und Tydeus reagiert auf diesen Angriff seinerseits mit Gewalt. Der Ton der Erzählung ist bewundernd (vgl. Il. 4,399: τοῖος ἔην Τυδεὺς Αἰτώλιος), und es wird kein Anstoß daran genommen, dass friedliche Wettkämpfe in Blutvergießen enden.250 Diese Aggressivität beruht darauf, dass ein Held auch einen Verbündeten, dem er freundlich gesonnen ist, in dem Moment, in dem es um seine Ehre geht, als einen Feind betrachtet und sich entsprechend zur Wehr setzt. 251 Neben kriegerischen und sportlichen Fertigkeiten, in denen der Held mit seinen Standesgenossen wetteifert, besteht der zweite, in der Darstellung der Ilias vernachlässigte Bestandteil heldischer Vortrefflichkeit in geistigen Fähigkeiten. Diese werden unter dem Begriff der μῆτις zusammengefasst, der sich am besten als „praktische Klugheit“ wiedergeben lässt, denn Klugheit muss zum Erfolg beitragen können, und theoretische Kenntnisse und Gelehrsamkeit bedeuten dem homerischen Kriegeradel nichts (vgl. Il. 23,315-318).252 Damit steht μῆτις in Opposition zur βίη, der Stärke eines Helden, und bezeichnet die Gesamtheit aller Fertigkeiten, die einem Helden helfen, sein Ziel zu erreichen, ohne dabei auf brutale Gewalt oder überlegene Fertigkeit zurückzugreifen. Dabei ist μῆτις in der Ilias ein positiver Begriff, der besonders Umsicht, klugen Rat und zielführende Intelligenz beinhaltet, ohne dass damit List und Trug impliziert sind (vgl. die Verbindung von μῆτις mit νόος in Il. 7,447; 15,509 sowie mit βουλή in Il. 7,324-325 = 9,93-94; 10,17-20).253 Das Wagenrennen während der Leichenspiele für Patroklos vermag es, diesen Unterschied zu illustrieren: Nestor rät seinem Sohn Antilochos vor dem Rennen, den Mangel an Schnelligkeit seiner Pferde (βίη) durch μῆτις zu kompensieren, indem er durch geschicktes Manövrieren die Kurven möglich eng nimmt und sich so nicht überholen lässt (Il. 23,313-348). Zwar gelingt es Antilochos, Menelaos im Wagenrennen zu überholen, jedoch nicht durch nur eine bessere Fahrleistung (μῆτις), sondern indem er ihn durch ein gefährliches Manöver an einer engen Stelle zum Abbremsen zwingt (Il. 23,418-441) und damit einen Trick einsetzt, um sich den zweiten Platz zu erkämpfen (vgl. Il. 23,515: κέρδεσιν,

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Es sei allerdings erwähnt, dass es sich bei der geschilderten Situation nicht um Leichenspiele handelt, sondern um einen sportlichen Wettkampf, der auf die Herausforderung des Tydeus hin stattfand (Il. 4,389: ὅ γ᾿ ἀεθλεύειν προκαλίζετο). Es ist somit wahrscheinlich, dass diese Spiele eher als Auseinandersetzung zwischen Feinden mit anderen Mitteln als offenem Kampf denn als echte Wettspiele unter Freunden anzusehen sind. Vgl. dazu Yamagata 1994, 135. Ein weiteres Beispiel einer extremen Reaktion findet sich in Il. 23,86-88, wo der Geist des Patroklos berichtet, wie er aus Zorn einen Freund beim Würfelspiel (!) erschlug. Vgl. Detienne/Vernant 1974, v.a. 7-13. Zur Gesamtheit geistiger Fähigkeiten siehe Classen 2008, 76-102. Vgl. v.a. Wilson 2005, 5-9.

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I. Das homerische Heldenkonzept

οὔ τι τάχει). Folglich kann Antilochos‘ μῆτις als List (δόλος) abgetan werden (vgl. Il. 23,515, 576, 585), denn in der Ilias wird bei offener Gegenüberstellung immer direkter Leistung und Stärke (βίη) der Vorzug gegeben.254 Ansonsten ist der Ort der μῆτις in der Ilias jedoch zumeist die Versammlung,255 zum einen die zurückgezogene Beratung der obersten Heerführer (Il. 2,57, 84: βουλή), die häufig größeren Versammlungen vorangeht, zum anderen die Heeresversammlung, bei der die Beratung vor den Augen des gesammelten Heers stattfindet (z.B. Il. 2,93: ἀγορή), wo jedoch das Recht zu sprechen nur Herrschern zusteht. 256 Der Aspekt der μῆτις, der bei Beratungen zur Geltung kommt und darin besteht, sich durch wohlüberlegten Rat zu bewähren und andere Helden zu überzeugen, wird als εὐβουλία bezeichnet.257 Sie äußert sich in der Fähigkeit, wohlstrukturiert und überzeugend zu sprechen und unterliegt ebenfalls den Prinzipien der agonalen Gesellschaft.258 Denn bei einem iliadischen Kriegsrat kommt die archaische Form der konsentischen Beschlussfindung zum Einsatz, sodass nach dem Vortrag unterschiedlicher Vorschläge ein einstimmiger Beschluss für das weitere Vorgehen getroffen wurde. Die Formel „Doch auf, folgen wir alle so, wie ich es sage!“ (Il. 2,139; 9,26, 700; 12,75; 14,74, 370; 15,294; 18,297: ἀλλ᾿ ἄγεθ᾿, ὡς ἂν ἐγὼ εἴπω πειθώμεθα πάντες) zum Abschluss eines Vorschlages zeigt die Stellung des homerischen Redners. Die konjunktivische Formulierung unter Einschluss des Sprechers zeigt, dass in der Versammlung niemand Befehle erteilen kann, sondern nur Ratschläge aussprechen und zu deren Annahme aufrufen kann.259 Diese können entweder einstimmig angenommen oder nach einer Gegenrede abgelehnt werden. Die Ilias beschreibt keine Abstimmung über verschiedene Vorschläge, und nach einer Rede, die von allen Anwesenden gutgeheißen wird, schreitet man direkt zu deren Umsetzung. Der Erfolg einer Rede beruht nicht ausschließlich auf geschickter Rhetorik und logischen Argumenten, sondern auch auf der Person und dem Ansehen des Sprechers. So ist die homerische εὐβουλία in weitestem Sinne

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Vgl. Wilson 2005, 5-6 sowie Dunkle 1987, 1-9, v.a. 5: „The importance of mêtis is recognized in the account of the chariot race, but it is ultimately overshadowed by the pre-eminence of biê.“ Zwar wäre es denkbar, dass μῆτις auch auf dem Schlachtfeld zum Einsatz käme, doch scheint der Dichter in seinen Kampfschilderungen streng darauf zu achten, dass niemals ein überlegener Kämpfer einem schwächeren, aber dafür geschickter taktierenden Gegner unterliegt. Zur Heeresversammlung siehe Patzer 1996, 187-191. Vgl. Schofield 1989 sowie Patzer 1996, 166. Zur kunstvollen Struktur und Komposition der Reden, auf die hier nicht eingegangen werden kann, sei exemplarisch auf die Arbeit von Lohmann 1970, v.a. 12-94 verwiesen. Vgl. Pucci 1997, 191-192. Zu Nestor als gutem Ratgeber, der diesem Ideal entspricht, siehe Roisman 2005.

I.2 Leistung und Agonalität

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die Fähigkeit des Helden, sich in der Versammlung zu profilieren, seinen eigenen Status zu demonstrieren und auszubauen.260 Die Rede des Helden und damit der Ausdruck seiner geistigen Fähigkeit finden immer in einer performativen Situation vor anderen Helden statt.261 Das Recht, in einer Versammlung zu sprechen, ist Aristokraten vorbehalten (vgl. Il. 9,33), doch bevor ein Held mit seiner eigentlichen, der Situation entsprechenden Rede beginnen kann, bedarf es einer Rechtfertigung seiner Befähigung, als Berater fungieren zu können. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Alter eines Helden und seiner εὐβουλία, wie sich in den Reden des Diomedes als dem jüngsten der Helden in Agamemnons „Königsrat“ (vgl. Il. 9,54) und des Nestor als dem ältesten Helden zeigt.262 Bevor Diomedes seinen Entschluss bekundet, auch im Falle des Abzugs des Heers zu bleiben und weiterzukämpfen, weist er auf die Vorhaltungen hin, die Agamemnon ihm während der Epipolesis (vgl. Il. 4,370-375 und 399-400) gemacht hatte (Il. 9,32-39), und legitimiert durch deren Widerlegung seinen aktuellen Ratschlag. Noch ausführlicher ist seine Rechtfertigung in Il. 14,110-127, wo er seine edle Abstammung als Kompensation für seine Jugend anführt. Sein eigentlicher Ratschlag, die Truppen zum Kampf anzutreiben, folgt in knappen Worten (Il. 14,128-132). Auch Nestor beginnt seine Reden mit ausführlichen Verweisen auf seine früheren Leistungen (Il. 1,259-274; 11,668-762). Die Notwendigkeit dieser Rechtfertigungsstrategien besteht darin, dass die geistigen Fähigkeiten eines Helden nur in Verbindung mit Kampfkraft Geltung hinsichtlich des Ideals heroischer Vortrefflichkeit besitzen. Nur in einem Helden, der sich durch Leistung im Kampf auszeichnen kann, wird der Einsatz des Verstands entsprechend gewürdigt. 263 Der greise Nestor bildet eine Ausnahme, doch Odysseus und Diomedes, die bedeutendsten

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Siehe dazu Schofield 1986, 15-18: „A heroic counsellor aims to solve the problem in hand. A successful solution is the intended result of his advice. But in so far as he and others see his counsel as a display of prowess, its real goal is something else: the honour accorded to someone who exhibits the appropriate excellences in his advice – pre-eminently spirit and (...) wisdom“ (S. 15). Zur Theorie des „speech-act“ und ihrer Anwendung auf die Rede homerischer Helden siehe Martin 1989, 1-42, zur Performativität heroischer Reden ebenda 89-101. Vgl. Schofield 1986, 26 sowie Redfield 110-111. Zu dem Gegensatz von Nestor und Diomedes als ältestem und jüngstem der großen Helden siehe auch Querbach 1976, 61-64, die feststellt, dass bei weitem nicht immer den Ratschlägen des Älteren der Vorrang gegeben wird. Vgl. hierzu allgemein Bowra 1952, 100: „Though physical strength is an essential part of a hero’s endowment, he is no animal devoid of wits. On the contrary, since wits are another sign that he surpasses other men, there is nothing discreditable in their use to secure some glorious end.“ Ebenso auch Dunkle 1987, 4: „[I]n the Iliad, mêtis unsupported by adequate biê is doomed to failure.“ Auch in diesen Aussagen zeigt sich die Ergebnisorientiertheit der heroischen Gesellschaft.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Helden mit anerkannten geistigen Fähigkeiten, sind zugleich hervorragende Kämpfer.264 Ein weitere Anwendung geistiger Fähigkeiten ist die Rechtsprechung, denn im Rahmen der Volksversammlung wird auch Gericht gehalten und Streitfälle können geschlichtet werden (vgl. Il. 11,807-808; 16,387).265 Die Richterfunktion obliegt den Mitgliedern der herrschenden Klasse, wie die einzige Gerichtsszene der Ilias zeigt, die im Rahmen der Schildbeschreibung in der „Stadt im Frieden“ stattfindet (Il. 18,497-508).266 Zwar handelt es sich um eine Darstellung innerhalb einer Ekphrasis, doch die Implikationen der Szene entsprechen dem Bild, das der Dichter auch in der Haupthandlung von seinen Helden und ihrer Gesellschaft entwirft. Vor den Augen des Volks hört ein ἴστωρ „Schlichter“ einen Streitfall über die Frage der Zahlung von Wergeld und wird bei seinem Urteilsspruch von einem „Ältestenrat“ unterstützt (Il. 18,497-508; vgl. auch 23,486-487).267 Sowohl der ἴστωρ als auch die γέροντες gehören zur herrschenden Klasse,268 und die

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Vgl. Schofield 1986, 30: „Diomedes is after Odysseus the most perfect hero of the Iliad, and he is so because in him euboulia (albeit a raw euboulia) and warrior prowess are better balanced than in anyone else but him.“ Insgesamt zeichnen Diomedes als kampfstarker und Odysseus als wortgewandter Held eine komplementäres Bild des Heldenideals, vgl. dazu Erbse 2005, 3-7. Odysseus, der gegenüber Achill im Bereich geistiger Fertigkeiten ohne Widerspruch Überlegenheit beansprucht (Il. 19,216-219), ist der einzige Held, der regelmäßig mit Epitheta bedacht wird, die sich auf seine Intelligenz beziehen, wie πολύμητις, ποικιλόμητις, Διὶ μῆτιν ἀτάλαντος oder πολυμήχανος, vgl. Whallon 1961, 123-124. Vgl. Patzer 1996, 196-199. Zur Deutung der gesamten Szene siehe Edwards 1991, 213-218 und Westbrook 1992, 67-76. In Il. 18,510 besteht ein Übersetzungsproblem hinsichtlich des Streitpunktes: Handelt es sich um die Frage, ob die Zahlung eines Blutgelds schon erfolgt ist, wie ein Scholiast (vgl. Σ bT ad Il. 18,499) und auch der aktuellste Kommentator Cerri 2010, 173-174 meint, oder aber um den schwerwiegenderen Konflikt, ob der Mord überhaupt durch die Zahlung eines Wergelds gesühnt werden kann. Edwards 1991, 214-216, Westbrook 1992, 73-76, Becker 1995, 111-112 (mit Anm. 205 zu weiterer Literatur) sowie Scodel 2008, 86-87 vertreten die zweite Position, und in der Tat scheint dies m.E. die sinnvollere Deutung zu sein, da der Streitgrund damit ein Grundthema der Ilias widerspiegelte, vgl. auch Alden 2000, 57-60. Vgl. auch Il. 23,486, wo Agamemnon als ἵστωρ agieren soll. Zur Position des ἵστωρ im frühgriechischen Epos und in archaischer Zeit siehe ferner Tandy 1997, 181-187. Die Bezeichnung γέροντες wird zumeist in übertragener Bedeutung als Titel für „Berater“ verwendet, wie die Aufzählung der edelsten Achaier in Il. 2,404-408 deutlich macht (ebenso gebraucht in Il. 9,89, vgl. auch Griffin 1995, 86 ad loc. und Wilson 1996, 215 ad loc.). Insbesondere die Nennung des Diomedes, der gerade der jüngste der griechischen Helden ist (siehe Il. 14,112: γενεῆφι νεώτατος), zeigt, dass an dieser Stelle mit der Vokabel γέρων nicht die Vorstellung von einem bestimmten Lebensalter verbunden sein kann, vgl. Ulf 1990, 70-78 und Brandt 2002, 23. Vielmehr scheint in derartigem Kontext die Vokabel γέρων das Familienoberhaupt, also das

I.2 Leistung und Agonalität

63

Szene zeigt, dass nur sie das Recht besitzen, bei der Versammlung zu sprechen, während dem Volk nur Zurufe gestattet sind. Recht und die Ausübung von Rechtsprechung werden im öffentlichen Raum inszeniert und sind an feste Regeln hinsichtlich der Teilnahme an der Urteilsfindung gebunden.269 In einer Gesellschaft, die kein kodifiziertes Recht kennt, muss der Schiedsrichter, der ἵστωρ, an den sich zwei streitende Parteien zur Schlichtung ihres Disputs wenden, nicht nur ein gerechtes Urteil anstreben, sondern vor allem auf Ausgleich bedacht sein. Auch bei schweren Delikten besteht das Ziel der Gerichtsverhandlung in der Konsensfindung. Verhandelt wird hier offenbar ein Mord, für den der Mörder bereit ist, Wergeld zu bezahlen, wohingegen der Ankläger, vermutlich ein naher Blutsverwandter des Opfers, nicht bereit ist, dieses zu akzeptieren. Mord ist in der homerischen Gesellschaft weder ein Verbrechen noch eine Sünde, sondern ein privates Fehlverhalten, für das nur ein Angehöriger des Ermordeten Buße einfordern kann. Ihm steht neben der Annahme des Wergelds das legale Mittel der Blutrache zur Verfügung,270 und oftmals bleibt dem Mörder nur die Option, der Vergeltung durch freiwilliges Exil zu entgehen (Il. 2,661666; 13,694-697 = 15,333-336; 15,431-432; 16,571-574; 23,84-88).271 Letztlich sind beide Prozessgegner nicht zur Annahme des Urteils des Schiedsrichters verpflichtet, aber es ist wichtig, dass eine Möglichkeit besteht, wie ein Streit in gegenseitigem Einvernehmen und ohne Blutrache beigelegt werden kann, damit weiterhin ein friedliches Zusammenleben der Gemeinschaft gewährleistet ist. Insofern ist die Fähigkeit, über die ein homerischer Herrscher insbesondere verfügen muss, εὐβουλία und ein gutes Gespür für die Konsensfindung.272 Die Fähigkeit eines Helden als Berater kann sich ebenso in einer privaten Besprechung äußern. Musterbeispiel hierfür ist die lange Rede des Nes-

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älteste lebende männliche Mitglied einer bedeutenden Familie, zu bezeichnen, vgl. van Wees 1992, 275. Vgl. Hammer 2002, 127-134. Vgl. Calhoun 1963, 438-440, Bryant 1996, 21 sowie Westbrook 1992, 75: „The other party, the avenger, has the dual right to ransom or revenge. By refusing to take ransom, he asserts that the case is one of aggravated homicide and he therefore has a free choice between ransom and revenge.“ Vgl. auch Aias‘ Aussage in Il. 9,632-636. Die Praxis der Blutrache scheint in Griechenland mindestens bis Ende des 7. Jhd. v. Chr. Bestand gehabt zu haben, so Lendon 2000, 11-12. Zum Thema des verbannten Mörders siehe Schlunk 1976, 201-204. Die Flüchtlinge fanden zumeist Schutz und Zuflucht an den Höfen anderer Herrscher, in deren Dienst sie sich stellten. Zur Bedeutung von Ausgleich und gegenseitigem Einvernehmen siehe auch Yamagata 1994, 61-72 zum Begriff von δίκη bei Homer.

64

I. Das homerische Heldenkonzept

tor an Patroklos (Il. 11,655-803), die die Handlung der Ilias maßgeblich beeinflussen wird und zu Recht als die „Aristie des Ratgeberhelden“ 273 bezeichnet wurde. Tatsächlich zeigt sich motivische Ähnlichkeit mit einer Aristie, insofern als Nestor hier seine charakteristische Fähigkeit unter Beweis stellt, und Nestor, der als fähiger Berater gelobt wird (z.B. Il. 2,370372), erhielt nicht wegen seiner ἀρετή im Kampf, sondern wegen seiner εὐβουλία im Rat eine Sklavin zugesprochen (Il. 11,624-627).274 Selbst bei der Abwicklung eines Streitfalls und der Urteilsfindung ist das kompetitive Element gegenwärtig, und demjenigen, der am besten Recht spricht, wird ein Preis in Form von Gold in Aussicht gestellt (Il. 18,507-508). Dies verdeutlicht einerseits den hohen Stellenwert von Redefertigkeit und klugen Ratschlägen im Wettstreit um gesellschaftliche Anerkennung, und zeigt andererseits, dass jede Situation den Mitgliedern der homerischen Kriegeraristokratie Gelegenheit zum Wettkampf und dem Gewinn von gesellschaftlichem Ansehen bieten kann. Auch in friedlichem Kontext ist der Umgang der homerischen Helden untereinander von Wettkampf- und Konkurrenzgedanken geprägt, und Erfolg wird durch Siegespreise und Ehrengeschenke anerkannt.

I.3

Der Held im Kampf

Die Ilias ist unbestreitbar ein Kriegsgedicht, und der Darstellung von Kampf und Tod ist breiter Raum gegeben.275 Der Versuch der friedlichen Beilegung des Konflikts mit Diplomatie durch den Zweikampf zwischen

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Patzek 1992, 199 und 2003, 52: „Seine (d.h. Nestors) Kunst der Überredung wird mit dem Trinkgelage verbunden, sein Attribut ist das Trinkgefäß.“ Vgl. auch Pedrick 1983, 66: „Like all the best warriors at Troy, Nestor has been given his chance, at the appropriate moment and in the fashion at which he excels, to stop the Trojans – by persuading those who can help.“ Siehe zudem Johnston 1988, 79-80 zur Beobachtung, dass es sich bei dem Becher des Nestor um den einzigen ausführlicher beschriebenen Gegenstand der Ilias handelt, der nicht unmittelbar mit dem Kriegshandwerk in Verbindung steht, aber trotzdem durch den Verweis auf die Stärke, die zu seiner Benutzung benötigt wird, seinen Besitzer als starken Helden ausweist. So kommt auch die Zubereitung des Mahls vor der Unterredung einer Rüstungsszene gleich und der sog. Nestorbecher, den nur Nestor allein zu heben vermag (Il. 11,636-637), greift das Motiv auf, dass besondere Gegenstände nur von ihren Besitzern benutzt werden können (vgl. den Speer des Achill in Il. 16,140-144), zu diesem Wandermotiv siehe auch Kakridis 1961, 296-297. Vgl. Patzek 1992, 199 sowie Roisman 2005, 21. Die Tatsache, dass Nestors Beutemädchen Hekamede auch mit einem Patronymikon eingeführt wird (Il. 11,626: θυγατέρ᾿ Ἀρσινόου), weist auf ihren hohen gesellschaftlichen Stand und aufgrund ihres daraus resultierenden hohen ideologischen Werts auf das hohe Ansehen hin, das Nestor im Heer der Griechen genoss, vgl. Higbie 1995, 113. Zur Gattung des Kriegsgedichts siehe auch Johnston 1988, 11-15.

I.3 Der Held im Kampf

65

Paris und Menelaos scheitert (Il. 3,249-461), und damit ist der Krieg nicht nur gerechtfertigt, sondern auch der einzige Weg für beide Seiten.276 Wie schon deutlich wurde, ist der Kampf der bestimmende Bereich der heroischen Existenz und Exzellenz, und die Leistungen, die Sarpedon in seiner Rede zur Rechtfertigung seiner Führungsposition anführt, sind ausschließlich kriegerischer Natur (Il. 12,315-316: τὼ νῦν χρὴ Λυκίοισι μέτα πρώτοισιν ἐόντας / ἑστάμεν ἠδὲ μάχης καυστειρῆς ἀντιβολῆσαι; 321: ἐπεὶ Λυκίοισι μέτα πρώτοισι μάχονται):277 Von jedem Helden wird erwartet, dass er sich im Kampf Mann gegen Mann auf dem Schlachtfeld bewährt. 278 Die Betätigung als Krieger ist die Hauptfunktion des iliadischen Helden, und der heroische Verhaltenskodex fordert Standhaftigkeit, Mut und Erfolge in der Schlacht (vgl. Il. 5,251-258; 6,441-446; 11,404-410; 14,85-87).279 Es kann kaum Zweifel daran bestehen, dass die Gestaltung der Kampfhandlungen und die Darstellung von kriegerischer Vortrefflichkeit vollständig formelhaft und traditionell sind und damit Aufschluss über das homerische Heldenkonzept und das erwartete und angemessene Verhalten der Helden geben können.280 I.3.1

Die Waffen des Helden

Vor der Untersuchung der Schlachtdarstellung bietet es sich an, einen Blick auf die Ausrüstung des Helden zu werfen, da auch diese Rückschlüsse auf die Vorstellung von heroischem Kampf zulässt. Das Anlegen der Rüstung ist eine typische Szene, die immer nach demselben Schema verläuft und dem Helden symbolisch die Stärke seiner Waffen zuteilwerden lässt.281 Die

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Vgl. Ulf 1990, 141 sowie Thalmann 1998, 195-196: „Generally (...) consummation is the victor’s prize. That the loser [im Zweikampf, d.h. Paris] here continues to enjoy Helen is one of the dislocations that show how, in the Iliad, all attempts to settle the conflict short of indiscriminate violence are doomed.“ Vgl. zudem die zahlreichen generischen Epitheta, die homerische Helden in ihrer Funktion als Krieger kennzeichnen, wie δαΐφρων „kriegerisch gesinnt“, ἀμύνων „streitbar, wehrhaft“, κρατερός „stark“, „kräftig“, „gewaltig“, ἀρήιος „kriegerisch“, κυδάλιμος „ruhmreich“, „erhaben“, δουρικλυτός „speerberühmt“, πτολίπορθος „Städteeroberer“. Zu den Epitheta siehe Whallon 1961 sowie Passakos/De Raad 2008. Vgl. Mackie 2008, 23-34 zum Befund, dass Monster und Untiere, gegen die sich ein Held bewähren müsste, in der Ilias nur in Erzählungen vergangener Zeiten erscheinen. Zum Helden als Krieger in anderen Traditionen siehe auch Campbell 1949, 334-341, dessen Darstellung jedoch überwiegend Kämpfe gegen Monster behandelt und bei dem die Funktion als Krieger nur als eine von zahlreichen Transformationen des Helden erscheint. Vgl. Fenik 1968, 31 sowie v.a. Patzer 1996, 155-158. Zur Typik und Traditionalität der Schlachtszenen siehe v.a. Fenik 1968. Die erste Rüstungsszene der Ilias ist die des Paris (Il. 3,328-338) in Vorbereitung auf das Duell mit Menelaos, und es folgen die Rüstung des Agamemnon (Il. 11,15-55), des Patroklos (Il. 16,130-154) und des Achilles (Il. 19,364-424). Mit Ausnahme der

66

I. Das homerische Heldenkonzept

Panoplie zeugt vom Vermögen des Helden und symbolisiert seinen Status, seinen Wohlstand sowie die Verpflichtung zum Schutz der Gemeinschaft.282 Die ekphrastischen Passagen der Ilias, die Waffen und Rüstungsgegenstände beschreiben, zeugen zudem von der Schönheit der Kriegswerkzeuge (vgl. Il. 17,760; 18,466; 21,301: τεύχεα καλά), die in deren tödlichem Potential besteht und darin ihre Erfüllung findet. 283 Der Held identifiziert sich mit seiner Rüstung, dem sichtbaren Zeichen seiner Kampfkraft.284 Das Anlegen der Rüstungsteile erfolgt immer in derselben Reihenfolge. Der Held legt zuerst seine bronzenen Beinschienen an (nur Il. 7,41: χαλκοκνήμιδες), danach folgt der eherne Brustpanzer (vgl. Il. 13,371-372, 397-398: θώρηξ χάλκεος; 13,439-440: χιτῶνα χάλκεον).285 Eine Rüstung aus Gold, wie Diomedes sie von Glaukos erhält (Il. 6,235-236; auch die Waffen des Rhesus in 10,439: τεύχεα δὲ χρύσεια), ist historisch nicht bezeugt und wäre aufgrund des Gewichts, der Kostbarkeit des Metalls sowie der Weichheit des Materials kaum für den Kampf geeignet. Ihre Existenz ist auf die Phantasie des

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Rüstung des Paris stellen sie die Vorbereitung der Aristie des betreffenden Helden dar und sind in Details individuell an den jeweiligen Helden angepasst. Vgl. dazu die Untersuchung der einzelnen Szenen im jeweiligen Kontext bei Armstrong 1958, 341-354, Russo 1968, 282-286, Thornton 1984, 101-103 sowie Patzer 1996, 112-116. Siehe auch Edwards 1992, 302 für weitere Literaturhinweise. Vgl. Adkins 1997, 699, 701-702. Vgl. Schröter 1950, 76-79. Siehe auch Johnston 1988, 77-85 zur Beschränkung ekphrastischer Beschreibungen auf kriegerisch relevante Gegenstände. Vgl. Patzer 1996, 109-111 sowie Benardete 2005, 40-43. Zum Motiv „Glanz der Waffen“ siehe Schröter 1950, 85-89 sowie Krischer 1971, 36-38. Es ist eine zeitlose Tatsache, dass eine besondere Bindung zwischen dem Kämpfer und seiner Ausrüstung besteht, vgl. Shay 1994, 141-144. Vgl. auch die Epitheta der Krieger, die auf einzelne Rüstungsgegenstände Bezug nehmen: Die Achaier werden χαλκοκνήμιδες „erzbeschient“ (Il. 7,41) oder häufiger ἐυκνήμιδες „wohlbeschient“ genannt (zu dieser Formel siehe v.a. Bowra 1961), und mehrere Völker erhalten das Epitheton χαλκοχίτων „erzgewandet“. Des Weiteren sind Krieger ἀσπιδιώτης „beschildet“ und vor allem Hektor wird durch die Bezeichnung κορυθαίολος „helmschüttelnd“ charakterisiert, die in seinem Fall durch die berühmte Szene mit Andromache und Astyanax (Il. 6,394-496) zusätzlich eine besondere Bedeutung erhält. Auch die Waffen des Helden finden ihren Niederschlag in Epitheta, wie z.B. δουρικλυτός „speerberühmt“. Das Anlegen des Brustpanzers erfolgt nach den Beinschienen, da er den Helden in seiner Bewegungsfreiheit bei Bückbewegungen einschränkte, vgl. Stubbings 1963, 505 und Luce 1975, 107. Seine Form entspricht wohl einem archaischen Glockenpanzer, vgl. Stubbings 1963, 506-510, Snodgrass 1964, 71-86, Luce 1975, 106-107 und van Wees 1994, 135. Nur beim lokrischen Aias und dem ansonsten unbedeutenden Amphios wird explizit erwähnt, dass sie einen Leinenpanzer (Il. 2,529, 830: λινοθώρηξ) tragen, und es darf m.E. angenommen werden, dass es sich dabei um eine Seltenheit handelte. Bei Aias ist dieser Umstand offensichtlich darauf zurückzuführen, dass er dieselbe Rüstung trägt wie seine lokrischen Schleuderer, doch er selbst kämpft wie jeder andere Held auch im Nahkampf. Vgl. Kirk 1985, 202 ad Il. 2,528-529.

I.3 Der Held im Kampf

67

Dichters und seine Intention, Diomedes zum Abschluss seiner Aristie eine besondere Ehrung zuteilwerden zu lassen, zurückzuführen.286 Die bevorzugten Waffen des Helden sind Lanze/Speer und Schwert,287 und die Bezeichnung als αἰχμητής charakterisiert einen Helden als hervorragenden Kämpfer.288 Speere werden einzeln oder paarweise getragen, und können als Lanze zum Zustoßen verwendet oder als Wurfspieß geworfen werden, doch offenbar existiert in der Vorstellung des Dichters nur eine Sorte Speer, die für beide Funktionen geeignet ist.289 Der Speer ist eine Distanzwaffe, und im Nahkampf wechselt der Held zwischen Speer und Schwert, das in einem Wehrgehenk über der Schulter getragen wird (vgl. Il. 2,45; 3,334; 11,29; 16,135; 19,372).290

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Die Deutung dieser Szene ist umstritten, vgl. den Forschungsüberblick bei Calder 1984, 31-33. Siehe auch die unentschlossenen Diskussionen der Stelle bei Kirk 1990, 190-191 und Stoevesandt 2008, 85-86. Zum Waffengebrauch siehe auch Niens 1987, 258-259, van Wees 1994, 144 sowie die Tabelle von Frölich, Die Militärmedicin Homers (Stuttgart 1879), abgedruckt bei Hainsworth 1993, 253 und Saunders 2004, 2 (überarbeitet S. 14-15): In fast 80% aller Fälle kommen Speere zum Einsatz, wobei sie zu ungefähr gleichen Anteilen als Stoß- und Wurfwaffe verwendet werden. Nur je 10% fallen auf das Schwert oder den Bogen. Die Benutzung einer eisernen Keule ist eine Ausnahme (Il. 7,136-141); Beile und Streitäxte dienen vorrangig als Werkzeuge und kommen im Kampf eher selten zum Einsatz (vgl. Il. 13,612-613; 15,711), vgl. auch Snodgrass 1964, 166-167. Vgl. LfgrE I, 393 (zitiert bei Latacz et al. 2009, 113 ad Il. 1,290): „αἰχμητής: ‘Lanzenkämpfer’, auch ohne Epitheton “Bezeichnung des hervorragenden Einzelkämpfers schlechthin”.“ Zum Speer in archaischer Zeit siehe Snodgrass 1964, 115-139. Eine klare Trennung in Stoß- und Wurfspeer lässt sich bei den archäologischen Funden schwerlich vornehmen, siehe ebenda v.a. 136-139. Stubbings 1963, 517-518, Kirk 1968, 94-95, Edwards 1987, 168 und Robertson 2002, 103 bemerken, dass der Dichter keine klare Unterscheidung durchführt und die Waffen bisweilen wechselt. Das Problem löst sich durch die Annahme eines einzigen Speers, der in beiden Funktionen eingesetzt werden konnte. Saunders 2004, 1, nimmt eine Unterscheidung in „throwing-spear (javelin)“ und „thrusting-spear“ vor, gesteht jedoch selbst ein, dass sich daraus Diskontinuitäten ergeben und Helden oftmals mitten im Kampf die Waffen wechseln müssten (S. 4, siehe auch S. 13 Anm. 31). Vgl. Snodgrass 1964, 93-113 zur Unterscheidung verschiedener bronzezeitlicher Schwerttypen. Bei Homer jedoch werden die Schwertbezeichnungen φάσγανον, ξίφος und ἄορ ohne Bedeutungsunterschied verwendet, vgl. Stubbings 1963, 517. Die Epitheta τανυήκης „scharf/spitz“ (Il. 14,385; 16,473) und ἀμφήκης „zweischneidig“ (Il. 10,256; 21,118) sowie μέγας „groß“ (Il. 1,194; 1,220; 5,140; 15,712; 16,115; 20,459) lassen darauf schließen, dass es sich um ein zweischneidiges, gerades Langschwert handelte, das sowohl zum Schneiden als auch zum Stechen verwendet werden konnte. Es konnte mit einem silberbeschlagenen Griff verziert sein, und im Falle von Agamemnons Schwert, das sogar goldene Beschläge (Il. 11,29-31) trägt, verweist die Verwendung des weichen und für diesen Zweck ungeeigneten Edelmetalls einzig auf den Status des Trägers, nicht etwa auf historische Realitäten, vgl. van Wees 1994, 134.

68

I. Das homerische Heldenkonzept

Die Verwendung des Bogens ist bei bedeutenden Helden selten, und für einen Helden ist der Bogen auf dem Schlachtfeld eine untypische und unheroische Waffe.291 Bögen und Schleudern (nur in Il. 13,600; 716)292 werden bevorzugt von einfachen Soldaten verwendet, wie die unbestimmten Hinweise auf „Geschosse“ in den Schlachtschilderungen vermuten lassen.293 Die iliadischen Helden, die sich eines Bogens als Waffe bedienen, kämpfen auch mit der Lanze (z. B. Meriones, Il. 13,159-168). Obgleich der Bogen eine allgemein akzeptierte Kriegswaffe ist, ist der Held der Ilias ein Lanzenkämpfer.294 Die seltene Verwendung könnte darin begründet sein, dass Bogenschützen unter den Vorkämpfern aufgrund des Fehlens eines Schilds besonders gefährdet sind; die enge Zusammenarbeit der Halbbrüder Teukros und Aias, bei der der Schildträger den Bogenschützen deckt (Il. 8,266-273), ist singulär und ansonsten an keiner anderen Stelle des Epos nachweisbar.295 Der iliadische Held ist ein Nahkämpfer, wie auch die gesamte schwere Panoplie zeigt. Der interessanteste Gegenstand der Rüstung des Helden ist der Schild (σάκος/ἀσπίς).296 In der Forschung wurde mehrfach angenommen, dass die Ilias zwei unterschiedliche Schildformen kenne, den ledernen Rundschild der archaischen Zeit, den meist einen Schildbuckel in der Mitte zierte, 297 und den „Turmschild“ des Aias (Il. 7,219-223; 17,128: σάκος ἠύτε πύργον), der als ein Relikt der mykenischen Epoche mit der für diese Zeit typischen

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Zur Verwendung des Bogens in der Ilias siehe Mackie 1996, 49-53 und v.a. Farron 2003: Er argumentiert schlüssig gegen die communis opinio, dass der Bogen prinzipiell weder eine ineffektive noch verachtenswerte Waffe war (S. 169-177), kommt aber dennoch zu dem Ergebnis, dass es genug Anzeichen dafür gibt, dass dem Bogen etwas Feiges und „Unheroisches“ anhaftete (S. 177-184). Nur wenige namentlich genannte Helden verwenden einen Bogen, und es liegt der Schluss nahe, dass Nahkampf mit Speer und Schwert als heldenhafter angesehen wird. Auch die seltenen Bezeichnungen τοξότης (nur Il. 11,385) und ἰόμωρος (Il. 4,242; 14,479) sind beide in ihrem Kontext verächtlich und als Beleidigungen verwendet, vgl. Kirk 1985, 356 ad Il. 4,243 sowie Hainsworth 1993, 268 ad Il. 11,385-395. Vgl. auch Snodgrass 1964, 141-156 zum Bogen und 167 zur Schleuder. Zum „Massenwurfkampf über Distanz“ und seiner Darstellung siehe Latacz 1977, 119-129. Mackie 2008, 94-134 argumentiert, dass der Bogen zum einen die Waffe früherer Helden, wie z.B. des Herakles, war, zum anderen von troianischen Adeligen eingesetzt wird, während er im griechischen Heer auf uneheliche Geburt und niedrigeren Status hindeutet. Generell lässt sich sagen, dass die Ilias alle ihre Helden auch als Lanzenkämpfer darstellt und an ihr heroisches Ideal angleicht, selbst wenn es sich dabei traditionell um Bogenschützen gehandelt haben mag. Vgl. Edgeworth 1985, 29-30. Siehe auch den Kommentar von Kirk 1990, 321 ad loc. Das homerische Epos kennt zwei Begriffe für den Schild, die sich jedoch nicht inhaltlich unterscheiden lassen, vgl. Stubbings 1963, 510 sowie Schmidt 2006, 441. Vgl. Snodgrass 1964, 37-68 und van Wees 1994, 132-133.

I.3 Der Held im Kampf

69

Form gedeutet wurde.298 Jedoch gibt die Ilias weder konkrete Hinweise auf die Existenz von zwei unterschiedlichen Schildtypen, noch darauf, dass der Schild des Aias eine ungewöhnliche Form aufweise. Auch er ist rund mit einem Schildbuckel (Il. 8,267) und so groß, dass er zwei Helden gleichzeitig Schutz bieten kann (Il. 8,266-273). Der Vergleich σάκος ἠύτε πύργον bezieht sich m.E. nicht auf die Form des Schilds, sondern beschreibt metaphorisch die defensive Stärke des Aias. Alle Schilde der Helden sind rund (z.B. Il. 7,250; 11,61; 12,426; 13,157; 13,803-804; 14,428; 18,478-480) und decken ihren Träger vom Hals bis zu den Knöcheln (Il. 6,117-118; 15,645-646). Diese Form entspricht den historisch bezeugten Schilden der archaischen Zeit, doch Schilde dieser Größe sind archäologisch nicht bezeugt und wären aufgrund ihres Gewichts unhandlich und kaum zu benutzen. Offensichtlich handelt es sich bei dem Typus Schild, den die Helden tragen, um eine poetische Fiktion, die so niemals wirklich existierte. Die poetische Intention hinsichtlich des riesigen Schilds entspricht der Aussage, dass die besten Kämpfer über die größten Schilde und längsten Lanzen verfügen sollen (Il. 14,371-377).299 Der letzte Rüstungsgegenstand ist der Helm, der mit einem Rosshaarbusch verziert ist und über einen Gesichts- und Wangenschutz verfügt, wie das Epitheton χαλκοπάρῃος „erzwangig“ (Il. 17,294; 20,397) zeigt.300 Der Umstand, dass Patroklos bei seinem Eingreifen in die Schlacht in der Rüstung Achills für ihn gehalten wird (vgl. Il. 16,275-283), legt die Vermutung nahe, dass der Helm einen Großteil des Gesichts verdeckt. Bedeutende Helden werden auch durch ihre Ausrüstung hervorgehoben, und jeder große Held besitzt Rüstungsgegenstände, die für ihr Alter und ihre kunstvolle Ausstattung gerühmt werden und als persönliche Erkennungszeichen auf dem Schlachtfeld dienen (vgl. die Identifikation des Diomedes anhand von Schild und Helm in Il. 5,182, oder des Aias durch seinen Schild, Il. 11,526-527). Oftmals sind diese wertvollen Gegenstände

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Vgl. auch Luce 1975, 105, Patzek 1992, 39 und Lesky 1999, 77. Zur Form des Schilds des Aias vgl. Kirk 1990, 263-264 ad Il. 7,219. Siehe auch Stubbings 1963, 510-513, und Edwards 1987, 167, die sich für die Existenz zweier unterschiedlicher Schildformen aussprechen. Vgl. van Wees 1992, 20-21: „(...) the epic poet did not inherit a Mycenaean poetic tradition, but, in inventing a race of heroes, also invented huge shields for them. That is to say, the size of the heroes’ shields could be a purely fantastic element, not based on any historical reality but on the belief that the heroes had superhuman strength.“ Dagegen jedoch nimmt Cairns 1993c, 6 in seiner Rez. von van Wees 1992 die Existenz zweier unterschiedlicher Schilde in der Vorstellung des Publikums an. Vgl. Stubbings 1963, 513-517, Snodgrass 1964, 3-35 sowie van Wees 1994, 136-137. Auch die unterschiedlichen Worte für Helme τρυφάλεια, κόρυς, κυνέη und πήληξ scheinen keine unterscheidbaren Helmformen zu bezeichnen. Vgl. Stubbings 1963, 513517, Snodgrass 1964, 3-35 sowie van Wees 1994, 136-137.

70

I. Das homerische Heldenkonzept

Geschenke von Göttern oder anderen Helden, die als Identifikationszeichen auch den sozialen Status des Helden zum Ausdruck bringen.301 Agamemnon verfügt über einen schlangenverzierten Brustpanzer, ein Geschenk des Kinyras von Kreta (Il. 11,19-28), und einen Gorgonenschild (Il. 11,32-40), Aias trägt seinen mit sieben Schichten Leder bespannten Schild (Il. 7,219-223, 245,266; 11,544), Nestor besitzt einen Goldschild (Il. 8,192193), Diomedes einen von Hephaistos gefertigten Brustpanzer (Il. 8,194195), Hektor einen Helm, der ihm von Apoll geschenkt wurde (Il. 11,352353), und Achill trägt die Rüstung des Peleus, die dieser als Hochzeitsgeschenk von den Göttern erhalten hatte (Il. 17,194-197; 18,82-85).302 Die kostbaren Materialien dieser Rüstungsgegenstände, die für einen Einsatz im Kampf vollkommen unzureichend wären, sind auf ihre poetische Funktion zurückzuführen.303 Denn die individuelle und prächtige Rüstung eines Helden spiegelt seinen gesellschaftlichen Status und seine Kampfkraft wider und ist ein Teil seiner Identität. Folglich besitzt die Rüstung des Helden sowohl praktische als auch ideologische Bedeutung für ihren Träger, indem sie seinen Status in der Kriegergesellschaft symbolisiert.304 Dies bestätigt ein weiterer Gegenstand, der zwar nicht in den Rüstungsszenen aufgeführt ist, aber dennoch eine besondere Bedeutung für den Held zu besitzen scheint. Es handelt sich um den metallbeschlagenen Gürtel des Helden (ζωστήρ), der zudem ein wichtiges Statussymbol des homerischen Kriegeradels darstellt.305 Dieser Gürtel oder Leibgurt wird vermutlich von allen Helden getragen, ist wohl bei den bedeutendsten Königen besonders auf-

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Vgl. van Wees 1996a, 32-33 sowie von Reden 2003, 27-28, 31. Zu den zwei Rüstungen Achills und ihren motivischen Ähnlichkeiten siehe Kakridis 1961, 290-292. Zu besonderen Gegenständen und ihrer „Genealogie“ siehe auch den Anhang bei Higbie 1995, 195-203. Vgl. dazu auch das Fazit bei van Wees 1994, 137. Vgl. Patzer 1996, 172 sowie Neal 2006a, 155: „In scenes of mortal injury, the description of well-wrought armour reflects the high status of the warrior who is struck; it protects him symbolically as well as physically.“ Vgl. auch van Wees 1994, 135-136. Zum Aufbau des Gürtels aus metallischen Beschlägen, dem eigentlichen ζωστήρ sowie dem vermutlich aus Stoff oder Leder bestehenden Gurt (ζῶμα), auf dem die Beschläge angebracht waren, siehe Bennett 1997, 106-107. Offensichtlich wurde der vollständige ζωστήρ nur im Kampf getragen, wohingegen der bloße Gürtel (ζῶμα) auch beim Wettkampf der Helden untereinander getragen wurde, sodass die beiden wichtigsten Betätigungsfelder eines Helden auch durch seinen Gürtel symbolisiert wurden. Vgl. hierzu das Fazit bei Bennett 1997, 114: „In sum, the symbiotic relationship of zoma and zoster in Homeric epic merges king, warrior, and athlete into a coherent unified vision of the hero. The belted hero, as portrayed in Homeric epic, is a king who duels in battle, is a charioteer, boxer, and wrestler. He honors guest-friends and acts hospitably to strangers in need. The belt is a pervasive attribute of the various roles of the Homeric hero, who strives for kleos and responds to aidos.“

I.3 Der Held im Kampf

71

wändig gearbeitet und fungiert als sichtbares Zeichen ihres Amts. Insbesondere die Gürtel besonders angesehener Herrscher, wie Agamemnon, Menelaos und Nestor sind reich verziert, und der Leibgurt könnte entsprechend des Status seines Trägers auch eine besondere Schutzfunktion besessen haben.306 So rettet der Leibgurt Menelaos vor dem Pfeilschuss des Pandaros (Il. 4,132-140, 184-187), und auch Agamemnon wird durch seinen ζωστήρ während seiner Aristie vor dem Speerstoß des Iphidamas geschützt (Il. 11,234-237).307 Bedeutende Helden werden durch ihre Ausrüstung häufig vor Angriffen bewahrt, durch die kleine Kämpfer zu Tode kommen, wenn ihre Rüstung einen Treffer entweder ablenkt oder er die Panzerung nicht zu durchdringen vermag (vgl. auch Il. 14,402-406).308 Die Vorstellung, dass die Waffen des besseren Kämpfers diesen auch effektiver zu schützen vermögen, zeigt sich im Begriff der ἀλκή („Wehrkraft“). Dabei handelt es sich um einen facettenreichen Begriff, der sowohl die offensiven als auch die defensiven Kampffertigkeiten eines Helden umfasst. Ἀλκή ist sowohl eine Waffe, mit der der Held furchtlos gegen den Feind andringt als auch seine Rüstung, die ihn vor Schaden schützt. 309 Der Held muss sich seiner ἀλκή bewusst sein, um im Kampf zu bestehen,310 und trägt sie wie ein Kleidungsstück, vgl. die „in ungestüme Wehrkraft gehüllten“ Aianten (Il. 7,164; 8,262; 18,157: θοῦριν ἐπιειμένοι ἀλκήν, vgl. auch Il. 9,231). Im Vertrauen auf seine Wehrkraft (Il. 5,299; 13,471; 17,61, 728; 18,158: ἀλκὶ πεποιθώς) und gut gerüstet ist der Held bereit, sein Leben im Kampf zu riskieren, und zieht furchtlos auf seinem Streitwagen in die Schlacht.311 Der Held gehört zur kämpferischen Elite der Wagenkämpfer (ἱππῆες), im Gegensatz zum Fußvolk (πεζοί) (vgl. Il. 2,810; 8,59; 11,150-151, 529). Jeder Wagen ist besetzt mit einem Wagenlenker (ἡνίοχος), der die Zügel führt und beim Wagen zurückbleibt und ihn für den Fall, dass er bei einer Verwundung des Helden oder zur Flucht benötigt wird, bereithalten muss, und einem Wagenkämpfer (παραιβάτης312), der absteigt und an den Kampfhandlungen teilnimmt, da es offenbar nicht möglich ist, einen Wagen zu

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Zur Signifikanz des Gürtels bei Homer siehe Bennett 1997. Vgl. Bennett 1997, 67-96. Nur Menelaos und Agamemnon werden durch ihren Leibgurt vor Angriffen geschützt, wohingegen bei anderen Helden Treffer auf den Gurt diesen durchdringen und sie töten, vgl. Il. 5,537-539, 615-617; 12,188-189; 17,518-519, 578-579; 20,413-418. Vgl. Appendix I bei Neal 2006a, 273-286. Zur ἀλκή siehe auch Benveniste 1969, II.72-74. Zur Etymologie und der Zuordnung zum Verb ἀλέξω „abwehren“ siehe LfgrE I, 494-495, Frisk 1960, 69 s.v. ἀλέξω sowie Collins 1998, 82-83. Daher scheint der altertümlich anmutende Begriff der „Wehrkraft“ die beste Übersetzung zu sein. Zum Zusammenhang von ἀλκή und Erinnerung siehe besonders Collins 1998, 78-109. Vgl. Clarke 1995: „(...) the quality of ἀλκή, fearlessness coupled with physical strength, which is the kernel of battle virtue.“ Nur Il. 23,132, vgl. dazu Richardson 1993, 183-184 ad loc.

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I. Das homerische Heldenkonzept

lenken und gleichzeitig zu kämpfen (vgl. Il. 17,463-465). Zwischen Wagenkämpfer und Wagenlenker besteht ein besonderes Vertrauensverhältnis, da beide sich aufeinander verlassen müssen und aufeinander angewiesen sind.313 Die Sterblichkeitsrate bei Wagenlenkern ist hoch,314 und jeder Held ist in beiden Fähigkeiten geschult und kann je nach Situation beide Funktionen wahrnehmen (vgl. Il. 5,221-238315). Ursprünglich handelte es sich bei zwei Kämpfern, die auf einem Wagen gemeinsam in die Schlacht zogen (εἰν ἑνὶ δίφρῳ), vermutlich um Blutsverwandte, zwischen denen die Verpflichtung zu gegenseitigem Schutz bestand (vgl. z.B. Il. 5,159-160; 11,126-127).316 Diese Organisationsform ist in der Ilias in Spuren nachweisbar, jedoch nicht mehr konsequent durchgeführt. Dennoch verbindet den Wagenkämpfer und seinen Lenker ein inniges Vertrauensverhältnis, das bei Fehlen von Blutsverwandtschaft in der Institution des βασιλεύς-θεράπων-Verhältnisses seinen formellen Ausdruck findet.317 Dabei nimmt der βασιλεύς als der sozial höherrangige Held die prestigeträchtigere Position als Wagenkämpfer wahr. Es ist anzunehmen, dass ein βασιλεύς über mehrere adelige Gefolgsmänner verfügt, aber zu dem θεράπων, der ihm als Wagenlenker zur Seite steht, eine besondere persönliche Beziehung unterhält, obwohl dieser normalerweise sozial niedriger gestellt ist.318 Der Streitwagen dient nicht als Kampfgerät, sondern als Transportmittel,319 und sein vornehmlicher Zweck besteht darin, den Helden zum

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Vgl. Trypanis 1963, 291 sowie Krischer 1992, 103. Siehe auch Albracht 2005, 44-45 (= 1886, 20-21) zur Beobachtung, dass ein schlechter Wagenlenker, der das Gespann zu weit abseits hielt, durchaus auch das Leben des Wagenkämpfers gefährden konnte. Vgl. Robertson 2002, 103-104. Wagenlenker werden oftmals statt des Wagenkämpfers getroffen, so z.B. Il. 8,118-121, 309-313; 15,429-435; 16,736-742; 17,608-619. Die Frage des Aineias an Pandaros, ob er als Wagenkämpfer oder als Wagenlenker fungieren wolle, bringt besonderes Taktgefühl zum Ausdruck, indem Aineias anbietet, auf seinem eigenen Wagen die untergeordnete Rolle einzunehmen, vgl. Hohendahl-Zoetelief 1980, 98-108. Für weitere Belegstellen siehe Trypanis 1963, 289 Anm. 1. Die starke Verbindung zwischen zwei Kämpfern auf demselben Wagen zeigt sich besonders im Dual der Brüder Kteatos und Eurytos, der Ἀκτορίωνε Μολίονε (Il. 11,750-752; vgl. auch 11,709-710; 23,638-642), die bei Homer Zwillinge sind (Il. 23,641: δίδυμοι) und in nachhomerischer Tradition sogar als siamesische Zwillinge dargestellt werden, vgl. Hainsworth 1993, 304 ad Il. 11,750 sowie Richardson 1993, 238-239 ad Il. 23,637-642. Siehe auch die Doppelung ἡνίοχον θεράποντα in Il. 5,580; 8,119; 12,111, vgl. Miller 2000, 106. Vgl. Greenhalgh 1982, 82 sowie van Wees 1994, 9 mit Anm. 26. Für Achill lässt sich zeigen, dass Patroklos als sein Wagenlenker fungierte, er aber noch über mindestens drei weitere ἑταῖροι verfügte (Alkimedon, Il. 17,466-468; Automedon und Alkimos, Il. 24,473-474), vgl. Trypanis 1963, 295 sowie Krischer 1992. Zur Verwendung des Streitwagens in den homerischen Epen siehe v.a. Greenhalgh 1973, 9-18, Luce 1975, 111-119, van Wees 1994, 9-14 sowie Singor 1995, 190-191. Die wenigen Ausnahmen, in denen Streitwagen unmittelbar in die Kampfhandlungen

I.3 Der Held im Kampf

73

Schlachtfeld hin und wieder von dort weg zu transportieren.320 Diese Nutzung weist auf eine Unkenntnis der Verwendung des Streitwagens hin, der vermutlich beim Publikum Assoziationen des Heroischen Zeitalters weckte und zur Archaisierung der epischen Welt beitrug.321 Zudem stellt der Streitwagen für den homerischen Helden ein Statussymbol und Prestigeobjekt dar.322 Streitwagen sind häufig kostbar ausgestattet, und vor allem der Besitz von Pferden, die den Streitwagen ziehen, zeugt vom Wohlstand des Helden.323 Die poetische Funktion des Streitwagens liegt nicht in seiner Bedeutung als Kriegsgerät, sondern darin, den Helden als Kämpfer eines vergangenen Menschengeschlechts auszuweisen, in der Imagination des Publikums sichtbar aus der Masse des einfachen Fußvolks hervorzuheben und so seinen Status als militärischer Anführer zu verdeutlichen. 324 Es bleibt festzuhalten, dass Waffen und Ausrüstungsgegenstände eines Helden zwar auf realen Gegenständen basieren, aber vom Dichter seiner poetischen Intention untergeordnet wurden. Soweit es möglich ist, die beschriebenen Gegenstände einzuordnen, entsprechen sie in ihrer Form den Ausführungen des 8. Jhd. v. Chr., doch wie der überdimensionierte Rundschild oder die überlange Lanze zeigen, greift der Dichter auch auf phantastische Gegenstände zurück, um seine Helden als übermenschlich stark darzustellen. Ferner sind alle Rüstungsgegenstände und Waffen der Helden aus Bronze gefertigt325 und transportieren traditionelle Vorstellungen einer heroischen Vorzeit, da die Verwendung von Bronze dem Aufbau der epischen Distanz und der Archaisierung dient. Auch in diesem Bereich ist mit dichterischer Intention zu rechnen, denn die Darstellung rötlich glän-

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involviert sind (Il. 4,303-308; 5,12-15; 8,116-121; 11,531-539; 16,377-382) sind bei Greenhalgh 1973, 7-8 zusammengestellt. Zumeist wird dieser Gebrauch als unhistorisch betrachtet und auf das Unwissen des Dichters zurückgeführt. Siehe jedoch auch die Argumentation von Krischer 1999, der nachzuweisen versucht, dass die in der Ilias dargestellte Verwendung des Streitwagens durch das Aufkommen eherrner Rüstungen bedingt war und auf historischen Tatsachen beruht. Die Bezeichnung des homerischen Streitwagens als „Schlachtentaxi“ erscheint daher überaus zutreffend. Vgl. Albracht 2005, 34-49 (= 1886, 13-24), Latacz 1977, 215-223, van Wees 1994, 9-14, Singor 1995, 190-191 sowie Hellmann 2000, 66-67 und 141-149. Vgl. Greenhalgh 1973, 41-42. Zu der Doppelfunktion des homerischen Streitwagens siehe ausführlich Greenhalgh 1973, 40-62. Vgl. Stubbings 1963, 521-522 und Mackie 2008, 66-71. Siehe auch Il. 5,193-194, wo Streitwagen als wertvolle Besitztümer gehortet werden. Vgl. Patzek 1992, 194-196, van Wees 1994, 9-14 und Kullmann 1995, 70. Die einzigen Ausnahmen sind die Pfeilspitze des Pandaros und die eiserne Keule des Areïthoos (Il. 7,141), die ohnehin einen Sonderfall darstellt, vgl. Lesky 1999, 74. Ansonsten kann χαλκός sogar metonymisch an die Stelle einer konkreten Waffenbezeichnung treten (vgl. z.B. Il. 4,528; 5,74, 292; 13,507; 14,25, 517; 17,314).

74

I. Das homerische Heldenkonzept

zender Bronze ermöglicht die Visualisierung der Kampfkraft des Helden.326 Dies dürfte der Vorstellung des Dichters von einem Heroischen Zeitalter entsprochen haben, das sich auch auf materieller Ebene von seiner eigenen Zeit unterscheidet.327 Neben der Steigerung der Größe der Waffen und dem archaisierenden Gebrauch von Bronze sind auch Waffen und Rüstungen aus Edelmetallen oder mit kunstvollen Verzierungen der Intention des Dichters geschuldet, die Helden von den Menschen und der materiellen Kultur seiner Zeit abzuheben und mit erhabenem, „heroischen Kolorit“ zu versehen.328 In jedem Fall tragen die großen Helden jedoch schwere Panzerung, die es ihnen ermöglicht, die erste Reihe der Kampfformation zu bilden und die Hauptlast der Schlacht zu tragen. Helden bilden dadurch nicht nur die soziale Elite der homerischen Gesellschaft, wie der Besitz der wertvollen vollständigen Panhoplie zeigt, sondern zweifellos auch die kämpferische Elite im Heeresaufgebot.329 I.3.2

Schlachtordnung in der Ilias

Obwohl es sich beim Troianischen Krieg eigentlich um eine Belagerung handelt, findet der Kampf zwischen den beiden Kriegsparteien ausschließlich auf dem Schlachtfeld vor den Mauern Troias statt.330 Bei dieser offenen Feldschlacht, die in der Ilias als πόλεμος bezeichnet wird, zieht der Held in

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Diese hervorragende Beobachtung zum Glanz der heldenhaften Waffen stammt von Patzek 1992, 190-193. Umgekehrt weist das Fehlen des Glanzes auf den bevorstehenden Tod des Trägers hin, vgl. Krischer 1971, 36. Eisen hingegen, dessen Gebrauch Homer natürlich bekannt war und das als Material für Waffen und Ausrüstungsgegenstände wegen seiner höheren Festigkeit weitaus geeigneter war, wird nur in nicht-militärischer Verwendung erwähnt, vgl. Edwards 1987, 16 sowie Patzek 1992, 188-190. Vgl. v.a. Patzek 1992, 152: „Die Gegenstände, die die Helden benutzen, die also bildlich deren Aristien festhalten, sind fiktive Gegenstände, die aus der phantasievollen Steigerung von wirklichen Gegenständen entstanden sind, die in homerischer Zeit benutzt wurden und bekannt gewesen sind. Ihr heroisches Kolorit läßt sie aus kostbar glänzendem Metall hergestellt sein, läßt sie größer und schwerer sein, reicher dekoriert erscheinen. „Größe und Reichtum“ sind die Metaphern, auf die man den vergangenheitlichen Schein dieser Gegenstände reduzieren muß.“ Zum Held als Vorkämpfer siehe King 1987, 21, Singor 1995, 186-189, van Wees 1988, 4-7, 1994, 2-9 und 1997, 687-689 sowie Hellmann 2000, 63-64. Zur Historizität dieser Kampfweise, die im Kontext der gegenwärtigen Untersuchung nicht von weiterer Bedeutung ist, siehe dennoch Kirk 1968, 93-99 sowie van Wees 1994, 138-146 und 1997, 689-692. Es ist anzumerken, dass wahrscheinlich die Soldaten des gewöhnlichen Volks einen größeren Teil zur Schlacht beitrugen, als ihnen der Dichter zubilligt, dessen Darstellung sich auf seine Helden konzentriert, vgl. van Wees 1997, 692-693 sowie Hellmann 2000, 91-99. Zur Beobachtung, dass das homerische Epos noch keine Belagerungstechnik kannte, siehe Albracht 2005, 113-129 (= 1895, 15-25).

I.3 Der Held im Kampf

75

seiner Funktion als Anführer zusammen mit seinem Kriegsvolk in die Schlacht (Il. 1,226: ἐς πόλεμον ἅμα λαῷ θωρηχθῆναι). Die beiden Heere treten sich in großer Distanz auf dem Schlachtfeld in geschlossener Formation und nach Territorialkontingenten geordnet gegenüber (vgl. Il. 2,362: κατὰ φῦλα, κατὰ φρήτρας331). Die Aufstellung wird als φάλαγξ bezeichnet (vgl. Il. 4,427-432),332 ist jedoch nur Aufmarschformation und keine Kampftaktik, denn die Kampfschilderungen tragen ihr wenig Rechnung.333 Die Aufgabe der Helden als militärischen Anführern besteht darin, die Truppen vor der Schlacht in Formation aufmarschieren zu lassen 334 und durch paränetischen Zuspruch zum Kampf zu ermutigen (Il. 4,257-264, 285-291) oder durch Schmähungen zu größerer Anstrengung zu provozieren (Il. 4,242249, 338-348, 370-400).335 Helden sind während der Schlacht unmittelbar an den Kampfhandlungen beteiligt und nehmen daher keinen Einfluss auf Truppenbewegungen. Doch auch in dieser Situation können sie ihre Mitstreiter anspornen und durch Zuspruch ermuntern (vgl. Il. 6,103-106 = 11,211-214; 12,408-412; 13,149-154; 14,363-377).

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Es handelt sich hierbei um einen Rat des Nestor an Agamemnon hinsichtlich der Aufstellung der Schlacht, der jedoch sicherlich keine Neuerung empfiehlt, sondern vielmehr die gängige Praxis rekapituliert, vgl. Albracht 2005, 23-24 (= 1886, 6-7). Zu den für die Formation verwendeten Begriffen φάλαγγες, στίχες, πύργοι siehe ausführlich Latacz 1977, 45-55 sowie Singor 1991, 20-33. Für Belegstellen siehe Prendergast/Marzullo 1962, 347, 357-358; 389. Vgl. Kirk 1968, 110, van Wees 1986, 292-296 und 1994, 3-4 sowie Hellmann 2000, 6062 und 100-112. Skeptisch gegenüber der Annahme einer Hoplitenphalanx im homerischen Epos auch Snodgrass 1964, 176-179. Dieser Fähigkeit wird offenbar in dem formelhaften Epitheton κοσμήτωρ λαῶν Rechnung getragen (z.B. Menestheus in Il. 2,552-554), vgl. Albracht 2005, 28-29 (= 1886, 910). Starr 1966, 61-62 wies zu Recht darauf hin, dass Helden durchaus ihre Kontingente auch für die Schlacht in Formation bringen mussten. So rät Nestor Agamemnon, das Heer nach Phratrien und Phylen zu ordnen (Il. 2,362-363) und die Kontingente so zu positionieren, dass die κακοί in der Mitte stehen und nicht fliehen können (Il. 4,297-300). Gleichzeitig räumt Starr jedoch ein, dass taktische Überlegungen in der idealisierten Welt der Ilias weiter keine Rolle spielen. Zu Unterschieden hinsichtlich der Ordentlichkeit des Aufmarschierens zwischen Griechen und Troianern siehe Mackie 1996, 15-21. Vgl. Patzer 1996, 181-187, van Wees 1996a, 27-29 sowie Beck 2005, 152-164. Siehe auch Mackie 1996, 43-83 zur Beobachtung, dass auf troianischer Seite von paränetischer Ermutigung Gebrauch gemacht wird, während bei den Griechen stärker Schmähreden zum Einsatz kommen. Zur gezielten, erfolgreichen Provokation des Odysseus durch Agamemnon, um ihn zu größerem Kampfeinsatz zu bewegen, siehe ferner Scodel 2008, 60, 100-102.

76

I. Das homerische Heldenkonzept

Für Helden gehört es sich, in der Schlacht in vorderster Reihe zu stehen (vgl. Il. 4,341-344; 12,318-321), daher tragen sie die Bezeichnung „Vorkämpfer“ (Sg. πρόμος/πρόμαχος, Pl. πρῶτοι/πρόμαχοι).336 Das Präfix πρό- bezeichnet nicht nur lokal den Kampfort in vorderster Reihe, sondern fungiert auch modal als Ausdruck der sozialen Funktion des Kriegers, der für seine Gemeinschaft kämpft und auf diese Weise seinen Status als Anführer beständig legitimiert.337 Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem Handeln des Einzelhelden, doch ist anzunehmen, dass er dabei von seinem Gefolge begleitet wird.338 Dazu gehören neben dem Streitwagenlenker, zu dem der Held häufig eine besonders innige Beziehung unterhält,339 weitere Diener und Gefährten (θεράποντες und ἑταῖροι/ἕταροι),340 deren Aufgabe darin besteht, ihren Herren zu unterstützen, seine Waffen bereitzuhalten (Il. 12,370-372; 13,600), bei Ermüdung dessen Schild zu tragen (Il. 13,709711), kleinere Verwundungen zu versorgen (Il. 13,597-600), Spolien aufzusammeln (nur Il. 5,48) oder die erbeuteten Waffen getöteter Gegner in die Sicherheit des Lagers zu schaffen, damit der Held selbst ungehindert weiterkämpfen kann (z.B. Il. 13,640-642; 16,663-665; 17,130-131).341 Ein Held fungiert somit als Zentrum eines kleinen Kampfverbands, der durch seine relativ geringe Mitgliederzahl über eine hohe Flexibilität verfügt, die es ihm ermöglicht, sich an unterschiedlichen Schauplätzen an der Schlacht zu beteiligen und ihn nicht auf eine Position festlegt, sondern nach eigenen Maßgaben im Schlachtgetümmel agieren lässt.342

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Siehe auch Singor 1991, 61-62, der den ältesten Kern der Troia-Epik in einem Unternehmen von neun Helden sieht, die gegen Troia zogen und erst durch spätere Zugabe von Heereskontingenten zu πρόμαχοι wurden. Vgl. Danek 2010, 63-64: „Der homerische Held hat als Anführer eines Kontingents von Soldaten seine Verantwortung primär gegenüber seinen Gefolgsleuten, die ihm aus ihrem Territorium in den Krieg folgen. Er erhält von diesen Gefolgsleuten einen besonderen Status zugesprochen, der sich in materiellen Werten konkretisiert, und übernimmt dafür die Verpflichtung, als πρόμαχος an vorderster Stelle zu kämpfen und so die eigenen Leute zu schützen.“ Latacz 1977, 145-146 hingegen lehnt das Vorhandensein jeglicher sozialer oder elitärer Komponente strikt ab, konzediert jedoch, dass sich sekundär eine elitäre Konnotation entwickeln habe (159). Er spricht daher zur Hervorhebung der ausschließlich lokalen Grundbedeutung von „Vorn-Kämpfern“. Siehe v.a. van Wees 1986, 290-292 und 1997, 672-673. Vielfach handelte es sich dabei um Brüder, vgl. Trypanis 1963, oder besonders enge Freunde, siehe dazu v.a. Krischer 1992. Dazu siehe auch Greenhalgh 1982 und Hellmann 2000, 70-72. Siehe van Wees 1986, 288-290 und van Wees 1997, 669-673. Vgl. v.a. van Wees 1994, 4. Zum Unterschied zwischen Soldat und Krieger vgl. auch van Wees 1996a, 1-2. Zur räumlichen Organisation der Schlachtbeschreibungen siehe exemplarisch die Ausführungen zu den „Schlachtenbüchern“ Il. 12-15 bei Clay 2007, 234-248.

I.3 Der Held im Kampf I.3.3

77

Iliadische Kampfdarstellung

In schwerer Rüstung zieht der Held an der Spitze des Heers in die Schlacht.343 Die Kriegführung der Ilias hat in der Forschung große Beachtung erfahren und wurde oftmals auch unter der Fragestellung des Bezugs zur Kriegführung in historischer Zeit untersucht.344 Hinsichtlich des Ablaufs iliadischer Schlachten ist jedoch noch kein Konsens erreicht.345 Eine Deutung der homerischen Schlachtschilderungen ist die Position, dass die Ilias schon die Schlachtordnung der Phalanx kannte und die Begegnung der Heere als eine Form des Massenkampfes anzusehen sei.346 Der einzige Unterschied zur Phalanxformation der archaischen und klassischen Epoche bestehe darin, dass im Gegensatz zur späteren Praxis die erste Phase eines Kampfes durch einen Wurfkampf eingeleitet wurde.347 Aufgrund epischer Konvention werde die Massenschlacht jedoch exemplifiziert durch die Darstellungen der Kämpfe von einzelnen Kriegern, die sich in der ersten Reihe dieser geschlossenen Schlachtordnung befinden und die Bezeichnung πρόμαχοι tragen. Sie würden sich durch besondere Tapferkeit auszeichnen, aber keine deutlich von der Masse des Heers abgrenzbare Klasse von Elitekämpfern konstituieren. Vielmehr sei der Begriff des πρόμαχος eine situationsbedingt vergebene Bezeichnung für jeden, der in vorderster Schlachtreihe kämpfe, ohne eine besondere soziale Stellung zu implizieren, da die Masse das kampfentscheidende Element darstelle.348 Dem gegenüber steht die Meinung, in den Schlachtschilderungen in der Ilias zeige sich eine archaische Vorform des Hoplitenkampfes der klassischen Zeit, bei der die individuellen Helden noch in offener Formation kämpften. In homeri-

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Vgl. auch Hainsworth 1966 zu den Motiven des Kampfbeginns. Zum homerischen Kriegswesen siehe Kirk 1968, Marg 1976, Latacz 1977, van Wees 1986/1988/1994/1996a/1997, Hellmann 2000 sowie Albracht 2005. Für die Positionen der älteren Forschung sei auf Latacz 1977, 30-42 verwiesen. Zu dieser Fragestellung siehe ferner Singor 1995, 193-199 mit weiteren Literaturangaben. Ein kurzer Überblick über die neueste Forschung findet sich auch bei Hellmann 2000, 14-17 sowie im Nachwort von M. Willcock in Albracht 2005, 137-138. So vertreten von Latacz 1977. Die Ergebnisse von Latacz entsprechen in weiten Teilen der Arbeit von Albracht 1886-1895, die immer noch eine der umfangreichsten Behandlungen homerischer Kriegführung darstellt (so auch das Urteil von Hellmann 2000, 14). Das Werk ist im Folgenden nach der leichter zugänglichen englischen Übersetzung zitiert, die durch ihre Paginierungshinweise auch die Angabe der Originalstellen zulässt. Vgl. Latacz 1977, 128 zur Bezeichnung als „Phalanxtaktik eigener Art“ oder „Phalangentaktik“. Zur Struktur der homerischen Phalangen siehe ebenda 45-95. Argumente gegen diese Deutung sind bei Singor 1991, 17-19 zusammengestellt. Vgl. Latacz 1977, 116-223. Zurückgewiesen in der Rez. von Leimbach 1980, 420-424.

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I. Das homerische Heldenkonzept

scher Zeit obliege es den militärischen Anführern, die als πρόμαχοι die soziale und kämpferische Elite darstellen, in vorderster Front die Hauptlast des Kampfes zu tragen.349 Beide Ansätze setzen voraus, dass sich aus dem Material der Ilias Rückschlüsse auf Kriegspraktiken in historischer Zeit ziehen lassen. Bei der Behandlung der homerischen Epen als fiktionaler Literatur muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die poetische Intention den bestimmenden Faktor homerischer Kampfszenen darstellt.350 Wie Waffen und Ausrüstung gestaltet der Dichter auch seine Schlachtschilderungen so, dass die Persönlichkeit und Fähigkeit des individuellen Helden zur Geltung kommen können:351 „Die in der Ilias dargestellte heroische Vergangenheit erscheint in der Zusammenschau der vorausgehenden Untersuchungen als homogene, bewußt geplante und gestaltete dichterische Konzeption. Im Zentrum dieser Konzeption stehen die Heroengestalten, deren Existenz untrennbar an Kampf und Krieg gebunden ist. In den kriegerischen Auseinandersetzungen präsentieren sie sich als autonome Individualisten, durch ihre kriegerischen Leistungen erwerben sie Ruhm und Ehre, die ihren gesellschaftlichen Status definieren. In den Kampfdarstellungen beschreibt der Dichter ein Schlachtfeld, wie es dem heroischen Selbstverständnis entspricht: Die Heroen haben hier im Rahmen einer Auseinandersetzung von großen Kampfverbänden alle Freiheiten, sich auszuzeichnen, autonom zu agieren und durch Einzeltaten das Schlachtgeschehen entscheidend zu beeinflussen. Das in der Ilias beschriebene Kampfgeschehen ist integrativer Bestandteil der poetischen Gesamtkonzeption, ein vom Dichter geschaffenes Kunstprodukt, das maßgeblich von den dichterischen Intentionen geprägt ist und sich primär nicht an der Realität, sondern an der imaginierten, gesteigerten Existenz der Heroen orientiert.“352 Ausgehend von der Beobachtung, dass nicht historische Realität, sondern poetische Intention die Schlachtszenen prägt, lässt sich die Darstellung der Kampfweise der Helden wie folgt rekonstruieren: Die Schlachtreihen der Heere stehen sich in loser Formation in einer größeren Distanz

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Vgl. z.B. van Wees 1986/1988, 2-14/1994, 1-9/1997, ebenso auch Singor 1991 und 1995. Der Althistoriker Hans van Wees anerkennt zwar die Schlüssigkeit der Rekonstruktion der homerischen Kampfweise nach Latacz (vgl. van Wees 1994, 1), zeichnet aber selbst ein elitäres Bild von der homerischen Kriegführung. Vgl. Singor 1991, 18-19, der bestreitet, dass die Ilias die Kriegführung einer bestimmten Epoche abbilde, und von einem „amalgam of images“ spricht. Vgl. Niens 1987 sowie Hellmann 2000 mit den Rezensionen von Epplett 2001 und Thalmann 2002. Zur Fokussierung der Darstellung auf den πρόμαχοι-Kampf als ein Erfordernis der Heldendichtung siehe auch Schröter 1950, 89-95 sowie Latacz 1977, 166-168. Zur idealisierenden Darstellung der Helden siehe auch Bielohlawek 1950. Fazit bei Hellmann 2000, 197.

I.3 Der Held im Kampf

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gegenüber, während eine kleine Zahl von πρόμαχοι in den Raum zwischen den Heeren vordringt.353 Die Krieger stürmen nach vorne und bringen sich auf ihren Streitwagen zusammen mit ihren Wagenlenkern in Schussweite, springen vom Wagen und gehen nach einem Austausch von Wurfgeschossen zum Nahkampf mit einem πρόμαχος der gegnerischen Seite über.354 Entsprechend der Unterscheidung in Wagenkämpfer und Fußvolk, die mit der sozialen Struktur der Gesellschaft korrespondiert,355 bleibt die Masse des Heers hinter den Vorkämpfern zurück und bildet den Hintergrund, vor dem sich die dichterisch ausgestalteten Ruhmestaten der Helden ereignen können.356 Zweck dieser Stilisierung ist wieder die Hervorhebung des einzelnen Helden und seiner kämpferischen Taten, und das Handeln der Helden symbolisiert stellvertretend den Verlauf und Fortgang der Schlacht als Ganzes.357 Die kriegerischen Fertigkeiten eines Helden umfassen den Umgang mit Speer, Schwert und Schild im Nahkampf sowie das Stürmen in die Schlacht auf dem Streitwagen (vgl. Il. 7,237-243358). Bei dieser Kampfweise, die aus einer Serie von kurzen Vorstößen ins Gefecht mit anschließendem, sofortigen Rückzug in die Sicherheit der Menge besteht, sind Schnelligkeit und Gewandtheit erforderlich (vgl. die Metapher des Tanzens in Il. 7,243).359

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Vgl. van Wees 1996a, 2-3. Zum „Massenwurfkampf“ siehe v.a. Latacz 1977, 119-129. Der Drang, nach vorne zu stürmen, wird mit dem Begriff des μένος ausgedrückt, der so bestimmend für das Wesen eines Kriegers war, dass er sogar metonymisch in Umschreibungen für ihn verwendet werden konnte (z.B. Il. 14,418: Ἕκτορος ... μένος oder Il. 16,189: Ἐχεκλῆος κρατερὸν μένος Ἀκτορίδαο). Zum Begriff siehe Schröter 1950, 4754, Redfield 1994, 171-174 sowie LfgrE III, 135-143 (mit weiteren Literaturhinweisen). Vgl. die Zusammenfassung bei Singor 1995, 189: „(...) two basic categories of warriors: well-armed fighters in the front line, to whom all the named heroes belong and who fight very often at close hand, and others behind them or apart from them, of lesser military and almost certainly also social standing.“ Vgl. van Wees 1986, 286-287 und Singor 1991, 21-22. Zu den Helden als entscheidendem Faktor in der Schlacht siehe van Wees 1988, 15-18 und Hellmann 2000, 151-156; zur poetischen Technik und Stilisierung in den Kampfszenen siehe Hellmann 2000, 91-99. Vgl. auch Willcock 1993, 142: „Deeds of heroes stay in mind, but the armies are always there.“ Vgl. Willcock 1993, 142-146: „The successes of individual fighters, described in detail, are a catalogue of heroic achievement. But at the same time, they show the way the battle is going. Homer’s narrative, then, is not realistic, but artistic. With great simplicity, and with the fighting armies not forgotten in the background, he achieves multiple aims: heroisation of the victors, pathos of the losers, and at the same time, by the use of the conventions, a clear narrative line.“ Vgl. Σ D ad Il. 7,238 zum Wort βῶν: βοῦν Δωρικῶς τὴν ἀσπίδα, ὅτι ἐκ βοείων ἐστὶ δερμάτων. συνεκδοχικῶς τὸ ὅπλον. Vgl. van Wees 1988, 3-7. Achills Schnelligkeit, die in den für ihn spezifischen Epitheta ποδάρκης/πόδας ὠκύς zum Ausdruck kommt, zeugt von seinem Erfolg bei dieser Form der Kriegführung, siehe dazu King 1987, 3. Siehe auch van Wees 1996a, 36-39, der diese Kampfweise als „hit-and-run attack“ beschreibt.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Folglich muss sich ein Held nicht immer in der „killing zone“ zwischen den Heeren befinden, sondern kann sich durchaus auch zurücknehmen, um sich zu erholen oder sich neu zu bewaffnen, wie im Fall des Meriones, der sich aus der Schlacht zurückziehen und zu seiner Hütte laufen muss, nachdem ihm sein Speer am Schild des Deiphobos zerbrochen ist (Il. 13,159168).360 Auch im Falle einer Verwundung (z.B. Il. 11,267-283, 396-400, 487488, 510-520, vgl. 13,250-251) oder wenn er sich einem übermächtigen Gegner gegenübersieht (vgl. Il. 5,571-572; 11,545-547; 16,119-122; 17,106-122), kann sich ein Held ohne Gesichtsverlust aus der Gefechtszone zurückziehen (vgl. auch die Löwengleichnisse beim Rückzug in Il. 11,546-556; 17,657665). Von einem Helden wird jedoch erwartet, dass er sich der Gefahr des Kampfes als πρόμαχος aussetzt (vgl. Il. 6,441-446; 12,309-328), insbesondere im Falle arger Bedrängnis des Heers (Il. 15,295-298), und für den Schutz seiner Mitstreiter und Gefolgsmänner sorgt (vgl. Il. 2,24-25 = 61-62). Wenn ein homerischer Held seine Funktion als Vorkämpfer wahrnimmt und gegen den Feind vorgeht, stellt er seine kriegerische ἀρετή unter Beweis, die sich in seiner Fähigkeit zu töten manifestiert. Für die Schilderung von Kampf und Tod stehen dem Dichter unterschiedliche Darbietungsformen zu Gebote, (1) der Tötungskatalog sowie (2) die Einzeltötung oder Androktasie (wörtl. „Mannestötung“361): (1) Die schlichteste Form der Darstellung ist die summarische Aufzählung der Getöteten in Form eines reinen Katalogs von Namen (z.B. Il. 5,677678, 703-710; 8,273-276; 11,299-309; 12,187-194; 14,511-522; 16,692-697).362 Ein Katalog symbolisiert eine Menge von getöteten Gegnern und wird oftmals durch Patronymika und Epitheta ergänzt (umfangreich z. B. in Il. 5,703-710).363 Beim Tötungskatalog Hektors erfolgt in Il. 11,300-304 die namentliche Aufzählung von neun griechischen Anführern (Il. 11,304: ἡγεμόνας Δαναῶν), die Menge an getötetem Kriegsvolk wird in einem Gleichnis abgehandelt (Il. 11,305-309; vgl. 11,155-159, 172-180).364 Nur gegnerische Helden erhalten die Ehre einer namentlichen Nennung im Moment ihres Todes, doch ist anzunehmen, dass die Namen unbedeutender

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Vgl. van Wees 1988, 12-13 sowie 1996a, 7-8. Ebenso auch Johnston 1988, 63ff. Vgl. die Fügung μάχας τ’ ἀνδροκτασίας τε (Il. 7,237) bzw. μάχαι τ’ ἀνδροκτασίαι τε (Il. 24,548). Offenbar ist μάχη der Begriff für den Kampf als Ganzes, wohingegen ἀνδροκτασίη den einzelnen Tötungsakt bezeichnet. Zu den strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Katalogen und Schlachtschilderungen siehe Beye 1964, 345-354. Zur Zahlensymbolik homerischer Kataloge in Schlachtschilderungen siehe auch Singor 1991, 33-44. Vgl. Strasburger 1954, 52-68. Zur Darstellung der Tötung namenlosen Fußvolks im Gleichnis vgl. Patzer 1996, 142148.

I.3 Der Held im Kampf

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Kämpfer vom Dichter nur für den Augenblick erfunden wurden.365 Krieger, die nur auftreten, um von einem „großen Helden“ getötet zu werden, werden infolge ihres kurzen Auftritts üblicherweise als „kleine Kämpfer“ bezeichnet.366 Es entspricht der Intention des Dichters, auch kleine Kämpfer mit einer eigenen Persönlichkeit zu versehen, um ihnen Identität und Individualität zu geben und ihrem Tod Pathos zu verleihen, zumal es sich vielfach um kampfunerprobte Jünglinge, allerdings von hohem gesellschaftlichen Rang, handelt (z.B. Simoeisios, Il. 4,474-479; die PriamosSöhne Isos und Antiphos, 11,100-112).367 Zudem werden die Getöteten oftmals als ἄριστοι ihrer jeweiligen Kontingente bezeichnet, um die Stärke des siegreichen Helden hervorzuheben.368 So erwähnt Hektor, dass es ihm unvergänglichen Ruhm einbringen würde, einen der Besten der Griechen zu töten (Il. 7,90-91: ἀριστεύοντα κατέκτανε φαίδιμος Ἕκτωρ ... τὸ δ᾿ ἐμὸν κλέος οὔ ποτ᾿ ὀλεῖται369), denn je bedeutsamer der Gegner, den ein Held bezwingt, desto größer ist auch die Ehre, die ihm für diesen Sieg zusteht. 370 (2) Neben dem Tötungskatalog steht die Androktasie, die ausformulierte Kampfesbegegnung zweier namentlich genannter Krieger, die der schwächere Kämpfer mit dem Leben bezahlt.371 Zweikämpfe zwischen bedeutenden Helden, sog. Monomachien (z.B. Menelaos gegen Paris, Il.

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Vgl. Beye 1964, 354-356. Dies lässt sich auch daraus ersehen, dass zahlreiche Namen kleiner Kämpfer, insbesondere in Tötungskatalogen, mehrfach verwendet werden, vgl. dazu die Übersicht bei Saunders 2004, 7-8. Zu Form und Bildung der homerischen Eigennamen siehe von Kamptz 1982. „Namenlos zu sterben“ (νωνύμους ἀπολέσθαι, vgl. Il. 12, 70; 13,227; 14,70) bezeichnet metonymisch einen ruhmlosen Tod, vgl. dazu den Wunsch Hektors in Il. 22,304: μὴ μὰν ἀσπουδεί γε καὶ ἀκλείως ἀπολοίμην. Siehe dazu auch Webber 1989, 12 sowie Higbie 1995, 18-20. Vgl. Strasburger 1954, 11-14 und Seeck 1993, 196-202. Zur Bedeutung von Namen siehe Higbie 1995, 5-23. Vgl. ferner die bei Strasburger 1954, 15-18 aufgeführten Kennzeichen, die auch unbedeutende Kämpfer als Individuen charakterisieren: Nennung des Vatersnamens, Bezeichnung der Herkunft und ein Epitheton zur Bezeichnung der persönlichen ἀρετή. Zum Pathos homerischer Todesdarstellungen siehe Marg 1976, 15-19, Griffin 1980, 103-143 sowie Stoevesandt 2004, 126-159. Vgl. Edwards 1984, 66-71 zu dieser Verwendung von ἄριστος, die in Abgrenzung zum Gebrauch als Titel als „emphatic“ bezeichnet wird, da die wichtigste Funktion hier offenbar in der Ehrung des Siegers besteht. Diese epischen Formeln scheinen einen Topos wiederzugeben, der offensichtlich sehr alt ist und daher auch in der Heldendichtung anderer indogermanischer Völker nachweisbar ist, siehe dazu Watkins 1995, 483-487. Zu dieser Stelle siehe auch Buchan 2012, 173: „(...) Hector has now created a beautifully paradoxical version of an epitaph, one that tells us little about the imagined dead warrior, but much more about himself. The identity of the victim is entirely eclipsed by the identity of the man who killed him (...).“ Vgl. Strasburger 1954, 44: „Die Bedeutung eines Helden lässt sich an seinen Gegnern ablesen; die Kleinen „spiegeln“ gleichsam die Großen wider.“ Ebenso Ulf 1990, 7. Vgl. Strasburger 1954, 15-42 sowie Salazar 2000, 129-135.

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I. Das homerische Heldenkonzept

3,328-382; Aias gegen Hektor, Il. 7,206-312; Achill gegen Aineias, Il. 20,176352) sind ausführlicher dargestellt, doch wegen des offensichtlichen Widerwillens des Dichters, große Helden zu Tode kommen zu lassen, ist die Sterblichkeitsrate hier wesentlich geringer als in konventionellen Androktasien.372 Während einer Kampfszene steht die Zeit still und die Kampfhandlungen um die beiden Kontrahenten treten in den Hintergrund, sodass die Begegnung in einem isolierten Raum stattfindet. 373 Dies ist typisch für den Erzählstil der Ilias und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Handeln einzelner Helden und ihre Ruhmestaten.374 Hier sei nur das erste von zahllosen weiteren Beispielen zitiert: Il. 4,457-462: πρῶτος δ᾿ Ἀντίλοχος Τρώων ἕλεν ἄνδρα κορυστήν ἐσθλὸν ἐνὶ προμάχοισι, Θαλυσιάδην Ἐχέπωλον· τόν ῥ᾿ ἔβαλε πρῶτος κόρυθος φάλον ἱπποδασείης, ἐν δὲ μετώπῳ πῆξε, πέρησε δ᾿ ἄρ᾿ ὀστέον εἴσω αἰχμὴ χαλκείη· τὸν δὲ σκότος ὄσσ᾿ ἐκάλυψεν, ἤριπε δ᾿ ὡς ὅτε πύργος ἐνὶ κρατερῇ ὑσμίνῃ. Als erster erschlug Antilochos einen behelmten Mann der Troer, einen tüchtigen unter den Vorkämpfern, den Sohn des Thalysios Echepolos; den traf er als erster am Bügel des rossmähnigen Helms und durchbohrte die Stirn, und es drang in den Knochen die eherne Spitze. Dunkel umhüllte ihm da die Augen und er fiel wie ein Turm in der starken Schlacht.

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Diese Beobachtung stammt von Parks 1990, 60, der von insgesamt 170 namentlich genannten Toten auf troianischer und 50 auf griechischer Seite gegenüber nur einem Dutzend Verletzter auf beiden Seiten zusammen ausgeht (Zählung nach Mueller 2009, 80; Garland 1981, 43 mit 52-53 Tabelle 1 hingegen zählt 240 Tötungen von 188 Troianern und 52 Griechen). Von 34 Duellen enden jedoch nach Parks‘ Zählung nur 20 mit dem Tod eines der beiden Kontrahenten. Zum Raum der Ilias-Handlung und dieser Form der Fokussierung (bzw. „selective focus“ oder „zooming“) siehe de Jong 2005, 17-19 sowie Tsagalis 2010, 89-97. Vgl. Edwards 1987, 5-6: „(...) realism is often suspended in a way that would be impossible in a movie and difficult on the stage. The battle raging around two combatants is often ignored while they converse (as in the case of Diomedes and Glaucus; 6.119ff.), and all other actions stop while a suppliant speaks. When Achilles finally enters the battle, all other Greeks vanish for nearly three books (20-22), then reappear after his victory to stab the dead Hector.“ Für die vorliegende Untersuchung soll es ausreichen zu konstatieren, dass hierin eine gezielte Fokussierung des Dichters auf seine Helden intendiert war. Die Frage, ob die Einzelbegegnungen hintereinander stattfinden, da das homerische Epos keine gleichzeitigen Handlungen kennt („Zielinskis Gesetz“, vgl. ausführlich Krischer 1971, 91129 sowie Patzer 1996, 93-97), oder ob Einzeltötungen als Exemplifikation der gesamten Kampfhandlung parallel ablaufen, wie Latacz 1977, 68-74 annahm, ist in diesem Kontext nicht von weiterer Bedeutung. Vgl. auch Rengakos 1995.

I.3 Der Held im Kampf

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Eine erfolgreiche Einzeltötung kann in unterschiedlichen Variationen verlaufen, im einfachsten Fall als direkte Tötung (A trifft B, vgl. Il. 4,457-462). Gelegentlich erfolgen komplexe Muster, wenn zwei Helden einander gleichzeitig attackieren (z.B. Il. 5,655-662; 13,581-595, 601-618) oder wenn ein Angriff sein Ziel verfehlt bzw. die Rüstung des Gegners nicht durchdringen kann (z. B. Il. 11,232-240; 13,601-619).375 Oftmals töten große Helden ihre Gegner paarweise, wenn sie auf gegnerische Wagenkämpfer und deren Wagenlenker treffen (z. B. Il. 5,144-147, 148-151, 152-158, 159-165, 541-560, 608-610; 6,12-19; 11,91-100, 101-121, 122-148, 221-263, 328-334, 335).376 Diese und die im Folgenden einzeln dargestellten Motive können frei kombiniert werden,377 doch jede vollständige Androktasie umfasst den Namen des Siegers, den Namen des Getöteten, der oftmals durch Angabe des Namens des Vaters, seiner gesellschaftlichen Stellung oder seiner Qualitäten ergänzt wird, sowie die Art seiner Verwundung und Sterbens.378 Die Tötung ist meist lebensnah dargestellt und von einem „biotischen Realismus“ geprägt,379 doch einzelne Szenen zeigen phantastische Elemente, z.B. der Wagenlenker Mydon, der von Antilochos aus dem Wagenkorb gestoßen wird und kopfüber im Sand stecken bleibt (Il. 5,580-589), Hippolochos, dem von Agamemnon Kopf und Arme abgeschlagen werden, bevor er wie eine Walze in die Menge der Troianer geschleudert wird (Il. 11,145-148), Ilioneus, dessen Kopf von Peneleos mit einem Speer im Auge den Troianern präsentiert wird (Il. 14,493-500), Thestor, der von Patroklos mit der Lanze in den Mund getroffen und daran aus seinem Wagen gezogen wird (Il. 16,404-410) oder Kebriones, dem nach einem Treffer von Patroklos die

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Vgl. Fenik 1968, 6-7. Vgl. Fenik 1968, 82-83. Oftmals handelt es sich um Brüderpaare, siehe dazu Trypanis 1963. Vgl. ausführlich Niens 1987 sowie die übersichtliche Auflistung von AndroktasieAbläufen und typischen Motiven bei Kirk 1990, 23-25. Siehe auch Niens 1987, 1-16 sowie Maronitis 2004, 20-22 zum ersten Kampf der Ilias (Il. 4,422-544), der repräsentativ in seinem Verlauf ist und die meisten typischen Elemente enthält. Vgl. Beye 1964, 346-351 (Einteilung in „basic information“, „anecdote“ und „contextual information“), Fenik 1968, 16-19, Fenik 1974, 93-95 (vielfache Verweise auf „Beye’s ABC pattern“), Patzer 1996, 142-148, 169-174 sowie Saunders 2004, 3-4, der insgesamt 138 derartige Begegnungen in der Ilias zählt. Zu Gestaltung und Variation der Sterbeszenen siehe zudem Garland 1981 sowie Morrison 1999. Dieser Begriff wurde von Friedrich 1956 geprägt, der die Schlachtdarstellungen der Ilias hinsichtlich ihres Realismus zu klassifizieren versuchte. Die meisten in der Ilias dargestellten Verwundungen und Tötungen sind realistisch, vgl. Robertson 2002. Zur Beobachtung unterschiedlicher Grade von Realitätsnähe in den Tötungsdarstellungen siehe Friedrich 1956, 11-83, der auf der Grundlage dieser Unterschiede mehrere Dichter festzustellen versucht. Während dies vor dem Hintergrund der oral poetry-Forschung als überholt gelten darf, ist seine Bezeichnung einiger Darstellungen als „Scheinrealismus“ dennoch überaus treffend.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Augen aus den Höhlen fallen (Il. 16,740-742, vgl. 13,610-618).380 Diese Grausamkeiten in der poetischen Darstellung der Schlacht markieren erbitterten Kampf und ehren den siegreichen Helden, indem sie zeigen, zu welchen Leistungen er in der Lage ist. Bisweilen wird der Nennung des Namens des Getöteten eine kurze Beschreibung beigegeben, die im Moment des Todes schlaglichtartig das Leben des gefallenen Helden evoziert. Diese sog. Nekrologe verleihen der Ilias bei aller Darstellung von Kampf und Tod eine menschliche Tiefe und lassen jeden individuellen Tod bedauernswert erscheinen. Es ist eine Eigenheit der Ilias, dass sie neben den Ruhm des Siegers immer auch das Leid des Verlierers stellt.381 Mit dem Tod eines Kämpfers ist immer das Leid der Angehörigen verbunden (Il. 5,148-151, 152-158; 13,656-659; 14,501-505; 17,27-28, 34-37, 300-303), doch die Trauer eines berühmten Vaters verleiht dem Tod des Sohnes nicht nur Pathos, sondern betont zugleich auch die Leistung des siegreichen Helden.382 Nach dieser Typologie der Kampfdarstellung existieren zwei Maßstäbe, nach denen sich die Fähigkeit eines Held im Kampf bemessen lässt: Einerseits quantitativ an der Anzahl getöteter kleiner Kämpfer und der Menge des vergossenen Blutes, andererseits qualitativ nach dem Ansehen der einzelnen Gegner. Während der Tötungskatalog den quantitativen Aspekt betont, wird in Androktasien der Identität des Gegners Raum gegeben, sodass der qualitative Aspekt stärker zum Tragen kommt. Gelegentlich verfehlen die Helden ihr Ziel auch und treffen den Gegner, auf den sie gezielt hatten, nicht. In diesen Situationen fährt das Geschoss entweder wirkungslos in die Erde (Il. 11,233; 13,502-505, 605; 16,608-615; 17,525-529) oder trifft einen anderen Feind (Il. 4,489-493; 8,118-123, 300-305, 309-315; 13,183-187, 402-412, 516-520; 14,461-468, 488-489; 15,572-578; 16,466-469 [Pferd getroffen], 733-743; 17,304-311, 608-619).383 In keinem Fall

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Androktasien dieser Art sind als „Phantasmata“ bei Friedrich 1956, 11-29 gelistet, vgl. auch Fenik 1968, 61-62, Saunders 1999, 351-352 und 2000. De Jong 2005, 11-12 hingegen merkt an, dass antike Zuhörer diese Darstellungen vielleicht durchaus für realistisch hielten. Dazu siehe Pavano 1953, 309, Harrison 1960, 11, 14-15, Griffin 1976 und 1980, 103143, Grethlein 2006a, 155-159 sowie Mueller 2009, 86-89. Zur Ambivalenz der iliadischen Kriegsdarstellung siehe auch Gehrke 2010, v.a. 48-49. Vgl. Schröter 1950, 95 sowie Fenik 1986, 11 (mit Belegstellen): „A fighter’s death often receives rank and definition from his father’s grief, (...).“ Zum Motiv der Trauer des Vaters siehe auch Griffin 1980, 123-127, Alden 2000, 154-156 und Stoevesandt 2004, 128-134. Die Übersicht der Themen der Nekrologe bei Niens 1987, 261 zeigt, dass dabei oftmals das Ansehen des gefallenen Kriegers (und infolgedessen implizit die Leistung des Siegers) hervorgehoben wird. Zum Motiv der „Ersatztötung“ siehe Lossau 1991. Niens 1987, 8-9 und Grethlein 2006a, 160 sehen in diesen „Zufallstreffern“ die Willkür des Krieges am Werke. Da allerdings ausschließlich „kleine Kämpfer“ dieses Schicksal erleiden (vgl. Lossau

I.3 Der Held im Kampf

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wird ein Kämpfer der eigenen Seite getötet; das Phänomen des „friendly fire“ existiert in homerischer Schlachtdarstellung nicht, da diese Treffer nicht mit dem homerischen Bild eines ehrenhaften Todes vereinbar wären. Damit wird der Aspekt der Willkür des Sterbens im Krieg zumindest teilweise ausgeblendet.384 Hierin ist zweifelsohne Tradition und dichterische Intention am Werk, denn auch der Tod unterliegt einer strengen Stilisierung. Treffer, seien es zufällige oder beabsichtigte Treffer, führen unmittelbar zum Tod, und jede Begegnung zwischen zwei Kriegern ist zumeist schnell vorüber und endet mit dem Tod eines Kombattanten. Niemals kommt es zu einem längeren Schlagabtausch zwischen zwei Helden, und Einzelbegegnungen tragen zu Recht die Bezeichnung ἀνδροκτασίη „Mannestötung.“385 Die Ilias schildert keine schweren Verwundungen, die einen langsamen und qualvollen Tod zur Folge hätten, und auch Todesqualen werden niemals direkt erwähnt.386 Schmerz wird nur in äußeren Reaktionen zum Ausdruck gebracht, wie etwa dem Aufstöhnen eines sterbenden Kriegers oder darin, dass er sich mit den Fingern in die Erde krallt (Il. 11,425; 13,508, 520; 14,452; 17,315). Androktasien unterliegen der poetischen Stilisierung, die es erfordert, dass der unterlegene Held schnell und ohne lange Leiden stirbt. Die Ilias stellt weder qualvoll sterbende Krieger noch invalide Kämpfer dar, und auch leichtere Verletzungen kleiner Kämpfer enden schnell mit dem Tod des Getroffenen, wie Diores, der

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1991, 8-9 et passim), erfolgen diese Tötungen nicht vollkommen willkürlich, da nur schlechtere Krieger von besseren getötet werden, nie jedoch umgekehrt. Vgl. auch die Beobachtung von Fenik 1968, 145-146, dass mehrfach Helden, die danach als Sieger aus einer Androktasie hervorgehen, den ersten Wurf verfehlen. Siehe dazu auch Shay 1994, 124-125. Zum Fehlen des Zufälligen in der Ilias siehe allgemein Graziosi/Haubold 2005, 90. Vgl. Marg 1976, 12: „Die Darstellung geht immer wieder auf die Grundform des Kampfes aus, einer siegt und einer fällt, und rasch pflegt sich in jedem Kampf der Ablauf zu diesem Ende zu vollziehen. Ein ausdauerndes Miteinander-Ringen zweier Kämpfer, die bis zur Erschöpfung aufeinander losschlagen, oder zweier Einheiten, fehlt in der Ilias, selbst in den großen Kämpfen der großen Helden.“ Ebenso ist auch der Boxkampf zwischen Epeios und Euryalos in Il. 23,689-697 mit einem einzigen Schlag beendet. Siehe hierzu auch die Zählung von van Wees 1996a, 38: „The brevity of fights is as remarkable as their lack of chivalry. From a total of 170 battlefield encounters described and a further 130 referred to, only 18 involve more than one blow, and a mere 6 of these involve more than a single exchange of blows. The only fight to go beyond a second exchange of blows is not part of a battle, but a specially arranged formal duel.“ Vgl. auch Kirk 1962, 374-375, Armstrong 1969, 30-31, Salazar 2000, 129135 sowie die Folgerung von Griffin 1980, 94: „The Homeric poems are interested in death far more than they are in fighting.“ Vgl. Benardete 1968, 38-39.

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I. Das homerische Heldenkonzept

durch einen Treffer am Knöchel fällt (Il. 4,517-524) oder Hypsenor, der unmittelbar durch den Verlust eines Arms stirbt (Il. 5,76-83).387 Körperliche Beeinträchtigungen sind nicht mit der äußerlichen Schönheit und Makellosigkeit vereinbar, die für einen Helden erforderlich sind.388 Auch kleinere Verletzungen, die den verwundeten Helden nur zum Rückzug aus dem Kampfgeschehen zwingen, sind selten, und die Mehrzahl aller Kämpfe in der Ilias endet mit sofortigem Tod.389 Es entsteht das Gesamtbild einer „sauberen“ und edlen Kriegführung, dessen Ziel in der Hervorhebung der kriegerischen Fähigkeit des siegreichen Helden besteht, der sich seiner Gegner schnell und effizient entledigen kann.390 I.3.4

Die Aristie des Helden und die Darstellungsmittel des Heldenmuts

Nach dem Verlauf epischer Kampfszenen gilt es nun, die Darstellungsmittel zu betrachten, durch die der Dichter den Heldenmut eines Kämpfers besonders hervorheben kann. Das wichtigste strukturelle Mittel ist die Fokussierung auf einen großen Helden. Da das homerische Epos über keine Möglichkeit verfügt, gleichzeitige und parallel erfolgende Handlungen explizit darzustellen,391 ergibt sich eine homerische Schlachtschilderung aus einer Sequenz einzelner

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Zweifellos ist der Verlust eines Arms eine schwere, wenn auch nicht tödliche Verletzung, die mit hohem Blutverlust einhergeht, doch der sofortige Tod ist ein heldenhafteres Schicksal als ein Weiterleben als Invalide. Zur Frage der realistischen Darstellung der tödlichen Verletzungen am Beispiel der Schlachtszenen der Bücher Il. 13-16 siehe Saunders 1999, 346-363 sowie Fenik 1968, 61-62 und Saunders 2000, v.a. 25-30 zum Tod des Mydon in Il. 5,580-589. Es ergibt sich die Schlussfolgerung, dass einige der beschriebenen Verwundungen unrealistisch sind, und der Tod nur infolge des poetischen Gestaltungswillens und der epischen Konvention schnell und unmittelbar eintritt. Ebenso urteilt auch Edwards 1987, 156: „There is one unrealistic convention: if seriously wounded, heroes do not suffer long agonies but always die immediately.“ Vgl. Rutherford 1996, 39 und Griffin 1980, 48: „It is part of Homer’s conception of the heroic that wounds in battle are either slight or fatal – there are to be no mutilated and hideously suffering warriors to blur the overriding contrast between heroic life and heroic death.“ Siehe auch Shay 1994, 127-129. Hierzu Marg 1976, 12: „Das Sterben selbst pflegt rasch zu geschehen, wie das Kämpfen. Nirgends erleben wir ein langsames Sich-zu-Tode-Quälen oder ein Absinken der Kräfte, obwohl es das ja gegeben haben muss. Der Tod tritt fast immer auf der Stelle ein.“ Nur die bedeutendsten Helden bekommen im Sterben noch die Ehre einer letzten Rede (vgl. Fenik 1968, 69), Sarpedon (Il. 16,492-501), Patroklos (Il. 16,844-854) und Hektor sogar zweimal (Il. 22,338-343, 356-360). Zu Variationen bei Art des Treffers und Ort der Verwundung siehe z.B. Thornton 1984, 93-97. Vgl. van Wees 1996a, 38-39. Zu den Formgesetzen der linearen Darstellungsweise des homerischen Epos siehe Patzer 1996, 90-101.

I.3 Der Held im Kampf

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Kampfesbegegnungen. Wenn ein einzelner Held mehrere Gegner in Folge (und oftmals paarweise392) überwindet und so für längere Zeit die bestimmende Gestalt auf dem Schlachtfeld darstellt, wird diese ausführliche Darstellung kriegerischer Fähigkeit als Aristie (ἀριστεία, entsprechend der Position des Helden als ἄριστος) bezeichnet.393 Diese Ehre ist großen Helden vorbehalten, und so bekommt auch Agamemnon, der sich in der Ilias nicht durch seine Qualitäten als Kämpfer auszeichnet (vgl. die Vorwürfe in Il. 1,225-228; 9,37-39), eine Aristie zugebilligt (Il. 11,1-283).394 Wie die Androktasie eine Typszene epischer Schlachtschilderungen bildet, so ist auch die Aristie ein typisches Strukturelement des homerischen Epos und läuft nach einem festgefügten, aber im Detail variablen Schema ab: Eine vollständige Aristie beginnt mit einer Rüstungsszene, besteht dann aus einer Reihe von Androktasien und findet nach der Verwundung des Helden im letzten Zweikampf ihren Abschluss.395 Einzelne Motive in dieser Struktur, die zur Hervorhebung eines Helden eingesetzt werden können, sind im Folgenden im Überblick dargestellt. I.3.4.1 Göttlicher Beistand Oftmals erhält ein Held bei seiner Aristie die Hilfe eines Gottes, der ihm besonderen Kampfesmut und Stärke (μένος) eingibt oder seine Waffe führt (z.B. Il. 5,1-3, 290-291, 676; 11,300, 437-438, 510-515; 13,59-61, 434-441, 550555; 16,527-529; 17,569-573).396 Die Hilfe von Göttern ist kein Ausdruck von Unzulänglichkeit und Schwäche, sondern im Gegenteil die verdiente Ehrung eines bedeutenden Helden, die ihn vor normalen Menschen und seinen eigenen Standesgenossen auszeichnet.397 Für die homerische Konzeption eines Helden ist der Bezug zu den Göttern als Ausdruck seines hohen

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Siehe dazu Fenik 1968, 82: „(...) double slayings are thus typical in themselves (cf. also Ε 541, Ε 608) and as part of an aristeia. They intensify the impression of fierce invincibiliy.“ Zum Formelement der Aristie siehe Schröter 1950, 39-115, Reinhardt 1961, 292-299 (am Beispiel der Aristie des Idomeneus Il. 13,240-520), Krischer 1971, 75-84 sowie ausführlich Niens 1987, 17-142. Siehe auch die Analyse der Aristie des Patroklos (Il. 16) und ihren struktuellen Ähnlichkeiten zu anderen Aristien bei Fenik 1968, 190-218. Zur Analyse von ἄριστος im homerischen Epos siehe oben Anm. 35 sowie I.2. Zu den Vorbedingungen einer Aristie siehe Schröter 1950, 41-45. Zur Aristie des Agamemnon und ihrem poetischen Zweck im Kontext siehe Rabel 1990a, v.a. 1-4 sowie Gundert 1940, 228: „Das einzige Mal tritt er an diesem Morgen nicht nur als der mächtige König von Mykene auf, sondern auch als der sieghafte, führende Kampfheld (11, 1-283).“ Vgl. Krischer 1971, 23-85, Thornton 1984, 74-78 sowie Schein 1984, 80-82. Siehe auch Fenik 1968, 68 für Beispiele, wo die Hilfe eines Gottes direkt zu einem Tötungskatalog des begünstigten Helden führt. Zur Götterhilfe vgl. Schröter 1950, 62-72, Rutherford 1982, 153, Edwards 1987, 6 sowie Patzer 1996, 160-163, 199-215. Ebenso auch Lloyd-Jones 1983, 4: „By the aid of gods,

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I. Das homerische Heldenkonzept

Status unerlässlich.398 So beginnt die erste in der Ilias dargestellte Aristie, die nach ihrem Protagonisten als Diomedie bezeichnet wird, programmatisch damit, dass Athene Diomedes „Kampfkraft und Mut eingibt, auf dass er ausgezeichnet unter allen Argeiern werde und sich herrlichen Ruhm erwerbe“ (Il. 5,1-3: Ἔνθ᾿ αὖ Τυδεΐδῃ Διομήδεϊ Παλλὰς Ἀθήνη / δῶκε μένος καὶ θάρσος, ἵν᾿ ἔκδηλος μετὰ πᾶσιν / Ἀργείοισι γένοιτο ἰδὲ κλέος ἐσθλὸν ἄροιτο). Diomedes wird als idealer Krieger stilisiert, und seine Aristie fungiert gleichsam als Folie, vor der die weiteren Schlachtdarstellungen zu betrachten sind.399 I.3.4.2 Das Löwengleichnis Neben der Auflistung getöteter Gegner oder der Beschreibung besonderer Tötungen steht dem Dichter zur Hervorhebung eines Helden das Darstellungsmittel des Gleichnisses zur Verfügung.400 In Schlachtschilderungen werden Helden zur Darstellung ihres besonderen Heldenmuts oftmals mit Naturgewalten wie Feuer (Il. 5,4-7; 11,155-157, 596; 13,53, 330) oder reißenden Strömen (Il. 5,87-94; 11,492-497; 16,384-393) verglichen. Daneben finden sich Tiergleichnisse, unter denen das „Löwengleichnis“ eine besondere Stellung einnimmt.401 Im Kampf allgemein, jedoch insbesondere während einer ἀριστεία, werden Helden häufig als Löwen stilisiert.402 Der Löwe erscheint als Raubtier, das sich gegen andere Tiere oder den Menschen und

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men can achieve great triumphs; but such aid never comes except to the valiant, the god-descended, (...).“ Vgl. Benardete 2005, 14: „But in what consists the heroic distinction? First, in lineage: the heroes are either sons of gods or can easily find, within a few generations, a divine ancestor; and second, in providence: the gods are concerned with their fate.“ Vgl. dazu Owen 1946, 47 zur Aristie des Diomedes: „(...) in that it is a battle that typefies and establishes the usual battle-relations of the two armies, it serves also as part of the exposition of antecedent events. It sums up in convenient dramatic form the previous history of the war; or to put it another way, it is a picture of a battle in the days before Achilles withdrew, dramatically transferred, by the necessity of the story, to the time after his withdrawal; and the role of Achilles is played by Diomedes. (...) He [d.h. Homer] shows us in Diomedes the perfect Homeric knight, to supply a background against which we view and measure the conduct of Achilles when he takes the field.“ Zu einem Motivkatalog der Aristie siehe auch Schröter 1950, 35-39. Zur Gleichnistypik der Aristien siehe insbesondere Krischer 1971, 36-75. Die homerischen Gleichnisse gelten allgemein als innovative Elemente und weisen große Variationen in ihrer Gestaltung auf, siehe dazu Russo 1968, 287-288 sowie Edwards 1991, 24-41. Vgl. King 1987, 19-24, Lonsdale 1990, 39-70, Wilson 2002a, 231-232 sowie Mueller 2009, 109-112. Der Löwe steht für den offensiv kämpfenden Helden, Krieger auf dem Rückzug werden zumeist mit Ebergleichnissen beschrieben, vgl. Vermeule 1979, 8891. Siehe insbesondere Lonsdale 1990, 50-60 zu den Aristien des Diomedes und des Agamemnon.

I.3 Der Held im Kampf

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dessen Nutztiere wendet, doch der Vergleich mit einem wilden Tier erniedrigt einen Helden nicht, sondern hebt seine unbändige Kampfkraft hervor und markiert regelmäßig kämpferische Höhepunkte. 403 Das Löwengleichnis ist ein traditioneller Bestandteil epischer Heldendarstellung und geht vermutlich auf orientalische Vorbilder zurück, in denen der Löwe als königliches Tier galt.404 Der Vergleich kann nur wenige Worte umfassen (z.B. Il. 5,299: λέων ὣς ἀλκὶ πεποίθως), oder zu umfangreicheren Gleichnissen ausformuliert sein (z.B. Il. 5,136-143; 12,299-308).405 Agamemnon erhält im Verlauf seiner Aristie fünf Vergleiche mit einem Löwen (Il. 11,113-121, 129-130, 172-178, 238-239, 292-295), und seine Aristie zeichnet sich durch Darstellungen extremer Gewalt aus (z. B. Il. 11,172-178).406 Vergleiche mit Löwen oder anderen wilden Tieren, insbesondere auch dem Eber, verweisen dabei nicht nur auf die außergewöhnliche Wehrkraft und den Kampfesmut des Helden, die den Tieren in den Gleichnissen ebenfalls zugeschrieben werden, sondern auch auf den geistigen Zustand. Denn wie ein bedrängtes Tier stürzt sich auch der Held mit Kühnheit und Todesverachtung in den Kampf (z.B. Hektor in Il. 12,41-50).407 Doch wie die wilden Tiere im Gleichnis kann auch ein Kämpfer leicht vom Jäger zum Gejagten werden, und Löwengleichnisse verweisen damit auch auf die Gefahr des Helden in der Schlacht: Einerseits ist er ein wilder und erbarmungsloser Jäger, dem daran gelegen ist, so viele Feinde wie möglich zu töten, andererseits besteht immer die Möglichkeit, dass er auf einen überlegenen Gegner trifft und selbst zur Beute wird (vgl. Il. 18,309: ξυνὸς Ἐνυάλιος, καί τε κτανέοντα κατέκτα).408 I.3.4.3 Verwundung und Blutvergießen Wie schon angedeutet, ist kein homerischer Held unverwundbar, und er muss im Kampf immer damit rechnen, verwundet und getötet zu werden. Nur ein Held, der leiden und sterben kann, kann Tapferkeit zeigen, und ein unverwundbarer Held wäre damit gleichsam ein Widerspruch in sich.

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Vgl. Redfield 1994, 192. Vgl. Vermeule 1979, 85-88, West 1997, 246-247, 388 sowie Lonsdale 1990, 105: „Whatever the zoological reality behind the Homeric lion, it is clear that the symbol of the kingly, quasi-divine, lion from the Near East has been recreated in the similes in the image of the Homeric hero with all its strengths and weaknesses, but without sacrifice of naturalism.“ Siehe Lonsdale 1990, 143 für eine Übersicht über alle Löwengleichnisse in den homerischen Epen. Siehe auch Clarke 1995, 150-151. Zur Signifikanz von Blut in den Gleichnissen siehe Neal 2006a, 212-222 und 2006b, 23-27. Vgl. Clarke 1995, 145-152. Zum Begriff der ἀγηνορίη und ihrer zerstörerischen Wirkung siehe auch Graziosi/Haubold 2003, 61-69. Vgl. v.a. Lonsdale 1990, 85-102.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Doch in der homerischen Darstellung des Krieges herrscht eine idealisierende Gerechtigkeit, denn Helden werden nur von Gegnern getötet, die ihnen überlegen sind und es verdient haben, den Sieg davonzutragen. An keiner Stelle unterliegt ein großer Held einem unbedeutenderen, denn große Krieger sterben nicht, wenn sie auf unterlegene Kämpfer treffen, sondern werden von diesen höchstens verwundet.409 Tatsächlich gehört es zu den Kennzeichen eines großen iliadischen Helden, im Kampf eine Verletzung zu erleiden,410 und die Verwundung ist ein fester Bestandteil des Schemas einer Aristie. Eine Verletzung kennzeichnet einen homerischen Helden als überlegenen Kämpfer: Während „kleine Kämpfer“ durch die Erwähnung ihres Todes einen kurzen Moment der Ehrung und des Ruhmes erfahren, stirbt der wahre Held nicht, sondern überlebt und erholt sich von seiner Wunde.411 In der Ilias finden ca. 240 namentlich genannte Krieger den Tod und angesichts dieser hohen Sterblichkeitsrate der Kämpfer vor Troia ist es für einen Helden eine Leistung, „nur“ eine Wunde davonzutragen.412 Symbolisch äußert sich die ideologische Bedeutung von Verletzungen darin, dass der überlegene Held, der verwundet wird, aufrecht stehen bleibt und sich aus eigener Kraft in Sicherheit bringen kann, wenn auch auf seinen Speer gestützt (vgl. Diomedes und Odysseus in Il. 19,4749). Der unterlegene Kämpfer hingegen fällt im wahrsten Sinne des Wortes, seine Waffen dröhnen bei diesem Sturz (z.B. Il. 4,421-422: δεινὸν δ᾿ ἔβραχε χαλκὸς ἐπὶ στήθεσσιν ἄνακτος / ὀρνυμένου; 5,58, 294; 8,260: ἤριπε δ᾿ ἐξ ὀχέων, ἀράβησε δὲ τεύχε᾿ ἐπ᾿ αὐτῷ; 4,504 et passim: δούπησεν δὲ πεσών, ἀράβησε δὲ τεύχε᾿ ἐπ᾿ αὐτῷ; 12,23: κάππεσον ἐν κονίῃσι) und er stirbt fast immer sofort.413

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Vgl. Niens 1987, 39-50, die annimmt, dass in Verwundungen sich durchaus schwächere Helden als überlegen zeigen können. Siehe allerdings die ansonsten nicht weiter ausgeführte Notiz bei Reinhardt 1961, 271: „Wunden haben es an sich, daß sie mehr Sympathie für den Verwundeten erwecken als für den, der sie schlug.“ Diese Beobachtung stammt von Salazar 2000, 126-158 und bildet die Grundlage der Monographie von Neal 2006a zur Thema der Verwundung des Helden. Zum Vergleich siehe Marg 1976, 14, der von Verwundung nur als „Mittel zeitweiliger Ausschaltung“ spricht. Zur Bedeutung von Verwundungen in der Ilias vgl. Salazar 2000, 126-129, Neal 2006a, 13-44 und Holmes 2007, 54-59. Die Funktion als Darstellungsmittel des Heldenmuts ist scheinbar verkannt bei Niens 1987, 39-50, die die Verwundungen großer Helden als „Siege der Schwachen über die Starken“ bezeichnet. Vgl. die Listen bei Armstrong 1969, 30-31, Hainsworth 1993, 253 und Saunders 2004, 2, 14, die illustrieren, dass die überwiegende Mehrzahl aller Treffer in der Schlacht zum Tod des getroffenen Kämpfers führt. Beobachtung zur Metaphorik des Fallens nach Miller 2000, 323. Ausnahmen zum sofortigen Sterben sind die drei bedeutenden Todesfälle der Ilias, Sarpedon, Patroklos und Hektor, denen jeweils im Sterben noch eine Rede an ihren Überwinder zugestanden wird, vgl. oben Anm. 389.

I.3 Der Held im Kampf

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Bedeutende Helden jedoch lassen sich durch Verwundungen nicht aufhalten, sondern reagieren mit heroischem Zorn auf den Angriff eines Feindes auf ihr Leben und ihre Ehre (vgl. Il. 5,207-208). Dies zeigt sich an den Verwundungen in Il. 11, wo mit Diomedes, Odysseus und Agamemnon die drei bedeutendsten Kämpfer nach Achill und Aias wegen Verletzungen aus dem Kampf ausscheiden (vgl. Il. 11,658-661): Als Agamemnon durch einen Speerstoß des Koon am Arm verwundet wird, kämpft er heldenhaft weiter und schlägt Koon den Kopf ab. Er setzt seine Aristie fort, bis der Schmerz ihn letztendlich zum zeitweiligen Rückzug aus der Schlacht zwingt, und kehrt auf seinem Streitwagen und ohne Hilfe seiner Gefährten ins griechische Lager zurück (Il. 11,248-289).414 Nur wenig später trifft Paris Diomedes aus sicherer Entfernung mit einem Pfeil in den Fuß. Der Schuss kann Diomedes nur verwunden, der sich nach verächtlichen Worten über die Feigheit des Paris den Pfeil selbst entfernt und auf seinem Wagen die Schlacht verlässt (Il. 11,369-400). Ebenso wird Odysseus durch einen Speerstoß des Sokos verwundet, der ihm den Schild an den Körper nagelt. Da ihn Athene jedoch vor einer schwereren Verletzung schützt (Motiv des göttlichen Beistands), kann er Sokos töten und bedenkt ihn mit einer verächtlichen Prahlrede (Il. 11,450-455). Anschließend entfernt er sich selbst den Speer aus der Wunde und zieht sich in die Sicherheit des Schiffslagers zurück (Il. 11,434-488). Die Funktion dieser Wunden besteht unzweifelhaft darin, den Heldenmut der großen Kämpfer der Griechen darzustellen,415 denn das Vergießen des eigenen Blutes fungiert als sichtbarer Ausdruck kriegerischer ἀρετή.416 Es ist nicht unehrenhaft, in der Schlacht eine Verlet-

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Siehe dazu auch Holmes 2007, 71-74. So auch schon Friedrich 1956, 31. Vgl. auch Traill 1990, 300 zu der Beobachtung, dass die jeweils beteiligten Troianer trotz ihres scheinbaren Erfolgs keinen Ruhm gewinnen. Jedoch sieht Traill 1990 die Verwundungen der Griechen insgesamt als einen Verlust von τιμή, der durch Erfolge gegen Hektor kompensiert werden muss (S. 301303). Fenik 1986, 5-21 hingegen sieht in den Schlachtschilderungen von Il. 11 nur Odysseus als Folie für heroisches Verhalten. Vgl. dazu Neal 2006a, 44: „In short, injury affirms heroic ability and validates heroic identity. The equivalent of a military decoration, it is a public affirmation of individual courage, strength and φιλότης, all of which are integral to a hero’s reputation. As well, injury draws attention to the warrior’s mortal vulnerability at the moment when this will inform the extent of his bravery and achievement. Injury describes the hero transcending the capacities of ordinary warriors because he successfully evades death in a context where the majority of blows are fatal.“ Siehe auch Neal 2006b, 1820. Zum Blutvergießen in der Ilias siehe ausführlich Neal 2006a, 45-62, 185-222 und 2006b, 15-23 sowie Holmes 2007, 60-71.

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I. Das homerische Heldenkonzept

zung zu erleiden, und das Vergießen des Blutes eines Helden ist ein Zeichen des Lebens, menschlicher Vergänglichkeit und menschlicher Vortrefflichkeit im Kampf.417 Die Typologie von Verletzungen lässt sich am besten e negativo an der Züchtigung des Thersites exemplifizieren, der auch in dieser Hinsicht das Gegenbild des idealen Helden darstellt. Nach seinen ungebührlichen Worten gegen Agamemnon droht ihm Odysseus zunächst und züchtigt ihn dann mit dem königlichen Zepter (Il. 2,265-269): Thersites erleidet seine Verletzung auf dem Rücken durch eine stumpfe Waffe, die seine Haut nicht durchdringt, sondern nur einen blutigen Striemen hinterlässt, worauf er vor Schmerz Tränen vergießt und furchtsam klein beigibt.418 Das Motiv der Verwundung eines Helden im Kampf wird darin karikiert, da Thersites, dessen „Wunde“ nicht einmal wirklich blutet, 419 nicht von einem Feind verletzt, sondern durch einen Feldherrn gezüchtigt wird. In Umkehrung ergibt sich daraus für die Wunde eines echten Helden, dass er sie nicht am Rücken erhalten darf, dass er sie mit einer spitzen Waffe erleidet und dadurch sein Blut vergießt, dass er trotz Schmerzen keine Tränen vergießt und Rache an dem Gegner übt, der ihm die Verletzung beigebracht hat. Voraussetzung dafür, dass eine Verletzung als ein Zeichen von Tapferkeit angesehen werden kann, ist, dass der Held die Wunde nicht am Rücken empfangen hat, da dies darauf schließen ließe, dass er seinem Feind aus Unachtsamkeit den Rücken zukehrte oder auf der Flucht verwundet wurde.420 Das Risiko, im Schlachtgetümmel am Rücken getroffen zu werden, ist hoch (z.B. Il. 5,38-42, 55-57, 65-67; 8,256-260; 11,446-449; 12,43-44; 13,545-549; 15,341-342; 20,413-418, 487-489), doch diese Treffer führen alle zum Tod des Getroffenen.421 Es gilt einem Helden nicht als unehrenhaft,

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Auch Götter, die in die Schlacht eingreifen, werden verletzt, doch Götter haben aufgrund ihrer Unsterblichkeit nichts zu befürchten, und so nimmt es nicht Wunder, dass in den Adern der homerischen Götter kein Blut, sondern nur Ichor fließt (Il. 5,340: ἰχώρ). Zu den Verwundungen der Götter in der Ilias siehe Neal 2006a, 151-175. Vgl. Wærn 1985, 225 und van Wees 1998a, 46-47 Anm. 9. Vgl. Salazar 2000, 147 sowie Neal 2006a, 55-57. Vgl. Salazar 2000, 156-157 sowie Neal 2006a, 19. Siehe dazu die Versicherung des Idomeneus an seinen Gefährten Meriones, dass er bei seiner Tapferkeit nie am Rücken getroffen werden könnte (Il. 13,288-291). Vgl. Robertson 2002, 104. Eine Verwundung am Rücken muss nicht zwangsläufig darauf hindeuten, dass der Kämpfer dem Gegner den Rücken zugekehrt hat, denn ebenso kann er umzingelt worden sein, doch mehrfach werden Kämpfer gerade in dem Moment, in dem sie sich abwenden, getroffen, Il. 5,40; 8,258; 11,447; 13,545; 13,308: (μετα-)στρεφθέντι. Jedoch fügt sich die Beobachtung, dass Rückenwunden ausschließlich bei Troianern auftreten (vgl. Mackie 1996, 48-49, Neal 2006a, 64), in das Schema griechischer Überlegenheit im Kampf. Siehe dazu auch Stoevesandt 2004, 117-126 und Neal 2006a, 63-111.

I.3 Der Held im Kampf

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einen Gegner von hinten oder unerwartet zu treffen, denn die Schande einer solchen Androktasie liegt beim Verlierer, da er seinem Feind den Rücken dargeboten hat (vgl. auch Il. 8,94-95; 22,283-284).422 Kein Held scheut sich, fliehende Gegner zu töten, doch keiner der großen Helden empfängt seine Wunde am Rücken.423 Ferner ist auch die Art der Verletzung von Bedeutung. Verwundungen durch Speere sind ehrenvoller als durch Pfeile, und auch der Status des Gegners, von dem ein Held verletzt wird, ist bedeutsam.424 So wird der wenig heldenhafte Paris nur leicht verletzt, als Menelaos ihn während ihres Zweikampfes mit seinem eigenen Kinnriemen würgt. Er wird nicht mit einer echten Waffe verletzt und erleidet keine heldenhaft blutende Verwundung (Il. 3,369-382).425 Sein Gegner Menelaos, der zwar ein bedeutender Held, aber kein besonders ausgezeichneter Krieger ist, wird kurz darauf nur durch einen Pfeil vom Bogen des Pandaros verwundet, was er jedoch „mit einem hohen Maß an Selbstbeherrschung erträgt, wie es von einem verantwortlichen Feldherrn erwartet wird“426 (Il. 4,124-219). Durch ein Schwert oder einen Speer beigebrachte Wunden sind ehrenvoller und seltener, da die Treffer dieser heldenhaften Waffen überwiegend mit dem Tod des Getroffenen enden.427 Das vergossene Blut dieser Wunden ist sichtbares Zeichen der Verletzung des Helden und symbolisiert Lebenskraft und Stärke des Helden wie auch seine Sterblichkeit und sein darin begründetes Streben nach Kampfesruhm.428 Ferner ist der Umgang mit erlittenen Wunden für die Darstellung des Helden von Bedeutung.429 Eine Verwundung ist mit Blutung und Schmerzen verbunden, und am männlichsten und heldenhaftesten ist es, wenn er

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Vgl. Salazar 2000, 130 (mit Anm. 17). Van Wees 1988, 5 Anm. 19 zählt unter den Androktasien, in denen die Tötungsumstände dargestellt sind, nur 45 Fälle, bei denen sich der Angegriffene des Angriffs ausdrücklich bewusst ist, hingegen 125 Fälle, bei denen er unerwartet, also beim Plündern eines Leichnams, als Ersatztötung, in den Rücken etc., getroffen wird. Vgl. Neal 2006a, 19 und Appendix III, 293. Wie auch realistisch zu erwarten wäre, erfolgen Verwundungen überwiegend an Extremitäten (und niemals am Kopf), siehe Saunders 2004, 14-16. Vgl. Neal 2006a, 18-27. Vgl. Neal 2006a, 58-60. Barck 1971, 18. Zur Darstellung des Menelaos in der Ilias als einem Aristokraten, der zwar alle Kriterien eines typischen Helden erfüllt, aber nicht aus dem Schatten anderer, bedeutenderer Helden heraustreten kann, siehe ebenda 9-23. Zu den Sterblichkeitsraten der einzelnen Waffen siehe Robertson 2002, 107 Tab. 1. Vgl. Neal 2006a, 171 und 185: „Since αἷμα signifies mortality, and is finite, it is paradoxical that the warrior who bleeds does not die; that is, an Iliadic hero is defined by his ability to lose blood and yet remain alive. (...) Blood that flows from a non-fatal wound is visible proof of the hero’s willingness to risk life in the pursuit of honour; that is, the very substance of life is exchanged for κλέος.“ Vgl. Salazar 2000, 147-157 und Neal 2006a, 27-32, 65-74.

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I. Das homerische Heldenkonzept

ohne Reaktion weiterkämpft oder sich die gegnerische Waffe selbst aus der Wunde entfernt. Ein Musterbeispiel heldischen Betragens ist Diomedes, der zweimal verwundet wird und beide Verletzungen überlebt. Zunächst wird er von Pandaros getroffen, dessen Pfeil er sich noch auf dem Schlachtfeld von seinem Wagenlenker Sthenelos entfernen lässt (Il. 5,97-113), und er erleidet einen weiteren Treffer durch einen Pfeilschuss des Paris in die Ferse (Il. 11,369-400). In beiden Fällen erduldet Diomedes, der nach Achills Rückzug aus dem Kampf als der bedeutendste Held der ersten Hälfte der Ilias gelten kann, die Entfernung der Pfeile ohne Wehklagen. Auch Sarpedon, der einzige Sohn des Zeus vor Troia und Anführer der Lykier, verlässt auf seine Gefährten gestützt das Schlachtfeld, nachdem er von Tlepolemos mit dem Speer am Schenkel verwundet wurde (Il. 5,660-667),430 und ebenso sein θεράπων Glaukos nach einem Pfeilschuss des Teukros (Il. 12,387-392). Das klaglose Ertragen von Wundschmerz ist für einen Helden ehrenvoll,431 und obwohl Helden an mehreren Stellen in der Ilias aus Trauer, Enttäuschung oder Verzweiflung Tränen vergießen (z.B. Il. 1,349, 357; 9,14; 13,88), findet sich kein einziger Beleg dafür, dass ein Held aus körperlichem Schmerz Tränen vergießen würde.432 Weitere, weniger heldenhafte Reaktionen auf Wundschmerz sind lautes Aufstöhnen oder der Verlust des Bewusstseins, doch dieses Verhalten zeigt sich nur an Wunden, die Helden der Troianer und ihre Verbündeten davontragen.433 So wird Aineias von einem Steinwurf des Diomedes getroffen und überlebt nur durch das Eingreifen seiner Mutter Aphrodite, die ihn in Sicherheit bringt, als er das Bewusstsein verliert (Il. 5,302-318). Im Gegensatz zu den leichteren Verletzungen, die einen Kämpfer nur zum Rückzug zwingen, wäre Aineias gestorben, wenn seine Mutter Aphrodite ihn nicht entrückt und geheilt hätte. Aineias kann sich nicht aus eigener Kraft retten, doch wie die Unterstützung durch einen Gott im Kampf Ausdruck des Werts eines Helden ist, so ehrt ihn auch göttliche Anteilnahme und Unterstützung im Fall einer Verwundung.434 Verwundungen unterstreichen die Kampfstärke des Helden, und der einzige bedeutende Held, der in der Ilias keine Verletzung erleidet, ist der

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Die Verletzung des Sarpedon ist ein Vorverweis auf seinen Tod, aber auch ein Zeichen der Sterblichkeit des Helden, die exemplarisch in der Verwundbarkeit des ZeusSohnes deutlich wird, vgl. Neal 2006a, 122-132. Vgl. Salazar 2000, 140-482, Neal 2006a, 27-32 und Holmes 2007, 54-59. Vgl. die Gründe für das Vergießen von Tränen in den homerischen Epen bei Wærn 1985, 223-225 sowie Föllinger 2009, 21-29. Einzig Thersites weint, nachdem er von Odysseus mit dem Zepter gezüchtigt wurde (Il. 2,68-69), vgl. Wærn 1985, 225 und van Wees 1998a, 46-47 Anm. 9. Zu den Verwundungen der Troianer siehe Neal 2006a, 63-150 und Stoevesandt 2008, 117-126. Vgl. Neal 2006a, 36-44, 132-150 ausführlich zur Verwundung des Aineias.

I.3 Der Held im Kampf

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Große Aias.435 Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Aias in der außer-iliadischen Tradition als unverwundbar galt.436 In der Ilias hingegen zeichnet sich Aias, der beste Kämpfer nach Achill (Il. Il. 2,768-769; 17,279280), vor allem durch seine Standhaftigkeit im Kampf aus (vgl. v.a. Il. 11,556-574; 15,501-514, 685-688; 17,132-133, 278-281, 356-360, 626-647), nicht jedoch durch Unverwundbarkeit. In der Darstellung der Ilias kann kein Held unverwundbar sein, weder durch göttlichen Schutz noch durch undurchdringliche Rüstung (vgl. auch Il. 4,510-511). Die Schlachtdarstellungen haben die Funktion, die Ruhmestaten der Kämpfer hervorzuheben, und es würde die Leistungen eines Helden im Kampf und seinen Heldenmut herabwürdigen, wenn er dabei nicht Verwundung, Schmerz und Tod zu befürchten hätte.437 I.3.4.4 Der Kampfrausch Ein weiteres Darstellungsmittel des Heldenmuts ist die Erscheinung der Kampfraserei, die ebenfalls auf die kampfstärksten Helden der Griechen und Troianer beschränkt ist, Diomedes (Il. 5,184-185; 6,96-101), Hektor (Il. 8,110-111, 299, 355-356; 9,237-239, 304-306; 12,462-466; 13,53-54; 15,604-610; 16,242-245; 21,5) und Achill (Il. 21,542-543).438 Neben μένος, der häufigsten und allgemeineren Bezeichnung für Kampfesmut (auch mehrfach verbunden mit dem Verb μαίνομαι „rasen“, z.B. Il. 5,185; 6,101; 8,355; 9,238; 15,605, 606),439 wird der Schlachtrausch im homerischen Epos auch als λύσσα, wörtl. „Wolfswut“, bezeichnet (Il. 9,239, 305; 21,542),440 die an die Berserkerwut germanischer Helden erinnert.441 Der iliadische Kampfrausch unterscheidet sich jedoch in einem wichtigen Detail, denn während der in

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Auch Patroklos, der seine Aristie mit dem Tod bezahlt, wird nicht zuvor verwundet. Für eine vollständige Übersicht aller Verletzungen in der Ilias siehe Neal 2006a, 300301. Vgl. Fenik 1968, 238 mit Anm. 2, Griffin 1977, 40, Edwards 1987, 137, Janko 1994, 213214 ad Il. 16,402-408 sowie Neal 2006a, 13 und 267. Von der Unverwundbarkeit Achills wissen wir erst aus nachhomerischen Quellen, wie etwa A. R. Arg. 4,869-872 oder Apollod. Bibl. 3,13,6. Die erste Erwähnung der berühmten, sprichwörtlich gewordenen „Achillesferse“ erfolgt in Statius‘ Achilleis (Stat. Ach. 1,133-134, 268-270, 480-481), siehe dazu auch Young 1979 und Burgess 1995. Siehe dazu Szabó 1956, 80 sowie Griffin 1980, 167: „In the Iliad an unkillable warrior would be an absurdity; every man must face death, and no magical armour can be allowed to exempt him from that terrible prospect.“ Ebenso auch Schein 1984, 67-84. Vgl. v.a. die Beschreibung bei Shay 1994, 77-99 und Clarke 2004, 82-86. Zu μένος (und der verbalen Ableitung μενεαίνω „drängen“, „rasen“) siehe Frisk 1970, 208 sowie LfgrE III, 135-143 (bzw. 125-127). Zur etymologischen Deutung siehe Lincoln 1991, 131-135. Siehe auch West 2007, 449-451 (mit aktueller Bibliographie) zu diesem Motiv in anderen indogermanischen Traditionen.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Berserkerwut verfallene Krieger seine Rüstung wegwirft und nackt weiterkämpft,442 wartet Achill sogar im Augenblick größten Zornes auf seine neue Rüstung, bevor er in die Schlacht zieht (Il. 19,18-27). Das homerische Heldentum erwartet keine selbstzerstörerischen Kampfeinsätze, und im Falle einer Verwundung lassen sich Helden in die Sicherheit des Lagers zurückfallen und kämpfen nicht bis zum Tod weiter (z.B. Il. 11,267-283, 396-400, 487-488, 510-520; vgl. auch 13,250-251).443 Dennoch ist es ohne Zweifel eine besondere Auszeichnung, wenn ein Held, insbesondere während seiner Aristie, erbarmungslos auf dem Schlachtfeld wütet und möglichst viele und bedeutende Feinde töten kann, ohne dass seine Feinde ihm Einhalt gebieten können. I.3.5

Der „Hinterhalt“

Als kurzer Nachtrag zur iliadischen Schlachtdarstellung darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich neben der offenen Feldschlacht, die als πόλεμος bezeichnet wird und den weitaus größten Teil iliadischer Kampfhandlungen ausmacht, auch Hinweise auf eine zweite Form des Kampfes finden, die mit dem Begriff des λόχος beschrieben wird (vgl. Il. 1,226-227).444 In der Ilias wird nur an einigen wenigen Stellen von λόχοι berichtet, und die einzige ausführliche Darstellung eines λόχος ist der nächtliche Kundschaftsgang des Odysseus und des Diomedes in Il. 10.445 Im Gegensatz zur Feldschlacht zeichnet sich diese Form der Kriegführung dadurch aus, dass nicht das gesamte Heer daran beteiligt ist, sondern dass λόχος-Einsätze allein den πρόμαχοι als kämpferischer Elite vorbehalten sind. Nur ausgewählte und besonders ausgezeichnete Helden führen diese Art von Kampfeinsätzen durch, da diese ein besonderes Maß an Tapferkeit erfordern (Il. 10,39-41; 234-239 sowie insbesondere 13,276-291, auch zitiert

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Eine mögliche (wenn auch nicht die einzige) Erklärung des Begriffs „Berserker“ bezieht sich auf diese Eigenheit und analysiert das Kompositum als eine Zusammensetzung aus berr „bar“, „nackt“ und serkr „Gewand“, siehe dazu Shay 1994, 97-98. Im Vergleich zu den Vorstellungen des Helden in germanischen Mythen erscheint der homerische Held geradezu gemäßigt, vgl. Johnston 1988, 63-64 und Gottschall 2008, 94-99. Vgl. Latacz et al. 2009, 97 ad loc.: „Differenzierung von zwei Formen des Kampfes: (a) der offenen Feldschlacht (pólemos) mit dem Hauptheer; (b) dem Spezialeinsatz, der der Elite vorbehalten ist. Dieser lóchos (‚Hinterhalt‘) wird oft positiv bewertet, weil der Kämpfer dort seine wahre ‚Bestheit‘ (aretē) unter Beweis stellen kann.“ Ebenso auch Kirk 1985, 77 ad loc. und Pulleyn 2000, 189 ad loc. Besonders ausführlich zu diesem Gegensatz von zwei Formen des Kampfes siehe Edwards 1985, 18-24. Dabei kann λόχος sowohl die Kämpfer, die Unternehmung als auch den Ort des Hinterhalts bezeichnen, vgl. Cunliffe 1963, 252. In Il. 10 fällt an keiner Stelle das Wort λόχος, und die Episode findet in der Betrachtung zum λόχος (hier: „ambush“) bei Edwards 1985a, 18-41 keine Beachtung. Edwards bemerkt nur lapidar, „the Doloneia, (...), is narrated as an ambush“ (S. 39).

I.3 Der Held im Kampf

97

in Σ T ad Il. 1,227). Eine für ein λόχος-Unternehmen zusammengestellte Truppe umfasst maximal 50 Mann unter der Führung mehrerer Anführer oder besteht nur aus wenigen ausgewählten Kriegern, je nachdem, wie es die Situation erforderte (vgl. Il. 13,276: λεγοίμεθα πάντες ἄριστοι).446 Zum Kampftypus des λόχος gehören stationäre Hinterhalte, bei denen eine ausgewählte Mannschaft dem Gegner auflauerte (Il. 4,391-399; 6,187-190; vgl. Il. 11,379), sowie weitere Formen indirekter Kriegführung, wie nächtliche Spionagemissionen und Sondereinsatzkommandos, die sich im Schutz der Dunkelheit Zutritt zum gegnerischen Lager zu verschaffen suchen (vgl. Il. 6,433-437; 8,521-522; 10,204-217).447 Der λόχος als Kampfform ist wie die offene Feldschlacht ein Bestandteil heroischer Kampfstrategien, und die Darstellung folgt eigenen poetischen Konventionen.448 Zunächst sind hinsichtlich der Bewaffnung Unterschiede festzustellen: Da Heimlichkeit ein charakteristisches Element des λόχος-Unternehmens darstellt, tragen Helden für diese Spezialeinsätze nicht ihre vollständige Rüstung, sondern vermeiden weitestgehend Rüstungsgegenstände aus Metall, die den Träger durch Klirren oder Blitzen in der Dunkelheit verraten könnten, wie sich in der Doppelrüstung des Diomedes und des Odysseus zeigt (Il. 10,254-265). Ferner weist der Bogen als Kriegswaffe einen besonderen Bezug zur λόχος-Kriegführung auf. Die Helden der Ilias sind Lanzenkämpfer, und Odysseus, der sonst als Bogenschütze bekannt ist, trägt nur während des λόχος der Dolonie einen Bogen (Il. 10,260). Auch der gegnerische Späher Dolon rüstet sich mit einem Bogen (Il. 10,333) und als Paris Diomedes mit einem Pfeilschuss in den Fuß trifft, wird sein Versteck als λόχος bezeichnet (Il. 11,379: ἐκ λόχου). In der Feldschlacht ist die Verwendung des Bogens umstritten und scheint als unehrenhaft angesehen zu werden, da der iliadische Held üblicherweise mit Speer und Schild im Nahkampf kämpft,449 doch für heimliche Unternehmungen und Nachteinsätze ist der Bogen eine geeignete und akzeptierte Waffe.450 Die Kampfdarstellung während eines λόχος-Unternehmens scheint den oben dargelegten Konventionen der Tötungsszenen in Feldschlachten zu entsprechen, doch das Fehlen an Material zu dieser Art des Kampfes lässt keine weiteren Schlüsse darauf zu; denn die Ilias als traditionelles Epos enthält zwar Hinweise auf λόχοι, doch das weitestgehende Fehlen dieser Kampfform lässt darauf schließen, dass dem Ilias-Dichter daran gelegen war, direkte Kriegführung und die Darstellung von Kampfkraft und Stärke

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Vgl. Nowag 1983, 54-56. Vgl. auch Il. 10,451: ἠὲ διοπτεύσων ἢ ἐναντίβιον πολεμίξων, wo bei dem mit διοπτεύσων ausgedrückten λόχος-Unternehmen (im Gegensatz zur offenen Feldschlacht: ἐναντίβιον πολεμίξων) unzweifelhaft ein Spionageeinsatz imaginiert ist. Vgl. Edwards 1985a, 18-24 sowie v.a. Dué/Ebbott 2010, 31-87. Siehe dazu Farron 2003 und Mackie 2008, 94-134. Vgl. McLeod 1988 und Dué/Ebbott 2010, 57-62.

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I. Das homerische Heldenkonzept

gegenüber indirekten Kampfstrategien, die immer ein gewisses Maß an Planung (μῆτις) voraussetzen, zu betonen. So liegt auch bei den wenigen Belegstellen für λόχοι in der Ilias der Schwerpunkt der Darstellung unzweifelhaft auf der Präsentation des siegreichen Einzelhelden, der sich durch seine Stärke (βίη) auch gegen die Hinterhältigkeit (δόλος) seiner Angreifer durchsetzen kann.451 Die explizit als λόχοι bezeichneten Unternehmen der Thebaner gegen Tydeus (Il. 4,391-399) und der Lykier gegen Bellerophon (Il. 6,187-190) scheitern, da die Ilias offenkundig direkte Kriegführung und die Darstellung der Taten großer Helden auf dem Schlachtfeld bevorzugt (vgl auch. Il. 7,242-243; 11,375-400).452 Der Versuch, die Kampfform des „Hinterhalts“ und indirekte Kriegführung weitestgehend auszublenden, ist bezeichnend für das iliadische Heldenideal.453

I.4

Anerkennung und Ehrerbietung: Der Lohn des Helden

I.4.1

Ausgleich und Ehre

Die Rede des Sarpedon zeigt, dass Helden als Gegenleistung für ihren Kampfeinsatz die Anerkennung ihrer Gesellschaft erwarten (Il. 12,310321), und im homerischen Denken kommt dem Prinzip des Ausgleichs und der Wechselseitigkeit offenkundig allgemein ein hoher Stellenwert zu. Jede Handlung bedingt eine Erwiderung, und drei Konstellationen von Wechselseitigkeit (oder „reciprocity“) lassen sich unterscheiden:454 (1) Im Umgang mit Kriegsfeinden kommt das Prinzip der negativen Wechselseitigkeit („negative reciprocity“) zum Einsatz, denn in diesem Fall strebt der Held danach, seinen Gewinn an Besitz und Ehre zum Nachteil des Gegners zu maximieren, nicht nur durch Raubzüge, sondern auch

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Vgl. Edwards 1985, 24-27. Ferner ist anzumerken, dass in der Ilias μῆτις eine positive Eigenschaft ist und üblicherweise keinen Trug impliziert, δόλος hingegen ein negativ belegter Begriff ist, vgl. v.a. Wilson 2005, 5-9. Vgl. auch Il. 7,143-145: Lykurgos, der den Keulenschwinger Areithoos „mit List, nicht mit Stärke“ (Il. 7,142: δόλῳ, οὔ τι κράτεΐ γε) in einem Hinterhalt tötete, bei dem er sich die beengten Verhältnisse zu Nutze machte und so verhinderte, dass sich Areithoos wirkungsvoll zur Wehr setzen konnte, erhält nicht einmal ein Patronymikon. Zum λόχος als einer Form von δόλος siehe auch Il. 6,187-189; 18,526 sowie Edwards 1985, 19. Siehe zudem Thalmann 1998, 143-145 zur Beobachtung, dass in beiden Fällen der Hinterhalt als indirekte Kampfform gewählt wird, da sowohl Tydeus als auch Bellerophon Gäste sind (Il. 4,387: ξεῖνός περ ἐὼν; 6,174: ξείνισσε), gegen die die Thebaner bzw. die Lykier nicht direkt vorgehen können. Besonders bezeichnend ist hierfür die Aussage des Scholions Σ A ad Il. 22,188-361, dass nach anderen Versionen sogar der Kampf zwischen Achill und Hektor nicht als Zweikampf, sondern als Hinterhalt gestaltet war: σημειῶδες ὅτι μόνος Ὅμηρός φησι μονομαχῆσαι τὸν Ἕκτορα, οἱ δὲ λοιποὶ πάντες ἐνεδρευθῆναι ὑπὸ Ἀχιλλέως. Vgl. v.a. Donlan 1981/82, 137-75 und van Wees 1998b, 13-49.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

99

durch Tötung und Beraubung des Feindes,455 denn durch Erfolge im Kampf sucht der Held sich die Anerkennung des Kriegsfeindes zu erzwingen.456 (2) Im Gegensatz dazu ist das System der allgemeinen Wechselseitigkeit („generalized reciprocity“) auf die eigene soziale Gruppe des Helden beschränkt, in der ein Netz reziproker Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern besteht. In diesem Fall ist mit einer Gabe oder Leistung keine Erwartung einer direkten oder unmittelbaren Gegenleistung verbunden, und die Verpflichtung des Empfängers zu einer reziproken Handlung ist nur implizit.457 (3) Die dritte Form von Wechselseitigkeit erfolgt in der sozialen Interaktion zwischen Individuen im direkten Austausch. Bei dieser Form des Austausches mit Freunden und Feinden ist der Held immer auf Gleichgewicht und Ausgleich („balanced reciprocity“) bedacht und ist bestrebt, nicht übervorteilt zu werden. Im Zentrum des heroischen Ethos steht das Konzept der τιμή, der Ehre und des Ansehens des Helden gegenüber seinen Feinden wie auch den Mitgliedern seiner eigenen Gesellschaft. Bei der τιμή des Helden handelt es sich dabei nicht nur um einen ideologischen, immateriellen Wert, wie die Übersetzung „Ehre“ leicht zu suggerieren vermag, sondern um den konkreten und sichtbaren Ausdruck der Leistung eines Helden und der Anerkennung, die er dafür genießt.458 Das Ansehen eines Helden zeigt sich in seinem Besitz und seinem Vermögen, aus dem sich sekundär die Wiedergabe als Ehre oder „gesellschaftlicher Rang“ ergibt.459 Für den homerischen Menschen ist Ehre folglich kein innerer Wert, sondern die Wertschätzung, die ihm von außen entgegengebracht wird und die immer in materiellen Gütern oder performativen Ehrbezeugungen ihren Ausdruck finden

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Bei seinen Ausführungen zur „negative reciprocity“ beschränkt sich Donlan 1981/82, 141-143 auf die ökonomische Seite dieser Form von Wechselseitigkeit, deren kriegerische Ausprägung (und ihre ökonomische Dimension in Form von Kriegsbeute) noch hinzugefügt werden müssen. Auch van Wees 1998, 23-24 geht nicht weiter auf diesen Aspekt ein. Vgl. auch Schröter 1950, 110-112. Vgl. Donlan 1981/82, 154-171 und van Wees 1998, 21-23. Die Grundbedeutung von τιμή ist konkret und materiell. Τιμή bezeichnet den „Wert“ oder „Preis“ einer Sache bzw. den „Wert“ oder die „Wertschätzung“ eines Menschen, vgl. LfgrE IV, 518-526, Benveniste 1969, II.50-55, Frisk 1970, 901, Schein 1980, 127 und Patzer 1996, 217-219 zur Etymologie von τιμή. Vgl. auch Beidelman 1989, v.a. 249-250: „The “highest” goals of exchange involve intangibles such as honor and fame, yet the power to sustain and compel such values derives from material things that may be taken or given away.“ So Effe 1988, 4. Diese Übersetzung scheint insofern die Bedeutung von τιμή am besten zu erfassen, als dass nicht nur Helden, sondern alle Mitglieder der homerischen Gesellschaft in der ihnen eigenen sozialen Gruppe über sie verfügen, vgl. Ulf 1990, 412.

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I. Das homerische Heldenkonzept

muss.460 Das gesamte Verhalten des Helden gegenüber Freund und Feind ist von der Darstellung der eigenen τιμή und der Durchsetzung seines Anspruchs auf Ehrerbietung geprägt. Der Held ist bereit, sich diese Ehrerbietung auch mit Gewalt zu verschaffen, und es ist Zeichen besonderer Stärke, wenn ein Held sich seine Anerkennung erzwingen kann. 461 Materielle wie auch nichtmaterielle Ehrbezeugungen sind die Gegenstände homerischer Wechselseitigkeit. Dabei gilt es, zwischen den Respektsbezeugungen der Feinde und den Ehrungen durch die eigene Gesellschaft zu unterscheiden. I.4.2

Respekt der Feinde

Wie schon gezeigt wurde, besteht die bestimmende Vortrefflichkeit des iliadischen Helden in Stärke und Kampfkraft. Das Verhalten der Helden auf dem Schlachtfeld lässt sich am besten als τιμή-Transaktionen begreifen, denn Kampfszenen sind durchdrungen von den Prinzipien des Austausches und des Ausgleichs.462 Verbindliche Wertvorstellungen sorgen für die Etablierung von allgemeinen Konventionen auf dem Schlachtfeld, gleich einem heroischen Verhaltenskodex.463 I.4.2.1 „Flyting“ Um sich den Respekt seiner Feinde zu verschaffen, darf ein Held keine Feigheit auf dem Schlachtfeld zeigen, sondern muss sich dem Feind standhaft entgegenstellen (vgl. Il. 8,94-95; 11,404-410). In der Schlacht kämpfen Helden jedoch nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten, und so bedenken Helden einander vor und nach einem Waffengang mit Schmähreden (εὖχος/εὐχωλή).464 Die gegenseitigen Beleidigungen, die dabei ausgetauscht werden, folgen einem festen Schema, das jedoch jeder Held nach der jeweiligen Situation abwandeln kann.465 Mit Ausnahme des Zusammentreffens von Diomedes und Glaukos, bei dem sich die beiden anhand

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Der griechische Begriff der τιμή bringt dabei schon den Zusammenhang von innerem Wert und äußerer Anerkennung zum Ausdruck, vgl. Parks 1990, 28. Vgl. van Wees 1992, 118-122, Scodel 2008, 16-17 sowie Shay 2000, 49-50. Siehe dazu v.a. Slatkin 2011. Zur „combat etiquette“ siehe van Wees 1996a, 29-58 sowie Johnston 1988, 55-75 und Patzer 1996, 169-191. Dabei handelt es sich um ein Standardthema heroischer Dichtung, vgl. v.a. Parks 1990, 3-41. In Anlehnung an angelsächsische und nordische Traditionen wird dieses Verhalten nach schott. flyt „streiten“ als „Flyting“ bezeichnet. Eine entsprechende deutsche Bezeichnung fehlt. Vgl. die Definition in engerem Sinne bei Parks 1990, 6: „In brief, heroic flyting is agonistically styled verbal disputation with martial overtones.“ Siehe auch Martin 1989, 65-77, der den Begriff auf jede Art von Wortgefechten anwendet. Für Erläuterungen zu den komplexen Bedeutungen des Wortfelds εὔχεσθαι, εὖχος und εὐχωλή siehe Adkins 1969a. Vgl. Hesk 2006, 4-7.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

101

ihrer Genealogien als Gastfreunde erkennen (Il. 6,119-236), liefern verbale Auseinandersetzungen nur den Rahmen des eigentlichen Kampfes, und der Kampf mit der Waffe nimmt gegenüber dem verbalen Schlagabtausch eine Vorrangstellung ein (vgl. auch vorwurfsvoll Il. 2,342).466 Der Kampf mit Worten, der zu den typischen Bestandteilen episch-heroischer Erzählungen gehört, hat einen festen Platz im Wetteifern der Helden um τιμή und ist ein Ort der Selbstdarstellung des Helden.467 Da die Leistung des Helden untrennbar mit der Anerkennung durch andere verbunden ist, ist es nötig, die eigene Vortrefflichkeit oder Überlegenheit auf dem Schlachtfeld auch verbal hervorzuheben.468 Hierbei sind strukturell zwei Redetypen zu unterscheiden, die Herausforderung des Gegners vor dem Kampf und die Prahlrede im Fall des Sieges.469 Beide Formen von Reden zeigen jedoch motivische Gemeinsamkeiten und ihre gemeinsame Funktion besteht in der Darstellung der eigenen Überlegenheit, die immer mit einer Herabsetzung des Gegners einhergeht. 470 In der herausfordernden Rede erfolgt die Aufwertung der eigenen Person häufig durch die Aufzählung der Genealogie, die als wichtiger Bestandteil der Selbstdarstellung eines Helden fungiert (z.B. Il. 5,638-642; 6,150-211, 632-646; 20,213-241).471 Der Zweck dieser Darlegung besteht darin, durch Verweis auf die Abstammung die eigenen Fähigkeiten hervorzuheben und den Gegner einzuschüchtern (z.B. Il. 5,638-646).472 Zudem bedeutet diese gegenseitige Vorstellung, dass beide Kontrahenten wissen,

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Vgl. Parks 1990, 42-48. Vgl. hierzu allgemein Parks 1990, 16-41. Zwar kann ein Held von seinen Gefährten für sein Reden getadelt werden, dass er doch besser mit Waffen als mit Worten kämpfen solle (Il. 16,627-631), und ebenso kann ein Held es – ironischerweise sehr wortreich – ablehnen, Wortgeplänkel mit einem Feind zu führen, und stattdessen wirklich zum Angriff übergehen (vgl. Il. 20,244-258), doch nichtsdestotrotz sind Reden auf dem Schlachtfeld in der Ilias sehr zahlreich vorhanden. Vgl. Adkins 1969a, 32-33. Zur Bedeutung derartiger Äußerungen in Heldendichtung allgemein siehe auch Miller 2000, 232-236. Vgl. auch die Bezeichnungen als „prospective and retrospective speeches“ bei Parks 1990, 48-55. Zur Struktur der Rededuelle auf dem Schlachtfeld siehe Parks 1990, 5571 sowie Mackie 1996, 58-60. Zu den Motiven der „flyting-speeches“ siehe auch Parks 1990, 105-114, der fünf Kategorien postuliert: identifikatorisch, retrospektiv, prospektiv, attributiv-evaluativ und komparativ. Diese Kategorien sind kaum streng zu trennen, und die hier vorgenommene Beschreibung kann nur eine vereinfachte Darstellung leisten. Vgl. Schröter 1950, 101 sowie Parks 1990, 105-106. Zur Bedeutung von Genealogien und genealogischer Dichtung siehe West 1985, v.a. 4-11 sowie Alden 2000, 168-173 zu den Genealogien von Glaukos und Aineias. Vgl. Alden 2000, 163-164: „Genealogy is used to determine social hierarchy, which tends to serve as a predictor of success on the battlefield. In conflicts between the

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I. Das homerische Heldenkonzept

welchen Ruhm sie im Falle des Sieges erwarten können, da ein Held immer bestrebt ist, sich mit würdigen Gegnern zu messen. 473 Zur Einschüchterung können auch schon vollbrachte Heldentaten angeführt werden und die Aufwertung der eigenen Person impliziert immer die Abwertung des Gegners.474 Die Abwertung des Gegners kann auch direkt erfolgen, doch starke Beschimpfungen werden vermieden, da für einen Gewinn an τιμή der Gegner nicht zu sehr erniedrigt werden darf, um die eigene Leistung im Fall eines Sieges nicht zu schmälern, und so findet sich der Vorwurf fehlender Kampfkraft und Feigheit auch nur einmal in einer herausfordernden Kampfrede (Il. 5,633-637).475 Für den Fall, dass es einem Helden nicht gelingt, seinen Gegner zu töten, kann er ihm nach dem Schlagabtausch durchaus Feigheit vorwerfen (z.B. Il. 8,161-166), doch da Kampfesbegegnungen überwiegend tödlich verlaufen, folgt meist eine triumphierende Rede über dem Leichnam eines Gegners.476 Diese Form der Prahlrede ist eine typische Handlung des Helden, sodass εὖχος auch metonymisch Ruhm und Sieg bezeichnen kann (vgl. Il. 5,285, 654; 7,81; 11,288, 290, 445; 12,328). In diesen Reden erhält der Held Gelegenheit, sich als Sieger zu präsentieren, und seine Worte sind von triumphierendem Hohn bis hin zu beißendem Spott geprägt (vgl. Il. 11,441445; 13,374-382,477 620-639; 16,745-750). Der Topos, dass der Gegner keine angemessene Bestattung erhalten solle und der Leichnam Tieren, insbesondere Vögeln und wilden Hunden, zum Fraß überlassen werde, ist ein typisches Motiv der Prahlrede (Il. 11,391-395, 452-455; 13,830-832; 15,349351).478 Die Erniedrigung des Gegners wird mit der Betonung der eigenen Kampfkraft verbunden, und Schmähreden über dem Leichnam eines gefallenen Gegners haben als heroische Selbstdarstellung ihren festen Platz

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descendants of mortals, the son of the more important individual is victorious, and when two sons of immortals fight, the victor is the son of the more important god.“ Vgl. van Wees 1996a, 30-34, Buchan 2012, 131 sowie Beidelman 1989, 231-234, v.a 232: „Each battle engagement in the Iliad constitutes a kind of personal rite de passage in which each warrior announced his name, lineage, and deeds to the other. This insured that one was not demeaned by contending with a patent inferior, but it also guaranteed that one would know what reputation and honor one appropriated by slaying or, less often, capturing and ransoming the other (Sale 1963; Schein 1984).“ Zur Konvention, dass sich Helden auf dem Schlachtfeld jedoch immer erkennen, siehe de Jong 2005, 15-17. Siehe auch die Bezeichnung als psychologische Kriegsführung bei Vermeule 1979, 99-101. Vgl. Wißmann 1997, 42-44. Direkte Beleidigungen sind selten, wie auch die Behandlung von „verbal abuse“ bei Hohendahl-Zoetelief 1980, 37-74 zeigt, in der sich keine Beispiele für die Beschimpfung von Kriegsgegnern finden. Zum Motiv des εὖχος siehe Schröter 1950, 105-107 sowie Kyriakou 2001. Vgl. dazu Kyriakou 2001, 255-256. Vgl. Vermeule 1979, 103-107.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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in iliadischen Kampfschilderungen. Eine Prahlrede des Idomeneus verbindet den Topos des eben erfolgten Triumphs mit seiner Genealogie und schließt mit einer Herausforderung an seinen nächsten Gegner Deiphobos (Il. 13,446-455). Der Übergang zwischen herausfordernder Rede vor dem Kampf und triumphierender Rede nach einem Erfolg ist fließend. Die Würdigung der eigenen Leistung kann implizit erfolgen, indem der Status und die Fähigkeit des eben überwundenen Gegners erwähnt wird (z.B. Il. 14,470-474), oder explizit, wie im Falle des Polydamas, der von sich selbst in prahlerisch-spöttischem Ton sagt, dass aufgrund seines zielgenauen Speerwurfs nun einer der Achaier auf seine Lanze gestützt in den Hades hinabginge (Il. 14,454-457). Doch Schmähreden gegen den Gegner erfüllen nicht nur die Funktion der momentanen Hervorhebung einer kämpferischen Leistung; die triumphierende Rede eines Helden erfolgt nicht selten, nachdem er eine Vergeltungsaktion erfolgreich abschließen konnte, und in diesen Fällen hilft die Schmährede ganz offenbar, den Verlust eines Mitstreiters zu verarbeiten.479 Triumphierende Reden sind ferner, insbesondere wenn sie länger formuliert sind (z.B. Il. 13,446-454, 620-639; 16,830-842), ein erster Schritt zur Bewahrung einer Heldentat im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft.480 Denn triumphierende Reden sind nicht nur an die Kriegsgegner gerichtet, sondern sollen die eigene Leistung und Kampfkraft auch gegenüber den Mitstreitern verdeutlichen. Indem in diesen spontanen Reden eine erste Formulierung einer erinnerungswürdigen Tat erfolgt, bilden sie eine Vorform der Verewigung von Ruhmestaten in epischer Heldendichtung. Denn letztendlich ist es das höchste Ziel eines Helden, dass die Ehre und die gesellschaftliche Anerkennung, die er zu Lebzeiten für seine Taten erhält, nach dem Tod eine Transformation in Ruhm erfahren und die Zeiten überdauern.481 I.4.2.2 Sammeln von Spolien Von größerer Bedeutung sind jedoch materielle τιμή-Transaktionen zwischen Kriegsgegnern, und das häufigste Motiv ist der Raub der gegnerischen Rüstung. Eine erfolgreiche Androktasie endet für gewöhnlich damit, dass der siegreiche Held sich als sichtbares Zeichen seines Triumphs eine Trophäe nimmt (z.B. Il. 5,617-622; 11,100, 246-247, 334-335, 580; 13,640-641;

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Vgl. Kyriakou 2001, 260-261. Vgl. auch Mackie 1996, 65 für die Beobachtung, dass das Unvermögen, für einen nahen Verwandten Rache zu üben, ein typisches Beleidigungsmotiv darstellt. Vgl. Pucci 1988, 144 sowie Kyriakou 2001, 250-252. Prägnant formuliert bei Clay 2009, 34: „The boast (εὖχος) outlives the fallen warrior and is ultimately transformed into eternal fame, the kleos aphthiton, that constitutes the very stuff of epic.“

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I. Das homerische Heldenkonzept

16,650, 663-665; 17,130-131). Bei diesen Spolien (ἔναρα) handelt es sich um Waffen und Rüstungsgegenstände, die für einen Krieger von hohem ideellen Wert sind.482 Der Raub der Rüstung ist ein Zeichen der Entehrung des Toten und erhöht das Ansehen des Siegers.483 Umgekehrt wird es als ein Zeichen besonderer Ehrerbietung empfunden, dass Achill dem getöteten König Eëtion die Rüstung nicht abnimmt, sondern ihn sogar damit bestattet (Il. 6,414-419).484 Der Vorschlag des Glaukos, den Leichnam des Patroklos nach Troia zu ziehen und anschließend gegen die Rüstung des Sarpedon auszutauschen (Il. 17,159-163), ist singulär485 und zeugt nicht nur von der hohen ideellen Bedeutung der Waffen, sondern auch von der Entehrung, die eine Despoliierung für die Mitstreiter des Helden zur Folge hat, wenn sie einen gefallenen Gefährten nicht beschützen können (vgl. Il. 16,497-500). Ebenso wie die triumphierende Rede über dem Leichnam eines Feindes ist die Aneignung seiner Rüstung eine symbolische Handlung, mit der eine Einzeltötung abgeschlossen wird und der siegreiche Held seine Überlegenheit darstellt. Die blutigen Waffen des Gegners fungieren als sichtbares Symbol der Kampfkraft eines Helden (vgl. ἔναρα βροτόεντα in Hektors Gebet für seinen Sohn Astyanax, Il. 6,480), und mit der Despoliierung findet auch ein Übergang von τιμή statt. Der siegreiche Held gewinnt Besitz und damit Anerkennung auf Kosten des Gegners, und der Wert der einzelnen Spolien bemisst sich dabei immer am Rang und an der Kampfkraft ihres vormaligen Besitzers; je bedeutender ein Kämpfer ist, desto mehr τιμή geht mit seiner Überwindung für den erfolgreichen Helden einher. Besitz, den der Held auf diese Weise erwirbt, nimmt nicht den Umweg über die Verteilung durch die Heeresversammlung, sondern geht direkt an den siegreichen Kämpfer.486

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Vgl. Finley 1975, 121-123, Johnston 1988, 81-82, Patzer 1996, 172-174, van Wees 1996a, 25-27 sowie Hellmann 2000, 161-164. Auch Pferde oder Streitwagen waren beliebte Beute, denn als Prestigegegenstand waren sie Objekte von besonderem ideellen Wert (Il. 5,25-26, 159-165, 588-589; 11,738; 13,400-401; 16,506-507). Diomedes‘ Erbeutung des Gespanns des Aineias stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass hier der Besitzer nicht zuvor getötet werden konnte (Il. 5,239-330). Zum semantischen Problem der Deutung von ἵπποι siehe Stagakis 1985, denn es ist im Einzelfall nicht vollkommen klar, ob die Helden jeweils das gesamte Gespann oder nur die Pferde erbeuten. Offenbar sind Helden bestrebt, sich des vollständigen Gespanns mit Streitwagen zu bemächtigen, wenn dies jedoch nicht möglich ist, bescheiden sie sich nur mit den Pferden. Vgl. Schröter 1950, 107-109 sowie Bryant 1996, 31, der den performativen Charakter des Aktes der Despoliierung hervorhebt. Vgl. auch Kirk 1990, 215 ad loc. sowie Stoevesandt 2008, 135-136 ad loc. Vgl. Moulton 1981, 4 mit Anm. 7 und Edwards 1991, 78 ad loc. Vgl. Ready 2007, 13-17. Zum Vorgang der Beuteverteilung in der Heeresversammlung siehe unten I.4.3.1.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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Das Sammeln von Rüstungsgegenständen besiegter Feinde (συλᾶν/ἐξεναρίζειν) bedeutet, sich auch im Kampfgetümmel Zeit für persönliche Bereicherung zu nehmen, und ist daher mit einiger Gefahr verbunden. Helden sind für den Moment der Plünderung ungeschützt gegenüber Gegenangriffen, und der Leichnam eines gefallenen Feindes wird oftmals von dessen Gefährten verteidigt (z.B. Il. 4,532-535; 5,617-626). Um die mit der Erbeutung von Spolien verbundene Gefahr zu minimieren, kann der Held versuchen, den Leichnam zunächst auf die eigene Seite zu ziehen, um sich in Sicherheit der Ausrüstungsgegenstände des Gefallenen zu bemächtigen (z.B. Il. 4,506; 17,288-291, 317-318). Dennoch werden Helden oftmals verwundet oder getötet, während sie gerade dabei sind, sich die Waffen eines getöteten Feindes anzueignen oder sich einen Leichnam zur Plünderung zu sichern (z.B. Il. 4,465-470, 491-492; 11,369-378, 580-585; 13,527-530; 14,476-477; 16,577-580; 17,288-300). Dies erhöht den Wert der Beute als einem sichtbaren Zeichen von Tapferkeit, und der Vorgang des Plünderns selbst kann aufgrund der damit verbundenen Gefahren zu einem Akt von ἀρετή werden.487 Im Gespräch zwischen Idomeneus und seinem θεράπων Meriones, der gerade auf dem Weg ins Schiffslager ist, um sich einen neuen Speer zu holen, wird der Besitz vieler gegnerischer Waffen als ein Beweis dafür angeführt, dass sich ein Held immer in vorderster Schlachtreihe am Gefecht beteiligt (vgl. Il. 13,259-273). Es ist evident, dass sich ein Held während der Despoliierung toter Feinde nicht weiter an den Kampfhandlungen beteiligen kann, und damit zeugt das Plündern gegnerischer Leichen zur Vermehrung des eigenen Besitzes von der Individualität des einzelnen Helden in der Schlacht, die zwangsläufig mit einem geringen Sinn für Gemeinschaft, oder zumindest für gemeinschaftliche Kriegführung, einhergeht.488 Sich der Waffen eines gefallenen Feindes zu bemächtigen und auf diese Weise sein Ansehen zu erhöhen, scheint für einen homerischen Helden bisweilen wichtiger als das Töten des Feindes an sich zu sein. Heerführer müssen ihre Kämpfer gezielt vor diesem Verhalten warnen und teilweise sogar durch Androhung von Strafe zum reinen Kampf aufrufen (vgl. Nestors Rede an die Griechen, Il. 6,67-71; Hektor zu den Troern, 15,347-351). I.4.2.3 Schlachtfeldhikesien Der Ablauf iliadischer Schlachtschilderungen erfolgt nicht immer als bloße Abfolge von Einzelandroktasien mit Erbeutung der Rüstung des unterlegenen Gegners. Die Sequenz kann unterbrochen werden, wenn sich ein

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Vgl. van Wees 1996a, 54-56. Ebenso auch Gottschall 2008, 90 Anm. Vgl. van Wees 1992, 97-99. Zum Individualismus des Helden siehe allgemein Hellmann 2000, 74-87.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Kämpfer einem ihm überlegenen Helden gegenüber sieht und sich entscheidet, die Waffen niederzulegen und um sein Leben zu bitten.489 Dieses Verhalten wird ausschließlich bei Troianern geschildert und kein Grieche bittet in der Ilias jemals um Schonung.490 Troianische Kämpfer hingegen vollziehen mehrfach das Ritual der Schlachtfeldhikesie (Adrestos, Il. 6,4550; Dolon, 10,454-455; Hippolochos und Peisandros, 11,130-136; Tros, 20,463-472; Lykaon, 21,64-96). Die Hikesie beginnt mit der Selbsterniedrigung des Bittstellers und erfordert ein Absenken des Körpers und das Berühren der Knie des Bittempfängers. Indem der Supplikant die Knie des überlegenen Kriegers fasst, dürfte implizit sein, dass er sich ihm zu Füßen wirft und zuvor seine Waffen niederlegt. Weitere Elemente wie das Fassen des Kinns oder das Küssen der Hände (vgl. Il. 1,500-502; 24,478-479) sind für eine Schlachtfeldhikesie nicht von Bedeutung.491 Das Ritual der Hikesie erfordert die bedingungslose Anerkennung der Überlegenheit des Bittempfängers durch den Bittsteller.492 In der Ilias ist die Hikesie ein Vorgang auf menschlicher Ebene ohne göttliche Einflussnahme, und der Erfolg einer Schlachtfeldhikesie beruht weder auf dem Mitleid des überlegenen Helden, denn Mitleid ist den eigenen Gefährten vorbehalten,493 noch auf wechselseitigem Respekt,494 sondern auf der Gegenleistung, die der Bittsteller

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Vgl. auch Parks 1990, 58-59, der diese Fälle als Abwandlungen des Flytings behandelt und die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Situationen betont. Siehe v.a. Stoevesandt 2004, 149-156. Dieser Sachverhalt ist erklärungsbedürftig, und wurde oft als Zeichen der Parteilichkeit Homers für die Griechen gedeutet. Allerdings deuten die äußeren Umstände darauf hin, dass der umgekehrte Fall unwahrscheinlich wäre, denn da die Griechen als Invasoren sich fern ihrer eigenen Heimat befinden, wäre eine Lösegeldforderung an die Verwandten widersinnig. Zudem scheint es sich bei den gefangenen Troianern überwiegend um sehr junge und unerfahrene Kämpfer zu handeln, wohingegen das griechische Heer nach 10 Kriegsjahren nur noch aus kampferprobten Veteranen bestehen dürfte. Vgl. Thornton 1984, 117-118 und Alden 2000, 186-191. Allgemein zum Gestus der Hikesie siehe Gould 1973, 76-78 und Naiden 2006, 29-104. Vgl. Gould 1973, 94: „In word and movement his (d.h. the suppliant’s) behaviour indicates that he has temporarily opted out of the ‘contest system’ of social relationships that characterises normal behaviour between non-φίλοι.“ Crotty 1994, 89-90 merkt hierzu richtig an, dass bei einer Hikesie dennoch das agonale Prinzip bedeutsam sei, da der siegreiche Held immer durch materiellen Gewinn rekompensiert wird. Von Seiten des unterlegenen Helden stellt das Ritual jedoch eine momentane Abkehr von seinem heldenhaften Anspruch auf Überlegenheit dar. Vgl. Kim 2000, 57: „‘to pity‘ someone implies to consider that person as a φίλος to yourself; one does not pity one’s adversary.“ Dem Gegner hingegen ist es vorbehalten, mit „erbarmungslosem Erz“ getötet zu werden (vgl. . 4,348; 5,330; 12,427; 13, 501, 553; 16, 345, 561, 761; 17, 376: νηλέι χαλκῷ). Dieser Befund bezieht sich ausschließlich auf Schlachtfeldhikesien. Generell ist Respekt durchaus wichtig bei Hikesien, wie z.B. im Falle des Chryses, der zwar aufgrund seines Status als Priester des Apoll Respekt erwarten kann, aber dennoch

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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anbieten kann.495 Eine erfolgreiche Hikesie resultiert zusätzlich zu dem Ehrgewinn für den überlegenen Helden in einem materiellen Austausch, denn der Supplikant bittet, nur gefangengenommen zu werden (Il. 6,46; 11,131: ζωγρεῖν), damit seine Verwandten ihn durch die Zahlung von „Lösegeld“ (ἄποινα)496 freikaufen können. Nicht nur unterlegene Helden können diesem Schicksal zum Opfer fallen, sondern auch Frauen oder Kinder der gegnerischen Seite, die bei Raubzügen in Gefangenschaft geraten. Andromache berichtet, dass Achill bei der Einnahme ihrer Heimatstadt Thebe ihre Mutter, die Gemahlin Eëtions und Königin der Stadt, gefangennahm und für Lösegeld ihrem nächsten lebenden Verwandten, in diesem Fall ihrem Vater, freigab (Il. 6,425-427). Das Angebot erkennt die Überlegenheit des Siegers an und ist die Bestrebung, die Anerkennung, die die Tötung des Opfers (bei Männern und Kindern) oder dessen Besitz als Dienerinnen (bei Frauen und Mädchen) dem überlegenen Helden einbringen würden, durch materielle Gaben zu kompensieren. Die Zahlung stellt die sichtbare Anerkennung der Überlegenheit eines Helden durch seine Feinde dar, und das Lösegeld, das für das Leben eines Verwandten gezahlt wird, ist vermutlich sehr großzügig. 497 Die Annahme der ἄποινα verpflichtet den Empfänger zur Gegenleistung in Form der Herausgabe seines Gefangenen.498 Während die Annahme einer Lösegeldzahlung ganz offensichtlich eine Ehrung des siegreichen Helden bedeutet, finden sich umgekehrt keine Anzeichen, dass dies für den Geber außer des Vermögensverlusts eine weitere Einbuße an Ansehen beinhalten

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auch materielle Rekompensation anbietet (vgl. Il. 1,20-21, 23 = 377: αἰδεῖσθαί θ᾿ ἱερῆα καὶ ἀγλαὰ δέχθαι ἄποινα). Vgl. Gould 1973, 75, 94-95 und Yamagata 1991, 3: „If a warrior kills more enemies, it means more honour. More honour means a bigger prize. A suppliant in battle therefore stands a chance of success only by offering his opponent a splendid ransom which will outweigh the prize the latter will get by killing him.“ Ich benutze im Folgenden den etwas irreführenden Terminus „Lösegeld“ als Übersetzung von ἄποινα, wobei es jedoch zu bedenken gilt, dass „Geld“ in der Lebenswelt der homerischen Epen einen Anachronismus darstellt. Bei einem „Lösegeld“ handelte es sich um Besitztümer, nicht um Geld im modernen Sinne. Siehe hierzu auch Seaford 2004, 23-30, der feststellt, dass in den homerischen Gedichten auch eine einzelne Zahlung aus einer Vielzahl von Gegenständen bestehen kann, und zu folgendem Schluss kommt: „(...) so the only money function that we can find in Homer is the measurement of value, performed only (and rarely) by cattle“ (S. 30). Vgl. Scodel 2008, 76-80, auch zur Wendung ἀπερείσι᾿ ἄποινα „unendliches Lösegeld“. Im Falle des Lykaon finden sich zwei Angaben hinsichtlich der Höhe seiner Verkaufssumme, einmal 100 Rinder (Il. 21,77-79), dann wiederum ein silberner Mischkrug (Il. 23,741-747), vgl. Andersen 1990, 36-37 zu den unterschiedlichen Angaben. Beide Beträge dürften jedoch sehr hoch gewesen sein. Vgl. Crotty 1994, 89-90 sowie Wilson 2002b, 40 zu ἄποινα: „payments in prestige goods made to recover something that rightly belongs to a person or group: in almost all extant examples a subordinate member of one’s family, preferably alive.“

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I. Das homerische Heldenkonzept

würde, da die Annahme seiner Hikesie auch eine Anerkennung und Bestärkung seines Vermögens und seines gesellschaftlichen Ranges darstellt. Bei der Gefangennahme eines Gegners gilt, je angesehener oder tapferer ein Kämpfer ist, desto wertvoller ist er, und das Lösegeld für seine Freilassung ist entsprechend hoch (vgl. Il. 24,685-688). Folglich können nicht nur Rüstung und Waffen in der Schlacht als Zeichen von Tapferkeit und Kampfkraft erbeutet werden, sondern auch die Gefangennahme überwundener Gegner, die gegen eine Lösegeldzahlung wieder freigelassen oder in die Sklaverei verkauft werden können (vgl. Il. 24,751-753), stellt eine Möglichkeit der materiellen Bereicherung und des Ehrgewinns dar. Transaktionen dieser Art erscheinen in der Ilias jedoch nur in Berichten vergangener Ereignisse (z.B. Il. 2,229-231; 6,425-427; 11,104-106; 21,77-80; 23,746; 24,751-753): So hatte Achill die Halbbrüder Isos und Antiphos vormals gefangengenommen und für Lösegeld wieder freigegeben (Il. 11,104106). Es zeugt von Respekt gegenüber dem Kriegsgegner, dass Achill die ihm schutzlos ausgelieferten Söhne des Priamos nicht tötete, sondern verschonte. Beide sind potentielle Gegner und kehren nach ihrer Freilassung ins Kampfgeschehen zurück. Als Agamemnon ihnen auf dem Schlachtfeld begegnet, erhalten sie keine Möglichkeit, erneut um ihr Leben zu bitten, und er tötet sie während seiner Aristie (Il. 11,101-112).499 Die Möglichkeit, einem Gegner Schonung zu gewähren, ist damit durchaus mit dem homerischen Heldenkonzept vereinbar,500 doch in den Kampfhandlungen der Ilias ist keiner Schlachtfeldhikesie Erfolg beschieden, und Troianer, die sich in der Hoffnung auf eine spätere Auslösung ergeben, werden auf der Stelle getötet (Adrestos, Il. 6,62-65; Dolon, 10,454457; Peisandros und Hippolochos, 11,142-147; Tros, 20,463-472; Lykaon, 21,115-119).501 Als der Kleine Aias den Troianer Kleobulos lebend ergreift, gibt er ihm erst gar nicht die Gelegenheit, um Schonung zu bitten, sondern tötet ihn umgehend (Il. 16,330-332). Im Fall des Adrestos verläuft die Hikesie beinahe erfolgreich, und der Grund, aus dem sie letztendlich abgelehnt wird, ist aufschlussreich: Agamemnon stößt die bittflehende Hand des Adrestos, dem sein Bruder Menelaos schon Schonung gewähren wollte, weg und sticht ihn nieder (Il. 6,62-65). Der Grund für die Ablehnung der Hikesie ist Rache an den Troianern für die Schmach des Raubs der Helena (Il. 6,5557), und auch im Falle der Hikesie der Brüder Peisandros und Hippolochos verweigert Agamemnon ihnen die Schonung, weil ihr Vater Antimachos sich während einer Gesandtschaft des Menelaos und des Odysseus nach

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Donlan 1971, 113 sieht Agamemnon hier „not as the cruel, ruthless warrior, but as the frustrated leader.“ Zu dieser Szene siehe auch Fenik 1986, 6-8 sowie Rabel 1990a, 2-5. Vgl. Kim 2000, 14-20. Vgl. Fenik 1968, 83-84, Griffin 1980, 53-56, Yamagata 1994, 40-45 sowie Most 2004, 5455.

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Troia für deren Tötung ausgesprochen hatte (Il. 11,138-142). Das entscheidende Motiv für die Tötung eines schutzlosen Gegners und die Ablehnung einer Hikesie ist somit Rache.502 Agamemnons Anweisung an Menelaos, dass für das Unrecht des Paris alle Troianer und selbst ungeborene Kinder im Mutterleib mit dem Tod büßen sollen (Il. 6,55-60), zeigt ferner, dass Grausamkeiten gegen den Feind auf dem Schlachtfeld in der homerischen Gesellschaft ebenso wenig untersagt sind wie Gewaltexzesse gegenüber den Angehörigen der Besiegten. Die griechischen Helden haben für das Niedermetzeln schutzloser Gegner keine göttlichen oder gesellschaftlichen Sanktionen zu befürchten, und in der Ilias findet sich kein Hinweis darauf, dass die Annahme einer Hikesie eine religiöse Verpflichtung sei oder dass ein Supplikant unter göttlichem Schutz stehe.503 Es ist bezeichnend, dass Supplikanten sich nie auf göttliche oder moralische Instanzen berufen, sondern ausschließlich durch das Angebot materieller Rekompensation versuchen, Schonung zu erwirken,504 und es obliegt dem einzelnen Helden, ob er sich in einer solchen Situation gnädig zeigt. Achill konnte sich den Troianern gegenüber gnädig zeigen (Il. 6,425-427; 11,104-106; 21,77-82; 23,746), da er keinen persönlichen Groll gegen diese hegte (vgl. Il. 1,152-157; 21,100-105). Im Denken eines homerischen Helden ist das Bedürfnis nach Vergeltung für eine Verletzung der persönlichen Ehre wichtiger als die Schonung eines unterlegenen Gegners.505 Das Ritual der Hikesie hat in der Ilias nicht die bindende Kraft, die

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Vgl. Pedrick 1982, 138-140 sowie Zanker 1994, 48-50. Ähnlich auch Naiden 2006, 140146, der allerdings die Rechtfertigung der Ablehnung einer Hikesie in einer Verfehlung der Bittflehenden und nicht im Wunsch nach Vergeltung des Empfängers der Bitte sieht. Vgl. auch Pedrick 1982, 129-133 sowie Yamagata 1994, 41-45. Crotty 1994, 92-104 argumentiert, dass es sich bei der Hikesie um eine rein menschliche Übereinkunft handelt, die ihre poetologische Bedeutung gerade durch das Fehlen der Götter erhält: „Supplication – prayer transferred from the realm between gods and men to the purely human realm between mortal and mortal – suggests that there is no such benign power. It implies the absence of the gods as benign parents who care for their children’s lives“ (S. 103). Vgl. Pedrick 1982, 129-133. Agamemnons Anweisung an Menelaos wird als „gebührliche Rede“ bezeichnet (Il. 6,62: αἴσιμα παρειπών); offenbar bezieht sich dieser auktoriale Kommentar jedoch nicht auf die Tötung aller Troianer inklusive der Frauen und ungeborenen Kinder, die nicht der gängigen Praxis entsprach, sondern vielmehr direkt auf die Tötung des Adrestos als Rache für den Eidbruch der Troianer, die hier explizit gebilligt wird. Diese Deutung der umstrittenen Stelle, die mir als die einzig plausible erscheint, findet sich so bei Kim 2000, 57-58, Naiden 2006, 143 sowie Stoevesandt 2004, 152-155 und 2008, 31 ad loc. Eine Vergleichsstelle, an der eine Rede des Agamemnon mit denselben Worten kommentiert wird, ist Il. 7,121: Hier rät Agamemnon seinem Bruder davon ab, sich Hektor zum Zweikampf zu stellen, da dieser ihm überlegen sei. Wäh-

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I. Das homerische Heldenkonzept

ihm in späterer Zeit zugeschrieben wird, und göttliche Sanktionen, die bei der Ablehnung einer Hikesie dem Empfänger der Bitte drohen, fehlen in der Ilias vollständig. Die Tötung eines Supplikanten hat damit außer der eventuellen Vergeltung durch dessen Angehörige keine Konsequenzen.506 Indem ein unterlegener Krieger sich im Gestus der Hikesie einem überlegenen Gegner ergibt, unterstellt er sich vollkommen dessen Verfügungsgewalt, und es liegt im Ermessen des Siegers, ihn lebend gefangen zu nehmen oder den Kriegsfeind zu töten.507 Denn im Hinblick auf seine Ehre macht es für einen Helden keinen Unterschied, ob er das Lösegeld (ἄποινα) als sichtbaren Ausdruck seines Erfolgs anzunehmen bereit ist oder aber seine Überlegenheit im Kampf zur Tötung des unterlegenen Feindes nutzt und sich für erlittenes Unrecht Rache (ποινή/τίσις) verschafft.508 Bei dieser Transaktionsform erhält der Empfänger eine Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht auf Kosten der τιμή des Gebers, in diesem Fall direkt durch dessen Tod. Letztendlich macht es somit keinen Unterschied, für welchen Weg sich der Sieger entscheidet, denn ihm ist in jedem Fall das Ansehen

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rend dies Menelaos zwar nicht in einem guten Licht erscheinen lässt, kann die faktische Richtigkeit und damit die Angemessenheit des Ratschlags doch nicht bestritten werden. Andere Interpretationen wie die von Fenik 1986, 25-27, der hierin einen formelhaften Ausrutscher des Dichters (!) sieht, Yamagata 1990, 428-430, die den Ausdruck als „persuading by a well measured/-balanced argument“ übersetzt, Kirk 1990, 161-162, der aufgrund der weiteren Bedeutung von αἶσα als „Schicksal“ den Untergang Troias vorausgedeutet sieht, sowie de Jong 1987, 205 und Taplin 1992, 51-52, die hierin Menelaos’ Empfinden fokalisiert sehen, können nicht überzeugen. Siehe auch Goldhill 1990 für eine lexikalische Untersuchung der Wendung. Vgl. Pedrick 1982, 126, 132, Yamagata 1991, 1-5 sowie Naiden 2006, v.a. 146-147. Die Position von Thornton 1984, 113-142, dass eine Hikesie moralischen Zwang ausübt, erscheint angesichts des Befunds der Ilias nicht nachvollziehbar. Dieser Schluss deckt sich mit der allgemeinen Feststellung, dass die iliadischen Götter keine Garanten von Recht, Ordnung oder gar Gerechtigkeit darstellen, vgl. Kullmann 1985, Yamagata 1994, 3-101, Bryant 1996, 36-38 sowie Adkins 1997, 708-711. Lloyd-Jones 1983, 1-27 behauptet, dass die Vorstellung von der Gerechtigkeit des Zeus schon in der Ilias angelegt ist, und nennt die Funktion des Zeus als Hikesios (S. 5), geht jedoch nicht auf die abgelehnten Hikesien ein. Vgl. Patzer 1996, 178-180 und Stoevesandt 2004, 153. Siehe auch Bassett 1933, 46, der die Tötung hilfloser Troianer allgemein als Rache für den Eidbruch der Troianer durch Pandaros deutet. Zur generellen Entscheidungsfreiheit des Empfängers einer Hikesie siehe Naiden 2006, 4-8 et passim. Pötscher 1992, 5 unterscheidet „zwei verschiedene Typen der Hikesie: der eine, in dem sich der ἱκέτης bedingungslos unterwirft und sich zutiefst erniedrigt, und der andere, in dem der ἱκέτης auf den ‚Angeflehten’ aggressiv Druck ausübt, ihn zu zwingen sucht und ihn gleichsam in seine Gewalt bringt.“ Er nennt die Hikesie der Thetis in Il. 1,500-530 als Beispiel des letzteren Typus‘, doch Schlachtfeldhikesien sind ausnahmslos dem ersten Typus zuzuordnen. Vgl. Wilson 2002b, 26-29. Zu ποινή als „blood-price“ siehe auch Slatkin 2011, 180-182.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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gewiss, das ihm ein erfolgreicher Kampf einbringt. Tritt jedoch der Drang, ποινή einzufordern und Rache zu üben, zu dem Angebot von ἄποινα und der Schonung des Bittstellers in Konflikt, entscheidet sich der iliadische Held immer für ποινή in Form der Tötung des Bittstellers.509 Das bestimmende Ziel ist nicht Wiedergutmachung, sondern emotionale Satisfaktion, die jeden Gedanken an finanziellen Ausgleich überlagert.510 Dies unterstreicht abermals den Stellenwert der Kampfkraft im homerischen Denken, denn Ehre bemisst sich nach der Zahl der überwundenen Gegner.511 I.4.2.4 Vergeltung und Verstümmelung Schlachtfeldhikesien zeigen die Bedeutung von Rache und Rekompensation im homerischen Denken, und das Prinzip des Ausgleichs durchdringt sämtliche Schlachtschilderungen.512 Denn bei dem zahlreichen Sterben auf dem Schlachtfeld ergibt sich zwangsläufig auch die Situation, dass ein Held einen Gefährten verliert. Die erste Reaktion des Helden auf den Tod eines Kampfgenossen ist Zorn (χόλος, vgl. Il. 4,494, 501; 13,203, 660; 16,320, 546, 585) und der damit verbundene Wunsch nach Rache. 513 In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen Menschen und Göttern, da diese ebenfalls in Zorn verfallen, wenn Menschen sterben, die ihnen nahestehen (vgl. Il. 13,206; 15,138; 21,136). Zorn ist die bestimmende Emotion eines Helden, mit der er auf jeden mittelbaren oder unmittelbaren Angriff auf seine Ehre und sein Ansehen reagiert, und die Tötung eines Gefährten bedeutet auch die Verletzung der τιμή des Helden.514 Neben Zorn findet sich auch Mitleid für getötete Gefährten als Motivation für Vergeltungsaktionen (vgl. Il. 5,561-563, 610-612; 17,346-348, 352-353: τὸν/τὼ δὲ πεσόντ᾿ ἐλέησεν), denn Mitleid erfordert immer auch entsprechendes Handeln von

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Siehe dazu auch Wilson 2005, 8, die den Gegensatz von besonnener Annahme von ἄποινα und gewaltsamer Einforderung von ποινή in den Begrifflichkeiten von μῆτις und βίη wiedergibt. Wie immer, wenn in der Ilias μῆτις und βίη gegenübergestellt sind, wird auch in diesem Fall βίη der Vorrang gegeben. Vgl. Yamagata 1994, 139-144. Vgl. Yamagata 1994, 42. „Sad to say, killing enemies in battle is seen as basically a good thing, the very heart of heroic virtue. How can you incur divine anger when you are doing something good, winning glory? If a warrior kills more enemies, it means more honour. More honour means a bigger prize. A suppliant in battle therefore stands a chance of success only by offering his opponent a splendid ransom which will outweigh the prize the latter will get by killing him. This scheme sometimes works, but obviously, when the supplicated warrior happens to be bloodthirsty or seeking revenge, it doesn’t.“ Vgl. Slatkin 2011, 178-182. Zum Rachezorn des Kriegers siehe v.a. Walsh 2005, 175-182. Vgl. insbesondere van Wees 1992, v.a. 109-115.

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I. Das homerische Heldenkonzept

einem homerischen Helden.515 Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Mitleid als emotionaler Reaktion auf das Leiden von Freunden und dem Zorn, den dieses Leid gegen diejenigen hervorruft, die es ihnen zufügten.516 Es lässt sich zeigen, dass enge Verwandte häufig zusammen in die Schlacht zogen, und diese Form der Organisation ist wohl auf die Pflicht des Helden zurückzuführen, Blutsverwandte zu schützen oder im Fall deren Todes Rache zu üben und den Leichnam für eine angemessene Bestattung zu retten.517 Insbesondere der Rachezorn des Kriegers um den gefallenen Bruder ist ein häufiges Motiv der Ilias (Il. 11,248-253, 426-428; 14,476485; 16,319-321; 20,419-423).518 So kann Menelaos Euphorbos in einer Prahlrede provozierend vorhalten, er habe dessen Bruder Hyperenor getötet und ihm damit implizit sein Versagen, für den Bruder Rache zu nehmen, vorwerfen (Il. 17,19-32). Dieser entgegnet ihm daraufhin, er werde seinen Bruder rächen und damit der Familie seines Bruders Linderung für ihren Verlust verschaffen (Il. 17,34-40). Die Pflicht zur Blutrache bezieht sich auf alle Kameraden eines Helden, und der Tod eines Mitstreiters ruft heftige Reaktionen bei Gefährten und Verwandten hervor (z.B. Il. 17,83-89).519 Erfolgreiche Racheaktionen finden regelmäßig ihren Abschluss in der Beleidigung des getöteten Feindes und seiner noch lebenden Gefährten, die den Gefallenen nicht schützen konnten (z.B. Il. 14,479-485, 501-505). So prahlt Deiphobos gegenüber Idomeneus, der kurz zuvor Asios getötet hatte (Il. 13,384-393), nachdem er Hypsenor mit den Wurfspeer getroffen hat, dass er seine gefallenen Gefährten gerächt habe und ihm einen Weggefährten in die Unterwelt mitgegeben habe (Il. 13,414-416). Das Rachemotiv verbindet oftmals aufeinanderfolgende Androktasien; Teile der Kampfhandlungen bilden eine Reihung wechselseitiger Vergeltungsreaktionen (z.B. Il. 4,473-507; 13,361-539; 14,440-507),520 und die poetische Darstellung der Schlacht basiert oftmals auf dem Strukturprinzip der

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Siehe dazu Kim 2000, v.a. 35-67. Zum Problem des homerischen Mitleidsbegriffs siehe Crotty 1994, 44-46. Vgl. Most 2004, 55-57, 61-62. Vgl. v.a. Trypanis 1963, 290-293. Vgl. Fenik 1968, 88-89. Siehe auch Reinhardt 1961, 212-213 zu den troischen Brüderpaaren in Il. 11, bei denen jeweils einer zuerst von einem großen griechischen Helden getötet wird und der zweite bei dem Versuch, Rache zu üben, ebenfalls fällt (Iphidamas und Koon gegen Agamemnon, Il. 11,221-261; Charops und Sokos gegen Odysseus, Il. 11,426-458). Zur Formulierung des Prinzips der Blutrache als Form von Reziprozität siehe Seaford 1994, 25-29 und Slatkin 2011, 178-182. Vgl. Mueller 2009, 94-96.

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Trauer und des Rachezornes. Von einem Helden, der gerade einen Kameraden verloren hat, wird erwartet, dass er Rache sucht.521 Dabei ist von untergeordneter Bedeutung, ob tatsächlich der für den Verlust verantwortliche Gegner getötet werden kann, und wie Deiphobos Rache für den von Idomeneus getöteten Asios nimmt, indem er Hypsenor niederstreckt (Il. 13,414-416), so erfolgt die Rache des Odysseus für seinen Gefährten Leukos nicht an Antiphos, der diesen eigentlich tötete und auf den Odysseus auch gezielt hatte, sondern an Demokoon (Il. 4,491-507; vgl. auch 17,344-351). Allerdings zeigt sich in Prahlreden nach Vergeltungsaktionen mehrfach der Gedanke, dass an einem gleichwertigen Gegner Rache genommen werden muss, denn der Tod eines feindlichen Kämpfers wird als eine Ehrengabe für den zuvor getöteten Kameraden empfunden.522 So fühlt Automedon, dass sein Schmerz wegen Patroklos’ Tod nur ein wenig gelindert wurde, weil der von ihm als Rache getötete Aretos schlechter als Patroklos war (Il. 17,537-539). Idomeneus hingegen kann Deiphobos entgegenhalten, dass die Griechen für den Tod des Hypsenor angemessene Rache genommen hätten, indem Antilochos Mekisteus und Alastor niederstreckte (Il. 13,418-423) und er selbst noch Alkathoos hinzufügte (Il. 13,427-444). Das Verhältnis von drei getöteten Troianern für einen toten Griechen erscheint ihm dabei angemessen und der durch die Rache angestrebte Ausgleich ist erreicht (Il. 13,446-447; vgl. auch 14,470-474).523 Im Zuge der Rache für einen gefallenen Gefährten lassen sich Helden auch zu Grausamkeiten gegen den Feind und Verstümmelungen seines Leichnams hinreißen. Der Leichnam des getöteten Gegners ist faktischer Besitz des siegreichen Helden und die gängigste Form der Entehrung eines verhassten Feindes nach dessen Tod besteht im Raub seiner Waffen.524 Das Erbeuten von Spolien ist gängige Praxis, und die zusätzliche Verstümmelung fungiert als Bestrafung und Kompensation für den erlittenen Verlust (ποινή). So enthauptet der Kleine Aias im Zorn um den gefallenen Amphimachos den Troianer Imbrios, den er zuvor auf seine Seite gezogen und seiner Rüstung beraubt hatte, und wirft den Kopf in die Menge (Il. 13,201205). Die Enthauptung eines Gegners wird nicht als ungehörig oder unehrenhaft dargestellt, und erfolgt mehrfach im Zuge einer Racheaktion und

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Siehe Lendon 2000, 11-22 zur Position, dass dieses „Ethos der Rache“ auch in archaischer, klassischer und nachklassischer Zeit im griechischen Denken einen festen Platz einnahm. Zum Verständnis dieses Rachezornes siehe auch die Ausführungen bei Shay 1994, 40-44 zu Kameradschaft im Krieg. Zu diesem Aspekt vgl. Lendon 2000, 6-11. Vgl. Slatkin 2011, 178-179. Vgl. Bassett 1933, 47 sowie oben I.4.2.2.

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I. Das homerische Heldenkonzept

dient der Abschreckung und Erniedrigung des Feindes.525 In dieser performativen Handlung verbindet sich die Ehrung des gefallenen Gefährten mit der Darstellung der eigenen Überlegenheit, wie im Falle des Peneleos, der den Troianer Ilioneus nicht nur enthauptet, sondern den Kopf auch an der Lanze, die Ilioneus getötet hatte und immer noch in dessen Auge steckt, emporhebt und den übrigen Troianern zeigt (Il. 14,496-500).526 Auch Agamemnon bedient sich mehrfach der Enthauptung als Mittel der Vergeltung und verstümmelt den bittflehenden Hippolochos, indem er ihm nicht nur den Kopf, sondern auch die Arme abschlägt, sodass der Rumpf wie eine Walze durch die Menge der anderen Kämpfenden rollt (Il. 11,145-147). Das Bedürfnis nach Rache vermag offenkundig nicht nur die Ablehnung einer Hikesie, sondern auch die Verstümmelung eines Gegners zu rechtfertigen. Wenig später enthauptet Agamemnon auch Koon, der ihn seinerseits aus Rache für seinen gefallenen Bruder Iphidamas töten wollte, aber nur verwunden konnte (Il. 11,260-261). Auch Hektor will an Patroklos‘ Leiche Rache für den Verlust seines Halbbruders Kebriones üben, und hat dabei ebenfalls vor, dessen Leichnam zu enthaupten und den troianischen Hunden vorzuwerfen (Il. 17,125-127). Der Bericht der Iris an Achill über den Kampf um Patroklos’ Leichnam verdeutlicht den Zusammenhang zwischen der Misshandlung des toten Kriegers und der τιμή seiner Gefährten (Il. 18,175-180),527 denn das Unvermögen, einen gefallenen Freund schützen zu können, stellt eine Schande für seine Gefährten dar. Umgekehrt betont es die kämpferische Überlegenheit des siegreichen Helden, wenn niemand ihn davon abhalten kann, einen Gegner auf diese Weise zu entehren. Es ist nicht nur mit dem heroischen Ehrenkodex vereinbar, sondern teilweise sogar gefordert, die Leiche eines Feindes zu misshandeln und soweit wie möglich zu entehren, wenn es für den Tod eines Freundes oder Verwandten Rache zu üben gilt.528

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Vgl. Rowe 1983, 265. Zum Topos der Enthauptung in der Heldendichtung allgemein siehe Miller 2000, 225-230. Die Enthauptung als echte Sammlung von Trophäen tritt jedoch in den homerischen Epen vordergründig nicht auf. Auch Friedrich 1956, 5763 bemerkt bei der Besprechung der Enthauptungsszenen, die er einem „niederen Realismus“ zuschreibt, dass es sich dabei regelmäßig um Vergeltungsmaßnahmen handelt. Zur Position, dass die Verstümmelung des Feindes das Ziel verfolge, nicht nur seine Existenz, sondern auch das Andenken an ihn zu zerstören und ihn dadurch seines Ruhmes zu berauben, vgl. die Argumentation bei Vernant 1991. Zur Performativität von Rache und Verstümmelung siehe Lendon 2000, 4-6. Von Hektors Vorhaben, den Leichnam des Patroklos nicht nur zu enthaupten, sondern seinen Kof auch noch auf einen Pfahl zu spießen (Il. 18,176-177), wird nur in der Rede der Iris berichtet, doch muss angenommen werden, dass dies auch tatsächlich seine Intention darstellte, vgl. Segal 1971, 22-25 sowie Andersen 1990, 30-31. Vgl. Bassett 1933, 52-54.

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Die Misshandlung eines getöteten Gegners ist niemals Selbstzweck, sondern lässt sich ausnahmslos auf das Verlangen, einen gefallenen Gefährten zu rächen und den Feind zu demoralisieren, zurückführen.529 Im Rahmen einer solchen Transaktion von τιμή ist der eigene Ehrgewinn und die Ehrung des gefallenen Freundes größer, je schlimmer die Entehrung des Feindes ausfällt. Allerdings ist ποινή als Rekompensation immer unzureichend, denn sie vermag nicht, den gefallenen Gefährten zurückzubringen, wohingegen eine ἄποινα-Transaktion einen angemessenen Austausch bedeutet. Vergeltung erscheint in den Kämpfen der Ilias als gängige Praxis, und die Häufigkeit grausamer Verstümmelungen der Leichen gegnerischer Krieger zeigt, dass es sich dabei um eine allgemein praktizierte Vorgehensweise handelt.530 Während sich die Trauer um gefallene Gefährten auf dem Schlachtfeld in grausamen Racheaktionen und nicht selten auch in blutrünstigen Verstümmelungen äußert, darf ein Held abseits der Schlacht seinen Verlust beweinen.531 Der Krieg ist „tränenreich“ (Il. 17,544: πολύδακρυς; vgl. 3,132, 165; 8,516; 17,192; 19,318; 22,487), und das Vergießen von Tränen ist der körperliche Ausdruck des seelischen Vorgangs des Trauerns (z.B. Il. 17,694-696; 18,17, 32).532 Die offene Zurschaustellung von Tränen trägt in der homerischen Kriegergemeinschaft kein gesellschaftliches Stigma, und nach der Rache für seinen Tod durch seine Gefährten ist die Totenklage die

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So auch van Wees 1996a, 52-53: „Mutilation of the dead, which is in any case rare in Homer, is never a show of personal success in a game of rivalry with one’s comrades, and certainly not an act of random brutality, but is always motivated by the desire for revenge, and carried out to demoralise and frighten the enemy.“ So auch Bassett 1933, 54. Vgl. jedoch die Relativierung bei Lendon 2000, 9: „Mutilation is the ultimate shaming of the dead, greater than merely killing, stripping, and vaunting; it shames those associated with the victim as well (Il. 18.880; cf. 17.556-9). Unlike killing, stripping, and vaunting, it crosses the line of proper behaviour and offends the gods. As such, mutilation is not normal behaviour, but is called for under exceptional circumstances, when a specific individual enemy must be shamed as much as possible. The normal heroic course of fighting, killing, and being admired for high deeds does not demand or encourage mutilation. (...) It is vengeance that requires mutilation, because the number of persons upon whom vengeance can be inflicted – whose shame can be made a gift of honour to the avenged – is sharply limited, and the amount of shame that needs to be inflicted is felt to be high.“ Gleichzeitig räumt Lendon ein, dass jede drastische Vergeltungsaktion eine Gegenreaktion hervorruft: „But mutilation – objectively excessive vengeance in quest of perceived equivalence – reveals a terrible logic that breeds killing from killing“ (S. 11). Vgl. van Wees 1998a, 11-16 sowie Föllinger 2009, 24-26. Vgl. dazu Patzer 1996, 103-109. Doch nicht nur um den Tod eines geliebten Gefährten ist es einem Helden erlaubt, seelischen Schmerz zu fühlen und ihnen in Tränen Ausdruck zu verleihen, sondern auch im Falle von Verzweiflung und Mutlosigkeit im Kampf. Vgl. die Zusammenstellung der Gründe für das Vergießen von Tränen in den homerischen Epen bei Wærn 1985, 223-225 und Föllinger 2009, 21-29.

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I. Das homerische Heldenkonzept

letzte öffentliche Ehrung, die ein gefallener Held von seiner Gemeinschaft erhalten kann.533 I.4.3

Ehrerbietung der Freunde

I.4.3.1 Besitz und Ehre Ein Held kann jedoch nicht erst im Falle seines Todes Ruhm und Ehrbezeugungen von seiner eigenen Gemeinschaft erwarten, sondern während seines Lebens stehen ihm Anerkennung und Wertschätzung für die Ausübung seiner gesellschaftlichen Funktionen zu (vgl. Il. 11,309/312: τετιμήμεθα ... θεοὺς ὣς). Direkte soziale Interaktion zwischen Angehörigen derselben Gemeinschaft (φίλοι „Freunde“) wird durch das Prinzip der Wechselseitigkeit („balanced reciprocity“) bestimmt, nach dem jede (Dienst-)Leistung oder Gabe mit einer entsprechenden Gegenleistung oder Gegengabe beantwortet werden muss.534 Zwischen dem Helden und seiner Gesellschaft besteht eine nicht formalisierte, aber doch grundlegende Beziehung mit beiderseitigen Rechten und Pflichten.535 Der Held wird von seiner Gemeinschaft geehrt, doch wird dafür von ihm erwartet, dass er sich für sie einsetzt (vgl. Il. 12,310-321). Die Erfüllung seiner Aufgabe besteht in der Ausübung seiner Herrschaftstätigkeit, und ein Held erhält allein aufgrund seines Ranges Respekt und Anerkennung, doch zudem können konkrete Leistungen, insbesondere kriegerische Taten, besondere Ehrungen bedingen. Folglich bestehen für die Vergabe von gesellschaftlicher Anerkennung zwei unterschiedliche Referenzrahmen: Statusbedingte τιμή ist eine Konstante, wohingegen leistungsbedingte τιμή je nach den erbrachten Leistungen variieren kann.536 Im Idealfall koinzidieren die beiden Systeme und der mächtigste Herrscher erbringt auch die besten Leistungen im Kampf, doch aus der fingierten τιςRede innerhalb der Rede des Sarpedon (Il. 12,318-321) lässt sich ersehen, dass das Zusammenspiel von sozialer Führungsposition mit der erforderlichen Kampfkraft zwar ein Desiderat ist, dass die Realität jedoch nicht immer diesem Ideal entspricht.537

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Vgl. Easterling 1991. Hinsichtlich des Vergießens von Tränen ist kein Unterschied zwischen Männern und Frauen feststellbar, sondern nur in der rituellen Totenklage, vgl. van Wees 1998a, 11-16. Vgl. v.a. Donlan 1981/82 und 1998, 54-58, van Wees 1998b sowie Tandy 1997, 94-101 mit Betonung der ökonomischen Bedeutung. Vgl. Hammer 2002, v.a. 151-152. Vgl. Wilson 2002b, z.B. 36-38 zum „fixed“ und „fluid ranking system“. Siehe auch Scodel 2008, 12-16, die selbst eine Dreiteilung in „status“ (entsprechend dem „fixed ranking system“), „deference“ (entsprechend dem „fluid ranking system“) und „face“ vornimmt. Zur Umsetzung dieses Ideals im Falle des Sarpedon siehe Clay 2009, 31-34,

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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Die Beispiele des Wettstreits unter den Helden zeigen, dass ein Held, der sich besonders auszeichnet, dafür Anerkennung in konkreter, materieller Form erhält, wie einem Siegespreis (im sportlichen Wettkampf), einer Trophäe (auf der Jagd) oder einer Belohnung (Auszeichnung bei Gericht und Versammlung).538 Daneben existieren auch nicht-materielle Formen der Ehrerbietung, die das Ansehen eines Helden für seine Standesgenossen verdeutlichen. Mit öffentlicher Anerkennung muss sich kein aufrichtiges Gefühl verbinden, und Ehrbezeugungen können auch erzwungen werden.539 Darunter fallen die respektvolle Anrede540 sowie jegliche Form von Privilegien (γέρα), insbesondere Vorrang bei der Fleischverteilung oder der Zuteilung des Weins beim gemeinsamen Mahl (Il. 4,257-264, 340-348; 12,310-314; 23,810).541 In Friedenszeiten sind dies die deutlichsten Statuskennzeichen eines Helden in seiner Gemeinschaft, und in der Rede des Sarpedon an Glaukos wird die Ehrenstellung beim Mahl vor allen anderen Ehrungen genannt (Il. 12,310-312; vgl. auch 8,161-162).542 Das gemeinsame Mahl ist von hoher Bedeutung in der homerischen Gesellschaft, und neben der notwendigen Nahrungsaufnahme steht dabei vor allem die soziale Funktion im Vordergrund.543 Das „gebührliche Mahl“ (Il. 1,468, 602; 2,431; 4,48; 7,320; 9,225; 15,95; 23,56; 24,69: δαιτὸς ἐίσης) ist eine typische Szene des Epos und eine wichtige gesellschaftliche Institution, bei der jedes Mitglied des Kollektivs nicht eine gleiche, sondern ein gebührliche, also seiner Ehrenstellung und seinem Rang entsprechende Portion zugeteilt bekommt.544 Nach der Aussage Sarpedons erfolgt die Ehrung durch das Volk, das offenbar als Kollektiv seinem Herrscher gewisse Vorrechte zugesteht, doch in der Ilias ist es der Regelfall, dass Agamemnon in seiner Funktion als oberster Heerführer der Griechen für seine Berater Mähler ausrichtet (vgl. Nestor zu Agamemnon in Il. 9,73: πᾶσά τοι ἔσθ᾿ ὑποδεξίη, πολέεσσι δ᾿

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Vgl. Schein 1980, 127: „It must be remembered that this honor is not merely an abstraction. The basic meaning of τιμή (honor) is “price” or “value” in a quite tangible sense.“ Ebenso auch Adkins 1997, 702-704. Vgl. van Wees 1992, v.a. 118-122, Shay 2000, 49-50 und Scodel 2008, 16-17. Vermutlich ist es dem Ansehen eines Helden sogar förderlich, wenn er in der Lage ist, sich Ehrerbietung zu erzwingen. Zur Anrede mit dem Patronymikon als Ehrbezeugung siehe Brown 2006, v.a. 40 zur Gleichsetzung von κυδαίνειν mit πατρόθεν τινὰ ἐκ γενεῆς ὀνομάζειν in Il. 10,68-69. Vgl. Finley 1975, 126-129, van Wees 1992, 69-71 sowie Yamagata 1994, 127-128. Die Worte δαίτη und δαίς, die das homerische Epos für das Mahl verwendet, haben dieselbe Wurzel wie das Verb δαίομαι „verteilen“ und verweisen auf die Bedeutung der Zuteilung der angemessenen Anteile, vgl. Frisk 1960, 341-342 s.v. δαίομαι sowie Collins 1988, 72. Siehe dazu auch Clay 2009, 31-34 zu diesem Abschnitt der Rede. Zur sozialen Funktion des Mahls siehe van Wees 1995, 147-148. Vgl. Motto/Clarke 1969, 118-119, Mackie 1996, 130-132, Tandy 1997, 143 sowie Nagy 1999, 127-19 §14-15, v.a. Anm. §14.4.

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ἀνάσσεις). Bei diesem Anlass ehrt Agamemnon einzelne Kämpfer für besonderen Einsatz im Kampf, spornt sie damit zu weiteren Leistungen an und versichert sich ihrer Loyalität (vgl. Il. 4,256-268; 7,321-322545). Während in Sarpedons Formulierung der Held eine absolute Ehrung durch seine Untergebenen erhält (Il. 12,312-314), ist die Ehrung bei diesem „Königsmahl“ des Agamemnon relativ, insofern als sie die Unterordnung unter seinen Oberbefehl und die Anerkennung seiner überlegenen sozialen Position voraussetzt.546 Die Wertschätzung des Helden und sein Status in der Gesellschaft spiegeln sich jedoch am deutlichsten in Besitztümern und sichtbaren Gütern wider.547 Die Fähigkeit eines Helden, seinen Besitz nach dem Erwerb auch zu behalten und verteidigen zu können, legt zudem Zeugnis von seiner kämpferischen Stärke und Tapferkeit ab und rechtfertigt seine Führungsposition.548 Dazu gehört der Grundbesitz, über den jeder Held als Existenzgrundlage in seiner Heimat verfügt,549 der jedoch in der Ilias von geringer Bedeutung ist. Auch Handel ist in der homerischen Welt bekannt (vgl. etwa Il. 7,467-475), dient jedoch nur der Sicherung der Versorgung der Truppen550 und wird zugunsten heroischer Arten des Besitzerwerbs, insbesondere Raub und Plünderung, weitestgehend vernachlässigt.551 Als Statuskennzeichen ist vor allem der bewegliche Besitz in Form von Kriegsbeute

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Der Große Aias wird nach seinem Zweikampf mit Hektor beim anschließenden Mahl mit der Zuteilung des durchlaufenden Rückenstücks belohnt (Il. 7,321-322). Das durchgehende Kotelett-Stück längs der Wirbelsäule des Tieres galt als die Ehrenportion, vgl. Willcock 1976, 80 ad loc. sowie Kirk 1990, 276 ad loc. In Ermangelung eines treffenderen Begriffs übernehme ich den Terminus des „royal banquet“ als „Königsmahl“ von van Wees 1995, 165. Zur Institution des exklusiven „royal banquet“ siehe Ulf 1990, 195-198, van Wees 1995, 165-166 sowie Mackie 1996, 26: „It is a mark of honour to eat with the king. In exchange, the elders give the king their counsel.“ In der Ilias besteht jedoch die Gegenleistung ganz offensichtlich in Kampfeinsatz für den König. Vgl. Pötscher 1960, 35-36 sowie Patzer 1996, 219-222. Vgl. Adkins 1960b, 28-29. Siehe dazu Ulf 1990, 177-183. Der Grundbesitz besteht offenbar aus dem „Landlos“ (κλῆρος, vgl. z.B. Il. 15,498) sowie einem „Krongut“, das dem Helden als besondere Ehrbezeugung seiner Gemeinschaft zugestanden wurde (Il. 6,194; 12,313; 20,184: τέμενος), siehe Il. 9,577-580, wo Meleagros als Belohnung für die Rückkehr zum Kampf ein eigener τέμενος in Aussicht gestellt wird sowie Il. 6,193-195, wo Bellerophon für seine Heldentaten mit einem τέμενος belohnt wird. Vgl. dazu Finley 1975, 46-70, Donlan 1981/82, 159-160 sowie Andreev 1988, 34-35. Zur genaueren Bestimmung des τέμενος siehe Donlan 1989b sowie van Wees 1992, 294-298 Der Bedarf an Nahrungsmitteln im griechischen Heerlager wird sowohl durch Lieferungen von Verbündeten und als auch durch Raubzüge im Umland Troias gedeckt. Vgl. auch Jones 1995, 106-109 zur Beobachtung, dass außer auf die griechischen Raubzüge in der Troas auf keine weiteren Kriegshandlungen vor der IliasHandlung Bezug genommen wird. Siehe dazu v.a. van Wees 1992, 238-248.

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bedeutsam, die sich die griechischen Kämpfer vom Feldzug gegen Troia erhoffen (vgl. Il. 2,298: αἰσχρόν τοι δηρόν τε μένειν κενεόν τε νέεσθαι.). Denn während Menelaos als Opfer des Raubs der Helena durch Paris und damit auch sein Bruder Agamemnon aus Gründen der Ehre gegen Troia zogen (vgl. Il. 1,159-160; 5,552-553), besteht die Motivation der übrigen Griechen zur Teilnahme an diesem Unternehmen in der Aussicht auf eine Steigerung ihres Ansehens und Reichtums.552 Die fehlgeschlagene Heeresprobe des Agamemnon in Buch 2 der Ilias zeigt, dass der Rückzug und der Abbruch des Kriegszugs für die übrigen griechischen Krieger keinen Gesichtsverlust bedeuten. Für sie sind die aus Krieg und Raubzügen gewonnenen Prestigegüter der primäre Grund für den Kampf gegen Troia und zugleich die Entschädigung für die Strapazen und Entbehrungen des Krieges (Il. 2,354356).553 Der Erfolg der Einnahme Troias und das resultierende Ansehen der Kriegshelden kann nur in Beute ausgedrückt werden, denn der Troianische Krieg besitzt keine politische Dimension. Ziel ist nicht die Eroberung des Landes oder die Besetzung der Stadt, und am Ende zählt nur, was die Sieger als sichtbare Zeichen des Sieges auf ihren Schiffen mit in die Heimat nehmen können. Beim beweglichen Reichtum eines Helden lässt sich eine prinzipielle Unterscheidung in Besitz, der auch eine praktische Funktion hat, wie Waffen, Vieh, Pferde und Slaven, und reine Prestigegüter vornehmen. Letztere werden treffend auch als κειμήλια „Liegegut“ bezeichnet und können im Haus oder der Lagerhütte des Helden gehortet werden (vgl. Il. 6,47-48; 11,132-133). Der Übergang zwischen beiden Kategorien ist fließend und es scheint so, als hätten die Helden selbst diese Unterteilung nicht durchgeführt.554 Daher ist es möglich, durch Gabentausch praktische Güter in Prestigegüter und umgekehrt zu konvertieren.555 Wichtig ist einzig der Wert der Besitztümer eines Helden und dieser ist auch in einer Kriegssituation die wichtigste Form der Darstellung des Status eines Helden und Ausdruck seiner τιμή. Materielle Güter sind ein Zeichen von ἀρετή und in ihnen wird neben dem materiellen Wert vor allem der ideelle Wert gesehen, mit dem sie aufgrund der Art ihres Erwerbs behaftet sind. Kriegerische Auszeichnung ist somit die Vorbedingung des Reichtums eines Helden und

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Vgl. Nowag 1983, 24-29. Vgl. auch Clay 2009, 33 Anm. 9 zur Position, dass die Bedeutung von Beute und Gütern in der Darstellung der Ilias überwiegend in ihrem symbolischen Wert bestand, wohingegen der materielle Wert vernachlässigt wird. Vgl. Nowag 1983, 32-34. So nennt die Aufzählung der Geschenke Agamemnons Güter beider Kategorien ohne Unterscheidung, wobei allerdings die reinen Prestigegüter zuerst aufgeführt werden. Vgl. auch Finley 1975, 57-58. Siehe dazu die ausführliche Argumentation bei van Wees 1992, 223-227.

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seines sozialen Rangs, während umgekehrt Besitz allein und ohne Kampfkraft nicht als Begründung der gesellschaftlichen Position ausreicht.556 Die schon erwähnten Spolien sind dabei die einzige Form von Kriegsbeute, die sich der homerische Held gleichsam durch „Individualaneignung“ in der Schlacht direkt durch seine eigene Kampfesleistung beschaffen kann. 557 Hier verbindet sich die Demonstration von Überlegenheit über den Feind mit der Selbstdarstellung durch Besitz in der eigenen Gesellschaft. Der weitaus größte Teil des im Krieg erworbenen Besitzes eines Helden besteht jedoch aus Kriegsbeute. Der übliche Weg für den Erwerb von Kriegsbeute in der Ilias sind Raubzüge und Plünderungen von Städten und Inseln in der Umgebung Troias, und insbesondere die Eroberungen Achills werden mehrfach erwähnt.558 Das Raubgut wird zusammengetragen und in der Heeresversammlung in öffentlicher Verteilungszeremonie (siehe Il. 1,166: δασμός, zu δαίομαι) unter den einzelnen Helden und ihren Kontingenten aufgeteilt (vgl. Il. 1,366-368). Es muss angenommen werden, dass die Verteilung von Beutegut unter der Aufsicht des Herrschers stattfindet, also im griechischen Heer durch Agamemnon.559 Die Funktion als Verteiler von Reichtum ist ein wichtiges Statuskennzeichen des homerischen Adeligen: Als Zeichen der Ehrerbietung wird ihm von seinen Untergebenen Besitz übergeben, doch wird im Gegenzug von ihm erwartet, dass er ihn wieder entsprechend zurückverteilt.560 Soweit aus der Ilias ersichtlich, verlief ein δασμός vermutlich hierarchisch: Zuerst erhielten einzelne, ausgezeichnete Helden ein „Ehrengeschenk“ (γέρας), das ihren besonderen Status innerhalb der Kriegergemeinschaft symbolisiert.561 Ehrengaben fungieren als Belohnung für erbrachte

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Vgl. Griffin 1980, 27: „(...) possessions are inseparable from honour; to be robbed of a prize is to be dishonoured, to have great possessions is what a king must have in order to be a king.“ Vgl. auch Hellmann 2000, 33-36 zum kausalen Zusammenhang zwischen Besitz und Status. Vgl. Nowag 1983, 44-47: „War Reichtum allgemein ein konstitutiver Bestandteil gesellschaftlichen Status, so kennzeichnet jener spezielle Reichtum den Standort eines Kämpfers in der Werteskala der militärischen Fähigkeiten“ (S. 47). Pointiert auch Johnston 1988, 81: „In a sense, we might even say that the warriors of the Iliad attack each other primarily because they wish to acquire more fine booty which will increase their reputation.“ Die 27 Erwähnungen von Achills Raubzüge bilden die einzigen Verweise auf Erfolge der Griechen in den ersten neun Kriegsjahren, vgl. Jones 1995, 103, 110 mit Anm. 8: Il. 1,125, 162-168, 299, 366-369; 2,226-228, 690-693; 6,414-427; 9,129-130 (= 271-272), 188, 328-333, 367, 664-665, 666-668; 11,625-627; 16,56-57, 152-153; 19,59-60, 291-299; 20,89-96; 21,35-48, 55-59, 76-80, 100-102; 23,743-747; 24,751-753. Vgl. Ready 2007, 4-13. Zu Beutezug und Verteilung siehe Donlan 1981/82, 158-166 und van Wees 1992, 299-310. Zum System der „redistribution“ siehe Tandy 1997, 101-110. Vgl. Nowag 1983, 36-40 sowie King 1987, 88.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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Leistungen im Kampf und als Kompensation für den Einsatz und die Gefährdung von Leib und Leben für die gemeinsame Sache. Die Darstellung dieser Praxis in der Ilias zeigt jedoch, dass oftmals der Extraanteil das Ergebnis einer „quasi institutionalisierten Beutevergabe (...) an militärische Führungspersonen, wobei vermutlich dem Status der Person mehr Beachtung geschenkt wurde als seiner jeweils konkreten Qualität als Kämpfer“ 562 war. Auch in Nestors Erzählung vom Raubzug der Pylier gegen Elis (Il. 11,671-762) bekommt jedes Mitglied der pylischen Aristokratie einen Anteil, auch wenn sie nicht an dem Raubzug beteiligt waren. 563 Da das γέρας eines Helden immer mit der öffentlichen Anerkennung des Status eines Helden durch die Gesellschaft verbunden ist, kommt ihm unter den beweglichen Besitztümern des Helden ein besonders hoher Stellenwert zu.564 Als explizit erwähnte „Ehrengeschenke“ fungieren in der Ilias ausschließlich Sklavinnen, da in der homerischen Gesellschaft der Besitz von Frauen und die damit einhergehende Demonstration von Macht und Potenz besondere Anerkennung bedeutet.565 Dabei ist festzustellen, dass der ideelle Wert des γέρας seinen materiellen Wert bei weitem übersteigt, denn eine einzelne Sklavin stellt ansonsten einen vergleichsweise geringen Wert dar.566 Aus der nach der Verteilung der γέρα übriggebliebenen Kriegsbeute wird anschließend jedem Heerführer sein Anteil (μοῖρα) per Losverfahren

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Nowag 1983, 39. Die Auslassung in diesem ansonsten treffenden Zitat umfasst die Worte „durch das Volk“: Angesichts der geringen Bedeutung des Volks in der iliadischen Darstellung ist zu erwarten, dass entweder Agamemnon selbst die Aufteilung vornimmt oder aber, wenn von den υἷες Ἀχαιῶν bei der Verteilung die Rede ist, dieser Begriff nur die Helden und nicht das einfache Kriegsvolk umfasst. Vgl. die Bezeichnung der τιμή als „distributive value“ bei Finkelberg 1998, 16-20. Im Falle des Raubzugs gegen Elis liegt wohl ein ähnliches Verfahren zugrunde, wobei zu beachten ist, dass es sich um einen Raubzug aus Rache handelte, bei dem vermutlich zunächst die ursprünglich Geschädigten entschädigt werden. Vgl. Sale 1963, 89: „Since the geras is granted as an indication of areté by society, by the vote of the Achaean warriors, it also functions as a status symbol, or as the Achaean would put it, as a sign of timé, honor.“ Ebenso Taplin 1992, v.a. 60. Dazu besonders Gottschall 2008, 61-99. Zu Helena als γέρας siehe Collins 1988, 41-45. Umgekehrt stellt der Verlust oder die Vergewaltigung der Frau eines Helden eine schwere Beleidigung dar, vgl. Il. 2,355-356; 3,301. Vgl. die Verwendung des Verbs δαμάζω/δάμνημι, das neben dem Bezwingen von wilden Tieren auf der Jagd oder dem Töten von Feinden auf dem Schlachtfeld auch die Vergewaltigung von Frauen bezeichnet, dazu Vermeule 1979, 101-103 sowie Schein 1984, 77. Als Beleg sei auf die Preise im Ringkampf bei den Leichenspielen des Patroklos verwiesen, wo Achill einen Dreifuß im Wert von 12 Rindern für den Sieger und eine Sklavin für den Verlierer aussetzt, die trotz ihrer Fertigkeiten – πολλὰ δ᾿ ἐπίστατο ἔργα – nur einen Wert von 4 Rindern hat (Il. 23,702-705). Zum Vergleich siehe Richardson 1993, 247 ad Il. 23,703, der anmerkt, dass in Il. 6,235-236 schon einer bronzenen Rüstung ein Wert von 9 Rindern beigemessen wird.

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I. Das homerische Heldenkonzept

zugedacht, den dieser weiter unter den Kämpfern seines eigenen Kontingents verteilt.567 Es muss angenommen werden, dass in der Kriegsbeute alle Gegenstände, die die Helden brauchen oder als Luxusgüter zur Verfügung haben, vorhanden sind, wie z.B. Achills Phorminx, die aus der Beute aus Eëtions Stadt Theben stammt (Il. 9,186-189). Es wird deutlich, wie eng Besitz und materieller Wohlstand eines homerischen Helden mit seiner Tapferkeit, seiner Kampfkraft und seinem sozialen Status zusammenhängen. Der Status eines homerischen Helden spiegelt sich immer in seinem Besitz wider, und somit ist es in Homers idealisierter poetischer Darstellung auch unmöglich, dass ein Held arm ist oder Mangel leidet, wie es in einer Kriegssituation wie dem Troianischen Krieg eigentlich realistisch zu erwarten wäre.568 I.4.3.2 Geschenke unter Freunden Da Ehre und Ansehen immer in materiellen Gütern oder Verpflichtungen zu Dienstleistungen bzw. Gefolgschaft gefasst wird, ist das homerische τιμή-System weitestgehend ein „Nullsummenspiel“, da jeder Gewinn eines Helden mit dem Verlust eines anderen einhergeht.569 Der Reichtum des Helden, die Manifestation seines Ansehens, ist mit seiner „politischen“ Macht verbunden, denn erst materielle Ressourcen ermöglichen es ihm, seine gesellschaftliche Überlegenheit zu demonstrieren. Diese Form der Selbstdarstellung erfolgt durch die Übergabe von Geschenken (δῶρα),570 und es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Streben nach Besitztümern und gesellschaftlicher Einflussnahme. 571 Grundlage dieser Vorgehensweise ist der Gedanke, dass der Geber den Empfänger mit seiner Gabe zu einer gleichwertigen Gegengabe verpflich-

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Vgl. Nowag 1983, 40-43. Zu diesem Aspekt siehe Shay 1994, 121-124. Auch dies entspricht der insgesamt idealisierten, selektiven Darstellung des Krieges in der Ilias. Vgl. Scodel 2008, 16-21. Allgemein zum homerischen Geschenkwesen siehe Qviller 1981, 120-127, Donlan 1981/82, 154-171 und 1982, 4-11. Vgl. v.a. Hooker 1989, 80: „It is beyond dispute that the heroes felt a passionate need to accumulate wealth in the form of slave-women, material objects, beasts, and so forth; and although they prized beauty in a concubine, a horse, or a tripod, they prized still more the mere fact of possession. Stores of treasure were indeed ’salted away’ (Finley’s happy expression); and the extent of these κειμήλια formed an important element in the assessment of a hero’s status. Nor can it be denied that the treasury at a chieftain’s disposal had a practical use as well. On occasion, when the exercise of force would not suffice to achieve a desired object, recourse was had to the contents of his treasury. Unless one were an Odysseus and could charm men, women, and even goddesses by one’s address, it was necessary to deploy material objects in certain well-marked and well-understood situations.“

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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tet. Dieser erleidet seinerseits eine Einbuße an Ansehen, wenn er im Gegenzug seine τιμή nicht demonstriert oder das Geschenk nicht erwidern kann. Als Geschenke fungieren meist bewegliche Prestigegüter (κειμήλια), doch auch Land kann verschenkt werden,572 oder das Gegengeschenk kann in Form bestimmter Leistungen erfolgen. Im Fall eines Landgeschenks besteht die Gegenleistung des Beschenkten, der sich durch die Annahme der Gabe in ein Abhängigkeitsverhältnis begibt, in Gefolgschaft und Heeresfolge.573 Diese Form der Demonstration des Reichtums eines Helden dient der Festigung der sozialen Strukturen der Gesellschaft. Der Empfänger erhält zusammen mit dem Geschenk die Verpflichtung zu einer Gegenleistung, doch nur in wenigen Fällen findet ein echter Austausch von Geschenken statt,574 und meist fordert der Geber des Geschenks die Gegenleistung in nicht-materieller Form. Bei der Bewertung eines Geschenks ist der relative Status von Geber und Empfänger von entscheidender Bedeutung, denn die Übergabe von Geschenken untermauert die bestehenden Hierarchien. Es gilt folglich drei soziale Konstellationen zu unterscheiden: (1) Der Held, der in der sozialen Hierarchie den höheren Rang bekleidet, beschenkt einen ihm untergeordneten Kämpfer, (2) der Mächtigere erhält ein Geschenk von einem Untergebenen, und (3) der relative Status zwischen den beteiligten Parteien lässt sich nicht zweifelsfrei ausmachen. 575 (1) In archaischen, prämonetären Gesellschaften gründet sich die Macht des Herrschers oftmals auf seine Großzügigkeit, mit der er sich im Gegenzug die Loyalität sozial niedriger stehender Mitglieder seiner Gemeinschaft sichern kann. Status resultiert aus Wohlstand, dessen Ressourcen dem Helden die Möglichkeit eröffnen, Geschenke zu machen, die ihm die Loyalität seiner Anhänger sichern und so sein Sozialprestige ausbauen.576 Die Fähigkeit, großzügige Geschenke zu machen, kann genutzt werden, um auf dem Wege ostentativer Darstellung von Wohlstand eine soziale Vorrangstellung anderen Helden gegenüber zum Ausdruck zu bringen.577

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Zu diesem Aspekt siehe Qviller 1981, 132-134. Vgl. van Wees 1998b, 41-47 zu diesem Phänomen in der Anthropologie. Zum Gabentausch siehe Hooker 1989, 80-82. Zum Zusammenhang von wechselseitigem Gabentausch und sozialem Status aus anthropologischer Sicht siehe van Wees 1998b, 29-33. Vgl. Donlan 1993, 6: „(...) every occasion of gift-giving in Homeric society was also a public declaration of the relative status of the participants. When political superiors give, their gifts are recognized as instruments of control; the obligations they create are obligations of service. And when a man of lesser renown gives to one of higher renown, the obligation created is the favor and goodwill of the superior. Competitive giving can occur only when relative status is uncertain or in contention.“ Vgl. Qviller 1981, 116-117, Donlan 1981/82, 166-169, Ulf 1990, 195-202 und Blum 2001. Zur Bedeutung materiellen Wohlstands für Herrscher allgemein siehe v.a. Donlan 1981/82, 154-171 und Stein-Hölkeskamp 1989, 43-50. Vgl. Qviller 1981, 111, 114-115 und Donlan 1982, v.a. 4-11.

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Denn je reicher und mächtiger ein Held ist (oder scheinen will), desto größer sind auch die Geschenke an Gefolgsleute und Standesgenossen, die von ihm erwartet werden können.578 Im Sinne des Prinzips der Wechselseitigkeit ist der Beschenkte zu einer Gegenleistung verpflichtet, die in der Ilias zumeist in Heeresfolge besteht.579 Ein Beispiel für das Vorgehen eines mächtigeren Helden, sich die Kampfesleistung eines Kriegers durch die Aussicht auf eine Belohnung zu sichern, ist das Versprechen des Agamemnon an Teukros, ihm nach dem Fall Troias ein besonderes Ehrengeschenk zukommen zu lassen (Il. 8,286291, hier πρεσβήιον). Agamemnon ist in der Lage, als Verteiler der Beute Geschenke nach Gutdünken und eigener Maßgabe zu vergeben. Auf dieser Funktion als „redistributor“ beruht seine Macht im griechischen Heer, die sich auch in Form des „Königsmahls“ als Zeichen der Großzügigkeit eines Herrschers gegenüber ihm untergeordneten Helden manifestiert.580 Dabei handelte es sich um eine exklusive Veranstaltung, bei der sozialer Status und relative Hierarchie eine wichtige Rolle spielten. Es findet im Haus des führenden Aristokraten statt (vgl. Il. 7,313: κλισίῃσιν ἐν Ἀτρείδαο), der dazu nur die ranghöchsten Helden einlädt. Das Treffen der führenden Helden gibt zudem oftmals Gelegenheit für Beratungen (Il. 7,313-325; 9,8993). Mit der Ausrichtung dieses Mahls ehrt Agamemnon in der Ilias seine besten Krieger und Berater und versichert sich so ihrer Loyalität und Kampfkraft. Die Teilnahme am Königsmahl ist eine hohe Ehre, die durch beständigen Einsatz auf dem Schlachtfeld verdient werden muss (vgl. Il. 4,341-346; 10,217).581 Die Bewirtung beim Königsmahl erfolgt auf Kosten des griechischen Heers, und militärisches Führertum und öffentliche Ehrung in Form von Speisung stehen in enger Verbindung (vgl. Il. 17,248-251). In Friedenszeiten obliegt die Bereitstellung von Speisen und Getränken für das Königsmahl dem Volk, das mit dieser Form des Tributs ihre Führer, die für ihren Schutz zuständig sind, angemessen ehrt (vgl. Il. 12,310-321). Der Wein, der dazu gereicht wird, trägt die Bezeichnung γερούσιος οἶνος „Ältesten- oder Ehrenwein“, und von ihm zu trinken war den ἄριστοι vorbehalten (vgl. Il. 4,257-264). Das Königsmahl ist somit ein elitäres und vom König einberufenes Festmahl zur Ehrung seiner besten Berater und Krieger, in dessen Rahmen ein Herrscher zudem einen Kämpfer, der sich besonders verdient gemacht hat, durch ostentativen Vorrang

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Vgl. Stein-Hölkeskamp 1989, 50-52. Zur Heeresfolge als Form von φιλότης siehe van Wees 1992, 44-48, zur Klassifizierung als χάρις siehe Wagner-Hasel 2000, 133-138. Vgl. auch Tandy 1997, 142-144. Zum Zusammenhang von Selbstdarstellung, Status und Mahl siehe van Wees 1995. Vgl. van Wees 1995, 165-166.

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bei der Fleischverteilung582 besonders ehren kann, und auch die Ehrung des Großen Aias nach seinem Zweikampf mit Hektor (Il. 7,321-322) findet beim Königsmahl statt. (2) Erhält ein mächtigerer Held ein Geschenk von einem Krieger niedrigeren Ranges oder vom Volk, so geschieht dies entweder im Rahmen der Beuteverteilung durch die Zusprechung eines höheren Anteils bei der Beuteverteilung (μοῖρα), eines Ehrengeschenks (γέρας), oder in Form einer Tributzahlung, wie der oben genannten Bewirtung für das Königsmahl. Die homerische Gesellschaft kennt weder Steuern noch festgesetzte, regelmäßige Abgaben, sondern nur „Geschenke“, die von einem Helden wohl auch eingefordert werden können.583 Die Übergabe des Pferds Aithe von Echepolos an Agamemnon, um der Heeresfolge zu entgehen (Il. 23,295-300), verweist auf eine Form von Tributzahlung. Damit verbunden ist die Anerkennung des höheren Status des Beschenkten, aus der wiederum dessen Verpflichtung resultiert, die Schutzfunktion gegenüber der Gemeinschaft gewissenhaft wahrzunehmen. Im Fall, dass sich das Geschenk als unverdient erweist und der Held seine Obligation nicht erfüllen kann, zieht er sich den Unmut seiner Untergebenen zu.584 In einer Ermunterungsrede des Hektor an seine Verbündeten wird deutlich, dass er sich deren Gefolgschaft beständig mit Geschenken und Ehrungen sichern muss, die er zuvor vom Volk der Troianer erfordert. Er finanziert ihre Loyalität aus Abgaben seines Volks und fordert als Gegenleistung für diese Ehrungen Kampfeinsatz von seinen Verbündeten (Il. 17,220-232). Es ist anzunehmen, dass die troianischen Verbündeten aufgrund von verwandtschaftlichen oder gastfreundschaftlichen Beziehungen die Troianer unterstützen, und auch die Institution der Gastfreundschaft lässt sich mit den Begrifflichkeiten der Wechselseitigkeit fassen, doch die Ilias bietet hierfür keine ausreichenden Informationen. Ein Anhaltspunkt findet sich allerdings im Brustpanzer des Agamemnon, der ein Gastgeschenk (Il. 11,20: ξεινήιον) des zypriotischen Königs Kinyras war, das dieser Agamemnon als Gunstbezeugung übergab (Il. 11,19-23).

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Die einzigen Nahrungsmittel, die bei Beschreibungen des Mahls bei Homer Erwähnung finden, sind Fleisch und Wein (Il. 4,345-346; 12,319-320). Helden ernähren sich bei jedem Mahl ausschließlich von gebratenem Fleisch, das als die angesehenste und prestigeträchtigste Speise gilt. Andere Gerichte, selbst Fisch und Geflügel, stehen nicht auf dem Speiseplan, vgl. dazu van Wees 1995, 159 und Davies 1997, 99. Vgl. Qviller 1981, 118-119, der bemerkt, dass die abnehmende Teilnahme führender Persönlichkeiten einer Gesellschaft an produktiven Tätigkeiten ein sicheres Zeichen für die langsame Institutionalisierung ihres Amtes ist. Vgl. Qviller 1981, 127-132 und van Wees 1992, 85-86.

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I. Das homerische Heldenkonzept

Ferner fällt auch die Beziehung der homerischen Götter zu den Menschen in diese Kategorie des „Schenkens“. Es finden sich eindeutige Anzeichen für die Einstellung, dass die Götter für die empfangenen Opfer auch eine Verpflichtung gegenüber den Menschen haben (do, ut des-Prinzip, vgl. z.B. das Gebet des Chryses in Il. 1,39-41). Mehrere Passagen zeigen, dass sich die Götter den Menschen verpflichtet fühlen und sich gegenseitig daran erinnern, wenn sie einander zur Unterstützung eines bestimmten Kämpfers auffordern (vgl. auch Il. 24,33-35). So verweist Hera Poseidon auf die Gaben, die er von den Griechen in Helike und Aigai erhalten hat, um ihn dazu zu überreden, für die Griechen in die Schlacht einzugreifen (Il. 8,201-204). (3) Für den Fall, dass der relative Status der Beteiligten bei einem Gabentausch im Unklaren liegt, gestaltet sich auch die Deutung des Vorgangs problematisch, wie im Falle des Rüstungstausches zwischen Diomedes und Glaukos (Il. 6,232-236). Die Episode zeigt die Bedeutung des Gabentausches auf, da sogar zwei Kriegsgegner als persönliche Gastfreunde auf dem Schlachtfeld kampflos auseinandergehen können, doch besteht durch den unterschiedlichen Wert der Gaben ein deutliches Ungleichgewicht: Diomedes erhält eine Rüstung aus Gold im Wert von 100 Rindern im Austausch gegen seine eigene Bronzerüstung, deren Wert mit nur 9 Rindern beziffert wird. Die Schwierigkeit der Deutung dieses ungleichen Tausches resultiert aus der Unklarheit der relativen Hierarchie der beiden Helden: Es wurde die Ansicht vertreten, dass Glaukos mit dem wertvolleren Geschenk doch noch seine (zumindest materielle) Überlegenheit gegenüber Diomedes demonstrieren kann und damit einen indirekten Sieg davonträgt.585 Da jedoch die Szene am Abschluss der Aristie des Diomedes steht und Diomedes unzweifelhaft der stärkere der beiden Helden ist und Glaukos im Falle eines Kampfes töten würde, scheint das Verhalten des Glaukos seine Anerkennung der Kampfkraft des Diomedes auszudrücken, indem er ihm seine goldene Rüstung gleichsam als Spolien kampflos zugesteht. Dabei kann er sein Gesicht wahren und erleidet außer dem materiellen Verlust keine Niederlage.586 Die Aussage des Dichters, Zeus habe Glaukos den

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So Calder 1984, 33-35. Dieser Deutung steht die Aussage des Dichters gegenüber, die Glaukos‘ Verhalten als Verblendung und Torheit darstellt (Il. 6,234). Calder 1984 beseitigt diese Schwierigkeit mit der Annahme, der Dichter habe den dieser Szene zugrunde liegenden Brauch selbst nicht mehr verstanden: „The swap of gold for bronze, I should suggest, is just such a Mycenaean raisin preserved in Geometric dough. (...) But the Geometric poet no longer understood the custom“ (S. 34). Für einen Forschungsüberblick zu diesen umstrittenen Versen siehe Calder 1984, 31-33. Vgl. auch die unentschlossenen Diskussionen bei Kirk 1990, 190-191, Stoevesandt 2008, 85-86 und Graziosi/Haubold 2010, 36-40. Vgl. Craig 1967, 243-244, Donlan 1989a, 12-15, Traill 1989, 302-305 sowie Alden 1996. Besonders deutlich Donlan 1989a, 15: „Diomedes is the victor and he symbolically despoils Glaucus.“ Ebenso auch Wagner-Hasel 2000, 91-98.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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Verstand geraubt (Il. 6,234), dass er sich auf diesen Tausch einließ, zeigt, dass Glaukos klaren Sinnes wohl nicht bereit gewesen wäre, die Überlegenheit des Diomedes anzuerkennen und ansonsten im Kampf gegen ihn gefallen wäre.587 Zeus‘ Eingreifen jedoch ehrt den siegreichen Diomedes und rettet dem unterlegenen Glaukos ohne Ehrverlust das Leben. In keinem der drei möglichen Fälle zeigen die beschenkten Helden Anzeichen von Dankbarkeit für die erhaltenen Gaben, da sie ihnen rechtmäßig und wegen ihrer Leistung oder ihres gesellschaftlichen Ranges zustehen. Gaben wie auch Dienstleistungen stehen immer in einem sozialen Kontext, und wenn ein Held Anrecht auf Geschenke oder Ehrbezeugungen hat oder diese sogar einfordert, besteht keine Notwendigkeit, sich über die damit jeweils verbundenen Verpflichtungen, die auf diese Weise schweigend akzeptiert werden, hinaus verbal erkenntlich zu zeigen.588 I.4.3.3 Zorn und Ehre Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass Besitz und Reichtum in der homerischen Gesellschaft immer als Symbole betrachtet werden müssen. Τιμή ist nur selten ein immaterielles Gut, sondern meist konkreter, materieller Wohlstand und bildet die Lebensgrundlage eines Helden. In vielen Fällen ist nicht der Materialwert eines Besitztums ausschlaggebend, sondern das „symbolische Kapital“, das in seiner Geschichte und der Art, auf die es sein Besitzer erworben hat, besteht. Der τιμή eines Helden kommt somit eine entscheidende Bedeutung zu, insofern als sie als Abstraktum seine soziale Stellung symbolisiert und als Konkretum die ökonomische Grundlage seiner Existenz bildet. Angesichts dessen ist es nachvollziehbar, dass jede Verletzung oder Missachtung der τιμή eines Helden einen Angriff auf seine gesellschaftliche Existenz konstituiert, dem es entschlossen zu begegnen gilt.589 Denn lässt es jemand gegenüber dem Helden – sei es absichtlich oder unabsichtlich – an der nötigen Ehrerbietung fehlen, reagiert der betroffene Held unmittelbar mit Unwillen und Zorn. Seine τιμή ist dabei modellhaft in konzentrischen Kreisen zu denken, in deren Zentrum er

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Vgl. Alden 2000, 305-308. Eine Ausnahme ist die Dankesrede des Nestor in Il. 23,626-650, der hier tatsächlich ohne besondere Motivation oder weitere Obligation ein Ehrengeschenk von Achill erhält und sich dafür ausschließlich mit seinen Worten erkenntlich zeigt. Vgl. auch die Behandlung der Dankbarkeit bei Hohendahl-Zoetelief 1980, 109-139 (davon 114116 zu Il. 23,647-650). Vgl. Adkins 1997, 702-706. Zu verletzter Ehre als Ausgangspunkt heroischer Gedichte siehe Bowra 1952, 61: „Honour is central to a hero’s being, and if it is questioned or assailed or insulted, he has to assert himself, since he would be untrue to his standards if he failed to do anything to prove his worth. This assumption lies behind most heroic poetry and gives to it its special atmosphere and outlook.“ Zu χόλος als Genre-Begriff siehe Walsh 2005, 197-201.

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selbst als Individuum steht. Aufopferungsbereitschaft für andere auf Kosten der eigenen Ehre ist somit kein Charakterzug eines homerischen Helden. Die persönliche Ehre eines Helden wird jedoch ergänzt durch die erweiterte τιμή, also das Ansehen und die Unversehrtheit seiner Familie, seines οἶκος, seiner Gefährten, seiner Vaterstadt oder seines Vaterlands.590 Bei einem Angriff auf seine τιμή wird die zornige Reaktion von einem Helden gleichsam erwartet, und ohne entschlossene Behauptung seiner Ehre könnte ein Held seinen Status nicht rechtfertigen.591 Somit liegt es in der Natur des Helden, aufbrausend und leicht reizbar zu sein (vgl. Il. 2,196: θυμὸς δὲ μέγας ἐστὶ διοτρεφέων βασιλήων),592 und das homerische Epos kennt mehrere, konzeptionell verschiedene Begriffe für Zorn:593 Neben χόλος, dem schnell aufflammenden Zorn, der nach sofortiger Satisfaktion strebt,594 erscheinen auch κότος, der schwelende, unnachgiebige Groll der Blutfehde,595 sowie μῆνις, die Sanktion für Verstöße, die bestehende Hierarchien in Frage stellen und damit die kosmische Ordnung bedrohen. 596 Davon tritt χόλος am häufigsten auf, wenn der Held mit plötzlichem Zorn auf einen Angriff reagiert.597 Dieser Zorn kann ebenso schnell, wie er aufflammt, auch beigelegt werden, im Fall von Rachezorn durch den Tod des Gegners, im Fall von Beleidigung durch einen Standesgenossen meist durch besänftigende Rede. So antwortet Odysseus auf die Vorwürfe der Feigheit gegen ihn selbst und Peteos aus dem Mund des Agamemnon (Il. 4,338-348) mit einer ärgerlichen Gegenrede (Il. 4,350-355). Zorn wird insbesondere im Gesichtsausdruck des Helden in seinem unheilvollen Blick deutlich,598 und die Augen des wütenden Helden leuchten oftmals wie Feuerschein (Il. 1,102-105; 8,349; 12,466; 15,607-608; 19,16-17). Im vorliegenden Fall blickt Odysseus Agamemnon „von unten herauf an“ (Il. 4,349: ὑπόδρα ἰδών), eine Reaktion, die ausschließlich großen Helden vorbehalten ist und

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Zu dieser Form des homerischen Patriotismus siehe Greenhalgh 1972. Vgl. v.a. van Wees 1992, 126-138 und Scodel 2008, 49-58. Vgl. Griffin 1995, 26-27. Zur Definition des Zornes siehe Cairns 2004, 14-20, zur Terminologie des Zornes in den homerischen Epen siehe Adkins 1969b, Considine 1966 und 1986, 53-55 sowie Cairns 2004, 21-39. Vgl. LfgrE IV, 1227-1239, Considine 1966, 22-23, Cairns 2004, 24-29 und Walsh 2005, 109-182. Vgl. LfgrE II, 1503-1504, Cairns 2004, 30-31 und Walsh 2005, 79-104. Vgl. LfgrE III, 187-190, Considine 1966, 16-22 und 1986 (mit Bibliographie) sowie v.a. Muellner 1996, 5-51. In dieser kosmischen Dimension ist μῆνις ein Zorn, der überwiegend Göttern zugeschrieben wird: So drohen z.B. die Missachtung von Opfern (Il. 5,177-178) sowie der Ungehorsam des Ares gegen Zeus (Il. 5,31-34) oder der Angriff des Diomedes gegen Apoll (Il. 5,444) göttliche μῆνις hervorzurufen. Vgl. die Statistik bei Considine 1966, 16. Zu diesem Aspekt siehe v.a. Rakoczy 1996, 42-53.

I.4 Anerkennung und Ehrerbietung

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besonderen Zorn signalisiert.599 Der wütende Blick erfolgt regelmäßig bei einer Verletzung des Anstands und der gewohnten sozialen Verhaltensnormen und beinhaltet immer eine Gewaltandrohung.600 Als Agamemnon den aufflammenden Zorn des Odysseus bemerkt (Il. 4,357: ὡς γνῶ χωομένοιο), nimmt er seine beleidigenden Worte sofort wieder zurück, und die Situation ist bereinigt (Il. 4,358-363). Wie auch der kurze Konflikt zwischen Hektor und seinem Bruder Paris zeigt, sind besänftigende Worte und die Rücknahme der Beleidigung (Il. 6,521-529) das Mindeste, was ein Held erwarten kann, wenn seine Ehre in Frage gestellt wurde.601 Wenn der Beleidiger nicht sofort die geforderte Ehrerbietung leistet, reagiert der gekränkte Held zunächst mit Drohungen und schließlich mit physischer Gewalt. Denn in dem Moment, da ein vermeintlicher Freund einem Helden die nötige Ehrerbietung verweigert oder ihn aktiv in seiner τιμή zu beschneiden sucht, wird er zu einem Feind und wie ein solcher behandelt.602 Angriffe auf die τιμή können verbalen Beleidigungen oder die Wegnahme des Eigentums bis hin zu tätlichen Angriffen auf den Helden umfassen,603 und der Gewalt, die ein Held für die Behauptung seiner Existenz und seines Status einzusetzen bereit ist, sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt.604 Wenn sich jedoch der Konflikt nicht einvernehmlich oder durch Gewalt bereinigen lässt, so ist ein weiteres Mittel der Entzug der Unterstützung für den Beleidiger.605 Die Ilias enthält Hinweise auf Streitigkeiten zwischen Priamos und Aineias (vgl. Il. 20,181-186), der sich daher aus Groll in der Schlacht in der letzten Reihe hält und nicht mitkämpft (Il. 13,458-461). Da von einem Helden erwartet wird, dass er sich als πρόμαχος an der Schlacht

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Vgl. Rakoczy 1996, 45. Die Formel ὑπόδρα ἰδών erscheint 17mal in der Ilias, davon fünfmal mit Bezug auf Achill (Il. 1,148; 20,428; 22,260, 344; 24,559), viermal auf Hektor (Il. 12,230; 17,141, 169; 18,284), dreimal auf Diomedes (Il. 4,411; 5,251; 10,446), dreimal auf Odysseus (Il. 2,245; 4,349; 14,82) sowie zweimal auf Zeus (Il. 5,888; 15,13). Vgl. Cairns 2004, 42-43 und Walsh 2005, 238-241. Für eine umfangreichere Betrachtung dieser Formel siehe Holoka 1983 und Rakoczy 1996, 44-45. Siehe auch Mueller 2009, 145, der bemerkt, dass Zorn die einzige Emotion ist, die regelmäßig am Beginn einer Gegenrede durch die Formel ausgedrückt wird. Zu dieser Form der Entschuldigung siehe Hohendahl-Zoetelief 1980, 3-20. Vgl. dazu Yamagata 1994, 135: „We can make out from this a very clear definition of a friend and an enemy. An enemy is a person who does not give you τιμή and/or takes it away from you. A friend is a person who gives you τιμή and/or shares it with you.“ Zu den Auslösern von χόλος siehe auch Walsh 2005, 141-182. Vgl. v.a. van Wees 1992, 61-165 zu Status und Gewalt. Peleus’ Mahnung zur φιλοφροσύνη an Achill (Il. 9,255-258) erscheint damit fast paradox, denn Zorn ist die angemessene Reaktion eines Helden auf jeden Angriff gegen seine Ehre, vgl. auch Scodel 2008, 20. Zum Thema des Heldenzornes und der Kampfverweigerung in griechischer Epik siehe Walsh 2005, 193-201 sowie Grossardt 2009, 58-64.

130

I. Das homerische Heldenkonzept

beteiligt, kommt die Zurückhaltung des Aineias effektiv der Kampfverweigerung gleich. Als Grund wird ein nicht näher bestimmter Groll gegen Priamos genannt (Il. 13,460: ἐπεμήνιε zu μηνίω/μῆνις). Auch als Hektor Paris in dessen Gemächern antrifft, ist seine erste Vermutung, Paris halte sich aufgrund eines Grolls von der Schlacht fern (Il. 6,321-331). Dieselbe Vorgehensweise ist auch im mythologischen Exempel des Phoinix ausgeführt, wo Meleagros sich aus Groll auf seine Mutter Althaia, die ihn verflucht hatte, aus der Schlacht zwischen Aitolern und Kureten zurückzieht (Il. 9,550-556).606 Da in diesen Fällen die Anwendung von Gewalt das Problem nicht lösen könnte, wird der passive Groll zum einzig gangbaren Weg. Entzug der Unterstützung oder Gefolgschaftsverweigerung im Verteidigungsoder Kriegsfall ist damit eine vergleichsweise friedliche Form der Konfliktaustragung.607 Somit ist die Behauptung des eigenen Ansehens das Recht eines Helden, und es wird gleichsam von ihm erwartet, sich gegen fehlende Ehrerbietung oder Entehrung mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen. Einer Beleidigung nichts zu erwidern, wäre vor dem Hintergrund andauernden Statuskampfes unter den Helden undenkbar.608 Daher reagiert die Gesellschaft nicht mit Sanktionen gegen den gekränkten Held, denn bei Statusrivalität handelt es sich um eine private Angelegenheit zwischen zwei Helden oder deren Familien, doch der Beleidiger trägt die Schuld an den Konsequenzen.

I.5

Ehre und Schande

In den bisherigen Betrachtungen wurde offenkundig, dass das Erlangen von Ehre, Respekt und deren Symbolen (τιμή) im (Wett-)Kampf mit anderen Aristokraten das Verhalten des Helden bestimmt. Der Wunsch nach anerkennender Nachrede in der Rede des Sarpedon (Il. 12,317-321) zeigt, dass in der homerischen Kriegergesellschaft der öffentlichen Meinung der Standesgenossen des Helden höchste Bedeutung zukommt, und daher strebt jeder Held danach, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Für das gesellschaftliche Ansehen des Helden sind jedoch nicht nur die offensichtlichen, kompetitiven Werte von Bedeutung, denn bisweilen wird auch

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Zum Motiv der Kampfverweigerung in der Ilias siehe Fenik 1968, 121-122. Vgl. Cairns 2004, 46-47. Zu Gefolgschaftsverweigerung als legitimem politischen Druckmittel siehe auch Nicolai 1993, v.a. 338-340. Aus den zornigen Reaktionen der Helden wird deutlich, dass Thersites kein wahrer Held, sondern vielmehr dessen Gegenbild darstellen muss: Obgleich seine Rede (Il. 2,225-242) viele Aspekte der Reden Achills aus Il. 1 aufgreift, kauert er sich auf die Schläge des Odysseus nur ohne Gegenwehr nieder (Il. 2,266-269), ein Verhalten, das für einen stolzen Helden vollkommen undenkbar wäre.

I.5 Ehre und Schande

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Kooperation von ihm erwartet.609 Eine strenge Unterteilung in primäre „competitive values“ und sekundäre „co-operative or quiet values“ lässt sich jedoch nicht vornehmen, da die beiden Sphären oftmals untrennbar miteinander verwoben sind.610 Auch auf dem Schlachtfeld wird von einem Helden Zusammenarbeit mit seinen Mitstreitern erwartet, wie sich in den Konsultationsszenen zeigt, wenn zwei Helden ein gemeinsames Vorgehen gegen einen übermächtigen Gegner planen (Il. 5,166-238; 11,309-319; 12,310-330; 13,455-469; 17,483-496),611 und Helden zeigen oftmals großen Einsatz, wenn es darum geht, einen gefallenen oder verwundeten Gefährten zu schützen (Il. 5,297-301; 8,80-112, 330-334; 13,419-423; 14,425-429; 15,425-428; 17,1-8, 132-139).612 Umgekehrt ist auch der Bereich der scheinbaren „quiet virtues“ oftmals von Wettstreit geprägt.613 Im Fall, dass ein Held die Erwartungen und Anforderungen seiner Gesellschaft nicht erfüllen kann, drohen ihm die schlimmsten Sanktionen der homerischen Kriegergesellschaft, üble Nachrede, Spott und Gesichtsverlust.614 Da für den Rang eines Helden die Meinung und sein gutes Ansehen in der Gruppe die entscheidende Bewertungsinstanz darstellt,615 wird die homerische Gesellschaft als „shame-culture“ bezeichnet,616 und aus dieser

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Vgl. die Unterteilung in „competitive values“ und untergeordnete „co-operative or quiet values“ bei Adkins 1960a, 30-57 sowie auch Adkins eigene Zusammenfassung 1960b, 23. Siehe Long 1970, 123-126 (mit Adkins’ Antwort 1971, 3-5) sowie Rowe 1983, 253-262 für unterschiedliche Kritikpunkte an Adkins Systematisierungsversuch. Vgl. Fenik 1968, 24-31. Vgl. van Wees 1996a, 16-21. Vgl. Classen 2008, 9-10. Siehe auch Scott 1981 zu „non-competitive attitudes“ als Handlungsmotivation. Vgl. Ulf 1990, 41-49 sowie die Ausführungen von de Jong 1987 über die τις-Reden der Ilias zur Bedeutung der (tatsächlichen oder imaginierten) Meinung anderer. Der Begriff „shame-culture“ steht im Gegensatz zur späteren, sich im Laufe des 5. Jhd. v. Chr. entwickelnden „guilt-culture“, in der die persönliche Beurteilung des eigenen Handelns durch das Individuum und sein „Gewissen“ diese Funktion ausübt, vgl. Dodds 1951, 17-18: „(...) American anthropologists have lately taught us to distinguish “shame-cultures” from “guilt-cultures,” and the society described by Homer clearly falls into the former class. Homeric man’s highest good is not the enjoyment of a quiet conscience, but the enjoyment of tīmē, public esteem: “Why should I fight,” asks Achilles, “if the good fighter receives no more τιμή than the bad?” And the strongest moral force which Homeric man knows is not the fear of god, but respect for public opinion, aidōs: αἰδέομαι Τρῶας, says Hector at the crisis of his fate, and goes with open eyes to his death. (...) In such a society, anything which exposes a man to the contempt or ridicule of his fellows, which causes him to “lose face,” is felt as unbearable.“ Vgl. auch die Zusammenfassung bei Lloyd-Jones 1987, 1, Bryant 1996, 3132 und Rutherford 1996, 42. Dieser Ansatz findet sich auch schon bei Jaeger 1954, 32: „Die absolute Öffentlichkeit des Gewissens bei den Griechen – in Wahrheit fehlt überhaupt ein unserem persönlichen Gewissen vergleichbarer Begriff im altgriechischen Denken – ist für den Modernen schwer vorstellbar.“

132

I. Das homerische Heldenkonzept

Einteilung ergibt es sich, dass sie auch als eine „results-culture“ bezeichnet werden kann, in der nur die Frage nach sichtbarem Erfolg oder Versagen Bedeutung besitzt.617 Neben der kompetitiven Ausprägung des Strebens nach τιμή, das den Helden antreibt, sich immer wieder in den Augen seiner Standesgenossen und seiner Gefolgsleute durch seine kämpferischen Fertigkeiten zu bewähren, sind auch soziale Kompetenzen, wie gegenseitiger Respekt und die Einhaltung etablierter Normen, für das Ansehen des Helden von Bedeutung.618 Die maßgebliche Instanz ethischer Verhaltensmaßstäbe sind nicht göttliche Vorgaben, sondern gesellschaftliche Konventionen, die im Begriff der αἰδώς zum Ausdruck kommen.619 Dabei handelt es sich um das Bewusstsein für richtiges und falsches Verhalten und die Verpflichtung gegenüber gesellschaftlichen Normen; deshalb wird αἰδώς oftmals als „Scham(gefühl)“ übersetzt, doch an vielen Stellen trifft auch eine Übersetzung als „Achtung (vor anderen und deren Ansprüchen)“ zu.620 In der Ilias sind jedoch auch die mit dem Begriff der αἰδώς zusammengefassten „gesellschaftlichen Tugenden“ auf die Situation auf dem Schlachtfeld bezogen: So ist es ein Zeichen von gegenseitigem Respekt, nicht zu fliehen, sich gemeinsam zum Kampf zu stellen und einander tapfer im Kampf beizustehen, und dieses kooperative Verhalten führt zu Ruhm und Sieg (vgl. Il.

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Zur „guilt-culture“ siehe Dodds 1951, 28-50. Ich übernehme die Begrifflichkeit von Dodds und englischer Terminologie von „shame-culture“ und „guilt-culture“, da die entsprechenden deutschen Übersetzungen, „Schamkultur“ bzw. „Schuldkultur“ die wichtige Doppelbedeutung von engl. „shame“ als „Schamgefühl“ und „Schande“ nicht ausdrücken können. Vgl. Adkins 1960, 35: „Success is so imperative that only results have any value: intentions are unimportant.“ Vgl. Long 1970, 138: „For the heroes would not be heroes, ἀγαθοί, unless they acknowledged in one another the possession of τιμή. (...) What motivates the ἀγαθός is not merely showing himself superior to the κακός, but outstripping his fellow ἀγαθοί. Hence the sensitivity of the heroes to their own τιμή. Prowess in war, status, wealth, due observation of the basic social conventions – these are the marks of τιμή and the targets of public opinion.“ Ebenso auch Edwards 1987, 152-154. Die aktuellste und umfangreichste Studie zur αἰδώς bei Homer findet sich bei Cairns 1993a, 48-146. Die fehlende Moralität der homerischen Götter hingegen hat zur Folge, dass sie kaum als ethische Instanzen fungieren können, vgl. Calhoun 1963, 448-451. Die ursprüngliche Bedeutung scheint hingegen wohl „religiöses Empfinden“ gewesen zu sein, vgl. Hooker 1987, 123-125 sowie LfgrE I, 279-280 zur Verwendung im Epos. Vgl. hierzu Cairns 1993a, 13: „Clearly, though, the notion of shame and respect are not totally unrelated; to feel inhibitory shame (aidōs is always prospective and inhibitory in the earliest authors) is to picture oneself as losing honour, while to show respect is to recognize the honour of another.“

I.5 Ehre und Schande

133

5,529-532 = 15,561-564).621 Helden tragen füreinander Sorge und unterstützen ihre Gefährten, wie Antilochos Menelaos gegen Aineias beisteht, als er sieht, dass dieser in Gefahr ist (Il. 5,561-575), Diomedes dem alten Nestor in seiner Bedrängnis zu Hilfe eilt (Il. 8,80-114) oder Menelaos den Großen Aias um Hilfe ruft, um den Leichnam des Patroklos schützen zu können (Il. 17,89-124). In diesen Fällen überlagern sich das individuelle Streben des Helden nach persönlicher Ehre und Ansehen (τιμή) mit Kooperation und Aufopferungsbereitschaft für die Kameraden, einer Ausprägung der αἰδώς. Am deutlichsten zeigt sich diese Verbindung von τιμή und αἰδώς bei Hektor, da in seinem Fall der Einsatz für seine Kameraden mit der Sorge für seine Familie und seine Stadt zusammenfällt.622 Diese Sonderposition ist darin begründet, dass er als einziger Held der Ilias in seinem normalen sozialen Umfeld auftritt.623 Damit ist Hektor im Rahmen der Ilias in einer untypischen Situation: Er kämpft als Verteidiger seiner Heimat nicht nur zum Gewinn von Ruhm und Ansehen, sondern auch für den Erhalt seiner Ehre in Form der Rettung des Herrschaftsbereichs seines Vaters sowie des Überlebens seiner Familie und seiner Landsleute.624 Damit ist er zwar wie alle Helden durch die Vorgaben des heroischen Verhaltenskodex und die Anforderungen von αἰδώς, τιμή und κλέος bestimmt, doch für ihn sind diese unmittelbar mit der Verteidigung seines Vaterlandes verbunden.625 Die komplexe Beziehung zwischen seiner Verpflichtung für seine Gesellschaft und seinem Streben nach individueller Ehre zeigt sich in seinen Überlegungen vor dem Kampf mit Achill (vgl. auch Il. 6,441-446): Il. 22,104-110: νῦν δ᾿ ἐπεὶ ὤλεσα λαὸν ἀτασθαλίῃσιν ἐμῇσιν, αἰδέομαι Τρῶας καὶ Τρῳάδας ἑλκεσιπέπλους, μή ποτέ τις εἴπῃσι κακώτερος ἄλλος ἐμεῖο· „Ἕκτωρ ἧφι βίηφι πιθήσας ὤλεσε λαόν.“ ὣς ἐρέουσιν· ἐμοὶ δὲ τότ᾿ ἂν πολὺ κέρδιον εἴη ἄντην ἢ Ἀχιλῆα κατακτείναντα νέεσθαι, ἠέ κεν αὐτῷ ὀλέσθαι ἐϋκλειῶς πρὸ πόληος.

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Zur Furcht vor dem Vorwurf der Feigheit vgl. Cairns 1993a, 69: „It is, therefore, the certain knowledge that one’s comrades will witness one’s actions and one’s reluctance to acquire a reputation for cowardice in their eyes that arouses aidōs.“ Ebenso auch van Wees 1996a, 21-23. Im Gegensatz dazu siehe v.a. Erbse 1978, 17-19, der in Hektor einen neuen, an die Erfordernisse der Polis angepassten Typ von Held zu erkennen glaubt. Vgl. Schein 1984, 173-179. Vgl. auch Clay 2009, 34, die im Kontrast zu Sarpedon, der auf Seiten der Troianer kämpft, aber aus dem weit entfernten Lykien stammt, feststellt: „Paradoxically, the paradigmatic hero fights far from home, not to defend his family and city, but solely to acquire honor and status.“ Vgl. Hellmann 2000, 77-79.

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I. Das homerische Heldenkonzept Jetzt aber, da ich das Volk verdarb durch meine Vermessenheit, schäme ich mich vor den Troern und schleppgewandeten Troerfrauen, dass nicht ein anderer, ein schlechterer als ich, einst sage: „Hektor vertraute auf seine Gewalt und richtete das Volk zugrunde!“ So werden sie sprechen. Doch dann wäre es für mich viel besser, entweder Mann gegen Mann den Achill zu töten und zurückzukehren, oder von ihm mit gutem Ruhm vor der Stadt bezwungen zu werden.

Der Monolog trägt deutliche Züge der ethischen Vorstellungen einer „shame-culture“, wie der Verweis auf die Schande vor anderen Mitgliedern der eigenen Gemeinschaft und die fingierte üble Nachrede in Form einer τις-Rede zeigen (Il. 22,107). Bei Hektor konkurrieren der Wunsch nach Ansehen und seine soziale Verantwortung miteinander, da ein Rückzug in die Stadt, der ihm den Vorwurf der Feigheit einbringen würde, sein Leben retten und sicherstellen würde, dass er auch weiterhin den Schutz Troias garantieren könnte. Dennoch fällt Hektor die Entscheidung, zugunsten seiner persönlichen Ehre im Feld vor der Stadt zu bleiben und den Kampf zu suchen, denn für den Fall, dass er Achill tötet, erwartet ihn eine erhebliche Steigerung seines gesellschaftlichen Ansehens (τιμή; vgl. Il. 6,446: μέγα κλέος). Im Zwiespalt zwischen eigenem Status und Einsatz für das Gemeinwesen entscheidet sich Hektor für seine individuelle Ehre und sein Ansehen. Nicht selbstlose Hingabe für das Wohl des Vaterlands, sondern die beiden Motivationsfaktoren von Ehre und Schande bedingen Hektors bezeichnende Entscheidung, die den Fall seiner Stadt und unendliches Leid für seine Familie und Freunde verursachen wird.626 Seine heroische Bereitschaft, einen edlen Tod zu sterben, steht sogar in Konflikt zu seiner Verpflichtung, durch den Erhalt seines Lebens sein Land weiterhin zu verteidigen,627 doch seine Entscheidung steht im Einklang mit seiner früheren Kampfparänese an seine Landsmänner, mit der er sie zur Bereitschaft ermahnte, für die Rettung der Heimat zu sterben (Il. 15,494-499). Hektors Entschluss zu einem ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld steht zudem im Einklang mit dem heroisch-individuellen Verhalten, das auch andere Helden zeigen und demgemäß individuellem Prestige der Vorrang gegenüber sozialen Überlegungen gegeben wird. Das Gefühl der αἰδώς wird durch das komplementäre Konzept der νέμεσις „Empörung“ ergänzt: Homerische Helden verspüren αἰδώς bei Handlungen, denen sie selbst mit νέμεσις begegnen würden.628 Die Auswir-

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Vgl. Zanker 1994, 140-143, Clay 2002, 9-11. Zum Befund, dass das Verfolgen bestimmter Ideale nicht zu den Ergebnissen führt, auf die selbige Werte ursprünglich ausgerichtet waren siehe Adkins 1997. Vgl. Alden 2000, 264-265 sowie Clay 2009, 36. Zur νέμεσις vgl. Calhoun 1963, 450, Scott 1980, Johnston 1988, 65-66, Cairns 1993a, 5154, Redfield 1994, 113-119, Cairns 2004, 33-38 sowie Scodel 2008, 19-21. So auch Cairns

I.5 Ehre und Schande

135

kungen der αἰδώς (bzw. der Furcht vor der νέμεσις anderer) auf den homerischen Helden ist zweifacher Natur, denn zum einen wirken sie beschränkend, indem sie ihn davon abhalten, aus Scham oder Bewusstsein der öffentlichen Missbilligung bestimmte Taten auszuführen, zum anderen aber stellen sie auch einen Antrieb zu Handlungen dar, die die Gesellschaft von ihm erwartet und bei deren Nichterfüllung sie mit Indignation und Ehrentzug reagieren könnte. Nur wenn ein Held den gesellschaftlichen Vorgaben entsprechend handelt, kann er seinem Rang gerecht werden, und insofern dient auch die Einhaltung der von der αἰδώς geforderten Verhaltensmaßstäbe dem gesellschaftlichen Ansehen eines Helden. Das Ansehen des Helden (τιμή) ist von der guten Meinung seiner Vertrauten (φίλοι) abhängig, und nur gegenüber anderen Helden, mit denen ihn ein φιλότης-Verhältnis (Freundschaft/Kameradschaft) verbindet, fühlt sich ein Held zu den durch die αἰδώς bedingten Handlungen, wie Respekt, gegenseitige Unterstützung, Schutz und Beistand im Kampf, verpflichtet. Der Zusammenhang zwischen angemessenem sozialen Verhalten (αἰδώς) und gesellschaftlichem Ansehen (τιμή) beruht auf den φιλότης-Verhältnissen zwischen einzelnen Mitgliedern einer Gemeinschaft, durch die deren gegenseitige Einschätzung für den gesellschaftlichen Stand eines Helden erst bedeutsam wird:629 Denn die φίλοι des Helden belohnen seinen Einsatz für sie mit ihrer Anerkennung, und folglich hat der Held bei jeder Handlung die Standards der Angemessenheit zu beachten und seine Standesgenossen zu respektieren.630 Wie jedoch Hektors Beispiel zeigt, sind die Erfordernisse der αἰδώς nur ein Bestandteil des Ansehens eines Helden, und wenn diese im Widerspruch zum Erringen von Ruhm auf dem Schlachtfeld stehen, wird der Form von τιμή, die ein Held durch das Erbringen von Leistungen auf dem Schlachtfeld gewinnt, der Vorrang gegeben.

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1993b, 218: „The reflexive pair, aidōs and nemesis, are the crucial ethical attitudes underpinning the reciprocal relationships of honour which structure social interaction in Homer.“ Vgl. auch Gagarin 1987, 290-292. Insofern ist auch αἰδώς kein Faktor bei der Annahme oder Ablehnung von Schlachtfeldhikesien, wie von Thornton 1984, v.a. 119-120 behauptet wurde. Vgl. Long 1970, 137: „To act appropriately is to show αἰδώς, to be sensitive to νέμεσις or ‘what people will say’. It is expected of the hero that he will display courage and prowess; hence the effectiveness in battle of appeals to his αἰδώς as a means of coercion. Certain family and social obligations are regarded in the same light; to fail to meet them is to risk depreciation of τιμή. But it is also expected of the hero that he show some respect for the τιμή of others.“ Ebenso auch S. 139: „The preservation of one’s τιμή is fundamental, but it depends on respecting the τιμαί of others, strangers, kin, as well as on acts of prowess.“

136

I. Das homerische Heldenkonzept

I.6

Der Tod des Helden

I.6.1

Der Heldentod und die letzte Ehre

Das Leben des Helden in der Ilias ist von Wettstreit und Krieg geprägt, und somit stellen auch Tod und Sterben einen zentralen Bestandteil der Erzählung dar und finden bisweilen sogar mehr Beachtung als der Kampf an sich.631 Der Gegensatz von Leben und Tod ist ein wichtiges Thema der Ilias,632 und Kampf und Tod begleiten den homerischen Helden von Jugend an (vgl. Il. 14,86-87). Außer dem greisen Nestor, der schon über die Generation seiner Enkel herrscht,633 und Idomeneus, der auch schon fortgeschrittenen Alters ist (Il. 13,361: μεσαιπόλιος; vgl. auch 13,481-486), befinden sich alle Helden auf der Höhe ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit und verfügen über die „Blüte der Jugendkraft“ (Il. 13,484: ἥβης ἄνθος, ὅ τε κράτος ἐστὶ μέγιστον).634 Alter wird prinzipiell als beschwerlich und nicht erstrebenswert dargestellt (z.B. Il. 8,103; 23,623: χαλεπὸν γῆρας; 5,153; 10,79; 18,434; 23,644: γήραϊ λυγρῷ), und wenn ein Held vor die Wahl zwischen Krankheit und einem gewaltsamen Tod im Kampf gestellt ist, zieht er es vor, im Kampf zu fallen (vgl. Il. 13,663-672).635 Der ideale Tod für einen Helden besteht darin, in ruhmreichem Kampf auf dem Schlachtfeld zu sterben (vgl. dazu Il. 22,71-76).636 Die Ilias ist ein Kriegsepos, doch der Krieg wird nicht glorifiziert, sondern poetisch stilisiert in all seiner brutalen Realität dargestellt.637 Krieg bedeutet Schmerz, Leid und Tod, und wird von den Helden als ein von den

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Siehe z.B. Pavano 1953, 298-319, Marg 1976 sowie Griffin 1980, 81-102. Vgl. Griffin 1980, 44: „The great theme of the Iliad is heroic life and death. What it is to be a hero is brought out by the terrible contrast between ‘seeing the light of the sun’ and ‘having one’s limbs full of movement’ on the one side, and the cold, dark emptiness of death on the other.“ Vgl. Marg 1976, 15-19 und v.a. Griffin 1980, 103-143 zum Pathos der homerischen Todesdarstellungen. Zum Alter des Nestor siehe Grethlein 2006b, 11-14. Vgl. Vernant 1991, 322-328. Obgleich Nestor während einer nostalgischen Reminiszenz ausführt, dass der Kampf jüngeren Helden vorbehalten sei, während ein alter Held ihnen nur noch durch seine Erfahrung als Ratgeber beistehen soll (Il. 4,321-325), ist er dennoch als Herrscher und aktiver Kämpfer dargestellt (vgl. Il. 10,73-79). Hierin zeigt sich „das frühgriechisch-aristokratische Ideal des mannhaften Fürsten, der lieber den Heldentod stirbt als kampflos altert“ (Brandt 2002, 18), ebenso auch Johnston 1988, 59-60. Dennoch verweisen einige Nekrologe auf das Motiv der mors immatura, so z.B. Il. 4,474-479; 8,302-308; 11,241-245; 17,300-303. Vgl. v.a. Renehan 1987, 105-107. Der Krieg trägt bei Homer Epitheta wie z.B. στυγερός „verhasst, leidvoll“ (Il. 4,240; 6,330; 19,230), πολύδακρυς/δακρυόεις „tränenreich“ (Il. 3,165 bzw. 5,737; 8,388; 17,512), λευγαλέος „kläglich“, „elend“ (Il. 13,97), δυσηλεγής „schmerzvoll“ (Il. 20,154) oder ὀιζυρός „jammervoll“ (Il. 3,112) und wird mit Synonymen wie δαΐς λυγρή „verderbliche Schlacht“ (Il. 13,286; 24,739), φύλοπις αἰνή „schreckliches Getümmel“

I.6 Der Tod des Helden

137

Göttern verhängtes, notwendiges Übel angesehen, dem sie sich gerne entziehen würden. Doch Krieg stammt von Zeus, und dauernder Kampf gehört zum Dasein eines Helden (vgl. Il. 4,84; 10,70-71; 13,630-632; 14,8487).638 Der iliadische Held ist sterblich, und die Spannung, die zwischen der Nähe des Helden zu den Göttern und dem Wissen um die Unvermeidbarkeit des Todes besteht, ist charakteristisch für sein Wesen. 639 Götter und Menschen sind „nicht vom selben Stamm“ (Il. 5,441-442: οὐ ... φῦλον ὁμοῖον), und auch die Helden mit einem göttlichen Elternteil sind nicht unsterblich. Herakles, der in späterer Tradition für seine Aufnahme in den Olymp bekannt war, dient in der Ilias als Exempel dafür, dass niemand dem Tod entrinnen kann (vgl. Il. 18,117).640 Die Vorstellung einer Existenz nach dem Tod fehlt in der Ilias, und der Tod ist ein Schnitt, der das Leben des Helden vollständig beendet.641 Ein vorzeitiger Tod ist zwar ein tragisches Ereignis,642 doch die Akzeptanz der Gewissheit des Todes ist ein Kennzeichen des Helden, und trotz der Endgültigkeit des Todes stehen Helden ihrem Tod mit heroischem Gleichmut gegenüber und riskieren ihr Leben im Kampf (vgl. Il. 11,408-410; 12,326-328; 13,327; 17,227-228).643

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(Il. 4,15, 65, 82; 5,379, 496; 6,1, 105; 11,213; 16,256, 677; 18,171) oder φύλοπις ἀργαλέη „schmerzlicher Kampf“ (Il. 11,278) umschrieben. Für eine Übersicht über die homerischen Epitheta des Krieges und der Schlacht siehe de Jong 2004, 231-233. Zur homerischen Darstellung des Krieges siehe auch Hellmann 2000, 11-13. Vgl. Johnston 1988, 56-60 sowie Harrison 1960, 9: „(...) war in the Iliad is la condition humaine.“ Siehe jedoch auch ebenda 10-17 für die Vielschichtigkeit der homerischen Kriegsdarstellung. Vgl. auch die Blattmetapher des Glaukos in Il. 6,146-149, die Entstehen und Vergehen als natürlichen Vorgang darstellt, sowie Grethlein 2006a, 85-93 zu ähnlichen Formulierungen. Vgl. z.B. Griffin 1980, 92-93, Schein 1984, v.a. 67-84 oder Graziosi/Haubold 2005, 126127. Vgl. Kullmann 1985, 16-17. Auch die Dioskuren, Kastor und Polydeukes, sind tot und begraben (Il. 3,243-244), und Sarpedon, ein weiterer Sohn des Zeus, erhält ein angemessenes Begräbnis in seiner Heimat (Il. 16,419-507). Zum Tod des Sarpedon siehe v.a. Nagy 1983 und Clay 2009, 36-38. Die Odyssee, in der Menelaos als einzigem Helden ein Leben in der Elysischen Ebene verheißen wird (Od. 4,561-569), wobei er als Schwiegersohn des Zeus allerdings einen Sonderfall darstellt und es keine Hinweise darauf gibt, dass auch für andere Helden eine Aussicht auf dieses Schicksal besteht (vgl. Clarke 2004, 78 Anm. 17), während für Achill, den unbestreitbar bedeutendsten Helden, nach dem Tod nur ein tristes Unterweltsdasein bleibt (Od. 11,488-491). Die Werke und Tage Hesiods, die für alle Helden die Inseln der Seligen vorsehen (Erg. 169-170), zeigen, dass die sonstige epische Tradition offenbar eine Jenseitsvorstellung kannte, vgl. auch Griffin 1977, 42-43 sowie Edwards 1985b, 215-220, die beide im Vergleich mit späteren Traditionen konstatieren, dass die Ilias in dieser Hinsicht eine Sonderposition einnimmt. Zur „Zäsur des Todes“ siehe Grethlein 2006a, 155-159. Vgl. Pavano 1953, 313-319. Zum iliadischen Fatalismus siehe auch Johnston 1988, 1523, 58-59 und Bryant 1996, 36-38 zum Zusammenhang zwischen heroischem Fatalismus und iliadischer Religiosität.

138

I. Das homerische Heldenkonzept

Angesichts der Unentrinnbarkeit des Todes und des Fehlens einer Jenseitsvorstellung in der Ilias wird der angemessene Umgang mit seinem Leichnam besonders wichtig für den Helden, da er den Status widerspiegelt, den der betreffende Held zu Lebzeiten unter seinen Gefährten genoss und ein erster Ausdruck des Ruhmes ist, den der Held nach seinem Tod genießen wird.644 Nach dem Tod im Kampf muss der Leichnam des Helden zunächst vor Feinden gerettet werden, und der Einsatz, den seine Kameraden dabei zeigen, ist eine Ehrbezeugung,645 ebenso wie Waschung, Salbung und die rituelle Totenklage.646 Die ehrenvolle Bestattung bildet das letzte γέρας des Helden (vgl. Il. 16,456-457 = 16,674-675; 23,9: γέρας ... θανόντων), das letzte sichtbare Zeichen von Anerkennung, das einem Helden von seiner Gesellschaft zuteilwerden kann, und stellt ein wichtiges Anliegen des Kriegers dar (vgl. Il. 22,242-243).647 Der Grabhügel markiert den Ort des Todes eines Helden (vgl. das Grab des Tydeus in Theben, Il. 14,114; das Grabmal des von Hektor erschlagenen namenlosen Griechen, 7,89-90) und zeigt, dass der Verstorbene ein Heldenbegräbnis erhalten hat. Ein Grab

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Vgl. Scodel 2008, 24. Vgl. Edwards 1987, 267. Die bedeutenden Leichenkämpfe der Ilias sind um die Körper des Sarpedon (Il. 16,531-683) und des Patroklos (Il. 17) sowie die Rückholung von Hektors Leichnam (Il. 24). Der Schatten des Agamemnon in Od. 24,37-42 berichtet ebenfalls vom Leichenkampf um Achill. Zum Zusammenhang von Ruhm und Totenklage (γόος) siehe Easterling 1991. Vgl. Garland 1982, 69-70 sowie Redfield 1994, 175. Insbesondere die Bestattung des Patroklos in Il. 23,138-257 (dazu Garland 1982, 72-73, Edwards 1986, 86-90 sowie Petropoulou 1988, 482-491) zeigt, wie umfangreich das Ritual ausfallen konnte: Die Beisetzung eines Helden besteht daraus, dass zunächst der gewaschene und in ein Leichentuch gehüllte Leichnam zusammen mit Grabbeigaben, die seinen Status widerspiegeln (vgl. Mackie 2008, 80, der v.a. die Verbrennung der vier Pferde in Il. 23,171 als Statussymbol hervorhebt), in einem gemeinschaftlichen Ritual auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird (vgl. Il. 7,79-80; 15,359; 22,342-342: πυρὸς λελαχώσι θανόντα) und, nachdem das Feuer mit Wein gelöscht wurde, die Knochen in einem goldenen Gefäß mit einer Fettumhüllung aufbewahrt werden (vgl. Il. 23,249-257). Das Behältnis der Überreste wird in einer Art „Totenkammer“ geborgen, über der ein Tumulus aufgeschüttet wird (Il. 7,336, 435 et passim: τύμβος; 7,89; 24,801 et passim: σῆμα; 6,464; 11,114; 23,256: χυτή). Dieses vollständige Bestattungsritual ist ein Vorrecht der Helden und Vorkämpfer (γέρας), wohingegen alle anderen Gefallenen nur eine Kremation erfahren (vgl. Il. 1,52; 7,332-335, 408-410). Das Epos nennt nirgendwo eine Verpflichtung zur Bestattung der Toten, und an keiner Stelle findet sich ein Hinweis darauf, dass unbestattete Tote Möglichkeiten hatten, sich an Lebenden für eine fehlende Bestattung zu rächen, vgl. Garland 1982, 70-71. Die Durchführung und der Umfang des Bestattungsrituals scheinen auf die τιμή des Toten und die Trauer der Hinterbliebenen zurückzuführen zu sein, vgl. die Zusammenfassung bei Garland 1982, 76. Zudem sei angemerkt, dass auch im späteren Heroenkult dem Grab eine besondere Bedeutung als Mittelpunkt kultischer Verehrung zukam, vgl. z.B. Eitrem 1913, 11191120 und Graf 1998, 478-479. Dies dürfte auf die Ursprünge des Heroenkults im Ahnen- und Totenkult zurückzuführen sein, vgl. Eitrem 1913, 1127-1129.

I.6 Der Tod des Helden

139

bleibt als sichtbares Zeichen der Nachwelt erhalten und erweckt bei jedem Betrachter nicht nur die Erinnerung an den Toten, sondern auch an den Helden, der in der Lage war, ihn zu töten (vgl. Il. 7,84-90). Mit der Bestattung und dem anschließenden Leichenmahl wird auf zeremonielle Art das Ausscheiden des Helden aus der Gemeinschaft markiert. 648 Der Bestattung kommt eine hohe ideelle Bedeutung zu, und entsprechend ist die Verweigerung des Begräbnisses eine schlimme Entehrung und die Aussicht, dass der Leichnam eines Kämpfers nach dem Tod von Vögel und wilden Hunden gefressen werden, eine ernste Drohung (Il. 11,391-395, 452-455; 13,830832; 15,349-351; 17,127; 18,179; vgl. auch 11,161-162).649 I.6.2

Die Unsterblichkeit des Helden

Die Existenz des Helden besteht darin, sich Ansehen vor seinen Standesgenossen (τιμή) zu erringen, und der sicherste Weg zu Anerkennung und Reichtum in der Ilias ist der Gewinn des unmittelbaren, von den Göttern zuerkannten Ruhmes durch Heldentaten auf dem Schlachtfeld (κῦδος650 sowie εὖχος, wörtl. „Prahlen“). Folglich gilt das Töten der Gegner und siegreiches Überleben als Hauptanliegen eines Helden, doch wenn er einem stärkeren Gegner begegnet, ist auch ein heldenhafter Tod ehrenvoll (Il. 22,110: ὀλέσθαι ἐυκλειῶς).651 Wenn der Held dem sicheren Tod ins Auge sieht, zeigt er keine Resignation, sondern ist bestrebt, nicht kampflos zu sterben. Denn die letzte Möglichkeit zum Gewinn von unvergänglichem Ruhm ist der Tod, und für seine Bereitschaft, im Kampf zu sterben, hofft ein Held als Lohn für seinen Einsatz nicht nur auf die Rettung seines Leichnams und die ehrenvolle Bestattung durch seine Gefährten, sondern auch auf Nachruhm. Im Gebet des Aias an Zeus mit der Bitte, den Nebel zu zerstreuen, der sich auf das Schlachtfeld gelegt hatte, findet sich diese Haltung: Aias zeigt keinen Unwillen zu sterben, bittet aber darum, dass wenn er und andere Griechen schon sterben sollen, dies zumindest für alle sichtbar im Licht geschehen möge (Il. 17,646-647: δὸς δ᾿ ὀφθαλμοῖσιν ἰδέσθαι· / ἐν δὲ φάει καὶ ὄλεσον). Ein Tod in Dunkelheit wäre ruhmlos, da niemand von

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Siehe dazu Redfield 1994, 179-182. Vgl. Vermeule 1979, 103-107. Hektors Gesuch für ein explizites Abkommen zur Herausgabe des Leichnams vor dem Zweikampf mit Aias in Il. 7,77-96 zeigt, dass es sich hierbei um keine Selbstverständlichkeit handelt. Vgl. Frisk 1970, 40-41 sowie LfgrE II, 1574-1577. Vgl. Starr 1966, 60: „For some there is death, for some victory; but both victor and vanquished display valor, “wherein is the greatest might” (9.39).“ Zur Theorie des Heldentodes siehe Renehan 1987, 106-107, zur praktischen Umsetzung in der Ilias ebenda 107-115.

140

I. Das homerische Heldenkonzept

dem tapferen Todeskampf des Helden Zeugnis ablegen könnte. 652 Ein ruhmvoller Tod vor aller Augen hingegen entspricht der iliadischen Vorstellung eines guten Todes, und die Bereitschaft, für Ruhm (κλέος) zu sterben, zeichnet den homerischen Helden aus.653 Während die τιμή eines Helden die gesellschaftliche Anerkennung umfasst, die ihm zu seinen Lebzeiten in seinem eigenen sozialen Umfeld zusteht, ist κλέος als Ruhm für herausragende kriegerische Taten ein Wert, der den Tod des Helden überdauert und dafür sorgt, dass sich spätere Generationen an einen Helden und seine Taten erinnern (Il. 2,325; 7,91: κλέος οὔποτ᾽ ὀλεῖται; 9,413: κλέος ἄφθιτον).654 Um τιμή herrscht erbitterte Rivalität zwischen den einzelnen Helden, doch das Erlangen von unsterblichem Ruhm, der nach dem Tod des Helden für eine bleibende Erinnerung an ihn sorgt, steht außerhalb des agonalen Systems (vgl. Il. 5,172: κλέος, ᾧ οὔ τίς τοι ἐρίζεται ἐνθάδε γ᾿ ἀνήρ).655 Es besteht kein Wettkampf um unsterblichen Ruhm, doch das Verlangen danach ist für das Wesen des Helden bestimmend. Denn angesichts der Unausweichlichkeit und Endgültigkeit des Todes ist das ruhmreiche Andenken die einzige Form der Perpetuierung über den Tod hinaus656 und die einzige Form von Unsterblichkeit, die ein Held

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Ebenso muss eine Tat auch bekannt gemacht werden, um das Ansehen eines Helden zu vermehren. Es ist anzunehmen, dass dies auch eine Überlegung war, warum Tydeus, der Vater des Diomedes, nachdem er sich gegen einen Hinterhalt von 50 Kadmeiern behauptet hatte, einen am Leben ließ (Il. 4,397-398). Vgl. Pucci 1988, 143, 146 sowie v.a. Schein 1984, 69: „Heros in the Iliad signifies a warrior who lives and dies in the pursuit of honor and glory.“ Vgl. King 1987, 32, 88 und Scodel 2008, 23: „In some ways, kleos appears to be simply the extension of timē in space and time. Timē, manifest in face-to-face interaction, becomes good kleos when its object is not present and people still speak deferentially about him or her.“ Zu Recht wurde von Zanker 1994, 11-12 darauf hingewiesen, dass beständiger Erfolg im Kampf und ein heldenhafter Tod nicht der einzige Weg zu einer Verewigung im kollektiven Gedächtnis darstellt (vgl. Helena, Il. 6,356-358; Ganymedes, 20,231-235), doch ist dies der einzige, der für die iliadische Konzeption eines Helden von Bedeutung ist. Scodel 2008, 23 hebt zudem hervor, dass κλέος auch negativ sein kann (vgl. δυσκλέα in Il. 2,115; 9,22), wohingegen τιμή immer ein positives Gut darstellt. Vgl. King 1987, 32: „Timḗ is the more important component while one is alive; kléos is, of course, the more important after death.“ Ebenso auch Hellmann 2000, 74-75 und Silk 2004, 61-64. Der Begriff κλέος ist etymologisch der hom. ep. Verbform κλύω „hören“ zuzuordnen, sodass die Grundbedeutung wohl „Kunde“ oder „Erzählung“ war, die ebenfalls noch an einigen Stellen in der Ilias festzustellen ist (z.B. Il. 2,486; 11,21), vgl. Frisk 1960, 869-870. Ausgehend von der ursprünglichen Bedeutung „was man von jemandem hört“ kann der Begriff des κλέος auf alle Männer, Frauen und Gegenstände angewendet werden, die einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzen, sodass über sie (positiv oder negativ) gesprochen wird. Während ein Held somit zwar schon zu Lebzeiten berühmt und „in aller Munde“ sein kann, beschreibt κλέος als ein absoluter

I.6 Der Tod des Helden

141

erlangen kann.657 Um κλέος zu erlangen, wählt der Held den Weg des Kriegers und den damit verbundenen ehrenvollen Heldentod, denn im Idealfall erfolgt durch den Tod im Kampf ein Austausch des Lebens gegen unsterblichen Ruhm.658 Als Hektor sich Achill endgültig zum Kampf stellt, beschließt er, einen ruhmvollen Tod zu sterben (Il. 22,110: ὀλέσθαι ἐϋκλειῶς; 22,304-305: μὴ μὰν ἀσπουδεί γε καὶ ἀκλείως ἀπολοίμην, / ἀλλὰ μέγα ῥέξας τι καὶ ἐσσομένοισι πυθέσθαι). Es ist die Unausweichlichkeit des Todes, die den Helden zum Streben nach unsterblichem κλέος antreibt und damit sein ganzes Leben und Handeln bestimmt.659 Die Frage nach dem Glück des Menschen ist hingegen kein Thema der Ilias, und Ruhm ist alles, was ein Held von seinem Leben erwarten kann.660 Die Größe des homerischen Helden liegt somit in seiner Sterblichkeit begründet, und echtes Heldentum ist nur für Menschen möglich;661 ein unsterblicher Held müsste und würde nicht kämpfen (Il. 12,322-325).662 Dies ist der bestimmende Unterschied der Helden zu den unsterblichen und sorglosen Göttern, von denen sie sich ansonsten nicht in ihren Qualitäten, sondern nur in deren Quantität unterscheiden. Krieg, Leid und Tod sind menschliche Angelegenheiten (Il. 6,492; 20,137: πόλεμος δ᾿ ἄνδρεσσι μελήσει), und es ist ein Paradoxon im Wesen des Helden, dass er sterblich ist und sterben muss, um Unsterblichkeit zu erlangen: „The heroic code thus channels the vital energies of the heroes into the paradoxical search through killing and self-annihilation in war for

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Wert in der Ilias jedoch meist konkret seinen bleibenden Ruhm, vgl. Redfield 1994, 30-35 und Pucci 1997, 208-212. Vgl. dazu Redfield 1994, 101: „The hero is in a sense rescued from mortality; he becomes godlike in status and immortal in the memory.“ Vgl. Crotty 1994, 42-44 sowie Clay 2002, 7: „For according to the Iliad, being a hero is not constituted by what is usually thought of as bravery, that is fearlessness. Rather, heroism means finally being stripped of all illusion, of all hope, and looking death in the face and being prepared to die.“ Vgl. Claus 1975, 21-22. Vgl. Rubino 1979, 13: „What we might call the logic of heroism demands the rejection of human life: the hero dies in order to live forever in glory; he loses his life in order to save it.“ Pointiert formuliert von Dodds 1951, 29: „For in the Iliad heroism does not bring happiness; its sole, and sufficient, reward is fame.“ Vgl. auch Johnston 1988, 91-92 und Crotty 1994, 16: „Epic poetry is essentially a “memory of griefs”; it is the fulfillment to which the characters within the poem look forward.“ Sehr gut herausgearbeitet bei Schein 1984, 67-88. Zu dieser Stelle siehe auch Clarke 2004, 77-78. Vgl. Benardete 1968, 49-50: „The desire for immortal fame animates the heroes because no higher ambition is open to them. They cannot become immortal (cf. 13.54, 825-28, 7.298, 24.258-59). (...) The consciousness of mortality underlies the desire for immortal fame.“ Ebenso Vermeule 1979, 122: „(…) they (d.h. die Götter) are empty of a kind of promise implicit in Greek heroic manhood.“

142

I. Das homerische Heldenkonzept

something that will transcend time and fate. The warrior becomes most truly famous only when he has perished.“ 663 Unsterblicher Ruhm und bleibende Erinnerung sind jedoch Abstrakta, die – wie auch die τιμή des Helden – eines konkreten Ausdrucks bedürfen. Das Medium des Andenkens kann materiell sein, wie ein Grabhügel, der dem Helden als letzte Ehrbezeugung und Zeichen seines Ruhmes zusteht.664 In Hektors Hoffnung auf einen Sieg im Zweikampf gegen Aias findet sich eine Inversion der üblichen Betrachtungsweise, da das Grabmal nicht an den Gefallenen erinnert, sondern als Symbol des Ruhmes dessen, der ihn überwinden konnte, gedeutet wird (Il. 7,87-91).665 Ein Grabmal als Fokalisationspunkt des Ruhmes kann jedoch die Erinnerung nicht dauerhaft bewahren, wie die Anweisung Nestors an seinen Sohn Antilochos zeigt: Nestor beschreibt die Wendemarke des Wagenrennens bei den Leichenspielen des Patroklos, zwei weiße Steine, „entweder das Grab eines Mannes, der vor Zeiten gestorben, oder als Wendesäule errichtet bei den früheren Menschen“ (Il. 23,329-332). Wenn nicht einmal Nestor die Geschichte des Mals kennt,666 wird darin die Vergänglichkeit materieller Erinnerungsträger exemplarisch deutlich.667 Materielle Hinterlassenschaften können dem Vergessen oder dem Zahn der Zeit zum Opfer fallen, und ein Medium, dem Dauerhaftigkeit beschieden sein soll, muss immer wieder erneuert werden. Dies ist bei der mündlichen Tradierung von Erzählungen der Fall, die von Generation zu Generation weitergegeben werden können.668 Den Menschen des homerischen Epos ist bewusst,

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Johnston 1988, 69. Ebenso auch Rubino 1979, 14: „The central paradox of the Iliad is that it is death which gives significance to life.“ Vgl. von Reden 2003, 27-29. Zu den Medien des Ruhmes siehe auch Grethlein 2006a, 145-150. Vgl. Pavano 1953, 299, Graziosi/Haubold 2005, 132 sowie Grethlein 2006a, 227-228. Die Bedeutung des Grabmals im homerischen Epos weist vielleicht auf den späteren Heroenkult voraus, der sich oftmals auf das Grab des Helden zentrierte. Zu Nestors Funktion als Bewahrer der Erinnerung an Vergangenes siehe Turkeltaub 2010, 133. So auch Buchan 2012, 101: „Fame depends upon the legibility of signs, semata, and semata are relentlessly effaced by time itself.“ Siehe ebenso Il. 2,791-794, wo das Grab des Aisyetes nur als erhöhter Aussichtspunkt für einen Späher dient sowie Il. 2,811814, wo von einem Grabhügel die Rede ist, über den Namen des Toten jedoch Unstimmigkeit besteht. Zur Vergänglichkeit von Gräbern wie auch der achaischen Schiffsmauer (Il. 12,17-30) als materiellen Erinnerungsträgern siehe Ford 1992, 138157 sowie de Jong 2006, 198-202. Siehe auch Danek 2010, 68-70, der hierin eine bewusste Negation des Heroenkults sieht, dessen Mittelpunkt häufig die Grabstätte des Heroen bildete. Vgl. auch Patzer 1996, 216-217, der zwei Formen von κλέος unterscheidet, das normale Hörensagen und ein poetisches κλέος in Form von Heldendichtung. Da

I.6 Der Tod des Helden

143

dass ihre Taten Stoff für dichterische Erzählungen späterer Generationen sein werden (vgl. Helena in Il. 6,358: ἀνθρώποισι πελώμεθ᾿ ἀοίδιμοι ἐσσομένοισι). Erzählungen früherer Ereignisse werden als κλέα ἀνδρῶν ἡρώων (Il. 9,189, 524-525) bezeichnet, und ihre Darbietung kann in performativem Kontext mit musikalischer Untermalung erfolgen (vgl. Il. 9,185189). Achill ist der einzige Held der Ilias, der sich als Sänger betätigt, und es ist besonders bezeichnend, dass er dies zu einem Zeitpunkt tut, da er selbst nicht an den Kämpfen teilnimmt, und die Leier, auf der er dabei spielt, aus dem Beutegut der Einnahme von Thebe stammt und damit ein Zeugnis seiner kriegerischen Taten und ein Zeichen seiner ἀρετή und τιμή ist (Il. 9,186-188).669 Der Inhalt seines Gesangs, die „Ruhmestaten der Männer“ (Il. 9,189: κλέα ἀνδρῶν), bezeichnet offenbar epische Heldendichtung, die damit zwar nicht die einzige, aber unzweifelhaft die wichtigste Ausdrucksform des κλέος des Helden darstellt.670 Die Gattung des homerischen Epos ist darin selbstreferentiell und legitimiert sich auf diese Weise selbst.671 Dem epischen Dichter kommt dabei besondere Bedeutung zu, da er durch seinen Gesang den Helden die Unsterblichkeit verleihen kann, die ihnen von Natur aus verwehrt ist.672 Aufgrund seiner Sterblichkeit bleiben dem Helden nur Ruhm in den Gesängen der Dichter und die Erinnerung späterer Menschen, um sich zu verewigen und Unsterblichkeit zu erlangen. Schweigen, Vergessen und

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jedoch epische Dichtung innerhalb der homerischen Epen ein bekanntes Medium der Informationsspeicherung darstellt, ist diese Unterscheidung m.E. nicht nötig. Siehe dazu Johnston 1988, 79: „More important than the artistic beauty of the instrument or the song, (...), are the facts that the harp is a battle trophy and that the lyric celebrates ancient fighting heroes.“ Siehe Gehrke 2010, 44: „Das ist der Kern der Heldenverehrung bei den Griechen: Sie vollzog sich vornehmlich in literarischer Form, also in der wiederholten performance. Eben das brachte dauerhaften Nachruhm; und auf diese Leistung war – nebenbei gesagt – auch der Dichter stolz, weil er der Garant des Nachruhmes war. Und daraus resultiert im Übrigen die Wertschätzung des Ästhetischen bei den Griechen.“ Vgl. auch Rubino 1979, 15-18, Edwards 1985a, 71-73, Martin 1989, v.a. 238-239, Ford 1992, v.a. 59-60, Hainsworth 1993, 88 und Wilson 1996, 225 ad Il. 9,189, Currie 2005, 71-84, Grethlein 2006a, 139-145 sowie v.a. Nagy 1999, 97: „κλέος is used in epic diction to designate the epic tradition itself.“ Vgl. de Jong 2006. Außerhalb der Epen Homers bezeichnet ἥρως entweder einen gestorbenen oder einen unsterblichen Mann, der als Kultheros verehrt wird, während der homerische ἥρως ein lebender Mensch und ein ausgezeichneter Krieger ist, der nach unvergänglichem Ruhm strebt. Beide Typen von ἥρωες in der griechischen Kultur sind über ihre „Unsterblichkeit“ verbunden, die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise ihren Ausdruck findet. Vgl. Nagy 1983, 202: „(...) The theme of a hero’s immortalization has been shifted from the the realm of cult to the realm of epic itself. Accordingly, Homeric poetry tends not to speak in a direct fashion about immortalization because Homeric poetry presents itself as the very process of immortalization.“ Siehe auch Silk 2004, 63-64.

144

I. Das homerische Heldenkonzept

das Fehlen des Nachruhmes sind der echte Tod des Helden und somit ist er auch dann erst tatsächlich tot, wenn sich niemand mehr an ihn erinnert und seiner Taten gedenkt.673 Für den Helden ist es daher von höchster Bedeutung, durch das Erbringen von Heldentaten dafür zu sorgen, dass sich künftige Generationen an ihn erinnern.674 Der Held ist sich seiner Vergänglichkeit bewusst (vgl. Il. 6,146-149) und versucht durch beständiges Streben nach Ehre und Ruhm seine Sterblichkeit zu kompensieren 675 und durch die Verewigung in epischer Heldendichtung Unsterblichkeit zu erlangen. Als der wichtigste Weg zur Auszeichnung und damit Erringung von κλέος fungieren Leistungen im Kampf und Tod auf dem Schlachtfeld, denen daher in der Ilias besonderer Stellenwert beigemessen und dementsprechend breiter Raum gegeben wird.676

I.7

Schlussfolgerungen: Der iliadische Held

In den obigen Ausführungen wurde deutlich, dass sich aus der Ilias ein einheitliches und konsistentes Bild der Gesellschaft der Helden hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer Wertewelt erstellen lässt. Unbenommen jeglicher Möglichkeit einer historischen Einordnung der homerischen Gesellschaft oder ihrer unbestreitbaren Beziehungen zur Lebenswirklichkeit im frühen Griechenland steht jedoch die Person des einzelnen Helden und die Verherrlichung seiner Taten im Mittelpunkt des Epos. Damit lässt sich nun abschließend folgende Beschreibung eines homerischen Helden geben: Der Held ist ein Mann in bestem Alter und von edlem Aussehen, der zum einen als Sohn, Ehemann und Vater fest in sein soziales Umfeld integriert ist, zum anderen als Fürst und Herrscher bestimmte Funktionen für seine Gesellschaft wahrnehmen muss. Er ist ein tapferer Kämpfer in Kriegszeiten und im Verteidigungsfall, wenn er sich für seine Gemeinschaft einsetzt, und in Friedenszeiten wird von ihm erwartet, dass er als Berater die Angelegenheiten seines Volks überwacht. Er

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Vgl. auch Vernant 1991, 319-321 sowie Ford 1992, 55: „According to Homeric eschatology, after death the heroes‘ bodies are destroyed in one way or another, and their souls fly off to Hades, the realm of the unseen. The fundamental promise of his poetry is the paradox of restoring through mere voice these vanished heroes (...) to visibility.“ Dies setzt ein Geschichtsbewusstsein voraus, und die Helden sehen sich selbst als ein Teil der „Geschichte“ (vgl. Il. 6,358 vorwärts weisend, 20,145-148 rückwärts weisend). Zum Geschichtsdenken der Ilias siehe v.a. Grethlein 2006a, 42-153. Vgl. Marg 1976, 16-19, Schein 1984, 69-72, King 1987, 6 sowie ausführlich Grethlein 2006a, 114-153. Zu den „ethischen Vorzugswerten“ von „Ehrliebe“ und „Ruhmesliebe“ eines homerischen Helden siehe Bielohlavek 1957, 38-40. Darin besteht auch ein Unterschied des epischen Helden zum Helden des Kults, vgl. van Wees 2006, 370-375. Vgl. v.a. Griffin 1980, 89-96 und Edwards 1985a, 73-79.

I.7 Schlussfolgerungen

145

stellt seine persönliche Ehre und deren sichtbaren Ausdruck in Besitz und Ehrbezeugungen über alles, wobei dieser starke Individualismus oftmals auch die Ehre der Familie und anderer Mitglieder der eigenen Gemeinschaft miteinbezieht. Ferner versucht der Held unablässig, seine Sterblichkeit durch das Erlangen ewigen Ruhmes auf dem Schlachtfeld zu überwinden.677 Daraus ergibt sich ein Kanon an Eigenschaften, über die ein homerischer Held verfügen muss, um als Held erkannt und anerkannt zu werden,678 und indem Helden über bestimmte Kennzeichen in verschiedenen Maßen verfügen, entstehen unterschiedliche Hierarchien innerhalb der heroischen Gesellschaft. Die Kennzeichen des Helden können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Einerseits angeborene Kennzeichen wie Abstammung, Alter und Ahnenreihe sowie die daraus resultierende Herrschaft, andererseits individuelle Leistungen im Kampf und im Rat, die insgesamt als ἀρετή bezeichnet werden und zur Legitimierung und Behauptung der Herrschaft erforderlich sind. Die Kennzeichen der ersten Gruppe sind unveränderlich, da sie nicht unmittelbar beeinflusst werden können. Die zweite Gruppe besteht aus individuellen und relativen Fertigkeiten, die beständig gegenüber den Standesgenossen unter Beweis gestellt werden müssen. In der Gesellschaft des Helden erfolgt dies meist in ritualisierter, freundschaftlicher Form, während der Held gegenüber Feinden seine kämpferische Überlegenheit in blutigem Kampf behaupten muss. 679 Diese Dichotomie ist charakteristisch für das homerische Statussystem, doch aus der Diskrepanz dieser beiden Wertesystemen, dass sich der politische Status eines Helden nicht mit seinen Fähigkeiten deckt, entsteht in

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Vgl. die Definition bei Finley 1975, 115 sowie Finkelberg 1995, 1: „The Iliad proceeds from an idea of hero which is pure and simple: a hero is one who prizes honour and glory above life itself and dies on the battlefield in the prime of life.“ Dieses Ideal ist in Sarpedon realisiert, der als Sohn des Zeus eine vollkommene Verbindung von edler Abkunft und Kampfkraft darstellt und dafür sowohl einen ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld als auch eine angemessene Bestattung in der Heimat erfährt, vgl. Clay 2009, v.a. 33-38. Vgl. die übersichtliche Zusammenstellung bei Patzer 1996, 165: „1. Körperkraft (und Schnelligkeit), 2. äußerliche Schönheit, 3. Gewandtheit und Übung im Waffengebrauch, 4. allgemeine Wehrkraft (ἀλκή, bestehend aus Kraft, Gewandtheit, Mut und Tapferkeit), 5. praktische Klugheit, 6. Herrschaft über Nicht-Adelige, 7. Abkunft von Vorfahren, die über dieselben Tüchtigkeiten verfügten.“ Vgl. v.a. Wilson 2002b, 109-110: „(...) in Homeric society conflict among philoi is ideally controlled and contained by displacing it onto ritualized conflict such as public speeches, gift exchange, and athletic competition or fighting with the enemy in battle. Ritualized conflict in a timē-based system produces a hierarchy and, hence, an ordered and stable society under the leadership of the best (aristos). But in Homeric society there also exists a second model, a fixed ranking system in which the best is determined and authenticated politically, not agonistically.“

146

I. Das homerische Heldenkonzept

der agonal geprägten homerischen Gesellschaft zusätzliches Konfliktpotential (vgl. Il. 10,235-239).680 Das Bild, das sich aus der Ilias gewinnen lässt, ist weitestgehend idealisierend, insofern als die bedeutendsten Herrscher alle zugleich auch ausgezeichnete Kämpfer sind, gibt jedoch kämpferischen Fertigkeiten gegenüber ererbter politischer Macht besonders breiten Raum, und individuelle Leistung im Krieg erscheint als die wichtigste Legitimation für Status, Ehre und gesellschaftliche Anerkennung (τιμή) wie auch Ruhm und Andenken nach dem Tod (κλέος). In Verbindung mit dem agonalen Prinzip ergibt sich daraus zwangsläufig, dass der Held beim Ausbleiben der geschuldeten Ehrerbietung für die Gesellschaft, mit deren Schutz er eigentlich betraut ist, zur Gefahr werden kann. Im Falle eines Konflikts zwischen persönlicher Ehre und dem Wohl der Gemeinschaft gibt ein Held der individuellen Selbstbehauptung den Vorrang. Jeder Held der Ilias ist als Kämpfer immer ein Mann der Gewalt, und muss es sein, um seine Position behaupten zu können.681 Dieses Gewaltpotential findet seinen Ausdruck in Aggressivität gegenüber Konkurrenten und häufiger Kriegführung, durch die der Held nicht nur seine kämpferische Vortrefflichkeit immer wieder unter Beweis stellen, sondern auch seine materielle Machtbasis durch Beute und Raubzüge erhalten kann. So lange der Held siegreich ist, decken sich seine individualistischen Tendenzen mit den Interessen der Gemeinschaft, doch erleidet der Held eine Niederlage oder verweigert den Kampf, leidet seine Gemeinschaft mit ihm.682

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Siehe Donlan 1979, 51-66 zu konkurrierenden Ansprüchen von Autorität in der homerischen Gesellschaft. Zur Ambivalenz des Krieges in der griechischen Literatur allgemein siehe Gehrke 2010, 41-54. Vgl. auch Qviller 1981, 145, der davon ausgeht, dass die aus dem andauernden Streben nach Reichtum resultierende Gefahr für die Gemeinschaft das ohnehin schwache homerische Königtum so weit schwächte, dass es letztlich zur Entwicklung der Polis kommen musste. Zum Widerspruch der iliadischen Adelsethik mit der Polis-Ideologie siehe Kullmann 1992c. Die Gefahr, die von einem Helden/Heros ausgehen konnte, spiegelt sich im späteren Kult, der Heroen auch als Schadensbringer kannte, siehe Merkelbach 1967, Graf 1998, 477 sowie Eitrem 1913, 1112-1118 für segen- wie verderbenbringenden Aufgabenbereiche der Heroen.

II.

Die Ilias und das heroische Ideal

Die Ilias ist nach eigener Aussage das Epos vom Zorn des Achill (Il. 1,1: Μῆνιν ... Πηληιάδεω Ἀχιλῆος) und handelt damit von einem traditionellen epischen Motiv.683 Folglich liegt die Annahme nahe, dass die Darstellung durch die Konventionen des griechischen Heldenepos determiniert wird.684 Es ist somit angemessen, vor dem Hintergrund des Idealbildes eines iliadischen Helden, das im vorangegangenen Abschnitt erstellt werden konnte, die spezifische Handlung der Ilias zu untersuchen. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Darstellungen stehen daher die Person des Achill und sein Bezug zu den anderen homerischen Helden.685 Denn zweifelsohne handelt es sich bei der Frage nach der Bewertung des Verhaltens des bedeutendsten Helden um ein zentrales Problem des Epos. 686 Zwar ist die Ilias zu komplex, um mit diesem Ansatz erschöpfend erklärt werden zu können, doch vermag der Vergleich mit dem normativen epischen Heldenkonzept sicherlich einige ansonsten nur schwer verständliche Passagen zu erhellen und zahlreiche Interpretationsperspektiven zu eröffnen. Da Statusrivalität und das Ringen um gesellschaftliche Anerkennung die zentrale Motivation für das Verhalten des Helden darstellen, gliedert sich das folgende Kapitel in zwei Abschnitte: Der erste Abschnitt behandelt den Machtkampf zwischen Achill und Agamemnon innerhalb des griechischen Heers und insbesondere vor den Augen ihrer eigenen „peer group“, der zweite Abschnitt befasst sich mit der Durchsetzung des Überlegenheitsanspruchs Achills gegenüber dem Kriegsfeind Hektor und den Troianern. Die Frage, die es dabei zu behandeln gilt, ist, ob das Handeln Achills im Rahmen des homerischen Heldenkonzepts typisch und repräsentativ ist, oder ob (und inwiefern) er eine Ausnahme darstellt. Die daraus resultierenden Beobachtungen ermöglichen dann eine Bewertung seines Verhaltens und vermögen es, darüber Aufschluss zu geben, wie der Dichter die Figur und den Charakter des Achill darstellen wollte.

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Siehe dazu ausführlich Grossardt 2009, v.a. 15-71. Vgl. auch Most 2004, 54: „(...) it is easy to think of the Iliad as being in essence the epic of anger.“ Zum Ilias-Proöm siehe zudem Redfield 1979 sowie Heitsch 1980. Vgl. Kirk 1962, 76-77: „In one sense the contents of the Iliad are immeasurably vast, since they range from heaven to hell; in another they are narrowly compressed, since little happens that is outside the limited scope of the heroic mentality and heroic ideals – brave deeds in battle, the desire for honour and conquest, plundering one’s enemies, honouring or trying to outdo the gods. In a sense almost nothing really unexpected happens in the Iliad.“ Zu Achill als Hauptperson der Ilias siehe auch Latacz 1995, 28-33. Vgl. Friedrich 1973, 120: „The main theme of the Iliad and, I would repeat, of many other early Indo-European epics, is the integrity of one or more of the major protagonists.“

II. Die Ilias und das heroische Ideal

148

II.1

Achill und Agamemnon

II.1.1 Der Auslöser des Streits Die Ilias beginnt nicht unmittelbar mit dem Zorn Achills, sondern mit dem Konflikt zwischen Agamemnon und dem Apollon-Priester Chryses, der mit der Bitte um die Auslösung seiner Tochter Chryseis an den griechischen Heerführer herantritt. Sein Vorgehen entspricht den Anforderungen des heroischen Verhaltenskodex, und er bietet Agamemnon an, die durch die Rückgabe entstehende Einbuße an τιμή durch materielle Rekompensation (Il. 1,13, 20, 23: ἄποινα „Freikaufsumme“) auszugleichen. Wider Erwarten weigert sich Agamemnon gegen den Willen des Heers, sein Beutemädchen Chryseis freizugeben (Il. 1,11-34). Er macht sich mit dieser Ablehnung in den Augen Achills des Vorwurfs der ἀναιδείη, des Mangels an angemessenen Umgangsformen, schuldig (vgl. Il. 1,149, 157; 9,372),687 da er weder vor dem Alter des Chryses, noch vor dessen Amt als Priester Respekt zeigt.688 Ferner setzt er sich eigenmächtig über den Willen des gesamten Heers hinweg (Il. 1,22-25), doch dies liegt durchaus in seiner Macht, da es sich bei dem Austausch um seine „private“ Angelegenheit handelt, und an keiner Stelle wird Agamemnon für die Entehrung des Priesters von anderen Griechen kritisiert. In seiner Verzweiflung über die Abweisung wendet sich der Priester Chryses an seinen Gott Apoll, auf den die Entehrung zurückfällt. Apoll schickt daraufhin eine Pest ins Heerlager der Griechen, um auf diesem Wege Vergeltung (ποινή/τίσις, vgl. Il. 1,42: τείσειαν) zu üben (Il. 1,35-52). Der Verlust an Kriegsvolk bedeutet für Agamemnon wiederum einen Verlust an τιμή, da seine Ehre als Heerführer mit dem Wohlergehen seines Heers verbunden ist.689 An dieser Stelle setzt der Streit zwischen Achill und Agamemnon ein.690 Nachdem Agamemnon neun Tage lang untätig bleibt,691 beruft Achill am zehnten Tag eine Heeresversammlung ein, um den Grund der Pest herauszufinden. Hierfür wird der Seher Kalchas befragt, der, nachdem ihm Achill Schutz vor Bestrafung zugesichert hat, verkündet, dass Agamemnons Entehrung des Chryses der Auslöser der Pest war: Erst wenn Agamemnon

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Vgl. auch Bassett 1934, 48-49, Taplin 1990, 79-80 sowie Seeck 1992, 7-11. Chryses wird als γέρων (Il. 1,26; 33) und γεραιός (Il. 1,35) bezeichnet, und höheres Alter wäre ein Grund für besondere τιμή. Schon daran lässt es Agamemnon mangeln, vgl. Spieß 1913, 153 und Bassett 1934, 48. Für eine ausführliche Analyse des Konflikts zwischen Agamemnon und Chryses vor dem Hintergrund des ἄποινα/ποινή-Themas siehe Wilson 2002b, 40-53. Vgl. Reinhardt 1961, 42-50, der von einer Motivdoppelung spricht und hier zwei Streite unterscheidet, einen „sakralen“ um Chryseis sowie den für den weiteren Handlungsfortgang wichtigeren „profanen“ um Briseis. Es scheint auffällig, dass Agamemnon sich nicht selbst früher um eine Klärung des Ursprungs der Pest und die Rettung des Heers gesorgt hat, vgl. Bassett 1934, 49-50.

II.1 Achill und Agamemnon

149

Chryseis ohne Freikaufsumme und ohne Lösegeld an ihren Vater zurückgegeben habe und Apollon zudem ein Hundertopfer dargebracht habe, werde das Heer der Griechen von der Pest befreit (Il. 1,53-100). Agamemnon reagiert unwillig, ist jedoch gezwungen, den Anweisungen des Sehers zu folgen und Chryseis ohne Rekompensation freizugeben, da er als Herrscher verpflichtet ist, für das Wohl des Heers zu sorgen.692 Es ist jedoch verhängnisvoll, dass es sich bei Chryseis nicht um ein beliebiges Beutemädchen, sondern um Agamemnons γέρας handelt, das seine Ehrenstellung im Heer symbolisiert. Durch diesen Verlust ohne materielle Rekompensation (ἄποινα), wobei er zudem noch durch den Zwang des Gottes gestraft wird (ποινή), erleidet Agamemnon empfindliche Einbußen an τιμή.693 Zum Ausgleich stellt er die Forderung nach einer neuen Ehrengabe an das Gesamtheer, für dessen Wohl er sich gezwungen sieht, sein bisheriges γέρας Chryseis an ihren Vater zurückzugeben (Il. 1,116-120). Er weist darauf hin, dass es sich nicht gehöre, dass er als Heerführer ohne ein Ehrengeschenk sei (Il. 1,118-119). Achill weist diese Forderung pragmatisch mit der Begründung zurück, dass momentan kein Gemeingut zur Verteilung verfügbar sei, denn Kriegsbeute wird vermutlich immer vollständig verteilt und nicht gelagert (Il. 1,123-125). Agamemnons Forderung ist nach den Vorgaben des heroischen τιμή-Konzepts berechtigt (vgl. Il. 1,118: ἐπεὶ οὐδὲ ἔοικε), doch Achill hält ihm entgegen, dass es ebenfalls nicht angemessen sei, dass das Heer bereits verteilte Ehrengeschenke zurückbringe (Il. 1,126: οὐκ ἐπέοικε). Dafür stellt Achill Agamemnon in Aussicht, das Heer werde ihm seinen Verlust nach dem Fall Troias drei- und vierfach zurückzahlen (Il. 1,122-129).694 Mit der Annahme dieses Angebots könnte Agamemnon den drohenden Streit trotz seines Fehlverhaltens gegenüber dem Priester abwenden, doch Kompromissbereitschaft in Fragen der Ehre ist kein Zeichen des Helden, und es steht zu vermuten, dass sein Einlenken weiteren Gesichtsverlust bedeuten würde.695 Stattdessen fühlt sich Agamemnon übervorteilt und droht, er

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Vgl. Jackson 1982, 7-9 sowie oben I.1.1. Siehe auch allgemein Bowra 1952, 105: „The hero is usually a leader of men and feels an obligation towards those under his command.“ Es handelt sich dabei um ein Misslingen derselben Mechanismen, die der Gefangennahme gegnerischer Krieger eintreten, siehe dazu oben I.4.2.3. Während jedoch bei Schlachtfeldhikesien zumeist die unterlegenen Kämpfer zu leiden haben, hat hier durch göttliche Intervention der überlegene Held das Nachsehen. Vgl. Pulleyn 2000, 160 ad ad Il. 1,119 sowie Latacz et al. 2009, 71 ad Il. 1,126. Siehe auch Donlan 1971, 110-111, der ein sehr Agamemnon-freundliches Bild entwirft: „He [d.h. Agamemnon] first demands simply a geras in exchange for the prize he was losing (118), but Achilles counters by calling him philokteanōtate (122), perverting Agamemnon’s meaning. The king had been arguing from the point of view of seemliness and position. Achilles makes him appear purely materialistic.“ Zum Verhalten Agamemnons als Verblendung (ἄτη) siehe Dodds 1951, 2-6.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

werde das Ehrengeschenk eines der anderen griechischen Heerführer für sich beanspruchen, und verschärft die Drohung sogar noch durch die Ankündigung, er werde höchstselbst kommen, um es sich zu holen (Il. 1,137139, 184-186).696 Damit will er es bewenden lassen und geht unvermittelt dazu über, das Gebot des Kalchas zu befolgen und Apoll zu versöhnen (Il. 1,140-147). Achill jedoch kann diese Drohung nicht unerwidert lassen, denn allein schon die Androhung der Wegnahme des Ehrengeschenks ist eine schwere Beleidigung, und er reagiert mit einer erbitterten Gegenrede (Il. 1,148-171). Aufgrund der hohen ideellen Bedeutung des γέρας für einen Helden ist der Konflikt zu diesem Zeitpunkt unausweichlich: Das γέρας ist das sichtbare Zeichen des Ansehens eines Helden und seine Wegnahme stellt eine unerträgliche Entehrung dar.697 So hätte Agamemnon wohl bedenkenlos jedes andere Beutemädchen für Lösegeld freigegeben, und durch das Lösegeld seinen Besitz und seinen Status vermehrt. Da jedoch ein direkter Zusammenhang zwischen der τιμή und dem γέρας eines Helden besteht,698 und die Wegnahme der Ehrengabe nicht nur als Ehrverlust, sondern als Entehrung empfunden wurde (vgl. Il. 1,355-356, 506-507), kann Agamemnon sein Beutemädchen nicht ersatzlos ohne Einbuße an Prestige zurückgeben. Für diese Bewertung ist ausschließlich die ideologische Bedeutung der Chryseis als γέρας ausschlaggebend, denn wie sein späteres „Versöhnungsangebot“ an Achill zeigt, kann er es sich leisten, als Wiedergutmachung sieben Sklavinnen anzubieten (Il. 9,128-129).699 Es ist somit nicht unverständlich, dass Agamemnon als mächtigster Fürst Kompensation für die Aufgabe seines γέρας fordert, zumal er dies nun ohne Lösegeld tun muss (Il. 1,99: ἄπριάτην ἀνάποινον). Es ist jedoch verhängnisvoll, dass er sich

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Unbenommen der Tatsache, dass Agamemnon seine Herolde schickt, um Briseis zu holen (Il. 1,318-347), wird mehrfach hervorgehoben, dass Agamemnon αὐτός Achills Ehrengeschenk nehmen werde (Il. 1,137-139, 161, 184-186; vgl. auch 1,324-325) bzw. genommen habe (Il. 1,355-356, 506-507; 2,239-240; 9,106-108; 19,89). Aufgrund der Formulierung αὐτὸς ἰὼν κλισίην kann αὐτός schwerlich nur Agamemnon als Geber des Befehls bezeichnen (so Pulleyn 2000, 174 ad Il. 1,185) und die Diskrepanz ist auch nicht als Zeichen der charakteristischen Feigheit Agamemnons zu deuten (so Latacz et al. 2009, 119-120 ad Il. 1,318b-325). Vielmehr bedeutet die Formulierung, dass die Drohung zunächst durch eine zusätzliche Erniedrigung verschärft wird und hebt dann im Mund anderer Sprecher die Schwere der Beleidigung hervor, vgl. Teffeteller 1990, v.a. 19 sowie Scodel 2003, 277-278. Zur Bedeutung von Besitz im Allgemeinen und dem γέρας im Besonderen siehe oben I.4.3.1. Vgl. auch die Gleichsetzung von ἀγέραστος mit ἄτιμος in Σ D ad Il. 1,119. Vgl. auch Il. 23,702-705, wo eine Dienerin im Wert von vier Rindern für den Verlierer im Ringkampf ausgesetzt wird, die dem Siegespreis, einem Dreifuß im Wert von zwölf Rindern, im Wert deutlich nachsteht.

II.1 Achill und Agamemnon

151

deswegen an Achill schadlos halten will,700 doch seinem hohen Rang entsprechend muss Agamemnon ein vergleichbares Ehrengeschenk eines anderen großen Helden beanspruchen. Für Achill ist ebenfalls nicht der Verlust der Briseis als materiellem Wert der Auslöser seines Zornes, obgleich auch in dieser Hinsicht der Verlust von Besitz unter Zwang aufgrund der gegenständlichen Natur der homerischen τιμή eine Einbuße an Ehre und gesellschaftlichem Ansehen bedeutet, sondern der ideelle Wert als γέρας.701 Ferner bedeutet der Umstand, dass der Streit γέρα in Form von jungen Frauen betrifft, eine Verschärfung des Konflikts, denn indem Agamemnon Achill androht, persönlich dessen Beutemädchen aus seiner Hütte zu holen und auf diese Weise seine Überlegenheit zu demonstrieren (Il. 1,183-187), untergräbt er auch seine Männlichkeit. Achill hatte Briseis erbeutet, indem er ihren Ehemann tötete und wollte sie zur Frau nehmen (vgl. Il. 19,291-299), und Agamemnon führt ihm damit vor Augen, dass er nicht in Lage ist, „seine Frau“702 in seinem eigenen Haus zu beschützen (vgl. auch Hektors Wunsch in Il. 6,450-465, eher zu sterben als seine Frau als Sklavin zu sehen). Für einen Mann in hoher gesellschaftlicher Position ist es nicht möglich, diese Beleidigung unerwidert zu lassen.703 Das Verhalten Agamemnons gegenüber Achill ist in mehrfacher Hinsicht eine schwere Kränkung: Neben der offensichtlichen Entehrung (vgl. Il. 16,53-59) bedeutet die Drohung Agamemnons auch eine Verletzung der φιλότης, die zwischen den Anführern des griechischen Heers besteht. 704 Beziehungen zwischen φίλοι sollen von ausgeglichener Wechselseitigkeit („balanced reciprocity“) geprägt sein, doch Raub und die Androhung der Wegnahme von Besitz stellen eine Verletzung der Gebote kameradschaftlicher Wechselseitigkeit („negative reciprocity“) dar. 705 Agamemnon

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Vgl. v.a. Donlan 1981/82, 161-163 und 1993, 159-161. Vgl. Farron 1979, 27, Lloyd-Jones 1983, 11 sowie Ulf 1990, 10: „Dadurch, dass Agamemnon Achill das von den Achaiern erhaltene γέρας nimmt, beschneidet der Herr von Mykene zwar auch den Besitz von Achill, viel stärker ist jedoch sein dadurch erfolgter Angriff auf die Time des Führers der Myrmidonen.“ Achill bezeichnet Briseis in Il. 9,336 als ἄλοχος und spricht von ihr wie von einer Ehefrau. Die Formulierung dient dazu, die Schwere der erlittenen Erniedrigung zu betonen, vgl. Hainsworth 1993, 106-107 ad loc. Vgl. Friedrich 1973, 123 und Gottschall 2008, 58-60. Vgl. Friedrich 1973, 123 und van Wees 1996, 21: „In Homer, the rules of reciprocity actually require a man treated with insufficient respect to retaliate with blatant shirking, or, if he is angry and powerful enough, with total withdrawal from battle. As Akhilleus puts it, a man who allowed himself to be denied due respect would not be a real man, but ‘A worthless one, a nobody’ (I.293). Reciprocal respect and friendship, therefore, are absolutely essential; without them a Homeric army would fall apart.“ Zu dieser Bezeichnung siehe Donlan 1981/82, 141-143, der jedoch nur die wirtschaftliche Dimension dieser Form von „Wechselseitigkeit“ betrachtet. Es sollte jedoch jede

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

müsste als oberster Kriegsherr des Zugs gegen Troia Garant der θέμις im Heer sein, doch enttäuscht er das in ihn gesetzte Vertrauen. 706 Gleichzeitig begeht er auch einen Verstoß gegen die gesellschaftliche Norm des gegenseitigen Respekts (αἰδώς, vgl. ἀναιδείη in Il. 1,149, 158). Agamemnons Drohung, sich ein fremdes γέρας zu nehmen, verletzt somit alle denkbaren gesellschaftlichen Konventionen, doch die unerwartet scharfe Entgegnung Achills zeigt, dass hier ein grundlegenderer Konflikt als der Streit um ein Beutemädchen zu Tage tritt:707 Il. 1,161-168: καὶ δή μοι γέρας αὐτὸς ἀφαιρήσεσθαι ἀπειλεῖς, ᾧ ἔπι πόλλ᾿ ἐμόγησα, δόσαν δέ μοι υἷες Ἀχαιῶν. οὐ μὲν σοί ποτε ἶσον ἔχω γέρας, ὁππότ᾿ Ἀχαιοί Τρώων ἐκπέρσωσ᾿ εὖ ναιόμενον πτολίεθρον, ἀλλὰ τὸ μὲν πλεῖον πολυάικος πολέμοιο χεῖρες ἐμαὶ διέπουσ᾿, ἀτὰρ ἤν ποτε δασμὸς ἵκηται, σοὶ τὸ γέρας πολὺ μέζον, ἐγὼ δ᾿ ὀλίγον τε φίλον τε ἔρχομ᾿ ἔχων ἐπὶ νῆας, ἐπεί κε κάμω πολεμίζων. Und da drohst du, selbst wirst du mein Ehrengeschenk mit fortnehmen, um das ich mich viel gemüht, und mir gaben es die Söhne der Achaier! Habe ich doch niemals ein gleiches Ehrengeschenk wie du, wann immer die Achaier eine gutbewohnte Stadt der Troer zerstören, sondern den größeren Teil des vielstürmenden Kriegs besorgen meine Hände. Doch kommt dann die Verteilung, ist dein Ehrengeschenk weit größer, ich aber kehre mit einem geringen und mir lieben zu den Schiffen zurück, nachdem ich mich müde gekämpft habe.

Achill äußert nicht nur Unmut darüber, dass er sein Ehrengeschenk abgeben soll, sondern auch darüber, dass ihm immer ein kleinerer Anteil an der Beute zugeteilt wird, obwohl er die Hauptlast des Kampfes trägt (Il. 1,161-168). Er hat außer materiellem Gewinn nichts von den Kämpfen zu

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Situation, in der eine der beteiligten Parteien sich ohne echten Austausch unbegrenzt an Besitz oder Ehre bereichert, als „negative reciprocity“ bezeichnet werden. Zu diesem Aspekt siehe Shay 1994, 5-21. Siehe auch Avery 1998, 391-397 zur Argumentation, dass Agamemnon für den jungen Achill zu Beginn des Feldzugs an die Stelle eines Vaters trat; in diesem Licht erscheint der Vertrauensbruch als Heerführer noch zusätzlich verschärft. Vgl. Gundert 1974, 61: „(...) Ausbruch von Achilleus‘ Zorn, in dem sich die schwere latente Spannung im Heer entlädt.“ Ähnlich Postlethwaite 1988, 128 ad loc.: „These words highlight the anomaly of Achilleus‘ position, that, although he is the greatest warrior, he does not receive priority in the allocation of spoils – and thus the greatest time – but instead is subject to an obviously inferior warrior. It is this anomaly which lies behind his quarrel with Agamemnon: the incident of the girl is the excuse for the quarrel, the spark which ignites his frustration.“ Seeck 1992, 7 mit Anm. 22 unterscheidet hier zwischen dem oberflächlichen Beutestreit und der schwerwiegenden Prestigefrage. Siehe dazu auch Allan/Cairns 2011, 117-121.

II.1 Achill und Agamemnon

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erwarten, da er selbst keinen Groll gegen die Troianer hegt und der Krieg ausschließlich um die Ehre der Atreus-Söhne geführt wird (Il. 1,152-160). Wenn ihm ein angemessener Anteil an der Beute und die damit verbundene Ehre verweigert wird, sieht er keinen Sinn in seiner weiteren Teilnahme am Feldzug und schließt daher mit der Ankündigung, dass er das Heer verlassen und in seine Heimat zurückkehren werde, wenn seine Leistung weiterhin nur Agamemnons Bereicherung diene und er keine angemessene Anerkennung erhalte (Il. 1,169-171). Wie es sich für einen Helden gehört, stellt Achill seine überlegene Kampfkraft nicht nur auf dem Schlachtfeld unter Beweis, sondern hält sich auch nicht zurück, sie gegenüber seinen Standesgenossen prahlend hervorzuheben.708 Als Agamemnon nach dieser Absage seinen zuvor noch unbestimmten Anspruch auf Rekompensation gegen Achill persönlich richtet (Il. 1,172187),709 ist Achills erste Reaktion auf diese Schmähung Schmerz und Trauer (Il. 1,188: Πηλείωνι δ᾽ ἄχος γένετ᾽), die jedoch unmittelbar in Zorn (Il. 1,192: χόλον) umschlagen. Achill zeigt die typische Reaktion eines Helden auf eine Ehrverletzung und erwägt sogar, Agamemnon mit dem Schwert niederzustechen (Il. 1,188-194). In dem Moment, in dem Agamemnon Achill nicht nur die angemessene τιμή in Form ausreichender Beteiligung an der Beute nicht zugesteht, sondern ihn durch die Wegnahme der Briseis in seiner bestehenden τιμή zu beschneiden droht, wird er für Achill vom Freund zum Feind, gegen den er auch mit Waffengewalt vorgehen kann. 710 Dass dies das gemeinsame Unternehmen der Griechen gegen Troia vermutlich beenden würde, ist für Achill nicht von Bedeutung, und erst das Eingreifen Athenes bewegt ihn zum Einlenken. Athene untersagt ihm offene Gewaltanwendung (Il. 1,206-214), und Achill gehorcht der Weisung der Göttin sofort und ohne Widerspruch. Indem er seinen Wutausbruch unterdrückt, wird sein Zorn durch einen tiefsitzenden Groll ersetzt.711 Dieser Groll ist berechtigt (vgl. Athenes Worte in Il. 1,214: ὕβριος εἵνεκα τῆσδε) und bedeutet

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Vgl. Hesk 2006, 9: „Even in Book 1, we get a strong sense that Achilles‘ superior martial prowess goes hand-in-hand with his readiness to talk about it.“ Zur Dynamik der ἄποινα/ποινή-Problematik zwischen Achill und Agamemnon siehe ausführlich Wilson 2002b, 54-70. Vgl. Rihll 1992, 40, Shay 2000, 34-37 sowie oben I.4.3.3. Siehe ferner die Schmährede des Thersites, der nicht nur Agamemnon die Entehrung Achills vorwirft, sondern offenbar auch von Achill zu erwarten scheint, dass er offenen Zorn gegenüber Agamemnon zeigt (Il. 2,239-242). Zu den zwei Formen des Zornes siehe Walsh 2005, 21-29, dessen Untersuchung von Il. 1,80-83 ihren Ausgang nimmt, wo Kalchas – wenn auch mit Bezug auf Agamemnon – beschreibt, wie der χόλος des Königs, wenn er seinen Zorn „herunterschluckt“, durch andauernden κότος ersetzt wird. Mit Ausnahme von Il. 1,181 wird Achills Groll jedoch nie als κότος bezeichnet.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

die zumindest zeitweilige Aufkündigung des φιλότης-Verhältnisses zwischen Achill und Agamemnon.712 Der Entzug seiner Kampfkraft und die Drohung, das Heer zu verlassen und wieder in seine Heimat Phthia zurückzukehren, ist die einzige Option, die in dieser Situation bleibt. Davon macht er mit vollem Recht Gebrauch, und die Tatsache, dass im Folgenden keine Sanktionen wegen seines Grolls gegen ihn verhängt werden, lässt darauf schließen, dass dieses Verhalten durchaus als angemessen angesehen wurde.713 Indem Achill von direkter Gewaltanwendung absieht, wird die Ankündigung seines Rückzugs von der aktiven Teilnahme an der Schlacht zum politischen Druckmittel (vgl. Il. 1,239-244).714 Mit Achill zieht sich auch sein loyales Kontingent der Myrmidonen aus der Schlacht zurück (Il. 2,771-779; 16,155-220),715 doch in der stilisierten episch-heroischen Welt der Ilias, in der nur Helden von Bedeutung im Kampf sind, stellt das Fehlen Achills allein eine empfindliche Schwächung des griechischen Heers dar (vgl. Il. 18,257-258).716 Bei der epischen Darstellung der Kampfkraft ist Qualität, nicht Quantität bedeutsam, und die Drohung Achills stellt eine ernste Gefahr für den Erfolg des Kriegszugs gegen Troia dar. Der Rückzug aus der Schlacht richtet sich gegen Agamemnon, dessen Ansehen durch die hohen Verluste an seinem Kriegsvolk beeinträchtigt wird (vgl. Il. 1,239-244; 9,22).717 Achill akzeptiert damit den Tod weiterer Kämpfer, da weder die Gesamtheit des griechischen Heers noch einer der anderen Helden zu ihm gestanden hatte.718 Die öffentliche Ankündigung seiner Kampfverweigerung funktioniert deswegen als Druckmittel, weil nun jeder Misserfolg im Kampf gegen die Troianer in den Augen des griechischen Heers als direkte

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Vgl. Kim 2000, 153-155 zu μῆνις als einem Gegenbegriff zu φιλότης (und dem damit verbundenen Mitleid für die Gefährten). Vgl. Motto/Clarke 1969, 113. Zu Gefolgschaftsverweigerung in der homerischen Welt siehe v.a. Nikolai 1993 sowie oben I.4.3.3. Die Myrmidonen erscheinen erst wieder beim Eingreifen des Patroklos auf dem Schlachtfeld und sind als furchteinflößende Kämpfer gezeichnet (Il. 16,155-167), doch ihr Kontingent umfasst mit 2500 Kriegern (vgl. Il. 16,168-170) nur die Hälfte der Truppenstärke des Agamemnon (vgl. Il. 2,569-580). Siehe dazu auch van Wees 1992, 140-141. Vgl. die prahlende Rede des Diomedes, der sich in der Lage sieht, allein mit seinem Gefährten Sthenelos Troia einzunehmen (Il. 9,48-49), mit dem zusammen er auch schon mit den anderen Epigonen Theben eingenommen hatte (Il. 4,404-410). So wünscht auch Achill, die Stadt zusammen mit Patroklos einzunehmen (Il. 16,97-100). Zu diesem Aspekt siehe Haubold 2000, v.a. 52-67. Vgl. Taplin 1992, 62-63. Folglich ist es auch verfehlt, in Achills Verhalten einen Verrat an den übrigen Griechen zu sehen, wie von Buchan 2012, v.a. 32-36 argumentiert wurde.

II.1 Achill und Agamemnon

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Folge von Achills Abwesenheit und folglich als Verfehlung Agamemnons gedeutet wird.719 Als der greise Nestor in seiner Funktion als Ratgeber mit einer langen Rede eingreift (Il. 1,247-284), ist der Streit schon weit fortgeschritten. 720 Nestor beginnt mit der Feststellung, dass die Troianer sich über einen Streit der beiden hervorragenden Griechen freuen würden (Il. 1,254-258), und nach einem Exkurs zur Legitimierung seiner Ratgeberfunktion (Il. 1,259274) macht er einen Vorschlag zu Beilegung des Streits. In diesem Schlichtungsversuch des Nestor wird der wahre Streitgrund explizit: Agamemnon solle Achill sein Ehrengeschenk lassen und Achill solle nicht gegen ihn aufbegehren, da Agamemnon der mächtigere König sei (Il. 1,275-284). Nestor erkennt die Gültigkeit beider Ansprüche an und versucht, jedem der beiden Kontrahenten die gebührende Ehre zukommen zu lassen, Achill als kampfstärkstem Held (Il. 1,178, 280: καρτερός), Agamemnon als mächtigstem Heerführer (Il. 1,186, 281: φέρτερος), wobei er jedoch letztendlich dem φέρτερος die höhere Ehre zugesteht.721 Zum Verständnis dieser Opposition ist es erforderlich, die relativen Positionen der beiden Streitgegner im griechischen Heer zu betrachten. Achill und Agamemnon sind beide homerische Aristokraten (βασιλῆες) und gehören zur obersten Führungsriege des griechischen Heeresaufgebots. Agamemnon nimmt jedoch im griechischen Heer die Rolle des primus inter pares ein, da er den anderen Helden hinsichtlich der Größe des mitgebrachten Kontingents und seiner Machtfülle überlegen ist (vgl. Il. 1,281; 2,82, 576580; 3,182; 9,69),722 und fungiert als Vertreter seines jüngeren Bruders Menelaos, dessen Schmach durch die Entführung Helenas es zu rächen gilt, als Führer auf dem Kriegszug gegen Troia. Er hat jedoch keine faktische

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Vgl. Buchan 2012, 21-22. Zu Nestors Schlichtungsversuch siehe Gundert 1974. Für eine Betrachtung des Rededuells der beiden Helden als Beispiel für „ingroup contesting“ siehe Parks 1990, 9195, der deutlich den Übergang von der feindlichen Form des Flyting („eristic“) zu einer alternativen Lösung des Konflikt („contractual“) betont (S. 93). Siehe Gundert 1974, 62-64, Pulleyn 2000, 172-174 ad loc. sowie Roisman 2005, 31-32. Zur Deutung von φέρτερος als „mächtiger“ im Sinne von „einflussreicher“ im politischen wie auch im materiellen Sinne siehe Russo 1968, 284-285. Vgl. Krieter-Spiro 2009, 75 ad Il. 3,182-190: „Agamemnons Darstellung entspricht seiner Funktion (...); seine Bedeutung als Herrscher über die meisten Krieger wird auch sonst immer wieder betont (...).

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Befehlsgewalt über die anderen Helden und diese sind ihm nicht zur Heeresfolge verpflichtet.723 Das Fehlen einer festen Befehlsstruktur ist unabdingbar für die Handlung der Ilias, wie sie sich im Folgenden entfaltet.724 Der Konflikt ist in der grundlegenden Konzeption der beiden Helden begründet, die schon in ihrer ersten gemeinsamen Erwähnung aufscheint: Ἀτρείδης τε ἄναξ ἀνδρῶν καὶ δῖος Ἀχιλλεύς (Il. 1,7). Die Charakterisierung Agamemnons erfolgt durch seine Abkunft als Sohn des Atreus und seine daraus resultierende Funktion als Herrscher (ἄναξ ἀνδρῶν „Herr der Männer“),725 Achill hingegen wird nicht mit seinem Patronymikon, sondern durch seinen eigenen Namen und sein Epitheton δῖος „göttlich“ eingeführt. In Achill und Agamemnon treffen zwei unterschiedliche Ansprüche und Vorstellungen von gesellschaftlicher Überlegenheit aufeinander.726 Agamemnon ist der mächtigste König (Il. 9,69: βασιλεύτατος) und befindet sich zu Recht in der Position des obersten Kriegsherren des griechischen Heers, da er auf die Abstammung von Atreus verweisen kann und mit 100 Schiffen das größte Kontingent befehligt (Il. 2,576-580).727 Seine Autorität ist in seinem Status begründet, der durch das ererbte Zepter der Atriden symbolisiert wird, dessen Ursprung bis auf Zeus zurückverfolgt werden kann (Il. 2,100-108; 9,96-99), und fußt auf Tradition und Konvention, höherem Alter und ökonomischer Überlegenheit.728 Auf dieser Grundlage rühmt er sich,

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Vgl. die Vorsicht Agamemnons gegenüber Odysseus in Il. 4,358-363. Zur Stellung Agamemnons im griechischen Heer und zur Organisation des Feldzugs siehe auch Taplin 1990, 62-70. Taplin 1990, 69-70: „It is, when one comes to think about it, essential for the poem that there should not be a definite hierarchy, and that there should be an element of assessable obligation about Agamemnon’s position.“ Vgl. auch Rihll 1992, 43-49 zur unsicheren Führungsposition des Agamemnon. Vgl. auch die vollständige respektvollen Anrede Ἀτρείδη κύδιστε, ἄναξ ἀνδρῶν Ἀγάμεμνον „erhabenster Sohn des Atreus, Herr der Männer, Agamemnon“ (Il. 2,434; 9,96, 163, 673, 693; 10,103; 19,146, 199), bei der bezeichnenderweise neben dem Eigennamen das Patronymikon und der Herrschaftstitel stehen. Zu den für Agamemnon verwendeten Epitheta siehe auch Whallon 1961, 102-106 sowie Brown 2006, 28-35 zu den Anredeformen. Vgl. auch Benardete 1963, 15: „The conflict between them is between authority and power, between the gifts of nature and those of an heritage.“ Ebenso auch Friedrich 1973, 122: „contradiction between Achilles’ superiority through achieved honor versus Agamemnon’s honor through precedence.“ Vgl. Donlan 1979, 53: „(...) the basis of Agamemnon’s (and other’s) position is a complex of inheritance, remote divine sanction, age, personal wealth and number of followers.“ Vgl. van Wees 1988, 19. Für eine ausführliche Diskussion des Zepters als Symbol siehe Benardete 1963, 14-16, Griffin 1980, 9-12, Higbie 1995, 195-197 und Brown 2006, 21-23. Vgl. auch Yamagata 1994, 18 zum Zepter des Agamemnon als Symbol seines Status mit Blick auf die Moral eines homerischen Herrschers: „However, a king’s prestige seems to rest on his honour and power rather than his behaviour.“

II.1 Achill und Agamemnon

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der ἄριστος Ἀχαιῶν zu sein (Il. 1,91729; vgl. 2,82). An Tapferkeit und Kampfkraft jedoch fehlt es ihm,730 und er kompensiert diesen Mangel durch Drohungen und Einschüchterung, wie das angstvolle Hilfegesuch des Kalchas zeigt, bevor er den Mut aufbringt, sich gegen Agamemnon auszusprechen (Il. 1,74-83).731 Bei Agamemnon besteht eine Diskrepanz zwischen ererbtem Status und eigener Leistung, auf die auch der spätere Vorwurf des Diomedes eingeht:732 Il. 9,35-37: σοὶ δὲ διάνδιχα δῶκε Κρόνου πάις ἀγκυλομήτεω· σκήπτρῳ μέν τοι δῶκε τετιμῆσθαι περὶ πάντων, ἀλκὴν δ᾿ οὔ τοι δῶκεν, ὅ τε κράτος ἐστὶ μέγιστον. Doch dir gab nur eines von zweien der Sohn des krummsinnenden Kronos: Mit dem Zepter gab er dir, geehrt zu werden vor allen, aber Kampfkraft gab er dir nicht, was die größte Stärke ist.

Achill hingegen, der nur halb so viele Schiffe wie Agamemnon befehligt (vgl. Il. 2,684-685; 16,168), führt seinen Überlegenheitsanspruch auf seine außerordentlichen Fähigkeiten im Kampf zurück (Il. 1,165-166; vgl. 2,768770). Es ist nicht sein ererbter gesellschaftlicher Stand, sondern seine individuelle Leistung im agonistisch geprägten Wertesystem der homerischen Aristokratie, die ihn hervorhebt und aufgrund derer er sich in seinen Selbstaussagen als ἄριστος Ἀχαιῶν bezeichnet (Il. 1,244, 412).733 Es ist zu bemerken, dass weder Achill noch Agamemnon den Anspruch des jeweils anderen auf Überlegenheit in seinem Gebiet in Abrede stellen, und einzig die relative Gewichtung von Macht und Stärke ist Gegenstand

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West 1998 und van Thiel 2010 lesen hier mit der handschriftlichen Tradition ἄριστος ἐνὶ στρατῷ, Monro/Allen 1920 setzen die Verbesserung der alexandrinischen Philologen, ἄριστος Ἀχαιῶν, in den Text. Beide Lesarten bezeichnen die Ehrenstellung des „Besten im gesamten griechischen Heer vor Troia“, doch ist m.E. aufgrund der häufigen Verbindung von ἄριστος + Ethnikon im Genitiv die alexandrinische Lesart ἄριστος Ἀχαιῶν zu bevorzugen. Vgl. den Vorwurf Achills in Il. 1,226-228. Dennoch wird Agamemnon eine Aristie zugestanden, die ihn als fähigen Krieger darstellt. Die ansonsten kaum vertretene und unhaltbare Position, dass Agamemnon auch dort eine negative Darstellung erfährt, findet sich bei Bassett 1934, 54-58. Vgl. Rihll 1992, 46-47 sowie van Wees 1992, 95-96. Zu „fear and heredity“ als Grundlagen der Autorität Agamemnons siehe auch Hammer 1997, 4-12. Siehe Gundert 1940, 228 zu dieser Passage: „Es ist der innere Zwiespalt seiner Gestalt, das Mißverhältnis zwischen Königtum und Heldentum, von dem sein ganzes Unheil rührt.“ Ebenso auch Andreev 1988, 70 Anm. 210. Vgl. ebenfalls Donlan 1979, 53: „Standing based on ability is the recognition accorded by others of a figure’s ability and achievement. The bases of standing are visibly apparent – a nexus of physical and mental skills – and need little elucidation.“

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

des Streits.734 So antwortet Agamemnon auf Nestors Schlichtungsversuch, dass Achill zwar von den Göttern als „Lanzenkämpfer“ ausersehen wurde (Il. 1,290: μιν αἰχμητὴν ἔθεσαν θεοὶ αἰὲν ἐόντες735), dass es ihm jedoch nicht anstehe, über andere herrschen zu wollen (Il. 1,286-291). Achill hingegen bekräftigt, dass er nicht bereit sei, Agamemnon infolge seines hohen Ranges alles zu gewähren (Il. 1,293-296), und seine Ablehnung der Grundlage des Machtanspruchs Agamemnons hatte er auch schon durch sein demonstratives Niederwerfen des Zepters, das er zuvor als Redner in der Versammlung hielt, symbolisch bekräftigt (Il. 1,245-246):736 Diese Geste bringt seine Verachtung für Agamemnons ererbte Machtposition zum Ausdruck, die er jedoch faktisch nicht in Abrede stellen kann. Er muss Agamemnon im Beutestreit weichen und kündigt an, nicht um Briseis zu kämpfen, droht Agamemnon jedoch Gewalt an, wenn er versuchen sollte, sich mehr zu nehmen (Il. 1,297-303). Diese Drohung zeigt, dass er nicht bereit ist, Agamemnons absolutem Überlegenheitsanspruch nachzugeben, gegen den sich seine angekündigte Kampfenthaltung richtet (Il. 1,169-171, 240-244). Agamemnon setzt seinerseits die Androhung der Wegnahme der Briseis in die Tat um, doch entgegen seiner Ankündigung, Achill Briseis eigenhändig wegzunehmen (Il. 1,184-185; vgl. 1,507; 2,240), beauftragt er seine Herolde, sie aus Achills Hütte zu holen (Il. 1,318-323). Nur für den Fall, dass Achill sich weigere, sie herauszugeben, kündigt er an, er werde selbst mit mehr Kriegern kommen (Il. 1,324-325). In diesem Vorgehen zeigt

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Vgl. Schröter 1950, 114 Anm. 1 sowie van Wees 1992, 98: „Agamemnon does not contest that Akhilleus is a greater warrior than he, nor does he seek to undermine Akhilleus‘ reputation (kleos) as such. Rather, he insists that greatness in battle does not deserve as much deference (timé) as Akhilleus demands.“ Ebenso kann auch Achill die faktische Überlegenheit des Agamemnon hinsichtlich seiner politischen Macht nicht bestreiten. Vgl. dazu Latacz et al. 2009, 113 ad loc.: „αἰχμητήν: ‘Lanzenkämpfer’, auch ohne Epitheton “Bezeichnung des hervorragenden Einzelkämpfers schlechthin” (LfgrE [I, 393]); vgl. 5.602, 781 u.ö.“ Achills Geste bringt nicht seine Ablehnung der Ordnung und Gemeinschaft der Griechen zum Ausdruck, wie von Pulleyn 2000, 193 ad loc. und Latacz et al. 2009, 102 ad loc. angenommen wurde, sondern richtet sich gezielt gegen Agamemnon, so auch Brown 2006, 23. Diese Handlung symbolisiert damit keineswegs den Zusammenbruch gesellschaftlicher Normen, wie z.B. von Edwards 1987, 14, 181-182 oder Pulleyn 2000, 193 ad loc. interpretiert wurde. Beide Deutungen gehen davon aus, dass Achill hier das Zepter des Agamemnon in den Händen hält, das unter den Sprechern weitergegeben wurde, vgl. Finley 1975, 114. Van Wees 1992, 276-280 hingegen argumentiert, dass es sich um Achills eigenes Zepter als Heerführer handele, da jeder homerische βασιλεύς über ein eigenes Zepter verfüge, das er bei Versammlungen, Gericht oder im Rat trägt. In jedem Fall jedoch fungiert das Zepter als ein Symbol ererbter Macht (vgl. auch das Zepter des Hektor in Il. 10,321).

II.1 Achill und Agamemnon

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sich ebenso seine Furcht vor der Kraft Achills wie sein überlegener politischer Rang (vgl. Il. 1,281: φέρτερός ἐστιν, ἐπεὶ πλεόνεσσιν ἀνάσσει mit 1,325: ἐλθὼν σὺν πλεόνεσσι).737 So kommt im Streit zwischen Achill und Agamemnon ein traditioneller epischer Gegensatz zum Ausdruck, der Konflikt zwischen Krieger und König. Zwar sind in der Konzeption eines homerischen Helden beide Funktionen miteinander verbunden, indem jeder Herrscher ein Krieger sein muss und nur Krieger, die auch Herrscherfunktionen wahrnehmen, in der Darstellung als Helden Beachtung finden.738 Dennoch beruht die individuelle Zeichnung beider Helden, dass Agamemnon als mächtigster König nicht der beste Krieger und Achill als bester Krieger nicht der bedeutendste König ist, auf dieser grundlegenden Opposition. 739 In einem Fall konkurrierender Ansprüche zwischen zwei rivalisierenden Aristokraten ist ein Konflikt aufgrund der Konzeption eines homerischen Helden, die es ihm nicht ermöglicht, eine Kränkung seiner τιμή widerspruchslos zu ertragen, unausweichlich.740 Denn eine friedliche und in gegenseitigem Respekt erfolgende Beilegung des Streits, wie sie von Nestor vorgeschlagen wird (Il. 1,274-284) und im Falle des Konflikts zwischen Antilochos und Menelaos bei den Leichenspielen für Patroklos erfolgt (Il. 23,566-611), ist für diese beiden Kontrahenten unmöglich. 741 Antilochos

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Oftmals wurde diese Drohung als Feigheit gedeutet, so Latacz et al. 2009, 120 ad Il. 1,318b-325, und sicherlich zeigt sich hier Agamemnons Mangel an individueller Tapferkeit, doch andererseits wird deutlich, dass Agamemnon die Macht hat, seine Untergebenen diese unangenehme Aufgabe für sich erledigen zu lassen. Die Ausnahme, die in diesem Fall die Regel bestätigt, ist Thersites in Il. 2,212-278, der in jeglicher Hinsicht das Gegenbild eines homerischen Helden darstellt. Vgl. v.a. Collins 1988, 89-103 sowie Seeck 1992. Siehe auch Clay 2009, 35, die den Gegensatz in die Begrifflichkeiten von physis gegen nomos fasst. Siehe zudem de Roguin 2007, 20-58, die neben der Stärke des Herrschers und der Fähigkeit des Kriegers als Statusgrundlagen noch eine göttliche τιμή postuliert. Diese Unterscheidung ist jedoch m.E. weder exakt möglich noch notwendig, denn in dieser Situation können beide Helden diese göttliche τιμή für sich in Anspruch nehmen, Agamemnon in seiner Eigenschaft als mächtigerer βασιλεύς (Il. 1,279; 2,196-197, 204-206), Achill als Sohn einer göttlichen Mutter (Il. 1,280; vgl. auch 1,290). Vgl. dazu Adkins 1971, 9 sowie Campbell 1992, 148: „Two opposed heroes cannot touch one another without the victory of the one and the humiliation of the other.“ Der Konkurrenzkampf zweier Helden (νεῖκος) war offenbar ein häufiges Thema epischer Dichtung, vgl. den ansonst unbekannten Streit zwischen Achill und Odysseus (Od. 8,75-78), vermutlich ein vergleichbarer Fall der Konkurrenz, nur nicht zwischen Kampfkraft und politischer Macht, sondern in diesem Fall zwischen Stärke (βίη) und Gerissenheit (μῆτις). Schon Σ HQV ad Od. 8,75 weist auf einen Konflikt zwischen der ἀνδρεία des Achill und der σύνεσις des Odysseus hin. Diese Position findet sich überzeugend ausgeführt bei Nagy 1999, 43-49, Clay 1997, 96-102 sowie Wilson 2005, 1-5. So jedoch vorgeschlagen von Donlan 1993, 161-163, Cairns 1993b, 208, 211-215, Erbse 2001, 246-247 sowie Allan/Cairns 2011, 133-135, die eine Mitschuld bei Achill sehen. Im Gegensatz dazu Bassett 1934, der jegliches Mitverschulden von Seiten Achills bestreitet.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

und Menelaos können in gegenseitigem Einvernehmen eine Lösung finden, da ihr Streit sich auf die relative Hierarchie der Sieger des Wagenrennens beschränkt. Der Konflikt zwischen Achill und Agamemnon ist demgegenüber verschärft, da mit dem kampfstärksten Held gegen den obersten Feldherrn zwei absolute Ansprüche aufeinandertreffen.742 Beide beanspruchen aufgrund ihrer jeweiligen Auszeichnung die ehrenvolle Bezeichnung als ἄριστος Ἀχαιῶν für sich, sodass dieser absolute Titel eine Verteilung auf zwei Personen erfährt.743 Dieser Konflikt lässt sich nicht ohne das Nachgeben oder die Niederlage eines der zwei streitenden Helden bereinigen, und Nestor kann nur dazu anraten, den oberflächlichen Streitgrund zu beseitigen: Agamemnon soll seinen Anspruch auf ein neues γέρας aufgeben und Achill sein Beutemädchen Briseis lassen (Il. 1,275-276), Achill hingegen soll den Oberbefehl des mächtigeren Helden anerkennen und ihm Respekt zollen (Il. 1,277-279). Wäre der Besitz des Beutemädchens der wahre Streitgrund, ließe sich der unheilvolle Groll Achills vielleicht noch vermeiden, doch der eigentliche Konflikt geht tiefer als der offensichtliche Auslöser des Streits. Im Zuge dieser Grundsatzdiskussion erniedrigt Agamemnon, der ohnehin immer den größeren Beuteanteil für sich beanspruchte und daher über mehr τιμή verfügt, Achill in materieller Hinsicht und provoziert so eine unmittelbare Gegenreaktion. Achill ist fortan darauf bedacht, Agamemnon ebenfalls im Bereich materieller τιμή zu erniedrigen und seinen eigenen Anspruch deutlich zu machen. Es ist für das Verständnis des Handlungsfortgangs unabdingbar zu bemerken, dass Achill und Agamemnon sich in einem unerbittlichen Streit um den relativen Status zueinander befinden. Jegliche Form von sozialer Interaktion zwischen den beiden Helden ist von dieser zeitweiligen Unsicherheit der Hierarchie betroffen. Es ist somit keineswegs zutreffend, dass Agamemnons Verhalten gegenüber Achill das konventionelle System der τιμή außer Kraft setze.744 Agamemnons anmaßendes Verhalten gegenüber Achill hat keine Auswirkungen auf das Wertesystem der heroischen Gesellschaft, denn sonst wäre zweifelsohne auch von den anderen griechischen Helden eine heftigere Reaktion zu erwarten. Am Fehlen jeglichen Einschreitens der anderen Helden – mit Ausnahme des Versuchs einer beschwichtigenden Rede durch Nestor, die jedoch keine Wirkung zeigt (Il. 1,254-284) – wird deutlich, dass es sich beim Streit zwischen Achill und Agamemnon um eine private Auseinandersetzung handelt. Agamemnon zieht sich zwar durch die Verletzung der αἰδώς gegenüber Achill die Missbilligung der anderen Heerführer zu

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Vgl. Seeck 1992, v. a. 2-4 sowie Zanker 1994, 75-76, der den Konflikt zwischen den beiden Helden als „particularly charged“ beschreibt. Vgl. Edwards 1984, 64-65. So z.B. angenommen von Sale 1963, 91-92 und Rubino 1979, 12-13.

II.1 Achill und Agamemnon

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(vgl. Il. 9,106-109), doch die aktuelle Prinzipienfrage, ob dem mächtigsten oder dem stärksten Helden die höchste Ehre gebührt, ist für die anderen Helden ohne Bedeutung. Nur der gemeine Thersites ergreift offen für Achill Partei (Il. 2,226-240)745 und kritisiert ihn sogar dafür, dass er nicht zornig genug reagiere (Il. 2,241-242). Das Verhalten Achills angesichts der Kränkung durch Agamemnon und sein Rückzug aus dem Krieg sind nach dem heroischen Verhaltenskodex durchaus gerechtfertigt und werden von keinem anderen Helden in Frage gestellt. In dieser Situation hätte niemand eine andere Reaktion von einem Helden von Achills Format erwarten können,746 und sein Verhalten ist keinesfalls untypisch für homerische Helden, die insgesamt nur einen eher geringen Gemeinschaftssinn hatten (vgl. Il. 9,523: οὔ τι νεμεσσητὸν κεχολῶσθαι).747 So bittet Achill seine Mutter Thetis in einer eindringlichen Rede, dass Zeus die Troianer stärken und die Achaier so in Bedrängnis bringen möge, dass sie sich wieder an ihn wenden müssen (Il. 1,393-412).748 Damit akzeptiert er den Tod vieler griechischer Kämpfer, die er zuvor vor der Pest zu retten versucht hatte (Il. 1,54-56).749 Zeus gewährt diese Bitte der Thetis (Il. 1,500530) und ehrt Achill auf diese Weise (vgl. explizit Il. 1,505, 508). Achills Einsatz seiner Kampfenthaltung als Druckmittel und die damit einhergehende Vernichtung zahlreicher griechischer Kämpfer erfolgt demnach nach dem Willen und mit Billigung des Zeus (vgl. Il. 1,2-5). Folglich ist Achills Behauptung seiner Ehre sowohl nach menschlichen als auch nach göttlichen Maßgaben gerechtfertigt, und sein Verhalten entspricht der Reaktion, die von einem homerischen Helden in dieser Situation zu erwarten ist.750

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Zu Thersites als „Stimme des Volkes“, der Widerwillen gegen Agamemnons Vorgehen als Heerführer zeigt, vgl. Postlethwaite 1988, 132-135. Vgl. Friedrich 1973, 123: „Not only is Achilles not deviant or flawed, as has often been argued, but his response to Agamemnon’s insult is what one would expect within the framework of Iliadic values from someone who epitomized those values.“ Siehe auch Bassett 1934, 48-58, der jedoch nur Agamemnons Verfehlungen für die Rechtmäßigkeit des Grolls anführt. Dazu sehr treffend Kullmann 1995, 66: „Die Sympathielenkung des Dichters geht eindeutig dahin, uns annehmen zu lassen, daß die Kampfenthaltung Achills wegen der Ehrverletzung durch Agamemnon zu Recht erfolgt.“ Vgl. Stein-Hölkeskamp 1989, 30-33. Zur rhetorischen Strategie dieser Rede siehe Pucci 1997, 199-203. Vgl. auch Haubold 2000, 98: „Achilles instrumentalises the people to reassert his honour (τιμή) and, by implication, his fame (κλέος).“ Vgl. z.B. McNamee 1960, 27-28, Sale 1963, 89, Gagarin 1987, 299, Nikolai 1993 und van Wees 1996, 21. Anders dagegen Clarke 2004, 74: „By any standards this is a bizarrely exaggerated response to an insult.“

II. Die Ilias und das heroische Ideal

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II.1.2 Das Angebot Agamemnons Es folgt der erste Kampftag der Ilias, an dessen Ende der unentschiedene Zweikampf zwischen Hektor und Aias steht (Il. 7,206-322), auf den eine kurze Waffenruhe (Il. 7,381-432) und der Bau der griechischen Verteidigungsanlagen folgen (Il. 7,433-482). So wird symbolisch die Ebenbürtigkeit der Griechen und Troianer und die festgefahrene Situation nach dem Ausscheiden Achills aus den unmittelbaren Kampfhandlungen deutlich, und es beginnt die Zurückdrängung der Achaier nach dem Plan des Zeus (Il. 8). Diese Rückschläge und vor allem der Verlust seiner Kämpfer (vgl. Il. 9,22) sind Anlass für Agamemnon, eine Versammlung seiner engsten Berater einzuberufen, um das weitere Vorgehen zu besprechen (Il. 9,1-12).751 Agamemnon ist verzweifelt und spricht unter Tränen zu seinen Beratern (Il. 9,14, 16). Seine Rede enthält kein Eingeständnis von Schuld an der momentanen Lage des Heers, sondern er stellt nur fest, dass er von Zeus „in schwere Verblendung“ verstrickt wurde (Il. 9,18: ἄτῃ ... βαρείῃ).752 Seine Rede bezieht sich auf die falschen Versprechungen des Unheilstraums (Il. 2,16-34), und er hat zunächst nicht vor, sich mit Achill auszusöhnen. Stattdessen schlägt er vor, den Kriegszug abzubrechen und in die Heimat zurückzukehren (Il. 9,26-28). Dagegen erhebt Diomedes, der in seiner Aristie als tapferer Krieger dargestellt wurde (Il. 5,1-6,236), entschiedenen Einspruch (Il. 9,32-49) und erwidert damit Agamemnons frühere Feigheitsbezichtigungen, denen er damals nichts entgegensetzte (vgl. Il. 4,364-421).753 Er erhält Unterstützung von Nestor, der seine Rede lobt und Agamemnon auffordert, für seine Berater ein Mahl auszurichten (Il. 9,53-78). Beim anschließenden Mahl spricht wiederum Nestor und macht den Vorschlag, Achill zu versöhnen. Dabei betont er ausdrücklich, dass Agamemnon sich mit seinem Verhalten über den Willen seiner Berater hinweggesetzt hatte (vgl. Il. 9,108-109), und bezeichnet Achill als den ἄνδρα φέριστον (Il. 9,106113). Im kleinen Kreis seiner γέροντες findet sich Agamemnon weitaus harscherer Kritik ausgesetzt als in der Heeresversammlung.754 Abschließend

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Die Anrede in Il. 9,17 zeigt, dass es sich nur um eine Versammlung der führenden Heerführer handeln kann. Griffin 1995, 77 ad loc. Zum schmählichen Verlust des Heers siehe v.a. Haubold 2000, 52-68. Zum Begriff der ἄτη siehe Dodds 1951, 2-8 sowie Yamagata 1991, 8-13. Vgl. Griffin 1995, 78-79 ad Il. 9,34ff., Wilson 1996, 211 ad Il. 9,34 sowie Scodel 2008, 6163. Vgl. Reinhardt 1961, 79-81. Siehe auch Griffin 1995, 89 und Wilson 1996, 217 zur Beobachtung, dass Achill in Il. 9,110 mit Begriffen beschrieben wird, die in Il. 1,174-175, 186, 281 noch Agamemnon zugeschrieben wurden. Noch in Il. 2,82 hatte Nestor Agamemnon noch als ἄριστος Ἀχαιῶν angesprochen.

II.1 Achill und Agamemnon

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fordert Nestor Agamemnon auf, Achill mit „gefälligen Gaben und honigsüßen Worten“ (Il. 9,113: δώροισίν τ᾿ ἀγανοῖσιν ἔπεσσί τε μειλιχίοισι755) zur Versöhnung zu bewegen, und Agamemnon scheint seinem Rat im Folgenden nachzukommen.756 In seiner Antwortrede betont er abermals seine Verblendung (Il. 9,115: ἄτας; 9,116, 119: ἀασάμην) und bekennt sich auf diese Weise zur Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens, weist jedoch jegliche Verantwortung für sein Handeln von sich (Il. 9,115-120).757 Er zeigt keine Reue, und die Vermutung liegt nahe, dass er seine Verfehlung einzig darin sieht, dass seinem Vorgehen nicht der erwünschte Erfolg beschieden war. Es bedarf einer Geste, um Achill zu versöhnen, und die Übergabe reichlicher Geschenke ist eine typische Vorgehensweise bei einer Entschuldigung, die es einem Helden ermöglicht, sein Gesicht weitestgehend und ohne Schuldeingeständnis zu wahren.758 Agamemnon beschränkt sich somit ausschließlich auf „gefällige Gaben“ und fährt fort aufzuzählen, mit welchen Gaben er Achill ehren werde, wenn dieser nur seinen Groll ablege und zum Kampfgeschehen zurückkehren wolle (Il. 9,120-161).759 Der Katalog der Geschenke ist eindrucksvoll in seiner Länge (Il. 9,121-157) und weitaus großzügiger, als für die Wiedergutmachung der Entehrung Achills zu erwarten wäre, zumal Agamemnon Achills Bedeutung für den Erfolg des Krieges vollkommen von der Hand gewiesen hatte (Il. 1,173-187). Allerdings legen einige Gegenstände den Schluss nahe, dass Agamemnon mit seiner überraschenden Großzügigkeit einen weiteren Zweck verfolgt, der mehr dem Charakter des Heerführers entspricht: Die Liste beginnt mit konventionellen Prestigegegenständen, deren hoher Wert beständig hervorgehoben wird (Il. 9,122-127: 7 Dreifüße, 10 Talente Gold, 20 Kessel, 12 Pferde).760 Danach nimmt Agamemnon Bezug auf bisher gemachte Kriegsbeute und stellt Achill sieben Frauen von Lesbos in Aussicht, von denen er behauptet, er habe sie sich selbst ausgewählt, als

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Die Adjektive ἀγανός „erfreulich“ und μειλίχιος „versöhnlich“ erscheinen bei Homer in Kontexten, in denen eine friedliche und nicht bedrohliche Grundhaltung gegenüber der ansonsten vorherrschenden Kompetitivität zum Ausdruck kommen soll, vgl. Scott 1981, 1-7. Vgl. Querbach 1976, 60, die in ihrer Diskussion des „Generationenkonflikts“ in der Ilias hier den häufigen Fall bemerkt, dass der Jüngere den Rat des Älteren nur scheinbar oder teilweise befolgt, sonst aber nach seinen eigenen Vorstellungen handelt. Vgl. Teffeteller 2003, 15-27. Vgl. Scodel 2008, 95-114 zur homerischen Entschuldigungspraxis. Vgl. Scodel 2008, 118-121. Zum Einsatz von „compensatory power“ siehe auch Rihll 1992, 41. Für Vergleichsstellen zum enormen materiellen Wert der Prestigegüter siehe Hainsworth 1993, 74 ad Il. 9,121-130: „(...) Achilles has no material reason for his refusal. Moreover, by being regally overgenerous Agamemnon is asserting his status as βασιλεύτατος, a tender point with the King of Men.“

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Achill die Insel eroberte (Il. 9,128-130). Vermutlich soll diese Beschreibung den Wert der Sklavinnen dadurch hervorheben, dass er als mächtigster Heerführer sie für wert befand, sie für sich auszuwählen, doch dieses Angebot wirkt wie eine höhnische (oder zumindest taktlose) Bestätigung des ursprünglichen Vorwurfs des Achill, er würde zwar die Hauptlast aller Kämpfe tragen, aber Agamemnon habe den meisten Vorteil davon (Il. 1,161-168).761 Ferner gelobt er, ihm Briseis zurückzugeben, und einen Eid zu leisten, dass er noch nicht mit ihr geschlafen habe (Il. 9,131-134). Dieser Eid ist als Bestandteil der Wiedergutmachung unerlässlich, denn nur unter der Bedingung, dass Agamemnon Achill nicht in sexueller Hinsicht entehrt hat, lässt sich die ursprüngliche Kränkung vollständig rückgängig machen. Damit beschließt Agamemnon die Liste der Gaben, die Achill sofort erhalten solle (Il. 9,135: ταῦτα μὲν αὐτίκα πάντα παρέσσεται). Darüber hinaus verspricht er ihm bei der Beuteverteilung nach dem Fall Troias große Mengen an Beutegut und zwanzig troianische Sklavinnen (Il. 9,135-140). Die implizite Bedingung für diese Belohnung ist jedoch, dass Achill wieder ins Kampfgeschehen eingreift und zum Fall der Stadt beiträgt. 762 Agamemnon steigert sein Angebot weiter, indem er Achill eine seiner Töchter zur Heirat anbietet und ihn zu seinem Schwiegersohn machen will. Durch die Heirat ohne Brautpreis (Il. 9,146, 288: ἀνάεδνον) stünde Achill in Agamemnons Schuld, und Agamemnon kündigt weiter an, seine Tochter mit einer unerhört großen Mitgift auszustatten (Il. 9,141-148).763 Achill begäbe sich damit in ein Abhängigkeitsverhältnis, 764 und seine Position entspräche der Situation des Othryoneus, eines Verbündeten des Priamos (Il.

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Vgl. Taplin 1986, 16. Siehe ebenda für die Beobachtung, dass Agamemnon mit der Entschädigung in Form von Frauen (Rückgabe der Briseis, Geschenk der sieben lesbischen Frauen, Auswahl zwanzig troischer Frauen nach der Einnahme Troias sowie das Angebot, eine der drei Töchter Agamemnons zu heiraten) den eigentlichen Grund für den Zorn des Achill, nämlich die Verletzung seiner τιμή, vollkommen zu verkennen scheint. Vgl. dazu Il. 1,133-134, wo sich Agamemnon weigerte, auf einen Ersatz für den Verlust der Chryseis bis zum Fall Troias zu warten. Es ist anzunehmen, dass der Brautpreis für eine Tochter des Agamemnon sehr hoch wäre, vgl. Iphidamas, der als Brautpreis 100 Rinder gab und weitere 1000 Schafe und Ziegen versprach, vermutlich für eine Tochter des Priamos, da er offenbar verpflichtet war, auf troianischer Seite zu kämpfen (Il. 11,243-245). In den homerischen Epen werden sowohl Mitgift als auch Brautpreis genannt, doch die soziale Dynamik dieser Hochzeitsbräuche ist unsicher. Snodgrass 1974, 115-118 nimmt an, dass das Statusverhältnis der Familie der Braut und des Bräutigam ausschlaggebend für die Richtung der Geschenke war. In diesem Fall bedeutete das Angebot noch eine weitere Beleidigung, denn Agamemnon nimmt wie selbstverständlich an, dass seine Familie ranghöher ist und Achill einen nicht unerheblichen Brautpreis zahlen müsste, den er ihm jedoch großzügig erlassen würde. Vgl. Lateiner 1995, 76-77, Wilson 2002, 79-80, Scodel 2008, 141-142 sowie Cairns 2011, 106-107.

II.1 Achill und Agamemnon

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13,363-369), der für die Aussicht auf die Heirat mit Kassandra ohne Brautpreis gelobte, die Griechen von Troia zu vertreiben (Il. 13,366 = 9,146, 288: ἀνάεδνον). Im Falle der Annahme dieses Angebots hätte Agamemnon nicht nur seine materielle Überlegenheit als oberster Heerführer unter Beweis gestellt, sondern zusätzlich durch die Position als Achills Schwiegervater ergänzt. Es ist bezeichnend, dass Agamemnon anbietet, Achill wie seinen leiblichen Sohn Orestes zu ehren (Il. 9,142: γαμβρός κέν μοι ἔοι· τίσω δέ μιν ἶσον Ὀρέστῃ), und ihn damit als Schwiegersohn in eine ihm untergeordnete Position bringen will.765 Agamemnons Angebot kommt einer Adoption gleich und entspricht der Eingliederung eines heimatlosen Abenteurers in den Haushalt eines mächtigen Königs, wie im Falle des Bellerophon (Il. 6,192-195).766 Achills späterer Vorwurf, er werde wie ein „ehrloser Zugewanderter“ behandelt (Il. 9,648 = 16,59: ἀτίμητον μετανάστην), nimmt auf diese Vorgehensweise Bezug und bestätigt diese Einschätzung der scheinbar großzügigen Geschenke.767 Agamemnon fährt in der Aufzählung der Geschenke fort, nachdem er Achill auch noch die Herrschaft über „sieben gutbewohnte Städte im sandigen Pylos“ (Il. 9,149-156) in Aussicht stellt. Dabei handelt es sich um ein wahrlich fürstliches Angebot, doch es steht zu vermuten, dass Achill sich dadurch zu einem Lehensmann des Agamemnon machen würde. 768 Neben Bellerophon, der zusammen mit der Heirat der Königstochter auch Anteil an der Herrschaft bekam (Il. 6,192-195), mag hier auch Phoinix als Vergleich dienen: Er wurde von Peleus zum Herrscher über die Doloper in Phthia gemacht, und ist doch auch ein θεράπων des Peleus und Erzieher Achills (Il. 9,479-492). Die in Aussicht gestellten sieben Städte in Pylos befinden sich auf der Peloponnes in relativer räumlicher Nähe zu Agamemnons eigenem Herrschaftsgebiet in Mykene (zumindest im Vergleich zu Achills Heimat in Phthia), und da Peleus noch am Leben ist, wäre Achill mit der Herrschaftsübernahme dort ein abhängiger Lehensmann und König nur von Agamemnons Gnaden.769

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Vgl. Finlay 1980, 269-270: „The most remarkable of the king’s offers to Achilleus is one of his daughters, a cunning attempt to use a gift as an instrument of submission (9.144-148): Agamemnon “born the elder,” would make Achilleus his son-in-law.“ Ebenso auch Wöhrle 1999, 58-61. Vgl. Donlan 1993, 165 und Seaford 1994, 16-22: „Indeed, the offer of gifts may even be somewhat counter-productive, to the extent that it connotes the subordinate integration of Achilles“ (S. 21). Vgl. auch Mackie 1996, 147-148 zu Agamemnons Adoptionsversuch. Vgl. Redfield 1994, 15-16 und v.a. Alden 2012. So auch angedeutet bei Calhoun 1962, 456 und explizit ausgeführt bei Alden 2012, 118-125. Vgl. v.a. Beidelman 1989, 237-238. Vorsichtig auch Griffin 1995, 93 ad Il. 9,149-153: „The implication seems to be that Achilles is to leave his home and become a minor prince dependent on Agamemnon.“

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Agamemnon beschließt seine Rede mit seiner einzigen Bedingung, nämlich dass sich Achill ihm beuge, soweit Agamemnon ihm an Ansehen und Alter überlegen sei (Il. 9,160-161). Dieses offene Eingeständnis der Instrumentalisierung der Geschenke zeigt, dass Agamemnon mit seinem Angebot einzig Achills Unterordnung unter seinen Oberbefehl erreichen will. Er ist bereit, Achill für seine Kampfkraft entsprechend zu ehren, besteht dabei jedoch auf der Position, dass sein Status und seine politische Macht höher einzustufen seien als Achills Stärke. Agamemnon stellt Achill also reichlich δῶρα ἀγανά in Aussicht, ἔπεα μειλίχια in Form einer Entschuldigung oder eines Schuldeingeständnisses bietet er ihm hingegen nicht an.770 Dass Agamemnon die versöhnlichen Worte, die Nestor ihm vorschlägt, nicht zu leisten bereit ist, zeigt dabei, dass er nicht von seiner ursprünglichen Position ablassen will und nach wie vor auf seinem eigenen Anspruch beharrt. Er versucht, das Fehlen einer expliziten, verbalen Entschuldigung durch eine übertriebene Menge an materiellen Gaben zu kompensieren, und die großzügige Liste an Geschenken verfolgt mehrere Zwecke: Natürlich will Agamemnon Achill wieder zur Teilnahme am Kampf überreden, da er ohne ihn weder das griechische Heer vor der Zerstörung retten noch die Expedition gegen Troia zu einem erfolgreichen Abschluss bringen kann. Ferner will er jedoch durch die ostentative Darstellung seiner Großzügigkeit seine materielle Überlegenheit demonstrieren und durch die Geschenke gezielt Achills Verpflichtung zu entsprechenden Gegenleistungen erwirken, die zwangsläufig mit der Anerkennung seiner sozialen und politischen Überlegenheit verbunden wäre.771 Agamemnons Angebot stellt somit keine ποινή „Buße“ für das Unrecht dar, das er seinem fähigsten Kämpfer angetan hat, sondern er selbst bezeichnet die angebotenen Geschenke als „Lösegeld“ (Il. 9,120: ἄποινα), für die er explizit eine Gegenleistung erwartet.772 Zwischen beiden Begriffen besteht in diesem Kontext ein entscheidender Unterschied, denn bei der Transaktionsform der ποινή erhält der Empfänger eine Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht auf

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Vgl. Bassett 1934, 59-62, Eichholz 1953, 143-145, Rosner 1976, 320, Taplin 1990, 71 und 1992, 69-71, Yamagata 1994, 47-49, Allan/Cairns 2011, 122-123 sowie den Kommentar von Wilson 1996, 217 ad Il. 9,112-113 sowie 221 ad Il. 9,158-161. Vgl. die Argumentationen von Donlan 1993, Postlethwaite 1998, 97 und Wilson 2002b, 75-83. Mit exemplarischer Ausführlichkeit und Deutlichkeit ausgeführt bei Wilson 2002b, 71-83. Schadewaldt 1975 übersetzt in Il. 9,120 ἄποινα fälschlich als „Buße“ und Reinhardt 1961, 212 spricht unzutreffend von „Reugeld“, obgleich ἄποινα üblicherweise das „Lösegeld“ bezeichnet, mit dem eine Familie ein in Gefangenschaft geratenes Familienmitglied auslöst (z.B. Il. 1,13 et passim; 6,46/49; 11,131/134). Vgl. Wilson 2002b, 40 zu ἄποινα: „payments in prestige goods made to recover something that rightly belongs to a person or group: in almost all extant examples a subordinate member of one’s family, preferably alive.“ Zum üblichen Gebrauch dieser Terminologie siehe auch oben I.4.2.3.

II.1 Achill und Agamemnon

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Kosten der τιμή des Gebers, wohingegen eine Zahlung von ἄποινα den Empfänger zu einer Gegenleistung (meistens der Herausgabe eines Gefangenen) verpflichtet und für den Geber keine Einbuße an τιμή bedeutet. Statt Wiedergutmachung für das Unrecht zu leisten, das er Achill angetan hat, unternimmt Agamemnon einen Bestechungsversuch. Die Bedingung, die Agamemnon dabei für die Übergabe der Geschenke anführt, besteht darin, dass Achill von seinem Zorn ablässt, und die erwartete Gegengabe besteht konkret in der Heeresfolge und der Anerkennung des Anspruchs des Agamemnon auf eine höhere τιμή.773 So beschließt er die lange Aufzählung seiner Geschenke mit folgenden Worten: Il. 9,157-161: ταῦτά κέ οἱ τελέσαιμι μεταλλήξαντι χόλοιο. (...) καί μοι ὑποστήτω, ὅσσον βασιλεύτερός εἰμι ἠδ᾿ ὅσσον γενεῇ προγενέστερος εὔχομαι εἶναι. Diese Dinge wollte ich ihm erfüllen, nachdem er vom Zorn abgelassen hat.774 (...) Und er soll sich mir unterordnen, um soviel ich königlicher bin und soviel an Geburt ich mich rühme, früher geboren zu sein.

Agamemnon verweist hier explizit auf die Kriterien, durch die er seine Überlegenheit gerechtfertigt sieht, seine größere politische Macht und Reichtum (βασιλεύτερος) sowie höheres Alter (γενεῇ προγενέστερος): Letzteres entspricht dabei dem Versuch, sich Achill als Schwiegersohn unterzuordnen.775 Die überlegene Kampfkraft Achills hingegen, auf der dessen Anspruch beruht, übergeht er vollkommen, und diese Forderung stellt eine weitere Beleidigung dar.776 Es ist Agamemnons politische Macht, die es

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Vgl. Hainsworth 1993, 79 ad loc. Schadewaldt 1975 übersetzt konditional „wenn er ablässt vom Zorn“. Die griechische Partizipialkonstruktion in Il. 9,157: μεταλλήξαντι χόλοιο macht die konditionale Beziehung der Beendigung des Zornes mit der Übergabe der Geschenke nicht explizit, doch auch eine temporale Auffassung des Partizips führt zu der Deutung, dass Achill zuerst von seinem Zorn ablassen muss, bevor Agamemnon ihm die Gaben übergeben würde. Es scheint unumgänglich, γενεῇ προγενέστερος in Il. 9,161 auf höheres Alter zu beziehen und darin neben der Betonung der Anerkennung, die einem älteren und erfahrenen Helden von einem jüngeren zusteht, einen Verweis auf die Möglichkeit zu sehen, Achill könnte Agamemnons angenommener Sohn werden. Hainsworth 1993, 79-80 ad loc. und Wilson 1996, 221 ad loc. hingegen beziehen γενεῇ προγενέστερος auf die ehrwürdigere Abstammung des Agamemnon, obgleich fraglich ist, ob die Abkunft des Agamemnon tatsächlich ehrwürdiger ist als die des Achill als Sohn einer Göttin. Vgl. Rosner 1976, 320: „(...) Agamemnon’s charge to Odysseus is especially important because of the absence of anything resembling sweet words or words of friendship.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

ihm ermöglicht, so viele Geschenke aufzubringen, und Besitztümer und Ehrengaben sind sichtbarer Ausdruck der τιμή eines Helden, insofern als sie von seiner Leistung als Krieger und der Wertschätzung seiner Standesgenossen zeugen. Im Falle des exorbitant hohen Werts der von Agamemnon angebotenen Besitztümer betonen diese mehr Agamemnons Status, aufgrund dessen er über das nötige Vermögen verfügt, als seine Wertschätzung gegenüber Achill, der keine andere Möglichkeit hat, solch umfangreiche Gaben zu erwidern, als Agamemnons Vorherrschaft anzuerkennen und für ihn zu kämpfen.777 Die Geschenke des Agamemnon sind keine Entschuldigung, sondern stellen den Versuch dar, Achill durch eine Demonstration seiner Macht einzuschüchtern und ihn auf den ihm zustehenden und dem Heerführer untergeordneten Platz zu verweisen. Denn entsprechend den Vorgaben der homerischen Geschenkeökonomie verfolgt das Geschenk einzig den Zweck, sich der Unterordnung und Loyalität des Beschenkten zu versichern, wenn der Gebende sich in einer höheren Position wähnt.778 Nestors Reaktion auf das augenscheinlich so großzügige Angebot des Agamemnon ist verhalten: Il. 9,164: δῶρα μὲν οὐκέτ’ ὀνοστὰ διδοῖς Ἀχιλῆι ἄνακτι. Keine verächtlichen Gaben bietest du dem Herrn Achill.

Der Formulierung δῶρα μὲν folgt kein entsprechendes Gegenstück mit δέ, und obwohl die Geschenke tatsächlich überaus großzügig sind, kommt Nestor nicht umhin festzustellen, dass den Gaben ein entsprechendes verbales Versöhnungsangebot fehlt (vgl. Il. 9,113).779 Da die Art, wie Geschenke übergeben werden, ihre Bedeutung bestimmt,780 kann Agamemnons rein materielles Angebot kein aufrichtiges Versöhnungsangebot darstellen, sondern einzig der Versuch, Achill durch die Demonstration

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In fact, he ends his speech – a speech which he expects to be delivered verbatim – with the volatile and insulting βασιλεύτερός εἰμι (160).“ Vgl. Thornton 1984, 126: „The abundance and splendor of these gifts are a proud display of superior wealth and power rather than a humble offer for reconciliation. There are no “winning words”. “ Vgl. dazu oben I.4.3.2. Gut zusammengefasst bei Danek 2010, 66: „Wenn er [d.h. Agamemnon] seinen Fehler eingesteht und einschwenken muss, bietet er Achill einen Schein-Kompromiss an: finanzielle Abfindung bei gesellschaftlicher Degradierung und demütigende Unterwerfung unter den Oberkommandanten.“ Vgl. Griffin 1995, 95 ad loc. sowie Wilson 1996, 221 ad loc. Obgleich Hainsworth 1993, 80-81 ad loc. anmerkt, dass derartiges μέν solitarium zu häufig ist, um aussagekräftig zu sein, lässt gerade in diesem Kontext μέν ohne korrespondierendes δέ darauf schließen, dass Nestor das Fehlen einer Entschuldigung bemerkt und bemängelt. Vgl. Allan/Cairns 2011, 121-126.

II.1 Achill und Agamemnon

169

seiner überragenden materiellen Ressourcen auf einen untergeordneten Platz zu verweisen. Nestor jedoch übergeht das Fehlen einer expliziten Entschuldigung, indem er die Gesandten auswählt, die das unzureichende Angebot an Achill übermitteln sollen (Il. 9,165-172). Es erfolgt eine Libation und die Entsendung von Odysseus, Phoinix und Aias zusammen mit zwei Herolden zur Hütte des Achill (Il. 9,174-181). Dort finden sie Achill vor, wie er mit der „hellstimmigen Leier“ „die Ruhmestaten der Männer“ besingt (Il. 9,186189). Die Leier erfüllt als Symbol mehrere Funktionen: Sie erinnert an Achills Kriegstaten und dient der Versicherung seiner heroischen Identität, da sie als Beutestück aus der Stadt des Eëtion beschrieben wird,781 hebt jedoch gleichzeitig pointiert seine momentane Untätigkeit hervor, da er nur Heldentaten besingt und nicht wie zuvor selbst vollbringt.782 Ferner bekräftigt die Tatsache, dass Achill während seiner Kampfverweigerung traditionelle Heldenlieder singt, die Beobachtung, dass er dem Heldenideal nicht entsagt hat, sondern sich diesem weiterhin verpflichtet fühlt. Als die Gesandten sich nähern, werden sie von Achill als φίλοι und φίλτατοι begrüßt (Il. 9,197-198, 204) und bewirtet (Il. 9,199-220). Das gemeinsame Mahl ist ein Zeichen für die kameradschaftlichen Beziehungen zwischen den Helden,783 denn der Streit betrifft nur die φιλότης-Relation zwischen Achill und Agamemnon. Auf das Essen folgt eine Unterhaltung, in der jeder der Gesandten seinen eigenen Ansatz verfolgt, um Achill umzustimmen und zur Abkehr von seinem Groll zu bewegen. Zunächst hebt der greise Phoinix zu sprechen an, doch Odysseus kommt ihm zuvor (Il. 9,222-224).784 Der Zweck seiner Rede besteht darin, Achill offiziell die Geschenke Agamemnons anzubieten, doch Odysseus gibt sich Mühe, das Angebot aufzubereiten (Il. 9,225-306). Er beginnt, die Bedrängnis der Achaier durch Hektor zu schildern (Il. 9,229-351), und bringt damit zum Ausdruck, dass die Voraussage von Achills Eid eingetreten ist (Il. 1,240: ἦ ποτ᾿ Ἀχιλλῆος ποθὴ ἵξεται υἷας Ἀχαιῶν). Als Vorbereitung für das Versöhnungsangebot erinnert er Achill an die Mahnung des Peleus zur φιλοφροσύνη, auf dass er dafür mehr Ehrungen erhalten solle (Il. 9,252258). Daraufhin unterbreitet er ihm wortgetreu Agamemnons Angebot materieller Rekompensation, wie es für die mündliche Kompositionstechnik

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Vgl. Zarker 1965, 113-114 sowie Muellner 1996, 138-139. Vgl. King 1987, 10-11, Edwards 1987, 220 sowie Hainsworth 1993, 88 ad loc. Kommentatoren sind sich einig, dass es sich bei den κλέα ἀνδρῶν (Il. 9, 189) um epische Heldendichtung handelt. Zu dieser Einschätzung siehe auch van Wees 1995, 166-177, der jedoch nicht auf diese Mahlszene eingeht. Zu der Beobachtung, dass Odysseus hier die Führung übernommen hat, obwohl eigentlich Phoinix damit beauftragt worden war, siehe v.a. Nagy 1999, 49-55. Zum folgenden Redepaar siehe auch die detailreiche Analyse bei Wilson 2002b, 83-96.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

charakteristisch ist, und wiederholt dabei auch diejenigen Gaben, deren Doppeldeutigkeit gezeigt werden konnte (Il. 9,122-157 ≈ 264-299). Geschickt vermeidet Odysseus es dabei, Agamemnon mit Epitheta zu bezeichnen, die dessen Position betonen und ansonsten für Agamemnon typisch sind,785 und die mit den Geschenken verbundene Forderung Agamemnons, dass Achill ihn als βασιλεύτατος anerkennen solle (Il. 9,160161), und die damit verbundene Aufrechterhaltung seines Überlegenheitsanspruchs lässt er geflissentlich aus.786 Zudem benennt Odysseus an keiner Stelle die Geschenke Agamemnons als Wiedergutmachung für die erlittene Schmach (ποινή), die Achill an dieser Stelle zu Recht erwartet, sondern bezeichnet die Gaben als Belohnung für Achills Rückkehr zum Heer (Il. 9,261: ἄξια δῶρα ... μεταλλήξαντι χόλοιο; vgl. 9,157). Das Angebot an Geschenken ist reichlich, doch es bedürfte der entschuldigenden Worte Agamemnons, damit seine Geschenke als Wiedergutmachung für die erlittene Entehrung gedeutet und zu einem Symbol der Anerkennung für Achill werden können. Offenbar ist sich Odysseus der Unzulänglichkeit des Angebots auch mit der Unterschlagung der expliziten Forderung bewusst, und beschließt seine Rede mit einem Aufruf zum Mitleid für das Heer, das Achill dafür wie einen Gott ehren werde, und erwähnt die Möglichkeit, Achill könne bei seiner Rückkehr in die Schlacht Hektor töten (Il. 9,300-306). Zusätzlich zu den materiellen Gaben stellt er ihm somit Anerkennung (τιμή) von den übrigen Griechen, den Ruhm (κῦδος), Hektor zu töten, sowie die aus dieser Tat resultierende Verewigung in der kollektiven Erinnerung (κλέος) in Aussicht.787 Mit Ausnahme dessen, was Achill wirklich will, nämlich Agamemnons Anerkennung seiner auf überlegener Kampfkraft basierenden Vorrangstellung, bietet Odysseus Achill alles an, was ein homerischer Held sich nur wünschen kann. Zudem versucht er die entgegengesetzte, unausgesprochene Forderung Agamemnons, Achill solle sich ihm unterordnen, zu überspielen.788

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Beobachtung von Whallon 1961, 104, auch bei Taplin 1990, 71. Vgl. Whitman 1958, 191-192, Brenk 1986, 80, Edwards 1987, 222, Redfield 1994, 15, Muellner 1996, 141-143, Nagy 1999, 51-53 sowie Walsh 2005, 119-121, 190-191. So auch de Roguin 2009, 74. Siehe auch Arieti 1986, 5, der Achills Weigerung jedoch als eine Entfremdung von den heroischen Werten deutet. Vgl. auch die rhetorische Strukturanalyse bei Hainsworth 1993, 92-94. Das anschließende Urteil überrascht jedoch: „Unfortunately for Odysseus, Akhilleus is about to be depicted as an unreasonable young man to whom glory now means nothing and who will seize on the very point Odysseus was careful to omit, the real attitude of Agamemnon.“ Denn gerade weil er noch auf Anerkennung bedacht ist und Agamemnons wahre Intention erkennt, lehnt Achill das Angebot ab – wohl kaum ein Zeichen von unvernünftigem Verhalten!

II.1 Achill und Agamemnon

171

Achill antwortet mit einer emotionalen und komplexen Rede (Il. 9,308429), in der er auf die Unzulänglichkeiten des Angebots eingeht. 789 Seine Aussage, „der Mann, der das eine verbirgt im Sinn und anderes ausspricht“ sei ihm „verhasst wie die Tore des Hades“ (Il. 9,312-313: ἐχθρὸς γάρ μοι κεῖνος ὁμῶς Ἀίδαο πύλῃσιν, / ὅς χ᾿ ἕτερον μὲν κεύθῃ ἐνὶ φρεσίν, ἄλλο δὲ εἴπῃ) zeigt, dass er sowohl die Unaufrichtigkeit von Agamemnons scheinbar großzügigem Angebot als auch Odysseus‘ rhetorische Strategie durchschaut.790 Unter diesen Voraussetzungen, wenn Agamemnon nicht bereit ist, Achills überlegene Kampfkraft entsprechend anzuerkennen, müssen auch die Reden der anderen beiden Gesandten scheitern (Il. 9,315-317; vgl. auch 9,311: ὡς μή μοι τρύζητε παρήμενοι ἄλλοθεν ἄλλος). Achill sieht nicht ein, warum er wieder zu Agamemnons Gewinn sein Leben im Kampf riskieren solle, wenn er dafür nicht die gebührende Ehre erhält (Il. 9,318-227). Den Vorwurf der Undankbarkeit, dass Leistung im Kampf nicht entsprechend vergolten wird, erhebt in derselben Form auch Glaukos in einer tadelnden Rede gegenüber Hektor (Il. 17,146-148),791 doch Achill fasst seine Frustration in gnomische und allgemeingültig gehaltenen Worte: Il. 9,318-319: ἴση μοῖρα μένοντι καὶ εἰ μάλα τις πολεμίζοι ἐν δὲ ἰῇ τιμῇ ἠμὲν κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός. Gleiches Teil wird dem, der zurückbleibt, und wer noch so sehr kämpft, und in gleicher Ehre steht der Schlechte wie auch der Tüchtige.

Achill lehnt das von Agamemnon bevorzugte statische Bewertungssystem ab, nach dem jedem Helden entsprechend seinem gesellschaftlichen Rang Ehre und Ansehen zusteht, und bevorzugt das dynamische System, nach dem jeder Held in Anerkennung seiner erbrachten Leistungen geehrt wird. Folglich nimmt er daran Anstoß, dass nicht die Beteiligung am Kampf das entscheidende Kriterium bei der Beuteverteilung ist und dass Agamemnon als κακός (in diesem Kontext „Feigling“, vgl. 9,318: μένοντι; 9,332: μένων παρὰ νηυσὶ θοῇσι), dem er auch zuvor schon Feigheit vorwarf (vgl. Il. 1,225228), in gleichem Maß Anspruch auf einen Anteil an der Kriegsbeute erhebt, die Achill in seinen Raubzügen erbeutete, und für deren Verteilung unter den anderen Helden er zuständig ist (Il. 9,228-333). Es scheint, dass über diese Ungerechtigkeit schon zuvor Unzufriedenheit bestand (vgl. Il. 1,162-168), die dadurch verschärft wurde, dass Agamemnon Achill dessen

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Zur Struktur und Argumentation der Rede Achills siehe Schein 1980, 126-131, Edwards 1987, 222-224, Griffin 1995, 108-110 und Gill 1996, 124-154. Für eine Analyse von Achills Sprache siehe Parry 1956, Reeve 1973, Nimis 1986 und Martin 1989, 146205. So auch Griffin 1995, 111 ad loc., Gill 1996, 144 mit Anm. 170 sowie Wilson 1996, 231 ad loc. Vgl. Moulton 1981, 5-6 zu weiteren Gemeinsamkeiten.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

ohnehin kleineres γέρας wegnahm (Il. 9,335-336). Den Vorwurf, dass der Krieg von Anfang an wegen des Raubs der Helena nur um die Ehre der Atreus-Söhne geführt wurde (vgl. Il. 1,152-159), verbindet Achill geschickt mit der Anklage, dass Agamemnon ihm seine Frau wegnahm (Il. 9,337345). Damit beginnt Achill einen neuen Gedanken, indem er konstatiert, dass die Achaier nicht in der Lage sein werden, Hektor abzuwehren, da nur sein eigener Kampfeinsatz Hektor bisher abhalten konnte (Il. 9,346-355). Nun jedoch, da das Angebot Agamemnons vollkommen unzureichend ist, kündigt er an, am nächsten Morgen in seine Heimat Phthia zurückzukehren, und nichts könnte die Ablehnung des Angebots deutlicher zum Ausdruck bringen (Il. 9,356-367). Achill verfügt über Reichtümer in seiner Heimat (vgl. Il. 9,400) und aus Kriegsbeute, sodass er keiner materiellen Bestärkung seines gesellschaftlichen Ranges bedarf (Il. 9,364-367). Die Formulierung weist darauf hin, dass es sich dabei um Besitztümer handelt, die Achill durch die reguläre Beuteverlosung erhalten hatte (vgl. Il. 9,367: ἔλαχον). Das einzige, was er Agamemnon zurücklassen werde, sei seine Ehrengabe, um die er so schamlos betrogen wurde (Il. 9,367-377). Der vorherige Verweis auf Hektors Kraft und seine eigene Abreise fungiert dabei als Drohung und als Druckmittel (vgl. Il. 9,682).792 Erst 70 Verse nach dem Beginn seiner Antwortrede nimmt Achill Bezug auf die Geschenke Agamemnons (Il. 9,378-392); dessen Versuch, Achill durch materiellen Ausgleich zu versöhnen, ist zum Scheitern verurteilt, da Achill mit der Annahme der Geschenke auch den Überlegenheitsanspruch Agamemnons anerkennen müsste. Denn Agamemnon hätte auf diese Weise erfolgreich seine Überlegenheit demonstriert, die es ihm ermöglicht, eine solche Menge an Geschenken aufzubringen.793 Der Reichtum Agamemnons besteht zu einem nicht geringen Teil aus Gütern, für deren Beschaffung Achill verantwortlich war (vgl. Il. 9,328-333), und die Übergabe der Menge an Geschenken würde mehr den Reichtum und Status des Agamemnon demonstrieren, als Achill zu ehren. Achill aber will sich keinesfalls auf materieller Ebene von Agamemnon übertrumpfen lassen. 794

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Vgl. Hainsworth 1993, 110 sowie Wilson 1996, 233 ad Il. 9,356-363. Vgl. Edwards 1987, v.a. 235, Donlan 1993, 164-166, Redfield 1994, 15-16, Postlethwaite 1995, 100-103 und 1998, 97 sowie Wilson 1996, 19. Edwards 1987, 235: „The gifts offered by Agamemnon in Book 9 would also bring honor to Achilles, as all the Greeks see, but they can be removed as easily as Briseis was (or never handed over). Moreover, munificence on that scale does great honor to the giver, too – like mercy, it blesseth him that gives and him that takes – and it is Agamemnon’s humiliation that Achilles desires, not an increase in his stature. Gifts of that value would reaffirm in the strongest way Achilles’ subordinate status to Agamemnon. Achilles does not need more wealth; he does not want gifts of Agamemnon’s giving, gifts that would honor his enemy as much as himself. Still less does he desire to be linked to Agamemnon by marriage with his daughter.“ Vgl.

II.1 Achill und Agamemnon

173

Mit der Annahme der Geschenke müsste Achill Agamemnons gesellschaftliche Überlegenheit akzeptieren, auf deren Grundlage dieser sich herausnahm, Briseis für sich zu beanspruchen. Zwar könnte jeder andere Held dieses Angebot mit einem Zugewinn an τιμή annehmen, nicht jedoch Achill, der seinerseits den Rang des ἄριστος Ἀχαιῶν für sich beansprucht, wenn auch auf einer anderen Grundlage als Agamemnon. Insofern würde die Einwilligung Achills in dieses Angebot nicht nur den Streit durch die Anerkennung seiner eigenen Unterlegenheit beenden,795 sondern gemäß den gesellschaftlichen Grundsätzen der Wechselseitigkeit von Geschenken und Leistungen stünde Achill damit auch in Agamemnons Schuld. 796 Er würde sich von Agamemnon abhängig machen und sich verpflichten, wieder für diesen zu kämpfen.797 Diese Vorstellung ist Achill verständlicherweise unerträglich, und die Geschenke Agamemnons sind ihm folglich verhasst (Il. 9,378: ἐχθρὰ δέ μοι τοῦ δῶρα). Achill fährt fort, dass keine Menge an materiellen Gaben ausreichend sein könne (Il. 9,379-386; vgl. 9,401-407), bevor Agamemnon ihm „die kränkende Schmach abgegolten habe“ (Il. 9,387: πρίν γ᾿ ἀπὸ πᾶσαν ἐμοὶ δόμεναι θυμαλγέα λώβην).798 Mit dieser Forderung schließt er aus, dass Agamemnon ihn mit Geschenken umstimmen könne, bevor er ihm nicht auf andere Art Wiedergutmachung geleistet habe. Es steht zu erwarten, dass Achill darauf bedacht ist, Agamemnon öffentlich zu erniedrigen und sich selbst als ἄριστος Ἀχαιῶν zu etablieren.799 Achill wendet sich damit nicht prinzipiell gegen den heroischen Verhaltenskodex mit seinem starken Fokus auf τιμή und auch nicht gegen die Möglichkeit, sich durch Geschenke zur Rückkehr zum Kampf überreden zu lassen, wenn nur Agamemnon zuerst in anderer Form gebüßt habe.800 Angesichts der gegenwärtigen, inakzeptablen Form der „Entschuldigung“

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ebenso Reeve 1973, 18, der jedoch die Vorgaben des Plots für Achills generelle Ablehnung materieller Kompensation anführt. Vgl. Gottschall 2008, 61-63. Siehe dazu v.a. die Arbeiten von Donlan 1981/82, 1982, 1993 sowie oben I.4.3.2. Vgl. Rowe 1983, 263, Donlan 1993, 165 sowie Redfield 1994, 15-16, 105. Vgl. Griffin 1995, 121 ad loc. sowie Shay 2000, 37-38 Vgl. Hainsworth 1993, 112-114 sowie Grethlein 2006a, 127: „Die Verbindung von λώβη mit ἀποδιδόναι ist spannungsreich. So bezeichnet ἀποδιδόναι zumeist das Zurückgeben von materiellen Gütern. Die λώβη ist aber kein materielles Gut. Ferner markiert das Präfix ἀπο-, daß die Kompensation in der gleichen Währung wie die Verletzung erfolgen muss. Die Forderung läßt sich entweder so interpretieren, daß Achill fordert, die Schmach müsse ungeschehen gemacht werden, oder daß Agamemnon eine vergleichbare Schmach erleiden müsse.“ Vgl. Wilson 2002b, v.a. 92-93 mit Rez. Rabel 2003. Vgl. auch Claus 1975, 24-25.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Agamemnons kann Achill jedoch nicht anders reagieren. 801 Im Falle einer echten Bittgesandtschaft hätte Achill die geschuldete Anerkennung erhalten und die mit der ideellen Satisfaktion verbundene materielle Rekompensation annehmen können,802 doch die Verweise darauf, dass Achill durchaus geneigt wäre, einer Supplikation zu entsprechen (Il. 11,608-610; 16,7173), sind Ausdruck der Unzulänglichkeit der gegenwärtigen Gesandtschaft.803 Die Ablehnung des Heiratsangebots (Il. 9,388-392) führt ihn wieder zum Thema seiner Rückkehr in die Heimat, wo sein Vater Peleus eine Frau für ihn aussuchen werde und er den Besitz des Vaters genießen könne (Il. 9,393-400). Abermals kehrt er zum Thema des Besitzes zurück und bekräftigt, dass keine Reichtümer ausreichend seien, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Die Formulierung, die er dabei benutzt, dass ihm sein Leben mehr wert sei als aller Reichtum in Troia oder im Heiligtum in Delphi (Il. 9,401409), erklärt sich aus der Prophezeiung seiner Mutter Thetis (Il. 9,410-416): Diese hatte ihm vorausgesagt, dass er entweder vor Troia fallen und ewigen Ruhm gewinnen werde (Il. 9,413: ὤλετο μέν μοι νόστος, ἀτὰρ κλέος ἄφθιτον ἔσται), oder ruhmlos ein langes Leben in der Heimat führen werde (Il. 9,415-416). Der frühe Tod und das Erlangen von κλέος ἄφθιτον ist jedoch mit dem Wiedereintritt in die Schlacht verbunden, der in Achills derzeitiger Situation nur mit einer Unterordnung unter Agamemnons Oberbefehl möglich ist. Achill lehnt nicht prinzipiell ewigen Ruhm ab, doch angesichts dieser Optionen zieht er die Rückkehr in die Heimat vor.804 Daraufhin rät er seinen Gästen, auch selbst den aussichtslosen Feldzug abzubrechen und abzureisen, da Zeus die Troianer beschütze (Il. 9,417-420; vgl. 9,233-239). Achill weiß, dass Zeus sich gegen die Achaier gewandt hat,

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Eine hervorragende Zusammenstellung der Argumente für die Ablehnung Achills findet sich bei Edwards 1987, 231-236. Vgl. auch Yamagata 1994, 49 zu Achills Ablehnung: „Nobody in his society could accept such a deal.“ Vgl. jedoch auch Finley 1975, 120, der trotz Anerkennung des Prinzips kompetitiven Schenkens hierzu anmerkt: „The hero’s mistake was not made at the beginning; it came at the refusal of the penal gift, for that marked him as a man of unacceptable excesses, shameless in breaching the heroic code.“ Angedeutet bei Kirk 1962, 214, explizit bei Thornton 1984, 132, Alden 2000, 182-199 sowie Grethlein 2006a, 124-125. Es ist somit unnötig, mit Hainsworth 1993, 289-290 ad Il. 11,609 eine Inkonzinnität zwischen Il. 9 und den Passagen in Il. 11 und 16 anzunehmen, in denen Achill erst auf ein Versöhnungsangebot der Achaier zu hoffen scheint, die darauf zurückzuführen ist, dass es sich bei der Gesandtschaft um eine späte Hinzufügung handele. Achill verwendet seine Abreise und sein alternatives Schicksal als Druckmittel, und es ist unerheblich, ob er tatsächlich eine Wahl hat. An keiner anderen Stelle wird die Möglichkeit eines anderen Schicksals erwähnt, und Achill wird immer als kurzlebig bezeichnet (Il. 1,352, 416-417, 505; 18,54-60), vgl. Hirschberger 2012.

II.1 Achill und Agamemnon

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da er selbst seine Mutter darum gebeten hatte, auf Zeus Einfluss zu nehmen (Il. 1,393-412), und indem er hier auf die gegenwärtige Notlage verweist, erhöht er zum Abschluss seiner Rede den Druck auf die Anführer der Griechen: Sie müssen sich einen besseren Plan einfallen lassen, solange er in seinem Groll verharre (Il. 9,421-426). Mit seinen letzten Worten wendet sich Achill an Phoinix und bietet ihm an, mit ihm nach Phthia abzureisen (Il. 9,427-429). Damit führt er den Gesandten die Dringlichkeit der Situation vor Augen und bringt sie in Zugzwang. Nach anfänglichem Erstaunen über Achills entschiedene Ablehnung ergreift der greise Phoinix das Wort (Il. 9,430-433). Phoinix‘ Anwesenheit in der Gesandtschaft ist durch seine Position als Vertrauter Achills begründet, und in dieser Funktion versucht Phoinix auf Achill Einfluss zu nehmen. 805 Seine weitschweifige Rede (Il. 9,434-605) basiert überwiegend auf paradigmatischen Erzählungen.806 Er kündigt an, wenn Achill tatsächlich abfahre, wolle er nicht zurückbleiben, da er von Peleus als Begleiter und Erzieher Achills geschickt wurde und nicht von ihm getrennt sein wolle (Il. 9,434445). Die Bekräftigung, er wolle Achill nicht einmal verlassen, wenn er von einem Gott verjüngt werde und wieder jung sei wie damals, als er an den Hof des Peleus kam (Il. 9,445-448), bietet die Gelegenheit zu einem Exkurs über seine Herkunft und seine besondere Beziehung zu Achill (Il. 9,447495): Er kam als Flüchtling vor dem Zorn seines Vaters Amyntor infolge eines Streits um eine Konkubine zu Peleus, der ihn freundlich aufnahm und zum Herrscher über die Doloper machte (Il. 9,483-484). Phoinix erhielt Geschenke und eine Ehrenstellung von Peleus, und ebenso werden nun Achill Reichtümer und Land von Agamemnon in Aussicht gestellt.807 Phoinix befand sich damals in der Position eines „ehrlosen Zugewanderten“ (vgl. Il. 9,648; 16,59), der in das Haus eines mächtigen Königs aufgenommen wurde. Achill jedoch lehnt aus eben diesem Grund Agamemnons Geschenke, die Heirat mit seiner Tochter und die Aussicht auf ein Herrschaftsgebiet bei Pylos ab, weil er nicht in untergeordneter Position in das Haus Agamemnons aufgenommen werden will. Phoinix hingegen wurde ein Diener des Peleus und der Erzieher Achills (Il. 9,485-495).808 Der Grund

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Zu Phoinix als Erzieher Achills siehe Rosner 1976, 315-318, Mackie 1997, 4-9, Avery 1998, 389-391 und Wöhrle 1999, 52-56. Vgl. Scodel 1982, 136: „By leaving the argument veiled entirely in narrative, Phoenix succeeds in presenting his message far more tactfully than even the celebrated Odysseus.“ Siehe auch Wilson 1996, 237-238 zur Struktur der Rede. Die Erzählung weist zahlreiche weitere Parallelen zwischen Phoenix‘ damaliger und Achills jetziger Situation auf, vgl. Rosner 1976, 319 sowie Alden 2012, 122-125. Vgl. Rosner 1976, 318: „In recalling his own role as surrogate father to Achilles, in urging Achilles‘ obedience to him because of that role, Phoenix is encouraging Achilles‘ obedience to the father figure of the analogy which the Peleus panel presented – Agamemnon.“ Scodel 1982, 131-132 spricht sich gegen diese Gleichsetzung aus, doch durch die Formulierung Achills, er werde wie ein „ehrloser Zugewanderter“ (vgl. Il.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

für Phoinix‘ Erzählung scheint darin zu bestehen, Achill an seine Funktion als Erzieher zu erinnern, und nachdem er auf diese Weise seine Position als zuverlässiger Berater betont hat, bittet er Achill, seinen Zorn zu bezähmen, da sich auch die Götter von Bitten und Opfern bewegen ließen (Il. 9,496501).809 Daran schließt er die Parabel von den Λιταί („Bitten“) an, den lahmen und hässlichen Töchtern des Zeus, die der schnellen Ἄτη („Verblendung“) folgen (Il. 9,502-514). Die Passage ist nicht leicht zu deuten, doch eine Interpretation scheint besonders gut auf die Erfordernisse der Situation abgestimmt zu sein: Zunächst kommt die Verblendung, der Auslöser des Streits, der nur durch die später folgenden Bitten beigelegt werden kann. Bezogen auf die aktuelle Situation entstand zuerst der Streit, der durch Agamemnons Verblendung verursacht wurde (vgl. Il. 9,18: ἄτῃ ... βαρείῃ; 9,115: ἄτας; 9,116, 119: ἀασάμην), und darauf folgt verspätet, „lahm“ (Il. 9,503: χωλαί), die Entschuldigung in Form der Bittgesandtschaft.810 Die Hässlichkeit der Bitten in der Parabel verweist auf die Unzulänglichkeit des Versöhnungsangebots, das auf „besänftigende Worte“ verzichtet. Dennoch handelt es sich um eine Bittgesandtschaft, und infolgedessen warnt Phoinix Achill vor den Gefahren einer Ablehnung und fordert ihn zur Annahme auf (Il. 9,513-523).811 Phoinix scheint damit anzuerkennen, dass das Angebot, das er und die beiden anderen griechischen Helden Achill auf Geheiß Agamemnons unterbreiten müssen, nicht ausreichend ist, aber dennoch mit dem Angebot auf materielle Rekompensation äußerlich den Anforderungen einer Bittgesandtschaft entspricht. Er legt großen Wert darauf, dass das Angebot Geschenke umfasst (Il. 9,515-520), und um seine

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9,648; 16,59) behandelt, zeigt sich, dass zumindest Achill diese Parallele zieht. Dies erscheint mir zudem die plausibelste Interpretation der Argumentationsstrategie des Phoinix, die jedoch verdeutlicht, dass er den wahren Grund für Achills Ablehnung der Geschenke nicht verstanden hat. Vgl. auch Brenk 1986, 77: „The speech of Phoinix is in part a psychological and argumentative disaster.“ Diese Feststellung bezieht sich jedoch in erster Linie darauf, dass die Erwähnung des Peleus Achills Plan zur Rückkehr nach Phthia nur bestärken kann (S. 84-86). Vgl. Scodel 1982, 130: „(sc. Phoinix‘ autobiography) ostensibly is told in order to demonstrate his closeness to Achilles, and clearly functions, at least in part, as a captatio benevolentiae“. Ebenso auch Edwards 1987, 224-225. Vgl. Edwards 1987, 225-226. So erklärt von Rosner 1976, 318-322: „That Phoenix refers to the Litai as ugly and wrinkled may be indicative of his own judgement of the embassy’s true value – or lack of it – as far as Achilles is concerned. His recognition of the ugliness of the embassy, however, does not prevent him from reminding Achilles of the possible consequences of denying a king’s request and ignoring his superior power, no matter how unattractive that may be“ (S. 320).

II.1 Achill und Agamemnon

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implizite Warnung zu bekräftigen, Achill möge nicht durch seine Ablehnung einen Nachteil erleiden (Il. 9,512: βλαφθεὶς ἀποτίσῃ), schließt er ein weiteres Exempel an. Es folgt die Erzählung von dem Aitoler Meleagros, der sich in einer ähnlichen Situation wie Achill befand (Il. 9,524-605).812 Das verbindende Element besteht im Motiv des Zornes der beiden Helden (vgl. Il. 9,524-526), denn Meleagros, der bester Kämpfer der Aitoler, hatte sich im Groll gegen seine eigene Mutter von den Kampfhandlungen zwischen Aitolern und Kureten zurückgezogen. Seine Kampfverweigerung fungiert als Druckmittel und bringt die Stadt der Aitoler in Gefahr (Il. 9,550-555). Er ließ sich auch durch eindringliche Bitten und reiche Geschenke nicht umstimmen, und mehrere Gesandtschaften baten vergebens (Il. 9,574-586). Zunächst bat ihn eine Gesandtschaft von Priestern, die ihm – wie Odysseus im Auftrag Agamemnons – großzügige Geschenke anboten (Il. 9,574-580), danach baten ihn sein Vater Oineus, seine Schwestern und seine Mutter (Il. 9,581-585). Doch auch seine Familie und „seine Gefährten, die ihm die nächsten und liebsten waren von allen“ (Il. 9,585-586), vermochten nicht, ihn umzustimmen.813 Die Erzählung ist kein Beispiel für korrektes Verhalten,814 sondern ein warnendes Exempel: Denn erst als seine Heimatstadt Kalydon kurz davor stand, von den Kureten erobert zu werden, ließ sich Meleagros von seiner Ehefrau Kleopatre bereden und rettete doch die Stadt (Il. 9,588-596). Für sein spätes Eingreifen erhielt er jedoch keine Gaben und Ehrungen: Il. 9,597-599: ὣς ὃ μὲν Αἰτωλοῖσιν ἀπήμυνεν κακὸν ἦμαρ εἴξας ᾧ θυμῷ· τῷ δ’ οὐκέτι δῶρα τέλεσσαν πολλά τε καὶ χαρίεντα, κακὸν δ’ ἤμυνε καὶ αὔτως. So wehrte dieser den Aitolern ab den schlimmen Tag, nachgebend seinem Mut. Dem aber erfüllten sie nicht mehr die Gaben, die vielen und erfreulichen, sondern umsonst wehrte er ab das Unheil.

Wie häufig bei Erzählungen von Geschehen, die außerhalb der eigentlichen Handlung der Ilias liegen, hat auch diese ausführliche Digression paradigmatischen Charakter, indem sie auf einen möglichen Handlungsfortgang

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Zu den Parallelen vgl. ausführlicher Rosner 1976, 322-327. Dass die Gefährten hier sogar noch über der Familie eingeordnet werden, entspricht den Idealen der homerischen Kriegergesellschaft, vgl. Reinhardt 1961, 213-214. Vgl. auch Rosner 1976, 324, die Parallelen zur aktuellen Gesandtschaft zieht und das Angebot von Geschenken mit dem Angebot von Agamemnon/Odysseus, die Bitten der Familie mit der Rede des Phoinix und die Bitten der Freunde mit der abschließenden Rede des Aias vergleicht. Gewisse Ähnlichkeiten erscheinen unbestreitbar, und wie im Exempel kann nicht einmal Aias Achill bereden. Vgl. auch den Widerspruch zu Il. 9,524-526.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

in Gegenwart oder Zukunft verweist.815 Auf diese Weise erhält der Rezipient des Epos einen Präzedenzfall und ein Interpretationsmuster für das kommende Verhalten Achills. Phoinix möchte Achill vor diesem für das Ansehen des Meleagros verhängnisvollen Schicksal bewahren und drängt ihn daher dazu, Agamemnons Geschenke anzunehmen, solange er seine Entscheidung noch aus freien Stücken fällen kann und nicht von äußeren Umständen dazu gezwungen wird. Denn ohne Geschenke in die Schlacht zurückzukehren, wenn Hektor die Schiffe der Griechen verbrenne, würde Achills Ansehen im Heer beschädigen (Il. 9,600-605).816 Damit beruft Phoinix sich auf traditionelle heroische Werte, scheint jedoch in seiner Sorge um das Ansehen seines ehemaligen Zöglings dessen Situation zu verkennen, aufgrund derer diesem nicht mehr nur an Besitztümern gelegen ist.817 Denn Achill befindet sich in einem absoluten Statuskampf mit Agamemnon, in dem Reichtum und Besitz nur eine untergeordnete Rolle spielen und kein Selbstzweck mehr sind (vgl. dazu Il. 16,84-86). Dementsprechend antwortet Achill bezeichnend, dass er eine Ehrung durch Agamemnon nicht mehr nötig habe, da er von Zeus geehrt werde (Il. 9,607-610). Seine Formulierung, dass er „diese Ehre nicht benötige“ (Il. 9,607-608: οὔ τί με ταύτης / χρεὼ τιμῆς) zeigt jedoch, dass er sich nicht generell gegen τιμή ausspricht, sondern nur gegen die Form, die ihm Agamemnon anbietet. Daraufhin spricht er eine Warnung aus, Phoinix solle nicht weiter für Agamemnon sprechen, sondern zu ihm stehen und sich gegen Agamemnon wenden (Il. 9,611-615). Er erneuert sein Angebot, Phoinix könne bei ihm bleiben und die anderen Gesandten sollen Agamemnon seine Antwort überbringen (Il. 9,616-618). Seinen Entschluss, nach Phthia abzufahren, ändert er jedoch, indem er Phoinix ankündigt, sie würden am nächsten Morgen beraten, ob sie bleiben oder absegeln sollten (Il. 9,618-619).818 Denn um den Kampfesentzug weiterhin als Druckmittel einsetzen zu können und seinen Überlegenheitsanspruch weiterhin aufrecht zu erhalten, muss Achill vor Troia bleiben, da seine Abreise dem Eingeständnis seiner Niederlage in den Status-Rivalitäten gegen Agamemnon gleichkäme.

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Vgl. de Jong 2004, 85, die das Meleagros-Exempel sowohl als eine externe Analepse als auch als eine interne Prolepse behandelt. Zur Umgestaltung der Meleagros-Erzählung und ihrer Anpassung an die momentanen Umstände siehe Willcock 1964, 147-153, Brenk 1986, 82-83 und Alden 2000, 236-241. Zur Funktion der iliadischen Digressionen als Paradigmen siehe Austin 1966, 297-307, der allerdings nicht genauer auf das Meleagros-Exempel eingeht. Vgl. Willcock 1996, 244 ad Il. 9,573-599 sowie Alden 2000, 229-236. Es ist verständlich, dass Phoinix als besorgter Erzieher Achills diesen aus Sorge um dessen Ansehen an die konventionellen heroischen Werte erinnert und ihn folglich zur Annahme der Geschenke bewegen will, vgl. Sale 1963, 94-95. Vgl. Bassett 1934, 64-65, Gundert 1940, 235 und Trapp 1961, 272. Vgl. Scodel 1982, v.a. 134 sowie Hirschberger 2012, 190.

II.1 Achill und Agamemnon

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Achill bedeutet Patroklos daraufhin, ein Bett für Phoinix bereitzustellen, und erklärt damit die Unterredung für beendet (Il. 9,620-622). Die nun folgende Rede des Aias (Il. 9,622-642) ist zunächst nicht an Achill, sondern an Odysseus gerichtet. Er erkennt, dass sie Achill nicht umstimmen können und seine Antwort an die übrigen Heerführer übermitteln sollten: Achill sei uneinsichtig und hart gegenüber seinen φίλοι und Kameradschaft bedeute ihm nichts (Il. 9,624-631). Er fährt fort, dass es keinen Grund für andauernden Zorn gebe, denn sogar die Ermordung eines nahestehenden Familienmitglieds könne durch ποινή abgebüßt werden (Il. 9,632-636). Dies ist das erste Mal, dass Agamemnons Geschenke implizit als ποινή benannt werden, denn Agamemnon selbst hatte sie als ἄποινα dargestellt (vgl. Il. 9,120). Die Bezeichnung der Geschenke als „Bußgeld“ im Gegensatz zu „Lösegeld“ erkennt die Fehlerhaftigkeit von Agamemnons Verhalten an, und wenn Agamemnon die Gaben als ποινή übergeben hätte, wäre Achills Ablehnung tatsächlich unverständlich. Erst dann wendet er sich an Achill (Il. 9,636: σοὶ δ᾽) und zeigt Erstaunen über die heftige Reaktion Achills wegen eines einzelnen Beutemädchens und völliges Unverständnis darüber, dass Achill das Angebot Agamemnons nicht sofort annimmt. Damit scheint auch Aias den Grund für Achills Groll vollkommen zu verkennen.819 In knappen Worten appelliert er an Achills αἰδώς (Il. 9,640), die in diesem Fall als sein Sinn für Kameradschaft und seine Verantwortung seinen Kampfgefährten gegenüber zu verstehen ist.820 Er beruft sich auf Achills Begrüßung und auf die persönliche Beziehung zwischen den Kämpfern (vgl. Il. 9,198: Ἀχαιῶν φίλτατοι; 9,642: κήδιστοί τ᾽ ἔμεναι καὶ φίλτατοι ὅσσοι Ἀχαιοί). Dieser Ansatz erweist sich als der erfolgversprechendste, denn indem Aias die Ideale von αἰδώς und φιλότης anführt, bleibt er im Rahmen des heroischen Verhaltenskodex, auf dessen Grundlage Achill gerade das Angebot Agamemnons ablehnen konnte. 821 Zwar ist fraglich, inwieweit Aias sich auf diese Werte berufen kann, nachdem keiner der anderen Helden im Streit für Achill Partei ergriffen hatte, aber dennoch zeigt dieser Appell Wirkung.822 Achill erkennt Aias‘ Anspruch an, doch seine Verbitterung gegenüber Agamemnon wurde durch das beleidigende Angebot von Geschenken nur noch gesteigert (Il. 9,644-648). Er macht jedoch das Zugeständnis, nicht am nächsten Morgen zurück nach Phthia zu fahren, sondern beim Heer der Achaier zu bleiben. Allerdings kündigt er an, erst einzugreifen, wenn Hektor die Schiffe und Hütten der Myrmidonen bedrohe (Il. 9,650-655). Diese

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Vgl. Sale 1963, 95, Edwards 1987, 230 und Zanker 1994, 90, der hier treffend Aias’ Einstellung bezeichnet als „soldier’s no-nonsense inability to understand what Achilles’ problem really is.“ Vgl. Bassett 1934, 65, Trapp 1961, 272, Griffin 1995, 143 ad loc. sowie oben I.5. Vgl. Redfield 1994, 105-106. Vgl. Bassett 1934, 65-67 sowie Trapp 1961, 272.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Entscheidung zeigt sein kompromissloses Beharren auf dem heroischen Verhaltenskodex, im Rahmen dessen Achill seine eigene τιμή höher einschätzen kann als die φιλότης gegenüber den Freunden.823 In den drei Reden wird deutlich, dass die griechischen Anführer, deren Abgesandte Odysseus, Phoinix und Aias sind, Achills Rückzug von den Kampfhandlungen prinzipiell als gerechtfertigt ansehen. Sein Beharren auf dieser Entscheidung und seine Unnachgiebigkeit wird jedoch aufgrund der Missachtung der angebotenen Geschenke, der αἰδώς und der φιλότης kritisiert.824 Das Verständnis seiner Standesgenossen zeigt, dass Achills Ablehnung der Gesandtschaft kein Fehlverhalten darstellt, und er auch die konventionellen Werte der heroischen Gesellschaft nicht ablehnt,825 sondern den Kodex heroischer Verhaltensnormen vielmehr unnachgiebig einhält. Odysseus überbringt Achills Botschaft und seine Ablehnung an Agamemnon und die übrigen griechischen Heerführer, zusammen mit der drohenden Ankündigung, es bedürfe eines besseren Plans, um das Heer zu retten, und auf diese Weise würden die Griechen Troia nicht einnehmen (Il. 9,677-692). Nur Diomedes reagiert darauf, dass Achill Agamemnon auf diese Weise noch mehr unter Druck setzt: Il. 9,697-700: Ἀτρείδη κύδιστε, ἄναξ ἀνδρῶν Ἀγάμεμνον· μὴ ὄφελες λίσσεσθαι ἀμύμονα Πηλείωνα μυρία δῶρα διδούς· ὃ δ’ ἀγήνωρ ἐστὶ καὶ ἄλλως, νῦν αὖ μιν πολὺ μᾶλλον ἀγηνορίῃσιν ἐνῆκας. Atreus-Sohn, Ruhmvollster, Herr der Männer Agamemnon, hättest du doch nicht angefleht den untadeligen Peleus-Sohn und zehntausend Gaben geboten! Der ist doch auch sonst überaus stolz, nun hast du ihn noch viel mehr in seinen Stolz getrieben.826

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Vgl. Adkins 1960, 40 zur Vorrangstellung von „competitive values“ gegenüber „cooperative values“. Ebenso Donlan 1993, 166: „Achilles, the embodiment of heroic honor, has no choice but to refuse, even though this brands him, unwillingly, as a betrayer of philotês.“ Ebenso auch Yamagata 1994, 49, die argumentiert, dass bei einer Gegenüberstellung von verletzter Ehre und dem bevorstehenden Tod derer, die die Ehrverletzung zu verantworten haben, der Held immer zuerst auf die Wiederherstellung seiner Ehre bestehen muss. Vgl. McNamee 1960, 27-29. So auch Edwards 1987, 231-236, der besonders die Konsequenz und Schlüssigkeit von Achills Verhalten nach dem heroischen Kodex betont, sowie Roguin 2007, 75-85. Die Ansicht, Achill wende sich gegen die gängigen Normen, liegt jedoch den Studien von Eichholz 1953, 139, Rubino 1979, 12-13, Schein 1980, 126 und Arieti 1984, 194-195 und 1986 zugrunde. Die Vorstellung, dass Achill seine Ehre über Reichtum stelle, ist jedoch verfehlt, siehe dazu trefflich Hooker 1989, 85: „Honour cannot be ‘set above’ material goods, since a man’s honour comprises the aggregate of his material goods.“ Schadewaldt 1975 übersetzt ἀγήνωρ als „hochfahrend“ und ἀγηνορίη als „Hochmut“, doch beide Begriffe beziehen sich nicht ausschließlich auf Überheblichkeit, sondern

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Diomedes wendet sich nicht gegen die Gesandtschaft, sondern gegen die Form der Bitte und das Angebot von Geschenken, deren übertriebene Anzahl er hyperbolisch mit „zehntausend“ beziffert (Il. 9,699: μυρία δῶρα διδούς). Er kritisiert weniger Achills Ablehnung, obgleich er dessen Verhalten als „überzogene Männlichkeit“ bezeichnet, als vielmehr Agamemnon, dessen beleidigendes Angebot einer übertriebenen Menge an Geschenken (ohne verbale Entschuldigung) der Auslöser dafür war: Achill war immer schon ein stolzer und kühner Krieger, doch Agamemnons Beleidigungen haben ihn verbittert und zu noch unnachgiebigerem Verhalten gezwungen (Il. 9,700: νῦν αὖ μιν πολὺ μᾶλλον ἀγηνορίῃσιν ἐνῆκας). Diomedes unternimmt jedoch keinen Versuch, Agamemnon dazu zu bewegen, sich in anderer Form bei Achill zu entschuldigen, sondern wie es sich für einen Helden gehört, schlägt er vor, am nächsten Tag ohne Achill weiterzukämpfen (Il. 9,704-709). Mit Achills Ablehnung des scheinbaren Versöhnungsangebots und der Ankündigung, erst in höchster Not wieder in den Kampf einzugreifen, ist der Grund bereitet, aus dem die weitere Handlung erwachsen kann. Achill hat zwar äußerlich eine Chance zur Versöhnung erhalten, die er jedoch aufgrund seines Anspruches als ἄριστος Ἀχαιῶν nicht annehmen konnte, ohne dadurch diesen Anspruch preiszugeben. II.1.3 Der Tod des Patroklos und das Aussetzen des Ehrzornes Nach der Zurückweisung der Gesandtschaft bewirkt die Dolonie einen kurzzeitigen Aufschwung der Kampfesmoral,827 doch nachdem die bedeutendsten Kämpfer der Griechen durch Verwundungen aus dem Gefecht ausgeschieden sind (Agamemnon, Il. 11,269-288; Diomedes, 11,396-400; Odysseus, 11,459-488), befinden sich die Griechen zu Beginn von Buch 16, als Achill wieder in den Mittelpunkt der Handlung tritt, in verzweifelter Lage. Aus Mitleid um die Kameraden und von der drohenden Verbrennung der Schiffe und dem damit verbundenen Scheitern des Kriegszugs erschüttert, bittet ihn sein Gefährte Patroklos inständig, den Griechen beizustehen (Il. 16,1-45). Nestor hatte Patroklos gebeten, auf Achill Einfluss zu nehmen (Il. 11,785-793), und die Idee, er solle an Achills Stelle in den Kampf

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auf (überzogene) Männlichkeit, insbesondere Stolz, der in mangelnder Rücksicht auf andere resultiert, vgl. Graziosi/Haubold 2003, 62-67. Aias und Diomedes verwenden ἀγήνωρ offenbar kritisch (Il. 9,635, 699), wenn Achill hingegen von seinem θυμὸς ἀγήνωρ spricht (Il. 9,398) meint er wohl nur seinen stolzen und unbeugsamen Zorn. Zu dieser Funktion der Dolonie siehe Sullivan 1943.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

eingreifen, stammt von Nestor (Il. 11,794-803).828 Denn zu diesem Zeitpunkt kann Achill nicht selbst ins Kampfgeschehen eingreifen, ohne weiter an Ansehen zu verlieren. Seine Situation gleicht der Lage des Meleagros in der Mahnrede des Phoinix, der damit ein wichtiges Interpretations- und Deutungsmuster des Verhaltens Achills vorgegeben hat: Denn Meleagros wurde durch die eindringlichen Bitten seiner Ehefrau Kleopatre und die bevorstehende Eroberung seiner Stadt dazu gezwungen, seinen Groll gegenüber der Gemeinschaft zu vergessen und auch ohne Ehrengeschenke wieder zu den Waffen zu greifen (Il. 9,587-599). Hier nun bittet Patroklos als Achills θεράπων und engster Vertrauter (vgl. Il. 11,785-793) für die Griechen,829 und da er weiß, dass Achill sich nicht erweichen lassen kann, um kein zweiter Meleagros zu werden, unterbreitet er ihm den Vorschlag, er könne sich in seiner Rüstung für ihn ausgeben und den Griechen eine Atempause verschaffen (Il. 16,38-45). Achills Antwort zeigt, dass seine Verbitterung gegenüber Agamemnon anhält, aber er scheint hinsichtlich der Anerkennung seines Anspruchs zu resignieren und will nicht unablässig grollen (Il. 16,60-61). Er ist keineswegs so unbarmherzig, wie Patroklos ihm erbittert vorwirft (Il. 16,29-35), sondern zeigt Sorge für seine Gefährten (vgl. Il. 11,611-615). Doch er ist immer noch auf die Anerkennung seiner Kampfkraft bedacht und kann nicht ohne Gesichtsverlust von seiner Ankündigung abrücken, erst wieder zu kämpfen, wenn Hektor seine eigenen Schiffe bedrohe (Il. 16,52-63, vgl. 9,650-655).830 Dennoch lässt sich Achill von den Bitten seines Gefährten erweichen und schickt ihn an seiner Stelle in seiner Rüstung in die Schlacht, um die Troianer in Schrecken zu versetzen und die Griechen zu retten (Il. 16,6479). Er erteilt ihm jedoch die Anweisung, nur zur Abwehr der Troianer von den Schiffen ins Kampfgeschehen einzugreifen, nicht jedoch weiter gegen die Stadt vorzurücken (Il. 16,80-96). Indem er zulässt, dass Patroklos den Griechen eine Atempause verschafft und die Schiffe vor der Verbrennung rettet, will er ihnen demonstrieren, wie sehr sie auf ihn angewiesen sind, ohne dabei selbst seinen Groll beenden zu müssen. Er beharrt weiterhin auf seinem Anspruch gegenüber Agamemnon, und sein Einverständnis

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Vgl. auch Szabó 1956, 87-88, der zu Recht in der Machaon-Episode (Il. 11,598-617) keine Nachgiebigkeit Achills feststellt, sondern ihren Zweck einzig darin sieht, Nestor und Patroklos zusammenzubringen. Die funktionale Identifikation von Patro-klos mit Kleo-patre aus der Meleagros-Parabel wird auch von der Namensinversion nahegelegt, vgl. Edwards 1987, 227, Hainsworth 1993, 136 ad Il. 9,561-3 sowie Griffin 1995, 138 ad Il. 9,562. Vgl. auch Edwards 1987, 258: „The problem is the position Achilles took up at the end of Book 9, that he would not return to battle until the Trojans reached his own ships. He would look a fool if he were to go back on this, and his pride will not allow that. It is his own words, rather than Agamemnon’s insult, that now stand in his way.“

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zum Eingreifen des Patroklos zeigt seine Zuversicht, dass die Griechen letztendlich doch seiner Hilfe bedürfen werden (vgl. Il. 16,69-79).831 Achill denkt in den konventionellen heroischen Kategorien und erhofft sich gesellschaftliche Anerkennung in Form der Rückgabe der Briseis und weiterer Geschenke, die ihn für seinen Verlust an τιμή entschädigen sollen. Dabei übergeht er das Angebot Agamemnons, denn dessen „Geschenke“ stellten nicht die erhoffte Entschuldigung dar, sondern nur einen Bestechungsversuch, mit dem der griechische Heerführer sich seine Unterordnung erkaufen wollte. Achill wartet immer noch auf die Anerkennung seines Anspruchs als ἄριστος Ἀχαιῶν, doch es scheint so, als wolle er nicht mehr Agamemnons Eingeständnis seiner Überlegenheit gewinnen, sondern die Anerkennung des Heers erreichen: Il. 16,84-86: ὡς ἄν μοι τιμὴν μεγάλην καὶ κῦδος ἄρηαι πρὸς ἁπάντων Δαναῶν, ἀτὰρ οἱ περικαλλέα κούρην ἂψ ἀπονάσσωσιν, ποτὶ δ᾿ ἀγλαὰ δῶρα πόρωσιν. (...) auf dass du mir große Ehre und Prangen gewinnst vor allen Danaern, und sie die sehr schöne Jungfrau wieder zurückschicken und dazu glänzende Gaben bringen.832

Die Instanz, von der er sich hier Ehrung und Anerkennung in Form von Geschenken erhofft, sind die anderen Griechen, und wenn das Heer ihm Briseis zurückschickt, ist damit wohl impliziert, dass sie Agamemnon, dem erfolglosen Anführer aberkannt wurde. Auch auf diese Weise könnte Achill durch seinen Kampfesentzug eine effektive Erniedrigung Agamemnons erwirken, ohne dass dieser seine Niederlage selbst direkt eingestehen müsste. Daher darf Patroklos die Troianer nur von den Schiffen zurückdrängen, da die Wiederherstellung des Zustands vor dem Groll für Achill keine Zunahme an τιμή bedeutet. Jedes weitere Vordringen jedoch würde den Stand Achills schwächen (vgl. Il. 16,90: ἀτιμότερον). Er spricht zudem

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Vgl. Szabó 1956, 93-95 sowie Crotty 1994, 57: „Achilles, far from relenting in response to Phoenix’s story of Meleagros, raised the stakes: not until the Trojans had actually set fire to the Achaeans’ ships would he return to war. (See 9.650-55 and 16.60-63.) Once that happens, Achilles feels confident that, unlike Meleagros, he will still be able to command the others’ gifts. (See 16.83-86.)“ Diese Verse haben in der Forschung für einige Verwirrung gesorgt, da es hier so scheint, als habe das Versöhnungsangebot des Agamemnon nie stattgefunden. Diese Inkonsistenz wurde als ein Argument der analytischen Homerforschung herangezogen, doch es ist plausibler anzunehmen, dass dem Dichter daran gelegen war, Achill hier den hochmütigen Versöhnungsversuch Agamemnons absichtlich ignorieren zu lassen, vgl. oben Anm. 803. Kirk 1962, 214 erklärt die betreffende Passage entweder als „pardonable oversight by a single poet“ oder – m.E. wesentlich plausibler – als „deliberate neglect by Achilles of offers which were unaccompanied by any frank admission of Agamemnon’s high-handedness.“

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

eine Warnung aus, Patroklos solle nach Erfüllung dieses Auftrags wieder zurückkehren, auf dass nicht einer der Götter eingreife und sich gegen ihn wende (Il. 16,87-96). Damit beginnt die Aristie des Patroklos (Il. 16,130-867), eine untypische Aristie, insofern als sie das Ziel verfolgt, nicht den kämpfenden Patroklos, sondern den grollenden Achill zu ehren.833 Patroklos kämpft tapfer, erfüllt seinen Auftrag und erwirbt sich besonderen Ruhm, indem er den Lykierkönig Sarpedon tötet, einen Sohn des Zeus (Il. 16,462-505). Das letztendliche Scheitern des Patroklos ist dabei schon in seinem Unvermögen vorgezeichnet, in seiner Rüstungsszene die schwere Lanze des Achill, die „Esche vom Pelion“, aufzuheben (16,139-144).834 Der Tod des Patroklos durch Apoll und Hektor ist bedingt durch die Missachtung der Anweisung, die Achill ihm gegeben hatte, und indem Patroklos in seiner Hybris nach der Vertreibung der Troianer von den Schiffen den Fliehenden nachsetzt, verschuldet er seinen Tod selbst (vgl. Il. 16,685: μέγ᾽ ἀάσθη). Denn wenn er auf die Anweisung Achills gehört hätte, wäre er dem Tod entronnen (explizit in Il. 16,686-687).835 Ferner hatte Achill ein Orakel von seiner Mutter erhalten, dass der Beste der Myrmidonen noch zu seinen Lebzeiten durch die Hand der Troianer fallen würde (Il. 18,9-11), und damit ist der Tod des Patroklos vom Schicksal verhängt.836 Es ist somit verfehlt, Achill die Schuld am Tod des Patroklos zuzuschreiben.837 Achill reagiert mit maßloser Trauer auf die Nachricht vom Tod seines Gefährten (Il. 18,22-35), und seine Reaktion ist so heftig, dass Antilochos ihn sogar bei den Händen fasst, um zu verhindern, dass er sich das Leben nimmt (Il. 18,33-34). Obgleich Helden oftmals um gefallene Gefährten trauern, indem sie Tränen vergießen und Rache nehmen, überschreitet Achills

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Vgl. McNamee 1960, 15-16. Vgl. dazu Armstrong 1958, 345-349 sowie Taplin 1992, 186-187. Alle Verweise, die auf den Tod des Patroklos hindeuten, sind bei Grethlein 2006a, 211-214 zusammengestellt. Vgl. Marg 1965, 42-43, Taplin 1992, 179-185 sowie Allan 2005, 16. Siehe dazu Gundert 1940, 230, der von einem „Gesetz in der Ilias, daß kein Held über das Maß dessen hinaus erhöht oder erniedrigt wird, was er selbst seinem Wesen nach ist“ spricht. Vgl. Edwards 1993, 143 ad loc.: „The prophecy has been prepared for by 17.408-11, but must have been invented by the poet for poignancy here.“ Rutherford 1982, 156 sieht in Achills Vergessen der Voraussage eine Verfehlung, doch die Erwähnung der Prophezeiung dient m.E. offenbar dem Zweck, Achill auch durch die Unabänderlichkeit des Schicksals von der Verantwortung für den Tod des Patroklos zu entschuldigen. So jedoch z.B. von Arieti 1984, 199-203 angenommen. Ebenso scheint die These von Rosner 1976, 320-321 und Thornton 1984, 136-138, der Tod des Patroklos sei Achills Strafe für die Ablehnung der Bittgesandtschaft, vor dem Hintergrund der obigen Einwände haltlos.

II.1 Achill und Agamemnon

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Verhalten an dieser Stelle das übliche Maß.838 Achill und Patroklos verbindet nicht nur die innige Freundschaft zwischen Kampfgefährten, denn Patroklos ist nicht nur Achills Kampfgenosse, sondern auch ein älterer Bruder und eine Vaterfigur: Er kam als Kind in das Haus des Peleus, wuchs zusammen mit Achill auf (Il. 23,84-90) und kam auch als dessen Berater mit auf den Feldzug gegen Troia (vgl. Il. 11,785-787). Sein Tod wird von Achill mehrfach mit dem Tod seines Vaters Peleus verglichen (Il. 19,321-324; 24,511-512), und nur die Annahme, dass er Patroklos als ein blutsverwandtes Familienmitglied ansah, kann die Tiefe seiner Trauer erklären. 839 Patroklos war jedoch nicht nur Achills vertrauter Freund, sondern mit diesem auch durch ein institutionalisiertes βασιλεύς-θεράπων-Verhältnis verbunden, das Achill zum Schutz des Patroklos verpflichtet. 840 Achill ist für das Leben seines Gefährten verantwortlich und hatte dessen Vater versprochen, für seine heile Rückkehr zu sorgen (Il. 18,324-328). Diese Verbindung zwischen βασιλεύς und θεράπων hat eine institutionalisierte und eine emotionale Komponente, die sich in der Funktion des Patroklos als Achills Wagenlenker widerspiegelt. Als θεράπων oblag Patroklos diese Funktion, und ein Wagenlenker und sein Wagenkämpfer sind im Kampf aufeinander angewiesen und müssen einander vertrauen können. Sie bilden eine funktionale Einheit, und dass dies bei zwei Helden, die sich seit ihrer Kindheit kennen, zu einer tiefen Freundschaft führen muss, dürfte nur zu verständlich sein.841 Die Freundschaft von Achill und Patroklos erwuchs somit aus dem institutionalisierten θεράπων-Verhältnis, transzendiert jedoch diese Institution.842 Achills Wunsch nach Rache für den Tod des Patroklos ist somit nicht nur durch Trauer zu begründen, sondern auch durch Zorn auf Hektor wegen der Tötung seines θεράπων. Das folgende Verhalten Achills und sein Wiedereintritt sind folglich auf eine Pluralität von Motivationsfaktoren zurückzuführen, deren individuelle Gewichtung dem Interpreten obliegt:

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Siehe Clarke 1978, 384-396 und Halperin 1990, 83-87 zum Schluss, dass eine Liebesbeziehung – ohne physische Komponente – zwischen Achill und Patroklos bestanden habe. Zur Tradition der Interpretation dieser innigen Kameradschaft als eine homoerotische Liebesbeziehung siehe Wöhrle 1999, 67-69. Dass jedoch die Möglichkeit einer homoerotischen Liebesbeziehung zwischen Helden vom Dichter ignoriert wird, zeigt auch die Erwähnung des Ganymedes, der nach Homer nur aufgrund seiner Schönheit von Zeus entführt wurde, um ihm als Mundschenk zu dienen (Il. 20,232-235), vgl. auch Edwards 1991, 319 ad loc. Vgl. Finlay 1980, 268-273 sowie Shay 1994, 40-44. Vgl. Zanker 1994, 16-18 sowie oben I.1.1 und I.3.1. Vgl. auch Trypanis 1963, 295-297, der argumentiert, dass die Funktion des Wagenlenkers ursprünglich Blutsverwandten des Wagenkämpfers vorbehalten war und dass Patroklos damit gleichsam als Familienmitglied Achills zu betrachten sei, für dessen Tod dieser explizit verpflichtet ist, Blutrache zu üben. Vgl. Krischer 1992, v.a. 103 und 1995, 81-82.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Neben der Trauer um den geliebten Gefährten lassen sich subjektive Schuldgefühle für das Unvermögen, den Freund zu beschützen geltend machen, die eng verknüpft sind mit dem Zorn auf Hektor über die Schmälerung seiner Ehre durch den Verlust des Gefährten und seiner wertvollen Rüstung.843 In seiner Rache ist Achill auf seine τιμή bedacht, deren Kränkung durch Agamemnon seinen verhängnisvollen Zorn heraufbeschworen hatte. Der Tod des Patroklos bewirkt, dass Achill wegen der Verpflichtung, für seinen Gefährten Rache zu nehmen, seine gesellschaftliche Isolation verlässt und wieder in die Schlacht zurückkehrt. Um seinen Wiedereintritt in die Schlacht anzukündigen, beruft Achill eine Vollversammlung des Heers ein (Il. 19,40-55), und der folgende Austausch zwischen ihm und Agamemnon findet vor einem großen Publikum statt. Zunächst beendet Achill notgedrungen und provisorisch seinen Streit mit Agamemnon: 844 Il. 19,56-62: Ἀτρείδη, ἦ ἄρ τι τόδ᾿ ἀμφοτέροισιν ἄρειον ἔπλετο, σοὶ καὶ ἐμοί ὅ τε νῶί περ ἀχνυμένω κῆρ θυμοβόρῳ ἔριδι μενεήναμεν εἵνεκα κούρης; τὴν ὄφελ᾿ ἐν νήεσσι κατακτάμεν Ἄρτεμις ἰῷ ἤματι τῷ, ὅτ᾿ ἐγὼν ἑλόμην Λυρνησσὸν ὀλέσσας· τῶ κ᾿ οὐ τόσσοι Ἀχαιοὶ ὀδὰξ ἕλον ἄσπετον οὖδας δυσμενέων ὑπὸ χερσίν, ἐμεῦ ἀπομηνίσαντος. Atreus-Sohn, war dieses nun für uns besser, für dich und für mich, dass wir beide uns, bekümmerten Herzens, im mutverzehrenden Streit erzürnten wegen eines Mädchens? Hätte sie doch bei den Schiffen Artemis getötet mit einem Pfeil an dem Tag, als ich sie mir auswählte, nachdem ich Lyrnessos zerstörte! Dann hätten nicht so viele Achaier mit den Zähnen die unendliche Erde gefasst unter der Feinde Hände, als ich noch weiter zürnte.

Achills Rückzug aus dem Kampf zielte darauf ab, Agamemnon durch den Verlust seiner Krieger die Bedeutung der eigenen Kampfkraft klarzumachen. Agamemnon hat als Anführer des Gesamtheers durch daraus resultierende Verluste an Kriegsvolk an Ansehen verloren, nicht jedoch Achill, dessen Kontingent sich aus Loyalität zu ihrem Anführer mit ihm aus dem Kampf zurückgezogen hatte.845 Achills Eingeständnis, dass viele Achaier

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Vgl. Zanker 1994, 100-102. Wegen der scheinbaren Beilegung des Streits trug Buch 19 in der Benennung der hellenistischen Philologen den Titel Μήνιδος ἀπόρρησις „Entsagung des Zornes“. Die Bezeichnung ist jedoch wenig zutreffend, da Achill dem schwelenden Groll gegenüber Agamemnon, der seine Auflösung erst in Buch 23 finden wird, an dieser Stelle noch nicht entsagt, so auch Postlethwaite 1998, 103. Anders Erbse 1978, 11: „Und Hektors Gedanke, daß der Verlust vieler Mannen das Ansehen des verantwortlichen Heerführers schmälern oder vernichten könne, liegt

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seinen Groll mit dem Leben bezahlten, weist auf den Ehrverlust und das Scheitern Agamemnons als Heerführer hin. Er erkennt an, dass sie beide für den Streit verantwortlich waren,846 obgleich er keine Reue zeigt. Dafür verwünscht er die Existenz der Briseis, an der sich der Streit zwischen ihm und Agamemnon entzündete, der auch Patroklos das Leben kostete. Er lässt dabei auch die Gelegenheit nicht aus hervorzuheben, dass es seine eigene Kampfesleistung war, durch die er sich Briseis erwählte (Il. 19,60: ἐγὼν ἑλόμην Λυρνησσὸν ὀλέσσας).847 Daraufhin fordert er Agamemnon auf, sie beide sollten trotz ihrer Trauer um die Gefallenen aufgrund der äußeren Umstände vom Zorn ablassen, und er beendet seinerseits den Groll gegen Agamemnon (Il. 19,6568).848 Stattdessen solle sich das Heer unmittelbar wieder gegen Hektor und die Troianer zum Kampf rüsten (Il. 19,68-73). Dieser schnelle Übergang markiert die Übertragung des ursprünglichen Zornes und des damit verbundenen Wunsches nach unmittelbarer Satisfaktion (ποινή) von Agamemnon auf Hektor, dessen Tötung für Achill zur Ehrensache wird.849 Der schwelende „Ehrenzorn“ (κότος) gegen Agamemnon wird von einem brennenden „Rachezorn“ (χόλος) abgelöst, der sich gegen Hektor und die Troianer richtet.850 Das Heer der Griechen reagiert mit Freude auf Achills Rückkehr (Il. 19,74-75), doch Agamemnon bringt die Versammlung zur Ruhe und fordert Aufmerksamkeit für seine Entgegnung (Il. 19,78-84). Er erhebt sich nicht von seinem Sitz (Il. 19,77: αὐτόθεν ἐξ ἕδρης, οὐδ᾿ ἐν μέσσοισιν ἀναστάς)851

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ihm [d.h. Achill] fern.“ Mir scheint vielmehr, dass Achill sich dessen durchaus bewusst ist und zu seinen Gunsten einsetzte. Vgl. Edwards 1991, 241 ad Il. 19,56-73 sowie Coray 2008, 36 ad Il. 19,56-64 zur Beobachtung, dass „im Rückblick auf den Streit Formulierungen dominieren, welche die Gemeinsamkeit zwischen Achill und Agamemnon hervorheben.“ Zum Vorgang der Beuteverteilung vgl. die Parallelstellen bei Coray 2008, 38 ad loc. Dieser Schritt Achills bedeutet jedoch keinesfalls automatisch eine Unterordnung unter Agamemnons Oberbefehl, wie von Coray 2008, 41 ad loc. behauptet wurde. Vgl. Lloyd-Jones 1987, 6. „Als Patroklos von Hektor getötet wird, ist Achill zutiefst niedergeschlagen, nicht einfach aus Trauer, sondern aus dem Gedanken heraus, daß er Ehre verloren hat, weil er seinem Freund erlaubte, mit Hektor zu kämpfen, ohne selbst da zu sein, um ihn zu schützen. Er verflucht Streit und Zorn, die sein Untergang gewesen sind, und erklärt, daß der Augenblick gekommen sei, Ehre zu suchen durch die Rächung des Patroklos an Hektor.“ Vgl. auch Arieti 1984, 200-201, Taplin 1992, 199-200 sowie Most 2004, 50-54 zur Doppelung des Zornmotivs. Siehe auch Kim 2000, 69-151, die den doppelten Zorn Achills als zwei Phasen von Gnadenlosigkeit liest. Vgl. Nagler 1974, 132 et passim, Rutherford 1982, 159 sowie de Jong 2012, 11. Zur Unterscheidung der zwei Formen der Zornes siehe Walsh 2005. Üblicherweise erhebt sich ein homerischer Sprecher von seinem Sitzplatz (vgl. Il. 1,68-69, 101-102, 387-388; 2,76-77; 7,345-355, 365-366), und eine sitzende Position be-

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und spricht zunächst nur in der 3. Person von Achill (Il. 19,83, 89), was vermutlich als ein weiteres Zeichen seiner Herablassung anzusehen ist.852 In seiner Antwortrede streitet Agamemnon jegliche Verantwortung und Schuld für das Zerwürfnis zwischen den beiden griechischen Herrschern ab: Il. 19,86-90: (...) ἐγὼ δ᾿ οὐκ αἰτιός εἰμι, ἀλλὰ Ζεὺς καὶ Μοῖρα καὶ ἠεροφοῖτις Ἐρινύς, οἵ τέ μοι εἰν ἀγορῇ γρεσὶν ἔμβαλον ἄγριον ἄτην ἤματι τῷ, ὅτ᾿ Ἀχιλλῆος γέρας αὐτὸς ἀπηύρων. ἀλλὰ τί κεν ῥέξαιμι; θεὸς διὰ πάντα τελευτᾷ. (...) Ich aber bin nicht schuldig, sondern Zeus und die Moira und die im Dunkeln wandelnde Erinys, die mir in der Versammlung in den Sinn warfen die wilde Beirrung an dem Tag, als ich selbst das Ehrengeschenk des Achilleus fortnahm. Aber was hätte ich tun sollen? Der Gott führt alles zu Ende.

Obwohl die anderen Griechen offensichtlich ihm die Schuld an ihrer verhängnisvollen, auf das Fehlen Achills zurückzuführenden Lage gaben (Il. 13,111-113; 14,49-51; 19,85-86, 193), beharrt Agamemnon auf seiner Unschuld und zeigt sich Achill gegenüber herablassend und ablehnend. Er wiederholt sogar die faktisch unzutreffende, aber für Achill erniedrigende Behauptung, er habe Achill eigenhändig das Ehrengeschenk weggenommen (Il. 19,89: γέρας αὐτὸς ἀπηύρων),853 und weigert sich weiterhin, Achill ἔπεα μειλίχια anzubieten.854 Stattdessen schließt er einen Exkurs zum Wesen der Ἄτη an, in dem er sich mit Zeus parallelisiert, der ebenfalls einmal der Verblendung erlag (Il. 19,91-136).855 Der wiederholte Verweis auf seine Ver-

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zeichnet höheren Rang. Folglich impliziert schon Agamemnons Haltung eine Ablehnung von Achills Anspruch und widerspricht seiner Entschuldigung, vgl. Edwards 1991, 243-245 ad Il. 19,76-84 sowie Lateiner 1995, 97-98. Zu anderer Deutungen der Haltung (wie etwa seiner erlittenen Verletzung) siehe Coray 2008, 44-45 ad loc. Vgl. Edwards 1991, 245 sowie Coray 2008, 57 ad Il. 19,83. Vgl. auch den Vorwurf Achills in Il. 9,372-373, Agamemnon sei so „hündisch, dass er ihm nicht ins Angesicht blicke“. Vgl. Il. 1,137-139, 161, 184-186, 355-356, 506-507; 2,239-240; 9,106-108. Die wiederholte Betonung, er habe Achill eigenhändig seiner Briseis beraubt, stellt eine zusätzliche Kränkung dar, vgl. Teffeteller 1990, v.a. 19 und Scodel 2003, 277-278, und zeigt damit, dass Agamemnon seine entehrenden Handlungen gegenüber Achill nicht im geringsten bereut. Vgl. Hohendahl-Zoetelief 1980, 15: „To be sure, his [d.h. Agamemnon’s] speech addressing Achilleus and the Achaians (Τ 78-144) is to be understood as an apology. But already at a summary analysis, the apologetic character appears to be rather superficial.“ Edwards 1991, 244 hingegen beschreibt den Ton der Rede treffender als „ungracious and jealous, not humble or apologetic.“ Siehe dazu Edwards 245-247 ad Il. 19,85-138.

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blendung bedeutet zwar ein Eingeständnis seines Fehlverhaltens, doch indem er es als von Fremdeinwirkung herbeigeführt darstellt, bekräftigt er seine Unschuld. Danach wiederholt er sein Angebot von δῶρα ἀγανά: Il. 19,137-144: ἀλλ᾿ ἐπεὶ ἀασάμην καί μευ φρένας ἐξέλετο Ζεύς, ἂψ ἐθέλω ἀρέσαι, δόμεναι τ᾿ ἀπερείσι᾿ ἄποινα· ἀλλ᾿ ὄρσευ πόλεμόνδε, καὶ ἄλλους ὄρνυθι λαούς. δῶρα δ᾿ ἐγὼν ὅδε πάντα παρασχέμεν, ὅσσα τοι ἐλθών χθιζὸς ἐνὶ κλισίῃσιν ὑπέσχετο δῖος Ὀδυσσεύς. εἰ δ᾿ ἐθέλεις, ἐπίμεινον ἐπειγόμενός περ Ἄρηος, δῶρα δέ τοι θεράποντες ἐμῆς παρὰ νηὸς ἑλόντες οἴσουσ᾿, ὄφρα ἴδηαι, ὅ τοι μενοεικέα δώσω. Aber da ich beirrt war, und mir Zeus die Sinne nahm, will ich es wiedergutmachen und unermessliche Buße geben. Aber erhebe dich zum Kampf, und treibe die anderen Völker an! Und Gaben will ich dir alle reichen, soviele dir, als er gekommen war, gestern in der Hütte versprach der göttliche Odysseus. Wenn du aber willst, so warte so sehr es dich auch drängt nach dem Ares, und die Gaben sollen dir die Gefährten holen von meinem Schiff und bringen, auf dass du siehst, was ich dir dem Mut Zusagendes gebe.

Diese Aussage, mit der Agamemnon demonstrativ seine Großzügigkeit unter Beweis stellen will, beginnt mit einem logischen Fehler, denn er erklärt sich bereit, für sein Verhalten Verantwortung zu übernehmen und Achill Geschenke zukommen zu lassen, obwohl er zuvor behauptet hatte, keine Schuld und Verantwortung zu tragen.856 Die Folge ist der widersinnige Schluss: „Weil ich nicht für die gegenwärtige Situation verantwortlich bin, bin ich bereit, Buße zu zahlen“ (Il. 19,137-138).857 Dadurch werden die „gefälligen Gaben“ zu einem Zeichen der Großzügigkeit Agamemnons, da er ohne ein Schuldeingeständnis und angesichts Achills bedingungsloser Bereitschaft, wieder gegen die Troianer zu kämpfen, diese Leistung nicht erbringen müsste. Er bezeichnet die angebotenen Geschenke immer noch als ἄποινα (Il. 19,138), wobei er Achill mit dem Verweis auf seine Verblendung das Anrecht auf eine Entschuldigung für die erlittene Kränkung (ποινή) abspricht.858 Stattdessen verbindet er das Angebot auf Geschenke

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Das Angebot materieller Rekompensation bedeutet kein implizites Eingeständnis eines Fehlers und ersetzt auch keine Entschuldigung, vgl. dazu Coray 2008, 45 ad Il. 19,78-144. Diese hervorragende Beobachtung findet sich bei Taplin 1992, 208-209. Um in der Terminologie der „shame-culture“ zu bleiben, ist es hier wohl nötig, nicht von Schuld als vielmehr von einer Verantwortlichkeit des Agamemnon zu sprechen. Vgl. Taplin 1990, 75-77.

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mit dem herrischen Befehl, Achill solle sich zum Krieg rüsten und mit seinen Truppen wieder für ihn kämpfen (Il. 19,139), und wendet sich damit zum ersten Mal in dieser Rede direkt an Achill. Die Übergabe der Gaben erfolgt in einer öffentlichen Zeremonie (Il. 19,143-144: δῶρα δέ τοι θεράποντες ἐμῆς παρὰ νηὸς ἑλόντες / οἴσουσ’; 19,172174: τὰ δὲ δῶρα ἄναξ ἀνδρῶν Ἀγαμέμνων / οἰσέτω ἐς μέσσην ἀγορήν, ἵνα πάντες Ἀχαιοὶ / ὀφθαλμοῖσιν ἴδωσι, vgl. 19,190-191, 243-249), und die ostentative Zurschaustellung der Geschenke im Rat der Griechen ist folglich eine Demonstration des Wohlstands des Agamemnon. Für Achill verbände sich somit mit deren Annahme die Anerkennung von Agamemnons gesellschaftlicher Überlegenheit, die ihn zu dieser Großzügigkeit und Freigiebigkeit befähigt, sowie die Obligation, für ihn und unter seinem Oberbefehl zu kämpfen (vgl. Il. 19,139-141). Es erstaunt somit nicht, dass Achill sich den versprochenen Geschenken gegenüber verächtlich zeigt und die Anerkennung der Annahme der Geschenke geschickt durch berechnende Gleichgültigkeit umgeht:859 Il. 19,147-148: δῶρα μὲν αἴ κ᾿ ἐθέλῃσθα παρασχέμεν, ὡς ἐπιεικές, ἤ τ᾿ ἐχέμεν παρὰ σοί. (...) Überreiche mir die Geschenke, wenn du willst, wie es sich gebührt, oder behalte sie bei dir.860 (...)

Statt auf das Angebot oder seine Ablehnung weiter einzugehen, ruft er erneut zum sofortigen Kampf auf (Il. 19,148-153). Das Verhalten Achills bedeutet nicht, dass er Reichtum und materiellem Besitz als Ausdruck der τιμή nun keine Bedeutung mehr beimäße und nur noch nach κλέος strebe, der ihm auch nach seinem nahen Tod erhalten bleiben würde. 861 Vielmehr stimmt die Reaktion Achills auf das erneute Angebot der δῶρα ἀγανά mit seinem Anspruch auf gesellschaftliche Überlegenheit über Agamemnon überein. Achill will sich nicht in materieller Hinsicht von Agamemnon übertrumpfen und von ihm abhängig machen lassen. Zunächst jedoch erfolgt der Einwand des Odysseus, das Heer müsse essen, bevor die Männer in die Schlacht ziehen können (Il. 19,155-172), und

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Vgl. Postlethwaite 1998, 98-99 sowie Wilson 2002b, 119-120. Vgl. jedoch van Wees 1998b, 26 zur üblichen Praxis in Gesellschaften, in denen das Prinzip der „balanced reciprocity“ eine wichtige Stellung einnimmt: „Gifts are often virtually ignored by the recipient, or at best accepted without a word: it is felt that gratitude should be shown in a tacit acceptance of the obligation incurred, not in an attempt to reciprocate on the spot with mere words.“ In diesem Fall jedoch scheint mir die Gleichgültigkeit ein Zeichen für die Verweigerung einer entsprechenden Gegenleistung zu sein. Zur Übersetzung von παρὰ σοί nach van Thiel 2010 siehe Edwards 1991, 254 ad loc. Schadewaldt 1975 scheint hier die Variante πάρα σοί zu lesen. So z.B. Silk 2004, 62: „Achilles withdraws from the fighting because of an affront to his timḗ; he returns to win kléos.“

II.1 Achill und Agamemnon

191

daran schließt er die Aufforderung an, man solle die Geschenke zur Versammlung bringen und Agamemnon solle den versprochenen Eid schwören, dass er Briseis nicht angerührt habe (Il. 19,172-176, vgl. 9,132-134 ≈ 9,274-276). Im Anschluss daran fordert er Achill zur Teilnahme an einem Opfer und dem anschließenden gemeinsamen Mahl in der Hütte des Agamemnon auf, um dadurch die Versöhnung zu bekräftigen (Il. 19,179-183). Die Rede des Odysseus zielt geschickt darauf ab, Achills Einwilligung zur Übergabe der Geschenke und zur Rückkehr zum Heer unter Agamemnons Oberbefehl implizit durch die Teilnahme am Königsmahl zu erzwingen.862 Entsprechend lobt Agamemnon die Worte des Odysseus (Il. 19,185-186) und gibt ihm die Anweisung, alle Geschenke und die versprochenen Frauen herbeizuholen (Il. 19,192-195).863 Danach wendet er sich an den Herold Talthybios und befiehlt ihm, einen Eber für das Opfermahl vorzubereiten (Il. 19,196-197), denn der rituelle Akt des Opfers und das nachfolgende Königsmahl in der Hütte des Agamemnon soll den verpflichtenden Charakter der Transaktion bekräftigen.864 Agamemnon folgt dem Rat des Odysseus, doch wendet er sich wieder nicht direkt an Achill, auf den er sich distanziert in der 3. Person bezieht (Il. 19,188, 194), sondern versucht, durch schnelle und vor allem öffentliche Übergabe der Geschenke jeden Widerspruch zu übergehen. Achill jedoch lehnt diese Einladung mit dem Verweis auf die getöteten Griechen ab und ist einzig darauf bedacht, möglichst schnell an Hektor Rache zu nehmen (Il. 19,199-214), und seine Weigerung, Speise zu sich zu nehmen, ist im Fall des Verlusts des geliebten Gefährten eine nachvollziehbare Reaktion (vgl. auch das Exempel der Niobe, die erst nach zehntägiger Trauer wieder Essen zu sich nahm, Il. 24,602-613).865 Seine Bereitschaft,

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Zur Einschätzung des Odysseus als Held der πολυτροπίη, der damit eine Mittelposition zwischen Achill und Agamemnon einnimmt und in einigen Hinsichten beiden überlegen erscheint, siehe Clay 1999. Vgl. auch Edwards 1991, 258 ad Il. 19,194-5: „Agamemnon’s failure to distinguish Briseis from the other slave-women he will hand over is as graceless as his continued reference to Akhilleus as if he were not there. “ Vgl. auch das Lammopfer zur Bekräftigung der Eide in Il. 3,103-107, dazu auch Coray 2008, 91 ad Il. 19,196-197. Das Opfer und das folgende Opfermahl sollen nicht nur den Eid des Agamemnon bekräftigen, sondern die gesamte Transaktion (mit der Wiedereingliederung Achills als Agamemnons Untergebenem) sanktionieren, vgl. auch Nagler 1974, 177 Anm. 16. Zur Bedeutung des Königsmahl siehe auch oben I.4.3.1 und I.4.3.2. Vgl. Shay 1994, 50-51 sowie Grethlein 2005, 259.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

ohne Speise in den Kampf zu ziehen, kann als Symbol für seinen unbändigen Kampfesdrang und seinen Durst nach Rache gelesen werden, 866 doch nach den bisherigen Beobachtungen scheint seine Zurückweisung noch weitere Gründe zu haben. Denn ein Opfer und vor allem das anschließende Mahl haben immer auch eine symbolische Bedeutung, indem sie Gemeinschaft erzeugen und die bestehenden sozialen Hierarchien zum Ausdruck bringen.867 Ferner ist die gemeinsame Einnahme eines Mahls ein Zeichen für die Gültigkeit einer getroffenen Abmachung, und damit wäre die Annahme der Einladung unweigerlich auch mit der Anerkennung der Übergabe der herbeigebrachten Geschenke und der Verpflichtung zur Erwiderung der Gaben verbunden, die Achill zuvor mit Gleichgültigkeit bedacht hatte. Das Königsmahl in Agamemnons Hütte wäre ein Symbol der Versöhnung, bei der Achill sich Agamemnons Willen fügen würde und seine Obligation, wieder für ihn zu kämpfen, eingestehen müsste. Achills Ablehnung, am gemeinsamen Mahl teilzunehmen, ist damit eine implizite Ablehnung des Anspruchs, den Agamemnon nach wie vor auf den Titel ἄριστος Ἀχαιῶν erhebt. Die Teilnahme Achills am Königsmahl würde Agamemnon in dieser Rolle bestärken und die Annahme der Geschenke und die Rückkehr in die Gesellschaft der Helden signalisieren.868 Odysseus antwortet darauf, indem er Achill als den Besten der Achaier anspricht und als den Stärkeren anerkennt (Il. 19,216-220), jedoch in seiner Position als erfahrenerer Held abermals dazu auffordert, das Heer vor dem Kampf zuerst essen zu lassen (Il. 19,221-237). Achill scheint sich diesem Rat zu fügen, und trotz seiner Gleichgültigkeit findet die Übergabe der Geschenke in der Öffentlichkeit der Heeresversammlung statt (Il. 19,278-281). Denn auch ohne Achills Anerkennung der Gaben muss Agamemnon den Teil der Geschenke bringen lassen, der nicht erst nach der Eroberung Troias übergeben werden kann, um sein Gesicht zu wahren und um nicht geizig und habgierig zu erscheinen. Nachdem er Achill die Geschenke für die Beendigung seines Zornes versprochen hatte (vgl. Il. 9,157, 299), ist er gleichsam verpflichtet, an dieser Stelle die Geschenke übergeben (Il. 19,147: ὡς ἐπιεικές, vgl. 1,119, 126) und im Rahmen des folgenden Opfers den versprochenen Eid zu leisten, dass er nicht mit Briseis geschlafen habe (Il. 19,258265). Denn auch wenn Achill die Annahme der Geschenke nicht offiziell

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Vgl. Coray 2008, 93 ad Il. 203-214. Siehe auch Grethlein 2005, 267-269, der herausarbeitet, dass Achills Weigerung zu essen einerseits seine Nähe zu den Göttern ausdrückt, ihn andererseits jedoch als ein wildes Tier charakterisiert, bei dem das Essen erst nach erfolgreicher Jagd erfolgt. Zu den symbolischen Bedeutungen des Essens siehe Griffin 1980, 14-17, Seaford 1994, 42-53 sowie Ulf 1990, 87, 195-198. Siehe dazu Taplin 1992, 210-212, van Wees 1995, 170-177, Postlethwaite 1998, 99 sowie v.a. Lateiner 1995, 33: „Sharing food establishes a material symbol of acceptance, a ritual bond of solidarity, especially in Homeric redistributive economies.“

II.1 Achill und Agamemnon

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anerkennt, ist dieser Eid ein wichtiger Bestandteil der Übergabe, denn wenn Agamemnon Achill in sexueller Hinsicht entehrt hätte, wäre die Rückgabe der Briseis eine Beleidigung und die ursprüngliche Kränkung könnte nicht beigelegt werden.869 Mit Achills Entgegennahme des Eides, die sich auf die Feststellung beschränkt, alles sei durch den Willen des Zeus geschehen (Il. 19,270-275),870 ist zumindest die äußere Ursache für den Streit zwischen Achill und Agamemnon beseitigt. Achill erhält mit diesem Vorgehen dieselben Geschenke, die Agamemnon ihm zuvor schon in Aussicht gestellt hatte, nun jedoch als Anerkennung seiner Bedeutung als stärkster Kämpfer und ohne Verpflichtung zu einer Gegenleistung. Indem Achill das Angebot Agamemnons ignoriert und weder den Wert der Geschenke noch deren Annahme anerkennt, macht er seine eigene gesellschaftliche Überlegenheit deutlich und sorgt damit für einen erheblichen Ehrverlust Agamemnons.871 Denn Agamemnon erleidet letztlich nicht nur eine Einbuße an materiellen Gütern, deren Präsentation vor der intendierten Demonstration seines eigenen Wohlstands zu einem Zeichen für Achills Reichtum und Ehre werden, sondern auch hinsichtlich seines Ansehens als Heerführer, denn Achill erhält die Geschenke, ohne sich zu einer Gegenleistung verpflichten zu müssen und ohne die Vorrangstellung Agamemnons öffentlich zu akzeptieren. Er kehrt zwar wieder in die Schlacht zurück und übernimmt sogar die Führung des Heers, nicht jedoch als Untergebener Agamemnons, sondern durch seine eigenen Gründe und als sein eigener Herr.872 II.1.4 Die Lösung des Konflikts Es folgt die Aristie des Achill (Il. 20-22, siehe dazu unten II.2.1) und nach dem Tod Hektors die Bestattung des Patroklos (Il. 23,109-257),873 doch Achill behält seine unnachgiebige Haltung gegenüber Agamemnon auch nach der Rache an Hektor bei. Als Achill nach seinem Sieg ein Leichenmahl für Patroklos ausrichtet (Il. 23,26-34) und dann zum Königsmahl zur Hütte des Agamemnon geführt wird, kann er dies nun zwar nicht ablehnen, zeigt jedoch weiterhin seinen Widerwillen an der Teilnahme an Agamemnons

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Vgl. Coray 2008, 115 ad Il. 19,262. Die Situation erfordert eine Rede von Achill, und es ist seinerseits großzügig, dass er auch sich selbst als Opfer der Verblendung benennt, vgl. Edwards 1991, 266-267 ad loc. Dennoch erkennt er den Erhalt der Geschenke mit keinem Wort an und das Opfer scheint ausschließlich den Eid Agamemnons zu bekräftigen. Vgl. Donlan 1993, 168-170 und Postlethwaite 1995, 100-102. Vgl. Coray 2008, 76 ad Il. 19,147-154. Es ist anzunehmen, dass Agamemnon Achill mit seinem Befehl in Il. 19,139 den momentanen Oberbefehl über das Heer überträgt, dass er selbst verletzt ist und nicht kämpfen kann (vgl. Il. 19,51-53, 76-77), vgl. auch Edwards 1991, 252 ad Il. 19,139-44. Siehe dazu allgemein die hervorragende Interpretation bei Redfield 1994, 204-210.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Mahl, indem er sich weigert, das Blut von seinen Händen zu waschen (Il. 23,35-53).874 Das Übergießen der Hände mit Wasser stellt jedoch einen festen Bestandteil der Mahlzeremonie dar (vgl. z.B. Il. 9,173-174), und somit darf angenommen werden, dass Achill auch hier noch Agamemnons Gastfreundschaft und jegliche Unterordnung ablehnt. Erst mit der Ausrichtung der Leichenspiele zur Ehrung des gefallenen Patroklos kehrt Achill in das öffentliche Leben der Gemeinschaft der Helden zurück, aus der er sich mit seiner Weigerung zu kämpfen entfernt hatte, und für die restliche Handlung der Ilias wird Achill situativ bedingt de facto zum Herrscher im griechischen Heer. Indem er, der kampfstärkste Held, der soeben den stärksten Troianer getötet hat, den Vorsitz bei den Spielen übernimmt, drängt er Agamemnon, obwohl dieser immer noch der mächtigere Herrscher ist, im gegenwärtigen sozialen Kontext vollkommen in den Hintergrund.875 Die Wettspiele stellen eine Art Heeresversammlung dar, wie sie zur Beratung und zur Verteilung von Beute stattfanden (Il. 23,258: εὐρὺν ἀγῶνα),876 und Achill übernimmt ohne Widerspruch der anderen Helden die Führungsrolle und erteilt Befehle, die von allen, Agamemnon eingeschlossen, umgehend befolgt werden. 877 Im Rahmen des gesellschaftlichen Anlasses der Totenspiele etabliert Achill seine soziale Überlegenheit und seinen Anspruch als ἄριστος Ἀχαιῶν im Heer der Griechen. Die erste und wichtigste Wettkampfdisziplin ist das Wagenrennen, und vor dem Beginn verweist Achill auf seine eigene Fähigkeit in diesem Bereich, in dem ihm der Sieg sicher wäre, wenn es die Leichenspiele eines anderen Helden als Patroklos wären und er teilnehmen könnte (Il. 23,274278). Seine Worte, die zunächst sehr arrogant wirken, entsprechen jedoch dem Wesen eines homerischen Helden, der eine derartige Gelegenheit zur prahlenden Selbstdarstellung ohne die Möglichkeit, widerlegt zu werden, nicht ungenützt verstreichen lassen kann. Dessen unbenommen stimmen

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Vgl. Edwards 1986, 89. Vgl. Postlethwaite 1998, 100: „In all their dealings subsequent to the reconciliation Akhilleus exercises the authority of leader, whilst Agamemnon goes wordlessly about the tasks assigned to him.“ Ebenso auch Wilson 2002b, 123-126. Siehe dazu auch die Zusammenfassung in der Rez. von Rabel 2003: „Studying the funeral games for Patroklus in Book 23, she effectively argues that both internal and external audiences watch Achilles, a leader who has risen to the top through the agonistic system, preside over a community in which Agamemnon, the best man according to the fixed system, exercises no restraining force. Hence the poem privileges the fluid over the fixed system.“ Vgl. Seaford 1994, 161-162 sowie Hammer 2000, 134-143. Vgl. hierzu auch Martin 1989, 141, der bemerkt, dass Achills Reden in Buch 23 fünfmal explizit als μῦθος bezeichnet werden. Wichtig dazu Martin 1989, 12: „muthos is, in Homer, a speech-act indicating authority, performed at length, usually in public, with focus on full attention to every detail.“

II.1 Achill und Agamemnon

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die Griechen darin überein, dass Achills unsterbliche Pferde im Rennen unbesiegbar sind, aber da er der Ausrichter der Spiele ist, ist ihm die Teilnahme versagt. Achill stellt sich mit seiner Aussage hinsichtlich seiner ἀρετή außer Konkurrenz an die Spitze der heroischen Gesellschaft und behält sich vor, die Leistung seiner Standesgenossen bei den folgenden Wettspielen zu bewerten und zu belohnen. Dabei demonstriert er seine τιμή, indem er großzügig seinen Besitz, die sichtbaren Kennzeichen seines gesellschaftlichen Rangs, als Kampfpreise aussetzt (Il. 23,259-270, 653-656, 700-705, 740-751, 798-800, 826-829, 850-851, 884-886).878 Darunter befinden sich Wertgegenstände, die Achill als Lösegeld erhalten hatte (vgl. Il. 23,741748), Spolien (vgl. Il. 23,800, 807-808) und Beutegut (vgl. Il. 23,826-828), die von Achills Fertigkeit als Krieger zeugen. Sein Vorgehen bei der Vergabe der Preise ist einfühlsam und rücksichtsvoll, und als Ausrichter der Wettspiele nimmt Achill eine Position ein, die mit der eines Herrschers vergleichbar ist.879 Bevor Agamemnon als Schlichter herangezogen werden kann (vgl. Il. 23,486: ἴστορα δ᾿ Ἀτρείδην Ἀγαμέμνονα θείομεν ἄμφω), greift Achill ein und verhindert den Streit zwischen dem Kleinen Aias und Idomeneus mit besänftigenden Worten (Il. 23,488-498). Indem Achill die Rolle des ἴστωρ für sich beansprucht und sich in dieser Aufgabe bewährt, präsentiert er sich als besserer Anführer. 880 Zudem zeigt Achill großes Taktgefühl, indem er auch den weit abgeschlagenen Eumelos ehrt, der als Favorit ins Rennen ging, dann jedoch als Letzter ins Ziel kommt. Achill ist bereit, ihm dennoch den zweiten Preis zuzuerkennen und damit die Fähigkeiten des Eumelos, den er für den besten Wagenlenker hält, anzuerkennen (Il. 23,532-538).881 Achill erhebt den Ruf des Eumelos zum ausschlaggebenden Kriterium für die Ehrung mit einem Kampfpreis über die tatsächlich erbrachte Leistung. Dieser Vorschlag findet allgemeine Billigung bei den anderen Zuschauern, und nur Antilochos, der Sohn des Nestor, der selbst den zweiten Platz belegte, erhebt Einspruch. Die Kampfpreise sind mit ihrer Aussetzung Eigentum der Gemeinschaft geworden, das für einen bestimmten Zweck, den Erfolg im Wettkampf, vorgesehen ist; Antilochos wendet sich nicht gegen das Anrecht des Eumelos auf einen Preis, sondern gegen die Auswahl der Belohnung aus den zweckgebundenen Kampfpreisen. Im Gegensatz zu Agamemnon, der

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Vgl. auch Ulf 1990, v.a. 198: „Distribution verschafft Reputation. Das weiß auch Achill.“ Vgl. Postlethwaite 1998, 100. Zum Vergleich der Leichenspiele mit der Konstruktion einer Polis siehe Hammer 1997, 15-16. Explizit formuliert bei Hammer 1997, 17-21 und 2002, 137-138. Auch die Bemerkungen von Macleod 1982, 30-31, Edwards 1987, 303, Collins 1988, 98-99, Taplin 1992, 253, 256 und Zanker 1994, 110-111 tendieren zu diesem Urteil. Vgl. Hammer 1997, 18 (vgl. 2002, 138): „For Achilles now, it is not enough that Eumelos be the best man, he must be honored sufficiently by the community.“

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

sich in vergleichbarer Situation uneinsichtig zeigte und damit den Zorn des Achill heraufbeschwor, hat Achill ein Einsehen und spricht Antilochos den verdienten zweiten Kampfpreis zu, stellt jedoch für Eumelos ein mindestens gleichwertiges Ehrengeschenk aus seinem privaten Besitz (Il. 23,539565).882 Alle sind mit dieser Lösung zufrieden und den fünften Kampfpreis, der somit nicht vergeben wurde, gibt Achill an den alten Nestor, der aufgrund seines Alters an keinem Wettkampf teilnimmt. Dieser gewinnt durch das Geschenk der Schale an τιμή (Il. 23,615-650), ebenso wie Achill selbst, indem er das hohe Alter und die Ehrwürdigkeit des Nestor ehrt. 883 Achill stellt damit ostentativ seine eigenen Führungsqualitäten zur Schau und zeigt, dass er im Gegensatz zu Agamemnon von dem Prinzip der „distributiven τιμή“ Gebrauch machen kann.884 Nicht mit Einschüchterung und Drohungen, sondern durch Einfühlsamkeit, Fingerspitzengefühl und geschicktem Einsatz seines Reichtums vermeidet Achill Konflikte und gewinnt Anerkennung, lässt jedoch gleichzeitig keinen Zweifel daran, dass er für den Moment an der Spitze der Gesellschaft der griechischen Helden steht. Dies wird abermals bei der letzten Wettkampfdisziplin, dem Speerwurf, deutlich, bei dem auch Agamemnon einen Preis erhält. Allerdings findet der eigentliche Wettkampf nicht statt, da Achill die Preise direkt an die beiden angetretenen Athleten vergibt. Mit dem Verweis auf die Überlegenheit des Agamemnon im Speerwurf spricht er diesem den ersten und Meriones den zweiten Preis zu: Il. 23,884-895: Αὐτὰρ Πηλείδης κατὰ μὲν δολιχόσκιον ἔγχος, κὰδ δὲ λέβητ’ ἄπυρον βοὸς ἄξιον ἀνθεμόεντα θῆκ’ ἐς ἀγῶνα φέρων· καί ῥ’ ἥμονες ἄνδρες ἀνέσταν ἂν μὲν ἄρ’ Ἀτρείδης εὐρὺ κρείων Ἀγαμέμνων, ἂν δ’ ἄρα Μηριόνης, θεράπων ἐῢς Ἰδομενῆος. τοῖσι δὲ καὶ μετέειπε ποδάρκης δῖος Ἀχιλλεύς· Ἀτρείδη· ἴδμεν γὰρ ὅσον προβέβηκας ἁπάντων ἠδ’ ὅσσον δυνάμει τε καὶ ἥμασιν ἔπλευ ἄριστος ἀλλὰ σὺ μὲν τόδ’ ἄεθλον ἔχων κοίλας ἐπὶ νῆας ἔρχευ, ἀτὰρ δόρυ Μηριόνῃ ἥρωι πόρωμεν,

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Diese Analyse der Szene folgt dem Argument von Hammer 2002, 138-140. Vgl. Latacz 1995, 63-64, Hammer 2002, 141-142 sowie Beidelman 1989, 241, der Achill als eindeutigen Sieger bei diesen Geschenkgaben darstellt. Diese Gabe an Nestor ist vermutlich das einzige zweckfreie, „echte Geschenk“, das in der Ilias übergeben wird. Vgl. Finkelberg 1998, 16-20. Ebenso Danek 2010, 65: „Wenn er die Spiele vorbildlich durchführt, jeden Konflikt im Keim erstickt und jedem beteiligten Helden die ihm gebührende Ehre zukommen lässt, so bildet das ein Zitat dafür, wie ein idealer Heerführer ‚eigentlich’ agieren sollte, um seiner Aufgabe gerecht zu werden.“

II.1 Achill und Agamemnon

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εἰ σύ γε σῷ θυμῷ ἐθέλοις· κέλομαι γὰρ ἔγωγε. Ὣς ἔφατ’, οὐδ’ ἀπίθησεν ἄναξ ἀνδρῶν Ἀγαμέμνων· Doch der Peleus-Sohn legte eine langschattende Lanze nieder, und einen Kessel, unberührt von Feuer, vom Wert eines Rindes, verziert mit Blumen, brachte er in die Versammlung. Und speerwerfende Männer standen auf, auf stand der Atreus-Sohn, der weitherrschende Agamemnon, und Meriones, der tüchtige Gefolgsmann des Idomeneus Und unter ihnen sprach der fußstarke göttliche Achilleus: „Atreus-Sohn, wir wissen ja, wie weit du allen vorangehst und wie weit du an Kraft und mit Speerwürfen der Beste bist! So sollst du diesen Preis haben und zu den hohlen Schiffen gehen, den Speer geben wir Meriones, dem Helden – wenn du es willst in deinem Mute. Ich wenigstens rate es.“ So sprach er, und nicht ungehorsam war der Herr der Männer Agamemnon.

Das Verhalten Achills wurde oftmals als Anerkennung der überlegenen Position des Agamemnon gedeutet und als ein Versuch, weiteren Schwierigkeiten, die sich aus einer möglichen Niederlage Agamemnons im Wettstreit ergeben könnten, aus dem Weg zu gehen.885 Mit dieser Geste Achills wäre der Streit offiziell zu einem Ende gelangt.886 Jedoch bietet sich im Lichte der bisher gemachten Beobachtungen eine andere Interpretation an: Achill war bisher nicht bereit, sich Agamemnon unterzuordnen, und nutzt hier nun die heroischen Verhaltensnormen zu seinem eigenen Vorteil.887 Denn Achill bezieht sich nicht auf die politische Macht des Agamemnon, sondern erwähnt einzig dessen Fertigkeit im Speerwurf (Il. 23,981: δυνάμει τε καὶ ἥμασιν ἄριστος888), ohne ihm die Gelegenheit zu geben, seine Fähigkeit in diesem Bereich unter Beweis zu stellen und sich den Siegespreis durch eine Demonstration seines Könnens rechtmäßig zu verdienen. Es ist nicht

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Siehe z.B. Whitman 1958, 263, Benardete 1963, 16, Griffin 1980, 71, Schein 1984, 156, Yamagata 1994, 69-70 sowie Zanker 1994, 110. Dies wirft jedoch kein gutes Licht auf die Fertigkeiten des Agamemnon, denn wenn er wirklich über überlegene Fähigkeit im Speerwurf verfügte, könnte der Wettkampf stattfinden und die Verteilung der Preise bliebe trotzdem die gleiche. Zur Ambiguität der Passage siehe v.a. Scodel 2008, 153-157. Sehr explizit hierzu z. B. Thornton 1984, 137: „Agamemnon and Meriones rise to compete in the final contest, in spearthrowing. Achilles anticipates the result by acknowledging Agamemnon’s superiority in that craft of battle, and with gracious words (Ψ 894) offers him the victor’s prize, which Agamemnon accepts. Here Achilles comes to meet Agamemnon in a way which goes further than sharing a meal with him: he lifts him up to the rank of the great fighters among whom Achilles is acknowledged to be the greatest. The honour of both heroes is fully restored.“ Vgl. Postlethwaite 1995 und 1998, 100-101 sowie Allan/Cairns 2011, 136. Vgl. Postlethwaite 1995, 96-98 zur Übersetzung von Il. 23,981: δυνάμει τε καὶ ἥμασιν ἄριστος als Hendiadyoin „Bester im Speerwurf.“

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klar, ob Agamemnon tatsächlich Überlegenheit auf diesem Gebiet für sich beanspruchen kann, denn Speerkämpfer (αἰχμητής) ist eine ehrenvolle Bezeichnung für einen ausgezeichneten Krieger, und gerade diese Fertigkeit wurde Agamemnon mehrfach abgesprochen (vgl. Il. 1,225-228; 9,34-39).889 Auffällig ist ferner, dass Agamemnon als ersten Preis nur ein mit Blumen verziertes Becken erhält, wohingegen Achill Meriones als zweiten Preis eine Lanze zuspricht. Der Siegespreis im Speerwurf entspricht damit dem dritten Preis des Wagenrennens (Il. 23,267 = 885: ἄπυρον λέβητα), und sein Wert, der mit nur einem Rind angegeben wird (Il. 23,885), liegt weit unter dem Wert des Preises für den Verlierer im Ringkampf, der eine Sklavin im Wert von vier Rindern erhielt, während der Sieger im Ringen sogar einen Dreifuß im Wert von 12 Rindern zugesprochen bekam (Il. 23,703 bzw. 705, vgl. auch 22,164). Ferner mag die „langschattende Lanze“ dem Becken hinsichtlich des materiellen Werts nachstehen, doch ist sie ansonsten ein passenderes Geschenk für einen fähigen Speerkämpfer, um dessen Fertigkeit anzuerkennen. Schon mit der Auswahl der Kampfpreise, die beide im Vergleich mit den Preisen, die für die anderen Wettkämpfe ausgesetzt werden, eher gering einzuschätzen sind, scheint Achill die ἀρετή Agamemnons implizit in Frage zu stellen. Die Tatsache, dass der Speerwurf als letzte Disziplin ausgetragen wurde, bekräftigt den Eindruck, dass dieser Wettkampf wohl weder von besonderer Bedeutung noch besonders prestigewirksam war.890 Doch unabhängig davon, ob Agamemnon wirklich über überlegene Fähigkeit im Speerwurf verfügt, akzeptiert er mit der Annahme des Siegespreises Achills aktuelle gesellschaftliche Überlegenheit. Denn der griechische Heerführer, der sich zuvor überlegen wähnte, kann das scheinbar großmütige Geschenk Achills nicht ablehnen, muss sich aber mit der Annahme dem Geber unterordnen.891 Er erhält nicht die Möglichkeit, sich des Geschenks würdig zu erweisen und gleichsam als Gegengabe die entsprechende Leistung zu zeigen, da es sich um einen Siegespreis handelt, der gerade ohne Wettbewerb (und damit „unverdient“) übergeben wird. Dass Achill diesen Effekt mit einem ganz offenbar nach objektiven Kriterien minderwertigen Geschenk erreicht, erscheint ironisch angesichts der enor-

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Zur Vermutung, dass es sich selbst dabei um Ironie handeln könnte, nachdem Agamemnon als erster Held der Ilias einen Speer vollkommen „verschleudert“ und weder sein anvisiertes Ziel noch sonst einen Gegner trifft (Il. 11,233, vgl. später 13,502505, 605; 16,608-615; 17,525-529), siehe Bassett 1934, 56-57 und Postlethwaite 1995, 9899. Taplin 1990, 77-78 schließt aus dem Wert der Kampfpreise, dass die Zuerkennung des Siegespreises an Agamemnon „can hardly be, as is often claimed, the restoration of Agamemnon to an honourable and admirable stature. The contest is minor; the prize is cheap.“ Vgl. Donlan 1989, 6 und 1993, 170 sowie Wilson 2002b, 125.

II.1 Achill und Agamemnon

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men Summe, mit der Agamemnon zuvor versuchte hatte, Achill zu „kaufen.“892 Mit dieser ostentativen Geste der Überlegenheit macht Achill von einer Taktik Gebrauch, die Agamemnon in seinem von der Gesandtschaft überbrachten Angebot an Achill selbst ohne Erfolg zum Einsatz brachte, und so findet der Streit zwischen Achill und Agamemnon erst hier mit dessen stillschweigender Akzeptanz (vgl. Il. 23,895) von Achills Überlegenheit einen endgültigen Abschluss.893 Die Bitte der Thetis an Zeus, dass Achill seine Position im griechischen Heer in seiner Ehre bestärkt wieder einnehmen möge (Il. 1,509-510), hat sich erfüllt. II.1.5 Zusammenfassung der Beziehung zwischen Achill und Agamemnon Die Untersuchung der Beziehung zwischen Achill und Agamemnon vor dem Hintergrund des homerischen Heldenkonzepts zeigt, dass Achill das Ideal des iliadischen Kampfhelden in besonderer Weise verkörpert, und daher auch eine außergewöhnliche τιμή als ἄριστος Ἀχαιῶν für sich in Anspruch nimmt.894 Es ist allgemein anerkannt, dass Wettbewerbsdenken und Agonalität ein bestimmender Faktor sozialer Interaktion in den homerischen Epen war, und somit erstaunt es kaum, dass auch in einem scheinbar kooperativen Bereich wie der Übergabe von Geschenken mit einem gewissen Maß an Wettkampfdenken zu rechnen ist. Unter dieser Annahme können die behandelten Szenen nur schwerlich als Schritte der Versöhnung zwischen den beiden beteiligten Helden verstanden werden. Vielmehr zeigt sich eine Instrumentalisierung der Geschenke und ein Umschwung von der anfänglichen sozialen und politischen Überlegenheit des Agamemnon, die dieser noch mit seinem großzügigen Angebot unter Beweis stellen wollte, über Achills gezielte Verweigerung der Annahme hin zur Demonstration seiner eigener Überlegenheit. Damit kann aufgezeigt werden, dass Achill, der in der Ilias als der unumstritten beste Kämpfer der Griechen dargestellt wird, durch geschickten Einsatz der Mechanismen der homerischen Geschenkeökonomie, die für das zeitgenössische Publikum Homers klar erkennbar gewesen sein dürften,895 im Fortgang der Ilias infolge seines standhaften Beharrens auf dem heroischen Code auch seine sozio-politische Überlegenheit über Agamemnon durchsetzen kann.

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Zum Vergleich, Agamemnon hatte Achill unter den Prestigegegenständen insgesamt 20 „blinkende Kessel“ angeboten (Il. 9,123 = 265: αἴθωνας δὲ λέβητας ἐείκοσι). Siehe Postlethwaite 1995, 99-102 und 1998, 101. Vgl. Arieti 1986, der Achill einen beinahe gottgleichen Status zuspricht, infolgedessen jedoch von einer Entfremdung Achills von den Werten der heroischen Gesellschaft ausgeht. Zu diesem Aspekt siehe v.a. Donlan 1993, 155-159.

II. Die Ilias und das heroische Ideal

200

II.2

Achill und Hektor

II.2.1 Die Aristie Achills Mit der Beziehung zu Hektor tritt das Kriegsheldentum Achills in den Blick, und die bedeutendste Aristie der Ilias ist die Raserei des Achill (Il. 20,158-22,394), die unbestritten den martialischen Höhepunkt der Ilias bildet. Der Wiedereintritt Achills in die Schlacht ist – wie auch seine ursprüngliche Kampfverweigerung – durch die heroische Emotion des Zornes als Reaktion auf eine Ehrverletzung bedingt. Denn zusätzlich zum Verlust eines geliebten Gefährten, der einen unmittelbaren Rachezorn hervorruft, stellt der Tod des Patroklos für Achill auch eine Verletzung seiner Ehre dar, da er seinen θεράπων nicht hatte beschützen können (vgl. Il. 18,102-105). Die Entehrung wird zudem durch den Raub seiner göttlichen Rüstung verschärft, die Hektor Patroklos abgenommen und in seinem Hochmut noch auf dem Schlachtfeld selbst angelegt hatte (Il. 17,188-197).896 Der Verlust der Rüstung als Symbol der Kampfkraft ihres Trägers ist eine Entehrung des toten Kriegers, die hier auf einen lebenden Helden zurückfällt, da die Rüstung nur geliehen war. Das Motiv des Waffentausches verstärkt folglich die Beleidigung, die Achill von Hektor zugefügt wird, und in strikter Einhaltung des heroischen Ehrenkodex muss er diese Schmach rächen und Hektor töten (vgl. Il. 19,208: τεισαίμεθα λώβην).897 Diese Entscheidung hat für ihn weitreichende Folgen, denn der Tod Hektors ist Vorbedingung für Achills eigenen Tod (vgl. Il. 18,95-96).898 Mit dem Entschluss,

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Vgl. v.a. Bassett 1923 sowie Kakridis 1961, 296. Auch Taplin 1992, 185-189 betrachtet das Anlegen der Waffen Achills durch Hektor als οὐ κατὰ κόσμον (Il. 17,205, vgl. auch 17,450), geht jedoch nicht so weit, von Hybris zu sprechen. Das sofortige Anlegen einer erbeuteten Rüstung ist eine einmalige Szene in der Ilias und zeigt, dass sich Hektor der besonderen Bedeutung der Waffen bewusst ist. Zum Sammeln von Spolien und der Entehrung des gefallenen Kriegers siehe oben I.4.2.2. Vgl. dazu Kakridis 1961, 295, der davon ausgeht, dass es sich bei dem Waffentausch zwischen Achill und Patroklos um ein erst von Homer in die Achilleus-Sage eingeführtes Motiv handelt: „Die Einführung des Waffentausches weiß Homer sich vielfach zunutze zu machen. (...) Dadurch werden auch die Gründe verstärkt, die Achilleus hat, sich an Hektor zu rächen: der Verlust der Rüstung ist ja für jeden Helden eine große Schande gewesen. Die Beleidigung, die Hektor dem Achilleus durch die Tötung seines Freundes zugefügt hat, wird dadurch verdoppelt, (...).“ Zudem Motto/Clarke 1969, 117: „(...) it is a far greater “dishonour” for a living hero such as Achilles to have lost his armor; the dishonor amounts to a holy “defilement,” as Achilles himself announces (19.208).“ Zu Erbeutung und Anlegen der Rüstung des Peleus durch Hektor als tragischer ἁμαρτία siehe Bassett 1923. Vgl. Nickel 2002, 230-231 zur Beobachtung, dass Achill Hektor bezeichnenderweise in seiner eigenen Rüstung, die dieser Patroklos abgenommen hatte, töten wird. Auch Achill, dem die kyklische und nachhomerische Tradition teilweise Unverwundbarkeit (mit Ausnahme der berühmten Ferse) und sogar Unsterblichkeit durch die Entrückung auf die Insel Leuke verlieh, ist in der Ilias trotz seiner enormen

II.2 Achill und Hektor

201

den Tod des Patroklos zu rächen und wieder ins Kampfgeschehen einzugreifen, nimmt Achill wissentlich seinen eigenen Tod in Kauf (Il. 18,90-92, 95-100, 114-117; 19,420-423), und seine Reaktion von todesgleicher Trauer auf die Nachricht vom Tod des Gefährten symbolisiert seinen eigenen bevorstehenden Tod (Il. 18,26-27: ἐν κονίῃσι μέγας μεγαλωστὶ τανυσθεὶς / κεῖτο; zur Formulierung vgl. den Tod des Kebriones in 16,775-776).899 Er ist bereit, sein Leben für Rache und die Aussicht auf unsterblichen Ruhm, κλέος (Il. 18,120-121; vgl. auch 9,413), zu opfern, und sein eigener Tod wird bald auf den Tod Hektors folgen (Il. 18,95-96).900 Obgleich Achills Tod außerhalb der Ilias-Handlung liegt, wird er doch in zahlreichen Andeutungen präsent gehalten.901 II.2.1.1

Das Wüten Achills

Es folgt die Aristie des Achill, die sich nicht grundlegend von anderen Aristien unterscheidet, sondern in ihrem Grundschema dem typischen Aufbau aller iliadischen Aristien folgt.902 Sie beginnt mit dem Anlegen der neuen Rüstung Achills (Il. 19,364-398), die ihm von seiner Mutter überbracht worden war (Il. 19,12-18).903 Die Rüstungsszene erfolgt konventionell, und besonders die Verweise auf ihren feurigen Glanz fallen auf (. 19,366, 374-380; vgl. auch zuvor das Feuergleichnis in 18,205-214).904 Als ausgezeichneter Held wird Achill auch die Hilfe der Götter zuteil, denn die Rüstung wurde von Hephaistos für Achill angefertigt (Il. 18,468-617) und auch die Troianer erkennen, dass Achill zusätzlich zu seiner eigenen Kampfkraft immer die Unterstützung der Götter auf seiner Seite zu haben

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körperlichen Kräfte, die die aller anderen Helden übertreffen, nur ein sterblicher Mensch, vgl. Schein 1984, 91, 95-96, Edwards 1985b, Burgess 2009, 40-42 et passim. Die Formulierung erscheint nur in Il. 16,775-776 und 18,26-27, vgl. Edwards 1991, 145-146 ad Il. 18,26-27. Zum Aspekt, dass Achill in der ansonsten für tote Krieger typischen Metaphorik um Patroklos trauert, dessen Begräbnis auch auf seine eigene Bestattung hindeutet, siehe Schein 1984, 130, Edwards 1986, 86-87 mit Anm. 12 sowie Burgess 2009, 84-85. Vgl. auch Nagler 1974, 156 zur Beobachtung, dass die Klage der Thetis um Patroklos und ihre Gestik (Il. 18,70-71) tatsächlich die Totenklage um Achill einleiten. Zu dem Zeitpunkt, da sich Achill für die Rache entschließt, wird bezeichnenderweise nur seine Bereitschaft zum Tod erwähnt, von der damit verbundenen Aussicht auf unvergänglichen Ruhm wird nur in Il. 9,410-416 gehandelt, vgl. Szabó 1956, 61-62. Zu diesem Aspekt siehe unten II.3. Vgl. die ausführliche Analyse von Niens 1987, 114-134. Dagegen Schein 1984, 34-36, der die Aristien des Diomedes (Il. 5,1-6,236), des Patroklos (Il. 16) und schließlich des Achill (Il. 20,156-22,394) als Gliederungselemente der Ilias betrachtet, die sich durch zunehmende Abwendung von den konventionellen heroischen Normen voneinander absetzen. Vgl. dazu Armstrong 1958, 349-353. Zu Il. 19,12-18 siehe auch Nagler 1974, 141-143. Vgl. Armstrong 1958, 349-352.

202

II. Die Ilias und das heroische Ideal

scheint (vgl. Il. 20,97-100). Zum Abschluss der Rüstung hebt Achill mühelos seine schwere Lanze, die „Esche vom Pelion“, auf (Il. 19,388-391 = 16,141-144), die von keinem anderen Helden geführt werden kann (Il. 16,140-142), während er selbst sogar in der Lage ist, sie zu schleudern (Il. 22,273). Bei diesem Element, das sich in keiner anderen Rüstungsszene findet, handelt es sich um ein Darstellungsmittel, das die außergewöhnliche Stärke Achills hervorheben soll.905 Im Unterschied zu den anderen Aristien der Ilias ist nun der poetische Fokus vollkommen auf Achill gerichtet, und es wirkt so, als ob er allein gegen die Troianer in die Schlacht ziehe.906 Dieser Fokus entsteht durch poetische Stilisierung, denn auch die Aristie des Achill ist in eine Begegnung der beiden Heere integriert, doch die anderen Kämpfer werden nur angedeutet (Il. 20,1-3, 156-158; 22,3-4, 205-207) und treten dann in den Hintergrund.907 Bisweilen wurde diese Aristie wegen ihrer exzessiven Grausamkeit als pervertierte Form einer Aristie beschrieben, da angeblich die ungeschriebenen Regeln des Kampfes von Achill in seiner Rachehandlung nicht befolgt und sogar konsequent missachtet würden.908 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, entspricht sein Handeln jedoch sehr genau dem heroischen Verhaltenskodex, wie er sich in den anderen Schlachtschilderungen der Ilias zeigte: Achill, der sich zuvor den Troianern gegenüber gnädig zeigen konnte (Il. 6,425-427; 11,104-106; 21,77-82; 23,746), als er noch keinen persönlichen Groll gegen diese hegte (vgl. Il. 1,152-157), hat nun keinen Grund mehr, den Troianern Schonung zu gewähren. Achill wird von dem Wunsch nach Rache für Patroklos angetrieben, zu der er nach den

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Der Eschenspeer wird als ἔγχος βριθὺ μέγα (Il. 16,140-141; 19,387-388) bezeichnet, eine offenbar formelhafte Kombination, die ansonsten nur für die Waffen der Götter verwendet wird (Il. 5,745-746; 8,389-390). Vgl. auch Hektors Fähigkeit, seinen 11 Ellen langen Eschenspeer (Il. 6,318-319; 8,494-495) zielgenau zu schleudern (Il. 22,289-290). Nur die Annahme, dass diese Helden über übermenschliche Kräfte verfügten, die sie zur Handhabung dieser Waffen befähigte, kann ihr Vorhandensein erklären, vgl. van Wees 1992, 20. Vgl. Schröter 1950, 92, Edwards 1991, 286, van Wees 1992, 139-140, Kullmann 1995, 68 sowie Motto/Clarke 1969, 112: „In Books 20, 21, and 22, Achilles presses forward, outdistancing the Achaeans, until he dominates the plain. His companions literally in these Books disappear from view, and Achilles continues forward in battle until every Trojan abandons the field, until Hector ultimately lies, in vast desolation, slain. The son of Peleus simply grows in these scenes with a spectacular progression until, monolithic, he becomes the solitary figure upon the epic canvas.“ Zu Aufmarsch und Schlachtordnung siehe oben I.3.2. In diesem scheint es jedoch so, als ob Achill nach dem Verlust seines Wagenlenkers Patroklos sich nicht unmittelbar einen Ersatz gesucht habe und nun zu Fuß in die Schlacht zöge. Die Aristie des Achill entspricht ansonsten den üblichen Darstellungskonventionen iliadischer Schlachtszenen, vgl. oben I.3.3, zeichnet sich jedoch durch ihre außergewöhnliche Länge aus, die Achills besonderer Stellung entspricht. So z.B. Johnston 1988, 63 sowie Erbse 2001, 248-249.

II.2 Achill und Hektor

203

Vorgaben des heroischen Verhaltenskodex verpflichtet ist. Dabei verfällt er in einen Kampfrausch (vgl. Il. 21,542-543), der sich zunächst darin äußert, dass er normale Nahrung ablehnt und stattdessen einzig nach Rache in Form von Hektors Blut lechzt (vgl. Il. 19,205-214).909 Seine Aristie zeichnet sich durch sehr hohe Geschwindigkeit aus,910 und ist weitaus blutiger als die anderen Aristien der Ilias.911 Dabei ist jedoch zu bedenken, dass das vergossene Blut getöteter Gegner der sichtbare Ausdruck des Erfolgs eines hervorragenden Kriegers ist, und dass Achill der weitaus beste Kämpfer der Griechen ist (vgl. Il. 2,768-769; 17,279-280). Die Zuschreibung dieses Titels bestätigt sich in seiner Aristie, die eindrucksvoll Zeugnis davon ablegt, dass Achill stärker und damit erfolgreicher als alle anderen Helden ist.912 Bevor jedoch die eigentliche Aristie beginnt, erfolgt eine doppelte Retardation durch eine Götterszene (Il. 20,4-75; 112-155) und die ausführliche Vorbereitung des Zusammentreffens von Achill und Aineias (Il. 20,75-111). Diese epische Verzögerung entspricht der Größe des Achill, denn ein bedeutungsvolles Ereignis wie der Kampf gegen Hektor bedarf eines entsprechenden Aufbaus.913 Eine detaillierte Betrachtung der Gliederung der danach folgenden Ereignisse mag darüber Aufschluss geben, wie die Aristie vor dem Hintergrund der anderen Kampfdarstellungen zu beurteilen ist: Die eigentliche Aristie beginnt mit der Begegnung mit Aineias (Il. 20,156-352), die mit dessen Entrückung durch Poseidon endet. Achill sucht von Anfang an nach Hektor (Il. 20,75-78), doch zuerst trifft er auf Aineias, der von Apoll zum Kampf gegen ihn ermutigt und mit besonderer Kampfkraft versehen wurde (Il. 20,80, 110: μένος). Die Helden treffen in voller Rüstung aufeinander, und Achill wird durch ein Löwengleichnis beschrieben (Il. 20,164-173).914 Dieses Gleichnis ist mit einem Umfang von zehn Versen

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Vgl. Neal 2006a, 225-228 und 2006b, 30-33. Zum Motiv des Kampfrausches siehe oben I.3.4.4. Vgl. Niens 1987, 114, 121 et passim sowie Purves 2011, 526-527 mit Anm. 9. Siehe v.a. Neal 2006a, 235-246. Vgl. allerdings auch Armstrong 1969, 30, demzufolge Achill in seiner Aristie nur 23 namentlich genannte getötete Gegner verzeichnen kann, wohingegen Hektor 28, Patroklos 27, Diomedes 22, Aias 20, Odysseus 17, Teukros 15 und Agamemnon 14 näher bezeichnete Opfer vorweisen können. Vgl. Motto/Clarke 1969, 109-112, so z.B. 110: „In terms of martial valor: Achilles, far from exhibiting hamartia through his brazen swelling, his prowess in battle, simply realizes a perfection sought by his whole society.“ Vgl. v.a. Edwards 1991, 286: „(...) the Greeks are arming in preparation for following Akhilleus into battle, and we expect his aristeia to begin. But the proper scale of events, and the tribute to Akhilleus‘ greatness, demand that before he meets Hektor in the final duel not only must the furious hero cause devastation among the Trojans, but a good deal of time must elapse.“ Siehe dazu Clarke 1995, 143-145, 153-158 sowie Wilson 2002a, 239-244.

204

II. Die Ilias und das heroische Ideal

das umfangreichste seiner Art in der gesamten Ilias, und die Länge entspricht dem außerordentlichen heroischen Status des Achill.915 Achill verkörpert als unbestritten stärkster Kämpfer vor Troia Kampfkraft und Todesverachtung wie sonst kein anderer Held, und das Löwengleichnis ist ein typisches Darstellungsmittel für die Stärke eines Helden.916 Indem Achill nach dem Tod des Patroklos wieder zu den Waffen griff und sich dazu entschloss, an Hektor Rache zu nehmen, akzeptiert er seinen eigenen drohenden Tod (vgl. Il. 18,114-121; vgl. auch 21,110-113), und seine Raserei auf dem Schlachtfeld ist damit unweigerlich auch eine Form von Selbstzerstörung, die ebenfalls in diesem Gleichnis zum Ausdruck kommt (Il.

20,172-173: γλαυκιόων δ’ ἰθὺς φέρεται μένει, ἤν τινα πέφνῃ /ἀνδρῶν ἢ αὐτὸς φθίεται πρώτῳ ἐν ὁμίλῳ). Bevor die beiden Helden jedoch die Klingen kreuzen, liefern sie sich einen langen verbalen Schlagabtausch, den keiner der beiden eindeutig für sich entscheiden kann (Il. 20,158-352).917 Das Rededuell erfolgt nach dem Muster von Rede und Gegenrede, und Achill eröffnet den Flyting-Austausch.918 Er hält Aineias vor, dass er nur in Hoffnung auf besondere Ehrungen und die Königswürde des Priamos gegen ihn anzutreten wage. Aineias werde nichts gegen ihn ausrichten können, da er schon einmal vor ihm die Flucht ergriffen habe. Damals sei Aineias nach Lyrnessos geflohen, das Achill daraufhin erstürmt habe, und nur mit Hilfe der Götter sei es ihm gelungen zu entkommen (Il. 20,188-196). Die prahlende Erzählung ist typisch, indem sie nicht nur Achills eigene Kampfkraft hervorhebt, sondern gleichzeitig Aineias durch die implizite Unterstellung beleidigt, er werde auch diesmal unterliegen und solle besser fliehen. Achills erste Rede schließt mit der Drohung, Aineias werde „Schlimmes erleiden“, wenn er sich ihm entgegenstelle (Il. 20,196-198). Aineias hingegen lässt sich nicht einschüchtern und führt den Topos der Genealogie ins Feld: Mit dem Verweis auf seine Mutter Aphrodite und seine väterliche Linie, die er bis auf Zeus zurückführen kann, wähnt er sich Achill überlegen, der nur seine göttliche Mutter Thetis anführen kann (Il. 20,204-241). Daher sieht er sich als ernstzunehmenden Gegner für Achill und fordert diesen auf, den Konflikt mit Waffen auszutragen (Il. 20,244258). Die Antwort des Aineias ist topisch und zeigt ihn als einen würdigen Gegner für Achill.

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Vgl. Lonsdale 1990, 40-41. Siehe dazu oben I.3.4.2. Siehe ausführlich Parks 1990, 117-126, Mackie 1996, 71-74 sowie Hesk 2006, 7-25. Die Szene wird auch von dem Zusammentreffen von Diomedes und Glaukos (Il. 6,119236) antizipiert, vgl. Alden 2000, 173-175. Zu Flyting als Strukturelement siehe oben I.4.2.1.

II.2 Achill und Hektor

205

Daraufhin gehen die Helden zum Lanzenkampf über, doch Aineias kann den göttlichen Schild Achills nicht durchdringen (Il. 20,259-273). Achill seinerseits durchschlägt zwar den Schild des Aineias mit seiner Eschenlanze, trifft diesen dabei jedoch nicht (Il. 20,274-283). Nach dem Verlust ihrer Wurfgeschosse ergreift nun Achill sein Schwert und Aineias einen Stein (Il. 20,283-287). Dieser Verlauf ist typisch (vgl. etwa die Begegnung von Menelaos und Peisandros in Il. 13,601-619), doch dann folgt eine Extremsituation, und der Dichter bemerkt in einem irrealen Konditionalsatz, dass Aineias hier den Tod gefunden hätte, wenn nicht Poseidon eine Dunkelheit über Achill gegossen hätte und in deren Schutz den unterlegenen Helden entrückt hätte (Il. 20,288-339).919 Ein eingeschobenes Gespräch zwischen Hera und Poseidon legt den Grund für die Rettung des Aineias dar, der in der Aineaden-Prophezeiung besteht (Il. 20,302-308). Nachdem sich die Dunkelheit zerstreut hat, beschließt Achill diese Episode mit einer Triumphrede, in der er zunächst verwundert eingestehen muss, dass Aineias tatsächlich göttliche Hilfe zuteilwurde, sich dann aber rühmt, Aineias werde nun nicht mehr den Mut haben, sich ihm im Kampf zu stellen, nachdem er wieder einmal nur knapp dem Tode entronnen sei (Il. 20,344-352). Göttliche Kampfeshilfe ist zwar eine Auszeichnung für den Helden, der sie erfährt, doch in diesem Fall zeigt der Dichter dem Publikum – und Achill den anderen Troianern –, dass Aineias trotz seiner Stärke und seiner göttlichen Abkunft ihm eindeutig unterlegen war und ohne göttliches Eingreifen die Begegnung nicht überlebt hätte (Il. 20,290, 312, 332-336). Gleich zum Auftakt seiner Aristie trifft Achill damit auf den Besten der Troianer nach Hektor (vgl. Il. 20,158: δύο δ᾿ ἀνέρες ἔξοχ᾿ ἄριστοι), und obwohl er ihn aus Gründen der Tradition nicht töten darf, verläuft die Begegnung für Achill so ehrenvoll wie unter diesen Vorgaben möglich ist. Nach dieser ersten, ergebnislosen Begegnung mit Aineias folgt ein kurzer paränetischer Aufruf Achills an seine Gefährten (Il. 20,353-363). Die letzten Verse sind programmatisch: Il. 20,360-363: ἀλλ’ ὅσσον μὲν ἐγὼ δύναμαι χερσίν τε ποσίν τε καὶ σθένει, οὔ μ’ ἔτι φημὶ μεθησέμεν οὐδ’ ἠβαιόν, ἀλλὰ μάλα στιχὸς εἶμι διαμπερές, οὐδέ τιν’ οἴω Τρώων χαιρήσειν, ὅς τις σχεδὸν ἔγχεος ἔλθῃ. Doch so viel ich vermag mit den Händen wie auch den Füßen und mit Kraft, da, sage ich, lasse ich nicht ab, auch nicht ein wenig, sondern ich gehe gerade durch die Reihe hindurch, und keiner, meine ich, wird von den Troern sich freuen, wer meiner Lanze nahe kommt!

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Auch diese Situation ist formelhaft und typisch, vgl. Fenik 1968, 154, 175-176 sowie Edwards 1991, 324-325 ad Il. 20,288-291.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Daraufhin geht Achill mit einem Kriegsschrei auf die Troianer los, und sein Wüten beginnt. Die folgende Serie von Androktasien, die das Wüten Achills unter den troianischen Vorkämpfern darstellt, ist ein typisches Element jeder Aristie, und die ungebrochene Abfolge von Androktasien ist einzig aufgrund der Tatsache außergewöhnlich, dass nur Achill ohne Erwähnungen anderer griechischer Helden Androktasien vollbringt und niemand ihm Einhalt gebieten kann. In dieser Hinsicht erfüllt Achill das Ideal des kampfstarken Helden in Perfektion: Die „kleinen Kämpfer“, die er nun tötet, heben seine Kampfkraft und Stärke hervor, und die Gnadenlosigkeit, mit der er dabei vorgeht, bereitet das Zusammentreffen mit Hektor vor (Il. 20,364-503).920 Zuerst tötet Achill Iphition, spricht eine kurze Prahlrede und überlässt dessen Gespann den übrigen Achaiern zur Plünderung (Il. 20,381-395). Achill hält sich nicht mit dem Sammeln von Spolien auf, sondern tötet in schneller Abfolge Demoleon, den Sohn des Otrynteus (Il. 20,395-400), Hippodamas, den Sohn des Antenor (Il. 20,401-406), und Polydoros, den jüngsten Sohn des Priamos (Il. 20,407-418). Die Tötung des Polydoros, den Achill während einer Serie von Androktasien auf der Flucht durch einen Speerwurf in den Rücken niederstreckt, wurde als ein Kennzeichen der „Entartung“ der Aristie Achills angeführt, da er auch nicht davor Halt mache, wehrlose Kinder zu töten, die für ihn doch gar keine Gegner darstellten.921 Jedoch ist diese Androktasie weder im Blick auf die Art des Todes noch auf die Tatsache, dass es sich bei Polydoros um einen kaum dem Kindesalter entwachsenen Jüngling handelte, mitnichten ein Einzelfall in der Ilias. Es galt einem iliadischen Helden als durchaus angemessen, einen fliehenden Gegner in den Rücken zu treffen (vgl. Il. 5,55-57, 65-67; 11,446-449; 12,43-44; 15,341-342), und auch andere Helden zeigen keine Hemmungen, troianische Jünglinge, die ihnen auf dem Schlachtfeld begegnen, als vollwertige Feinde zu betrachten und entsprechend mit ihnen zu verfahren (vgl. z.B. Simoeisios, Il. 4,473-489). Polydoros ist der Lieblingssohn des Priamos (Il. 20,408-410), und damit wird zusätzlich der Topos der Trauer eines berühmten Vaters und der Rache des Bruders aufgerufen: 922 In der Ilias ist es eine besondere Auszeichnung für einen Helden, Söhne des Priamos zu töten.923 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Trauer eines berühmten Vaters die Leistung des siegreichen Helden betont und die Trauer des Priamos wird mehrfach erwähnt (Il. 22,44-45, 423-426;

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Vgl. Strasburger 1954, 83-93. Vgl. Marg 1965, 39-40. Vgl. Edwards 1991, 334-335 ad loc. sowie Stoevesandt 2004, 120. Vgl. Scheibner 1939, 85 Anm. 2 sowie Edwards 1991, 334-335 ad Il. 20,407-818. So töten Teukros und Patroklos jeweils einen Sohn des Priamos als Ersatztötung für Hektor (Gorgythion, Il. 8,302-303; Kebriones, 16,736-738), Diomedes und Agamemnon jeweils zwei während ihrer Aristien (Echemmon und Chromios, Il. 5,159-165; Isos und Antiphos, 11,101-121).

II.2 Achill und Hektor

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24,204-205, 255-259, 493-501, 506, 520-521). Polydoros ist der erste von drei Söhnen des Priamos, die Achill während seiner Aristie töten wird (Lykaon, Il. 21,33-135; Hektor, 22,273-370). Der Tod des Polydoros treibt Hektor an, sich Achill entgegenzustellen, nachdem er sich zuvor noch auf Apolls Anweisung von ihm fernhielt (Il. 20,419-423, vgl. 20,375-380). Achill begrüßt ihn mit einer herausfordernden Rede und ist begierig, endlich für Patroklos Rache zu nehmen (Il. 20,423-429). Hektors Gegenrede ist geradezu defensiv, und obwohl er sich nicht von Worten einschüchtern lassen will und eingesteht, dass Achill der bessere Kämpfer ist, hofft er trotzdem darauf, Achill mit Hilfe der Götter töten zu können (Il. 20,430-437). Als er daraufhin seinen Speer schleudert, erhält Achill zum ersten Mal die Ehre göttlicher Hilfe, denn Athene lenkt den Wurf ab (Il. 20,438-440). Als Achill zum Gegenangriff übergeht, entrückt Apoll Hektor, indem er ihn in Nebel hüllt. Achill stürmt dreimal gegen den Nebel an, beim vierten Mal jedoch bescheidet er sich mit drohenden Worten (Il. 20,441-454). Das Motiv des dreimaligen Anstürmens gegen Apoll erscheint auch in der Aristie des Diomedes, als er auf Aineias losgeht (Il. 5,432-444), und des Patroklos (Il. 16,698711, 783-790), und zeigt normalerweise die Grenzen eines Helden gegenüber dem Willen der Götter auf. Achill ist es jedoch nicht verwehrt, Hektor zu töten, die entscheidende Begegnung wird lediglich retardiert. Bis zu diesem Zusammentreffen fährt Achill weiter fort, Troianer zu töten, und erfasst in schneller Folge Dryops (Il. 20,455-456), Demouchos, den Sohn des Philetor (Il. 20,457-459) sowie das Brüderpaar Laogonos und Dardanos, die Söhne des Bias (Il. 20,460-462). In seiner Raserei tötet er auch Tros, den Sohn des Alastor, der sich ihm im Gestus der Hikesie genähert hatte. Als er gerade dabei ist, Achills Knie zu fassen, sticht Achill ihn auf der Stelle nieder (Il. 20,463-472). Angesichts der Erbitterung Achills gegen die Troianer ist an dieser Stelle kein anderes Verhalten als eine schroffe Ablehnung von ihm zu erwarten.924 Nach Tros tötet Achill in einer weiteren Serie von Androktasien in schneller Folge Mulios (Il. 20,472-474), Echeklos (20,474-477), Deukalion (Il. 20,478-483) sowie Rhigmos, den Sohn des Peiroos, und dessen Gefolgsmann Areithoos (Il. 20,484-489). Die Tötung des Deukalion ist dabei aufgrund eines ebenso grausamen wie unrealistischen Details bemerkenswert, dessen poetische Funktion darin besteht, die Kampfkraft Achills hervorzuheben: Achill schlägt seinem verwundeten Gegner mit solcher Wucht den Kopf von den Schultern, dass das Rückenmark aus der Wirbelsäule spritzt (Il. 20,481-483).925 Zwei Gleichnisse, in denen Achills Wüten mit einem rasenden Feuer, das in einem trockenen Wald

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Vgl. dazu oben I.4.2.3. Vgl. auch die unrealistischen Beschreibungen von Androktasien, bei denen dem Getroffenen die Augen aus dem Kopf fallen (Il. 13,610-618; 16,740-742). Allgemein zu derartigen Verstümmelungen siehe oben I.4.2.4.

208

II. Die Ilias und das heroische Ideal

wütet (Il. 20,490-494, vgl. auch Hektors Feuergleichnis in 18,605-606), und sein Streitwagen, der mit Blut bespritzt über die Leichen gefallener Feinde fährt, mit einem dreschenden Rindergespann (Il. 20,495-501) verglichen werden, symbolisieren Achills Tötung des namenlosen Kriegsvolks und heben zum Abschluss dieser Serie von Androktasien die erbarmungslose Kampfkraft Achills hervor.926 Achill dringt weiter gegen die Troianer vor und treibt die Hälfte des Heers in die Fluten des Xanthos (Il. 21,1-32). Achill folgt ihnen, richtet ein fürchterliches Blutbad an, und das Wasser färbt sich rot (Il. 21,17-21). Achill wird dabei abermals als δαίμονι ἶσος „einem Daimon gleich“ beschrieben (Il. 21,18; vgl. 20,447, 493; 21,227), eine Formel, die ausschließlich großen Helden im Moment ihrer Aristie zugebilligt wird (Diomedes, Il. 5,438, 459, 884; Patroklos, 16,705, 786).927 Auch hier fungiert das vergossene Blut der Feinde als Zeichen der Kampfkraft des Achill, nachdem an dieser Stelle keine einzelnen Androktasien erfolgen und sein Wüten wiederum nur mit einem Gleichnis beschrieben wird, in dem Achill mit einem Delphin verglichen wird, der die anderen Fische in Furcht versetzt (Il. 21,22-26). Als seine Hände vom Töten müde werden, wählt er sich in einer kurzen Kampfpause zwölf troianische Jünglinge aus, die er mit Riemen fesselt und seinen Gefährten übergibt, deren stille Gegenwart ja während der gesamten Aristie wohl vorauszusetzen ist (Il. 21,26-32). Die Gefangenen werden als Sühne für den Tod des Patroklos (Il. 21,28: ποινὴν Πατρόκλοιο Μενοιτιάδαο θανόντος) bezeichnet, und Achill wird sie, wie er zuvor gelobt hatte (Il. 18,336-337; vgl. 23,22-23), bei dessen Bestattung opfern und mit auf dem Scheiterhaufen verbrennen (Il. 23,175-177, 181-182). Danach fährt Achill fort, in Einzelbegegnungen Troianer zu töten. Zunächst trifft er auf Lykaon, einen weiteren Sohn des Priamos (Il. 21,33-135). Dieser ist Achill bekannt, da er ihn schon einmal gefangengenommen und nach Lemnos verkauft hatte, von wo ein Gastfreund ihn auslöste und zu seinem Vater Priamos zurückschickte (Il. 21,35-46, 77-79). Achill zeigt Erstaunen, Lykaon vor Troia wiederzusehen, und spottet, er werde ihm nun seine Lanze zu spüren geben und überprüfen, ob wenigstens die Erde ihn bei sich halten könne (Il. 21,54-63). Eine höhnische Rede gegenüber einem Gegner ist nicht ungewöhnlich, doch Lykaon wirft sich ihm daraufhin zu Füßen und ergibt sich als Kriegsgefangener im Gestus der Hikesie. Er verweist auf den hohen Preis, den Achill damals für ihn erzielte und erhofft erneut seine Freilassung gegen Lösegeld (Il. 21,64-96). Diesmal jedoch wird

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Zur Darstellung Achills und dem Bild des Feuers siehe besonders Whitman 1958, 128-153, zum Gleichnis der dreschenden Ochsen, die über unzählige Körner trampeln, ebenso wie Achills Streitwagen über die Leichen zahlloser Feinde fährt, siehe Edwards 1991, 344 ad loc. Vgl. Pucci 1987, 132.

II.2 Achill und Hektor

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Achill für Lykaon zum Untergang (Il. 21,39: τῷ δ᾿ ἄρ᾿ ἀνώιστον κακὸν ἤλυθε δῖος Ἀχιλλεύς) doch die Bezeichnung Achills als κακόν ist aus Lykaons Sicht gesprochen und beinhaltet keine moralische Wertung der Tat.928 Achill geht nicht auf seine Bitte ein und antwortet mit harscher, unversöhnlicher Stimme (Il. 21,98: ἀμείλικτον δ᾿ ὄπ᾿). Das Adjektiv bezeichnet Lykaons Realisation, dass Achill sich ihm gegenüber dieses Mal gnadenlos zeigen wird,929 und Achills Antwort zeigt seine mitleidlose und unversöhnliche Haltung: Il. 21,99-107: „νήπιε, μή μοι ἄποινα πιφαύσκεο μηδ᾿ ἀγόρευε· πρὶν μὲν γὰρ Πάτροκλον ἐπισπεῖν αἴσιμον ἦμαρ, τόφρα τί μοι πεφιδέσθαι ἐνὶ φρεσὶ φίλτερον ἦεν Τρώων, καὶ πολλοὺς ζωοὺς ἕλον ἠδὲ πέρασα νῦν δ᾿ οὐκ ἔσθ᾿ ὅς τις θάνατον φύγῃ, ὅν κε θεός γε Ἰλίου προπάροιθεν ἐμῇς ἐνὶ χερσὶ βάλῃσι, καὶ πάντων Τρώων, πέρι δ᾿ αὖ Πριάμοιό γε παίδων. ἀλλά, φίλος, θάνε καὶ σύ· τίη ὀλοφύρεαι οὕτως; κάτθανε καὶ Πάτροκλος, ὅ περ σέο πολλὸν ἀμείνων.“ „Kindischer, biete mir nicht Lösung an und rede nicht davon! Ja, bevor Patroklos dem Schicksaltag gefolgt ist, solange war mir lieber im Sinn, auch einmal zu schonen die Troer, und viele habe ich lebend gefangen und verkauft. Jetzt aber gibt es keinen, der dem Tod entrinnt, wen immer ein Gott vor Ilios in meine Hände wirft, von allen Troern, und zumal von des Priamos Söhnen! Aber, Freund, stirb auch du! Warum jammerst du so? Es starb auch Patroklos, der doch weit besser war als du.“

Daraufhin sticht Achill Lykaon aus Rache an den Söhnen des Priamos für den Tod des Patroklos nieder, wirft seine Leiche in den Fluss und beschließt diese Androktasie mit einer triumphierenden Spottrede (Il. 21,114135). Die Begegnung ist breit ausgeführt, und der Zweck der Darstellung der Gnadenlosigkeit Achills liegt im Ausdruck seiner veränderten Situation, denn während Achill früher für seinen Ruhm und das Ansehen der Atreus-Söhne kämpfte (vgl. Il. 1,152-160), besteht nun für ihn die persönliche Verpflichtung, den Tod seines Gefährten Patroklos zu rächen.930 Rache

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Vgl. Yamagata 1994, 212-213. Zur Argumentation, dass κακός in der Ilias nie eine moralische Wertung ausdrückt, siehe ebenda 208-212. Auch hier handelt es sich um eine Fokalisation Lykaons, vgl. de Jong 2004, 200. Vgl. auch Richardson 1993, 61-62 ad Il. 21,99-113 sowie Friedrich 1956, 60: „Die schonungslose Härte, mit der Achill gegen lebende und tote Gegner verfährt, ist in der Ilias fast mehr in seinem Schicksal als in seinem Wesen begründet. Es wäre nicht mehrfach davon die Rede, daß er früher Gegner verschont habe, wenn wir nicht den Widerspruch zwischen seinem einstigen und seinem jetzigen Verhalten empfinden

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

und Zorn sind es, die ihn in diesem Moment antreiben und sein Handeln rechtfertigen, und die Ablehnung einer Hikesie aus diesen Gründen ist in der Ilias kein Einzelfall (vgl. Il. 6,53-64; 11,130-142).931 Der Tod des Lykaon, der aufgrund seiner früheren Verbindung mit Achill (vgl. Il. 21,74-79) vielleicht noch am ehesten Schonung erwarten könnte, wird zum Symbol für den unbändigen Hass Achills gegen alle Troianer und insbesondere das Haus des Priamos (vgl. Il. 21,133-135).932 Achill setzt seine Aristie ungebremst fort, und auch er erleidet dabei eine Verwundung, als er auf Asteropaios, den ansonsten unbekannten Sohn des Pelegon trifft (Il. 21,139-204). Es handelt sich um eine typische Androktasie, und nachdem Asteropaios sich auf die Nachfrage Achills als Anführer der Paionier zu erkennen gegeben hat (Il. 21,149-160), gehen die Kontrahenten aufeinander los: Il. 21,161-170: ὣς φάτ᾿ ἀπειλήσας, ὁ δ᾿ ἀνέσχετο δῖος Ἀχιλλεύς Πηλιάδα μελίην· ὁ δ᾿ ἁμαρτῇ δούρασιν ἀμφίς ἥρως Ἀστεροπαῖος ἐπεὶ περιδέξιος ἦεν· καὶ ῥ᾿ ἑτέρῳ μὲν δουρὶ σάκος βάλεν, οὐδὲ διαπρό ῥῆξε σάκος· χρυσὸς γὰρ ἐρύκακε, δῶρα θεοῖο· τῷ δ᾿ ἑτέρῳ μιν πῆχυν ἐπιγράβδην βάλε χειρός δεξιτερῆς, σύτο δ᾿ αἷμα κελαινεφές· ἡ δ᾿ ὑπὲρ αὐτοῦ γαίῃ ἐνεστήρικτο, λιλαιομένη χροὸς ἆσαι. δεύτερος αὖτ᾿ Ἀχιλεὺς μελίην ἰθυπτίωνα Ἀστεροπαίῳ ἐφῆκε κατακτάμεναι μενεαίνων· So sprach er drohend, und es erhob der göttliche Achill die Esche vom Pelion. Der aber warf zugleich mit beiden Speeren, der Held Asteropaios, denn gleich geschickt war er mit beiden Händen. Und mit dem einen Speer traf er den Schild, doch nicht durchbrach er den Schild, denn das Gold hielt ihn zurück, die Geschenke des Gottes. Mit dem anderen aber traf er ihn ritzend am Ellenbogen des Armes des rechten, und hervor schoss das schwarzwolkige Blut. Der aber blieb darüber hinaus in der Erde stecken, begierig, sich am Fleisch zu sättigen. Als zweiter wieder entsandte Achill die geradefliegende Eschenlanze auf Asteropaios, ihn zu töten begierig.

Achill verfehlt Asteropaios zwar mit seinem Speerwurf, entledigt sich seiner jedoch daraufhin mit dem Schwert. Asteropaios hingegen trifft Achill mit beiden Speeren, konnte diesem jedoch keine schwere Wunde zufügen. Achills göttliche Waffen und seine überlegene ἀλκή bewahren ihn vor

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und verstehen sollten.“ Zu Achills Mangel an Mitleid gegenüber Lykaon und dem Pathos der Szene siehe auch Niens 1987, 130-131 sowie Kim 2000, 130-136. Vgl. Bassett 1933, 59 und Friedrich 1956, 71 Anm. 1. Zu Rachezorn als legitime Rechtfertigung für die Tötung eines Bittflehenden siehe auch oben I.4.2.3. Vgl. Zanker 1994, 106.

II.2 Achill und Hektor

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schwerer Verwundung durch den ersten Wurfspieß,933 doch der zweite Speer bringt Achill eine stark blutende Fleischwunde bei (vgl. Il. 21,177: σύτο δ᾿ αἷμα κελαινεφές). Als ein homerischer Held ist Achill auch in seiner göttlichen Rüstung nicht unverwundbar (vgl. auch Il. 21,568-570), und auch während seiner Aristie kann er verletzt oder getötet werden. Er nimmt jedoch von der erlittenen Verletzung nicht einmal Notiz und diese Indifferenz gegenüber seiner Wunde betont seinen besonderen Status. Achills Verwundung ist vor dem Hintergrund der anderen Verletzungen der Ilias die Demonstration vollkommener heroischer Vortrefflichkeit (vgl. v.a. Il. 11,248-289, 369-400, 434-488, 582-585).934 Auch Achill vergießt sein Blut als sichtbares Zeichen seiner Kampfkraft, doch im Gegensatz zu anderen Helden zwingt ihn seine Verwundung nicht zum Rückzug in den Schutz des Lagers und zum Abbruch seiner Aristie, bewirkt weder Aufstöhnen noch einen anderen Ausdruck des Schmerzes, und lässt ihn nicht einmal kurz in seinem Wüten innehalten.935 Auch diese Androktasie endet damit, dass Achill den Leichnam als Fraß für die Fische im Wasser liegen lässt. Die gesteigerte Grausamkeit der Kampfhandlungen wird besonders deutlich im Motiv der Misshandlung der Leiche des Gegners: 936 Achill setzt in seiner Aristie in die Tat um, was zuvor nur in prahlenden Reden und Drohungen anderer Helden vorgeführt wurde (vgl. z.B. Il. 11,452-454). Es folgt ein kurzer Tötungskatalog von Achills Wüten unter den fliehenden Paioniern, bei dem Achill sieben namentlich genannte Kämpfer tötet und noch mehr getötet hätte, wenn nicht das Eingreifen des Flussgottes Xanthos dies verhindert hätte (Il. 21,209-211). Xanthos erkennt Achills Überlegenheit und die Unterstützung, die er von den Göttern genießt, und bittet respektvoll um ein Einlenken, da die Leichen troianischer Kämpfer seinen Flusslauf schon vollständig blockieren (Il. 21,214-221). Achill jedoch lässt sich nicht bereden und ist nicht bereit, mit dem Töten aufzuhören, bevor er nicht Hektor bestraft habe (Il. 21,222-226). Daraufhin beginnt der Fluss, mit seinen Fluten die toten Troianer aus seinem Lauf zu spülen und die Überlebenden vor Achill zu schützen (Il. 21,234-239). Dann brandet er gegen Achill selbst und droht ihn hinfortzureißen (Il. 21,240-271), doch auf sein Gebet an Zeus (Il. 21,272-283) erhält Achill den Beistand der griechenfreundlichen Götter Poseidon und Athene, die ihm zusichern, er werde weiter siegreich kämpfen und es sei ihm nicht beschieden, von dem Flussgott aufgehalten zu werden (Il. 21,284-298). Ein Tod in den Fluten wäre eine

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Zur Vorstellung, dass ἀλκή als Wehrkraft auch den Schutz des Kämpfers beinhaltet siehe Collins 1998, 1-2 et passim. Vgl. dazu die Typologie iliadischer Verwundungen als Ausdruckmittel des Heldenmuts oben I.3.4.3. Zur gesamten Szene vgl. McNeal 2006a, 258-261. Zur Steigerung der Grausamkeit innerhalb der Bücher Il. 16-22 siehe Segal 1971, 1847.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Schande für einen Helden, da ihm in diesem Fall kein gebührliches Begräbnis zuteilwerden könnte (vgl. Il. 21,317-323),937 doch Achill entkommt dem ruhmlosen Tod durch Ertrinken (vgl. Il. 21,281: λευγαλέῳ θανάτῳ) und stürmt auf dieses göttliche Gebot hin weiter gegen den Fluss an, der seinen Bruder Simoeis zu Hilfe rufen muss, um weiter gegen ihn vorzugehen (Il. 21,299-327). Als die zwei Flussgötter Achill hinwegzureißen im Begriff sind, interveniert Hera und bittet ihren Sohn Hephaistos um Hilfe, der Achill daraufhin mit göttlichem Feuer beisteht und vor den Fluten rettet (Il. 21,328-384). Achill genießt als Anerkennung seines besonderen Ranges die Unterstützung der Götter, sodass auch zwei Flussgötter ihm nur zeitweilig Einhalt gebieten, ihn jedoch weder aufhalten noch verwunden können.938 Nach dieser eher untypischen Szene des Kampfes gegen einen Gott (vgl. Diomedes‘ Kampf gegen Aphrodite und Ares, Il. 5,327-351, 850-867; die Gefangennahme des Ares durch die Söhne des Aloeus; 5,382-391; Heras und Hades‘ Verwundungen durch Herakles, 5,392-404), folgt die sog. Theomachie, der Kampf der Götter untereinander (Il. 21,385-520), die das Eingreifen der Götter in die Schlacht zu einem Abschluss bringt (vgl. Il. 20,475). Dieser retardierende Einschub in der Aristie des Achill ist hinsichtlich seines Inhalts untypisch, beeinflusst das Handeln Achills jedoch nicht. Die kämpfenden Götter liefern aufgrund ihrer sorglosen Unsterblichkeit eine komische Szene, die sich stark gegen den erbitterten Kampf auf Leben und Tod auf der menschlichen Ebene abhebt.939 Nach dem Götterkampf stürzt Achill sich abermals im Kampfrausch (λύσσα) auf die Troianer, die zurück in die Stadt fliehen: Il. 21,540-543: οἳ δ’ ἰθὺς πόλιος καὶ τείχεος ὑψηλοῖο δίψῃ καρχαλέοι κεκονιμένοι ἐκ πεδίοιο φεῦγον· ὃ δὲ σφεδανὸν ἔφεπ’ ἔγχεϊ, λύσσα δέ οἱ κῆρ αἰὲν ἔχε κρατερή, μενέαινε δὲ κῦδος ἀρέσθαι. Die (d.h. die Troianer) aber – gerade in die Stadt und in die hohe Mauer, trocken vor Durst, staubig, so flohen sie aus der Ebene. Der aber setzte heftig nach mit der Lanze: starke Raserei hielt immer sein Herz, und er trachtete, Prangen zu gewinnen.

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Vgl. Ford 1992, 153, der in dieser Situation sogar von einem „antifuneral“ spricht. Vgl. McNeal 2006a, 261-266. Zum Motiv der Ehrung durch Götterhilfe siehe zudem oben I.3.4.1. Vgl. Edwards 1987, 289. Fenik 1968, 231 bemerkt, dass Il. 21 einige Eigenarten aufweist, von denen er jedoch nur den Götterkampf erwähnt. Auch hier ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein traditionelles Element handelte, das nur keine iliadischen Parallelen besitzt. Zur Funktion des Götterkampfes im Kontext der Ilias siehe Richardson 1993, 51-52.

II.2 Achill und Hektor

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Die Troianer haben jede Gegenwehr aufgegeben und Achill sieht sich nun keinem Widerstand mehr gegenüber. In seiner Raserei hätte Achill Troia eingenommen, wenn nicht Apoll Agenor den Mut eingegeben hätte, sich ihm entgegenzustellen. In einem Monolog erwägt Agenor zuerst, in die Berge zu fliehen, doch aus Furcht, Achill könnte ihn dennoch ergreifen, beschließt er, ihm entgegenzutreten (Il. 21,553-570). Sein Entschluss beruht nicht auf Pflichtbewusstsein (αἰδώς) oder dem Wunsch nach Ruhm (vgl. ähnliche Monologe in Il. 11,403-410; 17,90-105; 22,98-130), sondern auf Verzweiflung und Hilflosigkeit vor dem Wüten Achills. Er erwartet Achill mit einer trotzigen Herausforderungsrede (Il. 21,583-589), doch sein Speerwurf prallt wirkungslos von Achills Beinschienen ab (Il. 21,590-594), da Agenor die göttliche Rüstung Achills nicht zu durchdringen vermag.940 Als Achill daraufhin auf ihn losgeht, hüllt Apoll Agenor in Nebel und nimmt selbst dessen Gestalt an. Auf diese Weise zieht er die Aufmerksamkeit Achills auf sich und führt ihn in die Ebene vor Troia, und währenddessen erreichen die übrigen Troianer den Schutz der Stadtmauern (Il. 21,595-611). Als Achill bemerkt, dass Apoll ihn in die Irre geführt hat, beendet er die Verfolgung mit der trotzig prahlenden Feststellung, er hätte noch viele Troianer mehr töten können (Il. 22,14-20), und wendet sich zurück zur Stadt (Il. 22,21-24).941 II.2.1.2

Der Zweikampf mit Hektor

Die Aristie des Achill gipfelt in dem Zweikampf mit Hektor, der das gesamte 22. Buch der Ilias einnimmt. Nachdem Achill zuvor schon 23 namentlich genannte Gegner getötet hat, bildet die Tötung Hektors als 24. Kontrahenten die Vollendung der Aristie. 942 Hektor wurde im Lauf der Ilias als bedeutendster Held der Troianer und würdiger Gegner für Achill aufgebaut (vgl. auch die Kampfeshilfe des Zeus in Il. 17,206-208). Er trägt das Epitheton ἀνδροφόνος „männermordend“943 und die übrigen griechischen Helden sind voll Furcht, ihm im Zweikampf entgegenzutreten (vgl. Il. 7,73160). Hektor erleidet im Verlauf der Kämpfe drei schwere Verwundungen (Il. 7,260-262; 11,349-356; 14,409-439)944 und erhält auf diese Weise eine besondere Ehrung, denn er überlebt alle drei Verwundungen, sogar die

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Die Frage nach Material und Stabilität der Beinschiene (vgl. Bowra 1961, 103 und Richardson 1993, 102-103 ad loc.) ist in diesem Kontext verfehlt, denn es ist einerseits die göttlicher Provenienz der Waffen Achills und andererseits seine überlegene ἀλκή, die ihn hier vor Verwundung schützt, vgl. auch Il. 22,289-293 sowie oben I.3.1. Fenik 1974, 101 verweist auf die Gemeinsamkeiten mit dem folgenden Kampf gegen Hektor, der auf diese Weise hier antizipiert ist („anticipatory doublet“). Siehe dazu ausführlich Dubielzig 1996, 4-11. Dazu siehe auch Whallon 1979, 19-22. Es ist jedoch bezeichnend, dass nur troianische Krieger nach ihren Verletzungen in Ohnmacht fallen (Aineas, Il. 5,310; Sarpedon, 5,696; zweimal Hektor, 11,356;

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

letzte, die ihn in der sonst nur für sterbende Krieger üblichen Metaphorik zu Boden wirft.945 Hektor hingegen ist in der Lage, mit Hilfe seiner Gefährten wieder aufzustehen und sogar unmittelbar danach weiterzukämpfen. Während Achills Abwesenheit dominiert Hektor das Schlachtfeld, und trotz des Widerspruchs zwischen seinem Ruf als herausragender Krieger und seinen bestenfalls mittelmäßigen Leistungen, die er tatsächlich auf dem Schlachtfeld vollbringt,946 kann kein Zweifel bestehen, dass er der beste troianische Kämpfer ist. Diese Monomachie beinhaltet alle Motive vorangegangener Kampfdarstellungen, erweitert sie jedoch und stellt dadurch die besondere Bedeutung des Kampfes heraus.947 Bevor es jedoch zum Kampf kommt, erfolgt eine weitere Retardation durch die Reden des Priamos (Il. 22,33-78) und der Hekabe (Il. 22,79-92) von den Stadtmauern herab. Die Reden enthalten zahlreiche bekannte Motive, die die Kampfkraft Achills hervorheben: Achill sei Hektor überlegen (Il. 22,39-40) und habe Priamos schon vieler Söhne beraubt (Il. 22,43-53). Wenn Hektor sich ihm entgegenstelle, werde er sein Leben verlieren und keine Bestattung erhalten, sondern den Hunden zum Fraß vorgeworfen werden (Il. 22,86-89). Priamos zeichnet zudem ein Schreckensbild von seinem eigenen Tod und dem Schicksal Troias, wenn Hektor von Achill getötet werde. Der Tod Hektors als wichtigstem Verteidiger wird dabei mit dem Fall der Stadt gleichgesetzt (Il. 22,59-76, vgl. 6,403; 22,507; 24,499, 728-730).948 Beide Eltern bitten ihren Sohn, sich in die Stadt zu retten (Il. 22,54-58, 84-85).949 Doch Hektor hört nicht auf die Bitten seiner Eltern, sondern bleibt allein im Feld vor den Toren Troias (Il. 22,90-97). In seinem folgenden Monolog erwägt Hektor zwei Alternativen (Il. 22,99-130): Er könnte sich in die Stadt

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14,438-439), vgl. Salazar 2000, 147 und Neal 2006a, 84-87. Diese Beobachtung lässt darauf schließen, dass der Dichter eine tendentiell pro-griechische Grundhaltung hatte, siehe dazu ausführlich Neal 2006a, 63-111. Vgl. Janko 1992, 240-241. Für eine ausführlichere Untersuchung von Hektors Verwundung aus medizinischer Sicht siehe Saunders 1999, 354-357. Zur Verwendung der üblicherweise für sterbende Helden verwendeten Metaphorik siehe Neal 2006a, 114-122. Vgl. Farron 1978, 40. Zum negativen Bild Hektors auf dem Schlachtfeld siehe auch Traill 1990. Vgl. Beck 2005, 184-190 sowie Clay 2002, 7: „This episode constitutes the last duel and battlefield death in the poem and thus forms the culmination of all the deaths that have preceded it. As such, it rehearses almost every motif and theme from the major confrontations encountered elsewhere in the Iliad; and at the same time it expands, varies, and deepens all those previous duels.“ Vgl. Edwards 1987, 291, Richardson 1993, 60 ad Il. 22,61-65 sowie de Jong 2012, 72-73 ad Il. 22,56-76. Zu Hektor als dem „idealen Sohn“ siehe Wöhrle 1999, 85-98.

II.2 Achill und Hektor

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zurückziehen, doch dann drohten ihm Vorwürfe der Troianer, insbesondere seines Bruders Polydamas, und Scham verbietet ihm folglich den Rückzug (Il. 22,98-110). Diese Überlegung zeigt Hektor als typischen Helden, der sich trotz seiner Verpflichtung zum Schutz der Stadt an die Vorgaben der „shame-culture“ hält.950 Wie Achill ist auch Hektor zutiefst in der traditionellen Wertewelt eines homerischen Helden verwurzelt und ebenso erfährt auch er die Gefahren dieses Heldenkonzepts.951 Als zweite Möglichkeit erwägt er, sich in einer Schlachtfeldhikesie zu ergeben, seine Waffen niederzulegen und ein Versöhnungsangebot zu machen.952 Er verwirft diesen Plan jedoch, da Achill ihn dennoch „unbewaffnet wie eine Frau“ töten würde (Il. 22,124-125: γύμνον ἐόντα / αὔτως ὥς τε γυναῖκα), und die Männlichkeitsideologie des Helden verbietet es ihm, auf diese Weise ruhmlos zu sterben (Il. 22,111-130). Hektor nennt keinen expliziten Grund, warum Achill seine Hikesie ablehnen würde, doch es ist offenkundig, dass auch in diesem Fall das Gebot der Rache für Patroklos und der Raub der Rüstung die Annahme der Bitte unmöglich machen. Die Erwägung beider Optionen bringt Hektor zu dem heroischen Schluss, dass es das Beste sei, gegen Achill zu kämpfen und entweder zu siegen oder ruhmvoll zu sterben (Il. 22,108-110, 129-130). Als sich Achill ihm jedoch im Glanz seiner göttlichen Waffen nähert, ergreift ihn doch Schrecken und er wendet sich zur Flucht (Il. 22,131-137). Kein anderer Zweikampf beinhaltet das Element der Flucht eines Kämpfers, doch diese Reaktion dient der Steigerung der Kampfkraft Achills. 953 Hektor ist ein tapferer Held, aber einem Gegner wie Achill ist er nicht gewachsen.954 Die Flucht Hektors hebt den singulären Status des gottgleich wütenden Achill hervor und bewirkt durch die Beschreibung der Verfolgung um Troia (Il. 22,138-166, 186-208) und deren Beobachtung durch die Götter (Il. 22,166-185) zudem eine Retardation bis zum letzten Aufeinanderprallen der beiden größten Helden der Ilias.955 Während der Verfolgung kann Achill trotz seiner Schnelligkeit (vgl. seine Epitheta ποδάρκης, πόδας

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Vgl. Dodds 1951, 18 et passim, Richardson 1993, 117-118, ad loc., Redfield 1994, 157158 sowie de Jong 2012, 83-84 ad loc. Clarke 2004, 82: „The Iliad can be seen as an exploration of the responses of two men, Hector and Achilles, to the challenge of heroic excellence and its inherent perils.“ Siehe dazu auch Whitman 1958, 181-220, Redfield 1994, v.a. 147-159, Schein 1984, 89196, Zanker 1994, 137-143 und Buchan 2012, 22-23. Seine Formulierung in Il. 22,123-124 zeigt die üblichen Schlüsselworte einer Hikesie: ἵκωμαι, (...) οὐκ ἐλεήσει οὐδέ τί μ᾿ αἰδέσεται, vgl. de Jong 2012, 88 ad loc. Vgl. Owen 1946, 222-223, Schein 1984, 151-152 sowie Edwards 1987, 292-293. Vgl. hierzu die Bezeichnung Hektors als „der menschlichste der Ilias-Helden“ bei Marg 1965, 45. Siehe auch Farron 1978, 39 sowie Clay 2002, 11 et passim. Vgl. Owen 1946, 222-224 sowie Edwards 1987, 292-294. Zur poetischen Darstellung der Verfolgung siehe Bassett 1930, 130-140, der sich jedoch an keiner Stelle zur Bewertung von Hektors Flucht äußert.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

ὠκύς und ποδώκης) Hektor nicht einholen, da diesem von Apoll Kraft eingegeben wird (Il. 22,202-204). Erst das Urteil des Zeus beendet Apollons Hilfe für Hektor (Il. 22,208-213) und Athene greift daraufhin auf Seiten Achills in den Kampf ein (Il. 22,214-247). Zunächst tritt sie zu Achill und gebietet ihm, stehen zu bleiben und Atem zu fassen, während sie Hektor bereden wolle, sich ihm endlich zum Kampf zu stellen; Achill freut sich darüber und gehorcht (Il. 22,214-225). Athene nähert sich Hektor in Gestalt des Deiphobos, und als Hektor sich der Unterstützung seines Bruders versichert hat, wenden sich beide gegen Achill (Il. 22,227-248). Seine Flucht und die späte Entscheidung, sich doch gegen Achill zur Wehr zu setzen, lassen Hektor nur wenig heroisch erscheinen,956 ebenso wie die Beobachtung, dass Hektor seinen Schild, den er gegen einen Turm gelehnt hatte (Il. 22,97), offenbar dort vergessen hat, denn er wird im Folgenden an keiner Stelle mehr erwähnt.957 Achills unbändiger Kampfesmut war es, der Hektor in die Flucht schlug, sodass er es nicht wagte, sich ihm alleine entgegenzustellen. Athenes Beistand schmälert die Leistung Achills nicht, denn die Kampfeshilfe der Götter ehrt einen Helden.958 Zudem besteht Athenes Eingreifen einzig darin, dass sie es durch Beeinflussung Hektors zum Zweikampf kommen lässt.959 Vor dem Kampf erfolgt ein Austausch von Reden, der in einigen Punkten vom üblichen Flyting abweicht. Denn als Hektor nun endlich Achill entgegentritt, gesteht er zunächst seine bisherige Furcht ein, und statt zuversichtlicher Drohungen folgt ein zögerlichen Potentialis: „Mag ich nun erschlagen oder erschlagen werden“ (Il. 22,253: ἕλοιμί κεν ἤ κεν ἁλοίην, vgl. auch 22,109-110, 130, 244-246).960 Er ist vermutlich darauf bedacht, Achill nicht weiter zu erzürnen, denn daraufhin versucht er, mit ihm die gleiche

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Siehe Bassett 1933, 50: „Hektor had not met his foe face to face as a brave man should, but had fled and had offered to fight only when he thought the odds were two to one in his favor.“ Ebenso auch Farron 1978, 53-54. Vgl. Bassett 1930, 145-146. Vgl. auch Il. 22,111, wo Hektor in Erwägung zog, seinen Schild niederzulegen. Dazu Schröter 1950, 64-65, 71 sowie oben I.3.4.1. Ebenso auch Rutherford 1982, 153: „This divine intervention is far from rendering the human agents insignificant or devoid of interest; rather, the divine support reflects and in a sense symbolises the superiority of the victor.“ Vgl. Bassett 1933, 42-44, der argumentiert, dass die Rückgabe des Speers an Athene nur die Art von Hektors Tod beeinflusst, da Achill seinen Gegner auch ohne Speer mit dem Schwert hätte töten können. An keiner Stelle wird erwähnt, dass die Benutzung der Lanze einen Vorteil gegenüber dem Schwert bedeutet. Siehe auch Farron 1978, 50, der bemerkt, dass Athene bei der Tötung Hektors weitaus weniger eingreift, als Apoll es bei der Tötung des Patroklos tat. Vgl. dazu de Jong 2012, 122: „Achilles’ challenge, bursting with self-confidence (and vindictive anger), is typical, but Hector’s opening is unusually timid (…).“

II.2 Achill und Hektor

217

Vereinbarung zu treffen, die er auch vor dem Zweikampf mit Aias vorgeschlagen hatte: Der Sieger solle dem Unterlegenen nur die Waffen als Trophäe abnehmen, ansonsten aber den Leichnam zur Bestattung zurückgeben (Il. 22,254-259, vgl. 7,76-90). In einer wütenden Antwortrede (Il. 22,260: ὑπόδρα ἰδών, ebenso 22,344) lehnt Achill diese Übereinkunft ab (Il. 22,259272): Er ist zuversichtlich, dass er Hektor töten wird, und sein Wunsch nach Bestrafung und Rache für den Tod der Gefährten rechtfertigt diese Gnadenlosigkeit (. 22,271: πάντ᾽ ἀποτείσεις / κήδε᾽ ἐμῶν ἑτάρων). Damit beginnt der eigentliche Kampf mit dem ersten Angriff Achills, der seine berühmte Lanze auf Hektor schleudert. Die folgende Begegnung entspricht in ihrem Aufbau einer typischen Androktasie, die jedoch durch zahlreiche Reden (Il. 22,279-288, 297-305, 331-336, 338-343, 345-354, 356-360, 365-366), Gleichnisse (Il. 22,308-311, 317-319) und Detailbeschreibungen der Waffen der Kombattanten (Il. 22,306-307, 313-316, 321-326) erweitert wird, um der Bedeutung der Situation gerecht zu werden. Hektor kann diesem ersten Angriff ausweichen, doch unbemerkt bringt Athene Achill seine Lanze zurück (Il. 22,273-277). Hektor reagiert mit einer vorsichtigen Prahlrede (Il. 22,279-288), in der er Achills vorherige Zuversicht als leeres Gerede verwirft. Im Angesicht des übermächtigen Gegners kündigt er an, wenn er denn sterbe, werde er ihm nicht den Rücken bieten, sondern anstürmend in tapferem Kampf fallen (Il. 22,283-284). Er scheint sich damit selbst Mut zuzusprechen, und statt einer Drohung formuliert er den Wunsch, Achill möge durch seine Lanze sterben (Il. 22,285-288).961 Er schleudert daraufhin selbst seine Lanze, die jedoch vom Schild des Achill wirkungslos abprallt (Il. 22,289-293). Als er sich daraufhin zu seinem vermeintlichen Bruder Deiphobos wendet und ihn um eine weitere Lanze bittet, erkennt er, dass er von Athene getäuscht wurde, und erst in diesem Moment begreift er, dass sein Tod wirklich kurz bevorsteht (Il. 22,294-303). Die lange Retardation dieser Erkenntnis zeigt Hektors menschliches und furchtsames Hoffen gegenüber der unmenschlichen, geradezu göttlichen Kampfkraft Achills, die sogar einen Gegner wie Hektor zum Zittern bringt.962 Diese Realisation entspricht der Vorstellung des iliadischen Heldentums, dass ein Held nicht nur Kampfesmut beweisen muss, sondern auch am Ende seines Lebens dem Tod furchtlos begegnen soll. Hektor ist in der Ilias der einzige Held, der im Angesicht des Todes nicht mehr um sein Leben, sondern um einen schönen Tod bittet, 963 und es zeugt von besonderer Tapferkeit, wenn er sich im sicheren Wissen um seinen bevorstehenden Tod in Hoffnung auf einen ruhmvollen Tod Achill stellt und mit

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Vgl. Stoevesandt 2004, 326-327 sowie de Jong 2012, 129 ad Il. 279-288. Edwards 1991,134 ad loc. hingegen nennt „his confident speech (278-88) all the more ironic.“ Zur Psychologie der Entwicklung Hektors in Il. 22,90-305 siehe Clay 2002. Vgl. Mackie 1996, 99-102.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

dem Schwert gegen ihn anstürmt (Il. 22,304-311).964 Hektor ist bestrebt, sich durch die Art seines Todes in tapferem Kampf gegen den Besten der Griechen κλέος zu gewinnen. Achill stürzt ihm voll Kampfesmut und strahlend in seinen neuen Waffen entgegen (Il. 22,312-320), und die Art der Tötung Hektors, der die von Patroklos erbeutete, göttliche Rüstung trägt, legt Zeugnis von seiner Fertigkeit als Kämpfer ab. Dies ist der einzige Kampf der Ilias, in dem ein Held bewusst auf eine bestimmte Körperstelle seines Gegners zielt, und der Speerstoß wird dabei auch nicht von einer Gottheit geleitet. Es ist ein Zeichen von außerordentlicher Fähigkeit, dass Achill zielsicher die einzige, nicht von der Rüstung geschützte Stelle an Hektors Hals anvisiert:965 Il. 22,318-327: ὣς αἰχμῆς ἀπέλαμπετ᾿ εὐήκεος, ἣν ἄρ᾿ Ἀχιλλεὺς πάλλεν δεξιτερῇ, φρονέων κακὸν Ἕκτορι δίῳ, εἰσορόων χρόα καλόν, ὅπῃ εἴξειε μάλιστα. τοῦ δὲ καὶ ἄλλο τόσον μὲν ἔχε χρόα χάλκεα τεύχεα καλά, τὰ Πατρόκλοιο βίην ἐνάριξε κατακτάς, φαίνετο δ᾿, ᾗ κληῗδες ἀπ᾿ ὤμων αὐχέν᾿ ἔχουσιν, λαυκανίης, ἵνα τε ψυχῆς ὤκιστος ὄλεθρος. τῇ ῥ᾿ ἐπὶ οἷ μεμαῶτ᾿ ἔλασ᾿ ἔγχεϊ δῖος Ἀχιλλεύς, ἀντικρὺ δ᾿ ἁπαλοῖο δι᾿ αὐχένος ἤλυθ᾿ ἀκωκή. So strahlte es von der Lanzenspitze, der gutgeschärften, die Achill schwang in der Rechten, Schlimmes sinnend dem göttlichen Hektor, spähend, wo seine schöne Haut am ehesten eine Blöße zeigte. Dem aber umschlossen sonst überall seine Haut die ehernen Waffen, die schönen, die er der Gewalt des Patroklos geraubt, als er ihn erschlagen. Dort zeigte sie sich, wo das Schlüsselbein den Hals von den Schultern trennt, an der Kehle, wo die schnellste Vernichtung des Lebens ist. Da traf den gegen ihn Anstürmenden mit der Lanze der göttliche Achill, und gerade hindurch fuhr durch den weichen Hals die Spitze.

Auch Hektors Sterbeszene ist ausführlich gestaltet,966 und zunächst spricht Achill eine typische Prahlrede eines siegreichen Helden (Il. 22,330: ἐπεύξατο), in der er sich als den Rächer des Patroklos bezeichnet und Hektor ankündigt, Patroklos werde eine angemessene Bestattung erhalten, wohingegen Hektor von Vögeln und Hunden zerfleischt werde (Il. 22,331-336, vgl. 23,180-183). Die kurze Rede weist große Ähnlichkeiten mit einer Prahlrede des Odysseus auf (Il. 11,450-455; vgl. auch 13,830-832), und ihr Zweck

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Zur Größe Hektors angesichts dieser Erkenntnis siehe Marg 1965, 45 sowie Clay 2002, 15-16. Vgl. Mueller 2009, 123. Zum Unverwundbarkeitsmotiv in dieser Szene siehe Kakridis 1961, 293. Vgl. die Übersichten bei Niens 1987, 137-140, Edwards 1991, 139-140 sowie de Jong 2012, 140-141 zum Vergleich der Szene mit dem Tod des Patroklos.

II.2 Achill und Hektor

219

besteht offenbar darin, Hektor der Ehre, die er durch die Tötung des Patroklos gewann, symbolisch durch die entgegengesetzte Behandlung zu dessen ehrenvoller Bestattung zu berauben.967 Bevor die Verwundung ihn tötet, erhält Hektor in Anerkennung seiner besonderen Position die Möglichkeit, abermals zu Achill zu sprechen (vgl. Il. 22,328-329).968 Er bittet Achill erneut in einer Hikesie969 bei dessen Leben und bei seinen Eltern, dass er seinen Leichnam gegen Lösegeld freigeben möge, und versucht, Achills Mitleid zu erregen (Il. 22,338-343).970 Das Angebot von ἄποινα ist eine Neuerung gegenüber dem vorherigen Gesuch (Il. 22,254-259), und dies ist das einzige Mal in der Ilias, dass für die Herausgabe eines Leichnams Lösegeld geboten wird,971 und beruht auf Hektors Hoffnung, Achill durch die Aussicht auf materielle Anerkennung zur Annahme des Angebots zu bewegen. Doch Achill lehnt abermals in einer zornigen Rede ab (Il. 22,345-354), und solange Zorn und Hass ihn zur Rache antreiben, ist der Appell an sein Mitgefühl wirkungslos (Il. 22,346: με μένος καὶ θυμὸς ἀνείη); er bekundet sogar den Wunsch, Hektors Fleisch roh zu verschlingen und droht ihm abermals an, wilde Tiere würden seine Leiche zerreißen (Il. 22,348; so auch schon 22,335-336), da er nicht einmal für zehnund zwanzigfaches Lösegeld oder dessen Gewicht in Gold bereit sei, seinen Leichnam zurückzugeben (Il. 22,349-353, vgl. 9,379-86, 401-407). Wie bei allen iliadischen Schlachtfeldhikesien wird die Erfüllung der Bitte verweigert, und Achill kündigt wiederholt an, dass Hunde und Vögel sich an Hektors Leichnam laben werden (Il. 23, 354; vgl. 22,335-336, 348), und stellt ihm damit eindringlich die schlimmste Behandlung in Aussicht, die einem homerischen Helden nach dem Tod zustoßen kann. Rache für den Tod seiner Gefährten ist nach dem heroischen Verhaltenskodex nicht nur sein Recht, sondern auch seine Pflicht, und die motivische Reihe der abgelehnten Hikesien gipfelt in der Zurückweisung von Hektors Bitte um Schonung seines Leichnams.972 Hektors letzte Worte sind voll von Resignation, und

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So spricht auch Cairns 2003, 43 von Achills „determination utterly to extinguish the prestige that Hector has won in killing Patroclus.“ „Letzte Worte“ eines sterbenden Helden weisen auf die Bedeutung des Getöteten hin, und außer Hektor wird diese Ehre nur Sarpedon und Patroklos (Il. 16,492-501 bzw. 16,844-854) zugestanden. Zur besonderen Verbindung der drei Androktasien siehe de Jong 2012, 13-15. In diesem Fall könnte die Hikesie durch tatsächliches Fassen der Knie ausgeführt sein und nicht nur in Worten metaphorisch Bestand haben: Il. 22,338: λίσσομ᾿ (...) γούνων, mit Achills Antwort 22,345: μή με, (...) γούνων γουνάζεο, vgl. Gould 1973, 81 Anm. 42. Vgl. Crotty 1994, 8-11. Vgl. Macleod 1982, 20 mit Anm. 1. Vgl. jedoch Glaukos‘ Vorschlag in Il. 17,159-163, den Leichnam des Patroklos gegen die Rüstung des Sarpedon auszutauschen. Vgl. dazu Bassett 1933, 50-51, der hierin sogar eine Verfehlung Hektors sieht: „(...) no true knight would ever have begged for any mercy at the hands of one whose dearest

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

er endet mit der Prophezeiung von Achills eigenem, bevorstehenden Tod durch die Hand des Paris und des Apoll (Il. 22,356-360, vgl. 19,409-417). Er bezeichnet sich als μήνιμα θεῶν „Gegenstand des Zornes der Götter“ (Il. 22,358), und der Tod des Achill wird zur unmittelbaren Folge seines eigenen Todes. In der Ilias sterben Helden nur durch die Hand von Helden, die ihnen überlegen sind, und da Achill der stärkste und unbesiegte Held der Ilias ist, muss sein Tod notwendigerweise außerhalb der Handlung der Ilias liegen, obgleich er hier schon vorgezeichnet ist.973 Damit stirbt Hektor (Il. 22,360-363), und mit knappen Worten akzeptiert Achill furchtlos seinen eigenen Tod, solange nur Hektor vor ihm sterbe (Il. 22,365-366, vgl. 18,114116).974 Wie es nach einer Androktasie typisch ist, nimmt Achill Hektor die blutige Rüstung ab (Il. 22,368-369, 376). Dies ist der erste Schritt der Entehrung Hektors, denn nach seinem Tod nähern sich auch die anderen Griechen, die erst nach Hektors Tod wieder in Erscheinung treten, bewundern seine Größe und sein edles Aussehen und stechen auf den regungslosen Leichnam ein (Il. 22,369-371, 375, vgl. 24,420-421).975 Namenlose griechische Soldaten, die vermutlich nie gewagt hätten, dem lebenden Hektor entgegenzutreten, misshandeln nun seine Leiche und so mancher spricht die spottenden Worte, „wieviel sanfter Hektor nun anzufassen ist, als da er die Schiffe verbrannte mit loderndem Feuer“ (Il. 22,372-274). Seine frühere Stärke kontrastiert mit der unrühmlichen Behandlung durch unwürdige Gegner, und die Darstellung hebt einerseits Hektors Größe hervor, entehrt ihn jedoch andererseits und bereitet Achills folgendes Verhalten vor.976 Achill spricht daraufhin zu seinen Mitstreitern, doch seine Rede, die als Aufruf beginnt, nun weiter gegen Troia vorzurücken, wird nach einer Abbruchformel, mit der Achill des toten und unbestatteten Patroklos gedenkt,

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friend he had slain.“ Vgl. auch Zanker 1994, 106-107. Richardson 1993, 133 ad 22,26072 hingegen sieht in Achills Antwort einen Bruch der üblichen Konventionen. Zur aufsteigenden Folge der siegreichen Helden in der Reihe Sarpedon – Patroklos – Hektor – Achill siehe Rutherford 1982, 152-153. Siehe dazu auch unten II.3. Vgl. Griffin 1980, 163 und Rutherford 1982, v.a. 157 mit Anm. 58. Zu μήνιμα als Warnung vor der Rache der Götter, die von Achill furchtlos ignoriert werden kann, da er sein eigenes Ende akzeptiert hat, siehe Muellner 1996, 32-33. Achills Tod als Rache für Hektor wird damit die Reihe der Vergeltungstötungen beschließen, die mit Sarpedon und Patroklos begann. Zur besonderen Verbindung der drei Androktasien siehe de Jong 2012, 13-15, 150-151. Vgl. Lendon 2000, 10-11. Diese Szene ist in der Ilias einzigartig, doch das Verhalten seiner Mitstreiter kann schwerlich Achill zur Last gelegt werden, und abermals bleibt der Schluss, dass die Misshandlung des Leichnams eines Feindes an sich nicht mit Sanktionen belegt war. Vgl. de Jong 2012, 154-155 ad loc. Griffin 1980, 47 sowie Richardson 1993, 144 ad loc. hingegen betonen die Ehrung des Gefallenen durch den Kontrast mit den unwürdigen Gegnern.

II.2 Achill und Hektor

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zu einer Aufforderung, mit einem Siegeslied ins Lager zurückzukehren (Il. 22,378-394).977 Mit der Erinnerung an Patroklos flammt sein Zorn wieder auf, der weitere Genugtuung durch fortgesetzte Entehrung Hektors verlangt, und er beginnt seine Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Die Schändung des Leichnams ist eine in der Ilias mehrfach praktizierte Ausdrucksform des Rachezornes,978 und die Bestrafung Hektors beginnt damit, dass Achill ihn mit Lederriemen an seinen Streitwagen bindet und ins Lager der Griechen schleift: Il. 22,396-404: ἀμφοτέρων μετόπισθε ποδῶν τέτρηνε τένοντε ἐς σφυρὸν ἐκ πτέρνης, βοέους δ᾿ ἐξῆπτεν ἱμάντας, ἐκ δίφροιο δ᾿ ἔδησε, κάρη δ᾿ ἕλκεσθαι ἔασεν. ἐς δίφρον δ᾿ ἀναβὰς ἀνά τε κλυτὰ τεύχε᾿ ἀείρας μάστιξέν ῥ᾿ ἐλάαν, τὼ δ᾿ οὐκ ἄκοντε πετέσθην. τοῦ δ᾿ ἦν ἑλκομένοιο κονίσαλος, ἀμφὶ δὲ χαῖται κυάνεαι πίτναντο, κάρη δ᾿ ἅπαν ἐν κονίῃσι κεῖτο πάρος χαρίεν· τότε δὲ Ζεὺς δυσμενέεσσι δῶκεν ἀεικίσσασθαι ἑῇ ἐν πατρίδι γαίῃ. An beiden Füßen hinten durchbohrte er ihm die Sehnen von der Ferse bis zum Knöchel und knüpfte rindslederne Riemen daran, band ihn an seinen Wagen und ließ das Haupt nachschleifen. Und er stieg auf den Wagen und hob hinauf die berühmten Waffen, schwang die Geißel und trieb, und die flogen nicht unwillig dahin. Da war um den Geschleiften ein Schwall von Staub, seine Haare aber, die blauschwarzen, fielen auseinander, und das Haupt lag ganz im Staub, das einst so liebliche: damals aber hatte es Zeus seinen Feinden gegeben zu schänden in der eigenen väterlichen Erde.

Nachdem Achill Hektor getötet hat, steht es ihm frei, mit der Leiche so zu verfahren, wie es ihm beliebt, und die Schleifung der Leiche ist nicht außergewöhnlich (vgl. Il. 14,477: ὑφελκε ποδοῖιν; 17,289-290: ποδὸς ἕλκε …/ δησάμενος τελαμῶνι παρὰ σφυρὸν ἀμφὶ τένοντας). Indem Achill Hektors Leichnam auf diese Weise gefangen nimmt, verwehrt er ihm die angemessene Bestattung und setzt damit in die Tat um, was zuvor in der Ilias nur in Drohungen erwähnt wurde (vgl. Il. 11,452-454; 15,349-351). Die Gründe, aus denen ein Held einem gefallenen Gegner weitere Entehrungen ersparen kann, das Fehlen von Emotionen gegen den Toten oder die besondere τιμή des Gegners treffen in diesem Fall nicht zu: Achill ist bestrebt, weiter für

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West 2003, 8 vermutet, dass nach einer früheren Version Achill weiter gegen Troia zog und unmittelbar den Tod fand (vgl. Il. 18,96: αὐτίκα γάρ τοι ἔπειτα μεθ᾿ Ἕκτορα πότμος ἑτοῖμος). Der Tod und das damit verbundene Scheitern Achills wäre jedoch nicht mit dem Triumph Achills vereinbar; wenn es die von West postulierte frühere Fassung jemals gab, ist diese Änderung der Intention des Dichters geschuldet, Achill als idealen Helden zu präsentieren, siehe dazu auch II.3. Vgl. v.a. Segal 1971, 9-17, Lendon 2000, v.a. 3-11 sowie oben I.4.2.4.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

Patroklos Rache zu üben, und Hektor hat sich im Zweikampf nicht als ein würdiger Gegner gezeigt.979 Achill behandelt die Leiche seines verhassten Gegners wie einen gewöhnlichen Kämpfer und demonstriert damit seine eigene Überlegenheit über Hektor, den ἄριστος Τρώων.980 Achill nimmt Hektor zusätzlich zu seinem Leben und seinen Waffen seine τιμή, indem er ihn nicht nur körperlich tötet, sondern dem Sterbenden auch noch die letzte Ehrung durch dessen Gemeinschaft, das γέρας θανόντων, verwehrt (Il. 22,331-336, 344-354). Seine Versuche, den Leichnam durch wiederholte Schleifungen um das Grab des Patroklos zu entstellen, verfolgen das gleiche Ziel, denn mit der Zerstörung der äußeren Schönheit und der Individualität verbindet sich die Negierung des Adels und der kämpferischen ἀρετή des Gegners. Achills schmähliche Behandlung von Hektors Leichnam zielt somit letztendlich darauf ab, ihn auch seiner Hoffnungen auf das κλέος seines Heldentodes zu berauben und ihn auf diese Weise nicht nur faktisch, sondern auch ideologisch zu töten.981 Die Entehrung des Leichnams erfolgt mit expliziter Billigung des Zeus (vgl. Il. 22,403-404), und die Darstellung enthält weder auktoriale Kritik am Vorgehen Achills noch eine ethisch-moralische Wertung, sondern beschreibt nur den Schaden am Objekt (so Il. 22,404: ἀεικίσσασθαι „entstellen“; vgl. 24,22). Der Schaden als eine Form der Entehrung entspricht Achills Intention, und in der Bezeichnung seiner Taten als ἀεικέα ἔργα und κακὰ ἔργα (Il. 22,395; 23,24, 176) kommt sein Wille zur Zerstörung aus Rache zum Ausdruck.982 Angesichts des Befunds, dass die Rache am Leichnam eines gefallenen Gegners durch Enthauptung gängige Praxis ist (vgl. Il. 11,145147, 259-261; 13,201-205; 14,493-499) und dass auch Hektor den Leichnam des Patroklos als Rache für den Tod seines Halbbruders Kebriones nach

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Vgl. Bassett 1933, 49-50. Siehe auch Macleod 1982, 18: „Disrespect for Hector is a kind of tribute to Patroclus. Der Gedanke, dass Achill und Hektor nicht über das gleiche Maß an τιμή verfügen, wird von Hera gegenüber Apoll in Il. 24,56-57 direkt zum Ausdruck gebracht. Sie argumentiert, dass Apoll mit seiner Beschwerde über die Behandlung der Leiche Hektors im Recht wäre, wenn beide auf die gleiche Stufe gestellt werden könnten. Zeus wir der besonderen τιμή des Achill in Il. 24,110 Rechnung, vgl. auch Brügger 2009, 59-60 ad loc. Vgl. Vernant 1991, 332-341. Vgl. Bassett 1933, 44-46, Griffin 1980, 85 Anm. 9, de Romilly 1981, 9, Taplin 1992, 51, van Wees 1992, 129-130, Richardson 1993, 147 ad Il. 22,395, Brügger 2009, 22-23 ad Il. 24,22, die alle argumentieren, dass hier keine moralische Kritik am Handeln Achills geäußert wird. Ebenso auch de Jong 2004, 138 und 2012, 18, 162-163 v.a. ad Il. 22,395 (vgl. auch 23,24, 176), die hier jeweils Achills eigene Gedanken ausgedrückt sieht und die Passagen als sekundäre Fokalisation behandelt. Das Opfer der zwölf troianischen Jünglinge am Grab des Patroklos (Il. 21,27-28; 23,2223, 175-176, 181-182) ist ebenfalls als Rache zu betrachten und steht in der Tradition anderer Rachetötungen auf dem Schlachtfeld, vgl. Garland 1982, 72.

II.2 Achill und Hektor

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Troia schleifen wollte, um ihn zu enthaupten und an die Hunde zu verfüttern (Il. 17,125-127; 18,175-180), fällt diese Entehrung vergleichsweise milde aus, und die Schleifung Hektors ist sowohl im iliadischen Kontext als auch im Vergleich mit anderen epischen Traditionen eine eher harmlose Form der Bestrafung.983 Aus dieser Betrachtung der Aristie des Achill und dem Vergleich mit den Aristien anderer Helden der Ilias dürfte deutlich geworden sein, dass Achill an keiner Stelle die Konventionen des heroischen Verhaltenskodex verletzt. Seine Handlungen, wie die Tötung junger oder um Schonung flehender Gegner oder die Verstümmelung eines gegnerischen Leichnams werden auch von anderen Helden in der Ilias praktiziert, und auch die Verwehrung der angemessenen Bestattung ist häufig Gegenstand von Drohungen.984 Achills Grausamkeit ist kein Ausnahmefall innerhalb der Ilias, legt jedoch Zeugnis davon ab, wie weit er allen anderen Helden an Kampfkraft überlegen ist.985 Achill ist in der Ilias und in seiner Aristie nicht ein neuer Typus von Held, sondern die Verkörperung des Idealbildes eines Helden in einem größeren Format als alle seine Kampfgefährten, und seine besondere Stellung zeigt sich darin, dass er in der Lage ist, einen wahren ἄριστος zu töten, der diesen Titel auch zu Recht trägt.986 Hektor hat damit innerhalb der Ilias eine klare Funktion: Er symbolisiert Troia und seine zunehmend drastischer werdenden Verwundungen bringen die prekäre Situation der Stadt zum Ausdruck. 987 Als ἄριστος Τρώων ist er der prestigeträchtigste Gegner für den ἄριστος Ἀχαιῶν, und die Tötung Hektors ist ein Zeichen für Achills überlegene Kampfkraft, die durch die Stilisierung Hektors zum alleinigen Beschützer Troias (vgl. Il. 6,403; 22,433434, 507; 24,499, 728-730) noch eine zusätzliche Dimension erhält: So gehen die folgenden Klagen (Hekabe, Il. 22,405-407, 430-437; Priamos, 408-429; Andromache, [450-459], 477-515) über das typische Motiv der Trauer der Angehörigen hinaus, indem sie Hektors Tod mit dem Fall der Stadt gleichsetzen (vgl. v.a. Il. 22,410-411). Das Kopfband, das Andromache vom Kopf

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Vgl. Bassett 1933, 56, Vermeule 1979, 107, de Romilly 1981, 1-9 und van Wees 1992, 129 mit Anm. 131. Zwar wollte Achill Hektor zunächst auch enthaupten (vgl. Il. 18,335), führt dieses Vorhaben jedoch nicht aus. Vgl. Dazu Vermeule 1979, 94: „[C]annibalistic impulses and his (d.h. des Helden) animal language stay in the realm of rhetoric, like amost all “ugly actions” in the Iliad.“ Siehe auch Niens 1987, 140-142 zum Vergleich der Aristien des Agamemnon und des Achill mit der Feststellung, dass Achills Androktasien vielfach weniger umfangreich ausgeführt sind. Alle Elemente sind typisch, doch Achill kämpft vielfach nicht, sondern entledigt sich seiner gegner schnell und gleichsam ohne ernsthafte Gegenwehr. Vgl. Edwards 1984, 69 zum Bezug von ἄριστος auf Hektor: „(...) the emphatic and titular usages actually converge only in the figure of Hector, the best of the Trojans.“ Zu Hektors Verletzungen siehe Neal 2006a, 114-122.

224

II. Die Ilias und das heroische Ideal

gleitet, wird mit demselben Begriff bezeichnet, der auch die Brustwehr einer Stadt beschreiben kann (Il. 22,470: κρήδεμνον; vgl. 16,100: Τροίης ἱερὰ κρήδεμνα) und deutet damit symbolisch auf den Fall der Stadt voraus.988 Zudem weist ihre Klage um das Schicksal des Astyanax nach dem Tod des Vaters (Il. 22,484-507) große Gemeinsamkeiten mit Hektors Vision des Schicksals seiner Familie nach dem Fall der Stadt auf (Il. 6,448-465). Damals war Hektor in die Schlacht gezogen, um seine Familie und seine Stadt zu schützen, doch dieses Verhalten führt nun den Fall Troias herbei (vgl. die Ähnlichkeiten zwischen Il. 6,441-446 und 22,104-105, 109-110). In der Darstellung der Ilias, in der Hektor der wichtigste und sogar einzige Beschützer Troias ist, erwirkt seine Tötung durch Achill den außerhalb der Ilias-Handlung liegenden Fall der Stadt und folglich wird Achill zumindest symbolisch zum Zerstörer Troias (implizit in Il. 12,10-11; 15,68-71; 22,56-57, 382-384, 410-411; 24,728-730).989 Dies wird auch durch die wiederholte Zuschreibung des Epithetons πτολίπορθος angedeutet (Il. 8,372; 15,77; 21,550; v.a. 24,108: Ἕκτορος ἀμφὶ νέκυι καὶ Ἀχιλλῆι πτολιπόρθῳ).990 Die Rolle des Stadteroberers wird üblicherweise Odysseus zugeschrieben,991 doch während Odysseus zwar faktisch der Eroberer Troias sein wird, stilisiert die Darstellung der Ilias ihren Haupthelden als den Eroberer Troias.992 Obwohl die Ilias nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Troianischen Krieg erzählt, steht sie doch für die Gesamtheit des Mythos, 993 und Achill hat mit der Tötung Hektors weitaus mehr vollbracht, als nur seinen Gefährten Patroklos zu rächen. Mit Hektors Tod ist der Weg für den Fall Troias geebnet, und folglich ist Achills Kampfkraft und Stärke (βίη) die Eroberung Troias zu verdanken. Die Aristie Achills endet somit nicht vorzeitig (vgl. die Glaukos-Diomedes-Szene als Ende der Aristie des Diomedes in Il. 6,119-236) oder mit der Verwundung des Helden, die ihn zum Rückzug zwingt (vgl. Agamemnon, Il. 11,267-283; Hektor, 14,409-432), sondern mit einem vollendeten Sieg: Es sind keine Gegner mehr auf dem Schlachtfeld, die sich ihm entgegenstellen könnten, er hat Rache für Patroklos genommen, und kein Verteidiger steht dem Fall der Stadt mehr im Weg (vgl. auch die Prophezeiung des Zeus in Il. 15,68-71).

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Vgl. Nagler 1974, 10-11, 44-63 sowie Edwards 1987, 299. Zur metaphorischen Verbindung von Hektors Tod mit Troias Untergang siehe z.B. Griffin 1980, 1, Schein 1984, 150, Heubeck 1991, 466 sowie Taplin 1992, 247-250. Vgl. Dubielzig 1996, 1-4. Zu πτολίπορθος als Epitheton des Odysseus in der Ilias siehe Haft 1990. Siehe hierzu die ausführliche Argumentation bei Oka 1990. Siehe allerdings auch Jackson 1982, 11, der auf die außeriliadischen Versionen verweist, die andere Gründe für den Fall Troias anführen. Vgl. z.B. Marg 1973, 4 sowie Dowden 1996, 55-58.

II.2 Achill und Hektor

225

II.2.2 Die Lösung Hektors In Buch 23 kam zwar der Konflikt zwischen Achill und Agamemnon mit der Etablierung der überlegenen gesellschaftlichen Position Achills zu einem Abschluss, doch Achill hat damit noch keinen Frieden gefunden und fährt fort, Hektors Leichnam zu misshandeln (Il. 23,24-26; 24,12-16). Die ehrenvolle Bestattung des Patroklos kontrastiert mit der schmählichen Behandlung Hektors (vgl. Il. 22,333-336; 23,179-183).994 Erst der letzte Gesang der Ilias, die sog. „Lösung Hektors“ (Ἕκτορος λύτρα), bringt die Rachehandlung zu einem Abschluss, und ohne die Szene zwischen Achill und Priamos wäre das Epos unvollständig. Wie Buch 23 die Beziehung zu seinen Mitstreitern wiederherstellt und Achill als den unbestrittenen ἄριστος Ἀχαιῶν zeigt, so folgt in Buch 24 die formelle Anerkennung Achills überlegener Kampfkraft durch seine Feinde. In der Forschung wurde oftmals bemerkt, dass die Menschlichkeit Achills gegenüber Priamos in Buch 24 der Ilias einen starken Kontrast zu den vorangegangenen Ereignissen darstelle, der einer Erklärung bedürfe.995 Doch den Bemerkungen im Fortgang der Ilias zufolge findet Achill hier zu seinem früheren Verhalten zurück, als er noch keinen persönlichen Zorn gegen die Troianer hegte und sich ihnen gegenüber gnädig zeigen konnte (vgl. Il. 21,100-105): So ehrte er König Eëtion von Thebe, indem er ihm nach dem Tod nicht die Rüstung abnahm, sondern ein würdiges Begräbnis zukommen ließ (Il. 6,416-419), und mehrfach wird berichtet, dass er Schlachtfeldhikesien annahm und seine Kriegsgefangenen gegen Lösegeld freigab oder weiterverkaufte (Il. 6,425-427; 11,104-106; 21,77-80; 23,746; 24,751-753). Nach allen Analepsen, die auf Achills Verhalten vor der IliasHandlung und vor dem Tod des Patroklos hinweisen, ist nicht die respektvolle Milde gegenüber Priamos, sondern vielmehr die Gnadenlosigkeit während seiner Aristie für ihn ungewöhnlich, allerdings nach den heroischen Verhaltensmaßstäben vollkommen gerechtfertigt.996 Der Bittgang des Priamos ist die einzige erfolgreiche Hikesie zwischen Menschen innerhalb der Ilias-Handlung: Buch 1 und Buch 24 der Ilias sind

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Vgl. Edwards 1986, 86, 88. Zur Diskussion der Forschung zu Buch 24 siehe Crotty 1994, 3-8 mit Anm. 2 zu weiterer Literatur, zu den motivischen Linien, die zu Buch 24 führen Macleod 1982, 8-35 und Brügger 2009, 11-12. Zur Einschätzung von Achills Verhalten siehe v.a. Zanker 1994, 115-125, Crotty 1994, 3-23 und Hammer 2002, 182-194. Vgl. Danek 2010, 58: „Die Ilias zeichnet also Achill als einen besonders sanften und menschenfreundlichen Helden, der nur durch die Ereignisse innerhalb der Ilias seine Beherrschung verliert und vorübergehend zur Bestie und Kampfmaschine mutiert und erst durch einen Akt des Mitleids, nämlich durch die Einfühlung in die Situation seines Gegenübers Priamos, wieder zu seiner alten φιλότης zurückfinden kann.“ Zur Menschlichkeit Achills als einem Charakterzug, den die Ilias im Gegensatz zu allen anderen Traditionen besonders hervorhebt, siehe ebenda 58-65.

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II. Die Ilias und das heroische Ideal

spiegelbildlich gestaltet, und das von Agamemnon abgelehnte Angebot des Chryses für seine Tochter entspricht strukturell dem erfolgreichen Gesuch des Priamos um den Leichnam seines Sohnes an Achill.997 Auch darin zeigt sich die Verlagerung der Bedeutung der beiden Helden: Nachdem Agamemnon zu Beginn des Epos die Hikesie eines unbedeutenden Priesters ablehnte und durch das Eingreifen Apolls zur unrühmlichen Annahme gezwungen wurde, entspricht Achill zum Abschluss der Bitte des Herrschers der Troianer und erhält die gebührlichen Ehrungen in Form von Lösegeld und Anerkennung. Zu Beginn von Buch 24 jedoch erscheint Achill immer noch unerbittlich, wie er weiterhin in Zorn und Trauer um Patroklos den Leichnam des Hektor misshandelt (Il. 24,1-22). Achills Verhalten entspricht anderen, durch Rache bedingten Verstümmelungen gefallener Gegner auf dem Schlachtfeld, mit dem Unterschied, dass er in der Lage war, Hektors Leichnam zu diesem Zweck ohne Gegenwehr der Troianer gefangenzunehmen. Der lange Kampf um die Leiche des Patroklos (Il. 17,1-18,236) zeigt, dass Helden bereit waren, erbittert zu kämpfen, um sich die Leiche eines Gegners zu sichern, um sie anschließend gegen eine Freikaufsumme herauszugeben (vgl. Glaukos‘ Vorschlag in Il. 17,159-163, den Leichnam des Patroklos gegen die Rüstung des Sarpedon auszutauschen) oder aus Rache zu verstümmeln (vgl. den Bericht der Iris in Il. 18,174-177, Hektor wolle die Leiche des Patroklos nach Troia schleifen, um ihn dort zu enthaupten und seinen Kopf auf spitze Pfähle zu spießen). Aphrodite und Apoll jedoch ehren Hektor und schützen seinen Leichnam davor, durch Hunde oder die Schleifung Schaden zu nehmen (Il. 23,184-185; 24,18-21). In dieser Situation kommt es zu einer Götterversammlung, denn einige Götter bemitleiden Hektor und wollen Hermes beauftragen, den Leichnam Hektors zu stehlen (Il. 24,23-25). Die griechenfreundlichen Götter hingegen verhindern dies aus andauerndem Hass auf die Troianer (Il. 24,25-30). Am zwölften Tag nach dem Kampf spricht daraufhin Apoll einen Aufruf an die Götter, Hektor solle gerettet werden und eine angemessene Bestattung erhalten (Il. 24,33-54), doch Hera hält ihm entgegen, dass seine Rede nur zutreffend wäre, wenn Achill und Hektor dieselbe Ehre hätten (Il. 24,56-61).998 Diese Antwort macht deutlich, dass Achill eine besondere Ehrenstellung genießt, und es durchaus sein Recht ist, Hektors Leichnam zu misshandeln.

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Vgl. Whitman 1958, 259-261, Reinhardt 1961, 63-68, Macleod 1982, 33-34, Edwards 1987, 301 und Wilson 2006b, 128. Hera führt Achills höhere Ehre auf seine göttliche Abstammung und ihre besondere Beziehung zu Thetis zurück. Zu den verschiedenen Bewertungsmaßstäben siehe Brügger 2009, 41 ad Il. 24,57.

II.2 Achill und Hektor

227

Dies gesteht auch Zeus zu (Il. 24,66999), als er schlichtend eingreift und entscheidet, dass Achill Hektor im Austausch gegen die Geschenke des Priamos freigeben solle (Il. 24,71-76). Indem er nicht zulässt, dass die anderen Götter den Leichnam einfach entwenden, sondern es zu einer Auslösung durch materielle Rekompensation kommen lässt, bestärkt er abermals die Position Achills (Il. 24,23-76).1000 So wird Achills Misshandlung des Leichnams niemals wegen ihrer Grausamkeit kritisiert, und die Götter erbarmen sich Hektors letztendlich, weil er ihnen gefällige Gaben darbrachte (Il. 24,34-35, 66-70), nicht weil die wiederholte Schleifung des Leichnams prinzipiell göttliches Recht verletzen würde.1001 Nachdem Thetis herbeigerufen wurde (Il. 24,77-102), erteilt ihr Zeus die Anweisung, sie solle auf Achill einwirken (Il. 24,104-119): Er wolle ihren Sohn durch die Geschenke ehren (Il. 24,110: κῦδος1002), droht ihm jedoch den Zorn der Götter an, falls er sich weigern solle (Il. 24,113-116). Thetis überbringt diese Anweisung zur Freigabe Hektors gegen entsprechendes Lösegeld (Il. 24,120-137), und Achill fügt sich ohne Widerspruch und mit knappen, gleichgültigen Worten der göttlichen Weisung (Il. 24,138-140).1003 Gleichzeitig entsendet Zeus Iris nach Troia, um Priamos die Botschaft zu überbringen, er solle sich allein mit den Geschenken auf den Weg zu Achill

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Die Formulierung von Il. 24,66: οὐ μὲν γὰρ τιμή γε μί᾿ ἔσσεται („Denn freilich wird nicht ein- und dieselbe Ehre zuteilwerden.“) erfüllt unterschiedliche Funktionen. Zum einen bestätigt er Heras Einschätzung, dass beide nicht über dieselbe Ehrenstellung verfügen, dann jedoch bedeutet die Versicherung, dass dies auch zukünftig nicht der Fall sein wird, eine Rechtfertigung der Auslösung Hektors gegenüber Hera, vgl. auch Brügger 2009, 45 ad loc. Vgl. van Wees 1992, 144 sowie Richardson 1993, 284 ad Il. 22,66-67. Vgl. Bassett 1933, 47-51, van Wees 1992, 128-130 sowie Yamagata 1994, 15-16 zur Beobachtung, dass die homerischen Götter nur deswegen zu ehren bereit sind, weil er ihnen großzügig opferte, nicht jedoch aus einer generellen Verpflichtung, für den Schutz der Toten zu sorgen. Apolls warnende Formulierung Il. 24,53: μὴ … νεμεσσηθῶμεν („Dass wir es ihm nur nicht verargen!“) zeigt an, dass die Empörung der Götter die Folge sein wird, wenn Achill in seinem Handeln fortfährt, doch zu diesem Zeitpunkt hat Achill den Leichnam Hektors schon zwölf Tage (!) ohne göttliche Intervention geschleift (vgl. Il. 24,12-21, 31). Der Ehrgewinn besteht hier in der materiellen Anerkennung, die Achill mit den Geschenken zuteilwird, vgl. Richardson 1993, 288 ad loc. sowie Brügger 2009, 59-60 ad loc. Im Gegensatz dazu gesteht Macleod 1982, 99 ad loc. den Geschenken nur eine untergeordnete Rolle zu und sieht den bedeutenden Ehrgewinn in der Anerkennung, die Achill durch seine Großzügigkeit gegenüber Priamos erhalten wird. Da jedoch nur Priamos Achills Großmut erfährt, die Geschenke hingegen als sichtbares Zeichen der Anerkennung zurückbleiben, erscheint diese Interpretation fraglich. Vgl. Motto/Clarke 1969, 113, Nagler 1974, 183, Richardson 1993, 289-290 ad loc., Wilson 2002b, 128 sowie Brügger 2009, 68 ad loc. Vgl. auch de Romilly 1981, 13, die als Hauptgrund für das Nachgeben Achills den Willen der Götter ausmacht, dabei jedoch vernachlässigt, dass Zeus auch explizit beschlossen hatte, Achill mit dem Austausch zu ehren.

228

II. Die Ilias und das heroische Ideal

machen. Sie sagt ihm das Geleit des Hermes zu und versichert, dass Achill ihn nicht töten werde (Il. 24,143-188). Priamos beginnt umgehend mit den Vorbereitungen für den Bittgang, fragt jedoch auch Hekabe um Rat wegen der Botschaft der Götter (Il. 24,193-199). Hekabe spricht sich gegen das Vorhaben aus, indem sie Achills Grausamkeit betont, und beklagt den Tod ihres Sohnes (Il. 24,201-216). Sie spricht den Wunsch aus, als Vergeltung Achills Leber roh essen zu können (Il. 24,212-214), und obgleich dieser Wunsch rhetorisch ist, zeigt er doch auch, dass blutige Rache für erlittenes Leid – wie auch Achill sie an Hektors Leichnam vollzieht – in der homerischen Gesellschaft keine Ausnahme darstellt.1004 Sie endet ihre Rede mit der Feststellung, dass Hektor tapfer gegen Achill gekämpft habe (Il. 24,214: οὔ ἑ κακιζόμενον), und vielleicht ist darin die Kritik impliziert, dass Achill nun einen würdigen Gegner auf eine unrühmliche Art misshandle, die gegenüber einem minderen Mann keinen Anstoß erregen würde. Ihre nächsten Worte stellen jedoch diesen Vorwurf in Frage, denn die Aussage, Hektor habe „weder an Furcht noch an Entkommen gedacht“ (Il. 24,214-216), ist faktisch falsch, da Hektor sich Achill zwar zunächst mutig entgegengestellt, dann jedoch die Flucht ergriffen hatte (Il. 22,131-136).1005 Priamos bleibt trotz der Gefahr, die ihm von Achill droht, bei seinem Entschluss, Hektor durch einen Bittgang ins Lager der Griechen auszulösen und wählt das Lösegeld für Achill aus (Il. 24,229-237: Katalog der Geschenke). Im Hof seines Palasts wendet er sich mit harten Worten gegen seine verbliebenen Söhne und treibt sie an, einen Wagen zum Transport der Geschenke vorzubereiten (Il. 24,239-246, 253-264). Diese Vorgänge in Troia zeigen abermals die Auswirkungen der Aristie Achills, und der Topos der Trauer der Eltern und Angehörigen (Il. 24,160-168; vgl. 22,405-407, 430-437, 408-429, 477-515) wird erweitert durch die hilflose Wut des Priamos auf seine überlebenden Söhne, die er mit Vorwürfen bedenkt, dass sie schlechter seien als Hektor und andere schon gefallene Söhne (Il. 24,239, 255-262). Die Verheißung, nach Hektors Tod würden sie schneller von den Griechen getötet werden (Il. 24,243-244), betont die besondere Stellung, die Hektor als Beschützer Troias hatte und weist gleichzeitig auf den bevorstehenden Fall der Stadt voraus. Nach Trankspende und Gebet zu Zeus (Il. 24,281-321) macht sich Priamos auf den Weg und gelangt mit dem zugesicherten Geleit des Hermes zur Wohnstatt Achills (Il. 24,322-469). Hermes öffnet ihm das schwere Tor zu Achills Hütte, das ansonsten nur drei Männer bewegen können, obgleich Achill es auch alleine öffnen kann (Il. 24,453-456). Die kurze

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Siehe dazu Brügger 2009, 88. Vgl. Richardson 1993, 295-296 ad loc.: „Hekabe naturally remembers only Hektor’s courage in facing Akhilleus, and not his flight.“ Ebenso auch Macleod 1982, 106-107 ad loc. und Brügger 2009, 88-89 ad loc.

II.2 Achill und Hektor

229

Ekphrasis des umfriedeten Hofes mit dem gewaltigen Tor, das Gelegenheit bietet, Achills besondere Stärke zu betonen, und der Hütte, die die Myrmidonen ihrem Anführer erbauten (Il. 24,448-456) charakterisiert Achill als mächtigen Herrscher.1006 Als Priamos sich in die Hütte schleicht, findet er den Hausherrn am Tisch sitzend vor, wie er von seinen zwei Gefolgsmännern, den θεράποντες Automedon und Alkimos, bedient wird (Il. 24,471476). Das Mahl erfolgt alleine in seiner Hütte und nicht in Gesellschaft der anderen Heerführer, doch die Darstellungsabsicht des Dichters in dieser Situation erfordert, dass Achill Priamos als überlegener und mächtiger Herrscher empfängt.1007 Priamos tritt daraufhin als Bittflehender in Erscheinung und wirft sich Achill im Gestus der Hikesie zu Füßen und küsst die Hände des Mannes, der viele seiner Söhne tötete (Il. 24,478-479; vgl. 24,506).1008 Indem Priamos die Hände Achills nicht nur fasst, zeigt sich die Intensität der Bitte, die mit ansonsten in der Ilias in keiner Hikesie erreichter, demonstrativer Selbsterniedrigung erzielt wird.1009 Die Bitte des Priamos umfasst damit neben dem Angebot der Freikaufsumme weitaus umfangreichere und bedeutsamere nicht-materielle Ehrerbietung (γέρας als besondere Form der τιμή) als das Gesuch des Chryses in der Eröffnungsszene des Epos. 1010 Achill ist erstaunt, Priamos in seiner Hütte zu sehen (Il. 24,480-484), der ihn direkt anspricht und seine Bitte vorträgt (Il. 24,486-506):1011 Er zielt darauf ab, Achills

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So auch Richardson 1993, 318 ad loc.: „Such a description of a dwelling-place is common at this stage of an ‘arrival scene’ (6.240-50, 6.313-17 […]), but it has its own special function here, the most obvious being to build up the impression of Akhilleus’ greatness.“ Der Bittgang des Priamos weist ferner Gemeinsamkeiten zu einem Abstieg ins Totenreich auf, und Achills Hütte wird damit zum Haus des Hades, vgl. Rabel 1990b, 129 Anm. 13 sowie Crane 1988, 36-37: „After all his bloody vengeance, Achilles has come to resemble a lord of the dead“ (S. 37). Zu Darstellung Achills bei dieser Begegnung siehe v.a. Edwards 1986, 87 und 1987, 308-309. Zwei Begleiter für einen Helden sind ein episches Motiv, das den Status einer Person zum Ausdruck bringt, siehe dazu Nagler 1974, 86-111. Auch als Thetis Achill den Entschluss des Zeus überbrachte, fand sie ihn zwar klagend, aber in Vorbereitung des Mahls im Kreise seiner Gefolgsmänner vor (Il. 24,122-125). Indem die Hände Achills hier als „männermordend“ bezeichnet werden (Il. 24,479: χεῖρας ἀνδροφόνους; vgl. 18,317; 23,18) wird insbesondere auf den Tod Hektors verwiesen, der ansonsten das Epitheton ἀνδρόφονος trägt (z. B. noch in Il. 24,509), vgl. Whallon 1979, Richardson 1993, 323 ad loc. sowie Brügger 2009, 171 ad loc. So Pötscher 1992, 5-6. Zur Verwendung des Motivs des schutzflehenden verbannten Mörders im Gleichnis in Il. 24,480-482 siehe Schlunk 1976, 207-209 und Edwards 1987, 309, sowie Pötscher 1992, 7-12 und Lateiner 1995, 36-40 für den Gestus des Priamos. Vgl. Crotty 1994, 71: „Yet Zeus affords Achilles a hitherto unheard-of honor: the king of the Trojans himself will come and kiss his hands to plead for the return of his son’s body. There could scarcely be a more extravagant proof of the greatness of Achilles‘ victory.“ Zur rhetorischen Struktur der Rede siehe Richardson 1993, 324 und Brügger 2009, 174.

230

II. Die Ilias und das heroische Ideal

Mitleid zu erwirken, indem er sich mit dessen Vater Peleus parallelisiert, der zumindest noch darauf hoffen kann, seinen Sohn lebend wiederzusehen (Il. 24,486-492; vgl. den Rat des Hermes in 24,357, 466). Er macht daraufhin von dem Motiv des trauernden Vaters Gebrauch, indem er beklagt, dass von seinen ursprünglich 50 Söhnen, die er vor der Ankunft der Griechen hatte, die Besten schon im Kampf gefallen sind (Il. 24,493-498; vgl. 24,255-262). Unter diesen nahm Hektor eine besondere Stellung als Beschützer der Stadt ein, und während Priamos als Mörder seiner anderen Söhne nur den „ungestümen Ares“ nennt, spricht er doch Achill explizit als denjenigen an, der Hektor tötete (Il. 24,499-501).1012 Damit erinnert er ihn daran, dass er schon für den Tod des Patroklos an Hektor Rache (ποινή/τίσις) genommen und auf diese Weise seiner τιμή Genüge getan hatte.1013 Mit der Erwähnung des Namens seines Lieblingssohnes bringt Priamos seine Bitte vor, Achill möge Hektors Leichnam gegen Lösegeld freigeben (Il. 24,501-502). Er bittet um Achills Mitleid (Il. 24,503-504) und beschließt diese Rede, indem er auf die unerhörte Selbsterniedrigung verweist, die er zu erbringen bereit war, indem er die Hände des Mörders seiner Kinder küsste (Il. 24,504-506). Er verweist zwar auf das Lösegeld, das er mit sich bringt (Il. 24,501-502), lässt jedoch die damit verbundenen Gründe, die Achill zur Annahme der Hikesie bewegen sollen, unausgesprochen: Die Annahme bestärkt Achills Status, denn sowohl die Geschenke (ἄποινα) als auch die Ehrerbietung des Priamos (γέρας) sind Zeichen der Anerkennung der τιμή des Empfängers.1014 Denn mit der Freigabe Hektors gehen konkret der Gewinn des Lösegelds und die Ehrung und Anerkennung von Achills überlegenem Status einher.1015 Die intensive Bitte führt dazu, dass beide Helden sich an die Menschen erinnern, die ihnen nahe standen, und gemeinsam klagen (Il. 24,507512).1016 Erst im Anschluss daran nimmt Achill die Hikesie des Priamos offiziell an, indem er ihm aufhilft (Il. 24,513-516; vgl. zuvor 24,508) und mit

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Zur abschließenden Nennung Hektors als Klimax siehe Brügger 2009, 178-179 ad Il. 24,498, 499. Vgl. Wilson 2002b, 129-133. Vgl. Zanker 1994, 115-116. Zum materiellen Gewinn siehe auch Hooker 1989, 86. Vgl. jedoch Zanker 1998, 84-92, der argumentiert, dass Achills Verhalten hier durch Altruismus motiviert ist und Überlegungen der τιμή nur eine untergeordnete Bedeutung einnehmen. So auch Crotty 1994, 8: „This ceremony is not simply the occasion for reflections on the mortal condition; it also honors Achilles for his military prowess.“ Die Ambiguität des Erfolgs des Achill betont auch Crotty 1994, 71: „The death of his dearest companion Patroclus, however, demonstrated in a grimly ironic way that Zeus does not honor Achilles, at least not in the sense that he dependably carries out Achilles‘ wishes for unrivalled prestige. Priam’s supplication truly honors Achilles for his excellence but at the same time reflects Achilles‘ inability to keep those he

II.2 Achill und Hektor

231

einer tröstenden Rede bedenkt (Il. 24,518-551).1017 Die Annahme der Hikesie steht im Einklang mit Achills früherem Verhalten vor dem Tod des Patroklos, doch als Priamos unmittelbar nach dieser Trostrede fordert, Hektors Leichnam zu sehen, und Achill zur Annahme des Lösegelds drängt (Il. 24,553-558), reagiert dieser überaus ungehalten (Il. 24,559: ὑπόδρα ἰδών). Obgleich er sich bewusst ist, dass die Götter die Auslösung in die Wege geleitet und Priamos zu seiner Hütte geführt hatten, droht er sich in dieser Situation zu vergessen und die Hand gegen Priamos zu erheben (Il. 24,560-570).1018 Achill macht auf diese Weise deutlich, dass er der Herr der Lage ist und dass trotz der göttlichen Anweisungen letztendlich die Entscheidung, den Leichnam des Mannes, der seinen treuen Gefährten tötete, freizugeben, seine eigene ist. Priamos fügt sich furchtsam, und Achill verlässt mit seinen θεράποντες die Hütte, um nun aus eigenem Antrieb sich das Lösegeld zu nehmen und den Leichnam Hektors für die Übergabe vorzubereiten (Il. 24,571-579).1019 Dabei wird er mit einem kurzen Löwengleichnis beschrieben, wie es sonst in Schlachtschilderungen erscheint (Il. 24,572: λέων ὥς = 11,129; 20,164), das zeigt, dass Achill auch bei aller Milde ein gefährlicher und bedrohlicher Kämpfer bleibt.1020 Nachdem er die materielle Rekompensation des Priamos in Besitz genommen hat, beginnt er das Begräbnisritual für Hektor, indem er ihn waschen, salben und in saubere Gewänder hüllen lässt (Il. 24,580-590). Die Gewänder wählt er aus den Gaben des Priamos und achtet darauf, Hektor auch im Tod nicht mit dem Geschenk eines Feindes zu ehren,1021 hebt ihn jedoch zum Abschluss eigenhändig auf den Wagen, der ihn zurück nach Troia bringen wird.1022 Bevor er ins Zelt zurückkehrt, um den Austausch mit Priamos abzuschließen, wendet er sich mit einem kurzen Ausruf an

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most cherishes alive and happy. The goodness of victory is both recognized and circumscribed.“ Die Schmach, Patroklos nicht vor dem Tod bewahrt zu haben, scheint jedoch durch die vollständige Rache an Hektor ausgemerzt zu sein. Zurück bleibt nur das Gefühl menschlichen Verlusts. Für eine ausführliche Interpretation von Mitleid als einer weiteren Motivation des Handelns Achills (Il. 24,516: οἰκτίρων) vgl. Crotty 1994, 3-23, Kim 2000, 146-151, Most 2004, 67-73 sowie Grethlein 2006a, 291-302. Zu Mitleid (ἔλεος) bei Homer siehe v.a. Yamagata 1994, 176-182. Zur psychologischen Plausibilität sowie zum motivischen Aufbau der Reaktion Achills siehe Minchin 1986. Auch hier hebt die formelhafte Erwähnung der zwei θεράποντες (Il. 24,572: οὐκ οἶος, ἅμα τῷ γε δύω θεράποντες ἕποντο) Achills Status und seine Kontrolle der Situation hervor, vgl. Nagler 1974, 86-111. Vgl. Macleod 1982, 137 ad loc., Richardson 1993, 336 ad loc. sowie Brügger 2009, 204 ad loc. Vgl. Edwards 1986, 86. Kommentatoren (Macleod 1982, 138, Richardson 1993,337, Brügger 2009, 206-207) stimmen darin überein, dass Achills Sorge um den Leichnam des Feindes besondere Wertschätzung und Fürsorge zum Ausdruck bringt.

232

II. Die Ilias und das heroische Ideal

Patroklos, bittet um Verständnis für die Freigabe Hektors und verspricht, ihm an den Geschenken Anteil zu geben (Il. 24,591-595).1023 Nach diesen Vorbereitungen tritt Achill zurück zu Priamos in seine Hütte und besiegelt die Transaktion mit einem gemeinsamen Mahl (Il. 24,621-628). Er erzählt die Geschichte der Niobe, um Priamos trotz seiner Trauer zum Essen zu bewegen (Il. 24,599-620), und Priamos fügt sich ohne Widerspruch. Das einvernehmliche Mahl festigt die situativen Hierarchien, und im Gegensatz zu Achill, der sich in seiner Trauer um Patroklos weigerte, mit Agamemnon zusammen zu essen, um die offizielle Anerkennung der trügerischen Geschenke zu umgehen (vgl. Il. 19,205-214), beendet Priamos hier sein Fasten aus Trauer um Hektor, um die erfolgreiche Übergabe der Freikaufgaben und damit die Auslösung des Sohnes zu bekräftigen (vgl. Il. 24,641-642). Die Bedeutung des Augenblicks, als der ehrwürdigste Troianer mit dem stärksten Griechen nach Abschluss des Essens zusammensitzt, wird durch die Erwähnung ihres edlen Aussehens hervorgehoben. Der Verweis auf die körperliche Schönheit betont ihren Heldenstatus, und auch Priamos wird trotz seines hohen Alters (vgl. Il. 22,74-75; 24,487-489) mit heldentypischer Schönheit dargestellt: Il. 24,629-633: ἤτοι Δαρδανίδης Πρίαμος θαύμαζ᾿ Ἀχιλῆα, ὅσσος ἔην οἷός τε· θεοῖσι γὰρ ἄντα ἐῴκει· αὐτὰρ ὃ Δαρδανίδην Πρίαμον θαύμαζεν Ἀχιλλεύς εἰσορόων ὄψιν τ᾿ ἀγαθὴν καὶ μῦθον ἀκούων. Da staunte Priamos, der Nachfahre des Dardanos, über Achill, wie groß und schön er war: denn den Göttern glich er von Angesicht; jedoch über Priamos, den Nachfahren des Dardanos, staunte Achill, als er sein edles Antlitz sah und seine Rede hörte.

Nachdem infolge der beherzten Selbsterniedrigung des Priamos der Austausch von Hektors Leichnam gegen das reichliche Lösegeld abgeschlossen und mit einem gemeinsamen Mahl besiegelt wurde, markiert die gegenseitige Bewunderung der beiden Helden nun ihre Ebenbürtigkeit.1024 Nach Abschluss des Mahls begeben sich beide zu Bett (Il. 24,633-648), und Achill weist Priamos ein Bett außerhalb seiner Hütte zu, damit dieser nicht zufällig bei ihm gefunden, gefangen und nur gegen Lösegeld wieder freigege-

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Antike Kritiker nahmen Anstoß an der Erwähnung der Geschenke und der materialistischen Haltung Achills in Il. 24,594-595 (vgl. Richardson 1993, 338-339 ad loc.), doch die Übergabe des Lösegelds wurde von Zeus bestimmt (vgl. Il. 24,75-76, 116119, 137, 145-147, 175-176) und stellt den wichtigsten Bestandteil der Ehrung Achills an der Übergabe dar. Vgl. Macleod 1982, 142 ad loc. sowie Lateiner 1995, 37 Anm. 15.

II.2 Achill und Hektor

233

ben werde (Il. 24,650-655; vgl. 24,685-688). Achill schützt das Leben des Priamos und bietet zudem einen Waffenstillstand für die Zeit der rituellen Trauer und der Bestattung Hektors an (Il. 24,657-658). Beide einigen sich auf eine zwölftägige Kampfpause und besiegeln das Abkommen mit Handschlag (Il. 24,659-672).1025 Achill nimmt damit für sich in Anspruch, eine verbindliche Abkunft für das gesamte Heer treffen zu können, wie sie zuvor nur Agamemnon als oberster Heerführer zusichern konnte (vgl. den Waffenstillstand zur Bergung der Toten zwischen Priamos und Agamemnon in Il. 7,372-378, 394-397). Doch kann er offenbar aufgrund seiner unumstrittenen Vorrangstellung im griechischen Heer, ohne Agamemnon vorher zu informieren, Priamos zusichern, er werde seine Mitstreiter für zwölf Tage zurückhalten (Il. 24,658: αὐτός τε μένω καὶ λαὸν ἐρύκω; 24,670: σχήσω γὰρ πόλεμον). Danach legen sie sich schlafen; Briseis liegt neben Achill (Il. 24,675-676) und bestätigt, dass Achill, nachdem er seinen Anspruch auf besondere Ehre gegenüber Agamemnon durchsetzen konnte, wieder ins Heer zurückgekehrt ist. Auf Betreiben des Hermes kehrt Priamos noch in der Nacht nach Troia zurück, wo der Leichnam Hektors von den Troianern in Empfang genommen und beklagt wird (Il. 24,677-722). Die folgenden Klagereden (Il. 24,723776) und die abschließende Bestattung (Il. 24,777-804) ehren Hektor und bringen einige Themen der Ilias zu einem pointierten Abschluss:1026 Hektors Tod bringt den Menschen, die ihm nahestanden, großes Leid, lässt sie schutzlos zurück (Andromache, Il. 24,725-732, 741-745; Helena, 24,761-775) und wird zum Fall der Stadt führen (vgl. Il. 24,732-7401027). Hektor war zu Lebzeiten ein Liebling der Götter und wurde auch im Tod von ihnen bewahrt, doch vor Achill konnten sie ihn nicht retten (Hekabe, Il. 24,748-759). Mit der Verbrennung und dem Heldenbegräbnis des Hektor, das die letzte Ehre des toten Helden und die Grundlage für sein bleibendes Andenken (Il. 24,799, 801: σῆμ᾽/σῆμα) darstellt, gleichzeitig aber auch den endgültigen Abschluss des Zornes Achills markiert und auf Troias Brennen und das Ende des Krieges vorausweist, endet das Epos.

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Vgl. Richardson 1993, 345-347 sowie Brügger 2009, v.a. 231 zu dieser Szene. Vgl. Macleod 1982, 148-149. Eindringlich ist insbesondere das Schicksal des Astyanax, der entweder mit seiner Mutter in die Sklaverei gehen muss oder von einem Griechen aus Rache von einem Turm der Stadt hinabgestürzt werden wird. Letztere Version ist aus einigen der Kyklischen Epen bekannt, vgl. Macleod 1982, 151, Richardson 1993, 354-355 und Brügger 2009, 252 ad loc.

234

II. Die Ilias und das heroische Ideal

II.2.3 Zusammenfassung der Beziehung zwischen Achill und den Troianern Achills vollendete Aristie und seine Erfolge gegen die Troianer auf dem Schlachtfeld zeigen ihn unumstritten als den besten Kämpfer der Griechen und bestätigen damit explizit die Vortrefflichkeit, auf deren Grundlage er die Ehrenstellung des ἄριστος Ἀχαιῶν für sich gegenüber Agamemnon beansprucht hatte (vgl. Il. 1,162-166). Nach seiner anfänglichen Kampfverweigerung ist es die heroische Motivation des Zornes gegen Hektor wegen der Tötung des Patroklos, die ihn zurück auf das Schlachtfeld bringt, und indem Achill nicht nur blutige Rache für den Tod des Gefährten (ποινή) nehmen kann, sondern anschließend für die Freigabe der Leiche Hektors auch noch mit Zustimmung der Götter durch die Übergabe von reichlichem Lösegeld (ἄποινα) aus der Hand des troianischen Königs persönlich in materieller Hinsicht Ehrung und Anerkennung erhält, wird seine Überlegenheit zusätzlich in einmaliger Weise von den Kriegsfeinden anerkannt. Doch die Tötung Hektors bedeutet in der Stilisierung der Ilias weitaus mehr als nur die Rache für den Tod des Patroklos und die Behauptung der eigenen Ehre. Denn indem Achill den wichtigsten Kämpfer auf troianischer Seite, der das Heer der Griechen mehrfach in schwere Bedrängnis brachte, ausschaltet, gewinnt er großen Ruhm und Anerkennung bei seinen Kampfgefährten (Il. 22,217: οἴσεσθαι μέγα κῦδος Ἀχαιοῖσι προτὶ νῆας;1028 vgl. auch 22,393-394) und wird in der Darstellung der Ilias zum Wegbereiter der Einnahme Troias und damit implizit zum Eroberer der Stadt. Bei der Bestimmung der Ilias als monumentalem Vertreter der traditionellen Heldendichtung darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Deutung vertreten wurde, das Epos stelle dieses Konzept in Frage, indem es durch seine tragischen Protagonisten vor Augen führe, welchen Preis individuelles Heldentum vom einzelnen Helden wie auch von dessen Gesellschaft fordern kann. Zwei Vertreter dieser kritischen Lesart seien hier zitiert: „One may say that death and dying are simply what heroic epic is about, the same way one might claim that the wounds in the Iliad are only exercises in demonstrating the warrior’s ability to overcome his flesh. But that would be to forget that the Iliad is not simply in the business of bestowing kleos, although it is committed, of course, to that, too. Its complex, multi-layered engagement with suffering also

1028

Der Dativ Ἀχαιοῖσι ist damit nicht als Dativus commodi „für die Achaier“, sondern in der Bedeutung „in den Augen der Achaier“ zu verstehen, vgl. Il. 4,94; 9,303 sowie Edwards 1991, 130 ad loc.

II.3 Der Tod Achills

235

inaugurates a tradition of questioning whether those twin phantoms, undying kleos and Helen, justified their costs.“1029 „Die Ilias – ein Heldenepos, dem es um die Verherrlichung kriegerischer ἀρετή geht? Es dürfte deutlich geworden sein, wie schief ein solches Bild ist, wie sehr insbesondere die literarische Gestaltung des Haupthelden darauf abzielt, den Vorstellungshorizont einer Gesellschaft zu irritieren, die der Kategorie kriegerischen Heldentums einen entscheidenden Wert beimaß und die vom epischen Dichter sicherlich eine Bestätigung dieses Denkens erwartete. Mit der Problematisierung heldischer Größe und kriegerischer ἀρετή stellte das Epos für das zeitgenössische Publikum ein Potential dar, das geeignet war, eingefleischte Handlungsmaximen in Frage zu stellen und neuen Wertmaßstäben Raum zu brechen.“1030 Diese Urteile sind aus der Perspektive des Rezipienten, vielleicht insbesondere aus der Sicht des modernen Lesers und seinem Wunsch nach einer kritischen Haltung gegenüber dem gewalttätigen iliadischen Kriegsheldentum, gesprochen, und finden m. E. im Werk selbst keine interne Bestätigung. Im Einklang mit ihrer Tradition zeigt die Ilias in poetisch idealisierter, doch unbeschönt realistischer Darstellung Größe und Leid des Menschen und seiner Existenz, und wenn sie denn tatsächlich einen Endpunkt der mündlichen Heldendichtung markierte, dann indem sie deren Werte monumental in vorher nie dagewesenem Umfang verkörperte (und vielleicht auch schriftlich fixierte), nicht indem sie ihre Geschichte und ihre eigenen Tradition in Frage stellte. Zu Bekräftigung dieser Einschätzung soll im letzten Abschnitt ein Blick auf die Frage geworfen werden, wie der Dichter der Ilias mit dem traditionellen Motiv des Todes Achills vor Troia in seinem Epos umging.

II.3

Der Tod Achills

Obgleich nun in der Darstellung der Ilias Achill als Wegbereiter der Einnahme Troias und implizit als Eroberer der Stadt dargestellt ist, wird Achill entsprechend der epischen Tradition den Fall Troias selbst nicht erleben. Ein Aspekt, der bei den bisherigen Ausführungen nur angedeutet werden

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Holmes 2007, 80-81. Vgl. auch Kirk 1968, 99-103 und Griffin 1986, 3, die die Ilias als ein Plädoyer für eine Hinwendung zu einem humanen Heldenkonzept lesen. Effe 1988, 15 = 1989, 22-23. Vgl. auch Kirk 1962, 353-354: „Much of the Iliad presents the heroic way of life with implied approval: that was the tradition which had descended from the heroic age itself, and in a sense the first questioning of the ultimate perfection of heroic standards was, as well as its consummation, the beginning of the epic’s decline.“

236

II. Die Ilias und das heroische Ideal

konnte und hier nun eine umfassendere Behandlung erfahren soll, ist die Darstellung des Todes Achills. Achill ist, wie alle anderen Helden auch, sterblich,1031 und die Ilias lässt keinen Zweifel daran, dass sein Tod bevorsteht. Die Hinweise darauf werden im Fortgang der Handlung zunehmend konkreter: Ihm ist ein früher Tod vorbestimmt (Il. 1,352, 416: μινυνθάδιος; 1,417; 18,95: ὠκύμορος; 1,505: ὠκυμορώτατος ἄλλων), er wird vor Troia fallen, wenn er sich entscheidet zu bleiben und weiterkämpft (Il. 9,411-413), er wird den Fall Troias nicht erleben (Il. 17,406-408), sein eigener Tod wird bald nach dem Tod Hektors folgen (Il. 18,95-96), sein Tod wird von einem Gott und einem Mann herbeigeführt werden (Il. 19,416-417), bis hin zur Voraussage des sterbenden Hektor, dass Paris und Apoll ihn am Skäischen Tor töten werden (Il. 22,358360; vgl. 21,277-278; 23,81).1032 Der Tod Achills ist jedoch nicht nur in Ankündigungen vorausgedeutet, sondern auch symbolisch ein Teil der Ilias. Patroklos tritt auf dem Schlachtfeld an Achills Stelle und fungiert als Doublette für Achill:1033 Sein Tod in den berühmten Waffen des Peleus repräsentiert den Tod Achills.1034 Der Tod des Patroklos ist nach den Angaben gestaltet, die auf den Tod Achills vorausdeuten: Auch er wird durch göttliches und menschliches Zutun erwirkt, denn zunächst schlägt ihm Apoll die göttliche Rüstung Achills vom Leib und lähmt ihn (Il. 16,788-806). Der Troianer Euphorbos trifft den

1031 1032

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1034

Vgl. oben I.6.1. Zur Sterblichkeit Achills siehe auch Szabó 1956, 74-82. Vgl. auch West 2003, 6: „The death of Achilles, after all, was a theme very much on the Iliad poet’s mind. He is constantly looking forward to it, and indeed creates the expectation that it will occur before the end of the poem.“ Vgl. Fenik 1968, 148-152 und Nickel, 2002, 221-225 zur Identifikation einer Person als Doublette durch „cumulative presence of personality traits, motifs, and/or action sequences (...) that the poet also uses for another character known to be attached to that character in the epic tradition“ (Zitat von Nickel 2002, 223). Zum Tode des Troianers Hippothoos (Il. 17,288-303) als weitere Doublette für Achills Tod siehe Rabel 1990b. Die Erkenntnis, dass der Tod des Patroklos den Tod Achills evoziert ist eine Einsicht der Neoanalyse, die davon ausgeht, dass die Darstellung der Aithiopis (siehe die Zusammenfassung des Proklos bei Allen 1912, 106.7-9) als Vorlage der Ilias diente, vgl. z.B. Heubeck 1991, 461-466 sowie Janko 1994, 312-313. Die hier vertretene Position setzt jedoch nicht die Existenz eines früheren Epos voraus, in dem der Tod des Achill berichtet wurde (eine Behauptung, die sich weder schlüssig beweisen noch wiederlegen lässt), vgl. dazu auch Burgess 2006, 148-155, sondern deutet den Befund intratextuell: Der Dichter der Ilias ist offensichtlich mit der Fassung des Todes Achills vetraut, die in den Kyklischen Epen dargestellt war und gestaltet den Tod des Patroklos in Anlehnung an diese Fassung, um auf das bevorstehende Ende Achills hinzuweisen. Zahlreiche motivische Ähnlichkeiten machen diesen Schluss plausibel, siehe dazu ausführlich Burgess 2009, 75-92. Dies entspricht auch der üblichen Vorgehensweise des Epos, andere Episoden des Troianischen Krieges symbolisch miteinzubeziehen, vgl. dazu Heubeck 1991 und Dowden 1996.

II.3 Der Tod Achills

237

schutzlosen Helden mit einem Speer in den Rücken, verwundet ihn und zieht sich sofort wieder zurück (Il. 16,806-815), doch Patroklos überlebt die Verletzung. Erst dann tritt Hektor hinzu und tötet den verwundeten und schutzlosen Patroklos (Il. 16,818-857). Diese Szene ist oftmals interpretiert worden,1035 zeigt jedoch deutlich die Darstellungsabsicht des Dichters: Die Gestaltung dieser Androktasie spiegelt den Tod Achills unter der Einwirkung Apolls wieder, so wie er ihm prophezeit wurde (Il. 19,416-417; 22,358360), doch hinsichtlich der menschlichen Teilnahme musste eine Modifikation stattfinden: Aus narrativer Notwendigkeit muss Hektor Patroklos töten und als Entehrung Achills seine Rüstung an sich nehmen, um dessen Rachezorn auf sich zu ziehen und ihn wieder zur Rückkehr in die Schlacht zu bewegen. Da jedoch die Tötung des Patroklos gleichzeitig den Tod Achills darstellt, kann nicht Hektor allein die Ehre dieser Tötung zukommen, da er Achill nicht einmal symbolisch töten darf. Zu diesem Zweck erscheint Euphorbos, um den Helden zuvor durch eine Verwundung zu schwächen, und noch mit seinem letzten Atemzug wirft Patroklos Hektor vor, er hätte ihn niemals allein töten können und sei nur der dritte, der nach Apoll und Euphorbos seinen Tod herbeigeführt hätte (Il. 16,843-850).1036 Euphorbos hingegen ist ein unbedeutender Kämpfer; er rühmt sich zwar, Patroklos zuerst getroffen zu haben (Il. 17,14-16), doch die Ehre der Tötung kann er nicht für sich beanspruchen und wird auch selbst umgehend von Menelaos im Kampf um den Leichnam des Patroklos getroffen und getötet (Il. 17,45-60). Auf diese Weise wird Hektor zum einzig greifbaren Mörder

1035

1036

Insbesondere der Charakter des Euphorbos und seine Bedeutung sind dabei untersucht worden; ein kurzer Überblick über einige Forschungsmeinung vermag das Problem und seine Lösung mit Hilfe der neoanalytischen Doublettentechnik illustrieren: Mühlestein 1987 deutet Euphorbos als eine Doublette des Paris, und erklärt den Tod des Patroklos als Verschmelzung von zwei Episoden der Aithiopis, (1) des Todes des Antilochos (repräsentiert durch Patroklos) durch Memnon (Hektor) und (2) des Todes des Achill durch Paris (Euphorbos) und Apoll. Diese Interpretation, die auch von Janko 1994, 410, 414-415 akzeptiert wird, ist sehr subtil und setzt wiederum voraus, dass diese Szene der Ilias nach einem der Gedichte der Kyklischen Epen gestaltet wurde. Nickel 2002, 217-221 hingegen lehnt die Hypothese auf der Grundlage, dass kein ausreichendes Material für die Verbindung von Euphorbos mit Paris zur Verfügung steht, ab. Stattdessen erklärt er Euphorbos als eine Doublette für Achill selbst, und es erfolgt eine Verschmelzung von zwei Ideen, (1) Euphorbos (als Achilles) sei für den Tod des Patroklos verantwortlich und (2) Euphorbos (Achilles) verwundet Patroklos (Achilles) und zeigt auf diese Weise seine selbstmörderischen Tendenzen, so Nickel 2002, 228-231. Die erste Idee ist nicht zutreffend, denn Patroklos hat seinen Tod selbst verschuldet (Il. 16,685-687), die zweite Beobachtung ist übertrieben, da Achill nicht selbstmörderisch gegen Hektor in den Kampf zieht, sondern nur – wie alle Helden – bereit ist, seinen eigenen Tod zu akzeptieren. Zur Minderung der Ehre der Tötung durch die Rolle des Euphorbos siehe Allan 2005, 4-10.

II. Die Ilias und das heroische Ideal

238

des Patroklos, ohne jedoch den Erfolg der Tötung und die Ehre der symbolischen Überwindung Achills für sich beanspruchen zu können, und zieht sich dadurch den Zorn des Achill zu. Infolgedessen trifft Achill die Entscheidung, Patroklos zu rächen und damit sein Leben für Ruhm und Rache zu geben (vgl. Il. 9,412-416). Der Heldentod Achills vor den Mauern Troias und seine Verewigung als bedeutendster Kämpfer der Griechen im kollektiven Andenken in Form von epischer Heldendichtung entsprechen dem heroischen Ideal (vgl. Il. 9,411-413; 18,114-121).1037 Der Dichter macht jedoch von diesem Ideal im Fall Achills in besonderer Weise Gebrauch, denn indem Achills Tod nur implizit und symbolisch thematisiert und als gegeben angesehen wird, ohne dass er innerhalb der Ilias-Handlung stirbt, wird ihm noch in weiterer Hinsicht ein besonderer Status zugewiesen. Achill ist zugleich lebendig und tot: Er stirbt symbolisch den Heldentod auf dem Schlachtfeld, ohne wirklich besiegt zu werden und folglich ohne zu scheitern, und kann schon zu Lebzeiten unsterblichen Ruhm erwerben, indem er durch die Tötung Hektors die Eroberung Troias möglich macht, die er selbst nicht mehr erleben wird (Il. 19,420-423; 22,358-360).1038 Die Heldendichtung, die ihm in Anerkennung seines kurzen Lebens und seiner besonderen Stellung als κλέος ἄφθιτον in Aussicht gestellt wurde (Il. 9,412-413), ist somit nichts anderes als die Ilias selbst.1039

II.4

Schlussfolgerungen: Achill, der ideale Held

Die Ilias ist in ihrem Charakter als epische Heldendichtung fest verwurzelt in einem archaischen, kompromisslosen und nach modernen Sensibilitäten durchaus grausamen Heldenkonzept: Der iliadische Held ist ein Mensch, der immer bestrebt ist, sich durch die Auszeichnung vor seinen Standesgenossen Ehre und Ruhm zu erwerben. Aus der Rivalität zwischen Achill und Agamemnon, die in ihrem Wesen als Helden begründet ist, entsteht der Streit am Beginn der Ilias, aus der heroischen Reaktion auf den Tod des Patroklos ergibt sich Achills Wiedereintritt in die Schlacht und die Vernichtung Hektors. Wie gezeigt werden konnte, stehen die Entscheidungen Achills vollkommen im Einklang mit den konventionellen Verhaltensnormen eines

1037 1038

1039

Zu diesem Ideal vgl. oben I.6.2. Zu Achills Tod als besonderer „Signatur seines Ruhms“ siehe auch Gödde 2012, 112118. Vgl. Pucci 1987, 139: „The Iliad is not merely the instrument for proclaiming Achilles‘ glory; it is itself the embodiment of that glory (kleos).“ Die Ilias feiert sich damit implizit als unvergängliche Dichtung selbst, vgl. v.a. Edwards 1985a, 75-79.

II.4 Schlussfolgerungen

239

homerischen Helden und seinem unerbittlichen Streben danach, sich immer als der Beste bewähren zu können.1040 Achill zeigt das typische aggressiv-individualistische Verhalten eines homerischen Helden, der für seine eigene Ehre auch den Tod seiner Mitstreiter akzeptiert, und an keinem Punkt der Handlung hat er nach den Maßgaben des heroischen Verhaltenskodex einen Fehler begangen.1041 Die Richtigkeit und Berechtigung seines Verhaltens wird an keiner Stelle von anderen Helden ernsthaft in Frage gestellt, und er hat die Sympathien der anderen großen Helden der Griechen wie auch des Publikums auf seiner Seite.1042 Auf diese Weise kann er sich in zweifacher Hinsicht als der Inbegriff des homerischen Heldentums beweisen: Gegenüber Agamemnon kann er durch seine konsequente Ablehnung von dessen politischer Machtbasis und statusbedingtem Herrschaftsanspruch letztendlich seine eigene Überlegenheit durchsetzen, deren Grundlage er mit seinem überragenden Erfolg auf dem Schlachtfeld gegen Hektor demonstrieren kann. Achills Rückzug kostet viele Griechen ihr Leben, aber sein Wiedereintritt erwirkt den Gewinn des Krieges. Doch sein Sieg über Hektor führt nicht nur zum Fall der Stadt, sondern auch zur uneingeschränkten Anerkennung seiner überlegenen Kampfkraft durch den Kriegsfeind. Dies bedeutet nicht, dass diese Ehrungen von Freund und Feind auf Achills bewusste Planung zurückgehen, denn der Ablauf der Ilias ergibt sich durch seine momentanen Entscheidungen in Einhaltung der heroischen Konventionen. Achill hat durch sein unerbittliches Festhalten an den heroischen Werten das Ziel jedes Helden erreicht und sich nicht nur Anerkennung und Ehre zu Lebzeiten (τιμή), sondern auch Unsterblichkeit in unvergänglichem Ruhm und die Verewigung im kollektiven Andenken in Form von epischer Heldendichtung (κλέος ἄφθιτον) gesichert. Der Preis, den er für diese Anerkennung zahlt, ist der Verlust seines Gefährten Patroklos und die Gewissheit des eigenen bevorstehenden Todes, denn wie der Fall Troias, so ist auch der Heldentod Achills auf dem Schlachtfeld mehrfach angedeutet. Hierin zeigt sich die Ilias als traditionelles Heldenepos, das trotz aller Menschlichkeit der Darstellung von Leid und Krieg in den heroischen Kategorien von Ehre und Schande konzipiert ist und gedeutet werden muss.

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Vgl. Bassett 1933, 65, der Achill sogar als „the knight sans peur et sans reproche of the Greek Heroic Age“ bezeichnet. In der Forschung wurde mehrfach ein Fehler Achills bis hin zur Abwendung von den heroischen Verhaltensnormen postuliert, siehe dazu die Deutungen von Bassett 1933, 59-60 und 1934, Rutherford 1982, 145 et passim, Arieti 1984, Effe 1988, Redfield 1994, 91-98, 106-107 et passim, Erbse 2001, de Jong 2012, 16-17, u.a. [(moralische) Verfehlung des Achill] sowie Szabó 1956, 84-85, Sale 1963, Schein 1984, 104-110, Arieti 1986, Held 1987, 250, Kim 2000, 78-103, u.a. (Entsagung des heroischen Verhaltenskodex). Vgl. auch Hellmann 2000, 81-84.

240

II. Die Ilias und das heroische Ideal

Die ethischen und moralischen Kategorien von Glück und einem zufriedenen Leben oder rechtem und richtigem Handeln sind in der Welt und der Gesellschaft der Ilias nicht von Bedeutung, oder verblassen doch zumindest zur Bedeutungslosigkeit vor der überragenden Rolle, die persönlicher Ehre und gesellschaftlicher Anerkennung als Motivationen heroischen Handels zugeschrieben werden.1043 Ein Blick auf Hektor, den „anderen Helden“ der Ilias, bestätigt diese Einschätzung, da er sich ebenfalls durch das kompromisslose Befolgen der Vorgaben des heroischen Verhaltenskodex auszeichnete. Das Streben nach Ruhm und die Furcht vor Schande waren es, die Hektor zum Kampf mit Achill trieben: Während Achill durch seine überlegene Kampfkraft als Sieger aus ihrem Zweikampf hervorging und am Ende auf Kosten des Lebens seines liebsten Gefährten und seines eigenen Lebens zu höchster Ehre und ewigem Ruhm gelangte, wird Hektor nach seinem Tod von seiner Gemeinschaft mit einem angemessenen Begräbnis geehrt und auch das Andenken an ihn und seinen Kampf gegen Achill wird für die Nachwelt bewahrt bleiben. Trotz seiner Niederlage und des Verlusts seines Lebens erreicht er das Ziel von Ehre und dauerndem Andenken, doch dafür ließ er seine Stadt und die Menschen, für die er kämpfte und sich opferte, schutzlos zurück. Hektors Schicksal ist folglich ebenso typisch für einen homerischen Helden, dessen Existenz darin besteht, so lange zu kämpfen und zu töten, bis er auf einen stärkeren Gegner trifft, von dem er in ehrenvollem und ruhmreichem Kampf auf dem Schlachtfeld getötet wird.

1043

Vgl. auch Achills Erzählung von den Gefäßen des Zeus (Il. 25,527-533), aus denen dieser den Menschen Gutes und Schlechtes (nicht Glück und Unglück) zuteilt.

III.

Die Odyssee und der Held im Wandel

Nach dieser Betrachtung der Ilias und ihrem Heldenkonzept gilt es nun, den Blick auf das zweite homerische Großepos zu richten. Die Odyssee ist schon auf den ersten Blick ein Epos anderer Prägung, da sie zwar unzweifelhaft derselben Tradition mündlichen hexametrischen Dichtens entstammt, dabei jedoch auch zahlreiche Motive enthält, die kaum der Tradition der Heldendichtung zugerechnet werden können, sondern ihren Ursprung in volkstümlichen Erzählungen, Sagen oder Märchen haben.1044 Die Odyssee weist sowohl im Hinblick auf Aufbau und Erzähltechnik als auch in motivisch-thematischer Hinsicht große Unterschiede zur Ilias auf,1045 sodass eine Untersuchung der Odyssee vor dem Hintergrund des iliadischen Heldenkonzepts sich nur auf die episch-heroischen Motive des Epos beziehen kann und versuchen festzustellen, wie der Dichter mit diesen Elementen umging.1046 Die hierbei aufgezeigten Bezüge sind somit zunächst intertextuell, setzen die Odyssee jedoch auch zur gesamten epischen Tradition in Bezug, da anzunehmen ist, dass das Ideal der Ilias zumindest in weitem Teilen repräsentativ für die gesamte frühgriechische Epik ist. Nach einigen einleitenden Bemerkungen zum Heldentum der Odyssee, insbesondere wie es sich zum Beginn des Epos expositorisch in der sog. Telemachie darstellt, wird dabei die Person des Odysseus und seine Darstellung als homerischer Held in den Mittelpunkt treten. Im Gegensatz zur Ilias treten in der Odyssee nicht eine Vielzahl von Helden auf, sondern nur ein einzelner Held, der Titelheld Odysseus, ist Träger und einheitsstiftendes

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1045 1046

Grundlegend hierzu v.a. Hölscher 2000. Segal 1994, 65-84 behandelt zusätzlich den Bereich des Rituals. Für eine Zusammenstellung siehe Marg 1973 und Rutherford 1991-1993. Für die vorliegende Studie ist ausschließlich die Darstellung und Bewertung des Helden und seiner Taten von Bedeutung. Die Frage nach der Gattung der Odyssee im Gegensatz zur Ilias kann hier nicht ausreichend thematisiert werden, obwohl sich auch das zweite homerische Gedicht mit einer Episode aus dem Troianischen Sagenkreis befasst, insofern als die Odyssee zu den sog. νόστοι gehört. Neben dem offensichtlich troischen, heroischen Sagenstoff und der volkstümlichen Gattung der Heimkehrergeschichte enthält die Odyssee in den Reiseerzählungen des Odysseus weitere Elemente, die fabelhafte Züge und Kennzeichen von Seefahrermärchen aufweisen. Diese ursprünglich vermutlich disparaten Traditionen sind in der Odyssee zu einer durch die Person des Odysseus bedingten Einheit verschmolzen. Vgl. Lesky 1999, 61: „Den drei Elementen – Heimkehrernovelle, Seeabenteuer und troische Sage – ist ein viertes hinzuzufügen: Geist und Haltung einer neuen Zeit, die das Alte, ohne es aufzulösen, vielfach unter eine neue Schwelle stellt.“ Zur Herkunft der episch-mythischen Motive der Odyssee siehe Crane 1988.

242

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Moment der fragmentierten Handlung.1047 Die folgenden Abschnitte richten sich weitestgehend nach der Struktur des Epos und behandeln zunächst die Abenteuer des Odysseus auf der zehnjährigen Rückfahrt von Troia, dann seine Rückkehr in seine Heimat Ithaka.

III.1 Die Telemachie und die Vorstellungen von Heldentum in der Odyssee Es besteht weitestgehend der Konsens, dass die Odyssee in relativer Datierung etwa eine Generation nach der Ilias entstanden sein dürfte1048 und vermutlich von einem Dichter stammt, der die Ilias kannte und sein Epos zu ihr in Bezug setzen wollte.1049 Der Troianische Krieg, wie er in der Ilias dargestellt wurde und in dem „die Besten der Argeier“ (Od. 1,211: Ἀργείων οἱ ἄριστοι) kämpften, ist in der Odyssee das bestimmende Ereignis der unmittelbaren Vergangenheit.1050 Die Ilias und der Troianische Krieg sind in der Odyssee als epische Erzählungen präsent, die die Erinnerung an die Helden und ihre Taten bewahrt (Od. 8,580: ἐσσομένοισιν ἀοιδή). Viele Helden fanden dort den Tod (vgl. Od. 1,354-355; 3,108-116), und das Ziel des κλέος ἄφθιτον, das in der Ilias noch in der Zukunft lag, hat sich in der Odyssee erfüllt, wo die Troia-Kämpfer hohe Bekanntheit genießen (vgl. Odysseus in Od. 9,20: μευ κλέος οὐρανὸν ἵκει). Doch im Gegensatz zur Ilias ist die Odyssee kein Kriegsgedicht: Während die Ilias die Taten ihrer Helden direkt darstellt, finden in der Odyssee Heldentaten größtenteils in Erzählungen statt: Die Ereignisse im letzten Jahr des Troianischen Krieges und nach dem Fall der Stadt werden berichtet (Phemios, Od. 1,326-327; Nestor, 3,103-200, 254328; Menelaos, 4,78-112, 169-182, 266-289, 351-587; Helen,: 4,235-264), Demodokos singt über das Troianische Pferd (Od. 8,499-520), Odysseus selbst erzählt den Phaiaken von seinen Reiseabenteuern (Od. 9,1-12,453; vgl. auch 23,310-343) und erdichtet in Ithaka „kretische Lügengeschichten“ (Od. 13,256-286; 14,192-359; 19,165-202). Die unmittelbare Darstellung von

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Vgl. Marg 1965, 15-16 und Erbse 1972, 143. Die Fokussierung führt dazu, dass jegliche Abweichung vom erwarteten Verhalten eines Helden Odysseus gegenüber den Helden der Ilias als „untypisch“ erscheinen lässt, vgl. dazu Stanford 1968, 66-80. Hinsichtlich der dargestellten Welt ist der Blick der Odyssee jedoch weiter als das auf Troia und den Krieg zentrierte Bild der Ilias, vgl. dazu Segal 1994, 3-5. Siehe auch Janko 1982, 228-231 für einen absoluten Datierungsversuch. Vgl. v.a. Burkert 1960, Reinhardt 1960b, 49-50, Redfield 1973, 141-146, Edwards 1985a, Usener 1990, Rutherford 1992, 2, Maronitis, v.a. 133-141 sowie Griffin 2004, 6066. Der epigonale Charakter der Odyssee kommt auch darin zum Ausdruck, dass zwischen den beiden Epen keine thematischen Überschneidungen bestehen, obwohl doch beide dem gleichen Sagenkreis entstammen, und legt den Schluss nahe, dass die Odyssee mit Blick auf die Ilias komponiert wurde, vgl. Whitaker 2003, 186-187. Vgl. Rutherford 1991-1993, 49. Zur Rezeption des Troianischen Krieges in der Odyssee siehe Whitaker 2003.

III.1 Die Telemachie und die Vorstellungen von Heldentum

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Kampf und heldenhaften Anstrengungen, die Hektor „Männersache“ nennt (vgl. Il. 6,492: πόλεμος δ᾿ ἄνδρεσσι μελήσει), ist der Erzählung von Heldentaten und Abenteuern gewichen, und Telemachos spricht programmatisch den abgewandelten Vers: μῦθος δ᾿ ἄνδρεσσι μελήσει (Od. 1,358):1051 Redefertigkeit hat in der Welt der Odyssee einen eigenen Stellenwert (vgl. auch Od. 8,169-173). Eine Betrachtung des Anfangs der Handlung vermag weiteren Aufschluss über das Bild des Helden in der Odyssee zu geben: Die Odyssee beginnt mit einer Götterversammlung (Od. 1,26-95), die wichtige Unterschiede zum iliadischen Weltbild aufzeigt. Indem Zeus das Verhalten der Menschen beklagt, die den Göttern Schuld für ihre Leiden geben, die sie selbst durch ihr eigenes Handeln heraufbeschworen haben (Od. 1,28-43), wird deutlich, dass die Götter der Odyssee eine moralische Instanz sein können und Menschen für ihre Verfehlungen bestrafen. 1052 Athene entgegnet daraufhin, dass Aigisthos, der Mörder des Agamemnon, zwar seine gerechte Strafe erhielt,1053 wie auch der Kleine Aias zu Recht von Poseidon bestraft wurde (Od. 4,499-511). Athene jedoch beklagt, dass Odysseus auf der Insel der Kalypso zurückgehalten wird und seine Heimat noch nicht erreichen durfte (Od. 1,45-62), und das Argument, dass Odysseus die Götter immer durch Opfer ehrte (Od. 1,60-62), erinnert an Apolls Fürsprache für Hektor (Il. 24,33-35).1054 Zeus gibt ihr Recht (Od. 1,65-67; vgl. Il. 24,6770), und die Rückkehr des Odysseus wird beschlossen (Od. 1,76-79, 82-87). Dieser kurze „Prolog im Himmel“ liefert nicht nur eine Exposition zu Odysseus‘ Situation (Kalypso, Od. 1,49-59, 85-87; vgl. 5,13-17; Zorn des Poseidon, 1,68-75), sondern ehrt auch Odysseus durch die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Götter. Doch Athene leitet nicht nur die Rückkehr des Odysseus in die Wege (vgl. Od. 5,5-42), sondern trägt auch für dessen Sohn Telemachos Sorge: Sie ist bestrebt, Telemachos den Ruhm, der in Bekanntheit und Ansehen bei seinen Standesgenossen besteht und nach dem

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Die Verse stehen in verschiedenem Kontext, zum Verhältnis der Passagen siehe Usener 1990, 47-66 und Rutherford 1991-1993, 51-52. Zur Bedeutung von Worten in der Odyssee siehe Austin 1975, 180 et passim; zur Selbstreflexivität der Odyssee siehe auch Segal 1994, 113-141. Vgl. Kullmann 1985, 5-6 et passim, Friedrich 1987b, 377 et passim sowie Griffin 2004, 74-78. Dennoch liegen in der Odyssee zwei Sichtweisen vor, denn einerseits sind die Götter Garanten von Recht und Ordnung, die Übeltäter bestrafen, andererseits können sie auch nach Belieben den Menschen Gutes und Schlechtes zuteilen, vgl. Clay 1983, 213-239. Die Perspektive ist damit gegenüber der Ilias um den Gedanken göttlicher Gerechtigkeit erweitert, und es ist eine Auszeichnung für Odysseus, dass ihm nicht nur göttliche Unterstützung, sondern zuletzt auch die Gerechtigkeit der Götter zuteilwird. Zum Atridenmythos als Folie siehe D’Arms/Hulley 1946, Hölscher 1967 sowie Olson 1995, 24-42. Zu den Parallelen zwischen Ilias 24 und Odyssee 1 siehe Rutherford 1991-1993, 45-46.

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jeder Held strebt, zukommen zu lassen (Od. 1,95: ἵνα μιν κλέος ἐσθλὸν ἐν ἀνθρώποισιν ἔχῃσιν; vgl. 1,222-223, 302; 13,422-424), indem sie ihm die Entschlossenheit eingibt, sich auf die Suche nach seinem Vater zu machen (Od. 1,88-95).1055 Damit beginnt die Telemachie,1056 die die ersten vier Bücher des Epos einnimmt und nach dem von Athene eingangs vorgesehenen Plan erfolgt: Sie wird Telemachos zum Handeln antreiben (Od. 1,89: Rat der Athene in Gestalt des Mentes 1,269-305), dass er eine Versammlung einberuft (Od. 1,90, 272-273: 2,6-259) und sich gegen die Freier ausspricht, die sein Haus belagern (Od. 1,91-92, 274: 1,372-380), und ihn anschließend auf der Suche nach dem Verbleib des Vaters nach Pylos und Sparta (Od. 1,93-94, 280-285: Besuch bei Nestor 3,1-497; Besuch bei Menelaos 4,1-624) schicken. Die Funktion der Telemachie im Kontext der gesamten Odyssee erschließt sich nicht unmittelbar, denn die Suche des Telemachos nach dem verschollenen Vater verläuft ergebnislos und hat keine Konsequenzen für die weitere Handlung.1057 Ihre Existenz ist jedoch den Vorstellungen des epischen Heldenkonzepts geschuldet: In der agonalen Gesellschaft der Helden kann ein junger Mann wie Telemachos nicht alleine aufgrund seiner Abstammung als einziger Sohn eines berühmten Vaters seine gesellschaftliche Funktion wahrnehmen, zumal sich Telemachos seines Vaters nicht sicher ist (Od. 1,215-220).1058 Seine Unsicherheit steht in pointiertem Gegensatz zu den selbstsicheren Verweisen auf die eigene edle Abstammung, wie sie die Helden der Ilias in ihren Prahlreden vorbringen.1059 Telemachos jedoch ist noch

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Zur Deutung von κλέος in Od. 1,95 siehe v.a. Jones 1988, 496-502, Olson 1995, 8, 65-90 sowie Petropoulos 2011, 87-88. Die Odyssee ist bei schematischer Betrachtung zeitlich ausgreifender als die Ilias, insofern als sie in den drei Generationen der Familie des Odysseus ein ganzes Leben abbildet: Telemachos, das Kind und Held-im-Werden (Od. 1-4), Odysseus, der reife Held, der sich schon vielfach bewiesen hat (Od. 5-24), sowie Laertes, der γέρων ἥρως (Od. 24), vgl. Redfield 1994, 110-113. Vgl. Hölscher 2000, 44-45. Zur Funktion der Telemachie siehe Reinhardt 1960a, 41-46, Clarke 1963 und 1989, 30-44, Rose 1967 sowie Griffin 2004, 43-44. Zur Relativierung dieser Aussage, dass Telemachos hier lediglich auf die Tatsache verweist, dass er von seinem Vater nur durch Hörensagen weiss, siehe de Jong 2001, 28 ad Od. 1,214-220 sowie Petropoulos 2001, 19-22. Zur Bedeutung von eigener Leistung für die Herrschaftslegitimation siehe oben I.1.2 sowie I.2. Vgl. Austin 1975, 164. Siehe zudem Petropoulos 2011, 79-83 zu Od. 2,58-79: Auch diese Verse stehen in pointiertem Gegensatz zur gewohnten heroischen Selbstdarstellung und zeigen Telemachos noch als unreifen Helden. Erst in Od. 16,117-120 stellt sich Telemachos selbstbewusst als Sohn des Odysseus dar.

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kein Held; er steht am Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter,1060 und um ein vollgültiger Held zu werden, muss er sich seiner eigenen Identität versichern. Er konnte seinen Vater nicht bewusst kennenlernen, und aufgrund der Unsicherheit über dessen Verbleib befindet sich sein sozialer Status in der Schwebe. Es wäre für ihn leichter, in dem Wissen zu leben, dass sein Vater als berühmter Kriegsheld ruhmreich vor Troia den Tod fand (Od. 1,236-243; vgl. auch 5,308-311; 14,365-371), denn als Sohn eines gefallenen Troia-Kämpfers und legitimer Erbe des Besitzes des Odysseus hätte er einen besseren Stand in der Gesellschaft von Ithaka. 1061 Indem Telemachos Gewissheit über das Schicksal seines Vaters gewinnt, könnte er dessen Ruhm und Ansehen auf sich übertragen und auf diese Weise seinen Rang als Sohn und Erbe des Odysseus geltend machen.1062 Die homerische Adelsethik erfordert jedoch ferner auch, dass sich ein Herrscher immer durch eigene Leistung legitimieren und sich seiner Abstammung als würdig erweisen muss.1063 Das Erbe des Telemachos besteht zunächst nicht in der Herrschaft seines Vaters über Ithaka, sondern nur in der Verfügungsgewalt über seinen eigenen Haushalt (οἶκος, vgl. Od. 1,117, 397-398, 400-404; 20,264-265), den er sich von den Freiern der Penelope, die infolge der langen Abwesenheit des Odysseus das Haus belagern, gleichsam zurückerobern muss.1064 So ist das Ziel der Freier auch nicht die Übernahme der Herrschaft des Odysseus, sondern die Heirat mit Penelope, und

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In den homerischen Epen sind Kinder bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter unmündig, siehe v.a. van Wees 1996b, 7: „This perception of the whole of childhood as a period of incapacity means, (...), that coming of age is thought to require something of a quantum leap towards maturity.“ Der Vergleich mit Orestes, der sieben Jahre nach dem Tod des Agamemnon dessen Mörder Aigisthos zum Einsetzen der Handlung in Ithaka tötete (vgl. Od. 1,29-30; 3,304-310), lässt darauf schließen, dass er selbst zu diesem Zeitpunkt mindestens 17 Jahre alt gewesen sein muss. Der Seher Halitherses gibt jedoch als Zeitpunkt der Rückkehr des Odysseus das zwanzigste Jahr seit dessen Abwesenheit an (Od. 2,174176), sodass Telemachos demgemäß 19 oder 20 Jahre alt sein müsste. Die Erstellung einer exakten epischen Chronologie scheint nicht möglich, und ist auch vom Dichter nicht intendiert, vgl. Alden 1987, 133-134. Vgl. Jones 1988, 499: „Telemachos does not really know who his father is (215-216), and the manner of Odysseus‘ disappearance (if he has disappeared) means that Telemachos inherits no κλέος from him (237-240).“ Mit der Haltung des Telemachos korrespondiert die generelle Unsicherheit in Bezug auf Odysseus, der in den ersten Büchern der Odyssee nur in Erwartungen und Erinnerungen präsent ist, vgl. Crotty 1994, 110-118. Vgl. v.a. Murnaghan 2011, 115-116. Vgl. Lateiner 1995, 143-147 und Petropoulos 2011, 4, 22-26 et passim. Das Generationenmodell des Odyssee entspricht dabei der Ilias: „Denn wenige Söhne sind ihrem Vater ebenbürtig, die meisten sind schlechter, wenige aber sind besser als ihr Vater“ (Od. 2,276-277: παῦροι γάρ τοι παῖδες ὁμοῖοι πατρὶ πέλονται, / οἱ πλέονες κακίους, παῦροι δέ τε πατρὸς ἀρείους). Zur Stellung des βασιλεύς vgl. auch Cook 2009, 291-292. Zur zentralen Bedeutung des οἶκος in der Odyssee siehe v.a. Halverson 1985 sowie Thalmann 1998, 124-133.

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der Anspruch auf die Herrschaft in Ithaka steht in keiner Beziehung zu dieser Ehe.1065 Telemachos muss sich daher zunächst als βασιλεύς in seiner Minimalfunktion als Herr seines eigenen οἶκος und dessen Ressourcen behaupten, an eine Übernahme der Herrschaft des Odysseus über Ithaka ist für ihn noch nicht zu denken (vgl. Od. 1,386-387, 394-398). Bei der Vorrangstellung, die Odysseus auf Ithaka innehatte, handelt es sich jedoch nicht um ein institutionalisiertes Amt als König, sondern um die Ehrenstellung eines primus inter pares, die auf seinem besonderen Ansehen (Od. 2,47, 234; 4,687-695) und seinem Reichtum (Od. 14,96-104) gegründet war.1066 Die Aufzehrung seiner materiellen Ressourcen (τιμή), die Odysseus ihm zurückließ (Od. 1,397-398), trifft Telemachos daher schwer, da die Freier ihn auf diese Weise der Grundlage berauben, auf der er sich durch Großzügigkeit gegenüber anderen Mitgliedern der Gemeinschaft auf Ithaka eine eigene Machtposition aufbauen könnte (vgl. Od. 1,392-393).1067 Die Notwendigkeit zur Durchsetzung gegenüber den Freiern entspricht demnach dem heroischen Gedanken, dass nur ein Held, der seinen eigenen Besitz behaupten kann, auch Ehre und Ansehen in seiner Gesellschaft genießt.1068 Zum Einsetzen der Handlung ist Telemachos noch ein Kind (vgl. Od. 1,296-297; 2,313), das sich nicht gegen den Zustand im Haus des Vaters zur Wehr setzen kann (vgl. Il. 9,440: νήπιον, οὔ πω εἰδόθ᾿ ὁμοιίοο πτολέμοιο).1069 Doch nach der Ermahnung der Athene in Gestalt des Mentes beginnt er, sich zunächst gegenüber seiner Mutter zu behaupten und seine Rolle als männlicher Nachkomme im Haus des Vaters wahrzunehmen (Od. 1,346359).1070 Am nächsten Morgen macht sich Telemachos auf den Weg in die

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Vgl. Deger 1970, 143-150, Andreev 1979, 371-375 sowie Halverson 1986 sowie van Wees 1992, 288-292. Im Gegensatz dazu wurde oftmals angenommen, dass die Heirat mit Penelope auch die Nachfolge des Odysseus als König von Ithaka bedeute (so z.B. Finley 1975, 89-80, Andreev 1979, 371), doch nur an einer Stelle werden diese beiden Aspekte zusammen erwähnt (Od. 15,522: μητέρ᾿ ἐμὴν γαμέειν καὶ Ὀδυσσῆος γέρας ἕξειν), jedoch ohne kausalen Zusammenhang und vermutlich bezeichnet γέρας explikativ die Ehre der Hochzeit mit Penelope. Es ist nicht ersichtlich, warum in der agonalen homerischen Gesellschaft, in der nicht einmal die Nachfolge des erstgeborenen Sohnes unstrittig ist, bis dieser sich bewährt hat, die Heirat mit der Ehefrau des vorherigen Herrschers die Nachfolge sichern soll. Vgl. v.a. Halverson 1985, 134-136. Auf Ithaka und den umliegenden Inseln herrschen zahlreiche βασιλῆες (Od. 1,245-247, 394-396), die zumeist nur über ihre eigenen Paläste gebieten. Die Bezeichnung als βασιλεύς durch Antinoos in Od. 1,386 bezieht sich entweder ebenfalls nur auf die Funktion des Hausherrn oder ist ironisch gesprochen. Zur Unsicherheit der Herrschaftsstrukturen auf Ithaka siehe auch Jones 1991, 11-14. Vgl. Finley 1975, 94, Qviller 1981, 117-118, Lateiner 1995, 212-218, Donlan 1995, 7-8 sowie Petropoulos 2011, 76-77. Vgl. Strasburger 1953, 109 sowie oben v.a. I.2 und I.4.3.3. Vgl. van Wees 1992, 126-127: „Apparently, Telemakhos needs to learn to be angry, and to show it“ (S. 127). Ebenso auch Lateiner 1995, 145. Vgl. Clarke 1963, 121 sowie Petropoulos 2011, 57-59.

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Versammlung, die er selbst einberufen hat, und nimmt den Platz seines Vaters ein (Od. 2,1-14).1071 Es muss unklar bleiben, ob sich mit diesem Sitz eine bestimmte Funktion verbindet, oder ob es sich nur um den Sitzplatz eines βασιλεύς unter vielen handelt, doch es ist die erste Versammlung seit der Abfahrt des Odysseus nach Troia (Od. 2,26-27). Die Ältesten verhalten sich respektvoll gegenüber dem jungen Telemachos (Od. 2,14), doch wie der Verlauf der Versammlung zeigt, kann Telemachos keine Ansprüche gegenüber den Bewohnern Ithakas geltend machen. Auf die Nachfrage des Aigyptios nach dem Grund der Versammlung (Od. 2,15-34) erhebt sich Telemachos und ergreift das Zepter des Sprechers (Od. 2,35-39). Er bringt eine Klage gegen die Freier vor, die seinen Besitz aufzehren (Od. 2,45-64) und schließt mit einer Bitte an die Volksversammlung um Unterstützung (Od. 2,64-78). Zum Ende seiner Rede wirft er das Zepter zu Boden und bricht in Tränen aus (Od. 2,80-81). Hier zeigt sich ein erstes Aufflammen von heroischem Zorn (Od. 2,80: χωόμενος), und seine Reaktion erinnert an Achills Niederwerfen des Zepters in demonstrativer Ablehnung des Machtanspruchs des Agamemnon (Il. 1,245-246), wobei Achill jedoch keine Tränen in der Heeresversammlung vergoss. 1072 Weinen gilt homerischen Helden keineswegs als unheroisch, 1073 doch Telemachos‘ Tränen sind ein Zeichen seiner Hilflosigkeit. Im Gegensatz zu der iliadischen Szene, die vermutlich als Vorlage diente, hat der trotzige Wutausbruch des Telemachos allerdings keine Konsequenzen.1074 Telemachos muss erst erwachsen werden, bevor er Anspruch auf sein Recht erheben und seine Drohung auf Rache umsetzen kann (Od. 2,76: τίσις). Nach den Gegenreden des Antinoos (Od. 2,85-138) und des Eurymachos (Od. 2,178207) wird Telemachos klar, dass er von der Volksversammlung keine Hilfe erwarten kann, und er beschließt, sich auf den Weg nach Pylos und Sparta zu machen, um nach dem Verbleib seines Vaters Erkundigungen einzuholen (Od. 2,209-223). Athene hilft ihm bei den Vorbereitungen und schon am nächsten Morgen stechen sie in See (Od. 2,337-434).

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Auf seinem Weg wird er nur von zwei Hunden begleitet (Od. 2,10-11), nicht von zwei Dienern, wie es sich für einen vollgültigen Helden gehört (vgl. Od. 22,112-115). Zum Motiv der zwei Begleiter siehe Nagler 1974, 86-111. Vgl. Jones 1991, 140 ad loc. Zum Niederwerfen des Zepters als Ausdruck hilflosen Zornes siehe Petropoulos 2011, 83-86. Siehe die Vergleichsstellen bei Heubeck et al. 1988, 136 ad loc. sowie Jones 1991, 140 ad loc. Zum Vergleich der beiden Passagen siehe Usener 1990, 9-13. Vgl. auch Griffin 1980, 12: „In the Iliad, the dire threat of a mighty hero, who has been assured already by Athena that he will prevail; in the Odyssey, a very young man, trying to assert himself in a hopeless position.“

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Damit beginnt die „Bildungsreise“1075 des Telemachos, die ihn zu den Palästen der Kampfgefährten des Vaters, zu Nestor nach Pylos und zu Menelaos nach Sparta, führt, die in der Welt der Odyssee wie Relikte aus einer vergangenen Zeit wirken.1076 An ihren Höfen kommt Telemachos, der in seiner Heimat nur die chaotischen Zustände im eigenen Haus kannte, das von den Freiern belagert wird, mit geordnetem heroischen Zusammenleben in Berührung (vgl. das Lob für ordentliches Verhalten in Od. 3,52-53, 357). Bücher 3 und 4 der Odyssee sind gleichsam eine Studie mustergültiger sozialer Interaktion zwischen einzelnen Helden der homerischen Gesellschaft im Ritual der Gastfreundschaft, wie sie in der Ilias nur einmal während Achills Kampfverweigerung dargestellt ist, als er Agamemnons Gesandte als Gäste in seinem Zelt begrüßt (Il. 9,193-222).1077 In struktureller Hinsicht verlaufen die Besuche in Pylos und Sparta parallel, und in beiden Fällen kommt Telemachos zur Zeit einer Feierlichkeit an (Fest für Poseidon in Pylos, Od. 3,43-48; Hochzeiten in Sparta, 4,3-19). Sobald sich Telemachos als unbekannter Gast nähert, wird er freundlich begrüßt und ins Haus aufgenommen (Od. 3,31-41; 4,37-46) und bewirtet (Od. 3,65-67; vgl. auch 3,470473; 4,54-68). Die Aufnahme auf der Reise nach Sparta im Haus des Diokles in Pherai (Od. 3,488-490) wird nur knapp erwähnt, und im Fall der Ankunft des Telemachos in Sparta wird er zunächst von Eteoneus bemerkt, der ihn entgegen der Grundsätze der Gastfreundschaft nicht sofort hereinbittet und dafür umgehend von Menelaos getadelt wird (Od. 4,20-36). Die kurze Szene verdeutlicht, wie umsichtig Höflichkeit und die heroischen Verhaltensnormen im Palast des Menelaos beachtet werden, und stellt einen Teil der Erziehung des Telemachos dar.1078 Nach Einladung und Bewirtung

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Vgl. Clarke 1963, 140-143, Petropoulos 2011, 9, 105-106 et passim sowie die Bezeichnung der Telemachie als „Entwicklungsroman“ bei Wöhrle 1999, 140. So Benardete 1963, 5: „The heroes are survivors in the Odyssey; they no longer dominate the stage; they are old-fashioned and out of favor.“ Ebenso Barck 1971, 23-24: „Das Auftreten des Menelaos in der Odyssee hat die Aufgabe, das Geschehen voranzutreiben, und bietet dabei Gelegenheit, aus einer ganz anders gearteten Gegenwart einen Blick in die Zeit archaischen Heldentums zu werfen.“ Vgl. dazu Clay 1983, 184 sowie die Bezeichnung des Krieges um Troia als „endzeitliches Ereignis“ bei Patzek 2003, 66. Auch die Anrede Nestors als als μέγα κῦδος Ἀχαιῶν ist iliadisch (Od. 3,79, 202 = Il. 10,87, 555; 11,511; 14,42), und es sei nur am Rande erwähnt, dass sich auch darin, dass Telemachos mit dem Streitwagen durch das beschwerliche Terrain der Peloponnes reist (vgl. Od. 3,492-496; 15,145-146, 190-193), eine Anknüpfung an das iliadische Adelsideal feststellen lässt (Beobachtung von Greenhalgh 1973, 57-58). Guten Manieren wird in der Odyssee generell hohe Bedeutung beigemessen, vgl. auch Griffin 2004, 86-87. Vgl. Most 1989, 24 mit Anm. 47, Lateiner 1995, 99 sowie Saïd 2011, 143-144. Der Dichter selbst gibt keine Erklärung für das unhöfliche Verhalten des Eteoneus. Schmiel 1972, 464 und Lateiner 1995, 117 sehen im Verhalten des Eteoneus einen Hinweis auf

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folgt zivilisierte und taktvolle Konversation und Erzählungen, die eine bedeutende Funktion als Medium von κλέος zur Bewahrung der Erinnerung an vergangene Taten erfüllen, und Telemachos bekommt seine Fragen nach dem Verbleib des Vaters beantwortet (Od. 3,69-328; 4,76-119, 138-293, 311-586). Bei Nestor wie auch bei Menelaos wird ihm ein Bett im Haus angeboten (Od. 3,346-355; 4,296-303) und er wird gebadet (Od. 3,464-468; 4,4850), doch in anderer Hinsicht sind die Darstellungen in Pylos und Sparta komplementär, denn während im Haus des Nestor alle Handlungen von zahlreichen Opfern und Gebeten begleitet werden (Od. 3,5-9, 55-64, 329341, 380-384, 393-394, 419-463), sind in die Ereignisse im Haus des Menelaos mehrere Ekphraseis der reichen Ausstattung eingelegt (Od. 4,123-134, 613-619).1079 Menelaos ist ein mächtiger und, nachdem Macht auch in der Odyssee immer materiellen Ausdruck in Form von Prestigegütern findet, auch wohlhabender Herrscher, doch auch in diesem Fall bedeutet Reichtum keine Zufriedenheit: Bei allem Wohlstand kann er kein Glück finden und bedauert den Verlust seiner Kampfgefährten (Od. 4,97112). Auch Nestors kurze Reminiszenz an die gefallenen Helden vor Troia (Od. 3,109-112) und sein Bericht von der Heimreise und dem Tod des Agamemnon (Od. 3,193-198, 254-328) zeigen, dass trotz des errungenen Sieges nur wenige der griechischen Helden den Troianischen Krieg überlebten und wohlbehalten in die Heimat zurückkehrten.1080 Telemachos wird mit seiner Reise gleichsam in die heroische Welt der Ilias-Helden initiiert,1081 und nach anfänglichen Unsicherheiten beim Besuch in Pylos im Umgang mit dem altehrwürdigen Nestor (Od. 3,21-24) und in Sparta mit dem reichen und mächtigen Menelaos (Od. 4,71-75, 158160),1082 gewinnt er an Selbstvertrauen, sodass er sich kurz vor seinem Abschied in Sparta gegen einen längeren Aufenthalt ausspricht (Od. 4,594599) und sogar die Pferde, die ihm Menelaos als Gastgeschenk anbietet, mit dem Verweis auf die Beschaffenheit Ithakas ablehnt und um ein kleineres Prestigegut (Od. 4,600: κειμήλιον) bittet (Od. 4,600-608). Dadurch zeigt er

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innere Unruhen in Sparta; Heubeck et al. 1988, 195 ad Od. 4,20ff. führen dies auf den Umstand der Hochzeitszeremonie zurück, ohne näher darauf einzugehen. Vgl. auch Heubeck et al. 1988, 192. Zur Trauer der Troia-Heimkehrer siehe Crane 1988, 41-42, zum Bild des Troianischen Krieges in der Odyssee siehe auch Rutherford 1991-1993, 49-50 und Whitaker 2003. Vgl. Austin 1975, 182 sowie v.a. Clarke 1963, 133: „Telemachus had to be baptized into the heroic life, commune with its leaders, and to be confirmed in its values or he would never be a trusted ally to his father or a fit successor to kingship. Kleos ranks with arete as a honorific word in the heroic vocabulary, and it is only in places like Pylos and Sparta that Telemachus can absorb their meanings and prepare himself to merit them.“ Vgl. Lateiner 1995, 74-75 sowie de Jong 2001, 68. Am Hof des Nestor hat Telemachos Athene zur Seite, um ihn zu unterweisen und einzuführen (v.a. Od. 3,21-64), bei Menelaos steht ihm Nestors Sohn Peisistratos bei (v.a. Od. 4,69-75, 155-167).

250

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

sich nicht nur als selbstbewusster junger Mann, sondern auch als geschickter und verständiger Sohn seines Vaters und erringt die lobende Anerkennung des Menelaos (Od. 4,609-619).1083 Die Geschenke, die Telemachos auf seiner Reise von den Gefährten des Vaters erhält, sind der sichtbare Ausdruck seiner neugefundenen Anerkennung als Held (vgl. Od. 15,75-85, 101119). Die Erzählungen der Helena vom Spähgang des Odysseus nach Troia im Gewand eines Bettlers (Od. 4,238-264) und des Menelaos von der List des Troianischen Pferds (Od. 4,267-289; vgl. 8,499-520; 11,523-532) geben einen Blick auf Odysseus, bevor er noch in eigener Person auftritt, und zeigen den Vater des Telemachos als mutigen und listigen Kämpfer, dessen spezifische ἀρετή jedoch nicht in reiner Kampfkraft, sondern vielmehr in Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit besteht (vgl. auch die Bezeichnung als πολύτροπος in Od. 1,1).1084 Odysseus ist der Held des λόχος (Od. 4,277: λόχον; vgl. auch den Gebrauch des Bogens mit vergifteten Pfeilen in 1,2592621085) und des δόλος (Od. 3,122; vgl. 9,19),1086 doch nicht nur in Bezug auf die Person des πολύμητις Odysseus hat sich die relative Gewichtung der zwei Bereiche heroischer Vortrefflichkeit zur Bevorzugung der praktischen Klugheit gegenüber körperlicher Kraft verschoben.1087 Dabei ist zudem bemerkenswert, dass μῆτις in der Odyssee – im Gegensatz zur praktischen Klugheit in der Ilias – nicht nur List und Trug umfassen kann, sondern oftmals sogar mit δόλος gleichgesetzt wird.1088 Die heroische Bewährung des Telemachos erfolgt mit Unterstützung der Athene, die ihm hilft, sich vor den Standesgenossen seines Vaters als Held zu zeigen und deren Anerkennung zu gewinnen (Od. 1,89, 95; vgl. die wörtlichen Parallelen zum Beginn der Aristie des Diomedes in Il. 5,1-3). Die Reise wird als ein gefährliches und wagemutiges Unternehmen dargestellt, das dem angehenden Helden auch die Anerkennung der Freier einbringt, die seine Fahrt als eine „große Leistung“ bezeichnen (Od. 4,663; 16,346: μέγα ἔργον; vgl. Il. 7,444).1089 Dadurch wird er zu einer Gefahr für die Bestrebungen der Freier (Od. 2,325-330), und sie planen, ihn durch einen Hinterhalt

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Vgl. auch Austin 1975, 190. Vgl. Clay 1983, 28-34. Siehe auch Patzer 1991, 24-26, dessen Übersetzung „vielwendig“ m.E. der Wiedergabe als „vielgewandt“ bei Schadewaldt 2004 vorzuziehen ist, vgl. auch Clay 1983, 29-34. Zu Odysseus als Bogenschütze siehe auch Heubeck et al. 1988, 107-108 ad Od. 1,257ff. Siehe dazu v.a. Edwards 1985a, 31-35 sowie Segal 1994, 90-91. Vgl. auch den Hinterhalt, in dem Menelaos Proteus auflauert (Od. 4,437-459, v.a. 441: λόχος). Zur größeren Bedeutung geistiger Fähigkeiten gegenüber der Ilias vgl. auch Erbse 1972, v.a. 156 sowie Cairns 1993a, 126-127. Vgl. Edwards 1985a, 34, 40-41 zur positiven Bewertung des λόχος in der Odyssee; Vorbereitung und Planung (d.h. Leistungen der μῆτις) sind Teil jedes λόχος-Unternehmens, vgl. Edwards 1985a, 22. Vgl. dazu v.a. Wilson 2005, 10-12. Vgl. Rose 1967, 394, Jones 1988, 497 und van Wees 1996b, 18.

III.1 Die Telemachie und die Vorstellungen von Heldentum

251

zu beseitigen, als sie von der Reise erfahren (Od. 4,628-673, 847: λοχόωντες Ἀχαιοί).1090 Obgleich die Notwendigkeit, soziale Ansprüche durch eigene Leistung zu rechtfertigen und sich Ansehen zu erwerben, dem Agonalitätsgedanken der Ilias entspricht, hat sich hinsichtlich des Wegs, wie ein Held Anerkennung erringen kann, ein Wandel vollzogen: Die „Aristie des Telemachos“1091 zeigt ihn ausschließlich als Redner (Od. 1,385: ὑψαγόρην τ’ ἔμεναι καὶ θαρσαλέως ἀγορεύειν; vgl. auch 2,85, 303; 17,406) und Helden des gepflegten sozialen Umgangs (μῆτις/αἰδώς), nicht jedoch als Kämpfer. Die Initiation des Odysseus erfolgte durch eine Eberjagd mit seinem Großvater (Od. 19,428-466), von der er als Zeichen der Männlichkeit eine Narbe davontrug,1092 doch die kriegerische Bewährung des Telemachos wird erst zusammen mit dem Vater in der Freiertötung folgen. Der junge Telemachos tritt als zukünftiger Held in Erscheinung, der sich als Mitglied der jüngeren Generation durch seine αἰδώς auszeichnet (vgl. Od. 3,24: αἰδώς), im Gegensatz zu den Freiern,1093 die als schamlos (ἀναιδεῖς, vgl. Od. 1,254; 13,376; 20,171; 23,37) und hochmütig (z.B. Il. 1,134, 227; 3,315; 4,321, 627; 24,282 et passim) bezeichnet werden. 1094 Sie sind nicht bereit, auf göttliche Zeichen und Orakel zu hören (Od. 1,145-207) und geben offen zu, dass auch Odysseus als rechtmäßiger Herr seines Hauses sich erst mit Gewalt gegen sie durchsetzen und seinen Besitz behaupten müsste (Od. 2,243-256). Mit ihrem Verhalten verletzten die Freier die üblichen Formen respektvollen Umgangs, insbesondere indem sie als ungeladene Gäste den Grundsatz der Wechselseitigkeit verletzten, da sie zunächst ungestraft auf Kosten des Odysseus speisen, ohne dafür jemals eine Gegenleistung anzubieten (Od. 1,160: ἀλλότριον βίοτον νήποινον ἔδουσιν; 1,377; 2,142: ἀνδρὸς ἑνὸς βίοτον

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Vgl. Edwards 1985a, 28. Siehe jedoch die Relativierung dieser Bezeichnung bei Schröter 1950, 187-189, der argumentiert, dass bei aller Auszeichnung Telemachos nicht als eigenständiger Held in Erscheinung tritt, sondern alle seine Handlungen auf die Suche nach dem Vater ausgerichtet sind. Vgl. Rutherford 1992, 183 ad loc., Segal 1994, 7 sowie Neal 2006a, 44. Die Jagd zeigt Kennzeichen eines rite de passage, vgl. Walcot 1979, 340 und Petropoulos 2011, 114120. Zum Vergleich siehe die Erzählung des Nestor von den ersten Kämpfen seiner Jugend (Il. 11,671-762); zu deren Funktion als Initiation vgl. Frame 2009, 105-113 sowie Petropoulos 2011, 120-122. Siehe dazu Cairns 1993a, 103-105. Vgl. Long 1970, 139: „But the suitors are cast throughout as ἀναιδεῖς. Since the only coercion, short of force in Homer, is through αἰδώς, the intention of the poet is to paint as little better than the Cyclopes, the ἀθέμιστοι, men who have put themselves beyond the pale of acceptable human conduct.“ Ebenso auch schon Jaeger 1954, 44: „Das schamlose Treiben der Freier ist eine Schande für sie und ihren Stand, das wird von vielen Seiten ausgesprochen. Niemand kann es ohne Empörung ansehen, und es wird schließlich schwer gebüßt.“ Zur Verfehlung der Schamlosigkeit siehe auch oben I.5.

252

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

νήποινον ὀλέσθαι; vgl. auch 4,318-321).1095 Die Freier sind selbst lokale Herrscher (βασιλῆες) auf Ithaka und den umliegenden Inseln (vgl. Od. 1,245-247; 16,122-124; 19,130-132), und trotz ihres frevelhaften Übermuts wird den Freiern an keiner Stelle des Epos die Betitelung als ἄριστοι abgesprochen, die ihnen aufgrund ihrer sozialen Stellung (Od. 1,245; 16,122; 19,130) und ihrer Abstammung (Od. 2,50-51: μνηστῆρες ... / τῶν ἀνδρῶν φίλοι υἶες οἳ ἐνθάδε γ᾿ εἰσὶν ἄριστοι), nicht jedoch durch ihr Verhalten zusteht.1096 Die Freier, die zur Zeit der Rückkehr des Odysseus nach Ithaka sein Haus besetzt haben, sind wohlhabende Mitglieder des homerischen Kriegeradels, die mit der Verteidigung ihrer Gesellschaft betraut sind, doch ihre Fähigkeit im Kampf wird nie thematisiert (vgl. jedoch Menelaos‘ Vorwurf in Od. 4,334; 17,125: ἀνάλκιδες αὐτοὶ ἐόντες), obgleich der Plan des Anschlags auf Telemachos auch auf eine kämpferische Seite hindeutet, die ihre spätere Tötung durch Odysseus noch ehrenvoller macht.1097 In Abwesenheit eines äußeren Feindes verbringen sie ihre Zeit mit Gelagen und der Werbung um Penelope.1098 Darin zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu Telemachos und dem iliadischen Anspruch des Leistungsadels, der die Entwicklung zur Vorstellung eines echten Geburtsadels andeutet, bei dem die Abkunft allein den Status rechtfertigt, ohne dass entsprechende Leistungen erbracht

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Ausführlich zum sozialen Fehlverhalten der Freier siehe Lateiner 1995, 203-242. Vgl. hierzu Cook 2009, 297-298 sowie Adkins 1960, 36: „Agathos and arete also denote a social class, and there is an inevitable tendency for such words to be used solely with reference to social position, irrespective of other qualities. So the suitors remain agathoi generally, though they are inferior to Odysseus in the valued fighting qualities; but Odysseus, disguised as a beggar, has no chance of marrying Penelope even if, by succeeding in the Test of the Bow, he shows that he possesses these qualities, for he is of the wrong social position.“ Die gleiche Position findet sich auch bei Long 1970, 126 und Cairns 1993a, 101: „It is certainly not part of the structure of Homeric values that any and every action of an agathos is legitimized by his aretē. This is true of Agamemnon, whose behaviour is not condoned, and it is even more true of the suitors in the Odyssey, who are certainly agathoi, but who are condemned throughout the poem, their aretē largely irrelevant to those who condemn them.“ Vgl. auch die Bezeichnung des Antinoos und des Eurymachos als ἀρχοὶ μνηστήρων, ἀρετῇ δ’ ἔσαν ἔξοχ’ ἄριστοι in Od. 4,629. Dazu Schröter 1950, 178: „Man darf auch erwähnen, daß gerade dieses Motiv des Anschlags die öfter bloß besprochene Tatkraft der Freier realisiert, wodurch sie im Hinblick auf das ἔργον des Od. in ihrem Kampfwert erhöht werden.“ Vgl. Clay 2009, 33: „What first began as a fundamental need on the part of the community for self-defense and self-preservation, the establishment of a warrior class with a warrior ethic along with its social rewards and prestige, perpetuates itself and can even become a problem for the community itself. The 108 suitors of Penelope in the Odyssey constitute a clear example. They are the best men, the young aristoi of Ithaca and the surrounding islands. But instead of defending the community from outside enemies, they lay siege to it and undermine its very center, the king’s palace, and bully both the Queen and the heir apparent by eating them out of house and home.“

III.1 Die Telemachie und die Vorstellungen von Heldentum

253

werden müssen, um diesen zu legitimieren.1099 Telemachos hingegen muss seine Position auf Ithaka durch den Gewinn von gesellschaftlicher Anerkennung behaupten. Diese Anerkennung erreicht er durch die Auszeichnung in sozialen Tugenden, durch die er zudem seine Abkunft als Sohn des Odysseus bestätigt bekommt, indem die alten Kriegsgefährten seines Vaters ihn an seinem edlen Aussehen und seinem besonnenen Charakter identifizieren können (vgl. Od. 3,122-125, 352; 4,63-64, 142-146, 148-150, 611).1100 Telemachos erhält von den Kampfgefährten seines Vaters wichtige Informationen über diesen und wird sich damit seiner eigenen Identität bewusst, die für einen homerischen Helden immer eng mit seinen Vorfahren verbunden ist.1101 Die Telemachos-Handlung beschreibt den Wandel von einem unsicheren Kind, das noch von seiner Amme zu Bett gebracht (Od. 1,428-442) wird und sich erst seiner eigenen Identität bewusst werden muss, hin zu einem jungen Mann, der bereit ist, sich seiner Abstammung als Sohn des verschollenen Kriegshelden Odysseus würdig zu erweisen und seine Funktion in der Gesellschaft wahrzunehmen.1102 Die Telemachie hat somit eine doppelte Funktion, indem sie Telemachos über den Verbleib und die Identität des Vaters Aufschluss gibt und ihn als Held in die Gesellschaft initiiert. 1103 Als Telemachos sich auf die Rückreise nach Ithaka macht (Od. 15,1-300), ist er soweit zum Mann geworden, dass er seinem Vater bei der Behauptung und Rückeroberung seiner angestammten Position als Mitkämpfer zur Seite stehen kann.1104 Gleichzeitig schafft die Telemachie einen Übergang zwischen der Ilias und dem Hauptteil der Odyssee, indem durch die Erzählungen der Kriegshelden Nestor und Menelaos ein Blick auf den Troianischen Krieg geworfen wird. Hier jedoch sind die direkten Kämpfe in offener Feldschlacht, die in der Ilias vorherrschen, zugunsten der Hervorhebung indirekter und listiger Kriegführung in den Hintergrund getreten:1105

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Vgl. Donlan 1968, 30-32 zur Bedeutungsverschiebung von ἄριστος in der Odyssee sowie Halverson 1985, 144-145 zur Kritik des Dichters an der Haltung der Freier. Zu Vergleich und insbesondere den Parallelen der Darstellungen von Odysseus und Telemachos siehe Austin 1975, 182-188, Roisman 1994 sowie Cook 2009, 299-300. Vgl. Crotty 1994, 118-119. Vgl. van Wees 1992, 287, Higbie 1995, 147-158, 190-191 sowie oben v.a. I.1.2. Zum Initiationscharakter der Telemachos-Handlung siehe Eckert 1963, 51-54. Vgl. Rose 1967, v.a. 398 sowie Patzer 1991, 31-35: „Von dem Ergebnis dieser Erkundungsreise hängt also ab, ob der unausweichliche Entscheidungskampf mit den Freiern von dem zurückgekehrten Hausherrn selbst oder vom Sohn allein als seinem Erben ausgefochten werden muss“ (S. 32). Vgl. dazu Jaeger 1933, 55-61, Alden 1987, 133-137, Clarke 1989, 30-44, Lateiner 1995, 117-119 und Wöhrle 1999, 117-131. Zur Reise des Telemachos als Teil eines „revengepattern“ siehe Rose 1967. Vgl. Rutherford 1991-1993, 50.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Od. 3,118-122: εἰνάετες γάρ σφιν κακὰ ῥάπτομεν ἀμφιέποντες παντοίοισι δόλοισι, μόγις δ’ ἐτέλεσσε Κρονίων. ἔνθ’ οὔ τίς ποτε μῆτιν ὁμοιωθήμεναι ἄντην ἤθελ’, ἐπεὶ μάλα πολλὸν ἐνίκα δῖος Ὀδυσσεὺς παντοίοισι δόλοισι, πατὴρ τεός, (...) Neun Jahre lang spannen wir ihnen Schlimmes, geschäftig, mit allerlei Listen, und nur mit Mühe vollendete es der Sohn des Kronos. Da wollte sich keiner mit ihm je ins Angesicht an klugem Rat vergleichen, denn weit überlegen siegte immer der göttliche Odysseus in allen Listen, dein Vater, (...)

Im Gegensatz zur Ilias ist es in der Darstellung der Odyssee nicht Achills Kampfesleistung, die zum Fall Troias führte, indem er in Hektor den wichtigsten Verteidiger der Stadt besiegte, sondern die Listen des Odysseus (vgl. v.a. Od. 11,523-537).1106 Auch die Ilias nennt List und Klugheit als die bestimmenden Tugenden des Odysseus (vgl. Il. 3,200-202; 4,339; 11,430; vielleicht auch 9,312-313), da aber der Schwerpunkt ihrer Darstellung auf heroischer Stärke und Kampfkraft liegt, wird diese Seite seines Charakters nicht hervorgehoben.1107 Die Odyssee stellt insofern keine andere Form von Heldentum dar,1108 sondern nimmt eine Umgewichtung der wichtigen Fertigkeiten eines Helden vor: Die Ilias bevorzugte die direkte Form der Kriegführung (πόλεμος), die der heroischen Vortrefflichkeit der βίη entspricht, die Odyssee hingegen gibt der Tugend der μῆτις den Vorrang, die in klugen Reden und Lügen sowie in listigen Taten (δόλοι/λόχοι) ihren Ausdruck findet.1109 Diese Fülle an Beobachtungen, die die Telemachie als Einleitung zur Odyssee gestattet und die mit späteren Motiven in Einklang stehen, lässt einen ersten Schluss auf die Vorstellungen von Heldentum in der Odyssee zu und weist insbesondere auf wichtige Diskrepanzen zum iliadischen Ideal hin: Die Odyssee handelt in einer Welt nach der Ilias und dem Troianischen Krieg und zeigt ihre Helden nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern in sozialer Interaktion im Frieden.1110 Obgleich persönlicher Ehre und

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Siehe dazu auch unten III.4.2. Zu Anklängen dieser Tradition in der Ilias, die jedoch zugunsten der direkten Kriegführung unterdrückt wurden siehe Haft 1990. Vgl. dazu v.a. Stanford 1968, 12-19. Vgl. Griffin 2004, 90-94, der allerdings von einer „tension between two types of heroism“ (S. 90) ausgeht. Zur insgesamt sehr positiven Bewertungen der Lügen des Odysseus siehe v.a. Walcot 2009. Vgl. Jaeger 1933, 42: „Die Helden der Ilias, die sich in ihrem Kriegertum und ihrer Ehrliebe als echte Vertreter ihres Standes zeigen, sind auch in ihrem sonstigen Benehmen überall die hohen Herren, mit allen ihren Vorzügen wie mit ihren unverkennbaren Schwächen. Nur im Frieden lebend kann man sie sich nicht vorstellen, sie

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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deren materiellen Ausdruckformen (τιμή) immer noch besondere Bedeutung zukommt, ist es nicht ausschließlich kriegerische Leistung, durch die sich ein Held Ansehen erwerben und seine gesellschaftliche Stellung rechtfertigen muss, sondern im Vordergrund stehen nun Redefertigkeit und geschickter Umgang mit gesellschaftlichen Tugenden. Ferner bevorzugt die Odyssee im Konfliktfall, wo die Ilias direkte Kriegführung zeigt, heimliche Kampfunternehmungen (λόχοι) und stellt sogar rückblickend in Erzählungen die Kampfhandlungen und Schlachten vor Troia als indirekte Kriegführung dar.

III.2 Der Held auf Irrfahrten Nach der Telemachie (Od. 1-4) konzentriert sich die Handlung auf Odysseus, den Titelhelden der Odyssee, und das bestimmende und einheitsstiftende Motiv des zweiten homerischen Gedichts ist der Charakter und die Identität des Odysseus.1111 In den Darstellungen seiner Abenteuer (Od. 5-12), die den ganzen Rest der ersten Hälfte des Epos einnehmen, entspricht Odysseus hinsichtlich seiner Konzeption dem Bild eines homerischen Helden, 1112 doch aufgrund der veränderten äußeren Situation, die den Held nicht in seinem gewohnten sozialen Umfeld zeigt, muss dieses Bild zwangsläufig Modifikationen und Erweiterungen erfahren.1113 Der Überfall auf die Kikonen, das erste Abenteuer des Odysseus nach der Abfahrt von Troia (Od. 9,39-61), ist zugleich das letzte Ereignis, das in der heroischen Welt, also an einem geographisch bestimmbaren Ort und bei einem – zumindest in der Fiktion des Epos – historischen Volk stattfindet.1114 Nach der Abfahrt aus Ismaros wer-

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gehören auf das Schlachtfeld. Daneben sehen wir sie nur in den Pausen des Kampfes bei ihren Mahlzeiten, beim Opfer, in der Beratung.“ Vgl. hierzu auch die Bedeutung von „naming type-scenes“ in der Odyssee bei Higbie 1995, 70-85. Vgl. das pauschale Urteil bei Lloyd-Jones 1987, 7: „In all seinen Abenteuern sucht Odysseus nach Ehre und Ruhm.“ Zum Odysseus-Thema und seiner Anpassungsfähigkeit siehe Stanford 1968, v.a. 1314 sowie Segal 1994, 45: „His tenacious attachment to the human ties on Ithaca, conciliatory spirit, and adaptability all separate him from the harsher ideals of the doomed heroes of the Iliad and begin to shape a heroism of another kind.“ Zu Odysseus als Held nach anderen Maßstäben vgl. ebenfalls Finkelberg 1995, 1-5 und Zimmermann 2010, 181-183. Vgl. Krischer 1985, 10-11, Pucci 1997, 150, Griffin 2004, 88 sowie Cook 2009, 124: „(...) in their next adventure, among the Lotophagoi [Lotos-Eaters], they discover that the storm has driven them beyond the confines of the Greek world, and with it their identity as Iliadic warriors.” Zum „mythologischen Raum“ der Odyssee allgemein

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

den die Schiffe der Griechen von einem Sturmwind erfasst, vom Kurs abgetrieben in eine sagenhafte Welt verschlagen (vgl. Od. 9,67-81). Erst als Odysseus Ithaka auf dem magischen Schiff der Phaiaken im Schlafe erreicht, verlässt er mit der Fahrt durch das göttliche Tor in der Höhle der Nymphen die Wunderwelt seiner Irrfahrten und kehrt in die heroische Welt zurück (Od. 13,109-115).1115 Die Welt der Irrfahrten ist nicht die einfache heroische Welt der Ilias, und die Erzählungen des Odysseus von seinen Abenteuern schöpfen reichlich aus dem Schatz märchenhafter und volkstümlicher Motive.1116 In dieser neuen Welt muss der Held um sein Überleben kämpfen, und die Odysseus-Handlung trägt bis zu seiner Rückkehr nach Ithaka sagenhafte Züge, die das iliadische Heldenbild einer kritischen Probe unterziehen.1117 Exemplarisch deutlich wird die Unvereinbarkeit der Welt der Irrfahrten mit dem heroischen Kosmos im Ersatz des heroischen Impulses (θυμός) durch die situativ bedingten Erfordernisse (oftmals γαστήρ „Magen“).1118 Als Odysseus sich Nausikaa mit einem ansonsten iliadisch anmutenden Löwengleichnis nähert (Od. 6,130-135),1119 ist es jedoch nicht sein heldenhafter Mut, der ihn antreibt (vgl. Il. 12,300: κέλεται δέ ἑ θυμὸς ἀγήνωρ, ähnlich auch 10,534; 19,187), sondern Hunger (Od. 6,133: κέλεται δέ ἑ γαστὴρ).1120 Die heroische Emotion des Zornes, der für die Bewahrung von Ehre und Status des Helden in der Ilias eine so bestimmende Rolle einnimmt, wird in der Odyssee zumindest teilweise durch die trivialen Erfordernisse des Magens

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siehe Hölscher 2000, 135-158, der sich dabei entschieden gegen jeden Versuch ausspricht, die Stationen der Irrfahrt zu lokalisieren. Zu den zahlreichen vergeblichen Versuche seit der Antike, die geographischen Stationen der Fahrten des Odysseus zweifelsfrei zu lokalisieren siehe auch Saïd 2011, 158-162. Vgl. Clarke 1989, 65 sowie Garvie 1994, 22-24. Zu Schlaf als Thema des Übergangs siehe Segal 1994, 68-72. Vgl. Patzer/Hölscher 1990, v.a. 497. So Griffin 2004, vii: „Heroism is subjected to a quizzical scrutiny, when the hero must face ogres and witches, or conciliate a princess who finds him naked on the sea-shore, or fight a boxing match with a professional beggar.“ Ähnlich auch Primavesi 2007, 137: „Doch aufs Ganze gesehen zielt die Odyssee nicht auf die Problematisierung des Heldenideals oder auf die der epischen Form, sondern vielmehr auf die experimentelle Bewährung beider in untypischen und neuartigen Situationen.“ Vgl. Stanford 1968, 67-70, Pucci 1987, 157-164, Crotty 1994, 134-143 sowie Griffin 2004, 54, 90-91. Vgl. Pucci 1987, 158-160 sowie Garvie 1994, 115 ad loc. Vgl. Rutherford 1991-1993, 51, der hier von einer Parodie iliadischer Vergleiche spricht. Auch Usener 1990, 195-197 bemerkt die Nähe der beiden Partien, geht jedoch nicht von direkter Nachahmung bzw. Parodie aus. In jedem Fall signalisiert auch dieses Beispiel „das gebrochene Verhältnis des Dichters zur heroischen Adelsethik der Ilias“ (Zitat von Usener 1990, 197).

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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abgelöst, und Odysseus beklagt mehrfach dessen unheilvolle Forderungen (vgl. Od. 7,215-221; 15,344; 17,286-287, 473; 18,53-54, 380).1121 Im folgenden Abschnitt sollen die Irrfahrten des Odysseus auf seiner Rückreise hinsichtlich der für das Heldenkonzept aussagekräftigen Motive untersucht werden. Da nur Odysseus‘ Aufenthalte bei Kalypso (Od. 5) und bei den Phaiaken (Od. 6-8) direkt dargestellt werden, die übrigen, zeitlich vorangegangenen Abenteuer jedoch erst anschließend von Odysseus beim Festmahl auf Scherie berichtet werden (Od. 9-12), bietet es sich an, die einzelnen Ereignisse weder in chronologischer Abfolge noch nach ihrer Reihenfolge in der komplexen Erzählstruktur der Odyssee zu betrachten, sondern hinsichtlich einzelner Motive und ihrer Beziehungen zum epischen Heldenideal der Ilias. III.2.1 Der Held und seine Gefährten Odysseus beginnt den Bericht seiner Abenteuer unmittelbar bei der Abfahrt von Troia (Od. 9,38: ἀπὸ Τροίηθεν; 39: Ἰλιόθεν) mit seinen Gefährten auf den zwölf Schiffen, die auch im Schiffskatalog der Ilias erwähnt wurden (Od. 9,159; vgl. Il. 2,636-637). Bei einer Besatzung von 50 Mann auf jedem Schiff (vgl. Il. 2,719) bedeutet dies, dass Odysseus eine Gefolgschaft von etwa 600 ἑταῖροι anführt. Die Geschichte jedoch erforderte offensichtlich, dass Odysseus alleine in seine Heimat zurückkehrte, und dafür müssen alle seine Gefährten auf der Heimfahrt sterben (vgl. Od. 9,532-535; 11,112114).1122 Die Darstellung des sukzessiven Verlusts aller Gefährten ist geprägt von der epischen Vorstellung des Helden als Anführer, zeigt jedoch gleichzeitig die Veränderungen des Weltbildes der Odyssee im Vergleich zur Ilias. Das erste Abenteuer, von dem Odysseus Alkinoos und den Phaiaken berichtet, ist der Überfall auf die Kikonen-Stadt Ismaros (Od. 9,39-61). Es ist nicht unüblich, dass Helden im Streben nach materiellem Reichtum sich als Piraten verdingen oder Raubzüge unternehmen (vgl. Od. 3,73-73;

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Vgl. Segal 1994, 17: „As Odysseus complains repeatedly in the course of his wanderings, his constant companion is the demanding belly (gastēr), virtually an alter ego with which he has a love-hate relation.“ Zum Pragmatismus und der „ökonomischen Dimension“ der Odyssee siehe auch Redfield 1983, 227-244. So auch Andersen 1973, 7-9, Friedrich 1987b, 394 und Griffin 2004, 69. Vgl. auch Patzer 1991, 27: „Seine Anstrengungen, die hergebrachte ἀρετή auch in der neuen, unbekannten Welt zu behaupten, scheiterten empfindlich, indem er einen wesentlichen Teil dieser ἀρετή verlor, nämlich die Herrschaft über Untergebene, und dazu seine Tüchtigkeit, sie zu führen, widerlegt. Er konnte zwar, wie impliziert wird, sein Leben bis zur Rückkehr in die Heimat retten, aber für den Rest seines Irrfahrtenschicksals mußte er sich, d.h. seine ἀρετή, aus tiefster Erniedrigung wiedergewinnen, ohne „Gefährten,“ Schiffe, und auch der aus Troja erkämpften Kriegsbeute verlustig gegangen.“

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

9,254-255; 17,431-434).1123 Die Griechen sind zunächst erfolgreich, erobern die Stadt, töten die Männer und erbeuten Frauen und Besitztümer, die sie nach der üblichen Praxis unter sich verteilen. Die Eroberung wird nur summarisch, aber in typisch iliadischen Worten geschildert (Od. 9,40-42).1124 Ansonsten ist diese Episode jedoch weit von iliadischem Kriegsheldentum entfernt:1125 Denn als Odysseus zum Aufbruch drängt, gehorcht ihm seine Schiffsbesatzung nicht, und nach einer Nacht ausgelassenen Feierns werden sie im Morgengrauen von den geflohenen Kikonen, die im Schutz der Dunkelheit mit Verstärkung zurückgekommen sind, im Kampf besiegt und vertrieben (Od. 9,43-61). Odysseus gelang es vor Troia, Thersites in die Schranken zu weisen und dem gesamten Heer den Abzug auszureden (Il. 2,182-335), doch er hat seine eigene Mannschaft nicht im Griff. So werden die siegreichen Griechen auf der Rückfahrt von vormals troianischen Verbündeten (vgl. Il. 2,846) geschlagen, und Odysseus verliert durch den Ungehorsam seiner Männer 72 Gefährten (Od. 9,60-61). Es bleibt nur, der Toten zu gedenken und die Fahrt fortzusetzen (Od. 9,62-66). Der homerische Held ist in seiner Funktion als Herrscher für das Wohl seiner Gefährten verantwortlich,1126 doch er hat keine absolute oder institutionalisierte Befehls- und Verfügungsgewalt über seine Gefolgsmänner, die ihren Tod selbst verschulden, indem sie seinen Befehl missachten (vgl. Od. 9,44: τοὶ δὲ μέγα νήπιοι οὐκ ἐπίθοντο). Nur ein Mal steht Odysseus kurz davor, sich den Gehorsam seiner Gefährten zu erzwingen, und zieht in Erwägung, den aufrührerischen Eurylochos, der die übrigen Gefährten davon abbringen will, sich von Kirke bewirten zu lassen, und Odysseus waghalsiges Verhalten vorwirft (Od. 10,435-437), kurzerhand in heroischem Zorn zu enthaupten (Od. 10,338-440).1127 Zweifelsohne ist es einem homerischen Helden gestattet, seine Gefolgsleute zu maßregeln, wie es ihm nötig erscheint (vgl. Odysseus‘ Züchtigung des Thersites mit Billigung des Heers in Il. 2,244-277), doch die Tötung eines Untergebenen entspräche nicht der ansonsten fürsorglichen Haltung des Odysseus gegenüber seinen Gefährten. In diesem Fall folgen ihm seine Kameraden, und Odysseus muss keine Maßnahmen

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Vgl. Qviller 1981, 128: „Trouble at home could be avoided, by plundering communities abroad. It was the need for wealth that gave the Homeric king a predatory character.“. Raubzüge und Kriegszüge sind dabei oftmals schwer voneinander zu unterscheiden, vgl. auch oben I.4.3.1. Vgl. Heubeck et al. 1989, 15 und Saïd 2011, 163. Zu Ismaros als Symbol für „die heroische Welt mit Krieg und Sieg, Beute und Verblendung“ siehe auch Krischer 1985, 11. Vgl. besonders Pucci 1997, 150-154. Zu dieser „Fürsorgepflicht des Kriegsherren für seine Leute“ siehe Patzer 1991, 2627 sowie oben I.1.1. Vgl. dazu Heubeck et al. 1989, 66 ad Od. 10,431-437: „Odysseus‘ reaction (modelled on Il. i 189-92) can only be in response to an insult from Eurylochus such as the charge of recklessness (ἀθασταλίῃσιν 437).“

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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gegen Eurylochos ergreifen. Ansonsten jedoch ist das ungehorsame Verhalten der Gefährten in der Kikonen-Episode programmatisch für die weitere Handlung.1128 Im Fortgang der Irrfahrten und Abenteuer der Heimreise verliert Odysseus weitere Gefährten in der Höhle des Kyklopen (Od. 9,288-292, 310-311) und durch das Monster Skylla (Od. 12,245-259), vor dem er seine Mannschaft heldenhaft schützen wollte (vgl. Od. 12,112-114). Bezeichnenderweise handelt es sich hier um Passagen, wo Odysseus in seinem Verhalten und hinsichtlich seiner Motivation am meisten dem iliadischen Heldenbild entspricht, und in diesen Fällen zeigt der Verlust der Gefährten die Unvereinbarkeit des Ideals der Ilias mit den Erfordernissen der aktuellen Situation.1129 Dabei ist Odysseus ein verantwortungsvoller Anführer, der für seine Gefolgsmänner sorgt, bestrebt ist, sie vor Gefahr zu verteidigen und keinen seiner Gefährten zurücklässt.1130 Als seine Kundschafter im Land der Lotophagen unter den Einfluss des Lotos geraten und daraufhin die Heimkehr vergessen, lässt er sie fesseln und zwingt sie auf diese Weise zur Weiterfahrt (Od. 9,82-104). Auf der Insel der Kirke verschafft er seinen Gefährten zunächst ein Mahl, indem er einen Hirsch erlegt, um ihnen Mut zu machen, bevor er die Hälfte seiner Kameraden zu einem Spähgang aussendet (Od. 10,153-209); nach deren Verschwinden bei dem Kundschaftgang lässt er sie nicht im Stich (entgegen dem Vorschlag des Eurylochos in Od. 10,269), sondern begibt er sich auf die Suche nach den Gefährten, die von der Zauberin in Schweine verwandelt worden waren (Od. 10,237-243, 282-284), und sorgt sobald als möglich dafür, dass sie wieder ihre menschliche Gestalt erhalten (Od. 10, 383-399).1131 Er sorgt für die angemessene Bestattung des unglücklichen Elpenor (vgl. Od. 12,8-15; vgl. 11,72-76), und als sie an der gefährlichen Insel der Sirenen vorbeifahren, setzt er sich allein ihrem verderblichen Gesang aus, bewahrt jedoch durch seinen Einfallsreichtum seine Gefährten vor deren Einfluss, indem er ihre Ohren mit Wachs verschließt (Od. 12,166200). Trotz der Fürsorge des Odysseus für seine Gefolgsmänner ist die Beziehung angespannt, und auch in der Aiolos-Episode zeigen sich die Gefährten ihrem Anführer gegenüber ungehorsam. Odysseus erreicht die Insel Aiolia, wo er von Aiolos gastlich aufgenommen wird und einen Monat verweilt (Od. 10,1-18). Zum Abschied erhält er einen windgefüllten Schlauch,

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Vgl. Fenik 1974, 159-162 sowie Donlan 1998, 59. Zum Kikonen-Abenteuer als „anticipatory doublet“ der Thrinakia-Episode siehe auch de Jong 2001, 229 sowie Newton 2005, 135. Siehe dazu ausführlicher unten III.2.2.1. Zur Darstellung des Odysseus als gutem βασιλεύς, der für seinen λαός sorgt, siehe auch Donlan 1998, 60-61. Vgl. v.a. Reinhardt 1960b, 77-78.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

der ihm und seinen Schiffen eine schnelle Rückkehr in die Heimat sichern soll (Od. 10,19-26). Die Gefährten sind jedoch gegenüber Odysseus misstrauisch, und ihre Vermutung, er könnte Schätze für sich behalten und nicht mit den anderen teilen wollen, zeigt die relativ schwache Position eines homerischen Anführers. Ein Herrscher muss seinen Rang beständig durch kriegerische Leistung rechtfertigen und gegenüber seinen Untergebenen durch Großzügigkeit sichern.1132 Nach dem Aufenthalt bei Aiolos entsteht bei den Gefährten des Odysseus der Eindruck, ihr Anführer beanspruche die Beute für sich selbst, die er eigentlich mit ihnen teilen sollte (Od. 10,34-45).1133 In der Meinung, von Odysseus übervorteilt zu werden, beschließen die Gefährten sich hier heimlich am Besitz ihres Anführers zu bereichern und öffnen den Windschlauch. Daraufhin entfesseln sie alle Winde, und obgleich sie schon in Sichtweite Ithakas waren (Od. 10,28-30), werden sie wieder zur Insel des Aiolos zurückgetrieben (Od. 10,47-55). Aiolos jedoch lehnt Odysseus‘ Erklärung für seine unglückliche Rückkehr und seine erneute Bitte um Hilfe ab (Od. 10,56-79).1134 Die Gefährten wenden sich aus Misstrauen gegen Odysseus, und machen dadurch die Bemühungen ihres Anführers um eine schnelle Rückkehr zunichte (Od. 10,68: ἄασαν μ᾿ ἕταροί τε κακοὶ).1135 Dennoch hat die ursprünglich aus zwölf Schiffen bestehende Flotte des Odysseus während der Abenteuer bis zur Insel des Aiolos nur geringe Einbußen erlitten, und erst bei der folgenden Landung bei Telepylos verliert Odysseus elf Schiffe und einen Großteil seiner Gefährten durch die Hand der Laistrygonen (Od. 10,81-132). Die Schiffe der Griechen erreichen das Land der Laistrygonen, und die Gefährten ankern im ringförmigen Hafen der Stadt, der nur über eine schmale Zufahrt verfügt (Od. 10,87-94); Odysseus allein hält sein Schiff aus dem Hafen der Stadt fern (Od. 10,95-96) und schickt Kundschafter aus (Od. 10,97-102). Diese erreichen die Stadt der Laistrygonen, wo sie jedoch dem menschenfressenden König Antiphates zum Opfer fallen, und die übrigen Laistrygonen zertrümmern die Schiffe

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Zum Prinzip der Großzügigkeit vgl. v.a. Donlan 1982, 4-11 sowie oben I.4.3.2. Vgl. Qviller 1981, 129, van Wees 1992, 87 sowie Donlan 1998, 63-64. Zu einer möglichen Berechtigung dieser Unterstellung und dem Besitzstreben des Odysseus in anderen Abenteuern siehe auch Newton 2005, 139-142. Odysseus weist die Schuld an dem Vorfall von sich und schreibt die Verantwortung der ἄτη zu (Od. 10,68: ἄασαν μ᾿ ἕταροί τε κακοὶ), vgl. Heubeck et al. 1989, 46 ad loc. Vgl. Heubeck et al. 1989, 45 ad Od. 9,34-35 zur Beobachtung, dass die Gefährten während der gesamten Rückfahrt in Opposition zu Odysseus handeln: „Here the crew once more play a fatal role: mistrust, envy of their captain’s supposed wealth (41-2), foolish anger, and plain curiosity impel them to open the bag. They do not break any moral laws here, or disobey an order from Aeolus or Odysseus: their actions are merely ἀφραδίαι (27), but bring to an end the happy journey home nevertheless.“

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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der Gefährten, die den Hafen nicht rechtzeitig verlassen können, mit Steinen (Od. 10,103-125). Odysseus jedoch löst mit heroischem Schwertstreich die Haltetaue seines Schiffs und entgeht damit dem Verderben (Od. 10,126132). Die Episode ist kurz gehalten und erwähnt keine Motive für das feindselige Verhalten der Laistrygonen, doch 

überlebt auch hier durch seine Vorsicht und seine schnelle Reaktion, wo alle anderen Schiffe und Gefährten zugrunde gehen.1136 Die letzten Gefährten des Odysseus, die auf seinem eigenen Schiff übrig geblieben sind, erreichen mit ihm nach weiteren Irrfahrten und Abenteuern schließlich die Insel Thrinakia, wo die Herden des Helios weiden (Od. 12,260-266). Widrige Winde halten das Schiff einen Monat lang auf der Insel fest (Od. 12,325-326), und als die Vorräte aufgebraucht sind (Od. 12,327328), nutzen die Gefährten einen Moment der Unachtsamkeit des Odysseus und schlachten und verzehren unter der Führung des Eurylochos die Rinder des Helios (Od. 12,335-365).1137 Odysseus‘ Besatzung ist nicht gezwungen, die Rinder zu schlachten, denn die Männer könnten sich durch das Fangen von Vögeln und Fischen ernähren (vgl. Od. 12,329-332), doch das Verlangen nach gebratenem Rindfleisch entspricht der gewohnten Kost eines Helden, die sich nur in Notsituationen und ungern von Fisch oder anderem Fleisch ernähren.1138 Der Raub der Rinder kommt einer Entehrung des Gottes gleich, die nicht ungesühnt bleiben kann, und die Rache für den Rinderdiebstahl entspricht der Bedeutung, die Vieh als Prestigebesitz in der heroischen Zeit beigemessen wurde.1139 Denn Helios bittet Zeus daraufhin um die Bestrafung der Gefährten, und als das Schiff nach sieben Tagen durch günstigen Wind wieder in See stechen kann, zerschmettert Zeus es mit einem Blitz und tötet alle Gefährten (Od. 12,374-419). Der Tod der Gefährten ist die Strafe für ihr Vergehen, und Odysseus allein überlebt und kann sich zur Insel der Kalypso retten, der letzten Station seiner Reise vor der Rückkehr in die Zivilisation im Land der Phaiaken (Od. 12,420-459). Die Gestaltung der Thrinakia-Episode entspricht damit nicht nur dem Weltbild der Odyssee, demgemäß Menschen für ihre Verfehlungen von den

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Vgl. Reinhardt 1960b, 55-56, Donlan 1998, 64, Saïd 2011, 169 sowie deutlich Andersen 1973, 8: „Die unheimliche Laistrygonen-Geschichte ist recht abenteuerlich und wenig ausgeführt und ist wohl nur da, damit die übrigen Schiffe auf einmal zugrunde gehen können.“ Vgl. auch Donlan 1998, 65-67 zum verhängnisvollen Einfluss des Eurylochos während der Irrfahrten. Vgl. oben Anm. 582 sowie Friedrich 1987b, 391 und Segal 1994, 217. Auch darin zeigt sich die Bedeutung, die körperlichen Bedürfnissen in der Odyssee beigemessen wird (z.B. Od. 17,286-287: γαστέρα ... οὐλομένην), vgl. Crotty 1994, 148-150. Angedeutet bei Walcot 1979, 328. Die Zahl der Rinder ist zudem unveränderlich (vgl. Od. 12,130-131), und die Gefährten stören damit die göttliche Ordnung, vgl. Austin 1975, 135.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Göttern bestraft werden,1140 sondern auch dem epischen Heldenkonzept, das den Herrscher zur Bewahrung seiner Gefolgsmänner verpflichtet. Nach der Kyklopen-Episode wird Odysseus vom Zorn des Poseidon verfolgt, doch es ist der Zorn des Helios, den die Gefährten selbst verursacht haben, der zu ihrem Untergang führt.1141 Odysseus wusste um die Gefahr (Od. 11,104-115; 12,127-141, 266-269), und da er für das Heil seiner Gefolgsmänner verantwortlich ist, versucht er, seine Gefährten zu warnen und von dem Frevel abzuhalten (Od. 12,271-276, 320-323), und lässt sie sogar einen Eid schwören, dass sie die Rinder nicht anrühren würden (Od. 12,297-304). Der Zweck der Vorausdeutungen und Warnungen des Teiresias und der Kirke besteht nicht zuletzt darin, Odysseus als den Helden darzustellen, der alles unternimmt, um seine Begleiter vor der drohenden Gefahr zu bewahren.1142 Doch die Gefährten hören nicht auf Odysseus, sondern auf Eurylochos (Od. 12,278-294, 339-352), und gehen durch ihre eigene Schuld zugrunde. Die Odyssee legt großen Wert darauf, dass der heimkehrende Anführer Odysseus keine Schuld am Untergang seiner Gefolgsmänner trägt (vgl. v.a. 1,7: σφετέρῃσιν ἀτασθαλίῃσιν1143 ὄλοντο).1144 Folglich ist der Vorwurf des Eupeithes, Odysseus habe seine Gefährten zugrunde gerichtet (Od. 24,427428), eine Strategie, um das Volk Ithakas gegen den heimgekehrten Helden aufzubringen, entspricht jedoch nicht der Wahrheit.1145 Odysseus gibt sein Bestes, um als verantwortungsvoller Anführer seine Mannschaft zu retten, doch die Geschichte erfordert, dass Odysseus alleine nach Ithaka zurückkehrt, und die Theologie der Odyssee bedingt, dass die Gefährten für die Entehrung des Helios durch die Gerechtigkeit des Zeus mit dem Tod bestraft werden. Odysseus hingegen, der „große Held“ seines eigenen Epos,

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Vgl. Kullmann 1985, 6, Segal 1994, 215-218 sowie Saïd 2011, 178. Der Untergang der Gefährten ist dabei sowohl Rache (von Seiten des Helios für seine Entehrung) als auch Strafe (von Seiten des Zeus). Vgl. Friedrich 1987b, 394-395. Siehe hingegen Reinhardt 1960b, 87-88, der die Funktion der Vorausdeutungen in der Betonung der Leidensfähigkeit des Odysseus sieht. Zu ἀτασθαλίαι siehe Andersen 1973, 21-23, Clay 1983, 36-37, Jones 1991, 99 ad loc. sowie Heubeck et al. 1988, 72 ad loc.: „[ἀτασθαλίη] denotes behaviour for which men not only suffer but deserve to suffer, culpable recklessness implying a selfish disregard for the decencies of social life.“ Vgl. Andersen 1973, 7-21, Clay 1983, 34-38, Alden 1985, 100, Friedrich 1987b, 385-393, Haubold 2000, 132-133, Saïd 2011, 237-239 sowie Crane 1988, 143: „Their [d.h. der Gefährten] death does not reflect well upon their leader, and the Odyssey carefully exonerates Odysseus from any responsibility for the completeness of the catastrophe (Od. 1.5-9).“ Die Ausführungen von Fenik 1974, 209-227, dass das Unglück der Gefährten nicht den Grundsätzen des Zeus von Verfehlung und Strafe entspricht, können nicht überzeugen. So auch Andersen 1973, 7.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

263

überlebt durch seine Selbstbeherrschung, und zeichnet sich gegenüber seinen Gefährten, die im Vergleich mit ihm nur „kleine Kämpfer“ sind, durch seine Leidensfähigkeit und seine Standhaftigkeit aus.1146 Die Darstellung der Beziehung zu seinen Gefährten ist offenkundig mit der Intention gestaltet, Odysseus als typischen Helden und Herrscher zu charakterisieren: Er bringt seine Gefolgsmänner zwar mehrfach durch seinen heroischen Individualismus in Gefahr, doch zugleich sorgt er sich um sie und ist bestrebt, für alle eine sichere Heimkehr zu erlangen (vgl. Od. 1,5: ἀρνύμενος ἥν τε ψυχὴν καὶ νόστον ἑταίρων). Seine Gefährten hingegen verwirken durch eigenes Verschulden ihre Rückkehr und scheitern durch ihre Schwäche und ihren Ungehorsam gegenüber ihrem Anführer; der Held Odysseus, dessen Größe angesichts des Verlusts all seiner Gefährten nur umso deutlicher aufscheint, erreicht seine Heimat am Ende allein. III.2.2 Der Troia-Kämpfer im Märchenland Nach der Beziehung zu den Gefährten, deren Gestaltung offensichtlich darauf ausgerichtet ist, Odysseus als Helden besonders hervorzuheben, gilt es nun, das Verhalten des Odysseus während seiner Abenteuer in der märchenhaften Welt der Irrfahrten zu betrachten. Eine strenge Trennung zwischen dem „Ilias-Helden“ Odysseus und dem „Märchenhelden“ Odysseus kann dabei jedoch nicht vorgenommen werden:1147 Denn die Verschlagenheit des Odysseus (μῆτις/δόλος1148), der Aspekt seines Charakters, der wohl am ehesten dem „Märchenhelden“ zugerechnet werden kann, ist zum einen schon in der Ilias angelegt und damit offensichtlich Teil der epischen Tradition um Odysseus,1149 und zum anderen bei weitem nicht auf das Verhalten des Odysseus während der Irrfahrten beschränkt.

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Siehe dazu Friedrich 1987b, 394: „The Thrinakia adventure is as much the aristeia of Odysseus‘ tlemosyne as the Cyclops adventure is the aristeia of his metis.“ Zu Thrinakia als „aristeia of a passive hero“ siehe auch Crane 1988, 147-149, 152: „In the Iliad, innumerable minor figures fall before the main heroes, simply so that they may show us the greatness of their more famous opponents. In his own epic, Odysseus has his companions.“ Siehe hierzu Hölscher 2000, 58: „Denn wie die Ilias in Odysseus den Märchenhelden durchscheinen läßt, so springt aus dem Odysseus der Odyssee immer wieder, und zumal in Situationen der Abenteuer, der Ilias-Held hervor.“ Zur Unvereinbarkeit der Charakterzüge von Märchenheld und Kriegsheld siehe Patzer/Hölscher 1990, 489490. Zur Gleichsetzung von μῆτις und δόλος in der Odyssee siehe Wilson 2005, v.a. 10-12 sowie unten besonders III.2.2.1 und III.3.3. Vgl. Bowra 1952, 100-102 und Stanford 1968, 12-14. Konkret zu Odysseus siehe Bowra 1952, 101. „Of heroes famed for resource Odysseus is the most complete. He too is a great warrior and leader, who uses cunning to get himself out of difficulties into

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

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III.2.2.1 Im Land der Kyklopen Die Kyklopen-Episode (Od. 9,105-566) ist das erste ausführlich berichtete Abenteuer der Irrfahrten und enthält viele für die Odyssee und den Charakter des Odysseus typische Details.1150 Bei dem Stoff handelt es sich unzweifelhaft um eine Volkserzählung, deren bestimmendes Motiv die Blendung eines menschenfressenden Unholds darstellt.1151 Der Held kann mit List und Klugheit einen übermächtigen, unmenschlichen Gegner überwinden (vgl. Od. 12,209-212; 20,19-21), und das Abenteuer ist gleichsam eine Aristie der μῆτις des Odysseus.1152 Trotz des zweifellos volkstümlichen Ursprungs des Materials trägt diese Episode eindeutig epische Züge, die das Abenteuer durch die Betonung geistiger Fähigkeit und den Erfolg durch List als ein λόχος-Unternehmen erscheinen lassen (vgl. Od. 9,408: δόλῳ οὐδὲ βίηφι).1153 Odysseus landet mit seiner Mannschaft nach Einbruch der Dunkelheit auf der Ziegeninsel nahe dem Land der Kyklopen, wo sie ihr Lager aufschlagen und sich verpflegen (Od. 9,115-165). Als Odysseus jedoch den Rauch in der Ferne sieht, beschließt er, sich mit seinem Schiff zur Erkundung aufzumachen (Od. 9,166-180). Als sie die Höhle des Kyklopen finden, wählt sich Odysseus die besten seiner Gefährten für das Unternehmen aus (Od. 9,195: κρίνας ἑτάρων δυοκαίδεκ᾿ ἀρίστους; vgl. auch 9,334-335), und sowohl die anfängliche Dunkelheit als auch die Auswahl der Besten evoziert das Thema des λόχος, das in der Ilias weitestgehend ausgeblendet, in der Odyssee jedoch die bestimmende Form des Kampfes darstellt. 1154 Odysseus unternimmt zunächst keinen Raubzug, sondern einen Spähgang, wobei er die Hoffnung hegt, die Bewohner der Insel zu treffen und reichliche Gastgeschenke zu erhalten. Als sie die Höhle des Kyklopen erreichen und die Gefährten das Vieh und die Lebensmittel darin stehlen und sich auf die Schiffe zurückziehen wollen (Od. 9,224-230), hält Odysseus ihnen entgegen, er wolle den Bewohner treffen und sehen, ob dieser ihm ein Gastgeschenk gebe (Od. 9,228-229; vgl. 9,266-268). Odysseus und seine Gefährten kamen nicht auf der Suche nach Nahrung ins Land der Kyklopen, da sie sich schon reichlich mit Ziegen versorgen konnten (Od. 9,154-160), und Odysseus ist bestrebt, von dem Besitzer der Höhle durch Gaben geehrt zu

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which his headstrong taste for adventure has led him.“ Zum Heldentypus des „Tricksters“ siehe auch Miller 2000, 242-260. Clay 1983, 112 spricht hier zutreffend vom „most “Odyssean” of all his adventures.“ Siehe dazu Schein 1970, 73, Glenn 1971 und Austin 1983. Zur Version der Odyssee und ihrer Originalität siehe Podlecki 1961 und Schein 1970. Zu diesem Aspekt siehe v.a. Clay 1983, 112-125. Vgl. Edwards 1985a, 19, 37-38, Dué/Ebbott 2010, 84-86 sowie Dué 2012, 179-181. Dazu v.a. Edwards 1985a, 27-41.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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werden.1155 Damit werden die Umgangsformen der iliadischen Adelsethik und ihr unablässiges Streben nach Besitz und dem damit verbundenen Prestige thematisiert, denn Gastfreundschaften zu pflegen und sich durch Gastgeschenke zu bereichern ist ein ehrenvoller Weg, Reichtum zu erwerben (vgl. Menelaos in Ägypten in Od. 3,299-302).1156 In Erwartung einer gastlichen Aufnahme und eines Gabentausches nimmt Odysseus auf seinem Kundschaftsgang als Gastgeschenk einen Schlauch süßen Weins mit, den er von dem Apollon-Priester Maron erhalten hatte (Od. 9,196-213). Der Wein ist von hoher Qualität, und ein Teil Wein muss mit zwanzig Teilen Wasser verdünnt werden (Od. 9,209-210). Der Umstand, dass Polyphemos den Wein entgegen der üblichen Gewohnheit unverdünnt trinken wird (Od. 9,360-362), charakterisiert ihn als unzivilisierten Wilden, und das Zusammentreffen mit dem Kyklopen zeigt die Perversion der üblichen sozialen Interaktion zwischen homerischen Helden: 1157 Denn als der Kyklop zurückkehrt, beachtet er die Griechen zunächst nicht (Od. 9,233-251), und seine ersten Worte sind unfreundlich knapp und direkt (Od. 9,251-255).1158 Odysseus gibt daraufhin sich und seine Gefährten als Kämpfer Agamemnons zu erkennen, ohne jedoch seinen Namen zu nennen, und beschließt seine Rede mit einer Bitte um ein Gastgeschenk und freundliche Aufnahme (Od. 9,259-271). Odysseus‘ Tonfall wechselt von der stolzen Vorstellung als Sieger über Troia, die den Kyklopen nicht beeindruckt, unmittelbar zum Ton einer Hikesie (Od. 9,266-267: κιχανόμενοι τὰ σὰ γοῦνα / ἱκόμεθ᾿).1159 Doch der Kyklop reagiert auch auf den Verweis auf Zeus Xenios (Od. 9,270-271) mit offener Verachtung und erkundigt sich nach dem Schiff der Griechen (Od. 9,272-280). Odysseus beweist daraufhin seine listige Vorsicht (Od.

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Podlecki 1961, 128 sieht den Grund für Odysseus‘ Ablehnung des Vorschlags darin, dass es dem göttlich sanktionierten Gastrecht widerspreche, Friedrich 1987a, 125 (mit Lateiner 1995, 172-173) führt jedoch zu Recht an, dass es unter der Würde eines Helden sei, den Eigentümer der Höhle zu bestehlen: „Proud Homeric hero that he is, he is accustomed to obtaining his possessions either by fighting or as gifts in recognition of his honour.“ Odysseus‘ Fixierung auf Gastgeschenke wurde oftmals als Besitzgier kritisiert, da jedoch Reichtum nur der sichtbare Ausdruck des Ansehens eines Helden ist, wird sein Verhalten verständlich, vgl. Stanford 1968, 76, Friedrich 1987a, 123-126 sowie oben I.4.3.1. Siehe dazu Segal 1994, 151 sowie von Reden 2003, 33-34. Vgl. Fenik 1974, 20-21, Friedrich 1987a, 127, der diese Behandlung als Beleidigung deutet, sowie Heubeck et al. 1989, 28 ad Od. 9,252-255. Vgl. Friedrich 1987a, 127. Odysseus verweist übertrieben auf den Ruhm Agamemnons (Od. 9,264: μέγιστον ὑπουράνιον κλέος), doch in der Welt des Kyklopen ist dieser Ruhm bedeutungslos, vgl. Reinhardt 1960b, 67, Clay 1983, 117 sowie Segal 1994, 96: „[H]e begins to understand that one may hark back proudly to martial deeds at Troy, but in this post-Trojan world, the hero will have to achieve kleos by new means.“

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

9,282: δολίοις ἐπέεσσι), indem er entgegnet, sie seien schiffbrüchig auf die Insel gekommen (Od. 9,281-286). Der Kyklop, der bisher das Gastrecht der Griechen nur ablehnte, verkehrt nun das übliche heroische Ritual der Bewirtung ins Gegenteil, indem er zwei der Gefährten tötet und auffrisst (Od. 9,288-298; vgl. auch 9,369370).1160 Odysseus ist zunächst versucht, dem Unhold, der sich nach seinem grausigen Mahl zum Schlafen niederlegt (Od. 9,296-298), das Schwert in die Brust zu stoßen (Od. 9,299-302). Er gibt diesem heroischen Impuls jedoch nicht nach, sondern besinnt sich rechtzeitig, da der Kyklop den Höhleneingang mit einem schweren Stein versperrt hat (Od. 9,240-243, 302-305).1161 Die Situation zeigt die Unvereinbarkeit iliadischen Heldentums mit der Welt der Irrfahrten, wo das Handeln nach den heroischen Verhaltensregeln sich selbst widerlegen würde: Wenn Odysseus sein Schwert zöge und wie ein iliadischer Held unmittelbar Rache für seine Gefährten übte, würden er und seine verbliebenen Begleiter einen ruhmlosen Tod, eingeschlossen im Dunkel der Kyklopenhöhle, sterben.1162 Da er nicht mit direkter Gewalt (βίη) gegen den Kyklopen vorgehen kann, muss Odysseus seinen Verstand (μῆτις) zum Einsatz bringen, um einen anderen Weg zu finden (vgl. Od. 9,408: δόλῳ οὐδὲ βίηφι1163). Am nächsten Tag frisst der Kyklop abermals zwei Gefährten (Od. 9,311) und hält Odysseus und seine noch verbliebenen Begleiter in der Höhle gefangen, während er seine Schafe weidet (Od. 9,312-315). Odysseus ersinnt einen alternativen Racheplan und beschließt, den Kyklopen mit dem angespitzten Pfahl eines Ölbaums zu blenden (Od. 9,316-333). Als der Kyklop zurückkehrt und sich wiederum zwei Gefährten als Mahlzeit nimmt (Od. 9,336-344), tritt Odysseus zu ihm und bietet ihm den als Gastgeschenk mitgebrachten Wein an, den er gierig und unverdünnt trinkt (Od. 9,345-354). Auf die Frage des betrunkenen Polyphemos nach dem Namen seines Gastes, damit er ihm ein Gastgeschenk geben könne (Od. 9,355-356), antwortet Odysseus mit vorausdenkender Selbstverleugnung:

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Vgl. Friedrich 1987a, 128 und Lateiner 1995, 173. Die Tat wird dadurch, dass der Kyklop die Gefährten roh frisst, als besonders barbarisch und unzivilisiert dargestellt, vgl. Schein 1970, 74-75. Sehr kritisch hier Austin 1983, 13: „The narrator, feigning the heroic impulse, draws his sword. But the hero is not an epic hero, not in this episode, not in this cave, and the heroic impulse is stayed.“ Vgl. Friedrich 1987a, 128. Zum Widerwillen gegenüber einem „ruhmlosen Tod im Dunkel” vgl auch oben I.6.2. Vgl. dazu Podlecki 1961, 131 (über Od. 9,282): „δόλος is a synonym for μῆτις“, vgl. auch Detienne/Vernant 1974, v.a. 18 Anm. 3 et passim sowie Wilson 2005, 10-12 zur Feststellung, dass μῆτις erst in der Odyssee oftmal bedeutunsgleich mit δόλος verwendet wird.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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Od. 9,364-367: Κύκλωψ, εἰρωτᾷς μ᾿ ὄνομα κλυτόν; αὐτὰρ ἐγὡ τοι ἐξερέω· σὺ δέ μοι δὸς ξείνιον, ὥς περ ὑπέστης. Οὖτις ἐμοί γ᾿ ὄνομα· Οὖτιν δέ με κικλήσκουσι μήτηρ ἠδὲ πατὴρ ἠδ᾿ ἄλλοι πάντες ἑταῖροι. Kyklop, du fragst mich nach meinem berühmten Namen? Nun denn, ich werde ihn dir sagen: du aber gib mir ein Gastgeschenk, wie du es versprachst. Niemand ist mein Name, und Niemand rufen mich Mutter und Vater und all die anderen Gefährten.

Die Verschleierung des eigenen Namens ist für einen Helden überaus untypisch,1164 doch der Kyklop bemerkt die List nicht und entgegnet nur höhnisch, er werde ihn als Gastgeschenk zuletzt auffressen (Od. 9,369-370). Danach fällt er in betrunkene Bewusstlosigkeit (Od. 9,371-373), und Odysseus beginnt seine Rache. Die Umsetzung dieses Vorhabens wird als Heldentat wie eine Aristie dargestellt,1165 und zusammen mit seinen Gefährten gelingt es ihm, den Kyklop mit einem im Feuer gehärteten Olivenholzpfahl 1166 zu blenden (Od. 9,375-394). Als Polyphemos vor Schmerz nach den anderen Kyklopen ruft (Od. 9,396-402), erweist sich das Pseudonym nicht nur als Schutz, sondern auch als geschicktes Wortspiel (Od. 9,403-412): Denn auf die Frage, ob „nicht irgendjemand ihn mit List und Stärke morde“ (Od. 9,406: μή τις σ᾿ αὐτὸν κτείνει δόλῳ ἠὲ βίηφι), antwortet Polyphemos, dass „Niemand ihn mit List, aber nicht mit Stärke morde“ (Od. 9,408: Οὖτίς με κτείνει δόλῳ οὐδὲ βίηφι). Die List beruht auf dem Gleichklang von Οὖτις, dem fiktiven Namen des Odysseus, und οὔ τις „niemand“, doch der Name beinhaltet gleichzeitig ein für den Charakter des Odysseus bezeichnendes Wortspiel. Denn die Nachfrage der anderen Kyklopen evoziert über die Variante μή τις den Begriff der μῆτις, der praktischen Klugheit, die Odysseus hier erfolgreich zur Rettung seines eigenen Lebens und seiner noch verbliebenen Gefährten einsetzt (v.a. Od. 9,410: μή τίς σε βιάζεται; vgl. 20,1921).1167 Die Verleugnung des eigenen Namens bewahrt Odysseus und seine

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Vgl. Segal 1994, 95. In der Ilias fragen Helden einander oftmals nach ihren Namen und ihrer Abstammung (vgl. z.B. Il. 6,123) und beantworten diese Fragen wahrheitsgemäß. Od. 9 ist der einzige Fall in den beiden homerischen Gedichten, in dem ein Held seine Identität verleugnet, vgl. Higbie 1995, 163. Vgl. Heubeck et al. 1989, 30 ad Od. 9,299-305 sowie 33 ad Od. 9,375-394 und Cook 2009, 118-119. Zur Darstellung des Odysseus als Held in der Kyklopen-Episode siehe auch Collins 1998, 118-119. Siehe auch Schein 1970, 75-77 zu Olivenholz als Zeichen von Odysseus’ technologischer Überlegenheit gegenüber dem primitiven Kyklopen. Auch Saïd 2011, 167-168 liest die Kyklopen-Episode als Demonstration der Überlegenheit der τέχνη des Odysseus bzw. der Zivilisation der Griechen. Vgl. Podlecki 1961, 130, Schein 1970, 80-81, Austin 1975, 148, Clay 1983, 119-120 und Edwards 1987, 120-121. Siehe auch Usener 1990, 140: „Die Blendung des Polyphemos

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Gefährten vor dem Zorn der anderen Kyklopen, und Odysseus lacht heroisch triumphierend über den Erfolg seiner List: Od. 9,413-414: (...) ἐμὸν δ᾿ ἐγέλασσε φίλον κῆρ ὡς ὄνομ᾿ ἐξαπάτησεν ἐμὸν καὶ μῆτις ἀμύμων. (...) Mein Herz aber lachte, wie sie mein Name getäuscht hatte und mein untadeliger Einfall.

Wie von 

erhofft, öffnet der Kyklop nun den mit dem schweren Stein versperrten Höhlenausgang, doch er tastet selbst seine Schafe ab, um die Flucht der Griechen zu verhindern (Od. 9,415-419), und so muss Odysseus abermals seine μῆτις unter Beweis stellen (vgl. Od. 9,424: ἀρίστη φαίνετο βουλή). Unter den wolligen Widdern des Kyklopen entkommen die Griechen unentdeckt aus der Höhle und erreichen ihr Schiff (Od. 9,425-466).1168 Odysseus drängt zur Abfahrt, lässt die Gefährten jedoch zuerst das Vieh des Kyklopen an Bord treiben und nimmt sich auf diese Weise Beute für seinen Sieg (Od. 9,469-470). Sobald sie sich jedoch auf dem Schiff in sicherer Entfernung befindet, kann es Odysseus nicht unterlassen, gegenüber dem Kyklopen zu triumphieren: Er hat eine Tat vollbracht, auf die er stolz sein kann (vgl. Od. 9,317), und ein homerischer Held lässt kaum eine Gelegenheit aus, auf seine Leistungen hinzuweisen. In seiner ersten Rede, die strukturell an der Stelle einer Prahlrede einer Aristie steht, 1169 stellt er die Blendung als gerechte Rache und Strafe des Zeus für die Verletzung des Gastrechts dar (Od. 9,475-479; vgl. 9,270-271), und der Ausgang des Abenteuers entspricht damit den moralischen Vorstellungen der Odyssee:1170 In Odysseus‘ Erzählung ist die Blendung des Kyklopen ebenso göttliche Strafe für die Verletzung des Gastrechts wie heroische Rache für seine toten Gefährten. Der Kyklop schleudert daraufhin einen Felsbrocken, der das Schiff nur knapp verfehlt (Od. 9,480-490), und Odysseus reizt Polyphemos trotz der Warnung seiner Gefährten (Od. 9,492-499) mit einer zweiten Rede. Dabei verrät er seinen Namen, der so wichtig ist für die Identität des Helden, und gibt sich in epischer Manier mit der Nennung seines eigenen Namens, des Namens seines Vaters, seinem Heimatort und einem Epitheton vollständig zu erkennen (vgl. Od. 9,19-21): Od. 9,502-505: Κύκλωψ, αἴ κέν τίς σε καταθνητῶν ἀνθρώπων ὀφθαλμοῦ εἴρηται ἀεικελίην ἀλαωτύν,

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wiederum stellt weniger eine Aristie des kriegerischen Helden dar als vielmehr – wie später die gesamte Realisierung des Racheplanes – eine Aristie der μῆτις.“ Das Wortspiel ist offenbar eine Erfindung Homers, die in anderen Versionen der Erzählung nicht auftaucht, vgl. Schein 1970, 79-80. Vgl. Stanford 1968, 74: „a kind of Trojan Horse stratagem in reverse.“ Vgl. Friedrich 1987a, 131 sowie Heubeck et al. 1989, 38 ad Od. 9,474-479. Vgl. Schein 1970, 81-82.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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φάσθαι Ὀδυσσῆα πτολιπόρθιον ἐξαλαῶσαι, υἱὸν Λαέρτεω, Ἰθάκῃ ἔνι οἰκί᾿ ἔχοντα. Kyklop, wenn dich wohl einer der sterblichen Menschen befragen wird nach deines Auges unwürdiger Blendung, so sage, dass Odysseus, der Städtezerstörer, dich geblendet hat, der Sohn des Laertes, der auf Ithaka seine Heimstatt hat.

Die Enthüllung seiner Identität ist angesichts der sonstigen Verschlagenheit des Odysseus keine kluge Handlung, aber dennoch ist aus der Sicht eines homerischen Helden die Nennung des eigenen Namens unerlässlich. Odysseus gewinnt auf diese Weise seine iliadische Identität als Städtezerstörer zurück (Od. 9,504), die er in seiner List als „Niemand“ verleugnen musste (vgl. die Beschimpfungen des Kyklopen Od. 9,453: ἀνὴρ κακὸς; 9,460: οὐτιδανὸς ... Οὖτις; 9,513-515).1171 Erst dadurch, dass er seine Tat mit seinem eigenen Namen in Anspruch nimmt, kann er die Rache für den Tod seiner Gefährten abschließen und seinen Triumph über den Kyklopen vervollständigen (vgl. Od. 9,317: εἴ πως τισαίμην, δοίη δέ μοι εὖχος Ἀθήνη).1172 Odysseus agiert als iliadischer Held, der durch seine Gerissenheit seine Gefährten rächen konnte und sich nun mit einer prahlenden Rede auch seinen Ruhm sichern möchte.1173 Odysseus entkommt dem Kyklopen, dessen zweiter Wurf das Schiff ebenfalls verfehlt, und kehrt mit reicher Beute, an der er als Anführer den größten Anteil zugesprochen bekommt, zurück zur Ziegeninsel (Od. 9,537-551).1174 Das Abenteuer zeigt Odysseus als Helden, der Listen und Selbstverleugnung zur Rettung seines Lebens und seiner Gefährten einsetzt, doch die abschließende Bestätigung seiner heroischen Identität durch heldentypische Prahlreden hat schlimme Folgen für ihn und seine Gefährten, denn nur durch die Nennung des Namens kann Polyphemos seinen Vater Poseidon bitten, an Odysseus Rache zu nehmen

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Vgl. Schein 1970, 82, Clay 1983, 121-122, Friedrich 1987a, 130-132, Clarke 1989, 57, Segal 1994, 33, 97 und Higbie 1995, 163-164. Vgl. Lateiner 1995, 174-175: „To restore violated esteem and honor, Odysseus addresses three tasks: first, to escape the cave; second, to reaffirm his heroic alke; and third, to assert his own identity and flaunt his enemy’s helplessness in defeat.“ Vgl. Podlecki 1961, 132, Rutherford 2009, 166 sowie Saïd 2011, 227. Die Enthüllung des Namens ist somit sicherlich nicht auf Unachtsamkeit zurückzuführen, wie von Heubeck et al. 1989, 39 ad Od. 9,500-505 behauptet. Ebenso trifft auch die Deutung von Crotty 1994, 144-147 nicht zu, dass Odysseus sich in der neuen, moralischen Welt der Odyssee sicher wähnen kann, da der Kyklop nur seine gerechte Strafe erhalten habe, denn Odysseus zieht erst durch die Prahlrede den Zorn des Poseidon auf sich. Odysseus agiert hier als iliadischer Held, der durch seine Gerissenheit für seine Gefährten Rache nehmen konnte und nun mit seiner prahlenden Rede seinen Ruhm sichern möchte, so auch Griffin 2004, 70. Vgl. Donlan 1998, 63: „The prize of the leader-ram, Polyphemos‘ favourite animal, is fitting symbolic acknowledgement of the leader’s cunning and courage.“

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

(Od. 9,527-536).1175 Indem Odysseus sich auch in der Märchenwelt gegenüber Monstern wie ein Kriegsheld vor Troia verhält, zieht er weiteres Unheil auf sich.1176 In den weiteren Abenteuern zeigt der Fluch des Polyphemos jedoch noch keine Wirkung, und es ist nicht dieser Fehler des Odysseus, der für den Untergang der Gefährten sorgt, sondern deren eigene Verfehlung auf Thrinakia. Das Handeln nach den bekannten heroischen Verhaltensmustern, insbesondere das Streben nach Gastgeschenken und die triumphierende Prahlrede nach dem Erfolg haben schlimme Konsequenzen für Odysseus. Eine weitere Episode, die die Probleme des iliadischen Heldenideals mit den Situationen der Märchenwelt aufzeigt, ist die Begegnung mit dem Monster Skylla. Obwohl er gewarnt wurde und die Weisung erhielt, nicht gegen Skylla zu kämpfen (Od. 12,116-126), gibt er dem heroischen Impuls, sich zum Kampf zu stellen und seine Gefährten zu beschützen (vgl. Od. 12,112-114), nach: Od. 12,226-230: καὶ τότε δὴ Κίρκης μὲν ἐφημοσύνης ἀλεγεινῆς λανθανόμην, ἐπεὶ οὔ τί μ᾿ ἀνώγει θωρήσσεσθαι· αὐτὰρ ἐγὼ καταδὺς κλυτὰ τεύχεα καὶ δύο δοῦρε μάκρ᾿ ἐν χερσὶν ἑλὼν εἰς ἴκρια νηὸς ἔβαινον πρώρης· (...) Und da vergaß ich nun der Kirke schmerzliche Weisung, dass sie mir befohlen hatte, dass ich mich nicht rüsten solle. Ich jedoch tauchte in die herrliche Rüstung und ergriff zwei lange Speere mit den Händen und stieg auf das Verdeck des Schiffs am Bug: (...)

Diese Kurzfassung einer Rüstungsszene evoziert iliadische Kampfschilderungen, doch die heroische Geste verfehlt in diesem neuen Kontext ihren Zweck. Es kommt nicht zum Kampf, und Odysseus muss tatenlos mitansehen, wie Skylla sechs seiner Gefährten aus dem Schiff reißt und auffrisst (Od. 12,245-259). Die kampflose Begegnung zeigt ebenso wie das Kyklopen-Abenteuer die Unvereinbarkeit der Märchenwelt und ihrer Monster mit dem Ideal des epischen Kriegshelden. Odysseus ist zwar immer noch ein iliadischer Held, doch in einer Welt, die nicht mehr die der Ilias ist.1177

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Vgl. Webber 1989, 11. Vgl. Segal 1994, 97, Donlan 1998, 61-62 sowie Griffin 2004, 70-71, 92-93. Die Diskrepanz des iliadischen Odysseus in der Skylla-Episode zu den Erfordernissen der Situation der Märchenwelt ist von Interpreten überaus deutlich gemacht worden, vgl. Whitman 1958, 300, Reinhardt 1960b, 59-60, Brooks 1977, Crane 1988, 151153, Clarke 1989, 65, Heubeck et al. 1989, 130-131 ad loc., Segal 1994, 89, Collins 1998, 120 Anm. 55, Griffin 2004, 70-71 sowie Saïd 2011, 171, 228.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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III.2.2.2 Der Held und die Frauen: Kirke und Kalypso Nach der Abfahrt von der Kyklopeninsel folgen weitere Abenteuer, in denen sich Odysseus bewähren muss. Dabei trifft er auch auf zwei Frauengestalten, die Zauberin Kirke und die Nymphe Kalypso. Unabhängig von Herkunft und Tradition dieser Gestalten gilt es nun, das Verhalten des Helden gegenüber dem anderen Geschlecht zu untersuchen.1178 Nach dem Verlust seiner elf Begleitschiffe durch die Laistrygonen erreicht Odysseus die Insel Aiaia, wo Kirke, die göttliche Schwester des Aietes und Tochter des Helios, wohnt (Od. 10,133-139). Nach zwei Tagen der Trauer über den Tod der Gefährten durch die Laistrygonen rüstet sich Odysseus am dritten Tag nach Art eines Helden mit Speer und Schwert und macht sich auf, die Insel zu erkunden (Od. 10,140-147). Als er in der Ferne Rauch bemerkt, beschließt er, Kundschafter auszuschicken (Od. 10,148-155), die das verwunschene Haus der Zauberin erreichen (Od. 10,210-223), wo sie von ihr gastlich aufgenommen und in Schweine verwandelt werden (Od. 10,224-243). Odysseus erfährt durch Eurylochos von dem Vorfall, der als einziger vorsichtig genug war, der Zauberin nicht zu vertrauen, und der Verwandlung entgehen konnte (Od. 10,232, 244-260). Daraufhin rüstet sich Odysseus mit Schwert und Bogen (Od. 10,261-262), und weil Eurylochos sich aus Furcht weigert, ihm den Weg zu weisen (Od. 10,263-273), begibt er sich allein zum Haus der Kirke. Bevor er sein Ziel jedoch erreicht, erscheint Hermes in Gestalt eines jungen Mannes, gibt ihm die Zauberpflanze Moly und rät ihm, wie er sich der Verzauberung widersetzen und Kirke bezwingen kann (Od. 10,274-306).1179 Odysseus erreicht das Haus der Kirke, und als sie ihn ebenfalls bewirtet und verwandeln will, kann er ihr widerstehen und zieht, wie ihm von Hermes geheißen, sein Schwert, um die Zauberin zu bedrohen (Od. 10,308-322). Odysseus stellt sich damit als iliadischer Held der Gefahr entgegen, und diesmal ist seinem heldenhaften Vorgehen Erfolg beschieden.1180 Die „Zauberprobe, durch die sich der Märchenheld bewährt“,1181 ist ein volkstümliches Motiv, doch der Fortgang des Abenteuers zeigt weitere Aspekte des iliadischen Helden: Denn als Kirke den Helden daraufhin voll Erstaunen um Gnade bittet und als den Troia-Kämpfer Odysseus erkennt (Od. 10,323-332), bietet sie ihm ihr Bett an (Od. 10,333-335); Odysseus willigt

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Zu Motiven der Darstellung und Traditionslinien bei Kalypso siehe Crane 1988, 1521, zu Kirke ebenda 31-75. Zum Motiv der Götterhilfe im homerischen Epos siehe oben v.a. I.3.4.1. Vgl. Heubeck et al. 1989, 59 ad Od. 293-301: „Here he must stand as the heroic man of action against a figure from the non-heroic world of magic (cf. ix 299-305).“ Der Verweis bezieht sich auf die Kyklopen-Episode, als Odysseus einsehen musste, dass er mit seinem Schwert gegen Polyphemos nichts ausrichten würde. Reinhardt 1960b, 80. Vgl. auch Heubeck et al. 1989, 50-52 ad Od. 10,133-574.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

ein, nachdem er ihr zuvor den Eid abgenommen hat, nichts Übles gegen ihn zu sinnen (Od. 10,336-347). Der Beischlaf mit der Zauberin mag angesichts der Treue des Odysseus zu seiner Frau Penelope auf einen modernen Rezipienten befremdlich wirken, doch zum einen erfolgt er auf Anweisung des Hermes (Od. 10,296-298), zum anderen ist er ein Symbol für den Sieg des Odysseus und die Unterwerfung der Kirke.1182 Zudem gilt es zu bedenken, dass Odysseus hier als Erzähler seiner eigenen Taten von einer sexuellen Leistung berichtet, die zusammen mit seinem vorangegangenen Sieg über die Phaiaken im Wettkampf deutlich zeigt, dass er sich immer noch auf der Höhe seiner körperlichen Leistungsfähigkeit befindet.1183 Die folgende Behandlung des Odysseus entspricht der Aufnahme eines geehrten Gasts, denn er wird zunächst gebadet und dann bewirtet (Od. 10,360-373). Bevor Odysseus Speisen zu sich nimmt, sorgt er für die Rückverwandlung seiner Gefährten, denen von Kirke ihre menschliche Gestalt, jedoch größer und schöner, wiedergegeben wird (Od. 10,383-399), und Odysseus bringt auch seine übrigen Gefährten ins Haus, wo sie gastlich aufgenommen werden (Od. 10,400-454). Odysseus nimmt daraufhin die Gastfreundschaft der Kirke an und bleibt ein Jahr lang auf Aiaia (Od. 10,455-470). Als seine Gefährten ihn nach dieser Zeit zur Weiterfahrt auffordern (Od. 10,471-474), lässt sich Odysseus schnell überzeugen und bittet Kirke, ihnen Geleit zu geben (Od. 10,475-486; 484: οἴκαδε πεμψέμεναι). Kirke entlässt die Griechen bereitwillig und gibt Odysseus Auskunft über seine Weiterfahrt, die ihn nicht auf direktem Weg nach Ithaka führen wird (Od. 10,487-495): Auf Odysseus‘ Verzweiflung hin, als er erfährt, dass ihm eine Fahrt in die Unterwelt bevorsteht (Od. 10,496-502), erteilt sie ihm umfassende Anweisungen, wie er auch diese Aufgabe bewältigen und sicher wieder zurückkehren werde (Od. 10,503-540). Am nächsten Tag berichtet Odysseus seinen Gefährten von der bevorstehenden Fahrt in die Unterwelt, die daraufhin widerwillig gehorchen. So verlassen sie die Insel der Kirke (Od. 10,541-550, 561-574), doch nach der Nekyia kehren Odysseus und seine Gefährten noch einmal nach Aiaia zurück, um den unglücklichen Elpenor zu bestatten (Od. 12,1-15). Wiederum werden sie bewirtet (Od. 12,16-32), und Odysseus erhält von Kirke weitere Informationen über die noch bevorstehenden Abenteuer seiner Reise (Od. 12,33-141). Schon am nächsten Morgen setzen die Griechen ihre Fahrt fort (Od. 12,143-152). Odysseus‘ Bericht bei den Phaiaken, dass Kirke ihn auf Aiaia zurückhielt und wünschte, dass er ihr Mann werde (Od. 9,31-32), entspricht damit – im Gegensatz zu seinem Aufenthalt

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Vgl. auch die Bezeichnung von Odysseus‘ gezogenem Schwerts gegen Kirke als „pictorially sexual joke“ bei Vermeule 1979, 126. Dieser Aspekt findet sich gut herausgearbeitet bei Felson 1999, 95. Vgl. auch Thalmann 1998, 199: „Sexual potency is taken in honour-based societies as one of the primary signifiers of manhood.“ Sowohl Kirke als auch Kalypso sind als Göttinnen durch besondere Schönheit ausgezeichnet, vgl. Saïd 2011, 260 mit Stellenangaben.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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bei Kalypso (vgl. Od. 9,30 = 32: λιλαιομένη πόσιν εἶναι) – nicht der Wahrheit, sondern ist eine prahlende Übertreibung, mit der Odysseus seine Attraktivität und männliche Anziehungskraft hervorzuheben sucht. Neben den Vorausdeutungen und Wegweisungen, die Kirke Odysseus gibt, scheint die Funktion der Aiaia-Episode insbesondere in der Erzählung der Eroberung der Kirke und der sexuellen Leistung des reisenden Helden zu bestehen.1184 Die Anziehungskraft des Odysseus auf das andere Geschlecht wird dem Helden zum Ende seiner Irrfahrten beinahe zum Verhängnis, denn die letzte Station der Irrfahrten, bevor Odysseus nach Scheria und zurück in die adelige Lebenswelt kommt, ist Ogygia, die Insel der Kalypso (Od. 7,244-266; 12,447-450). Anders als bei den übrigen Stationen seiner Reise, muss Odysseus hier keine gefährlichen Abenteuer bestehen, und Ogygia ist ein entlegenes Paradies, in dem Odysseus sieben Jahre lang verweilen muss (vgl. Od. 7,259).1185 Gerade darin jedoch besteht die Gefahr für die Rückkehr des Helden, denn die Nymphe Kalypso, die ebenso wie Kirke von dem reisenden Helden beeindruckt ist, teilt ihr Lager mit Odysseus (Od. 5,154-155) und will ihm Unsterblichkeit verleihen und ihn zu ihrem Mann machen (Od. 5,208-209; 7,255-257; 9,29-30). Odysseus beweist großes Taktgefühl, indem er zwar Kalypsos Überlegenheit über Penelope einräumt, aber dennoch seine Heimkehr vollenden will (Od. 5,215-220).1186 Doch Kalypsos Liebe ist nicht nur eine Ehrung des Helden, sondern auch eine Prüfung: Indem sie ihm nach allen Leiden ewiges Leben und Sorglosigkeit an ihrer Seite in Aussicht stellt (Od. 5,203-213), bietet sie ihm eine Alternative zur Rückkehr in die Heimat, doch er bleibt sieben Jahre standhaft in seinem Entschluss, nach Ithaka und zu seiner sterblichen Ehefrau zurückzukehren. Er zieht es vor, das sterbliche Leben eines Helden mit allen Kämpfen, Bewährungen und der Aussicht auf Ruhm zu führen. Bei Kalypso zu verbleiben würde hingegen, wie ihr Name als „Verbergerin“ vielleicht auch schon andeutet, zu seinem ruhmlosen Verschwinden führen

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Siehe auch Pucci 1987, 55, der – allerdings mit Bezug auf die Beziehung des Odysseus zu Kalypso – von dessen „power of seduction“ spricht. Ähnliches lässt sich auch für die Szene zwischen Odysseus und Ino-Leukothea in Od. 5,333-353 vermuten; neben der offensichtlichen Tatsache, dass eine Göttin Odysseus die Ehre ihrer Unterstützung zukommen lässt, besteht in der Übergabe des Schleiers (Od. 5,346: κρήδεμνον) durchaus die Möglichkeit einer sexuellen Anspieleung, vgl. die Andeutungen bei Nagler 1974, 45-47 und Pucci 1987, 64 mit Anm. 4. Vgl. auch Reinhardt 1960b, 82: „Von Kalypso gibt es überhaupt keine erzählbare Geschichte.“ Zur Darstellung Ogygias als Paradies mit motivischen Gemeinsamkeiten zu den Elysischen Feldern siehe Crane 1988, 15-17 sowie Saïd 2011, 174. Zur Chronologie des Aufenthalts siehe zudem Alden 1985. Vgl. Felson/Slatkin 2004, 106 zur Beobachtung, dass Odysseus es hier geschickt vermeidet, den Zorn einer weiteren Gottheit auf sich zu ziehen.

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

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und seinen Ruhm als siegreicher Kriegsheld und Troia-Kämpfer trüben.1187 Doch um Ogygia letztendlich zu verlassen, bedarf Odysseus göttlicher Unterstützung, die ihm als echtem Helden auch zuteil wird; Hermes schreitet auf Betreiben der Athene ein, und Kalypso gibt Odysseus daraufhin frei (vgl. Od. 5,5-148).1188 Da Kalypso ihm jedoch kein Schiff zur Verfügung stellen kann (Od. 5,141-144), muss Odysseus seine Fertigkeiten als Zimmermann beim Bau eines Floßes unter Beweis stellen, bevor er seine Fahrt fortsetzen kann (Od. 5,233-262).1189 III.2.2.3 Odysseus bei den Phaiaken Die letzte Station der Irrfahrten des Odysseus ist Scherie, die Insel der Phaiaken, die eine Mittelstellung zwischen der Märchenwelt der Abenteuer und der Realität Ithakas darstellt: die Phaiaken haben eine besondere Beziehung zu den Göttern und leben fern der Menschen (Od. 6,203-205; 7,199205), doch ihre Gesellschaft entspricht einer homerischen Adelsgesellschaft unter der Herrschaft mehrerer βασιλῆες (Od. 8,390-391).1190 Odysseus erreicht ihre Insel schiffbrüchig mit Hilfe der Meergottheit Ino-Leukothea (Od. 5,333-353) und dem Beistand Athenes (Od. 5,382-387, 426-440). Nachdem er für eine Nacht Schutz in einem Wald finden konnte (Od. 5,475-493), erfolgt am nächsten Tag sein erster Kontakt mit den Phaiaken in der Begegnung mit der Königstochter Nausikaa (Od. 6,127-147). Das Treffen wurde ebenfalls von Athene arrangiert (Od. 6,2-47, 112-114), um die letztendliche Rückkehr des Odysseus nach Ithaka in die Wege zu leiten (vgl. Od. 6,14: νόστον Ὀδυσσῆι μεγαλήτορι μητιόωσα). Die Begegnung zeigt Elemente, die ansonsten im Epos im Bereich der Schlachtschilderungen zu erwarten wären und abermals den veränderten Kontext des Kriegshelden aufzeigen: Odysseus wird durch ein Löwen-

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Vgl. Clarke 1989, 50-51, Vernant 1996b sowie ausführlich unten III.4. Vgl. Patzer 1991, 28-30. Siehe auch Most 1989, 29 zur Beobachtung, dass Odysseus, nachdem er schon Kirke und Kalypso ablehnte, die Heirat mit Nausikaa leichter ausschlagen kann. Zu dieser heroischen Entscheidung des Odysseus siehe auch unten III.4.2. Der Floßbau wird ausführlich beschrieben und zeigt Odysseus‘ Geschick und seine handwerklichen Fertigkeiten, vgl. auch Heubeck et al. 1988, 273 ad Od. 5,228-261: „The point of the description is not the importance of the artifact (the boat is at once wrecked, [...]), but to shed lustre on the hero by its magnificence and virtuosity.“ Wie alle Orte der Irrfahrten ist es nicht möglich Scherie zu lokalisieren und auch die Bezeichnung als Insel ist nicht sicher (vgl. jedoch Od. 6,204), siehe dazu Garvie 1994, 19-20. Bei den Phaiaken handelt es sich unzweifelhaft um eine menschliche Gesellschaft, obgleich sie auch deutlich märchenhafte Züge aufweisen, vgl. Krischer 1985, 9-10, Clarke 1989, 53-54 sowie Garvie 1994, 22- 25.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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gleichnis beschrieben und begegnet Nausikaa, wie er einem Feind entgegentreten würde (Od. 6,130-136).1191 Als Nausikaa ihm standhält und nicht wie ihre Gefährtinnen vor dem salzverkrusteten Schiffbrüchigen flieht (Od. 6,137-141), zieht er zunächst eine (Schlachtfeld-)Hikesie in Erwägung, entscheidet sich jedoch aus Gründen des Anstands dagegen, die Knie des Mädchens zu fassen (Od. 6,141-147).1192 Odysseus‘ Auftritt als hungriger Löwe entspricht dem Erscheinen eines iliadischen Helden, doch die Situation verkehrt dieses Bild ins Absurde: „[I]n an Iliadic world, Odysseus would not find himself naked on a shore, begging an unmarried princess for his life. Yet, that is precisely what he has to reckon with in the aftermath of the Trojan War. Odysseus has become a displaced hero, and the language and imagery used to describe him are as displaced as he is.“ 1193 Abermals ist es nicht Stärke und Kampfkraft, durch die sich der Held bewähren und seine Rettung und die gastliche Aufnahme bei den Phaiaken sichern muss, sondern Höflichkeit und Diplomatie. Die Rede des Helden gegenüber der jungen Nausikaa ist ein Meisterwerk an Einfühlungsvermögen und Taktgefühl (Od. 6,149-185).1194 Sie gibt sich daraufhin als Tochter des Königs Alkinoos zu erkennen (Od. 6,186-197) und weist ihre Dienerinnen an, den Schiffbrüchigen mit Essen zu versorgen, zu baden und ihm frische Kleidung zu geben (Od. 6,198-216). Odysseus besteht jedoch darauf, sich selbst zu waschen (Od. 6,217-228), und Athene übergießt ihn mit göttlicher Schönheit (Od. 6,229-237). Indem Nausikaa Odysseus mit Kleidung ausstattet und mit Essen versorgt (Od. 6,238-250), nimmt sie seine Hikesie an und akzeptiert ihn als Gast (vgl. Od. 6,192-193).1195 Sie weist ihm den Weg zur Stadt der Phaiaken, bittet ihn jedoch, ihr aus Gründen des Anstands in einigem Abstand ins Haus des Vaters zu folgen, und weist ihn an, dort eine Hikesie an ihre Mutter zu richten (Od. 6,251-316). Die Phaiaken sind ein höfliches und zivilisiertes Volk, doch als sich Odysseus auf den Weg in ihre Stadt macht, hüllt Athene ihn in Nebel (Od. 7,14-17) und warnt ihn in Gestalt eines phaiakischen Mädchens, dass sie Fremden gegenüber keine Geduld haben und nicht gastfreundlich sind (Od. 7,30-33). Mit dem Schutz und Geleit Athenes gelangt Odysseus zum

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Zum Gebrauch des Löwengleichnisses an dieser Stelle siehe Magrath 1981/82, 207208 sowie Garvie 1994, 115-116 ad loc. Zum Motiv des Löwengleichnisses in Kampfdarstellungen siehe hingegen oben I.3.4.2. Zum Motiv der Schlachtfeldhikesie vgl. oben I.4.2.3. Vgl. die hervorragende Analyse der Passage bei Graziosi/Haubold 2005, 54-55 (Zitat von S. 55). Siehe dazu u.a. die Einschätzungen von Stanford 1968, 52-53, Austin 1975, 193, Clarke 1989, 52-53 sowie Garvie 1994, 120. Vgl. Segal 1994, 19, Garvie 1994, 131 ad Od. 6,192 sowie Murnaghan 2011, 68-69.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Palast des Alkinoos (Od. 7,39-46), wo er Aufnahme und Bewirtung bei Alkinoos findet (Od. 7,141-229). Die Phaiaken geben ihm auf diese Weise seine Identität als reisender Held und geachteter Gast wieder: Sie ehren ihren unbekannten Gast mit einem Ehrensitz (Od. 7,169)1196 und sichern ihm Geleit zu (Od. 7,191-196, 226-227, 317-328; 8,30-31; vgl. 11,352-353). Auf die skeptische Nachfrage der Arete nach seinen Kleidungsstücken (Od. 7,233-239) berichtet Odysseus von seinem Schiffbruch auf der Reise von Ogygia und seiner Begegnung mit Nausikaa am Strand von Scherie (Od. 7,240-297). Als Alkinoos daraufhin Nausikaa Vorwürfe zu machen droht, dass sie den edlen Fremden nicht selbst zu seinem Haus gebracht habe (Od. 7,299-301), nimmt Odysseus Nausikaa in Schutz, indem er vorgibt, er selbst sei ihr aus Furcht vor dem Unwillen ihres Vaters mit Abstand gefolgt (Od. 7,302-307). Er findet durch seine taktvolle Rede die Anerkennung des Alkinoos (vgl. Od. 7,312: τοῖος ἐών, οἷος ἔσσι), der ihm daraufhin die Hand seiner Tochter Nausikaa und ein Haus und Besitz bei den Phaiaken anbietet, falls er sich entschließen sollte, zu bleiben (Od. 7,311-315).1197 Wie bei Kirke und Kalypso bedeutet dies eine Anerkennung der sexuellen Anziehungskraft und Ansehnlichkeit des Helden (vgl. auch Od. 6,240-245, 2762771198), doch in dieser Situation sind die sozialen Implikationen des Angebotes bedeutsamer: Denn das Heiratsangebot ist zweifelsohne eine Ehrung des mittellosen Schiffbrüchigen und würde Odysseus in einer hohen, obgleich Alkinoos untergeordneten Position in die Gesellschaft der Phaiaken eingliedern (vgl. das Angebot des Agamemnon in Il. 9,144-148, 286-290). Odysseus jedoch wünscht Alkinoos ewigen Ruhm für seine Gastfreundschaft und lehnt das Angebot höflich ab (Od. 7,329-333). Damit nimmt er

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Um Odysseus einen Platz anzubieten, lässt Alkinoos sogar seinen Lieblingssohn Laodamas aufstehen. (Od. 7,168-171). Vgl. Garvie 1994, 198 ad loc.: „(...) marks the moment of Odysseus‘ elevation from a position of degradation to one of honour next to the king.“ So auch Murnaghan 2011, 69. Das frühe Heiratsangebot hat seit der Antike für Erklärungsbedarf gesorgt, vgl. den Überblick bei Garvie 1994, 228-229. Es könnte sich um ein Märchenmotiv handeln (so auch Vallillee 1955 und Heubeck 1988, 338 ad Od. 7,298-347), stellt jedoch unzweifelhaft in der erhaltenen Fassung eine Ehrung des Odysseus für sein Taktgefühl und seine Redefertigkeit dar, durch die er die Anerkennung des Alkinoos gewinnen kann, so auch Murnaghan 2011, 69-70, die das Heiratsangebot allerdings als hypothetisch bezeichnet. Zu Nausikaas Aussage in Form einer fingierten τις-Rede siehe de Jong 2001, 166 ad loc.: „Safely hiding behind an anonymous Phaeacian, Nausicaa now dares to express to the stranger himself (cf. earlier to her servants 239-445) how she feels about him and to respond tot he flattery and self-promotion of his ‘supplication’ speech (14885).“

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auch Königin Arete für sich ein, die ihm eine Schlafstätte in der Halle richten lässt (Od. 7,334-345; vgl. 6,310-316; 7,75-77 zur Bedeutung der Anerkennung der Arete).1199 Obgleich Odysseus bisher weder seinen Namen noch seine Heimat genannt hat, gelingt es ihm durch seine Höflichkeit, als geehrter Gast Aufnahme und Anerkennung zu finden (vgl. Od. 8,28-29, 40-45). Am Morgen nach seiner Ankunft auf Scherie findet eine Versammlung statt, in der Alkinoos den Phaiaken aufträgt, alles für die Heimreise des Odysseus vorzubereiten und zum Abschied ein Fest für ihn auszurichten (Od. 8,25-71). Alles geschieht nach seinen Anordnungen, und nach dem Mahl singt der Sänger Demodokos vom Streit zwischen Odysseus und Achill (Od. 8,7283). Dabei handelt es sich um ein epischen Lied von einem Heldenstreit, das Odysseus zu Tränen der schmerzlichen Erinnerung rührt (Od. 8,83-92). Ein Streit zwischen Odysseus und Achill ist in der epischen Tradition nicht bekannt, doch es steht zu vermuten, dass die Auseinandersetzung auf dem Gegensatz zwischen Achills Stärke (βίη) und Odysseus‘ Klugheit (μῆτις) beruht, sehr zur Freude des Agamemnon (Od. 8,77-78: ἄναξ δ᾿ ἀνδρῶν Ἀγαμέμνων / χαῖρε νόῳ, ὅτ᾿ ἄριστοι Ἀχαιῶν δηριόωντο).1200 Odysseus würde damit als Gegner Achills in eine Position gehoben, die er in der Ilias nicht hat, die aber durchaus der Intention der Odyssee entspräche. Die Reaktion des Odysseus böte Gelegenheit für die Aufdeckung seiner Identität, doch Odysseus ist noch nicht in der Position, sich glaubhaft als Streitgegner Achills und ruhmreicher Eroberer Troias erkennen geben zu können. Die Gelegenheit verstreicht,1201 denn Alkinoos allein bemerkt die Reaktion des Odysseus, doch er stellt keine Nachfragen, sondern beschließt, sportliche Wettkämpfe auszurichten, damit sein unbekannter Gast nach seiner Heimkehr von der Überlegenheit der Phaiaken berichten könne (Od. 8,94-103). Die folgende Szene ist damit von außerordentlicher Bedeutung, denn Wettspiele sind eine friedliche Möglichkeit, kriegerisches Können zu demonstrieren, und auf diese Weise kann Odysseus sich unter den phaiakischen Männern die Anerkennung verschaffen, die seine spätere Namensnennung erst glaubhaft macht:1202 Die Abenteuer des Odysseus finden in seiner folgenden Erzählung statt (Od. 9-12), doch bevor Odysseus glaubhaft als Troia-Kämpfer und reisender Held in Erscheinung treten kann,

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Vgl. Fenik 1974, v.a. 128-129 sowie Austin 1975, 196-200. Siehe dazu Clay 1983, 96-107, Heubeck et al. 1988, 351 ad loc., Wilson 2005, 1-5, Petropoulos 2011, 35 sowie v.a. ausführlich Nagy 1999, 15-58. Diese ersten Tränen des Odysseus antizipieren die spätere Szene beim dritten Lied des Demodokos, als Odysseus bereit ist, als Held in Erscheinung zu treten, vgl. Fenik 1974, 88-90, 101-104 sowie Garvie 1994, 255. Vgl. Fenik 1974, 103 sowie Murnaghan 2011, 71-72.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

muss er diesen Anspruch legitimieren. Bei den friedfertigen und unkriegerischen Phaiaken, die sogar Laufen gegenüber schmerzhaften Disziplinen wie Faustkampf oder Ringen bevorzugen (vgl. Od. 8,246-250), kann dies nur im sportlichen Wettkampf erfolgen, 1203 und in Erwartung der Proben, die Odysseus im Wettkampf bestehen muss, war er von Athene mit göttlicher Schönheit und Kraft ausgestattet worden (Od. 8,17-23). Zunächst nimmt er jedoch nicht an den Spielen teil, und es erheben sich nur die Besten der Phaiaken (vgl. den Katalog in Od. 8,110-119), unter denen Euryalos eine besondere Stellung einnimmt und nur hinter Laodamas, dem Sohn des Antinoos, zurücksteht (Od. 8,115-117; vgl. Il. 2,673-674; 17,279-280), und messen sich im Wettkampf (Od. 8,120-130). Die jungen Phaiaken beschließen, den kräftigen Fremden herauszufordern (Od. 8,131-142), und Laodamas fordert Odysseus respektvoll zur Teilnahme an den Spielen auf (Od. 8,143-151), denn die Phaiaken messen eigener Leistung als Demonstration von ἀρετή große Bedeutung für das Ansehen eines Mannes bei:1204 Od. 8,147-148: οὐ μὲν γὰρ μεῖζον κλέος ἀνέρος, ὄφρα κεν ᾖσιν, ἢ ὅ τι ποσσίν τε ῥέξῃ καὶ χερσὶν ἑῇσιν. Denn für einen Mann gibt es keinen größeren Ruhm, solange er lebt, als das, was er mit seinen Füßen oder seinen Händen ausrichtet.

Als Odysseus höflich ablehnt (Od. 8,152-157), provoziert ihn Euryalos (Od. 8,158: νείκεσέ τ᾿ ἄντην), indem er behauptet, Odysseus gleiche mehr einem seefahrenden Händler als einem Kämpfer (Od. 8,159-164). Handel stellt in der Welt der homerischen Epen, in der Reichtum durch Kampfkraft erworben wird, keine ehrenhafte Profession dar,1205 und Odysseus reagiert auf die Beleidigung nach Art eines Helden mit dem Zorn verletzten Stolzes und einer wütenden Erwiderung (Od. 8,165-185; 165: ὑπόδρα ἰδών).1206 Er verweist auf seine Teilnahme an Kriegen (Od. 8,183) und beweist seine Stärke, indem er den schwersten Diskus ergreift und ihn weiter schleudert als alle phaiakischen Athleten zuvor (Od. 8,186-193), und daraufhin von

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Vgl. Clay 1983, 130 sowie Garvie 1994, 267 ad Od. 8,148: „Normally prowess in war brings the highest glory to the Homeric hero. But for the unwarlike Phaeacians excellence at sports takes its place.“ Zur Charakterisierung der Phaiaken als „Zivilisten“ siehe Shay 2002, 11-18. Vgl. Garvie 1994, 258-259. Die Rede des Laodamas ist überaus höflich, vgl. Thalmann 1998, 148-159, und seine Verweise auf Odysseus‘ kräftigen Körperbau (Od. 8,134-139) scheinen vorauszusetzen, dass er erwartet, dass sich der unbekannte Fremde in den Spielen auch bewähren würde. Vgl. Finley 1975, 65-67, Redfield 1983, 233, Garvie 1994, 268-269, von Reden 2003, 5960, 64 sowie oben I.4.3.1. Vgl. auch Saïd 2011, 227.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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Athene zum Sieger ausgerufen wird (Od. 8,193-198).1207 Odysseus besiegelt seinen Erfolg mit einer triumphierenden Rede (Od. 8,202-233), in der er alle anderen Phaiaken herausfordert, wobei er aus Anstand Laodamas, den Sohn seines Gastgebers, ausnimmt (Od. 8,204-214). Zudem rühmt er sich als ausgezeichneter Bogenschütze, und gibt sich als Troia-Kämpfer zu erkennen (Od. 8,215-233).1208 Die übrigen Phaiaken schweigen, und nur Alkinoos spricht besänftigend zu seinem erbosten Gast (Od. 8,234-255).1209 Gegenüber seiner früheren Behauptung, die Phaiaken seien allen anderen im Faust- und Ringkampf, Springen und Laufen überlegen (Od. 8,101-103), nennt er nun nur noch den Lauf als ihre ausgezeichnete Disziplin (Od. 8,247), bezeichnenderweise den einzigen Wettkampf, an dem Odysseus nicht teilnehmen wollte (Od. 8,230-233). Ansonsten gibt er zu, dass die Phaiaken unkriegerisch sind (Od. 8,244-249), und seine Formulierung, Odysseus solle anderen Helden davon berichten, wie gut sie wenigstens bei der Schifffahrt, in Tanz, Gesang und Musik seien (Od. 8,241-245; v.a. 241-242: ὄφρα καὶ ἄλλῳ / εἴπῃς ἡρώων), macht deutlich, dass er seinen unbekannten Gast als Held und Troia-Kämpfer akzeptiert hat.1210 Daraufhin werden die Festvergnügungen fortgesetzt; der Sänger Demodokos trägt das Lied von Ares und Aphrodite vor (Od. 8,266-366), es folgt eine Tanzeinlage der besten Tänzer der Phaiaken (Od. 8,370-380) und Odysseus erkennt als guter Gast die Überlegenheit seiner Gastgeber in ihrem eigenen Bereich an (Od. 8,381-384) und minimiert auf diese Weise umsichtig ihren Ehrverlust durch die vorangegangene Demonstration seiner eigenen Fähigkeiten in den Kriegskünsten. Alkinoos ist darüber erfreut und lässt die übrigen Phaiaken als Gegenleistung für diese Anerkennung Gastgeschenke bringen (Od. 8,385-395).1211 Zudem ordnet er an, dass Eury-

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So auch Segal 1994, 18: „In the games of book 8, Odysseus can again assert the heroic strength of his past life, as he has not been able to do for nine years (186ff.).“ Der Bogen ist die typische Waffe des λόχος, vgl. McLeod 1988 und Dué/Ebbott 2010, 57-62. In der Ilias ist Odysseus kein Bogenschütze und nimmt auch nicht am Bogenschießen bei den Leichenspielen des Patroklos Teil (Il. 23,850-883), doch da die Odyssee indirekte Kriegführung bevorzugt, kann Odysseus hier prahlend auf seine Fähigkeit in diesem Bereich verweisen. Vielleicht liegt hierin auch ein Vorverweis auf die Freiertötung, so Vallillee 1955, 177 und Thalmann 1998, 141. Das Schweigen der Phaiaken, insbesondere des Laodamas und des Euryalos, der ἄριστοι Φαιήκων (vgl. Od. 8,115-117), impliziert, dass niemand es wagt, Odysseus Herausforderung anzunehmen und ihm entgegenzutreten (Od. 8,234: οἱ δ’ ἄρα πάντες ἀκὴν ἐγένοντο σιωπῇ). Vgl. Krischer 1985, 15 sowie Garvie 1994, 287 ad loc. Zuvor hatte Alkinoos nur von „Freunden“ gesprochen (Od. 8,101: ὥς χ’ ὁ ξεῖνος ἐνίσπῃ οἷσι φίλοισιν). Vgl. Austin 1975, 159: „Odysseus cooperates with the Phaiakians in the recovery of their self-esteem by paying them a liberal compliment on their dance, whereupon

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

alos Odysseus mit einem Geschenk versöhnen solle (Od. 8,396-397); Odysseus erhält als Entschuldigung und Wiedergutmachung der vorherigen, beleidigenden Unterstellung, er sei ein reisender Händler (vgl. Od. 8,161164), ein kunstvoll gefertigtes Schwert mit Scheide als Geschenk, das seine neue Anerkennung als Athlet, Kämpfer und Krieger zum Ausdruck bringt (Od. 8,400-416). Das Geschenk symbolisiert Odysseus‘ höhere τιμή und ἀρετή als Krieger, und fungiert als ποινή für die vorangegangene Schmähung durch den jüngeren Herausforderer.1212 Damit sind die Wettspiele abgeschlossen,1213 und Odysseus konnte nicht nur beweisen, dass er auf der Höhe seiner körperlichen Leistungsfähigkeit ist und sich jugendlichen Herausforderern nicht geschlagen geben muss,1214 sondern auch die Anerkennung seines Status als Kriegsheld gewinnen. Wie von Alkinoos befohlen (vgl. Od. 8,389-395), erhält Odysseus noch mehr Geschenke von den phaiakischen βασιλῆες (Od. 8,417-432, 438-448), wird gebadet und für das folgende Fest angemessen gekleidet (Od. 8,433437, 449-457). Auf dem Weg dorthin trifft er auf Nausikaa, von der er sich kurz und in höflicher Dankbarkeit verabschiedet (Od. 8,457-468), bevor er beim Fest der Phaiaken einen Ehrensitz neben Alkinoos einnimmt (Od. 8,469: θρόνον ἷζε παρ᾿ Ἀλκίνοον βασιλῆα). Es ist ein Zeichen seiner neugewonnenen Anerkennung, dass er dem Sänger Demodokos als Ehrung eine Extraportion Fleisch zukommen lassen kann (Od. 8,471-483; vgl. Il. 7,321322),1215 und nach dem Essen fordert Odysseus den Sänger auf, das Lied vom Troianischen Pferd und der Einnahme Troias zu singen (Od. 8,485498). Odysseus lässt Demodokos seine letzte Heldentat vor Troia besingen, und inszeniert damit geschickt die Überleitung zu seinen eigenen Erzählungen nach der Abfahrt von Troia.1216 Der Sänger singt daraufhin wie ihm geheißen von der bedeutendsten Heldentat des Odysseus (Od. 8,499-521), und wiederum bricht der Held angesichts der Konfrontation mit seiner Vergangenheit im Krieg vor Troia in Tränen der Erinnerung aus (Od. 8,521531; vgl. 8,83-92).1217 Wiederum bemerkt nur Alkinoos die Tränen seines

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they return his compliment by liberal donations from their private treasuries.“ Ebenso Thalmann 1998, 150-153 und Murnaghan 2011, 72. Vgl. Hohendahl-Zoetelief 1980, 3-8, sowie Garvie 1994, 318 ad Od. 8,403-405. Der Wettkampf folgt dem Muster eines unblutigen Zweikampfes, der durch eine Schmährede eingeleitet und durch die Triumphrede der beleidigten Partei, hier des Odysseus, und durch besänftigende Geschenke zum Abschluss gebracht wird, zu diesem Typus siehe v.a. Parks 1990, 71-77. Darin ist auch sein Erfolg gegen die Freier und die Verteidigung seiner Frau Penelope schon vorgezeichnet, vgl. Felson 1999, 94-96. Vgl. Garvie 199, 329 ad Od. 8,475-476 sowie Murnaghan 2011, 72-73. Vgl. Pucci 1987, 223 sowie Maronitis 2004, 108. Siehe auch Most 1989, 19. Für eine Deutung dieser Tränen siehe unten III.4.2 v.a. Anm. 1391.

III.2 Der Held auf Irrfahrten

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Gasts,1218 doch diesmal fragt er ihn offen nach seinem Namen und nach seiner Heimat (Od. 8,532-586). Es ist bemerkenswert, dass Odysseus bis zu diesem Zeitpunkt, obwohl er schon mehrere Mahlzeiten mit den Phaiaken eingenommen hat, seine Identität noch nicht preisgegeben hat.1219 Jetzt jedoch gibt Odysseus Antwort, da nicht nur die Situation für eine Erzählung geeignet ist (vgl. Od. 9,1-18), sondern er auch nach seiner Bewährung als Athlet und Krieger als nunmehr anerkannter Held in eine Position aufgestiegen ist, in der er seine wahre Identität glaubhaft beanspruchen kann. 1220 So erfolgt seine vollständige heroische Vorstellung mit Eigennamen, Patronymikon und Angabe der Heimat; als bekannter Held und Troia-Kämpfer kann er die Kunde seiner Taten (κλέος) voraussetzen, die Demodokos eben besungen hatte (Od. 8,490-495, 499-521), und rühmt sich insbesondere seiner listigen Natur, seines typischen Charakterzugs (vgl. Il. 3,200-202; 4,339; 11,430; Od. 3,121-122; 13,291-293):1221 Od. 9,19-21: εἴμ᾿ Ὀδυσεὺς Λαερτιάδης, ὃς πᾶσι δόλοισιν ἀνθρώποισιν μέλω, καί μευ κλέος οὐρανὸν ἵκει. ναιετάω δ᾿ Ἰθήκην εὐδείελον· (...) Ich bin Odysseus, der Sohn des Laertes, der ich durch meine Listen bei allen Menschen gefeiert bin, und mein Ruhm reicht bis zum Himmel. Ich habe meine Heimstatt auf der weithin sichtbaren Ithaka: (...)

Für Odysseus ist seine Geschichte und sein Ruhm untrennbar mit seinem Namen verbunden, und die Frage des Alkinoos nach seinem Namen ist somit gleichermaßen die implizite Aufforderung, sein eigenes Epos vorzutragen, und damit nicht nur seine Identität als Held zu bestätigen, sondern auch seinen Ruhm (κλέος) weiterzuverbreiten. Indem er die zeitliche Lücke von zehn Jahren zwischen dem letzten Lied des Demodokos von der List des Troianischen Pferdes und der epischen Gegenwart schließt, fügt er zum bekannten κλέος seiner Leistungen vor Troia (Od. 9,19-20) auch den Ruhm seiner Taten während der Irrfahrten hinzu.1222 Bei dieser Gelegenheit zeichnet sich Odysseus zudem als meisterhafter Sänger und Erzähler vor

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Vgl. Roisman 1994, 3-7 zur Argumentation, dass Odysseus die Enthüllung seiner Identität durch gezielten Einsatz seiner Tränen inszeniert. Vgl. Webber 1989, 1-2. Zur Namenlosigkeit des Odysseus während seiner Irrfahrten siehe Clay 1983, 25-28. Ähnlich auch Austin 1975, 195, Clarke 1989, 50 und Murnaghan 2011, 74. Vgl. Higbie 1995, 165, die anmerkt, dass nur mit einer Aufzählung der Genealogie die Identifikation des Odysseus noch vollständiger ausfallen könnte. Vgl. auch Pucci 1997, 135-137. Vgl. Webber 1989, 12-13 sowie Clay 1983, 107: „To be complete, the triumph of Odysseus‘ metis must be celebrated in song; it must receive its share of kleos, the fame by which song grants immortality to great accomplishments.“

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

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den versammelten Phaiaken aus (Od. 11,367-369; vgl. auch Il. 3,221-223).1223 Bevor ihn die Phaiaken nach Hause geleiten (Od. 13,1-125), berichtet er alle seine Abenteuer seit der Abfahrt von Troia (Od. 9,39-12,453) und vollendet damit die Wiederherstellung seines Status als Held (vgl. auch Od. 11,336337). Die Funktion der Phaiaken-Episode besteht darin, Odysseus‘ Rückkehr aus der Märchenwelt der Abenteuer in die heroische Gesellschaft zur markieren: Als fremder Schiffbrüchiger erwirkt er seine Aufnahme als geehrter Gast am Hof des Alkinoos durch Taktgefühl und Höflichkeit, demonstriert seine ἀρετή und seinen Stand als Athlet und Troia-Kämpfer durch den Sieg im sportlichen Wettkampf (Od. 8,186-233) und weist sich durch seinen Namen und seine Geschichte als legendärer Abenteurer und Kriegsheld aus.1224 Dafür erhält er angemessene Kleidung und Geschenke als sichtbare Anerkennung seines zurückgewonnenen Status (τιμή).1225 Die Phaiaken, deren Gemeinwesen alle Züge einer adeligen Gesellschaft aufweist, rehabilitieren den griechischen Kriegshelden, der auf seinen Irrfahrten alle äußeren Kennzeichen seiner sozialen Stellung verloren hatte.1226

III.3 Die Bewährung des Helden III.3.1 Die Rückkehr in die Heimat Die Struktur der Odyssee ist gekennzeichnet durch eine deutliche Zweiteilung der Handlung. Nach der Telemachie (Od. 1-4) und den Irrfahrten des Helden (Od. 5-12) folgt die Rückkehr des Odysseus nach Ithaka und die Heimkehrerhandlung (Od. 13-24).1227 Bei allen motivischen Unterschieden ist es die Person des Odysseus und seine Darstellung als Held, die die beiden Hälften zusammenhält. Das Thema der zweiten Hälfte ist nach der physischen Rückkehr des Odysseus in seine Heimat nun die emotionale

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Zu Beobachtung, dass sich Odysseus dabei insbesondere auch im Vergleich zu dem professionellen Sänger Demodokos bewährt, siehe Ford 1992, 110-122, der darin gleichsam eine Vorform eines Sängerwettstreites impliziert sieht. Vgl. auch von Reden 2003, 71: „(...) Odysseus‘ own status varies according to how and in what context his performances are received. First he is xenos, then athlete, warrior and king, and finally hero of epic.“ Vgl. auch Whitman 1958, 300 und Murnaghan 2011, 73 zur Beobachtung, dass Odysseus sich damit des Geleits der Phaiaken würdig erweist. Vgl. Zimmermann 2010, 184-185. Vgl. Clarke 1989, 52, Patzer/Hölscher 1990, 495, Segal 1994,18 und Garvie 1994, 2629. Patzer bezeichnet die Phaiakis treffend als „eine erste Heimkehr, nämlich die ständische, ehe die zweite, die persönliche (private) erfolgen wird, die in eine nicht mehr heile adlige Welt führen wird.“ Vgl. Taplin 1992, 19 (mit Anm. 18), 27 zur Annahme, dass die inhaltlich deutlich unterscheidbaren Hälften (Od. 1,1-13,92; 13,93-24,547) den zwei Aufführungseinheiten eines mündlichen Vortrags entsprechen.

III.3 Die Bewährung des Helden

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und soziale Rückkehr in Form der Wiedergewinnung und Behauptung seiner angestammten Position. Es ist ihm nicht möglich, seinen Rang kampflos zu beanspruchen, sondern gemäß den Vorstellungen des Leistungsadels muss er zuvor sein Anrecht als Hausherr und Ehemann der Penelope und dann seinen Anspruch als Herrscher Ithakas durch Demonstration seiner Überlegenheit aktualisieren und legitimieren, da die Freier nicht bereit sind, sein Haus ohne Konfrontation zu verlassen (vgl. Od. 2,246-251).1228 Odysseus erreicht Ithaka mit Zustimmung des Zeus, die ihn vor dem Zorn des Poseidon bewahrt, auf dem magischen Schiff der Phaiaken im Schlaf (Od. 13,70-187). Mit der Fahrt durch das göttliche Tor in der Höhle der Nymphen verlässt er die Wunderwelt seiner Irrfahrten und kehrt im Schlaf in die heroische Welt zurück (vgl. Od. 13,109-115).1229 Durch den Zorn und die Rache Poseidons verschwinden die Phaiaken ohne Aussicht auf Rückkehr in der Märchenwelt (Od. 13,125-187).1230 Odysseus jedoch findet sich beim Erwachen am Strand seiner Heimat, die er zunächst nicht wiedererkennt, da Athene ihn zur Verschleierung seiner Rückkehr in Nebel hüllt (Od. 13,187-196). Nach anfänglicher Orientierungslosigkeit (Od. 13,200-214) gilt jedoch sein nächster Gedanke den Gastgeschenken, die er von Alkinoos erhalten hatte:1231 Od. 13,215-218: ἀλλ᾿ ἄγε δὴ τὰ χρήματ᾿ ἀριθμήσω καὶ ἴδωμαι, μή τί μοι οἴχονται κοίλης ἐπὶ νηὸς ἄγοντες. ὥς εἰπὼν τρίποδας περικαλλέας ἠδὲ λέβητας ἠρίθμει καὶ χρυσὸν ὑφαντά τε εἵματα καλά. Doch auf, ich will die Güter zählen und sehen, ob sie mir nicht davongefahren sind und etwas in dem hohlen Schiff mitführten. Als er so gesprochen hatte, zählte er die schönen Dreifüße und die Becken und das Gold und die schönen gewebten Gewänder.

Die Phaiaken hatten Odysseus reichlich beschenkt (vgl. Od. 8,403-405, 424421; 11,338-341; 13,10-15), und Alkinoos hatte die Gaben sogar selbst im Schiff verstaut (Od. 13,20-22). Seine Gastgeber zeigen sich dem berühmten Kriegsheld gegenüber großzügig, doch das wichtigste Geschenk und die „Vollendung der Geschenke“, die Odysseus von Alkinoos und den Phaiaken erhält, ist ihr Geleit nach Ithaka in seine Heimat (δωτίνη, Od.

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Vgl. dazu Primavesi 2007, 133: „Die so abgegrenzte Heimkehrererzählung bietet die Möglichkeit, den episch-homerischen Charakter der Odyssee, ihre bei aller innovativen Gewagtheit grundlegende Verwandtschaft mit der Ilias, besonders klar zu fassen.“ Vgl. Clarke 1989, 65. Zu Schlaf als Thema des Übergangs siehe Segal 1994, 68-72. Vgl. Erbse 1972, 145-148. Vgl. Schröter 1950, 166: „[E]s ist eine gewisse naive Freude am Besitz nicht mehr als eifersüchtiges Festhalten an diesen Beweisen der ἀρετή, wodurch Od. zu solch starker Sorge um die Geschenke veranlaßt wird.“

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

11,350-353).1232 Als er nach seinem Erwachen die Geschenke zählt, stellt Odysseus fest, dass alles vollständig ist (Od. 13,217-219); er ist mit mehr Schätzen zurückgekehrt, als er an Beutegut aus Troia hätte mitbringen können. (Od. 5,35-40; 13,134-138), und so führen die zahlreichen Leiden der Reise für ihn zumindest zu einem materiellen Gewinn.1233 Es ist für Odysseus überaus bedeutsam, dass er nicht mittellos und damit gleichsam ohne τιμή in seiner Heimat ankommt, sondern Besitztümer als sichtbaren Ausdruck der Wertschätzung seiner Gastfreunde während seiner Irrfahrten vorweisen kann (vgl. Od. 11,355-361; 19,280-286), und so sprach Odysseus trotz seiner Sehnsucht nach Penelope und Ithaka zu Alkinoos: Od. 11,355-361: „᾿Αλκίνοε κρεῖον, πάντων ἀριδείκετε λαῶν, εἴ με καὶ εἰς ἐνιαυτὸν ἀνώγοιτ᾿ αὐτόθι μίμνειν πομπήν τ᾿ ὀτρύνοιτε καὶ ἀγλαὰ δῶρα διδοῖτε, καί κε τὸ βουλοίμην, καί κεν πολὺ κέρδιον εἴη πλειοτέρῃ σὺν χειρὶ φίλην ἐς πατρίδ᾿ ἱκέσθαι· καί κ᾿ αἰδοιότερος καὶ φίλτερος ἀνδράσιν εἴην πᾶσιν, ὅσοι μ᾿ Ἰθάκηνδε ἰδοίατο νοστήσαντα.“ „Alkinoos, Herrscher, Ausgezeichneter vor allen Männern des Volkes, wenn ihr mich auch übers Jahr hier bleiben hießet und wolltet mir Geleit betreiben und glänzende Geschenke geben, so würde ich dies auch wollen, und es wäre viel vorteilhafter, wenn ich mit vollerer Hand in das liebe Vaterland zurückkehrte: Ehrwürdiger und lieber wäre ich allen Männern, soviele mich bei der Heimkehr nach Ithaka erblicken würden.“

Sein Streben nach Gastgeschenken ist Ausdruck der typisch heroischen Anschauung, dass sich die Bedeutung und τιμή eines Helden auch an seinem Besitz bemisst,1234 und das Sammeln von Gastgeschenke ist ein legitimer und prestigewirksamer Weg der Bereicherung für einen Helden (vgl. auch Od. 14,285-286; 15,80-85).1235 Vermögen stellt eine Machtgrundlage des Herrschers dar, und Odysseus reagiert erfreut, als er erfährt, wie Penelope von den Freiern Geschenke einfordert (Od. 18,275-283),1236 und nach

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Zur Deutung von δωτίνη als „(Ehren-)Geleit“ (Synonym zu πομπή) siehe Wagner-Hasel 2006, 264-266. Vgl. Segal 1994, 28. Hierzu siehe Kirk 1968, 100, Griffin 1986, 7 sowie Cairns 1993a, 113. Siehe v.a. Newton 2005, 141: „Like Iliadic warfare, Odyssean hospitality is a heroic enterprise, and Odysseus is a hero.“ Zur Verbindung von τιμή und Besitz siehe zudem oben I.4.3.1. Zu dieser Szene siehe auch Emlyn-Jones 2009, 221-224. Die Vorgehensweise, sich den Freiern zu zeigen, wird Penelope von Athene eingegeben, „damit sie den Freiern den Sinn weit öffnete und sie noch τιμήεσσα würde vor dem Gatten und dem Sohne als sie es zuvor war“ (Od. 18,160-162). Das Adjektiv τιμήεσσα bezeichnet in diesem Kon-

III.3 Die Bewährung des Helden

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der Vereinigung mit Penelope kündigt er ihr an, die Viehbestände, die die Freier aufgezehrt haben, durch Beutezüge wieder aufzufüllen (Od. 23,354358). Besitz in der Funktion als Zeichen von Ansehen und Anerkennung ist auch in der Odyssee bedeutsam, doch die Gastgeschenke, die Odysseus von seinen Reisen mitbringt, werden in einer Höhle versteckt, die Athene für ihn zur Sicherheit mit einem Stein verschließt (Od. 13,366-371), und danach nicht mehr erwähnt. Jedoch ist es ideologisch wichtig, dass Odysseus nicht als armer Schiffbrüchiger, sondern als reich beschenkter und angesehener Held aus der Märchenwelt seiner Irrfahrten in die Realität Ithakas zurückkehrt. Er kann jedoch nicht als siegreicher Troia-Kämpfer in seinen Palast zurückkehren, da er dort den Freiern zum Opfer fallen würde (vgl. Od. 2,246251), und Athene schützt ihn mit ihrem Nebel, um ihn zuerst selbst über die Situation in seinem Haus zu informieren (Od. 13,189-191). Als Athene in Gestalt eines Hirten zu ihm tritt (Od. 13,221-225), spricht er sie an und fragt, in welches Land er gelangt sei (Od. 13,226-235). Über ihre Antwort, dass er in Ithaka angekommen sei (Od. 13,236-249), ist Odysseus erfreut, hält jedoch an sich und berichtet eine Lügengeschichte über seine eigene Identität (Od. 13,250-286). Diese erfundene Geschichte ist an die Erfordernisse der Situation angepasst: Er stellt sich als einen kretischen TroiaKämpfer dar, der Orsilochos, den Sohn des Idomeneus, in einem λόχος-ähnlichen Unternehmen tötete (vgl. Od. 13,270: λάθον δέ ἑ θυμὸν ἀπούρας), als dieser sich an seiner Kriegsbeute bereichern wollte. Die Erzählung erklärt nicht nur plausibel seine gegenwärtige Situation, wie er mit seinem Reichtum nach Ithaka gelangte, sondern bringt dabei auch subtil zum Ausdruck, dass er sich gegen den Raub seines Besitzes zur Wehr zu setzen weiß.1237 Athene ist daraufhin erfreut über die listige Vorsicht ihres Schützlings und gibt sich ihm zu erkennen (Od. 13,287-299). Sie rühmt sich, sie habe in bei den Phaiaken unterstützt und für seine Heimkehr gesorgt, ohne dass er es selbst bemerkt habe (Od. 13,299-302), und kündigt an, nun mit ihm seine sichere Rückkehr in sein Haus zu planen (Od. 13,303-310). Athene, die in der Ilias Achill zurückhielt (Il. 1,188-222), rät nun Odysseus zu vorsichtigem Vorgehen. Während Athene in der Ilias jedoch von Hera geschickt wurde und Achill an den Haaren packen musste, damit er Agamemnon

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text nicht nur Ansehen und Ehre der Penelope, sondern verweist auch auf den materiellen Aspekt der τιμή, da Penelope das Haus für Odysseus und Telemachos um weitere Prestigegüter bereichert (vgl. den Katalog der Gaben in Od. 18,291-303). Vgl. auch die Bezeichnung der Brautgaben als „gendered correlate to heroic xenia“ bei Lateiner 1995, 127. Vgl. Erbse 1972, 154-155, Clay 1983, 196-197, Haft 1984, 300, Roisman 1994, 10-11 sowie Walcot 2009, 143-146.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

nicht im Zorn erschlägt (Il. 1,194-197), beruht ihre Unterstützung für Odysseus in der Affinität ihres Charakters zu seinem Listenreichtum (vgl. v.a. Od. 13,291-299; vgl. auch 3,218-222).1238 Odysseus ist ein bedeutender Kämpfer, doch er verfügt auch über Klugheit und Einsicht, und ist zunächst skeptisch gegenüber Athene, da sie ihm nach der Abfahrt von Troia während seiner Irrfahrten nicht beistand (Od. 13,311-321). Entgegen ihrer Behauptung hatte er ihr Wirken bei den Phaiaken jedoch erkannt (Od. 13,322-323; vgl. 7,14-79), und nachdem er nicht sicher ist, ob er ihr vertrauen kann, fragt er abermals, ob er wirklich in Ithaka angekommen sei (Od. 13,324-328). Athene versichert ihm daraufhin, dass sie nie an seiner Rückkehr gezweifelt habe, ihm nur durch den Zorn des Poseidon nicht offen beistehen konnte, und bestätigt, dass er tatsächlich seine Heimat erreicht habe (Od. 13,339-351). Als sie den Nebel zerstreut, erkennt Odysseus seine Heimat und spricht ein Dankgebet (Od. 13,352-360). Athene versteckt die mitgebrachten Geschenke des Odysseus und macht sich zusammen mit ihm daran, das Vorgehen zu planen, wie Odysseus sicher in sein Haus zurückkehren und die Freier bestrafen kann (Od. 13,361-381). Odysseus zeigt sich dankbar über ihre Warnung und die Zusicherung ihres Beistands und überlässt ihr die Planung des weiteren Vorgehens (Od. 13,382-391). In diesem Gespräch messen Odysseus und Athene sich hinsichtlich ihrer μῆτις, und Odysseus gesteht Athene am Ende den Sieg zu: Er hatte ihren Einfluss zuvor bemerkt, obgleich sie dachte, er habe sie nicht erkannt (vgl. den Gegensatz von Od. 13,299-301 zu 13,322-324), und seine Reaktion auf ihren Aufruf zur Vorsicht, dass „er wohl gar den bösen Untergang des Agamemnon, des Atreus-Sohnes, in den Hallen gefunden hätte“, wenn sie ihn nicht gewarnt hätte (Od. 13,383-385), zeigt sein Wissen um die Gefahr: Agamemnon selbst hatte ihm bei ihrer Begegnung in der Unterwelt zu einer heimlichen Rückkehr geraten (Od. 11,440-456), und auch seine Lügengeschichte und seine Vorsicht gegenüber Athene zeigen, dass er nicht kopflos in sein Verderben gerannt wäre (vgl. Od. 13,330-336). Doch indem Odysseus listig die scheinbare Überlegenheit der Göttin anerkennt, gewinnt er sie als Verbündete für seinen Kampf gegen die Freier. 1239 Athene unterbreitet ihm ihren Plan für das weitere Vorgehen und verwandelt sein Aussehen, wie sie es davor schon vorgeschlagen hatte (Od. 13,397-403):

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Vgl. Erbse 1972, 156: „Hinter dieser Szene steht ein neues Heldenideal. Odysseus Tüchtigkeit (ἀρετή) besteht nicht bloß aus Stärke und Furchtlosigkeit, aus Tugenden, die den Helden der Ilias auszeichnen. Odysseus besitzt auch diese. Aber seine eigentlichen Vorzüge sind geistige Kräfte, Klugheit, Geduld und (was die Irrfahrten bereits gezeigt haben, die Heimkehr aber noch deutlicher machen wird) die Fähigkeit, auch unter Schmerzen und Entbehrungen auf die Stunde der Tat zu warten.“ Zu den δόλοι der Athene in dieser Begegnung siehe auch Clay 1983, 194-199. Vgl. v.a. Clay 1983, 200-212.

III.3 Die Bewährung des Helden

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Od. 13,429-438: ὣς ἄρα μιν φαμένη ῥάβδῳ ἐπεμάσσατ᾿ Ἀθήνη. κάρψε μέν οἱ χρόα καλὸν ἐνὶ γναμπτοῖσι μέλεσσι, ξανθὰς δ᾿ ἐκ κεφαλῆς ὄλεσε τρίχας, ἀμφὶ δὲ δέρμα πάντεσσι μελέεσσι παλαιοῦ θῆκε γέροντος, κνύζωσεν δέ οἱ ὄσσε πάρος περικαλλέ᾿ ἐόντε. ἀμφὶ δέ μιν ῥάκος ἄλλο κακὸν βάλεν ἠδὲ χιτῶνα, ῥωγαλέα ῥυπόωντα, κακῷ μεμορυγμένα καπνῷ· ἀμφὶ δέ μιν μέγα δέρμα ταχείης ἕσσ᾿ ἐλάφοιο, ψιλόν. δῶκε δέ οἱ σκῆπτρον καὶ ἀεικέα πήρην, πυκνὰ ῥωγαλέην, ἐν δὲ στρόφος ἦεν ἀορτήρ. Als sie so gesprochen hatte, berührte sie ihn mit dem Stab, Athene. Schrumpfen ließ sie ihm die schöne Haut auf den gebogenen Gliedern, tilgte vom Haupt die blonden Haare, herum um all seine Glieder legte sie die Haut eines betagten Greises, trübte ihm beide Augen, die zuvor gar schön gewesen waren. Um ihn warf sie einen anderen schlechten Lumpen und einen Mantel, zerrissen, schmutzig und von bösem Rauche rußbefleckt. Um ihn legte sie das große Fell eines schnellen Hirsches, abgeschabt. Und sie gab ihm einen Stab und einen schäbigen Ranzen, dicht bei dicht zerrissen, und an ihm war eine Schnur als Tragband.

Athenes Veränderung des Äußeren des Odysseus umfasst außer der Alterung von Haut, Haaren und Augen insbesondere das Anlegen von schäbiger Kleidung, worin sich die Deklassierung des Helden zum Bettler deutlich manifestiert. Da äußere Schönheit und Jugend zu den Kennzeichen eines homerischen Helden zählt, kann er sich durch Hässlichkeit und Alter tarnen und seine wahre Identität verschleiern.1240 Ferner wird im homerischen Denken der Status eines Menschen immer auch in seiner Kleidung sichtbar, und indem Odysseus als Bettler auftritt, bleibt er unter den Freiern unerkannt. Ein Herrscher ohne königliches Gewand kann in der homerischen Welt kein Herrscher sein, und die schäbige Kleidung ist nicht nur zweckmäßige Verkleidung, sondern zudem ein Symbol und sichtbares Zeichen dafür, dass Odysseus seine rechtmäßige Position in Ithaka erst noch zurückgewinnen muss.1241 Gewarnt durch das Schicksal des Agamemnon und seiner unvorsichtigen Heimkehr (Od. 11,405-434)1242 erfolgt in den Büchern Od. 13-21 die schrittweise Vorbereitung der Rache an den Freiern, bei der Odysseus Geduld‘ und Leidensfähigkeit durch vielfache Angriffe auf seine ἀρετή auf die

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Zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes von schön zu hässlich zur Verschleierung innerer Qualitäten vgl. Bernsdorff 1992, 102-114. Siehe auch Od. 16,207-212 zur Gleichsetzung von Jugend und edler Kleidung mit einer Ehrung (Od. 16,212: κυδῆναι), sowie dem Äußeren eines Bettlers als Deklassierung (Od. 16,212: κακῶσαι). Vgl. Block 1985, 2. Vgl. D’Arms/Hulley 1946, Hölscher 1967 sowie Olson 1995, 32, 38-40.

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

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Probe gestellt wird. Es liegt in der Natur des Helden, Angriffen auf seine Ehre mit Zorn zu begegnen, und während ein Held auf dem Schlachtfeld seiner Wut freien Lauf lassen kann, zeichnet sich Odysseus gerade dadurch aus, dass er sich zurückhalten kann.1243 III.3.2 Der Held im Bettlergewand III.3.2.1 Der Bettler und der Schweinehirt Als erste Station seiner Rückkehr nach Ithaka sucht Odysseus auf den Rat Athenes hin (Od. 13,404-410) den Schweinehirten Eumaios auf, der ihn gastlich aufnimmt. Während die Ilias nur die einfache Größe des epischen Schlachtfelds kennt, zeigt die Odyssee eine vielschichtige Welt, zu der auch die Behausung eines Schweinehirten gehört.1244 Zwar steht Odysseus als Held im Mittelpunkt der Untersuchung, doch die Darstellung des unfreien Eumaios, der Odysseus als Mitstreiter zur Seite stehen wird, ist auf seine Beziehung zu seinem Herrn ausgerichtet und charakterisiert damit immer auch Odysseus selbst. Trotz seiner niederen sozialen Stellung als unfreier Schweinehirte ist Eumaios mit heroischer Stilisierung dargestellt:1245 Er trägt die Epitheta δῖος „göttlich“ (Od. 14,3, 48, 401, 413; 15,301; 16,1, 20, 333, 452; 17,183, 260, 589; 21,359; 22,162) und ὄρχαμος ἀνδρῶν „Führer der Männer“ (Od. 14,22, 121; 15,351, 389; 16,36; 17,184; auch mit Bezug auf den Rinderhirten Philoitios in 20,185, 254), die ansonsten Aristokraten vorbehalten sind, 1246 und verfügt über einen ζωστήρ (Od. 14,72) und ein σκῆπτρον, das er Odysseus zum Geschenk macht (Od. 17,199).1247 Er lebt in einem palastähnlichen Gehöft, das er selbst gebaut hat und das über Ställe für 600 Schweine verfügt (Od. 14,5-16). Er gebietet über vier Knechte (Od. 14,24-28), die wie die Gefolgsmänner eines Herrschers als ἕταροι bezeichnet werden (vgl. Od. 14,413, 460, 462) und von denen er einen sogar selbst erworben hat (Od. 14,449-452). Obgleich Eumaios, der ursprünglich der Sohn des Königs der Insel Syrie

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Vgl. v.a. Schröter 1950, 149-150 zur Kontrolle des μένος durch μῆτις sowie 179: „(…) die erste Phase im Kampf um die heimatliche ἀρετή, eine „Aristie des Duldenden“, ein Gegenstück zum χ.“ Vgl. Thalmann 1998, 13 et passim. Zum Begriff des „Milieuhaften“ für diese Form der Darstellung siehe ausführlich Hölscher 2000, 186-209. Vgl. Schröter 1950, 170 und Reinhardt 1960a, 45. Zur Stellung des Eumaios (und des Philoitios) siehe ausführlich Thalmann 1998, 84-100. Vgl. Thalmann 1998, 90. Bei beiden Gegenständen handelt es sich um traditionelle Herrschaftssymbole, vgl. Bennett 1997, 96-102. Obgleich σκῆπτρον in der Odyssee auch den Stab eines Bettlers bezeichnet (vgl. Od. 13,437; 18,103), ist der Stab ein Herrschaftszeichen (vgl. z.B. Od. 2,37, 80; 5,9: σκηπτοῦχος βασιλεύς), vgl. dazu Steiner 2010, 101 ad loc.: „[T]he substitution of σκῆπτρον for ῥόπαλον may glance towards Od.‘s true status.“ Siehe auch die „Rüstungsszene“ des Eumaios in Od. 14,528-531, dazu vgl. Segal 1994, 169.

III.3 Die Bewährung des Helden

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war, dann jedoch von seiner Amme entführt und von taphischen Piraten in die Sklaverei verkauft wurde (Od. 15,403-484), kein Patronymikon trägt,1248 verhält er sich trotz seiner niedrigen sozialen Stellung in der Gesellschaft Ithakas wie ein Aristokrat.1249 Darin zeigt sich der Widerwillen des Odyssee-Dichters eine wichtige, eindeutig positiv bewertete Figur seines Gedichts uneingeschränkt einem niedrigen sozialen Stand zuzurechnen (ebenso auch Eurykleia, vgl. Od. 1,429-4331250).1251 Als Odysseus sich nähert, wird er beinahe von den vier wilden Hunden des Schweinehirten angefallen, doch Eumaios greift rechtzeitig ein und bittet den alten Bettler zu sich ins Haus (Od. 14,29-47). Eumaios ist nicht nur wohlhabend, sondern zeigt auch das Verhalten eines guten Gastgebers und Hausherren, indem er Odysseus willkommen heißt und bewirtet (Od. 14,48-113). Auf Nachfrage seines Gasts erzählt er voll Zuneigung und Sehnsucht von seinem verschollenen Herren, an dessen Rückkehr er schon nicht mehr glaubt (Od. 14,122-147), und berichtet von der Reise des Telemachos und seiner Sorge um ihn (Od. 14,174-184). Erst dann fragt er nach der Geschichte seines unbekannten Gasts (Od. 14,185-190), und Odysseus antwortet mit einer ausführlichen, erfundenen Erzählung (Od. 14,199-359), die große Gemeinsamkeiten mit seinen tatsächlichen Erlebnissen aufweist, dabei allerdings ausschließlich in der heroischen Welt stattfindet:1252 Auch der Sohn des Kastor von Kreta, als der er sich ausgibt, ist ein tapferer

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Vgl. dazu Higbie 1995, 190: „One sign of being among the lower classes is the lack of a name or patronymic and the identification by a mere job title. Characters such as Eumaios and Eurykleia, who contradict this pattern, may have undergone some sort of tragedy which has removed them from the upper classes into which they were born.“ Rose 1975 sieht in der Darstellung statusunabhängiger Qualitäten anti-aristokratische Tendenzen, vgl. auch Donlan 1973, v.a. 153. Thalmann 1998, 97 lehnt diese Betrachtungsweise ab, da die Gleichsetzung von edler Geburt mit guter Gesinnung das aristokratische Ethos des Epos bestätige. Es ist zu vermuten, dass Eurykleia, „die Tochter des Ops, des Sohnes des Peisenor“ (Od. 1,429) ebenfalls ursprünglich aus aristokratischen Verhältnissen stammte, vgl. Heubeck et al. 1988, 126 ad loc., Jones 1991, 133 ad loc., Thalmann 1998, 74-75 sowie Murnaghan 2011, 28-29. Vgl. Bernsdorff 1992, 119. Siehe dazu auch Bowra 1952, 54: „Glory is the prerogative of the great, and the heroic world is so constituted that they are offered many chances of winning it. To this general rule there are some apparent exceptions. There are times in heroic poetry when humble men and women play parts of importance and are treated with sympathy and respect. If Homer’s swineherd, Eumaeus, turns out to be a king’s son, yet the Odyssey has other characters in lowly positions who show a noble spirit, notably Odysseus’ old nurse, Euryclea, who is not only devoted to her master but maintains a strict control over the other women of the household, and the goatherd, Melanthius [sic! Gemeint ist sicherlich der Rinderhirt Philoitios.], who plays a minor but not discreditable part in the destruction of the Suitors.“ Zum Phänomen Nicht-Adeliger in Heldenrollen siehe auch Donlan 1973, 151-154. Vgl. Reinhardt 1960b, 50-53.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Kämpfer in λόχος-Unternehmen wie in der offenen Feldschlacht (Od. 14,216: λόχονδε; 14,222: ἐν πολέμῳ), und kämpfte vor Troia (Od. 14,216241).1253 Nach nur kurzer Zeit in seiner Heimat nach Ende des Krieges musste er weitere Abenteuer bestehen, geriet in Ägypten in Gefangenschaft, konnte die Anerkennung der Ägypter erringen und verließ das Land mit reichen Geschenken nach Phönizien (Od. 14,257-292). Bei seiner Weiterreise wurde sein Schiff vom Blitz des Zeus zerstört und er gelangte schiffbrüchig zu den Thesproten, die ihn gastlich aufnahmen (Od. 14,305320). Er behauptet, dort Kunde von Odysseus‘ baldiger Heimkehr erhalten zu haben (Od. 13,321-333), doch Eumaios ist ungläubig gegenüber allen Berichten, die Reisende bisher nach Ithaka brachten (Od. 14,361-389). Für ihr nächstes Mahl nach der Unterredung schlachtet Eumaios jedoch sogar einen Eber (Od. 14,407-436) und ehrt nach den gebührlichen Opfern seinen Gast mit dem Rückenstück als γέρας (Od. 14,437-441; vgl. Il. 7,321322; Od. 8,474-483): Der Bettler ist ganz offensichtlich in seinem Ansehen gestiegen.1254 Er bewirtet seinen Gast fürstlich (Od. 14,446-456; vgl. v.a. 446: Ὀδυσσῆι πτολιπόρθῳ), und als er Odysseus‘ listige Truggeschichte, wie dieser sich in der Kälte während eines λόχος-Einsatzes vor Troia den Mantel des Aitolers Thoas aneignete (Od. 14,469-506),1255 richtig interpretiert, ist er bereit, ihm seinen eigenen Mantel als Leihgabe für die Nacht zu überlassen, obwohl er selbst nur einen besitzt, und richtet ihm ein warmes Bett am Feuer (Od. 14,507-522).1256 Diese List charakterisiert Odysseus als findigen Held der klugen Worte (μῆτις)1257 ebenso wie Eumaios als fürsorglichen Gastgeber.1258 Als die Knechte und Odysseus sich zur Nachtruhe niederlegen, rüstet sich Eumaios und macht sich allein auf, um nach den Schweinen

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Odysseus gibt sich in seinen erfundenen Erzählungen mehrfach als Kreter aus, und weist dabei besondere Verbindungen zu Idomeneus und dessen Gefolgsmann Meriones auf, der in der Ilias ebenfalls als ausgezeichneter λόχος-Kämpfer dargestellt ist (vgl. v.a. Il. 13,275-291), siehe dazu ausfüh rlich Haft 1984, v.a. 292-299. Vgl. Rose 1980, 290-291. Zu den zahlreichen intertextuellen Bezügen dieser Episode siehe Newton 1998, v.a. 143-151. Zu den Gemeinsamkeiten zwischen Eumaios und den Phaiaken siehe Segal 1994, 164-166. Gleichzeitig scheinen die Unterschiede der harten Realität gegenüber der idealisierten Welt der Phaiaken auf, denn während am Hof des Alkinoos kein Mangel herrschte, ist der Besitz des Eumaios begrenzt, vgl. Od. 14,513-514: οὐ γὰρ πολλαὶ χλαῖναι ἐπημοιβοί τε χιτῶνες / ἐνθάδε ἕννυσθαι, μία δ’ οἴη φωτὶ ἑκάστῳ, so auch Segal 1994, 169. Vgl. Walcot 2009, 149-150. Zielführende Lügen sind in der Odyssee hoch geachtet und positiv bewertet. Vgl. auch Murnaghan 2011, 79-81, die die Leihgabe des Mantels sogar als eine zeitweilige Wiedererkennung von Seiten des Eumaios deutet.

III.3 Die Bewährung des Helden

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zu sehen,1259 und Odysseus ist voll Freude, dass Eumaios so gut für den Besitz seines vermeintlich fernen Herrn sorgt (Od. 14,523-533). Die Ordnung im Haus und die guten Manieren des Eumaios stehen in scharfem Kontrast zu den ungeordneten Zuständen im Haus des Odysseus. 1260 Die gastliche Aufnahme des Bettlers im Haus des Eumaios ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Rache an den Freiern und eine Bestätigung des Geschicks des Odysseus: Er gelingt ihm, obgleich er zunächst als fremder Bettler einen niedrigeren gesellschaftlichen Stand als der unfreie Schweinehirt einnimmt, dessen Vertrauen und Anerkennung zu erringen. 1261 Der Aufstieg des Bettlers wird im Motiv der Kleidung deutlich, denn Odysseus ist zunächst in Lumpen gehüllt (Od. 14,341-343), und Eumaios ist eingangs nicht bereit, ihn für die frohe Botschaft der baldigen Rückkehr des Odysseus mit einem Mantel zu belohnen (Od. 14,152-167). Er nimmt das Wettangebot des Bettlers um einen Mantel, ob Odysseus‘ Heimkehr bald erfolgen werde (Od. 14,395-400), nicht an, doch versorgt ihn mit einem warmen Mantel für die Nacht und stellt ihm das Geschenk eines Mantels von Telemachos in Aussicht (Od. 14,518-522; vgl. 16,78-80).1262 Diese Motivserie wird weitergeführt von den Versprechen angemessener Kleidung durch Penelope für richtige Auskünfte über den Verbleib ihres Gatten (Od. 17,549-550, 556-557) und für Erfolg bei der Bogenprobe (Od. 21,339).1263 Die Umsetzung der Einkleidung wird jedoch hinausgezögert, denn Odysseus lehnt auch Eurykleias Angebot auf angemessene Bekleidung nach der Freiertötung noch ab (Od. 22,487-491). Erst zur Wiedererkennung mit Penelope legt Odysseus frische Kleidung an (Od. 23,155). Die Verfolgung des Motivs neuer Kleidung zeigt die kontinuierliche Tendenz des sozialen (Wieder)Aufstiegs des Bettlers Odysseus, der mit seinem Besuch in der Hütte des Eumaios beginnt.1264 Doch während Odysseus selbst auf diese Weise auf die Probe gestellt wird und sich bewährend muss, unterzieht er seinerseits Eumaios einer genauen Prüfung:1265 Eumaios erweist sich als loyaler Diener des Odysseus auch in der vermeintlichen Abwesenheit seines Herren, und als Odysseus‘ umsichtige Vorbereitungen seines Racheplans abgeschlossen sind und

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Zur Rüstungsszene des Eumaios in Od. 14,528-531 siehe Newton 1998, 149-150, 153154 sowie die Beobachtung von Dué/Ebbott 2010, 56, dass diese motivisch der Ausrüstung für ein λόχος-Unternehmen entspricht. Vgl. Austin 1975, 165-168. Zur Entwicklung der Beziehung zwischen Eumaios und dem Bettler Odysseus siehe ausführlicher Rose 1980, 288-292. Eumaios zeigt sich darin als guter Gastgeber, denn Odysseus schlägt vor, wenn er die Wette verlieren solle, könne Eumaios ihn von einer Klippe herabstürzen; dies wäre natürlich eine Verletzung des Gastrechts, vgl. Rose 1980, 290. Vgl. Rose 1980, 293. Vgl. auch ausführlich Block 1985. Vgl. Rose 1980, 286.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Eumaios ins Vertrauen gezogen werden kann (Od. 21,188-244), erkennt dieser den Bettler, der mittlerweile seine Achtung erlangt hat, sofort als seinen verschollenen Herren an und wird zum tüchtigen Mitstreiter bei der folgenden Tötung der Freier.1266 III.3.2.2 Der Bettler im Palast des Odysseus Bevor die Freiertötung als Höhepunkt der Bewährung des heimgekehrten Helden in den Blick treten kann, gilt es jedoch zunächst, deren Vorbereitung und das Verhalten des unerkannten Odysseus als Bettler in seinem eigenen Haus zu betrachten. Denn wie Odysseus sukzessive die Anerkennung des Eumaios gewinnt, so zeichnet er sich auch bei seinem Verhalten in seinem Palast gegenüber den Freiern aus. Odysseus plant, in seiner Verkleidung als Bettler in die Stadt zu gehen (vgl. Od. 15,308-317; 16,272-273, 454-459; 17,197-203), und nach der Wiederkennung mit seinem Sohn Telemachos1267 gelangt Odysseus in Begleitung des Eumaios zum Palast (Od. 17,182-183, 336-341), wo er von Telemachos hereingebeten und aufgenommen wird (Od. 17,342-359). Im Haus angelangt muss er bei seiner vorsichtigen Racheplanung besonders seine Geduld und Leidensfähigkeit unter Beweis stellen (vgl. Od. 16,274-280),1268 doch an einigen Stellen zeigt er sich in Sprache wie in den Motiven trotzdem als der frühere Kriegsheld:1269 So scheint das wahre Wesen des Helden deutlich in der „Wettkampfaristie“1270 mit dem Bettler Iros durch, der zum Palast kommt und den konkurrierenden Bettler vertreiben will (Od. 18,813). Odysseus reagiert unwillig (Od. 18,14: ὑπόδρα ἰδών) und kündigt drohend an, Iros zu besiegen, falls dieser es zu einem Streit kommen lasse (Od. 18,15-24). Iros antwortet auf diese Herausforderung mit einer Kampfansage (Od. 18,25-31), und nach diesem Flyting-Austausch machen sich die

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Vgl. Rose 1980, 293-294. Zu dem Rinderhirten Philoitios als Doublette des Eumaios, der ebenfalls loyal ist und ins Vertrauen gezogen werden kann, siehe Fenik 1974, 172174. Die Doppelung der Rolle des Mitstreiter wird von Nagler 1974, 109 auf die übliche Zweizahl der Begleiter bzw. Helfer im Epos zurückgeführt, die ebenfalls Odysseus‘ Rückgewinnung seines Heldenstands markiert. Die Wiedererkennung mit dem Sohn wird von Athene eingeleitet, indem sie die Verwandlung des Odysseus zeitweilig rückgängig macht und den Helden in stattlicher Gestalt präsentiert (Od. 16,166-176); nach anfänglichem Unglauben erfolgt die Wiedererkennung ohne γνωρίσματα (Od. 16,180-214). Die Enthüllung gegenüber dem Sohn hat offenbar keine symbolische, sondern vielmehr praktische Bedeutung, denn in Telemachos gewinnt Odysseus einen vertrauenswürdigen Mitstreiter (vgl. Od. 16,233-307). Siehe dazu v.a. Lateiner 1995, 183-189. Vgl. Schröter 1950, 185-186: „Odysseus [ist] überall ein ἀριστεύων oder, wenn man das kriegerische ἔργον im χ als τέλος stärker betonen will: als ἀριστεύσων Gegenstand der Dichtung (…).“ Zur Identifikation der Episode als Aristie siehe auch Schröter 1950, 180.

III.3 Die Bewährung des Helden

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beiden Bettler zur Freude der Freier und mit Einwilligung des Telemachos als dem Herren des Hauses zum Kampf bereit (Od. 18,32-66). Dabei gürtet sich Odysseus, wie es auch die Kontrahenten beim Boxkampf in der Ilias während der Leichenspiele für Patroklos taten (vgl. Il. 23,683-685):1271 Od. 18,66-74: (...) αὐτὰρ Ὀδυσσεύς ζώσατο μὲν ῥάκεσιν περὶ μήδεα, φαῖνε δὲ μηρούς καλούς τε μεγάλους τε, φάνεν δέ οἱ εὐρέες ὦμοι στήθεά τε στιβαροί τε βραχίονες· αὐτὰρ Ἀθήνη ἄγχι παρισταμένη μέλε᾿ ἤλδανε ποιμένι λαῶν. μνηστῆρες δ᾿ ἄρα πάντες ὑπερφιάλως ἀγάσαντο· ὧδε δέ τις εἴπεσκεν ἰδὼν ἐς πλησίον ἄλλον· „ἦ τάχα Ἶρος Ἄιρος ἐπισπαστὸν κακὸν ἕξει, οἵην ἐκ ῥακέων ὁ γέρων ἐπιγουνίδα φαίνει.“ (...) Doch Odysseus Gürtete sich mit seinen Lumpen um die Lenden und zeigte seine Schenkel, die schönen und großen, und es erschienen seine breiten Schultern und die Brust und die starken Arme. Doch Athene trat zu ihm heran und ließ die Glieder dem Hirten der Völker schwellen. Die Freier aber wunderten sich alle gewaltig. Und einer sah den anderen neben sich an und sagte so: „Wahrlich, bald wird Iros Iros gewesen sein und sich sein Übel zugezogen haben, was der Alte da aus den Lumpen für einen Schenkel zum Vorschein bringt!“

Schönheit ist ein Mittel des epischen Dichters, um auf die besondere Qualität eines Helden im Kampf hinzuweisen, und so nimmt es nicht wunder, dass Odysseus gerade an dieser Stelle auffallend groß und kräftig dargestellt wird.1272 Trotz der Lumpen erkennt Iros die ἀρετή des Odysseus, und da er zwar groß, aber nicht stark ist (vgl. Od. 18,3-4), und sich unversehens mit einem überlegenen Gegner konfrontiert sieht, versucht er, sich dem Kampf zu entziehen. Doch auf das Drängen der Freier kommt es zum Kampf, der weniger einem Boxkampf als vielmehr einer iliadischen Schlachtszene gleicht.1273 Odysseus trägt einen überlegenen Sieg davon, obgleich er zuvor sogar abwog, ob er Iros mit einem Schlag töten oder ihn nur

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Zur Szene und der Verwendung des ζῶμα als dem Symbol des Helden als Athleten beim Wettkampf siehe Bennett 1997, 107-109 sowie Steiner 2010, 165 ad Od. 18,67. Vgl. Thalmann 1998, 105-106 sowie Steiner 2010, 165-166 ad Od. 18,67-70, die beide anmerken, dass ποιμένι λαῶν (Od. 18,70) ein typisch iliadisches Epitheton für große Helden und Anführer ist. Vgl. auch den Boxkampf zwischen Epeios und Euryalos in Il. 23,689-697, der ebenfalls mit einem einzigen Schlag des überlegenen Kämpfers beendet ist und ebenso die Züge einer Androktasie trägt. Zur üblichen Form von Androktasien vgl. oben I.3.3.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

zu Boden strecken solle, und sich für einen leichten Schlag entschied, um seine Tarnung nicht zu gefährden (Od. 18,90-94): Od. 18,95-99: δὴ τότ᾿ ἀνασχομένω ὃ μὲν ἤλασε δεξιὸν ὦμον Ἶρος, ὃ δ᾿ αὐχέν᾿ ἔλασσεν ὑπ᾿ οὔατος, ὀστέα δ᾿ εἴσω ἔθλασεν· αὐτίκα δ᾿ ἦλθεν ἀνὰ στόμα φοίνιον αἷμα, κὰδ δ᾿ ἔπεσ᾿ ἐν κονίῃσι μακὼν, σὺν δ᾿ ἤλασ᾿ ὀδόντας λακτίζων ποσὶ γαῖαν· (...) Da holten sie beide aus, und jener, Iros, schlug ihm gegen die rechte Schulter. Er aber schlug ihn an den Hals unter das Ohr und die Knochen darin zerbrach er. Sogleich kam aus dem Munde rotes Blut und er fiel aufschreiend nieder in den Staub, und schlug die Zähne aufeinander und stieß die Erde mit den Füßen. (...)

In der Kürze wie auch im Ablauf entspricht dieser Zweikampf dem Muster einer Androktasie der Ilias: Der erste Kämpfer startet einen Angriff, der entweder den Gegner verfehlt oder, wie hier, keine Wirkung zeigt. Dies gibt dem Gegner die Möglichkeit zum Gegenangriff, der den Kampf unmittelbar beendet. Dass es nicht zu einem längeren Schlagabtausch kommt, hebt die überlegene Stärke des siegreichen Helden hervor. Odysseus weicht dem Schlag des Iros nicht aus, sondern hält ihm stand, obwohl er nicht durch eine Rüstung geschützt ist. Sein eigener Gegenschlag streckt Iros sofort nieder, und auch die Wortwahl, mit der beschrieben wird, wie Iros blutend zu Boden stürzt, evoziert iliadische Schlachtdarstellungen (Od. 18,98; vgl. Il. 6,453; 15,538: κάππεσεν ἐν κονίῃσιν; 16,469: κὰδ δ᾿ ἔπεσ᾿ ἐν κονίῃσι μακὼν). Odysseus schleift Iros daraufhin hinaus in den Hof und wirft ihn mit einer drohenden Prahlrede (Od. 18,105-107) aus dem Palast. Er selbst erhält als Belohnung für seinen Sieg Bewirtung beim Mahl der Freier und eine Ehrenstellung als einziger Bettler im Haus (Od. 18,118-121; vgl. 18,43-49). Trotz seiner Verunstaltung und Verkleidung ist Odysseus als Held in der Lage, einen Gegner gleichsam in einer Androktasie mit einem einzigen Schlag niederzustrecken, und in diesem Sieg ist auch sein Triumph über die Freier angedeutet (vgl. auch Od. 18,235-242).1274 Auch die Serie von Beleidigungen durch die Diener und von direkten Entehrungen durch die Freier bereitet die Rache des Odysseus vor. Der Bettler wird dreimal von Dienern beleidigt (Melanthios, Od. 17,212-237; 20,173-184; Melantho, 18,321-336), und jede Beleidigung bereitet thematisch einen Angriff der Freier vor (vgl. auch die Voraussagen in Od. 16,277;

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Vgl. Thalmann 1998, 101, Saïd 2011, 256-257 sowie Felson 1999, 96: „The match with Iros, in particular, compresses into a single event the competition between Odysseus and the would-be usurpers. Iros stands, synecdochically, for the 108 suitors.“ Maronitis 2004, 51 hingegen bezeichnet die Episode als „grotesque prologue to the Mnêstêrophonia.“ Zu weiteren Aspekten der Episode siehe Steiner 2010, 153-155.

III.3 Die Bewährung des Helden

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17,230).1275 Denn dreimal werfen die übermütigen Freier beim Gelage mit Gegenständen auf den als Bettler verkleideten Odysseus: Zuerst wirft Antinoos im Zorn einen Fußschemel auf Odysseus, der ihn an der Schulter streift (Od. 17,458-465). Wenig später nach dem Boxkampf mit Iros gerät Odysseus in eine verbale Auseinandersetzung mit Eurymachos, und seine Entgegnung, die in ihrem aggressiven Tonfall durchaus eines iliadischen Helden würdig ist, obgleich Odysseus Eurymachos nur zu einem Wettstreit im Pflügen herausfordert, antizipiert gleichsam seinen späteren Erfolg bei der Bogenprobe.1276 Eurymachos wirft aus Wut über das rhetorische Geschick und die Herausforderung des Bettlers (Od. 18,365-386) ebenfalls einen Schemel nach Odysseus, der stattdessen einen Mundschenk trifft (Od. 18,387-404). Die Reaktion des Eurymachos zeigt implizit seine Anerkennung des Anspruchs des Bettlers, sich mit ihm messen zu können, und deutet an, dass die Freier auch den Bettler Odysseus als Gegner ernst nehmen (vgl. auch Od. 21,285-286).1277 Zuletzt wirft der Freier Ktesippos einen Kuhfuß auf Odysseus, dem dieser ausweichen kann (Od. 20,292-302). Diese drei Angriffe auf Odysseus weisen wörtliche und motivische Anklänge an iliadische Schlachtschilderungen auf: Im ersten Fall wird Odysseus an der rechten Schulter getroffen (Od. 17,462: θρῆνυν ἑλὼν βάλε δεξιὸν ὦμον; vgl. z.B. Il. 14,450: βάλε δὲ ... δεξιὸν ὦμον), doch der Treffer zeigt keine Wirkung und bringt den Helden nicht zum Wanken (Od. 17,463-464: ὁ δε ἐστάθη ἠύτε πέτρη / ἔμπεδον, οὐδ᾿ ἄρα μιν σφῆλεν βέλος Ἀντινόοιο; vgl. 17,233235);1278 der Wurf des Eurymachos verfehlt Odysseus und trifft entsprechend zum iliadischen Motiv der „Ersatztötung“ einen Mundschenk (vgl. z.B. Il. 8,119-121, 311-313), dessen Kanne dröhnend zu Boden fällt (Od. 18,397: πρόχοος δὲ χαμαὶ βόμβησε πεσοῦσα; vgl. Il. 13,530; 16,118) und der selbst rückwärts umfällt (Od. 17,398: ὅ γ᾿ οἰμώξας πέσεν ὕπτιος ἐν κονίῃσιν; vgl. Il. 4,522; 13,548; 15,434; 16,289);1279 das dritte Wurfgeschoss des Ktesippos hingegen trifft wirkungslos die Wand des Speisesaals, da Odysseus geschickt ausweichen kann (Od. 20,300-301: ὁ δ᾿ ἀλεύατ᾿ Ὀδυσσεὺς / ἦκα παρακλίνας κεφαλήν; vgl. Il. 3,360 = 7,254: ὁ δ᾿ ἐκλίνθη καὶ ἀλεύατο κῆρα

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Zu diesen Symmetrien und thematischen Doubletten siehe Fenik 1974, 180-187. Vgl. auch Thalmann 1998, 84: „Melanthios reduces the suitors through his mimicry by representing them at their most basic and brutal, stripped of the aristocratic aura.“ So auch Thalmann 1998, 110-111: „The exchange makes an interesting contrast with the Iros scene, and Odysseus’s rhetorical victory foreshadows his physical defeat of the suitors“ (S. 110). Zu diesem Aspekt siehe Thalmann 1998, 122. Vgl. Saïd 2011, 235 sowie Lateiner 1995, 134 zu dieser passiv-heroischen Haltung, der das Verhalten des Aias in Od. 11,563-564 zum Vergleich anführt: „Zero movement (nonwithdrawal) signifies heroic strength.“ Die offensichtlichen Parallelen zu iliadischen Schlachtszenen wurden auch von Steiner 2010, 216 ad Od. 18,396-397, 397, 398 hervorgehoben

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

μέλαιναν).1280 Ktesippos bezeichnet in einer höhnischen Rede den geworfenen Kuhfuß als Gastgeschenk (Od. 20,296-297: ξείνιον ... γέρας) und verkehrt damit das Motiv des angemessenen Anteils am gemeinsamen Mahl als traditionelle Ehrbezeugung zur einer Beleidgung.1281 Wie auf die Beleidigung des Melanthios zuvor (Od. 20,183-184) zeigt Odysseus keine Reaktion auf den letzten Angriff, sondern lächelt nur sardonisch (Od. 20,301-302: μείδησε δὲ θυμῷ / σαρδάνιον; vgl. auch 20,184: κακὰ βυσσοδομεύων).1282 Die drei Angriffe charakterisieren die Freier, die in ihrem Übermut schamlos das Gastrecht des Bettlers verletzen, verweisen jedoch auch auf die wachsende Stärke des Odysseus, denn jeder Wurf zeigt weniger Wirkung als der vorherige.1283 Durch seine Standhaftigkeit erscheint der Bettler Odysseus als Kämpfer, dem die Angriffe seiner Feinde keinen Schaden zufügen können: Od. 17,233-238: (...) καὶ παριὼν λὰξ ἔνθορεν ἀφραδίῃσιν ἰσχίῳ· οὐδέ μιν ἐκτὸς ἀταρπιτοῦ ἐστυφέλιξεν, ἀλλ’ ἔμεν’ ἀσφαλέως. ὁ δὲ μερμήριξεν Ὀδυσσεύς, ἠὲ μεταΐξας ῥοπάλῳ ἐκ θυμὸν ἕλοιτο ἦ πρὸς γῆν ἐλάσειε κάρη ἀμφουδὶς ἀείρας· ἀλλ’ ἐπετόλμησε, φρεσὶ δ’ ἔσχετο. (...) Und als er [d.h. Melanthios] vorüberging, trat er ihm in seinem Unverstand mit der Ferse in die Hüfte, doch stieß er ihn nicht von dem Fußsteig, sondern er hielt Stand ohne Wanken. Da überlegte Odysseus, ob er ihm nacheilen und ihm mit dem Stab das Leben nehmen sollte oder ihn an den Ohren hochheben und mit dem Kopf auf die Erde schlagen solle, aber er hielt an sich und fasste sich in seinem Sinn.

Die Passage zeigt Odysseus als Helden, der am liebsten mit unbarmherziger Gewalt gegen jede Entehrung vorgehen würde, doch seine bestimmende Bewährung und seine besondere Auszeichnung besteht im geduldigen Ertragen aller Beleidigungen im Blick auf die vorsichtige Umsetzung seines Racheplans (vgl. auch Od. 17,283-285). Im gleichen Maß, wie Odysseus trotz seiner niedrigen Position als Bettler im Palast an Status und Anerkennung gewinnt, indem er sich zurückhaltend und den sozialen Normen entsprechend verhält, vermindert sich das Ansehen und der Einfluss der Freier. Dies zeigt sich besonders an der

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Vgl. auch Rutherford 1992, 288 ad Od. 20,299. Vgl. Rutherford 1992, 227-228, Segal 1994, 160, Lateiner 1995, 221 sowie Graziosi/Haubold 2005, 145. Das Verhalten erinnert zudem an die Perversion des Gastgeschenks durch den Kyklopen (Od. 9,369-370), vgl. Austin 1975, 164-165. Die genaue Bedeutung des sardonischen Lächelns ist unsicher, vgl. Russo et al. 1992, 122 ad loc. sowie Lateiner 1995, 193-195. So auch Fenik 1974, 186 und Steiner 2010, 137 ad Od. 17,462-465.

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Reaktion des Telemachos auf ihr ungebührliches Verhalten, die zunehmend entschlossener ausfällt: Auf den Wurf des Antinoos reagiert er noch nicht und schluckt seine Wut herunter (Od. 17,489-491), doch nach dem Wurf des Eurymachos greift er mit einer entschiedenen Rede ein, auf die die Freier keine Erwiderung wagen (Od. 18,405-411). Auf den Wurf des Ktesippos hingegen wird er wütend und droht ihm, er hätte ihn mit dem Speer niedergestochen, wenn er getroffen hätte (Od. 20,303-320). Die Motivwiederholungen zeigen, dass die Angriffe der Freier auf den Bettler Odysseus kontinuierlich wirkungsloser werden, wohingegen Telemachos zunehmend bereit ist, sich gegen sie zur Wehr zu setzen, indem er ihnen zuletzt sogar Gewalt androht.1284 Die Serie iliadisch anmutender Begegnungen der Bücher Od. 17-20 zeigt Odysseus zunehmend als der Kampfheld, als der er sich in Buch 22 zu erkennen geben wird.1285 Odysseus bleibt somit auch in den Lumpen seines Bettlergewands ein Held. Dies wird exemplarisch an seiner Narbe deutlich, die trotz seiner Verwandlung erhalten bleibt: Die alte Amme Eurykleia entdeckt die Narbe bei der Fußwaschung, die Odysseus als untrügliches γνώρισμα beinahe verrät (Od. 19,383-466): Od. 19,392-396: νίζε δ᾿ ἂρ᾽ ἆσσον ἰοῦσα ἄναχθ᾿ ἑόν· αὐτίκα δ᾿ ἔγνω οὐλήν, τήν ποτέ μιν σῦς ἤλασε λευκῷ ὀδόντι Παρνησόνδ᾿ ἐλθόντα μετ᾿ Αὐτόλυκόν τε καὶ υἷας, μητρὸς ἑῆς πατέρ᾿ ἐσθλόν, ὃς ἀνθρώπους ἐκέκαστο κλεπτοσύνῃ θ᾿ ὅρκῳ τε· (...) Sie aber trat heran und wusch ihren Herren: sogleich aber erkannte sie die Narbe, die ihm einst ein Eber schlug mit weißem Zahn, als er zum Parnass kam zu Autolykos und seinen Söhnen, dem edlen Vater seiner Mutter, der unter den Menschen ausgezeichnet war in Diebeskunst und der Kunst des Schwörens: (...)

Die Narbe des Odysseus ist ein wichtiges Symbol und der an ihre Erwähnung ringkompositorisch anknüpfende Exkurs (Od. 19,393-466) liefert weitere Informationen: Autolykos, der Großvater des Odysseus kam einst nach Ithaka, wo er dem neugeborenen Sohn seiner Tochter den Namen

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Vgl. Fenik 1974, 183-187, Russo et al. 1992, 121 ad Od. 20,299-300 sowie Murnaghan 2011, 77-78 mit Anm. 20. Vgl. dazu die Einschätzung von Steiner 2010, 2: „Books 17 and 18 include several passages illustrating how the later poem challenges Iliadic values, revises its version of events and demotes some of its episodes to a lower social plane.“ Während es unzweifelhaft zutreffend ist, das die „Kämpfe“ der Odyssee sich in einem im Vergleich zur Ilias unheroischen Umfeld zutragen, stellen sie doch die Werte der Ilias nicht in Frage und zeigen, dass Odysseus trotz seiner niedrigen sozialen Stellung als Kämpfer beweisen kann.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Odysseus gab (Od. 19,399-409); er sprach eine Einladung aus, Odysseus solle, wenn er herangewachsen sei, zu ihm kommen, und er nahm den jungen Odysseus gastfreundlich in seinem Haus am Parnassos auf und beschenkte ihn reich (Od. 19,409-427); als sie zusammen auf die Jagd gehen, stürmt Odysseus als erster allein gegen einen Eber an, den er zwar töten konnte, aber selbst eine Fleischwunde davontrug (Od. 19,428-454); Autolykos und seine Söhne versorgten die Wunde und schickten Odysseus nach seiner Genesung mit reichen Gaben zurück zu seinen Eltern nach Ithaka, wo er seine Geschichte erzählen musste (Od. 19,455-466). Die Narbe ist folglich ein sichtbares Zeugnis der Tapferkeit, die Odysseus schon in frühester Jugend auf der Jagd unter Beweis stellte, indem er den gefährlichen Eber alleine und vor allen seinen Verwandten erlegte (Od. 19,447-454),1286 und markiert Odysseus‘ Initiation als Krieger.1287 Als Zeichen der Verwundung des Odysseus, die er sich bei seiner ersten Aristie zuzog, ist die Narbe nicht nur ein Erkennungszeichen, sondern auch Kennzeichen eines homerischen Helden.1288 Zugleich wird Odysseus durch die Assoziation mit seinem Großvater Autolykos, einem berühmt-berüchtigten Betrüger und Dieb, der ebenfalls für seine λόχοι und δόλοι bekannt war, charakterisiert (Od. 19,395396: ὃς ἀνθρώπους ἐκέκαστο / κλεπτοσύνῃ θ’ ὅρκῳ τε; vgl. auch Il. 10,267).1289 Der Name Ὀδυσσεύς, der ihm von Autolykos in Erinnerung an seine damalige Situation gegeben wurde, als er „als einer, der vielen Männer und Frauen zürnt auf der vielnährenden Erde“ nach Ithaka kam (Od. 19,407409),1290 evoziert zudem das Motiv des Heldenzornes und deutet an, dass auch Odysseus voll Zorn nach Ithaka zurückkehrte.1291 Für Eurykleia bedeutet die Narbe, dass der unbekannte Bettler in Wahrheit ihr totgeglaubtes Ziehkind und damit der legitime Herr des Hauses und Herrscher Ithakas ist. Das Publikum des Dichters hingegen wird durch

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Vgl. Austin 1975, 227. So auch Rutherford 1992, 186 ad Od. 19,410, der ferner feststellt: „It fits this interpretation that a number of phrases in the description of the fight are drawn from standard (Iliadic) battle-diction; for the audience, this description serves as a reminder of martial epic.“ Vgl. Rutherford 1992, 183 ad loc., Cook 2009, 115-116 sowie Neal 2006a, 44, die allerdings anmerkt, dass Narben ansonsten in den Epen nicht erwähnt werden. Dazu Stanford 1968, 8-24, Clay 1983, 68-84 sowie Köhnken 1991, 508-511. Die Zuordnung zu *ὀδύσ(σ)ομαι „zürnen“ lässt zwei Interpretationen des Namens Ὀδυσσεύς zu, wobei der Träger des Namens Subjekt oder Objekt des Zornes sein kann, vgl. Clay 1983, 54-64, Köhnken 1991, 509, Cook 2009, 114-115 sowie Saïd 2011, 224. Russo et al. 1992, 97 ad loc. sprechen sich für die Deutung als Aktiv aus (siehe auch die Wortspiele in Od. 1,62; 5,340, 423; 14,145-146; 19,275-276), Rutherford 1992, 185-186 ad loc. bevorzugt die Auffassung als Passiv und weist auf eine mögliche Verbindung zu ὀδύρομαι (Wortspiele in Od. 1,55; 5,160; 14,142-144, 174) hin. Zu diesem Aspekt siehe Köhnken 1991, 509-511, der Autolykos sogar als „Doppelgänger“ des Odysseus bezeichnet.

III.3 Die Bewährung des Helden

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die Erwähnung der Narbe und ihrer Geschichte (Od. 19,393-466) an eine frühere Heldentat des Odysseus und seine edle Abstammung erinnert, und somit wird er in seiner Identität als Held bestärkt. Es ist in diesem Kontext bedeutsam, dass Eurykleia Odysseus von sich aus an der Narbe erkennt, obgleich sich Odysseus ihr nicht zu erkennen geben wollte. Der Held kann sich verkleiden, doch er kann weder seine Statur noch seine heroische Identität verleugnen (Od. 19,379-381; vgl. 18,69-74). So erkennt Odysseus auch die Gefahr der Wiedererkennung durch Eurykleia sofort (vgl. Od. 19,388391) und beweist Geistesgegenwart und heroische Entschlossenheit in seiner Reaktion, mit der er die Amme an der Kehle packt und ihr den Tod androht, falls sie ihn verraten sollte (Od. 19,479-490).1292 Die beinahe verhängnisvolle Wiedererkennung durch Eurykleia ist damit weit mehr als nur ein aufregendes und retardierendes Zwischenspiel an dramatischer Stelle in der Unterhaltung zwischen Odysseus und Penelope. 1293 Im Umgang mit Penelope zeigt sich der Bettler Odysseus als verständiger, höflicher und ehrenwerter Gast und erlangt dadurch ihre Anerkennung (Od. 17,586; 19,253-257, 350-352), nicht zuletzt auch indem er sich in ihren Augen im Vergleich mit den frevelhaften Freiern auszeichnet (vgl. Od. 17,586-588).1294 Als es zur Bogenprobe kommt und die Freier scheitern, hat der Bettler Odysseus das Vertrauen und die Achtung der Penelope so weit errungen, dass sie sich für ihn einsetzt und er sich auch an dem Bogen versuchen darf (Od. 21,311-342).1295 Zwar kann Odysseus in seinem gegenwärtigen sozialen Kontext als mittelloser Bettler im Falle des Erfolgs nicht mit der Hand der Penelope rechnen, doch indem sie ihm stattdessen neben Kleidung und einem neuen Mantel auch einen Wurfspeer und ein Schwert

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Die Beobachtung, dass „der Dichter den rechtzeitigen Akt seines verkleideten Helden als Meisterstück verstanden wissen wollte“ stammt von Erbse 1972, 95-97 (Zitat von S. 96), der auf die Gemeinsamkeiten mit Od. 4,285-289, wo Odysseus den anderen Griechen im Troianischen Pferd das Leben rettete, indem er Antiklos den Mund zuhielt. Die Wiedererkennung ist nicht auf den Leichtsinn des Odysseus zurückzuführen, dass er der Fußwaschung zustimmte, da er nicht wissen konnte, dass Eurykleia, die einzige Dienerin, die die Narbe erkennen könnte, ihn waschen würde, vgl. Köhnken 1991, 494-497. Vgl. Köhnken 1991. Anders hingegen Edwards 1987, 64: „The scar Odysseus bore from his youth leads to his recognition by old Eurykleia, which again does not further the plot but forms a long, exciting interlude in the hero’s conversation with his wife.“ Vgl. Lateiner 1995, 264-265. Die Qualitäten, die dabei an ihm besonders bemerkt werden, entsprechen den Charakteristika des Odysseus, vgl. Maronitis 2004, 48-50. Vgl. Lateiner 1995, 270. Es ist davon auszugehen, dass Penelope ihren Ehemann zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt hat, vgl. dazu Emlyn-Jones 2009, 212-215. Der Umstand, dass Odysseus als vermeinlicher Bettler die Anerkennung der Penelope erringen kann, hebt sein gesellschaftliches Geschick nur umso deutlicher hervor.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

als Siegespreise in Aussicht stellt, erhebt sie den Bettler zumindest symbolisch in den Rang eines Kämpfers und Helden (Od. 21,338-342).1296 Ihre Fürsprache macht zudem deutlich, wie weit die Freier in ihrer Anerkennung gesunken sind, und dass gleichzeitig der namenlose Bettler zu größtmöglichem Ansehen im Haus aufgestiegen ist, bevor er sich als Odysseus zu erkennen gibt (v.a. Od. 21,330-334).1297 Die Freier fungieren somit zunächst als negative Folie, gegen die sich das Bewusstsein des Odysseus (und des Telemachos) für angemessenen sozialen Umgang und die Manipulation dieser Konventionen abhebt;1298 sie stehen zwischen Odysseus und seiner Rückkehr in sein eigenes Haus, und nachdem er seine gesellschaftlichen Tugenden und seine Zurückhaltung bewiesen hat, stellt ihre nun folgende Beseitigung in einem weiteren Schritt die Bewährung seiner kriegerischen Fertigkeiten als Kampfheld und die Anknüpfung an sein iliadischen Kriegsheldentum dar (vgl. auch die stichelnden Wort der Athene in Od. 22,226-230, die Odysseus an sein Heldentum vor Troia gemahnen).1299 III.3.3 Bogenprobe und Freiertötung: Die Aristie des Odysseus Die Bogenprobe und der anschließende „Freiermord“ bilden den martialischen Höhepunkt der Odyssee (Μνηστηροφονία, Od. 221300) und sind der Teil des Epos, der der Ilias thematisch am nächsten steht.1301 Die Bestrafung der

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Vgl. von Reden 2003, 73. Vgl. auch das Geschenk des Euryalos in Od. 8,400-416. Vgl. auch Erbse 1972, 60. Zu den strukturellen Parallelen zwischen den Wettspielen bei den Phaiaken, wo Odysseus sich vor der Anagnorisis als Held bewähren musste, und der Iros-Episode als Vorbereitung der Teilnahme an der Bogenprobe siehe Krischer 1985, 16-19. Als den heroischen Tugenden diametral entgegenstehendes Gegenbild erfüllen sie eine ähnliche Funktion wie Thersites in der Ilias, vgl. auch Lateiner 1995, 238-240. Vgl. v.a. Murnaghan 2011, 76: „(...) as on Scheria, Odysseus can only be identified after being received into relationships that acknowledge his true status. On Ithaca, however, that necessity is strategic as well as poetic; he cannot identify himself until he has attained the status of guest of Telemachus and Penelope, because until then he is vulnerable to the suitors.“ Zur Anknüpfung des Odysseus an sein iliadisches Heldentum siehe auch Pucci 1987, 143-147. Zu dieser Bezeichnung siehe Patzer/Hölscher 1990, 503-504: „Nun ist freilich schon ‚Freiermord’ ungenau. Angehörige des homerischen Kriegeradels ‚morden’ nicht, sie töten ihre Feinde im Kampf Mann gegen Mann, und Feinde sind Standesgenossen (also zum selben Kriegeradel Gehörige), die das Leben bedrohen. (‚Freiermord’ übersetzt den überlieferten Buchtitel μνηστηροφονία ungenau: φόνος ist nur Tötung beliebiger Art. Eustathios sagt regelmäßig: μνηστηροκτονία).“ Es wird im Folgenden klar, dass es sich bei der Tötung der Freier um legitime Rache handelt, und somit ist eine Bezeichnung als Freiertötung treffender. Vgl. Pucci 1987, 128-130, Saïd 2011, 213 sowie v.a. Rutherford 1991-1993, 44: „‘Iliadic‘ warfare transferred to a domestic setting“, sowie Lateiner 1995, 235: „indoor epic minibattle.“ Zu wörtlichen Beziehungen von Od. 22 zur Ilias siehe Schröter 1950, 136138.

III.3 Die Bewährung des Helden

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Bösewichte ist ein Märchenmotiv, doch die Bearbeitung des Dichters lässt sie als epische Szene erscheinen.1302 Teiresias sagte Odysseus voraus, er werde die Freier „mit scharfem Erz töten, sei es mit List oder offenkundig“ (Od. 11,120: ἠὲ δόλῳ ἢ ἀμφαδὸν ὀξέι χαλκῷ; vgl. auch 14,330; 19,299: ἢ ἀμφαδὸν ἦε κρυφηδόν),1303 und obgleich der Kampf Bezüge zur direkten Kriegführung der iliadischen Schlachtdarstellungen aufweist (πόλεμος – ἀμφαδόν), handelt es sich bei der heimlichen Vorbereitung, der kleinen, ausgewählten Schar der Mitstreiter, der überraschenden Durchführung und der Wahl des Bogens als erster Waffe um Elemente, die der Kampfform des „Hinterhalts“ (λόχος – δόλῳ/κρυφηδόν; vgl. Od. 13,386: μῆτιν ὕφηνον; 21,274: δολοφρονέων) zuzurechnen sind.1304 Die Darstellung der gesamten Odyssee lässt keinen Zweifel daran zu, dass Odysseus die Freier im Fall seiner Heimkehr töten werde (Od. 1,254256, 265-266; 2,283-284; 3,216-217; 5,24; 11,115-118; 13,373; 15,176-178 et passim; vgl. das Löwengleichnis 4,333-340 = 17,124-131),1305 und weist darauf hin, dass Odysseus sich seine angestammte Position erst wieder erkämpfen muss, da die Freier nicht ohne Gegenwehr das Feld räumen werden (vgl. Od. 2,246-251). Auch der Name Ὀδυσσεύς, der ihm von seinem Großvater Autolykos gegeben wurde (Od. 19,407-409),1306 evoziert das Motiv des Heldenzornes und deutet an, dass Odysseus keine Verletzung seiner Ehre ungestraft lassen wird. Dennoch spricht Odysseus eine Warnung an den besonnenen Freier Amphinomos aus und rät ihm, das Haus zu verlassen, solange noch Zeit bleibt (Od. 18,124-150). Die übrigen Freier werden vor ihrem Tod sogar noch von dem Seher Theoklymenos gewarnt (Od. 20,350357, 367-370), missachten die Warnung jedoch mit Gelächter und Spott (Od.

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Vgl. Usener 1990, 140 zum „heroischen Kolorit“ sowie Hölscher 2000, 260: „Der Dichter hat sich Mühe gegeben, das Gemetzel an den wehrlosen Freiern auf die Höhe eines heroischen Kampfes zu heben, indem er für die Eingeschlossenen Waffen herbeischaffen läßt. Nirgends als hier ist handgreiflicher und äußerlicher zu fassen, was die Episierung der Märchengeschichte mit sich brachte. Denn im Märchen verstand sich die Tötung des Bösewichts von selber und bedurfte nicht der Würde der großen Tat. Aber ebenso wenig brauchte sie die moralische Rechtfertigung. Erst auf der Stufe des Epos mußte das Schicksal der Freier als verdiente Strafe für ihre „Freveltaten“ dargestellt werde.“ Heubeck et al. 1989, 84 ad loc. merken an, Odysseus werde die Freier δόλῳ und ὀξέι χαλκῷ töten. Es ist anzunehmen, dass Odysseus die Freier in jedem Fall ὀξέι χαλκῷ töten werde, und dass die Alternative der Art und Weise nur durch ἠὲ δόλῳ ἢ ἀμφαδὸν ausgedrückt wird, vgl. Od. 1,295. Vgl. hierzu oben I.3.5. Zum Freiermord als λόχος vgl. ferner Edwards 1985a, 35-38 sowie Segal 1994, 178. Siehe zudem den Hinweis des Odysseus auf die Anlage des Hauses, die keinen direkten Angriff erlaube (Od. 17, 264-268), vgl. Austin 1975, 169. Zur Gleichsetzung von μῆτις und δόλος vgl. Wilson 2005, 10-16 sowie die obigen Ausführungen zur Kyklopen-Episode III.2.2.1 . Vgl. die Bezeichnung dieser Passagen als Prolepsen bei de Jong 2001 ad locc. Zur Deutung des Namens siehe oben Anm. 1290.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

20,358-362) und verschulden auch auf diese Weise ihren Untergang selbst.1307 Der Tag der Entscheidung beginnt mit der Aufgabe, den großen Bogen des Odysseus zu spannen und einen Pfeil durch die Ösen von zwölf in Reihe aufgestellten Äxten zu schießen (Od. 21,73-76). Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein Märchenmotiv, doch die Idee der Bewährung im Wettkampf als Bedingung für die Ehre der Hochzeit mit Penelope entspricht auch dem epischen Heldenkonzept.1308 Penelope holt dafür die legendäre Waffe, deren Geschichte in einem Exkurs (Od. 21,11-41) erzählt wird, aus dem Lagerraum: Odysseus erhielt den Bogen als Geschenk von Iphitos, der in einer Verletzung des Gastrechts von Herakles getötet wurde (Od. 21,22-30), und er wird ihn einsetzen, um die Verletzung des Gastrechts durch die Freier zu rächen.1309 Die Waffenbeschreibung ist ein typisches Element der Heldendichtung und stellt Odysseus in die Tradition berühmter Bogenschützen, deren Anerkennung er schon in seiner Jugend genoss.1310 Der Umstand, dass Odysseus die mächtige Waffe nicht auf den Kriegszug nach Troia mitgenommen hatte (Od. 21,39-41), erklärt sich aus dem iliadischen Heldenbild, demgegenüber sich die Betonung der λόχοςKriegführung in der Odyssee absetzt: Zwar ist der Bogen keine unehrenhafte Waffe, doch die Helden der Ilias kämpfen in offener Feldschlacht mit Speer, Schwert und Schild im Nahkampf (vgl. Od. 21,39: ἐρχόμενος πόλεμόνδε μελαινάων ἐπὶ νηῶν).1311 Insofern ist es bezeichnend, dass Odysseus als Held des λόχος beim Gabentausch den Bogen erhielt, im Gegenzug seinem Gastfreund Iphitos jedoch ein Schwert und einen Speer gab (Od. 21,34-35). Der Bogen stellt jedoch auch die Waffe dar, die den Fall Troias herbeiführte, und evoziert assoziativ Odysseus‘ Leistung als Zerstörer Troias (vgl. Od. 8,3; 9,504, 530; 14,447; 16,442; 18,356; 22,230, 283; 24,119). 1312

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Vgl. Fenik 1974, 210. Zu Theoklymenos als Warner siehe auch Erbse 1972, 54. Zum Motiv der Bogenprobe, das auch in zahlreichen anderen Traditionen nachweisbar ist, siehe Krischer 1985, 18-19 sowie Hölscher 2000, 67-70. Vgl. Segal 1994, 54 sowie Murnaghan 2011, 85. Zu weiteren Gegensätzen und Parallelisierungen zwischen Odysseus und Herakles siehe Clay 1983, 89-93. Auch zwischen diesen beiden Helden besteht die mittlerweile bekannte Opposition von βίη und μῆτις. Zu Parallelen zwischen Herakles und Odysseus siehe auch Crissy 1997, die im Vergleich mit dem archetypischen Helden Herakles eine Ehrung des Odysseus sieht. So auch Schröter 1950, 121-122. Vgl. Farron 2003. Diese Bedeutung des Bogen als Waffe des λόχος wird von Clarke 1989, 77 verkannt: „[T]he fact that Odysseus did not take the bow to Troy with him (where “arrow-fighter” was a term of derision) suggests that this is not a heroic contest and that the Suitors, however dangerous, are not worthy enemies.“ Vgl. Hölscher 2000, 72-73. Die Tradition, dass der Bogen des Herakles in den Händen des Philoktetes für die Einnahme Troias nötig sei, ist außeriliadisch, doch Odysseus erwähnt, dass nur Philoktetes ihn als Bogenschütze vor Troia übertraf (Od. 8,219-220)

III.3 Die Bewährung des Helden

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Wie bei der Eschenlanze des Achill (vgl. Il. 16,140-142; 19,388-389) handelt es sich auch bei dem großen Bogen des Odysseus um einen besonderen Ausrüstungsgegenstand, der nur von seinem rechtmäßigen Besitzer benutzt werden kann:1313 Geringere Männer scheitern, doch der Held benutzt seine Waffe mit Leichtigkeit (Od. 21,409: ἄτερ σπουδῆς τάνυσεν μέγα τόξον Ὀδυσσεύς) und spannt den Bogen sogar im Sitzen (Od. 21,419-420).1314 Die Bogenprobe erfüllt eine doppelte Funktion: Indem Odysseus demonstriert, dass er allein seinen Bogen spannen und verwenden kann (Od. 21,404-423), offenbart er seine wahre Identität als Bogenkämpfer, Troia-Sieger und rechtmäßiger Herr des Hauses, und durch seinen Erfolg legitimiert und aktualisiert er den Anspruch auf seine Frau Penelope. 1315 Die Freier hingegen sind Odysseus weit unterlegen (vgl. Od. 21,91-95, 253-255, 324329, 373), und indem sie bei der Probe versagen, erleiden sie einen Verlust an Ehre und Ansehen. Einzig Telemachos hätte es geschafft, den Bogen zu spannen, doch auf ein Kopfschütteln des Odysseus hin bringt er die Tat nicht zu Ende (Od. 21,111-127). Mit diesem Einlenken bringt Telemachos seine Loyalität zum Ausdruck und entschließt sich, seinen Vater nicht als Herrscher abzulösen, sondern zu unterstützen (vgl. Od. 23,124-128).1316 Telemachos ist im Verlauf der Odyssee zu einem würdigen Mitstreiter und Nachfolger seines Vaters herangewachsen, doch er ist ihm noch nicht ebenbürtig und könnte den Bogen nur auf den vierten Versuch mit Mühe spannen (Od. 21,129).1317 Er nimmt damit die Funktion wahr, die ihm zugedacht ist, und zu der er mehrfach durch das Exempel des Orestes aufgefordert wurde. Wie dieser für seinen Vater Agamemnon Rache an Aigisthos nahm, so übt Telemachos mit dem Vater Rache an den Freiern.1318 Nach der sportlichen Bewährung in der erfolgreichen Bogenprobe beginnt die kriegerische Bewährung in der Freiertötung, indem Odysseus symbolisch die Fetzen seines Bettlergewands ablegt und sich damit als

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und verweist damit auf dessen Kampfesteilnahme nach seiner Rückholung von Lemnos (vgl. Il. 2,616-726). Auch die Ilias bezeugt Odysseus‘ Rolle als Zerstörer, vgl. Haft 1990. So auch Saïd 2011, 209-210. Zum Vorgang des Spannens des Bogens siehe auch Russo 1992, 138-139. Die Bogenprobe ist ein Motiv der Herrscherlegitimation, siehe dazu Burkert 1973, doch in der Odyssee ist ausdrücklich Penelope als Siegespreis festgelegt, nicht die Herrschaft über Ithaka. Zum Motiv des Wettkampfes um die Hand der Braut in anderen Traditionen siehe auch Thalmann 1998, 153-169. Vgl. Segal 1994, 56 sowie v.a. Felson 1999, 96-98. Vgl. Thalmann 1998, 206-223, der in dieser Szene die potentielle Rivalität zwischen Vater und Sohn symbolisch beigelegt sieht. Vgl. auch Petropoulos 2011, 77-79. Zu dieser Motivabwandlung vgl. Alden 1987, 136-137. Zur Orestes-Geschichte als Legitimation der Handlung der Odyssee siehe D’Arms/Hulley 1946 sowie Hölscher 1967, 1-8.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Held zu erkennen gibt (Od. 22,1, 5: ἄεθλος ἀάατος ἐτετέλεσται).1319 Er tritt als Herr über Leben und Tod in seinem Haus auf die Schwelle des Saals (Od. 22,2: ἆλτο δ’ ἐπὶ μέγαν οὐδὸν),1320 hält den Bogen in der Hand (Od. 22,2-3) und tötet unerwartet Antinoos mit dem ersten Pfeil (Od. 22,8-21; vgl. 21,98100) mit einem gezielten Schuss in den Hals (Od. 22,16 = Il. 17,49; 22,327). Der Tod des Antinoos ist wie eine iliadische Androktasie gestaltet (v.a. Od. 22,15-19), doch der unterschiedliche Kontext der Tötung zeigt sich unmittelbar in der Beschreibung, wie der Getroffene im Niedersinken mit dem Fuß den Tisch umstößt und die Speisen darauf in den Schmutz fallen (Od. 22,19-21).1321 Die Freier halten den Tod des Antinoos zunächst für ein Versehen, drohen dem „Bettler“ jedoch umgehend Vergeltung an, und begreifen noch nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden (Od. 22,26-33).1322 Odysseus antwortet mit einer drohenden Rede, in der er sich implizit zu erkennen gibt und die Vergehen anführt, für die er an den Freiern blutige Rache üben wird (Od. 22,36-41; vgl. auch 1,248 = 16,125; 19,133):1323 Zuerst wirft er ihnen das Verprassen seines Besitzes vor (Od. 22,36: κατεκείρετε οἶκον; vgl. 1,250-251: φθινύθουσιν ἔδοντες / οἶκον), denn das Verhalten der Freier ist, nachdem Telemachos mündig geworden ist und als Hausherr in Erscheinung treten konnte, nicht durch den Brauch des Gastrechts sanktioniert, da die Bewirtung zwischen Gastfreunden freiwillig erfolgen muss. Da zunächst kein Hausherr anwesend war, in dessen Gewalt die Vergabe der Güter gelegen hätte, entsprach die Freite wohl zuerst den gängigen Konventionen, nach denen Freier im Haus des Vormunds der Frau als Gastfreunde aufgenommen wurden. Sobald jedoch Telemachos in seiner neu erworbenen Funktion als Hausherr sie zu vertreiben versuchte, bedeutet ihre Weigerung den faktischen Raub der Güter.1324 Der Verzehr des Guts

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Vgl. Schröter 1950, 143: „[D]er heimkehrende Held bewährt sich in den beiden adligen Proben: im sportlichen und im kriegerischen ἔργον.“ Zum Übergang der kontrollierten Auseinandersetzung des Wettkampfes in kriegsgleichen Kampf siehe Thalmann 1998, 172. Zur Bedeutung der Schwelle als Symbol siehe Lateiner 1995, 121-125. Vgl. dazu iliadische Motive beim Fallen eines Kriegers, z.B. Il. 5,58, 294; 8,260: ἤριπε δ᾿ ἐξ ὀχέων, ἀράβησε δὲ τεύχε᾿ ἐπ᾿ αὐτῷ; 4,504: δούπησεν δὲ πεσών, ἀράβησε δὲ τεύχε᾿ ἐπ᾿ αὐτῷ; 13, 530: αὐλῶπις τρυφάλεια χαμαὶ βόμβησε πεσοῦσα; etc. Zur von Odysseus bewusst hinausgezögerten Erkenntnis der Freier durch Vermeidung der Nennung seines Namens und dem Unvermögen der Freier, den verkleideten Helden zu erkennen, siehe Murnaghan 2011, 41-66, die darin ein weiteres Zeichen der Überlegenheit des Odysseus sieht. Sie zeigt insbesondere Parallelen im griechischen Epos auf, in denen Menschen es zu ihrem eigenen Unglück versäumen, Götter zu erkennen, die ihnen in Verkleidung begegnen, um sie auf die Probe zu stellen (vgl. auch Od. 7,199-205). Vgl. dazu auch Yamagata 1994, 28-31. Vgl. Patzer 1991, 31-32. So auch Primavesi 2007, 136: „Telemachos, der bisher als unmündiger Knabe das Treiben der Freier im Hause seines Vaters widerstandslos hin-

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bedeutet die Zerstörung der Lebensgrundlage und den Raub der τιμή des Odysseus und seines gesamten οἶκος, da Besitz und gesellschaftliche Position im Denken des homerischen Menschen in unmittelbarem Zusammenhang stehen (vgl. Od. 16,431; 21,332).1325 Die zweite Verfehlung ist die Verführung seiner Dienerinnen, die ebenfalls einen Übergriff auf den Besitz des Odysseus darstellt (Od. 22,37). Der Übergriff auf Frauen des οἶκος zu einem Zeitpunkt, da der Hausherr nicht anwesend war, um einzuschreiten, ist eine schwere Beleidigung der Ehre des Odysseus (vgl. auch Od. 20,5-16) und wiegt insofern schwerer als der Verlust materieller Güter. 1326 Folglich ist der dritte und schwerste Vorwurf der Versuch, sich seine Ehefrau Penelope anzueignen (Od. 22,38), denn die eheliche Treue der Frau ist ein Bestandteil der Ehre des Helden (vgl. die Stilisierung der Briseis als Ehefrau in Il. 9,336-343).1327 Die Verbrechen dieser drei Vorwürfe in aufsteigender Reihenfolge ihrer Schwere bedeuten für Odysseus einen Verlust von τιμή, und sein Zorn darüber ist sogar aus Sicht der Freier gerechtfertigt (Od. 22,45-47, 59: οὔ τι νεμεσσητὸν κεχολῶσθαι).1328 Die Freier haben Odysseus im Kern seiner Existenz getroffen, sodass er sogar im privaten Bereich seines eigenen Hauses, einem Raum, der weitestgehend frei von Kompetitivität und Wettbewerb ist, sein Recht mit Waffengewalt erkämpfen muss. 1329 So beschließt Odysseus die Vorwürfe mit dem Verweis, dass die Freier weder vor den Göttern, noch den Menschen Respekt hätten, und ihnen dafür der Untergang bevorstehe (Od. 22,41-43). Die Tötung der Freier durch die

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zunehmen hatte, ist mit der Volljährigkeit geschäftsfähig geworden und hat infolgedessen die Kompetenz, den Freiern die Fortsetzung der parasitären Plünderung der Vieh- und Weinbestände des Odysseus öffentlich zu untersagen und sie auf andere, rechtmäßige Formen der Freite zu verweisen. Da die Freier sich dem nicht fügen, setzen sie sich eindeutig ins Unrecht und sind spätestens jetzt nicht mehr als Gäste, sondern als räuberische Hausbesetzer einzustufen und zu behandeln.“ Vgl. Halverson 1985, 141-143, Effe 1988, 4-5, Patzer/Hölscher 1990, 504 sowie Saïd 2011, 360-362, die insgesamt die Bedeutung der Unversehrheit des Hauses für die Ehre des Hausherren betont. Für eine andere Erklärung siehe Levy 1963, 150-153, der das Vorhandensein einer nicht-aristokratischen, volkstümlichen Erzähltradition postuliert, nach der die Freier ursprünglich nur ungebetene Gäste waren, die für ihre Zerstörung des Eigentums des Gastgebers (und seine daraus resultierende metaphorische Ermordung) mit dem Tod bestraft wurden. Es erscheint jedoch nicht notwendig, von einer distinkten Tradition auszugehen, da sich die Reaktion des Odysseus auch aus dem homerischen Heldenkonzept erklären lässt. Vgl. v.a. Gottschall 2008, 63-67 sowie Saïd 2011, 361: „What counts is the will of the master of the house. Any man who sleeps with his serving maids without his consent is guilty of rape and of insulting his honour.“ Vgl. Thalmann 1998, 118, Hölscher 2000, 260 sowie Murnaghan 2011, 30, 90-91. Zur Bedeutung von Penelope siehe auch Nagy 1999, 38: „Penelope defines the heroic identity of Odysseus.“ Vgl. auch Schröter 1950, 21. Vgl. Murnaghan 2011, 46.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Hand des Odysseus ist mehr als nur die persönliche Rache des Helden; sie ist auch göttliche Strafe.1330 Nur Eurymachos findet eine Erwiderung: Er erkennt Odysseus und versucht, durch das Angebot materieller Rekompensation in Form von Rindern, Bronze und Gold den Zorn des Odysseus zu besänftigen, und führt an, dass der Hauptschuldige Antinoos, der nicht nur Penelope heiraten, sondern auch die Herrschaft über Ithaka an sich reißen wollte, schon seine gerechte Strafe erhalten habe (Od. 22,44-59). Odysseus lehnt dieses Angebot jedoch kategorisch ab (Od. 22,61-67), und der finstere Blick des Helden (Od. 22,60: ὑπόδρα ἰδών) zeigt an, dass Odysseus in dieser Situation eine sozial überlegene Position gegenüber den Freiern einnehmen kann.1331 Die Kompromisslosigkeit, mit der Odysseus die Möglichkeit materieller Rekompensation ausschließt und auf Rache beharrt, ist ein Verhalten, das einem Helden der Ilias entspricht (vgl. v.a. Achills Ablehnung der Geschenke in Il. 9,379-387):1332 Od. 22,61-64: Εὐρύμαχ’, οὐδ’ εἴ μοι πατρώια πάντ’ ἀποδοῖτε, ὅσσα τε νῦν ὔμμ’ ἐστὶ καὶ εἴ ποθεν ἄλλ’ ἐπιθεῖτε, οὐδέ κεν ὧς ἔτι χεῖρας ἐμὰς λήξαιμι φόνοιο, πρὶν πᾶσαν μνηστῆρας ὑπερβασίην ἀποτεῖσαι. Eurymachos, auch wenn ihr mir all euer väterliches Gut geben wolltet, soviel jetzt euer ist, und anderes von irgendwoher dazutätet, so würde ich auch meine Hände nicht vom Mord ruhen lassen, bevor die Freier nicht alle Übertretung abgebüßt haben.

Einem Helden, der sich in seiner Ehre verletzt sieht, steht es frei, der Schmähung mit Gewalt entgegenzutreten und das Versöhnungsangebot eines Feindes auszuschlagen, und wie bei einer Schlachtfeldhikesie wählt der Held in diesem Fall ποινή vor ἄποινα.1333 Die Anwendung von Waffengewalt gegen Räuber, die sich unrechtmäßig des eigenen Besitzes bemächtigen wollen, ist für einen homerischen Krieger selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Rechtfertigung.1334

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Siehe dazu die Ankündigungen Athenes in Od. 13,193, 376-378, 393-396, 426-427 sowie Erbse 1972, 113-142 und Clay 1983, 234 zur Schuld der Freier und der doppelten Rechtfertigung der Freiertötung. Vgl. Lateiner 1995, 77. Zu ὑπόδρα ἰδών als Ausdruck des Zornes des überlegenen Helden siehe Holoka 1983. Vgl. v.a. Halverson 1985, 139-140, Hooker 1989, 86-87 und Wilson 2002a, 248: „Nonetheless, in that Odysseus turns down an offer of compensation for harm he has incurred, he surpasses even Achilleus in violence. Indeed, in the mnesterophonia, he surpasses Achilleus in Iliadic heroism.“ Siehe auch Rutherford 1991-1993, 44-45, zur Imitation der Reden des Achill in Il. 9,378-387 und 22,349-354. Siehe dazu oben I.4.2.3. So auch Patzer/Hölscher 1990, 504-505, mit dem Beispiel des Rinderraubs, auf den in der homerischen Welt für gewöhnlich mit einem Kriegszug reagiert wurde.

III.3 Die Bewährung des Helden

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Eurymachos ruft daraufhin die Freier zur Gegenwehr auf (Od. 22,7078), und nach diesem Rededuell, das strukturell an der Stelle eines Flyting-Austausches in einer Aristie steht,1335 beginnt eine Serie von Androktasien: Odysseus tötet Eurymachos mit einem Pfeil (Od. 22,79-88) in einer weiteren typischen Androktasie (vgl. abermals das Umstoßen der Speisen und eines Bechers in Od. 22,84-86), und Telemachos sticht Amphinomos mit dem Speer in den Rücken, als dieser gegen seinen Vater anstürmt (Od. 22,89-96; vgl. die Voraussage in 18,155-156). Die Tötung von Antinoos, Eurymachos und Amphinomos ist strategisch bedeutsam, denn bei ihnen handelt es sich um die drei Freier mit dem meisten Einfluss auf die Gruppe.1336 Telemachos macht sich daraufhin auf, Waffen und Rüstungen für sich selbst, Eumaios und Philoitios holen (Od. 22,99-115), und als Odysseus die Pfeile ausgehen (Od. 22,106-107, 119), erfolgt eine kurze Umrüstung (vgl. Il. 15,478-483), damit Odysseus die Tötung der Freier mit den typischen Waffen der iliadischen Helden, mit Speer und Schild, fortsetzen kann:1337 Od. 22,120-125: αὐτὰρ ἐπεὶ λίπον ἰοὶ ὀιστεύοντα ἄνακτα, τόξον μὲν πρὸς σταθμὸν ἐϋσταθέος μεγάροιο ἔκλιν’ ἑστάμεναι, πρὸς ἐνώπια παμφανόωντα, αὐτὸς δ’ ἀμφ’ ὤμοισι σάκος θέτο τετραθέλυμνον, κρατὶ δ’ ἐπ’ ἰφθίμῳ κυνέην εὔτυκτον ἔθηκεν, ἵππουριν, δεινὸν δὲ λόφος καθύπερθεν ἔνευεν· εἵλετο δ’ ἄλκιμα δοῦρε δύω κεκορυθμένα χαλκῷ. Als aber dem pfeilschießenden Herren die Pfeile ausgegangen waren, lehnte er den Bogen an den Pfosten der gutgebauten Halle, dass er dort stünde, an die hellschimmernden Seitenwände, und legte sich selbst den vierfach geschichteten Schild um die Schultern, setzte die Haube auf das starke Haupt, die gutgefertigte mit dem Rossschweif, und furchtbar nickte der Kamm herab von oben, und ergriff zwei starke Speere, bewehrt mit Erz.

Danach postiert Odysseus den nunmehr gerüsteten und bewaffneten Hirten Eumaios an einer Tür der Halle, damit keiner der Freier entkommen könne (Od. 22,126-130). Da damit der einzige, enge Ausgang aus der Halle bewacht wird, erbietet sich der Ziegenhirte Melanthios, der auf Seiten der Freier kämpft, diese ebenfalls mit Waffen zu versorgen (Od. 22,131-146).

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Siehe dazu auch Schröter 1950, 126. Zu Flyting als Strukturelement von Kampfesdarstellungen vgl oben I.4.2.1. Antinoos und Eurymachos sind die schlimmsten der Freier, vgl. Fenik 1974, 198-205, Amphinomos ist der besonnenste, auf dessen Rat die übrigen Freier jedoch meist hören, vgl. Fenik 1974, 193-194. Vgl. Schröter 1950, 144-146 sowie Griffin 2004, 67-68. Zum Verhältnis von Od. 22,119125 zu Il. 15,478-483 siehe Usener 1990, 95-103

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Die Rüstung der Freier steigert die Leistung des Odysseus und seiner Mitstreiter, denn ihre zahlenmäßig überlegenen Gegner fügen sich nicht in ihr Schicksal, sondern wehren sich erbittert, wenn auch ohne Erfolg gegen die Kampfkraft des Odysseus,1338 der zudem die Unterstützung der Götter auf seiner Seite hat (vgl. Od. 13,389-391; 16,260-261; 20,47-51; 24,443-449).1339 Als Odysseus und seine Gehilfen bemerken, dass die Tür zur Waffenkammer unverschlossen geblieben war, machen sich Eumaios und Philoitios auf, um Melanthios abzufangen und gefesselt in die Waffenkammer zu sperren (Od. 22,147-201). Als sie zu Odysseus und Telemachos zurückkehren, tritt auch Athene in Gestalt des Mentor hinzu (Od. 22,202-210). Als der Freier Agelaos Mentor und seiner Familie droht, er solle Odysseus nicht unterstützen (Od. 22,212-223), reagiert Athene zornig und treibt Odysseus mit einer νεῖκος-Rede zu größerem Kampfesmut an (Od. 22,224-235), und auch Agelaos treibt die übrigen Freier zum Kampf an (Od. 22,241-255). Derartige Schlachtparänesen an die Mitstreiter sind ebenfalls ein Element iliadischer Kampfszenen (vgl. z.B. Il. 5,472-492; 17,170-182).1340 Odysseus kann viele seiner ursprünglich 108 Gegner (vgl. Od. 16,247251) mit dem Bogen töten (Od. 22,246: τοὺς δ’ ἤδη ἐδάμασσε βιὸς καὶ ταρφέες ἰοί), und die übrigen Freier formieren sich neu, um gegen Odysseus und seine Helfer vorzugehen (Od. 22,241-254). Diese erhalten Kampfeshilfe von Athene, die alle Geschosse von ihnen ablenkt (Od. 22, 255-260), und auf den Aufruf des Odysseus hin (Od. 22,261-263) gehen sie zum Nahkampf mit den Speeren über. Die folgenden Szenen der Freiertötung sind in der gesamten Odyssee der Teil, dessen Darstellung am meisten an das Heldenideal der Ilias erinnert, was auf die motivischen Ähnlichkeiten zu den iliadischen Darstellungen kriegerischer Vortrefflichkeit zurückzuführen sein dürfte. In der Absicht, Odysseus als heimkehrenden Kriegshelden zu zeigen, erfolgt die Stilisierung des Kampfes gegen die Freier als heroische Aristie.1341 Viele der Freier, die zuvor nur anonyme Mitglieder im Kollektiv waren, erhalten hier im Moment ihres Todes durch die Nennung ihres Namens und ihres Patronymikons eine gewisse Individualität.1342 Zunächst töten Odysseus und seine drei Helfer in einem kurzen Tötungskatalog jeweils einen Freier (Od. 22,266-271). Athene bewahrt ihren Schützling wiederum vor dem Gegenangriff (Od. 22,256-259 = 273-276), doch die Mitstreiter des Odysseus erhalten nach Art iliadischer Helden beide leichte Verletzungen durch die ansonsten unbedeutenden Freier Amphimedon

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Vgl. Saïd 2011, 226-227. Zur Bedeutung göttlicher Unterstützung im Kampf vgl. oben I.3.4.1. Vgl. Schröter 1950, 131-133 sowie Fenik 1974, 100. Zur Struktur der Kampfdarstellung siehe Schröter 1950, 134-136 und Beye 1964, 368369. Vgl. Schröter 1950, 134, Kirk 1962, 367 sowie Saïd 2011, 251-252.

III.3 Die Bewährung des Helden

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und Ktesippos (Od. 22,277-280).1343 Diese Wunden heben ihre Kampfkraft hervor, denn die Freier sind nicht in der Lage, ihnen wirklichen Schaden zuzufügen:1344 Od. 22,277-280: Ἀμφιμέδων δ’ ἄρα Τηλέμαχον βάλε χεῖρ’ ἐπὶ καρπῷ λίγδην, ἄκρην δὲ ῥινὸν δηλήσατο χαλκός. Κτήσιππος δ’ Εὔμαιον ὑπὲρ σάκος ἔγχεϊ μακρῷ ὦμον ἐπέγραψεν· τὸ δ’ ὑπέρπτατο, πῖπτε δ’ ἔραζε. Amphimedon aber traf den Telemachos an der Hand, an der Wurzel, sie streifend, und nur die oberste Haut beschädigte das Erz. Ktesippos aber ritzte dem Eumaios über dem Schild mit der langen Lanze die Schulter, doch flog sie darüber hinweg und fiel zu Boden.

Es folgt erneut ein Tötungskatalog, in dem Odysseus und seine Mitstreiter jeweils einen Freier niederstrecken, wobei Telemachos selbst Amphimedon tötet und Philoitios Ktesippos trifft (Od. 22,282-286). Philoitios beschließt diese Androktasie mit einer Prahlrede in iliadischer Tradition (Od. 22,286291),1345 in der er den Tod des Ktesippos als gerechte Rache für den Kuhfuß bezeichnet, den dieser zuvor nach seinem Herrn geworfen hatte (Od. 20,288-300). Odysseus tötet daraufhin Agelaos, den Sohn des Damastor, und Telemachos Leiokritos, den Sohn des Euenor (Od. 22,292-296), bevor Athene die Aigis hebt und die Freier in Furcht und Schrecken versetzt (Od. 22,297-306). Odysseus und seine Mitstreiter dringen in dieser Verwirrung auf die Freier ein und richten ein Blutbad an (vgl. die Parallelen von Od. 22,308-309 zu Il. 10,483-484; 21,20-21):1346 Od. 22,308-310: ὣς ἄρα τοὶ μνηστῆρας ἐπεσσύμενοι κατὰ δῶμα τύπτον ἐπισροφάδην· τῶν δὲ στόνος ὄρνυτ᾿ ἀεικὴς κράτων τυπτομένων, δάπεδον δ᾿ ἅπαν αἵματι θῦε. So stürmten sie durch das Haus und schlugen auf die Freier ein, ringsum. Von denen erhob sich ein erbärmliches Gestöhn,

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Siehe dazu die Beobachtung von Schröter 1950, 135: „Die Rangordnung wird streng gewahrt: die Freier sind bei den Fehlwürfen namenlos, dagegen nicht bei den Treffern (277-279).“ Diese Bedeutung der Wunden ist schon bei Schröter 1950, 140 angedeutet und entspricht dem Verwundungsmotiv der Ilias, vgl. auch Saïd 2011, 213 sowie oben I.3.4.3. Bei Telemachos ist die Wunde zudem ein Symbol seiner Initiation als Kämpfer, vgl. Eckert 1963, 54 sowie Thalmann 1998, 218-219, der allerdings anmerkt, dass Telemachos‘ Wunde im Vergleich zu Odysseus‘ Verwundung durch den Eber vernachlässigbar ist. Vgl. Schröter 1950, 135 sowie Russo et al. 1992, 261 ad Od. 22,286: „ἐπευχόμενος: ‘exulting (over a fallen enemy)‘; the only Odyssean example of this typically Iliadic meaning (cf. Il. xi 431, xiii 373).“ Zur Übernahme iliadischer Formulierungen und Motive siehe Pucci 1987, 129-131 sowie Usener 1990, 137.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel als ihre Häupter zerschlagen wurden, und der ganze Boden dampfte von Blut.

Es ist zweifellos eine Auszeichnung für den Helden, dass er sich mit nur wenigen Mitstreitern erfolgreich gegen die erdrückende Übermacht der Freier durchsetzen kann (vgl. auch Od. 16,117-121). Inmitten dieses Schlachtens tritt der Freier Leiodes zu Odysseus und bittet im Gestus der Hikesie um Gnade. Es handelt sich um eine typisch iliadische Schlachtfeldhikesie, bei der er die Knie des Odysseus umfasst (Od. 22,310-311: λάβε γούνων / ... λισσόμενος) und seine Unschuld beteuert.1347 Es ist bezeichnend für die Perspektive der Odyssee, dass Leiodes Odysseus nicht durch das übliche Angebot von Lösegeld oder materieller Rekompensation zur Schonung bewegen will, sondern indem er abstreitet, den Frauen des Hauses Unrecht getan zu haben (Od. 22,312-319; vgl. 21,144-147).1348 Odysseus handelt jedoch wie alle Helden in vergleichbaren Szenen der Ilias (vgl. Il. 6,4550; 11,130-136; 20,463-472; 21,64-96) und lehnt die Bitte ab.1349 Der Grund dafür liegt im Rachedurst des Odysseus für das erlittene Unrecht, und nachdem er Leiodes mit einem wütenden Blick (Od. 22,320: ὑπόδρα ἰδών) und einer ablehnenden Rede (Od. 22,321-329) bedacht hat, tötet er ihn in rechtmäßigem Zorn.1350 Obgleich in der Odyssee Zeus Bittflehenden beisteht (vgl. Od. 7,181: ὅς θ᾿ ἱκέτῃσιν ἅμ᾿ ὀπηδεῖ), sind hier wie bei dem typischen Motiv der aus Rache abgelehnten Schlachtfeldhikesie in iliadischen Schlachtschilderungen (vgl. auch die wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Od. 22,328-329 und Il. 10,455, 457) religiöse Vorschriften und Sanktionen nicht von Bedeutung; es steht außer Frage, dass Odysseus wegen der Verfehlungen des Leiodes, die in dessen bloßer Anwesenheit als Freier in seinem Haus und der damit verbundenen Verletzung seiner Ehre besteht, das Recht hat, die Hikesie abzulehnen und den schutzlosen Bittflehenden zu töten.1351 Leiodes ist der harmloseste der Freier (vgl. Od. 21,144-147) und seine Tötung steht damit dem Tod des Antinoos (Od. 22,8-21) gegenüber. Die Freiertötung begann mit dem schlimmsten Frevler und endet mit dem geringsten, doch Odysseus nimmt ohne Unterschied Rache an den Freiern für ihre Verfehlungen.1352

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Zum Motiv der Schlachtfeldhikesie in der Ilias siehe oben I.4.2.3. Zu den Parallelen der Hikesie des Leiodes an Odysseus und des Lykaon an Achill in Il. 21,71-74 vgl. v.a. Pucci 1987, 129, 135-138, 141. Amphinomos und Leiodes, die „guten Freier“, sterben dennoch ohne Unterschied, Amphinomos sogar durch Einwirkung der Athene (Od. 18,155-156), vgl. Fenik 1974, 192-197. Der Moment erinnert insbesondere an die Szene zwischen Achill und Lykaon (Il. 21,34-136), vgl. Fenik 1974, 197, Usener 1990, 131-140 sowie Rutherford 1991-1993, 44. Vgl. Gould 1973, 81. Vgl. Pedrick 1982, 134 und Naiden 2006, 134. So auch Schröter 1950, 30.

III.3 Die Bewährung des Helden

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Es erfolgt jedoch eine unmittelbare Motivdoppelung, denn auch der Sänger Phemios bittet um sein Leben (Od. 22,330-353), und er und der Herold Medon werden von Odysseus durch die Fürsprache des Telemachos (Od. 22,354-360) verschont (Od. 22,361-380). Der Grund für die Gnade besteht darin, dass Phemios nur unter Zwang die Freier mit seinem Gesang unterhielt (Od. 22,331, 353: ἀνάγκῃ) und ansonsten unschuldig an ihren Vergehen ist (Od. 22,356: ἀναίτιον) und Medon immer gut zu Telemachos als Kind gewesen war (Od. 22,358). Odysseus lässt sich bereden, da er in diesem Fall keinen Groll gegen die unschuldigen Bittflehenden hegt und sie nicht in gerechtem Zorn tötet kann, und vielleicht auch weil die beiden durch ihre Funktionen als Herold und Sänger unter göttlichem Schutz stehen.1353 Diese Schonung hat zudem eine moralische Funktion, denn Odysseus statuiert auf diese Weise ein Exempel, „dass Rechttun weitaus besser ist als Übeltun“ (Od. 22,374: ὡς κακοεργεσίης εὐεργεσίη μέγ᾿ ἀμείνων). Nachdem er den Unschuldigen damit eine Lehre erteilt hat, die sich daraufhin furchtsam am Altar des Zeus niedersetzen (Od. 22,378-380), blickt Odysseus sich im Saal um und stellt fest, dass alle Freier tot in ihrem Blut liegen (Od. 22,381-389). Er schickt daraufhin Telemachos nach Eurykleia, die ihn inmitten der Gefallenen findet (Od. 22,390-401). Während der Freiertötung wurde Odysseus als epischer Held dargestellt, und wie durch das frühere Löwengleichnis (Od. 4,335-340 = 17,126-131) antizipiert wurde,1354 erfolgt auch zum Ende der Aristie der Vergleich des blutbespritzten Odysseus mit einem siegreichen Löwen:1355 Od. 22,401-406: εὗρεν ἔπειτ᾿ Ὀδυσῆα μετὰ κταμένοισι νέκυσσιν αἵματι καὶ λύθρῳ πεπλαγμένον ὥς τε λέοντα, ὅς ῥά τε βεβρωκὼς βοὸς ἔρχεται ἀγραύλοιο· πᾶν δ᾿ ἄρα οἱ στῆθός τε παρήιά τ᾿ ἀμφοτέρωθεν αἱματόεντα πέλει, δεινὸς δ᾿ εἰς ὦπα ἰδέσθαι· ὣς Ὀδυσεὺς πεπάλακτο πόδας καὶ χεῖρας ὕπερθεν. Da fand sie den Odysseus unter den erschlagenen Toten, von Blut und Schmutz besudelt wie einen Löwen, der da kommt und hat von einem Rinde auf dem Feld gefressen, und die ganze Brust und die Backen auf beiden Seiten sind ihm voll Blut und furchtbar ist er von Angesicht anzusehen: So war Odysseus besudelt an den Füßen und den Händen darüber.

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Vgl. Russo et al. 1992, 275 ad Od. 22,310-380: „The minstrel Phemius (...) is protected by innocence and the holiness of his calling; for him Telemachus pleads pardon, and likewise for Medon in his grotesque hiding place, a lackey who merely obeyed orders.“ Zur Stellung des Sängers in der Odyssee siehe ferner Segal 1994, 145-162. Vgl. Magrath 1981/82, 206, 209 und Wilson 2002a, 244-245. Zu dieser Stelle siehe auch Magrath 1981/82, 209-212 sowie Wilson 2002a, 247-248.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Sein Verhalten gegenüber Eurykleia zeigt jedoch deutlich, dass die Welt der Odyssee nicht einmal in dieser Situation der Welt der Ilias entspricht.1356 Denn als die alte Amme sich anschickt, über die Leichen der getöteten Freier zu jubeln (Od. 22,407-408), hält Odysseus sie mit der Anweisung zurück, es sei „nicht fromm, über erschlagene Männer zu frohlocken“ (Od. 22,412: οὐχ ὁσίη κταμένοισιν ἐπ᾿ ἀνδράσιν εὐχετάασθαι).1357 Dieser Befehl steht in deutlichem Gegensatz zu iliadischen Schlachtszenen, in denen Helden ihre erschlagenen Gegner häufig mit bissigem Spott bedenken (vgl. etwa Il. 16,745-750), und das Verhalten des Odysseus erscheint geradezu „unheroisch.“1358 Die Wertewelt des Helden hat sich verändert; Odysseus führt aus, dass die Freier durch den Willen der Götter für ihre Freveltaten mit dem Tod bestraft wurden (Od. 22,416: ἀτασθαλίῃσιν ἀεικέα πότμον ἐπέσπον; vgl. 22,41-43), und lässt nach der Tötung der Freier die Halle rituell mit Schwefel reinigen (Od. 22,480-482, 491-494). In der Odyssee sind die olympischen Götter Garanten für Gerechtigkeit geworden und nehmen die Funktion wahr, Menschen für ihre Verfehlungen zu bestrafen (vgl. auch die ἀτασθαλίαι der Gefährten, die ihnen den Tod brachten, Od. 1,7; 12,300). Während in der Ilias menschliche Ehre und Ruhm überragende Bedeutung hatten, wissen die Odyssee und ihr Held Odysseus um das Prinzip göttlicher Gerechtigkeit.1359 Mit der Tötung der Freier ist jedoch die Rache noch nicht abgeschlossen, und es folgt die Bestrafung der Mägde, die sich von den Freiern verführen ließen (vgl. Od. 22,37) und des Melanthios, der die Freier im Kampf unterstützte (Od. 22,135-146). Die Tötungen folgen den rigiden Vorstellungen von persönlicher Ehre, denn die Untreue der Mägde stellt eine Entehrung des Helden und Hausherrn dar (vgl. Od. 22,418: αἵ τέ μ᾿ ἀτιμάζουσι), der ein Vorrecht auf den Beischlaf mit seinen Dienerinnen für sich in Anspruch

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Zum Löwengleichnis als Kennzeichen des iliadischen Helden vgl. oben I.3.4.2. Usener 1990, 206 spricht hier von „kritische[r] Auseinandersetzung mit dem Weltbild des Ilias-Dichters.“ Zur Deutung von ὁσίη im Sinne dessen, „was den Menschen von den Göttern erlaubt ist“, siehe Benveniste 1969, II.198-202 (auch zitiert bei Crotty 1994, 151). Vgl. Finley 1975, 146 und Clarke 1989, 77. In der erhaltenen Dichtung nach der Ilias fehlt dieses Element des Spotts gegen den überwundenen Gegner weitestgehend, vgl. Kyriakou 2001, 250-251. Siehe auch Rutherford 1991-1993, 53 zu dieser Szene: „Heroic combat in the Odyssey, I should argue, is seen as tragic in the past, but often grotesque in the present: in both lights its value is questioned.“ Vgl. Finley 1975, 144-146, Saïd 2011, 351-354 sowie Lloyd-Jones 1987, 7: „In der Welt der Odyssee, einer Welt, die ethisch weitaus einfacher ist als die der Ilias, ist leichter festzustellen, daß Gerechtigkeit und Schuld nicht weniger eine Rolle spielen als Schande und Ehre.“ So auch Graziosi/Haubold 2005, 59, die von einer kontinuierlichen Entwicklung ausgehen: „Odysseus must systematically unlearn the Iliadic practice of gloating over a defeated foe: it is not appropriate in the post-war world through which he travels.“

III.3 Die Bewährung des Helden

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nehmen könnte (vgl. Od. 1,429-433).1360 Zudem sind Diener ein Teil des Hausstands,1361 und die Bestrafung der Diener, die sich gegen ihren Herren gewandt hatten, ist ein weiterer Schritt in Odysseus‘ Wiederinbesitznahme des Hauses und der Behauptung seines Eigentums. Eurykleia benennt die treulosen Dienerinnen (Od. 22,417-425), und Odysseus trägt Telemachos auf, die Mägde durch die Klinge zu töten, nachdem sie die toten Freier hinausgeschafft und die Halle gesäubert haben (Od. 22,435-460). Doch Telemachos weiß um die Untreue der Mägde (vgl. Od. 19,87-88) und ordnet an, die Mägde nicht sauber mit dem Schwert hinzurichten (Od. 22,462: μὴ μὲν δὴ καθαρῷ θανάτῳ), sondern aufzuhängen (Od. 22,462-473). Die Aggression des Telemachos ist gegen die Freier gerichtet und darauf ausgelegt, das „Eigentumsdelikt“, als das der Übergriff auf die dienstbaren Frauen des Haushalts gesehen wurde, vollständig auszumerzen. 1362 Auch der Ziegenhirt Melanthios, der die Freier unterstützte, wird nicht im Kampf getötet, sondern als Bestrafung zuerst grausam verstümmelt und dann hingerichtet (Od. 22,474-477). Die Freier sterben als ἄριστοι zumindest im Kampf, doch Melanthios stirbt den elenden Tod eines Sklaven (vgl. Od. 18,86-87; 21,300301).1363 Die Verstümmelung ist eine performative Handlung, die als Machtdemonstration und zur Abschreckung dient: Odysseus ist als Herr des Hauses zurückgekehrt und duldet keinen Widerstand. Auch in dieser Kompromisslosigkeit zeigt sich der heimgekehrte Kämpfer als homerischer Held. Damit hat Odysseus seine Identität als Held und Hausherr, die er mithilfe seiner Verkleidung als Bettler verleugnen musste, durch eine eindrucksvolle Demonstration seiner ἀρετή als Kampfheld wiederhergestellt. Hatte dieses Verhalten in der Märchenwelt der Irrfahrten nach dem Abenteuer auf der Kyklopeninseln und bei Skylla noch schlimme Folgen für ihn, so zeigt sein Erfolg auf Ithaka, dass der Held nicht nur wieder in der heroischen Welt angekommen ist, sondern auch seinen rechtmäßigen und angestammten Platz darin wieder eingenommen hat. III.3.4 Die innere Heimkehr Nach der äußeren Rückkehr der Freiertötung folgen die zwei wichtigsten Erkennungsszenen der Odyssee, in denen Odysseus zunächst von seiner

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Vgl. Thalmann 1998, 71-72. Obgleich Odysseus den Freiern die Vergewaltigung der Dienerinnen vorwarf (Od. 22,37: δμῳῇσίν τε γυναιξὶ παρευνάζεσθε βιαίως), findet sich ansonsten kein Hinweis, dass die Dienerinnen nicht freiwillig mit den Freier verkehrten (Od. 18,325; 20,6-8), und die Bestrafung für diese Untreue ist aus Sicht des Hausherren verständlich, vgl. Halverson 1985, 142. Siehe dazu Thalmann 1998, 53-55. Vgl. Wöhrle 1999, 138 sowie Gottschall 2008, 66-67. Vgl. auch Russo et al. 1992, 304-305 ad loc. sowie Thalmann 1998, 227.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Frau Penelope und dann von seinem Vater Laertes wiedererkannt wird. Odysseus hat in der Tradition eines iliadischen Helden und nach dem heroischen Kodex die Beseitigung der Freier durchgesetzt und sich die Verfügungsgewalt über den eigenen Hausstand zurückerobert, doch für die vollständige Rückkehr in sein Heim bedarf es der Erkennung und Anerkennung durch Penelope. Im Einklang mit den Erwartungen an einen Helden erfolgt nun die Verwandlung seiner äußeren Erscheinung: Er wird gebadet, gesalbt und erhält statt der Lumpen eines Bettlers, die er zuvor trug, einen frischen Mantel und einen Leibrock (Od. 23,153-155), die seinem Status als Hausherr entsprechen. Damit ist die beschwerliche Rückkehr ins eigene Haus äußerlich zu einem Abschluss gekommen.1364 Angemessen gekleidet und von Athene mit göttlicher Schönheit und Anmut ausgestattet (Od. 23,157-163) erfolgt die Wiedererkennung mit Penelope, der er sich bisher noch nicht zu erkennen geben konnte. In der Wiedererkennungsszene erweist sich Penelope als würdige und durchaus ebenbürtige Gattin des Odysseus (vgl. Od. 6,182-184: οὐ μὲν γὰρ τοῦ κρεῖσσον καὶ ἄρειον, / ἤ ὅθ᾿ ὁμοφρονέοντε νοήμασιν οἶκον ἔχητον / ἀνὴρ ν᾿δὲ γυνή), denn sie lässt sich nicht einfach von der Beteuerung seiner Identität überzeugen, sondern stellt ihn auf die Probe. Odysseus hatte als unerkannter Bettler die Gelegenheit, die Treue seiner Frau zu prüfen (vgl. Od. 13,336), doch auch Penelope verfügt über umsichtige μῆτις, die sich mit der listigen Vorsicht ihres Ehemannes messen kann.1365 Sie ersann die List des Webstuhls, mit der sie ihre Entscheidung verzögern konnte (Od. 2,93; 19,137; 24,128, 141: δόλος), prüfte die Glaubwürdigkeit des unbekannten Bettlers mit der gezielten Frage nach der Kleidung und den Gefährten des Odysseus (Od. 19,215-219) und nutzt nun den listigen Trug um das Ehebett, um ihrerseits Odysseus auf die Probe zu stellen, damit er ihr ein untrügliches Erkennungszeichen gibt (Od. 23,177-204): Denn indem sie Eurykleia auffordert, das unverrückbare Ehebett außerhalb des Schlafgemachs zu richten (Od. 23,177-180), ruft sie bei Odysseus, der sich bisher durch seine Selbstbeherrschung und eiserne Zurückhaltung ausgezeichnet hatte, gezielt die einzige Emotion hervor, der ein Held regelmäßig offen Ausdruck verleiht, Unwillen und Zorn (Od. 23,182: ὀχθήσας1366). Penelope allein steht dem Helden so nah, dass sie ihn aus der

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Vgl. Erbse 1972, 65 sowie Block 1985, 10: „His nostos complete, Odysseus dons new clothes and his selfhood (Athene’s mist of beauty) as one act.“ Vgl. Stanford 1968, 55-59 sowie Thalmann 1998, 235-237 und Felson/Slatkin 2004, 111-113, die betonen, dass Penelope ihre μῆτις ausschließlich für Odysseus einsetzt und damit dem Ideal der ὁμοφροσύνη entspricht (vgl. Od. 6,182-184). Das Verb ὀχθέω beschreibt bezeichnenderweise nicht nur Zorn, sondern auch hilflose Frustration, siehe v.a. Considine 1966, 23-25: „(…) it expresses the frustrated reaction of one who finds himself in a disagreeable dilemma or in disagreeable circumstances

III.3 Die Bewährung des Helden

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Reserve locken und aus Angst um sie seine Vorsicht vergessen lassen kann. Seine zornige Antwort zeigt seine Sorge um ihre eheliche Treue (vgl. Od. 23,203-204: ἦέ τις ἤδη / ἀνδρῶν ἄλλοσε θῆκε) und beweist durch sein Wissen um das Geheimnis des Betts seine Identität als ihr verschollener Ehemann (Od. 23,183-204). Die Wiedererkennung ist damit vollzogen,1367 und Penelope nimmt Odysseus nicht nur als Ehemann und Hausherren an, sondern bestätigt ihm auch ihre unverbrüchliche Treue symbolisch durch die Unversehrtheit ihres gemeinsamen, immer noch unverrückbaren Ehebetts (Od. 23,205-230). Diese Reduktion der Penelope auf ihre Funktion als würdige Ehefrau des heimgekehrten Helden wird der Darstellung ihrer Person nicht gerecht, doch im Kontext des epischen Heldenkonzepts ist insbesondere ihre Beziehung zu Odysseus und ihre Bedeutung als Teil seiner τιμή zu berücksichtigen.1368 Denn das Geleit zum gemeinsamen Schlafgemach entspricht einer Wiederholung eines Teils der Hochzeitszeremonie (Od. 23,289296),1369 ein Privileg, das Odysseus durch die Bogenprobe wiedergewinnen konnte, und die Vereinigung mit Penelope und die Bestätigung ihrer ehelichen Treue und ihrer Keuschheit sind das Symbol der vollständigen Wiederherstellung der Ehre des Odysseus und seiner Herrschaft über seinen Palast (τιμή). Gleichzeitig ist die Treue der Penelope die Bestätigung des Ruhmes des Odysseus (κλέος, vgl. Od. 24,195-198), da sie seine erfolgreiche Rückkehr und seinen Sieg über die Freier möglich gemacht hat.1370 Nachdem auch die Vereinigung und Wiedererkennung mit seiner Frau Penelope stattgefunden hat, fehlt nur noch, dass Odysseus sich auch seinem alten Vater Laertes zu erkennen gibt. Dafür macht Odysseus sich zusammen mit seinem Sohn auf den Weg zum Hof des Laertes, auf den er

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which he is impotent to alter, and about which he is therefore likely to be angry“ (S. 24-25). Das Problem, wann Penelope Odysseus wirklich (bewusst oder unbewusst) erkennt, wird bei Murnaghan 2011, 100-108 diskutiert, ist jedoch für die vorliegende Fragestellung nicht von Bedeutung; die letztendliche Wiedererkennung des heimgekehrten Helden und die symbolische Vereinigung mit seiner Ehefrau erfolgt in jedem Fall erst in Od. 23. Zu diesem Aspekt der Liebe des Odysseus zu seiner Frau siehe auch Clarke 1989, 7779. Für eine gute Analyse des Verhaltens der Penelope sei hier auf Lateiner 1995, 243279 und Saïd 2011, 276-314 verwiesen. Vgl. Pucci 1987, 91, Saïd 2011, 216 sowie v.a. Maronitis 2004, 39, 47-59 zur ὁμιλία zwischen Odysseus und Penelope und deren Vorbereitung. Vgl. auch Thalmann 1998, 283: „Odysseus is not only reunited with the person he loves but also attains, for all to see, the signifier of masculine prowess and victory over other men.“ Zu diesem Idealbild der Frau siehe auch Felson/Slatkin 2004, 103. Penelope ist dabei das positive Gegenbild zur Untreue der Klytaimnestra, die Agamemnon das Leben und seinen Ruhm nahm, siehe dazu Edwards 1985a, 88, Murnaghan 2011, 91-93 sowie unten III.4.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

sich nach dem Verschwinden des Sohnes zurückgezogen hatte. Die eigenartige Situation des Laertes ist nur vor dem Hintergrund des homerischen Heldenkonzepts richtig einzuordnen. Er hat die Herrschaft über sein Haus und die Vormachtstellung in Ithaka an Odysseus abgegeben und sich auf ein kleines Landgut fern des Palasts zurückgezogen. Der Grund hierfür dürfte in seiner körperlichen Gebrechlichkeit liegen, die es ihm nicht mehr ermöglichte, seine gesellschaftliche Position angemessen zu behaupten. Damit stellt Laertes eine Ausnahme dar, denn insgesamt finden sich in den homerischen Epen wenige Hinweise auf die körperliche Gebrechlichkeit gealterter Helden, und der alte Nestor nimmt in der Ilias auf Seiten der Griechen noch an der Schlacht teil und übt auch in der Odyssee noch die Herrschaft über Pylos aus. Einzig Laertes in Od. 24 vertritt den Typus des γέρων ἥρως im eigentlichen Sinn, der auch unter seinem Alter leidet (Od. 24,233: γήραϊ τειρόμενον). Die Anagnorisis mit Laertes stellt die letzte Wiederkennungsszene der Odyssee dar.1371 Odysseus beschließt, seinen Vater auf die Probe zu stellen (Od. 24,216, 220-221, 238, 240) und seine folgende Rede, in der er vortäuscht, ein Gastfreund des Odysseus zu sein (Od. 24,266-279, 312-314), erscheint zunächst als eine Grausamkeit gegenüber dem alten Laertes. Denn wenn Odysseus selbst verschollen oder tot ist, wäre sein Vater dazu verpflichtet, an Stelle des Sohnes den vermeintlichen Gastfreund aufzunehmen und zu bewirten. Aus Trauer um seinen Sohn und aus Schande, dass er materiell nicht in der Lage ist, den Geboten der Gastfreundschaft nachzukommen, bricht Laertes in Tränen aus (Od. 24,315-317), und Odysseus gibt sich seinem Vater daraufhin aus Mitleid sofort zu erkennen (Od. 24,318-326). Auf die Nachfrage des Laertes (Od. 24,327-329) gibt er ihm zwei Erkennungszeichen, zunächst die Narbe von seiner Verletzung durch einen Eber (Od. 24,331-335; vgl. 19,393-466), dann sein Wissen um die genauen Zahlen der Obstbäume in seinem Garten (Od. 24,336-344): Odysseus identifiziert sich damit zum einen als heldenhafter Jäger und Krieger, zum anderen jedoch als fürsorglicher Hausherr. Der Grund, warum Odysseus seinen alten Vater vor der Wiedererkennung so grausam auf die Probe stellt, besteht in der Darstellung der Trauer des Laertes.1372 Die Szene zeigt das Leid und den Schmerz des alten Mannes um seinen vermeintlich toten Sohn (vgl. auch die Rede der Antikleia in Od. 11,187-196) und macht damit Gebrauch vom Topos des trauernden Vaters, wie er oftmals in iliadischen Nekrologen erscheint (vgl. z.B. Il. 5,152-158;

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Zu den Motiven der Wiedererkennung siehe auch die ausführlichere Analyse bei Erbse 1972, 97-109. Vgl. Erbse 1972, 101-102 zur Beobachtung, dass die Probe nichts außer einer Darstellung des Schmerzes des alten Mannes liefert. Anders dagegen Walcot 2009, 152-153, der in der Prüfung den Ausdruck der Freude am Täuschen sieht, die für die griechische Kultur typisch ist.

III.3 Die Bewährung des Helden

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13,656-659). Die Sorge des Vaters ehrt einen Helden, doch während in der Ilias nur toten Kämpfern diese Ehrung zuteilwird, erscheint das Motiv hier verändert: Odysseus ist lebend in die Heimat zurückgekehrt und kann seinen alten Vater vor weiterer Schmach, Schande und Anfeindung bewahren. Laertes, der zuvor wie ein unfreier Arbeiter als das Gegenteil eines Helden dargestellt war (Od. 24,226-231),1373 wird durch die Rückkehr seines ruhmreichen Sohnes aus diesem ehrlosen Schicksal gerettet und wieder zu einem Helden gemacht (vgl. v.a. die symbolische Verjüngung durch Athene Od. 24,367-371, 520).1374 Wie die Wiedererkennung mit Penelope erfüllt auch die Überzeugung des Laertes, dass sein Sohn zurückgekehrt ist, eine wichtige Funktion für den heimgekehrten Helden. Denn erst indem sich Odysseus zu erkennen gibt und seinen Vater in seinem gesellschaftlichen Status rehabilitiert und Laertes ihn als seinen Sohn anerkennt, ist die Rückkehr des Odysseus vollständig, und seine Identität und sein legitimer Anspruch auf die Herrschaft in Ithaka sind damit wiederhergestellt.1375 Das Mahl im Haus des Dolios im Kreise der Familie und getreuer Diener markiert Odysseus‘ vollständige Reintegration (Od. 24,384-386, 411-412).1376 III.3.5 Die Rückgewinnung der Herrschaft Mit der Freiertötung und den Wiedererkennungsszenen mit Penelope und Laertes ist Odysseus‘ Rückkehr in sein eigenes Haus abgeschlossen; es bleibt jedoch noch die soziale Rückkehr in die Gesellschaft Ithakas, in der er vor seiner Fahrt nach Troia eine Vorrangstellung eingenommen hatte.

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Vgl. Thalmann 1998, 58: „Odysseus grieves when he sees his father dressed for work in his orchard in a dirty and mended tunic, leather shinguards and gloves for protection against brambles, and a leather cap on his head (24.227-34). This outfit, the exact opposite of an epic hero’s armour (breastplate, greaves, helmet), shows how Laertes‘ grief for his son is expressed in class terms.“ Zu Laertes‘ „Verkleidung“ siehe Od. 24,248-255 sowie Murnaghan 2011, 20-22 und Saïd 2011, 244. Vgl. dazu die Sorge des toten Achill um seinen alten Vater Peleus in Od. 11,494-504 sowie Edwards 1985a, 57: „Achilles‘ wish to defend Peleus, which is precluded by his death, is realized by Odysseus through the successful completion of his νόστος.“ Vgl. auch die Beobachtung von Murnaghan 2011, 22-23, dass die Wiedererkennung mit Laertes sehr spät erfolgen muss, da Odysseus erst, nachdem er sich schon als Herr seines Hauses behauptet hat, den Status hat, um seinen Vater rehabilitieren zu können. Vgl. Higbie 1995, 174: „Odysseus has been accepted by his wife, son, and household retainers, but recognition by his father is the final step for re-entry into his old world, perhaps even a necessary step to re-establish Odysseus‘ true identity and legitimacy. He must physically reconfirm his patronymic by being recognized by his father.“ Ebenso auch Clarke 1989, 77 und Wöhrle 1999, 111-116. Zur Bedeutung des Vaters siehe ferner auch unten III.3.5 zur Bewährung des Laertes als Held. So auch Segal 1994, 167-168.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Die Handlung der Odyssee bedarf zu ihrem Abschluss dieser letzten Rückkehr, die zudem die Lösung des Konflikts bedeutet, der aus der Freiertötung entstehen musste.1377 Denn der Tötung der Freier liegt heroischer Individualismus zugrunde, durch den der Held auch zu einer Gefahr für seine Gesellschaft werden kann. Indem Odysseus die Verletzung seiner τιμή über das Wohl des Gemeinwesens stellte und alle Freier tötete, vernichtete er einen großen Teil der lokalen Oberschicht, die mit der Verteidigung Ithakas betraut war (vgl. auch Od. 23,121-122).1378 Seine Tat hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft Ithakas, die er ihres Schutzes beraubte, und Odysseus ist sich bewusst, dass er für die Tötung der Freier in seinem Haus mit der Vergeltung von deren Angehörigen rechnen muss, die zur Blutrache und der Wiederherstellung ihrer Ehre verpflichtet sind:1379 Od. 23,118-122: ἡμεῖς δὲ φραζώμεθ’, ὅπως ὄχ’ ἄριστα γένηται. καὶ γάρ τίς θ’ ἕνα φῶτα κατακτείνας ἐνὶ δήμῳ, ᾧ μὴ πολλοὶ ἔωσιν ἀοσσητῆρες ὀπίσσω, φεύγει πηούς τε προλιπὼν καὶ πατρίδα γαῖαν· ἡμεῖς δ’ ἕρμα πόληος ἀπέκταμεν, οἳ μέγ’ ἄριστοι κούρων εἰν Ἰθάκῃ· τὰ δέ σε φράζεσθαι ἄνωγα. Wir aber wollen überlegen, wie es am weit besten geschehen möge. Denn mancher, der im Volk auch nur einen einzigen Mann erschlagen hat, einen, dem nicht viele Rächer hernach entstehen, muss fliehen und seine Verwandten und sein väterlichen Land verlassen. Wir aber haben die Stütze der Stadt erschlagen, sie, die die weitaus besten unter den Jungen in Ithaka waren. Das heiße ich dich überlegen!

In Erwartung der Konfrontation mit den Angehörigen der Freier hatte Odysseus angeordnet, ein Fest auszurichten, damit die Bevölkerung glaube, Penelope heirate einen der Freier, und die Tötung der Freier noch unbemerkt bleibe (Od. 23,133-152). Damit ist das Problem der Blutrache jedoch nur vertagt und bedarf noch einer Auflösung. Am nächsten Morgen

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So auch Erbse 1972, 229-230. Σ HMQ ad Od. 23,296 zufolge setzten die alexandrinischen Homer-Philologen Aristarch von Samothrake und Aristophanes von Byzanz das Ende der Odyssee an diese Stelle, und die Echtheit des letzten Buchs wurde infolgedessen in der Forschung diskutiert, vgl. z.B. die Diskussionen von Erbse 1972, 166-244, Moulton 1974 und Russo et al. 1992, 342-345. Auf dieses Problem kann hier nicht ausführlich eingegangen werden, doch wie im Folgenden deutlich werden wird, sind zumindest Od. 24,412-548 notwendiger Abschluss der Heimkehr des Odysseus in seine Position als Herrscher Ithakas, so auch angedeutet bei Saïd 2011, 217-218. Vgl. Adkins 1997, 702, 712-713. Siehe auch Crotty 1994, 154-155 zum moralischen Problem der Tötung. Vgl. Thalmann 1998, 119.

III.3 Die Bewährung des Helden

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rüstet er sich und seine Mitstreiter und verlässt das Haus mit Athenes Einwirkung unbemerkt im Schutz der Dunkelheit (Od. 23,366-372). Es erfolgt die Wiedererkennung mit dem Vater, der auf die Ankündigung, dass sein Sohn alle Freier getötet habe (Od. 24,325-326), ebenfalls mit der Vergeltung der Angehörigen rechnet (Od. 24,352-355). Nach den Konventionen der homerischen Gesellschaft und ihrer Verpflichtung zur Blutrache droht einem Mörder Vergeltung durch die Angehörigen des Opfers, der er sich oftmals durch freiwilliges Exil entzieht (vgl. das Schicksal des Theoklymenos in Od. 15,272-278 sowie Il. 2,661-666; 13,694-697 = 15,333-336; 15,431-432; 16,571574; 23,84-88). Odysseus hat jedoch nicht vor zu fliehen, sondern geht mit seinem Vater zum Mahl im nahen Haus des Dolios (Od. 24,214-215, 356364, 384-386), der Odysseus erkennt und ihm Unterstützung durch sich selbst und seine Söhnen zusichert (Od. 24,387-402). Dort verleiht Athene Laertes auch jugendliche Stärke, damit er seinem Sohn im kommenden Kampf beistehen kann (Od. 24,367-382). Es besteht ein Zusammenhang zwischen Schönheit und Kampfkraft, und Laertes wird für einen letzten Kampf rehabilitiert.1380 Während sie im Haus des Dolios ein Mahl einnehmen, erreicht die Kunde vom Tod der Freier die Stadt (Od. 24,412-414) und man sorgt für die Bestattung ihrer Leichen (Od. 24,415-419; vgl. zuvor 24,186-190). Dann findet eine Versammlung statt, in der sich Eupeithes, der Vater des Antinoos, dafür ausspricht, von Odysseus Buße einzufordern und für den Tod der Freier Rache zu üben (Od. 24,420-428). Trotz der Warnungen des Herolds Medon, dass Odysseus göttliche Unterstützung erfahren habe (Od. 24,439449) und des Sehers Halitherses, dass die Freier durch ihre Taten ihren Tod verdient hätten (Od. 24,451-462), macht sich der Mob gerüstet unter der Führung des Eupeithes auf, um Rache an Odysseus zu üben (Od. 24,463471). Odysseus erwartet die Verwandten der Freier und auf die Ankündigung ihres Kommens (Od. 24,490-495) bereitet er sich mit seinen Mitstreitern vor, ihnen entgegenzutreten (Od. 24,496-501). In seiner Aufforderung an Telemachos zeigt sich das Ideal des Leistungsadels, der sich durch Kampf auszeichnet und seine gesellschaftliche Vorrangstellung behauptet:1381 Od. 24,506-509: Τηλέμαχ’, ἤδη μὲν τό γε εἴσεαι αὐτὸς ἐπελθών, ἀνδρῶν μαρναμένων ἵνα τε κρίνονται ἄριστοι, μή τι καταισχύνειν πατέρων γένος, οἳ τὸ πάρος περ ἀλκῇ τ’ ἠνορέῃ τε κεκάσμεθα πᾶσαν ἐπ’ αἶαν. Telemachos, da du nun schon dahin gekommen bist, wo im Kampf der Männer die Besten erlesen werden,

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Vgl. auch Russo et al. 1992, 401 ad Od. 24,361-383. Vgl. dazu v.a. oben I.1.2.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel mache dem Geschlecht der Väter keine Schande, die wir uns vordem mit Kraft und Mannesmut ausgezeichnet haben über die ganze Erde.

Es ist ein seltener Fall im homerischen Epos, dass drei Generationen einer Familie versammelt sind, zumal Telemachos auch schon ein erwachsener Mann von über zwanzig Jahren ist. Indem Telemachos entgegnet, er werde seinem Geschlecht keine Schande machen (Od. 24,510-512), wird Laertes der schönste Anblick zuteil, den sich ein Vater und Großvater in der homerischen Gesellschaft nur wünschen kann (vgl. auch Nestor in Od. 4,207-211 sowie Achills Freude über Neoptolemos in 11,538-540): Od. 24,514-515: τίς νύ μοι ἡμέρη ἥδε, θεοὶ φίλοι; ἦ μάλα χαίρω· υἱός θ᾿ υἱωνός τ᾿ ἀρετῆς πέρι δῆριν ἔχουσι. Welch ein Tag ist das für mich, liebe Götter? Gewaltig freue ich mich: Sohn und Sohnessohn erheben einen Streit um die Tüchtigkeit!

Auf die Aufforderung Athenes hin, die Odysseus‘ Familie auch hier zur Seite steht, beginnt Laertes den Kampf (Od. 24,516-519) und tötet Eupeithes, der bezeichnenderweise der Anstifter des Mobs und Vater des Antinoos, des schlimmsten Freiers, war (vgl. Od. 24,421-437). Der γέρων ἥρως Laertes wird dadurch geehrt, dass er als einziger im folgenden Kampf in einer typisch iliadischen Androktasie einen namentlich genannten Gegner töten kann:1382 Od. 24,522-525: αἶψα μάλ᾿ ἀμπεπαλὼν προΐει δολιχόσκιον ἔγχος καὶ βάλεν Εὐπείθεα κόρυθος διὰ χαλκοπαρήου. ἣ δ᾿ οὐκ ἔγχος ἔρυτο, διαπρὸ δὲ εἴσατο χαλκός· δούπησεν δὲ πεσών, ἀράβησε δὲ τεύχε᾿ ἐπ᾿ αὐτῷ. Da holte er aus und schleuderte gar schnell die langschattende Lanze Und traf den Eupeithes durch den erzwangigen Helm. Dieser vermochte den Speer nicht abzuwehren, und hindurch ging das Erz. Da stürzte er dröhnend, und es rasselten die Waffen an seinem Leibe.

Die patriarchalischen Vorstellungen des homerischen Heldenkonzepts erfordern, dass der alte Laertes, der zuvor wie ein armer Bauer seinen Garten bestellte, als Held rehabilitiert wird. Seine Heldentat ist Symbol für den Anspruch des Odysseus auf die Vorherrschaft auf Ithaka, den er nicht nur

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Vgl. Russo et al. 1992, 415 ad Od. 24,516-527: „By describing this fighting, like that of xxii, in Iliadic language the poet lends an aura of heroic grandeur and dignity to the proceedings.“

III.3 Die Bewährung des Helden

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durch seine eigene Leistung, sondern auch auf der Grundlage seiner Abstammung erheben kann.1383 Nach der kurzen, aber typischen Aristie des Laertes werden die Erfolge des Odysseus und seines Sohnes nur angedeutet (Od. 24,526-527).1384 Obgleich sie ihren Gegnern zahlenmäßig unterlegen sind, wären sie in der Lage gewesen, alle ihre Gegner zu vernichten (vgl. Od. 24,528); damit wurde ihre Überlegenheit und der Anspruch auf eine Vorrangstellung in der Gesellschaft Ithakas deutlich, und Athene kann einschreiten und weiteres Blutvergießen verhindern (Od. 24,528-532). Die Verwandten der Freier ergreifen wegen der göttlichen Stimme die Flucht (Od. 24,533-536), doch Odysseus will ihnen mit einem Kriegsschrei nachsetzen (Od. 24,537538). Erst ein Blitzzeichen des Zeus und die Ermahnung der Athene gebieten seinem heroischen Impuls Einhalt, und er gehorcht mit Freude (Od. 24,539-545).1385 Odysseus ist auch hier der iliadische Held, dem daran gelegen ist, seinen Rang zu behaupten und seine Widersacher kompromisslos auszuschalten, auch wenn diese schon die Flucht ergriffen haben und keine Gefahr mehr darstellen. Der Kampf gegen die anderen Edlen Ithakas, die nach Rache für ihre getöteten Söhne strebten, stellt die letzte Bewährung des Odysseus dar, mit der er seine Herrschaft über Ithaka wiedergewinnt. Es liegt die iliadische Vorstellung zugrunde, dass ein Held seine Herrschaft durch die Demonstration von Leistung und Kampfkraft legitimieren muss, und Odysseus erkämpft sich seine Vorrangstellung auf Ithaka mit Waffengewalt. Der kurze Kampf legt Zeugnis von seiner Überlegenheit ab, und erst dadurch wird die von den Göttern gestiftete Versöhnung möglich.1386 Abermals treten die Götter als ordnende Mächte in Erscheinung, indem sie die verfeindeten Parteien auf Ithaka durch Eide versöhnen, Odysseus als obersten Herrscher einsetzen und Wohlstand und Frieden garantieren (Od. 24,472-486, 546-548). Erst mit der Auseinandersetzung gegen die anderen Herrscherfamilien auf Ithaka kann Odysseus seine Rückkehr öffentlich abschließen und seine angestammte Vorrangstellung als mächtigster βασιλεύς der Insel wieder einnehmen (Od. 24,483: ὁ μὲν βασιλευέτω αἰεί; vgl. auch

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Vgl. dazu v.a. Cook 2009, 310 zur sozialen Ideologie der Odyssee: „(…) looking back to an idealized paternalistic and meritocratic monarchy.“ Vgl. Felson 1999, 90. Zu diesem letzten „heroischen Impuls“ und seiner Nähe zu iliadischem Heldentum siehe Brooks 1977, 456. Die Versöhnung verläuft nicht ohne Blutvergießen (vgl. Od. 24,130-131), denn Odysseus muss seine Überlegenheit unter Beweis stellen, bevor Frieden möglich wird und die Angehörigen der Freier einlenken können, vgl. Erbse 1972, 243.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

15,533-534).1387 Odysseus hat sich im Laufe des Epos in allen Hinsichten, in μῆτις wie auch in βίη, als Sohn eines vortrefflichen Vaters bewährt und erfüllt infolge der Wiedererkennungen alle Kriterien, um zukünftig als guter Herrscher auf Ithaka zu regieren: „(…) the constant allusions to Odysseus‘ heroic feats at Troy (See e.g. Od. 3.126-9; 4.106-7, 241-59, 269-89, 342-4; 8.75-82, 492-520), the long narrative of his adventures after Troy, the repeated expressions of respect and affection by the ‘good’ servants (See e.g. Od. 14.61-7, 138-47; 19.365-8; 20.204-8; 24.397-402), his final self-revelation in the test of the bow and in the actual battle with the suitors insist dramatically that he is in every relevant respect the single best man in Ithaca and therefore most fit to rule by merit as well as by birth.“1388 Damit ist die Entwicklung abgeschlossen, die den Inhalt der zweiten Hälfte der Odyssee darstellt und in der der heimgekehrte Held von einem mittellosen und ranglosen Bettler zunächst zum Herrn seines eigenen Hauses und schließlich zum mächtigsten Mann Ithakas aufsteigt. 1389

III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee Zum Abschluss dieser Betrachtungen gilt der letzte Blick der Vorstellung von Tod und der Erinnerung an den Helden, wie sie in der Odyssee dargestellt werden. Insbesondere die bisher noch nicht beachtete Reise des Odysseus in die Unterwelt (Erste Nekyia, Od. 11,23-640) sowie die sog. Zweite Nekyia (Od. 24,1-204) bieten geeignetes Material, um nicht nur die Schicksale der Ilias-Helden nach dem Troianischen Krieg aus der Sicht der Odyssee zu untersuchen, sondern auch die Eschatologie der Odyssee und damit den Ruhm des Odysseus mit der iliadischen Vorstellung zu vergleichen.

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Zu rituellen und symbolischen Aspekten der Rückkehr des Odysseus siehe Clarke 1989, 67-75, 79-86, der feststellt, dass Odysseus‘ Heimkehr durch besondere Lichtsymbolik dargestellt wird und seine Wiedereinsetzung als Herrscher durch göttliche Gerechtigkeit erwirkt wird. Die Beoachtungen zeigen, dass Odysseus und sein Handeln in seinem Epos eindeutig positiv bewertet werden und dass die Odyssee ihren Titelhelden als idealen Helden darzustellen sucht. Cook 2009, 301 (mit Anmerkungen). Vgl. z.B. Whitman 1958, 301-305 und Murnaghan 2011, 15.

III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee

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III.4.1 Das Schicksal der Ilias-Helden in der Odyssee Nach dem Aufenthalt auf Aiaia unternimmt Odysseus auf Rat der Kirke einen Gang in die Unterwelt, und dort tritt zuerst Odysseus‘ Gefährte Elpenor zu ihm. Seine Bitte zeigt die Bedeutung eines angemessenen Begräbnisses für einen Helden, die der heroischen Vorstellung einer letzten Ehrung und einer letzten Demonstration der Wertschätzung durch die Gesellschaft entspricht (vgl. Il. 23,71-76): Od. 11,72-76: μή μ’ ἄκλαυτον ἄθαπτον ἰὼν ὄπιθεν καταλείπειν νοσφισθείς, μή τοί τι θεῶν μήνιμα γένωμαι, ἀλλά με κακκῆαι σὺν τεύχεσιν, ἅσσα μοί ἐστι, σῆμά τέ μοι χεῦαι πολιῆς ἐπὶ θινὶ θαλάσσης, ἀνδρὸς δυστήνοιο, καὶ ἐσσομένοισι πυθέσθαι· Dass du nicht dahingehst und mich unbestattet, unbeweint zurücklässt und dich abwendest, dass ich dir nicht Ursache für den Zorn der Götter werde. Sondern verbrenne mich mit den Waffen, soviele ich habe, und schütte mir ein Grabmal auf an dem Gestade des grauen Meeres – eines unseligen Mannes Mal, auf dass auch Künftige davon erfahren.

Der Tod des Elpenor, der sich beim betrunkenen Sturz vom Dach des Hauses der Kirke den Hals brach (Od. 10,552-560; 11,61-65), ist wenig heldenhaft, doch sein Wunsch nach Bestattung entspricht dem heroischen Ideal. Die Kremation in Waffen stellt eine besondere Ehrung für einen Krieger dar, die in der Ilias nur König Eëtion durch Achill zuteilwurde (Il. 6,414419),1390 und Odysseus sorgt für die Erfüllung des letzten Wunsches seines Gefährten (Od. 12,9-15).1391 Zwar liegt das Augenmerk der Odyssee nicht auf dem Tod des Helden, sondern vielmehr auf seinem Leben und seiner Bewährung in wechselvollen Situationen,1392 doch die Vorstellung des ehrenvollen Heldentodes ist ebenfalls feststellbar (vgl. das Begräbnis Achills in Od. 24,35-94); Agamemnons ehrloser Tod durch die Hinterlist des Aigisthos (Od. 4,528-535; 24,30-35, 95-97) hingegen ist ein warnendes Gegenbild für Odysseus (vgl. Od. 13,383-385). Das Grab des Helden ist bedeutsam für die Erinnerung an ihn (vgl. Od. 11,76), und ein ruhmloses Verschwinden des Helden bei seinen Abenteuern und Irrfahrten in einem fremden Land oder gar der Tod auf See wäre nicht mit dem Ideal eines heldenhaften Todes vereinbar (ἀκλειῶς, vgl. Od. 1,235-241; 14,365-371; vgl. auch den Tod durch Ertrinken in Il. 21,281: λευγαλέῳ θανάτῳ), und Odysseus selbst wäre

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Vgl. auch Kirk 1990, 215 ad loc. Vgl. Reinhardt 1960b, 104-106 sowie Segal 1994, 40-41. Siehe dazu Finkelberg 1995, 10: „As distinct from the Iliadic hero, who sets an example of how one ought to die, all Odysseus‘ life-experience demonstrates how one ought to live.“

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

statt eines namenlosen Todes in der Märchenwelt der Irrfahrten lieber ruhmreich vor Troia gestorben (Od. 5,305-312).1393 Odysseus jedoch ist es nicht vorbestimmt, auf seinen Reisen zu sterben, und sein Schicksal wird ihm von dem Seher Teiresias vorausgesagt (Od. 11,100-137). Auf den Tod des Odysseus wird unten noch gesondert einzugehen sein,1394 denn sein Schicksal unterscheidet sich deutlich von den anderen großen Helden, die vor Troia an seiner Seite kämpften. Nach der Erzählung einer ersten Serie von Begegnungen (Elpenor, Od. 11,51-83; Teiresias, 11,90-151; Antikleia, 11,152-224; Heroinenkatalog, 11,225-329) berichtet Odysseus auf die Nachfrage des Antinoos (Od. 11,370-376) von den Begegnungen mit seinen Mitstreitern vor Troia, und deren Schicksal kommentiert das heroische Ideal aus der rückblickenden Sicht der Odyssee: Denn bei den Treffen mit den bedeutendsten griechischen Ilias-Helden Agamemnon (Od. 11,385-466), Achill (Od. 11,467-540) und dem Großen Aias, dessen Seele sich jedoch in Schweigen hüllt und sich weigert, mit Odysseus zu sprechen (Od. 11,543-564), werden unterschiedliche Schicksale präsentiert, und die Wege des iliadischen Heldentums aufgezeigt:1395 Zuerst trifft Odysseus auf Agamemnon (Od. 11,385-466), der als Eroberer Troias großen Ruhm gewann. Die vollständige Anrede des ehemaligen Heerführers vor Troia als Ἀτρείδη κύδιστε ἄναξ ἀνδρῶν Ἀγάμεμνον (Od. 11,397, auch 24,121) bringt die Ehrerbietung des Odysseus zum Ausdruck und stellt eine Reminiszenz an dessen Status in der Ilias dar (vgl. Il. 2,434; 9,96, 163, 677, 697; 10,103; 19,146, 199), zeigt jedoch Odysseus‘ Unkenntnis von dessen unglücklichem Schicksal.1396 In seiner Frage nach dem Schicksal des Agamemnon nennt er Schiffbruch und Tod im Kampf gegen Räuber oder auf einem Raubzug als mögliche Todesursachen des Heerführers (vgl. Od. 11,398-403). Agamemnon verneint und berichtet, wie er bei seiner Heimkehr hinterrücks zusammen mit seinem Beutemädchen Kassandra von Aigisthos und seiner Frau Klytaimnestra ermordet wurde (Od. 11,404434). Trotz aller heroischen Kämpfe, die er vor Troia ausgestanden hatte, fand er in seinem eigenen Haus einen unrühmlichen und beklagenswerten Tod:

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Vgl. dazu Austin 1975, 141 sowie Redfield 1983, 236: „The world of the adventures is a void populated by monsters. Alkē, the prowess of the warrior, is of no value here (Od. 12.116-120), and those who perish receive neither funeral nor kleos. They simply disappear, snatched by the harpuiai (Od. 1.234-243, 5.303-312, 14.365-371).“ Ebenso auch Segal 1994, 104-105. Siehe dazu unten III.4.2. Vgl. Reinhardt 1960b, 107-110 sowie Hölscher 1967, 9: „Drei Heldenschicksale also, an denen Leben und Tod sich je verschieden zueinander verhalten. Ihre Gegensätzlichkeit steht für die Totalität, für die Gesamtheit möglicher Heldenschicksale.“ Vgl. Brown 2006, 36-39.

III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee

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Od. 11,416-420: ἤδη μὲν πολέων φόνῳ ἀνδρῶν ἀντεβόλησας, μουνὰξ κτεινομένων καὶ ἐνὶ κρατερῇ ὑσμίνῃ· ἀλλά κε κεῖνα μάλιστα ἰδὼν ὀλοφύραο θυμῷ, ὡς ἀμφὶ κρητῆρα τραπέζας τε πληθούσας κείμεθ’ ἐνὶ μεγάρῳ, δάπεδον δ’ ἅπαν αἵματι θῦεν. Du warst schon bei dem Mord vieler Männer zugegen, die im Einzelkampf und in der starken Feldschlacht getötet wurden, aber hättest du dies gesehen, hätte es dich am meisten in dem Mut gejammert, wie wir rings um den Mischkrug und die vollen Tische in der Halle lagen, und der ganze Boden rauchte von Blut.

Agamemnon rät ihm zur Vorsicht bei seiner Rückkehr (Od. 11,441-456), und sein Schicksal wird zum warnenden Beispiel für Odysseus und weist auf den Freiermord voraus (vgl. Od. 11,420: δάπεδον δ’ ἅπαν αἵματι θῦεν = 22,309).1397 Auf die Frage des Agamemnon nach seinem Sohn kann Odysseus jedoch keine Antwort geben (Od. 11,457-464), und trotz aller τιμή, die der Heerführer der Griechen zu Lebzeiten genossen hatte, brachte ihm seine Heimkehr (νόστος) nur den Tod durch die Hand seiner eigenen Frau und damit schlechtes Andenken, das seinen Ruhm als Kriegsheld überschattet (κλέος; vgl. Od. 24,30-34, 200: στυγερὴ δέ τ᾿ ἀοιδή).1398 Es folgt die Unterredung mit Achill, der nicht in seine Heimat zurückkehrte und noch vor Troia den Heldentod in der Schlacht fand. Hinsichtlich des Schicksals des Achill besteht zwischen Ilias und Odyssee Übereinstimmung: Beiden homerischen Epen zufolge kommt Achill in die Unterwelt, nachdem sein Leichnam verbrannt und seine Asche mit der des Patroklos zusammen in einer goldenen Urne bestattet worden war (Il. 23,82-92; Od. 24,73-79).1399 In Bezug auf Achill teilt die Odyssee somit die tristen Aussichten des Helden, doch während in der Ilias jede Form von Existenz nach dem Tod ausgeblendet wird, kennt die Odyssee durchaus

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Vgl. Hölscher 1967, 7-8 sowie Erbse 1972, 26-27. So auch Clay 1983, 109. Die Erzählung des Menelaos, er habe seinem Bruder in Ägypten ein Grabmal errichtet, um ihm „unauslöschlichen Ruhm“ zu verschaffen (ἄσβεστον κλέος, vgl. Od. 4,583-584), zeigt abermals die Bedeutung des Grabmals für die Erinnerung an einen Helden (vgl. auch Od. 24,32-33), vgl. dazu jedoch Heubeck et al. 1988, 228 ad loc.: „Here however the association between funerary monument and κλέος ἄσβεστον seems more conventional than realistic, since it would have been unreasonable to hope that Menelaus‘ cenotaph would secure for Agamemnon a place in the legends with which the hero himself had no association.“ Es bleibt nur der Schluss, dass Agamemnons κλέος als Kriegsheld durch die ruhmlose Art seines Todes getrübt wurde. Diese Version steht der Kyklischen Tradition der Aithiopis entgegen, nach der Thetis ihren Sohn nach dessen Tod auf die Λευκὴ νῆσος brachte (vgl. die Zusammenfassung des Proklos bei Allen 1912, 106.12-15), vgl. Edwards 1985b, 221-225.

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

derartige Vorstellungen: Menelaos sind aufgrund seines Status als Schwiegersohn des Zeus die „Inseln der Seligen“ vorbestimmt (Od. 4,561-569), Kastor und Polydeukes, die Brüder der Helena und Söhne des Zeus, die in der Ilias tot und begraben sind (Il. 3,243-244), sind in der Odyssee nur die Hälfte der Zeit tot (Od. 11,299-304), und Herakles erfährt sogar eine Apotheose (Od. 11,601-604; vgl. dagegen Il. 18,117-119).1400 Achill symbolisiert das Idealbild eines iliadischen Helden (vgl. Od. 11,469-470 ≈ Il. 17,279-280), der im Austausch für unvergänglichen Ruhm sein Leben in der Schlacht gab,1401 und in Odysseus‘ Begegnung mit Achill kommentiert die Odyssee das Ideal der Ilias. Odysseus erwähnt Achills besondere τιμή zu Lebzeiten (Od. 11,484: σε ζωὸν ἐτίομεν ἶσα θεοῖσιν) und rühmt Achill für seine Ehrenstellung unter den Toten (Od. 11,485-486). Odysseus führt die Kategorien an, die für einen iliadischen Helden erstrebenswert waren, eine Ehrenstellung zu Lebzeiten, die zum Erwerb von ewigem Ruhm führt (vgl. Od. 24,94-95), und hier aufgrund des Vorhandenseins einer Existenz nach dem Tod durch eine Ehrenstellung unter den Toten erweitert wird (Od. 11,485: μέγα κρατέεις νεκύεσσιν). Doch Achill hält Odysseus entgegen, dass er lieber als niedriger Lohnarbeiter am Leben wäre als der Herrscher über die Toten (Od. 11,488-491): Achill, der über besondere τιμή verfügte und sein Leben und seine Heimkehr (νόστος) im Austausch gegen ewigen Ruhm (κλέος, vgl. Il. 9,413; Od. 24,93-94) aufgab, ist mit seinem Schicksal unzufrieden. 1402 In seiner rhetorisch überspitzten Formulierung wendet er sich jedoch nicht gegen den Gewinn von unsterblichem Ruhm (κλέος), den auch Odysseus durch seine Teilnahme am Krieg gegen Troia erlangt hat (vgl. Od. 9,20); vielmehr ist es der Verlust seines Lebens, den er bedauert, und darin schließt er gedanklich an die Formulierung der Endgültigkeit des Todes in Il. 9,408-409 an.1403 In seiner Äußerung zeigt sich die Abwendung vom iliadischen Ideal des Heldentodes als dem einzigen Weg zur Erlangung von Ruhm.1404 Damit spricht er sich jedoch nicht gegen das Leben eines Kriegshelden aus, denn er erkundigt sich nach

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Vgl. Edwards 1985b, 215-220 sowie Pucci 1987, 151-154 Vgl. Edwards 1985a, 48 sowie oben I.6. Vgl. dazu de Jong 2001, 290-291, Saïd 2011, 175-176 sowie Edwards 1985a, 52: „[I]n the Odyssey, the later of the two poems in terms of the Troy Cycle’s internal chronology, Achilles‘ words constitute a retrospective comment upon the Iliad’s heroic value system, a comment made by the Iliad’s own hero. The Odyssey exploits this facet of the Iliadic Achilles to assert the superiority of νόστος and survival to the Iliad’s values of the hero’s death and κλέος. (...) The Odyssey turns Achilles‘ famous preference to its own advantage as an assertion that the eventual fate of its own hero is more desirable than the κλέος promised by the Iliad to Achilles for a hero’s death.“ Die Tradition der Aithiopis von der Entrückung Achills (siehe oben Anm.1399) wird daher vom Dichter der Odyssee ebenso ignoriert, wie die Möglichkeit einer Existenz nach dem Tod in der Ilias ausgeblendet wird. Vgl. Pucci 1997, 168-171.

III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee

327

seinem Sohn (Od. 11,492-493) und ist erfreut (Od. 11,538-540), als Odysseus von den Taten des Neoptolemos vor Troia berichtet (Od. 11,506-537): Neoptolemos zeichnete sich als Ratgeber (Od. 11,510-512) wie auch als Kämpfer aus, sowohl als erfolgreicher Vorkämpfer in der offenen Feldschlacht (Od. 11,513-522) wie auch bei der List des Troianischen Pferds (Od. 11, 523-532; vgl. v.a. 525: λόχον), und gewann dadurch großes Ansehen und überlebte den Kampf unverletzt (Od. 11,533-537; vgl. v.a. 534: γέρας ἐσθλὸν).1405 Gegenüber der Ilias, die Achill als Eroberer Troias stilisiert, ist es hier explizit der λόχος des Odysseus, der zum Fall der Stadt führte, und die Odyssee zeigt abermals ihre Bevorzugung von List und Klugheit (μῆτις/δόλος) vor direkter Gewalt (βίη) – nun mit Billigung Achills.1406 Odysseus kann Achill jedoch keine Auskunft über seinen Vater Peleus geben (Od. 11,505), denn Achill sorgt sich, dass dieser aufgrund seines Alters seine Ehrenstellung unter den Myrmidonen nicht behaupten kann, da er selbst nicht heimkehrte, um seinen Vater zu verteidigen (Od. 11,494504).1407 Dennoch ist Achills unvergängliches κλέος ohne νόστος Agamemnons unglücklichem νόστος, der ihn seines κλέος beraubte, vorzuziehen (vgl. v.a. Od. 24,93-97).1408 Zuletzt begegnet Odysseus dem Großen Aias, der infolge seiner Niederlage bei der ὅπλων κρίσις, der Vergabe der Waffen des gefallenen Achill an den würdigsten Helden, aus verletzter Ehre Selbstmord beging (Od. 11,543-551). Aias war der beste Kämpfer der Griechen nach Achill (Od. 11,551 = Il. 17,280) und weigerte sich, auf die versöhnliche Rede des Odysseus zu antworten (Od. 11,552-564).1409 Odysseus berichtet, dass die Grie-

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Vgl. ausführlich Edwards 1985a, 59-68. Odysseus nennt bezeichnenderweise die Exzellenz des Neoptolemos in der βουλή an erster Stelle. Die Beschreibung, dass Neoptolemos im Troianischen Pferd nicht erblasste (Od. 11,529: οὔτε ὠχρήσαντα χρόα κάλλιμον), nimmt offenbar Bezug auf die λόχος-Beschreibung des Idomeneus, in der er konstatiert, dass sich der Feigling vom tapferen Krieger scheidet, da er vor Furcht die Farbe wechselt (Il. 13,278-279). Vgl. ausführlich Edwards 1985a, 68-69. Vgl. Edwards 1985a, 57: „Achilles‘ wish to defend Peleus, which is precluded by his death, is realized by Odysseus through the successful completion of his νόστος.“ Vgl. Edwards 1985a, 82-83. In der Ilias wird νόστος vergleichsweise keine besondere Bedeutung beigemessen, da Heimkehr in der Kriegssituation in Opposition zu κλέος steht. Zum Thema des νόστος in der Ilias siehe Maronitis 2004, 63-74. Od. 11,547 nennt Troianer und Athene als Richter des Wettstreits um die Waffen, und ein Betrug des Odysseus, der aus anderen Traditionen bekannt ist, ist nicht erwähnt, sodass Odysseus offenbar keine Schuld am Tod des Aias trägt, vgl. Clay 1983, 72-73 (vgl. auch die Aussage in Od. 11,565-567, dass Aias vielleicht doch noch mit Odysseus gesprochen hätte). In Odysseus und Aias wiederholt sich zwar der bekannte Gegensatz von μῆτις und βίη, doch es wäre nicht mit dem positiven, heroischen Bild des Odysseus in der Odyssee vereinbar, wenn er seine Listen zuvor gegen Kampfgefährten eingesetzt hätte.

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

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chen Aias nach seinem Tod wie Achill ehrten und seinen Verlust betrauerten (Od. 11,556-558). Aias genoss Anerkennung im Heer, doch aufgrund seiner unversöhnlichen und unerbittlich auf persönliche Ehre bedachten Haltung, die für einen iliadischen Helden bezeichnend ist, gewann er weder κλέος noch νόστος.1410 Denn auch das κλέος des Aias, das ihm als TroiaKämpfer zusteht, ist durch sein unrühmliches Ende getrübt. Sein Auftreten kommentiert das Schicksal des Achill, dem damit implizit eine Sonderstellung eingeräumt wird; denn als der bedeutendste Kampfheld vertrat Achill ebenfalls das iliadische Ideal und gewann dafür κλέος, wenn auch ohne νόστος, doch schon Aias, der zweite nach Achill, scheiterte an dieser Haltung und verlor ruhmlos sein Leben. Die Odyssee erkennt Achill damit als die Vollendung des Heldenideals der Ilias an, doch wie Agamemnon (und unausgesprochen auch Aias) beklagt er sein Schicksal. Damit fällt der Blick auf Odysseus; zu dem Zeitpunkt, da Odysseus auf seinen Irrfahrten in der Unterwelt auf seine alten Gefährten trifft, ist klar, dass er weder das stolze, doch ruhmlose Scheitern des Aias noch das Schicksal Achills als ruhmreich gefallener Kriegsheld ohne Heimkehr teilen wird; der weitere Fortgang der Handlung wird zeigen, ob er auch dem Schicksal des Agamemnon und einer traurigen Rückkehr, die seinen vormaligen Ruhm trübt, entgehen kann. III.4.2 Ruhm und Tod des Odysseus Die Befragung des Sehers Teiresias (Od. 11,90-151) liefert, von der Warnung vor dem Schlachten der Rinder des Helios abgesehen (Od. 11,105115), wenig Informationen für eine sichere Heimreise, obgleich Kirke Odysseus aus diesem Grund die Fahrt in die Unterwelt befohlen hatte (Od. 10,537-540). Hinweise für die Abenteuer der weiteren Reise erhält Odysseus jedoch nach seiner Rückkehr nach Aiaia von Kirke selbst (Od. 12,37141), sodass die wichtigen Informationen der Seele des Teiresias sich nur auf die Darlegung seines Schicksals nach seiner Heimkunft und seines Todes beziehen (Od. 11,119-137; 23,267-284). Der Zweck der Teiresias-Szene in der Unterwelt liegt damit offenbar darin, einen Ausblick auf die Zukunft des Odysseus nach der Wiedererlangung der Herrschaft auf Ithaka zu geben. Zum Einsetzen der Handlung steht jedoch Odysseus – wie auch Achill in der Ilias die Wahl zwischen einem frühen und ruhmreichen Tod und einem langen, erfüllten, aber ruhmlosen Leben hatte (Il. 9,410-416) – vor einer Entscheidung: Er befindet sich auf der Insel Ogygia bei der Nymphe Kalypso, die ihm ewiges Leben an ihrer Seite in Aussicht stellt (Od. 5,208-209; 7,255-257; 9,29-30), doch er lehnt es ab, die Nahrung der Götter zu sich zu

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Zu Aias als Held des alten Ideals siehe auch Clarke 1989, 63.

III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee

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nehmen (Od. 5,195-200) und entscheidet sich, nach Ithaka zu seiner Frau Penelope zurückzukehren und sich weiteren Gefahren auszusetzen (Od. 5,203-224).1411 Beide Helden ziehen es vor, Kämpfe auszustehen und sich Ruhm zu gewinnen, als ein Leben ohne Mühen zu führen und in Vergessenheit zu geraten.1412 Denn Unsterblichkeit bei Kalypso in Verbindung mit der Unsicherheit seines Verbleibs würde seine Heimkehr (νόστος) verhindern und sowohl die Negation seiner Identität als Held als auch seines κλέος bedeuten (vgl.  . 1,232-243; 14,365-371).1413 Dabei ist offensichtlich insbesondere das Fehlen eines angemessenen Grabmals als Fokalisierungspunkt des κλέος eine Schande für den verschollenen Helden (Od. 1,239-241 = 14,369-371).1414 Odysseus jedoch weiß, dass ihm trotz der Entscheidung für weitere Anstrengungen und Kämpfe kein frühzeitiger Tod bestimmt ist, da er in der Unterwelt von Teiresias über seinen eigenen Tod Auskunft erhalten hatte, obgleich dieser außerhalb der Handlung der Odyssee liegt. Nach der Voraussage des Sehers wird Odysseus in hohem Alter fern des Meers inmitten seines zufriedenen Volkes sterben (Od. 11,134-137; 23,281284).1415 Der Tod des Odysseus steht damit im Gegensatz zum iliadischen Ideal des heldenhaften Todes auf dem Schlachtfeld (vgl. hierzu v.a. Il. 11,13-14: τοῖσι δ’ ἄφαρ πόλεμος γλυκίων γένετ’ ἠὲ νέεσθαι / ἐν νηυσὶ γλαφυρῇσι φίλην ἐς πατρίδα γαῖαν), wie er sich im Fall Achills in vollendeter Form mit ehrenvoller Bestattung vollzog (vgl. Od. 24,36-94); in der Nachkriegswelt der Odyssee jedoch ist ein früher und gewaltsamer Tod keine Auszeichnung, sondern oftmals eine gerechte und verdiente Strafe für Verfehlungen und Vergehen (ἀτασθαλίαι; vgl. Aigisthos, Od. 1,35-43; die Gefährten des

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Vgl. Crotty 1994, 168: „Odysseus is the opposite of the Iliadic warrior, insofar as the latter was motivated by his wish for an “undying renown”. Mortality, in the Iliad, was something thrust on the individual and frustrated his deepest desires. The warrior’s hope for “undying renown” was, at bottom, the wish to salvage something from a transient world. Were the Iliadic warrior to be offered an immortal and unageing existence like that which Calypso offers to Odysseus he would renounce his life as a warrior, since the fighter’s career makes sense only as a means of securing a kind of immortality (see Il. 12.322-28). Yet even the prospect of an immortal life fails to prevent Odysseus from returning to Penelope and Ithaca. Here again, as in so many other ways, the Odyssey expresses a refusal of transcendence: its hero’s desires are fully contained within the mortal world.“ Vgl. Schröter 1950, 159, Stanford 1968, 48-41 sowie Rutherford 1991-1993, 47. Vgl. Crane 1988, 18, Segal 1994, 104-105 und Vernant 1996b, 187-188. Vgl. Petropoulos 2011, 26-29. Die Voraussage des Teiresias in Od. 11,134: θάνατος δέ τοι ἐξ ἁλὸς αὐτῷ muss als „ein Tod fern des Meeres“ (nicht „ein Tod aus dem Meer“) zu deuten sein, so auch Heubeck et al. 1989, 86 ad loc. und Segal 1994, 189 Anm. 6. Bei der Anweisung, Odysseus solle dort, wo niemand mehr sein Ruder erkenne, ein Opfer für Poseidon darbringen (Od. 11,119-132) handelt es sich jedoch um ein Motiv der Volkserzählung, vgl. Segal 1994, 187-194 (mit weiteren Literaturhinweisen).

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Odysseus, 1,7-9; die Freier, 22,413-416; Melanthios, 22,474-477; ebenso die namenlose Amme des Eumaios, 15,477-481).1416 Diese Abwertung des (Helden-)Todes bedingt eine Verschiebung der Auffassung von Ruhm: Odysseus ist es bestimmt, nach dem Krieg um Troia in die Heimat zurückzukehren und erst nach einem langen und erfüllten Leben zu sterben. Er muss sich nicht zwischen Tod und Ruhm oder einem ruhmlosen langen Leben in der Heimat entscheiden (vgl. Il. 9,412416), und seine Taten vor Troia sind schon zu seinen Lebzeiten in aller Munde (vgl. Od. 1,344; 4,724-726 = 814-816; 8,73-75, 78; 9,19-20; 16,241242).1417 In der Odyssee bezeichnet κλέος jede Form von Gerücht oder Kunde über Lebende und Tote,1418 doch epische Dichtung ist die höchste und vollendete Form, die eine Erzählung haben kann (vgl. Od. 3,203-203; 24,196198).1419 So wurde der Untergang Troias von den Göttern verhängt (vgl. auch Od. 12,189), damit er in epischer Heldendichtung besungen wird und künftige Generationen sich daran erinnern können (vgl. Il. 6,357-358; vgl. Od. 8,73-74 sowie das κλέος des Agamemnon in 9,263-264): Od. 8,579-580: τὸν [sc. Ἰλίου οἶτον] δὲ θεοὶ μὲν τεῦξαν, ἐπεκλώσαντο δ᾿ ὄλεθρον ἀνθρώποις, ἵνα ᾖσι καὶ ἐσσομένοισιν ἀοιδή. Doch den [sc. Untergang Ilions] haben die Götter bewirkt und Verderben zugesponnen den Menschen, damit er noch den Zukünftigen zum Gesang sei.

Doch um seinen Ruhm als Kriegsheld bewahren zu können, darf ihn nicht dasselbe unrühmliche Schicksal wie Agamemnon ereilen (vgl. Od. 5,306312; 11,412-420; 24,95-98). Odysseus jedoch erwirbt sich durch das Überleben seiner Abenteuer weiteren Ruhm, zu dessen Dichter er selbst bei den

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Die Umwertung des Todes scheint eine direkte Folge der veränderten Göttervorstellung der Odyssee zu sein, die den Tod oftmals als Strafe für die Menschen verhängen, wohingegen in der Ilias nur Stärke und Kampfkraft über Leben und Tod entscheiden. Vgl. Edwards 1985a, 83-85 sowie v.a. Nagy 1999, 39 (mit Hervorhebungen): „To sum up: unlike Achilles, who won kléos but lost nóstos (IX 413), Odysseus is a double winner. He has won both kléos and nóstos.“ Ebenso auch Graziosi/Haubold 2005, 134-139. Siehe hierzu auch Ford 1992, 167: „Its (d.h. the Odyssey’s) hero’s kleos will not be carried in any tomb, however splendid, but is already reaching heaven as ist hero lives and moves and extends it himself; his fame resides in performance and action, not inscription.“ Zu κλέος in der Odyssee in der allgemeinen Bedeutung „Kunde“, d.h. wovon man spricht oder was erzählt wird, siehe die Ausführungen von Olson 1995, 1-23 und Petropoulos 2011, 39-56. Siehe auch die Beobachtung bei Petropoulos 2011, 31, dass iliadische Helden selten von ἐμὸν κλέος sprechen, wohingegen dies in der Odyssee mehrfach geschieht. So auch Murnaghan 2011, 110. Zu κλέος als ἀοιδή in der Odyssee siehe Edwards 1985a, 71-73 und Segal 1994, 85-86.

III.4 Tod und Ruhm in der Odyssee

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Phaiaken wird,1420 und indem er nach seiner beschwerlichen Rückreise auch den Kampf gegen die Freier siegreich besteht, gewinnt er nicht nur seine angestammte Position als Herrscher von Ithaka zurück (vgl. Od. 22,323: νόστοιο τέλος γλυκεροῖο), sondern erwirbt sich zu seiner Anerkennung als Kriegsheld und Abenteurer das κλέος der Rache (vgl. Od. 23,137138;1421 24,196-198). Der Ruhm des Odysseus, der letztendlich in seiner poetischen Verewigung im kollektiven Gedächtnis durch die Erzählung seiner Taten besteht, ist identisch mit dem Ruhm, den iliadische Helden sich zu erwerben trachten. Doch während in der Ilias der Held diese Ehrung erst nach seinem Tod erhält, ist κλέος in der Odyssee nicht auf die Verherrlichung des gefallenen Kriegers beschränkt. Tüchtige Männer können auch schon zu Lebzeiten κλέος erlangen, und ebenso kann dieser Ruhm in der Odyssee nun auch auf Eigenschaften beruhen, die nicht mit dem iliadischen Ideal übereinstimmen: Neben dem Ruhm der Rache, den Orest sich für die Bestrafung des Mörders seines Vaters erwerben kann (Od. 1,298-300; 3,203204) und der dem iliadischen Ruhm durch Schlacht und Tod am nächsten steht, gewinnt Telemachos κλέος durch seine Reise zu Nestor und Menelaos (vgl. Od. 1,93-95; 3,75-78), und Odysseus wünscht Alkinoos ἄσβεστον κλέος für seine Bewirtung und sein Geleit (Od. 7,331-333).1422 Zwar ist Odysseus auch in der Odyssee ein tapferer Kämpfer, doch diese Erfolge beruhen bei dem Held des λόχος (≈ δόλος) ebenso auf geistigen Fähigkeiten wie auf körperlicher Gewalt (vgl. Od. 3,121-122; 13,291-293 sowie 9,19-20: πᾶσι δόλοισιν / ἀνθρώποισιν μέλω, καί μευ κλέος οὐρανὸν ἵκει1423), und Leidens- und Anpassungsfähigkeit treten an die Stelle des heroischen Eigensinns, der die Handlung der Ilias auszeichnet.1424 Dafür findet das Schicksal des Odysseus seine Erfüllung nicht im Tod des Helden, sondern gerade in seinem (Über-)Leben, durch das er sich seinen Ruhm sichern kann. Wie die Ilias und das Lied von Troia, das die Sirenen singen (Od. 12,188-190), Leid und Tod für alle Beteiligten brachten und bringen, 1425 so

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Zu dieser Ironie des κλέος siehe v.a. Segal 1994, 85-89. Russo et al. 1992, 326 ad loc. bemerkt, dass κλέος εὐρὺ φόνου (...) / ἀνδρῶν μνηστήρων nur die Kunde vom Freiermord bezeichnet, doch die Konnotation des Ruhmes ist zweifellos mitgedacht, so auch Edwards 1985a, 86 und Segal 1994, 108. Vgl. Edwards 1985a, 74-75, 79-81. Auch Penelope verfügt über κλέος (z.B. Od. 1,125126; 18,253-255 = 19,126-128; 19,108-109; 24,196-197), das jedoch in dieser Betrachtung des Helden keine Beachtung finden kann, siehe dazu Segal 1994, 91-95. Siehe auch Segal 1994, 90 zur Beobachtung, dass in Od. 9,19-20 πᾶσι sich sowohl auf δόλοισιν wie auch auf ἀνθρώποισιν beziehen kann und damit sowohl die Universalität der Listen des Odysseus als auch seines Ruhmes bezeichnet. Insbesondere zur Leidensfähigkeit, die Odysseus als einen Helden neuer Prägung charakterisiert, siehe Pucci 1987, 44-49. Bezeichnend für diese gebrochene Einstellung zum iliadischen κλέος ist auch die unterschiedliche Reaktion auf epische Heldendichtung in den Epen: Während Achill sich in seiner Zeit der Untätigkeit an heroischer Dichtung erfreut (Il. 9,186-189), ruft

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III. Die Odyssee und der Held im Wandel

ist die Odyssee ein Lied auf das Leben, und es ist nicht erstaunlich, dass Odysseus der tödlichen Verlockung der Sirenen widerstehen kann.1426 In der Handlung der Odyssee überwindet Odysseus durch Umsicht und Einfallsreichtum (μῆτις) alle Schwierigkeiten, um seine Heimkehr (νόστος), seine Ehrenstellung (τιμή) und unvergänglichen Ruhm und Andenken (κλέος) zu erlangen; die Anerkennung dieser Leistungen durch Agamemnon und Achill in der zweiten Nekyia (v.a. Od. 24,192-198) zeigen, dass sein Schicksal dem Schicksal der iliadischen Helden vorzuziehen ist.1427 Indem jedoch zudem vorausgedeutet ist, dass er auch weiterhin alle Schwierigkeiten überwinden und erst friedlich in hohem Alter sterben wird (Od. 11,134137; 23,281-284), erfüllt Odysseus das Heldenideal der Odyssee eines ruhmreichen Lebens, ohne durch eine Niederlage und einen gewaltsamen Tod zu scheitern.1428

III.5 Schlussfolgerungen: Odysseus, der andere Held Die Betrachtung der Odyssee zeigt, dass auch im zweiten homerischen Epos das heroische Ideal und die Vorstellung von andauernder Bewährung von zentraler Bedeutung sind. Während die Ilias als traditionelles Kriegsepos jedoch in der Darstellung des Ideals des Kriegshelden aufgeht, ist das Heroische in der Odyssee nur ein Bestandteil, der sich dem neuen Weltbild unterordnet.1429 Dies entspricht der Herkunft der Odyssee aus epischer Dichtung in Verbindung mit Motiven, die in Märchen und Volkserzählungen

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die Erinnerung an die Ereignisse vor Troia bei Odysseus nur bittere Tränen hervor (Od. 8,83-92, 521-531), siehe dazu auch Pucci 1987, 214-227. Vgl. Pucci 1997, 175-177 sowie Segal 1994, 101-102. Auch die Anrede der Sirenen an Odysseus als μέγα κῦδος Ἀχαιῶν (Od. 12,184) ist iliadisch (vgl. Il. 9,669; 10,544). Vgl. auch Clay 1983, 108-112. Siehe auch Vernant 1996a, 60-61: „The episode of the Nekuia [d.h. die Begegnung zwischen Odysseus und Achill] does not contradict the ideal of the heroic death, the fine death. It strengthens and completes it. The terrifying world of death is a world of confusion, chaos, unintellegibilty, where nothing and nobody can exist anymore. The only values that exist are the values of life, the only reality that of the living. If Achilles chooses to die young, it is not that he values death above life. On the contrary, he cannot accept sinking, just like anybody, into the obscurity of oblivion, merging into the indistinct mass of “nameless ones.” He wants to continue forever in the world of the living, to survive in their midst, within them, and remain there as himself, distinct from any other, through the indestructible memory of his name and his renown.“ Angedeutet bei Edwards 1985a, 91: „The Iliad is characterized by the Odyssey as an unhappy κλέος of despair and death.“ Vgl. Schröter 1950, 4: „Es gibt in ihr [d.h. der Odyssee] auch das Heroische, aber nur als Ingredienz. Sie ist im Ganzen als Dichtung auf andere Gegenstände gerichtet und empfängt ihre Struktur durch eine ethisch-religiöse Gesamtidee.“ Siehe dazu auch Griffin 1986, 5: „In the Iliad the heroic level is much more steadily maintained than it is in the Odyssey.“

III.5 Schlussfolgerungen

333

ihren Ursprung haben und oftmals zur Einpassung in den Stoff der Heimkehr des Kriegshelden einer offensichtlichen Episierung unterworfen wurden.1430 Die bekannten heroischen Kategorien wurden auch im zweiten homerischen Epos der Darstellungsintention des Dichters zu Nutze gemacht, um seinen bedeutendsten Helden zu idealisieren. Trotz motivischer und sprachlicher Anklänge an iliadische Kampfszenen wird das monumentale Kriegsheldentum der Ilias nicht übernommen, denn der Odysseus der Odyssee ist als ein Held darstellt, dessen Erfolge nicht nur auf körperlicher Stärke, sondern auch auf Intelligenz und Einfallsreichtum beruhen. Es ist jedoch bezeichnend, dass Odysseus auch ein hervorragender Kämpfer ist, denn es ist nur schwer vorstellbar, dass er seine heroische Exzellenz allein auf der Grundlage geistiger Fähigkeiten beanspruchen könnte. Die Odyssee nimmt damit Bezug auf eine Seite des epischen Heldenkonzepts, die im iliadischen Heldenkonzept zwar angedeutet ist, aber der gegenüber dem Ideal von Kampfkraft und Stärke nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen wird.1431 Im Odysseus der Odyssee findet sich jedoch die heroische Vortrefflichkeit der „praktischen Intelligenz“ (μῆτις) in hervorragender Weise verkörpert, die im Gegensatz zur Ilias oftmals mit List und Trug (δόλος) gleichgesetzt wird. 1432 Dementsprechend ist auch das heroische Ideal der Odyssee im Gegensatz zum traditionellen und kompromisslosen Heldenbild der Ilias flexibler und befasst sich mit der Bewährung des Helden in ungewöhnlichen Situationen.1433 So sind weite Teile der Handlung der Odyssee als kontinuierliche Bewährungsproben zu verstehen, wie besonders in den Phaiaken-Büchern (Od. 6-8) und dem Verhalten des Odysseus als Bettler im eigenen Haus deutlich wird (Od. 13-20): Der Held muss sich die Anerkennung seiner Umgebung erkämpfen, jedoch nicht mit offener Gewalt, die seine soziale Stellung im jeweiligen Kontext kaum erlauben könnte, sondern mit Geschick und Redekunst.

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Siehe dazu die Formulierung „Tendenz zur Heroisierung“ von Usener 1990, z.B. 108 et passim. Siehe auch Pucci 1987, v.a. 60-62 zur Beobachtung, dass schon in der Ilias δόλος und μῆτις in besonderer Weise mit der Person des Odysseus verbunden sind. Zur Vorausdeutung des Helden der Odyssee durch die Erfolge des Odysseus durch μῆτις bei den Leichenspielen für Patroklos siehe auch Dunkle 1987, 9-17. Vgl. dazu insbesondere Wilson 2005, 12-16. Vgl. Whitman 1958, 309 sowie Patzer 1991, 24-26. Ebenso konstatiert Patzer/Hölscher 1990, 505, „daß die Odyssee ein vollgültiges Kriegeradelsgedicht ist und so gelesen werden muß.“ Es erfolgt jedoch das Zugeständnis: „Das Besondere ist hier nur, daß der ‚Held’ sich als gegen ungewöhnliche Widersacher (nicht die vertrauten Standesgenossen im herkömmlichen Kampf auf dem Schlachtfeld) zu bewähren hat und schließlich auch, ebenso ungewohnt und unerprobt, gegen die Usurpatoren seines Hauswesens.“

334

III. Die Odyssee und der Held im Wandel

Die Opposition, die der Odyssee zugrunde liegt, ist folglich nicht der Gegensatz zwischen Kampfkraft und politischer Macht, sondern zwischen Stärke und Intelligenz, und somit sind Odysseus und Achill die „Besten der Achaier“ (vgl. Od. 8,78). Den impliziten Streit darum, wessen Vortrefflichkeit höher zu bewerten ist, kann Odysseus in der Odyssee für sich entscheiden:1434 Odysseus ist kein mächtiger Herrscher wie Agamemnon, aber ein kluger Diplomat, kein hervorragender Krieger wie Achill (oder Aias), aber doch ein fähiger Kämpfer, der die großen Ilias-Helden durch seine Leidens- und Anpassungsfähigkeit übertrifft.1435 Die Odyssee gibt ihm reichlich Gelegenheit, diese Eigenschaften unter Beweis zu stellen, denn das heroische Geschlecht befindet sich im Niedergang, und die Helden, die vor Troia bereit waren, für ewigen Ruhm ihr Leben zu geben, gehören der Vergangenheit an.1436 Odysseus muss auf seinen Fahrten ungewöhnliche Herausforderungen meistern und sich in neuen Situationen auf Arten bewähren, wie es anderen Helden nicht möglich wäre.1437 Folglich ist die Odyssee unbestreitbar der gleichen epischen Tradition wie die Ilias zuzuordnen und teilt die Grundwerte ihres Heldentums, wobei jedoch in einigen Bereichen Veränderungen hinsichtlich der relativen Gewichtung der Bestandteile stattfanden, die der jeweiligen Darstellungsintention des Dichters geschuldet sind.1438

1434 1435 1436 1437

1438

Vgl. Clay 1983, 96-112. Vgl. dazu v.a. Clay 1999 sowie Saïd 2011, 231-235. Vgl. v.a. Pucci 1997, 171-175. Vgl. Murnaghan 2011, 1-10 zur Feststellung, dass Odysseus als einziger Held der epischen Tradition von Verkleidungen Gebrauch macht und damit zu dieser Form von Bewährung in der Lage ist. Dazu v.a. King 1987, 69 sowie Edwards 1985a, 75: „[The] Iliad and the Odyssey rely upon a common tradition, but one which is modified by the specific values and priorities of each poem.“ Vgl. auch Finkelberg 1995, 12: „To sum up, either Homeric poem offers its own version of heroism. In the Iliad being a hero amounts to readiness to meet death on the battlefield: the sense in which the words ‘heroism’ and ‘hero’ are used today ultimately descends from this concept. According to the Odyssey a hero is one who is prepared to go through life enduring toil and suffering. Whatever the reasons for this difference, there can be no doubt that it is the Odyssey’s version of heroism that conforms to popular Greek attitude to the phenomenon of hero-worship.“

Schlussbetrachtung Die Untersuchung der homerischen Gedichte vor dem Hintergrund eines abstrakten epischen Heldenkonzepts hat sich als gewinnbringend herausgestellt. Denn Ilias und Odyssee sind Heldendichtungen, die unzweifelhaft aus derselben Tradition ursprünglich mündlichen Dichtens erwachsen sind und in denselben heroischen Kategorien operieren. Beiden Epen liegt ein Konflikt zugrunde, der Ilias der Streit zwischen Achill und Agamemnon, der Odyssee die Auseinandersetzung des Odysseus mit den Freiern, dessen Bedeutung erst im Rahmen der Ehrvorstellungen des homerischen Heldenkonzepts verständlich wird. Dennoch weisen die homerischen Gedichte durch die Setzung unterschiedlicher Schwerpunkte und Gewichtungen deutliche Unterschiede auf. Zusammen markieren sie sowohl in formaler als auch in geistesgeschichtlicher Hinsicht den Höhepunkt der epischen Technik.1439 Die Untersuchung der Figuren des Achill und des Odysseus konnte zeigen, dass die Idealvorstellungen des epischen Helden in beiden Fällen eine Folie bilden, um die Protagonisten im jeweiligen Epos als besondere und ausgezeichnete Männer darzustellen. Die Heldenkonzepte sind dabei in vielen Hinsichten komplementär, und im Folgenden sollen die jeweiligen Eigenarten der beiden homerischen Gedichte noch einmal abschließend gegenübergestellt werden: In der Ilias wird Achill in der Auseinandersetzung seiner Kampfkraft mit Agamemnons politischer Macht und Hektors Stärke als der vollkommene Held dargestellt. Er erfüllt das Ideal des Kriegshelden, dessen gesellschaftlicher Vorrang auf seiner eigenen Leistung beruht, der sich gegen alle seine Feinde durchsetzen kann und dafür nach seinem frühen Tod auf dem Schlachtfeld Verewigung im kollektiven Gedächtnis erreicht. Das Heldenideal, wie es die Ilias präsentiert, dient dabei als Folie, um Achill als mustergültigen Helden darzustellen. Diese Interpretation wird dadurch implizit bestätigt, dass die Odyssee Achill als den idealen Helden der Ilias akzeptiert, sich dann jedoch von diesem Ideal durch Akzentverschiebungen absetzt. In der Odyssee muss sich der ehemalige Kriegsheld Odysseus in veränderten Situationen, in denen er seine Kampfkraft nicht direkt einsetzen kann, durch seine Intelligenz und seine Wandelbarkeit als der „Beste der Achaier“ bewähren. Auch er

1439

Im Gegensatz zu den homerischen Epen scheinen die Gedichte des sog. Epischen Kyklos, von denen jedoch außer Fragmenten nichts erhalten ist und die alle als nachhomerisch einzustufen sind, – soweit wir dies beurteilen können – sowohl sprachlich von minderer Qualität gewesen zu sein, vgl. Griffin 1977, 48-53, als auch „unheroische“ und märchenhafte Motive in die Tradition eingebracht zu haben, vgl. Griffin 1977, 39-48 sowie allgemein Davies 2003.

336

Schlussbetrachtung

kann auf diese Weise seinen gesellschaftlichen Vorrang behaupten und wird erst nach einem langen und erfüllten Leben in hohem Alter sterben. In beiden homerischen Gedichten steht der Held und sein Status, der in den Begrifflichkeiten von τιμή (Ehre, Anerkennung, Besitz) und κλέος (Ruhm, Andenken) zu Ausdruck kommt, im Mittelpunkt der Handlung. Hinsichtlich der Wege, wie sich der Held diese bestimmenden Werte aneignen und sichern kann, ergänzen sie sich jedoch erst gegenseitig zu einem vollständigen Bild, indem jedes Epos bestimmte Aspekte hervorhebt, andere hingegen vernachlässigt: 1.

2.

3.

4.

Die Ilias bevorzugt direkte Kriegführung in offener Feldschlacht (bis hin zur beinahe vollständigen Ausblendung des λόχος), die Odyssee dagegen gibt der Kampfform des Hinterhalts größere Bedeutung; damit korrespondiert die Betonung von Kompromisslosigkeit und körperlicher Kraft in der Gestalt Achills gegenüber der listigen Klugheit des Odysseus, der sich mit Lügen und Anpassungsfähigkeit in allen Situationen behaupten kann. Die Willkür der Götter in der Ilias bedingt die Bedeutung des heldenhaften Todes, der die letzte Ehrung eines ausgezeichneten Menschen darstellt, in der Odyssee jedoch sorgt die Vorstellung göttlicher Gerechtigkeit dafür, dass (Über-)Leben und die erfolgreiche Bewährung in wechselvollen Lagen einen Helden auszeichnen. Folglich ist Ruhm in der Ilias eine Auszeichnung, die ein Held erst nach seinem Tod erhalten kann, wohingegen der Held in der Odyssee für bedeutende Taten auch schon zu Lebzeiten besungen und verewigt wird.

Es ist bedeutsam, nach dieser Gegenüberstellung zu betonen, dass das Weltbild der Odyssee offenbar keine Weiterentwicklung iliadischer Konzeptionen darstellt, obgleich es sehr wahrscheinlich erscheint, dass das spätere Epos in Auseinandersetzung mit dem früheren seine endgültige Form erhielt. Vielmehr vereinnahmen und nutzen die beiden homerischen Gedichte die Vorstellungen des traditionellen epischen Heldenkonzepts in unterschiedlicher Weise und bilden zusammen eine Gesamtheit von Sinngebung und Weltdeutung. Die Gegensätze, die an der Figur des epischen Helden deutlich werden, sind der Darstellungsabsicht des Dichters zuzuschreiben.

Abkürzungsverzeichnis A&A AAntHung AC AClass AHB AION(archeol)

AJA AJPh AN BICS BMCR CA CCA CJ ColbyQ CP CQ CR CW DNP G&R GB GRBS HSCP ICS JIES JHS KZ LCM MH NJAB OT PLLS PP QUCC

Antike und Abendland Acta antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae L’Antiquité classique Acta Classica The Ancient History Bulletin Annali dell’Istituto universitario orientale di Napoli, Dipartimento di studi del mondo classico e del Mediterraneo antico, Sezione di archeologia e di storia antica American Journal of Archaeology American Journal of Philology Ancient Narrative Bulletin of the Institute of Classical Studies Bryn Mawr Classical Review (online abrufbar unter http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr) Classical Antiquity Journal of the California Classical Association Classical Journal Colby Quarterly Classical Philology Classical Quarterly Classical Review Classical World Der Neue Pauly, Stuttgart 1996-2009 Greece and Rome Grazer Beiträge Greek, Roman, and Byzantine Studies Harvard Studies in Classical Philology Illinois Classical Studies Journal of Indo-European Studies Journal of Hellenic Studies Kuhns Zeitschrift (seit 1988 Historische Sprachforschung) Liverpool Classical Monthly Museum Helveticum Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung Oral Tradition Papers of the Leeds International Latin Seminar La parola del passato: rivista di studi antichi Quaderni Urbinati di cultura classica

338

RE RFIC RhM SCO SMEA SO SSR SyllClass TAPA WHB WJA WS YCS ZPE

Abkürzungsverzeichnis

Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Stuttgart 1893-1972 Rivista di filologia e di istruzione classica Rheinisches Museum Studi classici e orientali Studi micenei ed egeo-anatolici Symbolae Osloenses Studi storico-religiosi Syllecta Classica Transactions and Proceedings of the American Philological Association Wiener humanistische Blätter Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft Wiener Studien Yale Classical Studies Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik

Zur Zitierweise: Textzitate aus den homerischen Epen folgen den Editionen von H. van Thiel in der Bibliotheca Weidmanniana, Homeri Odyssea (Hildesheim/Zürich/New York 1991), und Homeri Ilias (Hildesheim/Zürich/New York 22010), Abweichungen werden ggf. am Ort vermerkt. Von der umständlichen Praxis, die Buchzahlen der Epen mit griechischen Majuskeln für die Ilias bzw. Minuskeln für die Odyssee zu bezeichnen, wurde zugunsten arabischer Zahlen abgesehen, die jedoch jeweils die genauere Bezeichnung des Werks (Il. bzw. Od.) nötig machten. Für Stellenangaben ohne unmittelbare Werksangabe gilt die letzte vorangegangene Bezeichnung. Die jeweils beigegebenen Übersetzungen sind mit nur geringfügigen Veränderungen den hervorragenden Übertragungen W. Schadewaldts, Homer, Ilias (Frankfurt a. M./Leipzig 1975) bzw. Homer, Odyssee (Reinbek bei Hamburg 42004), entnommen. Die Ilias-Scholien der A- und bT-Traditionen sind zitiert nach Scholia Graeca in Homeri Iliadem, ed. H. Erbse in 7 Bänden (Berlin 1969-1988), die der D-Scholien nach der nur online zugänglichen Edition von H. van Thiel: Scholia D in Iliadem (online abrufbar unter http://kups.ub.uni-koeln.de/ volltexte/2006/1810/pdf/Scholia_D_Gesamt.pdf [Stand 30. Januar 2010]). Die Scholien zur Odyssee folgen der Ausgabe Scholia Graeca in Homeri Odysseam ex codicibus aucta et emendata, ed. W. Dindorf (Oxford 1855). Sekundärliteratur wird gemäß den im nachfolgenden Literaturverzeichnis angegebenen Abkürzungen mit dem Namen des Autors bzw. der Autoren und der Jahreszahl der jeweils verzeichneten Auflage zitiert. Die folgenden Zahlen beziehen sich auf die betreffenden Seiten. Der Verweis

339

ad loc. nach einer Seitenzahl verweist auf die entsprechende Sektion in einem Kommentar.

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Index A Abenteuerheldentum ............. 14n Abkunft ......................... 21, 28, 3839, 42, 44-45, 47-49, 51, 61, 101, 145, 156, 167n, 205, 226n, 233, 244-245, 252-253, 267n, 299, 321 Achill ............................. 7, 9, 1314, 19, 28, 30, 40n, 42n, 45, 47n, 50, 53-54, 57n, 62n, 64-65, 70, 72n, 82, 88n, 91, 95-96, 98n, 104, 107-109, 114, 121n, 127n, 129n, 131n, 133-134, 137-138, 141, 143, 147-240, 247, 277, 285, 303, 306n, 310n, 317n, 323-328, 330-332, 334-335 Achilleis ................................... 95n Achillesferse ............................ 95n Adel ............................................ 49 Adelsethik ... 146n, 245, 256n, 265 Adrestos ...... 12n, 14, 106, 108-109 Agamemnon................. 7n, 14, 18-19, 34, 36-39, 43-45, 56n, 61-62, 65n, 70-71, 75n, 83, 8789, 91-92, 108-109, 112n, 114, 117-121, 124-125, 128-129, 138n, 147-173, 175, 177-183, 186-199, 203n, 206n, 223-226, 232-234, 238-239, 243, 245n, 247, 249, 252n, 276-277, 285287, 303, 315n, 324-325, 328, 330, 332, 334-335 Agapenor ................................. 38n Agastrophos .............................. 14 Agelaos ..................... 12n, 308-309 Agenor ..................................... 213 Agonalität ..................... 50-51, 56, 199, 251 siehe auch Wettstreit Aiaia .................. 271-273, 323, 328

Aiakos ...................................... 42n Aianten ........................... 37, 43, 71 Aias, Sohn des Oileus . 44, 58, 66n, 108, 113, 195, 243 Aias, Sohn des Telamon 7n, 1315, 18-19, 38n, 44, 58, 63n, 66n, 68-70, 82, 91, 95, 118n, 125, 133, 139, 142, 162, 169, 177n, 179-181, 203n, 217, 295n, 324, 327-328, 334 Aineias .......................... 14, 28, 4546, 72n, 82, 94, 101n, 104n, 129-130, 133, 203-205, 207 Alastor ..................... 12n, 113, 207 Alexandros .............................. 12n siehe auch Paris Alkathoos ...........................14, 113 Alkinoos ....................... 257, 275277, 279-284, 290n, 331 Aloeus .......................................212 Amphimachos ................ 12n, 113 Amphimedon .................. 308-309 Amphinomos ........ 301, 307, 310n Amyntor ...................................175 Androktasie ................. 80-81, 83, 85n, 87, 93, 103, 206, 209-211, 217, 220, 237, 293-294, 304, 307, 309, 320 Anerkennung ............... 39, 43, 5051, 55-56, 58, 64, 98-101, 103104, 106-108, 116-118, 121, 125-126, 135, 138-140, 146-147, 153, 166-167, 170-171, 173-174, 182-183, 190, 192-193, 196-197, 212, 219, 225-227, 230, 232, 234, 238-240, 250-251, 253, 276-277, 279-280, 282, 285, 290-292, 295-296, 299-300, 302, 314, 328, 331-333, 336 Anpassungsfähigkeit .. 255n, 331, 334, 336

372

Antenor .................................... 206 Anti-Held........................... 20, 42n Antiklos ................................. 299n Antilochos .................... 58-60, 8283, 113, 133, 142, 159, 184, 195196, 237n Antimachos ............................. 108 Antinoos ....................... 246-247, 252n, 278, 295, 297, 304, 306307, 310, 319-320, 324 Antiphates ............................... 260 Antiphos ....................... 12n, 44, 81, 108, 113, 206n Aphrodite ..................... 28, 94, 204, 212, 226, 279 Apoll.............................. 36n, 70, 106n, 128n, 148, 150, 184, 203, 207, 213, 216, 220, 222n, 226227, 236-237, 243 Areilykos ................................. 12n Areithoos ................. 73n, 98n, 207 Ares ............................... 28, 128n, 189, 212, 230, 279 Arete .......................... 26n, 276-277 Aretos ....................................... 113 Aristie ............................ 54n, 64, 66-67, 71, 74n, 87-91, 95-96, 108, 126, 157n, 162, 184, 193, 200-203, 205-208, 210-213, 223225, 228, 234, 250-251, 263264, 267-268, 288n, 292n, 298, 307-308, 311, 321 Aristokrat........................... 38, 289 Aristokratie .................. 26, 48n, 56, 121, 157 Artemis .................................... 186 Asios ............................ 14, 112-113 Askalaphos ................................ 28 Asteropaios ....................... 14, 210 Astyanax ....................... 46, 66n, 104, 224, 233n Athene ........................... 58, 88, 91, 153, 207, 211, 216-217, 243244, 246-247, 249-250, 274-275,

Index

278-279, 283-288, 292-293, 300, 306n, 308-310, 314, 317, 319321, 327n Atridenmythos ..................... 243n Ausrüstung .................. 65-66, 69, 71, 78, 291n siehe auch Rüstung Autolykos ................. 297-298, 301 Automedon ....... 14, 72n, 113, 229

B Barbaren .....................................12 Begräbnis ...................... 137n, 139, 201n, 212, 225, 240, 323 siehe auch Bestattung Bellerophon .................. 14n, 45, 98, 118n, 165 Berserker ................................. 96n Berserkerwut ....................... 95-96 Besitz ............................. 5, 27, 48n, 55, 58, 73-74, 98-99, 104-105, 107, 113, 118-122, 127, 145, 150-152, 160, 174, 178, 190, 195-196, 231, 246-247, 251, 260, 265, 276, 283-285, 290291, 305, 336 Bestattung .................... 57, 102, 112, 138-139, 145n, 193, 201n, 208, 214, 217-219, 221, 223, 225-226, 233, 259, 319, 323, 329 Beute ............................. 54, 89, 104-105, 119, 122, 124, 146, 152-153, 194, 258n, 260, 268269 Beutemädchen ............. 64n, 148152, 160, 179, 324 Beuteverteilung ........... 104n, 125, 164, 171, 187n siehe auch δασμός Bewährung ................... 250-251, 256n, 273, 281, 292, 296, 300, 302-303, 317n, 321, 323, 332334, 336

373

C Bittgesandtschaft ......... 174, 176, 184n Blut ................................ 44, 58, 89n, 92-93, 194, 203, 208, 210211, 294, 310-311, 325 Blutrache ....................... 63, 112, 185n, 318-319 Bogen ............................ 56-57, 6768, 93, 97, 271, 279n, 299, 302304, 307-308 Bogenprobe .................. 291, 295, 299-300, 302-303, 315 Bogenschütze ............... 68, 97, 250n, 279, 302 Brautpreis ......................... 164-165 Briseis ............................ 27, 148n, 150-151, 153, 158, 160, 164, 172-173, 183, 187-188, 191-193, 233, 305 Bronze ........................... 73-74, 306 Brustpanzer ................. 66, 70, 125

C Chryseis ............ 27, 148-150, 164n Chryses ......................... 106n, 126, 148, 226, 229

D Damastor ................................. 309 Deiphobos .................... 14, 28, 80, 103, 112-113, 216-217 Dekadenzgedanke .................... 20 Demodokos ...... 242, 277, 279-282 Demokoon ............................... 113 Demoleon ................................ 206 Demouchos.............................. 207 Despoliierung .............. 104-105 siehe auch Spolien Deukalion ................................ 207 Diokles ..................................... 248 Diomedes ...................... 7-8, 1314, 28, 37-38, 42-43, 45, 58, 6162, 66-67, 69-70, 82n, 88, 90-91, 94-97, 100, 104n, 126-129, 133,

140n, 154n, 157, 162, 180-181, 201n, 203-204, 206-208, 212, 224, 250 Diomedie ....................................88 Diores..........................................85 Dolios ................................ 317, 319 Dolon ............19, 34n, 97, 106, 108 Dolonie ......................... 96-97, 181 Doryclus .................................. 44n Doublette ...... 236-237, 292n, 295n Doublettentechnik................ 237n Dryops ......................................207 Duell ............................. 65n, 82n siehe auch Zweikampf

E Ebergleichnis .......................... 88n Echeklos....................................207 Echemmon ............................ 206n Echepolos ...........................82, 125 Eëtion ............................ 104, 107, 122, 169, 225, 323 Ehre ............................... 5, 26, 29n, 32, 51, 56, 59, 78, 80-81, 86-87, 91, 98-99, 103, 109-111, 119, 122, 124, 127-130, 133-134, 144-146, 148-149, 151-153, 155, 161, 171-172, 178, 180n, 183, 186-187, 193, 196n, 199-200, 207, 219, 226-227, 233-234, 237-240, 246, 254-256, 273n, 285n, 288, 301-303, 305-306, 310, 312, 315, 318, 327-328, 336 Ehrengabe .................... 113, 120, 149-150, 168, 172 siehe auch Ehrengeschenk Ehrengeschenk ............ 64, 120121, 124-125, 127n, 149-152, 155, 182, 188, 196 siehe auch γέρας Elite ..................... 34, 71, 74, 78, 96 Enthauptung ................ 113-114, 222 siehe auch Verstümmelung

374

Entschuldigung............ 129n, 163, 166, 168-169, 173, 176, 181, 183, 188-189, 280 Epeios ................. 57-58, 85n, 293n Epipolesis .................................. 61 Epitheton ...................... 8n, 12n, 14, 20, 26n, 29, 36-37, 40, 52, 62n, 65-67, 69, 75n, 79-81, 136137, 156, 158n, 170, 213, 215, 224, 229n, 268, 288, 293n Erinnerung ................... 71n, 139140, 142-143, 170, 221, 242, 249, 277, 280, 298, 322-323, 325n, 332n Ersatztötung ................. 84n, 93n, 206n, 295 Eteoneus .................................. 248 Euenor ...................................... 309 Eumaios ..... 288-292, 307-309, 330 Eumelos ...................... 36, 195-196 Eupeithes .................. 262, 319-320 Euphetes .................................... 36 Euphorbos ................ 112, 236-237 Euryalos ........................ 85n, 278279, 293n, 300n Eurykleia....................... 289, 291, 297-299, 311-314 Eurylochos .................... 258-259, 261-262, 271 Eurymachos.................. 247, 252n, 295, 297, 306-307 Eurypylos .................................. 14 Eurystheus ............................... 34n Eurytos ..................................... 72n

F Fatalismus ............................. 137n Feigheit ......................... 91, 100, 102, 128, 133-134, 150n, 159n, 171 Feigling .......................... 171, 327n Feldschlacht.................. 57, 74, 9697, 253, 290, 302, 325, 327, 336 Feuergleichnis ................. 201, 208

Index

Flucht ............................ 71, 92, 204, 206, 215-216, 228, 268, 321 Flyting........................... 100-101, 106n, 155n, 204, 216, 292, 307 Freier ............................. 244-248, 250-253, 280n, 283-287, 291297, 299-315, 318-319, 321, 330-331, 335 Freiermord ................... 300-301, 325, 331n siehe auch Freiertötung Freiertötung ................. 251, 279n, 291-292, 300n, 303, 306n, 308, 310-311, 313, 317-318 Freikaufsumme ........... 148-149, 226, 229, 232 siehe auch ἄποινα Freundschaft ................ 5, 135, 185 siehe auch φιλότης Frieden .......................... 27n, 41, 62, 225, 254, 321 Führungsposition ........ 32, 35, 40, 65, 116, 118, 156n Fußvolk..................... 71, 73, 79-80

G Gabentausch ................ 119, 123n, 126, 265, 302 Ganymedes ................. 140n, 185n Gastfreund ................... 11n, 101, 126, 208, 284, 302, 304, 316 Gastfreundschaft ......... 125, 194, 248, 265, 272, 276, 316 Gastgeschenk ............... 125, 249, 264-267, 270, 279, 283-285, 296 Gastrecht ...................... 265-266, 268, 291n, 296, 302, 304 Geburtsadel .................. 44, 48, 252 Gefolgschaftsverweigerung ................................... 130, 154n Gegenleistung .............. 98-99, 106-107, 116, 118n, 122-125,

H 166-167, 190n, 193, 198, 251, 279 Genealogie .................... 28, 42, 44, 48, 70n, 101, 103, 204, 281n Generationenkonflikt .. 17n, 20n, 55n Generationenmodell ...... 46, 245n Gerechtigkeit ................ 29n, 90, 110n, 243n, 262, 312, 322n, 336 Gesandtschaft............... 108, 174175, 177, 180-181, 199 Geschenk ...................... 70, 119n, 122-127, 163-170, 172-173, 175181, 183, 189-193, 196, 198199, 210, 227-228, 230-232, 250, 280, 282-284, 286, 288, 290-291, 300n, 302, 306 siehe auch Gabentausch Glaukos ......................... 13n, 26n, 31-32, 35, 45, 50, 66, 94, 100101, 104, 117, 126-127, 137n, 171, 204n, 219n, 224, 226 Gleichnis ....................... 27n, 56, 80, 88-89, 203-204, 207-208, 217, 229n Glück ........................ 141, 240, 249 Gorgythion ............................ 206n Grab .................. 138, 142, 222, 323 Grabmal ........................ 138, 142, 323, 325n, 329 Grausamkeit ................. 84, 109, 113, 202, 211, 223, 227-228, 316 guilt-culture...................... 131-132

H Halitherses..................... 245n, 319 Harpalion................................. 11n Heeresversammlung ... 60, 104, 120, 148, 162, 192, 194, 247 Heerführer .................... 38n, 43, 46, 60, 105, 117, 121, 148-150, 152n, 155, 158n, 160-165, 168, 179-180, 183, 186-187, 193, 196n, 198, 229, 233, 324-325

375 Hekabe ........ 27, 214, 223, 228, 233 Hekamede ............................... 64n Hektor ........................... 8n, 11-13, 15, 18-19, 27, 44, 46, 53, 66n, 70, 80-82, 86n, 89-91, 95, 98n, 104-105, 109n, 114, 118n, 125, 129-130, 133-135, 138-139, 141142, 147, 151, 158n, 162, 169172, 178-179, 182, 184-187, 191, 193, 200-208, 211, 213234, 236-240, 243, 254, 335 Heldenbegräbnis ......... 138, 233 siehe auch Bestattung Heldendichtung .......... 4-5, 9, 11n, 20n, 34n, 56n, 78n, 81n, 101n, 103, 114n, 142-144, 147, 169, 234-235, 238-239, 241, 302, 330-331, 335 Heldenmut ................... 86, 88, 9091, 95, 211n Heldentat...................... 10, 102103, 118n, 139, 144, 169, 242243, 267, 280, 299, 320 Heldentod .................... 31n, 136n, 139n, 141, 222, 238-239, 323, 325-326 Heldentum ................... 13-14, 96, 141, 157n, 217, 234-235, 239, 241, 248n, 254, 266, 300, 321n, 324, 334 Helena........................... 16, 27, 45n, 108, 119, 121n, 140n, 143, 172, 233, 250, 326 Helenas ............................ 54n, 155 Helenos ........................... 14, 36, 53 Helios ................ 261-262, 271, 328 Hephaistos ................. 70, 201, 212 Hera .............................. 29, 126, 205, 212, 222n, 226-227, 285 Herakles ....................... 14-15, 20n, 34n, 68n, 137, 212, 302, 326 Heroenkult ................... 22-23, 138n, 142-143, 334n

376

Heroenpluralismus .................. 8n Hierarchie ..................... 28, 37, 39, 50, 123-124, 126, 128, 145, 160, 192, 232 Hikesie .......................... 106-110, 114, 174, 207-208, 210, 215, 219, 225-226, 229-231, 265, 275, 310 siehe auch Schlachtfeldhikesie Hinterhalt ..................... 45, 96-98, 140n, 250, 301, 336 siehe auch λόχος Hippodamas............................ 206 Hippolochos ................. 32, 50, 83, 106, 108, 114 Hippothoos............................ 236n Historizität ................... 24-25, 74n Hyperenor ............................... 112 Hypsenor .................... 86, 112-113

I Ialmenos .................................... 28 Idomeneus .................... 14, 28, 3638, 43, 58, 87n, 92n, 103, 105, 112-113, 136, 195, 197, 285, 290n, 327n Ilioneus .............................. 83, 114 Ilios ........................................... 209 Imbrios ..................................... 113 Individualismus........... 105n, 145, 263, 318 Ino-Leukothea .................. 273-274 Iphidamas ...... 71, 112n, 114, 164n Iphition .................................... 206 Iphitos ...................................... 302 Iris .............................. 114, 226-227 Iros ........................... 292-295, 300n Isos...................... 44, 81, 108, 206n

J Jagd................................ 56, 117, 121n, 192n, 251n, 298

Index

K Kadmos.......................................16 Kalchas ...........148, 150, 153n, 157 Kalypso ......................... 243, 257, 261, 271-274, 276, 328-329 Kampfkraft ................... 18, 27, 38, 44-46, 53-54, 61, 66, 70, 74, 8889, 97, 100, 102-104, 108, 111, 116, 120, 122, 124, 126, 145n, 153-154, 157, 159n, 166-167, 170-171, 182, 186, 200-201, 203-204, 206-208, 211, 214-215, 217, 223-225, 239-240, 250, 254, 275, 278, 308-309, 319, 321, 330n, 333-335 Kampfrausch ............. 95, 203, 212 Kampfverweigerung .. 129-130, 154, 169, 177, 200, 234, 248 Kastor..................... 137n, 289, 326 Kebriones ..................... 14, 44, 83, 114, 201, 206n, 222 Kikonen .................... 255, 257-259 Kinyras ...............................70, 125 Kirke ............................. 258-259, 262, 270-274, 276, 323, 328 Kleobulos .................................108 Kleopatre .......................... 177, 182 Klytaimnestra ............... 315n, 324 König ............................ 32, 34n, 36, 38n, 40, 43, 87n, 104, 118n, 124-125, 153n, 155-156, 159, 165, 175, 225, 234, 246, 260, 275, 288, 323 siehe auch βασιλεύς Königsmahl .................. 118, 124125, 191-193 Königsrat ....................................61 Kopreus ................................... 20n Kriegeradel................... 35, 50n, 59, 70, 252, 300n Kriegeraristokratie ..... 31n, 41, 64

377

L Kriegsvolk .................... 18, 34, 4041, 51, 75, 80, 121n, 148, 154, 186, 208 Kteatos ..................................... 72n Ktesippos .................. 295-297, 309 Kultheros ......................... 23, 143n Kyklop........................... 259, 262, 264-271, 296n, 301n, 313

L Laistrygonen ............ 260-261, 271 Laodamas ............... 276n, 278-279 Laogonos ................................. 207 Laomedon .................................. 14 Leichenspiele ................ 57-59, 121n, 142, 159, 194-195, 279n, 293, 333n Leiodes ..................................... 310 Leiokritos ................................. 309 Leitos .......................................... 14 Leuke ...................................... 200n Leukos ...................................... 113 Löwengleichnis ............ 54n, 80, 88-89, 203-204, 231, 256, 274275, 301, 311-312 Lykaon .....106-108, 207-210, 310n

M Machaon .......................... 14, 182n Mannestötung .............. 80, 85 siehe auch Androktasie Männlichkeit ................ 26-28, 151, 181, 251 Männlichkeitsideologie ... 27, 215 Märchenheld ................... 263, 271 Märchenmotiv........ 276n, 301-302 Märchenwelt ................ 270, 274, 282-283, 285, 313, 324 Medon ...................... 12n, 311, 319 Mekisteus................................. 113 Melanthios .................... 294-296, 307-308, 312-313, 330 Melantho.................................. 294

Meleagros ..................... 118n, 130, 177-178, 182-183 Menelaos ...................... 8n, 14, 37-38, 58-59, 65, 71, 81, 93, 108-110, 112, 119, 133, 137n, 155, 159-160, 205, 237, 242, 244, 248-250, 252-253, 265, 325-326, 331 Menestheus ....................... 43, 75n Mentes .............................. 244, 246 Mentor ......................................308 Meriones ....................... 14, 40n, 68, 80, 92n, 105, 196-198, 290n Metronymikon ...........................43 Mitleid .......................... 106, 111112, 154n, 170, 181, 210n, 219, 225n, 230-231, 316 Monomachie ......................81, 214

N Nahkampf .................... 66-68, 79, 97, 302, 308 Nausikaa .......... 256, 274-276, 280 Nekyia ...................... 272, 322, 332 Neoanalyse..................... 4-6, 236n Neoptolemos.................... 320, 327 Nestor ........................... 8n, 17n, 20n, 36-38, 54-55, 59-61, 63-64, 70-71, 75n, 105, 117, 121, 127n, 133, 136, 142, 155, 158-160, 162-163, 166, 168-169, 181-182, 195-196, 242, 244, 248-249, 251n, 253, 316, 320, 331 Niobe ................................ 191, 232 Nireus .........................................18 Noemon ................................... 12n

O Odysseus ...................... 7-9, 14, 19, 34, 37-38, 43n, 61-62, 75n, 90-92, 94n, 96-97, 108, 112-113, 122n, 128-130, 156n, 159n, 167n, 169-171, 175n, 177, 179-

378

181, 189-192, 203n, 218, 224, 241-247, 250-336 Ogygia............... 273-274, 276, 328 Oidipus .............................. 16, 57n Oineus ...................................... 177 Okeanos ..................................... 16 Orestes ........... 12n, 165, 245n, 303 Orsilochos ................................ 285 Othryoneus.............................. 164 Otrynteus ................................. 206

P Pandaros ..........71-73, 93-94, 110n Panhoplie ................................... 74 Papponymikon ....................... 42n Paris ............................... 11n, 1314, 18, 39, 65-66, 81, 91, 93-94, 97, 109, 119, 129-130, 220, 236237 Patriarchat ....................... 26n, 50n Patroklos ....................... 12, 14, 40, 50, 54, 57-59, 64-65, 69, 72n, 83, 86-87, 90n, 95n, 104, 113114, 121n, 133, 138n, 142, 154n, 159, 179, 181-187, 193194, 200-204, 206-209, 215-216, 218-222, 224-226, 230-232, 234, 236-239, 279n, 293, 325, 333n Patronymikon .............. 39, 42-43, 64n, 80, 98n, 117n, 156, 281, 289, 308 Peiroos ............................... 14, 207 Peisandros ....... 12n, 106, 108, 205 Peisenor ................................. 289n Peisistratos............................. 249n Pelegon .................................... 210 Peleus ............................ 18, 40, 42n, 50, 53n, 70, 129n, 165, 169, 174-176, 180, 185, 197, 200n, 202n, 230, 236, 317n, 327 Pelion ....................... 184, 202, 210 Peneleos ............................. 83, 114 Penelope ....................... 26n, 245246, 252, 272-273, 280n, 283-

Index

285, 291, 299-300, 302-303, 305-306, 314-315, 317-318, 329, 331n Penthesilea .................................26 Periphas ......................................19 Periphetes ................................ 20n Peteos ..................................43, 128 Phaiaken ....................... 242, 256257, 261, 272, 274-283, 285286, 290n, 300n, 331, 333 Phalanx .............................. 52n, 77 Phemios ............................ 242, 311 Philetor .....................................207 Philoitios....................... 288-289, 292n, 307-309 Philoktetes ............................. 302n Phoinix.......................... 40, 47n, 53, 130, 165, 169, 175-180, 182183 Phthia ............................ 154, 165, 172, 175-176, 178-179 Polydamas .................. 53, 103, 215 Polydeukes .................... 137n, 326 Polydoros ................... 46, 206-207 Polyphemos ..................... 265-271 Poseidon ....................... 36n, 126, 203, 205, 211, 243, 248, 262, 269, 283, 286, 329n Priamos ......................... 26n, 29, 39, 43-46, 108, 129-130, 164, 204, 206-210, 214, 223, 225-233 Proitos .........................................45 Proklos ................... 6n, 236n, 325n Pylos.............................. 165, 175, 244, 247-249, 316

R Rache............................. 92, 103n, 108-115, 121n, 184-186, 191193, 201-204, 206-207, 209, 215, 217, 219-220, 222, 224, 226, 228, 230-231, 233-234, 238, 247, 261-262, 266-269, 283, 287, 291, 294, 300n, 303-

379

S 304, 306, 309-310, 312, 319, 321, 331 siehe auch Vergeltung Rachezorn ..................... 111-113, 128, 187, 200, 210n, 221, 237 reciprocity ..................... 9n, 54n, 98-99, 112n, 116, 151-152, 190n Rekompensation .......... 107n, 109, 111, 115, 148-149, 153, 169, 174, 176, 189n, 227, 231, 306, 310 Respekt ......................... 13, 100, 106, 108, 116, 130, 132, 135, 148, 159-160, 305 Ruhm............................. 32-33, 51, 78, 81, 84, 88, 91n, 102-103, 116, 132-135, 138-144, 146, 170, 174, 184, 201, 209, 213, 234, 238-240, 243, 245, 255n, 265n, 269, 273-274, 276, 278, 281, 312, 315n, 322, 324-326, 328-332, 334, 336 siehe auch κλέος Rüstung......................... 57n, 6566, 68-71, 73-74, 77, 83, 95-97, 103-105, 108, 113, 121n, 126, 182, 186, 200-203, 211, 213, 215, 218-220, 225-226, 236-237, 270, 294, 307-308 Rüstungsszene ............. 64-65, 70, 87, 184, 201-202, 270, 288n, 291n

S Sarpedon ....................... 11n, 28, 31-33, 35, 65, 86n, 90n, 94, 98, 104, 116-118, 130, 133n, 137138, 145n, 184, 213n, 219-220, 226 Schlachtfeldhikesie ...... 106, 108, 110-111, 135n, 149n, 215, 219, 225, 275n, 306, 310 siehe auch Hikesie Schlachtparänese ...... 18n, 27, 308

shame-culture .............. 131-132, 134, 189n, 215 Simoeis......................................212 Simoeisios...........................81, 206 Skylla ........................ 259, 270, 313 Spolien .......................... 76, 104105, 113, 120, 126, 195, 200n, 206 Sthenelos ................... 14, 94, 154n Streitwagen .................. 71-73, 79, 91, 104n, 208, 221, 248n

T Talthybios.................................191 Teichoskopie ..............................12 Teiresias ........................ 262, 301, 324, 328-329 Telamon ......................................44 Telemachie ................... 241, 244, 248n, 253-255, 282 Telemachos .................. 43n, 47n, 243-253, 285n, 289, 291-293, 297, 300, 303-304, 307-309, 311, 313, 319-320, 331 Telepylos ..................................260 Teukros ......................... 7n, 14, 43-44, 68, 94, 124, 203n, 206n Thalysios ....................................82 Thebe ........................ 107, 143, 225 Theben .......................... 16, 23, 5758, 122, 138, 154n Theoklymenos ......... 301-302, 319 Thersites ....................... 19-20, 34, 42n, 92, 94n, 130n, 153n, 159n, 161, 258, 300n Theseus .................................... 12n Thestor ........................................83 Thetis ............................ 28, 110n, 161, 174, 199, 201n, 204, 226227, 229n, 325n Thoas...................................14, 290 Thrinakia ..... 259n, 261, 263n, 270 Tiryns ....................................... 34n Tlepolemos ........................ 12n, 94

380

Tötungskatalog ............ 80-81, 84, 87n, 211, 308-309 Troia .............................. 4, 11-12, 16, 23, 34, 37-39, 46, 76n, 90, 94, 104, 109, 119, 152-155, 157n, 165-166, 174, 178, 180, 185, 204, 208, 213, 215, 220221, 223, 226-228, 231, 233, 235-236, 242, 245, 247-250, 255, 257-258, 265, 270-271, 274, 277, 279-282, 284-286, 290, 300, 302-303, 317, 324327, 330-332, 334

U Überlegenheitsanspruch 147, 157-158, 170, 172, 178 Unsterblichkeit ............. 29, 92n, 140-141, 143-144, 200n, 212, 239, 273, 329 Unterwelt ...................... 112, 272, 286, 322-323, 325, 328-329

V Vergänglichkeit......... 92, 142, 144 Vergeltung .................... 63, 103, 109-115, 148, 220n, 228, 304, 318-319 Verhaltenskodex .......... 30, 65, 100, 133, 148, 161, 173, 179180, 202-203, 219, 223, 239-240 Verletzung .................... 85-86, 9095, 109, 111, 127, 129, 151, 160, 164n, 173n, 188n, 200, 211, 213n, 223n, 237, 268, 291n, 301-302, 308, 310, 316, 318 siehe auch Verwundung Verstümmelung ........... 113-115, 207n, 223, 226, 313 Verwundung ................ 56, 71, 76, 80, 83, 85-87, 90-96, 181, 210214, 219, 223-224, 237, 298, 309n siehe auch Verletzung

Index

Vorkämpfer .................. 68, 74n, 76, 79-80, 82, 138n, 206, 327 siehe auch πρόμαχος

W Wagenkämpfer 71-72, 79, 83, 185 Wagenlenker ................ 40n, 44, 71-72, 79, 83, 94, 185, 195, 202n Wettkampfdenken ...... 49n, 199 siehe auch Agonalität Wettstreit ...................... 49, 55n, 64, 117, 131, 136, 197, 295, 327n siehe auch Agonalität Wolfswut ...................... 95 siehe auch Kampfrausch

X Xanthos ....................... 32, 208, 211

Z Zeitalter, heroisches .... 5, 10, 16, 20-24, 33, 73-74 Zepter ........................... 37n, 45n, 92, 94n, 156-158, 247 Zethos ...................................... 12n Zeus............................... 16, 28-29, 36-37, 94, 110n, 126-129, 137, 139, 145n, 156, 161-162, 174176, 178, 184-185, 188-189, 193, 199, 204, 211, 213, 216, 221-222, 224, 227-230, 232n, 240n, 243, 261-262, 265, 268, 283, 290, 310-311, 321, 326 Zorn .............................. 50, 59n, 91, 96, 111-113, 127-129, 147148, 151-153, 164n, 167, 175177, 179, 181n, 185-187, 192, 196, 200, 210, 219-221, 225227, 233-234, 238, 243, 247, 256, 258, 262, 268-269, 273n, 278, 283, 286, 288, 295, 298, 305-306, 310-311, 314, 323

381

Α Zweikampf ................... 12-13, 53, 57n, 64-65, 81, 87, 93, 98n, 109n, 118n, 125, 139n, 142, 162, 213, 215-217, 222, 240, 280n, 294

Α ἀγαθός ........... 42, 48-49, 132n, 232 ἀγηνορίη ............. 28, 89n, 180-181 αἰδώς ............................. 70n, 131135, 152, 160, 179-180, 213, 251 ἀλκή ............................... 71, 89, 145n, 157, 210-211, 213n, 319 ἄναξ ............................... 36, 156, 180, 190, 197, 277, 324 ἀνδροκτασίη...................... 80n, 85 ἄποινα ........................... 107, 110111, 115, 148-149, 153n, 166167, 179, 189, 209, 219, 230, 234, 306 ἀρετή ............................. 26, 28n, 47, 50, 53, 64, 80-81, 91, 96n, 105, 119, 121n, 143, 145, 195, 198, 222, 235, 249-250, 252n, 257n, 278, 280, 282-283, 286288, 293, 313, 320 ἀριστεύς ................................10, 50 ἄριστος .......................... 10, 48, 50, 53, 81, 87, 97, 124, 145n, 157, 160, 162n, 173, 181, 183, 192, 194, 196-197, 199, 205, 222223, 225, 234, 242, 252-253, 264, 277, 279n, 313, 318-319 ἀτασθαλίη ......... 133, 262, 312, 329 ἄτη ........ 149n, 162, 176, 188, 260n

Β βασιλεύς ........................ 31, 33-41, 47n, 49n, 51, 72, 128, 155, 158159, 185, 245-247, 252, 259n, 274, 280, 288n, 321 βίη.................................. 52, 59-60, 98, 111n, 133, 159n, 218, 224, 254, 264, 266-267, 277, 302n, 322, 327 βουλή .................. 59-60, 268, 327n

382

Index

Γ γέρας ............................. 117, 120121, 125, 138, 149-152, 160, 172, 188, 222, 229-230, 246n, 290, 296, 327

Δ δασμός .............................. 120, 152 δῆμος ............................ 34, 51, 318 δόλος ............................. 60, 98, 250, 254, 263-264, 266-267, 281, 286n, 298, 301, 314, 327, 331, 333

Ε ἐσθλός ............................ 14n, 31, 48, 82, 88, 171, 244, 297, 327 ἑταῖρος........................... 39-40, 72n, 76, 217, 257, 260, 263-264, 267, 288 εὐβουλία ................................ 60-64

Η ἡμίθεοι ............................. 15, 21-22 ἠνορέη ................................... 27-28 ἥρως ............................... 10-11, 1416, 18-24, 26, 28-29, 33, 35n, 143, 196, 210, 244n, 279, 316, 320

Θ θεράπων ........................ 39-40, 72, 76, 94, 105, 165, 182, 185, 189190, 196, 200, 229, 231

Ι ἴστωρ................................... 62, 195 ἰχώρ .......................................... 92n

Κ κλέος .............................. 32, 35n, 70n, 81, 88, 93n, 103n, 133-134, 140-144, 146, 158n, 161n, 169170, 174, 190, 201, 218, 222,

234-235, 238-239, 242, 244-245, 249, 265n, 278, 281, 315, 324332, 336

Λ λαός ............................... 28n, 34n, 40-41, 133, 189, 233, 259n λόχος ............................. 96-98, 250, 254-255, 264, 279n, 285, 290-291, 298, 301-302, 327, 331, 336 siehe auch Hinterhalt λύσσα ..................................95, 212

Μ μένος ............................. 51, 79n, 87-88, 95, 203, 219, 288n μῆνις......... 9n, 128, 130, 147, 154n μῆτις .............................. 59-62, 98, 111n, 159n, 250-251, 254, 263264, 266-268, 277, 281n, 286, 288n, 301-302, 314, 322, 327, 332-333

Ν νέμεσις .............................. 134-135 νόθος ..................................... 43-44 νόστος ........................... 174, 263, 274, 314n, 317n, 325-332

Ο οἶκος .............................. 36n, 3839, 128, 245-246, 304-305, 314 ὀπάων .................................... 39-40

Π ποινή ............................. 110-111, 113, 115, 148-149, 153n, 166, 170, 179, 187, 189, 208, 230, 234, 280, 306 πόλεμος ......................... 15, 27, 31, 74-75, 96, 141, 152, 189, 233, 243, 254, 290, 301-302, 329 πρόμαχος .......... 76-80, 82, 96, 129

Τ πρόμος ........................................ 76

Τ τιμή ................................ 32, 35n, 51-52, 55n, 79n, 88n, 91n, 99104, 110-111, 114-117, 119, 121-123, 127-135, 138-140, 142143, 145-146, 148-153, 158-161, 164n, 167-168, 170-171, 173, 178, 180, 183, 186, 190, 195196, 199, 203n, 214n, 221-222, 227n, 229-230, 239, 246, 255, 280, 282, 284-285, 305, 315, 318, 325-326, 332, 336

Φ φιλότης .......................... 91n, 124n, 135, 151, 154, 169, 179180, 225n

Χ χόλος.............................. 111, 127129, 153, 167, 170, 187

383

Zielsetzung dieses Buches ist es, auf der Grundlage der spezifischen Entstehungsgeschichte zunächst eine normative Form des homerischen Helden als objektive Interpretationsbasis für die Epen Homers zu erstellen und anschließend auf die Gedichte anzuwenden. Die Arbeit ist die erste systematische Darstellung des homerischen Heldenkonzeptes und ermöglicht es auf diese Weise, zahlreiche subjektive Beobachtungen zu den Epen in einen größeren Kontext einzuordnen und zu objektivieren. Darüber hinaus kann die überwiegend deskriptiv gehaltene Darstellung des homerischen Heldenkonzeptes auch für die Interpretation von Heldenfiguren in späterer epischer Literatur und weiteren Gattungen, die sich auf Homer zurückbeziehen (so etwa die klassische griechische Tragödie), Anwendung finden.