Inszeniertes Lesevergnügen: Das inschriftliche Epigramm und seine Rezeption bei Kallimachos 3515086609, 9783515086608, 9783515102360

Griechische Denkmalepigramme oder Versinschriften sind die älteste Literatur des Abendlandes, die zu Lesern spricht. Ihr

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Inszeniertes Lesevergnügen: Das inschriftliche Epigramm und seine Rezeption bei Kallimachos
 3515086609, 9783515086608, 9783515102360

Table of contents :
Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik. Methodische und terminologische Grundlagen - Das griechische Epigramm und seine Leser von der Archaik bis zum Hellenismus - Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos - Epigrammatische Sprecherrollen in den elegischen und jambischen Gedichten des Kallimachos.

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Doris Meyer Inszeniertes Lesevergnügen

HERMES Zeitschrift für klassische Philologie Einzelschriften

HERAUSGEGEBEN VON

Siegmar Döpp Karl-Joachim Hölkeskamp Wolfgang Kullmann

Heft 93

Doris Meyer

Inszeniertes Lesevergnügen Das inschriftliche Epigramm und seine Rezeption bei Kallimachos

N

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2005

HERMES-EINZELSCHRIFTEN (ISSN 0341-0064) Redaktion: Prof. Dr. SircMan Dörr, Universität Göttingen, Seminar für Klassische Philologie, Humboldtallee 19, D-37073 Göttingen (verantwortlich für Latinistik) Prof. Dr. Karı-JoacHım HoLKESKAMP, Universität Köln, Institut für Altertumskunde/Alte Geschichte, D-50923 Köln

(verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. WotrGcANcG Kunımann, Bayernstr. 6, D-79100 Freiburg (verantwortlich für Gräzistik) Erscheinungsweise: Jährlich 3-6 Bände verschiedenen Umfanges Bezugsbedingungen: Bestellung zur Fortsetzung möglich. Preise der Bände nach Umfang. Eine Fortsetzungsbestellung gilt, falls nicht befristet, bis auf Widerruf. Kündigung jederzeit möglich. Verlag: Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Birkenwaldstr. 44, D-70191 Stuttgart, Postfach 101061, D-70009 Stuttgart Die Herausgeber bitten, Manuskripte an die oben genannten Redaktionsadressen zu senden. Erwünscht sind für alle Manuskripte Schreibmaschinenblätter mit einseitiger Beschriftung (links 4 cm freier Rand erforderlich). Der Redaktion angebotene Manuskripte dürfen nicht bereits veróffentlicht sein oder gleichzeitig veröffentlicht werden; Wiederabdrucke erfordern die Zustimmung des Verlages. Textverarbeitung: Der Verlag begrüßt es, wenn möglichst viele Manuskripte über PC realisiert werden können. Nähere Auskünfte auf Anforderung

D25

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-515-08660-9

69 ISO 9706

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Ubersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen.

Gedruckt auf sáurefreiem, alterungsbestándigem Papier. © 2005 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Druck: Printservice Decker & Bokor, München Printed in Germany

Meinen Eltern

VORWORT Die vorliegende Monographie ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, mit der ich im Frühjahr 1995 vom Gemeinsamen Ausschuß der Philosophischen Fakultäten an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau promoviert wurde. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Wolfgang Kullmann, der

nicht nur mein Interesse für die hellenistische Dichtung weckte, sondern auch die Entstehung dieser Arbeit kritisch begleitete und beharrlich vorantrieb. Vielfältig profitiert habe ich auch von den anregenden Hinweisen der beiden weiteren Gutachter, Prof. Dr. Eckard Lefevre und Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke. Der erste hat mich stets an den 'epigrammatischen' Diskussionen des Freiburger

latinistischen Seminars teilnehmen lassen, dem zweiten verdanke ich nicht nur eine gründliche Einführung in das Gebiet der hellenistischen Geschichte, sondern auch eine wesentliche Erweiterung meiner epigraphischen Kenntnisse. Prof. Dr. Luca Giuliani gab mir in archäologischen Seminaren und Vorträgen zum Thema der ‘Sprache’ von Bildern und Worten wichtige Impulse. Er hat auch

die ersten Kapitel der vorläufigen Fassung dieser Arbeit durchgesehen. Prof. Dr. Wolfgang Raible und Prof. Dr. Wolfgang Kullmann stellten mir mit dem Freiburger Sonderforschungsbereich “Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit' (SFB 321) ein interdisziplináres Forum zur Verfügung, in dem ich meine Überlegungen vorstellen konnte.

Seit 1992 durfte ich an den ‘Groningen workshops on Hellenistic Poetry’ teilnehmen. Für mannigfaltige Diskussionen und Anregungen bin ich sámtlichen Partizipienten, vor allem aber Prof. Dr. Peter Bing, Prof. Dr. Claude Calame, Prof. Dr. Therese Fuhrer, Prof. Dr. Kathryn Gutzwiller, Prof. Dr. Annette Harder, Prof. Dr.

Richard Hunter und Priv.-Doz. Dr. Karl-Heinz Stanzel zu großem Dank verpflichtet. Prof. Dr. Marco Fantuzzi hat mir freundlicherweise sein noch unveröffentliches

Manuskript über die Rezeption des inschriftlichen Epigramms bei den hellenistischen Epigrammatikern überlassen. In Freiburg halfen mir Prof. Dr. Jochen Althoff, Dr. Markus Asper, Dr. MarieLuise DeiBmann-Merten, Daniel Löffler, Johannes Senger-Bastian, Prof. Dr. Gre-

gor Weber und Stephan Zierlein in entgegenkommender Weise. Den Herausgebern der “Hermes Einzelschriften’ danke ich für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe sowie für etliche Anregungen und Korrekturen. Alle noch verbliebenen Unzulänglichkeiten sind allein mir anzulasten. Allergrößten Dank aber schulde ich meinem Mann, Prof. Dr. Eckhard Wirbelauer, der mir mit Rat und Tat, vor allem aber mit unerschöpflicher Geduld zur

Seite stand. Straßburg, im Sommer 2004

Doris Meyer

INHALT

Einleitung: Griechisches Epıgramm und Rezeptionsästhetik. Methodische und terminologische Grundlagen .......................................... ]

A. Das griechische Epigramm und seine Leser von der Archaik bis zum Hellenismus ................................................. 25

l. Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur... 25 1.1. Traditionen der Mündlichkeit ............................................eenen- 25 1.2. Definitionen. 1... eme eene nene 27 1.3. Das Epigramm und seine Leser: Ein Überblick

..................................... 33

1.4. Das Lesen von Inschriften und Epigrammen in der Sicht der griechischen Literatur ........... ΝΕ

ΕΞ

38

1.5. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den ältesten griechischen Epigrammen ..........................................0.0... 47 1.6. Zusammenfassung... Hmm nene 5] 2. Die Appellstruktur der Epigramme ...........Ψννννννννν ιν ννονενμενενννννννννννννννενενενννεννννν 53

2.1. Μνήμη, κλέος und die Zeigerfunktion des griechischen Grabepigramms.53 2.2. Bezugnahmen auf die Szenerie der Rezeption ........................................- 56 2.2.1. Präsentation des Denkmals .................................. een 58 2.2.2. Deiktischer Verweis auf die Topographie ..................................... 59 2.3. Emotionale und moralische Appelle ............................sssssssssss 63 2.4. Appelle durch konkrete Handlungsanweisungen an den Leser ................. 65

2.5. Formen des Verweisens auf die Aktanten im epigrammatischen Sprechakt ................................. 68

3. Besonderheiten fiktiver Sprecherrollen im Epigramm ...................................... 77 3.1. Der “anonyme Trauernde'...........sssssssssssssesee 77 3.2. Dialoge .............................

nennen

83

4. Das inschriftliche Epigramm und seine Leser im 5. und 4. Jh........................... 89 5. Steinepigramm und Buchepigramm .................... BMNMNMNMMNNMNNNNNMMMMMMMMMMMMMMM 96 5.1. Die Entstehung des Buchepigramms ..................................eeennn 96

X

Inhaltsverzeichnis

5.2. Sprecherrollen und verba dicendi im inschriftlichen Epigramm des 4. und 3. Jh....................................... 6. Das literarische Epigramm des Hellenismus ......................2....2..22.2..0000000...> 6.1. Bildungsstolz und Inschriftenknritik |... sss NNNM 6.2. Der Akt des Lesens ................sssssssssss Rees 6.2.1. Inschriften ............sssssssssssssse meme

101 107 110 115 115

6.2.2. ΒιιοΠοριρΓΑΠΊΠΊΘ...........νννννννν νιν νυ νννεννννννννενανενννννννγννενενενμννεννενννννον 117 6.3. Spiel mit der Lesererwartung im hellenistischen Autorenepigramm

...... 124

B. Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos ................................. 127 l. Einleitung: Epigrammbücher und Buchepigramme

...................................... 127

1.1. Das Epigrammbuch des Kallimachos ..............................................0.: 128 1.2. Die Epigramme des Kallimachos in der Forschung ............................... 130 1.2.1. Steine, Bücher, Symposien .............................eeennn 1.2.2. Epigramme für Hörer und Leser .......................... een. 2. Gegenstände und Sprecherrollen ......................... sss 2.1. Gliederung des epigrammatischen Werks ................................eo 2.2. Tabellarische Übersichten zu den Epigrammen des Kallimachos ......... .. 3. Die Inszenierung des Sprechakts in den Epigrammen des Kallımachos ........ 3.1. ‘Bericht? ..................uecsessenensennensenennneennennnenneene nennen een 3.2. Anrede an den Passanten in Grabepigrammen ...................eene: 3.3. Anrede an den Betrachter in Weihepigrammen .......... HERR 3.4. Monologische Ich-Rede von Gegenständen und Grabinhabern ............. 3.5. Monologische Rede des Lesers .............................enneeen 3.6. Dialoge |... eme eem eem emen eee ee nene ned 3.7. Die persona des Dichters .........ssssssssssss Ree 4. Zusammenfassung |... eere ne eee re eats

130 138 144 144 148 159 159 170 18] 185 200 206 217 222

C. Epigrammatische Sprecherrollen in den elegischen und jambischen Gedichten des Kallimachos ............... 225 |. Epigrammatische Sprecherrollen in den elegischen Gedichten ...................... 225 1.1. Rede aus der Unterwelt? (Fr. 64) ..............sssssssss mm 226 1.2. Dialoge mit Statuen (Fr. 114, 1-9, Fr. 7, 9-14)... 229 1.3. Monologische Anrede an ein Gótterbild (F7. 100, Fr. 103)................... 23] 1.4. Inschriftliche Liebesbotschaften (Fr. 67, Dieg. Z, Aristainetos 1, 10) ... 233

Inhaltsverzeichnis

ΧΙ

1.5. Monologische Ich-Rede von Gegenständen (Fr. 110, Fr. 97) ............... 235 1.6. Epigrammatische Sprechakte in Siegesliedern (Fr. 384, 44-52, SH 254, 1-4) sss 238 1.7. Anrede an das Publikum (Fr. 57, 1£. = SH 264, 1£) ........................... 241

2. Epigrammatische Sprecherrollen in den Jamben ......................--.-...... 00. 244 2.1. Rede aus der Unterwelt? (Fr. 191, Fr. 201) sess 247 2.2. Sprechende Gegenstände (Fr. 191, 76f., Fr. 197, Fr. 194, Fr. 192) ...... 250 2.3. Anrede an Gegenstände und Personen (Fr. 199, Fr. 195, Fr. 196) ........ 254

3. Zusammenfassung... erre renes

259

Literaturverzeichnis ..........ὌἍἁνννονννονννν νννονννννν γε νενννννενενννεννον εν μενενενεννεννννννενεννενννέννννον 265

l. Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare und Hilfsmittel ........................ 265 2. Sekundärliteratur ...................ssssssssssssse een 269 Register .......ἁννννννννννννννννννννννννννννενννννννννενενννανενενενενενενενενννννννενννννννν να nennen 301 l. Antike Autoren .........Ἅὅ.ὅννννννννννν νον ννν μεν νονενενενν εν

eH

Irene

rne ne nenas 30]

2. Inschriften und Papyri ............. sss eene 313 UB TU CMMMMEMMMEEMMEEEEMMEEEEMEEMMMMMMMMMMMMM 318

EINLEITUNG GRIECHISCHES EPIGRAMM UND REZEPTIONSÄSTHETIK. METHODISCHE UND TERMINOLOGISCHE GRUNDLAGEN Schon eine Menge Leute für eine einzige Erzählung. *

Die Untersuchung des griechischen Epigramms als einer Literatur für Leser folgt einem Hinweis, den der alexandrinische Philologe und Dichter Kallimachos durch eines seiner verblüffendsten poetischen Experimente selbst gegeben hat. [n einer Weihinschrift für einen bronzenen Hahn läßt er den textinternen Sprecher des Gedichts, den Hahn, in eigener Person verkünden, er sei im Grunde gar nicht der Sender der hier zu vermittelnden Botschaft: Für den Inhalt der Inschrift sei in Wirklichkeit der Stifter des Weihgeschenks verantwortlich, denn er, ein bronzener

Hahn, ,weif ja selbst nichts" (Ep. 56 PFEIFFER). Diese Thematisierung eines Sprechakts innerhalb ebendieses Sprechakts läßt den Leser des Epigramms einigermaßen verwirrt zurück. Welche Aussage wird hier überhaupt gemacht? Wozu wird Selbstverständliches — daß in einer griechischen Inschrift der beschriftete Ge-

genstand in der 1. Person sprechen kann — zum Thema gemacht? Es handelt sich offensichtlich um nichts anderes als um die bewußte Aufkündigung eines Konsenses zwischen dem Epigrammautor und seinem Leser, der aufgrund seiner Erfahrung fiktive Elemente in einem Text als solche wahrnimmt und auch ohne expliziten Verweis ‘richtig’ versteht.! Daß der Gegenstand einer Weihinschrift behauptet: „X ... hat mich aufgestellt", hätte dieser Leser ohne weiteres Nachdenken zur Kenntnis genommen, denn 'sprechende' Gegenstánde gehóren seit langem zum

Repertoire der Gattung.” Dieselbe Wirkung — Überraschung, Verwirrung und viel*

6. GENETTE zur Fülle des erzähltheoretischen ‘Personals’, das er in Kapitel 19 ("Implizierter Autor? Implizierter Leser?') seines Nouveau discours du récit, Paris 1983, diskutiert, hier und im folgenden zitiert nach der deutschen Ausgabe (G. GENETTE, Die Erzählung, übersetzt von A. KNOP, mit einem Vorwort herausgegeben von J. VOGT, München 1994). die

auch GENETTES frühere Abhandlung (Discours du récit. Essai de méthode, in: DERS., Figures

]

III, Paris 1972, S. 65-273) enthält. Das Zitat findet sich auf S. 285 (= Nouveau discours, S. 96: „... ce qui commence à faire beaucoup de monde pour un seul récit."). Vgl hierzu K. STIERLE, Was heißt Rezeption bei fiktionalen Texten?, Poetica 7, 1975, S. 345-387, bes. 356ff. und S. GRoss, Lesezeichen. Kognition, Medium und Materialität im

Leseprozeß, Darmstadt 1994, S. 22f. (“Lesen als Vertrag’). 2

Einen guten Überblick

über die in griechischen

Steinepigrammen

verwendeten

Formen

fiktiver Sprechakte, mit deren Hilfe dem Leser eine Information vermittelt werden soll. bietet die Typologie bei ἮΝ. PEEK, Griechische Versinschriften I (GV), Berlin

1955, S. XIX-

XXII, die sich allerdings nur auf metrische Grabinschriften bezicht. Eine vergleichbare Typologie dedikatorischer Inschriften der archaischen Zeit bietet M. L. LAZZARINI, Le formule

delle dediche votive nella Grecia arcaica, Atti della Accademia Nazionale dei Lincei. Serie ottava. Memorie. Classe di Scienze morali, storiche e filologiche 19, 1976, S. 47-354, bes. 351-354. Zum 'sprechenden' Gegenstand vgl. PEEK, GV 1171-1208 (Gruppe B Denkmäler: Besondere Formen der Ich-Rede"); LAZZARINI S. 74f.

III: „Private

2

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

leicht Amüsement - erzielt das Epigramm des Kallimachos auch noch bei heutigen Lesern, besonders wenn sie mit den poetischen Traditionen der Versinschrift ein wenig vertraut sind. Umgekehrt versteht es sich aber auch, daß ein solches Spiel mit den kommunikativen Strukturen eines inschriftlichen Textes ein hohes Maß an literaturgeschichtlicher Kenntnis und Reflexion von Seiten des hellenistischen Epigrammautors voraussetzt. Bekanntlich ist die Vertrautheit mit den Gattungen der griechi-

schen Poesie wie auch die Demonstration von Gelehrsamkeit in den eigenen Werken ein hervorstechendes Merkmal der frühhellenistischen Dichtung, insbesondere aber derjenigen des Kallimachos. Zu Recht wird daher in der Literaturgeschichte des Hellenismus gerade das enge Verhältnis der kallimacheischen Epigramme zur

literarischen Vorgeschichte der Gattung betont: „Callimachus’ Epigrams are strongly connected with the brief tradition of literary epigram, and show many links with Asclepiades in particular. But they also look behind, to the conventions and concepts of the inscriptional poems and the love-poetry from which the literary epigram derives. [ ... ] With these conventions Callimachus plays more continually and more discon-

certingly than his predecessors and contemporaries. The play is made possible

by the genre; but the effects fit the nature of the poet.'?

Mit dem genannten Asklepiades von Samos und anderen Epigrammdichtern des spáten 4. und frühen 3. Jahrhunderts teilt sich Kallimachos den Ruhm, die neue Literaturform des erotischen Buchepigramms aus der Verbindung des inschnitli-

chen Epigramms mit der Liebeselegie entwickelt und zugleich auch schon nahezu perfektioniert zu haben.* Doch übersieht man leicht, daß der alexandrinische Dich-

ter und Philologe mit dem fiktiven Denkmalepigramm noch einer anderen Spielart des literarischen Epigramms einen entscheidenden Impuls gegeben hat, die später

viele Nachahmer, insbesondere die Verfasser der spielerischen 'epideiktischen Epigramme', gefunden hat.” Inschriften auf Grabmäler und Weihgeschenke, die auch als Buchdichtungen unterhaltsam sind, machen trotz einer modernen Vorliebe für 3 4

G.O. HUTCHINSON, Hellenistic Poetry, Oxford 1988, S. 71. Die Darstellung HUTCHINSONS vereinfacht an dieser Stelle, wenn sie allein die Liebesdichtung als die Wurzel des literarischen Epigramms ausmacht, vgl. A. CAMERON, The Greek

Anthology from Meleager to Planudes, Oxford 1993, S. 2f.; nach K. 1. GUTZWILLER, Poetic Garlands. Hellenistic Epigrams in Context, Berkeley u.a. 1998, S. 77 (vgl. S. 87) war Nossis aus Lokroi „the first poet to combine erotic focus with inscriptional form". Die auf R. REIT-

ZENSTEIN, Epigramm und Skolion. Ein Beitrag zur Geschichte der alexandrinischen Dich-

5

tung, Gießen 1893 zurückgehende Unterscheidung zweier hellenistischer Epigrammschulen hat das Verständnis der Gesamtentwicklung bisweilen eher erschwert, vgl. W. SEELBACH, 'Epigramm', in: H. H. SCHMiTT / E. VOGT (Hgg.), Kleines Wörterbuch des Hellenismus, Wiesbaden 1988, S. 160. CAMERON 1993, S. 2f., 15f. Der aus der Rhetorik entlehnte Begriff erscheint bei dem kaiser-

zeitlichen Epigrammatiker Lukillios in einem Epigramm (eig δ᾽ ἐπίδειξιν. Anth. Pal. 11, 312), vgl. dazu M. LAUSBERG. Das Einzeldistichon. Studien zum antiken Epigramm, München 1982, S. 73. Der Terminus 'epideiktisch' sollte jedoch nicht auf das frühhellenistische Buchepigramm übertragen werden, weil er einem anderen Kontext entstammt, vgl. auch M.

D. LAUXTERMANN, What is an Epideictic Epigram?, Mnemosyne 51, 1998, S. 525-537.

Methodische und terminologische Grundlagen

3

die Liebesdichtungen den größten Teil des erhaltenen Korpus der kallimacheischen

Epigramme aus. Um diesen ‘inschriftlichen Typus’ des Epigramms, das 'Denkmalepigramm', und um die Eigenheiten seiner formalen Struktur, soll es im folgenden gehen.

Als ein ungelóstes Problem der Epigrammforschung galt lange Zeit die Frage, ob die literarisierte Form dieser Kurzgedichte, wie sie bei Kallimachos erscheint, sich von der Art der älteren, inschriftlichen Epigramme so grundsätzlich unterscheidet, daß man den hellenistischen Gedichten eine völlig andere Funktion, etwa als improvisierte Symposionsunterhaltung, zuzuschreiben habe.° So ging es noch bis vor kurzem in erster Linie darum, die in den Handschriften überlieferten Epigramme in den Kontext der zeitgenössischen hellenistischen Geschichte und des

alexandrinischen Literaturbetriebs einzuordnen und ihre Funktion innerhalb dieses Rahmens zu klären, ohne daß dabei Einigkeit erzielt worden wäre.’ Die Schwierigkeiten der Gelehrten bei der Suche nach dem ‘Sitz im Leben’ für die Epigramme des Kallimachos sind unter anderem auch das Resultat der von Kallimachos selbst gestifteten Verwirrung, was fiktive Elemente und Sprecherrol-

len in den Gedichten betrifft. Sind solch ironisch-distanzierte Sprecherstimmen überhaupt noch auf steinernen Monumenten denkbar? In der vorliegenden Arbeit

soll die Perspektive des Kallimachos insofern übernommen werden, als auch hier die poetischen Traditionen des Epigramms, insbesondere seine seit der Archaik ausgebildeten, für jeden Leser wiedererkennbaren Strukturmerkmale, den Ausgangspunkt für die Bescháftigung mit der Gattung bilden sollen. Dazu müssen zu-

nächst Merkmale des archaischen und des klassischen griechischen Epigramms aufgespürt werden, an die der hellenistische Dichter anknüpft. In einem ersten Teil

der Arbeit haben wir also — immer mit Blick auf Kallimachos — die Herausbildung fiktiver Elemente,

wie sie Sprecherrollen immer

darstellen,

im archaischen und

klassischen Epigramm zu untersuchen. Die Tradition des Epigramms vor Kallimachos ist in erster Linie eine Tradition des Steinepigramms, einer durch ihre praktische Funktion formal und inhaltlich stark geprägten Gattung, auch wenn durch Simonides, den ersten namhaften Verfasser von Versinschriften, in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts eine ‘literarische' Qualitát dieser Gedichte bezeugt ist. Wohl schon gegen Ende des 4. Jahrhun-

derts liegen Sammlungen von berühmten Epigrammen vor.’ Die charakteristische Form des Epigramms als einer literarischen Gattung jedenfalls, seine Kürze, Abge-

schlossenheit und Bezugnahme auf einen individuellen Gegenstand, hat ein Vorbild in den Steininschriften, mit denen einzelne Personen geehrt oder Kunstwerke gestiftet werden. Die zweite, schon erwähnte Wurzel des hochliterarischen hellenistischen Epigramms, die griechische Liebeselegie, spielt für die hier in den Blick genommene kallimacheische Variation des Denkmalepigramms nur am Rande eine Rolle, insofern wir in jedem einzelnen Fall damit rechnen müssen, daß im Buchge6 7

δ. dazu unten S. 132, 138ff. | Morbildhaft haben hier REITZENSTEIN 1893, S. 87-180 und U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Hellenistische Dichtung in der Zeit des Kallimachos, Berlin 1924, Bd. 2. S. 114-129 gewirkt, s. dazu unten S. 131ff. 8 CAMERON 1993, S. 1f.; GUTZWILLER 1998, S. Iff.; s. unten S. 96ff.

4

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

dicht des 3. Jahrhunderts Motive und Anredefiguren unterschiedlicher poetischer Traditionen verschmolzen werden. Schließlich sind als unmittelbare Vorläufer oder Zeitgenossen des Kallimachos Anyte von Tegea, Nossis, Leonidas von Tarent und

Asklepiades von Samos” zu berücksichtigen, die sich auf jeweils unterschiedliche Weise mit der Tradition des Denkmalepigramms auseinandergesetzt haben, auch

wenn, wie im Falle des Asklepiades, das Hauptinteresse auf 'elegische' Gegenstánde zielte. Die Anwesenheit eines beschrifteten Gegenstands — real oder imaginär —, ja auch das Ausmalen einer Szenerie, die gleichsam epigrammatisch etikettiert wird, kónnen als ein strukturelles Substrat betrachtet werden, das die metri-

sche Steininschrift an das literarische Epigramm vererbt. Was aber ist das spezifische Interesse des Kallimachos an der Tradition des Epigramms, einer Gattung, die der dichterischen Imagination durch ihre vorgegebene Form auf den ersten Blick nur wenig Spielraum läßt? Die Literaturform der metrischen Aufschrift hat eine bis in das 8. Jahrhundert zurückreichende Geschichte; Vorformen ihres später standardisierten Aufbaus und die indirekte Darstellung

ihrer Funktion liegen schon in den homerischen Epen vor. Aus der frühen Blütezeit der Versinschrift in der Archaik haben sich altertümliche Wendungen wie die IchRede eines Gegenstands erhalten, deren poetische Möglichkeiten den Alexandriner fasziniert haben mógen, einen Dichter, der auf die Erneuerung der Dichtung aus dem Wissen um die Tradition bedacht ist.

Zu diesem traditionell-nostalgischen Reiz, den das alte Epigramm für einen Dichter der neuen Weltstadt Alexandria gehabt haben mag, kommt seine inschriftlich-materielle Verbindung mit dem konkreten Gegenstand. Bildwerke und Kultge-

genstánde, überhaupt Kulturdenkmäler aller Art und die mit ihnen verwobenen Geschichten sind in der aitiologischen Dichtung des Kallimachos allgegenwärtig. Dazu gehören auch die auf den materiellen Denkmälern angebrachten Inschriften. So nennt Kallimachos am Ende seiner Beschreibung der olympischen Zeusstatue die Künstlerinschrift des Pheidias (Jamb.

6, Fr.

196, 59-62). Jeder einzelne, im

Epigramm evozierte imaginäre Gegenstand — und ebenso jeder tatsächlich vorhandene, der mit einer kallimacheischen Aufschrift versehen ist — wird durch die poeti-

sche Darstellung mit einer Reihe von Assoziationsmóglichkeiten versehen, die ei-

nen Ausblick in kulturelle Zusammenhänge aller Art gewähren. Darüber hinaus jedoch gibt es eine weitere Eigenheit in der Dichtung des Kal-

limachos, die ihn von den übrigen Epigrammatikern, vielleicht sogar überhaupt von den anderen Dichtern seiner Zeit unterscheidet. Diese Besonderheit ist unter dem Einfluß der Erzähltheorie in jüngeren Arbeiten an verschiedenen Gedichten des Alexandriners herausgearbeitet worden. Kallimachos thematisiert die Rolle des internen Erzáhlers oder Sprechers seiner poetischen Texte, indem er ihm eine herausragende Präsenz zubilligt,'” geradeso, wie wir es oben im Fall des Hahn-Epi-

gramms sahen und noch genauer sehen werden. Auf der anderen Seite fordert er — einmal sogar explizit — den aktiven Hórer oder Leser seiner Dichtungen. Vor allem in den Aitia und in den Jamben finden wir den Autor in der Rolle eines Fragers, 9 10

GUTZWILLER 1998, S. 47, 115ff. Al. CAMERON, Callimachus and his Critics, Princeton 1998, S. 39, 183-188.

1995, S. 3516:

367f ; GUTZWILLER

Methodische und terminologische Grundlagen

5

der mit einem ‘Experten’ in einen Dialog tritt. Die 'gelehrte' Art der Fragen der

kallimacheischen Figur und die Verwendung eines fragenden Lesers in Epigrammen schon des 5. Jahrhunderts gibt uns — wie wir im einzelnen noch zeigen werden - einen deutlichen Hinweis darauf, daß sich hinter dem dialogischen Sprechakt der poetischen Darstellung realiter der Akt des Lesens, genauer: die Erfahrung der

Wissensvermehrung durch Lesen, verbirgt. Die Dramatisierung eines einsamen Leseakts, einer literarischen Erfahrung, ist natürlich nur eine der Funktionen dieser

für Kallimachos charakteristischen poetischen Darstellungstechnik. Sie wirft jedoch ein Licht auf eine Gemeinsamkeit mit den Epigrammdichtern der vorhellenistischen Zeit, die bisher vielleicht zu wenig beachtet wurde.

Versinschriften sind die älteste griechische Dichtung für Leser. Darin unterscheiden sie sich schon in archaischer Zeit von allen anderen poetischen Gattungen, deren vorrangige Bestimmung der mündliche Vortrag war. So kónnte man meinen,

daß die poetischen Techniken, die das Epigramm für diese besondere Rezeptionssituation entwickelt hat, in einer Zeit wieder aufgegriffen wurden, in der zum ersten

Mal Dichtung für Buchleser geschrieben wurde, auch wenn der Vortrag von Ge-

dichten vor einem Zuhörerkreis weiterhin praktiziert wurde.' Das hellenistische Epigramm als Buchepigramm und die übrige für das Buch verfaBte Poesie sind in der Wahrnehmung ihrer Rezipienten nicht unterschieden - anders vorher die Schrift auf dem Gegenstand und der mündliche Vortrag jedwedes anderen poetischen Textes. Zuspitzend schreibt P. BING über das hellenistische Buchepigramm: „It no longer has to be inscribed since all poetry has moved in the direction of

epigram: a poem is always now an inscription." Gegen diese Ansicht und ihre Konsequenzen hat sich jüngst Al. CAMERON ge-

wandt.

So gebe es mit dem Aufkommen von Büchern für Gedichtleser gar keine

neue Art von Dichtung, wie auch das Publikum der Buchdichtung nicht grund-

sátzlich von dem der poetischen performance zu unterscheiden sei. Das kann jedoch nicht in jeder Hinsicht gelten. Sind doch die Erfahrungen auch eines antiken 11

Vgl. aber GUTZWILLER 1998, S. 3 über das Steinepigramm: , Although the solitary reading of an epigram does anticipate the experience of later book readers, within this cultural context

verse inscriptions were valued more for their practical function of praise and commemoration than purely as literary objects.", und ebd. S. 45f. über das neue Publikum der Lesedichtung seit dem 4. Jh. Für die Rezitation als wichtigste Darbietungsform des hellenistischen

12

Epigramms plädiert dagegen CAMERON 1995, S. 71ff. P. Bing, The Well Read Muse. Present and Past in Callimachus and the Hellenistic Poets, Göttingen 1988 (Hypomnemata 90) (= Bing 19882), S. 17; vgl. hierzu auch N. KREVANS,

The Poet as Editor. Callimachus, Virgil, Horace, Propertius and the development of the Poetic Book, Ph. D. Princeton 1984 (UMI Ann Arbor).

13

Eine von BiNG 1988a, S. 15 und 17f. herausgestellte, dem alten Epigramm und der neuen Buchdichtung gemeinsame Technik ist die Verwendung visueller Effekte, z. B. in den Tech-

nopaignia. Diese werden von CAMERON 1995, S. 32ff. und 78 bestritten, der die Figurengedichte für echte Aufschriften erklárt und besonders bei Kallimachos den Vorrang des Hórens vor dem Sehen betont, vgl. dazu aber D. MEYER, „Nichts Unbezeugtes singe ich“.

Die fiktive Darstellung der Wissenstradierung bei Kallimachos, in: W. KULLMANN / J. ALTHOFF (Hgg.), Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, Tübingen

1993 (ScriptOralia 61), S. 317-336.

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Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

Buchlesers während der privaten Lektüre ganz andere als die eines Zuhörers in der Gruppe oder auch eines Passanten, der eine Inschrift entziffert. Der Buch- oder Papyrusleser hat, wie K. GUTZWILLER betont, das ganze Buch, die ganze Rolle im

Blick.'* Er hat die Zeit, sich bequem einzurichten!" und seine gegenwärtige Lese-

erfahrung mit den vorangegangenen zu vergleichen. Er ist also auf seine Art selbständiger und aktiver als der Zuhörer. Dies zu betonen ist durchaus wichtig, da die

intendierte Art der Rezeption bekanntlich Rückwirkungen auf die Art der Produktion hat. Nun ist die Lage aber noch komplexer. Denn die antiken Darstellungen von

Kommunikationssituationen vermitteln lange Zeit den Eindruck, als hätten sie den Leser als möglichen Adressaten poetischer Äußerungen gar nicht wahrgenommen, obschon es seit dem Aufkommen des Schriftgebrauchs zunehmend auch individuelle Leseerfahrungen gegeben haben muß. Die bestimmenden Erfahrungen aber

blieben bis in das 4. Jahrhundert v. Chr. die Traditionen des Sprechens: der mündliche Vortrag, das Vorlesen und - als ein Relikt der alles dominierenden Mündlichkeit — das laute Lesen.'^ Zudem fehlte das Wissen über die physiologischen und psychologischen Vorgänge des Hörens und Verstehens. Es ist ein bezeichnender gemeinsamer Zug der älteren griechischen Theorien über die Vorgänge der Wahr-

nehmung und des Verstehens, daß Sinn und Bedeutung als am Objekt der Wahrnehmung

haftend und nicht als psychologische Konstrukte des wahrnehmenden

Subjekts verstanden werden." Die Aktivität geht daher, zumindest nach der älteren Vorstellung von Kommunikation,

in erster Linie vom Sender oder vom Medium

aus, der Vorgang des aktiv Verständnis konstruierenden Hörens ist selbst noch unverstanden oder bleibt zumindest unberücksichtigt. Nur beispielhaft sei hier auf die bei Herodot häufig verwendete Redensweise τὰ δὲ γράμματα ἔλεγε (τάδε) und auf das πᾶσιν ... bnokpivonar-Epigramm (CEG 1, 286) für eine Darstellung des Lesevorgangs verwiesen, in der der Akt des Lesens als ein mündlicher Vortrag 14 15

16

GUTZWILLER 1998, S. 4f. Vgl. den Beginn von Italo CALvmo, Wenn ein Reisender in einer Winternacht ..., dt. München 1983, zusammen mit anderen literarischen Darstellungen von Leseerfahrungen seit Seneca wiederabgedruckt in: C. JANSOHN (Hg.), Das Buch zum Buch, Leipzig 1998, S. 47-49. Einen guten Überblick über die Entwicklung der Kommunikationsformen geben W. RÖSLER,

Die griechische Schriftkultur der Antike, in: H. GÜNTHER / O. LupwiG (Hgg.), Schrift und Schriftlichkeit / Writing and Its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Bd. 1, Berlin / New York 1994, S. 511-517, 513: „Der Leser inszenierte gleichsam für sich selbst eine mündliche Kommunikationssituation"; knapper zur Antike, da einen

größeren Rahmen behandeind: M. GAUGER, ebd. S. 65-84 sowie S. USENER, 'Hórer', in: G.

17

UEDING (Hg.). Historisches Wórterbuch der Rhetorik, Bd. 3, Darmstadt 1996, Sp. 15611570 (jeweils mit nützlicher Bibliographie). W. Ax, Laut, Stimme, Sprache. Studien zu drei Grundbegriffen der antiken Sprachtheorie, Göttingen 1986 (Hypomneinata 84), S. 60ff., 113f. und 264; T. BORSCHE, “Platon', in: P. SCHMITTER (Hg.) Sprachtheorien der abendländischen Antike, Tübingen 1991 (= P. SCHMITTER [Hg.], Geschichte der Sprachtheorie, Bd. 2), S. 140-169, vgl. dagegen die moderne Auffassung bei W. IsER, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München * 1994 (11976), S. 245: „Sinn ist die in der Aspekthaftigkeit des Textes implizierte Verweisungsganzheit, die im Lesen konstituiert werden muß. Bedeutung ist die Übernahme des Sinnes durch den Leser in seine Existenz." — Vgl. auch Gross 1994, S. 15-19, 31.

Methodische und terminologische Grundlagen

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eines Sprechers umschrieben wird." Das Paradigma einer Kommunikationssituation, in der die Schrift ins Spiel kommt, ist die Vorlesesituation. Während die Buchstaben bei Herodot jedoch immer zu einem interessierten Zuhörer zu ‘sprechen’ scheinen, kann sich der Verfasser einer von vielen Grabinschriften nicht

einmal sicher sein, daß überhaupt jemand stehenbleibt, um den Stein zu entziffern. Diese Unsicherheit spiegelt sich im genannten πᾶσιν ... broxpivonan-Epigramm darın, daß die Anwesenheit eines Rezipienten als Bedingung der Möglichkeit eines

‘Vortrags’

im Text

erwähnt

wird:

„Allen Menschen

antworte

ich“,

sagt die

Inschrift, „wer auch immer fragt". Hier also wirkt der Wunsch nach einem oder vielen Lesern ın den Text hinein, wenngleich die Kommunikation zwischen diesem

Publikum und der Inschrift als ein mündlicher Dialog, als eine Frage-AntwortSituation dargestellt wird. Die oben formulierte Problemstellung dieser Arbeit — die Frage nach der Rezeption charakteristischer Strukturen des Denkmalepigramms bei Kallimachos wird dadurch um eine entscheidende Dimension erweitert. Da sich, wie wir festgestellt haben, ein besonderes Interesse des Kallimachos auf dialogische Elemente und textinterne Sprecherfiguren zu richten scheint, gilt es zum einen, die literaturgeschichtliche Entwicklung der entsprechenden Strukturen von Beginn an zu verfolgen. Weil sich die griechische Kultur erst auf dem Weg zu einer Schriftkultur befindet, sind Veránderungen hinsichtlich der von Epigrammen in Rechnung genommenen Leseerfahrung zu erwarten, denn die Anzahl von Lesern und die Menge

von Gelesenem muß von der Archaik bis zur Zeit des Kallimachos ständig zugenommen haben und damit auch die Reflexion über die Psychologie der Kommunikation. Es ist also wahrscheinlich, daß wir gerade in Epigrammen Anzeichen für

eine Veründerung im Umgang mit dem Leser wiederfinden, insbesondere in solchen Epigrammen, die wie unser eingangs zitiertes Beispiel eine Kommunikationssituation mit Hilfe von textinternen Sprecherfiguren dramatisieren. Zum zweiten aber ergibt sich nunmehr die Frage, in welchem Verháltnis die Sprecherfiguren in den Epigrammen des Kallimachos zu ihren Vorgängern stehen, ob sie sich etwa

eher dem archaischen Modus oder einer jüngeren Variante des Umgangs mit dem Leser verpflichtet zeigen. Das hier gewählte kallimacheische Beispiel — der sprechende Bronzehahn, der als eine konventionelle Fiktion enttarnt wird — macht eines deutlich: Das fiktive 18

„Die Schrift aber sagte (folgendes): | sprechen „Allen [ ... ] antworte ich“ Leser; zu beiden Beispielen s. unten stellungen von Kommunikation und

... ]" findet sich 2. B. bei Hdt. 1, 124, I; mit dem Verwendet sich CEG 1, 286 zu Beginn des 5. Jh. an seine S. 43 und 76. Wie sehr der mündliche Sprechakt VorWahrnehmung bei den Griechen prägt. zeigt auch das

Beispiel der Philosophen: So beobachtete Ax 1986, S. 71 mit Anm. 39, dab die Wahrnehmungslehre des Demokrit nicht auf „die generelle akustische Relation ‘Gehör — Geräusch‘,

sondern vielmehr kation ‘Hören Buches, vgl. LSJ schen Leserrolle,

auf die spezielle Relation des Sprechaktes, der sprachlichen KommuniSprechen’“ zielt. - Die Wendung οἱ ἀκούοντες bezeichnet Leser eines s. v. "ἀκούω᾽ (Lf.4.). Eine strukturalistisch geprägte Deutung der griechiihrer sozialen Bedeutung und ihrer Metaphorik bietet J. SvENBRO. Phrasi-

kleia. Anthropologie de la lecture en Gréce ancienne, Paris 1988, dazu s. die Besprechung durch W. RÓSLER, Gnomon 64, 1992, S. 1—3. Vgl. ferner W. ROSLER, Alte und neue Münd-

lichkeit, AU 28 / 4, 1985, S. 4-26.

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Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

und bisweilen artifizielle Moment solch textinterner Sprecher ist dem hellenistischen

Dichter

bewußt.

Anders,

man

möchte

meinen:

selbstverstándlicher

und

selbstgewisser, wirkt die kurze Rede des archaischen πᾶσιν ... ὑποκρίνομαιEpigramms, und ich will versuchen zu zeigen, daß es dabei keine Ausnahme darstellt. Die imaginären Sprecherrollen gehören ganz einfach zum formalen Reper-

toire solcher Epigramme, sie werden in der Regel gar nicht problematisiert.'” Ob die fingierte Mündlichkeit als solche überhaupt schon vor Kallimachos thematisiert wurde, soll durch eine zeitübergreifende Untersuchung der Sprecherrollen in den

vorhellenistischen Epigrammen ermittelt werden. Dies führt uns nun zu unserer nächsten Frage. Welche Funktion erfüllen die dramatisierten Sprechakte, die sich von den áltesten Epigrammen an durch die

ganze Tradition der Gattung fortsetzen? Inwiefern veründert sich diese Funktion, wenn die Fiktionalität dieser Sprechakte dem Leser bewußt gemacht wird? Zur Beantwortung dieser Fragen soll hier eine Arbeitshypothese vorgestellt werden, die im Verlauf der Untersuchung zu überprüfen ist. Der imaginierte Autor-Leser-Dialog im archaischen Epigramm wurde oben als eine Reaktion auf die tatsächlichen, realen Bedingungen der Kommunikation zwischen dem Autor der Inschrift, besser: dem Sender der zu übermittelnden Botschaft, und dem Leser des inskribierten

Textes beschrieben. Ich móchte hier noch konkreter von einer Appellstruktur der Epigramme sprechen. Damit ist gemeint, daß Epigramme durch die dramatisierte Darstellung ihrer eigenen Rezeptionssituation die Aufmerksamkeit des Lesers zu

gewinnen suchen, indem sie eine Interaktion zwischen Leser und Inschrift práfigurieren. Sie erhóhen so die Chance, eine ihrer wichtigsten Funktionen zu erfüllen: gelesen zu werden. Dies geschieht dadurch, daß sie an die von der Mündlichkeit bestimmten kommunikativen Erfahrungen ihrer Adressaten anknüpfen.

‘Appell’ als eine wesentliche Leistung der menschlichen Sprache wurde 1934 von K. BÜHLER vor dem Hintergrund seiner mittlerweile klassischen Sprechakttheorie definiert." Nachdem BÜHLER ‘Ausdruck’, ‘Appell’ und ‘Darstellung’ als die zentralen Funktionen der Sprache eingeführt hat, charakterisiert er den Appell

als diejenige Funktion im Relationengeflecht von Sachverhalt, Sender, Empfänger und sprachlichem Zeichen, die für den Analytiker ‚am Benehmen des Empfängers“

„am exaktesten greifbar“ ist.”' Der für eine analoge Funktion literarischer Texte 19

Mit STIERLE

1975, S. 356ff. könnte man von einer “quasi-pragmatischen Rezeption’ des

fiktionalen Textes sprechen, der dort als “Text mit dem Charakter einer Setzung' definiert wird und dessen Wahrnehmung sich von der intellektuelleren Form der fiktionserfassenden Rezeption unterscheidet.

20

K. BÜHLER,

Sprachtheorie.

Die Darstellungsfunktion

der Sprache,

Stuttgart

1934 (ND

Frankfurt u. a. 1978), S. 24ff. Dort führt BÜHLER sein in Anlehnung an eine Äußerung Pla-

21

tons im Kratylos 'Organonmodell der Sprache’ genanntes Kommunikationsmodell ein, das Sprache als ein Instrument (Organon) der Mitteilung begreift. Sprache wird also im Hinblick auf ihre kommunikative Funktionalität betrachtet. Im Relationendreieck zwischen Sender, Empfänger und Gegenstand (vgl. das bekannte Schema auf S. 28), zwischen denen das Instrument der Sprache vermittelt, definiert ‘Appell’ die Relation 'Sprache-Empfünger'. Wer es einfacher mag: „| ... ] es gibt, wie heute jeder weiß, einen sex appeal, neben welchem der speech appeal mir als ebenso greifbare Tatsache erscheint." (ebd. S. 29). BÜHLER 1934, S. 28, Zitat S. 31.

Methodische und terminologische Grundlagen

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geprägte Begriff der ‘Appelistruktur’, der durch W. ISER bekannt geworden ist," führt uns weiter in das Gebiet der modernen Rezeptionsforschung, genauer: in ei-

nen ihrer Teilbereiche, die Rezeptionsásthetik. An diesem Punkt wird sich der Leser der vorliegenden Arbeit vielleicht an die

beiden bekanntesten Epigrammtheorien erinnert fühlen, die schon im 18. Jahrhundert mit Blick auf das griechische Epigramm und insbesondere seine lateinischen Nachfolger entwickelt wurden. Die theoretischen Reflexionen der Dichtergelehrten G. E. LESSING und J. G. HERDER kreisen um den rezeptionsästhetischen Aspekt

der Leserorientierung. Demnach erzeugt und erfüllt das Epigramm eine Erwartung

seines Lesers oder überträgt einen Affekt auf ihn." LESSING und HERDER haben zwar das griechische Steinepigramm und seine praktische Funktion als den Ursprung der Gattung noch im Blick, formulieren ihre eigenen Theorien jedoch eher in Bezug auf die jüngere Buchvariante des Epigramms und nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer eigenen literarischen Produktion. Aus diesem Grund wollen wir die literaturtheoretischen Überlegungen der Gelehrten in einem späteren, forschungsgeschichtlichen Kapitel behandeln und zunächst versuchen, ein methodisches Instrumentarium für die Strukturanalyse sowohl der Stein- als auch der Buchepigramme zu gewinnen, indem wir die Ergebnisse der Rezeptionswis-

senschaft zur poetischen Praxis des griechischen Epigramms in Beziehung setzen. Die moderne Rezeptionsästhetik ist eine Weiterentwicklung der Sprechakt-

theorie, die sich mit der Einheit der sprachlichen Handlung befaßt. Eine entsprechende Definition des Sprechakts sei wegen ihrer besonderen Bedeutung für das Epigramm zitiert: „Segment der Rede, situativ-intentionale und bedeutungsvolle artikulatorischakustische Einheit, die Sprecher und Hórer in einer bestimmten Situation durch für beide gleiche Bedeutungen verbindet. | ... ] Der individuelle kom-

munikative Gebrauch der Sprache als untrennbare Einheit von Sprechen und Hören bzw. Schreiben und Verstehen ''*

Epigramme sind auf den Stein übertragene Sprechakte, deren ‘Handlung’ im

ὑποκρίνεσϑαι, im ‘Antworten’ auf eine gedachte Frage besteht. Zwischen der Aktivitát des Sprechers und der des Lesers wird dabei nicht unterschieden. Gelesenes wird als von jemandem Gesprochenes, Gesprochenes als zu jemandem Gesagtes verstanden. Wenn wir also Epigramme als Sprechakte definieren," so ist damit zum Ausdruck gebracht, daß sie den Leser einbeziehen, mehr noch: daß ihre Struktur von ebendiesem Bestreben in besonderer Weise geprägt ist. Viele griechi-

sche Epigramme erinnern ihren Leser etwa — um ein einfaches Beispiel zu nennen 22

W.ISER, Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa, Konstanz

1974 (Konstanzer Universitätsreden 28), wiederabgedruckt

in: R. WAR-

NING, Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München *1994, S. 228-252. 23 24 15

Eine Einführung in die Geschichte der Theorie des Epigramms gibt P. Hess, Epigramm, Stuttgart 1989, S. 1-66, hier S. 47-58. Th. LEWANDOWSKI, Linguistisches Wörterbuch Bd. 3, Heidelberg / Wiesbaden 1990, S. 1080 s. v. 'Sprechakt' ( Hervorhebungen D. M.). QGUTZWILLER 1998, S. 115f. u. a. verwendet den Begriff ‘speech act’ regelmäßig, jedoch ohne weitere theoretische Diskussion.

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Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

daran, den rituellen xaipe-Gruß zu sprechen. Das Erinnern oder Mahnen an sich ist nach der Systematik von J. L. AUSTIN und J. R. SEARLE ein illokutiver Akt, der, in seltenen Fällen durch ein performatives Verb (‘ich ermahne, behaupte ...’), die

Funktion der Äußerung angibt. Das beabsichtigte Hervorrufen bestimmter Wirkungen beim Rezipienten durch den Vollzug bestimmter illokutiver Akte heißt perlo-

kutiver Akt, beide Teilaspekte gehören zu derselben Sprechhandlung.^ Das Besondere des schriftlich fixierten Sprechakts eines griechischen Epigramms ist nun, daß dieses seine Absicht oft bereits durch die Realisierung im Akt des lauten Lesens erreicht. Wenn der Adressat den xaipe-Gruß, mit dem nicht wenige Grabinschriften enden, laut buchstabierend entziffert, hat er ihn zugleich schon vollzogen.

Daß der Aufbau eines Textes durch seine Rezipienten mitbestimmt wird, ihm eine "Appellstruktur' inhärent ist, ist eine zentrale These der Rezeptions- oder Wirkungsásthetik. Diese Appellstruktur ist zugleich ihr Forschungsgegenstand. In der modernen Forschung nach BÜHLER wird unter Appellstruktur meist eine Strategie der Leserlenkung in längeren literarischen Texten, insbesondere im Roman, verstanden, wáhrend die aus der Philosophie der Alltagssprache hervorgegangene Theorie der Sprechakte sich auf die Funktionen vor allem der gesprochenen Sprache bezieht. Wenn wir die Geschichte des griechischen Epigramms untersuchen, das sich von einem alltagsnahen 'subliterarischen' Genus zu einer der kunstvollsten Spielarten der Buchdichtung gewandelt hat, so müssen wir die Ergebnisse beider Betrachtungsweisen miteinbeziehen. Das von ISER insbesondere am Beispiel neuzeitlicher Romane vorgeführte textanalytische Verfahren der Rezeptionsästhetik ist keine ganz neue Methode und hat auch in der Altertumswissenschaft Anwendung gefunden.?’ Darüber hinaus ha26

J. L. AUSTIN, Zur Theorie der Sprechakte, Übersetzung und Einleitung von E. v. SAVIGNY, Stuttgart 1979 (engl.: How to do things with words, Oxford *1975 |!1962]), insbesondere die 10. Vorlesung, S. 137ff.; E. v. SAviGNYs Einleitung stellt eine gute Einführung in die Materie dar, vgl. aber auch die hilfreiche Übersicht über die Begrifflichkeit bei AusTIN und

SEARLE in H. BUSSMANN, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 71990, S. 726-729 ( Sprechakttheorie"), bes. die Tabelle S. 727.

27

Die Anwendung der Rezeptionsforschung auf die antike Literatur wird in verschiedenen Arbeiten zur griechischen Dichtung diskutiert, vgl. etwa ἮΝ. ROSLER, Die Entdeckung der Fiktionalität in der Antike, Poctica 12, 1980, S. 283-319, bes. 315-318; W. RÖSLER, Über Deixis und einige Aspekte mündlichen und schriftlichen Stils in antiker Lyrik, WJA N. F. 9, 1983, S. 7-28; E. KRUMMEN, Pyrsos Hymnon. Festliche Gegenwart und mythisch-rituelle Tradition als Voraussetzung einer Pindarinterpretation (Isthmie 4, Pythie 5, Olympie 1 und 3). Berlin / New York 1990 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 35), S. 5-8 und ihren Literaturbericht ebd. S. 6 Anm. 1; N. W. SLATER, Reading Petronius, Baltimore 1990; L. KAPPEL, Paian. Studien zur Geschichte einer Gattung, Berlin / New York 1992 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 37). S. 17-22. In Hinsicht auf das Epigramm: D. MEYER. Die Einbeziehung des Lesers in den Epigrammen des Kallimachos, in: M. A. HARDER / R. F. REGTUIT / G. C. WAKKER (Hgg.), Callimachus, Groningen 1993 (Hellenistica Groningana 1), S. 161-175 und P. BiNG, Ergänzungsspiel in the Epigrams of Callimachus, A&A 41, 1995, S. 115-131. jetzt auch GUTZWILLER 1998, bes. S. 8 und S. 275f. sowie Th. A. SCHMITZ, „I hate all common things": The Reader's role in Callimachus' Aetia Prologue, HSPh 99, 1999, S. 151-178. Den griechischen Roman analysiert mit neuerem kommunikationstheoretischem Instrumentarium H. HOFMANN, Sprach-

handlung und Kommunikationspotential.

Diskursstrategien

im “Goldenen

Esel’, in: M.

Methodische und terminologische Grundlagen

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ben die gedankliche Einbeziehung der Rezipienten in Prozesse der Textproduktion und die dazugehórigen theoretischen Überlegungen einen Vorláufer in der antiken Rhetorik. Der Kunstwissenschaftler W. KEMP hat beschrieben, wie Adressat und Publikum erst im 18. Jahrhundert im Zuge einer neuen Autonomieästhetik aus dem Blick der Kunstlehre gerieten, während sich die ältere Theorie eng an die Wir-

kungsästhetik der antiken Rhetorik anlehnte.”* Die rezeptionsästhetischen Analysen der Kunstwissenschaft — die nach KEMP den im Kunstwerk vorausgesetzten Betrachter noch vor der Literaturwissenschaft (wieder)entdeckt hat — sind auch für unsere Arbeit von Interesse. Denn Epigramme

stehen fast regelmäßig in engem

Verbund mit Werken der bildenden Kunst, die den Leser der Inschrift zugleich zum Betrachter eines Monumentes machen. Werfen wir also noch einen Blick auf das Instrumentarium und die Thesen moderner Rezeptionsästhetiker, bevor wir zur genaueren Untersuchung des griechischen Epigramms kommen.?? Die durchaus kritische Synthese der Forschung bei RICHTER?! verweist zuerst auf die von ISER angebotenen Begriffe, die die Defini-

tion ‘des Lesers’ betreffen. Dazu kommen hilfreiche Überlegungen zur 'Leserlenkung’ durch ‘Leerstellen’ und 'Beteiligungsangebote' im Text, zum 'KonstruktionsprozeB im Bewußtsein des Lesers’ und zur *Deixis'," die uns wieder zu den grundsätzlicheren Fragen der Funktionen von Sprechhandlungen führen wird. Beginnen wir mit dem Leser. Eine wesentliche Unterscheidung hat bereits

WEINRICH mit dem Begriff der Leserrolle eingeführt: PicoNE / B. ZIMMERMANN (Hgg.), Der antike Roman und seine mittelalterliche Rezeption.

Basel u. a. 1997, S. 137-169. 28

ΝΥ. KEMP, Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, in: DERS., Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992, S. 7-27. Zur Bedeutung der Rhetorik und zur Geschichte wirkungsästhetischer Ansätze in der Neuzeit vgl. auch H. WEINRICH, Für eine Literaturgeschichte des Lesers, in: DERS., Literatur für Leser. Essays und Aufsätze

29

KEMP 1992b, S. 20, zur Bedeutung von Alois RIEGL.

30

Außer den bereits genannten Werken vgl. auch H. R. Jauss, Literaturgeschichte als Provo-

zur Literaturwissenschaft, München ?1986, S. 21—36. kation der Literaturwissenschaft, Frankfurt 1970 (wieder in: WARNING

1994, S. 126-162);

W. ISER, Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett, München 1972; IsER 1994; H. LINK, Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme, Stuttgart 1980 (1976); G. GRIMM, Rezeptionsgeschichte. Grundlegung einer

Theorie, München

1977; W. REESE, Literarische Rezeption, Stuttgart 1980; S. R. SULEI-

MAN / I. Crosman (Hgg.), The Reader in the Text. Essays on Audience and Interpretation, Princeton 1980; H.-G. GADAMER, Hören — Sehen — Lesen, in: H.-J. ZIMMERMANN (Hg.). Antike Tradition und neuere Philologien. Symposium zu Ehren des 75. Geburtstages v. R. Sühnel, Heidelberg 1984, 9-18; M. RICHTER, Wirkungsästhetik, in: H. L. ARNOLD / H. DETERING (Hgg.), Grundzüge der Literaturwissenschaft, München 1996, S. 516—535, zur kritischen Diskussion um Iser (durch Gumbrecht u. a.) bes. S. 530-535, D. SCHÖTTKER, Theorien der literarischen Rezeption. Rezeptionsästhetik, Rezeptionsforschung, Empirische Literaturwissenschaft, in: ebd. S. 537-554; J. E. MOLLER, Literaturwissenschaftliche Rezeptions- und Handlungstheorien,

in: K.-M.

BoGDAL (Hg.). Neue Literaturtheorien.

Eine Ein-

führung, Opladen ?1997, S. 181-207; Th. SCHMITZ, Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung, Darmstadt 2002, S. 100-110.

31

RICHTER 1996, S. 535.

32

S.unten S. 16ff.

12

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik „Ich unterstreiche aber, daß die beiden Positionen des Autors und des Lesers als Rollen aufzufassen sind, deren Perspektiven nicht ohne weiteres aus der

Biographie der schreibenden oder lesenden Personen abgeleitet werden können. Es gibt daher in der Literatur nicht nur den Autor und sein Werk, sondern es gibt immer auch als korrespondierende Rolle den Leser dieses Werkes.

Die literarische Kommunikation ist eine Interaktion mit verteilten Rollen.

Nach ISER „hält jeder literarische Text ein bestimmtes Rollenangebot für seine möglichen Empfänger parat“, die Leserrolle „entfaltet sich in der gelenkten Aktivität des Lesens“.”* Weitere Differenzierungen betreffen den fiktiven Leser, der in einem literarischen Text direkt angesprochen

sein kann,

den intendierten Leser,

den der Autor beim Abfassen seines Werkes im Sinn hat, den realen empirischen Leser und den idealen Leser, „der bei seiner Lektüre alles, was der Text an Bedeu-

tungsangeboten enthält, vollständig realisieren könnte“.”” Das schwierigste Konzept stellt ISERs impliziter Leser dar, der, wie RICHTER zu Recht bemerkt, eigentlich gar keine persona, sondern eher eine „Eigenschaft der Texte" ist und insofern ISERs Leserrolle und Wirkungsstruktur der Texte nahesteht. ὁ Für unsere literaturgeschichtliche Untersuchung an den griechischen Epigrammen benötigen wir zwar kein perfektes System der Lesertypologie’’ — zumal die Altertumswissenschaft für die ersten Jahrhunderte der Schriftkultur nicht über das für eine Anwendung hinreichende Textmaterial verfügt —, wollen uns aber an der wesentlichen Unterscheidung von realem Leser, fiktivem Leser und Leserrolle (oder implizitem Leser) als dem vom Text gelenkten Leser orientieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei die nähere Bestimmung des fiktiven Lesers (nach RICHTER), der in griechischen Epigrammen nicht nur als expliziter Adressat, son-

dern auch als - im Akt des Lesens begriffener - (fiktiver) Sprecher auftreten kann, da Lesen ja nach griechischer Vorstellung eine besondere Art des Sprechens ist. Wie können wir diese Sprechakte adäquat beschreiben? Was sagen sie uns über das antike Leseverhalten zu verschiedenen Zeiten? Natürlich weisen nicht alle griechischen Epigramme derart komplexe Kommunikationsstrukturen (zum realen Leser sprechende fiktive Leser) auf. Es kann auch nicht das Vorgehen dieser Arbeit sein, mit literaturtheoretischen ‘Kanonen’ auf

literarische ‘Spatzen’ — die die meisten griechischen Kurzinschriften auf Grabstelen 33 34 35

WEINRICH 1986, S. 22, vgl. ΙΞΕΚ 1994, S. 60f. ]sER 1994, S. 60f. RICHTER 1996, S. 526. Für das auktoriale Wunschkonzept eines idealen Lesers finden sich etliche Beispiele bei JANsOHN 1998. Zu den 'Lesertypen' vgl. ferner GRIMM 1977, S. 34—44; MÜLLER 1997, S. 190 und Anm. 14; G. KOPF, Friedrich Schiller: Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Geschichtlichkeit, Erzáhlstrategie und "republikanische Freiheit’ des Lesers, München 1978, S. 20-23 (über Lesertheorie und Lesertypologie) und IsER 1994, S. 50-67

mit weiteren Lesertypen. Zum Konzept einer historischen Lesertypologie s. WEINRICH 1986, S. 28f.

36

RICHTER 1996, S. 526f., Zitat 526.

37

Nicht zuletzt sei an dieser Stelle an die Idee der Freiheit des Lesers und der Freiwilligkeit der Lektüre erinnert, die den Kern eines Gegenentwurfs zum ‘ıdealen’, verfügbaren Leser darstellt. vgl. WEINRICH 1986, S. 25, SARTRE aufgreifend, und D. PENNAC, Wie ein Roman. Von der Lust zu lesen, München 1998 (frz. 1992).

Methodische und terminologische Grundlagen

13

und Statuenbasen ohne Frage darstellen - zu schießen. Der Grund für die vorgeschlagene rezeptionsästhetische Herangehensweise liegt vielmehr darin, daß sich

die praxisnahe, handlungsbezogene Gattung des frühen Epigramms, die zudem der mündlichen Sprechhandlung nachgebildet ist, für eine kommunikationstheoretische Analyse geradezu anbietet, vielleicht sogar auf eine elementarere Weise als der neuzeitliche Roman, an dem die literaturwissenschaftliche Methode entwickelt wurde. Auf der anderen Seite bedarf es eines einigermaßen differenzierten Instrumentariums, um Epigramme mit komplexeren Strukturen, die im Zuge der Literarisierung der griechischen Kultur entstanden, überhaupt beschreiben zu können. Die wichtigste Gruppe von Epigrammen, die im Verlauf der Arbeit zu untersu-

chen sein wird, bildet Dialogsituationen nach oder wenigstens eine Seite einer Dialogsituation, da sich diese Inschriften als Antworten auf eine Frage (vgl. das πᾶσιν ... LROKptlvonat-Epigramm) oder, in seltenen Fällen, auch als die Frage selbst prásentieren. Wir haben es also mit kurzen dramatischen Texten zu tun, in denen fiktive Figuren zu Wort kommen."* Das Besondere an den Dialogsituationen der Epigramme ist, daB der im Text dargestellte Dialog zwischen einem fiktiven Berichterstatter und einem fiktiven Hórer / Leser stattfindet. Die kommunikative Funktion dieser typischen Form einer dialogischen Figurenrede in dramatischen Texten hat M. PFISTER in seiner Analyse der Sprechsituation überzeugend erklärt: Die Fragen und Antworten der fiktiven Figuren im Drama dienen ,,mehr der Information des Publikums als der gegenseitigen Information"? Aber: Die miteinander

kommunizierenden fiktiven Dialogpartner (Senderl / Empfängerl, ‘inneres Kommunikationssystem’) sind im griechischen Denkmalepigramm nicht beliebig, sie füllen zugleich die Rolle eines fiktiven Erzáhlers bzw. des fiktiven Hörers / Lesers aus (Sender2 / Empfünger2, 'vermittelndes Kommunikationssystem')." Diese beiden letztgenannten Positionen des Kommunikationsmodells vermitteln zwischen der Ebene des Berichteten und dem empirischen Rezipienten, insofern es ihre spezifische Aufgabe ist, sich als Berichterstatter oder bereitwillig rezipierendes Ge-

genüber zu präsentieren. Die textinternen fiktiven Figuren ahmen also in idealisierter Form die Handlungsweise der realen Akteure nach. Dialoge in Steinepigrammen gehóren insofern zur Appellstruktur dieser Texte. Noch interessanter wird das Spiel mit den Realitátsebenen, wenn in den Buchepigrammen des Kallimachos der

fiktive Erzáhler identifizierbare Merkmale eines bekannten realen Autors aufweist, das ‘äußere Kommunikationssystem' (empirischer Autor / empirischer Leser / Hórer) also ganz anders funktioniert als das Verhältnis von anonymem Autor und Leser in archaischer und klassischer Zeit. Dem fiktiven Leser entspricht auf der anderen Seite der fiktive Autor oder Er-

záhler, den wir als notwendigen Part in der Einheit des Sprechakts schon eine Weile mit uns führen. Ihm — und mit ihm den verschiedenen Erzáhlerinstanzen auf 38

M. PrISTER, Das Drama. Theorie und Analyse, München ?1996, S. I9f. mit Verweis auf den locus classicus in Plat. Rep. 394 c.

39

PFISTER 1996, S. 20-24.

40

Von dem 'vermittelnden' und dem ‘inneren’ Kommunikationssystem unterscheidet PFISTER 1996, ebd. das "áuDere', zu dem der empirische und der ideale Autor sowie der empirische und der ideale Leser gehóren.

14

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

der Senderseite des Kommunikationsmodells — gilt naturgemäß weniger das Interesse der Rezeptionsästhetik als das der Erzähltheorie (Narratologie)." Auch dieser literaturwissenschaftliche Ansatz ist am Paradigma des großen Romans entwickelt worden. Die fundamentalen Überlegungen aber sind durchaus übertragbar, wenn wir unter 'Erzáhlungen' mit J. VOGT verschiedene Ausdrucksformen verstehen, insofern „es sich jeweils um eine Abfolge von Zeichen (einen 'Text^) handelt, die eine Abfolge von Ereignissen (eine ‘Geschichte’) reprüsentieren"." Etliche griechische Epigramme stellen eine Art Minimalform der Erzählung dar, die von verschie-

denen Sprechern“ präsentiert werden kann. Ihre Geschichte besteht bei den Grab-

gedichten in einem kurzen Bericht über Leben und Tod des Verstorbenen, dedikatorische Epigramme erzáhlen von der Vorgeschichte und den Umstünden einer Weihung. Zahlreiche Grabepigramme berichten nicht viel mehr als den Namen, Vatersnamen und die Heimat des verstorbenen Menschen, sofern dieser in der Fremde zu Tode kam. Das Wie dieses Berichtes aber, insbesondere die berichtende Stimme, veründert sich mit dem Aufkommen eines Autorbewufitseins, das die Gattung

des traditionell anonym verfaßten Epigramms im 4. Jahrhundert erreicht. Wir werden aber sehen, daß das in anderen literarischen Gattungen schon früher demonstrierte AutorbewuDtsein Rückwirkungen auf die anonyme Stimme des Epigramms

schon vor dem 4. Jahrhundert erkennen läßt. Die Erzáhltheorie liefert uns zunáchst die wichtige Unterscheidung zwischen der Person (Stimme) und der Erzählsituation (Perspektive / Modus) des Erzáh-

lers." Die Person ist ein ‘Ich’ oder ein ‘Er / Sie / Es’, das erzählt. Die Perspektive ist auktorial, wenn der Erzähler als allwissend erscheint, personal,

wenn

der Er-

záhler nur über einen eingeschránkten Blickwinkel verfügt, der ihm weniger Einsicht gewährt als dem Autor. Der bronzene Hahn des Kallimachos (,ich selber

weiß es ja nicht [scil. was er getan hat / ob er es wirklich getan hat]") gibt sich als personaler Erzähler zu erkennen." Die Sprecherfiktion, auf die Kallimachos hier aufmerksam macht — der Hahn ist ein unbelebter Gegenstand ohne Bewußtsein und Wissen — kónnte in einer anderen Gruppe griechischer Grabgedichte zu noch gróDeren Problemen der Darstellungslogik führen. In vielen Epigrammen ‘sprechen’ Verstorbene selbst aus ihrem Grab heraus, 4 eine offensichtliche Unmöglichkeit,” die einiges parodistische Potential bereithält. 41

Als besonders einflußreiche Arbeiten seien hier nur F. K. STANZEL, Theorie des Erzählens, Göttingen $1995 (1979) und GENETTE 1994 genannt. Die produktive Kritik an STANZELS Konzept “typischer Erzählsituationen’, wie sie GENETTE und auch die amerikanische Narratologie durchgeführt haben, findet sich zusammengefaßt bei J. VOGT, Grundlagen narrativer Texte, in: ARNOLD / DETERING 1996, S. 287-307, bes. 299-302 (‘Wer erzählt den Ro-

42 43

man?"), VocT 1996, S. 288. Vgl. bes. die bei PEEK 1955 unter B I-III (GV 52-1208) zusammengestellten Typen.

44 45

VOGT 1996, S. 301; GENETTE 1994, STANZEL 1995, S. 254 unterscheidet des negierten Verbs "nicht wissen’. Feststellung, ‘Er / Sie / Es weiß Feststellung zu betrachten.

S. 277. auktoriale und personale Ansicht nach der Verwendung ‘Er / Sie / Es weiß nicht, daß’ enthält eine auktoriale nicht, ob / warum / was’ ist meistens als personale

46

Vgl. PEEK 1955, B II 3 (GV 926-1147).

Methodische und terminologische Grundlagen

15

Darüber hinaus hat GENETTE eine dritte Erzählsituation ausgemacht, die er als

‘externe Fokalisierung’ bezeichnet, VOGT etwas schlichter als neutrale Erzählsituation, in der Gedanken und Gefühle der handelnden Figuren verborgen bleiben, sie gleichsam von außen betrachtet werden. Sie wird besonders dann interessant, wenn die subjektive personale Situation die Regel darstellt. Der fiktive Erzähler oder Sprecher bestimmt also die Perspektive eines Textes und wird so zu einem

konstitutiven Element der Leserlenkung, anders gesagt: Er ist einer der wichtigsten Bestandteile einer Appellstruktur. Die historische Untersuchung des Romans hat gezeigt, wie verschiedene Wirkabsichten auch mit verschiedenen Perspektiven verbunden werden: „Auktoriales Erzählen ist oftmals Ausdruck von Lehrhaftigkeit und starker Leserlenkung, [ ... ] personales Erzählen gewinnt seit Mitte des 19.

Jahrhunderts (im Kontext von Naturwissenschaften, Psychologie, neuen Kommu-

nikationsmedien) [ ... ] die Oberhand“.”° Auktoriales Erzählen in Ich-Form wendet sich belehrend an den Leser, personales Erzählen konfrontiert den Leser mit einer subjektiven oder eingeschränkten Perspektive, die ihn zu einer Reaktion herausfor-

dert.”' Die ‘neutrale’ Situation läßt ihm vielleicht den größten eigenen Spielraum.

Zusammenfassend gesagt: Was wir bei der Untersuchung über die Entwicklung

des

Epigramms

im

Auge

behalten

wollen,

ist die Kommunikationsfunktion

(GENETTE) des jeweiligen textinternen Erzählers, seine Vermittlerrolle vor dem Hintergrund der „Ausrichtung des Erzählers auf den Adressaten, sein(em) Bemühen, einen Kontakt zu ihm herzustellen oder aufrechtzuerhalten, vielleicht gar einen

Dialog mit ihm zu führen“,”” und die Mittel der Perspektive und Stimme, die zu diesem Zweck eingesetzt werden. Doch kehren wir nun zum Leser und zu den Beobachtungen der Rezeptionsásthetik zum Verháltnis von Textstruktur und Leser zurück. Zwei Aspekte erscheinen dabei im Hinblick auf das literarische Epigramm

als besonders vielverspre-

chend: die Leserlenkung durch *Unbestimmtheit' und semantische 'Leerstellen'^ im Text und das vor allem zeit-ráumliche Orientierungssystem der 'Deixis'. Leer-

stellen sind semantische Aussparungen im Text, „unformulierte Beziehungen" und 47

L. SPA,

Autobiografie impossibili. Considerazioni sui rapporti tra iscrizioni funerarie

greche e genere autobiografico, in: G. ARRIGHETTI / F. MONTANARI (Hgg.), La componente autobiografica nella poesia greca e latina fra realtà e artificio letterario, Atti del Convegno, Pisa 16-17 maggio 1991, Pisa 1993, S. 163-178; L. MARIN, Poussins ' Arkadische Hirten’, in: KEMP 19922, S. 163: „Bei einer Grabschrift ist das paradoxe Verhältnis zwischen dem

schreibenden und dem geschriebenen ‘ich’ nicht überwindbar", vgl. STANZEL 1995, S. 290—

48 49 50 51

294 über ‘Sterben in der Ich-Form’ zu den entsprechenden Problemen der Romanautoren; GENETTE 1994, S. 276f. Bei GENETTE 1994, S. 132 steht 'narrativer Fokus’ hier anstelle von ‘Blickwinkel’ oder 'Perspektive’, zu den verschiedenen ‘Fokalisierungen’ s. ebd. S. 134f. VoGT 1996, S. 301. "VocT 1996, S. 302; STANZEL 1995, S. 255 (Leser und personales Erzählen). STANZEL 1995. vgl. aber auch ISER 1974 in WARNING 1994, S. 238f. zum auktorialen Kommentator.

52

GENETTE 1994, S. 184.

53

Iser 1974 in WARNINO 1994, S. 233ff., bes. 234-241; ISER 1994, S. 267ff., 284ff.; STANZEL 1995, 203ff; RiCHTER 1996, S. 527-530; vgl. ferner W. KEMP, Verständlichkeit und

Spannung. Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jh., in: KEMP 1992a, S. 307-332.

16

Griechisches Epigramm und Rezepuonsásthetik

zurückgehaltene kraft des Lesers Elegien wären Leerstellen im

Informationen, die die Kombinationsfähigkeit und Vorstellungsfordern. In den längeren narrativen Partien der kallimacheischen etwa die bekannten Abbruchsformeln solche Leerstellen.^ Die griechischen Epigramm sind allerdings elementarer: Wenn eine

Steininschrift aus Rhamnus verkündet, Lysikleides habe „diesen hier der Göttin hier

geweiht, der dieses Heiligtum gehört“, so ist der Leser auf den außertextlichen Zusammenhang, die auf dem Kalkpfeiler bezeichnete Statue und ihren Aufstellungsort verwiesen,

um das Gemeinte zu verstehen.

Da dies für ihn nicht weiter

schwierig sein kann, wird er durch die Pronomina letzten Endes zum Betrachten der Statue (τόνδε, die Statue eines Knaben) animiert — die Inschrift hat ihr Ziel erreicht, indem sie ihren Leser auf das Wesentliche gelenkt hat. Die Identifizierung der Statue — eine ausgesparte Information -- muß der Leser selbst leisten. Im Fall der hellenistischen Epigramme entstehen, wie P. BING gezeigt hat, zahlreiche Leerstellen auf ganz andere Weise: durch die Übertragung aus dem funktional genau definierten ‘steinernen’ Kontext in den neuen Zusammenhang des Buches. Informationen, die früher aus dem Kontext leicht ergänzt werden konnten, müssen hier erraten oder durch mühsame Forschung rekonstruiert werden. Für uns stellt sich insbesondere die Frage, in welcher poetischen Intention — abgesehen von der kommunikativen Funktion als Appellstruktur — die hellenistischen Dichter diese gattungskonventionelle Unbestimmtheit des Epigramms nutzen. Als Fazit der bisherigen Überlegungen zu einer rezeptionsästhetischen Betrachtungsweise des griechischen Epigramms ergibt sich nunmehr folgende Aufgabe. Es gilt, die Techniken der Leserlenkung, die immanenten Appellstrukturen der Texte im Verlauf ihrer literaturgeschichtlichen Entwicklung zu verfolgen und dabei insbesondere die Rollen von Autor und Leser in den Blick zu nehmen. Die zunehmende Literarisierung des Epigramms, die etwa in der Gestaltung der Leserrolle oder in den Strategien der Leserbeeinflussung zum Ausdruck kommt, können wir mit Hilfe von erzähltheoretischen und rezeptionsästhetischen Kategorien beschreiben. Was uns an dieser Stelle noch fehlt, ist eine kurze, rezeptionstheoretische Analyse des " Ausgangsmodells', des frühen inschriftlichen Epigramms. Dazu werden wir das letzte unserer oben aufgelisteten rezipientenorientierten Strukturmerkmale benótigen: die Deixis. Die Geschichte des griechischen Epigramms beginnt auf Vasen und mit einigen homerischen Denkmälern, künstlichen Landmarken, die von ihren Betrachtern interpretiert werden. Während sich aber auf den Vasen unzweifelhaft eingeritzte Schriftzeichen befinden, erscheinen in den Denkmalsbeschreibungen bei Homer der

Denkmalsgegenstand und der zugehörige Sprechakt, der später auf dem Objekt selbst angebracht ist, noch getrennt. Die homerischen Helden sehen ein σῆμα, einen τύμβος und einen merkwürdigen Baumstumpf, an den zwei weiße Steine ge54

Vgl. bes. Fr. 57, 1 PFEIFFER = ΔῊ 264, 1 mit der Aufforderung an den Leser, sich selbst den

Fortgang der Geschichte vorzustellen (αὐτὸς ἐπιφράσσαιτο, τάμοι δ᾽ ἀπὸ μῆκος ἀοιδῇ); dazu Th. FUHRER, Die Auscinandersetzung mit den Chorlyrikern in den Epinikien des Kallimachos, Basel / Kassel

1992 (Schweizerische

Beitráge zur Altertumswissenschaft

23), S.

71-75, 121-125: BiNG 1995, S. 123, dazu unten S. 24 Iff.

55

CEG 1, 320 = IG T, 1021: ... τόνδε Je(ä)ı τῆιδε, ἢ τόδ᾽ (E) yet τέμενος, S. u. S. 18, 137.

Methodische und terminologische Grundlagen

17

lehnt sind.” Sie verstehen sie als ein etwas altertümliches Zeichen, das sie über die

Grabstelle eines ‘früher’ verstorbenen bedeutenden Menschen informieren will, zugleich aber auch als Wegweiser für vorüberkommende Reisende. Der imposante Baumstumpf mit den Steinen kónnte nach der wohlüberlegten Ansicht des fachkundigen Nestor entweder ein Grabmal oder aber eine Wendemarke für ein Wa-

genrennen gewesen sein. Die von den Grabmälern bei ihren homerischen Betrachtern ausgelóste Sprechhandlung, mit der wir uns im ersten Teil der Arbeit noch eingehender befassen werden, weist starke Parallelen zu den erhaltenen frühen

Steinepigrammen auf. An dieser Stelle interessiert uns jedoch nur die Funktion der Denkmäler als Zeichen und Zeiger: Sie verweisen auf den nicht mehr anwesenden Verstorbenen, und sie dienen als ráumliche Orientierungspunkte. Es bedeutet nur noch einen kleinen Schritt, den Zeiger auch zu einem Sender zu machen,

indem

man ihn beschriftet und nun präziser ‘kommunizieren’ läßt, so daß Fehldeutungen ausgeschlossen werden. Die Übertragung einer Senderrolle auf den Stein bedeutet aber nicht, daß dieser nun kein Zeiger mehr wäre, im Gegenteil: Das Zeigen auf das konkret räumliche 'Zeigfeld','* in dem sich der Leser orientiert, und der darüber hinausgehende Verweis auf den abwesenden Toten bleiben die wichtigsten Merk-

male auch des beschrifteten griechischen Denkmals. Halten wir fest: Griechische Inschriftensteine, die ja in der Regel fest im Boden verankert sind, erfüllen eine doppelte Zeigerfunktion: Sie dienen als Wegmarken und als stellvertretender Hinweis auf etwas Abwesendes. Epigramme, so könnte man sagen, sind verbale Zeiger in Versform, die jemanden auf etwas verweisen, das mit dem Ort verbunden ist.

Karl BÜHLER

beginnt sein Kapitel über ‘Das Zeigfeld der Sprache und die

Zeigwörter’”” mit einer Analogie zwischen dem Wegweiser in der Landschaft und

den ‘Zeigwörtern’ im Rahmen eines Sprechereignisses. Mit der 'Deixis' dem Verweisgestus im Sprechakt, den wir mehrmals schon berührt haben, sind wir nun 56

57

11.7, 87-91 (das von Hektor vorgestellte eigene Grab): 23, 331f. (das alte Grab als Wendemarke), Od. 11, 75f. (das σῆμα des Elpenor, καὶ ἐσσομένοισι πυϑέσϑαι), vgl. Od. 24, 80-84 (das weithin sichtbare Grab des Achill). Zur Begrifflichkeit und Funktion von Gräbern bei Homer und in der folgenden Zeit, aber auch zu den Vorstellungen über den Tod vgl.

jetzt die ausführliche Abhandlung von C. SOURVINOU-INWwOOD, "Reading' Greek death. To the End of the Classical Period, Oxford 1995, zu Homer S. 17-140. A. 23, 332. Der antike Hörer weiß an dieser Stelle der Nestorrede über das Wagenrennen, worauf der Sprecher hinauswill. Der von den ‘Preilsteinen’ vor den Wagennaben geschützte

Baumstumpf soll in dem bevorstehenden Rennen als Wendemarke genutzt werden, da er ideal beschaffen ist. DaB Nestor mit seiner 'historischen' Deutung dennoch vorsichtig ist. zeigt einmal mehr seine Lebenserfahrung.

58 59

BÜHLER 1934, S. 79ff. BÜHLER 1934, S. 79-148.

60

„Die Zeige- und Hinweisfunktion sprachlicher Ausdrücke in einem gegebenen Kontext oder in einer bestimmten Situation, z. B. Der Mann da drüben hat ihn geschlagen. | ... ] deikti-

sche Mittel stellen (Referenz)Beziehungen zum jeweiligen Rahmen her“ - so die Definition bei Th. LEWANDOWSKI 1990, Bd. I, S. 205f. (mit Literaturhinweisen), Zitat S. 205 (Hervorhebungen LEWANDOWSKI); vgl. RÖSLER 1983, S. 9ff., außerdem K. EHLICH, Funk-

tion und Struktur schriftlicher Kommunikation, in: GÜNTHER / LupwiG 1994, S. 18-41. hier S. 22: „Die deiktische Prozedur dient der Orientierung der Höreraufmerksamkeit primär unter Bezug auf das Sprecher und Hörer gemeinsam zugängliche Wahrnehmungsfeld."

18

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

zu dem vielleicht wichtigsten Strukturelement der Epigramme gelangt, das die Ein-

beziehung des Lesers in die Perspektive des Sprechers belegt. Betrachten wir noch

einmal das Weihepigramm CEG 1, 320 = 16 P), 1021: ... τόνδε Ye(ä)ı τῆι δε, ἣ τόδ᾽ (ἔγχει τέμενος enthält mit τόνδς, τῆϊιδε und τόδε drei Zeigwörter (Deiktika),

mit denen auf den gemeinsamen ‘Sehraum’°' von Sender und Empfänger verwiesen wird. „Zeigwörter ... steuern den Partner in zweckmäßiger Weise. Der Partner wird angerufen durch sie, und sein suchender Blick, allgemeiner seine suchende Wahrmehmungstätigkeit, seine sinnliche Rezeptionsbereitschaft wird durch die

Zeigwörter auf Hilfen verwiesen, gestenartige Hilfen und deren Äquivalente,

die seine Orientierung im Bereich der Situationsumstände verbessern, ergänzen.“

Zu der räumlichen Deixis treten die temporale (‘jetzt’) und -- als die literaturtheoretisch schwierigste Art des sprachlichen Verweisens — die personale ('ich' / 'du') Deixis. Nach BÜHLER weisen die „Wörter ich und du ( ... ) kurz gesagt auf

die Rollenträger im aktuellen Sprechdrama, auf die Rollenträger der Sprechhandlung hin." Dies ist im Fall der Grabepigramme, die die Struktur ‘Ich-Rede des

Denkmals’ aufweisen, leicht nachzuvollziehen. Spricht aber wie beim Typus PEEK B 113 (GV 926-1147) der Tote selbst, stehen wir vor einem Problem: Der Sender verweist mit dem Zeigwort ‘ich’ auf etwas im gemeinsamen Wahrnehmungsraum nicht Vorhandenes. Der Erzähler führt, mit BÜHLER gesprochen, den Hörer / Leser „ins Reich des abwesend Erinnerten" — sofern der Leser den Verstorbenen kannte „oder gar ins Reich der konstruktiven Phantasie“.°* Aber, so BÜHLER weiter, auch in diesen imaginären Räumen der Vorstelllung operiert ein anschaulicher Erzähler

mit Zeigwörtern. Haben wir es bei dem abwesenden ‘Ich’ des Sprechers vielleicht -im Unterschied zur Deixis ad oculos et aures — schon mit dem ‘Fiktionsspiel der anschaulichen Sprache' (z. B. mit einem poetischen Sprachmodus), zeigfeldtheoretisch gesprochen: mit einer Deixis am Phantasma? zu tun? Wenn der Sprecher einer Inschrift die Reisenden grüßt und fortfáhrt mit „ich aber liege tot (scil. hier)

unten“ (£yo δὲ Yavov | κατάκειμαι, (ΕΟ 1, 108), bezieht er sich einerseits auf die dem Adressaten vor Augen liegende Realität: den Stein, unter dem er bestattet wurde. Andererseits bleibt er nichtsdestotrotz unsichtbar und unhörbar,“ so daß 61 62 63

BÜHLER 1934, S. 127f. BÜHLER 1934, S. 105f. BÜHLER 1934, S. 113, vgl. S. 105: „Die Neuzeit hat im Unterschied von den besten Sprachtheoretikern im Altertum

[gemeint ist: Apollonios Dyskolos, vgl. BÜHLER

1934, S.

113,

118f.] faktisch in das Sprachzeichen ich etwas zuviel an philosophischen Spekulationen hineingedacht. Befreit davon steckt gar keine Mystik mehr darin. Die Theorie muB von der

schlichten Tatsache ausgehen, daB eine demonstratio ad oculos und ad aures das einfachste und

zweckmäßigste

Verhalten

ist, das Lebewesen

einschlagen

können,

die im

sozialen

Kontakt eine erweiterte und verfeinerte Berücksichtigung der Situationsumstände und dazu Zeigwörter brauchen.“

64

BÜHLER 1934, S. 124f.

65 66

BÜHLER 1934, S. 121ff. Vgl. BÜHLER 1934, S. 125: „Der am Phantasma Geführte [ ... | hört in der geschriebenen Sprache auch nicht den Stimmcharakter eines abwesenden Sprechers, welcher ich sagt.“

Methodische und terminologische Grundlagen

19

der Leser sich mit Hilfe seiner Vorstellungskraft “unter die Erde’ versetzen oder umgekehrt den Sprecher in seiner Phantasie ‘heranholen’ muß. Dies ist der Punkt,

an dem sich der schriftliche Charakter der Epigramme am deutlichsten bemerkbar macht, obwohl diese im übrigen doch einen mündlichen Sprech- und Zeigeakt nachahmen. Durch die Verwendung deiktischer Wörter gelingt ihnen dies auf so perfekte Weise, daß man — wäre da nicht die irritierende Abwesenheit des Sprechers — vergessen könnte, worum es sich tatsächlich handelt: um in der Phantasie des Verfassers vorformulierte Darstellungen von Sprechakten, nicht um die

Sprechakte selbst. Grab- und Weihepigramme nutzten die Tatsache, daß sich das Zeigfeld°’ der Sprechhandlungen an dem durch die Inschrift selbst markierten Ort gewöhnlich nicht verändert. Die wesentlichen textuellen Verweisgesten des Epigramms (das ‘Ich’ des Sprechers, das ‘Du’ des Lesers, ‘dort vor dem Stein’, “hier

unter dem Stein’ etc.) gelten, solange der Stein aufrecht steht und gelesen wird. Jeder einzelne historische Leser, der auf den Stein in situ trifft, ‘aktualisiert’ das deiktische System der subjektiven Orientierung.9* Man könnte einwenden, daß ein sprechender Grabinhaber für den antiken Leser gar kein Paradoxon dargestellt haben mag, da der Tote den religiösen Vorstellungen der Zeit entsprechend in der Tat als an der Stätte des Begräbnisses anwesend gedacht wurde. Dies hilft uns jedoch nur zum Teil weiter. So zeigen schon die homerischen Epen eine volkstümlichen Konzeptionen vom ‘lebenden Leichnam’ ganz entgegengesetzte Tendenz,‘ Tote ‘sprechen’ dort höchstens in Gestalt von Traumbildern oder Eidola, die sich in der Unterwelt, nicht jedoch am Grab aufhalten. Die Phantasien des Hektor über seine eigene zukünftige ‘Grabschrift’ in der Form der Rede der Nachgeborenen geben die Worte und Wünsche eines Lebenden wieder. Das Paradoxon eines toten Sprechers in einer Inschrift ist also auch vor dem Hintergrund griechischer Jenseitsvorstellungen nicht völlig aufzulösen.” 67

68

Vgl. BÜHLER 1934, S. 126 und die zusammenfassende Beschreibung auf S. 149: „Das Zeigfeld der Sprache im direkten Sprechverkehr ist das hier-jetzt-ich-System der subjektiven Orientierung; Sender und Empfänger leben wachend stets in dieser Orientierung und verstehen aus ihr die Gesten und Leithilfen der demonstratio ad oculos. Und die Deixis am Phantasma [ ... ] nützt [ ... ] dasselbe Zeigfeld und dieselben Zeigwórter". Zur Rezeptionshaltung der ‘Aktualisierung’, der Übertragung eines mit Zeigwórtern operierenden Textes in einen neuen, aber nicht wesentlich anderen Kontext, auf den die Verweise immer noch passen, vgl. ROSLER 1983, S. 16 und 18-20. Siehe ferner die überaus prázise Abhandlung von EHLICH 1994, S. 18-41, bes. S. 30 zum Leser von "lokostatischen' Texten,

d. h. Inschriften: „Für sie alle ist charakteristisch, daB die rezeptive Teildimension der sprachlichen Handlung dadurch initiiert wird, daß in sich lokomobile Leser als potentielle

69 70

Leser in den visuellen Horizont des türe aktualisieren." Vgl. etwa E. WOST, 'Unterwelt', in: Zur Sprachlosigkeit der Toten vgl. Princeton 1983, S. 84f. mit Anm.

YouNG: δηρὸν γὰρ ἔνερϑεν

schriftlichen Textes treten und die Móglichkeit der LekRE IX A, 1. 1967, Sp. 672-683, bes. 673. J. N. BREMMER, The Early Greek Concept of the Soul, 35, und bes. Hesiod Scut. 131 sowie Thgn. 1, 567ff.

γῆς ὀλέσας ψυχὴν κείσομαι ὥστε λίϑος

ἀφϑογγος,

λείψω δ᾽ ἐρατὸν φάος ἠελίοιο᾽ ἐμπης δ᾽ ἐσϑλὸς ἐὼν ὄψομαι οὐδὲν £r. Weitere Stellen und Hinweise auf orientalische Vorbilder bei M. L. WEST, The East Face οἵ Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford 1997, S. 160 mit Anm. 149. Diese Vorstellungen spiegeln sich etwa auch in der philosophischen Wahrnehmungslehre des Parme-

20

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

Die Abwesenheit des ‘Ich’ im griechischen Grabepigramm bringt also ein Problem für die Einheit des Sprechakts mit sich, das — in der BOHLERschen Terminologie — die Lokalisierung der durch die Zeigwörter hier-jetzt-ich definierten ‘Origo’ des Zeigfeldes betrifft." Diese Unklarheit — ist das ‘Ich’ vielleicht eher im Medium, dem ‘sprechenden’ Stein, oder doch in einer ‘Stimme aus der Tiefe’ zu

finden — entsteht, wie die neuere Forschung gezeigt hat, durch die Übertragung einer mündlichen Sprechhandlung in die Schriftlichkeit. Ob sie den Verfassern der vorhellenistischen Epigramme schon bewußt war, wird eine der Fragen sein, die in

der vorliegenden Arbeit behandelt werden sollen." Zuvor jedoch wollen wir einige der systematischen Überlegungen in den Blick nehmen, die die allgemeine Theorie

des sprachlichen Handelns zum Phänomen der Transposition mündlicher Sprechakte in das Medium der Schrift vorgelegt hat." Insbesondere sollen dabei wieder diejenigen Elemente Beachtung finden, die den Ausgangspunkt für die spátere Literarisierung des Epigramms bilden: das Verhältnis von Autor und Leser und die Verwendung fiktiver Sprecherrollen. Schrift ist nach K. EHLICH ein ,, Verfahren zur Herstellung der Dauerhaftigkeit

sprachlicher Handlungen", das historisch und systematisch auf das konkurrierende Verfahren der mit gedächtnisstützenden ‘Formen’ operierenden, mündlichen 'Vertextung' folgt. Die schriftliche Vertextung bedeutet die 'Zerdehnung' oder ‘Dissoziation’ der in sich homogenen Sprechsituation. Diese „zerfällt in zwei Be-

reiche, in denen jeweils einer der Aktanten [scil. der Sender oder Empfänger] im Mittelpunkt steht". Diese ‘Zerdehnung’ ist im Epigramm eine zeitliche und in geringerem Umfang eine ráumliche. Die Versinschrift wendet sich an zukünftige, im

Augenblick ihrer Abfassung natürlich abwesende Leser. Ihr fehlt zudem ein im Moment der Aktualisierung prásenter Autor. Wie verándert sich sprachliches Handeln durch die Verschriftlichung der Kommunikation? Ehlich unterscheidet hier

Konsequenzen der Verschriftlichung in kleineren Handlungseinheiten (Prozeduren’) wie der Adressatenlenkung und der Deixis von den „illokutive(n) Konse-

quenzen", die die Zweckhaftigkeit des sprachlichen Handelns betreffen. Von entscheidender Bedeutung sind darüber hinaus die „Transformation des Sprechers zum Autor" und die „Transformationen (sic) vom Hörer zum Leser". Beginnen wir mit dem Bereich der unmittelbaren Einflußnahme auf den Leser ('Lenkfeld"). Die

Dissoziierung von Sprecher und Hórer fordert auf der Seite des Sprechers eine

71

nides (Fr. 28 A 46, DiELS / KRANZ 1 226, 13-15): Ein Toter kann Kälte und Schweigen, nicht aber Licht, Wárme und Stimme wahrnehmen, vgl. hierzu Ax 1986, S. 63. Zur Origo vgl. BÜHLER 1934, S. 102ff.; ROSLER 1983, S. 14f. Zum Problem der Lokalisierung im schriftlichen Text und allgemein zum folgenden s. EHLICH 1994, bes. 22f.: „Welchem Teil der zerdehnten Sprechsituation ist die Origo zuzuordnen, dem des Sprechers /

Schreibers, dem des Hórers / Lesers oder dem aus beiden ablósbaren Text selbst?". 72

73 74

|n diesem Zusammenhang scheint die Beobachtung STANZELs 1995, S. 111 interessant, daß in der jüngeren Romantheorie die Fiktivität des Ich-Erzáhlers (also die Nicht-Identitát mit dem Autor) früher als die des Erzáhlers in der 3. Person erkannt wurde, mit dem man eine größere Objektivität und weniger eigenständige Persönlichkeit assoziierte. Die erwähnte zusammenfassende Darstellung bei EHLICH 1994, S. 18-41 geht zugleich systematisch und historisch vor (weitere Literatur ebd. S. 39-41). EnuicH 1994, S. 19.

Methodische und terminologische Grundlagen „verstärkte Antizipation des Verstehensprozesses des Leser “7

21 vom Leser wie-

derum das verstärkte Bemühen um das Verstehen. Insofern eine Lesergruppe Zugang zum verschriftlichten Text gewinnen kann, wird dieser eine „mittlere Verstándlichkeitsstruktur" anstreben. Das Verstehen des Textes wird ferner durch graphisch-semiotische Strukturen (Worttrennung, Verwendung von Überschriften etc.) erleichtert. Kennzeichnend für das Lenkfeld ist die „indirekte Direktheit" der Kommunikation: Es bilden sich beispielsweise „schriftspezifische Grußformeln“ aus, denen die Funktion zukommt, „jene Unmittelbarkeit der Sprechsituation artifiziell zu evozieren, die durch die Verschriftlichung eo ipso verloren gegangen ist."5 Um nur diesen letzten Punkt aufzugreifen: Die Erfindung von Grußformeln und Anredevarianten ‘an den Wanderer’, der zum Innehalten veranlaßt werden soll,

ist eines der auffälligsten Merkmale des griechischen Epigramms." Über die Veränderungen der verschriftlichten Sprechhandlung im 'Zeigfeld' der Sprache, Deixis

am Phantasma und die Schwierigkeit der Lokalisierung des 'Zeigers', haben wir in dem Abschnitt über Deixis schon gesprochen. Die schriftliche Niederlegung des Sprechakts beinhaltet hier aber noch einen weiteren Aspekt, den insbesondere der

dreidimensionale Schrifttráger eines Epigramms zu verdeutlichen vermag. Der Text des Epigramms wird Teil des gemeinsamen Wahrnehmungsraums, der ‘Zeiger’ kann auf seine visuellen oder haptischen Qualitáten oder auch auf seine ráumliche Erstreckung verweisen. Wenn Schrift oder Bild besonders kunstvoll gestaltet sind, ist der Appell an den Leser einer Inschrift als Betrachter besonders wirkungsvoll. Die illokutiven Konsequenzen der Verschriftlichung eines ‘typisch epigrammatischen’ Sprechakts lassen sich am besten am Beispiel des dedikatorischen Epi-

gramms verdeutlichen. Weihepigramme dokumentieren die Einhaltung eines Gelóbnisses, sie belegen, daß eine Sprechhandlung (z. B. „ich habe dir geweiht ...“) ausgeführt worden ist, und halten dies für zukünftige Gegenwarten präsent. Zu dem genannten Zweck der Fixierung einer vergangenen Handlung kann eine zweite Intention hinzukommen, die die zukünftigen Handlungen des Senders oder des

Empfüngers betrifft. So finden wir in Weihinschriften Versprechungen des Typs „wenn du mir diesen Wunsch erfüllst, werde ich dir dies und das geben ...“. Diese Ausweitungen sprachlicher Handlungsmóglichkeiten ergeben sich aus der Verdauerung der Sprechhandlung im schriftlichen Text. Einmal aufgeschrieben, kann die Sprechhandlung ihre Wirkung gleichsam fixieren. Der religióse Kontext der Weihepigramme, deren textinterne fiktive Adressaten oft Götter sind, legt zudem die Vermutung nahe, daß die Sprechakte des Weihens und Versprechens als unbedingt

verbindlich und wirkmächtig angesehen wurden. Das gilt auch für inschriftliche apotropäische Flüche, die ein Denkmal oder Grab samt dem darauf inskribierten Text dauerhaft vor der Zerstórung schützen sollen." 7S 76 77

EHLICH 1994, S. 22. EHLICH 1994, ebd. Vg). bes. PEEK 1955, Gruppe B IV (GV 1209-1599).

78

"Vgl. EHLICH 1994, S. 31f. (zu schon im alten Orient belegten traditionssichernden Flüchen in Inschriften), und J. ASSMANN, Altorientalische Fluchinschriften und das Problem performativer Schriftlichkeit. Vertrag und Monument als Allegorien des Lesens, in: H. U. GUMBRECHT / K. L. PFEIFFER (Hgg.), Schrift, München 1993, S. 233-255.

22

Griechisches Epigramm und Rezeptionsästhetik

Die Transformationen des Sprechers zum Autor und des Hörers zum Leser sind in der literaturgeschichtlichen Forschung zur Antike im Zusammenhang der

Problematik von Mündlichkeit und Schriftlichkeit einigermaßen ausführlich behan-

delt worden." Eine Zwischenstufe auf dem Weg des Sprechers zum Autor, der zusammenfassend als ein Prozeß der Autonomisierung und Individualisierung der Rolle beschrieben werden kann, bildet der anonyme Schreiber, der im Fall der Epi-

gramme bis zur Entstehung des Buchepigramms die Regel bleibt. Die zunehmende Individualisierung der Autorrolle im antiken Griechenland ist jedoch nicht allein ein Phänomen des Übergangs zur Schriftlichkeit, sondern mehr noch die Folge des damit einhergehenden Qualitütssprungs der Literatur. In dem Moment,

wo eine

Versinschrift als individuelles, künstlerisches Erzeugnis wahrgenommen wird — dies

stellt innerhalb der epigrammatischen Massenware in der Tat etwas Bemerkenswertes dar —, kann auch der Verfasser genannt werden. Wenn wir uns

aber, wie in der vorliegenden Arbeit, weitergehend mit dem Übergang zur Buchund Leseliteratur befassen, so werden wir mit einer tiefergehenden Veründerung konfrontiert. Denn literarische Epigramme fordern einen ‘literarischen’ Leser, der nicht nur eine einigermaßen ansprechende Präsentation von Informationen, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung erwartet: »... eine Funktion von literarischen Texten ist es, Mehrdeutigkeiten zu betonen und sie LeserInnen bewußt zu machen; Ambiguitáten werden zum Kennzeichen des Textes erhoben, statt — wie in der Alitagskommunikation - einen

Vertragsbruch darzustellen. So entautomatisiert und thematisiert der literarische Text Bewußtseinsvorgänge, die üblicherweise vorbewußt bleiben, und

hebt sie in das Bewußtsein von Leserin oder Leser." Damit ündert sich auch die Rolle des Autors: Das Eingehen auf die Verstehensmóglichkeiten seiner Leserschaft und das Spiel mit den Leseerwartungen werden zu seiner charakteristischen Aufgabe." Eine solche Definition des literarischen

Lesens und der ihr entsprechenden Textstrategien — insbesondere das Bewußtmachen von Erwartungen — paßt, wie wir gesehen haben, auf das Epigramm des Kallimachos, in dem der sprechende Hahn dem Leser die eigenen Rezeptionsgewohnheiten vor Augen führt.

Somit haben wir die Entwicklung des griechischen Epigramms von einem auf den Stein übertragenen versifizierten Sprechakt zu einer poetischen Gattung für literarisch erfahrene Leser umrissen. Für unsere Untersuchung bleibt die Aufgabe, die historisch verschiedenen Rezeptionssituationen des Epigramms soweit wie möglich zu rekonstruieren und die daraus resultierenden Veränderungen der Ap-

pellstruktur zu beschreiben. Neben der Analyse der Sprechakte selbst soll unsere Leitfrage die Frage nach der Einbeziehung des Lesers, nach der Entwicklung und Ausgestaltung der Leserrolle sein.

79

Vgl. ROSLER 1994 (mit Bibliographie).

80

Gross 1994, S. 31 zur Beziehung zwischen dem kognitiven Leseablauf und der Poetizitát eines Textes.

81

EHLicH 1994, S. 35.

Methodische und terminologische Grundlagen

23

Die Untersuchung über ‘Kallimachos und die Tradition des Epigramms’ umfaßt drei Teile. Im ersten Hauptabschnitt wird anhand einer Auswahl von inschriftlich und literarisch überlieferten Versinschriften die Entwicklung der poetischen Techniken des Leserappells vom 8. bis zum beginnenden 3. Jahrhundert v. Chr. skizziert. Dabei ist der jeweilige kulturgeschichtliche Hintergrund der gewählten Darstellungsformen, der Einfluß anderer Gattungen und der allmähliche Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit der literarischen Kommunikation zu berücksichtigen. Der zweite Teil der Arbeit ist den Epigrammen des Kallimachos gewidmet.

Hier wird zu zeigen sein, welche poetischen Formen der Dichter aus dem älteren Epigramm übernimmt und wie der konkrete Rahmen, auf den sich Steinepigramme beziehen, in das Buchepigramm integriert und an die Bedürfnisse des literarischen Lesers adaptiert wird. Das Hauptinteresse gilt aber auch hier den Sprecherrollen und insbesondere dem fiktiven Leser, nicht zuletzt, weil die in der alexandrinischen

Dichtung entwickelten Formen der poetischen Rede vorbildhaft für die spätere griechische und lateinische Dichtung geworden sind. Der dritte Hauptteil schließlich gibt einen Ausblick auf die Aitia und die Jamben des Kallimachos. Hierbei wird es um die Ausstrahlung der epigrammatischen

Technik auf andere poetische Unternehmungen desselben Dichters und ihre Implikationen für das Verhältnis von Autor und Leser gehen. er."

Die inschriftlich überlieferten Epigramme des 8. bis 4. Jahrhunderts v. Chr. werden gewöhnlich nach der Edition von HANSEN (CEG 1-2), die hellenistischen Steinepigramme nach PEEKs ‘Griechischen Versinschriften' (GV) oder Griechi-

schen Grabgedichten (GG) wiedergegeben, Editionen. Die in der Anthologia Palatina melten Epigramme werden aus praktischen tiert (Anth. Pal. bzw. Anth. Plan.). Ihr Text

nötigenfalls mit Hinweisen auf neuere und der Anthologia Planudea gesamGründen mit dieser Quellenangabe ziwird jedoch der neueren Ausgabe von

Gow und PAGE 1965 entnommen, sofern die Epigramme hierin Aufnahme fanden. Für die Werke des Kallimachos, auch die Epigramme, bleibt jedoch die bahnbrechende Edition von PFEIFFER 1, 2. Aufl. 1965, und 2, 1953, oftmals die erste Wahl.

Die Übersetzungen der Epigramme habe ich, sofern nicht anders angegeben, selbst angefertigt. Nur noch in Einzelfällen konnte die neue Sammlung der 'Steinepigramme aus dem griechischen Osten’, deren vier erste Bände MERKELBACH und STAUBER Zwischen 1998 und 2002 publiziert haben, in die Untersuchung miteinbezogen werden.

A. DAS GRIECHISCHE EPIGRAMM UND SEINE LESER VON DER ARCHAIK BIS ZUM HELLENISMUS ]. INSCHRIFTLICHE DICHTUNG IN ‘MÜNDLICHER’ KULTUR 1.1.

Traditionen der Mündlichkeit

Untersuchungen zur Entstehung des griechischen Epigramms sehen sich einem mittlerweile nur zu bekannten Paradoxon gegenüber: Die griechische Literatur ist

in ihren Anfängen mündlich gewesen.' Die Eigenheiten der frühesten erhaltenen literarischen Zeugnisse, der homerischen und der hesiodeischen Epik sowie der Einzellieddichtung aus den unterschiedlichen Lokaltraditionen Griechenlands, wei-

sen auf eine lángere Vorgeschichte der mündlichen innerhalb der bekannten Gattungen. Die gebundene tationsliteratur, wie sie die frühgriechischen Epen den nicht nur die rasche Improvisation während

Komposition und Überlieferung Form der hexametrischen Rezidarstellen, ermóglichte den Aódes Vortrags, sondern erfüllte

wohl auch eine mnemotechnische Funktion, die die ursprünglich mündliche Tradie-

rung lángerer Gedichte erleichterte. Auch die charakteristischen epischen Formeln gelten als Indiz für eine mündliche Vorstufe der Literatur, in der poetische Darbietungen ohne die Stütze der Schrift abgehalten wurden. Die Ausbildung einer frühen griechischen Schriftkultur seit dem 8. Jahrhundert bedeutete für diese Literatur vor allem eine Steigerung der künstlerischen Qualitát. Die poetische Sprache der Griechen, die sich besonders unter dem Einfluß von /lias und Odyssee herausbildete, legt jedoch von der tiefen Verwurzelung in einer mündlichen Kultur Zeugnis ab.

Die poetische Konvention verbot geradezu die Erwühnung des neuen Mediums der Schrift; nur indirekt läßt sich zeigen, daß die Konzeption des bleibenden Autorruhms und des individuellen Werkes den Gebrauch des Schreibmaterials für die Dichtung längst voraussetzt.’

Die Hochschätzung der mündlichen Dichtung durch die Griechen beruht auf der Funktion von Dichtung als eines kommunikativen Ereignisses, an dem neben dem Sänger eine Gruppe von Zuhörern beteiligt war, die besonders den aktuellen

und lebendigen Charakter der Aufführung und nicht zuletzt auch die Präsenz eines autoritativen Erzählers schätzte. Für das Ansehen

des Dichters waren zunächst

weder Buchmarkt noch Kritiker zuständig, sondern die 'tagespolitische' Relevanz der Unterhaltungskunst.* Der Dichter mußte eine aktuelle Befindlichkeit seines ι 2 3 4

Vgl. U. Ecker, Grabmal und Epigramm. Studien zur frühgriechischen Sepulkraldichtung. Stuttgart 1990 (Palingenesia 29), S. 9-11. E.POHLMANN, Mündlichkeit und Schriftlichkeit gestern und heute, WJA N. F. 14, 1988, S. 7-20, hier S. 11f. E. STEIN, AutorbewuBtsein in der frühen griechischen Literatur, Tübingen 1990 (ScriptOralia 17). In Od. 12, 184-192 verführen die Sirenen ἱεῖσαι ὁπα κάλλιμον Odysseus mit ihrem Wissen über seine unmittelbare Vergangenheit: ἰὅμεν δ᾽ 600a γένηται ἐπὶ χϑονὶ πουλυβο-

26

Das griechische Epigramm und seine Leser

Publikums treffen. So unterstreichen frühgriechische Dichter den performativen Charakter ihrer Äußerungen durch Bezugnahmen auf einen mündlichen kommunikativen Rahmen, den Aktionsraum der Gruppe. Der epische Dichter zeigt sich dem

Publikum im Gespräch mit seiner göttlichen Informantin, der Muse, so daß seine Worte verbürgte Wirklichkeiten wiederzugeben scheinen. Hesiod verankert sein Lehrgedicht Ἔργα καὶ ἡμέραι in der zeitgenössischen Realität, indem er, wohl in Anlehnung an orientalische Vorbilder,” die Form einer mahnenden Unterweisung an den Bruder wählt, sich dabei aber auch der göttlichen Unterstützung versichert.

Diese einfachen Formen der innertextlichen Evozierung einer Aufführungssituation in der frühesten griechischen Dichtung hängen noch nicht mit der Erscheinung zusammen, die Aristoteles später die mimetische Funktion der Dichtung nennt, daß nämlich Dichtung als eine menschliche (nicht göttliche) Äußerungsform ihrem Wesen nach Nachahmung von Wirklichkeit sei. In der Vorstellung der frühen Dichter ging es nicht darum, Wirklichkeit nachzuahmen, sondern - dies zeigt der Anspruch

auf Wahrheit - in einer durch höhere Instanzen beglaubigten Form repräsentierend wiederzugeben. Die Funktion der poetischen Sprache war nicht die phantasievolle Imitation, sondern die überhöhende Darstellung der Wirklichkeit, wie sie der Autoritát des Dichters selbst und seinem Publikum plausibel war. Erst mit dem Aufkommen der Kunstkritik hat sich diese griechische Konzeption von Sprache und Literatur in dem Sinne gewandelt, daß ein Autor für den Realitätsbezug des Textes verantwortlich wurde und seine schópferische Phantasie zum positiv konnotierten

Thema werden konnte." Für die frühen Dichter war das Vorhandensein eines realen Bezugsrahmens, in dem sich sowohl sie selbst als auch ihre Zuhórer bewegten, eine Selbstverständlichkeit.

Die textlichen Bezugnahmen auf den kommunikativen Rahmen in der griechischen Dichtung, die sich aus dem Streben ihrer Schöpfer nach Wirklichkeitsnähe und Einbettung in die bekannte Realität herleiten lassen, sind zunächst vor allem anhand der griechischen Monodie erforscht worden. Dort finden sich die ersten literarischen Bezugnahmen auf den lebensweltlichen Kontext der Aristokratie des

7. und 6. Jahrhunderts, aber auch auf die Gelegenheit des Vortrags selbst. Das teipn (191). Dieses "panhellenische Wissen’ ist kennzeichnend für das Interesse eines Publikums mit vielen überregionalen Beziehungen, wie es Aristokraten und Händler darstellen.

Über die Bedeutung des Vortrags vgl. z. B. KRUMMEN 1990, S. 4; KAPPEL 1992, S. 176: B. ZIMMERMANN, Dithyrambos. Geschichte einer Gattung, Góttingen 1992 (Hypomnemata 98), S. 11 und allgemein J. HERINGTON, Poetry into Drama. Early Tragedy and the Greek Poetic Tradition, Berkeley / Los Angeles 1985 (Sather Classical Lectures 49). Zur Rolle der Mündlichkeit in der griechischen Kultur sei hier nur auf R. THOMAS, Literacy and Orality in Ancient Greece, Cambridge 1992 sowie auf die Beiträge in I. WoRTHINGTON (Hg.). Voice into Text. Orality and Literacy in Ancient Greece, (Mnemosyne Suppl. 157), Leiden 1996 verwiesen.

5.

Vgl. M. L. WEST, Hesiod. Works and Days. Edited with Prolegomena and Commentary, Oxford 1978, 5, 25-40 und WEST 1997, S. 306f.

6

| M. FUHRMANN, Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles - Horaz — 'Longin'. Eine Ein-

führung. Darmstadt ^1992, S. 16-24. 7

Xenophanes, Eleg. B 1, V. 22 WEST = Fr. 21 B 1, V. 22 DiELS / Kranz Athen. 11, 462 f, spricht bekanntlich von den nAaspa(ta) tov προτέρων.

überliefert bei

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

'Pragmatische'

27

und 'Okkasionelle' der griechischen Dichtung ist auch für die

Chorlyrik immer wieder betont worden.’ Vor allem auf diese nicht-epischen früh-

griechischen Dichtungsarten trifft es zu, daß die mündliche Aufführungssituation als integrativer Bestandteil des Gesamtkunstwerkes empfunden wurde. Anders jedoch, als es die idealisierende Darstellung der Aödenvorträge in den homerischen

Epen vielleicht suggeriert, handelt es sich bei den überlieferten frühgriechischen Dichtungen stets um schriftlich präparierte Texte. Der Dichter bereitet sich auf einen ihm bekannten Aufführungskontext vor. Die Bezugnahme auf den außertextlichen Rahmen dient der stärkeren Einbeziehung seines Publikums. Der beschriebene ‘mündliche’ Hintergrund der griechischen Kultur - die Notwendigkeit einer realen ‘Okkasion’ und einer realen Zuhórerschaft — hat die For-

schung zu der plausiblen These gebracht, daß eine Literaturform, deren Merkmal die endgültige Fixierung auf dem starren Stein war, zunächst mit Mißtrauen be-

dacht? oder weniger ernst genommen" wurde. Ist das Epigramm also im Hinblick

auf den Publikumsbezug

die Ausnahme

von

den

mündlichen

Regeln,

die den

Sprechakt der archaischen Dichtung auszeichnen?! Die Positionen, die die Forschung dazu eingenommen

hat, könnten eine solche Vermutung bestätigen.

Als

Ausgangspunkt für unsere Überlegungen soll hier eine kurze Betrachtung der problematischen Definitionen des Epigramms dienen, in denen die Medien der Kommunikation — insbesondere “Schrift” oder ‘Stein’ — eine zentrale Stelle behaupten. 1.2.

Definitionen

Das griechische Epigramm hat bisher vor allem dann die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft auf sich gezogen, wenn nach dem Ursprung und eigentümlichen Charakter der griechischen Literatur gefragt wurde, gehören doch Versinschriften zu den ältesten überlieferten Schriftzeugnissen überhaupt, die wir aus

Griechenland besitzen.'? Das Interesse an der literarischen Gattung des Epigramms wird dabei von der Einschätzung der archaischen Kultur Griechenlands durch den 8

Zur Einzellieddichtung ROSLER 1980 und 1983 sowie B. GENTILI, Die pragmatischen Aspekte der archaischen griechischen Dichtung, A&A 36, 1990, S. 1-17; zur Chorlyrik KrUMMEN 1990; KAPPEL 1992; ZIMMERMANN 1992. R. SCODEL, Inscription, Absence and Memory.

9

Epic and Early Epitaph, SIFC

3. ser.

10,

1992, S. 57-76, hier S. 65f. 10

GUTZWILLER 1998, S. 2 sieht das alte Epigramm im „rank of minor arts". S. auch HESS 1989, S. 3f.: „Offensichtlich sind aber die Abweichungen von der allgemeinen Sprachnorm.

Als erstes wáre die pragmatische Abweichung zu nennen. Das Grabepigramm ist auf eine ganz spezifische Sprechsituation beschränkt: der Grabstein auf dem Grabmal | ... ] ganz speziell schließlich wird die Norm der Mündlichkeit des sprachlichen Ausdrucks durchbrochen"; M. FANTUZZI, L’Epigramma, in: M. FANTUZZI / R. HUNTER (Hgg.), Muse e modelli. La poesia ellenistica da Alessandro magno ad Augusto, Roma / Bari 2002, S. 389—481 definiert das Epigramm als „scrittura eccezionale" (ebd. S. 389). Marco FANTUZZI (Florenz) übersandte mir vorab sein Manuskript, wofür ich ihm vielmals danken móchte.

ll 12

Scope 1992, S. 58. L. H. JEFFERY / A. W. JoHNSTON, The Local Scripts of Archaic Greece. A Study of the Origin of the Greek Alphabet and its Development from the eighth to the fifth Centuries B. C..

Oxford ^1990 (1961), S. 15-21.

28

Das griechische Epigramm und seine Leser

jeweiligen Forscher geprägt, insbesondere in bezug auf die Bedeutung, die der Übernahme und Verbreitung der Schrift bei der Entstehung dieser Kultur zugemessen wird. Aber auch die kultur- und medienkritische Bewertung des Phänomens "Schrift" spielt dabei eine Rolle. Zwei Tendenzen lassen sich in diesem Sinne deutlich unterscheiden. Die eine

Richtung betont die praktische Funktion der mündlichen Elemente bei der Entstehung der ältesten Inschriften. Sie wurde besonders durch WILAMOWTIZ verbreitet, der aus der metrischen Struktur eine genuine Funktion von Epigrammen als Merkversen" ableitet. Diese Position läßt sich weiterverfolgen über RAUBITSCHEK 1968, dessen These von den aus Totenklagen entwickelten Grabepigrammen 1989 von J.

W. DAY aufgegriffen wurde.'* Day analysiert die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem mündlich vorgetragenen Enkomium und der archaischen Grabschrift. Ein Repräsentant der anderen Richtung ist dagegen H. HÄUSLE 1979, für den das Epigramm als eine Dichtungsart gilt, deren Spezifikum die Schriftlichkeit ist: „Die Inschrift hat ihr Sein nur in ihren sie konstituierenden Buchstaben;

. außerhalb dieser ist sie nicht mehr das, was sie ist."

Er zeigt sich dabei abhängig von einer alten Meinung, nach der die Schriftlichkeit der Versinschriften vor allem in ihrer Materialgebundenheit bestehe.' Dies ist

13

WILAMOWITZ 1924, Bd. 1, S. 119, 123, so auch noch die Definition von G. HiGHET in: OCD

71970, S. 392-394 s. v., hier S. 392: Epigram | ... ] means 'inscription'. Since verse inscriptions were more memorable than prose, the word came to denote a poetic inscription." Anderen zufolge sollten Epigramme allerdings nicht auswendig behalten werden, sondern mit ihrer Versform den Leser beeindrucken, vgl. W. PEEK, Griechische Grabgedichte. Grie-

chisch und deutsch, Berlin 1960, S. 10f., ähnlich ECKER 1990, S. 48. Ι4

A. E. RAUBITSCHEK, Das Denkmal-Epigramm, in: L'Épigramme grecque, Vandauvres / Genéve 1968, S. 1-36; J. W. Day, Rituals in Stone. Early Greek Grave Epigrams and Monu-

ments, JHS

15

!11, 1989, S. 16-28; DERS., Epigram and Reader.

Generic Force as (Re-)

Activation of Ritual, in: M. DEPEW / D. OBBINK (Hgg.), Matrices of Genre. Authors, Canons, and Society, Cambridge / Mass. 2000, S. 37-57; vgl. auch G. B. WALsH, Callimachean Passages. The Rhetoric of Epitaph in Epigram, Arethusa 24, 1991, S. 77-103. H. HÀusLE, Einfache und frühe Formen des griechischen Epigramms, Innsbruck 1979, S.

45. Ebd. S. 31 erläutert HÄUSLE seinen Literaturbegriff: „Der Literatur im eigentlichen Sinne kann jedoch all das zugerechnet werden, was allein durch die Elemente der Buchstaben oder welcher Schriftzeichen immer sein Leben hat und vom Vollzug der Sprache abgelöst, d. h. literarisiert ist." Nach dieser Definition zählt etwa die frühgriechische Lyrik nicht primär zur Literatur (S. 34f.), wurde sogar „gegen ihre Natur“ (S. 35) dazu. Unklar ist, worin dieses metaphysische Leben der Schriftzeichen ohne Sprache bestehen soll. Nach DEMS., ZNOΠΟΙΕΙ͂Ν - YOIETANAI. Eine Studie der frühgriechischen inschriftlichen Ich-Rede der Gegenstánde, in: R. MUTH / G. PFOHL (Hgg.), Serta Philologica Aenipontana 3, Innsbruck 1979, 5. 23-139 (= HAUSLE

1979b) verdankt es sich aber wohl

einer volkstümlichen

Vor-

stellung von Buchstabenmagie.

16

So etwa H. HoMMEL, Der Ursprung des Epigramms, RhM 88, 1939, S. 139-206, bes. S. 195: „... ergab sich naturnotwendig aus dem Zweck und Material eine gewisse Kürze, die das Epigramm deutlich unterschieden hat von den mündlich überlieferten oder dann auf vergánglicheren Stoff geschriebenen Formen des Epos und der Elegie".

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

29

insofern richtig, als auch der antike Begriff des Epigramms'" das Merkmal der Inschriftlichkeit als unterscheidende Differenz hervorhebt. Schriftlichkeit ist jedoch mehr als ein mediales Phánomen. Untersuchungen seit WEBER 1917 haben gezeigt, daß die mediale Schriftlichkeit der Versepigramme nicht notwendig von Anfang an

mit einer schriftlichen Konzeption des Kommunikationsvorgangs identisch sein muß.'* Eine einseitige Betonung der Schriftlichkeit und insbesondere ihres materiellen Aspekts vernachlässigt beinahe zwangsläufig die mündlichen Elemente des epigrammatischen Sprechakts. Für die Bestimmung des schriftlichen Anteils wich-

tiger ist die Frage, inwiefern Versinschriften Literatur für Leser darstellen und inwieweit der Autor in seiner Konzeption die Abwesenheit seines Publikums im Moment der Abfassung seines Textes (und umgekehrt das Fehlen seiner Person im Augenblick der Rezeption) berücksichtigt.

Die Ursache für die Verwirrung in der Forschung über Definition und Begriff des ἐπίγραμμα, wörtlich: “das Aufgezeichnete', liegt in der teilweise einseitigen

Fixierung auf das äußere Merkmal der Inschriftlichkeit.'” Ähnliche — neuzeitlicher Kultur- und Medienkritik entsprungene — Vorurteile treffen auch das Buchepigramm als schriftliche und damit ‘tote’ Kunstform, wie wir noch sehen werden. Mit R. REITZENSTEIN gesprochen ist „das Epigramm ... in der Tat keine besondere

Dichtungsart, weder nach seinem Stoff, noch nach seiner Form“.”” J. GEFFCKEN forderte gar „den Begriff des Genos für das Epigramm wenigstens in seiner älteren

und auch noch in seiner besten Erscheinungsform auszuschalten.“?' Die Schwierig17

Zuerst bei Hdt. 5, 59, 4; 7, 228, 6f.

18

L. WEBER, Steinepigramm und Buchepigramm, Hermes 57, 1917, S. 536—557, bes. S. 555ff.

zu den Merkmalen des Buchepigramms, woran sich RÖSLER 1983, S. 27 und Anm. 44 anschließt. S. auch A. KOHNKEN, Gattungstypik in kallimacheischen Weihepigrammen, in: J. DALFEN / G. PETERSMANN / F. F. SCHWARZ (Hgg.), Religio Graeco-Romana. Festschrift für W. Pötscher, Graz / Horn 1993 (Grazer Beiträge Suppl.bd. 5), S. 119-130. - Speziell zum archaischen Epigramm vgl. ECKER 1990, S. 45ff. Insgesamt ist zu betonen, daB der münd-

19

liche Aspekt der Versinschriften nicht in ihrer Herkunft aus dem mündlichen Ritual besteht, sondern als eine künstlerische Darstellungsabsicht zu interpretieren ist, die eine mündliche Kommunikation imitiert. Inschriften als Zeugnisse für „the oral character of Greek society" interpretiert T. LINDERS, Inscriptions and Orality, Symb. Osl. 67, 1992, 27-40. Negativ bewertet wird die Raum- und Materialgebundenheit des Epigramms bei Th. BIRT. Das antike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Literatur, Berlin 1882; vgl. LAUSBERG

1982, S. 80, 97; SCODEL 1992, S. 58. 20

R. REITZENSTEIN, 'Epigramm', RE VI, I, 1907, Sp. 71-111, hier Sp. 77 und ähnlich schon REITZENSTEIN 1893, S. 105: „Die Aufschrift ist an sich keine bestimmte Dichtungsart, weder ein fester Inhaltskreis noch ein bestimmtes Metrum ist ihr eigen ... es dient, wie der einfa-

chen Erklärung eines Grabmals oder Weihegeschenks, ebenso auch einen Weisheitsspruch, eine Allen nützliche Lehre dem Vorübergehenden ins Gedáchtnis zu rufen, und tritt dadurch indirekt zu der paraenetischen Gelage-Elegie in nähere Verwandtschaft. Die schlichte Sprache und Kunst zeigt, dass zunáchst das Interesse sich überwiegend dem Inhait zuwendet." Vgl. dagegen LAUsBERG 1982, S. 95-98.

21

1. GEFFCKEN, Studien zum griechischen Epigramm, Neue Jahrbücher für das Klassische Altertum 20, 1917, S. 88-107, gekürzt wieder in: G. PFoHL (Hg.), Das Epigramm. Zur Ge-

schichte einer inschriftlichen und literarischen Gattung. Darmstadt 1969, S. 21—46, hier: S. 23. Dies hat jedoch die Antike zumindest seit dem 3. Jh. v. Chr. anders gesehen, s. jetzt M. PUELMA, Ἐπίγραμμα — epigramma. Aspekte einer Wortgeschichte, MH 53, 1996, S. 123-

30

Das griechische Epigramm und seine Leser

keit einer allgemeinen Definition allein schon für das antike Epigramm entsteht aber nicht nur durch die sprachliche Nähe zu anderen Gattungen, sondern auch durch die Fortentwicklung und Literarisierung des griechischen Epigramms

seit

dem 4. Jahrhundert und die im Zuge dieser Veränderung gewandelte Bedeutung des Etikettes."

Der antike Begriff ἐπίγραμμα (lat. epigramma) umfaßt inhaltlich verschiedene Inschriftenklassen und ihre literarischen Derivate. Er begegnet bereits bei Herodot zur Bezeichnung für metrische und nichtmetrische Inschriften allgemein.” Unklar ist jedoch, wann er allein auf Versinschriften, insbesondere auf die in elegischen

Distichen abgefassten, beschränkt wurde.’* Ein Ion von Samos bezeichnet in einer delphischen Weihung aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts seine Distichen noch als EAeyeia, bei Demosthenes erscheint eine Gedenkinschrift unter dem Namen

eriypanpa.” Der Begriff ist also noch nicht auf eine poetische Form festgelegt. Die Verwendung der Bezeichnung für eine Dichtungsart geht, wie M. L. WEST

vermutet,

erst auf die alexandrinische

Literaturklassifizierung

zurück.^

Im

3. Jahrhundert läßt sich auch die Berufsbezeichnung des Epigrammdichters nach-

weisen. Dies mag durch die Überlieferung bedingt sein; jedoch ist es wohl kein Zufall, daß die Bezeichnung im Zusammenhang mit den Pionieren der literarischen Gattung auftaucht, die ihr durch die Zuspitzung ihrer charakteristischen Strukturmerkmale das Profil einer anerkannten Kategorie von Dichtung geben.

22

139. korrigierend GUTZWILLER 1998, S. 3 Anm. 8. - Vgl. auch HESS 1989, S. 2 zu modernen 'Definitionsverweigerungen' hinsichtlich des Epigramms. Die Lexika formulieren dementsprechend, z. B. SEELBACH 1988, S. 157: „In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet das Wort 'Epigramm' eine Aufschrift, insbesondere eine Aufschrift in Versform, wie sie z. B. auf einem Grab oder Weihgeschenk zu lesen ist ..."; so auch M. L. WEST, Studies in Greek Elegy and lambus, Berlin / New York 1974 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 14), S. 19-21, zitiert bei CAMERON 1993,

S. 1. 23

Im Zusammenhang mit dem Stifter oder Hersteller eines Kunstwerkes bei Hdt. 5, 59; 7, 228; vgl. Thuk. 6, 54, 7 und 59, 3. Ais Synonym für eine Inschrift bei Eur. 7ro. 1191, für eine Grabinschrift GV 1909 [/G XIV, 1746], V. 1 u. a., vgl. LSU s. v. Im Lateinischen bezeichnet das Lehnwort epigramma sowohl eine Inschrift (z. B. Cic. Verr. 2, 4, 127; Petron. Satyr. 115; Vitr. 8, 3, 21) oder einen Grabstein (Nep. Paus. 1, 3) als auch ein Buchepigramm (vgl.

Cic. Arch. 25, Tusc. 1, 84 zu einem Epigramm des Kallimachos sowie Quint. /nst. 1, 5, 20 zu den Epigrammen des Catull). 24 25

26

CAMERON 1993, S. 1. Bei Thuk. 1, 132, 2 wird das Versepigramm durch die Wendung ἐπιγράψασθϑαι ... ἐλεγεῖον bestimmt. CEG 2, 819; vgl. Lykurg 142: τὰ ἐλεγεῖα tà ἐπιγεγραμμένα τοῖς μνημείοις. K. BARTOL, Greek Elegy and Iambus. Studies in Ancient Literary Sources, Poznan 1993, S. 18-30 und S. 103-119 sammelt (nichtinschriftliche) Belege zu ἔλεγος, ἐλεγεῖον, ἐλεγεία. Demosth. 20, 112.

27

WEST 1974, S. 20f.

28

ἐπιγραμματοποιός bei Philodem Poet. 5, 38,

9 MANGONI und bei Diog. Laert. 6, 14, der in

seinen Viten zahlreiche Epigramme anführt, zu einem inschriftlichen Beleg schon im 3. Jh. (Poseidippos) vgl. CAMERON 1993, S. 371; GUTZwILLER 1998, S. 151 mit Anm. schwach belegt ist dagegen ἐπιγραμματογράφος, vgl. LSU s.v.

69. Nur

Inschriftliche Dichtung in ‘mündlicher’ Kultur

3l

Seit dem späteren 4. Jahrhundert verliert die mit ἐπίγραμμα bezeichnete Dichtung die Besonderheit, sich als schriftlich von anderer Literatur abzuheben, die sie auch in der halboralen Kultur mit schriftlicher Konzeption und mündlicher performance von Dichtung noch auszeichnete. Sie wird zum Produkt eines professio-

nellen Wettkampfs der Dichter. Der Terminus 'Epigramm' für ein kurzes Gedicht, das losgelóst aus dem

inschriftlichen Zusammenhang

zur Unterhaltung

rezitiert

wird, findet sich bei Hieronymos von Rhodos, einem Peripatetiker des 3. Jahrhunderts, und etwa ein Jahrhundert spáter bei dem alexandrinischen Grammatiker Kal-

listratos.? In eine ganz andere Richtung hat sich der moderne Begriff des Epigramms entwickelt. Seine Ursprünge liegen in der Renaissance, die ihre Vorstellung und Definition in erster Linie an den nachchristlichen lateinischen Epigrammen und ihren stilistischen Merkmalen ausbildete, auch wenn sich die Geschichte der stilistischen Normen ohne weiteres bis in alexandrinische Zeit zurückverfolgen läßt. Kürze und Pointiertheit bilden für die Epigrammtheorie der Neuzeit die wesentlichen Merkmale.” Folgenreich ist aber vor allem die Definition des Epigramms ge-

worden, die LESSING

1771, ausgehend von dem durch LOGAU’' eingebürgerten

Begriff des ‘Sinngedichts’, gegeben hat.”” Obwohl diese Bezeichnung auf den ersten Blick nichts mit dem Problem der Schriftlichkeit zu tun hat, lohnt ein genaueres Hinsehen. LESSING zieht eine Parallele zwischen den ihm bekannten antiken Aufschriften und den 'Epigramm' genannten Kurzgedichten seiner eigenen Zeit,

denen ein logischer Aufbau gemeinsam sei. Beide wecken die „Erwartung“ des Lesers, die anschließend durch einen ,,AufschluD" befriedigt werde.

Das Sinnge-

dicht sei demnach „ein Gedicht, in welchem, nach Art der eigentlichen Aufschrift, unsere Aufmerksamkeit und Neugierde auf irgend einen einzelnen Gegenstand erregt und mehr oder weniger hingehalten werden, um sie mit eins zu befriedigen“.

J. G. HERDER hat in seinen 1785 und 1786 erschienenen Ausführungen deutlich werden lassen, daß ein Epigramm sich auch auf einen lediglich gedachten Gegenstand beziehen kann. Er definiert es als:

29

Athen. 13, 604

(ἐπίγραμμα), Kallistratos bei Athen. 3, 125 c. Auch sonst verwendet der

30

LAUSBERG 1982, S. 78ff. Daran ändert nichts, daß diese Charakteristika vorübergehend abgewertet oder bestritten wurden, vgl. ebd. S. 83 und Hess 1989, S. 47-58. - Für den Be-

Verfasser der Deipnosophistai 'Epigramm' in diesem (sympotischen) Sinne.

deutungswandel des Begriffs bis über LEssING hinaus vgl. auch G. von WILPERT, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart ’1989, S. 242-244 ('Epigramm"); LAUSBERG 1982, S. 78-87;

R. RAisER, Über das Epigramm, Stuttgart 1950. 31

Zu Locau, der Geschichte des Epigramms und den entsprechenden Epigrammtheorien des 17. Jh. vgl. jetzt S. ADLER, Literarische Formen politischer Philosophie. Das Epigramm des

32

LausBERG 1982, S. 84—86. Die folgenden Zitate sind entnommen aus: G. E. LESSING, Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm und einige der vornehmsten Epigrammatisten

33

Lessing 1771 / 1895, S. 217; LAUSBERG 1982, S. 85.

17. und 18. Jahrhunderts, Würzburg 1998, bes. S. 27-54.

[1771], in: Sämtliche Schriften, hg. v. K. LACHMANN, Bd. 11, Stuttgart 1895, S. 214-315.

32

Das griechische Epigramm und seine Leser

„die poetische Exposition eines gegenwärtigen oder als gegenwärtig gedachten Gegenstandes zu irgend einem genommenen Ziel der Lehre oder der Empfindung". Diese für das 18. Jahrhundert charakteristischen Versuche der Rückführung

des literarischen Epigramms auf die für das Denkmal bestimmte griechische Versinschrift spiegelt sich noch in der ambivalenten Beschreibung des hellenistischen

Buchepigramms, die WILAMOWTIZ 1924 gibt: „Bindung und Beschränkung bringt auch das Epigramm, denn es wird nie ganz verleugnen, daB es aus der Aufschrift und dem Spruche entstanden ist. Daher drängt es auf die Kürze und die Pointe. Es bleibt, wenn nicht auf ein

Monument irgendwelcher Art [ ... ], doch auf einen Moment berechnet."

Hinter den Definitionen von LESSING und HERDER verbirgt sich eine wichtige Beobachtung, die schon bei WILAMOWITZ und auch in der Folge zu wenig gewürdigt wurde, da man das Epigramm entweder mit Blick auf gattungstraditionelle stilistische Normen (‘Kürze’) zu kategorisieren versuchte oder aber bei der notori-

schen *Medienfrage' stehenblieb. Der Vorteil der genannten Definitionen ist ihre Orientierung auf den Rezipienten und die Hervorhebung eines Zusammenhangs zwischen Objektbezogenheit des Epigramms und Leserappell. Griechische Epigramme unterscheiden sich von anderen poetischen Gattungen durch ihren charak-

teristischen Bezug auf ein Lesepublikum, und sie haben eine längere Tradition des Leserbezugs entwickelt. Für die Stimulation des Lesers spielt es keine entschei-

dende Rolle, ob der Gegenstand des Epigramms ein realer oder nur ein imaginierter ist, „since the true criterion is the poetic form and not the medium of preservation."

34

Die beiden wichtigen Beiträge HERDERs zur Epigrammtheorie von

1785 und

1786 finden

sich in: J. G. HERDER, Sämtliche Werke, hg. v. B. SUPHAN, Bd. 15, Berlin 1888, S. 205-221 sowie 335-392, die hier angeführte Definition ebd. S. 344 (dazu vgl. LAUsBERG 1982, S. 86f., PEEK 1960, S. 3f.; P. LAURENS, L'abeille dans l’ambre. Celebration de l'épigramme de

l'époque alexandrine à la fin de la Renaissance, Paris 1989 [Collection d'études anciennes 59], S. 13f.), HERDERS Epigrammdefinition in der Abhandlung von 1785 („Anmerkungen über die Anthologie der Griechen, besonders über das griechische Epigramm“) lautet: „die Exposition eines Bildes oder einer Empfindung über einen einzelnen Gegenstand, der dem Anschauenden interessant war und durch diese Darstellung auch einem anderen, gleichgestimmten oder gleichgesinnten Wesen interessant werden soll“ (ebd. S. 211). Den Beitrag

LEssiNGS und HERDERS zur Epigrammforschung würdigt auch PEEK 1960, S. 1-5. 35

WILAMOWITZ 1924, Bd. 1, S. 150. Im folgenden stelit er fest, dab Epigramme nicht lyrisch scien, das Gefühl stets „von dem Verstande gemeistert werde“. Gegen eine Iyrische Auffas-

sung des Epigramms wendet sich, von einer ähnlichen ‘romantischen’ Kritik am Rationalis-

mus geleitet, auch E. STAIGER, Grundbegriffe der Poetik, Zürich / Freiburg 1966 (' 1946), S. 159: „Die meisten Epigramme jedoch verbreiten keine Stimmung. Sie zeichnen sich durch eine kalte Helle aus und sprechen nicht die Seele, sondern den Geist an."

36

West 1974, S. 2.

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

33

Die poetische Form des Epigramms, insofern sie durch den Appell an den Leser mitbestimmt wird, kann als ein ‘schriftliches’ Merkmal

gelten, das auch im

Buchepigramm zu finden ist, und nicht, wie man immer wieder glaubte, die raumbedingte Beschränkung auf die kleine Form. Zum einen gibt es seit dem Frühhellenismus Epigramme von beträchtlicher Länge,’’ zum anderen überwindet die Form

der Anthologie mit ihren Epigrammvariationen die ráumliche Beschránkung auf ihre Weise — indem sie den Leser zum Vergleich der einzelnen, um ein Thema gruppierten Gedichte anregt. Halten wir zunüchst fest: Es gibt sicherlich Merkmale, die es rechtfertigen, von einer Gattung des Epigramms zu sprechen, es gibt eine Kunstform, die von der

subliterarischen Spielart mitgeprügt wird, und es gibt etwa mit dem Liebesepigramm eigene Entwicklungen, die von diesem Ursprung wegführen. Aber auch dies geschieht erst allmählich, und auch hier hat das Denkmalepigramm seine Rolle gespielt.

1.3. Das Epigramm und seine Leser: Ein Überblick Eine umfassende literaturgeschichtlich akzentuierte Darstellung des griechischen Epigramms der Antike von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit fehlt bisher. Die Erforschung des griechischen Versepigramms hatte zudem wenigstens vorübergehend, vielleicht als eine Folge der Erstellung der ersten großen

Sammlungen im Zeitalter des Positivismus den Optimismus eingebüDt, mit dem die beiden schon erwähnten, wichtigsten Vorläufer einer modernen Poetik des Epigramms, G. E. LESSING und J. G. HERDER, noch ihre Wesensbestimmungen dieser

Form des Kurzgedichtes getroffen hatten.'* So schrieb auch R. REITZENSTEIN 1907 in der Realenzyklopádie, dem bis dahin bedeutendsten Versuch einer historischen Darstellung der literarischen Entwicklung des Epigramms:

37

CAMERON 1993, S. 13 mit Verweis auf die Angaben des P. Vindob. der in ihm aufgelisteten Epigramme, vgl. GUTZWILLER 1998, S. 23.

G 40611 zum Umfang

38

Auf der anderen Seite haben Epigrammsammlungen und die darin angewandte Disposition des Materials auch dessen wissenschaftliche Erforschung geprágt. Das System inhaltlicher ‘Klassen’ der Prosainschriften (vgl. etwa G. PFOoHL, Elemente der griechischen Epigraphik, Darmstadt 1968, S. 46, vielleicht zu stark in den Vordergrund gerückt bei HAUSLE 19792, S. 46ff.) wurde bei PEEK 1955 (GV) mit einer Ordnung nach Anredeformen verbunden, inner-

halb derer das chronologische Prinzip herrscht. PEEK ist damit bis in jüngste Zeit grundlegend für alle literaturwissenschaftlichen Untersuchungen geworden,

vgl. zuletzt DíAz DE

CERIO 1998. — Zur Geschichte des griechischen Epigramms generell vgl. REITZENSTEIN 1893 und 1907; WiLAMOWITZ 1913 und 1924, Bd. 1, 119ff. und Bd. 2, 102ff., H. BECKBY (Hg.), Anthologia Graeca, Bd. 1, München 1957, S. 9-99, PEEK 1960, S. 1-42, R. KEYDELL, "Epigramm', RAC V, 1962, Sp. 539-577; E. DEGANI, 'Epigramm', in: Der Neue Pauly 3.

1997. Sp.

1108-1114;

knapp West

1974, S.

19-21, ferner LAusBERG

1982

(das In-

haltsverzeichnis bietet eine gute Übersicht über die Art des zugrundegelegten Materials); G.

KAPELLER, Grabinschriftliche Motive. Eine Studie von Epigrammen des 7.-5. Jh. v. Chr., Phil. Diss. Innsbruck 1987; für die alexandrinische und spátere Zeit SEELBACH 157ff.; LAURENS 1989; CAMERON 1993; GUTZWILLER 1998; FANTUZZI 2002.

1988, S.

34

Das griechische Epigramm und seine Leser „Eine Geschichte des Epigramms zu geben, ist zur Zeit noch unmöglich. Selbst der Versuch, über die Hauptfragen zu orientieren, wird eine vom Cha-

rakter dieser Enzyklopädie abweichende Form annehmen müssen. Weder herrscht über den Begriff genügende Klarheit, noch ist der Bestand leicht zu überschauen, noch láBt sich über ‚die Hauptprobleme eine Einigung der Forscher in nächster Zeit erwarten.

Die methodische Zurückhaltung, die sich als Konsequenz aus dieser Einsicht

REITZENSTEINs ergibt, galt schon als Topos der Epigrammforschung, und dies nicht ohne Grund.“ Dabei rechtfertigt vor allem die Menge und Vielfalt des regio-

nal weit verstreuten Materials -- der zweite von REITZENSTEIN genannte Grund für seinen Verzicht auf den Versuch einer Gesamtdarstellung — auch heute noch den

vorsichtigeren Weg über Einzeluntersuchungen, wenngleich neue Editionen das Studium der Epigramme gegenüber dem Beginn des Jahrhunderts wesentlich er-

leichtern.*' In jüngster Zeit haben jedoch die Arbeiten von A. CAMERON und K. GUTZWILLER zur Entstehung der Anthologia Graeca, die sich auch auf neue Papy-

rusfunde stützen kónnen, wichtige Bausteine zum Gesamtbild beigetragen."

Über die großen Züge der Entwicklung des griechischen Epigramms von der Archaik bis zum Hellenismus - den im Rahmen dieser Arbeit interessierenden Zeit

39

40

REITZENSTEIN 1907, Sp. 71; áhnlich lautet der erste Satz bei GEFFCKEN 1917 / 1969, S. 21: .Eine Geschichte des griechischen Epigramms ist noch nicht geschrieben". GEFFCKEN setzt dem REITZENSTEINschen Skeptizismus allerdings ein eigenes großes Vorhaben entgegen, ohne dies einlósen zu kónnen. So LAUSBERG 1982, S. 11 („Eine wirklich umfassende und eingehende Geschichte der Gattung im Altertum steht noch aus.") und S. 512 mit Anm. 1; vgl. auch BECKBY I, 1957, S.

10, der dort einen Überblick geben möchte, „soweit das jetzt schon möglich ist". sowie ADLER 1998, S. 28 Anm. 43. 41

Nach G. KAIBEL, Epigrammata Graeca ex lapidibus conlecta, Berlin 1878 (ND Hildesheim 1965), J. GEFFCKEN, Griechische Epigramme, Heidelberg 1916 (vor allem für den damaligen

Schulgebrauch gedacht) und P. FRIEDLANDER / H. B. HoFFLEIT, Epigrammata. Greek Inscriptions in Verse. From the Beginnings to the Persian Wars, Berkeley / Los Angeles 1948 sind heute folgende Sammlungen hilfreich: PEEK 1955 (GV); PEEK 1960 (GG); E. BERNAND,

Inscriptions métriques de l'Égypte gréco-romaine. Recherches sur la poésie épigrammatique

des Grecs en Égypte, Paris 1969; P. A. HANSEN, Carmina Epigraphica Graeca (CEG), Bd. 1: saec. VIII-V, Berlin / New York 1983 und Bd. 2: saec. IV, ebd. 1989 (mit Addenda und Corrigenda zu Bd. 1) sowie R. MERKELBACH / J. STAUBER (Hgg.), Steinepigramme aus dem griechischen Osten, Bd. 1: Die Westküste Kleinasiens von Knidos bis llion, Stuttgart /

Leipzig 1998, Bd. 2: Die Nordküste Kleinasiens (Marmarameer und Pontos), München / Leipzig 2001, Bd. 3: Der „Ferne Osten" und das Landesinnere bis zum Tauros, ebd. 2001, Bd. 4: Die Südküste Kleinasiens, Synen und Palaestina, ebd. 2002. Hilfreiche Interpretationen und Klassifizierungen bieten M. GuARDUCCI, Epigrafia greca, 4 Bde., Rom 19671978, passim und LaAzzaRINI 1976. — Weitere Hinweise zu Editionen und epigraphischer Literatur in: Guide de l'épigraphiste. Bibliographie choisie des épipraphies antiques et médiévales, hg. v. F. BÉRARD / D. FEISSEL / P. PETITMENGIN / D. ROUSSET / M. SEVE, Paris ?2000 (ergänzt durch Suppléments, die von der Homepage der École Normale Supérieure bezogen werden können). vgl. für die ältere Literatur auch: G. Prout, Bibliographie der griechischen Vers-Inschriften, Hildesheim 1964.

42

CAMERON 1993, S. 7-12 (Übersicht über die Papyri); GUTZWILLER 1998, S. 15-46.

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

35

raum — herrscht in der Forschung weitgehend Einigkeit. Eine Einteilung in drei groBe chronologische Abschnitte hat sich dabei bewährt: das experimentierfreudige archaische Epigramm vom 8. bis ins frühe 5. Jahrhundert, die von Simonides und der Elegie geprágten klassischen Kurzgedichte mit ihren Nachfolgern im 4. Jahrhundert und schlieBlich das hellenistische Kurzgedicht der professionellen Epigrammatiker ab dem Ende des 4. Jahrhunderts, das neue Themen und Stimmungen in eine alte Form integriert. Im folgenden soll es um einen Teilaspekt der Literaturgeschichte des Epigramms gehen. Gefragt werden soll nach dem Beitrag des Epigramms zu einer

innerhalb eines mündlich geprägten kulturellen Umfeldes entstehenden Lesekultur. Hierfür werden in einem diachronen Querschnitt einige besonders markante Beispiele ausgewählt, an denen sich Charakteristika der Appellstruktur zeigen lassen,

die für das hellenistische Epigramm bestimmend geworden sind. Die Frage, wie sich der neue Stellenwert des Lesens von Dichtung bei den alexandrinischen Rezipienten von Literatur in den Texten selbst spiegelt, soll durch eine Konfrontation

des Materials mit der ältesten griechischen Lesedichtung angegangen werden. Archaische und klassische Versinschriften, die auf Grabmonumenten, Weihgeschenken und Vasen erhalten sind, zeigen, wie die Epigrammdichter mit jeweils unter-

schiedlichen Mitteln auf das Problem der Abwesenheit eines direkten Adressaten antworten. Sie stellen zudem den reichen Formenschatz zur Verfügung, aus dem sich die hellenistischen Dichter spáter bedienen. Die Formen der Publikumsadresse haben, wie auch die Techniken der Versifi-

kation, ihr Vorbild in der mündlichen Aufführungstradition der frühgriechischen Dichtung." Auch Sprache und Gedankenwelt der frühesten metrischen Grabsprüche und Weihinschriften zeigen sich eng mit der Diktion und der Ideenwelt der ‘großen Dichtung’, die man von mündlichen Vorführungen kannte, verbunden. ^

Auf der anderen Seite wird der Einfluß der vom lebendigen Umgang der Gespráchspartner miteinander bestimmten Alltagskommunikation gerade im Epigramm spürbar. Trotz dieser Herleitung der poetischen Formen, Inhalte und Anredestrukturen aus den Traditionen der Mündlichkeit läßt sich aber schon in frühen

Inschriften ein Bewußtsein für die Andersartigkeit der Verständigung mit einem lesenden Rezipienten nachweisen. Der schriftliche Text bedarf des Lesers zu seiner Realisation. Da nun die Bestimmung eines antiken Gedichts gerade in der Verwirklichung des Sprechakts durch die performance lag, ist der Leser unentbehrlicher

Kommunikationspartner. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Hörer einer poetischen performance und dem Leser einer Inschrift besteht in der Freiwilligkeit 43

Es ist umstritten, ob die ältesten Epigramme von Homer beeinflußt sind oder ob umgekehrt

bei Homer eine solche Gedichtform bereits vorausgesetzt wird. Im letzten Fall gingen die Inschriften auf eine gemeinsame, vorhomerische epische Tradition zurück, vgl. FRIEDLANDER /

HorrLeit 1948, S. 7; ECKER 1990, S. 121f.; SCODEL 1992, S. 60ff. 44

45

Vgl. z. B. ECKER 1990, S. 56 Anm. 93 zu CEG 1, 132. PEEK 1960, S. 12f. betont die funktionsbedingten Unterschiede zum Epos und zur Elegie. So werden homerische Formeln nicht einfach übernommen, auch ist die Sprechhaltung eine andere als die der Elegie; s. auch B. GENTILI, Epigramma ed Elegia, in: L'Épigramme grecque 1968, S. 39-90. Vgl. besonders B. GENTILI, Poesia e pubblico nella Grecia antica. Da Omero al V secolo. Roma / Bari 1984; HERINGTON 1985; RÖSLER 1980.

36

Das griechische Epigramm und seine Leser

der Lektüre: Niemand wird von der Tafel des Alkinoos aufstehen, wenn Demodokos singt, doch nicht jeder Passant bleibt stehen, um sich mit der Botschaft eines beliebigen Grabsteines zu befassen.“ Dennoch kann der Wunsch, Leser zu kontrollieren,‘ als ein Grund für die ausgeprägte Appellstruktur des griechischen Epigramms betrachtet werden. Der Autor imaginiert im Moment des Abfassens der Verse deren sprachliche Realisation im Sinne einer face-to-face-Situation, d. ἢ. einer Sprechhandlung, an der der potentielle Leser der Schrift teilnimmt.

Die Entwicklung des griechischen Epigramms zu einer literarischen Form, die wir am besten im Fall des Grabepigramms fassen kónnen, verlief auf zwei parallelen Bahnen: Die eine Linie ist gekennzeichnet durch die Emanzipation des Epi-

gramms aus seinem pragmatischen" Kontext und durch seine Aufnahme in Anthologien und Epigrammbücher." Auf der anderen Seite nimmt das Steinepigramm,

das auch in einer Zeit der zunehmend gebráuchlicher werdenden Buchdichtung weiterhin seine Funktion als Grab- oder Weihinschrift erfüllt, Merkmale 'hóherer' poetischer Gattungen an, so daß der Unterschied zwischen Steinepigramm und Buchgedicht im Laufe der Zeit mehr und mehr verwischt wird. Hier sollen vor allem die Folgen des Funktionswandels untersucht werden, der mit der Entstehung

des Buchepigramms verbunden ist. Funktionale Veränderungen

lassen sich in jeder der Hauptphasen

der Epi-

grammgeschichte an dem gewandelten Rezipientenkreis und dem dadurch bedingten unterschiedlichen Publikumsbezug ablesen. Der von den Schlüsselbegriffen Krieg und Ruhm geprägte Inhalt archaischer Grabinschriften verrät den Code der

aristokratischen Gesellschaft." Eine entscheidende Rolle für die Verbreitung des

individuellen Ruhms (κλέος) kommt dabei dem Denkmal und dem Augenblick seiner ‘performance’, seiner angemessenen Aktualisierung durch die dazu befähig-

ten Leser zu." Ein starker Akzent liegt auf der künstlerischen Gestaltung des mög46

Zum Anbringungsort archaischer Inschriften, meist auf der Basis und selten in Augenhöhe,

s. C. W. CLAIRMONT, Gravestone and Epigram. Greek Memorials from the Archaic and Classical Period, Mainz 1970, S. 7f. und jetzt P. Bing, The un-read muse. Inscribed Epi47

48

gram and its readers in antiquity, in: Harder / Regtuit / Wakker 2002, S. 39-66. SVENBRO 1988, S. 53-73 und SCODEL 1992, S. 63 (zu den kurzen Reden über die Gefallenen in Aischyl. Ag. 444f.): „They combine the essential formal characteristics of epitaph, its brevity, with its central concern, what others will say and how their speech can be con-

trolled.“ GENTILI 1990, S. 1ff. bezeichnet mit 'pragmatisch' das Verhältnis der archaischen griechischen Dichtung zur zeitgenössischen Realität. Ihre Bilderwelt ist weder unabhängig von der sichtbaren Welt, noch führt sie zur Wahrnehmung einer fiktiven Welt. Zur jüngeren Kontroverse um Realität und Imagination in der frühgriechischen Dichtung vgl. ebd. S. 8-11 und KRUMMEN 1990, S. 28. Siehe jetzt auch G. ARRIGHETTI / F. MONTANARI (Hgg.). La

componente autobiografica nella poesia greca e latina fra realtà e artificio letterario. Atti del convegno Pisa, 16-17 maggio 1991, Pisa 1993. 49

Zur Collectio Simonidea s. CAMERON

50

Vgl. hierzu bes. A. STECHER, Inschriftliche Grabgedichte auf Krieger und Athleten. Eine Studie zu griechischen Wertprädikationen, Innsbruck 1981 (Commentationes Aenipontanae

1993, S. If.;. GUTZWILLER 1998, S. 50-53.

27). 51

SvENBRO 1988, S. 64: „Le lecteur ... distribuera le kléos aux passants"; vgl. DERS., S. 53-73 passim. GUTZWILLER 1998, S. 3 Anm. 6 wendet sich gegen die Ansicht SVENBROS, man habe sich die Lektüre von archaischen Epigrammen als die performance eines Vorlesers vor

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

37

lichst aufwendigen und imposanten Monuments, das Leser und Betrachter anzieht. Das Publikum der demokratischen Polis Athen dagegen wird oftmals als Gemeinschaft angesprochen. Der Bezug der Texte orientiert sich nun weniger an der synchronen Wirklichkeit des individuellen Lesers’, an dem Denkmal, das er bewundern kónnte, als an den allgemeinen Wertbegriffen der Gemeinschaft, die das Verhältnis des Einzelnen zur Polis regeln.” Prägend wirken hier nicht zuletzt die Epi-

gramme der öffentlichen Staatsdenkmäler.’' An die Stelle des individuellen Denkmals als dem ehemaligen Mittelpunkt der inschriftlichen Nachricht und der eigentlichen Leserattraktion tritt folglich der Diskurs der Polis: Bürgertugenden und populärphilosophische Reflexion sind beliebte Inhalte der Grabbilder und -texte. Die zunehmend diskursive Gestaltung der Epigramme, die sich am deutlichsten in der

Dramatisierung der Formen zeigt, hat ihr poetisches Vorbild in der Tragödie,” spiegelt aber natürlich auch die Allgegenwart der Rhetorik wider. Seit dem 4. Jahrhundert ist es dann neben der Welt der bürgerlichen Werte vor allem das Thema der Familie, um das die Kommunikation kreist.”° Ehegatten erscheinen auch als textinterne Sprecher- und Leserfiguren. In den privaten Denkmälern werden die Empfindungen der Betroffenen zum Ausdruck gebracht. Die Protagonisten der

Grabepigramme setzen dem unentrinnbaren Schicksal ihre innere Größe und ihre moralischen Qualitäten entgegen." Insgesamt tritt das Individuum als Subjekt des mitgeteilten Geschehens und als Subjekt der Kommunikation stárker hervor. In bezug auf die Sprechhaltung der Epigramme läßt sich beobachten, wie sich die perso-

nale Perspektive in Form von Monolog und Dialog mehr und mehr durchsetzt.”

52 53

einer Zuhörergruppe vorzustellen; vgl. ferner SCODEL 1992, S. 65ff., G. MARGINESU, AEZXH in una iscrizione funeraria da Camiro (DGEEP 273), Annali di Archeologia e Storia Antica, n. s. 8, 2001, S. 135-138. ROÓSLER 1983, S. 8. Eine differenzierte Darstellung des Verhältnisses von Individuum und Polis bietet C. BREUER, Reliefs und Epigramme griechischer Privatgrabmäler. Zeugnisse bürgerlichen Selbstverständnisses vom 4. bis 2. Jahrhundert v. Chr., Köln / Weimar / Wien 1995. Eine Abwertung des individuellen Denkmals finden wir bereits im 5. Jh. etwa bei Thuk. 2, 43, 3: ἀνδρῶν γὰρ ἐπιφανῶν πᾶσα γῆ τάφος. Zu den Quellen und Diskussionen um die "Grab-

luxusverbote’ vgl. jetzt J. ENGELS, Funerum sepulchrorumque magnificentia.

Begräbnis-

und Grabluxusgesetze in der griechisch-rómischen Welt mit einigen Ausblicken auf Einschränkungen des funeralen und sepulkralen Luxus im Mittelalter und in der Neuzeit, Stuttgart 1998 (Hermes Einzelschriften 78) sowie schon R. STUPPERICH, Staatsbegrábnis und Privatgrabmal im klassischen Athen, Phil. Diss. Münster 1977, S. 71-86, 253-263 und dic Literaturhinweise bei BREUER 1995, S. 32 Anm. 97. 54 Vgl. PEEK 1960 (GG), S. 18-35. 55 | ZIMMERMANN 1992, S. 128 zeigt am Beispiel des Dithyrambos die Popularität 'mimetischer' Formen seit der Wende vom 5. zum 4. Jh., mit deren Einführung in die Gattung die Dichter hofften, konkurrenzfáhig zu bleiben. 56 BREUER 1995, S. 81-100 und 109. 57 Zur Kategorie der Innerlichkeit in der Literatur s. GENTILI 1990, S. If. 58 KAPELLER 1987, S. 200f. zeigt, daß Personen in Sprecherrollen nicht von Beginn an verwendet werden. Der Tote als Sprecher erscheint seit Mitte des 6. Jh., ebenso die Anrede an den Wanderer. Hinterbliebene Angehörige als Sprecher und damit eine neue Lokalisierung der Origo" des Sprechakts treten zuerst im 5. Jh auf.

38

Das griechische Epigramm und seine Leser

Der Autor eines Epigramms, der sein Werk mit seinem Namen signiert, wird in Einzelfällen seit der ausgehenden Archaik zu einer Größe, die für die Qualität und Hochschätzung eines Epigrammes von Bedeutung ist. Im hellenistischen Buchepigramm eignet sich der professionelle Dichter die überlieferte Form des Kurzgedich-

tes zum Zwecke der persönlichen Aussage an.”’ Der individuelle Stil erlaubt es ihm zugleich, dem Leser ein eigenes Profil als Epigrammatiker zu präsentieren. Es ist der Dichter selbst, der nun das Interesse des ‘Kunden’

und Lesers auf sich und

seine intellektuelle Kompetenz zieht. Wie schon zur Zeit des Simonides anonyme Verfasser von Epigrammen die professionelle Dichtung nach. Dem leg, daß sich jemand ein 'gelehrtes' Epigramm auf einem Grabstein leisten kommt damit ein ähnlicher symbolischer Status zu wie dem vorzeigbaren einer prächtigen Stele in archaischer Zeit.

ahmen Privikann, Besitz

1.4. Das Lesen von Inschriften und Epigrammen in der Sicht der griechischen Literatur Die vorangegangene Skizze einer Literaturgeschichte des griechischen Grab-

epigramms hat gezeigt, daß wir es mit verschiedenen Formen des Lesens und mit ganz unterschiedlichen Lesererwartungen zu tun haben. Anhand der überlieferten Steinepigramme schlieBt man aus den in ihnen behandelten Themen wie dem kA&og-Motiv, aus den Anredeformen an den ‘Wanderer’ und gegebenenfalls auch aus der bildlichen Darstellung des Grabreliefs, welche Vorstellungen Auftraggeber und Verfasser sich über die Wirkweise eines Epigramms machen. Schilderungen einer Rezeptionssituation mit ihren verschiedenen Aspekten bieten dagegen die in eine längere Erzählung integrierten literarischen Darstellungen von Lesesituationen. Indem die Verfasser solcher Texte die Absicht des Epigrammautors und den Effekt der Inschrift auf ihre Leser thematisieren, geben sie ein detaillierteres Bild des sonst nur angedeuteten imaginierten Kontexts. Autoren unterschiedlicher literarischer Gattungen haben inschriftlich fixierte Sprechakte und von Inschriften provozierte Handlungen der Figuren im Rahmen größerer narrativer Komplexe dargestellt. Die homerische Bellerophontes-Erzählung (//jas 6, 152-211) bietet nicht nur den ersten Beleg für die 'zusammenklappbare Schreibtafel' im griechischen Kulturraum," sondern auch die früheste Andeutung einer Lesesituation (169-180). Das gelesene Stück ist motivisch gesehen ein *Urias-Brief', der, nach dem Willen der Verfasserin, seinem Überbringer 59

60

Vgl. WiLAMOWITZ 1924, Bd. 1, S. 132ff. und S. 150f. Diese Darstellung des Epigramms ist allerdings von der völlig anderen, neuzeitlichen Konzeption des 'Sinngedichts' beeinflußt. G. PADUANO, Chi dice „io“ nell'epigramma ellenistico?, in: ARRIGHETTI / MONTANARI 1993, S. 129-140, hier S. 130f. gibt mit Recht zu bedenken, daß das ‘Persönliche’ in den Äußerungen eines hellenistischen Epigrammdichters in der Regel auf der Ebene der Poetiken, Programme und Apologien zu suchen sei. W. BURKERT, Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur, Heidelberg 1984 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philos.Hist. Kl., 1984, 1), S. 32f., E. WIRBELAUER, Eine Frage von Telekommunikation? Die Griechen und ihre Schrift im 9.-7. Jahrhundert v. Chr., in: R. ROLLINGER / Chr. ULF (Hgg.).

Griechische Archaik. Interne Entwicklungen - Externe Impulse, Berlin 2004, S. 187-206.

Inschriftliche Dichtung in 'mündlicher' Kultur

39

den Tod bringen soll, und zwar durch die Hand des Adressaten. Der Brief, Stellvertreter eines persónlichen Boten, ist hier notwendig, um die entscheidende Intrige ins Werk zu setzen, denn der Überbringer der Botschaft darf naturgemäß den

Inhalt nicht kennen. Dennoch sind Bote und Text der Botschaft eng miteinander verbunden. Die Charakterisierung des Inhalts als σήματα λυγρά (168), ϑυμοφϑόρα πολλά (169) zeigt an, wie die verschiedenen Teilaspekte der gesamten

Sprechhandlung auf die Zeichen selbst projiziert werden: Die Schriftzeichen an sich sind ja ‘neutral’, schmerzlich und todbringend nur in der Intention der Verfasserin. Die geistige Aufnahme der Inschrift auf der Tafel, die durch den Sehsinn vermittelt

wird,°' ruft unmittelbares Handeln beim Leser hervor, auch wenn die Intrige gegen den Boten am Ende mißlingt. Die Zeichen übernehmen die Intention des Senders,

wie es auch ein mündlicher Bote täte. Dieser fungiert gewissermaßen als beschriftetes Objekt (mit der Aufschrift ‘töte mich"), eine Vorstellung, die Herodot umsetzt,

wenn

er

einen

mit

Schriftzeichen

tätowierten

Sklaven

Botendienste

verrichten läßt.“ In den Sieben gegen Theben des Aischylos (467 v. Chr.) sind die gegnerischen Anführer gegen die sieben Tore der Stadt vorgerückt, um sich den Belagerten in ihrer Zurüstung für die entscheidende Schlacht zu präsentieren. Ein Bote beschreibt dem Eteokles die Schilde der Feinde, in deren mit Beischriften versehenen

Schildzeichen der Kampfesmut der Angreifer versinnbildlicht wird (375-652)δ᾽ Nach diesem Botenbericht trägt der Schild des Kapaneus neben dem Bild (ofjua)

eines Fackelschwingers die Aufschrift: “Πρήσω nóAw' ^ Ein eitler Prahler sei er, lautet der Kommentar des Eteokles dazu. Der nächste Kämpfer droht mit Schrift und Bild in derselben Weise. Sein Schild zeigt einen Krieger, der die Befestigungsanlagen erklimmt. Die diesmal in indirekter Rede wiedergegebene Beischrift fixiert sein. Versprechen, nicht einmal der Kriegsgott kónne ihn hier herunterwerfen (468f): βοᾷ δὲ χοῦτος γραμμάτων £v ξυλλαβαῖς, ὡς οὐδ᾽ ἂν Ἄρης σφ᾽ ἐκβάλοι πυργωμάτων.

Auch dieser ruft mit Buchstabensilben,°° daß nicht einmal Ares ihn von der Befestigung herunterwerfen kónnte.

61

62 63

δεῖξαι (170), ἰδέσϑαι (176). Die homerischen Ausdrücke für den Vorgang des Erkennens

hat H. J. LESHER, Perceiving and Knowing in the Iliad and Odyssey, Phronesis 26, 1981, S. 2-24, bes. S. 8ff. untersucht. Hdt. 5,35. Die Bilder und Inschriften sind für die entsprechende Stelle in der Tragödie erfunden. Als Vorbild könnten dem Dichter Schilde gedient haben, die in Heiligtümern ausgestellt waren. vgl. H. PuiLiPP, Tektonon Daidala. Der bildende Künstler und sein Werk im vorplatonischen Schrifttum, Berlin 1968, S. 26f ; SvENBRO 1988, S. 195f.

64

Sept. 432-434, vgl. bes. 434: χρυσοῖς δὲ φωνεῖ γράμμασιν Tlproo nökıv.’ („Durch goldene Buchstaben tönt er: ‘Ich werde die Stadt anzünden.'“).

65

ξυλλαβή bezeichnet hier wie in Suppl. 457 (συλλαβὰς πέπλων) eine zusammenfassende Einheit einzelner Elemente. Hier sind es Buchstaben, die 'zusammengefaBt' einen Klang wiedergeben; vgl. Eur. Fr. 578, 1-3 Nauck (= Stob. 2, 4, 8), in dem der Kulturheros und

40

Das griechische Epigramm und seine Leser

Die größte Provokation der sieben Belagerer jedoch enthält der zweifigunge Schild des Polyneikes, der neben einem Krieger die durch die Inschrift so bezeichnete Personifikation der Gerechtigkeit (Δίκη) zeigt. Die ihr in den Mund gelegte Beischrift behauptet, daD sie ihren Schützling in seine Vaterstadt heimführen werde

(642—648):

ἔχει δὲ καινοπηγὲς εὔκυκλον σάκος διπλοῦν τε σῆμα προσμεμηχανημένον᾽ χρυσήλατον γὰρ ἄνδρα τευχηστὴν ἰδεῖν ἀγει γυνή τις σωφρόνως ἠγουμένη᾽ Δίκη δ᾽ ἀρ᾽ εἶναί φησιν, ὡς τὰ γράμματα λέγει 'Katá&o δ᾽ ἀνδρα τόνδε, καὶ πόλιν ἔξει πατρῴαν δωμάτων t' ἐπιστροφάς". Er hält einen neugefertigten, gutgerundeten Schild, auf den ein doppeltes Zeichen aufgearbeitet ist. In Gold getrieben ist nàmlich cin schwerbewaffneter Mann zu sehen; ihn führt eine Frau, ihn klug geleitend. Dike behauptet sie zu sein, wie auch die Buchstaben sagen: ‘Ich werde diesen Mann hier heimführen, und er wird die väterliche Stadt erhalten und die Rückkehr in das Haus.

Auch in künstlerischer Hinsicht ist der kostbare goldgetriebene (χρυσήλατος) Schild ein Hóhepunkt in der Reihe. Die anderen Vier der Sieben gegen Theben tragen keine Inschriften auf dem Schild, der Seher Amphiaraos, als der besonnenste

und stärkste der Gegner (568f.), verzichtet sogar auf das Schildzeichen, denn er wolle, so der Kommentar des Boten, der Eteokles von der Erscheinung der Angreifer berichtet, „nicht als der beste erscheinen, sondern bester sein"^^ Dieselbe Bewertung des Bild- und Wortschmucks der Schilde kehrt in den ironischen Worten wieder, mit denen Eteokles auf das großspurige Auftreten seines Bruders reagiert (659—661): τάχ᾽ εἰσόμεσϑα τοὐπίσημ᾽ ὁποι τελεῖ, εἴ νιν κατάξει χρυσότευκτα γράμματα ἐπ᾿ ἀσπίδος φλύοντα σὺν φοίτῳ φρενῶν. Bald werden wir wissen, wohin sein Schildzeichen ihn bringt, ob ihn die gold-

getriebenen

Buchstaben

heimbringen,

die auf dem

Schild

tönen

mit dem

Wahnsınn der Sinne.

Eteokles durchschaut die Schrift auf dem

Schild seines Bruders selbst als

γράμματα φλύοντα (660f.). Er lehnt damit nicht nur eine bestimmte Art kriegerischer Selbstdarstellung ab, sondern konfrontiert den erhobenen Anspruch auf einen

πρῶτος εὐρετής der Schrift Palamedes von sich sagt: tà τῆς yc A9 nc φάρμακ᾽ ὀρϑώσας μόνος, / ἀφώνα φωνήεντα συλλαβὰς τιϑεῖς ἐξηῦρον ἀνθρώποισι γράμματ᾽ εἰδέναι ... („Das Heilmittel gegen das Vergessen erfand ich allein, indem ich die Menschen die Buchstaben lehrte, ohne Stimme tönende Silben setzend ...").

66

Sept. 592: οὐ γὰρ δοκεῖν ἄριστος ἀλλ᾽ εἶναι ϑέλει.

Inschriftliche Dichtung in 'mündlicher' Kultur

41

Sieg nüchtern mit der Realität der Ungewißheit des Ausgangs. Man kann dies auch

als Kritik an der ‘rhetorischen’ Kriegsführung des Polyneikes verstehen.‘’ Schrift und Bild werden im Fall der ‘Schildrhetorik’ in ihrer Funktion als Träger einer Botschaft parallelisiert - der Charakter des Schildträgers soll in beidem

offenbar werden — und zugleich als zwei getrennte Darstellungsformen unterschieden. Das Bild allein als Träger einer gleichartigen Botschaft erscheint in 511-520: Dem Angreifer Hippomedon (487), dessen Schild den Typhon zeigt, wird von seiten der Stadt Hyperbios entgegengestellt, der das Bild des gerechten Zeus im

Wappen führt. Schrift alleine erscheint jedoch nicht, sie gibt in allen drei Fällen Worte der daneben dargestellten Personen wieder. Das Zeigfeld der sprachlichen Äußerung liegt also auf der Ebene der bildlichen Darstellung, so bezieht sich τόνδε in 647 zuerst auf das Bild des Kriegers, den die Figur der Dike führt. Eine Doppel-

deutigkeit ist aber natürlich beabsichtigt: Die in demselben Vers genannte πόλις ist nicht im Bild, sondern gehórt zur Wirklichkeit der Rahmengeschichte von der Belagerung Thebens. In dem Bericht des Boten erscheinen Bilder und Inschriften wie lebendig. Es wird deutlich, daß beide sowohl mit der Person, die sich ihrer als kommunikative Zeichen bedient, als auch mit der aktuellen Situation, in der sich die Person befindet, untrennbar verbunden sind: Bild und Wort beziehen sich, wie die Verwendung

des Futur zeigt, auf die unmittelbar bevorstehenden Handlungen wie das Erstürmen eines Bollwerkes oder das Anzünden der Stadt. Der dichterischen Fiktion nach sind

die Inschriften auf den Schilden der Sieben gegen Theben Beischriften zu den Schildzeichen.* Sie tragen aber keine zeitlose allgemeine Botschaft oder Interpretation des Bildes, sondern beziehen sich auf die von Aischylos dargestellte historische Situation, also auf die Gegenwart der textinternen Leser. Die Epigramme auf

den Schilden dienen hier weder der Verdauerung eines Sprechakts noch der Überbrückung zeit-räumlicher Distanzen zwischen Sender und Empfänger oder doch nur in dem Sinne, daß der Bote Eteokles von der Erscheinung der Angreifer präziser berichten kann. Die Funktion der bildlichen und textlichen Schildzeichen liegt eher in der Verstárkung der Aussage und Handlungsweise der Angreifer — charakteristischerweise aber ohne Erfolg, wie die Reaktion des Eteokles beweist. Die schriftliche Kommunikation ist nur eine verstárkte mündliche Sprechhandlung. Dazu paßt die Darstellung des Leseakts: Die Rezipienten sehen das Bild und hören

die Inschrift, sie hören sie sogar laut und störend (βοᾷ, qAoovta)." Daß die variierend mit verschiedenen Bezeichnungen belegte — Schrift gehört wird, heißt für die Wahrnehmung der Leser, daß sie gewissermaßen an einem mündlichen Äu-

67

in den Versen Sept. 592 und 659-661 wird deutlich, daB ein solcher Gebrauch der Schrifi als prahlerisch und anmaBend empfunden wird. Von den Inschriften gilt, was Eteokles geradezu „aufgeklärt“ (PHiLIPP 1968, S. 27) in Sept. 397f. über die Wirkung der Bilder sagt:

κόσμον μὲν ἀνδρὸς οὔτιν᾽ àv τρέσαιμ᾽ ἐγώ. / οὐδ᾽ ἑλκοποιὰ γίγνεται τὰ σήματα („Den Schmuck eines Mannes könnte ich nicht fürchten, / und Schildzeichen verursachen keine Wunden“).

68 69

Δίκη δ᾽ àp' εἰναί φησιν in Sept. 646 könnte auf eine Namensbeischrift verweisen. "Vgl. Eur. Hipp. 877: βοᾶι Boàt δέλτος ἀλαστα.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

Berungsakt (phonetischer Akt nach AUSTIN)" teilnehmen. Folgerichtig versteht Eteokles auch Polyneikes als den eigentlichen Sender des fiktiven Dike-Sprechakts, er hört ihn, und er ‘hört’ die Intention in der ‘Lautstärke’ des Texts. Die Betonung des materiellen Aspekts (χρυσότευκτα) der Schrift dagegen dient der Verringerung der scheinbaren Unmittelbarkeit: Irrwitzig schwätzende Goldbuchstaben haben etwas Lácherliches. So können wir sagen, daß der Gebrauch von Bildern und Texten die Intention des jeweiligen Senders verstärkt, indem die Schildzeichen räumlich und zeitlich auf

eine bestimmte Situation, die Bedrohung der Stadt und damit die Ángste der Rezipienten, Bezug nehmen. Dies ist ihr stárkster Appell. Die fiktiven Stimmen der Figuren wirken im ersten Moment, werden aber von Amphiaraos und Eteokles als nichtwirklich durchschaut. Die Verfasser allerdings rechnen mit einer unmittelbaren Schreckwirkung.

Daß

diese nicht eintritt, lenkt die Zuschauer

des Aischylos auf

den bekannten Ausgang des Kampfes und auf die moralische Bewertung durch den

Autor der Sieben gegen Theben. Die zentrale Rolle des Boten als eines Übermittlers von Geschriebenem bei Aischylos erinnert an eine Gruppe von literarisch eingeführten Inschriften, die als Briefe die Funktion eines Boten übernehmen, ja häufig auch in Konkurrenz zum personalen Boten stehen. Seit der metaphorischen Verknüpfung von Botenrolle, Brief und Liedern in Pindars Οἱ. 6, 90f. SNELL / MAEHLER (ἐσσὶ yàp ἄγγελος ὀρϑός, ἠδκόμων σκυτάλα Μοισᾶν, γλυκὺς κρατὴρ ἀγαφϑέγκτων ἀοιδᾶν) wird diese Bildlichkeit insbesondere von den athenischen Tragikern und Komikern wiederholt." Bei Euripides spricht der Brief (δέλτος) in einer alltagsnahen Szene

wie ein Bote oder ‘singt’ - in einer eher lyrischen Partie - ein Klagelied." Abgesehen von der intriganten Verwendung eines Briefes im Hippolytos werden Briefe" in den beiden euripideischen /phigenien relevant für den Verlauf der Handlung. Die

Inszenierung des Briefes als eines mündlichen Sprechakts in der taurischen /phigenie erzielt eine einzigartige Wirkung, da der vermeintlich abwesende Adressat

70

7|

72

BUSSMANN 1990, S. 727. Man könnte ferner an die antike Gebräuchlichkeit des lauten Lcsens und an die Bedeutung des Sprechakts für dic akustischen Wahrnehmungstheorien denken, s. oben S. 6f. und Anm. 18. Damit in Einklang stehen Beobachtungen moderner Linguisten, daß „die Schriftzeichen stärker mit auditiven Signalen assoziiert [werden] als mit den bezeichneten Objekten", vgl. LEwANDOWSKI 1990, Bd. 2, S. 655 (“Lesen‘). Vgl. Aristoph. Thesm. 765ff., wo es von einem Brief heißt: φέρε, τίν᾽ οὖν (àv) ἀγγελὸν πέμψαιμ᾽ en αὐτόν; (768f.). Der gefangene Mnesilochos beschriftet unter Schwierigkeiten (dafür nicht vorgesehene) ἀγάλματα, die er dann wie Boten ausschickt: βάσκετ᾽, ἐπείγετε πάσας Ka9' ὁδοὺς (783f.). Die Stelle persifliert ausdrücklich den euripideischen Palamedes. in dem die Funktion der Schrift unter anderem als die cines Boten bestimmt wird (Fr. 578-590 NAuck). Dieses Fragment. in dem Palamedes spricht, ist im übrigen von einer auBerordentlichen Schriftbegeisterung getragen, vgl. oben Anm. 65. Vgl. besonders die Briefe im Fippolvtos und in der /phigenie bei den Taurern, hier etwa

Hipp. 865: idw ti λέξαι δέλτος ne μοι ϑέλει, oder Hipp. 879f.: oiov oiov εἶδον [£v] γραφαῖς μέλος φϑεγγόμενον τλάμων, s. ferner auch /ph. A. 794-800: ei δὴ φάτις ETuuog ὡς ἔτυχεν, ... εἶτ᾽ £v δέλτοις Πιερίσιν μῦϑοι τάδ᾽ ἐς ἀνθρώπους ἤνεγκαν παρὰ 73

καιρὸν ἄλλως. Zu /ph. T. vgl. unten Anm. 74ff. Vgl. auch den Brief des Herakles an Deianeira in Soph. Trach.

154fF.

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

43

Orestes an der Besprechung mit dem Boten teilnimmt, was schließlich die Anagnorisis einleitet. Die Rolle der Schrift und die Rolle ihres Überbringers werden dabei ausführlich diskutiert.’* Die Überlegungen des späten 5. Jahrhunderts sollen

hier jedoch nicht näher erörtert werden, da uns die differenzierte Schriftmetaphorik der Tragiker im hellenistischen Epigramm wiederbegegnen wird." Festzuhalten ist an dieser Stelle die Verbindung von Inschrift und Botenrolle und die auch bei

Euripides nachweisbare rhetorikkritische Tendenz, die den Aspekt des Handelns gegenüber dem des Lesens und Schreibens im Sprechakt höher bewertet.” Das Lesen nicht nur von Inschriften, sondern auch von Briefen und Orakeln ist in der ἱστορίης ἀπόδειξις Herodots fast immer in einen funktionalen Zusammen-

hang eingeordnet, in dem das Schriftstück lediglich die direkte oder mündlich durch einen Boten vermittelte Nachricht ersetzt, deren Inhalt eine für das weitere Handeln der beteiligten Personen relevante Anweisung ist. Verfasser und Rezipient

rücken auch dadurch wie in einem mündlichen Gespräch nahe aneinander, daB auf der einen Seite Schrift und gesprochene Sprache, auf der anderen Seite Rezeption und Hóren gleichgesetzt werden, schriftliche Kommunikation auf der deskriptiven

Ebene nicht von mündlicher getrennt wird." Die erwähnten Schriftstücke überbrücken häufig nur eine räumliche, nicht aber eine zeitliche Distanz in dem Sinne,

daß sie mit Veränderungen gegenüber der Zeit ihrer Abfassung rechnen. Die Ver-

bindung von Schrift und Intrige an mehreren Stellen"* erinnert an die homerische Bellerophontes-Geschichte, aber auch an die mißlungene Kriegslist des Polyneikes. Hier soll es besonders um einige der von Herodot erwähnten Inschriften gehen, die nicht nur zitiert werden, sondern die uns über das Verhältnis ihrer Textstruktur

zum erzáhlten Rezeptionskontext Auskunft geben kónnen, anders: deren intendierte oder tatsáchlich stattfindende Rezeption im Herodottext besonders ausführlich geschildert wird. Herodot (1, 187, 1—5) berichtet von der babylonischen Kónigin Nitokris, die Inschriften auf ihrem Grab anbringen läßt, mit denen sie später Dareios täuscht. An

der Außenseite des Grabes steht die listige Aufforderung, ein ármerer König als sie 74 75 76 77

ph. T. 639fT., 755tT.; Iph. A. 115fT., 322ff. S.unten S. 105f. Vgl. Jph. T. 7931: δέχομαι' παρεὶς δὲ γραμμάτων Slantuxacg / τὴν ἡδονὴν πρῶτ᾽ οὐ λύγοις αἱρήσομαι, /ph. A. 322: τῆνδ᾽ ὁρᾷς δέλτον, κακίστων γραμμάτων ὑπηρέτιν; Bei Hdt. 1, 124 und 125, If. wird berichtet, wie Kyros einen Brief erhält. Der Vorgang des

Lesens wird wie das Anhören einer Rede geschildert: εὑρὼν δὲ... τὸ βυβλίον ... Aa ov

78

ἐπελέγετο. τὰ δὲ γράμματα ἔλεγε τάδε᾽ ... Ἀκούσας ταῦτα ὁ Κῦρος ... Dicselbe Darstellungsart verwendet Herodot nochmals: 8, 22, 1-3. Zu den Inschriften bei Herodot vgl. 5. WEST, Herodotus' epigraphical interests, CO N.S. 35, 1985, S. 278-305 (= WEST 1985b), zu den orientalischen Inspirationen L. PoRcIANI, La forma proemiale. Storiografia e pubblico nel mondo antico, Pisa 1997. Bei Hdt. I, 123, 4—125, 1 wird ein Brief in einem Hasen versteckt; I, 125, 2 wird ein Brief gefälscht; 3, 128, 2-4 wird mit Briefen manipuliert; 6, 4, 1 werden Briefe veruntreut; 7, 6, 3f. wird ein falsches Orakel untergeschoben; 7, 239. 3f. wird eine Geheimschrift erfunden (ebenso 5, 35, 3f.: τὰ δὲ στίγματα ἐσήμαινε ... ἀπόστασιν); 8. 128, If. wird ein Brief mit einem Pfeil verschossen. Weitere erstaunliche Anwendungen der Schrift bei Herodot ließen sich anführen.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

selbst möge sich Geld aus ihrem Grab nehmen. Als Dareios der Verlockung nachgibt, erlebt er eine Überraschung (1, 187, 5): ἀνοίξας δὲ τὸν τάφον ELPE χρήματα μὲν OD, τὸν δὲ νεκρὸν καὶ γράμματα λέγοντα τάδε" 'ei μὴ ἀπληστός TE ἕξας χρημάτων καὶ αἰσχροκερδής, οὐκ ἂν νεκρῶν ϑῆκας ἀνέφγες". Als er aber das Grab öffnete, fand er zwar kein Geld, aber den Leichnam und Buchstaben, die folgendes sagten: “Wenn du nicht unersáttlich an Geld wärest und schändlich gewinnsüchtig, dann hättest du nicht die Ruhestätte von Toten geöffnet.’

Die Pointe dieser inschriftlichen Mitteilung entsteht durch eine beinahe schon unfaire Manipulation des Lesers: Die Verfasserin steuert mit der ersten Inschrift die Befindlichkeit des Lesers und schafft so selbst einen Rahmen, in dem der zweite Text seine höchste Wirksamkeit erzielt. Diese Inschrift ersetzt perfekt die Gegenwart der Sprecherin, denn sie versetzt sich wie eine innere Stimme in den Leser, der in der Folge gar nicht anders kann, als sein unmittelbar voraufgegangenes Han-

deln zu überdenken. Ein besonderer Triumph muß für die Autorin darin bestanden haben, daB ihr diese rhetorische Manipulation des Lesers noch post mortem ge-

lingt. Auch hier ist im übrigen die beabsichtigte Wirkung — darin liegt eine Ähnlichkeit zu der besprochenen

aischyleischen Passage — die Demoralisierung

des

Gegners, der sich überführt sieht. Vergleichbar ist darüber hinaus die zumindest ambivalente Bewertung dieser epigrammatischen Manipulation eines Lesers durch Herodot als einer ἀπάτη." Die folgenden literarischen Erwähnungen von Inschriften verdeutlichen, daß es

auch in anderen Fällen ein moralischer Impetus des Autors ist, der ihn veranlaßt, sich in die Situation der potentiellen Leser zu versetzen. Das gilt etwa auch für die Statueninschrift auf dem steinernen Bild eines ägyptischen Königs, die Herodot im Rahmen des ägyptischen λόγος, den er von den dortigen Priestern erfahren haben

will, wiedergibt. Diesem König hatte Hephaistos Feldmäuse als Helfer im Krieg geschickt, die die Kócher der Feinde zernagt hatten; folglich hielt sein mit einer Inschrift versehenes Bildnis im Tempel eine Maus in der Hand (Hdt. 2, 141, 6): καὶ νῦν οὗτος ὁ βασιλεὺς ἕστηκε £v τῷ ipo too Ἡφαίστου λίϑινος, ἔχων ἐπὶ τῆς χειρὸς μῦν, λέγων διὰ γραμμάτων τάδε᾽ “ἐς ἐμέ τις ὁρέων

εὐσεβὴς &oto'. Und auch jetzt noch steht dieser König im Heiligtum des Hephaistos, aus Stein, und er hat auf der Hand eine Maus und sagt durch Buchstaben folgendes: “Schaue auf mich und sei gottesfürchtig. ' 79

Hdt. 1, 187, 1: ἡ δὲ αὐτὴ αὕτη βασίλεια καὶ ἀπάτην τοιῆνδε τινὰ ἐμηχανήσατο. Wie bei Aischylos sollen die Buchstaben den Leser dadurch erschrecken, daß sie in einem bestimmten Augenblick zu ihm sprechen. Bei Herodot allerdings sollen sie ihn — nach dem Willen der fiktiven Verfasserin — über ihre emotionale Wirkung hinaus zu einer rationalen,

moralischen Einsicht führen.

Inschriftliche Dichtung in ‘mündlicher’ Kultur

45

Es handelt sich um ein Denkmal, das seinem Leser ethische Unterweisung erteilt, indem es die Lehren aus einem vorangegangenen Ereignis zieht, das als be-

kannt vorausgesetzt wird. Es scheint jedenfalls, als müsse der Betrachter selbst die Leerstelle ausfüllen und die logischen Verbindungen herstellen. Dies ist, anders als im Fall der Schilde des Aischylos, ein Zusammenspiel von Bild, mündlicher Überlieferung und Schrift, das den aktiven und den wissenden Leser fordert, und das den intellektuellen Erfahrungen des Herodot entsprochen haben mag. In dem Ausdruck βασιλεὺς λίϑινος scheinen Bildnis des Königs und historische Person, also der eigentliche Auftraggeber der Inschrift, zusammenzufließen.” Es handelt sich

hier jedoch weniger um die Reste eines mythischen, personifizierenden Denkens als um ein rhetorisches Mittel, das die Perspektive des Lesers und Betrachters mit einbezieht. Dieser soll vor allem durch die Präsenz der Statue und durch die bewegende Moral ‘großer König wird von kleiner Maus gerettet’ beeindruckt werden.

Themistokles läßt — nach Herodot 8, 22, 1-3 — eine propagandistische Inschrift an den Felsen bei den Trinkwasserstellen der Ionier anbringen, um nach Meinung des Herodot einen Keil zwischen diese und Xerxes zu treiben (Hdt. 8, 22, 1): Θεμιστοκλέης ἐπορεύετο περὶ τὰ πότιμα ὕδατα, ἐντάμνων ἐν τοῖσι λίϑοισι γράμματα, τὰ Ἴωνες ἐπελϑόντες τῇ ὑστεραίῃ ἡμέρῃ ἐπὶ τὸ ᾿Αρτεμίσιον ἐπελέξαντο. τὰ δὲ γράμματα τάδς £Aeye |... ] Themistokles reiste zu den Trinkwasserstellen und schnitt in die Steine Buchstaben, welche die Ionier lasen, als sie am nächsten Tag zum Artemision kamen. Die Buchstaben aber sagten folgendes: [ ... ]

Der Inhalt der Inschrift ist eine kurze Mahnrede, die die Ionier daran erinnert, daß sie als Griechen eigentlich auf der anderen Seite zu kämpfen hätten. Ihre Schriftlichkeit ermóglicht Themistokles eine heimliche Verbreitung seiner Botschaft (λαϑόντα tà γράμματα, 22, 3). Der Text ‘spricht’ in dem Moment, in dem er sein Publikum erreicht. Wie eine Rede entfaltet er seinen Sinn nur innerhalb

eines bestimmten historischen Kontextes. Das für Herodot charakteristische intrigante Moment bei der Verwendung von schriftlichen Botschaften besteht hier in dem besonderen Ort und Zeitpunkt der Anbringung und, wie bei Nitokris, in der Vorwegnahme der Befindlichkeit ihrer Leser. Die Formen der Übermittlung inschriftlich fixierter Nachrichten orientieren sich auch bei Herodot an der Vorstellung einer mündlichen Kommunikationssituation, und stets ist die Inschrift Teil einer Handlung.

Die Tendenz dieser Inschriften erinnert an die Aufstellung der Hermen durch den Tyrannen Hipparchos, deren erzieherische Absicht Sokrates in dem gleichna80

In den zeitgenössischen Steinepigrammen unterscheiden die sprechenden Gegenstände sehr wohl zwischen Statue und dargestellter Person, vgl. etwa GV 1171-1208 (Gruppe B III: „Besondere Formen der Ich-Rede"). Herodot dagegen erzählt aus dem Blickwinkel des Betrachters, dessen erste Leistung in der Identifizierung der Statue besteht. Als ein bewußtes Stilmittel begegnet dieses Verschmelzen von Person und Gegenstand wieder in den hellenistischen Epigrammen und insbesondere bei Kallimachos, s. unten S. 117f., 230ff., 257 mit Anm. 118.

46

Das griechische Epigramm und seine Leser

migen platonischen Dialog erläutert (228 d-e)." Hipparchos,

der sogar die be-

rühmten delphischen Inschriften zu übertrumpfen versucht habe, soll seine Epigramme selbst verfaßt haben (228 d 5-7): αὐτὸς Evreivag” εἰς ἐλεγεῖον σοφίας ἐπέγραψεν. *

M

*

-

2

[]

-

αὐτοῦ *

-

ποιήματα P

καὶ ἐπιδείγματα ^

+

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Er selbst brachte seine Gedichte in das elegische Versmaß und lıcß sie als einen Beweis sciner Weisheit aufschreiben.

Die überall an den Straßen nach Athen aufgestellten Hermen dienten ihm zur Unterweisung der Landbevölkerung; in erster Linie ging es jedoch, wenn man Platon glauben will, um die monumentale Selbstdarstellung des Herrschers (228 e): ἵνα

... παριόντες

ἄνω

καὶ κάτω

λαμβάνοντες αὐτοῦ τῆς σοφίας λοιπὰ παιδευϑησόμενοι.

καὶ ἀναγιγνώσκοντες YPOLTWEV ἐκ τῶν

ἀγρῶν

καὶ γεῦμα καὶ ἐπὶ τὰ

... damit sie ... in beiden Richtungen vorbeigehend lesend und Geschmack an seiner Weisheit findend von den Ackern kämen und auch in bezug auf das übrige gebildet würden.

Den Inhalt des Hexameters bildete eine Entfernungsangabe, die bei Platon überlieferten Pentameter enthalten eine schlichte Paränese (Hipparch. 229 a 4 und b 1): μνῆμα τόδ᾽ Ἱππάρχου᾽ στεῖχε δίκαια φρονῶν.

Dies hier ist ein Denkmal des Hipparchos. Gche in rechter Gesinnung. μνῆμα τόδ᾽ Ἱππάρχου * um φίλον ἐξαπάτα. Dies hier ıst ein Denkmal des Hıpparchos. Täusche kcinen Freund.

Die Verbindung von Wegweiser und Inschrift erinnert an die oben am Beispiel der homerischen Wendemarke besprochene, doppelte pragmatische Funktion des Denkmals. Denkmäler sind immer Wegweiser (‘landmarks’), provozieren aber auch Sprechakte und eignen sich als steinerne ‘Boten’, da ihnen ohnehin schon 81]

82 83

FRIEDLÄNDER / HOFFLEIT 1948, Nr. 149, S. 139-141; dort werden auch die zugehörigen Steinfragmente besprochen, die die platonische Überlieferung stützen, vgl. HERINGTON 1985, S. 93. Zum pädagogischen Impetus des klassischen Epigramms vgl. BECKBY 1, 1957, S. 14. Ζι ἐντείνειν / τόνος vgl. Hdt. 5, 60, 1: Ev δξαμέτρῳ τόνῳ λέγει. HERINGTON 1985, S. 250 mit Anm. 64 weist darauf hin, daß das παιδεύειν als Begründung für die Aufstellung nicht aus der Zeit des Hipparchos. sondern erst aus der des Dialogs stammen kann. Zur Echtheitsproblematik des Hipparchos selbst vgl. P. FRIEDLÄNDER, Pla-

ton, Bd. 2, Berlin 1964, S. 108-116.

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

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Aufmerksamkeit geschenkt wird. Moralisierende Aufforderungen an den Betrachter, die an die Rede des bei Herodot erwähnten Bildes gemahnen (ἐς ἐμέ τις ὁρέων εὐσεβὴς ἔστω, 2, 141, 6), kennen wir auch aus Grabepigrammen." Inter-

essant ist aber auch, daß die Verwendung des e/egeion im 4. Jahrhundert offenbar als Zeichen von Bildung betrachtet wurde.

Die literarischen Darstellungen von Inschriften zeigen den schriftlichen Text als eine an die neuen Bedingungen der Kommunikation angepaDte, mündliche Sprechhandlung, die durch die Übertragung auf das Medium in ihrer Wirkung verstärkt wird. Analog zur bildlichen Darstellung, die oft gemeinsam mit der Inschrift auftritt, stehen die γράμματα in Stellvertreterschaft für den Urheber der Nachricht, der sich in die Gegenwart des Lesers versetzt und äußerst geschickt antizipiert. Sie ‘besitzen’ daher auch Stimme und Bedeutung, agieren wie die Teilnehmer eines

alltáglichen Sprechaktes. Die mitunter als kluge List charakterisierte Antizipation der Leserreaktion soll nach dem Willen des Senders ebendiese Reaktion hervorrufen, eine Strategie, die, wie beim aischyleischen Sturm auf Theben, auch mißlingen kann. Unterstützend wirken bildlich oder verbal dargestellte Figuren als ‘Sprecher’, auch der Ort der Anbringung ist von entscheidender Bedeutung. Inschriften ‘sprechen’ nicht aus großer Ferne, sie haben unmittelbar mit erwarteten und bekannten Handlungen der Kommunikationsteilnehmer zu tun. Ihre Appellstruktur erklärt sich aus diesem pragmatischen Kontext. Darüber hinaus spiegeln diese Beispiele aus dem 5. Jahrhundert die Entstehung

einer — neben Alltagskommunikation und poetischer performance in Fest oder Ritus — ‘dritten Tradition der Mündlichkeit’ wieder: die immer mehr zu einer τέχνη perfektionierte Rezipientenmanipulation der griechischen Rhetoren und die wachsende Skepsis gegenüber möglichem Mißbrauch von Rede und Schrift. 1.5.

Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den ältesten

griechischen Epigrammen Die ältesten Beispiele griechischer Versinschriften finden sich auf geometrischer Keramik." Es handelt sich folglich um eine Epigrammklasse, die in den älteren Ansátzen zu einer Literaturgeschichte des Epigramms, die sich an den Samm-

lungen von Steinepigrammen ausrichtete, kaum berücksichtigt wurde. Für unsere Frage nach den Auswirkungen der Traditionen der Mündlichkeit auf das Verhältnis 84

Vgl. GV 1209-1599 (Gruppe B IV), wo charakteristische Formen der Anrede an den Be-

trachter des Denkmals zusammengestellt sind, darunter besonders CEG 85

86

1, 13 (= 10 T),

1194bis; GV 1226), V. 4: ταῦτ᾽ ἀποδυράμενοι véo9e ἐπὶ πρᾶγμ᾽ àya 36v. Diese Analogie von Bild und Text setzt sich fort, wenngleich sich das Verhältnis ändert, vgl. G. NEUMANN, Zum Verhältnis von Grabdenkmal und Grabinschrift, in: Wort und Bild. Symposion des Fachbereichs Altertums- und Kulturwissenschaften zum 500jährigen Jubiläum der Eberhard-Karls-Universität Tübingen 1977, hg. v. H. BRUNNER, R. KANNICHT und K. SCHWAGER, München 1979, S. 219-235, hier S. 220. Weitere Diskussionen über das Verhältnis der beiden Medien finden sich in S. GOLDHILL / R. OSBORNE (Hgg.), Art and Text in Ancient Greek Culture, Cambridge 1994 und bei L. GIULIANI, Laokoon in der Höhle des Polyphem. Zur einfachen Form des Erzählens in Bild und Text, Poetica 28, 1996, S. 1-47. Vgl. jetzt das von C. O. PAVESE, La iscrizione sulla kotyle di Nestor da Pithekoussai, ZPE 114, 1996, S. 1-23 zusammengestellte Material sowie WIRBELAUER 2004, S. 197f.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

von Text und Leser ist sie dennoch wichtig. Zwei der bekanntesten und aufgrund ihres Erhaltungszustandes instruktivsten Beispiele wollen wir hier näher betrachten: "Dipylonkanne' und 'Nestorbecher'. Die enge Verbindung zwischen dem Tráger der Inschrift und einer mit ihm zusammenhángenden Handlung ist das Hauptmerkmal der geritzten Aufschrift auf der geometrischen Oinochoe, die in einem Grab in der Nähe des athenischen Dipylontores gefunden wurde. Der gesicherte Beginn der Inschrift lautet (CEG 1, 432)" hóc νῦν ὀρχεστὸν πάντον ἁταλότατα παίζει ... Wer nun von allen Tänzern am ausgelassensten tanzt ...

Was die Fortsetzung des Satzes angeht, ist nur einigermaßen sicher, daß er ein Demonstrativum (τοῦτο oder τόδε) enthält, das sich auf den Gegenstand bezieht. B. B. Powell schildert die denkbare mündliche performance und den Anlaß des hier fixierten Sprechakts auf folgende Weise: οἱ suggest that in Athens too, in c. 740-730, an aoidos was present at such an eristic dance, and composed the Dipylon verse. Perhaps he played for the

dancers too. Certainly he announced the prize for the dance in hexametric verse, and some of his very words survive, inscribed on the prize."

Ob sich mündliche Dichtung selbst so unmittelbar auf den beschriebenen GefäBen und Steinen niederschlug, muß für uns freilich spekulativ bleiben. Wir wissen

auch nicht, ob der Verfasser des Textes im Augenblick der Niederschrift eine mündliche Kommunikation imaginierte — oder einfach mitschrieb. Die Inschrift selbst beinhaltet einen Hinweis auf die Funktion der Vase als Preisgefäß in einem Tanzagon." Sie berichtet jedoch nicht in der Vergangenheitsform von dem errun-

genen Sieg des besten Tánzers, sondern versetzt jeden Leser — ob mit Absicht oder nicht — in den Augenblick (vöv)” der entscheidenden Situation hinein. Es handelt sich um die wohl unveränderte Wiedergabe eines mündlichen Ausspruches aus

einem pragmatischen Zusammenhang. Dabei beleuchtet der Inhalt des Verses einen Aspekt aus dem Leben des Besitzers, der seinen sozialen Status auch μετὰ ἑορτῆς dokumentiert: Gehórte er doch zu den Teilnehmern eines Festes, auf dem es solche

Preise zu gewinnen gab. 87

88 89

90

Vgl. JEFFERY / JOHNSTON 1990, S. 68, 401, Pl. 1, 1: M. GuaRDUCCI, L'Epigrafia greca dalle origini al tardo impero, Rom 1987, 41f. Nr. 1; H. R. IMMERWAHR, Attic Script. À Survey, Oxford 1990, 7 Nr. 1; WIRBELAUER 2004, nach GuARDUcCI, Bd. 1, 1967, S. 135f. ist die Inschrift bis naileı hexametrisch, nach B. B. PowELL, The Dipylon Oinochoe and the Spread of Literacy, Kadmos 27, 1988, S. 65-86, hier S. 69 sogar ein , perfect hexameter". POWELL 1988, S. 76f. Vgl. die Tänze in Od. 8, 370ff., 23, 143ff.; zur Verbindung von Tanz und Behendigkeit im Kampf s. Il. 16, 608ff. Denkbar wäre aber auch eine erotische Konnotation, vgl. die theraischen Feisinschriften /G XII, 3, 536, 540, 543 und 546 (Ergänzung KAIBEL). In jüngeren Epigrammen bezicht sich vov stets auf die Rezeptionssituation, meist im Ge-

gensatz zum Leben eines Grabinhabers, vgl. CEG

1, 89, 102, 131, 159, 378, 403. Hier

jedoch ist nur eine einzige Situation abgebildet, in der eine immer gültige rühmende Feststellung (Prásens) getroffen wird.

Inschriftliche Dichtung in ‘mündlicher’ Kultur

49

Wie aber verträgt sich der in Gefäßform, Sprache und Thematik zum Ausdruck gebrachte Anspruch mit dem äußeren Erscheinungsbild der Buchstaben, deren Herkunft aus der materialbedingten Ritztechnik orientalischer Schriften sich noch erkennen läßt?”' Vasenverzierungen, die aus Abecedarien bestehen, haben gezeigt,

daß allein schon die Verwendung der neuen Schrifttechnik in einer bestimmten Phase ihrer Etablierung als bewundernswürdig galt, so daß wir dies für eine mögliche Erklärung nehmen können.”

Ein weiteres sehr altes Zeugnis für den griechischen Hexameter in Form eines

Graffitto (720-710 v. Chr.)” findet sich auf einer 1954 in Pithekussai (Ischia) gefundenen geometrischen Kotyle. Sehr viel sorgfältiger beschrieben” als die Dipylon-Oinochoe, entstammt der Becher ebenfalls einem sepulkralen Kontext: Néotopós : εἰμι] : εὐποτίον] : ποτέριον. | δὸς δ᾽ àv 1ó6€ πίεσι : txotnpt[-] : αὐτίκα kévov |

hinepog haupéoe: : καλλιστε[φά]νο : 'Apposizec.” Ich bin das Trinkgefäß des Nestor, aus dem man gut trinken kann. Wer aber

aus diesem Trinkgefäß” trinkt, denjenigen wird sogleich das Verlangen ergreifen nach der schónbekránzten Aphrodite. Der erste, iambische Vers” enthält mit ziemlicher Sicherheit eine Besitzerangabe," die in das Lob des Gegenstandes übergeht. Dessen Qualitäten werden in

den beiden folgenden Hexametern erláutert. In thematischer Hinsicht stimmt die Inschrift mit anderen frühen Beispielen überein, die den Preis des Gegenstands zum 91

Vgl. die Abbildung und Umschrift bei JEFFERY / JOHNSTON 1990, S. 401.

92

Beispiele bei JEFFERY / JOHNSTON 1990, S. 44, 69, 116f. (u. a.).

93

So PAVESE 1996, 2. Etwas früher („735-720“) datiert HANSEN: Die bei CEG 1, 454 versehentlich falsche Datierung ist korrigiert in ZPE 58, 1985, S. 234 und CEG 2, S. 304. JEFFERY (JEFFERY / JOHNSTON 1990, S. 235) bekräftigt, daß der Becher ‘nicht nach 700" da-

94 95

tiert werden kann. Für die Anordnung der einzelnen Verse in jeweils einer eigenen Zeile möchte WEST 1997, S. 26 mit Anm. 105 mesopotamische Vorbilder ausmachen. Text hier nach der vorzüglichen Aufarbeitung des gesamten Befundes und des Vergleichsmaterials durch PAvEsE 1996. Die Ergänzung der ersten /acuna zu eji (HANSEN: εἰμι) be-

ruht auf einer von PAVESE vorgenommenen Autopsic. Die Problematik der /acuna in Vers I und die daraus entstandenen unterschiedlichen Interpretationen können hier nicht im ein-

zelnen behandelt werden; für εἰμί sprechen sich u. a. bereits W. SCHADEWALDT, Nachtrag. Homer und der Becher von Ischia, in: DERS., Von Homers Welt und Werk.

Aufsätze und

Auslegungen zur Homerischen Frage, Stuttgart *1965, S. 413—416, 488f., hier Anm. 1 auf S.

488, HANSEN

1983

und JEFFERY / JOHNSTON

1990 aus; die Ergänzungsvorschläge

sind

gesammelt bei P. A. HANSEN, Glotta 41, 1976, S. 25-44 und jetzt bei PAVESE 1996, S. 8; die ältere Literatur bei HAUSLE 19792, S. 68-71; siehe auch C. F. Russo, Cherchez l'Olympiade chez Homere, in: ARRIGHETTI / MONTANARI 1993, S. 93-99, PAVESE 1996, S. 20-23. 96 97 98

Übersetzung der üblichen Ergänzung τόδε ... zotnpí[o ]. PAVESE 1996, S. 16 hält auch Tode ... tornpi[ot] im Sinne von ‘aus dem Trinkgefäß dieses (Mannes)' für möglich. Soschon SCHADEWALDT 1965, S. 413: jetzt auch PAVESE 1996, S. 10. Wie üblich an erster Position und im Genitiv, vgl. P. KRETSCHMER, Die griechischen Vaseninschriften. Ihrer Sprache nach untersucht, Gütersloh 1894, S. 3f; PAvESE 1996, S. 12f. (auch zur Verwendung heroischer Namen für historische Personen).

50

Das griechische Epigramm und seine Leser

Zentrum ihrer Aussage machen. Auch für die Verwendung einer poetischen Sprache zur Beschreibung des Gegenstands, sei es in Anlehnung an die mündliche

Dichtung, sei es als Zitat, lassen sich Belege anführen.” Die Form des Epigramms

zeigt, daß es nicht nur um ein neutrale schriftliche Kennzeichnung des Gefäßes geht, sondern daß der Verfasser einen bestimmten zeitlichen Moment

seiner Ver-

wendung zu fixieren beabsichtigt. Sowohl das Präsens εἰμί als auch das deiktische

Pronomen τόδε kennzeichnen die Verse als einen Ausspruch,'” dessen Urheber sich imaginär in den Augenblick versetzt, in dem ein potentieller Benutzer den Be-

cher in die Hände nimmt, um zu trinken und damit eine bestimmte Wirkung zu erzielen. In ebendiesem Augenblick wird die Inschrift zu ihm ‘sprechen’. Das Epigramm enthält insofern ein mit der nicht-epischen, sympotischen Dichtung der archaischen Zeit vergleichbares situatives Element,'”' das durch die Deiktika unmit-

telbar zum Ausdruck kommt. Läßt sich aber auch ein sinnvoller Bezug zur Funktion des Gefäßes als einer Grabbeigabe — und zwar einer Beigabe für einen zehn- bis vierzehnjährigen Jun-

gen" — angeben? Zwar ist für uns nicht direkt erkennbar, ob die Aufschrift, die nach dem Brand in das Gefäß geritzt wurde, noch zu Lebzeiten des Besitzers auf

dem Becher angebracht wurde. Die von C. O. PAVESE beigebrachten Parallelen und auch die senkrechten Ritzlinien auf dem Gefäß sprechen aber für eine tatsáchliche, praktische Verwendung beim Symposion. Ein Kotylenfragment aus Eretria, das auf 720-710 v. Chr. datiert wird, wendet sich mit einer áhnlichen Formulierung

offensichtlich an eine weibliche Begleiterin beim Gelage."" Das in dem Epigramm explizit angesprochene gemeinsame Trinken geschieht unter Freunden und Liebhabern. Nestor selbst muß daher entweder ein am Gelage teilnehmender παῖς καλός oder aber dessen Liebhaber oder Vater gewesen sein, will man annehmen, der jugendliche Grabinhaber sei noch nicht im für solche Aktivitáten angemessenen Alter gewesen. Kotyle und Epigramm kónnten also ein Geschenk für zukünftige Symposien, aber auch eine Erinnerung an vergangene Gelage und damit natürlich auch einen Hinweis auf den sozialen Rang des Verstorbenen sein. Wie aber ist der Sprechakt zu verstehen? Wer ist angeredet, wer spricht? Wie verhált sich der Gegenstand zur Gruppe der Zecher? Die iambische Besitzanzeige

wendet sich an jeden einzelnen Betrachter und Benutzer des Gefäßes einschließlich seines Besitzers. Sie garantiert aber auch, daß der Becher seinen Weg immer zu 99

Ob und inwieweit dieser Vers auf den 'Nestorbecher' in //. 11, 632-637 anspielt, wie bereits SCHADEWALDT 1965, S. 415 meinte, wird heute unterschiedlich beurteilt; siehe die ausführ-

liche Diskussion bei PAVESE 1996, S. 10-13; vgl. jetzt auch A. SNopGRAss, Homer and the artists. Text and Picture in Early Greek Art, Cambridge 1998, S. 52f. und FANTUZZI 2002, S. 392f. - Ein Beispiel für berühmte Dichtung auf einem Gebrauchsgefäß wird bei H. Rıx, Ein

Hipponax-Vers auf einer Tonlampe aus Olbia / Pontos?, WJA N. F. 17, 1991, S. 41-48 beschrieben. Die engsten Paraliclen zum beschrifteten Becher aus Pithekussai versammelt PAVESE 1996, S. 6f.. vgl. jetzt auch WIRBELAUER 2004.

100 Andere Beispiele für die Kombination der Ich-Rede mit τόδε sind CEG 1, 72 = IG D, 1260: cena τόδ᾽ εἰμὶ Kpilto (/G: Kpí|[to?]) und CEG 1, 130.

101 Anders ScopEL 1992, S. 57 und 60. 102 PAVESE 1996, S. 1. 103 ἡ δ᾽ àv τοίδε, s. PAVESE 1996, S. 14f.. zur Deutung des Symposion-Kontexts ebd. S. 13-23.

Inschriftliche Dichtung in “mündlicher’ Kultur

5]

Nestor zurückfindet. Die beiden Hexameter zielen auf die festliche Gruppe der Zecher als ihr Publikum, denn zumindest die Anwesenheit eines ἐραστῆς und eines ἐρώμενος sind in dem Preis der aphrodisischen Qualitäten des Bechers vorausge-

setzt. Der iterative Relativsatz bekräftigt, daß der Zauber des Bechers unbedingt immer wirkt; zu bedenken ist aber auch, daß der schriftliche Hinweis ‘wer immer daraus trinkt’ gerade den einzelnen Symposionsteilnehmer, dem der Becher vielleicht sogar schweigend gereicht wird, besonders ansprechen muß. Die Besitzerin-

schrift und der epische Preis des Gefäßes stehen daher in engem Zusammenhang. '^ Denn der Becher ‘agiert’ anstelle seines Besitzers und hilft diesem bei seiner Liebesintrige oder — denkt man sich die Situation mit lautem Lesen und öffentlichem

Gedankenaustausch der Zecher über die Inschrift -- doch bei seinem Liebeswerben. Der epischen Diktion fast zum Trotz geht es dem Verfasser der Nestor-Inschrift vielleicht weniger um einen Beitrag zum literarischen Diskurs der Gruppe als um ein ganz konkretes Verhalten der am Sprechakt beteiligten Personen: um das gemeinsame Trinken und Lieben. Diese Praxisnähe des Epigramms zeigt sich besonders im zweiten Teil der Inschrift, indem die Unwiderstehlichkeit des Trunks

aus diesem Becher einfach behauptet wird. Eine starke Reaktion des Lesers darauf ist zu erwarten. Der Humor, der in dem Spiel mit dem magischen Beschwórungsntual und vielleicht auch in der Anspielung auf die /lias liegt, wird die Stimmung beim Gelage sicherlich gehoben haben.'^ 1.6. Zusammenfassung

Die bisher betrachteten frühgriechischen Zeugnisse inschriftlicher Dichtung sind ebenso wie die literarischen Darstellungen von Lesesituationen in hohem Maße

von den Handlungsmustern

einer der Mündlichkeit verpflichteten Gesell-

schaft beeinflußt. Auch die Vorstellung von der Möglichkeit einer direkten, unmittelbaren Einflußnahme des jeweiligen ‘Senders’ auf den ‘Empfänger’, die in den antiken Texten immer wieder thematisiert wird, entstammt dem Erfahrungsbereich der mündlichen Kommunikation. Es gibt hingegen keinen Hinweis darauf, daß die Wirkweise der besprochenen metrischen oder nichtmetrischen Inschriften mit einer besonderen 'Existenzform' der Worte in der Schriftlichkeit, die die moderne Forschung beschäftigt hat, oder gar mit einer Form von Buchstabenmagie in Verbindung gebracht wurde. Inschriften unterstreichen die Bedeutung einer Handlung

oder eines Objekts. Ein Gegenstand gewinnt durch den Schmuck der Buchstabenzeichen an Wert; eine Handlung - wie der Angriff des Polyneikes auf Theben oder das Trinken aus dem Becher des Nestor - wird durch eine schriftliche Aussage eindrucksvoll unterstützt und ästhetisch aufgewertet, wenn sie in poetischer Form erscheint. Das Medium der Schrift wird zunächst in bezug auf seine Möglichkeiten der Verdauerung von Sprechakten genutzt. So erlaubt die an einen Gegenstand wie die "Dipylonkanne' gebundene schriftliche Fixierung eines ursprünglich situations-

bedingten Ausspruchs den Teilnehmern des Wettbewerbs, sich auch später an das 104 105

Anders PAVESE 1996, S. 10. S. oben S. 50 Anm. 99 und FANTUZZI 2002, S. 393.

52

Das griechische Epigramm und seine Leser

einmalige Ereignis zu erinnern. Sie mag aber auch die eine oder andere Unterhal-

tung des Besitzers mit anderen Betrachtern des gewonnenen Preises angeregt haben. Die Inschrift des Nestorbechers dagegen zielt zumindest implizit bereits auf eine Wiederholung der in ihr dargestellten Sprech- und Trinkhandlung, so wie sich auch die Symposiasten mehr als einmal versammelt haben dürften. Auch wenn der anonyme, der Gruppe aber wohl bekannte Dichter des Trinkspruchs die Verse erst anläßlich eines bestimmten Symposions auf das Gefäß geritzt haben sollte, so hat er doch ein hervorragendes Gespür nicht nur für die besondere Situation, sondern auch für die Móglichkeiten ihrer Prolongierung und Wiederholung bewiesen, die mit der Verschriftlichung der Verse einhergingen. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zur bewußten Vorwegnahme und rhetorischen Einflußnahme auf imaginäre zukünftige Rezeptionssitutionen. Ortsgebundene, ‘lokostatische’ Steininschriften, deren Publikum über den Rahmen der jeweiligen Gruppe hinausgeht, müssen stets auch zukünftige, unbekannte Leser ansprechen. Die Verfasser solcher Inschriften werden sich aber erst allmählich der Schwierigkeiten bewußt, die durch die zeitliche und räumliche Dissoziierung des Sprechakts in der Schriftlichkeit bedingt sınd.

Die literarischen Darstellungen der Lektüre inschrifllicher Botschaften von Homer bis Herodot geben einen Hinweis auf die Entwicklung der Formen schriftlicher Kommunikation mit Hilfe von Steininschriften. Sie zeigen, wie aus der — für eine mündlich geprägte Kultur naheliegenden - einfachen Übertragung einer alltáglichen Redesituation in die schriftliche Kommunikation eine regelrechte Strategie der fingierten Mündlichkeit werden kann, die auch auf das Epigramm wirken wird. Diese bewußt inszenierte Mündlichkeit ist eine ‘proleptische’ Fiktion,

die durch die imaginäre Antizipation der Leseumstánde im Text — erinnert sei an die 'listigen' Inschriften bei Herodot — an das prospektive Lesepublikum appelliert. Solche Strategien zur Herstellung von Lesernáhe werden uns auch im folgenden bescháftigen, denn die anonymen Adressaten des Dichters von Steinepigrammen stehen diesem ráumlich und zeitlich ferner als beispielsweise die Gruppe der Symposiasten dem Verfasser einer Becheraufschrift. Insbesondere Grabepigramme richten sich an Leser künftiger Generationen. Sie sind es, die dem Verstorbenen ein Weiterleben

in

der

Erinnerung

ermöglichen

und

seinen

Ruhm,

sein

κλέος,

verbreiten. Das Interesse für den zukünftigen Leser ist daher notwendigerweise einer der Ausgangspunkte für den Verfasser eines Grabepigramms, der eine bestimmte Wirkung erzielen will.

Inschriftliche Dichtung in *mündlicher' Kultur

53

2. DIE APPELLSTRUKTUR DER EPIGRAMME 2.1. Mvnun, κλέος und die Zeigerfunktion des griechischen Grabepigramms

Der Epigrammautor überwindet das Problem der Abwesenheit seines Publikums durch das Imaginieren einer direkten Kommunikation. Diese Inszenierung eines mündlichen Sprechakts ist jedoch nicht allein der Allgegenwart mündlicher Traditionen zu verdanken. Sie hängt auch mit den Inhalten der Steinepigramme zusammen. Betrachten wir daher zunächst einige der gängigen Themen, über die sich Dichter und Leser von Grabepigrammen der archaischen und klassischen Zeit verständigen. χαίρετε τοὶ παριόϊντες, : ἐγὸ δὲ 9avóv | kaxáxeuiai heiBt es lapidar in Vers 1 einer frühklassischen Grabschrift. Leben und Tod, Gegenwart und Vergangenheit sowie ihre Verbindung durch die Erinnerung der Nachgeborenen sind die Grundthemen der griechischen Grabepigramme.'" Das Andenken an die Toten in einem durch feste Elemente definierten äußeren Rahmen ist Teil der Lebenswelt der archaischen Zeit.* Der zu diesem Rahmen gehörende Aspekt der Erinnerung wird im 7. Buch der //ias in einer Rede des Hektor beschrieben, die dieser vor dem geplanten Zweikampf mit einem griechischen Helden hàlt. Er stellt sich dabei vor,

wie die Erinnerung der Nachgeborenen an einen ruhmreichen Kampf durch das sichtbare Denkmal ausgelöst wird (1 7, 87-91): Kai ποτέ tic εἴπῃσι καὶ óytyóvov ἀνθρώπων,

vnl πολυκλήϊδι πλέων ἐπὶ οἴνοπα πόντον᾽ “ἀνδρὸς μὲν τόδε σῆμα πάλαι κατατεϑνηῶτος,

Óv ποτ᾽ ἀριστεύοντα κατέκτανε φαίδιμος Ἕκτωρ. ὡς ποτέ τις ἐρέει' τὸ δ᾽ ἐμὸν κλέος οὐ ποτ᾽ ὀλεῖται. Und es wird irgendwann einer sagen von den spätgeborenen Menschen, der

mit dem vielrudrigen Schiff auf dem weinfarbenen Meer fährt: “Dies ist das Grab eines schon lange gestorbenen Mannes, den einst als den Besten der 106 CEG 1, 108, 1 (Eretria, ca. 450?): „Seid gegrüßt, die ihr vorübergeht, während ich tot hier unten liege"; zur antithetischen Struktur s. unten S. 55.

107 R. LATTIMORE, Themes in Greck and Latin Epitaphs, Urbana / Illinois 1942 (Illinois Studies in Language and Literature 28), G. PFOHL, "Grabinschrift I (griechisch)’, RAC XII, 1983, Sp. 467-514, hier 470, Day 1989, S. 16f., ECKER 1990, S. 45—50; L. SPINA, La forma breve

del dolore. Ricerche sugli epigrammi funerari greci, Amsterdam 2000 (Lexis Suppl. 8). 108 Dav 1989, S. 17 und Anm. 4. Zu den Formen des Totengedenkens vgl. auch R. GARLAND, The Greek Way of Death, London 1985, bes. S. 104—120 (,, Visiting the Tomb"), der auch

die klassische und hellenistische Zeit behandelt; D. C. KunTz / J. BOARDMAN, Thanatos. Tod und Jenseits bei den Griechen, Mainz 1985 (engl. London 1971); R. GARLAND / J. SCHEID, ‘death, attitudes to’, in: The Oxford Classical Dictionary, Oxford 1996, S. 433f.; I. MORRIS, Burial and the ancient society. The rise of the Greck city-state, Cambridge u.a. 1987, DERS., Death-ritual and social structure in classical antiquity, Cambridge 1992; SoURVINOU-INWOOD 1995, S. 298ff.

54

Das griechische Epigramm und seine Leser

strahlende Hektor getötet hat.” So wird einst einer sagen. Mein Ruhm aber wird niemals vergehen.

Die Blickrichtung der öyiyovoı, die Hektor hier in Gedanken einnimmt, begegnet an einer anderen, in der Einleitung zu dieser Arbeit schon besprochenen Stelle, an der die Iliashelden selbst das Denkmal einer früheren Generation betrach-

ten (1. 23, 33 1£.):'°° Tj τεῦ σῆμα βροτοῖο πάλαι κατατεϑνηῶτος,

ἢ τό γε νύσσα τέτυκτο ἐπὶ προτέρων ἀνϑρώπων. Entweder ist es das Grab eines schon lange gestorbenen Mannes, oder es war als Wendemarke geschaffen bei früheren Menschen.

Auf diese vom Anblick des Denkmals ausgelöste Reflexion kann der Dichter einer realen Aufschrift natürlich Einfluß nehmen. Noch deutlicher steht für Aischylos der Interpret und Rezipient des Zeichens 'Grabhügel' im Mittelpunkt, und dies umso mehr, als nicht jedes Denkmal eine Inschrift trágt (Pers. 818—820): ϑῖνες νεκρῶν δὲ kai τριτοσπόρῳ γονῇ ἄφωνα σημανοῦσιν ὀμμασιν βροτῶν ὡς οὐχ ὑπέρφευ ϑνητὸν ὄντα χρὴ φρονεῖν.

Die Grabhügel der Toten werden auch in der dritten nachgeborenen Generation den Augen der Menschen ohne Stimme bedeuten, daß ein Sterblicher nicht überheblich werden soll in seinem Denken.

Die Ähnlichkeit zwischen der homerischen Passage im 7. Buch der //ias und einigen frühen korkyräischen Steininschriften ist schon früher beobachtet und diskutiert worden.''” Hier soll nur auf eine charakteristische Übereinstimmung mit den Steinepigrammen insgesamt hingewiesen werden. Der gedankliche Wechsel Hek-

tors zum Standpunkt des zukünftigen Betrachters des σῆμα seines Gegners entspricht den erhaltenen Steinepigrammen, insofern auch diese stets die Gegenwart des Lesers als zeitlichen Bezugspunkt haben. Anschaulich wird dies im Fall eines episierenden Einzeilers, der ein deiktisches Pronomen verwendet (CEG 1, 132).}}} ΔΕεινία τόδε [oà|na], τὸν ὀλεσε njóvtog ἀναι[δές]. Dies hier ist das Grabmal des Deinias. den verdarb das Meer ohne Rücksicht.

109 Insofern das Denkmal ohne Inschrift ist, bleibt eine Unsicherheit hinsichtlich seiner Funktion, SCODEL 1992, S. 66; s.oben S. 16f.

110 WILAMOWITZ 1924, Bd. 1, S. 123; H.-M. LuMPP, Die Arniadas-Inschrift aus Korkyra. Homerisches im Epigramm -- Epigrammatisches in Homer, Forschungen und Fortschntte 37, 7, 1963, S. 212-215; RAUBITSCHEK 1968, S. 5f.; LAusBERG 1982, S. 102 und Anm. 4 auf S. 532 mit Bibliographie; ECKER 1990, S. 39f.; 1. J. F. DE Jong, The Voice of Anonymity. tisSpeeches in the Iliad, Eranos 85, 1987, 5, 69-84 (= DE Jong 1987b). zur Arniadas-iInschrift

s. jetzt /G IX, 17, 880 (mit ausführlichen Literaturhinweisen). 111

Korinth, ca. 650?

Die 'Appellstruktur' der Epigramme

55

Das Thema “Tod auf dem Meer’ knüpft an eine vielen Lesern gemeinsame Erfahrung an. Die Gefahren der Seefahrt sind für Griechen allgegenwärtig und Thema

auch der Literatur. Doch ist das Meer zugleich einer der wichtigsten Verkehrs- und Kommunikationswege. Daher ist in den homerischen Epen an mehreren Stellen von Grabmälern die Rede, die gut sichtbar für die vorbeifahrenden Schiffe an der Küste errichtet werden. Wie sich der eingangs zitierte Epigrammvers an den vorübereilenden Fußgänger richtet, so orientieren sich auch die Bauten am Meer auf die Reisenden, die eine Kunde weitertragen. In diesem Sinne berichtet Agamemnon in

Od. 24, 80-84 von dem gemeinsamen Grabmal des Achill und seines Freundes Patroklos: ἀμφ ᾿αὐτοῖσι δ᾽ ἔπειτα μέγαν καὶ ἀμύμονα τύμβον χεύαμεν ᾿Αργείων ἱερὸς στρατὸς αἰχμητάων ἀκτῇ ἐπι προὐχούσῃ, ἐπὶ πλατεῖ Ἑλλησπόντῳ, ὡς KEV τηλεφανῆὴς £k ποντόφιν ἀνδράσιν εἴη

τοῖς ol νῦν γεγάασι καὶ οἱ μετόπισϑεν ἔσονται. Und um euch schütteten wir dann einen großen und untadeligen Grabhügel,

das heilige Heer der argeuschen Lanzenkämpfer, an der vorspringenden Küste, ın der Ebene des Hellespont, damit es den Menschen weithin sichtbar vom Meer aus sei; denen, die nun leben, und denen, die später leben werden. Der von Akeratos gestiftete Turm auf Thasos wendet sich in einem den Grabinschriften sehr ähnlichen Stifterepigramm mit einem Gruß an die vorbeikommenden Seeleute (CEG 1, 162):!?

['Alknpáto e[i]ui μνῆμα τὸ Φίρασ)]ιηρίδο, κεῖμαι δ᾽ ἐπ᾽ [&]kpo vavo[r]ól[8]uo σωτήριον νηυσίν te Kali] ναύτηισιν᾽ ἀλλὰ χαίρετίε]. Ich bin das Mal''* des Akeratos, Sohn des Phrasierides, ich stehe oben über

dem Ankerplatz als Rettung für Schiffe und Seeleute. Seid gegrüßt!

Daß die Schiffer vom Meer aus die Schrift vielleicht gar nicht entziffern können, stört den Verfasser ebensowenig, wie Hektor in /lias 7, 89f. das Fehlen einer eindeutigen Zuweisbarkeit seines τύμβος durch eine Inschrift bemängelt. Vielleicht genügte schon die herausragende Lage des Bauwerks, damit der Turm, eine topo-

graphische Landmarke, bekannt wurde. Auffällig ist in jedem Fall die explizite Ausrichtung des Denkmals auf die vom Erbauer oder Epigrammautor imaginierten Betrachter und Leser. Zusätzlich zu den selbstverständlichen Funktionen des Denkmals wie der Erinnerung an einen Toten und an den Stifter des Mals werden auch seine praktischen Aufgaben in den Vordergrund gestellt. Das Epigramm auf einer Stele ist also kein isolierter Text,

sondern

ein Zeiger,

der einerseits ganz

112 Vgl. 7I. 7, 87ff.; Od. 11, 75f.; dort bittet Elpenor Odysseus: σὴμά τέ μοι χεῦαι πολιὴς ἐπὶ ϑινὶ ϑαλάσσης, / ἀνδρὸς δυστήνοιο, καὶ ἐσσομένοισι πυϑέσϑαι; zu den Odysseestellen 5. ECKER 1990, 5. 27 und 36. 113 Ca. 500-490?, JEFFERY / JOHNSTON 19990, S. 301f. (Nr. 67), S. 307. 114 Das μνᾶμα des Akeratos muß nicht unbedingt ein Grab sein, vgl. ECKER 1990, S. 229-232.

56

Das griechische Epigramm und seine Leser

praktisch als Landmarke, andererseits ideell als Wegweiser in die Vergangenheit (μνήμη) oder Zukunft (κλέος) dienen kann.

2.2, Bezugnahmen auf die Szenerie der Rezeption Das Zeigen und Verweisen innerhalb der epigrammatischen Sprechhandlung

soll im folgenden näher beleuchtet werden. Wir unterscheiden dabei zwischen den direkten Bezugnahmen auf den unbelebten Rahmen der Rezeptionssituation, insbesondere auf das Denkmal und den Ort seiner Errichtung, den teils expliziten, teils impliziten Appellen an das gemeinsame, verinnerlichte Wertesystem, und dem ver-

balen ‘Zeigen’ auf die Kommunikationspartner in den verschiedenen Formen der direkten Anrede. Die Besonderheit des Sprechakts - eines Dialogs zwischen einem Lebenden

und einem Toten bzw. dessen beschriftetem Stellvertreter - und auch die Kürze des griechischen Grabepigramms fordern die Antithese als eine Grundform geradezu

heraus.

Archaische

Epigramme

formulieren

den

Gegensatz

zwischen

der

Sterblichkeit des Körpers und der Unsterblichkeit der meist rühmlichen Kunde über

den Toten.! Eine Variation des Motivs bietet auch die älteste bislang bekannte

Stoichedoninschrift (CEG 1, 24 = IG V), 1261); o£pa Φρασικλείας. | κόρε κεκλέσομαι | αἰεί,

ἀντὶ γάμο | παρὰ ϑεὸν τοῦτο | Aaxóc' ὄνομα. Grabmal der Phrasikleia. Mädchen werde ich immer genannt werden, da ıch anstelle der Hochzeit von den Göttern diesen Namen erlost habe.

Die Statue über der Inschrift zeigt Phrasikleia in der Tracht einer Braut.''’ Das Verhältnis von Leben und Tod, so der Hintergrund dieses antithetischen Denkens,

115 Der Gegensatz zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit spielt schon bei Homer eine bedeutende Rolle, vgl. G. E. R. LLovp, Polarity and Analogy. Two Types of Argumentation in Early Greek Thought, Cambridge 1966, S. 90-94 zu „polar expressions" bei Homer, S. 42

zu den Gegensatzpaaren Licht / Dunkel und Leben / Tod, S. 169-171 zu den verschiedenen Typen von Polaritát. Die Zeitlichkeit des Kórpers wird in Epigrammen durch das Motiv der

mors immatura unterstrichen, vgl. E. GRIESSMAIR, Das Motiv der mors immatura in den griechischen metrischen Grabinschriften, Innsbruck

1966 (Commentationes Aenipontanae

17). 116 Attika, ca. 5407, vgl. ECKER 1990, S. 195. Aus der umfangreichen Literatur seien hier nur

genannt: NEUMANN

N. M.

KONTOLEON,

Aspects de la Gréce preclassique, Paris

1970,

S. SO9ff.;

1979, S. 227, SvENBRO 1988, S. 13-32; E. KARAKASI, Die prachtvolle Erschei-

nung der Phrasikleia. Zur Polychromie der Korenstatue. Ein Rekonstruktionsversuch, Antike Welt 28 / 6, 1997, S. 509—517 (mit Photographien der Statue). 117 xöpe bezeichnet hier die unverheiratete junge Frau, ECKER 1990, S. 198; zur Symbolik der

Tracht der Phrasikleia SVENBRO 1988, S. 23-31 und SouRviNoU-INwOooOD 1995, S. 249f. Zu ἀντὶ γάμοιο vgl. Hom. Hymn. Aphr. 29: Dort handelt es sich um ein καλὸν γέρας des Zeus an Hestia.

Die 'Appellstruktur' der Epigramme

57

wird als ein Ausgleich gesehen,!!* über den die Götter Macht besitzen. Anstelle der dem Leben geschuldeten Hochzeit als der hóchsten Ehre für eine Frau wird die Verstorbene ihren Ruhm (kexAécopau) als unsterbliches oria! im Brautgewand

erhalten. Bild und Schrift sorgen dafür, daB man auf diese Weise von ihr sprechen wird. Die Welt der Lebenden ist durch den ästhetischen Appell der Statue und

durch die Beteiligung des Lesers an der Aufgabe der KAéog-Verbreitung in das Schicksal der Phrasikleia einbezogen. Σέμα Φρασικλείας erscheint vielleicht nur als ein dezenter Hinweis auf eine Szenerie. Man muß sich aber die bunte Pracht der Grabanlage, zu der auch die kxoüpoc-Statue von Phrasikleias Bruder gehörte, vergegenwärtigen, um die Wirkung zu verstehen: Wenn dies nur das Sema und die Entschädigung der Götter ist, wie glanzvoll muß dann das Leben des Mädchens gewesen sein und wie prächtig wäre es noch geworden?

Sehr viel menschlicher als im Phrasikleia-Epigramm erscheint die Darstellung des Gegensatzes von Leben und Tod in einem Grabgedicht des 5. Jh. (CEG 1. 153): ἀντὶ γυναικὸς ἐγὼ Παρίο λίϑο ἐνθάδε κεῖμαι |

μνημόσυνον Βίττης, μητρὶ δακρυτὸν ἀχος. Anstelle einer Frau stehe ich hier, aus parischem Stein, Denkmal der Bitte, für

die Mutter ein tränenreicher Schmerz.

Hier wird der lebendigen Seinsweise eines Menschen (γυναικός, vgl. Köpe in CEG 1, 24) das Denkmal aus leblosem, wenngleich kostbarem Stein gegenübergestellt, das, anders als im Falle der Phrasikleia, gerade keinen tróstenden Ersatz

darstellt, sondern ein δακρυτὸν &yoc.'?' So unterschiedlich die Interpretation des Gegensatzes im einzelnen ausfällt, sie nimmt ihren Ausgangspunkt immer vom Denkmal (σῆμα oder λίϑος) her, das Blickfang für den gerade Vorübereilenden,

Garant der zukünftigen Kunde oder auch Erinnerungsmal vergangener Leistungen sein kann. Der Zeigegestus der Sprachhandlung verweist daher auf die Statue der Phrasikleia und die Statue der Bitte.

Bereits LESSING hat in seinen einflußreichen „Zerstreuten Anmerkungen" die rezeptionsásthetische Bedeutung des ,sinnlichen Gegenstandes" beschrieben, der

das Interesse des potentiellen Lesers wecken soll. Das erklärt, warum Epigrammtexte immer wieder selbst auf das Denkmal oder seine Örtlichkeit verweisen.

118 Sieben Beispiele für die Verwendung von ἀντί finden sich in CEG 1 (meist in der Bedeutung ‘zum Ausgleich für, als Dank für’), achtzehn weitere in CEG 2.

119 Zum Begriff σῆμα vgl. ECKER S. 11; ihrzufolge ist das σῆμα prospektiv den Toten vergegenwärtigend, das μνῆμα retrospektiv an ihn erinnernd; Literatur zu σῆμα

μνῆμα findet

sich bei NEUMANN 1979, S. 220 mit Anm. 6. 120 Amorgos, ca. 450?

121 Vgl. CEG 1, 11 (Ξ IG P, 1154), V. 4: ἵκετ᾽ ἄχος φϑιμένο und CEG 1295bis), V. 3: μνήμηγ yàp | ἀεὶ δακρυτὸν £xoca. 122 S. KÓHNKEN 1993, S. 119.

1. 97 (5 1G Y,

58

Das griechische Epigramm und seine Leser

Es geht dabei nicht allein um die Freude am Zuschauen und Zuhören,'” sondern auch ganz konkret um den Anreiz zur Lektüre.

Die textliche Bezugnahme auf den jeweils gegebenen Rahmen der Rezeption, die wir oben als eine Appellstruktur charakterisiert hatten, beginnt also nicht zufällig mit dem ‘Zeiger’ selbst, dem Denkmalsgegenstand. Diese Hinweise auf den auDertextlichen Rahmen schaffen in der Vorstellung des Lesers ein bestimmtes

Bild, das durch die Anrede oder Nennung von Personen, die dem Gegenstand verbunden

sind oder mit ihm in Beziehung treten könnten, verfeinert wird.

Im Text

genannte Stifter, Angehórige oder Passanten, die den Text lesen wollen, gehóren somit ebenfalls zu diesem imaginierten Rahmen der Kommunikation. Die einzelnen

Formen der Bezugnahme auf das Sichtfeld und den Handlungsraum des Lesers werden wir nun weiterverfolgen. 2.2.1.

Prásentation des Denkmals

Der Ausgangspunkt der frühesten Inschriften ist also die sprachliche Erklárung eines visuell erfaBten Gegenstandes in Hinblick auf seine Funktion; ein Merkmal,

welches die Epigraphik mit dem Begriff ‘Beischrift’ erfaßt, wodurch eine gewisse

Unterordnung der sprachlichen Botschaft unter das Objekt bezeichnet ist.'”” Das Grabmal kündet von menschlichen Handlungen, die mit der Errichtung des Bauwerks zu tun haben. Im Epigramm kommt oft ein schlichter, konstatierender Sprachstil hinzu, der diesen Eindruck von Objektorientierung verstärkt. Diese Sichtweise von der Funktion des μνῆμα oder σῆμα, die mit seiner Beständigkeit verknüpft ist, macht es verständlich, daß neben dem Verstorbenen das Denkmal

selbst im Mittelpunkt früher hexametrischer Epigramme steht. Die einfachste Form eines solchen Epigramms ist die Kennzeichnung des Gegenstandes durch ein Appellativum sowie der Hinweis auf seinen Aufstellungsort durch die Verwendung

des deiktischen 1686." In unserem ersten Beispiel berichtet das Denkmal selbst

von seiner Erbauung (CEG 1, 152):

Δηϊδάμαν, | Πυγμᾶς ὁ πατὲρ τόνδ᾽ oto[ov ?Excuhosv]."*

123 Vgl. hierzu auch C. SEGAL, Zuschauer und Zuhörer, in: J.-P. VERNANT, Der Mensch in der griechischen Antike, Frankfurt / New York / Paris 1993 (ital. Rom 1991), S. 219-254, bes. 219-222 („Sehen, Denkmal und Erinnerung").

124 Ebenso gewinnt die bildliche Botschaft erst mit dem Aufkommen der figürlichen Grabreliefs oder Grabstatuen eine eigenständige Bedeutung; für Homer war dagegen das einfache Zei-

chen des Grabs ausreichend, vgl. die Belege für τύμβος und στήλη sowie RAUBITSCHEK 1968, S. 6f. 125 Bis um 560 v. Chr. sind fast alle Epigramme hexametrisch, WEST 1974, S. 2. 126 Vgl. PEEK, Typus B 1 1 und 2 (GV 52-136 und 137-285). 127 Amorgos. ca. 700—650? 128 Es handelt sich um eine Felsinschrift. Zur Konjektur ἔτευξεν siehe PEEK, GV 1413 und Hansen in CEG I, S. 84; HANSEN, ebd. weist mit Recht die älteren Versuche, statt Δηϊδάμαν einen Dativ auf -ı oder -r1 zu lesen, aus epigraphischen und philoiogischen Gründen zurück.

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

59

Deidamas (berge ich / halte ich hier fest?), der Vater Pygmas hat dieses Haus hier gebaut (?).

Ein ähnliches Motiv verwendet CEG 1, 71 (= /G P), 1263) :'”

[ - Ἰκλείδο τόδε σἔμα᾽ : πατί[ὲρ ἐπέϑεκε)] ϑανόζν)τι.᾿ἢ Dies hier ist das Grabmal des [-- ]kleides. Der Vater hat es über dem Toten errichtet (?).

Wie sehr das Denkmal im Mittelpunkt steht, zeigt CEG 1, 139."! Seine Errichtung erscheint fast wichtiger als die Kunde vom Toten, was in diesem Fall verstándlich ist, da die Freunde Pflichten der Familie übernehmen und dies wohl auch

gewürdigt wissen wollen: Πραξιτέλει τόδε μνᾶμα Fícov nolfeoe 9avó[vu], [τ]οῦτο δ᾽ ἑταῖροι | σᾶμα xéav βαρέα στενάχοντες

Fépyov ἀντ᾽ &y[a]9óv κέἐπάμερον | ἐξετέλεσαϊν). Für den toten Praxiteles hat dieses Grabmal hier Vison gemacht. Dieses Denkmal aber haben die Freunde aufgeschüttet, schwer stöhnend, ein Werk

für seine guten Taten, und haben es an einem Tag vollendet.

Von den kurzen Hinweisen auf die Erscheinung des Grabes und der Beschreibung der Umstände, unter denen es errichtet wurde, ist es nicht weit zum Lob des Denkmals als eines künstlerischen Werkes (CEG 1, 26 = IG P), 1265):'” τόδ᾽ ᾿Αρχίο ᾽στι cépa : κἀϊδελφὲς φίλες, : Εὐκοισμίδες : δὲ τοῦτ᾽ ἐποίϊεσεν καλόν, :

στέλεϊν : δ᾽ ἐπ᾽ αὐτὸι : ϑέκε ΦΙαίδιμοσοφός. Dies hier ist das Grabmal des Archias und seiner Schwester. Eukosmides aber

hat dies schön gemacht; die Stele hat der tüchtige Phaidimos darauf gesetzt.

Das ist allerdings schon eine sehr direkte Art und Weise der Rezeptionssteuerung. 133 2.2.2. Deiktischer Verweis auf die Topographie Den Verweisen auf den Gegenstand, dem sich der Leser gegenüberfindet, tre-

ten Bezüge auf das topographische Umfeld des Denkmals zur Seite. Auch hier bedienen sich die Dichter sowohl der entsprechenden Appellativa ‘Weg’, ‘Erde’ u.ä. 129 Attika, ca. 500? 130 Vgl. CEG 1, 23 = IG P), 1203bis (Attika, ca. 550-5257): Σεμιάδο τόδε σὲμα [---9:--οὐ-- I 131 Troizen, ca. 500? 132 Attika, ca. 540—530?. HANSEN notiert nach Eoko noch Platz für einen Buchstaben am Zei-

lenende. Φαίδιμοσοφός ist im Sinne von Φαίδιμος σοφός zu verstehen, vgl. /G P? z. St. 133 S. auch ECKER 19%, S. 120ff. (zu CEG signaturen).

1, 139) und S. 138-149 (zu den ersten Künstler-

60

Das griechische Epigramm und seine Leser

als auch deiktischer Pronomina oder Adverbien (ἐνθάδε; τῇδε). Einen solchen, vom Standpunkt des Lesers aus hinreichend eindeutigen adverbialen Verweis ent-

hält etwa CEG 1, 40 (= IG P, 1243): τὀπικλέος παιδὸς Δαμαϊσιστράτο ἐνθάδε o£pa | Πεισιάναχς κατέϑεκε᾽ τὸ [γὰρ γέρας ἐστὶ ϑανόντοίς]. Das Grabmal

des Damasistratos,

Sohn des Epikles, hat Peisianax hier hin-

gestellt. Denn das ist die Ehrengabe für den Toten.

Ἔνϑαάδςε beinhaltet nicht eigentlich eine Information, es fungiert als bloßer Zeiger im Sinne von ‘Schau, hier ...*. Zum Denkmal selbst oder doch zu seiner unmittelbaren Umgebung gehórt die Erde der Grabanlage, die in manchen Epigrammen genannt wird. In CEG 1, 69 (=

IG V, 1234) P? wird der Verweis auf diesen Teil des Sichtfelds mit einer vertikalen "Lenkung' der Blickrichtung des Lesers verbunden: [ΑἸἹλκίμαχ᾽, εὐδοχσόν σε χ[υτὲ x]latà γαῖ᾽ ἐκάλυφσεν, : σόφροίνα κ)]αὶ πινυτόν, πᾶσαν hexovit' ἀρετέν.

Alkımachos, dich, den ruhmreichen, hat die aufgeschüttete Erde unten verborgen, den klugen und treuen, der jede Tugend besaß.

Verschiedene Bestimmungen zur Angabe des Orts — deiktische Pronomina, Appellativa und das Praefix κατά in tmesi -- kombiniert der Verfasser von CEG

1,

76 (= IG P, 1517}: "6 £v9á8|c"" Φίλοιν κεῖται" | τόνδε κατὰ γαῖ᾽ ἐξκάλυσφεν (sic). | ναυτίλον, | hó φσυχὲέι παύϊρα δέδοκ᾽ ἀγαϑά. Hier liegt Philon. Den hat die Erde unten verborgen, einen Seemann, was sci-

ner Seele wenig Gutes gegeben hat. Da es sich bei dem Toten um einen Seemann handelt, signalisiert der Verweis auf die Erde auch, daß Philon der gefürchtete Tod auf dem Meer erspart geblieben ist. Auf die Koordinaten der Topographie nehmen auch Präpositionen Bezug, denn

für das sprechende Denkmal wie für seinen Betrachter gibt es immer ein Oben und

Unten (CEG 1, 113}: δ 134 Attika, ca. 530-5207; vgl. auch PEEK, GG, S. 8. 135 Attika, ca. 500?; zu den einzelnen Bestandteilen einer griechischen Grabanlage vgl. B. KorrING, ‘Grab’, RAC XII, 1983, Sp. 366-397, bes. 373ff. sowie K. STAHLER, 'Grabbau', RAC XII, 1983, Sp. 397-429, hier 399-408, ferner MORRIS

1992, S. 128ff.

136 Eretria (attische Schrift), ca. 500-4807; mit älteren Ausgaben auch /G I), 1517: τόν δέ (=

τόν δή). Zum Verständnis s. HANSEN, CEG 1, S. 45f. 137 HANSEN, CEG

1, S. 45 vermutet, daB hier der Steinmetz irrtümlich das sehr viel gebräuch-

lichere ἐνθάδε statt des metrisch richtigen τέιδε (= τῇδε) eingemciBelt hat. 138

Böotien, ca. 500—480?

Die 'Appellstruktur' der Epigramme

61

μνᾶμ᾽ ἐπ᾿ Ὀλιγέϊδαι(ι} μ᾽ ὁ πατὲρ ἐϊπέϑεκε ϑανόνίτι Ὀσϑίλος, o(i) | πένϑος ϑέκεν | ἀποφϑίμενος. Als Grabmal hat mich der Vater über dem toten Oligedas aufgestellt, Osthilos, dem er durch seinen Tod Leid verursachte.

Hier spielt der Epigrammdichter mit einer doppelten Bedeutung von τιϑέναι, das er einmal konkret für die Aufstellung des Grabes, einmal abstrakt für das Verursachen von Leid verwendet.

Diese Verzahnung der faktischen Ebene mit der

Ebene der subjektiven Bedeutung für den Angehórigen wird durch die Alliteration der Konsonanten τ 9 und n / q / B auch phonetisch unterstützt. Mit einer komplexen antithetischen Struktur arbeitet das etwas spüter datierte

Gedicht CEG 1, 98:?

σάρκας μὲν πῦρ | ὀμματ᾽ ἀφείλετο tfju(86)e Ὀνησός,

ὀστέα δ᾽ ἀνϑεμόες χῶρος ὁδ᾽ àvo(is Ex)ei. Das Fleisch der Oneso hat hier das Feuer den Augen entzogen, die Knochen aber hält ringsum dieser blumengeschmückte Ort.

Auf den ersten Blick werden hier nur Verbrennung und Bestattung als zwei Teile des Bestattungsrituals gegenübergestellt. Darüber hinaus aber hat der Dichter noch weitere Antithesen von Unsichtbarem und Sichtbarem, Totem und Lebendigem, konstruiert. Das Motiv der Blumen auf dem Grab!" - dessen weitesten Ausschmückungen wir nicht zufällig im Buchepigramm wiederbegegnen werden — bedeutet schon eine Loslósung vom realen Rahmen der Lesesituation, denn es bezieht sich auf nichts, was dort immer zu sehen ist, sondern auf den temporáren Schmuck.

Wenngleich die Imagination ihren Ausgangspunkt am Grabdenkmal selbst nimmt, ist diese Gestaltung eines idealen Zustands der Státte schon eine weitergehende Form der Literarisierung, von der ein Weg zur Ekphrasis führt.

Neben den Verweisen auf die unmittelbare Umgebung des Denkmals sind Bezugnahmen auf seinen Standort vor der Stadt oder an anderen bemerkenswerten Plätzen die häufigste Form, in der der Text auf Elemente der Kontexttopograpie rekurriert. Besonders häufig ist das ‘Motiv des Weges’, das auch in CEG 1, 16 (= IG V, 1197)'* begegnet: 139 Athen, in der Nähe des Dipylon gefunden, um 400? 140 Vgl. PEEK, GG, S. 34 und Nr. 58, 147, V. 4, 341, 462, V. 6, 463, V. 25; Anth. Pal. 7, 22£.: 7, 31; 7, 321 u. a. Das Motiv hält sich auch in jüngeren Stein- und Buchepigrammen, vgl. GV 840 (Demetrias, Thessalien, 3. / 2. Jh.), GV 1409 (Nimes, 2. Jh. n. Chr.?), GV 1970 « IGUR 1148 (Rom, Kaiserzeit); GV 2005 (Carales, Sardinien, 1. / 2. Jh. n. Chr). - Im Buchepigramm entwickelt sich das Gegenbild des vernachlássigten, dornenbewachsenen

Grabes, z. B. Anth. Pal. 7, 315, das auf das Steinepigramm zurückwirkt, vgl. GV 1409, V. lf.: ἄνϑεα πολλὰ γένοιτο νεοδμήτῳ ἐπὶ roulfxo, / un βάτος auyunpn, μὴ κακὸν αἰγίπυρον (= GG 341, V. 1f.: Blumen mögen sprießen in Fülle auf deinem frischen Grabe:

nicht struppiger Dornstrauch, nicht garstiger Ziegenbrand ... [Übersetzung ebd. S. 199]). 141 Attika, ca. 5507. zum Namen s. LGPN 2, S. 68 und TrAıLL, PAA 210195; die Ergänzung

des 2. Hexameters (söppovog ἀνδρός, akzeptiert bei /G P, 1197) scheint etwas frei und wird daher hier nicht übernommen;

àyaS9ó bezieht sich aber mit Sicherheit auf den Toten.

62

Das griechische Epigramm und seine Leser

᾿Αρχένεος : τόδε olepa » - 2o | - 2» --]: ἔστεσ᾽ ἐνγὺς hojbot' ἀγαϑὸ καὶ [σόφρονος ἀνδρός]. Archeneos hat dieses (Grabmal?) ... aufgestellt nahe am Wege, (das Grabmal?) des guten und (klugen Mannes).

Auch dies ist die Geschichte einer Bestattung, genauer: ihres letzten Teils, der Errichtung eines Grabmals. Während jedoch die homerischen Helden die Grabmäler ihrer herausragenden Kämpfer am Strand errichten, ^? um die Kunde in ganz Griechenland zu verbreiten, muß hier die Straße demselben Zweck dienen. Einen öffentlichen Ort hat auch Kosina für das Grab des Hysematas gewählt (CEG 1,

136): '* Oociva μυσεμάταν ϑάψα [π|λας πιποδρόμοιο

(Α)

ἄνδρα ἀ ί[γαϑ[ό)ν, πολοῖς μνᾶμα καὶ | [ἐσ]ομένοις, ἐν πολέμοι [φϑ]ίμενον velapav heßav ὀλέσαντα,

(Β)

σόϊφρονα, ἀε(ϑ)λοφόρον καὶ σοφὸν hakıkiatı. (A) Ich, Kosina, habe Hysematas, einen guten Mann, nahe am Hippodrom begraben, vielen Zukünftigen zur Erinnerung; (B) als einen, der, im Krieg gefallen, ‚seine frische Jugend verlor, klug, waffentragend und weise für sein Alter.

CEG 2, 597." variiert das Motiv vom Grab am Wegesrand: ainelav στείχων ἀτραπόν, ξένε, φράζεο σῆμα | πέντε κασιγνήτων, Ol γενεὴν ἔλιπον" | [ὧ]ν [Ἰ]έρων ἔμολεν πύματος βασίλεια 'Ati(8)ao |

γήραι ὑπολλιπαρῶι ϑυμὸν ἀποπρολιπών, Wenn du den steilen Pfad betrittst, Fremder, betrachte das Grabmal der fünf Brüder, die die Familie verließen. Von ihnen kam Hieron als letzter ins Reich des Hades, nachdem er in hellstrahlendem Alter das Leben zurückließ.

Vgl. ferner CEG 1. 39 = IG P), 1255 (Attika, ca. 530-520) und CEG

1, 74 = IG P^, 1278

(Attika, ca. 500-480”), zum Motiv des Weges s. ECKER 1990, S. 176f. 142 Das Denkmal mit dem bereits behandelten Epigramm CEG 1, 162 (vgl. oben S. 55 mit Ánm. 114) verbindet mit seiner prominenten Lage einen praktischen Zweck als Wegweiser für die Schiffer. Zur literarischen Entwicklung des Motivs vom Grab am Meer in der griechischen und lateinischen Dichtung außerhalb des Epigramms vgl. T. E. V. PEARCE, The Tomb by the Sea. The History of a Motif, Latomus 42, 1983, S. 110-115. 143 Argos, ca. 525-500?. zu den öffentlichen Räumen in der archaischen Polis s. T. HÖLSCHER,

Öffentliche Räume in frühen griechischen Städten, Heidelberg 1998 (Schriften der Philos.hist. Klasse der Heidelberger Akademie der Wiss. 7). Eine Wettkampfstátte für Lauf-Agone, wenn auch kein Hippodrom, gehört schon zur odysseischen Phäakenstadt, ebd. S. 27. 144

Text und Übersetzung des Epigramms sind nicht unproblematisch. PEEK, GV, S. 79 zu Nr. 305 stellt die /acuna in Vers I als Sáwa[v π]έλας wieder her und vermutet das Subjekt in παλικίαι. Gegen eine solche Form als Nom. Pl. wendet sich HANSEN, CEG

1, S. 74. Für uns

kommt es hier jedoch nur auf die Beschreibung der Örtlichkeit an. 145

Attika, Rhamnus, ca. 330—320. Die Wirkung dieser Inschrift wird durch den Gleichklang ἔλιπον ... Autapan ... «λιπών noch verstärkt.

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

63

Die ersten beiden Verse beziehen sich nicht einfach nur auf die besondere Lage des Denkmals. Sie berücksichtigen auch die Situation des Lesers, genauer: die

Steilheit des Weges und damit die Umstände, die die Bereitschaft zur Lektüre behindern oder aber befördern könnten. Diesen Beispielen von Steinepigrammen aus dem späten 6. und frühen 5. Jahrhundert ist eine gemeinsame Perspektive zu eigen: Sie wenden sich vom Standort des Denkmals als dem Ursprung des räumlichen Koordinatensystems (der BÜHLER-

schen ‘Origo’ des Zeigfelds) ausgehend an ihren Betrachter und Leser. Durch die Bezugnahme auf den raum-zeitlichen Rahmen, der Denkmal und Rezipient während der Lektüre verbindet, wecken sie die Aufmerksamkeit des Lesers und setzen so die Verbreitung ihrer 'Kunde' in Gang. Die Ort und Denkmal beschrei-

benden Elemente im Text sind keine Erklärungen, denn sie beziehen sich auf Dinge, die der Betrachter sieht. Sie dienen der Vergegenwärtigung der Rezeptionssituation und erinnern den Leser an seine Aufgabe innerhalb der Gemeinschaft. Denkmal und Aufstellungsort gehóren für diese Gruppe der Leser mit zur Botschaft. Der Situationsbezug der Epigramme ist schließlich auch an einem differenzier-

ten Gebrauch der Tempora zu beobachten. Von der dominierenden Gegenwart aus werden Vergangenheit und Zukunft definiert. Im Vergangenheitstempus werden Tod und Bestattung, seltener das Leben des Verstorbenen geschildert.'* In einzelnen Fällen deutet sich an, daß das Zeigfeld des vom Dichter in Vorwegnahme gestalteten Sprechakts fiktionale Elemente aufnehmen kann, die die reale Situation am Grab zwar nicht verfälschen, aber doch beschónigen können. 2.3. Emotionale und moralische Appelle

Eine Veränderung, die das griechische Epigramm besonders seit klassischer Zeit erfährt, besteht darin, daß das Denkmal allmählich aus dem thematischen Zen-

trum des Textes rückt. Wichtiger als das Mahnmal und die Erinnerung an den Toten wird den Epigrammdichtern die Interpretation des Todesfalls. Allgemeinen Reflexionen und Referenzen auf den ‘kulturellen Kontext’ vor allem der Bürgertugenden wird auch in privaten Inschriften mehr Platz eingeräumt. Diese sind nun für

die Gegenwart des Rezipienten von größerem Interesse als die Verbreitung des Namens eines Verstorbenen. Dieser Prozeß beginnt jedoch schon in archaischer Zeit. Bereits in dem relativ frühen Tetichos-Epigramm (CEG 1, 13 = IG P, 1194bis)'“ erschöpft sich der Bezug auf den Ort des Denkmals nicht mehr in der bloßen Bezeichnung der Stelle. Die Bewegung des potentiellen Lesers, das Vorbeigehen, wird so genau wie möglich nachvollzogen. Jeder (männliche) Passant ist in der Anredeformel inbegriffen.

Der Leser wird aber auch zum Sprechen aufgefordert, woran sich ein Appell an das moralische Empfinden schließt: 146 Auch

PuiLiPP 1968,

S. 25 stellt mit KAROUZOS

fest, daß bei der Betrachtungsweise

der

Werke der bildenden Kunst „der Standpunkt und die Sehweise der Menschen immer mehr in den Vordergrund rücken“,

147 Z. B. CEG 1, 12 und43 (= /G D, 1178 und 1213). 148 Attika, ca. 575-550?

64

Das griechische Epigramm und seine Leser

[cite ἀστόϊ]ς τις ἀνὲρ eite χσένος | ἀλοϑεν ἐλϑὸν : Τέτιχον οἰκτίρας ἀνδρ᾽ ἀγαϑὸν παρίτο, : ἐν πολέμοι | φϑίμενον, νεαρὰν heßev ὀλέσανίτα. :

ταῦτ᾽ ἀποδυράμενοι νέσϑε ἐπ|ὶ πρᾶγμ᾽ ἀγαϑόν. Ob ein Städter, ob ein Fremder, von anderswo kommend, Tetichos beklagend,

einen guten Mann, soll er vorbeigehen; einen, der im Krieg gefallen ist und der seine frische Jugend verloren hat. Darüber trauernd wendet euch zu einer guten Tat. Die Rede des Steines geht, so kann man

sich vorstellen, von dem Ort seiner

Aufstellung an der Ausfallstraße der Stadt aus, auf der die Reisenden in beiden Richtungen verkehren. Mit diesem Standort in der Offentlichkeit wird aber eine erzieherische Absicht verbunden, die den Adressaten und sein Handeln ins Zentrum stellt.'*” Auf ganz schlichte Weise, mit einem Wunsch für das Wohlergehen des Lesers, verfährt so auch der Sprecher eines böotischen Grabes (CEG 1, 110); Ὁ Καλλία [Αἰγίϑοιο᾽ | Tb δ᾽ εὖ πρᾶσ᾽, [6]

παροδότα.

Des Kallıas, Sohn des Aigisthos. Du aber mach es gut, Vorbeikommender.

Der Dichter eines etwas jüngeren Epigramms verbindet die Vorstellung der

lernfreudigen Weltoffenheit, die mit der Odysseereminiszenz in V.

1 assoziiert

werden kann, mit der Gastfreundschaft des Verstorbenen. '”' Trauernde 'Aotoí und

ξείνοι sind nicht einfach nur potentielle Passanten, sondern von seinem Schicksal betroffene Freunde. Das Motiv des Weges ist hier zu einem Lob des Reichtums an auswärtigen Beziehungen und der Gastfreundschaft variiert (CEG 1, 123):? Γάσστροϊνος τόδε σᾶμα | φιλοξίένο ὃσίς μάλα noAXol[ic] ἀστοῖς καὶ ξε ίνοις δόκε Savjóv ἀνίαϊν. Dies hier ist das Grabmal des gastfreundlichen Gastron, der sehr vielen Stádtern und Fremden mit seinem Tod Kummer bereitete.

Der Bezug zur wenn 'Stádter und (Passanten in beide schen Formeln und

Lesesituation ist hier lockerer als im Tetichos-Epigramm, auch Fremde’ ebenso die Gruppe der Freunde wie die der Leser Richtungen) anspricht. Die Entwicklung solcher epigrammatiMotive zeigt sich im Vergleich der bisher besprochenen Bei-

149 S. oben S. 43ff. zu den 'erzieherischen' Inschriften bei Herodot und S. 46f. zu den Hipparchosstelen; ferner ECKER 1990, S. 169f. zur Anrede in CEG 1, 28 (dazu s. unten S. 66). 150

Halıartos, Bóotien, ca. 500?

151 Vgl. Od. 1, 1-3: ... ὃς μάλα πολλὰ

πλάγχϑη

... / πολλῶν δ᾽ ἀνϑρώπων ἰδὲν ἄστεα

καὶ νόον ἔγνω; zu φιλόξενος (hier kein Name) vgl. HANSEN, CEG 1, S. 67. 152 Thessalien, ca. 450-4257, charakteristisch für die Entwicklung des Epigramms ist eine Tendenz zu geschlossenen Formen, die besonders durch Endakzentuierung erreicht wird. So ist hier der Gedichtschluß auch der emotionale Höhepunkt des Epigramms, vgl. die Beobachtungen von LAURENS 1989, 5, 101-104.

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

65

spiele mit einem Epigramm, das ein halbes Jahrhundert später entstanden ist (CEG

1, 167): ἐσλῆϊ[ς] τότο (sic) yo|vaikog ὁδὸν x|&ápa τήνδε τὸ σῆμα λεῳφόρον | ᾿Ασπασίης £ol[t]i καταπϑιμι[ἕν]ης"

ὀργῆς δ᾽ ἀ!ντἾ ἀγαϑῆς Εὐω [πήδης τόδε μν|[ἢ]μα αὐτὴ ἐπέσίτησεν, τὸ παράϊκοιτις ἔην.

Dies Grabmal einer edlen Frau hier an dieser belebten Straße gehört der toten

Aspasia. Für ihre gute Sinnesart"^ hat ihr Euopides dieses Grabmal aufgestellt, dessen Gattin sıe war.

Der Beginn des Epigramms zeigt schon in der Akkumulation der Pronomina

eine Fortentwicklung des einfachen deiktischen Bezugs auf Ort und Gegenstand. Die Beschreibung des Weges als ὁδὸς ... λεωφόρος verweist sicherlich auch auf

den Wunsch, möglichst viele Passanten möchten das Grabmal betrachten. Auf diese erweiterte Vorstellung des sichtbaren σῆμα folgt die Erläuterung seiner Funktion als μνῆμα für den Ehemann. Mit der Erinnerung an das harmonische Verhältnis der Eheleute werden - für das Epigramm -- neue Emotionen geweckt.

Als interessierte Leser(innen) wären nunmehr auch Frauen denkbar.'”

Die Einbeziehung des Lesers wird in diesen Epigrammen nicht nur durch die Referenz auf die sichtbaren Bestandteile des Denkmals und seines Umfelds, sondern auch durch deren Deutung im Sinne gemeinsamer, zeitspezifischer Wertvor-

stellungen geleistet. Eine Orientierung auf den Rezipienten ist also nicht nur in den

Epigrammen mit expliziter Anrede an den Passanten zu beobachten.'”’ Dies sind sicher noch ganz einfache Mittel, den Epigrammleser anzusprechen, und sie dürften die Verfasser der Inschriften literarisch auch nur wenig gefordert haben. Aber

genau hier liegen die Anknüpfungspunkte für die ambitionierten Epigrammautoren der hellenistischen Zeit. 2.4.

Appelle durch konkrete Handlungsanweisungen an den Leser

Die meisten Epigramme beinhalten also einen emotionalen oder moralischen Appell, mit dessen Hilfe die Handlungsweise des Lesers beeinflußt werden soll,

auch wenn dies nicht immer so explizit wie im Tetichos-Epigramm ausgesprochen wird. Im folgenden sollen einige besonders direkt formulierte Anweisungen an den 153 Chios, ca. 400?

154 ὀργῆ ist hier positiv, vgl. dagegen die misogyne Äußerung des Semonides 7, V. 11 WEST, über die aus dem Fuchs entstandene Frau: ὀργὴν δ᾽ ἀλλοτ᾽ ἀλλοίην ἔχει. 155 Vgl. I. 15, 681ff. (... προτὶ ἄστυ δίηται / λαοφόρον καϑ᾽ 080v: πολέες TE £ 9nnoa vto / ἁνέρες T γυναῖκες) und die oben angeführte Passage aus Herodot (1, 187, 1): ὑπὲρ τῶν μάλιστα AEwpöpwv πυλέων TOD ἄστεος τάφον ἑωυτῇ κατεσκευάσατο. 156 Zu den Denkmälern und Versinschriften für Frauen in Attika vgl. BREUER 1995, S. 48f., 81. 157 Vgl. GV 1209-1599 (Gruppe B IV). In der Chronologie steht in der PEEKschen Typologie

die Ich-Rede des Denkmals (Gruppe B III 1, GV 1171-1185), die schon im 7. Jh. beginnt, ganz oben. Formen der Anrede an den Betrachter (Gruppe B IV) finden sich seit dem 6. Jh. Die Entwicklung geht vom Denkmal zum Betrachter als dem Mittelpunkt des Epigramms.

66

Das griechische Epigramm und seine Leser

Rezipienten betrachtet werden. Mit am häufigsten begegnet dabei die Aufforderung, zum Denkmal hinzuschauen. Wir hatten bereits festgestellt, daß das Lob des Denkmals zwar einerseits Ausdruck des Repräsentationswillens der Stifter ist, an-

dererseits aber mit Bezug auf einen möglichen Betrachter gesprochen wird. Man kann die explizite Aufforderung, das Kunstwerk zu betrachten, mit der homeri-

schen Art und Weise der Kunstbeschreibung in Verbindung bringen.'” Das Motiv des Sehens begegnet etwa in einem Hexameter, der unter einem Grabrelief ange-

bracht ist (CEG 1, 150):? ᾿Αλχσήνορ ἐποίησεν ho Νάχσιος" ἀλλ᾽ £otóco[9c]. Alxenor aus Naxos hat es gemacht. Schaut hin! Mit einer Künstlersignatur ist die Aufforderung zum Schauen in CEG

1, 18 (=

IG Y, 1251) verbunden:^? 9-10

nom plus quam

6-7 btt

.

.

[- Ὁ -| κι {-ὀ (ὦ) - ]|pe φίλες : παιδὸς vvvvv(v) | κατέϑεκεν : καλὸν ἰδὲν | apotàp : Φαίδιμος : ἐργάσαϊτο. ... hat mich für die liebe Tochter ... hingestellt, schön anzuschauen. Phaidimos aber hat es gefertigt.

Über die Einladung, Bild und Schrift zu betrachten, deutlich hinaus geht der häufige Appell an die Pietät des Lesers. So begegnet in zahlreichen Epigrammen

die Aufforderung zur aktiven Klage, die ein Mitempfinden nicht nur einfordert,

sondern auch weckt. In CEG 1, 28 (= JG P^, 1204)'*! ist die angemessene emotio-

nale Reaktion des Passanten mit dem Sehen verknüpft: ἄνϑροπε Βὸστείχε[ι]ς * ka9'o5ó|v : φρασὶν : ἅλα μενοινόν, :

G1£91 | καὶ oiktipov ? σέμα Opácovoc : i6óv.^ Mensch, der du den Weg entlanggehst, anderes im Sinn bedenkend, bleib ste-

hen und klage, wenn du das Grabmal des Thrason siehst.

158 ϑαῦμα ἰδέσϑαι, ΠΝ, 5, 725. 10, 439; 18, 377, nach SNELL ein „staunendes Ansehen“, s. hier-

zu PuiLiPP 1968, S. 8, zur Odyssee ebd. S. 9-11; ECKER 1990, S. 149—161; SEGAL 1993, S. 220; im Epigramm ferner CEG 1, 46 = 716 I), 1215, V. 1 (vgl. ECKER 1990, S. 149) u. (ΕΟ 1, 124, V. 2 (Thessalien, ca. 450-425”): ϑαυμαστὸν npomörv. - Hierin liegt ein Anknüpfungspunkt für spätere Epigrammdichter, denen es um mehr als um bloße sprachliche Umsetzung des Bildes geht: die Möglichkeit einer ausführlicheren, stimmungsvollen Ekphrasis. 159 Naxos, beginnendes 5. Jh.; das dazugehórige Epigramm auf der Basis ist verloren. 160 Attika, ca. 550-540; die bis auf ein unsicher gelesenes ı zerstörte erste Zeile kann hier außer

Betracht bleiben; sie ist im übrigen nicht bestätigt worden von den Editoren in /G P, 1251. 161 Attika, ca. 540-5307; vgl. auch die Hinweise bei /G I, 1204. 162 Vgl. CEG 1,27 (= IG P), 1240) sowie ebd. 51, 68 (= 20 P, 1219, 1277) und 117. Die Vorstellung vom vorübergehenden Leser bildet jeweils den Ausgangspunkt der Mahnung. Den Appell an das Mensch-Sein des Angeredeten bezeichnet ECKER 1990, S. 172 als „verständnisvoll entgegenkommende Ansprache“; s. auch LAUSBERG 1982, S. 117.

Die 'Appellstruktur' der Epigramme

67

In (ΕΟ 1, 34 (= IG P), 1208)? wird eine weitere Erklärung für die vom anonymen Betrachter eingeforderte Trauer dazugeliefert:

... ἐπεὶ kai | σὲ μένει

9ávatoc. Der Sprecher des Epigramms rechnet also stets damit, daß der Reisende ‘anderes im Sinn hat’, und trägt auf diese Weise der zeitlichen Dissoziierung des Sprechakts durch die Inschriftlichkeit Rechnung. Dies ist eine geradezu 'rhetorische' Vorwegnahme des Denkens und der Befindlichkeit des Rezipienten und ein frühes Zeugnis für die beginnende Reflexion über Leserpsychologie. Eine direkte Anknüpfung an das Grabritual der ἐκφορά und damit eine andere

Variante des Appells an das soziale und religiöse Pflichtgefühl ist CEG 1, 159:!** (6]oxic un παρ[εἰτ]ύνχαν᾽ ὅτ᾽ £[xo]léoepóv με 9av|óvca, vov μ᾽ ὀ[λο]φυράσϑω᾽ μν[ἥμ]}α δὲ Τηλεφί[άνε]ος.

Wer immer nicht dabei war, als sie mich tot heraustrugen, soll mich jetzt beklagen. Grabmal des Telephanes. Hier soll der Leser — die Formulierung in V. 1 bezieht einmal mehr die meisten Passanten ein — durch die Erwähnung seiner Pflichten einem Toten gegenüber zur erwünschten Reaktion veranlaDt werden. In einem anderen, verinnerlichten Sinne wird das Motiv des Trauerns und Klagens in den jüngeren Grabepigrammen verwendet, für die hier exemplarisch CEG 1, 97 = JG I, 1295bis (Attika, ausgehendes 5. Jh.) stehen soll: πιστῆς ἡδείας TE χάριϊν φιλότητος ἑταίρα | Εὐϑυλλα στήλην τήνδ᾽ ἐϊπέϑηκε τάφωι | σῶι, Βιότη᾽ μνήμηγ γὰρ | ἀεὶ δακρυτὸν ἔχοσα | ἡλικίας τῆς σῆς κλαίει ἀποφϑιμένης. Als Dank für die süße Treue und Liebe hat die Freundin Euthylla diese Stele auf dein Grab gestellt, Biote. Immer in tränenreicher Erinnerung beweint sie

deine verlorene Jugend.

In diesem Epigramm spricht eine klagende Freundin der Verstorbenen.

Sie

selbst verkörpert Erinnerung (μνήμη) und Trauer. Die Äußerlichkeiten der Grabanlage spielen, anders als etwa noch in CEG 1, 167, dem Grab am Wege, das Aspasia von ihrem Gemahl erhielt, keine eigenständige Rolle mehr. Stattdessen kommuniziert die Auftraggeberin Euthylla direkt mit der toten Gefährtin. Es scheint fast, als blieben andere Leser außen vor. Der fremde Passant wird sich jedoch gerade durch die im Epigramm ausgedrückte Beziehung der beiden Frauen angezo-

gen und berührt fühlen. So enthält das Gedicht doch einen starken emotionalen Appell. Den möglichen Ursachen für einen solchen Wandel des Motivs der Trauer

soll weiter unten noch nachgegangen werden. Zuvor jedoch gilt es, die neben den bisher analysierten rhetorischen Strategien wichtigste Appellstruktur des vorhelle163 Attika, ca. 530; die Editoren von /G I^, 1208 lesen [é]n[c]i statt ἐπεὶ. 164 Thasos, ca. 500; Day 1989, S. 27f. weist darauf hin. dab Totenklage und Klage des Lesers vor dem Grab in CEG 1, 159 schon durch das Zeitverhältnis deutlich unterschieden sind. Die Trauer am Grab ist also kein wirkliches Ritual.

68

Das griechische Epigramm und seine Leser

nistischen Epigramms genauer in den Blick zu nehmen: die Gestaltung der Sprech-

akte durch die Einführung fiktiver Sprecher- und Leserrollen. 2.5.

Formen des Verweisens auf die Aktanten

im epigrammatischen Sprechakt Die strukturelle Vielfalt des griechischen Epigramms erschließt sich nach wie

vor am besten aus der systematischen Übersicht bei W. PEEK im einzig erschiene-

nen, den Grabinschriften gewidmeten 1. Band der Griechischen Versinschriften.'” Von den Formen

„privater Denkmäler“ (B; im Unterschied zu „A. Staats-

Gräber“ [GV 1-51]) sind die folgenden für unsere Untersuchung besonders wichtig: „Formen der Vorstellung des Toten (des Denkmals) (B I = GV 52629), „Formen des Berichtes über den Todesfall (die Bestattung, die Lebensumstánde)" (B II = GV 630-1170), „Besondere Formen der Ich-Rede“ (B III = GV 1171-1208), „Besondere Formen der Anrede: Gruß, Ansprache, Aufforderung, Zuspruch, Rat, Warnung" (B IV = GV 1209-1599) und „Dialog-

Gedichte“ (B VI = GV 1831-1887). Diese Formgruppen spiegeln im Großen und Ganzen auch die Chronologie der Formentwicklung wider. ^ Nicht alle der von PEEK unterschiedenen Epigrammtypen mit ihren zahlreichen

Subtypen und Varianten kónnen in diesem Rahmen ausführlich besprochen werden. Beispiele aus den Gruppen I und II haben wir bereits unter dem Gesichtspunkt textlicher Bezugnahmen auf den außertextlichen Zusammenhang betrachtet. Auch im Fall der nun zu untersuchenden Anredestrukturen soll in erster Linie nach der kommunikativen Funktion bestimmter epigrammatischer Redeformen, also: nach

ihrer móglichen Verwendung als Appellstrukturen, gefragt werden. Die Gliederung der „Form“, die für PEEK mit einer jeweils besonderen Denkweise verbunden ist, folgt im wesentlichen zwei Prinzipien: der Anordnung nach den Modi des Zeigens (1) und nach der Verwendung unterschiedlicher Stimmen (2). Letztere werden nach der Verwendung von 1., 2. oder 3. Person unterschieden (Gruppe III, IV, I), wobei eine Entwicklung hin zu komplexeren, auch kombinier-

ten Formen der Rede besonders in der 1. und 2. Person zu bemerken ist. Für eine literarische Untersuchung wáre zudem die auktoriale oder personale Perspektive

165 PEEK 1955, S. XIX-XXII.

Zum

Verständnis der Grundformen

des Epigramms vgl. auch

WEST 1974, S. 2: „The poet suppresses his own personality; verbs in the first person regularly have the inscribed object or the deceased party as their subject, while those in the second person apply to whoever reads the inscription." 166 Vgl. dazu PEEK 1955, S. XVII: „... und überdies hoffe ich auf solche Weise doch auch so etwas wie cinen geistigen Kosmos geschaffen zu haben, eine innere Ordnung, in welcher der Begriff 'Form' weit genug gefaßt ist, um hinter Äußerem auch anderes erscheinen zu lassen:

Entstehung, Entfaltung und Leben in geprägter Form; die immer noch ausstehende Geschichte des griechischen Epigramms, muß, wird sich nun leichter schreiben zusammengefaßten weiteren „DenkVII-X (GV 1888-2095) können wir kaiserzeitliche Epigramme.

die ganz wesentlich eine Geschichte seiner Form sein lassen." - Die in PEEKs Gruppe B V (GV 1600-1830) und Aussageformen" sowie die übrigen Gruppen B weitgehend vernachlässigen; sie umfassen zumeist

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

69

der Sprecher zu berücksichtigen, denn das Spiel mit den fiktiven Stimmen bietet vielfältige Möglichkeiten.

Die besonderen Formen der poetischen Darstellung in den inschriftlichen Gedichten, denen man das Bemühen um eine lebendige Kommunikation mit dem Lesepublikum anmerkt, haben sicherlich dazu beigetragen, daß das Steinepigramm bei aller Schlichtheit literarische Nachfolger finden konnte. Die Leichtigkeit, mit der die Epigramme ihre Materialgebundenheit überwinden, lebendig werden und vor allem in der Ich-Rede scheinbar eine Art Bewußtheit ihrer Individualität äußern,

hat die Forschung immer wieder fasziniert." Ein vielbehandeltes Epigramm, aus dem vielleicht schon antike Leser einen allzu selbstbewußten Anspruch des Sprechers gelesen haben,'“* ist in unterschiedlicher Form und Länge an verschiedenen Stellen der Literatur überliefert.' ^ Die Version der Anth. Pal. (7, 153) lautet: Χαλκῆ παρϑένος εἰμί, Μίδα δ᾽ ἐπὶ σήματι κεῖμαι. ἔστ᾽ ἂν ὕδωρ τε νάῃ καὶ δένδρεα μακρὰ τεϑήλῃ, αὐτοῦ τῇδε μένουσα πολυκλαύτῷ ἐπὶ τύμβῳ

ἀγγελέω παριοῦσι, Μίδας ὅτι τῇδε τέϑαπται. Eine eherne Jungfrau bin ich; ich stehe auf dem Grab des Midas. Solange Wasser flieBt und hohe Báume blühen, werde ich hier auf seinem vielbeweinten Grab bleiben und den Vorbeigehenden künden, daß Midas hier begraben ist.

Nicht nur die Behauptung der Unvergänglichkeit, die bei Simonides Anstoß erregte, sondern auch die Form der Ich-Rede, mit der sich zuerst die Statue, viel-

leicht eine Sphinx,'” vorstellt, bevor ganz am Ende der Grabeigentümer genannt

wird, kónnten den Anschein einer sprechenden Persónlichkeit erwecken. Dies ist vermutlich der Grund, warum das Epigramm seit dem 4. Jahrhundert auf Symposien mündlich zirkulierte, wobei man die einzelnen Verse in unterschiedlicher Rei-

henfolge zitieren konnte, ohne den Sinn zu entstellen.'”' Die hinsichtlich eines vermeintlichen Ich-Bewußtseins durchaus vergleichbare Sprechattitüde einer bei 167 So besonders HAUSLE 1979b.

168 Dion Chrys. 37, 38: ὁ δὲ ποιητῆς ἄλλως ἐκόμπαζεν ὁ τοῦτο TO ἐπίγραμμα ποιῆσας (Simonides Fr. 57 BERGK). WEBER 1917, S. 5371. bezieht diese Kritik, die er auf Simonides zurückführt, allerdings nicht auf das Kleobulos zugeschriebene Epigramm, sondern auf das Unvergänglichkeitsmotiv allgemein. - Zum Motiv der Bildkritik vgl. auch NEUMANN 1979, 169 Textvarianten und Testimonien sind in GV,

S. 344f., Nr.

1171,

1171a,

1171b abgedruckt.

Hauptzeuge ist für PEEK die Vita Hom. Herod. 11, deren Autor behauptet, das nach Ansicht der Einwohner von Kyme von Homer verfaßte Gedicht sei £t καὶ vov ἐπὶ τῆς στήλης τοῦ μνήματος ἐκιγέγραπται, weshalb der Herausgeber ein steinernes Original des 7. / 6. Jh. aus Phrygien oder der Aiolis annimmt. Das ist freilich spekulativ. Andere Versionen finden sich im Certamen Hom. et Hes. 15 (= GV 1171a), ähnlich bei Diog. Laert. 1, 89f.; Plat. Phaidr. 264 c (= GV 1171b), von dem Anth. Pal. 7, 153 geringfügig abweicht. Vgl. noch G.

MARKWALD, Die homerischen Epigramme. Sprachliche und inhaltliche Untersuchungen, Meisenheim / Glan 1986 (Beitráge zur Klassischen Philologie 165), S. 34ff. 170 WEBER 1917, S. 543f. 171 GUTZWILLER 1998, S. 48 und 116 Anm. 3. Nach WEBER 1917, S. 540 gehórt nur die erste Zeile zu einem frühen Steinepigramm. Dagegen FRIEDLANDER / HorrLEIT 1948, S. 9 und Anm. 6 sowie RAUBITSCHEK 1968, S. 13f.

70

Das griechische Epigramm und seine Leser

Photios zitierten olympischen Weihung der Kypseliden zeigt aber, daß sich hinter dem Stolz des Denkmals das Selbstbewußtsein seines Besitzers, hier einer erfolgreichen Herrscherdynastie, verbirgt (Photios s. v. Κυψελιδῶν ἀνάϑημα Ev Ὀλυμπίαι):" εἰ μὴ ἐγὼ χρύσεος σφυρήλατός εἰμι κολοσσός,

ἐξώλης εἴη Κυψελιδᾶν γενεά. Wenn ich nicht eine goldgetriebene Statue bin, dann soll das Kypselidengeschlecht ausgelöscht sein.

In beiden Epigrammen behauptet eine Statue ihre Existenz und brilliert dazu mit einer rhetorisch-logischen Finesse. Wie der ‘Nestorbecher’ aus Pithekussai verspricht das Objekt eben etwas Besonderes. In den meisten Versinschriften jedoch ist das ‘Ich’ des sprechenden Denkmals nicht als denkende oder fühlende Persönlichkeit charakterisiert, seine Aktivität erschöpft sich in der Sprecherrolle.

Die Gefahr eines interpretatorischen Mißverständnisses ist hier am ehesten zu vermeiden, wenn man das ‘Ich’ als einen Rollenträger in der Sprechhandlung begreift,

genauer: als eine äußerst wirksame Art und Weise, mit einem Leser in Beziehung zu treten.'”

Auch in der Typologie der Griechischen Versinschriften (GV) erscheint die

Ich-Rede ihrer Funktion entsprechend als eine einfache Form der Vorstellung des Denkmals, die zunächst nach Analogie der Inschriften des Musters μνῆμα (σῆμα) τόδ᾽ ἐστίν τοῦ δείνος gebildet ist. Schon im 7. / 6. Jahrhundert entwickelt sich

daraus eine eigene Form der Selbstvorstellung des Monuments.'’* Als das älteste Beispiel einer Grabinschrift mit einer Ich-Rede

des Gegenstandes,

|. Person konsequent beachtet wird, gilt GV 51a = SEG 14, 565:'”

in dem

die

Γλαύρο εἰμὶ μνῆϊμα τὸ Λεπτίνεω᾽ ἔϊϑεσαν δέ με oi Βρέντιεω παῖδες. Ich bin das Grabmal des Glaukos, Sohn des Leptines. Errichtet haben mich

die Söhne des Brentes. 172 Das Anathem wird auch bei Plat. Phaidr. 236 b 3f. erwähnt. Zum Text vgl. D. L. PAGE, Further Greek Epigrams, Cambridge 1981 (im folgenden: FGE), Nr. 92 auf S. 397f. Zur Form des Epigramms vgl. 'Simonides' Ep. 110 BERGK = 83 FGE, das allerdings im modus

irrealis steht. Ein negierter Kondizionalsatz ist in Epigrammen sonst nicht belegt, vgl. GV, S. 5058: ei un ἐγώ findet sich in klassischer Zeit sonst nur noch bei Thgn. einer vergleichbaren 'Schwurformel'.

I, 871 YouwG in

173 Vgl. o. die Einleitung, S. 18f. mit Anm. 63 und MARIN 1992, S. 151 mit einem interessanten wirkungsásthetischen Vergleich zwischen einem Portrát in Vorderansicht und einem inschrifllichen ego; zwei Arten, einen Betrachter in eine 'Ich-Du-Relation' zu involvieren, s. dazu auch die Überlegungen bei E. BENVENISTE, La nature des pronoms, in: For Roman Jakobson. Essays on the Occasion of His Sixtieth Birthday, The Hague 1956, S. 34-37. 174 Vgl. GV 1171-1185 (Gruppe B III 1). Damit sind die ersten Voraussetzungen zur Entstehung des Dialogepigramms geschaffen.

175 Thasos, Ende 7. Jh.; SEG 18, 338, GuARDUCCI 1l, 1967, S. 162-164 (mit Abb. 45); RAUBITSCHEK 1968, S. 12: JEFFERY / JOHNSTON 1990, S. 301, 307 Nr. 61 sowie 465; zur Aufnahme in GV vgl. den Kommentar von GUARDUCCI, ebd, S. 162: „non comprendo - ed anche altri sono del mio parere — per quale ragione l'epigrafe venga dal PEEK considerata metrica".

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

7]

Es war auch diese Inschrift, die RAUBITSCHEK schon 1968 zu der Feststellung veranlaßte,

daß gerade

die Struktur der Ich-Rede

im Zusammenhang

mit der

besonderen kommunikativen Situation der Epigramme zu sehen ist." Wenn wir daran denken, wie Epigramme aus der durch den Verfasser imaginierten Situation des Betrachters heraus konstruiert sind, wird deutlich, daß auch die Ich-Rede ein leserorientiertes Element ist. In der Situation des Lesens ist es ja in der Tat zuerst das Denkmal, das ‘spricht’, und nicht der Tote.

Die Forschung hat unterschiedliche Erklárungsmodelle entwickelt, um

das

Phänomen der Ich-Rede zu erfassen. Dabei kann man die eher literaturgeschichtli-

chen Untersuchungen zur monologischen Rede" von einer mentalitätsgeschichtlichen Forschungsrichtung unterscheiden. Letzterer ging es vor allem um die Frage,

ob die mit Hilfe der Inschrift ‘sprechenden’ Gegenstände von ihren Betrachtern

tatsächlich als lebendig wahrgenommen wurden.'"* Sprechende Gegenstánde wie der Nestorbecher gehóren von Beginn an zur Geschichte des Epigramms. So ist es auch zuerst das Denkmal oder Grab, ein un-

belebtes Objekt, nicht der tote Grabinhaber selbst, der in Sepulkralepigrammen spricht. Sprechende Unterweltsbewohner sind dagegen erst seit dem 5. Jahrhundert

belegt." Es scheint also, als sei hier ein bewährtes Stilmittel zur schriftlichen Inszenierung von Sprechakten im Laufe der Zeit ausgeweitet worden. Man kann auch von einer zunehmenden Personalisierung sprechen, sofern damit das Stilmittel

der Prosopopoiia, die Einführung eines personalen Sprechers, und nicht etwa eine

176 RAUBITSCHEK 1968, S. 17 (nach Ch. KArouzos, Aristodikos. Zur Geschichte der spátarchaisch-attischen Plastik und der Grabstatue, Stuttgart 1961, S. 33-38): „Die Säule spricht

nicht, sie lässt sich lesen, sie vermittelt dem Beschauer etwas, das ihm sonst nicht mitgeteilt werden kann, das Epigramm wird zum Teil des Denkmals und wird daher so ausgedrückt, wie es dem Künstler natürlich scheint." S. auch LAUSBERG 1982, S. 103 und Anm. 9 auf S. 532 und die vorzüglichen Beobachtungen bei SvENBRO 1988, S. 37f., nach dem die Ich-Rede die Anwesenheit des Objektes vor dem Leser und die Abwesenheit des Autors markiert. In

ähnlichem Sinne ordnet FANTUZZI 2002, S. 424 die Ich-Rede des „‘io’ epigrafico" der typisch mündlichen, dialogischen Situation vor dem Denkmal zu. 177 Vgl. die Literatur bei E. LEFEVRE,

'Monologo',

in: F. DELLA CORTE (Hg.), Enciclopedia

Virgiliana, Rom 1987, S. 568-570, hier S. 568. 178 Nach M. BURZACHECHI, Oggetti parlanti nelle epigrafi greche, Epigraphica 24, 1962, S. 354 wurde die Vorstellung lebender und eo ipso sprechender Steine von Güttersteinen auf alle

Stelen übertragen. Eine Auseinandersetzung mit dieser These findet sich bei SvENBRO 1988, S. 37, 40, 46 Anm. 65, besonders S. 50f. und HAUSLE

1979b, der S. 128f. allerdings nicht

genügend zwischen volkstümlichem Glauben und literarischem Topos unterscheidet (zur Kritik s. auch PoRciANI 1997, S. 160-162). Zur inschriftlichen Ich-Rede vgl. ferner T. B. L. WEBSTER, Personification as a Mode of Greek Thought, JWI 17, 1954, S. 10-21; J. EBERT, Griechische Epigramme auf Sieger bei gymnischen und hippischen Agonen, Berlin 1972

(Abhandlungen der Sáchsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 63, 2), S. 21; R. KAssEL, Dialoge mit Statuen, ZPE 51, 1983, S. 1-12; Dav 1989, S. 24ff.; A. C. Cassio. I Distici del Polyandrion di Ambracia e l''Io anonimo' nell'epigramma greco, SMEA 33, 1994, S. 101-117, bes. 108ff.; H. PELLICCIA, Mind, body, and speech in Homer and Pindar. Göttingen 1995 (Hypomnemata 107), S. 52f. Anm. 85. 179 Vgl. CEG 1, 108, CEG 1, 24 und die PEEKsche Gliederung in GV. Nach W. PEEK, Grabepigramm aus Selinus, ZPE 23, 1976, S. 93f. wurde die Form in Athen erfunden.

72

Das griechische Epigramm und seine Leser

Art ‘primitiven’ Denkens gemeint ist. 180 KASSEL und PELLICCIA verweisen auf die 181

Aussagen der griechischen Literatur zum Thema der sprechenden Gegenstände. Es zeigt sich, daß innerhalb des literarischen Diskurses von Homer an sowohl Tiere als auch künstliche Statuen und auch die Toten in der Unterwelt gerade nicht über

Sprache verfügen. Ausnahmen wie die Roboter des Hephaist bestätigen die Regel. Bei Bildwerken heißt es sprechend erscheinen, ^ higkeit zu sprechen wird zukommt, abgegrenzt.

immer klar, daß sie wie lebendig erscheinen oder wie und die im Epos vorübergehend an Tiere verliehene Fäklar von derjenigen der Menschen, denen sie eigentlich Es fällt daher schwer, die Ich-Rede in den erhaltenen

Epigrammen als den Ausdruck einer animistischen Denkweise zu verstehen. Dagegen soll hier die These vertreten werden, daß das epigraphische ‘Ich’ des

sprechenden Gegenstands sich der ganz selbstverständlichen Inszenierung der Epigramme als mündlicher Sprechakte verdankt. Ausschlaggebend ist, daß ein personifizierter Sprecher dem potentiellen Leser gegenübersteht, wenn dieser die Inschrift liest. So wird ein direkter Kommunikationsweg suggeriert. Das epigraphi-

sche ‘Ich’ ist somit seiner ursprünglichen Funktion nach ein 'Zeigewort (Deiktikon), das zu der Inszenierung der Sprechhandlung als „aktuelles Sprechdrama“ (BÜHLER) am Denkmalsort gehört. Diese Inszenierung ist durch die Abwesenheit des Senders, die Dissoziierung des Sprechakts, bedingt, soll diese verschlei-

ern. Es bleibt allerdings die Frage, ob fiktive Sprecherrollen bewußt als rhetorisches Stilmittel eingesetzt wurden. Wurde die darstellungslogische Problematik eines Sprechers, der ‘ich bin ...' behauptet und im selben Zug die eigene Materialität betont - ein offensichtliches Paradoxon - als solche wahrgenommen? Die frühen Epigramme sprechen eine andere Sprache,'* so daß man diese Ich-Rede der Gegenstände mit PELLICCIA der Ebene einer ‘unbewußten Metapher''* zuordnen móchte.

180 Von 'direkter Personifikation’ spricht im Anschluß an HAusLE auch EcKER 1990, S. 114, vgl. PELLiCCIA 1995, S. 23f. - Zur ‘Personalisierung’ in der Erzähltheorie s. o. S. 14 und 37. 181 KasseL 1983, PELLICCIA 1995, bes. S. 52f. Anm. 85 mit Parallelen zwischen Epigrammen und Prosaliteratur. Der Forschungsansatz dieser Autoren unterscheidet sich damit grundlegend von der religionspsychologisch argumentierenden Studie HAUSLES (1979b). Ein Verdienst HAUSLES ist dagegen der Verweis auf orientalische Vorbilder (bes. S. 72ff.), vgl. dazu ferner PORCIANI 1997. 182 Gegen PHiLIPP 1968 („Bei diesen Inschriften ist eine bewußte Trennung zwischen Darzustellendem und Dargestelltem nicht spürbar ... Dennoch wußten die Griechen natürlich, dab diese Darstellungen aus einem toten Material gefertigt waren. Aber dies Wissen war für ihr

Verhältnis zur bildlichen Darstellung ohne Bedeutung - anders als in der nachfolgenden Phase" [Zitat S. 2]) wendet sich KASSEL 1983, S. 10.

183 PELLICCIA 1995, S. 103-108. 184 Ganz selbstverständlich erfolgt die Zuteilung der Redegabe in CEG 1, 401 (ca. 600) an eine Basis, die zugleich auf ihr kostbares Material verweist ([1]ó agotó λίϑο ἐμὶ ἀνδριὰς καὶ τὸ σφέλας Vgl. auch die übrigen von BURZACHECHI 1962 gesammelten Beispiele. 185 PELLICCIA 1995, S. 52 Anm. 85, vgl. auch S. 33f.

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

Die für das Epigramm

73

charakteristische Einbeziehung des Lesers und die

Funktion der Ich-Rede kann die Inschrift auf einer kleinen, dreiseitigen Grabpyra-

mide aus Sinope noch einmal verdeutlichen (CEG 1, 174); τόδε | σῆμα | ϑυγαϊτρὸς | Νάδυος | τὸ Kapóc npt.

(A)

παριὼν στῆ]ϑί τε kàa|notktupov: | στήλη καὶ τόϊδε σῆμα ϑυγατρός,

(Β)

fj rpolAınöo’ ἥβης ἄν ϑος

natpó9e|v ὥλετο μονογενής.

παριὼν |[σ]τῆϑί τε κΙἀποίκτιρον᾽" στήλη xlai τόδε σῆμα nap9evicnis, fj προλιπὸσ᾽ ἥβης ἀνϑος πατρόϑιεν ὦλετο μονογενίής.

(C)

Ich hier bin das Grabmal der Tochter des Nadys, des Karers.

(A)

Wenn du vorbeigehst, bleib stehen und klage:

(B)

Stele und Grabmal ist dies einer Tochter,

die vorzeitig die Blüte der Jugend verließ und starb, als einzige Tochter des Vaters.

Wenn du vorbeigehst, bleib stehen und klage.

(C)

Stele und Grabmal ist dies einer Jungfrau, die vorzeitig die Blüte der Jugend verließ

und starb, als einzige Tochter des Vaters. Das Denkmal (σῆμα) vertritt den Autor als den Urheber des Textes, der sich in einer imaginierten Gespráchssituation an den vorübergehenden Leser wendet. So

weist τόδε in dem auf der Hauptseite des Denkmals angebrachten Vers auf den sichtbaren Gegenstand, εἰμί identifiziert Gegenstand und Sprecher aus der vorweggenommenen Sicht des Betrachters. Die 2. Person des Imperativs (στῆϑί κἀποίκτιρον) auf (B) und (C) führt das Gegenüber eines imaginierten Lesers ein,

knüpft jedoch auch dabei eng an die Realitát an: In welche Richtung sich der vorübergehende Leser auch wendet, er wird zum Anhalten und Trauern aufgefordert.

Jede Seite des Denkmals spricht den potentiellen Leser in der dem Augenblick angemessenen Weise an. Auf der Hauptseite über dem Relief findet sich die wichtigste Erklárung über den Inhaber der Státte. Die Nebenseiten, an die der Wanderer durch Herumgehen um das Denkmal gelangt, fordern ihn zum andáchtigen Stehenbleiben auf. Mit den jeweils letzten beiden Versen lóst sich der Text von der äußeren Situation, indem er dem Leser den Grund zur Klage erklärt. Der Text führt auf diese Weise die äußere Situation fort, wendet sich als Denkmal zuerst

direkt dem Leser zu und appelliert an dessen Mitgefühl, wobei vorausgesetzt wird, daß dieser der Aufforderung, stehenzubleiben, gefolgt ist. In seiner Allgemeinheit ist der Gedanke des vorzeitigen Todes ganz auf die Bedürfnisse des Lesers zugeschnitten, den nicht der individuelle Tod,

sondern

der allgemeine,

menschliche

186 Ca. 475—450; CLAIRMONT 1970, S. 33f. Nr. 10, s. jetzt MERKELBACH / STAUBER 10 / 06 / 01.

74

Das griechische Epigramm und seine Leser

Aspekt der Aussage interessiert. So deutet sich diese Inschrift aus der Situation des Lesers vor dem Denkmal. Sie benutzt dazu eine imaginierte Sprecherfigur ("Ich") und ein vorgestelltes Gegenüber (‘Du’), deren Rede und implizit geforderte Reaktion auf das Gehórte den Inhalt des Epigramms bilden. Der Text ist somit situationsbezogen, leserorientiert und funktional, aber auch bewegend.

Der kommunikative Aspekt solcher Epigrammtexte, die dem tatsächlichen Leser mittels deiktischer Hinweise auf den realen Rahmen der Rezeption eine unmittelbare, mündliche Gesprächssituation suggerieren und ihn in diese hineinziehen, macht es verstándlich, warum die Epigrammdichter neben einfachen Formen der

Ich-Rede wie £yó héctax' | ἐπὶ τύμοι (CEG 1, 144 = IG IX, 1°, 878) und στάλα Ξενράρεος τοῦ Mheikıög ein’ ἐπὶ τύϊμοι (CEG 1, 146 = IG IX, 1^, 881), die nur das Denkmal

erklären, gerne auf performative Verben wie verba dicendi zurück-

greifen, die den illokutiven Akt bezeichnen.'”’ So werden 1. Person und performatives Verb in CEG 1, 173 miteinander verbunden: [- SS - &ot]nka, λέγω δ᾽ ὅτι tre πολέ[ως] |

[- >> - κεῖτ]αι Λέφξος ὁ MoAnayöpelo]. ... stehe ich (?), ich sage aber, daß fem der Stadt ... liegt (7) Leoxos, der Sohn des Molpagores.

Durch die Benennung der Funktion des Denkmals, des λέγειν, bezieht sich der Verfasser des Textes auf den Leser der Inschrift, denn nur für diesen entfaltet das Denkmal Aktivitát, indem es zu ihm 'spricht'. Eine Variation des Epigrammtypus

mit verbum dicendi findet sich auf einem attischen Weihgeschenk (CEG 1, 195): 'AX|kínaxóc μ᾽ ἀνέ{σ)»ϑεκε Διὸς κόρει τόδ᾽ ἄγαλμα | εὐϊἰχολὲν ἐσϑλὸ δὲ πατρὸς hog Χαιρίονος ἐπεύχεται (E)vafıl. Alkimachos hat mich, dieses Bildnis, der Tochter des Zeus aufgestellt. Ruhm

erbittet (hiermit) der Sohn des edlen Vaters Chairion.

Das Bildnis selbst (&yaA pa) gibt sich durch die Verwendung der 1. Person als

Sprecher zu erkennen. Es berichtet von der Rede eines anderen, des Alkimachos. Das Denkmal

vermittelt also nur die Botschaft des abwesenden

Stifters an den

Leser. Hervorzuheben ist jedoch, daß die Bitte des Alkimachos ‘mündlich’ durch 187 T. LEWANDOWSKI, Linguistisches Wörterbuch, Heidelberg / Wiesbaden 51990, S. 787 übersetzt die auf AUSTIN zurückgehende Definition des performative verb: „Ein Verb, das den Satz gleichzeitig als ausgeführte Handlung kennzeichnet", also z. B. „ich sage (hiermit)" ... Bereits S. GOLDHILL, A Footnote in the History of Greek Epitaphs: Simonides 146 BERGK, Phoenix 42, 1988, S. 189—197,

hier S. 195 und Anm.

27 vergleicht diese Verwendung von

λέγειν mit der „illocutionary utterance" der Sprechakttheorie. Diese Vorstellung einer mündlichen Wissensvermittlung erklárt auch die Wiedergabe von Inschriften als Reden bei Herodot, s. o. S. 43ff. Beispiele für φημί und λέγω in den Epigrammen der Anthologia wer-

den bei LAURENS 1989, S. 105f. als eine poetische Rahmentechnik besprochen. 188 Olbia, 490—480; vgl. jetzt DuBoIS 1996, S. 86-89 Nr. 44.

189 Attika, ca. 525-500? UG P), 618: 520—510?); ἐπεύχεται bezeichnet das Aussprechen eines Gebetes oder Gelübdes.

Die ‘Appellstruktur’ der Epigramme

75

das sprechende Bild übermittelt wird. Da die in diesem Fall an die Gottheit — die man sich als ideellen Leser vorzustellen hat — gerichtete Bitte zugleich auch Gegenstand der Aussage ist, kann man diesem Satz zugleich konstatierenden und performativen Charakter zuschreiben. Die schriftliche Niederlegung dieses indirekt vermittelten Sprechakts hat zur Folge, daß der Wunsch des Alkimachos bei seiner

göttlichen Adressatin stets präsent bleibt. Aus den Anredeformen der Epigramme schon vor dem 5. Jahrhundert geht hervor, daß der -- menschliche oder göttliche — Betrachter des Denkmals in seiner Eigenschaft als potentieller Leser von Anfang an als móglicher Adressat mitgedacht ist. Die Gegenwart des Rezipienten bildet jeweils den Ausgangspunkt für die

Vorstellung des Epigrammdichters, der im Moment der Abfassung seines Textes die zukünftige mündliche Situation seiner Vermittlung präfiguriert. Betrachten wir am Ende unserer systematischen Überlegungen noch einmal den euboiischen Versepitaph aus der Mitte des 5. Jahrhunderts, dessen erste Zeile χαίρετε toi napıölvres, £yo δὲ 9avóv | κατάκειμαι zu Beginn dieses Kapitels zitiert wurde (CEG 1, 108):'” χαίρετε toi παριόϊντες, : €yo δὲ ϑανὸν | κατάκειμαι. : 5£oplo ἰὸν ἀνάνεμαι, avlep τίς t£óe τέϑαπιπται" : ξένος ἀπ᾽ Aiylives, Μνεσίϑεος δ᾽ ὄν) υμα"

Kat μοι μνὲμ᾽ ἐπέϊϑεκε φίλε μέτερ Tiujapéte τύμοι ER ἀκροτίάτοι στέλεν ἀκάματον, | μάτις ἐρεῖ παριὄσι διαϊμερὲς ἀματα πάντα᾽

Τιιμαρέτε μ᾽ ἔσστεσε qot ἐπὶ παιδὶ ϑανόντι. Seid gegrüßt, die ihr vorübergeht, während ich tot hier unten liege. Komm her

und lies'”', welcher Mann hier begraben liegt: ein Fremder aus Aigina, der Name

ist Mnesitheos.

Und mur hat ein Grabmal

errichtet die liebe Mutter

Timarete, ganz oben auf dem Grab eine unermüdliche Stele, die den Vorbeigehenden immerzu alle Tage sagen wird: Timarete hat mich über ihrem lieben, toten Sohn errichtet.

In diesem recht ausführlichen Epigramm werden einzelne Funktionen der Grabstele und ihres Textes thematisiert. Darin entspricht es einer Tendenz zur Differenzierung der dargestellten Sprechsituation, die in der Entwicklung des Epigramms insgesamt zu beobachten ist. CEG 1, 108 zeigt eine besonders komplexe Sprechhandlung. Der Text beginnt mit einem Gruß des Toten an den Leser und einer imperativischen Aufforderung zur Lektüre. Die Formulierung einer indirekten Frage durch den Sprecher (also immer noch den Grabinhaber), die eigentlich (auf der semantischen Ebene) eine Frage des Lesers ist, markiert den Übergang von der einen zur anderen Sprecherrolle: Der folgende, dritte Vers stellt móglicherweise den Akt des (lauten) Lesens dar. Denkbar wäre allerdings auch, daß „ein Fremder aus Aigina, der Name ist Mnesitheos" vom 1. Sprecher vorgelesen wird. Worauf es ankommt, ist das vom Dichter inszenierte Zusammenfallen der Gedanken von 190 S. oben S. 53 mit Anm. 106, zum Text und zum Verständnis vgl. HANSEN 1989, S. 301. 191

ἀνανέμειν meint ‘Lesen’ und ‘Hören’, vgl. Gow

zu Theokr.

18, 47f.: γράμματα

δ᾽ ἐν

φλοιῷ γεγράψεται, ὡς παριών τις / ἀννείμῃ Δωριστί" 'eépeu u" 'EA£vac φυτόν ein."

76

Das griechische Epigramm und seine Leser

Sprecher und Hörer / Leser. Im vierten Vers spricht eindeutig wieder der Verstorbene und liefert den konventionellen Bericht von der Aufstellung des aktuell sicht-

baren Grabmals. Dazu gehört der Hinweis auf die mit der Stele verbundene kommunikative Funktion. Die direkte Rede der Stele, die den Schluß des Epigramms bildet, wiederholt eine schon vom Grabinhaber ausgesprochene Information und klingt auch sonst nicht ganz logisch. Was das Denkmal zu ‘sagen’ hat, wäre streng

genommen genau der Text des Epigramms. Direkte Ansprache an den Leser, gemeinsames Lesen und Rede des Steins sind drei verschiedene Formen

der Rede.

Die Inszenierung des Sprechakts benötigt

damit ebensoviel Raum wie die Botschaft selbst. Wozu aber wird die pragmatische, kommunikative Dimension eines Denkmals so sehr in den Vordergrund gestellt?

Offensichtlich handelt es sich um eine für das Epigramm charakteristische Form des Verweises auf die Realität außerhalb des Textes. Das Epigramm gibt sich als Appell zu erkennen, es ‘zeigt’ auf seine Funktion und schwört den Leser auf dessen wichtige Rolle als Augen- und Ohrenzeuge ein.

Leben, Tod, Erinnerung — die Grundthemen des Grabdenkmals spiegeln auch in dem metaphorischen Gegensatz von der Sprachlosigkeit des Todes und ‘Stimme’ der Inschrift, mit dem verschiedene Gedichte spielen. Der Verfasser Textes imaginiert eine Rede oder einen Dialog mit dem Leser, während dieser

sich der des das

Denkmal betrachtet. Explizit formuliert wird dies in CEG 1, 286 (= 1G I, 533). πᾶσιν io ᾿ἀνϑρόποις μυποκΙρίνομαι μόστις ἐ[ρ[ο]τᾶι : | πός μ᾽ ἀνέϑεκ᾽ ἀνδίρον" ᾿Αντιϊφάνες δεκάτεν.

Allen Menschen antworte ich auf gleiche Weise — wer auch immer fragt -, wer von den Menschen mich aufgestellt hat: Antiphanes als Zehnten.

Die Sprache der Inschrift meint aber auch deren Fähigkeit zur 'Kommunikation’ mit dem Leser, der die Buchstaben während des üblichen lauten Lesens zum ‘Sprechen’ bringt. Diese in Analogie zu mündlichen Gesprächssituationen hineinprojizierte Fähigkeit des Steingedichts zur Kommunikation

und

zur lebendigen

Vermittlung vielfältiger Gedanken erscheint als ein wesentlicher Grund dafür, warum das Epigramm zu einer literarischen Gattung aufsteigen konnte. Derartige Wendungen in den Epigrammen sind somit nicht nur Reflexionen über ihre Funk-

tion, sondern sie überschreiten die Grenze des Mediums Schrift und können so als ein Versuch interpretiert werden, den Nachteil der örtlichen Fixierung zu kompensieren. Das Epigramm will eine quasi lebendige, d. ἢ. mündliche Kommunikation am Denkmal herstellen, die aus Frage und Antwort besteht. Die Entwicklung von

der reinen Präsentation und Erklärung des Denkmals hin zum ‘Dialog’ mit dem Leser, der sich formal in den komplizierten Anredestrukturen, inhaltlich im Eindringen von allgemeiner Reflexion und ‘kulturellen Referenzen’ in den Text zeigt, bildete den Anknüpfungspunkt für die weitere Literarisierung des Epigramms.

192 Athen, Akropolis, ca. 490—480?; zum vermeintlichen Doppelpunkt am Ende von V. 1 s. /G [. 533.

Die ' Appellstruktur' der Epigramme

77

3. BESONDERHEITEN FIKTIVER SPRECHERROLLEN IM EPIGRAMM

Die bisher betrachteten griechischen Steinepigramme wurden im Hinblick auf ihre Appellfunktion untersucht. Dabei ging es vor allem um die Frage, in welcher Beziehung ihre Form zu dieser besonderen Funktion steht. Als eine charakteristische Funktion des Steinepigramms erschien dabei verbales Zeigen, als eine in diesem Sinne besonders wirkungsvolle Form die Inszenierung eines imaginär mündlichen Sprechakts. Die zuletzt betrachteten Strukturmerkmale mancher Versinschriften, Ich-Rede des Gegenstands und Gebrauch performativer Verben, zeigten sich dabei als eine Variante der Präsentation des Denkmals, die die Rolle des Betrachters und Lesers betont. Im folgenden sollen zwei Formtypen des Steinepigramms

besprochen werden, die ihren Leser nicht durch die Verwendung des verbalen Zeigegestus involvieren, sondern durch die Zuteilung einer fiktiven Sprecherrolle: die

Epigramme aus der Sicht eines „anonymous first person mourner“'” und die Dia-

logepigramme. Für die Entstehung beider Formen spielt der literarische Diskurs eine wichtige Rolle. Im Fall der Epigramme mit anonymem Sprecher ist dies die Redeform der Elegie und der homerischen Hymnen, im Fall der Dialogepigramme

das Drama. Dennoch ist die Entstehung dieser Typen nicht allein aus der Transposition der ‘großen’ Gattungen in ein neues Medium zu erklären. Auch die an den ‘sprechenden’ Gegenständen erprobten Techniken, die auf die vorgestellte Rezep-

tionssituation reagieren, fließen mit ein. 3.1. Der ‘anonyme Trauernde’ In Grabepigrammen spricht gewöhnlich das Denkmal — oder sein Inhaber - zu seinem imaginierten Leser und stellt diesem sich selbst und den Toten vor. Auch die Inschriften des Typus ‘oAna μνήμα τόδε τοῦ δείνου ...' hat man wohl zu

Recht in Analogie zu den Epigrammen mit Ich-Rede des Gegenstands als von dem Denkmal selbst ‘gesprochen’ erklärt. In einigen Epigrammen aber konzentriert sich

die Darstellung des Sprechakts auf einen anderen Ausschnitt der fingierten kommunikativen Handlung. Sie zeigen einen Sprecher, der schon auf die Mitteilung des Denkmals reagiert, so daß die Präsentation sich allein in der vom Dichter imaginierten Rezeption durch den Betrachter und Leser vollzieht. So setzt der Verfasser eines Grabgedichtes aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts die Betrachter des Denkmals mit den imaginierten Sprechern des Distichons gleich (CEG 1, 161);*

193 Zum „anonymous first person mourner" s. CEG 2, S. 5; A. MATTHAIOU, Abo ἀρχαϊκὲς ἐπιτύμβιες στῆλες, HOPOX 4, 1986, S. 31-34; D. M. Lewis, Bowie on Elegy. A Footnote, JHS 107, 1987, S. 188; P. A. HANSEN, An Olympic Victor by the Name of „-kles“, Kadmos 13, 1974, S. 156-163, hier S. 160 zum „anonymus lamentator ... (= spectator / lector)" in

CEG 1, 43 = IG V), 1213 (vgl. HANSEN in CEG 2, S. 5), Cassio 1994, S. 107. 194 Thasos, Stadt, 500—490?

78

Das griechische Epigramm und seine Leser

ἡ καλὸν τὸ μνῆμα [πατὴρ ἔστησε Yavöolnı] | Aggpétnv οὗ γὰρ [£xr]|: ζῶσαν ἐσοφσόμ(εϑα]. Wirklich schön hat das Denkmal aufgestellt der Vater seiner toten Learete: Denn nicht mehr lebend werden wir sie erblicken.

Die vom Erbauer des Denkmals gewünschte Reaktion des Betrachters, Stau-

nen und Bewunderung (ἡ καλόν), ist auf diese Weise in das Epigramm integriert und fordert den realen Leser auf, es dem imaginierten Betrachter gleichzutun. Die spontane Emotion beim Anblick des Denkmals wird in der Folge so mit einem Ge-

danken verknüpft, als werde dem Betrachter ein Zusammenhang in diesem Moment bewußt (ob γάρ). Es handelt sich um eine Umkehrung der gewöhnlichen Perspektive. In der Regel preist der Grabinhaber selbst die Schönheit des Denkmals

(καλὸν i5éc9ai9), um damit eine implizite oder direkte Aufforderung zum Hinsehen und Lesen zu verbinden. Hier dagegen beginnt das Epigramm mit der im Betrachter hervorgerufenen idealen Reaktion. Dieselbe Verknüpfung von Anschauung, Emotion und Reflexion des Betrach-

ters begegnet schon in einem sehr alten attischen Grabepigramm. Hier allerdings äußert der Betrachter an Stelle eines Lobs für das Grabmal und seinen Stifter eine Klage, durch die er sich persönlich betroffen zeigt (CEG 2, 470 = 1, 16a):'” Αὐτοκλείδο τόϊδε σᾶμα νέο n|pooopóv Avlıönaı καὶ ϑαϊνάτοι ταυτί. ]la . [ . . .. ]. Wenn ich dieses Grabmal des jungen Autokleides sehe, schmerzt es mich, und

dem Tod (?) ... Auch diese Form kónnen wir als die Umkehrung eines in Grabepigrammen geläufigen Imperativs beschreiben, mit der eine erwünschte Reaktion des Rezipienten vorgegeben wird.'? Wer sind diese anonymen Sprecher? Die neuere Forschung hat

wahrscheinlich machen können, daß die Stimme in diesen Epigrammen, die Bewunderung, Lob und Klagen äußert, der Stimme eines Angehörigen oder Freundes

nachgebildet ist, der für die Gruppe der Betroffenen eine feierliche Totenklage spricht. Die Vorstellung ist schon deshalb plausibel, weil nur ein Mitglied dieser 195 S. o. S. 59, 66 mit Anm. 196

158.

Attika, Nikaia beim Piräus, ca. 550-5407, etwas abweichend am Ende: /G I’, 1273bis.

197 Vgl. PEEK, GF, S. 360—368, Nr. 1223-1247 („Der Betrachter wird zu Mitleid oder Klage aufgefordert. VI. Jh. v. Chr.-III. Jh. n. Chr."). Für CEG 1, 51: oixtipo(v) xpoocopolv] |

παιδὸς τόδε o£ua | Savóvtog : Σμικύϑ[0] | hóg te φίλον óAzoslv ἐλπ᾽ (sic) ἀγαϑέν. — Ich klage, wenn ich dieses Grabmal des toten Jungen sehe, des Smikythos, und (mit mir) der, der einen Freund verlor, die gute Hoffnung (mit abweichenden Lesungen: /G P), 1219; Athen, ca. 510?) nehmen HANSEN, CEG 1, S. 34 und Cassio 1994, S. 107 entgegen älteren Lesungen einen anonymen Trauernden als Sprecher an. 198 In Übereinstimmung mit der von Dav 1989 geäußerten These, solche Epigramme seien „rituals in stone", will CAssıo

1994, S. 109 aus der Existenz des anonymen

Trauernden auf

die bisher schlecht bezeugte threnodische Elegie schließen. Der Sprechakt der Epigramme sei dem der Klageelegie oder auch dem des Hymnus nachgebildet, um eine zeremonielle Atmosphäre herzustellen. Die Vermutung hat einiges für sich, zumal es sich bei dem von CAs-

Fiktive Sprecherrollen

79

Gruppe das entsprechende Wissen über den Toten und die Bestattung besitzen kann. Durch die Verschriftlichung des Sprechakts kann jedoch jeder Leser der Klage seine Stimme leihen. Wir können vielleicht sagen, daß neben der fiktiven Sprecherrolle des Trauernden auch der Passant, also jeder potentielle Leser, als impliziter Leser in der poetischen Form solcher Epigramme enthalten ist.

Der iambische Trimeter für Myrhine (CEG 1, 49 = JG P), 1248)'” macht aller-

dings deutlich, daß der Gestus des Klagens nicht zwangsläufig mit der Rolle der Besucher am Grab verbunden sein muß, denn hier trauert das Denkmal selbst: [οἴμοι ϑανόσες εἰμὶ | [oá]ua Mupivec. Weh mir, ich bin das Grabmal der toten Myrhine.

Beispiele für die Rolle des anonymen Trauernden, die durch ein Verb des Klagens in der 1. Ps. spezifiziert wird, fehlen im 5. und 4. Jahrhundert.” Die Stimme

dieses Sprechers vor dem Grab, oft mit einer Apostrophe an den Grabinhaber verknüpft, bleibt jedoch erhalten. Aus der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts stammt etwa

ein Grabepigramm aus Ägypten (CEG 2, 718): οἶμοι σὴγ (κ)εφαλὴν 1” ἄνωρος £9' ὠϊδ᾽ ὑπόκειται | Δημοφίλο ψυχὴϊν σῶμά τε ὀδυρομιένῃ. Weh mir, bei deinem Haupt, das noch vor der Zeit hier unten liegt und Seele

und Leib des Demophilos beklagt.

Ein anonymer Sprecher beklagt hier von Mitleid ergriffen das Haupt des Toten, das, wie er sagt, seinerseits Seele und Körper des Verstorbenen betrauert. Die indirekt wiedergegebene Rede des Toten wird eingerahmt durch eine zweite Stim-

me. Einen Vorláufer finden wir auf einer schwarzfigurigen Lutrophore, genauer: neben der Darstellung eines Lutrophorengrabmals und seiner Besucherinnen zwi-

schen den Henkeln der Vase (CEG 1, 438): SIO angeführten Hauptzeugen, dem archaischen Polyandrion in Ambrakia (SEG 41, 540A, V. 1: Ἄνδρας [τ]οὔσδ᾽ [ἐϊλοὺς ὀλοφύρομαι ...; V. 9: ... lote, roAlta({e)ı) um ein óffentliches Grabmal handelt; vgl. zu diesem Neufund auch SEG 44, 463; 45, 661 sowie G. B. D'ALESSIO, Sull'epigramma dall’polyandrion di Ambracia, ZPE 106, 1995, S. 22-26. - Die Vorbildhaftigkeit der Elegie ist jedoch nicht die einzige Erklänungsmöglichkeit für diesen epigrammatischen Sprechakt. Zur Klageelegie und ihrem Verhältnis zum Epigramm vgl. noch D. L. PAGE, Die elegischen Distichen in Euripides' Andromache [1936], in: G. PFOHL (Hg.), Die griechische Elegie, Darmstadt 1972 (Wege der Forschung 129), S. 392-421.

199 Attika, 520-500°. Zur Ergänzung des ersten Wortes durch JEFFERY und BOUSQUET vgl. HANSEN, CEG 1, S. 34; sie ist jetzt akzeptiert bei /G I’, 1248. 200 Cassio 1994, S. 112f.; Cassio vermutet in Anlehnung an PEEK, in Athen habe sich stattdes-

sen die Rede des Toten ais eigene Form entwickelt. Im Hellenismus habe man dann aus einem antiathenischen Impuls heraus die alte Form der Klageepigramme wiederentdeckt.

201 Dagegen noch BERNAND 1969, 235f. Nr. 56 entsprechend dem Stein: on ye Φαλήνη: Konjektur und Verständnis MERKELBACHS sind heute akzeptiert, vgl. CEG 2, S. 151. 202 Attika, Lutrophore aus Pikrodaphnai, ca. 500. Vgl. ἀνδρῶν κάρηνα (/I. 11, 500), νεκύων ἀμενηνὰ κάρηνα (Od. 10, 521) und die zahlreichen Belege der Tragödie für die Verwen-

80

Das griechische Epigramm und seine Leser

ἀνδρὸς ἀπ[οφϑιμ]ένοιο κάρς κα[λ]ὸν ἐνθάδε κεῖμαι. Als eines toten Mannes schönes Haupt liege ich hier. Hier steuert das ‘Denkmal’ noch selbst durch verbales Zeigen und durch die direkte Anrede an die gemalten und die realen Betrachter(innen) den Rezeptionsvorgang. Durch die zweifache Klage in CEG 2, 718 - von seiten des anonymen Trauernden und des Haupts, das Seele und Körper des Verstorbenen beweint -- wird auf

der anderen Seite aber auch das Pathos, der emotionale Appell, verdoppelt. Die Rede eines Grabbesuchers finden wir auch tn den Epigrammen, in denen

der Tote in Form einer einfachen Apostrophe vorgestellt wird." Deutlicher wird seine Rolle jedoch in den Fällen, in denen seine Einführung als mittrauernder Sprecher persönlich motiviert ist (CEG 2, 631): σὸ μὲν δὴ πατρὶς δήν, | Kepkive Do&io vi, | Ilovti&g Ἡράκλει᾽ ἕξει | ἄχος φϑιμένο, | ἣμ [ποϑέ]ων ἐγ χερσὶ φίλων | ϑ[άνες). ὁποτ᾽ ἐπαίνο |

[λησό]μεϑ᾽ " ἡ μάλα yàp |[σὴμ φ]ύσιν ἠγασάμην |

[.... Javöpoc.

Um dich wird deine Vaterstadt Herakleia am Pontos lange, Kerkinos, Sohn des Phoxios, Schmerz empfinden, da du gestorben bist. Voll Sehnsucht nach

ihr starbst du ın den Händen der Freunde. Niemals werden wir das Lob vergessen. Denn wahrlich, dein Wesen habe ich bewundert [-]andros.

In diesem Gedicht sind es weder der zufällige Leser noch ein offiziell abgestellter Trauernder, die den Toten anreden, sondern ein Freund, der an den Verstorbe-

nen gewandt von den Gründen erzählt, aus denen er das Grab errichtet hat. Ausgehend vom Ort des Grabes, das für den Verstorbenen in der Fremde errichtet wor-

den ist, berichtet der Sprecher von der Rolle der φίλοι, die Kerkinos die Totenehren erwiesen. Auf die hymnische Formel ózot' enaivo [λησό]μεϑα folgt mit ἡ μάλα yàp | [op φ]ύσιν ἠγασάμην eine Aussage in der 1. Person, deren Perspektive subjektiv und personal ist. Das Grabgedicht für Konallis (früher: Komallis) schildert die Klagen der Verwandten am Grab der Frau aus der Sicht eines anonymen Mittrauernden (CEG 2,

686, jetzt: MERKELBACH / STAUBER ΟἹ / 20 / 32)?

dung pars pro toto, z. B. Οἰδίπου κάρα (Soph. Oid. T. 40, 1207), s. dazu J.-P. VERNANT, Mortals and Immortals. The Body of the Divine [1986], in: DERS., Mortals and Immortals.

Collected Essays, hg. v. F. I. ZEITLIN, Princeton 1991, S. 27-49, hier 30f., vgl. ferner Anth. Pal. 7, 3: Ἐνϑάδε τὴν ἱερὴν κεφαλὴν κατὰ γαῖα καλύπτει ἀνδρῶν ἡρώων κοσμήτορα, ϑεῖον Ὅμηρον und HANSEN in CEG 2, S. 151 (zu CEG 2, 718). 203 So z. B. in CEG 2, 719, 721. 204 Bóotien (Tanagra?), ca. 400-3507, KAIBEL 1878, S. 194 erklärt zu Nr. 488: „Unus ex amicis, cuius nomen infra scriptum fuit, cippum ponendum carmenque inscribendum curavit."

205 Milet, 4. Jh., Übersetzung und Datierung bei MERKELBACH / STAUBER 01 / 20 / 32, dort wird auch die Neulesung des Namens durch P. HERRMANN mitgeteilt; immer noch wichtig: P. HERRMANN, Grabepigramme von der Milesischen Halbinsel, Hermes 86, 1958, S. 117-121, hier 117£., auch mit weiteren Parallelen für die Charakterisierung eines Toten als ἄμωμος im Epigramm; zur Anrede an ein 'Du' s. auch CEG 2, 573 (Attika, nach ca. 3507).

Fiktive Sprecherrollen

8]

aiai, σεῖο, Κοναλλίς, ἀποφϑιμένης ἀκάχηνται | μάτηρ 9' à μελέα κουρίδιός τε πόσις, | πᾶσά τε συγγενέων πληϑύς σ᾽ ἀδινὸν στεναχίζει δρυπτόμενοι χαίτας τοῦδε πάροιϑε τάφου | ἡ γὰρ δαίδαλά τε ἔργα χεροῖν καὶ σώφρονα κόσμον | ἤσκησας, μῶμος δ᾽ οὔτις ἐπῆν ἐπί σοι. Wehe, deinen Tod, Konallis, beklagen deine unglückliche Mutter und dein junger Gemahl; und die ganze Zahl der Verwandten stöhnt vielfach und rauft sich die Haare vor diesem Grabmal.

Wahrlich, kunstvolle Werke der Hánde

schufst du und einen bescheidenen Lebenswandel pflegtest du, und kein Tadel traf dich.

Der verbale Zeigegestus des τοῦδε πάροιϑε τάφου knüpft an die sichtbare Realitát des Lesers im Augenblick der Rezeption an. Der Sprecher führt in seiner Rede selbst vor, was er von den Verwandten berichtet: ihre Klage am Grab. Allein

der Ausruf aiai zu Beginn des Epigramms läßt überhaupt erkennen, daß es sich um einen dramatisierten Text und eine Rede aus der personalen Perspektive han-

delt. Dadurch aber, daB das sprechende Subjekt selbst anonym bleibt, kann sich der Leser mit ihm identifizieren. Dem Autor gelingt durch diese Pathossteigerung die

emotionale Einbindung des Rezipienten in die Gruppe der Klagenden.^'

Der imaginierte' anonymous mourner' des Konallis-Epigramms reagiert in der Weise, die der auch Verfasser eines anderen Gedichtes (CEG 2, 648)"" mit eher auktorialer Perspektive suggenert, wenngleich dieses Epigramm zunächst mit dem alten Stilmittel des Zeigens operiert: ᾿Αλκινόας Kobpav λεῦσσε, ξένε, καὶ Μενεκόρρου | Τιμάνδραν, pac τὰν στέρισε αἷσα λυγρά"! τὰς ἀρετὰν αὔξοντες ἀείμναστον συνόμαιμοι | οὐκ ἀκλεῶς φϑιμέναν τῶιδε τάφωι κτέρισαν. Sieh die Tochter der Alkinoe, Fremder, und des Menekorros, Timandre, der ein bitteres Geschick die Jugend raubte. Ihre immer in Erinnerung bleibende Tugend ehrend haben die Verwandten nicht ruhmlos die Tote in diesem Grab bestattet.

In denjenigen Epigrammen, die die geschilderten Emotionen nicht mehr als vom Anblick des Denkmals selbst ausgehend betrachten, besteht die Tendenz, Gedanken und Gefühle des Sprechers am Ende zu verstärken, so daß das Gedicht mit einer Klimax endet. Hier entfernt sich die Klage vom Rituellen und wird zu einer ausgefeilten poetischen Technik des Epigrammdichters.

Besonders kunstvoll ge-

schieht dies in dem poetischen Epitaph für Arata (CEG 2, 680): 206 Zu αἰαῖ am Versanfang vgl. CEG 2, 709 (MERKELBACH / STAUBER 01 / 12 / 23), V. 6: aiai τοὺς ἀδίκως οἰχομένους ὑπὸ γὴν. Hier ist der Sprecher allerdings das Denkmal. Zum interrogativen bzw. affirmativen ἡ γάρ s. J. D. DENNISTON, The Greek Particles, Oxford

71954, S. 284f.; αἰαῖ ist besonders in der Tragödie belegt (z. B. Soph. Trach. 968, Ant. 1267 u. v. a.), am häufigsten bei Euripides (z. B. Alc. 215 u. v. a.).

207 Pharsalos, Thessalien, 4.-3. Jh.? 208 Ptolemais, Kyrenaika, 4. Jh.?; zum feierlichen Ton und zur Klimax vgl. auch CEG 2, 633.

82

Das griechische Epigramm und seine Leser ᾿Αράτα : Καλλικράτείυς)] | Ἑσπερῖτις.

|

[π]ορϑμίδος εὐσέλμου μεδέων γέρον ὃς διὰ πάνί[τα] |

Il

νυκτὸς ὑπο σκιερᾶς πείρατα πλεὶς ποταμοῦ. |

apa τινα ᾿Αράτας ἄλλαν ἀρετὰν ἴἰδες, εἶγε | τάνδε ὑπὸ λυγαίαν ἄγαγες ἀϊόνα;

[ο]ὐκέτι τὰν ἁβρόπαιδα πάτραν σὰν Eoneplid’] ὀψηι | οὐδὲ τὸν ἐστέρισας σὸν πόσιν, οὐδὲ τέκνωι | στρώσεις νυμφιδίαν εὐνὰν τεῶ. ἡ μάλα δαίμων. |

ΠῚ

[Α]Ἱράτα, κρυερὰν σοί τιν᾽ ἔδειξεν ἀράν. Arata, Tochter des Kallikrates, aus Hesperis

I

Wohlberuderten Kahnes greiser Gebieter, der du

Il

in finsterer Nacht den Totenfluß hinüber und herüber rastlos durchquerst, sahst du denn eine Tugend größer als die Aratas, wenn du nun auch diese hinübergebracht hast an den dunklen Strand? Nie mehr wirst du deine Heimat Hesperis wiedersehen, die Stadt schmucker

ΠῚ Mädchen, noch deinen Gatten, den du (deiner) beraubt hast, noch wirst du deinem Kinde

das hochzeitliche Bett bereiten. Wahrlich, ein Daimon,

Arata, hat dir einen bitteren Fluch gezeigt.?

Wie in CEG 2, 631 wählt der Verfasser den wirkungsvollen Abschluß mit einer

exclamatio. Das letzte Wort - ἀράν — mit dem das Schicksal der unglücklichen Arete zusammengefaDt wird, zeigt, wie durchdacht das Epigramm komponiert ist. Der anonyme Autor hat sich vom Klang des Namens Arata inspirieren lassen und seine Ássoziationen passend zur Situation einer Totenklage an die Begriffe von ἀρετή und àpá, Tugend und schicksalhaftem Unglück, geknüpft." Obgleich der

Sprecher sich in der ersten Strophe an den unheimlichen Fáhrmann der Unterwelt Charon wendet, dessen Namen er episierend umschreibt, und in der zweiten Strophe dann Arata direkt anspricht, stört dieser Adressatenwechsel keineswegs die einheitliche Wirkung des Gedichts. Diese verdankt sich nicht nur dem ruhig dahinfließenden Rhythmus der Verse, dem Enjambement,

den Assonanzen und der ge-

lungenen Rhetorik der Klage, sondern auch der eindrucksvollen Schilderung einer

Szenerie in der Unterwelt. Dies und die Lebendigkeit der direkten Rede machen das Gedicht zu einem der schónsten auf Stein überlieferten Epigramme. Die anonymen Trauernden zeigen sich in unterschiedlicher Gestalt. Sie sind Betrachter des Denkmals, offiziell bestellte Epitaphienredner, Freunde oder Angehórige des Toten. Das Motiv der Klage óffnet einem subjektiven, persónlicheren Modus des Sprechens einen Weg, den besonders jüngere Epigramme zu gefühlvol-

leren Darstellungen nutzen. Mit dem Monolog der Tragódie haben manche dieser 209 Übersetzung von PEEK, GG, S. 259. 210 Von der Kunst des Epigrammdichters zeugen die zahlreichen Klangeflekte, insbesondere

mit Blick auf den Namen der Toten in V. 4., vgl. aber auch die Alliteration in V. 2 sowie den Gleichklang in Eoneplida] - ἐστέρισας in V. 5f., der den Verlust der Heimat betont.

Fiktive Sprecherrollen

83

Epigramme die häufige Anrufung als eine Form der Selbstäußerung gemeinsam?!! Sie zeigen damit eine Tendenz zum Selbstgespräch,?'? ohne daß sie je wirklich 'einsame Rede' werden. Die panegyrischen Elemente in der Klage um den Toten

sind im Hinblick auf eine gróBere Offentlichkeit komponiert. Das Gegenüber dieser Sprecher, deren Part der Lesende übernimmt, ist dabei nicht, wie im inneren Mono-

log, das eigene Ich, sondern das Du des Toten oder das Wir der Gruppe. 3.2. Dialoge Neben den Verwandten des Verstorbenen, die das Grab besuchen, um ihre Spenden darzubringen, gehören die ξεῖνοι zur Gruppe der prásumtiven Leser. Das

älteste bisher bekannte Dialogepigramm zeigt einen Wortwechsel zwischen der Grabwächterin, einer vermutlich steinernen Sphinx, und einem unbekannten ξεῖνος (CEG 1, 120)?" Im Unterschied zu den Verwandten des Toten besitzt der zufällige Passant keinerlei Wissen über diesen. So fragt er zunächst, um wessen Grab es sich hier handelt, und erhált in den letzten beiden, leider zerstórten Versen aller Wahrscheinlichkeit nach den Namen (womóglich auch die Heimat) des Toten zur

Antwort. Der Dialog ist die dramatische Inszenierung einer typisch epigrammatischen, zweigeteilten Sprechhandlung: Ein Fremder fragt sich, wer da liegt — das Denkmal antwortet in Stellvertreterschaft des Toten. Die Inszenierung geschieht

mit Hilfe dramatischer Techniken, insbesondere der Einführung fiktiver Sprecherrollen. Die Figur des anonymen Lesers modelliert den impliziten Leser des Epigramms, er steht hier für ein größeres, nicht näher bestimmbares Publikum, mit dessen Hilfe die Kunde vom Namen des Toten bewahrt und verbreitet werden soll. Für den Leser enthalten Epigramme eine Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem. Er weiß, daß das Gedicht auf einer Stele den Namen und das Lob eines Toten verkündet, die konkreten Einzelheiten kennt er nicht. So sind Epigramme ihrer Konzeption nach immer auch Antworten auf gedachte, vom Autor vorhersehbare Fragen. Sie erfüllen dadurch auch formal ihre Aufgabe, die neben dem Preisen 211 Vgl. W. SCHADEWALDT, Monolog und Selbstgespräch. Untersuchungen zur Formgeschichte

der griechischen Tragódie, Berlin 1926, S. 55 zu Aischylos und Sophokles, s. auch S. 178ff. Bei Soph. Ei. 807 heißt es etwa: ὦ τάλαιν᾽ ἐγώ ὦ Ὀρέστα φιλτάϑ᾽, ὡς μ᾽ ἀπώλεσας 9avov; Der Sprecher wendet sich an einen Toten oder Entfernten. SCHADEWALDT untersucht dabei besonders das Verhältnis von ratio und Affekt. 212 Vgl. SCHADEWALDT 1926, S. 189: „Unter eigentlichem Selbstgespräch wird diejenige Form

der Selbstäußerung verstanden, in der die handelnde Person im Gegenüber mit dem eigenen Ich Empfindungen und Gedanken kundgibt." 213 Demetrias, Thessalien, ca. 4507; s. auch KAsseL 1983, S. 11 und SOURVINOU-INWwOOD 1995, 5. 271-273. Auf eine Wiedergabe des genauen Wortlautes kann hier aufgrund des fragmentarischen Zustandes verzichtet werden. Die dialogische Struktur ist jedoch durch σφίξ ...

φυ]λάσεις in V. 1 und &i[ve in V. 3 wahrscheinlich (vgl. aber GUTZWILLER 1998, S. 100 Anm. 130). Zu den Dialogepigrammen s. ferner W. RASCHE, De Anthologiae Graecae epigrammatis quae colloquii formam habent, Phil. Diss. Münster 1910, ergánzend und korrigierend dazu KAssEL 1983, S. 10 und Anm. 45; H. J. Rose, The Speaking Stone, CIRev 37, 1923, S. 162f. Dialogepigramme sind bei PEEK, GV 1831-1887 gesammelt. PEEK, wie immer mit Blick auf die gesamte Entwicklung, unterscheidet Dialoge zwischen dem Wanderer

und dem Denkmal, dem Wanderer und dem Toten, dem Hinterbliebenen und dem Toten.

84

Das griechische Epigramm und seine Leser

in der Weitergabe einer Information besteht. Explizit erscheint die in den meisten Epigrammen stillschweigend vorausgesetzte Frage des Lesers in einem Grabgedicht des 4. Jahrhunderts (CEG 2, 545):?'* ὀστέα μὲν καὶ σάρκας | £(i)xe χϑὼν παῖδα τὸν ἠϊδύν, ψυχὴ δὲ εὐσεβέων | οἴχεται εἰς ϑάλαμον. w | εἰ δὲ ὄνομα ζητεῖς, ΘεογείτίΙων Θυμόχου παῖς Θηβαίϊος γενεὰν κἔμα(ι) κλεινίαῖς ἐν ᾿Αϑήναιις. In bezug auf Knochen und Fleisch hat die Erde den süßen Jungen, die Seele

aber ging fort in das Gemach der Glückseligen^? - Wenn du den Namen

suchst: Theogeiton, Sohn des Thymochos, thebanischer Herkunft; ich liege hier im berühmten Athen.

In diesem Gedicht nimmt der Tote als der imaginierte Sprecher der Inschrift die Frage des Passanten, so wie sie der Wanderer an die Sphinx gerichtet hatte, vorweg (εἰ δὲ ὄνομα ζητεῖς). Ein Sprecherwechsel innerhalb des Epigramms, d. h. die Einführung eines zweiten Sprechers, macht aus dieser Form ein Dialog-

gedicht (CEG 1, 429; vgl. MERKELBACH / STAUBER ΟἹ / 12/ 05):?' αὐδὴ τεχνήεσσα A(9o, λέγε τίς τόδ᾽ ἀίζγαλμα] | στῆσεν ᾿Απόλλωνος βωμὸν ἐπαγλαΐ[σας] .] Παναμύης υἱὸς Κασβώλλιος, ei μ᾽ ἐπ[οτρύνεις}]} | ἐξειπὲν, δεκάτην τήνδ᾽ ἀνέϑηκε deln]. Kunstvolle Stimme des Steins, sag, wer dieses Bild hier aufstellte, den Altar des Apollon schmückend.

Panamyes, der Sohn des Kasbollis, wenn du mich

drängst (?) es herauszusagen, weihte diesen Zehnten hier dem Gott.

Das Epigramm beginnt mit der Frage des Lesers und entspricht insofern besser der zeitlichen Logik der Situation als das vorangegangene Beispiel. Darauf folgt in V. 3 die Antwort des Denkmals. Der Sprecher versucht dabei, das Verhalten des Lesers zu bestimmen (εἰ μ᾽ ἐπ[οτρύνεις] | ἐξειπέν, vgl. εἰ δὲ ὀνομα ζητεῖς in

CEG 2, 545, V. 3). Diese eingeschobenen Bedingungsssätze unterscheiden die beiden Epigramme von der Selbstverständlichkeit der Kommunikation im Sphinx-Gedicht CEG 1, 120. Besonders das letzte, seit WILAMOWITZ / KARO noch in das 1. Viertel des 5.

Jahrhunderts datierte Epigramm nimmt in seinem Aufbau Züge vorweg, die sonst eher mit der Epigrammdichtung des 4. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden. So trennt es, im Unterschied zu dem an erster Stelle besprochenen Dialog des 214 Attika, ca. 350? 215 Zur Entrückung und Heroisierung der Toten vgl. SOURVINOU-InwooD 1995, S. 194ff.; N. HIMMELMANN, "Aufruf zum Totengedächtnis’. Zur religiösen Motivation attischer Grabre-

liefs, Antike Welt 30 / 1, 1999, S. 21-30. 216 Halikarnassos, ca. 475°, zuerst veröffentlicht von U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF / G. KARO, Aus Halikarnassos, MDAI(A) 45, 1920, S. 157-192, hier 157-160. Die von HANSEN und hier favorisierte Ergánzung in V. 3 geht auf WILAMOWITZ zurück, doch ándert der Vorschlag von A. MAIURI, Nuove iscnzioni dalla Caria, ASAA 4/5, 1921/22 (ersch. 1924), S.

461-488, hier S. 461f.: ne x[zAcóocic], übernommen von LAZZARINI 1976, Nr. 688, S. 273 (vgl. ebd. 129f.) und jetzt von MERKELBACH / STAUBER 1998, nichts an der Aussage.

Fiktive Sprecherrollen

85

Wanderers mit der Sphinx, zwischen dem Bild (ἀγαλμα) und einem nicht identischen, abstrakten Sprecher (αὐδή) der Inschrift. Dieses sehr direkte Verweisen auf die kommunikative Funktion der Beischrift geht sogar noch weiter als in den bishe-

rigen Beispielen. Der imaginierte Leser apostrophiert die „kunstvolle Stimme des Steines“,?'’ also nicht das Bild des Gottes, das nach den Spuren in der Marmorbasis zu schließen wohl aus Bronze gefertigt war. Die in dieser Zeit singuläre Metapher der αὐδὴ τεχνήεσσα λίϑο schreibt die Stimme also ausdrücklich der Basis zu, die die Inschrift trágt.?" Das Epitheton τεχνήεσσα kann nur meinen, daß diese Stimme Menschenwerk und von hervorragender Qualität, also ein Gedicht ist.

Stimme und Stein bezeichnen die beiden Aspekte der Schrift aus der Sicht des Lesers, der sie entziffert, den akustischen und den visuellen, λέγειν verweist auf ihre Fähigkeit, Inhalte zu kommunizieren. Die Vorstellung, daß von der Inschrift eine

dem mündlichen Boten vergleichbare Aktivität ausgeht, die das Vermitteln von Bedeutung meint und mit λέγειν bezeichnet werden kann, gleicht der Darstellung von

Inschriften und ihrer Funktion bei Herodot.”” Auffällig ist hier, welch geringe Rolle dem Kunstwerk selbst im Text zugemessen wird, welch großer Part aber den Bemühungen um eine Kommunikation mit dem Leser (ei μ᾽ ἐπ[οτρύνεις7) ἐξειπὲν). Das Epigramm CEG 1, 429, formal betrachtet die dramatisierte Varia-

tion eines Epigramms mit verbum dicendi, kann als eine rationalistische Rezeption der ehemals unbewußte Metapher des sprechenden Denkmals verstanden werden. Die etwas umständliche, aber auch geistreiche ‘mise en scene’ des Dialogs mit einem Stein scheint sich speziell an den intellektuellen Leser zu wenden, was in einem Apollonheiligtum nicht unpassend erscheint. 217 WiLAMoWwITZ / Karo 1920, S. 159. Nach SvENBRO 1988, S. 65-73 sei hier (schon sehr ab-

strakt) die Stimme des Lesers gemeint; erst durch den Vortrag mit lauter Stimme werde der Stein zum ‘Sprechen’ gebracht. 218 Vgl. CEG 1, 401, [x]ó apotó λίϑο ἐμί. 429: αὐλὴ τεχνήεσσα λίϑο ..., womit cin weiterer Gegenstand, cin aufwendig angesichts der Konvention sprechender

- MArumiI 1924, S. 461f. liest zu Beginn von CEG 1, dann nicht die ‘Stimme’ der Marmorbasis, sondern gepflasterter Tempelhof, gemeint wáre. Dies macht Denkmäler zwar einen gewissen Sinn, wenngleich

ein sprechender Hof doch etwas eigenwillig scheint. MERKELBACH / STAUBER 1998, S. 47 äußern sich nicht zu dieser Diskrepanz ihres Textes zum ebenfalls abgebildeten MAIURI-

Faksimile. 219 τεχνήεις,

| -εσσα

verweist auf die τέχνη

des bildenden

Künstlers;

in Od.

8, 296f.

sind

δεσμοὶ Texvnievzeg die Fesseln, in denen Hephaistos Ares und Aphrodite fängt. Od. 7, 109f. belegt

eine aktive

Verwendung

(γυναῖκες

... τεχνῆσσαι).

Die

Arbeit

des

Bildhauers

bezeichnet das Substantiv τέχνη möglicherweise in CEG 1, 230 = JG I’, 766, vgl. auch die Ergänzungsvorschläge für CEG 1, 192 = /G P), 627. In den Epigrammen des 4. Jahrhunderts steht τέχνη für ganz verschiedene Fertigkeiten, in denen sich der Verstorbene ausgezeichnet

hat. Vielleicht handelt es sich hier um eine Übertragung auf den Bereich des Dichtens. Nur noch entfernt verwandt ist das kaiserzeitliche Epigramm aus Sakkara (BERNAND 1969, Nr. 68 = GV 1843): Dort verleiht der heroisierte Tote seinem Grabwächter, einem steinernen

Löwen, die Fähigkeit zur Sprache (V. 3f.: ... Φωνήεις πόϑεν ἐπλεο; - Δαίμονος αὐδὴι / ἀνδρὸς ὑποχϑονίου.); vgl. ferner MERKELBACH / STAUBER 14 / 07 / 02 = GV 1835 (Ikonion, Kaiserzeit): λάρναξ αὐδήεσσα. 220 S. oben S. 44f. zur Bezeichnung der Kommunikation durch Inschriften als λέγων διὰ ypanματα sowie S. 74 Anm. 187.

86

Das griechische Epigramm und seine Leser

Die erwähnten Beispiele sind zusammen

mit dem vielleicht doch

simoni-

deischen Epigramm Anth. Plan. 23? bisher die einzigen bekannten vorhellenistischen Dialoginschriften. Ein anderer, jüngerer Typus des Dialogepigramms schil-

dert das Gespräch zwischen dem Passanten und dem Stein nicht als Vermittlung

von Wissen, sondern als moralische Belehrung (GV 1537 = GG 424). Λαμπίδος ripa τάφον παραμείβομαι; ἔννεπε, Ade. -vai, ξένε, τᾶς ὁσίας εἰς τέκνα καὶ γονέας. ἀλλ᾽ ἴϑι μοι χαίρων καὶ ἐπεύχεο πολλὰ ϑεοῖσι, σὺν τοιᾷδε ἀλόχῳ ξυνὰ μολεῖν μέλαϑρα. Gehe ich wirklich am Grabmal der Lampis vorbei, sag an, Stein. Ja, Fremder, der frommen gegen Kinder und Eltern. Aber geh, leb wohl und bitte die Götter vielmals, mit einer solchen Gattin zusammen ins gemeinsame Haus zu kommen. Hier ist der Sprecher von V. 1 kein anonymer Trauernder, sondern der Leser

im Akt des Lesens. Die Buchstaben AAMITIAOX hat er bereits entziffert.’” Subjektiv und geradezu stimmungsvoll prásentieren sich die seit dem 4. Jahr-

hundert belegten sepulkralen Dialogepigramme, in denen die Gespráchspartner des Verstorbenen Angehörige der Familie sind (CEG 2, 530): χαῖρε τάφος Μελίτης᾽ χρηστίὴ γυνὴ ἐνθάδε κεῖται v φιλοῦντα | ἀντιφιλοῦσα τὸν ἄνδρα Ὀνήσιμιον ἦσϑα κρατίστη v τοιγαροῦν ποϑεῖ ϑανοῦσάν σε, ἦσϑα γὰρ χρηστὴ γυνή. v - | καὶ σὺ χαῖρε φίλτατ᾽ ἀνδρῶν, ἀλλὰ | τοὺς ἐμοὺς φίλει. Sei gegrüßt, Grabmal der Melite. Eine gute Frau liegt hier. Deinen liebenden Mann Onesimos deinerseits liebend, warst du die beste. So sehnt er sich auch nach dir als einer Toten, denn du warst eine gute Frau. Sei auch du gegrüßt, liebster Mann, und liebe die Meinen.

φιλία und πόϑος der Familie sind das Thema des Gedichtes, durch das der

Leser angerührt werden soll. Dabei imaginiert der Verfasser des Epigramms eine ganz konkrete Situation vor dem Grab, dessen Inhaber dem dort ankommenden Betrachter schon bekannt ist. Es handelt sich nicht um den namenlosen Wanderer, sondern um den Ehemann der Verstorbenen. Dieser benutzt die 3. Person, um nicht die Aufmerksamkeit von Melite auf sich selbst zu lenken. Ganz unzweifelhaft

wird die Identität des Sprechers jedoch erst in der letzten Zeile, in der Melite ihrem Ehemann antwortet, nachdem dieser sich von dem Grab zu der vermeintlich Abwe-

senden gewendet hat.?”° Der reale Leser kann den Sprecher allerdings erahnen, da 221 'Simonides' 31 FGE, KASSEL 1983, S. 10f. 222 Pherai, Thessalien, Anfang 3. Jh.; eine metrische Übersetzung gibt PEEK in GG, S. 345.

223 Für einen Wanderer, der nicht lesen kann und daher auf die Hilfe eines συνοδοιπόρος angewiesen ist, vgl. GV 1882, V. 1-8 (Kreta, 1. Jh. n. Chr.); zur Frage in Vers ] vgl. unten S. 211. 224 Attika, ca. 365-340. Weitere Dialoge zwischen Ehepartnern: GG 436-440, 2. Jh. v. Chr.-2. Jh. n. Chr. 225 Der Wechsel zur 2. Person wird durch die Wiederholung des Lobs χρηστὴ γυνή betont.

Fiktive Sprecherrollen

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die Rede wie die eines liebevollen Gatten klingt. Einen anderen Dialog, scheinbar ohne Beteiligung des Lesers, enthält CEG 2,512: Τηλέμαχος | Σπουδοκράτος | PAuveüc. ὦ τὸν ἀειμνήστου σ᾽ ἀρετᾶς παρὰ πᾶσι πολίταις | κλεινὸν ἔπαινον ἔχοντ᾽ ἄνδρα ποϑεινότατον | παισὶ φίλει τε γυναικί. — τάφο δ᾽ ἐπὶ δεξιά, μῆτερ, κεῖμαι σῆς φιλίας οὐκ ἀπολειπόμενος. Ἱερόκλεια | Ὀψιάδου | ἐξ Οἴου.

Telemachos, Sohn des Spudokrates aus Phlya O du, der du wegen deiner unvergeBlichen Tugend bei allen Bürgern rühmliches Lob bekommst, ein Mann, sehnlichst geliebt von den Kindern und der lieben Frau. - Zur Rechten, Mutter, deines Grabes liege ich, deiner Liebe nicht entbehrend. Hierokleia, Tochter des Opsiades, aus Oion.

Zunáchst hat man den Eindruck, als trete hier ein anonymer Trauernder im Na-

men aller Bürger als Sprecher auf. Doch gerade an dem Punkt seines epitaphios logos, an dem er Vater und Mutter des Verstorbenen erwähnen müßte und an dem

man noch immer gespannt ist, wie der Redner seine weit ausholende exc/amatio wohl zu Ende führen will, unterbricht ihn die Stimme des Toten. Dieser wendet

sich an die zu seiner Rechten liegende Mutter und dankt ihr für die ihm erwiesene Liebe. Nun ist klar, daß es sich von Anfang an um ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Sohn gehandelt hat. Dialoggedichte wie CEG 2, 530 und 512 zeigen,

daß das Grab ein Ort verbaler zwischenmenschlicher Handlungen ist. Betont werden dabei zwei Aspekte: die Innigkeit des Dialogs am Grabe einer Angehórigen und die Mittlerfunktion des Denkmals selbst zwischen den beiden Welten, also die-

jenigen Gedanken, die auch die δεξίωσις der Eheleute auf dem unter der Inschrift

angebrachten Relief des ersten Beispiels symbolisch vorführt.??

Die Einbeziehung des Lesers in Dialogepigrammen erfolgt auf verschiedene Weise, je nachdem, um welche Gesprächspartner es sich handelt. Für alle Gedichte dieser Form gilt jedoch: Der Aspekt der Künstlichkeit, der kreative Eigenanteil des Dichters an der Inszenierung des Sprechakts ist gegenüber den schlichteren For-

men der verschriftlichten Rede erheblich gestiegen. Durch die dramatische Form der Dialogepigramme wird der Leser einmal - in der Rolle des fragenden Wanderers — selbst auf die 'Bühne' geholt, ein anderes Mal zum 'Zuschauer' eines Gespráchs zwischen Angehórigen gemacht. Im einen Fall findet er die für ihn selbst passende Rolle im Text vor, im anderen Fall wird er durch den anrührenden Dialog

der Familienmitglieder zur inneren Anteilnahme bewegt.

226 Piräus, ca. 390—365 (GV 1386 = GG 86), vgl. auch GG S. 232, 427 sowie TRAILL, PAA 531830.

102. Zur Familie vgl. jetzt LGPN 2.

227 Vgl. die Abbildung des Steins mit CEG 2, 530 bei CLAIRMONT 1970, tab. 19, 39.

88

Das griechische Epigramm und seine Leser

Die Selbstverständlichkeit der Fiktion ist in beiden Formen des Dialogepigramms dadurch beeinträchtigt, daß der ‘Betrug’ der nur fingierten Mündlichkeit dem Autor natürlich bewußt ist.7* Das Gefühl einer zunehmenden Distanz zwischen Autor und Leser, das sich hierin auszudrücken scheint, wird auf zwei ver-

schiedene Arten kompensiert: Auf der einen Seite besteht eine Tendenz zur rationalistischen Objektivierung gerade durch die Thematisierung der Rezeptionsbedingungen, die den intellektuellen, aufgeklärten Leser anspricht (man denke an die

griechische Tradition des Mißtrauens gegenüber allzu plumpen Manipulationsversuchen mit Hilfe der Schriftlichkeit), hierzu gehört die Differenzierung der Sprecherrollen und die Betonung der ehemals unbewußten Metapher des ‘sprechenden Gegenstands’. Auf der anderen Seite werden die Gefühlswerte der Situation betont, in der der Hinterbliebene mit dem Toten vermittels des Denkmals kommuniziert. Die poetischen Möglichkeiten der fiktiven Sprecherrollen werden in jeder denkbaren Richtung erprobt, wenn man sich davon einen intensiveren Kontakt mit

dem Leser verspricht.

228 Vgl. KASSEL 1983, S. 11: „Die Paradoxie einer bis zur Sprechfähigkeit verlebendigten Statue musste im Dialoggedicht schärfer hervortreten als in den längst konventionell gewordenen Selbstvorstellungen der Monumente.“ -- Zu ‘Lesen als Vertrag’ s. oben S. | mit Anm. 1.

Fiktive Sprecherrollen

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4. DAS INSCHRIFTLICHE EPIGRAMM UND SEINE LESER IM 5. UND 4. JH.

Der Wunsch, auf ein möglichst großes Publikum zu wirken, ist vielen Epigrammen des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. gemeinsam. Ein von den Athenern gestifteter Altar, der in einem der am meisten frequentierten Heiligtümer Griechenlands, dem Bezirk des Apollon auf Delos, stand, wendet sich in geläufiger Weise an das zweifache Publikum der fremden und einheimischen Besucher (CEG

2, 742 = 1, 1794). tolür]ov βωμὸν [᾿Αϑ]ῆναι ᾿Απ[όϊ]λλωνός τε ἀνάϑημα : Παιῶνος καὶ 'A9nv[atag vv - - γἐϊποί)ον᾽ :

πᾶς [δ᾽,ξ[λϑὼν) ἀπὸ γ)ὴς ἄλλης ἢ Δήλιος ἴστω. : Κλεοτέλεος δ᾽ Epylov - vu — νυ -].

Diesen Altar hat (die Stadt) Athen als Weihgeschenk des Heilers Apollon und der Athene ... (?) gemacht. Jeder, der aus einem anderen Land kommt oder Delier ist, soll es wissen. Ein Werk des Kleoteles ...

Der textinterne Sprecher übernimmt selbstverständlich die lokale Perspektive. Er wendet sich mit dem alten Motiv der Kundgabe an ‘Einheimische und Fremde’ an die Gruppe seiner Leser, die Besucher des τέμενος. Seit dem 2. Viertel des 5. Jahrhunderts wird ın öffentlichen und privaten Denkmalinschriften neben den Passanten, also den ganz konkret vorgestellten Lesern der Inschrift, die Gemeinschaft der βροτοί als der Adressat der Botschaft genannt.^^ So begegnet die Ver-

bindung beider Begriffe — Reisende und Sterbliche — auf einem marmornen Weg-

weiser (CEG 1, 442)! [ - >> ] ἐστ(η)σίέμ με Blpot[oic] μνημεῖον ἀληϑὲς | [- == ] onnaivelv n] (£)tp[ov] ὁδοιπορίας" | [ἔστιν yàp τ]ὸ μεταχσὺ ϑεῶμ πρὸς δώδεκα βωμὸν | [-- => τ]εσσαράκοντ᾽ ἐγ λιμένος στάδιοι. ... stellte mich den Sterblichen als wahres Denkmal auf ... zu künden das Maß der Wegstrecke: Es ist nämlich die Strecke zum Zwölfgötteraltar ( ... Jundvierzig Stadien vom Hafen.

Hier sind mit βροτοί wie mit &v8pone hóoteíxs[t]c * xa9 Ὁδὸ]ν in CEG 1, 28 Menschen auf dem Weg, genauer: auf dem Weg vom Hafen zur Agora von 229 Zu Text und Datierung (um 425?) vgl. /G P, 1468bis. 230 Das früheste Beispiel scheint CEG

1, 399 zu sein, das auf 472 datiert ist: Eo9upog

... /

εἰκόνα δ᾽ ἔστησεν τήνδε βροτοῖς ἐσορᾶν. Das Wort ist in Epos und Tragödie gebräuch-

lich, vgl. LSJ s. v. (z.B. JI. 5, 304: οἷοι νῦν βροτοί εἰσι). Bei Soph. Ant. 850f. wird βροτοί im Gegensatz zu νεκροί verwendet. Dieser Bezeichnung des Publikums in CEG

1, 399 ent-

spricht ἄνθρωποι in CEG 2, 492 und 595. Ein Vorläufer ist CEG 1, 28. 231 Athen, ca. 440—430? (heute verloren); eine andere Textrekonstruktion bietet /G P. 1092bis.

90

Das griechische Epigramm und seine Leser

Athen, gemeint.^^ Die Epigramme des 4. Jahrhunderts verwenden βροτοί auf eine weniger konkrete Weise. Auch hier bezeichnet der Begriff die Gemeinschaft der Adressaten, um zu verdeutlichen, daß der Inhalt der Inschrift jeden potentiellen Leser betrifft. Er wird jedoch zunehmend von der aktuellen Situation des Lesers oder Betrachters und von seinen konkreten Handlungen vor dem Denkmal abgetrennt und in einen generelleren, populárphilosophischen Kontext gestellt. Eine solche Betonung des Universalen zeigt sich bereits in dem Denkmal für

Kallistrate (CEG 2, 520, V. 46). ὦ φίλοι ἡμέτεροι, xpnot(o)i zio t(0)i διὰ παντός. | χαίρετε" κοινὸν γὰρ ῥῆμα τόδ᾽ ἐστὶ βροτοῖς. | Ο unsere Freunde, gut und treu alle Zeit, seid gegrüßt. Denn ein gemeinsames Wort ist dies für die Sterblichen.

Knüpft die allgemeine Reflexion hier noch an den üblichen Gruß des Lesers vor dem Denkmal an - χαίρετε ist sowohl der Gruß des Toten an die Freunde als

auch der von jedem Leser vor dem Grabmal geforderte Sprechakt”"* - so verselbständigt sie sich in anderen Beispielen völlig (CEG 2, 600, V. 2-5)? εἰ τὰ ϑεῶν τιμᾶν χρηστῶν τ᾽ ἔργων ἐπιϑυμεῖν | καὶ τὸ δικαιόσυν[όν τε φίλο)])ν τε φίλοισι προσεῖναι]

δόξα ἀρετῆ τε βροτοῖς καὶ ἀνενκλήτως βιοτεῦσαι, | πάντα σὺ ταῦτ᾽ ἔσχες, Μνησαρχίδῃ, ἀπροφασίστως. ]

Wenn das Ehren der Götter und das Streben nach guten Taten und Gerechtigkeit und freundschaftliche Verbundenheit mit Freunden Ruhm und Tugend für die Sterblichen ist und ein tadelloser Lebenswandel, dann hattest du das alles, Mnesiarchides, ohne Einschränkung.

Die Aussage dieses Epigramms ist ganz unabhängig von der äußeren Rezeptionssituation, auch wenn die sozialen Tugenden des Mnesarchides gerühmt werden. Nur die Anrede an den zuerst in der Namensinschrift über dem Epigramm genann-

ten Toten impliziert einen Leser. Der Verfasser formuliert allgemeine GesetzmäBigkeiten, in die sich das individuelle Schicksal einbinden läßt. Auf einen universellen νόμος beruft sich der Dichter von CEG 2, 487? 5 ganz explizit: πάντων ἀνϑρώπων νόμος ἐϊστὶ κοινὸς τὸ àxoSavév. * | ἐνθάδςε κεῖται Θεοίτης παῖς | Τελέσωνος Τεγεάτας Τεγείάτο : καὶ μητρὸς Νικαρέτης | χρηστῆς γε γυναικός. ? χαίρετε οἱ παρι(όγντες, ἐγὼ δέ γε τἀϊμὰ φυ(λάγττω. 232 Vgl. auch Aischyl. Prom. 841: τῆς σὴς πορείας μνῆμα τοῖς πᾶσιν βροτοῖς. 233 Attika, ca. 370-360. 234 Zum xaipe-Grub im Grabepigramm vgl. PFOHL 1983, Sp. 486 und besonders SOURVIMOU-

INwooD 1995, S. 180-216. 235 Attika, 4. Jh.?; häufig ist die Formel ἐν ἀνθρώποις, mit der Ruhm oder Glück in der Gemeinschaft der Menschen bezeichnet wird, z. B. in CEG 2, 493, 546, 581. 236 Attika, Anfang d. 4. Jh. (CEG 2, S. 16: Auctor satis ignarus rei metricae fuit.)

im 5. und4. Jahrhundert

9]

Es ist ein allen Menschen gemeinsames Gesetz, sterben zu müssen. Hier liegt Theoites, ein Tegeate von einem Tegeaten, Sohn des Teleson und der Mutter

Nikarete, einer wahrlich guten Frau. Seid gegrüBt, ihr Vorbeikommenden, ich aber behüte das Meinige (das Grab).

Die Wendung hin zum Leser geschieht zuerst über die Feststellung eines an-

thropologischen Gesetzes,” das diesen mit einschließt. Der situationsbezogene Gruf steht hier, anders als in dem archaischen Epigramm CEG Er ist nicht Begrüßung, sondern Abschied vom Leser.

1, 108, am Ende.

Das Mittel der Generalisierung eignet sich aber auch dazu, die individuelle Tüchtigkeit eines Verstorbenen positiv herauszustreichen, sofern der generelle Te-

nor pessimistisch ist (CEG 2, 525). Ὁ Γλυκέρα Θουκλείδου ὁ σπάνις ἐστὶ γυνα(ι)κί, ἐσϑλὴν καὶ σώφρονα φῦναι |

τὴν αὐτήν, δοκίμως τοῦδ᾽ ἐτυχεγ Γλυκέρα. Glykera des Thukleides Was selten einer Frau zuteil wird, edel und zugleich besonnen zu sein, das hat ruhmreich seine Glykera erlangt. Der Aufbau vieler Gedichte spiegelt ein bestimmtes Ethos wider: Anstatt, wie in archaischer Zeit, den einzelnen Toten durch das Lob des Denkmals und die

Kunde seines Ruhms hervorzuheben, betonen die Epigramme Abstraktes, insbesondere ethische Werte.” Das Grabmal wird dagegen entweder geradezu verleugnet oder doch wenigstens als gegenüber den sozialen Tugenden unwesentlich hingestellt." So behauptet das folgende Epigramm, die σωφροσύνη berin lebe außerhalb des Grabes weiter (CEG 2, 479)?!

der Grabinha-

237 Der Gedanke an sich begegnet schon bei Homer (z. B. 7/. 6, 146-149; 12, 326f.), von einem κοινὸς νόμος spricht in anderem Zusammenhang Platon, Leg. 645 a 2, 885 a 7, vgl. auch

die Definition des νόμος in Leg. 644 d 3. 238 Attika, ca. 360? - Daß es sich nicht um ein misogynes Klischee handelt, zeigt (ΕΟ 2, 532,

V. 3, wo dasselbe von einem Mann gesagt wird: ob σπάνις ἀνδρὶ τυχὲν. 239 Diesen besonderen Zug des Grabepigramms im 4. Jahrhundert, der der Gedankenwelt der Tragödie nahezustehen scheint, betont schon PEEK 1960, S. 31f.: „Der innere Wert eines

Menschen wird abgesetzt vom äußeren Schein“. Das Thema wird bereits bei Aischylos in den Sieben gegen

Theben (s. o. S. 40) behandelt.

Als weiteres Indiz für diese Verinner-

lichung kann gelten, daB Epigramme nun anstelle von στήλη, οἶκος ófter das abstraktere y) oder τάφος verwenden (etwa zehnmal so häufig). Geradezu inflationär werden die Epitheta χρηστός, ἐσϑλός, ἀγαϑός und σώφρων eingesetzt. 240 Der Gedanke, daß das Grab nur den Leib verbirgt, zeigt sich oft in der Verwendung von Verben wie κατακαλύπτειν (CEG 2, 571, 611), κατακρύπτειν (CEG 2, 479), κεύϑειν (CEG 2, 475, 685, 709, 716, 737, 739) und κρύπτειν, das in CEG 2 dreizehnmal belegt ist.

In einen Gegensatz dazu werden dann 'unsichtbare' Tugenden des Verstorbenen gesetzt.

241 Attika, Anfang des 4. Jh.s? /G I7, 13071 lesen in V. 2 (am Ende der 2. Zeile): o[b]. Zur Interpretation vgl. auch A. STECHER / G. PFOHL, Das Grabepigramm für Chrysanthe, Serta Philologica Aenipontana 2, Innsbruck 1972 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft

17), S. 13-20.

92

Das griechische Epigramm und seine Leser σῶμα μὲν ἐντὸς γῆ κατέχει, τὴν σωφροσύνην δέ, Χρυσάνϑη, τὴν σὴν ὁ [κατέκρυψε τάφος.

Den Körper hält die Erde im Innern, deine Besonnenheit aber, Chrysanthe, hat dieses Grab nicht verborgen. Ein anderes Grabgedicht greift auf von Pindar und Euripides bekanntes Ge-

dankengut zurück und philosophiert über die Seele (CEG 2, 535):7^ Εὐρυμάχου ψυχὴν | kai ὑπερφιάλος διαν)οίας αἰϑῆρ ὑγρὸς ἔχει, σῶμα δὲ τύνβος | ὁδε.

Die Seele des Eurymachos und das hochfliegende Denken hat der bewegliche

Ather, den Körper aber dieses Grab hier. Pindar (Nem. 8, 40ff. SNELL / MAEHLER) berichtet über Megas, den verstorbe-

nen Vater seines Auftraggebers Deinias aus Aigina, daß er im Kreis der σοφοί und δίκαιοι zum „beweglichen Äther“ gelangt sei. Um die Tugend des Gerechtigkeits-

sinnes geht es auch in CEG 2, 549," in dem ein Denkmal als Symbol dieser menschlichen Qualität präsentiert wird: σῶμα μὲν ἐνθάδ᾽ ἔχει σόν, Δίφιλε, γαῖα Savóvtolc]. | μνῆμα δὲ σῆς ἔλιπες πᾶσι δικαιοσύνης. Deinen Körper zwar, Diphilos, hat hier nach deinem Tod Erinnerung an deine Gerechtigkeit aber hast du allen hinterlassen.

die

Erde,

Hier werden die Begriffe ‘Körper’ und ‘Erde’ auf der einen Seite, ‘Denkmal’ oder ‘Erinnerung’ — der Autor spielt mit dem Doppelsinn von μνῆμα — und "Gerechtigkeit" auf der anderen Seite einander zugeordnet, und dies im Sinne einer wertenden Klimax, die auf δικαιοσύνης zuläuft. Erinnerung an die Gerechtigkeit „bei allen" meint eine unauslöschliche Erinnerung.

Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Motiv. Der Gegensatz zwischen sterblichem Leib und ἀϑάνατον μνῆμα ist wohl schon seit dem Polyandrion für die 432 v. Chr. bei Poteidaia gefallenen Athener geläufig.”* Während die Erinnerung dort aber noch an das Denkmal gekoppelt wird, verselbständigt sich in dem 242 Piräus, vor ca. 3507, vgl. Eur. Suppl. 531}. (424 v. Chr.), Fr. 839, 8ff. NAUCK; s. auch Epi-

charm Fr. 245 KAIBEL. αἰϑὴρ ὑγρός begegnet ebenfalls bei Euripides (/on 796) und auch schon bei Pindar Nem. 8, 41f. SNELL / MAEHLER. Das direkte Vorbild allerdings ist wohl das Epigramm auf dem Polyandrion für die bei Poteidaia im Jahr 432 v. Chr. gefallenen Athener

(CEG 1, 10 = /G P), 1179 [GV 20; GG 12], V. 6: αἰϑὲρ μὲμ φσυχὰς ὑπεδέχσατο σόμ[ατα δὲ y3óv]). 243 Piráus, ca. 244 (ΕΟ I, 10 schläge für mulierung

350? = /G T), 1179, vgl. auch die von PEEK, GV 20 dokumentierten ErgänzungsvorV. I, die von HANSEN nicht wiederholt wurden. Eine nochmals abweichende Forbietet PEEK, GG 12, V. 1: ἀϑάνατόν pe Sa[vooo1 πολῖται μνῆμ᾽ ἐπέϑηκαν),

zum Motivischen vgl. PEEK, GG, S. 23f. und S. 294f., ἀϑάνατα μνημεῖα werden auch in CEG 2, 721 erwáhnt.

im 5. und 4. Jahrhundert

93

fast 100 Jahre jüngeren Epigramm auf die Gefallenen von Chaironeia die Kunde

mit Hilfe eines göttlichen Boten (CEG 2, 467)7^

[ὦ Χρόν]ε, παντοίων ϑνητοίϊς πανεπίσκοπε dalnov], [ἀγγελ]ος ἡμετέρων πᾶσίι γενοῦ παϑέων)], | [ὡς ἱερὰν σώιζειν nel [ρώμενοι Ἑλλάδα χώρ(α)ν] |

[Βοιωτῶν κλεινοῖς ϑνήισκομεν ἐν δαπέδοις]. O Zeit, über jegliches bei den Sterblichen wachender Daimon, werde allen ein Bote über unsere Leiden, daß wir bei dem Versuch, das heilige Griechenland

zu retten, auf dem ruhmreichen Boden der Böoter gestorben sind.^*

Die Sprecher des Gedichts, das offensichtlich mit Anklängen an das berühmte,

Simonides zugeschriebene Thermopylen-Epigramm/"' arbeitet, wenden sich anders als in dem Vorbild nicht an den ‘Wanderer’ als Leser und Boten (ὦ ξεῖν᾽, ayyeıλον Λακεδαιμονίοις ...). Der ‘Chor’ der Gefallenen abstrahiert von der konkre-

ten Lesesituation und stellt sich die personifizierte und vergóttlichte ‘Zeit’ als überregionale Verbreiterin der Kunde vor, die nicht allein in eine Stadt, sondern zu allen Menschen - also auch zu allen mit Athen gegen Philipp Verbündeten - gelangen soll (ἄγγελος πᾶσι yévou?5). Da sich das Monument in Athen und nicht am Ort des erzählten Geschehens befindet, kann eine deiktische Formel wie κείμεθα

τῇδε keine Verwendung finden. An ihrer Stelle wird der Ort der eigentlichen Bestattung namentlich genannt (Βοιωτῶν ... £v δαπέδοις). Kein 'universaler Leser', die góttliche Personifikation der Zeit soll die fiktive

Rolle des Boten übernehmen. Sie wacht über alle menschlichen Dinge^" und damit

auch über Erzáhlungen und Nachrichten, die ihren Weg in alle Gegenden Griechenlands nehmen. Der implizite Adressat dieses Epigramms ist also ein vom Ort der

sprechenden Stimme ráumlich und zeitlich entfernt gedachter. Die Figur des Botengottes ‘Zeit’ gibt zugleich dem idealen Leser Gestalt, der den Text gleich einem pindarischen Siegeslied über ráumliche und zeitliche Grenzen hinweg weitertrágt.

245 Athen, Olympieion, 338 v. Chr. = Anth. Pal. 7, 245 (hiernach die Ergänzungen); móglicherweise waren noch andere Epigramme auf dem zerstórten Monument, vgl. CEG 2, S. 2f.

246 Das Präsens ϑνήσκομεν macht deutlich, daß die Handlung zwar der Vergangenheit angehört, jedoch in die Gegenwart des Sprechers hineinwirkt. Die präsentische Form von ϑνήσκειν begegnet auch in anderen Epigrammen des 4. Jh., wenngleich seltener als das

Imperfekt; zur Bedeutung (‘gestorben sein’) vgl. R. KOHNER / B. GERTH, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache Bd. 2, 1, S. 135-137. 247 'Simonides' 21 FGE, S. 225f., zitiert bei Hdt. 7, 228, 2 (ἀγγέλειν) und Lykurg 109 (üyyeıAov), der als Begründung für die Aufstellung angibt, alle Griechen hätten es als Zeugnis sehen sollen. 248 ἄγγελον: (ΕΟ 2, 853; ἀγγέλλειν: (ΕΟ 2, 591, 1353; Mitte 5. Jh. v. Chr.), V. 9 gibt es dagegen Aida κατέβα πᾶσιν μακαριστὸς ἰδέσϑαι. 249 ἐπίσκοπος heißt Pallas Athene als Schutzgöttin Aristoph. Equ. 1172f., aber auch andere Götter

V. 4; 815; 823. In CEG 1, 83 (= IG T, universellen Ruhm in der Unterwelt: ἐς Athens bei Solon, Fr. 4, 3f. WEST, vgl. haben diese mit ἐπίσκοπος bezeichnete

Wächterfunktion über bestimmte Bereiche, so z. B. die Chariten bei Pindar Οἱ, 14, 4 SuELL/ MAEHLER oder Zeus bei Aischyl. Supp. 381ff.

94

Das griechische Epigramm und seine Leser

In privaten Denkmälern des 4. Jahrhunderts wird häufig explizit an das allgemein-menschliche Empfinden appelliert, so auch in dem Epigramm auf der Stele

der Hegilla (CEG 2, 590):?”° ἡλικίαμ μὲν ἐμὴν ταύτην δεῖ πάντας ἀκοῦσαι" εἰκοστῶι kai πέμπτωι ἔτει λίπον ἡλίου αὐγάς. |

τοὺς δὲ τρόπους καὶ σωφροσύνην ἣν εἴχομεν ἡμεῖς ἡμέτερος πόσις οἷδεν ἀριστ᾽ εἰπεῖν περὶ τούτων. Dieses mein Alter sollen alle hören: Im fünfundzwanzigsten Jahr verließ ich die Strahlen der Sonne. Welchen Charakter und welche Klugheit ich besaß, darüber weiß mein Gatte am besten zu sprechen. Nicht der zufällige Leser wird angeredet, sondern die größtmögliche Gruppe von Menschen (dei πάντας ἀκοῦσαι). Oft betonen Epigramme das Leid der Angehörigen oder Mitbürger (λείπω πᾶσι ... nev9oc);” hier wird der Gatte der Verstorbenen als Zeuge für deren bewunderungswürdigen Charakter und vom Tode Mitbetroffener genannt. Dies ist insofern interessant, als die Rede der toten Hegilla sich auf eine weitere Autorität stützt, um ihre Behauptung glaubhaft zu machen. Der Verweis auf einen Zeugen, wenn es um die charakterlichen τρόποι geht,

ist den attischen Bürgern von Gerichts- und Prüfungsverfahren her vertraut.”

Das Zeugen-Motiv benutzt auch der Verfasser einer anderen (heute verlore-

nen) attischen Stele (CEG 2, 623):””

μάρτυ(ρε)ς ἠέλιος καὶ μήτηρ ἠδὲ πατὴρ σός,

Πανταλέων, τῆς σῆς εὐκολίας β[ιότ])ωι.

Zeugen sind die Sonne, deine Mutter und dein Vater, Pantaleon, für deine Anständigkeit im Leben.

Das Motiv der mündlichen Kunde (ἀγγελία) und das Anrufen von Autoritäten als Zeugen belegen einen Wandel im Adressatenkreis der Epigrammtexte. Der Sprecher wendet sich in seiner Vorstellung nicht mehr an den unmittelbar vor Ort stehenden Leser, um ihm das Denkmal zu erläutern. Er bezieht sich, bisweilen schon unabhängig vom konkreten Trauerritus, auf die rationalen und emotionalen Erwartungen des Rezipienten vor dem allgemeinen Wertehorizont seiner Zeit. Allgemein-menschliche Erfahrungen und die Bezugnahme auf die politische oder 250

Athen. ca. 350-325; vgl. noch CEG 2, 732.

251 CEG 2, 574 (Eleusis; nach ca. 350?); vgl. CEG 2, 527 u.a. 252 Man kónnte hier und bei anderen Epigrammen besonders an die Dokimasieverfahren den-

ken, bei denen es nach J. BLEICKEN, Die athenische Demokratie. Paderborn 1994, S. 273f. um das ganze Leben, die ganze Person des Prüflings ging, ohne daß zwischen privatem und

öffentlichem Bereich getrennt wurde, vgl. Lys. 16, 9: £v δὲ ταῖς δοκιμασίαις δίκαιον εἶναι παντὸς too βίου λόγον διδόναι, Der apologetische Logos des Angeklagten beginnt dort mit seinem korrekten Verhalten anderen Familienmitgliedern gegenüber. 253

Piräus, 4. Jh.?; zur Wortwahl vgl. den Gebrauch von naptupeo in CEG 2, 882 (Istrien, Anfang des 4. Jh.s?) und von μάρτυς in CEG 2, 627, 798. Die Richtung paßt zu der Deutung des Thermopylen-Epigramms durch Lykurg als μαρτύριον. s. oben S. 93 Anm. 247.

im 5. und 4. Jahrhundert

95

soziale Gruppe, im 4. Jahrhundert besonders auf die Familie, gehören zu den wichtigsten Themen des Epigrammdichters. Der Leser wiederum erwartet nunmehr

auch die Darstellung und Vermittlung bestimmter Stimmungsqualitäten. Die Trauer der Hinterbliebenen, von der zahlreiche Grabepigramme sprechen, ermöglicht dem Rezipienten

das

Nacherleben

der

vielleicht

aus

eigener

Erfahrung

bekannten

Gefühle beim Betrachten des Denkmals. Insofern sind auch scheinbar private Grabgedichte auf die Gemeinschaft bezogen. Der Horizont der Leser umfaßt neben den Wertvorstellungen der Gemeinschaft auch das Wissen über Konventionen kommunikativen Verhaltens in der zeitgenössischen Öffentlichkeit, insbesondere über die Gattungen und Formen der

Rede über eine Person. Zu der Bildung in rebus politicis kommt in zunehmendem Maße auch die Kenntnis literarisch-philosophischen Gedankenguts hinzu. Dabei geht vielleicht der größte Einfluß von den in ähnlicher Weise öffentlich wirksamen Gattungen wie Trauerrede und Drama aus, die den Zusammenhang von Einzelschicksal und politisch-sozialer Gemeinschaft thematisieren.

96

Das griechische Epigramm und seine Leser

5. STEINEPIGRAMM UND BUCHEPIGRAMM 5.1. Die Entstehung des Buchepigramms

Die literarische Überlieferung von Grab-, Weih- und Liebesepigrammen in eigens angelegten Sammlungen

beginnt, von wenigen Ausnahmen

abgesehen,

mit

dem Werk der ersten namentlich bekannten Verfasser von Epigrammbüchern seit

dem Ende des 4. Jahrhunderts.“ Da sich die Gedichte dieser Epigrammatiker ganz offensichtlich auf die Tradition der für den Stein komponierten Versinschriften be-

ziehen, hat sich die Frage nach dem Verhältnis von Stein- und Buchepigramm geradezu von selbst aufgedrángt. Erst in jüngerer Zeit ist man dabei aber von der Frage, ob ein Epigramm 'fiktiv' ist, zu einer Untersuchung der Rolle des Lesers und

der Rezeptionsgewohnheiten des Publikums im 4. und 3. Jahrhundert gekommen. Der Übergang einer für die mündliche Aufführung konzipierten Literaturform

zur Lesedichtung ist mit am besten für die griechische Tragódie bezeugt. Hier war das große öffentliche Interesse der Polis Anlaß

für die Zusammenführung

der

Texte in einer maßgeblichen Ausgabe." Eine bekannte Aristophanesstelle belegt

jedoch, daß die Tragikertexte schon früher, vermutlich in Einzelausgaben, nach ihrer Inszenierung auch privat gelesen wurden. Sie galten, wie später Aristoteles bezeugt, auch in Buchform als rezipierbar und sind somit ein frühes Beispiel einer Lesedichtung, wenngleich das Lesen gegenüber der Aufführung die sekundäre Art

und Weise der Rezeption blieb." Die offensichtlich auch bei Lesern und Vorlesern

beliebte dramatische Form wird, wie etwa Herondas oder Theokrit bezeugen, ohne

weiteres in die Buchdichtung integriert. Die Inszenierung mündlicher Sprechakte für den Buchkontext steht dem Lesevergnügen also offensichtlich nicht entgegen. Wie aber soll man sich den Prozeß vorstellen, in dem aus einer größtenteils

privaten, teilweise wenig anspruchsvollen Dichtungsform wie der Versinschrift die Literaturgattung wurde, die REITZENSTEIN als das Buchepigramm definiert: „Ich verstehe darunter ein im wesentlichen für das Buch, bezw. für den Vortrag (denn beides ist in álterer Zeit oft noch verbunden) bestimmtes und für 254 REITZENSTEIN 1907, Sp. 84-94, WiLAMOWITZ 1924, 1, S. 128f., SEELBACH 1988, S. 163174, CAMERON 1993, S. 2f., GUTZWILLER 1998, S. 52f., ARGENTIERI 1998. 255 Zum sogenannten 'Staatsexemplar' vgl. R. PFEIFFER, Geschichte der Klassischen Philologie. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, München ?1978, S. 109; E. POHLMANN,

Einführung in die Überlieferungsgeschichte und in die Textkritik der antiken Literatur, Bd. 1: Altertum, Darmstadt 1994, S. 24f. 256 Der aristophanische Dionysos (Ran. 52ff.) liest zu seiner Unterhaltung die Andromeda des Euripides. Zu Lesetexten s. ferner Aristot. Rhet. 1413 b 11ff. und die ausführliche Diskus-

sion bei O. ZWIERLEIN, Die Rezitationsdramen Senecas. Mit einem kritisch-exegetischen Anhang, Meisenheim 1966 (Beiträge zur Klassischen Philologie 20), bes. S. 138-146; U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Euripides, Herakles. Bd. 1: Einleitung in die griechische Tragödie [1895], Darmstadt 1959, S. 121-220 (Kap. III: Die Geschichte des Tragikertextes);

POHLMANN 1994, S. 23-25; ZIMMERMANN 1992, S. 133ff.

Steinepigramm und Buchepigramm

97

ihn vollauf genügendes Gedicht. Ob es daneben auch einmal auf Stein ge-

schrieben und für einen bestimmten Anlaß gedichtet war, oder ob die in ihm erwähnten Persönlichkeiten gelebt haben, ist nicht entscheidend, wird sich

übrigens auch in vielen Fällen unserer Beurteilung entzichen.*?"

Die qualitativen Voraussetzungen für die Aufnahme in eine Papyrusrolle, die eine von Zeit und Ort unabhängige Lektüre ermöglichte, mußte das Epigramm im

Unterschied zum Drama allerdings erst noch erwerben. Die Kriterien für die - um diese Qualität mit einem Begriff zu bezeichnen - Literarität, die REITZENSTEI in

diesem Zusammenhang nennt, sind die Zulässigkeit eines fiktiven Rahmens und eine gewisse Geschlossenheit der künstlerischen Form.?”® Das Epigramm wird so der Elegie oder dem sympotischen Lied gleichwertig, ja es kann sogar an die Stelle der alten Gelagedichtung treten.

Die Epigrammforschung bemüht sich seit langem, die praktischen Ursachen und theoretischen Móglichkeiten für die Literarisierung der Steingedichte gerade im 5/4. Jahrhundert zu klären.””” Bedingung für die Aufnahme eines Gedichtes in ein Buch ist zuerst, daß man es als ein erhaltens- und lesenswertes Kunstwerk emp-

findet.” Begünstigt wird diese Aufwertung des Epigramms dadurch, daß die inschriftlichen Gedichte des 5. Jahrhunderts, insbesondere die öffentlichkeitswirksamen Staatsgräber, Verbindungen zur threnodischen Elegie und zur Tragödie auf-

weisen.” Das irgendwann im 5. Jahrhundert gleichsam kanonisch gewordene Distichon ermöglicht die Geschlossenheit der Form, die behandelten philosophischen Themen sprechen, wie im letzten Abschnitt gezeigt, ein weiteres Publikum an. So bedingen sich der gestiegene Anspruch der politisch und literarisch gebildeten Le-

ser und die wachsende öffentliche und private Bedeutung der Epigrammdichter gegenseitig und führen schlieBlich zu einer hóheren Wertschátzung der Versinschrift. Für die Anerkennung des Epigramms als eines Kunstwerkes ist die Zuschrei-

bung an einen nach Möglichkeit namhaften Dichter von großem Vorteil??? Die erste, vielleicht für spátere Sammler vorbildhafte Zuweisung eines Steinepigramms an einen Dichter, Simonides von Keos, ergibt sich wiederum aus der Begegnung des Epigramms mit der ‘großen’ Literatur. So zeigen zuerst die Historiker ein Interesse am Genos der Inschriften und an ihren Verfassern. Herodot erwähnt, daß ein bekanntes Epigramm auf einem historischen Monument von dem keischen Ele-

257 REITZENSTEIN 1907, Sp. 81. 258 LAUSBERG 1982, S. 91-95. 259 REITZENSTEIN 1893, S. 104, 121 und DERs. 1907, Sp. 79-81; LAUSBERG 1982, S. 96: SEELBACH 1988, S. 158f., CAMERON 1993, S. 1-3. Das Phänomen der Literarisierung wird von ZIMMERMANN 1992, S. 137 als ein Prozeß beschrieben, in dessen Verlauf die soziale (im

Falle des Dithyrambos sogar institutionalisierte) Funktion von Dichtung durch die Reflexion der Dichter über die Móglichkeiten der Gattung ersetzt wird. Das soll nicht bedeuten, daf) das archaische Epigramm noch keine Literatur war. vgl. dazu die Bemerkungen bei LAUSBERG 1982, S. 96 und bes. Anm. 4 auf S. 530. 260 WEST 1974, S. 19f.; LAUSBERG 1982, S. 96; GUTZWILLER 1998, S. 3-6, 52.

261 PEEK 1960, S. 31; CAssio 1994, S. 110ff. 262 REITZENSTEIN 1907, Sp. 80f.; WEST 1974, S. 20.

einleuchtenden

98

Das griechische Epigramm und seine Leser

giker stamme.’“” Im 5. Jahrhundert blieb die Anonymität der Verfasser jedoch die Regel, und auch bei Herodot wird nicht deutlich, woher er seine Nachricht über die Verfasserschaft bezieht."^* Die nichtliterarische Überlieferung der Steinepigramme

kennt einen Autornamen jedoch erst gegen 400 v. Chr."

Weitere frühe Spuren eines proto-wissenschaftlichen Interesses an Steinepi-

grammen finden sich in der Folge bei Platon und bei den Rednern, die berühmte oder durch ihren zentralen Aufstellungsort bekannte Beispiele" in ihrer jeweiligen eigenen Argumentation als Autoritäten heranziehen. Der Rhetor Aischines hat

möglicherweise als einer der ersten eine Epigrammsammlung besessen." Ob dies aber schon Sammlungen im engeren Sinne waren, antiquarische Kompilationen, die

nicht primár der rhetorischen oder schriftstellerischen Vorarbeit dienten, sondern dem Erhalt des überlieferten Materials um seiner selbst willen, muß eher fraglich bleiben. Ein solches Interesse am sprachlichen Kunstwerk und die dadurch motivierten Sammlertátigkeiten sind ansonsten eher erst für die aristotelische Zeit bezeugt.' So scheint auch das Sammeln und literarische Bearbeiten von Steinepigrammen entgegen früheren Annahmen?” erst ab der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts denkbar. 263

Herodot (7, 228, 3 = "'Simonides' 6 FGE = Ep. 94 BERGK) zitiert ein Epigramm des Simonides auf den Seher Megistias; hierzu H. T. WADE-GERY, Classical Epigramms and Epitaphs.

A Study of the Kimonian Age, JHS 53, 1933. S. 71-104, hier S. 73 und PAGE FGE. S. 120, 195f., CAMERON 1993, If. Zwischen Herodot und Meleagros gibt es dann nur noch zwei direkte Belege für Zuschreibungen von Epigrammen an Simonides, bei Aristot. Rhet. 1367 b 19 und bei Aristophanes von Byzanz (überliefert bei Eustathios, Comm. ad Od. 14,

350), vgl. PAGE FGE, S. 122. 264 Hdt. 7, 228, 4: ἐπιγράμμασι μέν vov καὶ στήλῃσι, ἔξω ἢ τὸ τοῦ μάντιος ἐπίγραμμα, ᾿Αμφικτύονές εἰσί σφεας οἱ ἐπικοσμήσαντες᾽ τὸ δὲ τοῦ μάντιος Μεγιστίεω Σιμονίδης

ὁ Λεωπρέπεός ἐστι κατὰ ξεινίην ὁ ἐπιγράψας. Es gibt jedoch keinen Grund, die Zuweisung an den keischen Dichter zu bezweifeln. Die beiden anderen Epigramme werden erst

später Simonides zugeschrieben, s. LAUSBERG 1982, S. 126. Nach WEST 19850. S. 289 wa265

ren diese Gedichte schon vor Herodot Teile der ‘oral tradition’ über die Perserkriege. In CEG 2. 819 (Lakonien, kurz nach 405; s. WEST 1974, S. 20 Anm. 30; GUTZWILLER 1998,

S. 48), V. 5 und 13 nennt sich ein [on von Samos als Verfasser. Sein Gedicht bezeichnet er als ἐλεγεῖον. vgl. auch (nur wenig jünger): CEG 2, 700 (MERKELBACH / STAUBER 01/01/97; Knidos), V. 3: CEG 2, 889 (Letoon bei Xanthos), V. 8. BERNAND 1969, Nr. 35 (GV 1150, GG 164; Apollonopolis Magna. 2. Jh. v. Chr.) bietet am Ende die Signatur: Ἡρώδης éypawtv. Ion dagegen beschreibt seine Tätigkeit mit τεύχειν (V. 13: τεῦξε), das in CEG 2. 548,

V. 9: μνημεῖον φιλίας τεῦξε váq[ov «- -- ] der Erbauer des Denkmals benutzt. 266 Zu Epigrammen bei Demosthenes und Aischines (z. B. 3, 184) vgl. WADE-GERY 1933, S. 88-95; zu den Epigrammen bei Platon s. o. S. 46, 69 Anm. 169: GUTZWILLER 1998, S. 47f.

267 WADE-GERY 1933, S. 94, 268 PFEIFFER

1978, S. 111f£.; die Sprachforschungen der Sophisten verfolgten immer einen be-

stimmten Zweck, PFEIFFER a. a. O. S. 67. 269 Nach J. GEFFCKEN / G. HERBIG,. Νάξος, Glotta 9, 1918. S. 97-109, hier S. 100 gab es ein Epigrammbuch schon vor Platon, ähnlich schon WEBER 1917, S. 540; WADE-GERY 1933, S. 94 und S. 80 Anm. 35; GEFFCKEN 1917, S. 35 spricht von Epigrammsammlungen in Büchern zu Beginn des 4. Jh. und von vorplatonischen, in Büchern niedergelegten Epigrammen. — Philochoros, ein Atthidograph (Mitte 4.-Mitte 3. Jh., vgl. PFEIFFER 1978, S. 188f.,

Anm.

177), soll ᾿Αττικὰ ἐπιγράμματα kompiliert haben, jedoch , primarily political than

Steinepigramm und Buchepigramm

99

Nicht nur bei der Zuschreibung von Epigrammen an bekannte Namen, sondern

auch bei der Erstellung erster Sammlungen hat man immer wieder Simonides eine

zentrale Rolle zugewiesen.?” Verschiedene Indizien ließen ihn als πρῶτος εὑρετής des Epigrammbuchs geeignet erscheinen: die Erwähnung seiner Autorschaft eines Steingedichtes bei Herodot (7, 228, 3f.) und sein mehr legendenhafter Ruf als Auf-

tragsdichter von Epitaphien und als Gedächtniskünstler.”’' Die Quellenlage gestattet jedoch nicht mehr als Vermutungen über seine tatsächliche Bedeutung: Das ein-

zige, indirekte Zeugnis für die Herstellung eines Epigrammbuchs oder gar eigens zu diesem Zweck verfafiter Buchepigramme durch Simonides stellt die Überlieferung zahlreicher ihm zugewiesener Epigramme in der Anthologia Palatina dar, deren Echtheit in vielen Fällen wohl zu Recht angezweifelt wird." Die Rolle des Simonides als eines Vorläufers der Epigrammatiker des frühen 3. Jahrhunderts kann

also aufgrund dieser schwierigen Überlieferungslage nicht völlig geklärt werden. Entscheidend ist aber wohl gewesen, daß er als erster, durch seine Leistungen in den bereits etablierten Gattungen bekannter Dichter auch im inschriftlichen Genos

größere Bedeutung erlangte, selbst wenn er kein eigenes Buch herausgegeben haben sollte. Am weitesten ist in dieser

Frage PAGE gegangen:

„Ihere is no evidence that any particular author's epigrams were collected

and published before the Hellenistic period; and Simonides is no exception to the rule.‘

Denkbar ist natürlich, daß es private Sammlungen berühmter Inschriften gab,

die ohne einen Verfassernamen zirkulierten, oder daB Epigramme mit anderen elegischen Gedichten zusammen publiziert wurden. Was die Form dieser Sammlungen

literary" (CAMERON

1993, δ. 5). Zu den Kompilationen des 4. und 3. Jh. siehe auch KRE-

VANS 1984, S. 3f., 57f.; ARGENTIERI 1998, der hier von 'Syllogai' spricht. 270 So besonders bei M. Boas, De epigrammatis Simonideis, Diss. Phil. Amsterdam 1905, der eine Sammlung am Ende des 4. Jh. annimmt, in der berühmte Epigramme dem Simonides zugesprochen wurden, dazu CAMERON 1993, S. If., PAGE FGE, S. 120; SCHMID / STÄHLIN I,

1, 1929, S. 510f. Anm. 10; WiLAMOWITZ 1913, S. 2116: GENTILI 1968, S. 41f.; GurzWILLER 1998, S. 50-53. Die Urteile über die Echtheit der simonideischen Epigramme kónnen aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als endgültig betrachtet werden, vgl. CAssio

1994, S. 108 und 116. — Zur Überlieferung der griechischen Elegiker im 4. Jh. s. WILAMOWITZ. 1900, S. 14f.; POHLMANN

1994, S. 13f. - Zu Dichtung und Leben des Simonides vgl.

auch WEST 1974, S. 20f.; ZIMMERMANN 1992, S. 113f. und J. H. MOLYNEUX, Simonides. A historical study, Wauconda / Illinois 1992.

271 H. FRANKEL, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts, München 71962, S.

494 und Anm. 16; S. GOLDMANN, Statt Totenklage Gedächtnis, Poetica 21, 1989, S. 43-66; zur Bekanntheit des Simonides ScHMID / STAHLIN I, I, 1929, S. 522f. 272 Zur 'simonideischen Frage’ vgl. besonders Boas 1905, der etliche Gedichte für hellenistisch hält und

mit dem

Simonides-Imitatoren

Mnasalkes

in Verbindung

bringt;

dazu

WiLA-

MOWITZ 1913, S. 204-206; 211; in neuerer Zeit PAGE FGE, S. 119-123. 273 PAGE FGE, S. 120; ähnlich GuTzwiLLER 1998, S. 5. Wenn CAMERON 1995, S. 87 mit seiner Interpretation des Antimachosfragments recht hat, so wäre ein Elegienbuch am Ende des 5. Jh. sicher bezeugt.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

angeht, ist man jedoch auf Spekulationen angewiesen,‘ und es ist möglich, daß noch Platon Gedichte wie das Midas-Epigramm aus dem Kopf zitierte. Auf etwas sichererem Boden bewegen wir uns tatsächlich erst mit den ersten für namentlich bekannte Autoren bezeugten Epigrammbüchern der Zeit um 400 v. Chr. Es läßt sich daher auch nicht entscheiden, ob berühmte Dichter, die den Auftrag für ein Monument erhielten, oder die von den Steinen inspirierten Sammler letzten Endes als ‘Erfinder’ des Buchepigramms betrachtet werden dürfen. REIT-

ZENSTEIN

1893 und WEBER

1917 haben hierzu ein modellhaftes Szenario ent-

wickelt, das an die Sammlertätigkeit des Herodot, mehr aber noch an die jüngeren ,chasseurs d’inscriptions“”’° erinnert. Zuerst seien Sammler umhergezogen und hätten die überlieferten Gedichte vom Stein abgeschrieben; diese seien dann für höhere Ansprüche überarbeitet und durch die Tradierung verändert und verfeinert worden. Schließlich habe man dann die so bekannt gewordene Gattung des Epigramms in eigens hergestellten Büchern künstlich nachgeahmt, weshalb das Buchepigramm einerseits eine direkte historische Fortentwicklung aus der Steininschrift darstelle, von der es daher auch formal abhängig sei, andererseits aber nur Mimesis

einer ‘realen’ Gattung."^ Nach diesem Modell einer Gattungsentstehung durch

Mimesis wären die später sogenannten 'epideiktischen'?" Epigramme, die sich von der Intention einer Nachahmung des Steinepigramms explizit absetzen, gewissermaßen τρίτον ἀπὸ τῆς ἀληϑείας gegenüber den Steininschriften. Das an verschiedenen Varianten literarisch überlieferter Epigramme entwickelte Modell hat einen wichtigen Grundgedanken in der Erforschung der Epigrammgeschichte etabliert. Die Entstehung des hellenistischen Buchepigramms ist bedingt durch die Loslósung des Steinepigramms aus seinem festen, 'lokostatischen' Kontext, durch seine Emanzipation vom Stein und die Fáhigkeit, auch ande-

re Gedanken als die Kunde von Ehre und Tod aufzunehmen. Sein Eindringen in die mündliche Rezitationskultur des Symposions schließlich bedeutete eine Art der Institutionalisierung des Epigramms in intellektuellen Kreisen, von der ein direkter

Weg zur Buchproduktion führte."

Die Einführung eines generellen Kriteriums für Stein- oder Buchdichtung hat

sich indes bislang nicht bewáhrt.^? Das immer wieder als 'buchtypisch' angeführte 274 WILAMOWITZ 1913, S. 210f. vermutet etwa für eine Edition des Simonides eine áhnliche Form wie die der Theognidea, zu beiden Sammlungen vgl. jetzt auch GUTZWILLER 1998, S. 5f.

275 LAURENS 1989, S. 34 bezeichnet so Philochoros, Polemon (dieser trug den Spitznamen otnAokónag, PFEIFFER 1978, S. 34; CAMERON 1993, S. 5) und Pausanias. Der ebenfalls zitierte Cicero (Tusc. 5, 23), der mit ein paar Versen im Kopf das Grab des Archimedes bei Syrakus fand, scheint das Epigramm aber nicht abgeschrieben zu haben. 276 Eine Schwierigkeit dieses aus Beobachtungen an verschiedenen Varianten eines literarisch überlieferten Epigramms erschlossenen Modells liegt jedoch darin, daß Überarbeitung und Variation auch in rein fiktiven Buchepigrammen möglich scheinen. 277 eig ἐπίδειξιν, Anth. Pal. 11,312, V. 5, ca. 60 n. Chr.; REITZENSTEIN 1907, Sp. 94f. 278 CAMERON 1995, S. 72, 76-85 im Rückgriff auf REITZENSTEIN 1893, vgl. GUTZWILLER 1998, S. Af. mit Anm. 12.

279 Vgl. CAMERON

1995, S. 180: „Commentators on the epitaphs preserved in the Anthology

like to debate which are ‘real’ and which 'literary', as though a distinction could be made on the basis of their form or tone alone.“ Für GUTZWILLER 1998, S. 7 besteht die „literariness“

Steinepigramm und Buchepigramm

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Merkmal der Fiktivität im Sinne einer nachgeahmten Wirklichkeit, oft mit Künst-

lichkeit gleichgesetzt, übersieht die Konvention der fiktiven Mündlichkeit im Steinepigramm, die sich dort schon aus der schriftlichen Inszenierung von Sprechakten entwickelt hat.^" In diesem Sinne hat bereits WILAMOWITZ vor der 'Künstlichkeit' mancher Steingedichte gewarnt, die sie vom Buchgedicht nicht mehr unterscheid-

bar machen.δ

Eine exakte ‘Geburtsstunde’ des Buchepigramms ist somit nicht mehr rekonstruierbar. Die äußeren Voraussetzungen für eine Literarisierung des Epigramms, die zu seiner ersten Blüte im späten 4. Jahrhundert führen, gehen vielfach schon auf das 5. Jahrhundert zurück. Der Einfluß von Elegie und Drama bringt eine neue Qualität öffentlicher und privater Epigramme hervor. Es gibt ein historisches oder

Juristisches Interesse am Zeugniswert von Inschriften, eine Erweiterung des literarischen Repertoires auf dem Symposion und nicht zuletzt den sich entwickelnden

Buchmarkt.^" Seit dem 4. Jahrhundert werden mehrere 'Konkurrenzgedichte' oder *Parallelepigramme' neben- oder untereinander auf einen Stein geschrieben, die vielleicht auch Teil der Familientradition waren. Literarische Blütenlese und die Erstellung von Sammelausgaben sind die Folge dieses allgemeinen Anstiegs der epi-

grammatischen Produktion."

5.2. Sprecherrollen und verba dicendi im inschriftlichen Epigramm des 4. und 3. Jh. Die bisherige Untersuchung der Appellstruktur der Steinepigramme hat ge-

zeigt, wie der Leser der Inschrift in die Inszenierung?“ des Sprechaktes mit einbezogen wird, sei es durch das deiktische Verweisen auf den Kontext, sei es durch die Einführung von Sprecherrollen für Gegenstände, Grabinhaber, anonyme Traudes Buchepigramms in der Art des Kontexts, der folglich für jedes einzelne Epigramm aus

Text und biographischer Überlieferung über den Verfasser zu rekonstruieren ist, vgl. ihre Definition von „context“ auf S. IXf. 280 Vgl. etwa die berechtigte Kritik von GUTZWILLER

1998, S. 115f. an der Verwechslung von

realem und nachgeahmtem Sprechakt bei REITZENSTEIN. 281

Nach WiLAMOWITZ

1913, S. 210f. ist ein Epigramm nicht fiktiv, wenn es eine sekundäre

Funktion erfüllt, so etwa als aus einem Grabepigramm abgeleitetes Kondolenzgedicht, vgl. DERS. 1924, 1, S. 120f. Für WILAMOWTTZ ist der Grad der Realitätsnähe entscheidend. Klärend LAUSBERO

1982, S. 96f. (Zitat S. 97): „Eine scharfe Trennung zwischen inschriftlichen

und literarischen Epigrammen ist demnach weder sinnvol] noch móglich. Literarisch überlieferte Epigramme inschriftlichen Typs können von vornherein als literarische Epigramme konzipiert sein, sie können aber auch zunächst für den Stein bestimmt gewesen sein und eben wegen ihrer auch für einen literarischen Leser interessanten Qualitäten in eine literari-

sche Sammlung übernommen sein". 282 S. z. B. PFEIFFER 1978, S. 50f. und POHLMANN 1994, S. 18f. 283 Vgl. etwa die Grundhaltung des Sokrates bei Xen. Mem. 1, 6, 14: καὶ τοὺς ϑησαυροὺς τῶν κάλαι σοφῶν ἀνδρῶν, οὖς ἐκεῖνοι κατέλιπον £v βιβλίοις γράψαντες ... διέρχομαι, dazu POHLMANN 1994, S. 13f. 284 W. H. RACE, How Greek Poems begin, in: F. M. Dunn / Th. Core (Hgg.), Beginnings in Classical Literature, Cambridge 1992, S. 13 spricht von einer ,, supposed scene".

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Das griechische Epigramm und seine Leser

ernde und Besucher des Denkmals. Letztere werden entweder in der Rolle des staunenden Betrachters oder aber — dies ist wohl die jüngere Variante - als aktiver Frager und Leser präsentiert. Die epigrammatische Eigenart des permanenten Zei-

gens, die Haltung der ἀπόδειξις wie in CEG 1, 84,755 äußert sich auch in den zahlreichen Verweisen auf die kommunikative Funktion von Stele und Epigramm, die mit Hilfe von verba dicendi formuliert werden. Veränderungen in der Inszenierung inschriftlicher Sprechakte, die ein neues Verhältnis zum Adressaten widerspiegeln,

finden sich sowohl in der Verwendung der Sprecherrollen als auch im Gebrauch dieser performativen Verben. Im folgenden sollen einige Varianten der Darstellung und Bezeichnung der Sprecher und ihrer Stimme betrachtet werden. Eine überraschende Abweichung von der Konvention der Leseradresse bietet

der Beginn eines bekannten Weihepigramms aus Astypalaia (CEG 2, 865). τῶι ξένωι εἰπέ, πολῖτα, τίς ἔκτισε γυμνάδα τάνδε |

κράναν τε ἀέναον δένδρεά τε ὑψίκομα, | ὄφρα καὶ ὁ ξεῖνος Δαμάτριον Ἱππία υἱὸν |

αἰνῆι ἐπ᾿ ἀλλοδαπῶν ἄστεα νισόμενος. | οὗτος γὰρ ταῦτα εἷσε ϑεοῖς ἤρωσί τε κόσμον | ἀϑλοφόρου τέχνας ἀντιδιδοὺς χάριτα. Sag dem Fremden, Bürger, wer dieses Gymnasion und die immerfließende Quelle und die hochbelaubten Bäume gestiftet hat, damit auch der Fremde Damatrios, den Sohn des Hippias, lobt, wenn er in andere Städte kommt. Denn dieser hat dieses den Göttern und Heroen als Schmuck gestiftet, Dank zurückerstattend für die kampfpreisernngende Kunst.

Die übliche Anrede an den einheimischen oder fremden Ankömmling vor dem Denkmal?®’ ist einer Aufforderung nur an einen Teil dieser potentiellen Besuchergruppe gewichen: Der eine Teil der Gruppe soll dem anderen berichten, damit dieser im 'Schneeballsystem' zur maximalen Verbreitung der Kunde motiviert wird. Die Bestellung eines Boten ist der Epigrammtradition angemessen, neu aber die

Adresse an den Politen als Vermittler. Der imaginäre Sprechakt wird also künstlich aufgespalten, die Übermittlung der Botschaft von der primären Kommunikationssituation vor der Inschrift losgelöst. Zugleich vermeidet der Epigrammdichter die

schwächere Logik der metaphorischen Ich-Rede des Denkmals, indem er einen Wissenden, den kundigen Bürger der Stadt, zum Sprecher bestimmt.

Blickt man auf die Verwendung von verba dicendi in Grab- und Weihepigrammen des 4. Jahrhunderts, kann man -- mit aller Vorsicht angesichts der forma-

len Vielfalt des archaischen und frühklassischen Epigramms -- eine gewisse Erweiterung des Repertoires feststellen. Die größte Gruppe wird nach wie vor von den Ausdrücken gebildet, die die Wortfelder ‘klagen’ und 'geloben' umschreiben. Daneben gibt es aber eine Vorliebe für Ausdrücke mit offiziellem Charakter wie 285

Attische Marmorstele, ca. 440—430 (Ὁ

P, 1315: 420-410), V.

1f: uvrua

Mvnoayöpac

xai Νικοχάρος τόδε κεῖται" / αὐτὼ δὲ οὐ πάρα δεῖξαι: ἀφέλετο δαίμονος αἶσα ... 286 Astypalaia, Ende 4. Jh. oder 3. Jh.? 287 Das konventionellere ὦ ξένε (z. B. CEG

Versanfang τῷ ξένῳ εἰπέ gedient.

2, 878, V. 6) hat vielleicht als Vorbild für den

Steinepigramm und Buchepigramm

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ἀγγέλλειν, ἀγορεύειν und κηρύσσειν.᾿ ἢ Die Wendung καρύσσει ... τρόπαια markiert in CEG 2, 632, Ν. 6 eine kurze direkte Rede des Siegesmals, die hier

durch diese Bezugnahme auf die Intention der Stifter offiziell autorisiert erscheint. Funktional Vergleichbares finden wir auch in privaten Epigrammen. So erscheint vor der in größeren Buchstaben verfaßten Namensinschrift auf der Grabstele des

Praxinos aus Aigina folgendes Epigramm (CEG 2, 532):”” [τόνο]μα μὲν τόὀμὸν καὶ ἐμὸ πατρὸς ἧδε Ayopeülei] | [στή]λη καὶ πάτραν᾽ πιστῶν δὲ ἔργων ἔνεκα ἐσχοίν] |

[Πίσ]τος ἐπωνυμίαν, οὗ σπάνις ἀνδρὶ τυχὲν. Meinen Namen und den meines Vaters verkündet diese Stele und meine Vaterstadt. Wegen treuer Taten hatte ich den Beinamen ‘der Treue‘, was selten einem Mann zuteil wird.

Das Epigramm erklärt den Beinamen des Verstorbenen, um so seine Tugend zu ehren. Im übrigen informiert es nicht eigentlich, sondern thematisiert, seinem Charakter als eine Einleitung entspechend, dem Leser schon Bekanntes: die Tatsache, daß die Stele die wichtigen Namen enthält. Die Einführung der Stele als einer

zweiten, mit ἀγορεύειν funktional spezifizierten Sprecherrolle,’” der dann die Verkündigung des Namens in den Mund gelegt wird, verleiht dem Sprechakt einen förmlichen, offiziösen Charakter. In einem gewissen Gegensatz zu diesen Formelvarianten offizieller Sprechakte

steht das Paradoxon der ‘sprechenden Steine’. So zeigt die Zweiteilung des Weihepigramms auf einer knidischen Hermenbasis (CEG 2, 861, jetzt: MERKELBACH / STAUBER Ol / 01 / 01, V. 1-3) den Unterschied zwischen dem fiktiven Sprecher und dem Stein als dem 'offiziellen' Tráger der Botschaft, zwischen metaphorischer

Stimme und praktischer Bedeutung der Inschrift: Ἐπὶ Νεοπολιτᾶν προστατᾶν ἀφικόμαν | Ἑρμᾶς ᾿Αφροδίται πάρεδρος ἀλλὰ χαίρετε. | οἵτινες δ᾽ οἱ προστάται, γραφὴ παροῦσα | σημανεῖ" : (Es folgen die 15 Namen der προστάτα!). Im Jahre der (unten genannten) Vorsteher der Neapoliten kam ich, Hermes. als Beisitzer für Aphrodite an. Seid also gegrüßt! Wer aber die Vorsteher waren, wird die hier angefügte Schrift anzeigen: ...

288 Zu ἀγγέλλειν und àyyeAoc s. oben Anm. 248; ἀγορεύειν: CEG 2, 532, 852; κηρύσσειν: CEG 2, 578, V. 11, 632, V. 6, 823, 827, V. 3; κήρυξ; CEG 2, 844, V. 8, 845.

289 Piräus, vor ca. 3507: zu ob σπάνις ἀνδρὶ τυχὲν vgl. CEG 2, 525. s. o. S. 91 mit Anm. 238. 290 Zu ἀγορεύειν im Sinne von 'proclaim' vgl. LSU s. v. und Hdt. 6, 97, 1 (πέμπων κήρυκα ἠγόρευέ σφι τάδε), zum metaphorischen Gebrauch (z. B. mit νόμος als Subjekt) bei den

Rednern des 4. Jh. LSJ ebd. 29] Knidos, 4. Jh; zum Verständnis der ‘Datierung’ in V. 1 (Νεοπολίται = Bewohner einer von 15 'Vorstehern' verwalteten 'Neustadt' bei Knidos) sowie zur Botenrolle des Hermes im Epigramm (mit kleinasiatischen Parallelen) vgl. MERKELBACH / STAUBER 1998, S. 4.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

Der Sprecher Hermes begrüßt die Passanten. Seine Gegenwart ist der zeitliche Bezugspunkt des Sprechakts zwischen Aorist und Futur (ἀφικόμαν, σημανεῖ). Als den Übermittler einer zweiten, vielleicht wichtigeren Botschaft nennt derselbe Sprecher die Schrift, deren hilfreiche Präsenz (παροῦσα) bezeichnenderweise hervorgehoben wird.?? Die Nennung der Schrift (γραφή, vgl. γράμματα", avaγράφω und die Vermeidung von λέγειν bedeutet auch hier eine Abstraktion ge-

genüber einer konkret vorgestellten ‘Stimme’ des Steines: Liest vielleicht Hermes die Namensliste vor? Für die Ankündigung dieser Liste hat der Verfasser konsequenterweise die prosaische Form gewählt. Die Varianten der Einleitungen mit verbum dicendi konzentrieren die Aufmerksamkeit des potentiellen Lesers auf die folgende Inschrift und verleihen der fiktiven Stimme des ersten Sprechers den Anschein offizieller Autorität. Solche “metalinguistischen’”” Verweise auf die Funktion der Schrift, die die Fiktion eines

personalen Sprechers durchbrechen, bieten aber auch einen Anreiz zur weiteren poetischen Ausgestaltung und Metaphernbildung. Das athenische Grabepigramm für Nikias aus Eretria, dessen Namen und Herkunft die Überschrift nennt, berichtet von der Anbringung der Schrift auf dem kunstvoll geglätteten Stein (ξεστῶι πέτρωι) durch die Ehefrau (GV 632). σῆμα τόδ᾽ ἐν κενεᾶι κεῖται χϑονί, σῶμα γὰρ ἕδρα Ὠρείου κρύπτει πυρκαϊὴ φϑιμένου᾽

τὸν δ᾽ ἔτι παπταίνοντ᾽ ἐπὶ γούνασι παῖδα δεδορκώς Ἅιδης (o)ı σκοτίας ἀμφέβαλεν πτέρυγας. ἡ δ᾽ ὁσίαν στέρξασα λέχους Κύπριν εὔξατο ἄμμιν χῶμα καὶ ἐν ἕεστῶι γράμμ᾽ ἐτύπωσε πέτρωι. δηλοῖ δ᾽ οὔνομα πατρὸς ἐμόν 9' ὁδε τύμβος, ὁδῖται"

ἀλλ᾽ ive τέρμ᾽ ἀγαϑῆς τ᾽ ἐξανύοιτε τρίβου. Dieses Grabmal steht auf leerer Erde, denn den Körper verbirgt Oreios, der Scheiterhaufen des Toten. Den noch auf Knien umherspähenden Sohn hat Hades erblickt, (und) da warf er ihm die dunklen Flügel um. Die aber die eheli-

che Kypris ehrte, gelobte uns ein Grabmal und schlug die Schrift in den ge-

glätteten Stein: Es enthüllt dieses Grab den Namen des Vaters und meinen, (ihr) Wanderer. Aber geht zu einem guten Ziel und vollendet den Weg.

Die sepulkrale Topik ist bekannt, auch die Anrede und die moralische Ermunterung des Lesers. Neu ist die Betonung des artifiziellen Charakters der Schrift,

deren metaphorische Aktivität unter Verzicht auf den phonetischen Aspekt mit δηλοῦν

(eröffnen, enthüllen) bezeichnet wird.

Noch

deutlicher nimmt

ein Grab-

292 Zu γραφὴ παροῦσα σημανεῖ vgl. Hdt. 5, 35, 2; zu παρεῖναι vgl. ferner CEG 1, 84 Ξ)Ο Y),

293 294 295 296

1315, V. 2: αὐτὼ δὲ οὐ πάρα δεῖξαι. CEG 2, 892. CEG 2, 894, V. 18. SpINA 1993, S. 169f. Athen, Anfang 3. Jh.; GEFFCKEN 1916, Nr. 147; vgl. Anyte 4 Gow / PAGE (Anth. Pal. 7, 724), V. 3: nétpoc ἀείδει,

Steinepigramm und Buchepigramm

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gedicht aus Smyrna aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. (MERKELBACH / STAUBER 05 / 01 / 42)?" Bezug auf die Fiktivität der epigrammatischen Sprecherrollen: [ὀϊστέα μὲν κρύπτει Τμῶλος νεάταισιν ὑπ᾽ ὀχϑαις Ἑρμίου, ὀγκωτὰ δὲ ἀμφιβέβακε κόνις [τ|ηλεφαής᾽ ξεστὰ δὲ πέτρα καϑύπερϑε ἀγορεύει [1]óv νέκυν ἀφϑόγγωι φϑεγγομένα στόματι: τοῦτο δέ οἱ κενέωμα τάφου ποϑέοντες ἑταῖροι

Σμύρνης ἀγχιάλοις χεῦαν ἐπ᾽ ἀϊόσιν. Die Knochen des Hermias birgt der Tmolos unter dem äußersten Rand und mächtiger Sand umgibt ihn, weithin sichtbar, der geglättete Stein oben verkündet den Toten, sprechend mit sprachlosem Mund. Dieses leere Grab aber haben die ihn vermissenden Gefährten ihm am Strand von Smyrna aufge-

schüttet.

Hier formuliert der Epigrammdichter das Paradoxon der Metapher des sprechenden Steins. Ein Stein, so wird betont, spricht nur zum Schein, „mit sprachlo-

sem Mund“,ἢ mit anderen Worten: er tönt nicht, er bedeutet. Diese Differenzierung zwischen der Fähigkeit, einen Sinn aufzuzeigen, und dem phonetischen Akt des Sprechens, der stimmlichen Umsetzung graphischer Zeichen, basiert auf der Unterscheidung zwischen einem visuellen und einem auditiven Aspekt der Wahrnehmung von Schrift, wie er beim Lesen erfahren wird. Die metaphorische Verwendung der Sprache der Inschrift auf dem Stein greift auf die Bildlichkeit zurück, die wir vor allem in der attischen Tragödie finden. Zwar haben wir ein Verb wie ἀγορεύειν schon in CEG 2, 532, auf der anderen Seite begegnen aber σημαίνειν für die Aktivität der Schrift, ξεστός zur Beschrei-

bung der Schreibunterlage und schlieBlich das Motiv des Sprechens ohne Stimme oder Sprache mehrfach im Drama.??

Aus der unbewußten Metapher redebegabter Gegenstände und der offiziellen Verwendung performativer Verben bei Proklamationen entstehen bisweilen unmo-

tivierte Sprecherwechsel,”” in anderen Fällen absichtliche Kombinationen unterschiedlicher Formen der Rede. Im 3. Jahrhundert ist die Metapher des ohne Stimme sprechendes Steins dann ein auf literarische Vorbilder zurückgreifendes poeti-

297 GV 1745, IK 23, 512.

298 Weitere Beispiele für das Motiv in hellenistischen griechischen und in lateinischen Grabepigrammen finden sich bei HAusLE 1980, S. 60-63. 299 Aischyl. Suppl. 180: ὁρῶ κόνιν, Avaudov ἄγγελον στρατοῦ", Pers. 818: Siveg νεκρῶν .. ἄφωνα σημανοῦσιν ὄμμασιν βροτῶν, Euripides, /ph. T. 762f.: ἣν μὲν ἐκσῴσῃς γραφήν, αὐτὴ φράσει σιγῶσα τἀγγεγραμμένα, Fr. 578,

1-3 NAucK

(aus dem Palame-

des): τὰ τῆς γε λήϑης φάρμακ᾽ ὀρϑθώσας μόνος, ἄφωνα φωνήεντα συλλαβὰς τιϑεὶς / ἐξηῦρον ἀνθρώποισι γράμματ᾽ εἰδέναι, Vgl. dazu oben S. 42f. mit Anm. 71-74.

300 Vgl. etwa [Ὁ I? 1508 (SIG? 2). Weihinschrift des Phanodikos in ionischem und attischem Dialekt (Φανοδίκο ἐμὶ ... κρητῆρα δὲ ... ἐδωκεν ...

Φανοδίκο εἰμὶ ... κἀγὸ kpat£pa

... ἔδοκα) aus Sigeion, ca. 550 (nach 10 I’), als Beispiel für „fetishistic interpretation" der Ich-Rede in der Forschung angeführt von PELLICCIA 1995, S. 52 Anm. 85.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

sches Konzept, das wir in MERKELBACH / STAUBER 05 / 01 / 42 und in dem nun zu

vergleichenden BERNAND 1969, Nr. 63°°' je anders umgesetzt finden: Ὁ τύμβος οὐκ ἄσαμος, à δέ τοι RETPOG τὸν κατϑανόντα σημανεῖ τίς καὶ τίνος ἐς ᾿Αίδαν Bépakev: ἀλλά μοι σχάσας τὸ νεκρα(γ)ωγόν, ὦ φίλ᾽, ἐν πέδωι γόνυ κολαπτὸν ἄϑρει γράμμα διπτύχοις κόραις" πατὴρ μὲν Εἰρηναῖος, ἁ δέ τοι πατρὶς Μέμφις, τὸ δ᾽ οὔνομ᾽ ἀγορεύετ᾽ ἐκ βρέφους [... ]IAOZ, ὧι τὸ φαῦλον οὐ συνείπετο᾽ [------ ] t&v μοῖραν, ὡς ἐπέδραμε. Das Grab ist nicht bedeutungslos, und der Stein wird den Toten nennen, als wer und wessen Sohn er in den Hades ging. Doch beuge am Boden mir das totengeleitende

Knie,

mein

Freund,

und

sieh die gemeißelte

Inschrift

mit

beiden Augen: Der Vater ist Eirenaios; die Vaterstadt Memphis, mit Namen wird er von Kindheit an . . . . genannt, er, den das Schlechte nicht begleitete, . nn

das Schicksal, als es ihn einholte.

Im Gegensatz zu MERKELBACH / STAUBER 05 / 01 / 42 wird in diesem Epigramm keinerlei Bezug auf den äußeren Rahmen der Rezeption, auf das Aussehen des Denkmals oder den Ort seiner Aufstellung, genommen. Der Blick des Lesers wird vom Grabhügel erst auf den Stein, dann aber gleich auf die Schrift gelenkt,

wobei der Autor mit der Doppelbedeutung von ἄσαμος ('unbedeutend' oder ‘ohne Schriftzeichen’) spielt. Der Grabstein präsentiert sich als Lesestück! Die Bedeutung des Steins erkennt der Leser mit den Augen, und nur die Nähe herstellende Anrede an den Wanderer ὦ piA.(e) läßt erkennen, daß der Grabinhaber der fiktive Sprecher ist. Der Appell an den Sehsinn und die intellektuelle Auffassungsgabe des fiktiven Lesers bedeutet aber, daß auch dieser in Aktion tritt, zum Akt des Lesens schreitet. Hier geht der traditionelle fiktive Sprechakt des

Grabinhabers in eine Darstellung des Leseakts über.

301 Alexandria, 3. / 2. Jh. Die früheren Editionen, auch GV 1620, sind nun durch BERNAND 1969, S. 255-259 ersetzt, da dieser auch unpublizierte frühe Abschriften dieses seit seiner Verwahrung weiter beschádigten Steins dokumentiert. V. 3: Der genaue Sinn des nach BERNAND eindeutig auf dem Stein zu lesenden NEKPATIOI'ON wird bei BERNAND 1969, S. 257f. ausführlich diskutiert. Die auch von ihm akzeptierte Lösung (σχάσας τὸ νεκρα(γχυyóv ... γόνυ — ,fléchis-moi sur le sol le genou qui te porte vers le mort") meint jedenfalls, daß der Wanderer anhalten soll. Die Ergänzungen der letzten beiden Versanfánge (V. 8f.) durch PEEK (GV 1620) weist BERNAND 1969, S. 259 als unbegründet zurück, sie sind daher hier nicht übernommen.

Steinepigramm und Buchepigramm

107

6. DAS LITERARISCHE EPIGRAMM DES HELLENISMUS Das Ende des 4. Jahrhunderts markiert einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Literaturform Epigramm. Haben wir bisher von der Literarisierung des Epi-

gramms gesprochen, der Beeinflussung der Formensprache durch andere Gattungen und der Aufwertung der Leserrolle, so gilt es jetzt, einen noch gravierenderen Wandel des Rezeptionskontexts in Rechnung zu stellen. Epigramme werden für Bücher und für das Konkurrieren mit anderer Buchliteratur geschrieben, sie behandein alle nur denkbaren Gegenstände, auch solche, die nichts mehr mit Denkmals-

kunst oder Todesvorstellungen zu tun haben. Der Autor des Buchs zeichnet nunmehr für dessen Inhalt verantwortlich, zumal ihm ein Teil seiner Leser ebenso be-

kannt sein dürfte wie er ihnen. Die Entstehung des Buchepigramms und der allgemeine Aufschwung der Bildung im frühen Hellenismus haben eine beinahe unübersehbare Fülle von Formen und Varianten der überlieferten Epigrammschemata her-

vorgebracht.”” Die inschriftlichen Gedichte der Zeit zeigen sich von den am Ende des 4. Jahrhunderts entstandenen Buchepigrammen beeinflußt, die nun die ent-

scheidende Rolle in der formalen Weiterentwicklung der Gattung übernehmen.” Seit REITZENSTEIN unterscheidet man zwei ‘Schulen’”* von Epigrammatikern. Als Hauptvertreter der dorisch-peloponnesischen Richtung gelten in der ersten Gene-

ration Anyte von Tegea und Leonidas von Tarent. Asklepiades von Samos, als ei302 Zum hellenistischen Steinepigramm PEEK 1960, S. 34-42, S. SCHMIDT, Hellenistische Grabreliefs. Typologische und chronologische Beobachtungen, Kóln / Wien 1991, S. 117145; BERNAND

1969; MERKELBACH / STAUBER

1998ff. Die meisten Untersuchungen

zum

hellenistischen Epigramm bescháftigen sich mit dem inschriftlichen Epigramm nur in Hinblick auf sein Verhältnis zum Buchepigramm der Anthologia, s. LAUSBERG 1982, S. 145ff.

und LAURENS 1989, S. 33-51. Einen Überblick über die Formen bietet auch hier PEEK, GV. S. XIX-XXII. 303 Bisweilen werden für das Buch geschriebene Kunstepigramme sekundär inschriftlich, so etwa Anth. Pal. 6, 13 (Leonidas) in Pompeji (s. SEELBACH 1988, S. 168) und Kallimachos Ep. 42 in Rom. Die nicht zahlreichen Epigramme berühmter hellenistischer Dichter, für die Inschriftlichkeit belegt ist, sind bei LAURENS 1989, S. 35f. gesammelt, s. ferner GUTZWILLER 1998, S. 7, 229f. und 241 sowie P. Bing, Between Literature and the Monuments, in: M. A. HARDER / R. F. REGTUIT / G. C. WAKKER (Hgg.), Genre in Hellenistic Poetry, Groningen

1998 (Hellenistica Groningana 3), S. 21-43. Um die Entwicklung einer Methode des Vergleichs in beiden Medien überlieferter Epigramme bemüht sich grundsätzlich G. Prout, Das anonyme

Epigramm.

Methoden

der ErschlieBung

poetischer

Inschriften,

dargestellt

am

Modell der griechischen Grabinschriften, Euphrosyne 4, 1970, S. 73-112. 304 Der Begriff der Schule bei REITZENSTEIN 1893, S. 121ff., bes. S. 123 (vgl. auch S. 153f.) hängt mit der dort vorgetragenen These zusammen. Es geht dabei um Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung der Dichter, die einer der beiden Stilrichtungen zugeordnet werden kónnen. S. auch SEELBACH 1988, S. 160—162; E. DEGANI, L'epigramma, in: R. BIANCHI

BANDINELLI (Hg.), La cultura ellenistica. Filosofia, scienza, letteratura, Milano 1977, S. 266-299, hier S. 270-289 und DERS., 'Epigramm', in: Der Neue Pauly 3, 1997, Sp. 11081114, hier Sp. 1110f.; dagegen aber GUTZWILLER 1998, S. 53 Anm. 21.

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Das griechische Epigramm und seine Leser

ner der ersten professionellen Epigrammdichter überhaupt, wird als der Archeget der ionisch-alexandrinischen. Epigrammatik betrachtet. In seiner unmittelbaren Nachfolge stehen Poseidippos von Pella, Hedylos und Kallimachos. Die Unter-

scheidung ist jedoch weniger geographisch zu verstehen. Sie hángt vielmehr mit charakteristischen Inhalten zusammen. Während sich die erstgenannte, ‘dorische’ Stilrichtung noch enger an die traditionellen Motive und Formen der Aufschrift an-

lehnt, gilt die Erfindung des aus der Gelagedichtung hergeleiteten erotischen

Epigramms als die wichtigste Schöpfung der Epigrammatiker im alexandrinischen Umfeld. Doch auch diese Klassifizierung trägt nur zum Teil: Den größten Part zu-

mindest der überlieferten Epigramme des Kallimachos bilden trotz seiner Zuordnung zu der zweiten Gruppe nicht die sympotischen Liebesgedichte nach Art der lonier, sondern verschiedene Formen

von Grab- und Weihepigrammen.

Als Vor-

läufer dieser kallimacheischen Epigramme können daher auch die um 300 v. Chr. entstandenen Gedichtformen der peloponnesischen Epigrammatiker wie Anyte von Tegea oder Simias von Rhodos gelten, 5 wenngleich diese mit ihrer Betonung des Emotionalen meist einen anderen Charakter haben. Konservativer in Bezug auf for-

male Neuerungen, bilden sie eine Gelenkstelle zwischen Stein- und Buchepigramm. Das hellenistische Epigramm hat in der ersten Hálfte des 3. Jahrhunderts einen Hóhepunkt seiner formalen Entwicklung erreicht, zumal die elegischen Kurzgedichte des 2. und 1. Jahrhunderts häufig auf die Errungenschaften der frühhellenistischen Epigrammatiker zurückgreifen. Die Untersuchung der formalen und inhaltlichen Entwicklungen des hellenistischen Epigramms im Umfeld des Kallimachos soll daher ihren Ausgangspunkt besonders von den früh datierten Dichterinnen und Dichtern nehmen, wobei insbesondere von den Steinepigrammen als den populären "Spiegeln' der literarischen Entwicklungen auch jüngere Beispiele hinzugenommen werden. Sie kónnen als ein Gradmesser dienen, wenn es um die Frage geht, welche

Anforderungen an das Bildungsniveau eines ‘normalen’ Lesers gestellt wurden. Auch hier kónnen nur einzelne Aspekte aus der Vielzahl der Erscheinungen herausgegriffen werden, die die Eigenheiten der im Zusammenhang der hellenistischen Schriftkultur entstandenen Epigramme deutlich werden lassen. Da uns im folgenden Kapitel die Rezeption des Steinepigramms und seiner Appellstruktur bei Kallimachos interessieren wird, soll hier zunáchst wieder allgemein nach dem impliziten Leser der Epigramme des 3. Jahrhunderts und nach der Inszenierung der Sprechhandlungen gefragt werden. Eines der wesentlichen Merkmale des hellenistischen Epigramms ist sein Appell an die literaturgeschichtliche Gelehrsamkeit,

wobei

hier nicht nur das in die

poetische Form eingeflossene Wissen der Dichter-Philologen gemeint ist, sondern

auch der Anspruch, den die Gedichte an die Bildung ihrer Leser stellen." Mit dem 305 REITZENSTEIN 1893, S. 180. 306 Leonidas ist etwas jünger, Erinna nicht sicher datiert, s. SEELBACH 1988, S. 166 und 159; zu Problemen der Datierung Erinnas und der Echtheit der drei unter ihrem Namen in der Anthologia überlieferten Epigramme vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 281f.. die zu einem zeitlichen Ansatz im 3. Jh. neigen, und PAGE 1981, S. 128 und 155. 307 Vgl. SEELBACH 1988, S. 162: „Es läßt einerseits das gebildete Interesse seiner Zeit für Lite-

ratur, Kunst und Geschichte erkennen und andrerseits ihre kulturelle Übersättigung und die damit verbundene Hinwendung zur Natur, zur Welt des Kindes, zum Leben einfacher Leute

Das literarische Epigramm des Hellenismus

109

Auftreten namentlich gezeichneter Epigrammbücher”” ist jedes Epigramm zugleich ein poetischer Ausweis für die Kompetenz seines Verfassers. Zu den Kenntnissen, die sein Leser und Interpret besitzt, gehört nunmehr auch das Wissen über den

Autor und realen Sender hinter der dargestellten Sprechhandlung. Der Epigrammdichter hat somit die Möglichkeit, den traditionellen Sprecherrollen eine weitere

Perspektive hinzuzufügen: Zu den textinternen Rollen des Denkmals oder Lesers als des imaginären Sprechers eines Epigramms kann die Person des Dichters als Rolle eingeführt werden. Dabei ist es dem Autor freigestellt, ob er sich lediglich im

auktorialen Modus als 'allwissender Erzähler’ oder -- was hier wesentlich näher liegt als im Fall des anonymen Epigramms — als personales Subjekt von Gedanken und Empfindungen präsentiert. Aus diesem Zuwachs an potentiellen Sprechhaltungen ergeben sich auch zahlreiche kompositionelle Möglichkeiten. So kann sich der reale, textexterne Autor hinter die scheinbare Objektivität des sprechenden Denkmals zurückziehen oder umgekehrt durch planvolle Hinweise im Text ein eigenes

Urteil

einfließen lassen, wie dies etwa in den fiktiven Dichterepitaphien

ge-

schieht.' Eine weitere Möglichkeit, die direkte programmatische Stellungnahme in der Maske des Dichters, kommt aus der Gelage- oder Trauerelegie.’' Gerade die Überblendung verschiedener Perspektiven und die Notwendigkeit, die verschiedenen Stimmen zu analysieren, machen das Buchepigramm für seine Leser

reizvoll. Wichtig ist es aber festzuhalten, daß auch die Sprecherfiguren in hellenistischen Epigrammen Rollen darstellen. Wir unterscheiden dabei die traditionell epigrammatischen Formen der Rede von Gegenständen, Trauernden, Lesern sowie die Autorenrede.

Grabinhabern,

anonymen

und zu den Szenen des Alltags.“ Die Hinwendung hellenistischer Dichter zu neuen Themen

hat jedoch nichts mit allgemeiner „kulturelle(r) Übersättigung“ zu tun, sondern entspricht im Gegenteil ihrem gesteigerten Interesse am ästhetischen Genuß, den sie auch auf neue Formen und Inhalte ausdehnten. 308 Diese sind gesammelt bei P. M. FRASER, Ptolemaic Alexandria, Bd. 1-3, Oxford 1972, hier

Bd. 2, S. 859 Anm. 405 und CAMERON 1993, S. 3; GUTZWILLER 1998, S. 15ff. Poseidippos wird in einer Proxenieinschrift von 263 / 262 als Epigrammdichter geehrt, FRASER 1972, 2, S. 796 Anm. 44 und oben S. 30 Anm. 28. Kommentare zu Epigrammbüchern gehen bis ins spáte 3. Jh. v. Chr. zurück, vgl. PARSONS 1977, S. 1-12.

309 Mit diesem Typus einer fingierten Grabschrift werden entweder berühmte alte oder befreundete zeitgenóssische Dichter geehrt, s. M. GABATHULER, Hellenistische Epigramme auf Dichter, Phil. Diss.

St. Gallen

1937; P. Bing,

Theocritus!

Epigrams

on the Statues of

Ancient Poets, A&A 34, 1988, S. 117-123 (7 BiNG 1988b). 310 WEST 1974, S. 2: „the poet speaks in his own person, usually to a specific addressee and in the context of a particular occasion or state of affairs. Often the situation is such that only an oral communication would be in place, not a written one“, ebd. S. 20: „the poet's personal situation usually formed the framework, but the substance was supplied by general reflections ..." Diese elegische Sprechhaltung erscheint nach PEEK GG, S. 33 auBerhalb der

Gattung zuerst im Steinepigramm des 4. Jh.

110

Das griechische Epigramm und seine Leser

6.1. Bildungsstolz und Inschriftenkritik Die Bedeutung der literarischen Bildung im Hellenismus ist bekannt und in

vielen Texten belegt.’'' Auffällig ist der Anspruch auf literarische Bildung des Lesers vor allem dann, wenn er auch in Steinepigrammen, die sich an ein allgemeines und auf den ersten Blick beliebiges Publikum richten, zum Ausdruck kommt. So wendet sich ein Grabgedicht des 2. Jahrhunderts v. Chr. ganz ausdrücklich an den

musisch gebildeten Leser (BERNAND 1969, Nr. 34 - GV 1312, V. 1-4)?" £i καὶ βουκόλοι ἄνδρες | ὁδὸν διαμείβετε τήνδε, | καὶ ποίμνας otov |φέρβετε μηλονόμοι, | ἀλλὰ σύ, Μουσείοις καμ[άτο]ις | τεϑραμμέν᾽ ὁδῖτα, | ioxe καὶ αὐδήσας | ᾿σῆμ᾽ ᾿Αλίνης᾽ ἀπιϑι.

Wenn auch ihr Rinderhirten diesen Weg hier entlangkommt, und ihr Schafhirten eure Schafherden weidet, so halte doch du, durch musische Übungen ge-

bildeter Wanderer, an, sprich: „Grabmal der Aline" und geh weiter.

Das erste Distichon gibt einen Hinweis auf die Lage des Grabmals in idylliar 313 ^ um dann einen Gegensatz zwischen ländlichen und musisch geschen Termini, bildeten, also wohl stádtischen Besuchern am Grab zu konstruieren. In hellenistischen Steingedichten aus verschiedenen griechischen Regionen záhlt das Lob der Bildung des Toten, die gerne durch die Erwáhnung der Musen geadelt wird, zu den enkomiastischen Topoi der inschriftlichen Epitaphien. Für den Verfasser von GV

945, V. Sf?'* gehört die Beschäftigung mit den Musenkünsten zur Blütezeit des Lebens, aus der der Verstorbene durch einen vorzeitigen Tod gerissen wurde: &ptt δ᾽ ἐφηβείαις ϑάλλων Διονύσιος ἀκμαῖς καὶ σελίσιν Μουσῶν ήλυϑον εἰς "Aldav. Gerade als ich, Dionysios, im schönsten Ephebenalter war und mitten in den Buchseiten der Musen, kam ich zum Hades.

Während diese Inschrift das Talent eines jungen Dichters — oder wenigstens die Beschäftigung eines jungen Mannes mit der Dichtkunst — rühmt,'

preist MER-

KELBACH / STAUBER 03 / 05 / 02 die Buchgelehrsamkeit eines alten Mannes; 311

Vgl. etwa H. Funke, 'Schule', in: H. H. Schmitt / E. VoGT, Kleines Wörterbuch des Hellenismus, Wiesbaden 1988, S. 617f. (mit Literatur); ZANKER 1995, S. 186ff. 312 Alexandria oder Umgebung; deutsche Übersetzung: GG 176. Zur Rolle der Bildung im hellenistischen Steinepigramm s. auch SCHMIDT 1991, S. 133f. 313 Zu βουκόλοι ἄνδρες (nicht bei Homer und Hesiod) vgl. Theokr. 25, 151; zu μηλονόμοι die Versenden in Theokr. 1, 109; 3, 46 mit einer Form von μῆλα νομεύειν. Das substantivische unAovönog findet sich in bukolischem Zusammenhang bei Eur. Cyc/. 660.

314 Chios, 2. Jh. v. Chr. (= GG 157). 315

Vgl. die Übersetzung PEEKSs in GG, S. 109 für ϑάλλων σελίσι Μουσῶν („die ersten Seiten

im Buch meiner Lieder begonnen"). σελίς heißt "Spalte’ in Anth. Pal. 6, 227, 4 (Krinagoras), aber auch ‘Seite’, so bei Poseidippos, vgl. LSJ s. v. Die Verbindung von Schreibstoff

und Musen gibt es bereits bei Pindar Οἱ. 6, 91 SNELL/ MAEHLER (σκυτάλα Μοισᾶν). 316 Text (in Verbesserung von GV 764) und Übersetzung ebd.; Kolophon/Notion, !. Jh. v. Chr.

Das literarische Epigramm des Hellenismus

111

τὸν πάσης πολύβυβλον ἀφ᾽ ἱστορίης μελεδωνὸν πρέσβυν ἀοιδοπόλων δρεψάμενον σελίδα, τὸν σοφίην στέρξα(ν)τα νόῳ μεγαλ(όγφρονα Γόργον

τὸν Κλαρίου τριπόδων Λητοΐδεω ϑέραπα Κεκροπὶς ἐν κόλποις κρύπτει κόνις᾽ εὐσεβίης δὲ

εἵνεκεν εὐσεβέων χῶρον ἔβη φϑίμενος. Den in allem Wissen kundigen Mann, der viele Bücher nutzte, den Alten, der aus den Seiten der Dichter pflückte, der die Weisheit (und Poesie) in seinem

Sinn liebte, den großgesinnten Gorgos, den Diener am Dreifuß des Klarischen Leto-Sohnes, birgt des Kekrops Erde in ihrem Schoß, infolge seiner Frómmigkeit ist er, als er starb, zum Ort der Frommen gegangen. Die älteste griechische Tradition poetischen Schaffens erscheint in einem ande-

ren späthellenistischen Steingedicht (GV 1729, V. 1-4)?" [x]piv μὲν Ὁμήρειοίι γρα]φίδες φιλίοδέσποἾτον ἦϑος Εὐμαίου χρυσέαις ἔκλαγον ἐν σελίσιν᾽"

σεῦ δὲ καὶ εἰν Aldao σαόφρονα μῆτιν ἀείσει, Ἴναχ᾽, ἀείμνηστον γράμμα λαλεῦσα πέτρη. Früher riefen die Schreibgriffel des Homer die ergebene Gesinnung des Eu-

maios in goldenen Spalten aus; deinen klugen Verstand, Inachos, auch wenn Du im Hades bist, wird der Stein besingen, der eine unvergeßliche Schrift spricht. In durchaus unbescheidener Weise stellt der Autor sein eigenes Steinepigramm

für den treuen Diener (φιλοδέσποτον) auf die gleiche Stufe mit den homerischen „Spalten“ über Eumaios. Die bestándige Klugheit dieses Dieners mag zudem an den odysseischen Teiresias erinnern, der als einziger noch im Hades Verstand be-

sitzt."'* Homer gilt ihm als ein Symbol für Unvergänglichkeit, die hier mit der Ma-

terialität der Schrift assoziiert ist."^ Σελίς, die Spalte in der Papyrusrolle, steht dabei pars pro toto für das Buch." Bezeichnend für den Stellenwert der Literatur ist die Aufwertung des Epigramms gegenüber dem Monument. Der Stein singt wie Homer ein ἀείμνηστον γράμμα, er ist weniger ein Denkmal als ein Buch, Träger

eines homergleichen Preisgesangs. Aus der Anrede an Inachos in der 2. Person wird deutlich, daß der fiktive Sprecher des Epigramms als anonymer Lobredner vorgestellt ist. Seine Bildung demonstriert der Verfasser auch im letzten Vers des Epigramms.

Die alte Metapher des sprechenden Denkmals ist insofern verándert, als hier der Stein ‘Lob singen’ wird, indem er eine Schrift (effiziertes Objekt) ‘spricht’: Hier 317 Kos, 2. / 1. Jh. (= GG 207). 318 Od. 10, 492—495; die gepriesenen Eigenschaften des Dieners passen jedenfalls gut zu den Figuren der Odyssee. 319 Den χαρακτὰ γράμματα wird in GV 1625, Rhodos, 1. Jh. v. Chr. (= GG 217) und (1° 1418, Kos, 2. Jh. v. Chr. (2 GG 233) besondere Gültigkeit zugemessen. 320 Zur metonymischen Verwendung von o£Aíc und allgemein zur Buchmetaphorik in der hellenistischen Dichtung vgl. oben Anm. 315 und ΒΙΝΟ 1988a, S. 15, 35f.

112

Das griechische Epigramm und seine Leser

zeigt sich erneut der Einfluß der in der ‘hohen’ Literatur vorgeprägten Metaphern. Schrift und Erinnerung werden bei den drei großen Tragikern assoziiert,” aber auch Schrift, Sprache und Gesang.’

Die hier für die Hochschätzung der literarischen Bildung im hellenistischen Epigramm angeführten Beispiele des 2. und 1. Jahrhunderts sind bereits eine Auswirkung der frühhellenistischen Buchkultur und ihrer Dichtung.'? Der anonyme

Autor des Steinepigramms für Inachos verwendet eine durch Poseidippos von Pella, der zu Beginn des 3. Jahrhunderts in Alexandria wirkte, bekannt gewordene Metapher. In der ihm zugeschriebenen Alterselegie"^ erscheinen die Musen als

γραψάμεναι δέλτων £v χρυσέαις σελίσιν,᾽? während sein Epigramm auf Doricha" das Bild der p9eyyöuevaı σελίδες verwendet. Bei Poseidippos symbolisieren die sprechenden Kolumnen die Unvergänglichkeit einer großen Dichtung, im Falle des Doricha-Gedichtes der sapphischen Lyrik. Das jüngere Epigramm verbin-

det die beiden Metaphern der schreibenden Musenkunst und der singenden Buchstaben. Simias von Rhodos ist der Verfasser eines der Form nach kanonischen Grabepigramms auf (nicht: für) den Tragódiendichter Sophokles, das an die Stelle des klassischen Gegensatzes des sterblichen Kórpers und der unsterblichen Seele eine neue Antithese setzt (Anth. Pal. 7, 21, V. 1, sp)? Τὸν o£ χοροῖς μέλψαντα Σοφοκλέα, παῖδα Σοφίλλου,

τύμβος ἔχει καὶ γῆς ὀλίγον μέρος, ἀλλ᾽ ὁ περισσὸς αἰὼν ἀϑανάτοις δέρκεται ἐν σελίσιν. 321 Aischyl. Suppl. 178f.: καὶ τἀπὶ χέρσου vov προμηϑίαν λαβεῖν / aivo φυλάξαι 9' ἀμ᾽ ἔπη δελτουμένας, Prom. 789: ἣν ἐγγράφου σὺ μνήμοσιν δέλτοις φρενῶν, Eum. 273275 (lyr.): μέγας γὰρ "Aröng ἐστὶν εὔϑυνος βροτῶν ἔνερϑε χϑονός, δελτογράφῳ δὲ

πάντ᾽ ἐπωπᾷ Ppevi, Fr. 281 RADT: δέλτῳ Διόσ; — Sophokles Trach. 683: χαλκὴς ὅπως δύσνιπτον ἐκ δέλτου γραφήν; Fr. 597 RADT: Job δ᾽ ἐν φρενὸς δέλτοισι τοὺς ἐμοὺς λόγους; — Euripides Fr. 506, 2-6 NAUCK: ... κἀπειτ᾽ ἐν Διὸς δέλτου πτυχαῖς / γράφειν nv αὐτά, Ζῆνα δ᾽ εἰσορῶντά νιν / ϑνητοῖς δικάζειν; οὐδ᾽ ὁ πᾶς ἂν οὐρανὸς / Διὸς γράφοντος τὰς βροτῶν ἁμαρτίας / ἐξαρκέσειεν ...

322 Vgl. z. B. Eur. Hipp. 877ff., Fr. 60 AUSTIN. 323 So erklärt sich das beliebte Motiv der unvergänglichen Bildung. vgl. KREVANS

1984, S. 5:

Finally, the possibility that poetry was written as well as oral suppressed the occasional nature of the lyric and permitted it to participate in the book by emphasizing preservation for

posterity over performance for a small circle of listeners." — Zum Lob der ogAíg s. noch Anth. Pal. 7, 117, V. 5f. = Zenodotus 1 GOW / PAGE, von ca. 320: ei δὲ tátpa Φοίνισσα,

τίς ὁ φϑόνος; ἦν καὶ ὁ Κάδμος / κεῖνος, ἀφ᾽ οὐ γραπτὰν Ἑλλὰς ἐχει σελίδα. 324 SH 705. Bing 1988a, S. 15; zum Motiv des sprechenden Buchs noch ebd. S. 28f. und 33.

325 SH 705, 6, vgl. Eur. /ph. A. 797f.: ἐν δέλτοις Πιερίσιν μῦϑοι. 326 Posidippus 17 Gow / PAGE, V. 6 (= Athen. 13, 596 d); Bing 1988a, S. 33. 327 Simias 4 Gow / PAGE, V. 1, 5f., um ca. 300 v. Chr. Das Publikum des Sophokles besteht hier nicht mehr aus Zuschauern, sondern aus Lesern, denn δέρκεται bezieht sich auf den Leser und seine Imagination, vgl. BiNG 1988a, S. 59-61. KREVANS 1984, S. 87f.: „In the fourth century, texts had already begun to acknowledge that they existed in writing. But in the third century we find an obsession with the appearance of word on papyrus, the visual aspect of the text" (87). Anders, aber ohne sich auf KREVANS zu beziehen, CAMERON 1995, S. 32ff.

Das literarische Epigramm des Hellenismus

113

Dich, Sophokles, der du in Chóren sangst, den Sohn des Sophillos, ... hält ein Grab und ein kleiner Teil Erde, aber die gewaltige Zeit sieht ihn in unsterblichen Spalten.

Als ein ‘gelehrtes’ Epigramm beweist es auf der einen Seite die perfekte Beherrschung des formalen Vokabulars eines klassischen Epigramms, indem es einen

Gegensatz zwischen unsterblicher Kunde und der ráumlichen und zeitlichen Begrenzung des Graborts formuliert. Auf der anderen Seite verbindet es damit fast unmerklich ein neues Thema. Der Sprecher wendet sich an Sophokles, als stehe er

an dessen Grab. Doch nicht die Stele ist seine fiktive Kommunikationspartnerin, sondern das Buch. So ist es wohl eines der ersten fiktiven Sepulkralepigramme auf einen Dichter der Vergangenheit, das explizit die schriftliche Form seines Werks zum Gegenstand macht. Ein anderer Umgang mit der Metapher der sprechenden Inschrift zeigt sich in

einem Epigramm, das in der Anthologia Palatina dem Stoiker Arat zugeschrieben

wird (Anth. Pal. 12, 129):* ᾿Αργεῖος Φιλοκλῆς Ἄργει καλός, ai δὲ Κορίνϑου στῆλαι καὶ Μεγαρέων ταὐτὸ βοῶσι táqov γέγραπται καὶ μέχρι λοετρῶν ᾿Αμφιαράου ὡς καλός. ἀλλ᾽ Τὀλίγοιζ γράμμασι λειπόμεϑα᾽ τῷδ᾽ οὐ γὰρ πέτραι ἐπιμάρτυρες ἀλλὰ Πριηνεύς αὐτὸς ἰδών, ἑτέρου δ᾽ ἐστὶ περισσότερος. Der Argeier Philokles ist in Argos schön, und die Stelen und Gräber von Κο-

rinth und Megara rufen dasselbe; geschrieben steht auch bis zu den Bädern des Amphiaraos, daB er schön ist. Und doch, wir stehen nur an Inschriften

nach.'? Denn für diesen hier sind nicht Steine die Zeugen, sondern der Priener, der ihn selbst sah: Er ist dem anderen überlegen.

Wie viele inschriftliche Epigramme ist dies nicht nur ein Gedicht auf eine Person, sondern auch eine poetische Äußerung zu den Formen der inschriftlichen und

nichtinschriftlichen Kommunikation über diese Person. An bedeutenden Stätten der Peloponnes und Attikas, so der Sprecher, liest man die Lieblingsinschrift „ Apyeiog

Φιλοκλῆς καλός“ auf Gräbern und Stelen, ja es scheint sich um eine Route von Argos bis ins nórdliche Attika zu handeln, die den Ruhm des Philokles (ein sprechender Name) transportiert. Die Aufdringlichkeit der ‘publicity’ für den καλός wird durch die bekannte Metapher der rufenden Schrift verdeutlicht (βοῶσι

328 Aratus 1 Gow / PAGE; der hier zitierte Text in V. 4 nach dieser Ausgabe, vgl. Gow / PAGE 2, S. 105f. Die wichtigste ältere Interpretation dieses äußerst schwierigen Epigramms stammt

von REITZENSTEIN 1893, S. 172-178; Gow / PAGE 1965, 2, S. 105 schließen sich vorsichtig an („seems the best so far proposed"). Siehe jetzt aber P. BrNG, The un-read muse. Inscribed Epigram and its readers in antiquity, in: HARDER / REGTUIT / WAKKER 2002, S. 39—66, bes. 4f.

329 Der Sinn von γράμμασι λειπκόμεϑα muB etwa "wir werden von Inschriften ausgestochen' oder “wir bleiben mit unseren vergleichsweise wenigen Buchstaben dahinter zurück’ sein.

REITZENSTEIN 1893, S. 173f. konjiziert ὀλίγοις γράμμασι.

114

Das griechische Epigramm und seine Leser

τάφοι), die hier ganz sicher in einer schriftkritischen Tradition steht." Die Schónheit des nicht namentlich genannten Knaben (τῷδε), von dem der zweite Teil des Gedichts handelt, bezeugen dagegen nicht Inschriften auf Steinen und auch nicht

das vorliegende Epigramm, sondern ‘der Priener',"' der als Augenzeuge ein besse-

rer Gewährsmann ist, auch wenn er mit seiner Aussage alleine dasteht."? Dadurch wird der Nutzen der Schrift relativiert: Mit ihrer Hilfe in aller Munde zu sein, ist im Fall der Schónheit keine Garantie für eine hohe Qualitát. Der mit Hilfe der In-

schriftlichkeit erreichbare Ruhm wird im Gegensatz zur optimistischen Prásentation der Schrift bei Poseidippos zurückgewiesen. Das Anrufen von Augenzeugen — auf-

grund eines Mißtrauens gegenüber dem alleinigen Beleg durch Schriftstücke - ist ein Topos des Steinepigramms des 4. Jahrhunderts." Tugend kann nicht nur behauptet, sie muD persónlich attestiert werden. So handelt es sich hier um ein Liebesgedicht, das, anders als die meisten, seine

Inspiration zunáchst nicht aus dem symposialen Rahmen der Gelagedichtung bezieht, sondern aus der Tradition der Inschriften. Wie aber soll man sich den gedachten Rahmen vorstellen, in den hinein sich der Sprecher äußert? Nach

REITZENSTEIN"" spricht die persona des Dichters gleichsam vor einer Statue des

Knaben, auf die, wie so háufig in Steininschriften, nur mit dem deiktischen Prono-

men τῷδε verwiesen würde. Das Epigramm wäre somit eine Art Siegerepigramm in einem Schónheitswettbewerb. Das abschließende konstatierende ἑτέρου δ᾽ ἐστὶ περισσότερος, eine Stellungnahme wohl zugunsten des Prieners und gegen die anonymen Grafittischreiber,

läßt schließlich eine Programmatik in der Äußerung des Epigrammdichters deutlich werden, die wiederum der elegischen Sprechattitüde gleicht. Die groBe Offentlich-

keit lehnt er bei der Urteilsfindung über ästhetische Fragen ab." Die Welt des Steinepigramms und ihrer Formeln dient ihm dazu, über bekannte lebende Personen und über seine eigenen poetologischen Überzeugungen zu sprechen. 330 S. oben S. 41f. und Anm. 69 zu Aischylos und Euripides. Kritik an óffentlichen Inschriften übt auch Kallimachos in Ep. Fr. 393, vgl. dazu PFEIFFER 1, 1965, S. 323. - Zum ‘Ruf der Stelen vgl. auch das christliche Epigramm BERNAND 1969, Nr. 60 (GV 1635), V. 1f.: TIpiv σε λέγειν, ὦ τύμβε, τίς ἢ τίνος ἐνθάδε κεῖται, / ἡ στήλη βοάᾳ πᾶσι παρερχομένοις ... („Bevor du sagst: „O Grab, wer liegt hier und von welchen Eltern", ruft die Stele allen Vorbeikommenden zu ..."), welches im übrigen mit einer epigrammtypischen Antizipation des Rezipientenverhaltens aufwartet. 331 Nach Gow / PAGE 1965, 2, S. 106 ist dies ein Eigenname, nach REITZENSTEIN 1893, S. 176f. ein Dichter aus Priene. 332 Zu μαρτυρεῖν im Epigramm s. CEG 2, 882; μάρτυς CEG 2. 623 (= GV 1498), 627, 798;

Kall. Ep. 54. 333 S. oben S. 94f. 334 REITZENSTEIN 1893, S. 175.

335 Die Haltung erinnert an das ásthetische Programm in Kallimachos' Echoepigramm (£p. 28) auf den óffentlichen Liebhaber Lysanias.

Nach REITZENSTEIN

1893, S. 173f. ist das Epi-

gramm des Arat nicht eigentlich ein Liebesgedicht, sondern bewerte das kurze Gedicht (ὀλίγα γράμματα) eines anderen Dichters, der den Ruhm des Philokles trotz vieler Inschriften verdunkelt habe. Verstándlich sei das ganze nur in einem „Liederstreit“ (S. 177) in ursprünglich mehreren Gedichten, der Kontext fehle heute jedoch. - Zum Gebrauch des Komparativs in Epigramm und Elegie vgl. unten S. 179 Anm. 181.

Das literarische Epigramm des Hellenismus 6.2.

115

Der Akt des Lesens

6.2.1. Inschriften

Unser bisheriger Überblick über die Geschichte des griechischen Epigramms und seiner Leser hat gezeigt, wie sich die Inszenierung des Sprechakts im Laufe der Entwicklung verändert: Aus der Antizipation der Lesesituation, aus den Formen der fingierten direkten Rede zwischen Denkmal und Leser, aus der Vorliebe

für die pragmatischen Aspekte der Kommunikation, die sich in der Botenrolle der Inschrift und in der Metaphorik des stimmlosen Sprechens gezeigt hat, aus all diesen typischen Elementen des Sprechakts im Steinepigramm entsteht allmählich eine neue Leserrolle. Epigramme bilden den Akt des Lesens nach, zeigen Bewußtseins-

vorgänge des Rezipienten und bieten so dem realen Leser eine Möglichkeit zur Identifikation.

Ein frühhellenistisches Grabepigramm aus Thessalien spricht seinen Leser auf

folgende Weise an (GV 1342)"

προσφώνησον, ὁδῖτα, καὶ εὐιρήμως ἀναλέξαι | γράμματα Πρωτομάχου | σῆμα παρε[ρχόμενος]. Sprich deinen Gruß, Wanderer, und lies ehrfürchtig schweigend die Buchstaben, wenn du am Grabmal des Protomachos vorbeigehst.

Das

Distichon

unter

der

Überschrift,

die

den

Grabinhaber

Πρωτόμαχος

Ἑβδομαίου angibt, unterscheidet zwei aufeinanderfolgende Handlungen, die der an der Stele vorüberkommende Reisende ausführen soll. Der Aufforderung zum üblichen xaipe-Gruß mit lauter Stimme, dem προσφωνεῖν, folgt als bewußter

Gegensatz die Ermahnung zum andächtigen, stillen Lesen." Die Buchstaben sollen schweigend zur Kenntnis genommen werden, womit dem Augenblick der Lek-

türe ein besonderes Gewicht zugemessen wird. Es fehlt jeder Hinweis auf das Motiv der Verbreitung der Kunde. Der Leser soll zu eigenem Nachdenken, nicht zum Weitererzählen angeregt werden. Dies steht in direktem Gegensatz zu dem in Epigrammen häufiger vorkommenden xA£og-Motiv: Gedichte, in denen es um die

Verbreitung

des Ruhms

geht, verweisen

häufig auf die ‘Sprachfähigkeit’

des

Steins, eine Stimme, die zusammen mit den vorüberziehenden Lesern auf Wanderschaft geht.” Die als εὐφήμως ἀναλέξαι γράμματα bezeichnete Tätigkeit ver-

weist nicht nur auf den technischen Aspekt des Lesens, sondern auch auf eine reli336 Demetrias, 3. Jh. (= GG 119). 337 προσφωνεῖν bedeutet ‘mit Namen ansprechen’ bei Aischyl. Suppl. 236 und Eur. 7ro. 942. Zum Schweigen vgl. auch Aristoph. Equ. 1316: εὐφημεῖν χρὴ καὶ στόμα κλείξιν; stilles Lesen ist bei Eur. /ph. T. 762f. vorausgesetzt, vgl. oben Anm. 299. 338 WaLsH

1991, S. 79f. Anm. 9. Vgl. BERNAND 1969, Nr. 27 = GV 1887 (Saqqarah, 3.4. Jh.),

V. 7-10: Τίς δ᾽ ὁδ᾽ ἀνήρ; φήσει τις ὁδειτάων παριόντων" / τίς μάκαρ οὕτως ἐστί, τίς ὄλβιος, ὃν t£ σὺ κεύϑεις; / Τόνδε ἐγὼ σειγῇ te καὶ οὐ λαλέουσα διδάξω" ἔρνος γλυκερόν, Κάσιος μυροπώλης.

339 Vgl. oben S. 56f., 75f., 84f. und bes. 102ff.

Ὁριγένους

116

Das griechische Epigramm und seine Leser

giöse Haltung. Ungewöhnlich ist jedoch die Verbindung dieser Haltung mit der

Lektüre.” Daß dieser in den Epigrammen mit Leserrede vorgebildete Aspekt der Leserrolle von hellenistischen Epigrammatikern herausgegriffen wird, ist gewiß kein Zufall. Auch wenn das laute Lesen bis in die Spätantike die primäre Form der Rezeption von Geschriebenem darstellt, zeigen gerade die Grabepigramme, daß man auch einen inneren Aspekt des Lesens kennt, der der Verlautbarung nicht bedarf. Neben der Rezitation mit lauter Stimme gibt es also eine zweite, mehr nach innen

gerichtete Form des Lesens, die anscheinend ebenfalls positiv bewertet wird. Ist

der stille Leser in dem zitierten Epigramm ein ‘privater’ oder ‘einsamer’ Leser, der am Lesen Vergnügen findet und nur für sich selbst liest? Dies läßt sich aus dem Text eines Epigrammes noch nicht entscheiden. Anzunehmen ist jedoch, daß die Absicht eines Autors, auch für genußorientierte Leser zu schreiben, und die Bereit-

schaft des Rezipienten zu stiller Lektüre mit der Ausbildung einer dominanten

Schriftkultur Hand in Hand gehen.“' Bevor wir nun zu den literarischen Schilderungen des Lesens im Buchepi-

gramm kommen,

sei noch kurz auf einen inschriftlichen Akt des Nicht-Lesens

verwiesen, der auf seine Weise die Bedeutung des Lesens im Hellenismus unterstreicht: ὅταν σύ, ὦ Πασιάναξ, τὰ γράμματα ταῦτα ἀναγνὼς — ἀλὰ οὔτε ROTE σύ, ὦ Πασιάναξ, τὰ γράμματα τοῦτα ἀναγνώσει, οὔτε ποτὲ Νεοφάνης aracıpo[.]dwı δίκαν ἐποίσει, aA’ ὥσπερ ob, ὦ Πασιάναξ, ἐνθαῦτα

ἀλίϑιος κεῖοι, αὔτω καὶ Νεοφάνεα ἀλίϑιον καὶ μηδὲν γενέσϑαι.7

Die Fluchtafel wird wie ein Brief (γράμματα)

einem Toten, in diesem Fall

dem Pasianax, mit ins Grab gegeben, und so wie dieser die Tafel nicht lesen kann, so soll auch der Prozeß des Neophanes gegen den Briefschreiber nichtig sein. Das Paradoxon der brieflichen Anrede an einen Nichtleser wird vom Verfasser formuliert, ohne daß ihm Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit seiner Rede gekommen zu sein scheinen. Im Gegenteil: Die magische Wirkung dieses Analogiezaubers be-

ruht ja gerade auf dem Fehlschlag der ‘Korrespondenz’, und dieser wird umso deutlicher, je genauer die äußerlichen Regeln der Kommunikation beachtet werden. Der kurze Text ist ein Zeugnis nicht nur für die Verbreitung des Lesens im hellenistischen Griechenland,

sondern

auch

für das Verständnis

des Lesens

als einer

Handlung.

340 Belege für ἀναλέγειν (sammeln, aufnehmen’) und ἀναλέγεσϑαι ('durchlesen', 2. B. ΚΑΙ]. Ep. 23) finden sich hinreichend in LSJ s. v. 341 Die Ursprünge dieser Entwicklung liegen schon im 4. Jh., s. WILAMOWITZ 1900, S. 14;

KREVANS 1984, S. 52f.: Nevertheless, a change in the balance between the written and the oral side of poetry has definitely taken place, even for the lyric poetry traditional associated with music.“ (S. 53); POHLMANN 1988, S. 13f. 342 Arkadische Fluchtafel aus Blei, Text nach SEG 37, 351.

Das literarische Epigramm des Hellenismus

117

6.2.2. Buchepigramme

Der Akt des Schauens beim Betrachten eines Denkmals bildet schon in manchen Epigrammen der klassischen Zeit die Szenerie einer Sprechhandlung, die sich aus dem archaischen “καλὸν ἰδεῖν / ϑαῦμα i660901-Motiv' und den deiktischen

Verweisen auf das Monument heraus entwickelt hat.’ Auch zahlreiche hellenisti-

sche Epigramme befassen sich mit den Aktivitáten des Betrachters und Lesers, wobei man vor allem zwei mentale Kategorien unterscheiden kann: die traditionell mit der Bewunderung des Gegenstandes verbundene sinnliche Wahrnehmung und

die intellektuelle Interpretation der Bedeutung von Schrift und Bild. Diesen Bereichen entsprechen auch verschiedene Leserrollen. Die Wahrnehmung des Denkmals

zu Beginn eines Epigramms verwendet etwa Nossis (1. Hälfte des 3. Jh.) in einem Gedicht, dessen Rahmen die Ankunft von Frauen an einem Aphroditetempel

schildert (Anth. Pal. 9, 332)?^ Ἐλϑοῖσαι ποτὶ ναὸν ἰδώμεϑα τᾶς "Appoöttas τὸ βρέτας ὡς χρυσῷ δαιδαλόεν τελέϑει. Gekommen zum Tempel wollen wir Frauen das Bild der Aphrodite sehen, wie es kunstfertig aus Gold geschaffen ist.

Noch pointierter mit dem visuellen Aspekt der Rezeption beschäftigt sich das Epigramm derselben Autorin auf eine Grabstatue (Anth. Pal. 6, 354}. Γνωτὰ καὶ τηλῶϑε Σαβαιϑίδος εἴδεται ἔμμεν ad’ εἰκὼν μορφᾷ καὶ μεγαλειοσύνᾳ.

ϑάςο᾽ τὰν πινυτὰν τό τε μείλιχον αὐτόϑι τήνας &Axop' ὁρῆν. χαίροις πολλά, μάκαιρα γύναι. Erkennbar schon von weitem scheint dieses Bild hier der Sabaithis zu sein an

Gestalt und Größe. Schau: Die Klugheit und Lieblichkeit jener meine ich ebenhier zu sehen. Sei vielmals gegrüßt, glückliche Frau. Eine der naheliegenden Aktivitäten des Betrachters und Lesers ist das Feststel-

len der Ähnlichkeit zwischen dem Bild und der bezeichneten Person.’* Das Ziel der Betrachtung ist neben der Bewunderung des Kunstwerkes die Wiederherstellung einer Náhe zu der Toten durch ihr Bild, so wie es auch ein Epigramm der

Anyte beschreibt (Anth. Pal. 7, 649)? 343 Diese Form epigrammatischer Darbietung bleibt bis in christliche Zeit beliebt, vgl. etwa

IGUR 413, Mf. (2. Jh.): ϑαῦμα μέγιστον ὁρῶ’ τίς ὁ ξένος | ἐνθ ἀδε τοῦτο ἀνέϑηκεν; 344 Nossis 4 Gow / PAGE, V. If. Das Thema der Frauen, die Kunstwerke betrachten, hier ganz subtil durch das Femininum ἐλθοῖσαι angedeutet, haben auch Herondas, Mim. 4 und Theokr. 15, 78-86 gestaltet.

345 Nossis 9 Gow / PAGE; vgl. noch Anth. Pal. 6, 353; 9, 604 und 605.

346 Vgl. auch U. Eco, Semiotik. Entwurf einer Theorie des Zeichens, München 71991 (engl. 1976), S. 366ff. zum Lesen ásthetischer Texte. 347 Anyte 8 Gow / PAGE; - προσφϑέγγεσϑαι in V. 4 spielt auf einen bräutlichen Kontext an, s.

D. GEOGHEGAN, Anyte. The Epigrams. A Critical Edition with Commentary, Rom 1979 (zu

118

Das griechische Epigramm und seine Leser

᾿Αντί tot εὐλεχέος ϑαλάμου σεμνῶν 9' ὑμεναίων μάτηρ στᾶσε τάφῳ τῷδ᾽ ἔπι μαρμαρίνῳ παρϑενικὰν μέτρον τε τεὸν καὶ κάλλος ἔχοισαν, Θερσί, ποτιφϑεγκτὰ δ᾽ ἔπλεο καὶ φϑιμένα.

Statt einer glücklichen Hochzeit und feierlichen Hochzeitsliedern hat die Mutter auf dieses marmome Grab eine Jungfrau aufgestellt, die dein Maß und deine Schönheit hat, Thersis, ansprechbar bist du auch als Tote geworden. Die Schönheit des Bildes erleichtert die gedankliche Kommunikation,

die mit

dem προσφωνεῖν des Besuchers einsetzen muß.’ Das Evozieren von Bildern im Gedicht, sei es nun für einen Stein bestimmt oder nicht, ist kennzeichnend für die

Dichter und Dichterinnen der von REITZENSTEIN so genannten „peloponnesischen Schule“. Als eine Besonderheit sind vor allem die Landschaftsschilderungen be-

kannt geworden, ekphrastische Elemente begegnen aber auch in den Gedichten auf Gegenstände oder Tiere. In allen diesen Epigrammen wird deutlich, daß es sich um

Bilder handelt, die an die Imagination des Lesers appellieren.'^? Ein gutes Bild ist nach antikem Kunstideal dem lebendigen Modell so ähnlich

wie möglich.” Mit diesem Topos spielt ein Epigramm des Asklepiades (oder Poseidippos, Anth. Plan. 68)! Κύπριδος δ᾽ εἰκών’ φέρ᾽ ἰδώμεϑα un Bepevíikag διστάζω ποτέρᾳ φῇ τις ὁμοιοτέραν. Ein Bild der Kypris ist dieses -- halt, laß sehen, ob nicht der Berenike. Ich frage mich, welcher von beiden man es ähnlicher nennen würde.

Der Dichter versetzt sich in die Rolle des Betrachters eines Bildes, das offensichtlich nicht inschriftlich bezeichnet ist, und versucht es nach seinem Aussehen zu identifizieren. Wie in den älteren, von fiktiven Lesern gesprochenen Epigrammen schildert das Gedicht eine erwünschte Reaktion. Das Lob für die Königin als das

eigentliche Ziel des Epigramms besteht in der scheinbaren Verwechselung mit der

Göttin der Schönheit.’”” Die Betrachtung an sich ist als eine intellektuelle Tätigkeit Nr. 8 auf 5. 89-95),

5. 94. Parallclen zu diesem Trostmotiv finden sich bei LATTIMORE

1942, S. 244; s. o. S. 57. 348 Vgl. GV 1342 und schon CEG 1, 441 (Athen, Felsinschrift am Musenhügel, 5. Jh.?y: "Avtivoog καλὸς μὲν ἰδὲν ( | τερπίον) νὸς δὲ πορσειπίσειπὸν (sic), wobei nach HANSEN πορσειπισειπὲν als προσειπὲν zu verstehen ist. Anders: /G I’, 1403. 349 Zur Involvierung des Betrachters von Kunstwerken im Hellenismus vgl. P. ZANKER, Eine

Kunst für die Sinne. Zur hellenistischen Bilderwelt des Dionysos und der Aphrodite, Berlin 1998; bes. S. 10 mit Anm. 5 zur Rolle des ergänzenden Betrachters, der als Adressat gerade für die frühhellenistische Kunst charakteristisch ist. 350

KASSEL

1983; Für die Kunstvorstellung des Hellenismus s. BIANCH! BANDINELLI

1977; B. H.

FOWLER, The Hellenistic Aesthetic, Bristol 1989; F. MANAKIDOU, Beschreibung von Kunst-

werken in der hellenistischen Dichtung. Ein Beitrag zur hellenistischen Poetik, Stuttgart 351

1993 (Beitráge zur Altertumskunde 36); ZANKER 1998. Asclepiades 39 σον / PAGE.

352 Die richtige Überschrift hat Anth. Plan. (A) εἰς εἰκόνα Βερενίκης.

Das literarische Epigramm des Hellenismus

119

geschildert, bei der es nicht in erster Linie um Stimmungswerte, sondern um ein rationales Unterscheiden geht. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den angeführten ‘peloponnesischen’ Beispielen, der jedoch nicht weiter erstaunlich ist, da sich der Dichter selbst in der ‘rationalen’ Rolle vorstellen will. Beide Arten der Rezeption, die analytisch-rationale und die spontan-emotionale, ereignen sich nicht nur im Akt des Schauens, sondern auch beim Lesen.

Ein Zeugnis für die intellektuelle Aktivität des Epigrammlesers, die über das

ästhetische Interesse an der Bildbetrachtung hinausgeht, bietet das vieldiskutierte ^" Grabgedicht, das unter dem Namen des Herakleitos von Halikarnassos, eines Zeit-

genossen des Kallimachos, überliefert ist (Anth. Pal. 7, 465)" "A κόνις &ptíakaztoc, ἐπὶ στάλας δὲ μετώπων

σείονται φύλλων ἡμιϑαλεὶς στέφανοι. γράμμα διακρίναντες, ὁδοιπόρςε, πέτρον ἴδωμεν, λευρὰ περιστέλλειν ὀστέα φατὶ τίνος. “ξεῖν᾽, ᾿Αρετημιάς εἰμι’ πάτρα Κνίδος" Εὔφρονος ἦλθον εἰς λέχος" ὠδίνων οὐκ ἄμορος γενόμαν, δισσὰ δ᾽ ὁμοῦ τίκτουσα τὸ μὲν λίπον ἀνδρὶ ποδηγόν γήρως, £v δ᾽ ἀπάγω μναμόσυνον πόσιος. Die Erde ist eben umgegraben, auf der Front der Stele schwingen halbverblühte Blätterkränze. Die Schrift wollen wir entziffern, Wanderer, und den Stein betrachten, wessen flache Knochen er zu schützen behauptet: “Fremder, ich bin Aretemias, meine Heimat ist Knidos. Ich kam in Euphronos' Ehebett. Nicht unteilhaftig war ich der Geburtsschmerzen; zwei Kinder zugleich gebárend ließ ich das eine dem Mann als Geleiter im Alter, das andere führe ich fort als Erinnerung an den Gatten.

Die konventionelle Aufforderung an den Passanten, das Denkmal zu betrachten, wird im ersten Teil des Epigramms poetisch ausgestaltet. Der Appell an den Rezipienten geschieht zum einen über das imaginierte gemeinsame Sichtfeld, zum anderen durch die direkte Aufforderung zur Lektüre. Beide Motive, die Erwähnung von Erde und Blumen am Grab und die explizite Ermunterung zur Lektüre,

begegnen in Steinepigrammen seit dem 5. Jahrhundert. Eine Variante stellt jedoch der Sprecher in der 1. Person Plural dar, der sich in die Aufforderung mit ein-

schließt und so gleichsam an der folgenden Lektüre teilnimmt." Das ‘Wir’ im Epi-

gramm besteht üblicherweiser aus dem “anonymous mourner’ und seinem fiktiven Publikum, hier aber agieren zwei Leser, als hätte sich der ‘anonymous mourner’ mit dem klassischen ‘Wanderer’ zusammengetan. Der Sprecher der ersten Verse ist also nicht der Anführer eines óffentlichen Klagerituals, seine Hinwendung an den 353 R. WEIBHAUPL, Die Grabgedichte der griechischen Anthologie, Wien

1889 (Abhandlungen

des Archäologisch-Epigraphischen Seminars der Universität Wien 7), S. 88; WEBER 1917, S. 555—557. WILAMOWITZ 1924, 2, S. 122f.; Gow / PAGE 1965, 2, S. 304f., ΒΕ. HUNTER, Callimachus and Heraclitus, Materiali e discussioni per l'analisi dei testi classici 28, 1992,

S. 113-123, hier S. 113-119; GUTZWILLER 1998, S. 250—252. 354 Heraclitus 1 Gow / PAGE. 355 Vgl. auch das ‘Wir’ in Anth. Pal. 9, 332 = Nossis 4 Gow / PAGE und bei Kallimachos, £p. 17, dazu Cassio 1994, S. 108.

120

Das griechische Epigramm und seine Leser

Besucher und die geschickte Art, seine Aufmerksamkeit auf das Denkmal zu rich-

ten,” lassen vielmehr an einen Periegeten oder Kommentator’ denken, jedenfalls an einen Beobachter und Erklärer, der das Monument präzise und mit atmosphärischem Feingefühl zu beschreiben weiß. So liegt die Interpretation HUNTERs durch-

aus nahe, der in der Rolle des Sprechers Eigenschaften des Dichters selbst erken-

nen will.?* Er ist auf jeden Fall ein zusätzlicher Vermittler und Animateur, der die Rezeption des fiktiven und empirischen Lesers beeinflußt. Trotz der klaren Zweiteilung ist das Gedicht kein Dialogepigramm der klassischen Form aus Frage und Antwort. Es besteht eine eindeutige Hierarchie zwischen den imaginären Gesprächspartnern: Der Stein ‘spricht’ erst in dem Augenblick, da sein Gegenüber die Schrift ‘unterscheidet’. Auffällig ist die rationalistische Distanz, mit der der Sprecher das Denkmal betrachtet. Die Erwähnung von Schrift und Anblick des Steines, sein vergänglicher Schmuck, mehr aber noch das Evozie-

ren der darunterliegenden Knochen läuft der Vorstellung einer Anwesenheit oder gar Verlebendigung der Toten durch das Denkmal, auf die die Beschreibungen der

Nossis abzielen, geradewegs zuwider. Hier handelt es sich um die rationale Art der Bildbetrachtung und Lektüre. Ebenso sachlich ‘antwortet’ die Stimme aus dem Grab, die sich ganz an das klassische epigrammatische Formular hält.’”” Eine mehr als kommunikative Nähe der fiktiven Interlokutoren ist nicht festzustellen.

Die Struktur des Gedichts ist ganz auf einen Akt des Lesens hin angelegt. Der erste Teil gilt der Präsentation der Leserrolle, wodurch der zweite Teil erst als Lesevorgang erkennbar wird. Der Epigrammatiker Herakleitos zeigt einen souveränen Umgang in der Gestaltung einer typisch epigrammatischen Szenerie, doch bleibt die schwierige Frage, welche dichterische Absicht sich hinter der dritten Sprecherstimme verbirgt. R. HUNTER hat plausibel machen können, daß der eigentliche Witz des Epigramms in einer Verschmelzung der Form der Sepulkralinschrift

mit der Sprache des sympotischen Epigramms besteht, ^ der Sprecher des ersten 356 Der Hinweis auf die gerade erst erfolgte Bestattung weckt die Neugier. Diese wiederum motiviert zur Lektüre. Anders verstehen WEIBHAUPL 1889, S. 88 und WEBER 1917, S. 556 γράμμα διακρίναντες als das Betrachten einer über der Schrift angebrachten Malerei, s. aber HUNTER 1992, S. 115: „making out the writing". 357 Für HUNTER 1992 bedeutet der Adhortativ zugleich die Aufforderung an den Leser, das Epigramm zu interpretieren. In motivischer Hinsicht entspricht die Einführung eines Animateurs dem Topos der 'zu unterbindenden Hindernisse', die von der Lektüre abhalten kónn-

ten. 358 Diese Stimme wird von HUNTER 1992, S. 116 als „poetic voice" bezeichnet (zustimmend GUTZWILLER 1998, S. 251), WILAMOWITZ 1924, 2, S. 122 sieht in ihr „genau dieselbe unbestimmte Person ... wie in den kallimacheischen Hymnen.“

359 Ein Umstand, der WEBER

1917, S. 555-557 dazu verleitet hat, im zweiten Teil des Epi-

gramms eine echte Inschrift zu vermuten; vgl. oben S. 100. 360 HUNTER 1992; WrIBHAUPL 1889 und WEBER 1917, a. a. O. versuchen anhand eines Ver-

gleichs mit der 'epideiktischen' Nachahmung des Gedichts bei Antipatros von Sidon (um 170-100), Anth. Pal. 7, 464 = Antipater of Sidon 53 Gow / PAGE, den Nachweis, daB die Form des Gedichts auf ein kopiertes Steinepigramm zurückzuführen sei. WILAMOWITZ 1924,

2, S. 123 móchte das Epigramm als ein Trostgedicht für den Gatten der Verstorbenen verstehen und so den Realitátsbezug retten. Das Fehlen jeglicher zusätzlicher außertextlicher Quellen läßt wie bei so vielen Epigrammen auch hier Raum für Spekulationen.

Das literarische Epigramm des Hellenismus

121

Teils also die in der Gelagedichtung übliche poetische Stimme des Dichters darstellt. Die Aufforderung zur Lektüre wäre demnach eine Aufforderung an intellektuelle Kollegen, das Epigramm analytisch zu interpretieren. Sicher ist auf jeden Fall, daß in diesem Epigramm der Akt des Lesens selbst Gegenstand der poetiSchen Gestaltung ist. Stimmt die HUNTERsche

These, so ist das Lesen hier ein

intellektuelles Spiel mit der eigenen Identitát. Dem Interesse am Akt des Lesens entspricht auf der anderen Seite ein Interesse an der Semantik des Denkmals. Kurze Hinweise auf die Funktion des Denk-

mals sind seit archaischer Zeit bekannt. Seit dem 3. Jahrhundert ermuntern die Verfasser von Epitaphien jedoch nicht nur zur intellektuellen Aktivitát, sondern liefern oft auch die Deutung einzelner auf dem Denkmal dargestellter Symbole mit. Dies

geschieht etwa bei Perses von Theben (Anth. Pal. 7, 445, V. 3{): ... οἱ δ᾽ ἐπὶ τύμβῳ μανυταὶ τέχνας δουροτόμοι πελέκεις.

| ... die auf dem Grabmal (dargestellten) holzschneidenden Axte sind Künder der Kunst.

Wie im älteren Steinepigramm thematisieren die Verfasser selbst die Funktionsweise von Denkmal,

Bild und Schrift. Die symbolische Zeichensprache wird

dabei als besonderer intellektueller Reiz und als Lesevergnügen betrachtet." Im 7. Buch der Anthologia ist eine Reihe von fiktiven Grabepigrammen zusammengestellt, deren Inhalt das Erraten solcher Symbole darstellt. Dabei geht es in den meisten Fällen um die Deutung von Bildern, etwa allegorischer Tierdarstellungen,

in einigen Beispielen aber auch um Schrift- oder Sprachrütsel.'^ Was die Struktur

der Gedichte angeht, lassen sich wiederum zwei Gruppen unterscheiden. In einigen Gedichten spricht das Grabmal selbst und erläutert dem Betrachter die Bedeutung seiner äußeren Erscheinung. In den übrigen spiegelt sich das Denkmal in den Gedanken eines fiktiven Betrachters. Das Epigramm stellt dann den Prozeß des Ra-

tens selbst dar. Das älteste Epigramm der Sammlung, das auf eine allegorische Darstellung Bezug nimmt und somit auch als Vorbild für die anderen betrachtet werden kann, ist unter dem Namen

des Leonidas von Tarent (Mitte des 3. Jh.?)

überliefert (Anth. Pal. 7, 422): 361 Perses 5 Gow / PAGE, V. 3f. (ca. 320 v. Chr). 362 Zur Allegorie und Symbolik auf hellenisüschen Inschriftensteinen vgl. SCHMIDT 1991, S. 139-141 und H. von HESBERG, Bildsyntax und Erzählweise in der hellenistischen Flächenkunst, JDAI 103, 1988, S. 309-365, hier S. 315f., nach dem der intellektuelle Aspekt der

allegorischen und symbolischen Reliefs, die gleichzeitig mit den entsprechenden Epigrammen auftreten (besonders ab der zweiten Hälfte des 3. Jh.), darin bestcht, daß das symbolische Bild wie ein Text zum Lesen und zur Abstraktion zwingt. Die Bildsyntax (Elemente, die ein Einzelbild konstituieren und verantwortlich für ihre Lesbarkeit sind) zerfällt in Teile,

die erst assoziativ verstandesmäßig kombiniert werden müssen. 363 Gedichte, in denen ein Leser die Bedeutung des Denkmals durch Nachdenken herausfindet, bilden in Anth. Pal. 7, 422-430 eine Sequenz.

364 Vgl. etwa Anth. Pal. 7, 429 = Alcaeus 16 Gow / PAGE, s. unten S. 123f. 365 Leonidas of Tarentum 22 (35) Gow / PAGE; zur Datierung s. ebd. 2, S. 308.

122

Das griechische Epigramm und seine Leser

Tí στοχασώμεϑά σου, Πεισίστρατε, xiov ὁρῶντες γλυπτὸν ὑπὲρ τύμβου κείμενον ἀστράγαλον, ἡ pat γενὴν ὁτι Χῖος; ἔοικε γάρ᾽ 9| ῥ᾽ ὅτι παίκτας

ἧἦσϑά τις, οὐ λίην δ', ὠγαϑέ, πλειστοβόλος; ἢ τὰ μὲν οὐδὲ σύνεγγυς, ἐν ἀκρήτῳ δὲ κατέσβης Xíq; ναί, δοκέω, τῷδε προσηγγίσαμεν. Was sollen wir für dich folgern, Peisistratos, wenn wir einen Chier als Wurf oben auf dem Grabmal eingemeißelt liegen sehen? Wohl, daß du aus Chios warst? So scheint es. Oder daß du ein Spieler warst, der nicht gerade, mein

Guter, den großen Wurf getan hat? Oder trifft es das auch nicht, sondern an ungemischtem Chierwein starbst du? Ja, ich glaube, so haben wir es getroffen.

Der Sprecher hat auf einem Grabmal den Namen Peisistratos gelesen und wundert sich nun über die in Stein (γλυπτόν) hinzugefügte Darstellung eines Astragals, der den „Chier“, den schlechtesten Wurf, 5 zeigt. Er vermutet einen symbolischen Bezug zu dem Toten und kommt zuerst auf das Naheliegendste, daß der Mann aus Chios stammte. Doch läßt er sich von seinen Assoziationen weitertreiben und überlegt, ob der Verstorbene vielleicht ein Spieler war, der dann wohl nicht allzu großen Erfolg hatte. Dieser Gedanke wird jedoch als nicht naheliegend (οὐδὲ σύνεγγυς) verworfen. Der Würfel sei als Hinweis auf die Todesursache zu verstehen, da Peisistratos wohl dem chiischen Wein zu sehr zugesprochen habe. Damit, stellt der Sprecher zufrieden fest, set er der Sache wohl am nächsten gekommen (τῷδε προσηγγίσαμεν).

Das Gedicht ist als ein Scherz zu verstehen. Denn anders, als es Leonidas behauptet, ist dieser letzte Gedanke alles andere als naheliegend: Wer würde schon

auf seinem Grabstein andeuten, daß er einem solchen Laster anhing? Aus unverhohlener Freude über die eigene Klugheit und über die menschlichen Schwächen

des anderen erklärt dieser 'Rátsellóser' das Fernere zum Naheliegenden.

Eine andere Pointe wählt Antipatros von Sidon (ca. 170-100)'5' in seiner Nachahmung dieses Epigramms. Neun verschiedene Würfe des Astragals werden in dem vierzehnzeiligen Grabgedicht symbolisch gedeutet. Bereits der Rahmen, der

den Betrachter/Leser an das Grab heranführt, ist gegenüber dem Gedicht des Leonidas erweitert (Anth. Pal. 7, 427, V. 1-3) * 'A στάλα φέρ᾽ idw τίν᾽ ἐρεῖ νέκυν. ἀλλὰ δέδορκα γράμμα μὲν οὐδέν που τμαϑὲν ὕπερϑε λίϑου, ἐννέα δ᾽ ἀστραγάλους πεπτηότας ...

366 Vgl. Anth. Pal. 7, 427. 367 Von ihm stammen die meisten Gedichte dieser Art. Meleagros hat dementsprechend in Anth. Pal. 7, 428 einen symbolischen Rätselepitaph auf Antipatros verfaßt. Zur Interpretation von Antipatros vgl. GUTZWILLER 1998, S. 236, wonach der Dichter einen „process of reading as interpretation, functioning as a symbol for the interpretative reading of the cultural past^ vorführt, vgl. S. 275f.

368 Antipater of Sidon 32 Gow / PAGE; der Konjektur ἐχει) ἐρεῖ, die σον / PAGE 1965, 1, 22 von VAN HERWERDEN übernehmen, wird hier in Abweichung von BECKBY 2, 1957 gefolgt.

Das literarische Epigramm des Hellenismus

123

Die Stele - schau nur, welchen Toten sie nennt. Doch ich sehe nirgends eine Inschrift, die oben in den Stein geschnitten ist, sondern neun gefallene Würfel

Antipatros hebt als Begründung für das Rätselraten hervor, daß das symbolische Bild hier die Inschrift ganz ersetzt; um so gróDer erscheint die Leistung des rätsellösenden Betrachters. Das Epigramm endet, auch hierin anders als das des Leonidas, mit einer ernsten Moral (Anth. Pal. 7, 427, V. 13f.): ὡς εὖ τὸν φϑίμενον νέον ἀκριτα kai τὸ κυβευϑέν πνεῦμα δι᾽ ἀφϑέγκτων εἰπέ τις ἀστραγάλων. Wie geschickt den Tod des Jungen, willkürlich wie das gewürfelte Leben, jemand durch sprachlose Würfel gesagt hat.

Trotz dieser Unterschiede in Ausführlichkeit und Ton kann man in beiden Fällen davon sprechen, daf sich in der Leserrolle Dichter und intellektuelle Elite selbst spiegeln. Es geht auch gar nicht mehr um eine verrátselte Aussage über den Toten,

sondern um das Spiel mit den Eigenheiten des Epigramms und vielleicht auch um milden Spott über die Eitelkeit der Verfasser und Leser von Rátselepigrammen. Der fiktive Betrachter oder Leser in diesen Gedichten ist nicht mehr neutral, wie der anonyme Leser, der uns schon in früheren Grabepigrammen als Sprecher

begegnet ist. Wie dieser dient er zwar als Projektionsfläche für die Erwartungen des Autors hinsichtlich einer 'idealen Rezeption'.

Er zeigt sich dabei

aber als

kritischer Geist. Diese Eigenheiten des fiktiven Rezipienten lassen Rückschlüsse auf den impliziten Leser der Epigramme des Antipatros zu: Es handelt sich um

intellektuell eigenstándige Subjekte, die die Qualitát von Dichtung bewerten und die es gewohnt sind zu vergleichen. Alkaios von Messene (ca. 200 v. Chr.) ist der Verfasser eines weiteren Grabepigramms der Rätselserie in der Anthologia. Auch hier ist der Protagonist ein ge-

lehrter Betrachter (Anth. Pal. 7, 429)9

Δίζημαι κατὰ ϑυμὸν ὅτου χάριν à παροδῖτις δισσάκι φεῖ μοῦνον γράμμα λέλογχε πέτρος

λαοτύποις σμίλαις κεκολαμμένον. ἀρα γυναικί τᾷ χϑονὶ κευϑομένᾳ Χιλιὰς ἣν ὄνομα; τοῦτο γὰρ ἀγγέλλει κορυφούμενος εἰς Ev ἀριϑμός. fj τὸ μὲν εἰς ὀρθὰν ἀτραπὸν οὐκ ἔμολεν, & δ᾽ οἰκτρὸν ναίουσα τόδ᾽ ἡρίον ἔπλετο Φειδίς; νῦν Σφιγγὸς γρίφους Οἰδίπος ἐφρασάμαν. αἰνετὸς οὐκ δισσοῖο καμὼν αἴνιγμα τύποιο, φέγγος μὲν ξυνετοῖς, ἀξυνέτοις δ᾽ ἔρεβος. 369 Alcaeus 16 Gow / PAGE. Hier wird jedoch dem in der Anthologia Palatina überlieferten und von BECKBY 2, 1957 beibehaltenen Wortlaut gefolgt. Zum Verständnis vgl. von HESBERG 1988, S. 319f.; im Unterschied zu späteren mit Symbolen arbeitenden Epigrammen und Re-

liefs wird hier nur eine einzige Aussage, nicht ein Bündel von Eigenschaften, symbolisch umschrieben, zur Frage, ob es neben Alkaios von Messene (um 200 v. Chr.) auch einen

gleichnamigen Epigrammatiker aus Mytilene gab, s. Gow / PAGE 1965, 2, 6f.

124

Das griechische Epigramm und seine Leser

Ich frage mich in meinem Sinn, weshalb der am Wege gelegene Stein zweimal Phi nur als Inschrift hat, mit steinschneidenden Messern geschlagen. War der

Name der in der Erde ruhenden Frau Chilias? Denn das bedeutet die zusammenaddierte Zahl. Oder kam ich nicht auf den richtigen Weg, und die Bewohnerin dieses unglücklichen Grabes war Pheidis? Jetzt habe ich, ein Oidipus, das Rátsel der Sphinx gelóst. Gelobt sei, der das Rátsel des doppelten Zeichens gefertigt hat, klar für die Verständigen, für die Unverstándigen dunkel.

Der Sprecher überlegt, warum der Stein am Wege" allein die Buchstaben db als Inschrift trägt, und er errát, daß das doppelte Phi den Namen Φειδίς darstellen soll. Dies steht insofern in der Tradition des Grabepigramms, als zum Namen pas-

sende Gegenstände schon früher auf den Stelen abgebildet werden konnten.""' Das Epigramm feiert jedoch anstelle der verstorbenen Pheidis die Klugheit des Rátsellósers. Der übertriebene Anspruch des fiktiven Lesers, einem Oidipus zu gleichen, und gar die Verwendung einer Mysterienmetaphorik im letzten Distichon im Zusammenhang mit einem schlichten Buchstabenrätsel lassen auch dieses Epigramm

als eine Parodie auf überzogenen Bildungsdünkel erscheinen. Die zitierten Epigramme sind Meisterstücke aber auch der Leserlenkung. Sie inszenieren Sprechakte, die durch das Fehlen des Kontexts ganz offensichtlich fiktiv sind. Im Mittelpunkt steht die Leserrolle: Die sprechenden Leser oder interpretierenden Betrachter scheinen ihr Tun außerordentlich zu genießen. Dies gilt jedoch gleichzeitig auch für die Verfasser von Epigrammen. In einem mehrteiligen, langen Weihepigramm an Osiris aus dem 2. / 3. Jahrhundert, das in verschiedenen Metren gehalten ist, gibt der Verfasser in beinahe zwanzig katalektischen Jamben eine Anleitung zum Lesen, mit der der Betrachter ein in ebendiesem Epigramm enthaltenes Akrostichon enträtseln kann.”’” Der Usus des Gesprächs im Epigramm

über das Epigramm findet also auch in inschriftlichen Gedichten Anwendung.

6.3.

Spiel mit der Lesererwartung im hellenistischen Autorenepigramm

Zu den Epigrammen, die über einen Ort hinausgehende Bekanntheit erlangten, záhlen neben den Gedichten auf óffentlichen Staatsgrábern auch die Epigramme auf berühmte Poeten, die diese vielleicht sogar selber verfaßt haben." Die Charaktersierung einer bekannten Persónlichkeit wird so zum Thema literarischer Epi-

gramme. Arat benutzt die Anredestruktur des Sepulkralepigramms mit einem anonymen Trauernden für einen Scherz auf einen Freund (Anth. Pal. 11, 437)? 370 παροδῖτις / ... πέτρος kehrt die normale Sichtweise um: Vor den Augen des Dichters ziehen die Stelen am Wegesrand vorbei. Das Thema des Reisens und des "Rátscels am Wegesrand' bringt den Sprecher auf Oidipus. 371 von HESBERG 1988, S. 319. 372 BERNAND 1969, Nr. 108 (Stele des Moschion). 373 Z. B. Aischylos 2 FGE, S. 131f. Um 400 v. Chr. hat Simias von Rhodos zwei Epigramme auf Sophokles geschrieben (Anth. Pal. 7, 21f.).

374 Aratus 2 Gow / PAGE; vgl. das Spicl mit der Form des Grabepigramms bei 'Simonides' 75 FGE, S. 295 (wo die Zuschreibung bezweifelt wird). Dies ist allerdings wohl der Beginn ei-

Das literarische Epigramm des Hellenismus

125

Αἰάζω Διότιμον, ὃς ἐν πέτραισι κάϑηται Γαργαρέων παισὶν βῆτα καὶ ἄλφα λέγων.

Ich beklage Diotimos, der auf Felsen sitzt und den Kindern der Gargarer Alpha und Beta erklärt. Leonidas von Tarent läßt das Gedenken an einen klugen Mann in eine Aufforderung zum Trinken umschlagen (Anth. Pal. 7, 452)" μνήμης Εὐβούλοιο caóqogpovoc, ὦ παριόντες, πίνωμεν᾽ κοινὸς πᾶσι λιμὴν ᾿Αίδης. Zur Erinnerung an den verständigen Eubulos, ihr Wanderer, wollen wir trinken. Allen ist Hades der gemeinsame Hafen.

Man meint zunächst, hier müsse wie so oft ein Grabstein die Passanten ansprechen, der zur Erinnerung aufgestellt worden sei. Mit dem überraschenden Adhortativ πίνωμεν wird aber deutlich, daß die Situation eine ganz andere ist. „Wir

wollen auf den verständigen Eubulos trinken, denn das Leben ist kurz genug“ lautet nun der Sinn des Distichons in Anlehnung an einen alten Trinkspruch. Der

Name Eubulos bedeutet nichts anderes als den ‘guten Rat’, den zu beherzigen der Sprecher mahnt. Es ıst kaum vorstellbar, daß ein solcher Rat vor dem Grab eines

Freundes gesprochen wird. Der Kontext ist durch das Verb eindeutig als ein symposialer gekennzeichnet. Die Anrede ὦ παριόντες und der Verweis auf den ‘Hafen

des Hades’ sind daher nur metaphorisch zu verstehen.’”

Die Gemeinsamkeit des Gedichtes des Leonidas mit zahlreichen um 300 v. Chr. entstandenen Liebesepigrammen besteht in der Rolle des Sprechers, der sich auf einem Gelage zu befinden scheint. Im Gegensatz zur frühgriechischen Gelagedichtung verzichtet das Epigramm jedoch völlig auf weitere Hinweise bezüglich dieses Rahmens. Es evoziert vielmehr den Kontext einer anderen literarischen

Gattung. Die Form des Grabspnuches ist nicht mehr durch äußere Zusammenhänge bedingt, sondern ist selbst Teil der Botschaft, die in dem Gedicht transportiert werden soll.

Dieselbe Technik des ‘verkehrten’ Grabgedichts, das nicht die Totenklage anstimmt, sondern mit dem Hinweis auf den Tod zum Genuß des Lebens ermuntert,

verwendet Asklepiades von Samos (Anth. Pal. 5, 85)?" Φείδῃ xapS3evinc kai τί πλέον; ob yàp ἐς "Aiónv ἐλϑοῦσ᾽ εὑρήσεις τὸν φιλέοντα, κόρη. £v ζωοῖσι τὰ τερπνὰ τὰ Κύπριδος, ἐν δ᾽ ᾿Αχέροντι ὀστέα καὶ σποδιῆ, παρϑένε, κεισόμεϑα.

ner längeren Trostelegie. Zu Anklängen an das Grabepigramm vgl. P. SCHUBERT, A propos d'une épigramme d’ Aratos sur Diotimos, Hermes 127, 1999, S. 501-503.

375 Leonidas of Tarentum 67 (15) Gow / PAGE (mit der Konjektur μνήμης) uvnunv); eine ähnlich verkehrte Moral zeigt das parodistische 'Simonides' 37 FGE. 376 Es handelt sich um das Bild der Lebensreise; áhnlich vermutet HUNTER

1992, S. 116 in der

Anrede ὁδοιπόρε in dem Epigramm des Herakleitos die Metapher der poetischen Reise. 377 Asclepiades 2 Gow / PAGE.

126

Das griechische Epigramm und seine Leser Du bewahrst deine Keuschheit. Und wozu? Im Hades nämlich wirst du deinen Liebhaber nicht finden, Mädchen. Bei den Lebenden sind die Freuden der Kypris, im Acheron werden wir als Knochen und Asche liegen, Jungfrau.

Das Gedicht wendet sich an ein Mädchen, das durch den Hinweis auf die eigene Vergänglichkeit vom Dichter zur Liebe überredet werden soll. Das Bild des Todes, drastisch gekennzeichnet durch den Hinweis auf Knochen und Asche, entspricht den Darstellungen in Grabepigrammen. An die Stelle des dort beliebten Hinweises auf die Unsterblichkeit des Ruhms (oder auf die für Mädchen konventionelle Hades-Hochzeit) setzt der Dichter hier jedoch die Mahnung, jetzt zu leben. Die angeführten Epigramme zeigen eine Verschmelzung von programmatischer Stimme des Dichters und den Formen des Steinepigramms, die jedem zeitgenössischen Leser oder Hörer offensichtlich gewesen sein muß. Die Formen des Steinepigramms werden so doppeldeutig: Aus dem Kontext herausgelöst, für den sie eigentlich geschaffen wurden, werden sie zum Spielzeug des Dichters. Der Rezipient sieht sich in der traditionellen Rolle des fiktiven Epigrammlesers und wird durch die unerwarteten Wendungen des Dichters überrascht. Hellenistische Autoren kommunizieren mit ihren Lesern, indem sie ihnen Leserrollen anbieten oder aber gerade entziehen, wenn, wie bei Leonidas (Anth. Pal. 7, 452), die imaginierte

Lesesituation am Grab in eine sympotische Szenerie umschlägt.””” Die Voraussetzung für die Produktion und Rezeption solcher Verse ist aber die Kenntnis der

poetischen Traditionen des Steinepigramms.

378

... und zu dichten: vgl. Athen. 11, 472 f = Hedylos 5 Gow / PAGE; Hedylos 6 Gow / PAGE,

V. Sf: ὡς δ᾽ ἐπιλάμπει / N) χάρις ὥστε, φίλος, kai ypáqog καὶ μέϑυε; dazu und zu den Vorbildern BiNG 19882, S. 21. - Zur Hades-Hochzeit s. oben S. 56f. 379 Vgl. auch R. F. THOMAS, 'Melodious tears'. Sepulchral Epigram and Generic Mobility, in: M. A. HARDER / R. F. REGTUIT / G. C. WAKKER, Genre in Hellenistic Poetry, Groningen 1998 (Hellenistica Groningana 3), S. 205-223, hier 208-214 zu einem asklepiadeischen

Epigramm auf eine Hetäre (Anth. Pal. 7, 217 = Asclepiades 41 Gow / PAGE), das sowohl als Grab- als auch als ein erotisches Epigramm gelesen werden kann: „... Asclepiades 34, in which the original typologies stand as seperate options, depending on our reading of ἔχω

..." (S. 214).

B. AUTOR UND LESER IN DEN EPIGRAMMEN DES KALLIMACHOS 1. EINLEITUNG: EPIGRAMMBÜCHER UND BUCHEPIGRAMME Es würde weit über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen, wenn wir versu-

chen wollten, die gesamte Tradition des griechischen Steinepigramms in Hinblick auf Formen der Anrede und rhetorische Strukturen durch Hellenismus und Kaiserzeit hindurch und in den unterschiedlichen Regionen der antiken Welt erschópfend

zu behandeln. Nachdem wir auch bisher nur eine Auswahl von Texten untersuchen konnten, soll nun im folgenden eine für die Literarisierung der Gattung entscheidende Epoche, das 3. Jahrhundert v. Chr., am Beispiel eines Epigrammkorpus näher beleuchtet werden, das mit dem Namen eines einzelnen Autors verbunden wer-

den kann. Gegenstand unserer Untersuchung sollen auch hier die poetischen Gestaltungen epigrammatischer Sprechhandlungen sein. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die Inszenierung von alltagsnahen Sprechakten durch fiktive Sprecher in einer fiktiven Szenerie, die zur Appellstruktur des älteren Epigramms ge-

hórt, von einem der hellenistischen Pioniere der Gattung rezipiert und literarisiert wird. Bei keinem anderen der uns bekannten Dichter des frühen 3. Jahrhunderts steht die Präsentation des Materials, das ‘Wie’ der poetischen Darbietung, so sehr

im Vordergrund wie bei Kallimachos von Kyrene.! So bieten sich gerade seine Dichtungen für eine genaue Betrachtung der Rezeption epigrammspezifischer Formen der ‘mise en scéne' an. Eine Untersuchung über die leserorientierte Gattung des Epigramms bietet zudem eine besondere Móglichkeit, dem impliziten Leser bei Kallimachos auf die Spur zu kommen. Wie und wo auch immer die Epigramme des

Kallimachos ursprünglich vorgetragen oder gelesen wurden: Ohne eine Analyse der von ihm gestalteten textinternen Leserrollen bleibt das Bild, das wir uns von seinem Publikum, den realen, historischen Rezipienten, machen, unvollständig.

Die Frage nach dem spezifisch kallimacheischen Modus der epigrammatischen Darstellung ist stets im Zusammenhang mit der Frage nach dem konkreten Medium seiner Dichtung — Stein oder Papyrusrolle — behandelt worden. Sind die Epi-

gramme für 'reale' Monumente, für Gelagevortráge oder von vorneherein für ‘das Buch’ konzipiert worden? Welchen Einfluß hat die Entscheidung dieser Frage auf die Interpretation? Mögliche Antworten sollen im folgenden anhand eines kurzen Überblicks über die für unsere Untersuchung wichtigen Ergebnisse und Diskussionen der Forschung vorgestellt werden, bevor wir dann zur Betrachtung einzelner Epigramme übergehen.

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A. HARDER, Untrodden paths. Where do they lead?, HSPh 93, 1990, S. 287-309; GUTZWILLER 1998, S. 186f.; zur Schlüsselstellung des Kallimachos s. auch oben S. 2ff., 108.

128

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos 1.1. Das Epigrammbuch des Kallimachos

Von den Schulkindern späterer Generationen rezitiert und zum Gegenstand des Lehrervortrags zu werden ist das undankbare Schicksal eines berühmten Dichters,

das ein Freund und Kollege des Kallimachos auf scherzhafte Weise in Form eines Grabepigramms beklagt.” Mit dem incipit αἰάζω Διότιμον ... übernimmt Arat darin die Rolle eines ‘anonymous moumer’. Dennoch ist dasselbe auch den Epigrammen des Kallimachos aus Kyrene widerfahren, wie wir durch Athenaios wissen:? τοῦτο yàp ἐν παισὶ tà Καλλιμάχου ἀναγιγνώσκων ἐπιγράμματα, ὧν ἐστι καὶ τοῦτο, ἐπεζήτουν μαϑεῖν ... Clemens von Alexandria spricht von den Aitia und ähnlichen ὑπό τε φιλοσόφων ὑπό t£ ποιητῶν αἰνιγματωδῶς εἰρημένα, die in der Schule erklärt wurden,* was selbstverständlich das Vorhandensein von Editionen voraussetzt. Für Athenaios scheinen die Epigramme des Kallimachos eine feste Einheit zu bilden.” Daß ein Buch mit Epigrammen des Kallimachos existiert hat, wird von der Forschung mittlerweile akzeptiert, wenngleich wir keine direkten Zeugnisse darüber besitzen, ob er selbst oder ein späterer Grammatiker die Ausgabe veranstaltet hat.° 2

3

Aratus 2 Gow / PAGE = Anth. Pal. 11, 437, vgl. das Rezitieren der Schulkinder in Kallimachos Ep. 48 = 26 Gow / PAGE. Zum 'Schuilehrermotiv', einer Form des Spotts unter Intellektuellen auf Konkurrenten und Kollegen, vgl. CAMERON 1995, 5. 1-6. Athen. 15, 669 c = Test. 41 PrEiFFER. Welche Herausforderung Kallimachos als Epigrammdichter für seine Nachahmer bis in die Spätantike darstellte, zeigt Test. 24 PFEIFFER

(Suda, s. v. Μαριανός), nach dem Marianos im 6. Jh. n. Chr. eine Übersetzung Ἐπιγραμμάτων ἐν ἰάμβοις anfertigte. - Nach Martial 4, 23 (= Test. 75 PFEIFFER) ist Kallimachos der erste, d. h. der beste Epigrammdichter, Plin. Epist. 4, 3, 3, (= Test. 77 PFEIFFER) rühmt die griechischen Epigramme seines Briefpartners durch einen sicherlich übertriebenen

Vergleich mit denen des Kallimachos. 4

Zur Wertschätzung des Dichters in der Antike

insgesamt s. auch H. HERTER, Kallimachos, RE Suppl. 5. 1931, Sp. 386—452, hier Sp. 430. Clem. Al. Strom. 5, 8, 50 STÄHLIN / FRÜCHTEL / TREU = Test. 26 PFEIFFER: γυμνάσιον εἰς ἐξήγησιν γραμματικῶν ἐκκεῖται παισίν. Spätestens am Ende des 2. Jh. n. Chr. also lag eine kommentierte Ausgabe der Epigramme vor, vermutlich aber schon früher, vgl. Suda, s. v. ᾿Αρχίβιος, ᾿Απολλωονίου, γραμματικός. τῶν Καλλιμάχου ἐπιγραμμάτων ἐξήγησιν (= Test. 44 PFEIFFER). Mit Hedylos (Test. 45 PFEIFFER) ist der Name eines weiteren

Kommentators der Epigramme des Kallimachos überliefert. Zur Datierung des Archibios in

5.

claudische Zeit vgl. H. HERTER, Literatur zur hellenistischen Dichtung aus den Jahren 1921 bis 1935, Bursians Jahresbericht 255, 1937, S. 63-218, hier S. 105 und 185. Hedylos ist sicher nicht der alexandrinische Epigrammatiker. S.auch Athen. 7, 327 a (PFEIFFER zu Fr. 394). Andere Zeugnisse formulieren ähnlich, z. B.

Diog. Laert. 1. 79: Καλλίμαχος £v toig ἐπιγράμμασιν; Photios = Suda, s. v. ὑμεῖς, ὦ Μεγαρεῖς, ... ὡς καὶ Καλλίμαχος ἐν toig Ἐπιγραμματίοις. s. PFEIFFER zu Ep. 25 (= 11

Gow / PAGE), Clem. Al. Strom. 5, 10 STÄHLIN / FRÜCHTEL / TREU: Καλλίμαχος £v toig Ἐπιγράμμασιν γράφει, s. PFEIFFER zu Ep. 46; vgl. dazu auch schon REITZENSTEIN 1893, S. 88 und A. HAUVETTE, Les épigrammes de Callimaque. Étude critique et littéraire, accompagnée d'une traduction, REG 20, 1907, S. 295-357, hier S. 302f.

6

PFEIFFER 2, 1953, S. ΧΕΙ], vgl. schon O. SCHNEIDER, Callimachea, 2 Bde., Leipzig 1870— 1873, Bd. 2. S. 220; Gow / PAGE 1965, 2, S. 153 mit dem Verweis auf das Problem einer

fehlenden papyrologischen Überlieferung der kallimacheischen Epigramme; ARGENTIERI 1998, S. 6. Zu den anderen Gedichten s. jetzt den Katalog von D. MARCOTTE / P. MERTENS,

Epigrammbücher und Buchepigramme

129

Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß der Verfasser unserer ersten beiden zu-

mindest teilweise erhaltenen poetischen Bücher’ auch beabsichtigte, die nicht zwingend nur in einer bestimmten Periode seines Lebens entstandenen epigrammatischen Gedichte zu einem Buch zusammenzustellen und zu veröffentlichen.® Melea-

gros von Gadara jedenfalls nahm im 1. Jh. v. Chr. die Epigramme des Kallimachos oder einen Teil davon in seinen Στέφανος auf,” wodurch die 64 Kallimachos zugewiesenen Kurzgedichte bewahrt wurden, von denen trotz der Bewunderung, die spátere Autoren attestieren, zahlreiche Epigramme nur noch in der Anthologia

überliefert sind." Die von GOW / PAGE (1965, 2, S. 153) vorgenommene Gruppierung nach den in der Kaiserzeit kanonischen epigrammatischen Sujets in erotische, dedikatorische,

sepulkrale und epideiktische Epigramme erscheint nach heutiger Sicht als eine

mögliche Einteilung eines Epigrammbuchs.!! Das Verfahren entspricht zudem auch

bereits der Vorgehensweise der Kompilatoren von Anthologien. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, daß das antike Gedichtbuch, sofern es die Werke eines Autors Les papyrus de Callimaque, in: Miscellanea Papyrologica. In occasione del bicentenario dell'edizione della Charta Borgiana, a cura di M. CAPAsso / G. MESSERI SAvORELLI / R. PINTAUDI, Florenz 1990 (Papyrologica Florentina 19), S. 409—427. Zu Epigrammsammlungen im Hellenismus vgl. FRASER 1972, 1, S. 607f. Einen Papyrus aus dem 2. Jh. v. Chr. mit zwei Epigrammen des Poseidippos, der bestätigt, daß es Sammlungen der alexandrinischen

Epigrammdichter unter dem Namen des Autors schon vor Meleagros gab, kennt bereits HAUVETTE 1907, S. 302—304; vgl. jetzt aber auch H. HARRAUER, Epigrammincipit auf einem

Papyrus aus dem 3. Jh. v. Chr. P. Vindob. G 40611. Ein Vorbericht, in: Proceedings of the

7 8

XVIth International Congress of Papyrology, Chico, Calif. 1981, S. 49-53, demzufolge man mit den Zeugnissen bis ins 3. Jh. v. Chr. zurückkommt, und G. WEBER, Dichtung und hófische Gesellschaft. Die Rezeption von Zeitgeschichte am Hof der ersten drei Ptolemáer, Stuttgart 1993 (Hermes Einzelschriften 62), S. 118, Anm. 2; s. außerdem oben S. 34 Anm. 42. Alssolche gelten Aitia und Jamben, KREVANS 1984, S. 8; Bing 1995, S. 121 mit Anm. 19. Nach WILAMOWITZ' (1924, 1, S. 171) freilich spekulativer Annahme war dieses in der Ju-

gendzeit verfaßte Buch die Grundlage der Karriere des Kallimachos. GUTZWILLER 1998, S. 183f. (mit Anm. 4) und S. 185 bringt cin Epigrammbuch des Kallimachos mit einer „final edition“ der späten 240iger Jahre in Zusammenhang. Damit ist zugleich gesagt, daß es sich um eine von Kallimachos autorisierte Edition handelte, aus der dann Meleagros schópfte,

vgl. schon HAUVETTE 1907, S. 302-305. 10

Anth. Pal. 4, 1, 21f. (= Test. 51 PFEIFFER). Zu den bei anderen Autoren erhaltenen Fragmenten (PFEIFFER 393-402) vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 153. Insgesamt läßt sich die Situation etwa so zusammenfassen: Für etwas mehr als ein Drittel der Epigramme existiert eine Sekundärüberlieferung (die früheste bei Strabo 14, 638 [Ep. 6], dann Athenaios, dem einzigen Zeugnis für Ep. 5, und Diog. Laert. [Ep. I u. 2]). meist werden aber nur einige Verse zitiert. Auf besonderes Interesse stießen die Epi-

gramme bei späteren Metrikern oder Grammatikern, und die Anthologia benutzte für einige

eine metrische Epigrammsammlung. Römische Übertragungen gibt es bei Vergil Catal. 11, 1-4 (Ep. 61), Horaz Sat. 1, 2, 105-108 (Ep. 31) und Q. Lutatius Catulus 1, FPL p. 43 MOREL (ca. 150-87 v. Chr., Ep. 41), dessen Ruf als Epigrammdichter Gellius 19, 9, 14 bezeugt. Ep. 42 ist - freilich fragmentarisch — auf der Wand eines Hauses auf dem Esquilin in

Rom erhalten. il

Die Verwendung der rhetorischen Kategorie 'epideiktisch' scheint mir für Kallimachos allerdings nicht glücklich. - Zur historischen Genese der Reihenfolge der Gedichte in den mo-

dernen Ausgaben, die von einer thematischen Anordnung nichts mehr erkennen läßt, vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 153.

130

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

präsentiert, auch nach anderen Gesichtspunkten (wie Metrik oder Adressaten) gegliedert werden konnte.'? Als ein programmatisches Einleitungsgedicht böte sich

ein Epigramm wie Ep. 28 (= 2 GOW / PAGE) Ἐχϑαίρω τὸ ποίημα τὸ κυκλικόν an," auch wenn es nur 'elegische' Themen -- Liebe und Dichtung - vorstellt; ein sphragisartiges Epigramm ist mit Ep. 21 (= 29 σον / PAGE) oder £p. 35 (= 30 Gow / PAGE) erhalten.'* Beweisen läßt sich hier jedoch nichts. Für die Interpretation der Gedichte hat die Anordnung der Epigramme in einem eigenen Buch oder einer kombinierten Werkausgabe'” in den meisten Fällen keine große

Rolle gespielt. Erst GUTZWILLER 1998 versucht, diesen Ansatz konsequent durchzuführen.

Sie sieht einen Einfluß frühhellenistischer Epigrammbücher im Aufbau

von Aitia und Jamben des Kallimachos, eine Beobachtung, auf deren Grundlage sie die unterschiedlichen Sprecherstimmen zum übergeordneten Strukturprinzip des

Epigrammbuchs machen will. Da uns das Buch des Kallimachos nicht erhalten und hóchstwahrscheinlich auch die Zahl seiner Epigramme nicht vollständig überliefert ist, halten wir uns in dem folgenden Durchgang durch die von Versinschriften beeinflußten Dichtungen des Alexandriners an den Text der einzelnen Gedichte selbst und an die Fálle, in denen Kallimachos auf die traditionellen Sprecherrollen des archaischen und klassischen Epigramms zurückgreift.

1.2. Die Epigramme des Kallimachos in der Forschung 1.2.1. Steine, Bücher, Symposien

Daß die philologische Beschäftigung mit den Epigrammen des Kallimachos bis in die Antike zurückreicht, bezeugen die erwáhnten Nachrichten über ihre Kom-

mentierung durch Archibios und Hedylos. Abgesehen von den zahlreichen Nachahmungen durch jüngere Epigrammatiker, für die eine eigene Untersuchung bislang 12. 13

KREVANS 1984, S. 12f. Vgl. Horaz Carm. 3, 1, 1: odi profanum vulgus et arceo, das jedoch auch vom Beginn der Aitia beeinflußt sein kann. Das Verhältnis der römischen zur hellenistischen Dichtung untersuchen HUTCHINSON 1988, S. 277-354 (Bibliographie: S. 360f.) und CAMERON 1995, S. 454f. Speziell zum Epigramm s. E. FLORES (Hg.), Dall'epigramma ellenistico all'elegia romana. Atti del Convegno della S. I. S. A. C. (Napoli 27 nov. 1981), Neapel 1984; THOMAS 1998, S. 214-223.

14

Den

Aufbau

hellenistischer und rómischer Gedichtbücher unter techni-

schen Aspekten behandelt J. van SICKLE, The Book-Roll and Some Conventions of the Poetic Book, Arethusa 13, 1980, S. 5-42. GUTZWILLER 1998, S. 218 vermutet in Ep. 28 das Einleitungsgedicht zur ‘erotischen Sektion’ des Epigrammbuchs, während ihr „canditate for the first poem in Callimachus' Epigrammata" Ep. 1 ist (S. 224). Zu beiden Gedichten, die vermutlich aufeinander bezogen sind, vgl. PFEIFFER 2, 1953, S. 86 zu Ep. 21, [5]-|6], Gow / PAGE 1965, 2, S. 186ff.; S. A. WHITE, Callimachus Battiades

(Epigr. 35), CPh 94, 1999, S. 168-181. 15

Vgl. AsPER, M., Onomata allotria. Zur Genese, Struktur und Funktion poetologischer Metaphern bei Kallimachos, Stuttgart 1997 (Hermes Einzelschriften 75), S. 59f.

l6

GUTZWILLER 1998, S. 38ff., 183-189. Die Anordnung nach Sprecherstimmen erinnert an die literaturgeschichtliche Perspektive des Sammlers W. PEEK, der in GV, S. XVII die Klassifizierung nach dem εἶδος vorschlägt. Die Tradition des Steinepigramms selbst legt ein solches Vorgehen nahe, sofern der 'Komponist' des Buchs sich dieser Tradition bewußt ist.

Epigrammbücher und Buchepigramme

131

fehlt, läßt sich bei Meleagros im 1. Jahrhundert v. Chr. der Beginn einer ästhetischen Würdigung der Epigramme des Kallimachos noch genauer festmachen: ἢ ἐν δ᾽ àpa Δαμάγητον, ἴον μέλαν, ἡδύ TE μύρτον Καλλιμάχου στυφελοῦ μεστὸν ἀεὶ μέλιτος (hinein tat er) Damagetos, das dunkle Veilchen, und die süße Myrte des Kallimachos, immer voll von saurem Honig.

Da die sinnliche Qualität von Dichtung in der Regel mit der Süße reinen Honigs assoziiert wurde, ist die Metapher des Meleagros keinesfalls eindeutig posi-

tiv.'® Vielleicht sollte die Formulierung auch andeuten, daB die Wahrnehmungen

und Meinungen der späteren Leser des Kallimachos durchaus geteilt waren. Den „sauren Honig‘ kallimacheischer Epigramme finden GOW / PAGE in der Pointiertheit einer strikten Wortókonomie oder auch in dem Kontrast zwischen formaler Glattheit und inhaltlicher Schürfe.? Was die ästhetische Bewertung der Epigramme

angeht, so ist diese bis auf die antike Kritik zurückreichende ambivalente Haltung

auch in der neueren Forschung nicht selten anzutreffen." Sie spiegelt sich ebenso

schon in der zusammenfassenden Charakteristik der Epigramme des Kallimachos bei WILAMOWITZ: „Geistreich, witzig, geschmackvoll

und fein ist diese Poesie, sie sucht die

Pointe und weiß sie zu finden. Gefühl fehlt durchaus nicht ganz; ... aber es 17 18

Anth. Pal. 4, 1, 21f. = Meleager 1 Gow / PAGE, V. 21f.; zur Verwendung von μύρτον in ähnlichem Sinne vgl. Pindar /sthm. 4 (3), 88 SNELL/ MAEHLER und Aristoph. Ran. 330. AsPER 1997, S. 201 Anm. 294. Allerdings waren Mischungen von Essig und Honig ein

hippokratisches Heilmittel (z. B. De morb. 2, 43f. L., 3, 16 L.. De aff. 10, 8 L.) und insofern letzen Endes doch willkommen. Der Geschmack des unvermischten Honigs war Gegenstand philosophischer Überlegungen bei den Skeptikern und in der alten Stoa, vgl. Demokrit Fr. 68 A 134 (DiELs / KRANZ): ἐκ τοῦ τὸ μέλι τοῖσδε μὲν πικρὸν Tolods δὲ γλυκὺ

19

φαίνεσϑαι ὁ μὲν Δημόκριτος ἔφη μῆτε γλυκὺ αὐτὸ εἶναι μήτε πικρόν; zur alten Stoa vgl. Clem. Al. Strom. 8, 9 STAHLIN / FRÜCHTEL / TREU. στυφελός heißt nach LSU s. v. „adstringent, sour, acid", sofern es um Geschmackliches geht, vgl. Anth. Pal. 9, 561 (Philippos), V. 6 über einen sauren Wein: ... στυφελὴν ἐξέχεον σταγόνα.

20

Das erste Urteil („astringent economy of words") findet sich in Gow / PAGE 1965, 2. S. 151, das zweite ebd. S. 600 z. St: στυφελοῦ μεστὸν ... μέλιτος „perhaps means that Callimachus's verses run smoothly but that their content tends to be harsh or obscure". Vorläufer für

die ambivalente Beurteilung sind vielleicht die sogenannten Kallimacheer und Antikallimacheer des 2. Jh. v. Chr., vgl. das Schmähepigramm auf den ξυλινὸς νοῦς des Kallimachos (Anth. Pal. 11, 275 = Apollonius of Rhodes? 1 FGE, S. 17f.). Das neoromantische Unbeha-

gen an der nicht-lyrischen, objektbezogenen Form des Epigramms schließt sich hier bereitwillig an. Zu positiven Urteilen über die kallimacheischen Epigramme in der Antike vgl. GUTZWILLER 1998, S. 183; CAMERON 1995, S. 28.

21

Vgl. den Überblick über die moderne Kritik bei L. Coco, Epigrammi. Premessa di E. DEGANI. Traduzione, commento, saggio introduttivo e bibliografia a cura di L. Coco, Manduria / Bari / Roma 1988, S. 42-46, in dem immer wieder der Vorwurf der Dunkelheit oder der

kalten Rationalität auftaucht, s. etwa M. FERNANDEZ GALIANO, Léxico de los Himnos de Calimaco 1, Madrid 1978, S. 162, nach dem Kallimachos zwar , magnifico en lo formal", aber „poco atractivo en lo spiritual" sei.

132

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

liegt immer eine Wolke der kühlen Verständigkeit davor. Gar nicht selten fühlt man sich an Voltaire erinnert.“

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Epigrammen des Kallimachos jenseits der kunstästhetischen Würdigungen wurde allerdings die meiste Zeit von der Kontroverse um den ‘Sitz im Leben’ dominiert, die auch die Epigrammforschung

im allgemeinen beherrschte.” REITZENSTEIN hat das Problem im Rahmen seiner Interpretation von Ep. 21 (= 29 Gow / PAGE), das zwei so unterschiedliche Funktionen wie Totengedächtnis und Gelagespruch in einer Gedichtform verbindet, zusammenfassend formuliert: Ich bin überzeugt, daß die viele Arbeit, die seit Hecker darauf verwendet ist,

die hellenistischen Epigramme als wirkliche Inschriften zu erweisen und ihre Stellung auf den Monumenten

zu bestimmen, der literarischen Verwertung

und Würdigung mehr geschadet als genützt hat. Für das Buch oder den Vor-

trag ... sind sie im wesentlichen berechnet.“ ?* Bereits in seinem folgenreichen Buch „Epigramm und Skolion" von 1893 steht

REITZENSTEIN im alexandrinischen Epigramm das Ergebnis des ZusammenflieBens von altem Epigramm und Elegie? zu einer neuen, die ehemaligen Gattungsgrenzen ignorierenden Form der Gelageunterhaltung. Die Epigramme des Kallimachos

seien von daher insgesamt als sympotische παίγνια, als kurze Improvisationen beim Umtrunk der Symposiasten, zu verstehen. Der gemeinsame Nenner der verschiedenen

Arten

der

von

Kallimachos

überlieferten

Epigramme

liegt

nach

REITZENSTEIN darin, daß es sich bei ihnen um ein „freies Phantasiespiel mit einer

hergebrachten Form? handelt. So sei es dem Dichter möglich gewesen, erotische, sympotische und epigrammatische Gedichte im engeren Sinne in einem Buch unter dem gemeinsamen Titel Ἐπιγράμματα zu veróffentlichen.? 22 23

WILAMOWITZ 1, 1924, S. 177; vgl. schon ScHMID/ STÄHLN II, 1, 1920, S. 134: „Witz, geistreiches Formenspiel". Vgl. G. KAIBEL, Zu den Epigrammen des Kallimachos, Hermes 31, 1896, S. 264-270, hier

S. 264; HAUVETTE 1907, S. 297 und 307; WiLAMOWITZ 1924, 1, S. 175; E. CAHEN, Callimaque et son cuvre poétique, Paris 1929, S. 431f., HERTER 1931 und DERS., 'Kallimachos', RE Suppl. 13, 1973, Sp. 184—266; A. KORTE / P. HANDEL, Die hellenistische Dichtung,

Stuttgart ^1960, S. 318ff.; A. LESKY, Geschichte der griechischen Literatur, Bern / München

?1971. S. 798; H. HERTER, 'Kallimachos', in: SCHMITT / VOGT 1988, S. 319-323, bes. S. 320

(,mancher

Wirklichkeitsbezug").

Die Literatur

zu den

Epigrammen

HERTER 1937, S. 184-190 und L. LEHNUS, Bibliografia Callimachea 1989, S. 282-310.

ist gesammelt

bei

1489-1988, Genova

24

REITZENSTEIN 1907, Sp. 83, 11ff.

25

Einzelne Arten des alexandrinischen Epigramms entstehen nach REITZENSTEIN 1893, S. 9294 aus verschiedenen Formen der mündlichen Unterhaltung beim Symposion: Genrebilder aus Komödienrezitationen, skoptische Epigramme aus Spottliedern und fiktive Grabepigramme aus den sympotischen ypupog-Spielen, s. auch oben S. 96f.

26 27

REITZENSTEIN 1893, S. 102. REITZENSTEIN 1893, S. 88. Die REITZENSTEINsche These ist vor allem für die wichtige Arbeit von G. GIANGRANDE, Sympotic Literature and Epigram, in: L'Épigramme grecque 1968, S. 93-177 zur Entstehung des hellenistischen Buchepigramms Vorbild gewesen, vgl. dort S. 93 Anm. ].

Epigrammbücher und Buchepigramme

133

Schon 1899 versucht dagegen WILAMOWTITZ, die Epigramme des Kallimachos wieder fester in der epigraphischen Wirklichkeit zu verankern. Ausgehend von den bekannten, in den Handschriften als carmina figurata überlieferten Gedichten und dem kallimacheischen Weihepigramm auf einen Köcher, dessen Form einen

ursprünglich begrenzten Untergrund suggeriert, erklärt er die meisten Epigramme für ‘echte’ Aufschriften.”” Auf eine ausführlichere und durchaus ausgewogene Auseinandersetzung mit REITZENSTEIN

Dichtung“ ein. WILAMOWITZ

läßt er sich

1924

in seiner „Hellenistischen

kritisiert hier vor allem die Extension der REIT-

ZENSTEINschen These, nach der „alles nur Schein wäre“.” Zwar gelte auch für Kallimachos, daß Gedichte mit zur Rezitation bestimmten Versmaßen die lyrische

Gelagepoesie ersetzen, man dürfe dies jedoch nicht auf alle Epigramme ausdehnen und die Möglichkeit einer echten Aufschrift prinzipiell leugnen. Der Versuch, den Wirklichkeitsbezug der kallimacheischen Epigramme zu definieren, orientiert sich bei WILAMOWITZ an einer biographischen Interpretationsli-

nie. Hier wirkt vor allem die hauptsächlich aus der Suda bekannte Tradition der Vita hinein, nach der Kallimachos seine Laufbahn als armer Vorstadtlehrer begonnen habe. Allerdings besteht der begründete Verdacht, daß diese Tradition ihrer-

seits bereits aus den kallimacheischen Epigrammen interpretierend geschópft hat.” Auch gegen die Vorstellung, daß wir in den Epigrammen tatsächlich die poetische

Aufarbeitung der „Zeit seiner nicht leichten und doch lustigen Jugend'?" vor uns haben, gibt es ernsthafte Einwände.”* WILAMOWITZ’ Vermutung, daß Kallimachos neben ,uneigentlichen" Liebesepigrammen gegen Honorar auch „wirkliche Aufschriften“ verfaßte, die zum Teil anderenorts, etwa an den Thermopylen oder in 28

WıLamowrtz 1899, S. 51ff. („nur aus den Monumenten werden diese Gedichte verständlich werden", S. 59); dazu REITZENSTEIN 1907, Sp. 83. In WILAMOWITZ 1924, 1, S. 120 wird die

These wiederholt. WILAMOWTTZ (ebd. S. 223) führt eine neuc Kategorie ein, indem er gemalte Monumente in illustrierten Büchern als reale Bezugspunkte mancher hellenistischen Epigramme vermutet.

29

Vehement zustimmend CAMERON

1995, S. 32-37, demzufolge es keine echten Figurenge-

dichte vor der Kaiserzeit und damit auch keine besondere Begeisterung für den visuellen As-

30

pekt schriftlicher Dichtung im Hellenismus, wie ihn Bing 1988a betont, gegeben habe. WILAMOWITZ 1924, 1, S. 120f.; WILAMOWITZ plädiert schließlich für eine Entscheidung im

3]

Einzelfall, ohne das methodische Problem damit grundsätzlich lösen zu können. WILAMOWITZ 1924, 1, S. 171: „Vom Leben und Treiben des jungen Kallimachos geben sei-

ne Epigramme, so wenig uns auch geblieben sind, ein Bild, das wohl das Wesentliche erkennen láBt." Zu der biographischen Interpretationsweise besonders in WILAMOWITZ'

darbuch von 1922 und ihrem zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. bes. KRUMMEN 15f., aber auch schon das Kapitel ‘Persönlichkeit’ in WiLAMOWITZ

32

Pin-

1990, S.

1913, S. 3-16. Was in

einem Gedicht nicht Ausdruck einer individuellen Persönlichkeit ist, gilt als weniger wertvoll. - Zur Methode vgl. auch SCHMID / STÄHLIN II, 1, 1920, S. 125ff., bes. 125f. Anm. 5 und S. 134. M. R. LEFKOWITZ, The Lives of the Greek Poets, Baltimore 1981, S. 120-128. Eine Kritik an dem dort vorgetragenen Skeptizismus äußert GENTILI 1990, S. 15f.; vgl. CAMERON 1995, S. 16’ 185ff. sowie 194 zu LEFKOWITZ 1981.

33

WiLAMOWITZ

1924,

1, S.

171. Für eindeutig spätere Epigramme

34

WILAMOWITZ (ebd. S. 175) eine spátere Ausgabe. CAMERON 1995, S. 3-9.

des Dichters postuliert

134

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Delos, aufgestellt werden sollten, ist gleichfalls spekulativ. Biographische und historische Interpretation, die sich gegen ein Verständnis dieser Dichtung „Phantasiespiel“ und „Schein“ richten, werden von WILAMOWITZ

als

auch in seinen

Einzelinterpretationen kallimacheischer Epigramme bemüht. Sie zeigen sich dort in den Erklärungen des Philologen, die häufig auf einen außertextlichen, quasi-historischen Rahmen rekurrieren.”

Die Suche nach den Realien in den Epigrammen des Kallimachos ist in Nach-

folge von WILAMOWITZ etwa auch von MEILLIER betrieben worden?" Nach MEILLIER handelt es sich bei den Epigrammen meist um in einem konkreten Kontext entstandene Gelegenheitspoesie: „Ce sont donc des documents précieux pour

l'étude des relations entre l'écrivain et son public." Keine andere Gattung sei so sehr geeignet wie das Epigramm, als eine „poesie de métier? den Erwartungen

des Publikums zu entsprechen. Das Problem der Unterscheidung zwischen fiktiven und 'echten' Epigrammen versucht MEILLIER mit Hilfe einer Reflexion über ihren literarischen und zugleich rituellen Charakter zu lösen, die den Unterschied zwischen Stein- und Buchgedicht nivelliert." Die Produktion eines herausragenden Dichters sei in beiden Medien, Buch und Stein, gleichermaßen geschätzt worden. Die Verwendung desselben formalen Vokabulars sei nicht dadurch bedingt, daß die Dichter ihr literarisches Spiel damit trieben, sondern daß sie sich von denselben rituellen Handlungen inspirieren ließen. „Le ‘jeu littéraire' reste donc tributaire des

formules consacrées, et n'est pas sans relation avec les conditions matérielles et morales de la vie sociale." Vor diesem eher religionssoziologischen Hintergrund seien die meisten Epigramme und ihr Realitätsbezug ernst zu nehmen, denn das epigrammatische Spiel gehóre selbst zur historischen Realitát. Diese sehr grundsátzlichen Überlegungen helfen jedoch, wie MEILLIER selbst an dieser Stelle auch bemerkt, bei der Interpretation einzelner Epigramme kaum weiter. Der Streit um den Realitätsbezug rührt nicht nur von der unterschiedlichen

Bewertung des 'Spielenschen' in der hellenistischen Dichtung, sondern auch von der Unkenntnis über den tatsáchlichen historischen Rahmen her, vor dem die ein-

zeinen Epigramme zu sehen sind. Selbst wenn ein Name historisch belegt ist, kann daraus nicht notwendig abgeleitet werden, daß ein Epigramm eine für den Stein bestimmte Auftragsarbeit ist. Im konkreten Fall bleibt dem Interpreten nur, ein be35

S. 175f. und Anm. 6. Unstimmigkeiten in den geographischen Angaben erklärt WILAMOWITZ damit, daß der Dichter den Ort eben nicht kannte. Woher weiß WiLAMOWITZ, dab Kallimachos nur wenige solcher Auftragsarbeiten „in sein Buch aufnahm“ (WILAMOWITZ

1924, 1, S. 175)? Ähnlich ScuMID/ STAHLIN II, 1, 1920, S. 126. 36

WILAMOWITZ 1924, 2, S. 114-129. Beispiele auf S. 118, 120 („Fabrikmädel“ ais Protagonistinnen eines Grabepigramms), 124. Es liegt WILAMOWITZ daran, die Epigramme nicht als „frostig“ und lebensfern erscheinen zu lassen (S. 129). Auch die Namen im Epigramm hält

37 38 39 40 41

er — anders als REITZENSTEIN — meist nicht für fiktiv. C. MEILLIER, Callimaque et son temps, Paris 1979, S. 29ff. Wie WILAMOWITZ ist er überzeugt, daß Kallimachos selbst eine Sammlung seiner Epigramme veröffentlichte. MEILLIER 1979, S. 29. MEILLIER 1979, S. 10. Ebd.: „La distinction, nécessaire, entre épigrammes réelles et fictives ne peut masquer le fait qu'il s'agit dans un cas comme dans l'autre de productions littéraires." MEILLIER 1979, S. 30.

Epigrammbücher und Buchepigramme

135

stimmtes Medium mit seinem Publikum zu postulieren. Während sich jedoch das personale Denken bei WILAMOWITZ an den individuellen Namen und Gestalten orientiert, versuchte man in der Folge eher, Gruppen und Kreise potentieller Rezipienten zu unterscheiden, so etwa die elitären Leser im Umfeld der Königshöfe vom weniger gebildeten Massenpublikum, wie es die Festivalbesucher der theokritischen Adoniazusen, aber auch die Leser der anonymen Steinepigramme darstellen

könnten. Über die genaue Grenzlinie zwischen dem höfisch gebildeten und dem Massenpublikum besteht allerdings in der

Forschung noch keine Einigkeit.”

Zwischen den beiden von REITZENSTEIN (1893 und 1907) und WILAMOWITZ

(1905 und

1924) vorgegebenen Eckpositionen steht die quasi-monographische,

allein den Epigrammen des Kallimachos gewidmete Arbeit von HAUVETTE (1907). Auch für ihn stellt sich, ganz im Tenor seiner Zeit, die wesentliche Frage, wie weit

ein Gedicht vom realen Leben entfernt ist." Insgesamt vorsichtiger als REITZENSTEIN (1893) und WILAMOWITTZ, unterzieht er die Epigramme einer ausführlicheren literarhistorischen Untersuchung und kommt wie REITZENSTEIN im gleichen Jahr zu dem Ergebnis, daß aufgrund der zahlreichen innerliterarischen Beziehungen der Gedichte nur wenige dieser Stücke wirklich für Denkmäler verfaßt sind.^ Im Zusammenhang mit dem notorischen Problem des Wirklichkeitsbezuges der kallimacheischen Epigramme ist auch die Frage nach der geistigen Einheit in der Vielfalt ihrer Themen und Formen von der Forschung thematisiert worden. Diese Einheit hat man zunächst vor allem auf der ideologischen Ebene gesucht. Mit HERTER haben auch andere Forscher einen gewissen „ethischen Ernst"8 mancher

Gedichte konstatiert, wobei ein apologetischer Unterton unverkennbar ist. Man versuchte daher immer wieder, die Epigramme nach ihrer Realitätsnähe und Seriosität in Gruppen mehr oder weniger ‘ernster’ poetischer Äußerungen einzuteilen und in der Folge auf die echte und ehrliche Weltanschauung des Kallimachos zu

schließen.“ In seiner gegen REITZENSTEIN gerichteten Argumentation führt BUM

42

CAMERON 1995, S. 24-70, bes. 49ff. Neben den Einblicken, die neue Papyrusfunde in das hellenistische Leseverhalten bieten, ist die prosopographische Untersuchung des alexandrinischen Publikums von WEBER 1993, S. 122-154 grundlegend für alle weiteren Forschun-

gen. Hilfreiche Überlegungen finden sich auBerdem bei P. PARSONS, Identities in Diversity, in: A. W. BULLOCH / E. S. GRUEN / A. A. Long / A. STEWART (Hgg.), Images and Ideo-

logies. Seif-Definition in the Hellenistic World, Berkeley / Los Angeles / London 1993, S. 152-170; C. RIEDWEG, Reflexe hellenistischer Dichtungstheorie im griechischen Epigramm, Illinois Classical Studies 19, 1994, S. 123-150, bes. S. 124 mit Anm. 7; P. BING, Aratus and his audiences, Materiali e Discussioni 31, 1993, S. 99-109. Gegen eine dogmatische Fixierung auf ein reines Elitepublikum als dem Adressaten der Texte des Kallimachos wendet sich mit guten Argumenten SCHMITZ 1999, vgl. jetzt auch M. ASPER, Gruppen und Dichter:

Zu Programmatik und Adressatenbezug bei Kallimachos, A&A 47, 2001, S. 84-116. 43

HAUVETTE 1907, S. 297 und 307.

44 45

Ebd.S. 324. HERTER 1973, Sp. 256. Dazu gehört auch die Authentizität des vom Dichter geschilderten Gefühls, vgl. WILAMOWITZ 1924, 1, S. 177; LESKY 1971, S. 798.

46

"Vgl etwa in der Nachfolge von WILAMOWITZ KORTE / HANDEL

1960, S. 318ff. Auch hier

geht es noch um einen Versuch der Aufwertung des literarischen Epigramms. Nach CAHEN 1948, S. 108f. ist die ,réalité^ der Epigramme bereits gegeben, wenn ein Gedicht „a été rédigée à propos d'une mort ou d'une offrande". Die Ähnlichkeit der bei KAIBEL 1878 ge-

136

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

1940, ein WILAMOWITZ-Anhänger, eine Trennung zwischen „wirkliche(n) Aufschriften“, „Einkleidungen in Aufschriftform" und „rein literarische(n) Epigram-

me(n)“ ein, ohne daß dabei jedoch sichere Kriterien deutlich werden.’ Bei diesem

Versuch, “echte” und ‘unechte’ Aufschriften anhand der in ihnen ausgedrückten Weltanschauung zu unterscheiden, zeigt sich das Dilemma des Forschers. Was die

gedankliche Einheit der kallimacheischen Epigramme angeht, so äußert sich in ihnen nach BUM letzten Endes nur die Zwiespältigkeit in der Seele des Menschen

der hellenistischen Zeit." Wenn Kallimachos für „Leute aus dem Volke“ ‘echte’ Inschriften verfaßte, habe er sich auf den Boden ihrer Anschauungen gestellt; ansonsten sei er als Privatmann ein pessimistischer Rationalist.^ Haben wir also ‘two voices’ bei Kallimachos? Die Fragwürdigkeit einer solchen Annahme ist evident, wenn man allein schon bedenkt, daß wir die Personennamen in den meisten Fällen gar nicht identifizieren können. Generell ist die Frage nach dem ‘Ernst’ eines Epigramms von der Frage nach dem Medium oder der Rezeptionsform zu unterscheiden. Auch Buchepigramme haben Inhalte und Funktionen, die für einen einzelnen Leser oder auch für eine Gruppe selbst dann von großer Bedeutung sein können,

wenn wir diese heute nicht gleich erkennen.”

Eine oft erwähnte These der älteren Forschung zur Entstehung des Buchepigramms besteht in der Annahme, daß es entscheidende strukturelle Unterschiede

gebe, wie sie besonders WEBER

1917 in der Art und Weise beobachtet hat, wie

Stein- und Buchepigramme auf die jeweilige Situation ihrer Rezeption Rücksicht sarnmelten Steinepigramme mit dem kallimacheischen „jeux d’esprit“ mache es plausibel, 47

daß der größte Teil seiner Gedichte „veracite“ besitze. Sichtbar wird vielmehr die Unmöglichkeit einer solchen Einteilung. Die Vorstellung der echten Aufschriften bei Kallimachos basiert auf WILAMOWITZ' Theorie der Auftrapsarbeiten

(vgl. z. B. die genaue Übereinstimmung von F. BUM, Die Epigramme des Kallimachos, Phil. Diss. Wien 1940, S. 64, mit WiLAMOWITZ

1924, 2, S. 175). Der effektvolle Schluß und der

poetische Ausdruck eines Augenblicks in Epigrammen sympotischen Inhalts bedeutet nach BUM bereits eine „Einkleidung“ in Aufschriftform. Rein literarisch seien dagegen die programmatischen Gedichte. Im ganzen ist die Arbeit von BUM gegenüber WILAMOWITZ wenig selbständig. -- Als problematisch haben sich Gliederungsversuche nach mehr oder weniger

‘echten’ Epigrammen auch in der Ausgabe von GEFFCKEN

1916 erwiesen, die Steinepi-

gramme mit literarisch Überliefertem kombiniert. Die bei Herodot (5, 59ff.) erwühnten alten Inschriften erscheinen dort unter „Schwindelhaftes“. REITZENSTEIN 1893, S. 136 bezeichnet

Anth. Pal. 7, 347 (vgl. 'Simonides' 10 FGE, S. 200-202) als „lügenhafte(s) Epigramm". 48

49

ΒΜ

1940, S. 94.

BuM 1940, S. 88ff., ähnlich schon WiLAMOWITZ

1924, 1, S. 177. Auch hier zeigt sich das

negative Urteil über den künstlerischen Ausdruck hellenistischen Lebensgefühls, vgl. dagegen R. PFEIFFER, The Future of Studies in the Field of Hellenistic Poetry, JHS 75, 1955, S. 69—73; A. W. BULLOCH, E. S. GRUEN / A. A. Long / A. STEWART (Hgg.), Images and Ideologies. Self-definition in the Hellenistic World, Berkeley / Los Angeles / London 1993, darin

bes. A. ἮΝ. BULLOCH, Introduction, S. 127-129 und PARSONS, S. 152-170; CAMERON 1995, S. 24ff. 50

Die Probleme der älteren Forschung resultieren auch aus einer negativen Bewertung der Schrifi. Für WILAMOWITZ ist die Buchdichtung nicht lebendig, vgl. U. V. WILAMOWITZMOELLENDORFF, Die Textgeschichte der griechischen Lyriker, Berlin 1900, S. 14, 18 sowie oben S. 29. Zu den modernen Vorurteilen gegenüber einer Lesedichtung vgl. jetzt auch

CAMERON 1995, S. 39f.

Epigrammbücher und Buchepigramme

137

nehmen." Das Steinepigramm kann auf Informationen verzichten, die dem Leser durch seinen Standort zum Zeitpunkt der Lektüre schon bekannt sind. Wie diese Sparsamkeit für die Inszenierung eines Sprechakts in einer bestimmten Situation eingesetzt wird, zeigt eine Statueninschrift zu Ehren der rhamnusischen Góttin Nemesis (CEG 1, 320 = 10 P), 1021), die man als einen Paradefall epigramma-

tischer Deixis bezeichnen kónnte: Λυσικλείδης àvé9nk|ev Eravöpido ὑὸς ax[n]lapxnv tóvég Yelä)ı τῆιδε, ἢ τόδ᾽ (E)xer τέμενος.

Lysikleides, der Sohn des Epandrides, hat als Opfergabe diesen der Göttin hier aufgestellt, der dieses Heiligtum hier gehört. Der Hexameter

nennt uns den

Stifternamen

und

erklärt die Funktion

des

Denkmals. Der Name der Göttin und des Heiligtums dagegen wird nicht erwähnt, auch der geweihte Gegenstand selbst wird nicht bezeichnet. Es fehlen also genau diejenigen Angaben, die sich dem Betrachter von selbst erschließen und die für ihn sichtbar sind. Der zweite Vers des Distichons erscheint somit beinahe inhaltsleer,

wird aber vom Leser, der die logischen Verbindungen zur visiblen Realität herstellt,

ohne weiteres verstanden.” Der zweite Vers ist auch performance, eine komplexe Handlung verbalen Zeigens, die den Akt des Schauens und Lesens lenkt. Ohne die Kenntnis des Ortes ist diese Sprechhandlung allerdings sinnlos. Wenngleich die Beobachtungen WEBERs zu diesem Unterschied von Stein- und

Buchgedicht durch die Entwicklung immer lángerer ekphrastischer Partien im Epigramm, die einen imaginären Kontext ausmalen, scheinbar bestätigt werden, so läßt

sich daraus doch kein eindeutiges Kriterium für eine ‘saubere’ Trennung ermitteln. Schon eine separate Überschrift über einem Weihepigramm wie dem des Lysiklei-

des würde genügen, den an anderem Ort fehlenden Rahmen der Lektüre vorstellbar zu machen. Zudem hat man beobachtet, daß die hellenistischen Epigrammdichter gerade die performativen Aspekte der im älteren Epigramm gestalteten Sprechakte wie Sprecherrollen und Zeigegestus imitieren, sei es zur Demonstration der kulturhistorischen Kompetenz, sei es zum Zweck der Persiflage." Die

51

Vgl. schon KAIBEL 1896, S. 264f. Unterstützt wird WEBER 1917 von RÖSLER 1983, S. 27: Das Steinepigramm „vermag vorauszusetzen, was man an Ort und Stelle sehen und erken-

nen konnte und was sich dort von selbst verstand; letzteres (scil. das Buchepigramm) muB verbal entfalten, was vorzustellen ist.“ Ähnlich schon LESSING, vgl. ROSLER 1983, S. 27 mit

52

Anm. 44 und KOHNKEN 1993, S. 119f. Nicht unberechtigt ist der Einwand bei BruG 1998, S. 29f. Anm. 32, der betont, daß hellenistische Epigrammdichter gerade diese Unbestimmtheit des Epigramms für ein „Ergänzungsspiel“ mit dem Leser aufgreifen. LAZZARINI 1976, S. 77 zu Nr. 643 erklärt das Fehlen des Namens der Nemesis mit den met-

53

Zu den Sprecherrollen schon KAssEL

rischen Zwángen des Epigramms. 1983, S. 11: „Den

hellenistischen Dichtern konnte

dieser Effekt (sci. die Paradoxie einer bis zur Sprechfähigkeit verlebendigten Statue) nur willkommen sein, und auch die nichtdialogische Selbstvorstellung haben sie dadurch aufgefrischt, dass sie die Materialität und den Artefaktcharakter der Götterbilder geflissentlich hervorhoben." Zur Deixis s. oben S. 15ff. sowie BiNG 1998, S. 29, 35.

138

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

ausgeprägten Eigenheiten des alten Epigramms kamen diesem hellenistischen Hang zur μίμησις traditioneller Formen entgegen.” Gerade die Kontroverse um die Epigramme des Kallimachos hat in der Literaturgeschichte des Epigramms zu einer Diskussion um ‘das Literarische’ geführt,

die man vielleicht als das methodisch interessanteste Problem dieser positivistischen Phase der Forschungsdiskussion bezeichnen kann. Indem die Forschung nunmehr die „striking lability with regard to medium"? als ein wesentliches Merkmal der Gattung des frühhellenistischen Epigramms akzeptiert, fragt sie nicht länger nach vermeintlich sicheren Kriterien für Inschriftlichkeit. Die allmähliche Anpassung dieser Literatur an ein Lesepublikum sollte auch nicht als ein Prozeß des Verfalls, sondern eher als eine Form produktiver Weiterentwicklung und Literarisierung betrachtet werden. So gilt es, die Vielfalt móglicher Kontexte in der Vielfalt der hellenistischen Kultur in den Blick zu nehmen, ohne daß im Einzelfall stets entschieden werden kónnte, in welchen Rahmen ein Text gehórte.

1.2.2. Epigramme für Hórer und Leser Nachdem sich die jüngere Forschung zu den Epigrammen des Kallimachos be-

sonders seit Erscheinen der Ausgabe von PFEIFFER 1953 zunächst wieder eher der Bescháftigung mit den textlichen und interpretatorischen Problemen der einzelnen

Gedichte zugewandt hatte, ist die von REITZENSTEIN ausgelöste Debatte um den historischen Rahmen ihrer Produktion und Rezeption in neuerer Zeit wieder aufgelebt. REITZENSTEIN selbst hat bereits in seinem RE-Artikel von 1907 die 1893 vorgetragene Ansicht modifiziert, es handele sich bei den mit Autorennamen überlieferten Gedichten prinzipiell um sympotische taíyvia im Sinne von Gelageimprovisationen. Im Einzelfall kónne man nicht entscheiden, ob ein Gedicht nicht auch für

die Anbringung auf einem Monument gedichtet worden sei.” Die künstlerische 54

REITZENSTEN 1907, Sp. 84 glaubt, verschiedene Realitätsebenen trennen zu können: Das künstliche „Rätselspiel“ der hellenistischen Figurengedichte sei „in dieser Ausbildung aber nicht im Leben, sondern in der μίμησις des Lebens passend". — Zur positiven Bewertung

55

56

der Nachahmung bei den Alexandrinern vgl. jedoch Theokr. 7, 44: πᾶν En’ ἀλαϑείᾳ πεπλασμένον ἐκ Διὸς ἔρνος, Kallimachos Hymn. 1, 65. BiNG 1998, S. 29. Vgl. dort auch S. 29-40 mit Beispielen für Epigramme des Typs Jinscriptional" bzw. „quasi-inscriptional“ (in der Terminologie von Bing nach HUTCHINSON 1988, S. 20f.), die in verschiedenen Medien und Verwendungen erscheinen. Dies gilt besonders für die wertvollen Beiträge von K. J. McKAv, An Experiment in Hellenistic Epigram, Journal of the Australasian Universities Language and Literature Associa-

tion 22, 1964, S. 191-199 und DERS., Callimachea [1969], in: Kallimachos 1975, S. 341—

353; GIANGRANDE, 1962-1985 (= SMA I-IIT); F. CHAMOUX, Über ein Epigramm des Kallimachos (£p. 54), in: Kallimachos 1975, S. 312-318 (zuerst: Sur une épigramme de Callimaque [ep. 54], REG 80, 1967, S. 258-263), E. LIVREA, Tre epigrammi funerari Callimachei, Hermes 118, 1990, S. 314—324 und DERS., L’ epitafio callimacheo per Batto, Hermes 120, 1992, S. 291-298. Eher literarásthetisch orientiert sind die Untersuchungen von J.

FERGUSON, The Epigrams of Callimachus, G&R 22, 1970, S. 64-80, E. A. SCHMIDT, Interpretationen kallimacheischer Epigramme, Hermes 104, 1976, S. 146—155; L. BRAUN, L'arte

di Callimaco negli epigrammi funerari, Studi Classici e Orientali 35, 1986, S. 57-70. 57

REITZENSTEIN

1907, Sp. 81ff. gesteht ein, daß er den Begriff des Buch-Epigramms übereilt

definiert habe. Auf der anderen Seite sei aber auch die bereits erwähnte Bestimmung von

Epigrammbücher und Buchepigramme

139

Freiheit in der Verwendung traditioneller literarischer Formen im Hellenismus,’* so der methodische Grundsatz, lasse nicht mehr von der Form unmittelbar auf die Verwendung eines Gedichtes schließen. Zentral bleibt jedoch für REITZENSTEIN die

These, daß die wesentliche Bestimmung der frühhellenistischen Epigramme, wie sie uns in der literarischen Überlieferung präsentiert werden, „die buchmäßige Verbrei-

tung“ oder der Vortrag, nicht aber die Steinaufschrift ist. Insbesondere die Bezüge zwischen den sogenannten Technopaignia und Gedichten anderer Gattungen, etwa zwischen der theokritischen Syrinx und dem 7. Eidyllion, lassen ihn zu dem Schluß gelangen, daß die Form der ‘Aufschrift’ ebenfalls längst zu einer literari-

schen, dem Buchgedicht angepaßten Form geworden ist.“

An die REITZENSTEINsche These schließen sich zwei neuere Arbeiten mit unterschiedlicher Zielrichtung an. A. CAMERONS historisch-realistische Interpretation (1995) betont auf der einen Seite die Rolle der Symposien und ihrer performances für Produktion und Rezeption hellenistischer Kurzdichtung, zu der er auch die kal-

limacheischen Hymnen und Jamben zühlt' Auf der anderen Seite plädiert CAMERON im Fall der nichterotischen Epigramme mit WILAMOWITZ dafür, daß

Kallimachos diese als echte Aufschriften konzipierte.°” Für Bücher dagegen seien Epigramme wegen ihrer Abhängigkeit vom visuellen Kontext denkbar ungeeig-

net.°° Die hellenistische Vorliebe für Rezitationsmetren erkläre sich daher, daß das Interesse auf praktische Aufführbarkeit gerichtet war, nicht aber aus dem Nieder-

gang

der Aufführungskultur

zugunsten

einer Dominanz

des neuen

Mediums

*Buch'.* Zum Lesen bestimmt waren nach CAMERON in dieser Zeit nur längere Epen.* Es ist daher kaum verwunderlich, daß die Tradition des Steinepigramms KAIBEL 1896, S. 264f. unzureichend. Als Beispiel dient dort Kallimachos Ep. 15 auf Timonoe. Ein Gedicht könne nicht zum Steinepigramm erklärt werden, nur weil es alle notwen-

digen Angaben zu den Namen enthalte. 58 59

Heute pflegt man auf die „Gattungsmischung“ hier die Argumentation bei ΒΙΝΟ 1998, S. 31f. REITZENSTEIN 1907, Sp. 83f.

oder „generic-mobilty“ zu verweisen, vgl.

60

Sie erfüllen damit dasjenige Kriterium für eine entwickelte literarische Kultur, das man mit "Intertextualitát' bezeichnet, nach O. LORENZ, Kleines Lexikon literarischer Grundbegriffe,

München 1992, S. 54 ein „Begriff für Verweisungsbezüge zwischen sprachlichen Äußenun61

gen ..., die gezielt das semantische Potential früherer Texte nutzen und so die Textgrenzen erweitern". CAMERON 1995, S. 71ff.; zu den Hymnen und Jamben ebd. S. 63-67 (Jamben), 91f., 166

(Hymnen). Als nicht unbedingt zwingend erscheint mir allerdings der Schluß von der Betonung des Hórens in den Texten des Kallimachos auf den Vorrang des (textexternen) Hörpublikums (S. 38), vgl. dazu MEYER 1993b. 62

CAMERON 1995, S. 32-38. So habe Kallimachos das Epigramm auf den Köcher (Ep. 37 PFEIFFER) für einen realen Kócher, das Kreophylos-Epigramm (£p. 6 PFEIFFER) für eine reale Kreophylos-Ausgabe geschrieben (S. 400f.).

63

CAMERON 1995, S. 76f. Das Euainetos-Epigramm (£p. 56 PFEIFFER) etwa sei für ein lokales Symposion gedacht gewesen, wo man wußte, wer und was damit genau gemeint war (S. 93). Erst aus der Diversifikation der Gattung in den ersten Deziennen des 3. Jh. ergebe sich überhaupt die Möglichkeit, Epigramme in Büchern zu veröffentlichen (S. 77f.).

64 65

CAMERON 1995, S. 148f. CAMERON 1995, S. 301. Hellenistische Dichter schrieben demnach eher Gebrauchsdichtung für verschiedene Anlässe und diese wiederum eher für die performance als für das Lesen (S.

140

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

für die Interpretation des poetischen Stils des Kallimachos bei A. CAMERON keine große Rolle spielt.” Die von ihm vielfach betonte Besonderheit des prominenten

Hervortretens einer subjektiven Erzählerstimme in den Gedichten des Kyreners leitet er aus der Parteilichkeit und nicht-epischen Subjektivität der alten Elegie her. Auf der anderen Seite sieht K. GUTZWILLER (1998) den Schlüssel zum Verständnis der einzelnen Epigramme des Kallimachos und seiner Zeitgenossen nur im Zusammenhang des vom Autor selbst edierten Epigrammbuchs.‘” Epigramme wurden demnach

nicht nur sekundär

in Bücher

aufgenommen,

sondern

in manchen

Fällen von vorneherein für Bücher verfaßt.°” Die im Vergleich zum Steinepigramm durchaus bestehende Unbestimmtheit des konkreten Kontexts im Buchepigramm

ist von den Dichtern sogar gewollt. Es geht ihnen um die Präsentation eines einheitlichen Stils und einer einheitlichen philosophischen Intention, aus der sich der Leser die Person des Dichters konstruieren kann." GUTZWILLER geht davon aus, daß seit dem 4. Jahrhundert das sekundäre Publikum von Lesern ebenso wichtig

66

286f.). Selbst inschriftlichem Götter- und Herrscherlob sei immer eine öffentliche Aufführung vorausgegangen (S. 294 mit Anm. 178). Mit dem Leser argumentiert CAMERON allerdings im Fall des langen Kataloggedichts der Aitia (S. 352f.). CAMERON betont mit REITZENSTEIN die schon für das 5. Jh. belegte Verbindung von enko-

miastischer Elegie und Grabepigramm (S. 289f.). Was Kallimachos betrifft, so sei er der Erfinder des páderastischen, Leonidas dagegen der Pionier des anathematischen (quasi-inschriftlichen) Epigramms (S. 299); Kallimachos setze ferner die Tradition des Steinepigramms fort, indem er Chorepinikion und agonistisches Epigramm miteinander verschmolzen habe (S. 150), und man könne Jamb. 9 und Fr. 114 als erweiterte Epigramme verstehen

67

(S. 145). Diese Aussagen treffen zwar zu, berücksichtigen jedoch nur unzureichend die minutióse Kenntnis des epigrammatischen Stils, die Kallimachos auch darüber hinaus beweist. CAMERON 1995, S. 314f. (u. a. zur 1. Ps. Pl. bei Tyrtaios und Mimneros), vgl. S. 315 zu den Aitia überhaupt (,, Callimachus did everything he could ... to push the person of the narrator from the frame into the narrative itself‘) und S. 351 zum vorwitzigen Sprecher in der Aydippe, vgl. S. 353 zu Fr. 75, 53-77: „the poet insistently projects himself into his own narrative" sowie S. 367f. (die Prásenz des Erzáhlers bei Hesiod werde von Kallimachos positiv be-

wertet). Kennzeichen von Kallimachos' elegischem Stil sind nach CAMERON

68

neben der

Wahl der Vorbilder im Bereich der persónlichen Elegie (anstelle des unpersónlichen Epos) die Verwendung der 1. Person und die dramatische Apostrophe (S. 439f., vgl. auch S. 445 und 451). Zur „extended apostrophe" in Fr. 102 und zum „extended dialogue" mit einer Statue in Fr. 114 s. ebd. S. 353. GUTZWILLER 1998, S. 4-8. Grundlage ihrer Interpretation ist somit eine plausible Annahme für einen Bereich (das hellenistische Buch), in dem bisher eher mit Wahrscheinlichkeiten

argumentiert wurde, vgl. Bing 1995, S. 121 Anm. 19: „We cannot say for sure wether Callimachus collected his epigrams into a book. But given the poet's well-known role in editing his Aitia and Jambi ..., and given the likelihood that his two sepulchral epigrams, 21 PFEIFFER and 35 PFEIFFER, were intended to be read together ..., I think it probable that he did indeed put together such a book". Gegen das zweite Argument wendet sich vehement

69

CAMERON 1995, S.78f., gegen ein Epigrammbuch vor Poseidippos (also auch gegen ein Epigrammbuch des Kallimachos) ebd. S. 76-80. GUTZWILLER 1998, S. 4 Anm. 12 gegen die These der Entstehung von Epigrammen aus Ge-

70

lageliedern bei REITZENSTEIN und CAMERON. GUTZWILLER 1998, S. 11, 28-30, 52f.

Epigrammbücher und Buchepigramme

141

wird wie das primäre Publikum der Zuschauer und Hörer.’' Die textinternen Sprecherstimmen spielen auch in dieser Untersuchung, die im Unterschied zu CAME-

RONs Buch speziell dem Epigramm gewidmet ist, eine entscheidende Rolle." Eine zentrale These dieser jüngsten Monographie zum griechischen Epigramm ab dem Hellenismus besteht darin, daß Kallimachos dem Buchleser die Fiktivität der quasiinschriftlichen Epigramme bewußt vor Augen stellen will." Die nung der Fiktivität ermögliche es dem Epigrammleser, die Person machos hinter dem fiktiven Sprechakt zu erkennen.’”* Als eine quenten Interpretation der Epigramme als Buchgedichte, die dem

ironische Enttardes Autors KalliFolge der konseKallimachosleser

in einer nach GUTZWILLER auch heute noch annähernd rekonstruierbaren Sequenz präsentiert wurden, spielt das Steinepigramm für die Charakteristik des poetischen Stils eine untergeordnete Rolle - in der Regel dient es GUTZWILLER als Folie für einen kallimacheischen „reversal of epitaphic convention“.’” Die Tradition des Steinepigramms muB ihrzufolge also umgestürzt oder dekonstruiert werden, um Stimme des Autors hörbar zu machen.

die

Entscheidende Fragen für die Bedeutung des Steinepigramms in der kallimacheischen

Dichtung

bleiben

also:

'Funktionieren'

die Epigramme

des Kalli-

machos anders oder mit anderen Mitteln als die traditionellen Steinepigramme mit

ihrer geradezu extrovertierten Appellstruktur?^ Ändert sich das Verhältnis von Autor und Leser merklich? Der Unterschied zwischen ‘alter’ und ‘neuer’ Fiktivität im Epigramm - daß auch die Sprecher im archaischen und klassischen Epigramm Fiktionen sind, die anfangs als unbewußte Metaphern fraglos akzeptiert wurden, haben wir oben gezeigt - ist nicht so leicht auszumachen, wie es bisweilen scheinen könnte und von der Forschung zu den Merkmalen des Buchepigramms hervorgekehrt wurde. Das Problem zeigt sich etwa in GUTZWILLERS Interpretation der Metapher des sprechenden Gegenstands in einem dedikatorischen Epigramm des Kallimachos:

71 72

GUTZWILLER 1998, S. 45ff. Ausgangspunkt sind hierbei aber auch für GUTZWILLER 1998, S. 185-188 die Erzähltechniken in den Aitien und Jamben. Zur möglichen Ordnung des kallimacheischen Buchs nach

Sprecherstimmen s. ebd. S. 39, zur durchgehenden Manipulation der Sprecherstimmen bei Kallimachos ebd. S. 187f.; vgl. ferner GUTZwILLERs gute Beobachtungen zur Verwendung der epigrammatischen Sprecher bei den unmittelbaren Vorláufern des Kallimachos ebd. S. 59 (Anyte), S. 86f. (Erinna und Nossis) und besonders S. 128 und 149 zur Imitation der an-

73

onymen Stimme des Epigramms durch Stimme des Dichters und zur Antwort eines textinternen Hórers bei Asklepiades. GuTZWILLER 1998, 132f.: „I suggest that Callimachus, by transferring these dedications from stone to book and by personalizing his objects with individualized character, essentially reverses the situation, making evident to the book reader the absence, or fictive existence, of the object that speaks (Hervorhebung D.M.) and bringing to the reader's attention the

presence (in absence) of the epigrammatist through his self-conscious manipulation of the written word." Vgl. auch schon MEYER 74

GUTZWILLER

75

GUTZWILLER 1998, S. 176.

76

1993a.

1998, S. 200.

Nach GUTZWILLER 1998, S. 196 mit Anm. WALSHS zu wenig berücksichtigt.

31

wird dies in den Interpretationen

G. B.

142

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos „As the hymns often remind the reader of their distance from actual ritual by dramatizing their own cult settings, so here 24 [GOW / PAGE = 54 PFEIFFER] calls attention to its fictiveness, to its necessary existence only in a book, by expressly stating what an inscribed epigram need never state, that its „Voice“ emanates from a written tablet (φησὶ ... ὁ nivad).“”

Steinepigramme geben jedoch etliche redundante ‘statements’ ab, die semantisch vóllig überflüssig sind, dafür aber den Akt der performance veranschaulichen. Wie wir im ersten Teil dieser Arbeit gesehen haben, ist die Verwendung von qnpuí

und áhnlichen performativen Verben mit der Funktion des Steinepigramms und auch mit seiner formalen Tradition auf engste verbunden." Auffällig — oft möchte man geradezu sagen: ungeschickt — präsentierte fiktive Gegenstände und Sprecherrollen sind geradezu typisch für das Steinepigramm. Dennoch wird die metrische Inschrift von ihren Lesern nicht als fiktionaler Text ohne Wahrheitsanspruch rezi-

piert,^ noch beinhaltet die Verwendung fiktiver Elemente bereits eine Aufforde-

rung zur Dekonstruktion. Die Untersuchung der vorhellenistischen Epigramme hat gezeigt, daß schein-

bar 'realistische' Bezugnahmen auf sinnlich erfahrbare, konkrete Dinge der Umwelt der Inszenierung einer performance und damit auch der Orientierung und Lenkung des Lesers dienen kónnen. So wird in archaischen Epigrammen aus der Kombination der deiktischen Verweise auf das Zeigfeld der Sprechhandlung mit fiktiven Sprecherrollen eine für den Leser interessante, dialogisch-mündliche Rezeptionssituation kreiert, die wie eine kleine Szene vor dem Denkmal abläuft. Es ist jedoch unbestritten, daß sich die Vorstellung eines Hórers oder Lesers von den ursprüng-

lich durch die Wirklichkeit vorgegebenen Daten in gewissem Grad zu lósen vermag. Der Autor kann die Gedanken seiner Rezipienten also auch durch Bezug-

nahmen auf eine subtil evozierte imagináre Realitát lenken. Diese 'Deixis am Phantasma' im Epigramm geschieht entweder dadurch, daß der Autor eine in Zukunft so ähnlich stattfindende Rezeptionssituation práfiguriert oder — im Fall des Buchepigramms - daß er solche Vortrags- oder Lesekontexte ganz in der Imagination des Lesers erzeugt." Da sich Autoren sowohl der inschriftlichen Stein- als auch der quasi-inschriftlichen Buchepigramme im Augenblick der Abfassung von realen Lesesituationen inspirieren lassen, können sich ihre Produkte durchaus gleichen, zumal sie denselben Erfahrungshorizont mit ihren Lesern teilen. 77 78 79

GUTZWILLER 1998, S. 192 (Hervorhebung D. M.). S. oben S. 74f. mit Anm. 187; vgl. z. B. CEG 1, 439 ... τόδε] qeoiv ... τόστρακον. Vgl. etwa L. ROHLING, Fiktionalität und Poetizität, in: ARNOLD / DETERING 1996, S. 25-51,

bes. 29, wonach die Erwáhnung fiktiver Gegenstánde in einem Text, in unserem Fall die Erwáhnung einer sprechenden Tafel, noch kein hinreichendes Merkmal für dessen Fiktionalitát darstellt. Wichtiger wáre es für uns zu wissen, ob der Autor das Dargestellte für wahr hält (ROHLING S. 35).

80 81

S.oben S. 19. Mit dieser Entwicklung von der situationsgebundenen zur situationsungebundenen "Mimesis' hat sich M. R. FALIVENE, La mimesi in Callimaco: Inni II, IV, V, VI, QUCC n. s. 36, 3, 1990, S. 103-128 befaßt, hier bes. S. 108. Ihmzufolge ist die Mimesis in der alexandrinischen Dichtung eine „mimesi di secondo grado", deren Ziel das „mimare in scrittura una performance orale" oder das „imitare testi-in-atti“ ist.

Epigrammbücher und Buchepigramme

143

Im folgenden Kapitel soll daher nicht versucht werden, den ‘Sitz’ der Epi-

gramme im Leben des Kallimachos aus seinen Epigrammen selbst zu rekonstruieren. Wir können aber wohl davon ausgehen, daß es Kallimachos in erster Linie -

mit REITZENSTEIN gesprochen - auf eine μίμησις des Lebens und darüber hinaus auf eine μίμησις

der im Leben verankerten poetischen Traditionen ankam.

So

wird das implizite Publikum der Epigramme des Kallimachos vor allem aus den literarisch gebildeten Hórern und Lesern bestanden haben, denen wir als fiktive Sprecher und Leser in den Gedichten seiner Zeitgenossen schon begegnet sind. Ob

diese sich dem imaginüren Spiel der Epigrammatik aus AnlaD eines Symposions hingaben oder die Lektüre der Gedichte für sich allein genossen, ob sie von den Gedichten persónlich unbetroffen waren oder gar namentlich in einer echten kallimacheischen

Grab- oder Weihinschrift genannt wurden — entscheidend ist, daß

ihnen das Rezipieren von Epigrammen so bedeutend schien, daß sie die Gedichte auch in Büchern lasen und diese so in die Überlieferung eingehen konnten. Vor diesem doppelten Hintergrund, der Tradition der Inszenierung fiktiver Sprechakte im griechischen Epigramm einerseits und dem besonderen Interesse an der Verfeinerung der Wahrnehmungsfähigkeiten auf allen Gebieten der Kunst im Hellenismus andererseits, sollen nun die performativen Elemente der Darstellung in den Epigrammen des Kallimachos untersucht werden."

82

Die

Sprecherrollen

in den

quasi-inschriftlichen

Epigrammen

des Kallimachos

sind

im

Hinblick auf ihre Vorbilder besonders von G. B. WALsH, Surprised by Self. Audible Thought in Hellenistic Poetry, CPh 85, 1990, S. 1-21, WALSH 1991, MEYER 1993a sowie KÖHNKEN 1993 untersucht worden. Vgl. jetzt ferner BnG 1995 und GuTZWILLER 1998, S. 188-226 passim. Die Vorbildhaftigkeit des Steinepigramms wird nirgends so intensiv herausgearbeitet wie in der gleichzeitig mit dieser Arbeit entstandenen Studie von FANTUZZI 2002. Neben den Sprecherrollen in den dramatisierten Epigrammen aus der Tradition der „Dialoghi con le statue" (ebd. S. 413ff.) untersucht er auch das Fortwirken der Konvention der „Tombe

senza nome" (ebd. S. 398ff : s. auch schon: DERS., Convenzioni epigrafiche e mode epigrammatiche. L'esempio delle tombe senza nome, in: R. PRETAGOSTINI [Hg.], La letteratura ellenistica. Problemi e prospettive di ricerca. Atti del colloquio internazionale. Università di Roma 'Tor Vergata', 29-30 aprile 1997, Rom 2000 [Quaderni dei seminari romani di cultura greca 1], S. 163-182). - Die für das Thema zentralen Thesen der Forscher werden

im Zusammenhang mit der Interpretation der jeweiligen Epigramme des Kallimachos im einzelnen behandelt werden.

144

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

2. GEGENSTÄNDE UND SPRECHERROLLEN 2.1. Gliederung des epigrammatischen Werks Bevor nun eine Auswahl aus den 63 in der Ausgabe PFEIFFERs gesammelten Epigrammen des Kallimachos einzeln im Hinblick auf ihre Darstellungstechnik und die fiktive Inszenierung der Kommunikationssituation untersucht wird, soll ein kurzer Überblick über das erhaltene epigrammatische Werk des Dichters gegeben

werden. Nicht alle Epigramme können hier ausführlich interpretiert werden." Die Textprobleme etlicher Kallimachos-Epigramme, dazu ihre formale und inhaltliche

Komplexität erschweren das Erkennen von Gemeinsamkeiten innerhalb einer Vielfalt von Metren und Redetypen. Die vollständig — oder beinahe vollständig -- erhaltenen Epigramme des Kallimachos lassen sich mit zwei Ausnahmen den drei durch ihren Gegenstand unterschiedenen, zur Zeit des Kallimachos wichtigsten Epigrammtypen zuordnen: dem Grabepigramm, dem Weihepigramm und dem erotischen Epigramm. Zum dedikatorischen Epigramm lassen sich hier auch die Siegerepigramme rechnen, da die Verkündung von Siegen in diversen Agonen in der Regel mit der Errichtung von Weihgeschenken und -inschriften verbunden ist.” Der Dichter orientiert sich also eng an den Funktionen des inschriftlichen Epigramms. Er erzeugt eine Nähe zur ursprünglichen Situation einer performance, die sich mutatis mutandis auch für die erotischen Kurzgedichte feststellen läßt: Fast in allen Fällen suggerieren diese Szenerien und Sprechhandlungen der Gelagepoesie,

richten sich also zumindest in der Vorstellung nach einem funktionsbestimmten Regelwerk der Kommunikation. Daß dieses bisweilen eine freiere Auslegung durch

den Dichter erfährt, werden wir in den Einzelinterpretationen sehen." Die größte Gruppe unter den Epigrammen des Kallimachos bilden die etwa 25

metrischen Sepulkralinschriften. Dazu kommen 21 Gedichte auf Siege, Stiftungen und religióse Weihungen sowie 12 erotische Gedichte. Die bei PFEIFFER gesammel-

ten Fragmente von Epigrammen zeigen außerdem, daß die Liste nicht komplett ist. Das häufigste Metrum ist das elegische Distichon, insbesondere in den dedikatori83

Ein ausführlicher Kommentar zu den Epigrammen des Kallimachos ist noch bei GurzWILLER 1998, S. 188 Anm. 15 als Desideratum vermerkt.

84

Vgl. T. FUHRER, Callimachus' Epinician Poems, in: Harder / Regtuit / Wakker 1993, S. 79— 97. hier S. 93 zu SH 254, Ebert 1972, S. 9-11, 16-18.

Ordnet man die Epigramme nach dem Gegenstand der fiktiven Sprechhandlung ohne Rücksicht auf weitere mógliche Verstándnisebenen wie implizite Dichtungstheorie oder philosophische Diskurse, bleiben nur zwei Epigramme extra genus. Ep. 1 zeigt allerdings eine lose Verbindung zu den Themen und zur elegischen Sprechhaltung einiger der sympotisch-eroti-

schen Epigramme, Ep. 59 ist ein 'negatives Siegerepigramm'. GUTZWILLER 1998, S. 188 sieht eine eigene Gruppe von Epigrammen „largely on literary themes“, die nicht in die drei Hauptgruppen passen. Hier nicht berücksichtigt werden die unechten £p. [36] und [63]. 86

Zu diesen zählt meines Erachtens auch das von WILAMOWTTZ für unecht erklärte Ep. 3, für dessen Echtheit jetzt auch G. GIANGRANDE, Due epigrammi dell' Anthologia Palatina (Call. 7. 318; Meleagr. 5. 144), Giornale Italiano di filologia 50, 1998, S. 63-66 eintritt.

ar

85

Die Inszenierung des Sprechakts

145

schen Epigrammen experimentiert Kallimachos aber auch mit anderen, bis dahin

nicht für das Epigramm verwendeten Metren.

Die folgenden tabellarischen Übersichten sollen das Augenmerk auf die Gestaltung der fiktiven Sprechakte - also nicht auf die tatsächlichen Aufführungssituationen kallimacheischer Epigramme — lenken. Hierbei müssen natürlich Unterschiede zwischen den quasi-inschriftlichen und den quasi-mündlichen erotischen Epigrammen berücksichtigt werden. Während die gleichsam monumentalen Grab- und Weihgedichte auf einen zwar standardisierten, aber auch sehr reichen Fundus an

Redeformen zurückgreifen können, den die literarische Tradition bis zum 3. Jahrhundert bietet, sind der fiktive Rahmen des Symposions und die Art der für ihn be-

stimmten poetischen Äußerungen dadurch begrenzter, daß das poetische ‘Ich’ des Dichters als Sprecher und die Gruppe der Freunde und Kollegen als (textinterner) Adressatenkreis festgelegt sind. Ein Blick in die Tabelle zeigt zudem, daß die ge-

schilderte Szenerie hier häufig ziemlich vage bleibt. Aus diesem Grund wollen wir im Fall der ersten beiden Epigrammgruppen auch die einzelnen Elemente der fiktiven Sprechhandlungen betrachten. Es sind dies besonders die Sprecherrollen und die verschiedenen Arten und Wege,

wie Informationen an den Leser vermittelt

werden, die wir im Anschluß an die Übersicht genauer untersuchen wollen.

Die folgende, an den typischen Strukturen der bisher betrachteten Epigramme entwickelte Gliederung soll daher der synoptischen Zusammenstellung der Grabund Weihepigramme des Kallimachos und der in ihnen dargestellten, fiktiven Sprechhandlungen zugrundegelegt werden: |

Nr. Pr. (G/P.)[

TrFormelemente des Sprechakts

Spre-| Adres|j cher

|sat(en)

| Illokutive(r) | Gegen- | Ort; | inschrifil. Vorbild] |Akt(e)

stand

| Zeit | (Form / Motivik)

Zu den Formen des Sprechakts záhlen wir die für das Epigramm grundlegenden Redeweisen des Monologs und des Dialogs, je nachdem, ob jemand auf die Äußerung eines ersten Sprechers antwortet oder nicht. Dabei können, wie aus den

Spalten 2 und 3 hervorgeht, unterschiedliche Sprecher einzelne Partien übernehmen. Nicht immer sind die Rollen vóllig eindeutig verteilt, worin allerdings nicht unbedingt eine Unsicherheit des Textes oder seiner Interpreten, sondern manchmal auch eine bewußte Strategie des Dichters zu sehen ist." Nicht nur im Dialogepigramm, auch innerhalb eines monologischen Rahmens kónnen verschiedene Sprecher zu Wort kommen. Dies geschieht durch das von Kallimachos häufig verwen-

dete Darstellungsmittel der ‘Rede in der Rede’, wenn etwa der Sprecher die Rede eines anderen zitiert oder wenn die epigrammatische Sprecherrolle selbst in verschiedene Aspekte wie Auftraggeber, Denkmal und Inschrift aufgespalten wird, wie dies auch in Steinepigrammen unter Zuhilfenahme einleitender verba dicendi

regelmäßig geschieht." Oratio obliqua und oratio recta werden dabei gleicherma87

Sorichtig FAnTuzzi 2002, S. 426, zu Ep. 58, 1: τίς, ξένος ὦ vorunyg; ..., s. unten S. 206ff.

88

Um der fiktiven Mündlichkeit der Epigramme Rechnung zu tragen, ziehen wir den Begriff der ‘Rede in der Rede’ der Bezeichnung dieser Rahmentechnik als inscription dans l'in-

scription“ durch LAURENS 1989, S. 107-110 vor. Der Begriff ‘Rede’ umfaßt alle Äußerungen einer "zweiten Stimme', ob sie nun als die Rede einer Person oder aber als die metaphorische Rede einer Inschrift eingeführt wird (vgl. £p. 11, 1: ... ὃ καὶ στίχος ... λέξων ...).

146

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Ben verwendet. Eine ähnlich verlebendigende Wirkung wie diese beiden Formen der Rede haben die eingestreuten Apostrophen an ein gedachtes Gegenüber. Nicht immer bieten sie dem Epigrammleser wirklich eine Orientierung hinsichtlich der Situation (wer spricht zu wem?).

Die apostrophierte Person ist nicht unbedingt

anwesend vorzustellen, sondern zeigt die Richtung an, in die die Gedanken eines Sprechers gehen. Eine für den Epigrammautor ebenso grundlegende Entscheidung über die Art der Darstellung wie bei der Wahl zwischen Monolog und Dialog betrifft die Möglichkeiten der Perspektivierung des Textes. Die Attitüde des fiktiven Sprechers ist entweder eher personal (hier: 'Personenrede'), wenn für den Leser

erkennbar wird, daß hier ein bestimmtes psychologisches Subjekt (eine persona) spricht, oder aber eher auktorial (hier: 'Bericht'), wenn ein anscheinend allwissender, nüchterner Berichterstatter die Rolle des Sprechers übernimmt." Beide Darbietungsformen — die eher subjektive und die eher objektive, die ursprünglich in verschiedenen Epochen der Epigrammgeschichte prominent waren - erzielen ver-

schiedene Effekte beim Leser und werden von dem hellenistischen Dichter bewußt zitiert. Die Perspektivierung eines Epigramms muß aber durchaus nicht von der

ersten Zeile an erkennbar sein: So kann eine scheinbar auktoriale Feststellung sich in dem Moment als personale Perspektive erweisen, in dem — etwa durch die Verwendung eines Prädikats in der 1. Person Singular am Ende des Epigramms” - ein individueller Sprecher erkennbar wird. In Epigrammen geschieht dies háufig auch durch emotionale Äußerungen in Form von exclamationes. Im Rahmen des epigrammatischen Sprechakts kónnen verschiedene illokutive Akte (Wahrheitsbehauptungen, Aufforderungen, Beschimpfungen, Drohungen,

Tróstungen und Trauer ...) realisiert werden. Expliziert werden diese Akte — oder Funktionen der epigrammatischen Rede - durch performative Verben und Sätze.”'

Die fiktiven Sprecher und Adressaten der inschriftlichen oder quasi-inschriftlichen Epigramme des Kallimachos gleichen denen der Steininschriften. Sie werden

entweder von einer stereotypen funktionalen Rolle, dem anonymen Trauernden / Betrachter / Leser oder dem ‘Gegenstand’ (Grabmal / Weihegabe / Inschrift), oder

aber von einer stárker individualisierten persona, einem Freund / Verwandten / namentlich bekannten Grabinhaber verkórpert.

Jedes Epigramm hat einen Gegenstand, der den Inhalt der im Sprechakt zu vermittelnden Nachricht darstellt. Dabei werden zusätzlich zu den wichtigsten Fakten, dem Tod eines Menschen oder der Erfüllung eines Gelübdes, auch Emo-

tionen, Reflexionen und subjektive Urteile transportiert. Während erstere meist schon durch die Erwähnung der existentiellen Ereignisse, von denen Epigramme berichten, hervorgerufen werden, wird letzteren ein besonderer Raum, oft in der zweiten Hälfte des Epigramms, zugestanden. In Grabepigrammen geht es dabei in

der Regel um den Jenseits- oder Unterweltsglauben, den Tod an sich, in Weihepigrammen um den künstlerischen und materiellen Wert des dedicatum. 89

Uns interessiert vor allem, ob der Blickwinkel des Sprechers durch Voreingenommenheit

90 91

oder Vgl. Vgl. Verb

mangelndes Wissen eingeschránkt erscheint, vgl. oben die Einleitung, S. 14f. ἐπέχω in Ep. 12, 4, s. unten S. 178f. Ep. 18, 5: „Ich verkünde (hiermit) das wahre Wort: ...“ für ein gängiges performatives (κηρύσσω) und Ep. 5, ΙΓ: „Du hast mich (hiermit) ais Weihgeschenk ...“ für einen

performativen Satz; zu den verba dicendi s. oben S. 101ff.

Die Inszenierung des Sprechakts

147

"Ort' und ‘Zeit’ definieren die imaginäre Szenerie. Diese bleibt in den Epigrammen des Kallimachos im Gegensatz zu dem, was als communis opinio bezüglich des Buchepigramms galt, oft auffällig vage. Deiktische Pronomina werden eher selten eingesetzt. Die ausführliche Zkphrasis des Grabes fehlt ganz. Für die Kommunikation mit den Toten genügt die Unterscheidung von ‘oben’ und ‘unten’, während die Anrede an den ‘Vorübergehenden’ in demselben Maße topisch ist, in

dem man bei der Vorstellung des Weges weniger an die reale Straße durch die Nekropole als vielmehr schon an die Metapher des Lebensweges denkt.” Unter der Rubrik ‘inschriftliches Vorbild’ werden schließlich einige Hinweise zur Herkunft der Formen und Motive aus dem Steinepigramm gegeben, die die Nähe der kallimacheischen Epigramme zur inschriftlichen Tradition ahnen lassen.

Was die Epigramme des Kallimachos dennoch von den Vorbildern unterscheidet, kann nur im Rahmen einer Einzelanalyse herausgearbeitet werden. Vollständigkeit ist in keiner der Listen erstrebt. Die tabellarische Übersicht über die erotischen Epigramme soll nicht nur dazu dienen, das Bild des epigrammatischen Werkes des Kallimachos abzurunden, son-

dern auch den Vergleich mit der poetischen Darstellungskunst in den quasi-inschriftlichen Gedichten erleichtern. Fiktiver Sprecher der in der Regel als sympotisch gekennzeichneten Epigramme ist die poetische persona des Dichters selbst, auch wenn sich dieser — anders als in den ‘Grabepigrammen’ - nirgends namentlich zu erkennen gibt. Adressaten und Szenerie sind in den meisten Liebesepigrammen recht unbestimmt, zumal nicht immer klar ist, ob die Anwesenheit des apostro-

phierten Geliebten, Freundes oder Gottes für die Realisierung des Sprechakts nótig ist, oder ob es sich vielmehr um ein Selbstgespräch, einen verinnerlichten Dialog ‘der Seele mit sich selbst’, handelt. Dies hätte für die Interpretation des Sprechakts weitreichende Konsequenzen. Die Apostrophe an den Freund oder Geliebten wäre dann in Wahrheit eine Apostrophe an einen Abwesenden, vielleicht den Empfänger eines ihm gewidmeten und zugesandten Epigramms. Wir müssen zumindest mit der Möglichkeit rechnen, daß Kallimachos diese Ambivalenz der Situation, ihren zwischen dem Realen und dem nur Gedachten, zwischen dem Blick nach auBen und der Wendung nach innen schwankenden Status, bewußt inszeniert hat.

Das Epigramm als eine monologisch dargebotene, personalisierte Wiedergabe von Gedanken in actu, die G. B. WALSH 1990 treffend und anschaulich als "audible

thought' bezeichnet hat, ist eine Form der Rede, deren Vorbild in denjenigen inschriftlichen Epigrammen zu finden ist, deren fiktiver Sprechakt in den Äußerungen

des Betrachters und Lesers im Moment der Rezeption besteht. Diese Epigramme zeichnen Reaktionen eines idealen Betrachters / Lesers vor, áhnlich wie auch der

psychologisch charakterisierte Sprecher der Liebesepigramme auf bestimmte Situationen und Argumente reagiert, die in seinen Äußerungen gleichsam gespiegelt werden. 92

Zur Metapher des Weges bei Kallimachos in diesem Sinne s. AsPER 1997, S. 94-99 und

93

oben S. 125 zu Leonidas. Die Voraussetzung für diese platonische Definition (Soph. 263 E) des diskursiven Denkens, eine 'Spaltung' der Seele in verschiedene Teile, formuliert Kallimachos ausdrücklich in £p.

41 (Hii

peo ψυχῆς ...); vgl. zu diesem jetzt G. GIANGRANDE, Callimacho e la vendita

all'asta, Siculorum Gymnasium 51, 1998, S. 415—418; zum Selbstgesprách s. oben S. 83.

148

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

2.2. Tabellarische Übersichten zu den Epigrammen des Kallimachos Tabellarische Übersicht I: Grabepigramme Nr.

Formelemente des

Sprecher

Adressai(en)

Illokutiver Akt

Pr. (G./P.){Sprechakts 2(34)

3(52)

|[Monolog, Freund des Toten | Der Tote Personenrede; / Dichter (tío) (Herakleitos) Bericht über eine Rede; Apostrophe

[Monolog;

Grabinhaber

Personenrede;

(Timon)

Anonymer Leser | Beschimpfung (des Lesers);

Anonymer Leser, | Timon;

Frage;

Gruß

Apostrophe 4(51)

9(41)

10 (33)

Trauer; Trost; Lob

[Dialog

[Monolog,; Personenrede

Grabinhaber (Timon) ‘anonymous mourner' oder Grabinhaber

anonymer Leser

Anonymer Leser

|Monolog;

*anonymous

Personenrede

mourner'

|Monolog; Personenrede;

Grabmal; Grabinschrift

Rede in der Rede

(ὁ στίχος)

|Monolog,

Grabmal

| Beschimpfung (des Lesers) Anonymer Leser | Lob; Trost

|Lob; Trost;

Spott (Ὁ) 11 (35)

12 (43)

Anonymer Leser | Vorstellung (des Grabs und des Toten)

Anonymer Leser | Auftrag (an einen

Personenrede; Direkter Appell

13 (31)

Boten)

[Dialog mit zwei

Anonymer Leser, | Grabinhaber,

Frage;

Adressaten

Grabmal;

anonymer Leser

|Klage;

Trost; Wahrheitsbehauptung |Klage

Grabinhaber 14 (44)

|Monolog;

Anonymer

Grabinhaberin;

Personenrede;

Freund

anonyrner Leser;

Apostrophe

(1. Ps. Pi.)

Gruppe

15 (40)

[Monolog? Personenrede

Anonymer Leser | Grabinhaberin (Freund?)

Klage

16 (37)

[Monolog.

“anonymous

Anonymer Leser

|Klage

Personenrede

mourner'

Anonymer Leser

|Klage

Anonymer Leser

|Ratschlag

17 (45)

18 (38)

[Monolog;

'anonymous

Personenrede

mourner'

[Monolog; Personenrede;

(1. Ps. Pl.) Grabmal (τύμβορ)

performativer Satz

Die Inszenierung des Sprechakts

Gegenstand

Ort, Zeit

Tod des Herakleitos aus | Unbestimmter Ort Halikarnassos,; (xov); Freundschaft; jüngste Vergangen-

Unsterblichkeit xalpe-Gruß

Inschriftiiches Vorbild (Form / Motivik) | Anrede an den Toten; Bote mit Todesnachricht; | Unsterblichkeit;

149

Nr. Pr. (G./P.) 2 (34)

heit Am Grabmal (πάρελϑε)

Freundschaft Imperativische Anrede an den Passanten,

Am Grabmal

zalpe-Gruß Dialog mit Unterweltsbewohner

4 (51)

Tod des Saon, Sohn des | Am Grabmal

"Hier ruht ...";

9 (41)

Dikon, aus Ákanthos; Jenseitsgiaube

|(τῇήδε)

*Nenne (sage) ..."; Jenseitsvorstellungen

Tod des Timarchos,

Am Grabmal

Hades

Sohn des Pausanias,

"Wenn du fragst / suchst ...";

3 (52)

10 (33)

Jenseitsvorstellungen

aus Ptolemais Tod des Theris,

Am Grabmal

Bericht über das Leben des Toten;

Sohn des Aristaios,

(ἐπ᾿ ἐμοῦ

sprechendes Denkmal;

aus Kreta

11 (35)

verbum dicendi,

Beschreibung des Denkmals Tod des Kritias, Sohn

| Am Grabmal

des Hippakos und der

|(ἐπέχω, ὧδε)

( klein, aber ...") Auftrag an den Boten mit der

Didyme, aus Kyzikos Tod des Charidas, Sohn | Am Grabmal des Arimmas, aus (ὑπὸ σοί, τί τὰ

Informativer Dialog mit dem Leser;

Kyrene,

Jenseitsvorstellungen

Jenseitsglaube Tod und Begräbnis der

νέρϑε) | Am Grabmal;

‘anonymous mourner',

Charmis, Tochter des

χϑιζόν

Bericht über das Begräbnis;

Diophon Tod der Timonoe,

Am Grabmal

Klage der Verwandten Fragen an den Stein;

Gattin des Euthymenes, | (στήλῃ) aus Methymna

Akt des Lesens; *sprechende' Inschrift;

Tod der Krethis aus

Am Grabmal

Klage der Verwandten ‘anonymous mourner';

Samos

(ἐνθάδε)

Tod des Sopolis,

Am Kenotaph

Sohn des Diokleides,

(or)

Kenotaph für Schiffbrüchige

aus Naxos bei Aigina

auf dem Meer

| Am Kenotaph (τύμpoc), am Meer?

13 (31)

14 (44)

15 (40)

16 (37)

mors immalura, πῦϑος einer ganzen Stadt; Jenseitsglaube ‘anonymous mourner';

auf dem Meer Tod des ἔμπορος Lykos

12 (43)

Todesnachricht

| Ich-Rede des Denkmals; verbum dicendi,

Kenotaph für Schiffbrüchige

17 (45)

18 (38)

150

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Nr.

Pr. (G./P.)

Formelemente des

Sprecher

Adressat(en)

Unbestimmt (Grabmal?)

Anonymer Leser

| Klage

| Anonymer Leser

| Klage

[Sprechakts

19 (46)

[Monolog,; Bericht in der

20 (32)

f Monolog; Personenrede

21(29)

|[Monolog: Personenrede,

Iliokutiver

Akt

Vergangenheitsform 'anonymous mourner' (Freund?;1. Ps. Pl.)

Grabinhaber

Anonymer Leser

Anonymer Hirte

Andere Hirten

| Lob

Apostrophe 22 (36)

| Monolog; Personenrede

23 (53)

26 (47)

35 (30)

40 (48)

|Monolog, Bericht in der Vergangenheitsform; Rede in der Rede | Monolog;

(1. Ps. Pl)

Unbestimmt | (Grabmal?)

Grabinhaber

Anonymer Leser

| Klage? Spott?

Bitte;

Personenrede;

Gottheiten;

Lob

Apostrophe |[Monolog; Personenrede; Apostrophe |Monolog. Personenrede;

anonymer Leser Anonymer Leser

Grabinhaber oder Grabmal? Grabinhaberin

Apostrophe;

58 (50)

60 (39)

|Monolog

61 (42)

Aufforderung

Chthonische

yaipe-Gnuß |Monolog; Bericht in der Vergangenheitsform [Dialog

50 (49)

Lob;

I Dialog

| Lob

Ein anonymer mánnlicher (!)

Klage; Lob,

Leser (wvep)

Gnuß

Grabmal”

Anonymer Leser

Anonymer Leser, Grabinhaber

Anonymer Inhaber | Frage; eines Kenotaphs; |Klage anonymer Leser Anonymer Leser | Mitteilung

Grabinhaber oder Grabmal? “anonymous mourner' | Grabinhaber,

(Freund des Grabinha- | anonymer Leser bers, der Dichter?); Grabinhaber

| Dank; Lob

Frage; Trost

Die Inszenierung des Sprechakts

Gegenstand Tod und Begräbnis des zwölfjährigen Nikoteles

Ort; Zeit Am Grabmal (ἐνθάδε)

durch den Vater Philippos Tod des Melanippos und

Unbestimmt

Selbstmord der Basilo, Kinder des Aristippos, aus Kyrene

151

Inschriftliches Vorbild (Form / Motivik) Bericht über das Begräbnis; mors immatura

Nr. F. (GP. 19 (46)

“anonymous moumer’;

20 (32)

Bericht über den Tod, Klage der Familie, der Freunde und einer ganzen Stadt

Tod eines Anonymus, dessen Vater und Sohn Kallimachos

heißen, aus Kyrene Tod und Verehrung des kretischen Hirten Astakides

| Grabmal (of); | Anrede an den Leser: | unbestimmter 'Wisse ...”;

Zeitpunkt nach dem Tod aller Unbestimmt

21 (29)

| Lob der Familie

Selbstmord des Kleombrotos aus Ambrakia

Unbestimmt

Bericht Anrede Lob des Bericht

über einen Todesfall; an Trauernde, Toten über einen Todesfall

22 (36)

Leben und Tod des Mikylos

Am Grabmal

sit tibi terra levis

26 (47)

Am Grabmal

Anrede an den Passanten;

35 (30)

(σῆμα)

Lob des Toten

23 (53)

(γαῖα) Tod des Sohnes des Battos

Tod der anonymen Priesterin für Demeter, die Kabiren und

Kybele Tod der phrygischen Amme Aischra und Aufstellung eines Grabbildes durch Mikkos

| Am Grabmal | (κόνις);

jetzt (νῦν) Unbestimmt | (am Grabmal?)

Anrede an den Leser, yaipe-Gruß;

40 (48)

Lob der Toten Bericht über die Errichtung des | Denkmals; unvergänglicher Ruhm des Bilds

50 (49)

| 58 (50)

Tod und Bestattung eines

Am Grabmal

Dialog mit dem fragenden Leser;

namenlosen Schiffbrüchigen

|(τάφος)

Anrede an den ξένος;

durch Leontichos Tod des Kimon, Sohn des

Am Grabmal

Schiffbruch Anrede an den Passanten: 'Wisse

Hippaios, aus Elis

(σήμα)

"me

Tod des Menekrates und Todesursache

Am Grabmal

“anonymous mourner'; exclamalio;

Dialog mit dem Grabinhaber, Jenseitsglaube

| 60 (39) 61 (42)

152

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Tabellarische Übersicht II: Weihepigramme Nr. Formelemente des Pr. (GJP.) [ Sprechakts | 5(14)

|Monolog; Personenrede; Bericht in Vergangen-

Sprecher

Adressat(en)

Tllokutive(r) Akt(e)

Muschel

ArsinoeAphrodite Zephyritis

Weihung. Ehrung; Bitte;

heitsform; Apostrophe; performativer Satz (σὺ 6 (55)

7(57)

νῦν pe ... ἄνϑεμα ἐχειῷ [Monolog; Personenrede; Apostrophe; exclamatio |Monolog,

Bericht / Appell (an den

8(58)

24 (60)

27 (56)

33 (21)

Gott); Apostrophe |Monolog; Personenrede; Rede in der Rede; Apostrophen

Lob

Buch des Kreophylos

Anonymer Leser | Lob (des Gegenstands); Entschuldigung

Anonymer

Bakchos

|Preisredner

Anonymer Dichter ('Autor'?)

Lob;

Vorhersage

Dionysos

|Monolog;

Bildliche Darstel- | Anonymer Be-

Personenrede

lung eines Heros | trachter der Darstellung

|Monolog. Personenrede;

Betrachter und Leser des Buchs

Apostrophe [Monolog;

(‘“Autor'7) Die Inschrift?

| Anonymer Be| trachter und Leser des Buchs Artemis

Bitte

| Seibstvorstellung; Rechtfertigung

| Lob; Gruß Bitte

Bericht; Apostrophen 34 (22)

Dialog; Personenrede; Bericht; Apostrophe

37 (17)

| Monolog, Personenrede;

38 (20)

39 (19)

Buchenast (Keule | Herakies (durch | Frage; des Herakles) Epitheta umBestätigung schrieben) (Annahme des Geschenks)

Die Inschrift? Ein Fürsprecher?

Sarapis

Dank; Bitte

Bericht;

Der Weihende

Rede in der Rede |Monolog; Bericht

Die Inschrift? Ein Fürsprecher?

Unbestimmt

Dank; Bitte (?)

1Monolog;

Die Inschrift?

Unbestimmt

Bestätigung

Bericht

Ein Fürsprecher?

Die Inszenierung des Sprechakts

Gegenstand Weihung der Muschel an Arsinoe-Aphrodite Zephyritis durch Selenaia, Tochter des

153

Ort,

Inschriftliches Vorbild (Form

Zeit

/ Motivik)

Vor dem Denkmal; |Ich-Rede des Gegenstands; | Moment der Wei- — | Anrede an die Göttin; hung

Kleinias, aus Smyrna

Nr. Pr. (G./P.)

5 (14)

Bericht über die Umstände

der Weihung, verbaler Vollzug der Weihung

Zuschreibung an Kreophylos

| Vor dem Buch

Rede des geweihten Gegen-

aus Samos,

stands;

Inhalt und Wert des Buchs

Künstlersignatur

Unvollendete Siegesweihung; Hilfe des Bakchos, Prophezeiung über künftigen Erfolg des Theaitetos An Dionysos gerichtete Bitte

| Unbestimmt

Anrede an die Gottheit; Ruhm des Siegers

7 (57)

| Unbestimmt

Anrede und Bitte an die

8 (58)

eines Dichters um einen Sieg

Vorstellung des Heros Aietion von Amphipolis;

Gottheit

| Vor dem Bild, am Tor (ἐπὶ προϑύρῳ)

Aition für die Art der Darstellung Zuschreibung eines Buchs an Arat, Wert des Buchs Weihung einer Statue für

[Rede des geweihten Gegenstands;

Vor der Statue

(τόδ᾽ ἀγαλμα)

Geschichte der Weihung;

Wohlergehen

Äußerung des Wunsches;

Weihung einer Keule an Herakles durch den Kreter

Im Heiligtum

do ut des Informatives Dialogepigramm,

[Vor dem Buch

Archinos Weihung von Bogen und

Im Heiligtum

27 (56)

33 (21)

34 (22)

Bericht über die Geschichte

37 (17)

der Weihung; verbaler Vollzug der

Weihung eines Bildes und Unbestimmt eines Brustbandes an Aphrodite durch Simon Weihung des Zehnten an De|Im Heiligtum von meter Pylaia und Kore durch | Antela (τοῦτον... Timodemos; Erfüllung cines τὸν νηὸν ὃν... Tempels

Rede des BeKunstwerks; Werk Gottheit;

Geschichte der Weihung

Kócher an Sarapis durch Menitas

Gelübdes; Baugeschichte des

24 (60)

Geschichte der Weihung Bewundernde trachters eines Anrede an das Anrede an die

Artemis durch Phileratis;

6 (55)

[κτλ.)

Weihung Feststellung des erfolgten Weiheakts in der Inschrift Feststellung des erfüllten ]Gelübdes in der Inschrift; Nennung des Heiligtums

38 (20)

39 (19)

154

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Nr.

Formelemente des

Pr. (G./P.) [| Sprechakts 47 (28) |Monolog;

48 (26)

49 (27)

51 (15)

Sprecher

Adressat(en)

Die Inschrift?

Akt(e) Die Festgemeinde| Bestätigung;

Bericht; Ein Fürsprecher? | (ὦ λαοῦ indirekte Rede in der Rede |Monolog; Tragische Maske | Anonymer BePersonenrede; des Dionysos trachter Rede in der Rede | Anonymer Be-

Illokutive(r)

Zeugenanruf (Festgemeinde) | Klage

[Monolog;,

Komische Maske

Personenrede, Apostrophe

des Pamphilos

trachter (ξένε)

Dank,

Erklärung

| Monolog; Personenrede

Anonymer Betrachter der

Unbestimmt

Lob

Eileithyia

Dank;

Statue 53 (23)

|[Monolog;

Die Bittende

Personenrede; Apostrophe

54 (24)

| Monolog, Personenrede;

Apostrophe; indirekte Rede in der

Gelübde (Versprechen); Bitte Unbestimmt; die Tafel mit der

Asklepios

Inschrift (ὁ πίναξ)

Bestütigung; Wahrheits-

behauptung; Zeugenanruf

Rede;

performativer Satz (φησὶ 55(16)

56 (25)

παρέξεσϑαι μαρτυρίην) |[Monolog; Personenrede; direkte Rede in der Rede

Lampe

Anonymer Betrachter

| Seibstiob

| Dank,

[Monolog;

Ein bronzener

Anonymer Be-

Personenrede; indirekte Rede in der Rede

Hahn; der Stifter

trachter

Zeugenanruf, Wahrheitsbehauptung

Dank; Bestätigung

57 (18)

| Monolog, Bericht

Unbestimmt

Unbestimmt

62 (61)

1 Monolog; Apostrophe

Unbestimmt

Die Ziegen auf dem Berg Kynthos

| Dank; | Ermunterung; Lob

Die Inszenierung des Sprechakts

Gegenstand

Ort; Zeit

.

Inschriftliches Vorbild (Form [/ Motivik)

155

Nr. Pr. (GJP.)

Weihung cines Salzfasses Im Heiligtum von durch Eudemos an die Kabiren; | Samothrake

Feststellung des erfüllten Ge- | 47 (28) lübdes in der Inschrift;

Erfüllung eines Gelübdes

Nennung des Heiligtums

Weihung einer Dionysosmaske | In der Schule (τῇδε,

|Private Stiftungen in Erfül-

durch Simos, Sohn des Mikkos, | zuıdapiov ἐπή-

lung eines Gelübdes,;

als Gegengabe für gutes Lernen] xoog)

dionysische Agone

Tragódie im Schulunterricht Weihung einer Pamphilosmas- | Vor der Maske

Anrede an den Betrachter:

ke durch Agoranax aus Rhodos

"Nenne (sage) ...';

für einen Sieg;

Siegerepigramme;

schlechtes Aussehen der Maske (Vergleich)

dionysische Agone; Lob des Kunstwerks;

48 (26)

49 (27)

Monument als Zeugnis Weihung einer Statue der

Vor der Statue;

Bericht über eine Weihung;

Berenike gutes Aussehen der Statue

kurz nach der Anfer- |Lob des Kunstwerks aus dem tigung und Weihung | Mund des Betrachters

51 (15)

(Vergleich)

Tempelgabe der Lykainis für Eileithyia für die Geburt einer Tochter, Versprechen einer

| Im Heiligtum; |kurz nach der Geburt (τόδε vov)

Anrede an die Gottheit;

$3 (23)

Erfüllung eines Gelübdes; [Dank an die Gottheit

weiteren für die Geburt eines Sohns Weihung des Akeson an

Im Heiligtum

"Wisse...';

Asklepios für die Heilung seiner Frau Demodike;

Anrede an die Gottheit; 'sprechender' Gegenstand;

fortdauernde Gültigkeit der Gelöbniserfüllung

verbum dicendi, verbaler Vollzug der Weihung

54 (24)

Monument als Zeugnis; Kallistion, Tochter des Kritias, | Im Heiligtum; weiht nach einem Gelübde abends ("Eorepe)

Erfüllung eines Gelübdes Ich-Rede des Gegenstands; verbum dicendi im Futur,

Sarapis eine Lampe für die

Reaktion des Betrachters im

Tochter Apellis;

Epigramm;

Helligkeit der Lampe

55 (16)

Schónheit der Gabe; Erfüllung des Gelübdes

Weihung eines Bronzehahns —

|Im Heiligtum

'Sprechender' Gegenstand;

durch Euainetos, Sohn des

verbum dicendi,

Phaidros, Sohn des Philoxenos, an die Dioskuren für einen Sieg

verbaler Vollzug der Weihung Anrufung von Zeugen:

56 (25)

Erfüllung eines Gelübdes;

Aufstellung ciner Statue der Aischylis, Tochter des Thales,

Im Heiligtum

im Heiligtum der Isis Inachia;

Sicgerepigramm Bericht über die Weihung; Erfüllung eines Gelübdes;

57 (18)

Nennung des Heiligtums

Gelübde der Mutter Eirene Der Kreter Echemmas weiht

Im Heiligtum,

seinen Bogen der Artemis von Delos

|nach der Weihung (κεῖται νῦν δέ)

Weihungen von Berufsgerät

62 (61)

156

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Tabellarische Übersicht III: Erotische Epigramme Nr. Besondere Formen der Rode Pr. (GJP.) | 25(11) | Bericht in der Vergangenheitsform; Zitat eines Sprichworts in indirekter Rede

28 (2) 29 (5)

30 (12)

31 (1)

N Äußerung in der 1. Ps. Sg.;

41 (4)

Widerlegung; Wahrheitsbeteuerung; Situationsschilderung

Schmähung;

Anrede an Lysanias (καλός);

Zurückweisung;

Zitat der ‘Antwort’ des Echos in direkter Rede

Urteil

Anrede an Trinkgeführten;

Aufforderung;

Apostrophe an Acheloos; Selbstermunterung; Vorwegnahme eines Einwands Trinkspruch (καλός) NH Anrede an einen 'Gezeichneten'; Klage; 'audible thought’; Situationsanalyse, Parallelen zum Betrachter/Leser im Grabepigramm | Trost? Ansprache an den Geliebten; Erklärung (des eigenen

direkte Rede eines τίς als möglicher Einwand 32 (7)

Illokutive(r) Akt(e)

Verhaltens) Rechtfertigung

Ansprache an Menippos;

Verteidigung,

Vorwegnahme einer Äußerung des Menippos

Ermahnung

oder Reaktion darauf "audible thought’;

Klage

direkte Rede: Ansprache an die potentiellen 42 (8)

43 (13)

Liebhaber Ansprache an den Geliebten

ἢ audible thought’; Reaktion auf ein potentiell skeptisches Gegenüber

Liebeserklärung; Rechtfertigung Situationsschilderung; — | Erklärung / Rechtfertigung,

(εἰδες, οὐκ ἀπὸ ῥυσμοῦ εἰκάζω - eine innere

Wahrheitsbeteuerung;

Summe?),

Trost?

exclamatio (μὰ δαίμονας) 44 (9)

“audible thought’;

Situationsschilderung;

Ansprache an den ehemaligen Geliebten;

Äußerung einer Befürchtung

Ansprache an Menexenos Selbstlob; Selbstbestätigung Ermunterung; Ratschlag

Aposiopese (οὐκέτι μακρὰ λέγω)

— —

Rechtfertigung;

PF

Anrede an Zeus; exclamatio;

Ermunterung

—.

52 (6)

7

programmatische ÁuBerung (δοκέω), direkte Rede in der Rede: Ansprache an Eros *audible thought’;

^.

46 (3)

| Bericht, direkte Rede in der Rede; Apostrophe an den persönlichen Hermes (= Erfolg) exclamationes, Bericht; Apostrophe an Philippos;

ET,

45 (10)

Die Inszenierung des Sprechakts

Gegenstand, Themen

Ort, Zeit

157

Nr.

Pr. (G/P.) Der leere Liebesschwur des Kallignotos gegenüber der Braut Ionis;

homoerotische Liebe Zurückweisung des kyklischen Gedichts, der vielbegangenen Straße, des öffentlichen Brunnens und des óffentlichen Liebhabers Lysanias Aufforderung, auf die Schönheit des Diokles zu trinken

| Unbestimmte Gegenwart

25 (11)

| Gegenwart des Geliebten

28 (2)

| (Symposion) Symposion

29 (5)

Entdeckung der Liebeskrankheit des Thessaliers

Gegenwart des Kleonikos

30 (12)

Kleonikos wegen Euxitheos

(Symposion)

Hasenjagd als Gleichnis für die Liebe zum schwer erreichbaren Epikydes

| Gegenwart des Epikydes

31 (1)

Ermahnung des geldgierigen Liebhabers Menippos

| Gegenwart des Menippos

32 (7)

Liebe als Verlust der halben Seele

Unbestimmt

41 (4)

κῶμος zu Archinos unter dem Einfluß von Wein

Nach dem κῶμος;

42 (8)

Gegenwart des Archinos Entdeckung der Liebeskrankheit eines ξεῖνος

Nach dem gemeinsamen Symposion

43 (13)

Angst vor verborgener Liebe

Gegenwart des ehemaligen Geliebten und des

44 (9)

Menexenos

Die gelungene und richtig vorhergesehene Rückeroberung des Menekrates Dichtung und Hunger als Heilmittel gegen die

| Unbestimmt

45 (10)

Unbestimmt

46 (3)

Unbestimmt

52 (6)

Knabenliebe, Polyphem als Vorbild

Verteidigung der Liebe zu dem dunkelhäutigen

Theokritos; Liebe des Zeus zu Ganymedes

158

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Anhang: Epigramme extra genus Nr. Pr. (G./P.) 1(54)

Besondere Formen der Rede |Die Frage eines Ratsuchenden ist

Illokutiver Akt Ratschlag

| Gegenstand | Wahl der richtigen Braut

gleichsam vorausgesetzt, Bericht mit Einschüben in direkter Rede

durch Dion; Weisheit (Pittakos-

Schlußapostrophe an den Ratsuchenden

Anekdote)

oder Freund

59 (59)

|Makarismos, Anrede an Leukares

Glücklichpreisung; Klage; Vorwurf

| Die Aufführung eines Dramas führt zum Verlust eines Freundes; Freundschaft von Orestes und Pylades

Die in ihrer Echtheit bestrittenen Ep. (36] (62) und [63] (63) sind hier nicht berücksichtigt. -

Die Inszenierung des Sprechakts

159

3. DIE INSZENIERUNG DES SPRECHAKTS IN DEN EPIGRAMMEN DES KALLIMACHOS Vor dem Hintergrund der Gattungsgeschichte des Epigramms bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts wird deutlich, daß die Struktur der epigrammatischen Rede in den Grab- und Weihgedichten des Kallimachos von den typischen Mustern der

metrischen Inschrift ausgeht. Epigramme in Form eines Berichts, die Ich-Rede eines Grabinhabers oder Weihgegenstands, die Anrede an den ‘Wanderer’, die Rede des Betrachters oder Lesers sowie der informative Dialog eines ‘Fragers’ mit einem “Wissenden’ sind die formalen Vorbilder des Kallimachos. Neu hinzu kommt die in den erotischen Epigrammen zur Regel gemachte Möglichkeit, die Rolle des Sprechers mit der persona des Dichters zu bekleiden. ‘Bericht’ ist nicht nur eine typische Form des Epigramms, sondern, im eigentli-

chen Sinne, eine Perspektive des Textes.” Sprecher und Adressat treten hier so wenig wie möglich hervor, so daß ein starker Eindruck von Objektivität und von Distanz zum Berichteten ebenso wie zum Leser entsteht. Berichtet wird in der 3. Person Singular, fiktiver Sprecher ist das Monument, auch wenn die Sprecherrolle dezent im Hintergrund bleibt. Dieser seit dem 6. Jahrhundert belegte Darstellungstyp hat aufgrund seiner wiederkehrenden Formeln und ihres quasi-offiziellen Charakters eine ‘inschriftliche Ausstrahlung’, ohne daß die kommunikative Funktion der Inschrift im Epigramm besonders betont würde. Bei weitem extrovertierter geben sich in dieser Hinsicht Epigramme, die ihr Gegenüber explizit mit einbeziehen und auf diese Weise ihre Appellstruktur offenbaren. Dies geschieht auch in den Epigrammen des Kallimachos durch eine Form der personalen Deixis, also entweder durch die Anrede an das Gegenüber des Betrachters oder Lesers oder durch die

Rede in der 1. Person (Ich-Rede), die dem Adressaten das Subjekt der Äußerung vor Augen stellt. Beide Möglichkeiten, Apostrophe an ein Gegenüber und Ich-Rede, können natürlich kombiniert werden. Epigramme,

in denen ein Adressat be-

nannt oder ein sprechendes Subjekt eingeführt wird, tendieren zur personalen Per-

spektive, auch wenn diese nicht aus der Dramatisierung des Sprechakts folgt.” In jedem Fall aber führen Epigramme mit expliziter Personenrede Repertoire an Sprecher- und Leserrollen vor. 3.1.

ein größeres

‘Bericht’

Während etliche Epigramme des Kallimachos nur kurze narrative Partien enthalten, in denen ein anonymer Sprecher dem imaginären Leser den Entstehungshintergrund des jeweiligen Monumentes δι᾿ ἀπαγγελίας ἡ erklärt, gibt es nur wenige, 94

Vgl. PEEK 1955 (GV), S. XX zu den Arten der „Formen des Berichtes über den Todesfall

(die Bestattung, die Lebensumstände)“ sowie GV 630-1170 (Gruppe B II 1-4, mit Beispielen vom 5. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr.). Die aufgelisteten Formen wiederum sind aus den Typen der Gruppe B I (GV 52-629: Formen der Vorstellung des Toten [des Denkmals])

95 96

entwickelt (μνῆμα τόδ᾽ ἐστίν ..., ἐνθάδε κεῖται und ähnliches). Vgl. z. B. Ep. 60, s. unten S. 1621. "Vgl. Plat. Rep. 394 a-d zur poetischen Darstellung διὰ μιμήσεως im Unterschied zur Präsentation δι᾽ ἀπαγγελίας αὐτοῦ τοῦ ποιητοῦ, s. auch Aristot. Poet. 6 (1449 b 25), dazu

160

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

in denen diese Darbietungsform des scheinbar teilnahmslosen Berichtens von An-

fang bis Ende durchgehalten wird. Die folgenden Beispiele zeigen verschiedene kallimacheische Variationen dieser der auktorialen Erzählhaltung nahestehenden Form epigrammatischer Präsentation (Ep. 19): Δωδεκέτη τὸν παῖδα πατὴρ ἀπέϑηκε Φίλιππος

ἐνθάδε, τὴν πολλὴν ἐλπίδα, Νικοτέλην. Seinen zwölfjährigen Sohn barg der Vater Philippos hier, seine große Hoffnung, Nikoteles.

In diesem von der Forschung vielfach positiv gewürdigten Epigramm”” nimmt Kallimachos auf die klassische Form derjenigen Grabepigramme Bezug, in denen von der Bestattung eines Familienmitgliedes durch Angehörige, hier eines Sohnes durch den Vater, berichtet wird. ἐνθάδε verweist auf einen nicht näher bestimmten

Ort, an dem der Sprecher sich befindet. Jeder Epigrammleser weiß jedoch, daß ἐνθάδε oder das in anderen Epigrammen geläufige τῇδε für das Sepulkralgedicht charakteristisch sind und sich auf den Ort der Bestattung beziehen müssen. Die Kunst des Gedichts liegt in seiner raffinierten Schlichtheit. Gerade durch

den Verzicht auf Pathos und Ausführlichkeit entfaltet es seine Wirkung. Kallimachos arbeitet mit dem Kontrast zwischen der scheinbar sachlichen Konstatierung der Erfüllung einer religiösen Pflicht, der Bestattung, und der starken Emotion des

Grabstifters, die nur aus der Apposition τὴν πολλὴν ἐλπίδα hervorscheint. Zugleich mit dem Sohn hat Philippos auch seine Hoffnung begraben.” Anstelle einer solchen Apposition finden wir in Steinepigrammen eher den Relativsatz im Penta-

meter oder, in den frühesten Grabinschriften, in einem zweiten Hexameter. Apposition, Hyperbaton und Enjambement lassen dieses Epigramm besonders lapidarisch erscheinen. Eine weitere, gegenüber dem inschriftlichen Muster leichte Verände-

rung macht aber deutlich, daß der scheinbare Bericht mehr als die objektivierende Wiedergabe von Fakten beinhaltet. Anstelle der inschriftlichen Formel ἀνέϑηκε (ὁ

δεῖνος), in der häufig der Stolz des Stifters von Grab oder Statue mitschwingt, verwendet der Sprecher das pessimistische ἀπέϑηκε, das sich zeugmatisch auf das Objekt παῖδα und auf die Apposition ἐλπίδα bezieht. Dazu paßt das schlichte £vϑάδε, das von einem Lob des Monuments weit entfernt ist. Der Name Νικοτέλης

97

98

etwa ZIMMERMANN 1992, S. 65 Anm. 6. Die literarische Tradition des Epigramms allerdings schreibt die Rolle des ἄγγελος ursprünglich nicht dem Dichter, sondern - in Analogie zum mündlichen Boten — dem Monument zu. WILAMOWITZ 2, 1924, S. 119; BUM 1940, S. 32f., B. A. VAN GRONINGEN, La poésie verbale grecque, Amsterdam 1953 (Medelingen Ak., N. R. 16, 4), S. 72f.; Gow / PAGE 1965, 2, S. 199. G. LUCK, Witz und Sentiment im griechischen Epigramm, in: L' Épigramme grecque 1968, S. 389—411, hier S. 393; FERGUSON 1970, S. 66, 69, 76; FRASER 1972, 1, S. 576f ,

SCHMIDT 1976; LAUSBERG 1982, S. 164, auch 149; BRAUN 1986, S. 67. Da ἀπέϑηκε in Bezug auf beide Objekte ein ungewöhnliches Verb ist, besteht in der Forschung keine Einigkeit darüber, auf welches davon sich das Prádikat mehr bezieht, vgl. WILAMOWTTZ 1924 und Gow / PAGE 1965 a. a. O.; WILAMOWITZ macht jedoch deutlich, daß gerade darin die Poesie des Epigramms besteht; zustimmend SCHMIDT 1976, S. 149. Ein

Spiel mit verschiedenen Bedeutungen von τιϑέναι findet sich schon in einem Grabepigramm vom Anfang des 5. Jh. (CEG 1, 113), s. oben S. 60f.

Die Inszenierung des Sprechakts

161

('Siegvollender') steht — vergegenwärtigt man sein Ende — im Einklang mit der pessimistischen Grundstimmung des Epigramms. Der flieBende Rhythmus des Distichons zeigt sich beim Rezitieren. FERGUSON 1970 hat besonders auf die bewußte Verteilung der Konsonanten und den Reim

zwischen den beiden Teilen des Pentameters hingewiesen.” Dieselbe , exquisite Schlichtheit“ betont FERGUSON zu Recht auch für das Grabgedicht auf Saon (Ep. 9

= 41 σον PAGE); Τῇδε Σάων ὁ Aikovog ᾿Ακάνϑιος ἱερὸν ὕπνον κοιμᾶται᾽ ϑνήσκειν μὴ λέγε τοὺς ἀγαϑούς. Saon, der Sohn des Dikon, aus Akanthos, schläft hier den heiligen Schlaf -daß sie sterben, das sag nicht von den Guten.

Die objektivierende Rede in der 3. Person'”' suggeriert hier zunächst eine feierliche Distanz zum Epigrammleser, der um seine Meinung zu dem autoritativ fest-

gestellten Urteil des Sprechers über die ἀρετή des Saon nicht gefragt ist. Die Kontrolle des Sprechers über die Wahrnehmung des Rezipienten läßt sich aber noch weiter verfolgen. Nachdem man das Gedicht glücklicherweise von dem Vor-

wurf der Banalität des zugrundeliegenden Motivs befreit hat," erscheint die Ver-

wandtschaft der künstlerischen Konzeption mit derjenigen des Nikoteles-Epigramms umso deutlicher. Auch hier finden wir einen einzigen zentralen Gedanken, um den sich die Teile des Epigramms anordnen. Wie in dem ersten Gedicht wird der Tod eines Menschen dabei nicht nur mitgeteilt, sondern durch die Art der Mitteilung auch interpretiert: Hier ist es das durch Haupt- und Nebenzäsur herausgehobene 9vfjoxev. Im Unterschied zu unserem ersten Beispiel nimmt der Sprechakt aber eine Wendung ins allgemeine, indem der Sprecher sich belehrend an den potentiellen Leser richtet. Die Interpretation des Todes geschieht durch die Vorwegnahme und Korrektur einer konventionellen Denkart, wobei der rhetorisch

geschulte Sprecher die Erwartungshaltung seines Rezipienten antizipiert.' Das im verallgemeinernden Präsens formulierte μὴ λέγε nach der Pentameterzäsur des Saon-Epigramms ist allerdings zu jedem imaginüren Leser gesprochen, nicht zu einem konkret vorzustellenden Passanten, anders gesagt: Es handelt sich hier wohl nicht um die Nachahmung eines mündlichen Sprechakts am Grab mit einem anwe99

FERGUSON 1970, S. 66 und 76. Zu δωδεκέτην ... Νικοτέλην, einem weiteren „gioco di suoni complicato ma suggestivo" vgl. Coco 1988, S. 98; zu Vorbildern s. oben S. 82 A. 210.

100 FERGUSON

1970, S. 67. Für HAUVETTE

1907 ist die Beschränkung auf das Nötigste aller-

dings irrtümlich ein Indiz für eine Verwendung auf dem Stein; vgl. auch WILAMOWITZ

1924, 1, S. 176, dem der Inhalt für Kallimachos nicht skeptisch genug erscheint. Áhnlich (wie oft WILAMOWTTZ folgend) BUM 1940, S. 26.

101 Vgl. KOHNKEN 1993, S. 127 zur Sprechhaltung von Ep. 47. 102 Vgl. Coco 1988, S. 81; LAUSBERG

1982, S. 152f. Das Epigramm wurde später inschriftlich

rezipiert (GV 376), wobei die Ánderungen die Harmonie stóren. 103 Dies ist im jüngeren, von der Rhetorik beeinflußten Steinepigramm durchaus üblich, vgl.

PEEK, GV 1802-1830 (Gruppe B V 8 a-b: „Eine Deutung des Denkmals wird abgewiesen / Die Negation wird auf Schicksal oder Lebensführung des Toten bezogen"); beide Gruppen sind seit dem 4. Jh. belegt.

162

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

send gedachten Gegenüber,

sondern eher um die Darbietung eines rhetorisch ar-

gumentierenden Monologs. Dieser richtet sich an den Erwartungshorizont des ‘gewóhnlichen' Epigrammlesers, der in der zweiten Gedichthälfte ein der Typologie des Sepulkralepigramms entsprechendes Verb wie κεῖται anstelle von κοιμᾶται und einen Hinweis auf den Tod erwartet hütte.“ἢ Beide Epigramme sind auf Personen, nicht auf ein Grabmal konzentriert. Wie

BRAUN 1986 beobachtet hat, geht mit dem Übergang von den Fakten zu ihrer Interpretation zudem eine emotionale Steigerung einher, man kann sogar von einer ‘inneren Bewegung’ sprechen. Durch die planvolle Ordnung der Wörter und Satzteile, die mit Hyperbata und Enjambements regelrechte Spannungsbógen erzeugt, wird der Akt des Lesens zu einem ästhetischen Erlebnis. Das dritte rein erzáhlende Distichon, ein fiktives Weihepigramm, zeichnet sich durch seine Fülle von Namen aus, ohne daß damit jedoch eine ereignisreiche Geschichte verbunden würde. Die Vergangenheit als móglicher Inhalt eines Berichts spielt für das Verstándnis des Epigramms offenbar keine Rolle. Im Mittelpunkt

stehen die Namen der Stifter und die Weihgabe selbst, wie es für das dedikatori-

sche Epigramm charakteristisch ist (Ep. 57 = 18 Gow / PAGE); Ἰναχίης ἕστηκεν ἐν Ἴσιδος ἡ Θάλεω παῖς Αἰσχυλὶς Εἰρήνης μητρὸς ὑποσχεσίῃ. Im Heiligtum der Inachostochter Isis steht die Tochter des Thales, Aischylis, aufgrund eines Gelübdes der Mutter Eirene.

In wenigen Worten werden diverse familiäre Beziehungen angesprochen: Isis

wird als die Tochter des Inachos'”® bezeichnet, und auch im Falle der dargestellten Aischylis legt der Dichter auf die Nennung der Namen beider Eltern besonderen Wert, sie rahmen den Namen der Tochter ein. Die Kürze des Ausdrucks läßt sich

mit den bisher besprochenen Epigrammen vergleichen.‘ Die Tochter steht aufgrund eines Gelübdes der Mutter im Tempel der Göttin. Nur durch die besondere

104 Die nähere Betrachtung der in der vorigen Anm. genannten Epigramme würde zeigen, daß der mündliche Sprechakt am Grab Vorbild für diese Epigrammform ist. Die Verwendung von scheinbar dialogischen Elementen innerhalb rhetorischer Argumentationen ist aber viel zu geläufig, um hier aus μὴ λέγε auf einen Sprechakt am Grabmal zu schließen.

105 CEG 2 verzeichnet im Index allein 48 Stellen für die verschiedenen Formen von κεῖσϑαι, während κοιμᾶσϑαι in den von HANSEN gesammelten Steinepigrammen des 4. Jh. überhaupt nicht erscheint. 106 S. 66. Vgl. die Beobachtungen von LAUSBERG 1982, S. 490, die die Spannung in Ep. 19 als erzähltechnisches Mittel analysiert.

107 Nach GUTZWILLER 1998, S. 191f. handelt es sich überhaupt um ein Epigramm des „conventional type". 108 Zu Isis vgl. FRASER 1972, 1, S. 195f. Die Bezeichnung als Inachos-Tochter verweist auf eine Gleichsetzung der Isis mit der griechischen Io. 109 LAUSBERG 1982, S. 175 stellt heraus, daB die künstlerische Herausforderung der Form eines zweizeiligen Weihepigramms gerade in dieser subtilen Schlichtheit besteht; s. auch FERGUSON 1970, S. 68f.

Die Inszenierung des Sprechakts

163

inschriftliche Konnotation des Prädikats ἔστηκεν᾽ ἢ wird deutlich, daß es sich um eine Statue handeln muß. Die beabsichtigte Doppeldeutigkeit erinnert an das Zeug-

ma im Nikoteles-Epigramm und an die typisch epigrammatische Ineinssetzung von

Objektebene und Deutungsebene.'" Mit vergleichbarer Einfühlsamkeit sind die Figuren in dem Grabepigramm für die Amme Aischra gezeichnet, in dem die Beziehungen zwischen dem Stifter und der Inhaberin auf ähnliche Weise für die Sprechhaltung von Bedeutung sind (£p. 50 = 49 Gow / PAGE): Τὴν Φρυγίην Μίκκος καὶ φϑιμένην ἡ γρηῦς

Aio pnv, ἀγαϑὸν γάλα, πᾶσιν ἐν ἐσϑλοῖς καὶ ζωὴν οὖσαν ἐγηροκόμει ἀνέϑηκεν, ἐπεσσομένοισιν ὁρᾶσϑαι μαστῶν ὡς ἀπέχει χάριτας.

Die Phrygierin Aischra, die gute Amme, versorgte Mikkos im Alter mit allem

Guten, solange sie noch lebte, und nach ihrem Tode hat er sie aufgestellt, den kommenden ten hat.

Menschen zu sehen, daß die Alte den Dank für ihre Brüste erhal-

Eine Statue der Amme, von Mikkos, dem ‘Kleinen’, errichtet, bildet den Bezugspunkt des unpersönlichen Sprechers. Auch hier wird die Statue der toten

Aischra nicht als solche bezeichnet. Eine gleichsam naive Sicht vermittelt den Eindruck, sie selbst sei in der Nekropole aufgestellt worden, was sachlich nicht kor-

rekt ist, der subjektiven Wahrnehmung des Mikkos aber am besten entspricht.'" Die epigrammatischen Verben ἀνέϑηκεν und ὁρᾶσϑαι suggerieren eine Szenerie. Von dieser imagináren Gegenwart der Statue aus gesehen ergeben sich im Epigramm weitere Zeitstufen, die der Sprecher in seinem sorgfältigen Bericht aufeinander folgen läßt: die Vergangenheit von der Kindheit des Mikkos bis zum Tod der alt gewordenen Amme, die Gegenwart des Sprechers und die Zukunft, in der die Besucher des Grabes das Bild der Aischra betrachten kónnen. Hier geht es dem Sprecher darum, in wenigen Versen eine móglichst überzeugende Begründung für die Errichtung des Denkmals zu prüsentieren, die in erster Linie in der Lünge des gemeinsamen Lebens von Grabinhaberin und Grabstifter, dann aber auch in der

Dankbarkeit des Mikkos besteht. 110 Vgl. etwa die Belege im Index von CEG 2, S. 328. Unüblich ist der intransitive Gebrauch

von ἵσταμαι in diesem Sinne, vergleichbar vielleicht nur ἀφικόμαν in CEG 2, 861 = MERKELBACH / STAUBER 01 / 01 / 01, V. 1, s. oben S. 103. 111 FRASER 1972, 1, S. 581f. nimmt an, daß es sich um eine Kinderstatue handelt. Bei der Ineinssetzung von Lebewesen und Statue verwendet Kallimachos dieselbe metaphorische Darstellungsform wie Herodot in der Beschreibung des 'durch die Inschrift sprechenden' Kónigsbildes. In Inschriften dagegen wird ein Bild häufig auch als Bild benannt; dies gilt auch für die ekphrastischen Epigramme der Nossis und der Anyte auf Statuen und Kunstwerke.

112 Ganz anders gibt sich MERKELBACH / STAUBER 04 / 21 / 03 (GV 1331; Lydien, Hermostal, 2. Jh. n. Chr), V. 5: τοῦϑ᾽ 6 note ὧν γέγονα" στήλλη, τύμβος, λίϑος, εἰκών. 113 Im letzten Vers erinnert Kallimachos an eine Formel, mit der manche inschriftlichen Ehrendekrete schließen, vgl. FRASER

1972, 1, S. 578. Dieser Geschäftston klingt auch in £p.

54, 1 an (τὸ χρέος ὡς ἀπέχεις), s. Gow / PAGE 1965, 2, S. 180 zu V. 1 = 1157; s. unten S. 216f.

164

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Das

Ausmaß

seines

Pflichtbewußtseins

wird

durch

das

episierende

ἐπεσσομένοισιν ὁρᾶσϑαι (V. 3)''* deutlich. Eine gewisse Spannung -- nicht zuletzt aufgrund des überaus feierlichen Tons in einem Epigramm ohne Träger bedeutender Namen - entsteht allerdings dadurch, daß ausgerechnet eine alte Sklavin mit dem Namen Aicxpa (= die Häßliche) der Nachwelt zum Anschauen erhalten

werden soll! Ohne weitere Kenntnisse über den Kontext des Mikkos-Epigramms läßt sich kaum entscheiden, ob Kallimachos mit diesem doch wohl intendierten

Widerspruch auf einen ironischen oder auf einen rührenden Effekt zielte.! Sicher ist nur, daß die Wirkung des Epigramms auf Grund einer Abweichung von den gángigen Idealen zustande kommt.

Als ein satirisches Epigramm mit einem philosophiekritischen Hintergrund hat man in der Regel £p. 23 (= 53 GOW / PAGE) verstanden: Einag Ἥλις χαῖρε᾽ Κλεόμβροτος ὠὡμβρακιώτης ἤλατ᾽ ἀφ᾽ ὑψηλοῦ τείχεος εἰς ᾿Αἴδην, ἀξιον οὐδὲν ἰδὼν ϑανάτου κακόν, ἀλλὰ Πλάτωνος EV τὸ περὶ ψυχῆς γράμμ᾽ ἀναλεξάμενος. "Sonne, leb wohl!” sagte Kleombrotos aus Ambrakia und sprang von einer hohen Mauer in den Hades hinab. Nichts hatte er gesehen, was es wert war zu

sterben, aber das eine Buch Platons über die Seele hatte er gelesen.

Der Bericht betrifft hier die Umstände eines Todesfalls. Wieder wird die Präsentation der Fakten von einer erláuternden Stimme geleistet, die dennoch unpersónlich bleibt. Die Form des Epigramms ist hinsichtlich ihrer inschriftlichen Vorbilder, ähnlich wie das Saon-Epigramm, dem „ausschließenden Typus“ zuzuordnen, bei dem eine mögliche Deutung abgelehnt wird.''* Auch inschriftliche Grabge-

dichte auf Selbstmörder sind belegt." Die berühmte Chronik eines Selbstmordes in Ep. 23 PFEIFFER war in der späte-

ren moralisierenden Literatur der Antike ein beliebter Gegenstand der philosophischen Interpretation.''” Gegen ein wortwörtliches Verständnis des Epigramms als 114 Vgl. II. 7, 87, Od. 4, 756, 11, 76; 24, 83f. Inschriftlich ist das Motiv in CEG 2, 636 auf einer böotischen Basis des 4./3. Jh. erhalten: εἰκόνα Βεμβακίδα μήτηρ [ἐπέϑ]ηκε Φυλωτώ, / παιδὸς ἀποφϑιμένου μνήμαί[τα] ἐπεσσομένοις (ἐπεσσσομένοις versehentlich CEG 2, S.

110). Ähnlich: CEG 1, 10 (Ergänzung KAIBEL), 207 (ergänzt), 264 (vgl. jetzt /G D^, 1179, 635, 811); s. ferner die Epigramme bei Hdt. 6, 77, 2; Aischin. 3, 184. Theokr. 17, 137 (vgl. noch 12, 11) meint mit φϑέγξομαι ἐσσομένοις, daB er den Ruhm des Ptolemaios und der anderen Halbgótter den zukünftigen Menschen verkünden wird. 115 Wenn man mit Gow / PAGE 1965, 2, S. 201 und FRASER 1972, 1, S. 578 annehmen will, es

handele sich um eine echte Stiftung mit einem Relief, kommt natürlich nur die zweite Móglichkeit in Frage.

116 Vgl. PEEK, GV 1802-1830 (Gruppe B V 8). Danach gehören Epigramme mit der Struktur οὐκ - ἀλλά zu den mehreren Epigrammen gemeinsamen Denk- und Aussageformen. 117 Vgl. MERKELBACH / STAUBER Ol / 15 / 04 (Mylasa, Kaiserzeit). 118 Kleombrotos wird mit dem Freund des Kyrenaikers Aristippos identifiziert, der beim Tod des Sokrates nicht zugegen war (Plat. Phaid. 59 c). Zu Cicero Tusc. 1, 84 und späteren Nachahmern s. Gow / PAGE 1965, 2, S. 204; Coco 1988, S. 107f.; L. SPINA, Cleombroto. La fortuna di un suicidio (Callimaco, Ep. 23 PFEIFFER), Vichiana 18, 1989, S. 12-39, G. D.

WILLIAMS, Cleombrotus of Ambracia.

Interpretations of a Suicide from Callimachus to

Die Inszenierung des Sprechakts

165

einer Todesbotschaft oder Totenklage spricht schon die Tatsache, daß der Selbst-

mord in dem platonischen Buch über die Seele, das der Sprecher als Todesursache

anführt, abgelehnt wird. Selbst wenn Kleombrotos den Freitod aufgrund einer von Platon übernommenen Jenseitsvorstellung gewählt hätte, wäre dieses Epigramm ein schlechter Freundesdienst für einen philosophisch Gebildeten. Besonders erstaunlich ist aber, daß die Lektüre eines Buchs unmittelbar tödlich sein kann.

Der Sprecher sagt nicht, daß Kleombrotos starb, weil er an die Unsterblichkeit der

Seele glaubte, sondern weil er ein Buch des Platon über die Seele gelesen hatte.'””

Betont wird diese überraschende Wendung am Schluß des Epigramms durch das Urteil ἄξιον οὐδὲν ἰδὼν Savátou κακόν (Ep. 23, V. 3), mit dem der Sprecher

die Unangemessenheit der Reaktion des Kleombrotos konstatiert. In Ep. 20 (7 32 Gow / PAGE) dagegen ist für Basilo ein persónliches Unglück, der Tod des

Bruders, ein Anlaß zum Suizid, der der gewöhnlichen Erwartung eher entspricht.'?' Vielleicht ging es Kallimachos hier um die Kritik an einer oberflächlichen Bildung, die, in Kombination mit einem pseudo-philosophischen Rigorismus, zu solch fatalen Entschlüssen wie dem des Kleombrotos verleiten konnte.

Neben dieser ‘Entzauberung’ des Selbstmords durch das Urteil des Sprechers besteht eine unerwartete Wendung des Epigramms in ebendieser Thematisierung einer hellenistischen Obsession: dem Lesen. Insbesondere geht es um die unmittelbaren Auswirkungen der Beschäftigung mit Literatur auf die Seele. Die Phantasie einer eigenen 'Bücherwelt' ist den Alexandrinern nicht fremd. Ein Epigramm des Poseidippos von Pella auf einen von der Liebe geplagten poeta doctus schil-

dert, wie sich eine Seele in den Büchern verliert (Anth. Pal. 12, 98}. Τῶν Μουσῶν τέττιγα Πόϑος δήσας en’ ἀκάνϑαις κοιμίζειν ἐϑέλει πῦρ ὑπὸ πλευρὰ βαλών᾽ Agathias, CQ 45, 1995, S. 154-169; GUTZWILLER

1998, S. 205f. Nach der gängigen Inter-

pretation äußert der Dichter hier seinen „Hohn, daB die Verkündigung der Unsterblichkeit der Seele solche Folgen hat" (WiLAMOwWTITZ 1924, 1, S. 177).

119 Plat. Phaid. 61 c-d. Zu den Versuchen, den Selbstmord aus Platons Phaidon zu rechtfertigen, s. Coco 1988, S. 107f. Daß es sich um diesen und keinen anderen Dialog Platons han-

delt, auf den Kallimachos anspielt, zeigt WILAMOWITZ 1924, 1, S. 177 (vgl. BUM 1940, S. 35f.). 120 γράμμα

in den verschiedenen Bedeutungen bei Kallimachos erklärt PrEiFFER

1, 1965, S.

354f. zu Fr. 468. 121 ζώειν yàp ἀδελφεὸν £v πυρὶ ϑεῖσα / οὐκ ἔτλη, Ep. 20, 3f. Zu Ep. 20 insgesamt vgl. F. ZUCKER, Kallimachos ep. 20, Maia 11, 1959, S. 87f.; A. AMBÜHL, Zwischen Tragödie und Roman: Kallimachos’ Epigramm auf den Selbstmord der Basilo (20 PF. = 32 Gow-PAGE Ξ AP 7.517), in: M. A. HARDER / R. F. Return / G. C. WAKKER (Hgg.), Hellenistic Epi-

grams. Proceedings of th Fifth Groningen Workshop on Hellenistic poetry, Leuven 2002 (Hellenistica Groningana 6), S. 1-26.

122 Einseitig erscheint mir der Schluß von A. SZASTYNSKA-SIEMION, The Alexandrian epigrammatist's idea of the literary work, Eos 74, 1986, S. 217-227, hier S. 225: „Although we may attempt to consider the importance of poetry for the readers, the Alexandrian poets were

univocal in their opinion that poetry was much more useful for its creator than for the reader. Such a feature is typical Alexandrıan.“

123 Posidippus 6 Gow / PAGE; dazu vgl. REITZENSTEIN 1893, S. 163 Anm. 1; Gow / PAGE 1965, 2, S. 486f.; BING 19882, S. 37.

166

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

ἡ δὲ πρὶν ἐν βύβλοις πεπονημένη ἀλλ᾽ &9epiGei ^ ψυχὴ ἀνιηρῷ δαίμονι μεμφομένη. Der Gott des Verlangens will, daß die Zikade der Musen auf Domen gebunden zur Ruhe geht, Feuer wirft er ihr unter die Seite; aber die Seele, die sich

vormals in Büchern herumgemüht hat, achtet anderes gering und schimpft auf den lástigen Gott.

Die Forschung zum Epigramm ist sich nicht einig, ob die Musenzikade dem Drängen des Gottes nachgibt.' Doch scheint die Beschäftigung mit den Büchern eine Auswirkung auf den Zustand der Seele zu haben. Vielleicht ist auch hier wie in Kallimachos Ep. 46 ein Gegensatz zwischen literarischer σοφία und erotischem Leiden gemeint. In den letzten Versen von Ep. 23 geht es, wie hier bei Poseidippos, um das Schicksal einer Seele. Der Ursprung des Motivs liegt hier aber in den epigrammatischen Vorbildern des 4. Jahrhunderts, die auf dem Gegensatz zwischen sterblichem Leib und unsterblicher Seele aufbauen: Kleombrotos

springt in den

Tod, weil er infolge einer unverständigen Platonlektüre eine letztlich trivial-philosophische Unsterblichkeit der Seele, wie sie in gewóhnlichen Grabinschriften be-

hauptet wird, für erwiesen hält.'”* Das Kleombrotos-Epigramm verwendet dieselbe poetische Technik einer äu-

Berst konzisen Ausdrucksweise wie die zu Beginn analysierten Distichen.'”’ Eine knappe “Rede in der Rede’ zitiert zudem ultima verba des Todessüchtigen.'”® Der

lapidare Abschied des Kleombrotos und die partizipialen Verkürzungen im Bericht über seinen Tod veranschaulichen wirksam den logischen Kurzschluß des Todesspringers. In Ep. 37 (= 17 Gow / PAGE) verwendet Kallimachos einen auktorialen Sprecher in der 3. Ps. Sg. nur zur Hinführung auf eine Oratio recta, die mit einem ver-

bum dicendi eingeleitet wird: Ὁ Λύκτιος Mevitas τὰ τόξα ταῦτ᾽ ἐπειπών ἔϑηκς" τῆ, κέρας τοι δίδωμι καὶ φαρέτρην, Σάραπι᾽ τοὺς δ᾽ ὀϊστούς ἔχουσιν Ἑσπερῖται.᾽ 124 BECKBY übernimmt die Konjektur von WILAMOWITZ und REITZENSTEIN und emendiert άϑλια τρίζει (ἀλλαϑερίζει Mss.), Gow / PAGE lesen ἀλλ᾽ ἀϑερίζει, GUTZWILLER 1998, S. 160f. und Anm.

91 entscheidet sich mit AUBRETON (Bude) für ἀλλα

ϑερίζει („now

gathers other harvests by reproving painful misfortune"). 125 S. GUTZWILLER 1998 (wie vorige Anm.). 126 Κλεόμβροτος trägt den unsterblichen Ruhm (κλέος ἄμβροτον) bereits im Namen. Zum Thema der Unsterblichkeit der Seele im Steinepigramm vgl. GV 1754-1777 (ab dem 4. Jh.). 127 LAURENS 1989, S. 99 macht auf die Kompositionsprinzipien des Gedichts aufmerksam, die

durch dreifache Partizipialkonstruktionen eine unauflósbare logische Einheit hervorbringen. 128 Zu Motiv des Selbstmords und der ultima verba im Epigramm des 3. Jh. s. auch Anth. Pal. 7, 731 = Leonidas of Tarentum 78 (93) Gow / PAGE; zu ultima verba im Steinepigramm vgl. GV 1204-1208 (ab dem 3. Jh.). Dort aber stehen sie nie am Anfang eines Epigramms.

Die Inszenierung des Sprechakts

167

Menitas aus Lyktos hat diese Waffen mit den Worten geweiht: ‘Da, den Bogen gebe ich dir und den Köcher, Sarapis; die Pfeile allerdings haben die Hesperiten.’'” Zusammen mit den beiden in den Ausgaben folgenden dedikatorischen Epi-

grammen (Ep. 38 und 39 = 20 und 19 Gow / PAGE) gehören die Verse zu einer Gruppe von Gedichten, in denen Kallimachos mit verschiedenen Metren experimentiert, hier mit dem katalektischen iambischen Dimeter. Ob das Epigramm aufgrund dieser Form auf einem realen Köcher gestanden hat, läßt sich nicht entscheiden.? Der kurze Bericht des epigrammatischen Textes protokolliert gewissenhaft den mündlichen Ausspruch des kretischen Bogenschützen Menitas, den dieser im Moment der Dedikation an den Gott Sarapis gerichtet hat. Die Pointe des Gedichts ist die Feststellung dieses zweiten, personalen Sprechers, Menitas, die Pfeile könne

er Sarapis nicht weihen, da er sie — wie sich von selbst versteht: erfolgreich — auf die Feinde abgeschossen habe. Epigramme sind Umwandlungen der personalen, direkten Rede eines Augenblicks in einen objektgebundenen, für die Nachwelt fixierten Text. Während der verschriftlichte

verbale

Akt

im

Grabepigramm

die

Realisierung

des

γέρας

Savóvtov bestätigt, einer aus vielfältigen und zeitraubenden Ritualen zusammengesetzten Handlung, bezieht sich der Spruch des Weihenden in der Regel auf einen einzelnen Akt in einem bestimmten Moment: die durch die Rede besiegelte Schen-

kung der Gabe an den Gott. In diesem Sinne ist das Weihepigramm tatsächlich eine Sprechhandlung, die für beide Seiten Konsequenzen zeitigt. Wohl auch aus diesem Grund wählt Kallimachos für Ep. 37 die kombinierte Form eines Berichts zur Einleitung einer direkten Rede. Die formale Eigenheit des Menitas-Epigramms besteht somit in einer Aufteilung der Information auf eine (platonisch gesprochen) 'diegetische' und eine *mimetische' Partie. Fingierte Mündlichkeit dagegen dient der Ver-

lebendigung des Textes und der Suggestion von Unmittelbarkeit, mit der schon die Verfasser anonymer Steinepigramme ihre Leser auf ihr Anliegen aufmerksam machen."' Die Verwendung von ἐπειπεῖν" 2 (V. 2) in einem ἐπίγραμμα und

ebenso die altepische Interjektion t1? verweisen auf eine bewußte Inszenierung 129 Das Epigramm bezieht sich auf die Eroberung von Hesperis; s. FRASER 1972, 1, S. 582 und bes. 2, Anm. 221 auf S. 826f.

130 Zu dem bei Anakreon belegten Metrum s. PFEIFFER z. St. Aus der Kürze der Verse kann jedoch nicht abgeleitet werden, das Epigramm sei für einen konkreten Gegenstand bestimmt gewesen, wie WILAMOWITZ vermutet hat (2, S. 120; s. auch FRASER

1972, 1, S. 582). Viel-

leicht wollte Kallimachos nur den Anschein erwecken, es kónnte auf einem Kócher gestanden haben. FRASER a. a. O. hält die Aufschrift für natürlich und authentisch: „the elaboration seems hardly sufficient for a derivative piece". Die Kürze allerdings gehórt zum literarischen Epigramm

gerade dann, wenn

die Hauptfigur ein Kreter ist, zu diesem Typus s.

KOÓHNKEN 1993, S. 121 Anm. 7 und 123 Anm. 18. 131 Zur „indirekten Direktheit“ der Kommunikation in Inschriften vgl. EHLICH 1994, S. 22, 30; s. oben die Einleitung, S. 21. 132 Vgl. Hdt. 7, 147, 1; 8, 49, 2: ἐπιλέγειν λόγον; 4, 162, 5: ἐπιλέγειν ἔπος. Das Verb bezeichnet speziel! die mündliche Rede, die eine Handlung begleitet.

133 *Da!', bei Homer immer mit einem folgenden Imperativ verschiedener Verben, z. B τὴ, oreioov in Jl. 24, 287 u. a. (vgl. LSJ s. v.). Eine andere Verwendung sehen wir bei Kallimachos hier und in Ep. 31, 4. Es folgt kein Imperativ, und τὴ läßt sich als ‘Da, nimm!” ver-

168

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

einer feierlich-altertümlichen Mündlichkeit bei Kallimachos. Voraussetzung dafür ist eine ebenso bewußte Auseinandersetzung mit dem Medium ‘Schrift’. Kallimachos zeigt hier seine Souveränität im Umgang mit einer Gattung, zu deren Aufgaben und Konventionen es gehört, daß Mündliches in Schriftliches verwandelt wird

und umgekehrt. Hier wird eine Inschrift in einen mündlichen Sprechakt zurückübersetzt, der als ein sehr spontanes und pragmatisches Verhalten des Stifters stilisiert ist. Trotz dieser Einlage einer direkten Rede ist das Epigramm von lapidarer Kürze. In wenigen Worten werden durch die Erwähnung eines schlichten Gebrauchsgegenstandes Heldentaten angedeutet. Auch dies ist eine epigrammatische

Aussageweise, wobei es dem Epigrammdichter zukommt, Gegenstände durch die Gestaltung der Rede zum Sprechen zu bringen. Die auktoriale Einleitung unter-

streicht den formell-feierlichen Ton. Das einzige erotische Epigramm des Kallimachos, in dem die Rede in der 3. Ps. Sg. mit auktorialer Perspektive durchgehalten wird,'”* besteht aus den folgenden Distichen auf den Liebesschwur des Kallignotos (Ep. 25 = 1 σον / PAGE): "Quoce Καλλίγνωτος Ἰωνίδι μήποτ᾽ ἐκείνης ξξειν μήτε φίλον κρέσσονα μήτε φίλην. ὦμοσεν᾽ ἀλλὰ λέγουσιν ἀληϑέα τοὺς ἐν ἔρωτι

ὅρκους μὴ δύνειν οὐατ᾽ ἐς ἀθανάτων. νῦν δ᾽ ὁ μὲν ἀρσενικῷ ϑέρεται πυρί, τῆς δὲ ταλαίνης νύμφης ὡς Μεγαρέων οὐ λόγος οὐδ᾽ ἀριϑμός. Es schwor Kallignotos der Ionis, daß er nie, nie einen besseren Freund -- noch eine Freundin - haben werde als sie. Das schwor er. Aber man sagt zu Recht, daß Liebesschwüre nicht in Götterohren gelangen. Jetzt brennt er für einen Knaben; von dem unglücklichen Mädchen ist, wie von den Megarern, nicht mehr die Rede, und sie záhlt nichts.

Auch hier wird eine Abfolge von Ereignissen erzählt, die zum Teil in der Vergangenheit (@uooe), zum Teil in der Gegenwart (νῦν) spielen. Die Rolle des Spre-

chers erklárt sich jedoch nicht, wie in Grab- oder Weihepigrammen, aus dem Zusammenhang mit dem Gegenstand und der Aufgabe des Sprechers, diesen zu erkláren. Die Beziehung des Erzáhlers zu seinem Gegenstand bleibt vielmehr im Unbestimmten. Er erscheint als ein anteilnehmender Beobachter und Kommentator der Situation, der sich an kein bestimmtes Gegenüber wendet. Ein Nebenthema des Epigramms auf den gebrochenen Liebesschwur des Kallignotos ist das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen: Götter hören nicht die Schwüre von Verliebten, und Ionis hat die Aufmerksamkeit ihres Liebhabers verloren. Die Rolle des Sprechers schwankt zwischen Mitgefühl (taAaivng νύμφης) und ironischer

Distanz. Letztere zeigt sich in dem Zitat eines Sprichworts in V. 3£."* und in der Anspielung auf ein berühmtes delphisches Orakel (V. 6). Aus der Suda-Überliefestehen. Vielleicht liegt der Ursprung einer späteren Grammatikererklärung, die τὴ von einem Verb ableitet und mit λαβέ gleichsetzt, bereits in einer hellenistischen Debatte. 134 Vgl. sonst nur die beiden Epigramme 46 und 1 (extra genus). 135 Daß die Götter keine Schwüre von Verliebten hören, wissen wir auch aus Plat. Symp. 183 b,

Phileb. 65 c; Tibull 3, 6, 49f.

Die Inszenierung des Sprechakis

169

rung geht hervor, daß Megarer oder andere Griechen angefragt hatten, τίνες εἶεν

κρείττους τῶν Ἑλλήνων,“ und darauf die vernichtende Antwort erhielten, sie selbst kämen ganz am Ende. So muß auch Ionis gefragt haben, ob Kallignotos einen besseren Freund (oder Freundin), κρέσσονα (V. 2), habe. Sie hätte wohl besser gar nicht gefragt. Auch wenn das Kallignotos-Epigramm durch Stimme und Perspektive als eine undramatisch-distanzierte Inszenierung erscheint, wird es doch durch das indirekte Zitieren von ÁuBerungen anderer belebt. Ein unaufdringliches

personales Element liegt zudem in der Verwendung eines wertenden Adjektivs und dem zutage tretenden Pessimismus. Die Herausforderung für den Leser besteht darin, einen Zusammenhang zwischen Ionis und den Megarern zu finden, der Reiz

in der Übertragung des Orakelworts auf eine erotische Situation. Das ekphrastische Epigramm auf eine Statue der Berenike wird, wie manche inschriftlichen Weihepigramme, aus einer bestimmten Situation heraus, hier kurz nach der offiziellen Dedikation, gesprochen (£p. 51 = 15 Gow / PAGE): Τέσσαρες αἱ Χάριτες" xoti γὰρ μία ταῖς τρισὶ τήναις ἄρτι ποτεπλάσϑη κῆτι μύροισι νοτεῖ. εὐαίων ἐν πᾶσιν ἀρίζηλος Βερενίκα, ἃς ἄτερ οὐδ᾽ αὐταὶ ταὶ Χάριτες Χάριτες. Vier sind die Chariten. Denn zu den drei anderen wurde jüngst noch eine hinzugeschaffen, und sie duftet noch von Myrrhensalbe. Glückselig (ist) die unter allen hervorstrahlende Berenike, ohne die die Chariten nicht Chariten sind.

Das Epigramm,

das vorgibt, ein ganz außerordentliches Kunstwerk

zu be-

schreiben, preist auf diese Weise zugleich die Schönheit der Königin Berenike.'” So nimmt man an, daß das Epigramm — wenn auch nicht als eine Inschrift für eine echte bronzene Statuengruppe - so doch möglicherweise aus Anlaß der Errichtung

eines solchen Kunstwerks verfaßt wurde.'”” Die besondere Wirkung des Epigramms entsteht durch die Vermenschlichung der Figur, die in einem Epigramm zugleich als Plastik (ποτεπλάσϑη) und als lebendiges Individuum geschildert wird. Berenike ist Königin, Grazie und Statue zugleich. Letztere macht ihre Schönheit allen sichtbar, ein dem epigrammatischen καλὸν ἰδέσϑαι- oder auch γνωτὸν 136 Suda, 5. v. ὑμεῖς ὦ Μεγαρεῖς. Dasselbe Orakelwort gab ferner Auskunft über die besten Pferde, Frauen und Männer in Griechenland, vgl. das Grabepigramm BERNAND 1969, Nr. 49 (GV 1845, vgl. u. S. 190 Anm. 232); zum 'elegischen Komparativ s. u. S. 179 Anm. 181.

137 Nach Gow / PAGE 1965, 2, S. 171 ist vermutlich die Frau des Ptolemaios III. Euergetes gemeint; s. aber WEBER

1993, S. 253 Anm. 6. Der Preis der Schönheit hat dazu geführt, daß

das Epigramm irrtümlich unter die Liebesepigramme im 5. Buch der Anthologia aufgenommen wurde. Der richtige Ort wäre nach Gow / PAGE 1965, a. a. O. eher Buch 9 mit den Epideiktika. Zur gängigen Interpretation MEILLIER 1979, S. 149f., 239 und WEBER 1993, S. 268, besonders auch Anm. 1 und 2. μύροισι ist demnach eine Anspielung auf eine Vorliebe

der Berenike. Manche hielten Ep. 51 allerdings für ein Gedicht nur auf die Person der Berenike selbst; vgl. Coco 1988, S. 162, der sich zu Recht gegen diese vereinfachende Auffassung wendet. 138 WEBER 1993, S. 268. Die Annahme, daß die gefeierte Berenikestatue neben einer Gruppe

der drei Grazien aufgestellt wurde, ist verführerisch, aber zum Verständnis des Epigramms nicht notwendig.

170

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

ἄγαλμα-Τοροξ verwandtes Motiv."? Eine Gemeinsamkeit zwischen Statue und göttlicher Erscheinung der Königin Berenike besteht vielleicht in der Vorliebe für duftende Salben.'* Der Sprechakt aus auktorial berichtender Perspektive gibt eine ,, Momentauf-

nahme“'*' wieder, er kommt ganz offensichtlich aus dem Mund des Betrachters. Der Bericht über die Aufstellung der in der zweiten Hälfte des Epigramms tive Sprecher beweist im Augenblick der erste Anschein, hier handele es schilderung. 3.2.

Statue in den als hymnisch des Schauens sich um eine

ersten beiden Zeilen erweist sich übersteigerte Preisrede. Der fikintellektuellen Witz. So táuscht objektiv-distanzierte Tatsachen-

Anrede an den Passanten in Grabepigrammen

Die Sprecherrollen in den sepulkralen Epigrammen sind durch Gattungskonventionen sehr viel genauer bestimmt als der Part des unpersónlichen Kommentators in unserem letzten Epigrammbeispiel. Leicht zu erkennen ist der Rekurs auf

die Formtradition des Steinepigramms in einem berühmten Epigramm, das Kallimachos auf sich selbst verfaßt hat (Ep. 35 = 30 Gow / PAGE): Βαττιάδεω παρὰ σῆμα φέρεις πόδας εὖ μὲν ἀοιδήν εἰδότος, εὖ δ᾽ οἴνῳ καίρια συγγελάσαι. Am Grabmal des Battiaden gehst du vorbei, der sich gut auf Gesang verstand, gut auch auf das passende Scherzen beim Wein.

Die 2. Person Singular führt den Wanderer vor der Stadt als fiktiven Adressaten ein, der Sprecher, den die Konvention im Grabmal oder im Grabinhaber vermu-

ten läßt, evoziert mit σῆμα eine Szenerie in der Nekropole. Das Gedicht gehört der communis opinio zufolge in einen Zusammenhang mit dem Epigramm des Dichters für seinen Vater (Ep. 21= 29 σον / PAGE), das an derselben metrischen

Position die sonst unbekannte Wendung παρὰ σῆμα φέρεις nödalg) benutzt.'^ 139 W. SCHMID, ᾿Αρίζηλος Bepevixa (Callim. epigr. 51 WILAMOWITZ), Philologus 78, 1923, S. 176-179 vergleicht /l. 2, 318f.: τὸν μὲν ἀρίζηλον ϑῆκεν ϑεός, óc περ ἔφηνε" / λᾶαν γάρ μιν ἔϑηκςε ... (Da machte sie (sci/. die Schlange] klar erkennbar der Gott, der sie erscheinen ließ / Denn zu Stein machte sie ... [SCHADEWALDT]). Vgl. auch MERKELBACH / STAUBER 01/01 / 13 (Knidos, 2. Jh. v. Chr.), V. 2: [1618]gz ἐπὶ λαοφόρωι yvotóv ἄγαλμα ... , das sich auf dem Standbild eines Kriegshelden findet. 140 Gow / PAGE 1965, 2, S. 172 weisen darauf hin, daB das Salben von Statuen anläßlich einer Weihung nicht bezeugt, Wohlgeruch jedoch ein übliches góttliches Attribut ist (z. B. Hom. Hymn. erm. 231). Bei Theokr. 15, 114 wird aber auch das Bild des Adonis mit Salbe geehrt, vielleicht weil es den Toten darstellt. Vgl. auch A. Huc, ‘Salben’, RE I A, 2, 1920, Sp. 1851-1866. Zur öfter mit V. 2 in Zusammenhang gebrachten Vorliebe der Königin für Salben 5. oben Anm. 137 und WEBER 1993, 5. 268 Anm. 2. 141 WEBER 1993, S. 268. Vgl. die Schilderung des temporären Blumenschmucks in dem fiktiven Grabepigramm des Herakleitos, Anth. Pal. 7, 465 = Heraclitus 1 Gow / PAGE, s. 0. S. 119.

142 Nach WiLAMOWITZ 1924, 1, S. 175 stand Ep. 21 im Epigrammbuch des Kallimachos nach Ep. 35. Die umgekehrte Reihenfolge hält PFEIFFER, S. 86 zu Ep. 21 für möglich; vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 186. Sicherlich gehören beide Epigramme wie die inschriftlichen ‘Parallel-

Die Inszenierung des Sprechakts

171

Kallimachos scheint es nicht als makaber empfunden zu haben, ein offensichtlich an

die Form des Grabepigramms angelehntes Gedicht auf sich selbst zu verfassen, freilich in episierender Umschreibung seines Namens als Battiade.'* Dem inhaltlichen

Typus nach gehört es damit in eine Reihe von Epigrammen, die der Charakterisierung von Persönlichkeiten, gerne auch von bekannten Dichtern, dienen." Man hat das Epigramm bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt seiner poetologischen Aussage untersucht. Seit REITZENSTEIN sieht man den wichtigsten Punkt des Disti-

chons in der Gegenüberstellung von ernster und heiterer Poesie und in der Definition der Gelagedichtung als eines Spiels nach dem Prinzip der Autonomie der

Kunst.'“ [n unserer Untersuchung soll es jedoch nicht so sehr um mögliche welt-

anschauliche oder poetologische Implikationen des Epigramms gehen, sondern um die Rezeption des Steinepigramms und die Technik der Leserlenkung. Zunächst: Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Epigramm tatsächlich für das Grab des

Kallimachos gedacht war.'*’ Die Wahrscheinlichkeit spricht eher dagegen. Auffällig

ist, daß die Aussage des zweiten Teils, die Charakteristik des ‘Toten’, in keinem Zusammenhang zu der fast pompösen Vorstellung des σῆμα steht. Überhaupt erzielt das Epigramm einen großen Teil seiner Wirkung gerade aus dem, was es verschweigt: Nur das Patronymikon des Grabinhabers wird genannt, es fehlen Hinweise auf die Herkunft und die bürgerliche Existenz im allgemeinen. Kallimachos in

der Rolle des sprechenden Grabmals wendet sich an einen Leser, der ihn kennt." Thema des ‘Grabepigramms’ ist das Leben des Dichters Kallimachos, verkleidet in die Form einer Todesbotschaft an seine Leser. Im Gegensatz aber zu Ep. 2 auf den Tod des befreundeten Dichters Herakleitos von Halikarnassos ist in diesem Epitaph keine Rede vom Nachruhm oder von der Unsterblichkeit des hinterlassenen poetischen Werks. Die Vorstellung des Grabmals lóst vielmehr eine Erinnerung

an die kommunikativen Fähigkeiten des Lebenden'” aus, an die ernsthaften und

weniger ernsthaften Vorführungen seiner Kunst. Man könnte sich daher gut mit gedichte’ zueinander. S. ferner auch HERTER 1931, Sp. 433; FRAsER 1972, 2, Anm. 185 auf S. 821; LIVREA 1992, S. 293 Anm. 6; GUTZWILLER 1998, S. 212f. mit Anm. 62; WHITE

1999. — Zu φέρεις πόδα s. unten Anm. 176. 143 Zur Wahl des Namens s. WHITE 1999, vgl. LAUSBERG 1982, S. 271.

144 GABATHULER 1937, S. 54; HAUVETTE 1907, S. 309f.; Coco 1988, S. 113. 145 REITZENSTEIN 1893, S. 87 bezieht das εὖ δ᾽ οἴνῳ καίρια συγγελάσαι auf das von ihm als wichtigste Neuschópfung der frühellenistischen Dichtung betrachtete „sympotische Epi-

gramm", Gegen REITZENSTEIN wendet LAUSBERG 1982, S. 272 ein, daB Kallimachos selbst sein Dichten als Einheit gesehen habe. In V. 2 gehe es außerdem gar nicht um die Dichtung an sich, sondern um das Leben des Dichters. Vorbilder dafür gibt es in den Selbstdarstellun-

gen archaischer Dichter, vgl. A. KÓHNKEN, SchluBpointe und Selbstdistanz bei Kallimachos, Hermes 101, 1973, S. 425-441, hier S. 441. Ebenfalls mit KOHNKEN gegen REITZENSTEIN wendet sich ASPER 1997, S. 210 Anm. 6. 146 Coco 1988, S. 133. 147 Das Schweigen der antiken Quellen zum Leben des Kallimachos spricht aber eher dagegen. Selbst WiLAMOWITZ 1924, 1, S. 175 hàlt das Epigramm für zu bescheiden, um eine echte

Aufschrift abzugeben. 148 Vgl. die stolze Anrede an den Leser „eideing δ᾽ ἀμφὼ xev" in Ep. 21, 3.

149 Vgl. den impliziten Gegensatz von stummem Tod und redefreudigem Leben in Ep. 16 auf Krethis sowie ferner die Verbindung von Sprechen und Leben im Steinepigramm MERKEL-

BACH / STAUBER 05 / 0] / 50 (GV 1179; Smyrna, 2. Jh. v. Chr.): à λάλος ἐν ζωοῖσι.

172

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

WILAMOWITZ vorstellen, das Epigramm sei in Hinblick auf eine vorliegende Epigrammsammlung des Kallimachos geschrieben, also gewissermaßen eine Stifteraufschrift auf ein Exemplar der Ἐπιγράμματα oder eines anderen Werks des Kallımachos.'”° Die Anrede an den Wanderer wäre dann eine Anrede an den Leser eines Kallimachosbuchs. Halten wir aber auch fest, daß es sich um das σῆμα eines εἰδώς handelt, auf das der Leser trifft, und daB mit dem Thema 'Wissen' ein Leitmotiv

der kallimacheischen Dichtungen anklingt. Eine ganz andere Stimmung als in dem lebensbejahenden £p. 35 liegt in Ep. 60 (7 39 Gow / PAGE) vor, das sich ebenfalls direkt an einen Passanten wendet: Οἵτινες ᾿Αλείοιο παρέρπετε σῆμα Κίμωνος,

ἴστε τὸν Ἱππαίου παῖδα παρερχόμενοι. Die ihr am Grabmal des Kimon aus Elıs vorbeizieht,

Wißt, daß ihr am Sohn des Hippaios vorübergeht. Das scheinbar so schlichte Grabgedicht auf Kimon aus Elis, das mit Rücksicht

auf seinen Inhaber in einem dorisierenden Dialekt abgefaßt ist,'”' hat sehr unterschiedliche Beurteilungen erfahren. Die ursprüngliche Auffassung, es handle sich aufgrund der Kürze, die nur notwendige Informationen biete, um eine echte Auf-

schrift, kann auch mit diesem Argument nicht bewiesen werden. Beim näheren Hinsehen unterscheidet sich das Epigramm von den gängigen Distichen der einfa-

chen Form. Ungewóhnlich ist bereits die Wiederholung, die in der Verwendung

von παρέρπετε und παρερχόμενοι innerhalb eines Verspaares liegt. Sie verleiht dem Distichon einen 'spontanen' Charakter, da das Aufgreifen eines Wortes oder Gedankens an mündliches Improvisieren erinnert. Auffällig ist aber auch der pluralische Imperativ iote. Während wir in Steinepigrammen etliche Varianten

entsprechender Verben im Singular finden, ist die , Belehrung"? einer Lesergruppe nicht üblich. Der einzelne Leser fühlt sich so eher weniger angesprochen. 150 WiLAMOWITZ

1924, 1, S. 175. Zu weitgehend ist aber sicher der Schluß, es müsse sich um

eine „spätere Ausgabe" handeln. WILAMOWITZ ist ja der nicht beweisbaren Ansicht, das erste Epigrammbuch müsse das früheste Werk des Dichters und die Grundlage seines Erfolgs gewesen sein. Passend wäre es als Schlußgedicht einer Buchausgabe der Epigramme, wie

GABATHULER 1937, S. 55f. und ähnlich GurzwILLER gibt sich dagegen CAMERON 1995, S. 78f.

1998, S. 212f. vermuten; skeptisch

151 Gow / PAGE 1965, 2, S. 195. 152 BuM 1940, S. 59; HAUVETTE 1907, S. 323. Es kónnte ebensogut darum gehen, den Eindruck einer echten Inschrift wie etwa BERNAND 1969, Nr. 92 = GV 112 (Alexandria, 3. Jh.) zu erzeugen, s. LAUSBERG 1982, Anm. 4 auf S. 542. GuTZWILLER 1998, S. 209 erklárt das Epigramm etwas spekulativ als eine bewußt schlicht gehaltene Folie, vor der der Buchleser dann die folgenden, komplizierteren Gedichte kontrastierend habe lesen sollen. 153 BRAUN 1986, 5. 68. ΜΟΚΑΥ 1972, S. 190 nimmt an dieser Doppelung Anstoß. Dagegen wendet sich SCHMIDT 1976, S. 150 Anm. 6, der darin ein bewußt eingesetztes Stilmittel sieht, zur Technik des Wiederholens und Wiederaufgreifens eines Verbs bei Kallimachos vgl. ferner auch Ep. 10 und 12; LAURENS 1989, S. 74; LAUSBERG 1982, S. 151f.

154 Z. B. CEG 2, 673 (Tenos, 4. Jh.?) = GV 1284 sowie die übrigen Epigramme im Typus “Wisse, ...' (GV 1284-1301 = Gruppe B IV 1 c f). 155 ScHMIDT 1976, S. 150; anders ist dies im Fall der moralischen Belehrung.

Die Inszenierung des Sprechakts

173

Die Formulierung des Epigramms läßt die Tatsache, daß der Verstorbene ein Sohn

des Hippaios war, als den Hauptinhalt der Belehrung durch den Stein erscheinen, wohingegen sein eigener Name im Relativsatz als scheinbar bekannt vorausgesetzt

wird.'” E. A. SCHMIDT und nach ihm L. BRAUN haben darin den entscheidenden Punkt in der Sprechhaltung des Epigramms erkannt. Es geht hier nicht um eine tri-

viale Formel, sondern um die Emotionen des Vaters, der so als der hauptsächlich vom Tode des Kimon Betroffene gezeichnet wird. Das Thema dieses Grabepigramms ist also áhnlich wie im Saon-Epigramm eine Beziehung von Vater und Sohn und die Bedeutung eines menschlichen Verlustes, anders: Nicht die Mittei-

lung einer Nachricht, sondern die Interpretation einer Situation macht den Gehalt dieses Epigramms aus, scheinbare Formelhaftigkeit wird zu einer glaubwürdigen, spontanen Rede." Das Grabepigramm des Kimon zeigt, wie Kallimachos die traditionellen, durch den Rahmen der Rezeption bedingten Gattungsmerkmale des

Epigramms nicht einfach durch eine neue Form des Gedichts ersetzt, sondern die vorhandenen Ausdrucksmóglichkeiten durch Akzentverschiebungen erweitert. Diese kaum merkliche Abweichung vom Muster ist im Kimon-Epigramm die abundante Anrede an den Passanten mit der Doppelung des Wanderermotivs. Der Leser

würde auch durch eine einfache Namensaufschrift das Gewünschte zur Kenntnis nehmen. Die abundante Redeweise des kallimacheischen Epigramms und die Betonung des Aspekts der Unterweisung (,, Wit ...“) lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Art der Darstellung selbst. Dies läßt den Verdacht aufkommen, daß

es hier ein alexandrinischer Dichter geradezu darauf angelegt hat, typische Elemente und Strukturen einer alten Gebrauchsdichtung sichtbar werden zu lassen. Die Doppelung eines Verbs und die Form einer Belehrung des fiktiven Adressaten teilt das Kimon-Epigramm mit dem kallimacheischen Grabgedicht auf Timarchos (Ep. 10 = 33 σον / PAGE): Ἣν δίζῃ Tinapxov £v ᾿Αἴδος, ὄφρα πύϑηαι

ἥ τι περὶ ψυχῆς ἢ πάλι πῶς ἔσεαι, δίζεσϑαι φυλῆς Πτολεμαΐδος υἱέα πατρός Παυσανίου᾽ δήεις δ᾽ αὑτὸν ἐν εὐσεβέων. Wenn du Timarchos suchst im Hades, um etwas über die Seele zu erfahren oder wie du weiterleben wirst, dann suche nach dem Sohn des Pausanias, aus

der Phyle Ptolemais: Du wirst ihn unter den Frommen finden.

Auch hier geschieht die Unterweisung dadurch, daß der textinterne Sprecher eine Handlungsweise des potentiellen Lesers aufgreift - in Ep. 60 das Vorübergehen, hier das Fragen - und in einem zweiten Schritt darauf antwortet.

Das Grabgedicht auf Timarchos gehórt zu den am meisten diskutierten Epigrammen des Kallimachos, da es einige vielversprechende Hinweise auf den von

vielen gesuchten ‘Sitz im Leben’ des Kallimachos zu enthalten scheint. Der Alex156 BRAUN 1986, S. 68. Der Relativsatz, jedoch nie mit οἵτινες eingeleitet, ist schon vor Kallimachos eine seltene Variante des Epigrammbeginns, vgl. CEG 1, 159 und 349. 157 „Kallimachos ... versteht es, durch Aufbau und Anordnung in ein ED (= Einzeldistichon),

das äußerlich gesehen ebenfalls nicht mehr als die elementaren Personalien enthält, implizit einen tiefen Gefühlston hineinzulegen ...“ (LAUSBERG 1982, S. 150f.).

174

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

andriner Timarchos, Protagonist in Ep. 10, scheint ein Fachmann für Fragen über das Jenseits zu sein. Schon WILAMOWITZ suchte daher nach einem zeitgenössischen Philosophen, der Περὶ ψυχῆς geschrieben habe, und kam so auf den bei

Diogenes Laertios erwähnten alexandrinischen Kyniker Timarchos."* Die sich aus dieser Identifizierung ergebenden chronologischen Probleme hat LIVREA zu behe-

ben versucht.? Daraus ergibt sich für ihn die Möglichkeit einer skeptischen Interpretation: Der kynische Philosoph, so die Aussage des als sprechendes Grabmal maskierten Autors Kallimachos, sei nach seinem Tode nur noch als Name in der Bürgerliste seiner Phyle zu finden, sein Fortleben bestehe nur in der Weiterexistenz seiner Bücher. GUTZWILLER sieht in der bürokratischen Phylenangabe zudem eine

Anspielung auf die den kallimacheischen Literaturinventaren beigefügten Kurzbiographien der Autoren. WILAMOWITZ wiederum hielt das Epigramm für eine der von ihm postulierten Auftragsarbeiten. Sein weitergehender Versuch, in dem Epigramm die Weltanschauung des Autors zu fassen, stieß hier allerdings an

seine Grenzen: Da Kallimachos zwar ein Rationalist sei, mit Philosophie im eigentlichen Sinne jedoch nichts zu tun habe, sei das Ziel des Epigramms lediglich die

Befriedigung der Hinterbliebenen. '°' Die Forschung hat sicher mit Recht darauf verwiesen, daß das TimarchosEpigramm nicht das einzige Epigramm des Kallimachos ist, das die Unterweltsthematik

in einem

kühl-rationalen

Ton

behandelt,

eine Attitüde,

die man

mit

LIVREA als „elegante scetticismo di ascendenza cinico-cirenaica“'” bezeichnen könnte. Die geschickte und neuartige Kombination typischer Formen und Motive des Grabepigramms hat die unterschiedlichen Lesungen von Ep. 10 in der Moderne ermöglicht, je nachdem, ob man die Form des Sprechakts eher für traditionell oder aber für eine Maske des Dichters hielt, den Akzent eher auf die Konvention oder

auf die Originalität legte.'° Betrachten wir die epigrammatische Darstellung also etwas genauer. Der Sprecher des Epigramms wendet sich in direkter Rede an ein

Gegenüber in der 2. Person, das, so wird in typisch epigrammatischer Weise unterstellt, etwas über einen Toten wissen will. Die angeredete Person ist also der imaginäre Leser einer Grabinschrift, den wir aus den dialogischen Epigrammen seit dem 5. Jahrhundert als aktiven Fragesteller kennen. Überraschenderweise zielt die 158 Diog. Laert. 6, 95; WILAMOWITZ 1924, 1, S. 176 mit Anm. 2; vgl. dazu FRASER 1972, 2, S. 696f., Anm. 25 und 26; MEILLIER 1979, S. 197-199. HAUVETTE 1907, S. 312f., Gow / PAGE 1965, 2, S. 190f. und Coco 1988, S. 82 sammeln die in der Forschung vorgeschlagenen Philosophen, 159 LivREA 1990, 240 v. Chr. 160 GUTZWILLER 161 WILAMOWITZ

unter denen sich Kyniker, Epikureer und Pythagoreer befinden. S. 314-318 setzt den Tod des bei Diog. Laert. erwähnten Kynikers auf ca. 1998, S. 204f. 1924, 1, S. 177. Warum aber sollte Kallimachos Epigramme veröffentlicht ha-

ben, deren Inhalt machos hat auch und 23, weshalb 162 LIVREA 1990, S.

er nicht teilte? Schwierigkeiten mit der persónlichen Auffassung des KalliHAUVETTE 1907, S. 312. Er erinnert an die parodistischen Gedichte Ep. 13 er auch das vorliegende Ep. 10 nicht als eine ‘echte’ Aufschrift betrachtet. 318. Zu solchen religionskritischen Tendenzen im Hellenismus und auch

schon vor Kallimachos, nach denen 'Seele' nichts als ein leeres Wort bedeute, s. auch den Artikel 'Totenkult und Jenseitsglaube', in: SCHMITT / VOGT 1988, S. 720.

163 GUTZWILLER 1998, S. 204 argumentiert gegen Gow / PAGE 1965, 2, S. 190, die in Ep. 10 ein einfaches „laudatory epigram" sehen, mit der 'Stimme des Dichters’.

Die Inszenierung des Sprechakts

175

vorweggenommene Frage des potentiellen Lesers jedoch nicht auf Namen und Herkunft des Toten, sondern auf das Leben nach dem Tode: ὀφρα πύϑηαι / ἦ τι

περὶ ψυχῆς ἢ πάλι πῶς Ecco.“ Auf der anderen Seite begegnet der Hinweis,

daß das Schicksal des Grabinhabers auch für die Zukunft des Lesers eine gewisse

Bedeutung hat, schon in frühen Steinepigrammen.5 Hier aber werden die für eine Inschrift wichtigsten Informationen, Name und Heimat des Toten, dem spezifizier-

ten Interesse des Lesers in dem Sinn nachgeordnet, daB das Eigeninteresse des Lesers überhaupt erst Anlaß der epigrammatischen Mitteilung ist. Die darauf folgende Aufforderung „suche / frage" nach dem Sohn des Pausanias (δίζεσϑαι) entspricht komplementür dem Imperativ „wißt, daß ihr am Sohn des Hippaios vorbeigeht (lote ...) in der Anrede an den Leser des Kimon-Epigramms (£p. 60). Hier liegt also eine Kombination der epigrammatischen Rede-

formen „Wenn du fragst ...“ und „Wisse ...“ vor.'° Worin genau besteht aber die Aktivität des Lesers, der so präzise Auskünfte erhält? Anscheinend

stellt Kalli-

machos den Weg des Passanten als eine Art Katabasıs, einen Gang zum Hades, vor, wo der fiktive Leser seine Fragen an den Toten richten kann.'^' Das Grabmal fungiert gewissermaßen als ein Wegweiser in die Unterwelt. Die Lokalität des Ge-

spráches zwischen Timarchos und seinem potentiellen Besucher im Hades wird als der Ort der Frommen angegeben. Auch hier werden Variationen der konventionellen grabepigrammatischen

Aussageweise

präsentiert:

das Motiv

der

Sehnsucht

(πόϑος)δ᾽ nach einem in den Hades entschwundenen Menschen und der informative Dialog mit dem Grabinhaber. Für Kallimachos charakteristisch ist nun, daß die Inszenierung des Sprechakts viel konkreter ausgelegt wird als in den von der Gattungtradition überlieferten Vorbildern. Das typisch epigrammatische Paradoxon einer an sich unmóglichen Unterhaltung des fiktiven Lesers mit Gegenständen oder lángst verstorbenen Grabinhabern tritt so erst zutage: Kallimachos legt gleichsam den Finger in die logische Wunde. Zunächst ist der fiktive Frager ein durchaus gebildeter Leser mit einem echten Interesse an Fragen περὶ yox; . Darin gleicht

er dem Platonleser Kleombrotos in Ep. 23.9 Konkret sind auch die Auskünfte

über die Adresse des Timarchos im Hades, ein Effekt, der durch einen Gleichklang

verstärkt wird: Unverkennbar ist der Reim von 'Aióog und Πτολεμαΐδος nach der Zäsur im ersten und zweiten Hexameter sowie von ψυχῆς und φύλης im ersten Pentameter und zweiten Hexameter. Der abstrakten, traditionellen Rede von der 164 πάλι ἐσεαι bedeutet hier „wie du überleben / weiterleben wirst“, vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 190f., MERKELBACH / STAUBER 05 / 01 / 63 (GV 1133; Smyrna, 2. Jh. n. Chr.?): ei πάλιν

ἔστι γενέσϑαι, ὕπνος (0) &[ye οὐκ ἐπὶ δηρόν | ] / εἰ δ᾽ οὐκ ἐστιν πάλιν EAdeiv, αἰῴν[ιος ὕπνος.]. ein Grabepigramm unter der Darstellung eines schlafenden Knaben. 165 Vgl. z.B. CEG 1, 34 (,,... da auch dich der Tod erwartet"), s. o. S. 67. 166 Vgl. GV 1284-1301 und 1330-1341 (Gruppe B IV 1 c B / δ), wobei die Belege für den Ty-

pus ὃ: „Du fragst ... (wenn du wissen willst ...), so höre ...“ erst im 1. Jh. v. Chr. beginnen. 167 Vgl. den Frager Odysseus in Od. 11, 57f., 140-144 und 210ff., SpmA 1993, S. 167. Verhaltensregeln und Wegweisungen für die Unterwelt geben auch die orphischen Táfelchen, s. ASPER 1997, S. 84{ G. PUGLIESE CARRATELLI, Le lamine d'oro orfiche. Istruzioni per il viaggio oltremondano degli iniziati greci, Milano 2001. 168 Vgl. die Belege in CEG 2, S. 340 unter ποϑεινός, ποϑέω, πόϑος.

169 Vgl. auch den Platonleser bei GV 2018 = MERKELBACH / STAUBER 01 / 20 / 25 (Milet, 2. Jh. v. Chr).

176

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Unterwelt wird jeweils ein konkreter Begriff der Lebenswelt entgegengestellt.'” Soll aber dieser Gleichklang so gedeutet werden, daß einer religiós-naiven Sicht der Existenz im Jenseits als einer besseren Fortsetzung des oberirdischen Lebens eine kritische, 'sákularisierte' Betrachtungsweise ironisch entgegengesetzt wird? Der Hinweis auf die Nennung der Phyle genügt hier nicht, immerhin ist diese Angabe in attischen Grabepigrammen zur Genüge belegt."' Der Schlüssel zum Verstándnis kann nur in einem externen Argument - in unserem Fall der Identität des Timarchos und der Haltung des Kallimachos seiner Person gegenüber — liegen. Ist die Zuspitzung der Darstellung im Sinne einer Konkretisierung des Sprechakts, die

Paradoxes ans Licht bringt, ein wichtiges Indiz für die Gesamtinterpretation? Haben wir hier ein ironisches Epigramm vor uns, das einen unreflektierten Jenseitsglauben mit Skepsis betrachtet, oder nur ein ‘modernes’? Das zweite Epigramm, das Kallimachos seiner eigenen Familie gewidmet hat, und das durch die Wendung παρὰ σῆμα φέρεις πόδα ganz offensichtlich mit dem Epitaph Ep. 35 zusammen gelesen werden soll, varüert in seiner Anrede an den

imaginären Passanten ebenfalls das Thema ‘Wissen’ (Ep. 21): Ὅστις ἐμὸν παρὰ σῆμα φέρεις πόδα, Καλλιμάχου με

ic91 Κυρηναίου παϊδά τε καὶ γενέτην. εἰδείης δ᾽ ἄμφω KEV’ ὁ μέν κοτε πατρίδος ὅπλων

ἦρξεν, ὁ δ᾽ ἤεισεν κρέσσονα βασκανίης. [οὐ νέμεσις" Μοῦσαι γὰρ ὅσους ἶδον ὀμματι παῖδας,

ἰάχρι βίου πολιοὺς οὐκ ἀπέϑεντο φίλους.]᾽

Der Du an meinem Mal vorbeigehst, wisse, daß ich der Sohn und Vater eines Kallimachos aus Kyrene bin. Du müßtest beide kennen: Der eine befehligte einst die Waffen des Vaterlandes, der andere aber sang stärker als der Neid.

[...]

Auch hier geht es um das Fortleben nach dem Tod, doch nicht im Sinne einer Existenz in der Unterwelt, sondern als Teil des kollektiven Gedächtnisses. Doch

nicht nur ein Individuum, der Ruhm einer ganzen Familie wird in den beiden Distichen gefeiert. Der Inhaber des σῆμα, der hier zugleich der Sprecher ist, ist Sohn 170 Eine solche pointierte Konfrontation der bekannten zeitgenössischen Welt mit dem Reich der Imagination ist typisch kallimacheisch. So kommt auch Hipponax im 1. Jambus aus dem Hades, auf dessen mythische Geographie er in seiner Rede anspielt (Fr. 191, 34), und begibt sich zu einem Heiligtum des hellenistischen Alexandria, s. unten S. 24 7ff.

171 Vgl. exempli gratia CEG 2, 523, V. 2: Καλλίμαχος φυ(λ)γὴς Κεκροπί(δ)ος Μελιτεύς. 172 Einige Forscher emendieren (ὀμματι ... / ) un Aó&o entsprechend dem (fast) gleichlautenden Fr. 1, 37f. aus dem 1. Aitienbuch; s. dazu jetzt GUTZWILLER 1998, S. 211f. Dann müßte

man annehmen, daß Kallimachos das Distichon bewußt in diesem Epigramm zitiert, um auf die frühere (?) Dichtung zu verweisen. Die Vermutungen der Forschung, das Epigramm habe zu diesem Zweck am Ende einer kallimacheischen Werkausgabe gestanden, sind zwar plausibel, aber dennoch spekulativ. Nach CAMERON 1995, S. 78f. wurde das Epigramm erst von Meleager in einen solchen Buchkontext und in Zusammenhang mit dem Epigramm auf "Battiades' gebracht. οὐ νέμεσις („No wonder", GUTZWILLER S. 202) erinnert an die epigrammatische Anredetopik in CEG 2, 596 (μηϑεὶς ἀνθρώπων ϑαυμαζέτω) und Anth. Pal. 7, 425 = Antipater of Sidon 30 Gow / PAGE (μὴ ϑάμβει ...). Eine Bestätigung der Überlieferung ist das allerdings nicht.

Die Inszenierung des Sprechakts

177

und Vater eines Kallimachos aus Kyrene, also wohl Battos, der Vater des Dichters. Daß dieser Name selbst in dem Gedicht nicht erscheint, mag daran liegen, daß es in

einem anderen Epigramm davor oder danach war, etwas ohnehin Bekanntes zu verkünden. die Umschreibung mit dem Namen von Vater weist zudem auf die Praxis in inschriftlichen

genannt war, oder daß es nicht nötig Ohne den Namen macht in jedem Fail und Sohn mehr Sinn. FANTUZZI verEpigrammen besonders des 4. Jahr-

hunderts, den Namen des Grabinhabers in einer Überschrift anzugeben. In dem auf die Angabe folgenden Gedicht werden diese Informationen dann nicht mehr benö-

tigt.” Ob es einen derartigen ‘Kontext’ für das Epigramm gegeben hat oder ob, wie in den 'Rütselepigrammen', der Leser kombinieren und ergänzen sollte, läßt Sich nicht mit letzter Sicherheit entscheiden. Man kann jedoch mit Recht sagen,

daß es sich mehr um ein Epigramm auf Kallimachos als um einen poetischen Nachruf auf den Vater handelt: Endet das Gedicht doch mit dem Lob der Leistung des Sohnes!

Wie in dem bereits besprochenen Βαττιάδεω παρὰ σῆμα ... / εἰδότος (Ep. 35, s. o. S. 1706) wird dem fiktiven Leser ein ganz besonderes Interesse und Wissen unterstellt. Hier heißt es sogar explizit, der Leser werde wohl beide Träger des Namens Kallimachos kennen. Wührend sich der eine Kallimachos militárisch-politischen Ruhm erwarb, sicherte sich der andere durch seine Dichtung ein Nachleben. Baoxavin, der Neid, steht für diejenigen Kräfte, die das Ansehen und damit auch

den Nachruhm eines Dichters verdunkeln kónnen. Als eine Eigenschaft des Hades selbst erscheint sie bei Erinna und in dem Epigramm des Leonidas auf dieselbe

Dichterin.'”*

Die Anrede an den Passanten greift zwar den Topos des Grabes am Wegesrand

auf, der ja schon früh mit dem Gedanken der Verbreitung einer Kunde verbunden ist, doch richtet sie sich offensichtlich an ein bestimmtes, mit der Geschichte des

Landes und mit Kallimachos vertrautes Lesepublikum. Worin besteht die Rolle des "Wanderers'? Es scheint, als solle er den Ruhm des Dichters weniger verbreiten als

schlichtweg bestätigen. εἰδείης evoziert einen Akt des Erinnerns, der die Voraussetzung für die richtige Identifizierung der beiden Genannten ist. So macht der Sprecher den anonymen Leser zu seinem Verbündeten. In der Haltung des Sprechers gibt es einen Unterschied zu den bisher besprochenen Epigrammen, die Kallimachos um die Struktur der Passantenanrede herum komponiert hat. Der Sprecher wendet sich nicht nur an sein konkret vorgestelltes Gegenüber, er läßt auch in der Verwendung der Ich-Rede (ἐμὸν ... σῆμα; ne, V. 1) einen personalisierten Sprecher — den Grabinhaber — auftreten. Dies lenkt die

Aufmerksamkeit des Lesers auf den ‘Toten’ und verleiht den Worten die Autorität einer sprechenden Persönlichkeit. Auch in diesem Epigramm können wir die konkret-realistische Inszenierung des Sprechakts beobachten, selbst wenn dies in poetischer Sprache geschieht. So ist nicht nur die Wendung an den Leser didaktisch 173 FANTUZZI 2002, S. 404f. 174 Erinna 2 Gow / PAGE = Anth. Pal. 7, 712; Leonidas of Tarentum 98 (24) Gow / PAGE =

Anth. Pal. 7, 13. Das Motiv des untadeligen Rufs gibt es im 4. Jh. in mehreren Epigrammen, vgl. z. B. μῶμος in CEG 2, 686, V. 6. FERGUSON

1970, S. 66 vermutet in dem Epigramm

ein Spiel mit dem kämpferischen Namen des Dichters. Dagegen wendet sich LAUSBERG 1982, Anm. 3 auf S. 545.

178

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

wirkungsvoll angelegt, auch die in den Epigrammen bis zum 3. Jahrhundert singuläre Wendung φέρεις nösa” gleicht einer Wiederbelebung der poetisch ausgelaugten Wandererformel.'’° Neben der Ich-Rede des Toten in Kombination mit der Adresse an den Wanderer, die das Epigramm auf den Vater mustergültig vorführt, kennt Kallimachos in seinen Grabepigrammen aber auch den Typus der Ich-Rede des Grabdenkmals. Sie findet sich in einem Epigramm, das noch einmal das Motiv des Weges variiert (p. 12 = 43 Gow / PAGE): Κύζικον ἣν ἔλϑῃς, ὀλίγος πόνος Ἱππακὸν εὑρεῖν καὶ Audbunv' ἀφανῆς οὔτι γὰρ ἡ γενεή.

καί σφιν ἀνιηρὸν μὲν ἐρεῖς ἔπος, ἔμπα δὲ λέξαι τοῦϑ᾽, ὁτι τὸν κείνων ὧδ᾽ ἐπέχω Κριτίην. Wenn du nach Kyzikos kommst, wird es wenig Mühe machen, Hippakos zu finden und Didyme: Unbedeutend ist die Familie ja nicht. Auch wenn du ihnen ein betrübliches Wort sagen wirst, sag es dennoch: Ich habe hier ihren Sohn, Kntias.

Im Aufbau ist das Epigramm verwandt mit den inschriftlichen Beispielen, die den Leser zur Übernahme einer Botenrolle ermuntern.'" Hier nun befindet sich das Grabmal offenbar nicht in der Heimat des Toten. So wird die Anrede an den Leser mit der Aufforderung verbunden, die Nachricht vom Tod des Kritias den Eltern zu überbnngen, ein Motiv, das aus dem Simonides zugeschriebenen ThermopylenEpigramm bekannt ist.'”* Anders als in dem berühmten Vorläufer gibt hier aber 175 Vgl. BERNAND 1969, Nr. ἠρέμα χῶρον (Hassaia?, sowie Anth. Pal. 9, 826 = 176 Vgl. Kall. Aymn. 4, 103:

38 (GV 1990), V. 5: Ξεῖνε, σὺ δ᾽ ὃς παρὰ τόνδε φέρίε)ις πόδας Ägypten, 2. / 1. Jh.). sicher unter dem Einfluß des Kallimachos, 'Platon' 22a FGE, V. 5: εὔκηλον 8 ἴϑυνε φέρων πόδα. ἂψ 8 ἐπὶ Θεσσαλίην πόδας Erpere. Vorbildhaft sind die For-

mulierung in Epos und klassischem Drama (ποσὶ ϑέειν / andüv etc. bei Homer, immer im Dativ Pl., vgl. LSU s. v. ποῦς), vgl. besonders Soph. Art. 224: κοῦφον ἐξάρας πόδα; Trach. 549: ὑπεκτρέπει πόδα, Phil. 291: ἐξέλκων πόδα; Aristoph. Vesp. 1163: ἀποβιβάζων τὸν πόδα; Thesm. 659: κοῦφον ἐξορμᾶν πόδα, Thesm. 1100: πόδα τίϑημι; Ran. 478: ὁρμήσω πόδα u. a.; -- ὀδυνηρῶς ἔφερε xov πόδα im Corpus Fabularum Aesopicarum 257, I meint allerdings einen lahmenden Esel.

177 Vgl. (Εὖ 2, 865, V. 1: τῶι ξένωι eine, πολῖτα ... und das literarisch überlieferte Thermopylen-Epigramm des Simonides (220 FGE), dazu BRAUN 1986, 5. 63f. Die wissenschaftliche Literatur setzt sich vor allem mit der Frage des Verhältnisses zu anderen, mit Ep. 12 etwa gleichzeitig entstandenen Epigrammen auseinander, die eine Botschaft an die Eltern thematisieren, s. REITZENSTEIN 1893, S. 160; WiLAMoWwITZ 1924, 1, S. 147 Anm. 4, der Anth. Pal. 7, 500 = Asclepiades 31 Gow / PAGE als Muster für das Gedicht betrachtet, ebenso Gow / PAGE

1965, 2, S. 197; S. L. TARÁN, The Art of Variation in the Hellenistic Epigram, Leiden

1979 (Columbia Studies in the Classical Tradition 9), S. 322ff., Coco 1988, S. 85; GUTZWILLER 1998, S. 203f. - HAUVETTE 1907, S. 322f. hält die Gedichte für unabhängige litera-

rische Variationen über ein gängiges Thema der Gattung. Der Zusammenhang von Grabmal und Botenfunktion wird aber auch sonst im Steinepigramm betont, vgl. etwa CEG 2, 823: [ἀγγέλλ]ω νίκημ Meoolnviou, oder CEG 2, 467: ὦ Χρόνε, ... / ἄγγελος ... γενοῦ. 178 S. vorige Anmerkung: κείνων steht an derselben metrischen Position wie im Pentameter des Thermopylen-Epigramms (κείμεϑα, τοῖς κείνων ...) des Simonides 22b FGE.

Die Inszenierung des Sprechakts

179

nicht der Inhaber des Grabes den Auftrag „of conveying the message“,'”” sondern,

wie erst am Schluß des Epigramms deutlich wird, das Denkmal selber. Der Gegenstand kommuniziert mit dem Leser und bezieht ihn in seine Reflexionen mit ein, in-

dem er mögliche Hindernisse beim Überbringen der Nachricht berücksichtigt. Der

Dramatisierung dieses Rahmens, dem imaginären Auftrag an den Leser, wird wesentlich mehr Platz eingeräumt als der eigentlichen, in dem mit τοῦϑ᾽ ὁτι eingeleiteten, letzten Vers enthaltenen Todesnachricht. Anders als im Thermopylen-Epigramm des 'Simonides' wird der Bote selbst, sein Weg und auch die Wirkung der

Nachricht mit bedacht. Wie so oft stellt Kallimachos gerade die konkrete Situation des Sprechers und den Effekt der Mitteilung genauer und ausführlicher dar, als man für nótig halten würde. Sorgfültig sind auch die Tempora unterschieden (ἐρεῖς), und die räumliche Distanz zur Heimat

spiegelt sich in dem

Pronomen

κείνων. Das gedämpfte Pathos in ἀνιηρὸν ... xoc, das wie im Fall von £p. 25, 5 (ταλαίνης) nur durch ein einziges Adjektv vermittelt wird, verbindet das Epigramm mit anderen Grabgedichten des Kallimachos, deren emotionaler Gehalt

in den betonten Verwandschaftsbezeichnungen und -beziehungen aufscheint. Diese zukünftige und vom fiktiven Sprecher vorgezeichnete ‘Rede in der Rede’ zeigt sich zudem von einer Odysseestelle inspiriert, die möglicherweise Gegenstand alexan-

drinischer philogischer Diskussion war.'?'

Die Rede des Grabmals -- oder der Erde am Grab - ist zu Beginn nicht als solche zu erkennen. Erst im letzten Vers offenbart sich mit ἐπέχω ein personaler Sprecher. Dies kommt insofern überraschend, als man im Ötı-Satz ein anderes Subjekt, nämlich ‘Kritias’ erwartet hätte. Die merkwürdig unbeteiligte, fast formelle Attitüde des Sprechers, die das Problem der Übermittlung der Nachricht in den Vordergrund rückt, läßt Kritias als fern und unerreichbar erscheinen.'? In insgesamt 6 der 25 kallimacheischen Epigramme auf Verstorbene findet sich eine direkte Anrede an einen Passanten. Unser letztes Beispiel, Ep. 3 (52 Gow / PAGE = Anth. Pal. 7, 318), gehört in die Reihe der literarischen Epigramme auf

Timon, den Misanthropen:'® 179 TARÁN

1979, S. 132.

180 TARÁN 1979, S. 135ff., vgl. Ep. 32. 181 Od. 2, 188-191: ai κε νεώτερον ἄνδρα

παλαιά

τε πολλά

TE εἰδὼς / παρφάμενος

ἐπέεσσιν ἐποτρύνῃς χαλεπαΐνειν, / αὐτῷ μέν οἱ πρῶτον ἀνεηρέστερον ἔσται, / πρῆξαι

δ᾽ ἑμπῆς οὐ τι δυνήσεται εἵνεκα τῶνδε; der irreguläre Komparativ wird bei Athen. 10, 424 d und Eustathios, Comm. ad Od. 2, 1% diskutiert, zu ἀνιαρός bei Kallimachos 5. noch Ep. 43, 1, regulärer Komparativ in 14, 4. Komparative und Superlative finden sich erwartungsgemäß auch in den programmatischen Aussagen der Elegie, vgl. z. B. Thgn. 1, 124,

210, 258, 332b, 812 und 2, 1356 Youwa. 182 GUTZWILLER 1998, S. 204 sieht in dem unerwarteten Sprecher einen „ironic touch" und eine von Kallimachos vielleicht bewußt wahrgenommene Möglichkeit, sich von seinem Vor-

gänger Asklepiades (Anth. Pal. 7, 500 = Asclepiades 31 Gow / PAGE) abzusetzen. Eine gewisse Offenheit der Interpretation ergibt sich allerdings daraus, daß weder ein Grabmal noch der Tod als Inhalt des Gedichts explizit genannt werden. So könnte ἐπέχο in einem nicht-

sepulkralen Kontext auch bedeuten, daß Kritias von etwas ganz anderem, vielleicht einem Liebhaber, aufgehalten wird. Meleager (Anth. Pal. 7, 461 = Meleager 124 Gow / PAGE, V.

2). der bezeichnenderweise eindeutig formuliert, spricht nicht unbedingt dagegen. 183 GUTZWILLER 1998, S. 197f.

180

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos Mn χαίρειν εἴπῃς με, κακὸν κέαρ, ἀλλὰ πάρελϑε icov ἐμοὶ χαίρειν ἐστὶ τὸ μὴ σὲ γελᾶν." Sag nicht den freudigen Gruß, übler Bursche, sondern geh weiter, gleiche Freude ist's für mich, wenn du gar nichts zu lachen hast.

Das Epigramm unterscheidet sich von den bisher betrachteten durch eine krasse Abweichung von der Tradition des Steinepigramms, die ganz offensichtlich

gerade in der Verkehrung der Konventionen besteht." Der fiktive Sprecher wehrt

sich gegen seine traditionelle Funktion, eine Kommunikation in Gang zu setzen. Das Epigramm ruft damit beim impliziten Leser genau die vergnügte Reaktion hervor, die sich der fiktive griesgrämige Grabinhaber verbittet. Ein Allgemeinplatz der antiken Ethnographie - die Kommunikationsprobleme der wortkargen Kreter — motiviert dagegen die auf den ersten Blick vergleichbare Variation der Leserapostrophe in dem ‘Kreter-Epigramm’'” des Poseidippos (XV 24-27 BASTIANINI / GALLAZZI): τί πρὸς ἐμ᾽ ὧδ᾽ ἔστητε; τί μ᾽ οὐκ ἡάσατ᾽ ἰαύειν, εἰρόμενοι τίς ἐγὼ καὶ πόϑεν ἢ ποδαπός;

στείχε(τέ) μου παρὰ σῆμα᾽ Μενοίτιός εἰμι Φιλάρχω Κρής, ὀλιγορρήμων ὡς ἂν ἐπὶ ξενίης. Warum seid ihr hier zu mir gekommen? Warum habt ihr mich nicht in Ruhe

schlafen gelassen und mußtet fragen, wer ich bin und woher und von wo? Geht hin zu meinem Grabmal: Menoitios bin ich, Sohn des Philarchos, Kreter,

wortkarg, weil ich hier in der Fremde bin. In diesen beiden letzten Epigrammen mit Leserbeschimpfung ist die spielerische Absicht des Epigrammautors unverkennbar, ohne daß man schon von einer tiefgründigen Reflexion über die Gesetze der Gattung sprechen könnte. 3.3.

Anrede an den Betrachter in Weihepigrammen

So wie die Anrede an den Leser und Passanten für die Funktionsweise des Grabepigramms charakteristisch ist, das auf den mündlich verbreiteten Nachruhm eines Grabinhabers spekuliert, erfüllt auch die Wendung an den Betrachter im

Weihepigramm eine ganz bestimmte kommunikative Funktion. Das Publikum der Betrachter und Leser ist Zeuge einer religiösen Handlung, es bestätigt durch seine Bewunderung den Wert des gestifteten und beschrifteten Gegenstands, von dem wiederum der Erfolg des Stifters beim beschenkten Gott abhängt. Der dedikatorische Sprechakt hat daher ein doppeltes Publikum: die Gottheit, der eine Gabe überreicht wird, und die potentiellen Betrachter, Leser und Zeugen der Schenkung. Aus dieser Konstellation ergeben sich verschiedene Móglichkeiten für die poetische Inszenierung fiktiver Sprechakte. Der Epigrammdichter kann den Sprechakt des 184 πελᾶν GRAEFE, JACOBS, GOWw / PAGE; zur Diskussion der Konjektur s. unten Anm. 298. 185 WaLsH 1991, S. 81; GUTZWILLER 1998, S. 197f. sieht eine Funktion des Epigramms darin, auf die Fiktivität des Sprechakts zu verweisen. 186 Vgl. Kallimachos, Ep. 11, s. unten S.191ff.

Die Inszenierung des Sprechakts

181

Stifters im Augenblick der Dedikation oder aber die Rezeption durch das Publikum der ‘Zeugen’ in Form der monologischen oder dialogischen Rede gestalten. Die fiktive Anrede an den anonymen Betrachter im Epigramm fixiert also eine idealtypische Handlungssituation, die zeitlich nach der eigentlichen Weihung liegt. Der

vorangegangene Akt der Weihung selbst wird im fiktiven Dialog mit der Gottheit vollzogen.'”

Zum Typus ‘Anrede an den Betrachter’ gehört ein Epigramm

des

Kallimachos auf die Stiftung einer Lampe für Sarapis, die, als fiktive Sprecherin des Gedichts, die visuelle Rezeption ihres Gegenübers steuert, indem sie auf ihr

spektakuläres Aussehen hinweist (Ep. 55 = 16 Gow / PAGE): Τῷ με Kavorita Καλλίστιον εἴκοσι μύξαις πλούσιον ἁ Κριτίου λύχνον ἔϑηκε ϑεῷ, εὐξαμένα περὶ παιδὸς ᾿Απελλίδος" ἐς δ᾽ ἐμὰ φέγγη

ἀϑρήσας φάσεις" “Ἔσπερε, πῶς ἔπεσες; Dem Gott von Kanopos hat mich Kallistion, Tochter des Kritias, geweiht, reich ausgestattet mit zwanzig Dochten, weil sie es für ihr Kind Apellis gelobt hatte. Wenn du meine Lichter siehst, wirst du sagen: 'Abendstern, wie konntest du herunterfallen?' Es handelt sich, soviel erfahren wir aus dem Gedicht selbst, um die Weihgabe

einer Mutter für ihre Tochter Apellis.' Die Schilderung aus der Sicht des Betrachters kann man als eine Variation des alten kaAóv-iógiv-Motivs verstehen, mit de-

ren Hilfe die Kunst des Denkmals angepriesen werden soll.'” In unserem Fall lobt sich das Denkmal selbst, andere Epigramme wechseln den Standpunkt des Spre-

chers und lassen den Bewunderer etwa πὶ,

ἡ καλὸν τὸ μνῆμα ...*?! zu Wort

kommen. Aber auch das 'sprechende' Denkmal nimmt einzelne Aspekte der Rezeptionssituation in seine Rede mit auf, um so den Leser zu beeinflussen. Die Pointe des Gedichts besteht, wie KÖHNKEN 1993 gezeigt hat, in der Identifizierung der geweihten Lampe mit dem besonders hell strahlenden Abendstern, welcher

beim

Entzünden

des Lichts gleichsam

auf die Erde

gefallen

zu

sein

scheint.'”” Erst in der Vorstellung eines schauenden Gegenübers kann sich der

Glanz der Lampe mit den zwanzig Dochten entfalten. Es handelt sich dabei jedoch, 187 Vgl. Ep. 5, Ep. 34 und Ep. 54. 188 Zu Ep. 55 s. jetzt die vorzügliche Analyse von KOHNKEN 1993, S. 124f., auf der auch GUTZWILLER 1998, S. 192f. beruht. Zum Gegenstand vgl. FRASER 1972, 1, S. 583f.

189 Der Gott von Kanopos, Sarapis (KÖHNKEN 1993, S. 124 Anm. 20), war etwa zuständig für Heilungen, vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 173f. zur Stelle. Kallimachos legt offensichtlich kei-

nen Wert auf den Anlaß der Weihung. Nichtsdestoweniger hat man immer wieder versucht, ein Motiv für die Stiftung zu konstruieren. Diese Versuche stellt Coco 1988, S. 170 zusammen. — Eine Diskussion, ob es sich um Sarapis (so WILAMOWITZ 1924, 2, S. 255) oder Ado-

nis handelt, gibt FRASER 1972, 2, Anm. 236 auf S. 829 wieder. 190 Vgl. z.B. CEG 1, 18, 46, 441 (= /G P, 1251, 1215, 1403); Kallimachos Ep. 50 (ὁρᾶσϑαι).

191 CEG 1, 161. 192 KOHNKEN

1993, S. 124f. entscheidet damit die von Gow / PAGE

1965, 2, S. 174 gestellte

Frage, ob Vers 4b nicht das Verdunkeln des Abendsternes durch die Helligkeit der Lampe meinen kónnte. Die Frage des Betrachters kónnte aber auch ein orientalisches Vorbild haben, vgl. STONEMAN 1992, S. 104 Anm. 33.

182

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

wie KÖHNKEN richtig bemerkt, um einen „präsumtiven Betrachter“,'” dessen Ver-

halten vorweggenommen wird. Das Futur φήσεις suggeriert, daß dieser Betrachter als eine unmittelbare Folge seiner Wahrnehmung mit der überraschten Frage „Eonepe, πῶς Eneoeg;“ reagiert. Die Technik der ‘Rede in der Rede’ dient der

Charakterisierung von Gegenstand und Betrachter. Der idealisierte Rezipient führt eine Reaktion vor, die ein beliebiger Betrachter der Lampe vielleicht nicht zeigen würde. Der Vergleich erscheint pathetisch und übertrieben. Dies führt auf der einen Seite dazu, daß sich der Epigrammleser das großartige Licht vorzustellen versucht,

auf der anderen Seite aber auch zu einem - vielleicht unbewußten — Protest gegen einen solchen Anspruch. Die auf diese Weise bewirkte Psychologisierung des Sprechakts kann als ein „Spiel mit der Sprecherrolle des Weihgegenstandes“ bezeichnet werden. '?*

Um die Reaktion eines potentiellen Betrachters geht es auch in dem zweiten Beispiel für eine explizite Anrede im Weihepigramm (£p. 49 = 27 GOW / PAGE): Τῆς Ayopávaktóc pe λέγε, ξένε, κωμικὸν ὄντως ἀγκεῖσϑαι νίκης μάρτυρα τοῦ Ῥοδίου

Πάμφιλον, οὐκ ἐν ἔρωτι δεδαυμένον, ἥμισυ δ᾽ ὀπτῇ ἰσχάδι καὶ λύχνοις Ἴσιδος εἰδόμενον. Sag, Fremder, daß ich als ein wahrhaft ‘komischer Zeuge” geweiht bin für den

Sieg des Agoranax aus Rhodos, ein Pamphilos, nicht in einer Liebe verbrannt, aber zur Hálfte einer geschmorten Trockenfeige und den Lampen gleichend.

der Isis

Der fiktive Sprecher dieses Gedichts verkörpert in doppelter Hinsicht eine Rolle: Hier äußert sich Pamphilos, der als jugendlicher Liebhaber aus einigen Ko-

mödien der Nea bekannt ist.'”” Man nimmt daher an, der Stifter Agoranax müsse in dieser Rolle den Sieg in einem Schauspieleragon davongetragen und anschließend

seine Maske einem Gott - vielleicht dem Dionysos -- geweiht haben.'” Ein ori-

gineller, leicht erkennbarer Effekt des Epigramms bestünde dann in dem Gegensatz zwischen dem Part des schönen jungen Mannes und dem abgenutzten Aussehen

der Maske." Der Vergleich in V. 4 läßt zudem vermuten, daß die Weihgabe eher klein ausgefallen ist. Nicht völlig geklärt ist in der Forschung die Bedeutung des κωμικὸς μάρτυς (V. 1£), welches sich auf die Funktion dieses besonderen Weih193 KOHNKEN 1993, S. 125. 194 KOHNKEN 1993, S, 124, vgl. GUTZWILLER 1998, S. 192f.: ,] suggest that Callimachus, by transferring these dedications from stone to book and by personalizing his objects with individualized character, essentially reverses the situation, making evident to the book reader the absence, or fictive existence, of the object that speaks and bringing to the reader's attention the presence (in absence) of the epigrammatist through his self-conscious manipulation of the written word."

195 Zu Pamphilos in der Neuen Komódie vgl. Coco 1988, S. 160. 196 Gow / PAGE 1965, 2, S. 1831f. 197 Aus einer unbekannten Komödie des Menander stammt Fr. 744 KasseL / AUSTIN = 631

Kock: οὐϑεὶς ἐφ᾽ αὐτοῦ tà κακὰ συνορᾶι, Πάμφιλε, σαφῶς, ἑτέρου δ᾽ ἀσχημονοῦντος όψεται. das man als einen Hinweis darauf verstehen könnte, daB sich Pamphilos in der Komödie seines eigenen guten Aussehens bewußt war.

Die Inszenierung des Sprechakts

183

geschenks beziehen muß. Cicero bezeugt eine sprichwortartige Verwendung des

‘komischen Zeugen’ ,'”* in dem man entweder den „Vertraute(n) im Stück“'” oder

einen überraschend auftauchenden Gewährsmann gesehen hat.”” Auf jeden Fall Scheint er ein Zeuge zweiten Ranges und damit leicht fragwürdig zu sein. Kallimachos spielt offenbar mit der doppelten Bedeutung von μάρτυς, das die Funktion einer Komódienfigur oder aber einer Weihegabe als eines ‘Dokuments’ für die Er-

füllung eines Gelübdes bezeichnen kann.””' Ein Spiel mit der Mehrdeutigkeit des Begriffs scheint schon bei der despektierlichen Anführung des κωμικὸς μάρτυς

durch Timaios in einem polemischen Zusammenhang vorzuliegen.^"?

Die Struktur des Epigramms gleicht insofern dem Kallistion-Gedicht, als auch hier eine Beschreibung des Gegenstandes einen Teil der Aussage, ja sogar die überraschende Wende und Pointe darstellt. Der fiktive Sprechakt, der dem Epigramm Form und Rahmen gibt, besteht in der Anrede an einen anonymen ξένος und in der durch ne λέγε eingeleiteten Aufforderung, die persona des Sprechers in einer genau bestimmten Weise wahrzunehmen und zu interpretieren.“ Die Rede legt es darauf an, Gedanken des in der Komódie bewanderten Betrachters beim Lesen des Namens Pamphilos zu antizipieren und zu korrigieren. Ein epigrammatisches Vorbild für diesen mit der Negation einer Deutung agierenden Typus der Leserlenkung

findet sich in metrischen Versinschriften des Aussagetyps “οὐκ - &AAó'."* Die Pointe besteht darin, daß die Identifizierung des schönen, jungen Pamphilos durch die Aufschrift aufgrund des jämmerlichen Zustands der Gabe wahrlich nötig ist,

und sollte der 'komische Zeuge' wirklich nur ein Zeuge von minderem Wert sein, so würde dies in der halbzerfressenen Maske treffend gespiegelt. Das Aussehen der Maske wird im Text so genau beschrieben,

daß GUTZ-

WILLER wohl zu Recht davon ausgeht, daß die Darstellung in Ep. 49 auf ein imagináres Evozieren des in Wahrheit nicht vorhandenen Gegenstandes beim Epigrammleser zielt." 5 Auffällig ist auch, daß für den eigenartigen Anblick der Maske zwar 198 Cic. Ad fam.

2, 13, 2: mea vero officia ei non defuisse tu es testis, quoi iam κωμικὸς

μάρτυς, ut opinor, accedit Phania, vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 183. 199 BECKBY I, 1957, S. 673 zu Anth. Pal. 6, 311. 200 Gow / PAGE 1965, 2, S. 183; FRASER 1972, 2, Anm. 245 auf S. 831. 201 Eine Parallele findet sich in Ep. 54, in dem ein πίναξ ausdrücklich zum Zwecke des παρέξεσϑαι μαρτυρίην geweiht worden ist. FRASER 1972, 1, S. 585 meint, daß Kallimachos die Maske (wie auch die Lampe in Ep. 55) selbst gesehen habe. 202 Timaios FGrHist 566 F 35b = Polybios 12, 13, 3: κωμικόν τινα μάρτυρα προσεπισπα-

σάμενος ἀνώνυμον. Hier aber meint der 'komische Zeuge’ auch den Komödiendichter. Das Zitieren der Komiker ist bei Prosaschriftstellern spáterer Zeit sehr beliebt, vgl. etwa Philochoros FGrHist 328 F 171 (= Athen. 11, 464 fy μαρτυρεῖν δὲ τούτοις Kat

Φερεκράτη τὸν κωμικόν. Nach FRASER (wie vorige Anm.) wird Agoranax in Ep. 49 als ein schlechter Schauspieler verspottet. 203 Vgl. auch εἰδόμενον als Spiegelung des identifizierenden Wahrnehmungsvorgangs. Es handelt sich wohl nicht um eine Maske mit zwei verschiedenen Hälften, wie A. W. Mair, Calli-

machus. Hymns and Epigrams, Cambridge, Mass. / London 1955 (1921), S. 173 meinte, sondern um ein zur Hälfte beschädigtes Stück, Zum epigrammatischen Anredetypus ‘ne λέγε᾽ 204 PEEK GV 1802-1809 (Gruppe B V 8 a), s. oben 205 GUTZWILLER 1998, S. 193. Ebenso überflüssig dies zu einer realen Lampe.

vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 183 zur Stelle. vgl. GV 1284-1301 (Gruppe B IV 1 c f)). S. 164 Anm. 116. wäre wohl εἴκοσι μύξαις in Ep. 55, gehörte

184

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Umschreibungen, aber keine Erklärungen geliefert werden. Das Epigramm schließt mit der Konstatierung des komischen Defekts.

In fiktive dichts. in dem

den beiden vorgestellten kallimacheischen Weihepigrammen bestimmt die Kommunikation mit dem Betrachter und Leser jeweils die Struktur des GeIn dem einen Fall wird eine ideale Rezeption in wörtlicher Rede vorgeführt, anderen eine Interpretation durch potentielle Betrachter des Objekts abge-

lehnt. Im Zusammenhang dieser typisch epigrammatischen Manipulation des Lesers

präsentiert der Epigrammdichter Informationen zum Aussehen der geweihten Gaben, die er durch unerwartete Vergleiche veranschaulicht. Die gekonnte rhetorische

Vereinnahmung des Lesers durch den ‘sprechenden Gegenstand’ bewirkt, daß dieser als ein psychologisches Subjekt erscheint, das mit stringenter Argumentation

und einem gewissen Einfühlungsvermögen aufwarten kann. Von entscheidender Bedeutung für die Wirkung beim Leser ist dabei die Selbstdarstellung des jeweili-

gen Weihgegenstands durch den gewählten Vergleich: Die Übertreibung in dem einen, die Herabsetzung in dem anderen Fall wecken Sympathie mit einem ‘Sprecher’, der sich größer machen will, als er wohl eigentlich ist, der also eine komische Rolle verkörpert. Die Epigramme scheinen also auch daraufhin angelegt zu sein, daß der reale Leser sich von der Rolle des fiktiven Rezipienten intellektuell

abheben und sein Vergnügen darın finden kann, die Techniken der epigrammatischen Inszenierung von Sprechakten gleichsam von außen zu betrachten. Dieses Verhältnis von fiktivem Leser (Betrachter) und realem Leser, in dem es

um das Spiel von Identifizierung und Distanzierung geht, machen sich die kaiserzeitlichen epideiktischen Epigrammatiker für manche Pointen zunutze, die man als Weiterführung des von Kallimachos eingeschlagenen Weges verstehen kann. So

kehrt die Anrede an den Betrachter in einem anonymen Epigramm unter anderen arithmetischen Aufgaben und Rätselspielen wieder, die einen Teil des 14. Buches der Anthologia ausmachen (Anth. Pal. 14, 56): "Av μ᾽ ἐσίδῃς, καὶ ἐγὼ o£. σὺ μὲν βλεφάροισι δέδορκας, ἀλλ᾽ ἐγὼ οὐ βλεφάροις" οὐ γὰρ ἔχω βλέφαρα. ἂν δ᾽ ἐθέλῃς, λαλέω φωνῆς δίχα᾽ σοὶ γὰρ ὑπάρχει

φωνή, ἐμοὶ δὲ μάτην χείλε᾽ ἀνοιγόμενα. Wenn du mich ansiehst, sehe auch ich dich an. Du blickst mich mit Augen an, ich dich aber nicht: Ich habe ja keine Augen. Wenn du willst, rede ich ohne Stimme. Denn du hast eine Stimme, mir aber óffnen sich die Lippen vergeblich.

Zu erraten ist in diesem Rátselgedicht der Sprecher, der sich an einen nicht nàher bestimmten Betrachter wendet. Man kónnte meinen, das Epigramm beziehe sich wie viele seiner Vorläufer auf die Metapher des φωνῆς δίχα sprechenden

Kunstgegenstandes und seiner Inschrift. Der epigrammatischen Tradition zufolge benötigt man die Augen des Betrachters zur Würdigung eines Kunstwerks, seine Stimme zur Lektüre einer Beischrift, damit beides lebendig werden kann.” Doch 206 KASSEL 1983. Eine Untersuchung über die Entwicklung des Motivs vom 3. Jh. v. Chr. bis zu

Plutarch, bei dem die Simonides zugeschriebene Definition von Dichtung als ζωγραφία λαλοῦσα und von Malerei als ποίησις σιωπῶσα überliefert ist (Mor. 346 F, vgl. LSJ s. v.

Die Inszenierung des Sprechakts

185

sagt uns der in der Handschrift überlieferte Titel des Gedichts, daß es sich hier um ein ganz besonderes Objekt, um einen Spiegel, handelt. Das Spiegelbild gleicht der kommunikativen Struktur der Epigrammtexte in zweifacher Hinsicht. Es täuscht eine Beziehung zu seinem Leser und Betrachter vor, die nur scheinbar nach den Regeln menschlicher sozialer Kommunikation funktioniert. Die Illusion von Nähe ist umso größer, je mehr sich der Betrachter in dem Bild, der Leser wiederum im

Text des Epigramms wiederfindet^

3.4. Monologische Ich-Rede von Gegenständen und Grabinhabern Die imaginäre Ich-Du-Beziehung zwischen Spiegelbild und Betrachter, die das anonyme literarische Rätselepigramm wie eine Beziehung zwischen sprechendem Denkmal und Leser formuliert, führt uns weiter zu den Hauptakteuren der epigrammatischen Gestaltungen von Sprechakten: zur Darstellung der fiktiven Sprecher. Dabei ist es keineswegs notwendig, daß eine Personalisierung der Sprecherfigur mit der expliziten Anrede an ein konkret vorgestelltes Gegenüber -- einen Leser

oder Betrachter — verbunden wird. Grundsätzlich bietet die traditonelle Rhetorik des klassischen Epigramms zwei Möglichkeiten der monologischen Rede mit personaler Perspektive. Am häufigsten

begegnet die Ich-Rede eines Gegenstandes, die wir in Kombination mit der Anrede an den Betrachter oder Leser in Grab- und Weihepigrammen schon gestreift haben. Eine unbetonte Form der Ich-Rede stellt die bloße Verwendung der 1. Person Sin-

gular oder Plural dar. Besonders hervorgehoben werden kann der Sprecher in der l. Person aber durch den selbstbezüglichen Verweis, den das Pronomen ἐγώ und seine deklinierten Formen enthalten. Die zweite Móglichkeit des personalen Monologisierens besteht in der Vertauschung der Rollen, wie sie zuerst im Fall des “anonymous mourner' der Steinepigramme vorgeführt wird. Hier spricht in der Vorstellung des Epigrammautors der Betrachter und potentielle Adressat von Denkmal und Inschrift selbst den Text. Der Reiz dieser Epigrammform besteht in einer besonderen konzeptionellen Herausforderung: Wie motiviert der Dichter das Wissen eines Sprechers, dessen Rolle gewöhnlich darin besteht, sich geduldig belehren zu lassen? Eine Lósung besteht darin, den sprechenden Leser im Akt des Lesens und Belehrtwerdens darzustellen und seine Reaktionen in direkter Rede zu zeigen. Der Monolog des Lesers ist kein einsamer Monolog im strengen Sinne, sondern nur die eine Seite eines imaginären Dialogs mit dem Überbringer der Nachricht über Tod oder Dedikation. Kallimacheische Realisierungen beider Arten des personalisierten Monologs, Ich-Rede des Gegenstands und Rede des mehr oder weniger 'informierten' Betrachters, sollen im folgenden anhand charakteristischer Beispiele betrachtet werden. Aa £o), steht noch aus. Zum Spiegelbild in der griechischen Literatur und Kunst s. aber L. BALENSIEFEN, Die Bedeutung des Spiegelbilds ais ikonographisches Motiv in der antiken Kunst, Tübingen 1990 (Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte 10).

207 S. oben S. 11ff., 117ff. Dies gilt vor allem für Epigramme mit monologischer Rede des Lesers, s. unten S. 200ff.

186

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Die betonte Ich-Rede eines personalisierten Objekts, hier eines τύμβος, enthält das Epigramm für ein Kenotaph, wie es für auf dem Meer verschollene Seeleute

vorgesehen war (Ep. 18 = 38 GoW / PAGE)

Νάξιος οὐκ ἐπὶ γῆς ἔϑανεν Λύκος, ἀλλ᾽ ἐνὶ πόντῳ ναῦν ἅμα καὶ ψυχὴν εἰδεν ἀπολλυμένην, ἔμπορος Αἰγίνηϑεν ὁτ᾽ ἔπλεε᾽ yo μὲν ἐν ὑγρῇ νεκρός, ἐγὼ δ᾽ ἄλλως οὔνομα τύμβος ἔχων κηρύσσω πανάληϑες ἔπος τόδε" φεῦγε ϑαλάσσῃ συμμίσγειν Ἐρίφων, ναυτίλε, δυομένων. Nicht auf dem Land starb Lykos, der Naxier, auf dem Meer sah er zugleich

sein Schiff und sein Leben verloren gehen, als er als Händler von Aigina fuhr; er liegt als Toter im Wasser; ich aber, das Grabmal, trage nur seinen Namen und verkünde dieses allzuwahre Wort: 'Vermeide, dich mit dem Meer einzulassen, Seemann, wenn die Bóckchen (am Himmel) sinken.’

Erst im zweiten Pentameter, im Anschluß an den kurzen narrativen Bericht

über den Tod des Lykos,?” wird deutlich, wer der Sprecher des Textes ist. Der mit ἐγὼ ö(£) eingeleitete zweite Teil des Epigramms stellt eine Reflexion des sprechenden τύμβος über seine Funktion als Kenotaph dar und präsentiert abschlieBend

eine Sentenz. Charakteristisch für den Sprechakt in Ep. 18 ist die Problematisierung der Sprecherrolle des Kenotaphs. Das Grab enthält nach eigener Aussage nicht, wie erwartet, einen Toten, wozu das syntaktisch übergeordnete ἔχων passen

würde, sondern nur seinen Namen? Das aus Leonidas bekannte und vielleicht von dort übernommene Motiv des *lügenden Steines’,?'' der die Anwesenheit einer Person in einer Grabstätte vortäuscht, bedeutet eine Infragestellung der Autorität

des Denkmals. Dieser Eindruck wird hier dadurch verstärkt, daß — anders als im

Epigramm des Leonidas von Tarent — nicht der Verschollene, sondern der Grabhügel selbst den Sprecher gibt. Falsche und wahre Behauptung sind in den Formu208 Vgl. Ep. 17, 47, 58 sowie Eur. Hec. 1270-1273: 'Ex.: ϑανοῦσα δ᾽ ἢ Goo

ἐνθάδ᾽ ἐκπλήσω

tfíovt; / Ilo.: ϑανοῦσα᾽ τύμβῳ δ᾽ ὄνομα σῷ κεκλήσεται ... / Ex: μορφῆς ἐπῳδὸν ur] τι τῆς ἐμῆς ἐρεῖς; Πο.: κυνὸς ταλαίνης σῆμα, ναυτίλοις τέκμαρ; zu diesem Motiv s.

PEARCE 1983, s. ferner oben 5. 62 mit Anm. 142. 209 Die epigrammatische Kürze entsteht hier durch das Zeugma ναῦν ἅμα καὶ ψυχὴν

...

ἀπολλυμένην. Dabei entspricht sowohl die Verbindung von Konkretem und Abstraktem als auch diejenige von objektivem Bericht und seiner Deutung, die in dieser Kombination von Worten liegt, dem kallimacheischen Stil, vgl. Ep. 19.

210 Vgl. die Parallelen bei Gow / PAGE 1965, 2, S. 195, die sich gegen die auch in der Übersetzung BECKBYS übernommene Interpretation HECKERS 2. S. 163) wenden. Zu ὄνομα in der Bedeutung ‘nur 16, 97. Auf den Namen (óvoga / οὔνομα) verweist 7, 3; 15, 2; 17, 4. Zu ἔχω im Sinne von "einen Toten

(„nur dem Namen nach ein Grab“, Bd. ein Name’ vgl. Od. 4, 710 und Theokr. Kallimachos besonders oft, s. Ep. 5, 6; festhalten’ vgl. unten S. 189.

211 Anth. Pal. 7, 273 = Leonidas of Tarentum 62 Gow / PAGE, V. 5f: κἀγὼ μὲν πόντῳ δινεύμενος ἰχϑύσι κύρμα / οἴχημαι, ψεύστης δ᾽ οὗτος ἐπεστι λίϑος; s. Coco 1988, S. 95f. - Vgl. aber auch Anth. Pal. 7, 496 = 'Simonides' 68 FGE, V. 51.: vov δ᾽ ὁ μὲν £v πόντῳ κρυερὸς νέκυς, οἱ δὲ βαρεῖαν / vaurıkinv κενεοὶ τῇδε βοῶσι τάφοι, das dem Simonides zugeschrieben wird, von dem jedoch nicht sicher bestimmt werden kann, ob es voroder nachkallimacheisch ist (HAUVETTE 1907, S. 320f.), vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 199.

Die Inszenierung des Sprechakts

187

lierungen ἄλλως οὔνομα τύμβος ἔχων und κηρύσσω πανάληϑες ἔπος" einander gegenübergestellt. Als Ersatz für die Anwesenheit des Toten bietet der fiktive Sprecher des Epigramms eine durch xnpboow?" eingeleitete wahre Vorhersa-

ge, die unabhängig vom Denkmal Gültigkeit besitzt. Die Gefährlichkeit des Meeres zu einer bestimmten Jahreszeit, durch das sinkende Gestirn symbolisiert, ist ein

gemeinhin akzeptierter Topos.^ Verba dicendi in Steinepigrammen leiten gewóhnlich die Mitteilung über den Namen des Besitzers der Grabstátte ein. So ist

die Wendung zu einer allgemeinen Schlußfolgerung hier eine bewußte Abweichung vom Muster. Es ist daher konsequent, daß der τύμβος des Lykos nicht den anonymen Leser, den παριών oder ξένος, sondern den seefahrenden Schicksalsgenossen

des Händlers avisiert.?'* Es ist denkbar, das Kallimachos durch die Wahl dieser Anrede an den Seemann das Bild eines Grabs am Meer andeuten will. Der strukturgebende Sprechakt in Ep. 18 ist eine Reflexion des Sprechers über seine eigene Funktion als κενὸς τάφος.

Der notorische Verweis auf das eigene

Tun ist im Steinepigramm zwar vorgebildet, hier aber als ein wirklich glaubwürdiger Gedankengang eines wissenden Subjekts gestaltet. Die literarische Weiterentwicklung dieser Personalisierung der Sprecherrolle zeigt ein Epigramm des 1. Jahrhunderts n. Chr., das Honestos von Byzanz offenbar als eine Variation über das kallimacheische Gedicht schrieb. Honestos legt darin den Akzent noch deutlicher auf das Motiv des Kenotaphs und seine ‘Aktivitäten’ (Anth. Pal. 7, 274): Obvoya knpócco Τιμοκλέος εἰς ἅλα πικρὴν πάντῃ σκεπτομένη, ποῦ ποτ᾽ &p' ἐστὶ νέκυς. αἰαῖ, τὸν δ᾽ ἤδη φάγον ἰχϑύες, ἡ δὲ περισσὴ πέτρος ἐγὼ τὸ μάτην γράμμα τορευϑὲν ἔχω. Den Namen des Timokles verkünde ıch, überallhin auf das Meer blickend, wo denn der Leichnam ist. Ach, ihn haben schon die Fische gefressen, ich aber,

ein überflüssiger Stein, trage eine vergeblich gemeißelte Inschrift.

Der kaiserzeitliche Autor dieses Epigramms verstärkt das personale Element der Subjektivität, das in der Ich-Rede angelegt ist, indem er das Denkmal suchend übers Meer schauen und schließlich sogar klagen läßt. Der Sprecher des kallimacheischen Epigramms dagegen demonstriert sein Wissen. Auf einer imaginären Skala der Perspektivierung steht er dem auktorialen Sprecher näher als dem personalen. Honestos variiert die Begriffe, mit denen die Funktion des ‘Denkmals’ beschrieben wird. 212 Diesen

Anstelle des kallimacheischen

Gebrauch

von éxog als ‘wahre

οὔνομα

Vorhersage’

... ἔχω

gibt es schon

und

in Od.

κηρύσσω 19, 565,

zu

κηρύσσειν zur Einleitung einer direkten Rede im Epigramm findet sich auch in CEG

2,

παναληϑής s. Aischyl. Sept. 722, Plat. Rep. 583 b. 213

632 (371 v. Chr.), Subjekt sind hier geweihte Beutewaffen. 214 Zeitgenóssische Parallelen führen Gow / PAGE 1965, 2, S. 195 an. HAUVETTE 1907, S. 320 spekuliert darüber, ob der letzte Vers eine Anspielung auf Arat (Phain. 158) beinhalten könnte. Zu Sentenzen im Epigramm vgl. PEEK GV 1636-1669 (Gruppe B V 3).

215 S. ναυτίλε in V. 6. In anderen Epigrammen des Kallimachos ergibt sich die Einschränkung der Adressatengruppe aus anderen Gründen: Ausdrücklich an den mánnlichen Leser wendet sich die Priesterin der weiblichen Gottheiten in Ep. 40; in Ep. 47 wird die spezielle Festge-

meinde des samothrakischen Kabirenheiligtums apostrophiert, s. oben S. 152ff. (Tabelle 11).

188

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

πανάληϑες ἔπος heißt es bei ihm konventioneller οὔνομα κηρύσσω und τὸ μάτην γράμμα τορευϑὲν ἔχω. Während Kallimachos in Ep. 18 in erster Linie 'audible thought” auf die Bühne der epigrammatischen Inszenierung bringt, legt Honestos mehr Wert auf Emotionalität und konkrete Beschaffenheit (nétpoc) der

sprechenden Figur. Kallimachos läßt in seinen Denkmalepigrammen, auch in denen, deren Pointe in der Gestaltung der Leserrolle liegt, das Adynaton der stimmlos sprechenden Buchstaben oder Schrift bestehen, obwohl die Tradition des Epi-

gramms Möglichkeiten zur Abmilderung oder Auflösung bereithielt.?!^ Eine durch ein dreifaches Signal betonte Ich-Rede^"

liegt in dem

kalli-

macheischen Epigramm auf eine privat aufgestellte Figur oder ein Relief vor,?'' die einen thrakischen Reitergott als Wächter des Hauses zeigt (Ep. 24 = 60 Gow / PAGE): "Hpwg Αἰετίωνος ἐπίσταϑμος ᾿Αμφιπολίτεω ἵδρυμαι μικρῷ μικρὸς ἐπὶ προϑύρῳ λοξὸν ὄφιν καὶ μοῦνον ἔχων ξίφος" ἀνδρὶ {ἰπείωι ϑυμωϑεὶς πεζὸν κἀμὲ παρφκίσατο.

Als Heros?" des Aietion aus Amphipolis, als Wächter, bin ich aufgestellt, klein in der kleinen Vorhalle, und halte nur eine gekrümmte Schlange und ein

Schwert. Weil er einem Reiter? zürnte, hat er auch mich zu Fuß bei sich ein-

quartiert

Wenn, wie GOW / PAGE vermuten, der Kult solcher Heroen und Götter πρὸ πύλαις und der Brauch, ihre Bilder aufzustellen, älter sind als die erhaltenen rómi-

schen Beispiele, bezieht sich das Epigramm auf einen Bildtypus, der dem Leser des Kallimachos-Epigramms bekannt gewesen sein muß. Es beschreibt und erklärt eine Eigenheit, die das individuelle Bild von den gewóhnlichen Exemplaren unterschei216 Vgl. S. 202ff. zu Ep. 15. Anders ist dies in jüngeren Epigrammen, die den Gegensatz zwischen der Materialität des fiktiven Denkmals und seiner kommunikativen Funktion auf vielfältige Weise direkt ansprechen: Anth. Pal. 6, 269, 1£: καῖδες, ἄφωνος ἐοῖσα τότ᾽

ἐννέπω, al τις ἔρηται, φωνὰν ἀκαμάταν κατϑεμένα πρὸ ποδῶν; Anth. Pal. 7, 481, 1: a στάλα βαρύϑουσα λέγει τάδε; Anth. Pal. 7, 262, 1: αὐδήσει τὸ γράμμα, τί σῆμά τε καὶ τίς ὑπ᾽ αὐτῷ; Anth. Pal. 7, 428, 19: τὸ δ᾽ οὔνομα πέτρος ἀείδει; Umdeutungen liegen vor in Anth. Pal. 14, 45, 3 (φϑέγγομαι οὐ λαλέων wird von der Schreibtinte gesagt) und Anth. Pal. 11, 218, 3 (κατάγλωσσ᾽ ἐπόει τὰ ποήματα, eine nur auf den ersten Blick uneindeutige Obszönität). 217 Vgl. die Ich-Rede in ἵδρυμαι, ἔχων, κἀμέ (V. 2, 3, 4). 218 Gow / PAGE 1965, 2, S. 212 nennen vergleichbare thrakische Reliefs aus rómischer Zeit, s. auch FRASER 1972, 1, S. 583 und Anm. 226. Das Epigramm konnte zuerst von P. ROUSSEL,

Interprétation d'une épigramme de Callimaque (ep. 24), REG 34, 1921, S. 266-274 in weiten Teilen geklärt werden, s. HERTER 1937, S. 185; FRASER 1972, 2, S. 828 schließt sich an. 219 Heros (auch Heron) ist die Bezeichnung des Gottes, s. FRASER 1972, 1, S. 583; WEBER

1993,

S. 341 Anm. 7.

220 Das Ende von V. 3 verwendet vielleicht mit ἀνδρὶ δ᾽ ἐφίππῳ einen terminus technicus, 221

FRASER 1972, 2, 827f. Anm. 225. FRASER 1972, 1, S. 583 verteidigt diese Pointe gegenüber WILAMOWITZ Anm. 1.

1924, 2, S. 127,

Die Inszenierung des Sprechakts

189

det und den Betrachter überraschen muß. Der Heros reitet nicht, noch führt er ein Pferd am Zügel, sondern hält statt des Reittieres lediglich (μοῦνον ἔχων) Schlan-

ge und Schwert." Die Darstellung solcher Eigentümlichkeiten im Epigramm folgt zwei Tendenzen. Entweder wird, wie im Falle der überaus strahlenden Lampe des Kallistion-Epigramms, eine besonders lobenswerte Qualität gepriesen; oder aber ein solches Epigramm ist uns in dem Gedicht auf die Maske des Pamphilos begegnet — ein Defekt des Gegenstandes oder eine den Erwartungen des Betrachters zuwiderlaufende Eigenschaft erscheint als erklärungsbedürftig und wird daher besonders hervorgehoben. Dann ist es häufig gerade die Bescheidenheit, in die der Sprecher seinen Stolz legt. Die Identifizierung des Sprechers mit dem Denkmalsobjekt in der Ich-Rede ist

ein Mittel, den Akzent des Gedichts von den beteiligten Personen auf den Gegenstand selbst zu verschieben, der so zudem den Anschein persónlich verbürgter, authentischer Rede erweckt.”

In Ep. 24 herrscht die Tendenz der Bescheidenheit vor, nicht nur, weil der Heros des Aietion auf das ihm sonst wohl zustehende Pferd verzichtet, sondern auch,

weil er ausdrücklich μικρῷ μικρὸς ἐπὶ προϑύρῳ steht. Der Preis der Weihgabe

oder des Verstorbenen als das zentrale Thema der Epigramme läßt die Stifter in der

Regel eher die Schönheit und Größe des Gegenstands betonen."^ Kallimachos

wählt bisweilen bewußt kleine Gegenstände für seine Weihepigramme. Verwiesen sei hier nur auf die Muschel in Ep. 5 (= 14 Gow / PAGE) und auf das bescheidene Salzfäßchen in Ep. 47 (= 28 Gow / PAGE). Ebenso hat er einen Teil seiner fiktiven

Epitaphien auf im wörtlichen und im übertragenen Sinne ‘kleine Leute’ verfaßt.”” Auf Mikylos, der einen von μικρός abgeleiteten Namen trägt,”” und die Bescheidenheit ebendieses Grabinhabers bezieht sich Ep. 26 (= 47 Gow / PAGE): Εἶχον ἀπὸ σμικρῶν ὀλίγον βίον οὔτε τι δεινόν ῥέζων οὔτ᾽ ἀδικέων οὐδένα. Γαῖα φίλη, Μικύλος £i τι πονηρὸν ἐπήνεσα, μήτε σὺ κούφη γίνεο μήτ᾽ ἀλλοι δαίμονες oi μ᾽ ἔχετε. Ich lebte ein bescheidenes Leben in kleinen Verhältnissen und habe nichts Schlimmes getan noch jemandem Unrecht zugefügt. Liebe Erde, wenn ich, Mikylos, etwas Schlechtes gutgeheißen habe, brauchst du mir nicht leicht zu werden und auch ihr anderen Götter nıcht, die ihr mich hier haltet.

222 ἀπὸ κοινοῦ, WILAMOWITZ 1924, 2, S. 127, vgl. oben S. 160. 223 Die Unbeweglichkeit und Verläßlichkeit des Heros wird durch ἐπίσταϑμος - popa — καρῳκίσατο besonders betont. 224 Einzige Ausnahme ist CEG 1, 309 (= IG PP, 1017), V. 2: hepaxA£e[t] σμικρὸν [τόν]δὲ ϑεόι πρόπολον, eine heute verlorene Basis mit Kapitell, ca. 500—480?, aus der Gegend von Phaleron in Attika. Vgl. ansonsten aber CEG 2, 713 (μικρὰ Mupto) und CEG 2, 662, V. 3f. (καῖδα σμικρόν — ἀρετὴν οὐκ ὀλίγην). Ein beliebtes Adjektiv ist dagegen μέγας, vgl. die zahlreichen Indexeintráge in CEG 1, S. 282 und 2, S. 332. Zum Motiv des 'kleinen Grabes / großen Ruhmes' s. ProHL 1983, Sp. 475.

225 Ep. 11, 26, 50. 226 Gow / PAGE 1965, 2, S. 200.

190

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Die Interpretation des Mikylos-Epigramms ist, wie die Deutung vieler anderer kallimacheischer Epigramme, ganz von der Kontroverse um den ‘Sitz im Leben’ des Kallimachos gekennzeichnet.’ Der Epitaph auf einen „poor but honest

man'^^ ist jedoch zunächst auch ohne die Annahme eines besonderen biographischen Hintergrunds verständlich. Mikylos beruft sich auf den Topos des ‘sit tibi terra levis’ und bittet die Erde, die zugleich in ihrer physikalischen Gestalt wie auch als vergöttlichtes Wesen angeredet wird, und die übrigen Götter der Unterwelt,””” daß gerade so, wie er in Tat und Gedanken bescheiden gelebt habe, auch sie behutsam mit ihm umgehen mögen. Der Aufbau der Rede geschieht durch eine

Analogie zwischen der Bescheidenheit der äußeren Verhältnisse und dem Anspruch

auf moralische Integritát.?" Wer in kleinen Verhältnissen lebte, kann auch kein großes Unrecht begehen: Daher möge auch die Erde nicht ‘groß’ auf ihm lasten. Entsprechend schlicht ist auch das Epigramm. An dem Gedicht auf Mikylos fällt dennoch eine gewisse Unbestimmtheit auf. Wenn das Leben des Mikylos darauf

hinausläuft, daß er niemandem lästig wurde, dann könnte eine Pointe des Epigramms in einer bewußten Ambivalenz von ei τι πονηρὸν ἐπήνεσα gelegen haben, die den Adressaten des Kallimachos verständlich war. Die Formulierung erscheint so offen, daß sie auf verschiedene Situationen und Bereiche anwendbar ist,

darunter auch den der Literaturkritik.””' Ganz anders dagegen präsentiert sich das Steinepigramm auf dem Grab eines

Smikros, das den Gegensatz zwischen der Statur des Namensträgers und seiner Tugend ausspielt und damit den landläufigen Vorstellungen sepulkraler Topik si-

cher eher entspricht als das Gedicht des Kallimachos (GV 101, V. 1--34). 227 Während G. KAIBEL, Sepulcralia, Hermes 35, 1900, S. 567-572, WiLAMOWTITZ

1924, 1, S.

176, CAHEN 1929, S. 217, O. Kern, Aaíuoveg ἄλλοι, Archiv für Religionswissenschaft 30, 1933, S. 203-205 und BuM 1940, S. 38 das Epigramm für eine wirkliche Auftragsarbeit aus der Frühzeit des Dichters halten, gilt es für HAUVETTE 1907, S. 318 und Gow / PAGE 1965, 2, S. 200 vorsichtiger als ,, presumably fictitious epitaph". 228 Gow / PAGE 1965, a. a. O. Zum Topos vgl. die Geschichte des Atheners Tellos und des Kroisos bei Hdi. 1, 30f. Der arkadische Bauer Aglaos von Psophis, den das delphische Orakel als glücklicheren Menschen als den Kónig bezeichnete, ist ein weiteres Beispiel für die Beliebtheit des Motivs, vgl. Plin. Nat. hist. 7, 151; Val. Max. 7, 1, 2.

229 Die Konstruktion ist wieder zeugmatisch, Gow / PAGE 1965 vergleichen zu ἄλλοι δαΐμονες Aischyl. Pers. 641: Γὰ te kai ἄλλοι χϑονίων ἁγεμόνες; zu Unterweltsvorstellungen des Kallimachos WiLAMOWITZ 1924, 1, S. 176; HERTER 1937, S. 185; GUTZWILLER 1998, S. 204-211. Zu Ep. 26 vgl. ferner unten S. 219f. 230 Vgl. die inschriftlichen Vorbilder bei GV 1702-1726 (Gruppe B V 6 a: „Koordinierender Typus: Verháltnisse des Toten werden zu denen des Lebenden in Beziehung gesetzt"). 231 Mit ἐπαινεῖν bezeichnet Platon, /on 536 d und 541 e, die öffentlichen Vorträge des Rhapsoden zum Preis des Dichters Homer. Ob sich Mikylos allerdings dadurch verdient gemacht hat, daß er keine schlechten Elogien vortrug oder sich in seinem Urteil über Literatur zurückhielt, läßt sich aus dem Text nicht erweisen. Hellenistische Anekdoten über verärgerte

Zuhórer bei langweiligen Rezitationen sammelt CAMERON

1995, S. 51f. Zu V. 3 vgl. auch

Ep. 8, 5, wo unredliches Denken mit schlechtem Dichten gleichgesetzt wird. 232 CIRB 118 mit gcringfügigen Differenzen; vgl. auch BERNAND 1969, Nr. 49 (GV 1845), V.

3f.:

Ὁ στήλη, μικρά γε, λέγεις δ᾽] ὅτι παντὸς ἀριστον / | ἀνδρῶν, ϑηλειῶν, πόλεων, |

ὅσον ἄχϑοίς, ὑἸπέστης (Ägypten, Kaiserzeit).

Die Inszenierung des Sprechakts

191

Σμίκρου σῆμα, ὃς πίστιν (E)nv | μέγας, ὧι τὸ δίκαιον | στήρικτο ἐγ γνώμηι | ῥιζόϑεν ἐκ φύσεως, | τὸμ Μοῦσαι παίδευσαν᾽ |... Dies ist das Grabmal des Smikros, der groß war in seiner Zuverlässigkeit, dem das Gerechte von Natur aus fest im Sinn eingewurzelt war, den die Musen gebildet haben ...

Während die Präsentation des Motivs von Kleinheit und Größe im Steinepi-

gramm mit einfacheren Strukturen der Aussage wie Analogie und Antithese einhergeht, mit formalen Stereotypen also, die PEEK als „koordinierenden Typus“ oder

„ausschließenden Typus“ kategorisiert,” erweisen sich die kallimacheischen Argumentationen mit der geringen Dimension als origineller und vielschichtiger. Sol-

che Quantitátsdiskussionen sind geradezu ein kallimacheisches Leitmotiv.?^ So läßt sich hier das Beispiel eines Epigramms in der Form der Ich-Rede anschließen, das anstelle der moralischen Implikationen von Kleinheit oder Größe die Tugend

der kurzen Rede zu seinem Hauptgegenstand macht (Ep. 11 = 35 Gow / PAGE): Σύντομος ἣν ὁ ξεῖνος, ὃ καὶ στίχος οὐ μακρὰ λέξων ᾿Θῆρις ᾿Αρισταίου Κρής᾽ ἐπ᾽ ἐμοὶ δολιχός. Wortkarg war der Fremde, weshalb auch der Vers, um auch nur kurz zu sa-

gen: “Theris, Sohn des Aristaios, Kreter', auf mir (doch) ein langer ist.

Das Epigramm liest sich wie eine semantische Studie zum Wortfeld ‘Kleinheit’

und zu diversen Synonymen zu μικρός und μακρός. Die nur selten belegte Verwendung von σύντομος für eine Person hat der Forschung Schwierigkeiten gemacht.P* So scheint insbesondere die Interpretation von GOW / PAGE 1965, hier spreche eine beschriftete Grabstatue des kleingewachsenen Theris, auf der nur we-

nig Platz für die Inschrift sei, einen guten Sinn zu ergeben, doch hat sich diese An-

sicht nicht durchgesetzt.P* Wenn auch das vergleichbare Kreter-Epigramm des Po233 PEEK, GV, S. XXI-XXII. 234 Vgl. jetzt ASPER 1997, S. 135ff., bes. S. 137f. 235 σύντομος 'zusammengeschnitten, konzise', bezieht sich meistens auf einen kurzen Weg (vgl. die zahlreichen Belege bei Hdt. u. a., die LSU s. v. anführen) oder aber auf die knappe Rede (ebd. 2.). S. ferner PFEIFFER 2, 1953, S. 83 z. St; HERTER 1937, S. 186. PFEIFFER ver-

weist auf Aischin. 2, 51, 1, wo der Redner selbst so bezeichnet wird; vgl. jetzt auch ΔῊ Fr. 339 A 11: καὶ yàp σύντομός τις καὶ oo /f ... In dem Papyrusfragment könnte aber auch στίχος oder μῦϑος das dazugehörige Substantiv sein. Der Zusammenhang ist poetologisch. 236 Die ältere Forschung findet sich bei HAuvETTE 1907, S. 315-317 zusammengefaßt. WILAMOWITZ 1924, 2, S. 121 war der Ansicht, σύντομος könne hier nur *wortkarg' heißen, wogegen sich Gow / PAGE 1965, 2, S. 192 wenden, vgl. auch Coco 1988, S. 84. GUTZWILLER 1998, S. 198-200 verteidigt die Interpretation von WILAMOWITZ mit Hinweis auf die neue Parallele bei Poseidipp (XV 24-27 BASTIANINI / GALLAZZI), s. auch M. GRONEWALD, Der neue Poseidippos und Kallimachos Epigramm 35, ZPE 99, 1993, S. 28f.. E. VOUTIRAS, Wortkarge Söldner? Ein Interpretationsvorschlag zum neuen Poseidippos, ZPE 104, 1994, S. 27-31, hier S. 28-30; zur Wortkargheit der Kreter s. schon LAusBERG 1982, S. 22 und Anm. 17, S. 175. Der Witz des Kallimachos-Epigramms kónnte aber auch gerade in einer Ambivalenz von σύντομος bestehen. WILAMOWITZ vereinfacht den Sinn, damit das Epi-

192

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

seidippos mit dem eindeutig charakterisierenden ὀλιγορρήμων den Fall nicht entscheiden kann, so scheint doch der Sprachgebrauch für eine Verwendung von

σύντομος im Sinne von *wortkarg' und gegen die Bedeutung ‘kurz gewachsen’ zu sprechen. Auch δολιχός (‘lang’) ist mehrdeutig: Es kann sowohl lokale als auch temporale Bedeutung haben, also entweder eine Strecke oder einen Zeitraum spezifizieren. Hier bezeichnet δολιχός die räumliche Ausdehnung eines inschriftlichen Verses, der gesprochen doch eigentlich kurz ist. Der Sinn des Epigramms muf demnach etwa folgender sein: Der fiktive Sprecher der Inschrift -- oder wenigstens fiktiven Inschrift - übernimmt von ‘seinem’ Grabinhaber einen neuen, etwas überraschenden Maßstab dafür, was als eine kurze Rede zu gelten hat. Er kommt dabei zu der Feststellung, daB für das Grab eines Kreters jeder Vers und jede Inschrift zu

lang ist, will man dem Charakter des Inhabers entsprechen. Ist dieses Verstándnis des Epigramms richtig, rückt das Theris-Epigramm in die Nähe der sich funktional beinahe selbst aufhebenden Timon-Epigramme, die ihr Format dafür nutzen, das Mißvergnügen an der epigrammatischen Kommunikation zu äußern. Das Paradoxon in Ep. 11 — daB ein Sprecher gerade in dem Bemühen, wenig zu sagen, umstándlich wird — entwickelt Kallimachos aus einer epigrammtypischen Abundanz: der Ich-Rede eines Gegenstands, der wiederum (mit einem verbum dicendi) einen Teil seiner selbst als zweiten Sprecher einführt.’ en’ ἐμοί verweist auf eine Stele oder Statue, στίχος. . λέξων auf die zitierte Namensinschrift, móglicherweise auch auf das ganze Epigramm."' * Der fiktive Sprecher ‘spaltet’ sich somit in zwei

Aspekte — Denkmal und Inschrift — auf, eine Aussageform, die mit der personalen Auffassung der Sprecherrolle eigentlich unvereinbar ist.

Daß sich das Prinzip der Kürze im literarischen Epigramm zu einer ästhetischen Norm entwickelt, ist bekannt. Das Steinepigramm jedoch bleibt seiner Abhängigkeit von anderen literarischen Gattungen zum Trotz konsequent umständlich, wie ein kaiserzeitliches, dem kallimacheischen Theris-Epigramm verwandtes

Beispiel zeigt (MERKELBACH / STAUBER 04 / 05 / 06, Z. 10-14 = V. 1—4):?? μή με μακροῖς ἐπέεσσιν ἐπὶ στήλῃ ποίτὶ τύμβῳ, ὦ τέκνα κοσμήσητς £v δολίχοις | £Aéyotg ἀλλὰ μόνον τόπερ ἦν ὀνομ᾽ αὐτό μοι ἐγγράψαιτε᾽

ὡς ap’ ἐκληιζετίέ) μ᾽, ἣν ἐν βι[ζό]τῳ᾽ Δόκιμος. |

Schmückt mich nicht, ihr Kinder, am Grab mit langen poetischen Worten auf dem Grabstein in langatmigen Elegien, sondern schreibt gramm als echte Grabschrift tauglich erscheint. Zur Bedeutung des Quantitätsarguments bei Kallimachos s. ASPER 1997, S. 138 Anm. 19.

237 Vgl. bes. CEG

1, 429 = MERKELBACH / STAUBER 01 / 12 / 05: αὐδὴ τεχνήεσσα λίϑου,

λέγε ..., aber auch die Doppelung der Sprecherrolle in CEG 1, 108 oder 173. 238 στίχος kann sowohl den Vers, z. B. bei Aristoph. Ran. 1239, als auch (allerdings in jüngeren Texten) die Prosazeile bezeichnen, vgl. LSJ s. v. Die ebd. erwähnte Inschrift aus Koptos

(Qift), 2. Jh. n. Chr. (?): Ἴσιδι τήνδ᾽ ἀνέϊϑηκ᾽ ᾿Αμισοισᾶς δορκάδα εὐχήν, ἢ χὠ γλυφίδι γλάψψας τὸν στίχον | αὐτὸς ἔφυ, verwendet στίχος im Sinne von 'Epigramm' (BERNAND 1969, Nr. 105), s. dort auch S. 404f. mit Anm. 13.

239 Thyateira, „hohe, vielleicht sogar späte Kaiserzeit“, Übersetzung ebd.

Die Inszenierung des Sprechakts

193

nur den Namen ein, den ich hatte; also: Wie ihr mich gerufen habt, war ich im Leben: Dokimos (= „Bewährt“).

Im Vergleich zu diesem inschriftlichen Gedicht setzt das Epigramm des Kallimachos die Vorstellung von Kürze allerdings besser um. Wie aber ist die paradoxe Inszenierung der Sprecherrolle in Ep. 11 zu verstehen? Nach GUTZWILLER 1998 verweist die demonstrativ als Fiktion vorgeführte und dadurch gleichsam dekonstruierte Sprecherrolle auf die tatsáchliche Bestimmung des Buchepigramms, das eine Aussage des Autors präsentiert. Auch die Klage des fiktiven Sprechers über die Länge des Distichons ist danach auf die Buchform des Epigramms bezogen. Entscheidend für die Argumentation ist aber der bewußte Bruch der fiktiven Illu-

sion.?* Eine Schwierigkeit bei dieser Interpretation der Sprecherrollen liegt darin, daß auch das Steinepigramm alles andere als eine perfekte Illusion bietet. Das Paradoxon, das Kallimachos vorführt, ist kein ganz neues, sondern nur ein zugespitztes. So ist eine gewisse Vorsicht geboten, wenn es darum geht, aus der Gestaltung der Sprecherrollen unmittelbar auf eine poetologische Aussage des Epigrammatikers zu schließen. Es scheint mir aber sehr wahrscheinlich, daß Ep. 11 in scherzhafter Manier auf eine alexandrinische Diskussion im Kreis der Dichter über die 'kleine Form’ im Bereich ihrer Profession reagiert^ Auch von daher könnte sich das

Faible für die Darstellung kleiner Gegenstände in den Epigrammen erklären. Die Verschmelzung konventioneller epigrammatischer Themen mit anderen Aussageebenen kehrt in einem Epigramm des Kallimachos wieder, dessen Gegenstand die Weihung einer Maske des Dionysos ist (Ep. 48 = 26 Gow / PAGE): Εὐμαϑίην ἡτεῖτο διδοὺς ἐμὲ Σῖμος ὁ Μίκκου ταῖς Μούσαις" αἱ δὲ Γλαῦκος ὅκως ἔδοσαν ἀντ᾽ ὀλίγου μέγα δῶρον. ἐγὼ δ᾽ ἀνὰ τῇδε κεχηνώς

κεῖμαι τοῦ Σαμίου διπλόον ὁ τραγικὸς παιδαρίων Διόνυσος ἐπήκοος" οἱ δὲ λέγουσιν “ἱερὸς ὁ πλόκαμος", τοὐμὸν ὄνειαρ ἐμοί. Um gutes Lernen bat Simos, Sohn des Mikkos, als er mich den Musen gab.

Sie aber gaben wie Glaukos für eine kleine eine große Gabe. Und ich, ich bin hier aufgestellt, gähnend zweimal so groß wie der samische, der tragische Dionysos, und muß auf die Kinder hören. Sie aber sagen: „heilig die Locke" -

ich höre es schon ım Traum.

Trotz seiner relativen Länge erweist sich die Inszenierung der Sprecherrollen als außerordentlich abwechslungsreich. Die Aussage wird in Form einer Ich-Rede des Gegenstands entwickelt, die allerdings mehr als die ursprüngliche Selbstvor-

stellung eines Kunstobjekts beinhaltet. Auf einen Bericht in Vergangenheitsform über die Umstände, die zur Weihung gerade dieses Objekts führten, folgt eine Schilderung der augenblicklichen Situation. Der Dichter wählt für seinen Sprechakt 240 GUTZWILLER 1998, 5. 198-200. 241

Vgl. MEYER 1993a, S. 173-175; GUTZWILLER 1998, S. 200 Anm. 42. Eine andere Frage ist, ob Kallimachos hier zugunsten der kleinen Form Stellung bezieht; LAUsBERG 1982, S. 37 und 74 will zeigen, wie hier Kürze selbst zum Thema eines kurzen Epigramms gemacht wird. Skeptisch AsPER 1997, S. 138 Anm. 19.

194

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

also nicht den Augenblick der Weihung, sondern den späteren Zeitpunkt, an dem ein potentieller Betrachter das Objekt bestaunt. Wie in Ep. 18 markiert das betonte

Personalpronomen ἐγὼ 8é?* den Übergang zur Darstellung der Gegenwart. Darüber hinaus werden weitere Akteure in Sprecherrollen vorgeführt: Simos mit seiner Bitte an die Musen und die Kinder in der fiktiven Szenerie der Weihung (ἀνὰ trjg . κεῖμαι).

Überraschenderweise findet sich der Sprecher des Epigramms

am

Ende selbst in der Rolle eines Zuhórers. Die zitierte ‘Rede in der Rede’ kommt hier nicht aus dem metaphorischen Mund des inschriftlichen Mediums, sondern aus der Szenerie. Erst in V. 5 wird deutlich, um welchen Sprecher und welche Szenerie es

sich in diesem Epigramm handelt. Ein Schulknabe bittet hier die Musen um Gelehrsamkeit, die mit dem passenden Schulbeispiel des Iliashelden Glaukos als ein μέγα δῶρον bezeichnet wird."^ Als ein beziehungsreiches Weihgeschenk hat Simos den Góttinnen eine Maske des tragischen Dionysos geschenkt, deren eigentümliches und daher erklärungsbedürftiges Merkmal in einem besonders weit geöffneten

Mund besteht (xexnvöc).” Insofern ist das Epigramm „simply a witty explanation of a particular type of mask." Die Maske des Dionysos nimmt als Zuhörerin an einem Schulunterricht teil, in dem die Kinder Verse aus den Bakchen des Euripides rezitieren. Die Sprecherin zeigt sich besonders gerührt, daß sie am Ort ihrer Weihung einen jambischen Vers zu hóren bekommt, den Dionysos in den Bakchen zu Pentheus spricht, als dieser ihm die langen Haare abzuschneiden droht.” In ἱερὸς ὁ πλόκαμος sind die ersten beiden Längen aufgelöst, so daß sich der Jambos mit

leicht veränderter Prosodie in einen Pentameter einfügen läßt, wenn auch um den Preis der Nichtbeachtung der üblichen Kürze vor muta cum liquida. Wenn Kallimachos zudem statt mit t ϑεῷ δ᾽ αὐτὸν τρέφω mit τοὐμὸν ὀνειαρ ἐμοί fort-

fährt,?*’ so kann man darin wohl auch einen spóttischen Umgang mit dem Rhythmus einer manierierten metrischen Struktur sehen.?^*

242 Vgl. auch Ep. 55, 4f.: ἐς δ᾽ ἐμὰ φέγγη ... 243 Il. 6, 234-236. Glaukos tauscht dort mit Diomedes goldene gegen eherne Waffen, weil ihn nach Aussage des Dichters Zeus der Sinne beraubt hatte. 244 KAIBEL 1896, S. 298 bemerkt, daß es sich wohl kaum um ein großes Kunstwerk handelt. Zum berühmten Dionysos von Samos s. FRASER 1972, 2, S. 830f.

245 CAMERON

1995, S. 62, Gow / PAGE 2, S. 182. Die Tatsache, daB ein Schuljunge als Wei-

hender auftritt, schlieBt aber nicht, wie CAMERON meint, das Vorhandensein anderer Bedeutungsebenen von vornherein aus. 246 Eur. Bacch. 494. 247 τοὐμὸν ὀνειαρ ἐμοί, sofern es Ep. 32, 2 entspricht (τοὐμὸν ὀνειρον), steht für etwas, das man schon oft gehört hat und wie im Schlaf kennt, vgl. FRASER 1972, 2, S. 830 Anm. 241,

WILAMOWTTZ 1924, 2, S. 118. KAIBEL 1896, S. 269f. stellt fest, daB ὀνειαρ ein ursprünglich positives Wort ist (" Nutzen, Freude’). Es wird oft mit einem Dativ kombiniert. Wenn es hier

statt ὄνειρον im Sinne von ‘dream’ (LSJ z. St. s. v. óvewap) steht, das in Ep. 32, 2 negativ gemeint ist, kónnte es sich um eine beabsichtigte Ambivalenz, also etwa im Sinne eines zweifelhaften Vergnügens, handeln. 248 Die im Pentameter gelesenen Längen bilden vielleicht das Schleppen der Kinder beim Einüben der Jamben nach. Zu Auflósungen in den meist streng gehandhabten Hexametern und Distichen des Kallimachos vgl. C. M. J. SicKiNG, Kallimachos, Epigramm XXI PFEIFFER,

Mnemosyne 23, 1970, S. 188f., M. L. WEST, Greek Metre, Oxford 1982, S. 152-159 und C. M. J. SICKING, Griechische Verslehre, München

1993 (Handbuch der Altertumswissenschaft

2. Abt., 4), bes. S. 72-87 (zum Hexameter und elegischen Distichon). Eine Anspielung auf

Die Inszenierung des Sprechakts

195

Die ‘große Gabe’ der εὐμαϑία besteht allerdings nicht in einer göttlichen Inspiration des Simos und seiner Mitschüler durch die Musen, sondern in dem enervierenden

Rezitieren und

Auswendiglernen

von

Euripidesversen.

WILAMOWITZ

1924 diskutiert das Gedicht im Zusammenhang mit anderen 'Schulepigrammen', insbesondere einem fiktiven Siegerepigramm des Asklepiades, das enge Bezüge zu

Kallimachos Ep. 48 aufweist (Anth. Pal. 6, 308 = 27 Gow / PAGE)? Νικήσας τοὺς παῖδας ἐπεὶ καλὰ γράμματ᾽ ἔγραψεν Κόνναρος ὀγδώκοντ᾽ ἀστραγάλους ἔλαβεν, κἀμὲ χάριν Μούσαις τὸν κωμικὸν ὧδε Χάρητα πρεσβύτην ϑορύβῳ ϑῆκέ με παιδαρίων.

Nachdem er die Kinder besiegt hatte, weil er so schön schrieb, hat Konnaros achtzig Würfel bekommen, und mich, den komischen Chares, den Alten, den

Musen zum Dank hier im Lärm der Kinder aufgestellt.

Hier kommt der komische Effekt der imaginierten Szenerie durch die Konfrontation des πρεσβύτης mit den lärmenden Kindern zustande. Bei Kallimachos wird

der Zusammenhang noch enger, da der geweihte Gegenstand von der besonderen Art des Lärms, dem gemeinsamen Rezitieren, persönlich betroffen ist. Der Sprecher des Epigramms identifiziert sich nicht nur mit einem geweihten Gegenstand, einer Maske, sondern zugleich auch mit dem personifizierten Gott der Tragödie und seiner literarischen Epiphanie in einer Bühnenrolle, dem Dionysos der Bakchen des Euripides - einer Rolle, derer er wie ein professioneller Schauspieler beinahe schon überdrüssig ist. Die Sprecherrolle im Epigramm besteht also eigentlich aus einer Vielzahl von literarischen Rollen. Das alltagsnahe epigrammatische ‘Ich’ der Weihgabe bietet dabei die Möglichkeit, einen Kontrast zu den Prägungen der Dionysosfigur durch die ‘höheren Aufgaben’ in Religion und Literatur

herzustellen. Auch hier wirkt die Technik der epigrammatischen Verkleinerung eines Gegenstands, die durch einen Defekt in der sonst idealisierten Szenerie zustande kommt: Die Maske langweilt sich am Ort ihrer Aufstellung. Das Thema der kurzen Rede und ihrer Bewertung beschäftigt Kallimachos in einem anderen fiktiven Siegerepigramm. Diesmal aber spricht ein Dichter, der nicht namentlich genannt wird und für den sich eine Identifizierung mit Kallimachos

selbst anzubieten scheint (Ep. 8 = 58 Gow / PAGE):

tragische Rezitationen sieht R. F. THoMAS, New Comedy, Callimachus and Roman Poetry, HSPh 83, 1979, S. 179-206. 249 WILAMOWITZ

1924, 2, S. 117f. Text nach Gow / PAGE ohne die überflüssige Konjektur in V.

4. Ob das Epigramm des Kallimachos Erfahrungen aus seiner angeblichen Lehrerzeit wiedergibt, darf bezweifelt werden. FRASER

1972, 1, S. 585 bleibt seiner Linie treu, wenn er

vermutet, daB der Dichter durch eine reale Maske zu dem fiktiven Epigramm inspiriert wurde. 250 Ein Problem besteht für die Interpreten darin, daß sich von der in der Suda erwähnten Tä-

tigkeit des Dramenschreibers Kallimachos fast keine Spuren erhalten haben, s. Gow / PAGE 1965, 2, S. 210f, FRASER 1972, 1, S. 593. Gegen diesen Skeptizismus wendet sich CAMERON 1995, S. 60 mit MEILLIER 1979, S. 358 Anm. 48.

196

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Μικρή τις, Διόνυσε, καλὰ πρήσσοντι ποιητῇ ῥῆσις" ὁ μὲν “νικῶ᾽ φησὶ. τὸ μακρότατον, ᾧ δὲ σὺ μὴ πνεύσγς ἐνδέξιος, Tiἦν τις ἔρηται “πῶς ἔβαλες; φησί: “σκληρὰ τὰ γιγνόμενα."

τῷ μερμη ρίξαντι τὰ μὴ ἔνδικα τοῦτο γένοιτο τοὐπος᾽ ἐμοὶ δ᾽, ὦναξ, ἡ βραχυσυλλαβίη. Kurz ist die Rede, Dionysos, wenn es dem Dichter wohl ergeht: ‘Sieg! sagt er lángstenfalls. Wem du aber nicht günstig gesonnen bist, der sagt, wenn einer fragt: “Wie hast du es getroffen?’ ‘Hart ist das Schicksal.” Diese Rede möge dem zuteil werden, der auf nicht Rechtes sinnt, mir aber, o Herr, die Kurzsil-

bigkeit. Schon das Schülerepigramm zeigt einen freien Umgang mit Form und Motivik des dedikatorischen Epigramms. Das agonistische Epigramm mit der zweifachen

Apostrophe des anonymen Dichters an Dionysos gleicht einem Gebet um zukünftigen Erfolg und ist somit weit von einer unmittelbaren Imitation eines Denkmalepi-

gramms entfernt. Móglicherweise ist das Epigramm ein Kommentar zu einem Ereignis -- dem Sieg eines anderen Dichters -, direkt erwähnt wird dieses aber nicht. Die Art der Darstellung paßt zur Vorliebe des Kallimachos, Geschehnisse im Spiegel von geistigen und emotionalen Reaktionen anklingen zu lassen. Mit dieser Re-

flexion kurzen ral und kurzen

verbunden ist eine weitere originelle Begründung für die Bevorzugung der Rede.?”' Wie Ep. 26 und Ep. 48 ist dieses Gedicht über Frömmigkeit, MoReden der Dichter zugleich selbst ein praktischer Beitrag zum Thema der Rede. Daß der Sprecher gerade mit dem längsten Wort des Epigramms

(BpaxvovAAaßin)

um Kürze bittet, zeigt wohl auf humorvolle Weise, daß er

selbst das aufgestellte Ideal wenigstens in dieser Hinsicht noch nicht erreicht hat. Die Vorführung eines Gedankengangs durch den Sprecher in der 1. Person verbindet das Gebet an Dionysos um den Sieg im poetischen Wettbewerb mit der Darstellung des Sprechakts in Ep. 56 (= 25 Gow / PAGE)? Φησὶν ὁ ne στήσας Εὐαίνετος (οὐ yàp ἔγωγε γιγνώσκω) νίκης ἀντί HE τῆς ἰδίης ἀγκεῖσϑαι χάλκειον ἀλέκτορα Τυνδαρίδῃσι᾽ πιστεύω Φαίδρου παιδὶ Φιλοξενίδεω. Es sagt mein Stifter Euainetos -- ich selber nämlich weiß es nicht - ich sei für meinen eigenen Sieg aufgestellt, ein Hahn aus Erz, „für die Tyndariden; ich

glaube dem Sohn des Phaidros, Sohn des Philoxenos.”

Ähnlich wie im Kenotaphepigramm (Ep. 18) geht es hier um ein Wahrheitsproblem des Denkmals. Der fiktive Sprecher des Epigramms, ein bronzener Hahn, 251

Vgl. HUTCHINSON

1988, S. 83: ,, Callimachus is associating brevity with poetical success, but

he whimsically reverses the connection: he pretends to pray for brevity because it is the fruit, not the cause, of triumph." Gegen eine poetologische Deutung wendet sich AsPER 1997, S.

138. Zum Frömmigkeitsmotiv in V. 5f. vgl. auch Fr. 384, 46. 252 Zu dem Epigramm s. zuletzt HUTCHINSON 1988, S. 71f., MEYER 1993a, S. 166f., KOHNKEN 1993, S. 128f., GUTZWILLER 1998, S. 193 und FANTUZZI 2002, S. 424f.

253 Übersetzung von KOHNKEN 1993, S. 128.

Die Inszenierung des Sprechakts

197

reflektiert über die Glaubwürdigkeit der inschriftlichen Botschaft, die auf ihm selbst oder auf seiner Basis angebracht vorzustellen ist. Der Bronzevogel ist zwar der durch ἔγωγε betont personale Sprecher, in dieser Rolle des Vermittlers aber, wie er selbst bemerkt, nicht der wissende Urheber und Zeuge für die Richtigkeit des behaupteten Sieges. φησίν, eines der typisch inschriftlichen verba dicendi, mit denen

oft die Rede des als Bote fungierenden Denkmals eingeleitet wird," bezieht sich hier umgekehrt auf den abwesenden Auftraggeber Euainetos. Sogleich folgt mit οὐ γὰρ ἔγωγε / γιγνώσκω eine Begründung für diesen Rollentausch. Man kann den Einwurf zwar in Übereinstimmung mit der Logik der Sprecherrolle derart verste-

hen, daß der Hahn den Sieg selbst nicht gesehen hat und sich daher auf den Zeugen beruft. Doch wer hätte das von einer epigrammatischen Sprecherrolle erwartet? Der fiktive Sprecher des Steinepigramms CEG 1, 195 (= JG P^, 618) , eine Statue, und der reale Stifter Alkimachos haben dieses Problem nicht miteinander. Hier ist

ganz selbstverstándlich, daB der fiktive Sprecher des Epigramms nur eine Verkleidung für den Sprechakt des Auftraggebers ist: ᾿Αλικίμαχός μ᾽ ἀνέίσγϑεκε Διὸς κόρει τόδ᾽ ἄγαλμα £O|xoA£v ἐσϑλῶ δὲ πατρὸς hos Χαιρίονος ἐπεύχεται (£)valı]. Alkimachos hat mich, dieses Bildnis, der Tochter des Zeus aufgestellt. Ruhm erbittet hiermit der Sohn des edlen Vaters Chairion.

Eine paradoxe Pointe im Epigramm des Kallimachos muß also auch darin liegen, daf sich der Hahn in seiner epigrammatischen Sprecherrolle zwar als sprechendes und denkendes Individuum, zur gleichen Zeit aber als lebloses Bronzeobjekt präsentiert, das kaum im Besitz kognitiver Fähigkeiten sein kann.?? Der Inhalt

seiner Rede wird im selben Moment durch sein Handeln widerlegt. Der Wunsch, die Kostbarkeit des Materials durch den Hinweis χάλκειον ins rechte Licht zu setzen, führt dazu, daß der Epigrammleser auf das Paradoxon einer sprechenden

Bronze erst aufmerksam wird. Ganz anders dagegen erscheint der Verweis auf das Material in dem jüngeren, rhodischen Steinepigramm, das ebenfalls die Form der

Ich-Rede verwendet (GV 1001, V. 1—4):?5 [Φῶς ἐν Ἰηλυ]σσίοισιν £o£8pakov, εὖ δ᾽ ἐπὶ γούνοις [μητρὸς ἔφυ]ν, ἀλόχωι σώφρονι δ᾽ εὐνασάμην᾽ [χάλκ]ειός τ᾽ ἔστην χεύας περὶ ποσσὶ μόλυβδον, [εὐ]ϊδοκίμους ἀρετῆς ἀντιλαβὼν χάριτας" Das Licht erblickte ich unter denen aus lalissos, gut bin ich auf den Knien der Mutter gediehen, zu einer züchtigen Gattin lagerte ich mich; aus Erz gegossen 254

GOoLDHILL

1988, S. 195, vgl. CEG

1, 270, V. 4; 439, V. 1, (ΕΟ

2, 673

(Marmorbasis

aus

Tenos, 4. Jh.?), V. 3£.: |[φ]ασί ([r]aox LATICHEw, BCH 7, 1883, S. 251f.) μιν ἀντὶ γένεος xai κτήσιος Ty καταλείπει | [ox] joa, ἀνίκητο!γ] Γῆς χόλον ἀζόμενον, 255 Der 2. Vers des o. 5. 184f. vorgeführten Epigramms

auf den Spiegel (... οὐ γὰρ ἔχω

βλέφαρα, Anth. Pal. 14, 56, 2b) ist eine späte Variante dieser kallimacheischen Technik, gerade die Hindernisse der Kommunikation zu betonen. HuTCHINSON 1988, S. 72 vergleicht Ep. 4, 1 (οὐ yàp Er’ ἐσσί) zu diesem Vers; weitere Beispiele werden hier noch folgen. 256 Rhodos, um 100 v. Chr.

198

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

trat ich hin, gießend um die Füße das Blei, für die Tüchtigkeit wohlansehnli-

chen Dank erhaltend; ...?"'

Wenngleich auch hier die Biographie eines lebendigen Menschen in die Darstellung einer leblosen Statue übergeht und mit ihr die Sprecherrolle auf den stimmlosen

Gegenstand,

so vermeidet

der Dichter

doch jede

Unklarheit,

die

Mensch und Statue in eine Konkurrenz hinsichtlich der Stimme des Sprechers bringen kónnte. Kallimachos führt die Metapher des sprechenden Gegenstands dadurch ad absurdum, daß er den Sprecher seine Aufgabe überkorrekt erfüllen läßt. Die Botenund Zeugenrolle des Denkmals wird ganz ernst genommen und in eine mündliche Beglaubigungskette rückübersetzt. Der Bronzehahn selbst ‘weiß’ zwar nichts von

dem Sieg des Euainetos — er war ja nicht dabei —, will es jedoch von diesem gehört haben,

denn

er schließt

damit,

daß

er selbst

dem

Zeugen

Glauben

schenkt

(πιστεύω)25 In keinem der bisher betrachteten Epigramme des Kallimachos wird die Personalisierung eines gegenständlichen Sprechers so weit getrieben wie in Ep. 56. Die Konstatierung eigenen Nichtwissens als ein ol5a οὐκ εἰδῶς versieht den

Bronzehahn mit geradezu philosophischer Einsicht. Sie begründet aber auch ein anderes Verháltnis zum Epigrammleser. Die vertraute, selbstverstándliche Metapher des sprechenden Gegenstands im Epigramm gewinnt ein personales Eigenleben. Diese Tatsache bewirkt zum einen, daß die Figur des Sprechers gegenüber dem Sprecher im Steinepigramm stárker wahrgenommen wird. Auch im inschriftli-

chen Epigramm dient die Inszenierung eines 'Ich' der Erzeugung einer imagináren Náhe zum lesenden Gegenüber. Diese Appellfunktion der fiktiven Sprecherrolle wird durch die Personalisierung verstárkt. Zum anderen aber ist es die Art der kallimacheischen Sprecher im Epigramm, die ein bestimmtes Leseverhalten provoziert. Ein Sprecher wie der Bronzehahn wendet sich nicht an ein gleichsam naives,

sondern an ein nachdenklich distanziertes Gegenüber: an den Rezipienten fiktionaler Literatur.

Ep. S6 ist also auch, zumindest was die originelle Thematisierung der kommunikativen Funktion betrifft, ein Epigramm über das (Weih-)Epigramm. Man kann es zwar nicht im engeren Sinne ein poetologisches Gedicht nennen, in dem der

Dichter in propria persona poetische Normen kritisiert oder aufstellt. Doch kónnte man bestimmte Epigramme des Kallimachos, darunter Ep. 56 (= 25 σον / PAGE),

als 'autothematisch'"? bezeichnen. Zu den selbstbezüglichen Merkmalen dieser Epigramme gehört, daß sie eine aus den Bedingungen der Gattung des Epigramms entwickelte Aitiologie der kleinen Form bieten, und daß die klassische Rolle des allwissenden Sprechers auf scherzhafte Weise in Frage gestellt wird. 257 Übersetzung von SCHMIDT 1991, S. 137; sehr erwägenswert ist jedoch die Wiederherstellung von V. If. durch A. WILHELM, vgl. SEG 30, 1005: ... eb δ᾽ ἐπὶ yovvois / [τοῖσδ᾽ Erpägn)v. 258 Zum Motiv des Ohrenzeugen bei Kallimachos vgl. auch Hymn.

1, 65: ψευδοίμην àtovtog

ἃ κεν πεπίϑοιεν ἀκουήν. KÖHNKEN 1993, S. 129 hat sehr überzeugend die Pindaranspielung gezeigt, die in der Verwendung der Namen von Zeugen liegt, mit denen der Hahn seine

Aussage stützen will. Zum 'Zeugenmotiv' im Steinepigramm vgl. aber oben S. 94. 259 SZASTZYNSKA-SIEMION 1986, S. 217-227.

Die Inszenierung des Sprechakts

199

Einen späten, extremen Nachfahren hat die sich selbst in Frage stellende IchRede des Denkmalsgegenstands in einem 'Grabepigramm' des Lukillios. Man erwartet zunüchst eine áhnliche Problematisierung der Glaubwürdigkeit des Sprechers, doch wird nicht das ‘Ich’ des Gegenstands, sondern der Inhalt der Rede als

eine Fiktion entlarvt (Anth. Pal. 11, 312)? Οὐδενὸς ἐνθάδε νῦν τεϑνηκότος, ὦ rapoótta, Μάρκος ὁ ποιητὴς φκοδόμηκε τάφον καὶ γράψας ἐπίγραμμα μονόστιχον ὧδ᾽ ἐχάραξε' ᾿“κλαύσατε δωδεκέτη Μάξιμον ἐξ Ἐφέσου.᾽ οὐδὲ γὰρ εἶδον ἐγώ τινα Μάξιμον’ εἰς δ᾽ ἐπίδειξιν ποιητοῦ κλαίειν τοῖς παριοῦσι λέγω. Hier hat das Grabmal von niemandem, der gestorben ist,

o Wanderer,

der

Dichter Markos errichtet, und ein einzeiliges Epigramm geschrieben und auf folgende Weise eingeritzt: 'Beweint den zwölfjährigen Maximos aus Ephe505. Ich habe nämlich gar keinen Maximos zu Gesicht bekommen: Zum Ruhm des Dichters nur sage ich den Vorüberkommenden, daß sie weinen sollen.

Hier richtet sich eine scherzhafte Kritik des Dichters gegen die Epigonalität des

epideiktischen Buchepigramms, in dem immer noch zum Schein das Grabmal spricht. Gerade die fiktiven Sprecher des Epigramms, so hat sich bisher gezeigt, bieten dem literarischen Epigrammautor eine hervorragende Rollenmaske für die Darstellung von mancherlei Themen, die ihn und seine Leser beschäftigen. Die Erfindung dieses bewußten Spiels mit der Fiktionalität der Sprecherrollen geht jedoch auf Kallimachos zurück, der sie in früheren, inschriftlichen Denkmalepigrammen in der Form einer unbewußten Metapher vorfand. Der mehr oder weniger ernste Spott über Dichterkollegen, für den das Epi-

gramm des Lukillios ein Beispiel ist, erfährt eine wirkungsvolle Zuspitzung, wenn er, wie in Kallimachos’ Ep. 6 (= 55 Gow / PAGE), in Gestalt eines sprechenden Buches vorgeführt wird. Dabei verbindet Kallimachos die Form des Epigramms auf

einen Dichter mit der epigrammatischen Ich-Rede des Gegenstands.”°' Das Buch des Kreophylos, die epische Οἰχαλίας ἅλωσις, stellt sich und seinen Schöpfer selbst mit Namen vor: Τοῦ Σαμίου πόνος εἰμὶ δόμῳ ποτὲ ϑεῖον ἀοιδόν δεξαμένου, κλείω δ᾽ Εὔρυτον ὅσσ᾽ ἐπαϑεν, καὶ ξανϑὴν Ἰόλειαν, Ὁμήρειον δὲ καλεῦμαι γράμμα᾽ Κρεωφύλῳ, Ζεῦ φίλε, τοῦτο μέγα. Ich bin die Arbeit des Samiers, der einst im Hause den göttlichen Sänger aufnahm; ich rühme Eurytos, was ihm alles widerfuhr, und die blonde Iole; eine 260 Eine holperige Erklárung zur epigrammatischen Fiktion findet sich im Epigramm für den

christlichen Rechtsanwalt Gaios (MERKELBACH / STAUBER 16 / 06 / 01 = GV 1905): στήλλη ταῦτα λαλεῖ καὶ λίϑος" οὐ γὰρ ἐγώ, vgl. auch HÀUSLE 1980, S. 60 Anm. 138. 261

Vgl. auch BiNG 19882, S. 30, RiEDwEG

1994, S. 127f. Die fiktive Buchaufschrift ist eine

Neuschópfung des Frühhellenismus, BiNG ebd. S. 30ff.

200

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos Homerische Schrift werde ich genannt; für Kreophylos, lieber Zeus, ist dies etwas Großes.

Das Epigramm, in dem es unter anderem um die Zuschreibung der Οἰχαλίας ἅλωσις geht, gibt sich als titulus auf einer Buchrolle, dessen Zweck die Angabe

von Autor und Inhalt des Werkes ist. Sie preist sich ihrem potentiellen Leser an,” indem

sie erklärt, zwar nicht homerisch,

aber doch etwas relativ ‘Großes’

zu

sein. Der fiktive Sprechakt ist die Rede eines Buches, das zugleich als πόνος, γράμμα und als psychologisches Subjekt eingeführt wird. Daß eine Inschrift spricht, ist in der Gattung des Epigramms nicht ungewöhnlich, wohl aber, daß ein ganzes Buch als Sprecher auftritt. Als solches wendet es sich überraschenderweise nicht direkt an den Leser, sondern an Zeus, vor dem es sich für die nicht ganz kor-

rekte Zuschreibung an Homer entschuldigt."^ Diese Personifizierung eines Gegenstands, mit dem ein Dichter wie Kallimachos beinahe tagtäglichen Umgang pflegte, zeichnet aber auch das Bild eines innigen Verhältnisses der Benutzer von Literatur zu ‘ihren’ Werken. Dieser Eindruck entsteht zumindest durch die poin-

tierte Verwendung der dramatisch und individuell in Szene gesetzten epigrammatischen Sprecherrollen, die durch einen kleinen Defekt noch sympathischer werden. 3.5. Monologische Rede des Lesers Die monologische Rede des imaginüren Betrachters oder Lesers ist das Gegenstück zur Ich-Rede des Denkmals, insofern hier die andere Seite der Kommunikation mit dem beschrifteten Monument vorgeführt wird: die Seite der als sprechend eingeführten Empfängers der Botschaft. Der genaue Standort des Sprechers

im Moment der Sprechhandlung ist nicht mit den Koordinaten des Denkmals identisch, sondern liegt vor dem Denkmal. Die Rede des Rezipienten als eine Form des Epigramms, die mit der Apostrophe an das Monument oder an den Grabinhaber verbunden sein kann, ist die jüngere Variante eines Sprechakts aus der potentiell personalen Perspektive einer bestimmten Sprecherfigur. Ihre Entstehung hängt, wie wir gesehen haben, einerseits mit der unterschwellig dialogischen Struktur des in262 Zum episierenden καλεῖν / καλεῖσθαι / κλείζειν auch im Epigramm s. CEG 1, 24 (kópe κεκλέσομαι | αἰεί), 116 ([ ... τόδε σάμα xexAéo|[erai), 142; (ΕΟ 2, 592 (Κερκώπη μὲν ἔγωγ᾽ ἐκαλούμην), 717, 873. 263 WILAMOWITZ 1924, 1, S. 124f. hält den Schluß des Epigramms für einen Eid auf Kreophylos’ unverdientes Glück (so auch HUTCHINSON 1988, S. 72; vgl. Gow / PAGE 1965, 2, 207f). W. BURKERT, Die Leistung eines Kreophylos. Kreophyleer, Homeriden und die archaische Heraklesepik, MH 29, 1972, S. 74-85 hält dagegen, daB Kallimachos sich nicht auf Ironie oder Anerkennung festlegt. Die Leistung des Kreophylos besteht darin, daB man sein Gedicht für homerisch hält. Damit entscheidet Kallimachos die Frage der Autorschaft. Zu poetologischen Interpretationen s. ferner A. BARIGAZZI, Amore e poetica in Callimaco, RFIC 101, 1973, S. 186—194, hier S. 193f., G. GIANGRANDE, Callimachus, poetry, love and irony (E. 6, 28), QUCC 19, 1975, S. 111-125 {= SMA III, S. 11-25], hier S. 111f., dazu kritisch ASPER 1997, S. 141f. (μέγας nicht poetologisch). 264 ASPER 1997, S. 141f. (vgl. S. I96f.) kann plausibel machen, daß Zeus hier für Homer selbst

steht. Er sieht zudem eine Parallele zur erstmaligen Personifikation von Werken und Werkstiteln in Kallimachos, Fr. 1, 9-12. Die Vorliebe für individuell gestaltete Sprecherrollen verbindet die Epigramme mit den anderen Werken des Kallimachos.

Die Inszenierung des Sprechakts

201

schriftlichen Epigramms überhaupt, andererseits mit der Einführung der Sprecherrolle eines ‘anonymous mourner' im 5. und 4. Jahrhundert zusammen. Auch in den Epigrammen des Kallimachos ist die Sprecherrolle des Betrachters oder Lesers seltener belegt als die Ich-Rede des Denkmals. Sie stellt jedoch eine

der poetischen Möglichkeiten dar, Epigramme zu ähnlichen Themen in Form verschiedener Sprechakte zu inszenieren. Ep. 17 auf den schiffbrüchigen Sopolis ist insofern die formale Umkehrung des Kenotaphepigramms für den auf See verschollenen Lykos (Ep. 18): Ὥγφελς und ἐγένοντο 9oai νέες οὐ yàp àv ἡμεῖς παῖδα Διοκλείδεω Σώπολιν ἐστένομεν. νῦν δ᾽ ὁ μὲν εἰν ἁλί που φέρεται νέκυς, ἀντὶ δ᾽ ἐκείνου

οὔνομα καὶ κενεὸν σῆμα παρερχόμεϑα. Hätte es doch keine schnellen Schiffe gegeben! Denn dann würden wir nicht Sopolis, den Sohn des Diokleides, beklagen. Nun aber wird er im Meer als ein Leichnam umhergetragen, statt an ihm gehen wir nur an einem Namen und an einem leeren Grabmal vorbei.

Besonders deutlich wird diese Perspektivumkehr bei einer Standardsituation, wenn man das letzte Distichon von Ep. 17 mit den Versen 3-5 von Ep. 18 vergleicht, die wir hier noch einmal anführen wollen: ,

j

... XO μὲν ἐν ὑγρῇ

.

(scil. φέρεται) νεκρός, ἐγὼ δ᾽ ἄλλως οὔνομα τύμβος ἔχων

κηρύσσω πανάληϑες ἔπος τόδε"

Beide Epigramme variieren das Motiv des Kenotaphs, des leeren Grabes, dessen Anblick den Sprecher daran erinnert, wie weit entfernt sich der auf dem Meer

verschollene Leichnam von seiner vorgesehenen Ruhestätte befindet. In Ep. 17 beklagen die anonymen Passanten die Abwesenheit des Toten mit der Feststellung, daß sie nur an einem Namen und an einem leeren Grabmal vorbeigehen. In Ep. 18, Aff. beklagt das Denkmal selbst, daß es den Wanderern nur einen Namen, aber kei-

ne echte Grabstätte zeigen kann. Beide Sprecher, die Passanten und das Denkmal, räsonnieren über das traurige Faktum des leeren Seemannsgrabs in Form einer Sentenz. Der eine Sprecher beginnt das Epigramm mit einer Anspielung auf die ersten

Verse der euripideischen Medea," der andere endet mit einer generellen Warnung an die Seefahrer, die astronomische Allgemeinbildung verrát.

In Ep. 17 gibt eine Gruppe Trauernder den Part des Sprechers, genauer: Der mit ἐστένομεν in der 1. Ps. Pl. klagende Sprecher gibt sich als Teil einer Gruppe

zu erkennen.” Daß es sich nicht um die Angehörigen des Sopolis handelt, sondern um anonyme Betrachter oder Leser des Kenotaphs, wird erst mit dem letzten Wort deutlich: napspxöus9a können nur die *'Wanderer', die zufälligen Passanten vor

einem Grabmal am Weg von sich behaupten. Daß sich die Sprecher auf diese kon265 Eur. Med. Iff.: £i9' ὥφελ᾽ Apyobg μὴ διαπτάσϑαι σκάφος κτλ. 266 Vgl. GUTZWILLER 1998, S. 202f. mit Anm. 44: „... the effect of including the epigrammatst within a community of mourners".

202

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

krete Szenerie beziehen, wird zuvor bereits durch das situative νῦν angedeutet.

Ihre Trauer richtet sich in Übereinstimmung mit der Wandererrolle nicht nur auf den Verlust des Sopolis, sondern auch auf die Hinfälligkeit des Lebens im allgemeinen. Diese distanziertere Sprecherrolle ergibt sich, wie WALSH 1990 richtig erkannt hat, aus der Kombination der beiden traditionellen Sprecherfiguren: der Person des ‘anonymous mourner’ und der klassischen Rezipientenrolle des Passanten." Die originelle Verbindung von elegischem Gruppengefühl und einsamem

‘Wanderer’ macht den besonderen Reiz von Ep. 17 aus.” Ep. 15 nimmt unter den Epigrammen des Kallimachos, auch im Hinblick auf die Intellektualität seines Verfassers, eine ganz besondere Position ein. Es ist das

einzige Gedicht, dessen imaginierter Sprechakt einen Akt des Lesens wiedergibt.”

Dieser Leseakt besteht jedoch nicht in einem passiven, gedankenlosen Ablesen, sondern zum größten Teil aus durch die Situation der Lektüre angestoßenen Reflexionen und Emotionen. Die Rolle des überaus wißbegierigen Lesers kommt damit der Charakterisienung anderer personalisierter Sprecher in den Dichtungen

des Kallimachos nahe. Doch betrachten wir zuerst den Text: "Tu10vón.' τίς δ᾽ ἐσσί; μὰ δαίμονας, οὐ σ᾽ ἂν ἐπέγνων, εἰ μὴ Τιμοϑέου πατρὸς ἐπῆν ὄνομα

στήλῃ καὶ Μήϑυμνα, τεὴ πόλις. ἡ μέγα φημί χῆρον ἀνιᾶσϑαι σὸν πόσιν Εὐϑυμένη. "Timonoe.' Und wer bist du? Bei den Göttern, ich hätte dich nicht wiedererkannt, wenn nicht der Name deines Vaters, Timotheos, auf der Stele wáre und

Methymna, deine Stadt. Wahrlich, groBes Leid, sage ich, beschwert deinen Gatten Euthymenes. Der lange währende Forschungsstreit über die Frage einer möglichen inschriftlichen Existenz des Timonoe-Epigramms soll hier nur kurz berührt werden. In zwei Richtungen hat man versucht, inschriftlich überlieferte Steinepigramme mit Ep. 15

in Verbindung zu bringen. Die Annahme, daß das Gedicht für das Grabmal einer Kallimachos persónlich bekannten Frau aus Kyrene bestimmt gewesen sei, beruht

auf der unbeweisbaren Hypothese, die Rolle des Sprechers sei mit Kallimachos

gleichzusetzen.""? Einen Zusammenhang mit der zeitgenössischen Wirklichkeit po267 WaLSsH 1990, S. 83. Cassio 1994, S. 114 spricht im Zusammenhang seiner Untersuchung über den anonymen Trauernden vor allem im archaischen und im hellenistischen Epigramm

von der rituellen Atmosphäre, die durch den Sprecher in der 1. Ps. Pl. erzeugt wird. Seiner Meinung nach spricht in Kallimachos, £p. 17 die Gruppe der Freunde des Sopolis (ebd. S.

108).

268 Agathias Scholastikos (6. Jh. n. Chr.) hat in Anth. Pal. 7, 589, V. 7f. eine Variation des

Motivs des letzten Distichons komponiert: καὶ τὸν μὲν κατέχει χϑόνιος τάφος, ἀντὶ δ᾽ ἐκείνου

οὔνομα καὶ γραφίδων χρώματα δερκόμεϑα. Das Prädikat δερκόμεϑα ist sehr

viel unspezifischer und nicht auf die Rolle des Wanderers bezogen. 269 Vgl. WALsH 1991, S. 94; SPINA 1992, S. 166, Anm. 12 („letteratura in progress“), MEYER 1993a, S. 165f.; GUTZwILLER 1998, S. 207f. („dramatizes the act of reading an inscription", ebd. S. 208); FANTUZZI 2002, S. 427: „una sorta di messa in scena dell'atto della lettura e dell'agnizione"; ZANKER 2004, S. 80ff.

270 Vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 195f.

Die Inszenierung des Sprechakts

203

stulieren aber auch diejenigen, die das Epigramm für von einer realen Steininschrift

TIMONOH TIMOGEOY MEGYMNAIH inspiriert halten."' Solche Vermutun-

gen werden jedoch überflüssig, wenn man bedenkt, daß sich Kallimachos in allen quasi-inschriftlichen Epigrammen als äußerst bewandert in den Konventionen des inschriftlichen Epigramms erweist und dies auch demonstriert. Ein beabsichtigter Effekt des Gedichtes scheint mir gerade darin zu bestehen, daß sich der Leser des Epigramms allein aus den Worten des fiktiven Lesers eine Vorstellung von dem realiter nicht vorhandenen Grabmal machen kann, wobei es dem Dichter nicht auf die genaue Schilderung des Monuments, sondern auf die präzise Wiedergabe der

Kommunikationssituation ankommt. ἐπῆν ὄνομα / στήλῃ enthält zugleich den einzigen Bezug auf die Szenerie, sieht man von dem dezenten Hinweis auf eine

Darstellung ab, die in ἐπέγνων enthalten ist. Wie oft bei Kallimachos ist das Monument auf irgendeine Weise defizitär. Ep. 15 gehört zusammen mit den beiden Kenotaphepigrammen (£p. 17 und Ep. 18) und dem Gedicht auf die kurze Grabinschrift des Kreters Theris (Ep. 11) in eine Reihe von kallimacheischen Epigrammen, die die Funktion thematisieren. In allen schrift als Hinweis auf hier ist meiner Ansicht

des Denkmals als Träger eines Namens (ὄνομα οὔνομα) diesen Epigrammen genügt die Erwähnung der Namensinden steinern vorzustellenden Tráger der Buchstaben. Auch nach nicht das beschriftete Objekt, das Bild der Timonoe,

sondern vielmehr die von diesem ausgelóste intellektuelle Aktivität das zentrale

Thema des Epigramms.?"?

Der fiktive Sprecher des Epigramms hat Anteil an beiden traditionell vorgegebenen Rollen: dem anonymen Trauernden und dem zunächst unbeteiligten Passan-

ten. Auf der einen Seite ist er ein Bekannter der Verstorbenen und ihres Mannes, aus der Sicht der Grabinhaberin also kein ganz zufälliger Betrachter. Dazu paßt das

aus öffentlichen Inschriften bekannte Klagemotiv.^^ Dieser elegische Sprecher macht sich zum Sprachrohr anderer, vom Tod des Grabinhabers betroffener Bürger. Andererseits aber spricht der von Kallimachos dargestellte Leser nicht vor einer Gruppe, sondern wendet sich an die Tote: Er ist allein vor dem Grab. In dieser Funktion ist er nichts anderes als schlicht der Leser einer Inschrift. Das Epigramm

besteht von Anfang bis Ende in einem sich fortentwickelnden Lesermonolog im personalen Modus. Es beginnt mit der Realisierung des Leseakts, auf die eine Reflexion über die Lektüre selbst und ihr Gelingen und schlieBlich über die 'realen' Konsequenzen des Gelesenen folgt. Der Akt des Lesens wird psychologisch glaub271 WEISHÄUPL 1889, S. 95 glaubt, der Text sei in Verbindung mit einem Relief zu sehen, vgl. KAIBEL 1896, S. 264; REITZENSTEIN 1907, Sp. 81 hält das Epigramm für die Buch-Bearbeitung einer Prosaaufschrift. Dagegen erklärt es WiLAMOWITZ 1924, 2, S. 119 als ein „Kondolenzgedicht“. FRASER 1972, 1, S. 851 hält es für möglich, daB Ep. 15 auf eine Inschrift zu-

rückgeht. Als Beweis gilt (bei HERTER 1937, S. 186) das formal ähnliche GV 1845 (BERNAND 1969, Nr. 49), obgleich cs sich um ein kaiserzeitliches Epigramm handelt; vgl. noch A. ANGELINI, Callimaco, Epigrammi, Turin 1990, S. 147: „Probabilmente un epitafio reale".

272 Anders LIVREA 1990, der vermutet, daB hier auf typisch kyrenäische anikonische Grabreliefs angespielt sei; vgl. dagegen die o. gen. Interpretationen und bes. WArsH

1991, S. 95-97.

273 So stellt schon der offizielle ‘anonymous mourner' des ambrakischen Gefallenen-Epigramms fest: πατρίδ᾽ av’ ἱμερτὰν πένϑος ἐϑαλλε τότε" (Cassio 1994, S. 103, V. 6 = SEG 41, 540A, V. 6).

204

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

haft geschildert. Dazu gehört, daß der Leser, wie in einigen Steinepigrammen, bestimmte Hindernisse überwinden muß, die der Lektüre im Wege stehen könnten.“

Erleichtert stellt der Sprecher des Timonoe-Epigramms fest, daß Name, Vatersname und Heimatort zur Identifizierung der Toten vorhanden

sind. Eine andere,

psychologisch ebenso überzeugende Begründung findet der Epigrammdichter dafür, daß der Leser ın seiner Reaktion auch den Namen des Ehegatten erwähnt, der

zur Grabinschrift einer Frau gehört. Der Name des Euthymenes ist im fiktiven

Sprechakt von Ep. 15 ein Teil der Klage, mit der der anonyme Leser abschließend reagiert. Der fiktive Sprecher in Ep. 15 bietet aber auch das Bild eines 'idealen' Lesers, der fragt, bis er alles erfahren hat. Die kompositorische Revolution des epigrammatischen Sprechakts besteht darin, daß dieser Frager durch seinen Wissensdurst — und nicht durch eine ritualisierte Klage — die Form der Inschrift bestimmt. Daß es ihm gelingt, den Wissensdrang zu befriedigen, scheint diesem Leser sehr zu gefallen. Der Frager erhält seine Antworten ohne die Vermittlung eines weiteren metaphorischen Sprechers durch die selbstándige Interpretation der Zeichen. Kallimachos zeigt hier ein Grabepigramm, das die Bedingungen einer schriftlichen Kommunikation innerhalb der Fiktion realistisch schildert. Insofern gleicht es Ep.

56, in dem der sprechende Gegenstand als ein Teil des Mediums die Verantwortung für den Inhalt der inschriftlichen Botschaft mit οὐ yàp ἔγωγε γιγνώσκω ablehnt.

Der mentale Prozeß, den Kallimachos in Ep. 15 darstellt, ist aristotelisch gesprochen eine ἀναγνώρισις, ein Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis, der durch

bestimmte Wiedererkennungszeichen ausgelöst wird." Zu dem literarischen Motiv der episch-dramatischen *"Wiedererkennung', das in der griechischen Dichtungstheorie diskutiert wird, paßt das speziell auf die Wiedererkennung von Menschen bezogene ἐπιγιγνώσκειν in Ep. 15, 1.7" Dieser intellektuelle Hintergrund der Leserdarstellung könnte Ep. 15 an den Anfang einer Reihe hellenistischer oder jünge274 Vgl. z. B. den Leser in CEG 1, 28, V. 1, der „anderes im Sinn" haben könnte, oder den Steilhang in CEG 2, 597: zwei mógliche Hindernisse für das Zustandekommen der Kommunikation. 275 Vgl. hier auch die interessanten Beobachtungen zum „lecteur interposé^ und zum .épigramme livresque“ von A. HuRST, Apollonios de Rhodes. Maniére et cohérence. Contri-

bution à l'étude de l'esthétique alexandrine, Rom 1967, S. 30f. (zu Kall. Ep. 15). 276 Poetik 11, 1452 a 29ff.: ἀναγνώρισις δέ, ὥσπερ kai τοὔνομα σημαίνει, ἐξ, ἀγνοίας εἰς γνῶσιν μεταβολή, ἢ εἰς φιλίαν ἢ εἰς ἐχϑραν, τῶν πρὸς εὐτυχίαν ἢ δυστυχίαν ὡρισμένων ... εἰσὶν μὲν οὖν καὶ ἀλλαι ἀναγνωρίσεις᾽ καὶ γὰρ πρὸς ἄψυχα καὶ τὰ τυχόντα

{ἐστὶν ὥσπερ εἴρηται συμβαίνειτΤ καὶ εἰ πέπραγέ τις

ἀναγνωρίσαι

ἢ μὴ πέπκραγεν ἐστιν

... („Die Wiedererkennung ist, wie schon die Bezeichnung andeutet, ein Um-

schlag von Unkenntnis in Kenntnis, mit der Folge, daß Freundschaft oder Feindschaft eintritt, je nachdem die Beteiligten zu Glück oder Unglück bestimmt sind [ ... |. Es gibt auch andere Arten der Wiedererkennung, z. B. von leblosen Gegenständen, und zwar von beliebigen. Die Wiedererkennung kann sich auch darauf beziehen, ob jemand etwas getan hat oder

nicht getan hat"; Übersetzung von M. FUHRMANN). 277 ἐπιγιγνώσκειν kommt bei der Wiedererkennung des Odysseus durch Laertes im 24. Buch der Odyssee vor (Od. 24, 217), vgl. Soph. El. 1296f. (Orestes): οὕτως δ᾽ ὅπως μῆτηρ σε μὴ

᾿'πιγνώσεται / φαιδρῷ προσώπῳ...

Die Inszenierung des Sprechakts

205

rer Schilderungen epigrammatischer Leserrollen stellen, wie sie vor allem in den

Rätselepigrammen vorliegen." in diesen Gedichten ging es allerdings, wie wir gesehen haben, um die Verspottung intellektueller Eitelkeit. Ein regelrecht anti-intellektueller Leser — undenkbar für Kallimachos -- er-

scheint als Sprecher eines Epigramms bei Numenios von Tarsos:;^" Κῦρος κύριός ἐστι. τί μοι μέλει, εἰ παρὰ γράμμα, οὐκ ἀναγινώσκω τὸν καλόν, ἀλλὰ βλέπω.

Kyros! Ein Kyrios (= Herrscher) ist er! Was schert mich das fehlende Zeichen? Les’ ich den Schönen vielleicht oder betrachte ich ihn?

Den Monolog eines Lesers finden wir schließlich auch in Ep. 27 (= 56 GOW / PAGE = Anth. Pal. 9, 507). Der Sprecher hat sich soeben mit den Phainomena des

Arat befaßt und drückt seine Zustimmung zur Art der Komposition mit einem xaipe-Gruß an das Buch aus, wie er ansonsten Göttern, vergöttlichten Herrschern

oder heroisierten Toten dargebracht wird:^"

Ἡσιόδου τόδ᾽ ἄεισμα καὶ ὁ τρόπος“ οὐ τὸν ἀοιδῶν ἔσχατον, ἀλλ᾽ ὀκνέω μὴ τὸ μελιχρότατον τῶν ἐπέων ὁ Σολεὺς ἀπεμάξατο᾽ χαίρετε λεπταί ῥήσιες, ᾿Αρήτου σύμβολον ἀγρυπνίης. Von Hesiods Art ist dieser Gesang. Nicht den höchsten Sänger, aber sicher das süßeste unter den Epen formte der Mann aus Soloi nach. Seid gegrüßt, feine Worte, Zeichen der Schlaflosigkeit des Arat.

Es gibt zunächst kein eindeutiges Indiz dafür, daß sich das Epigramm, wie WILAMOWITZ glaubte," dezidiert gegen Homerimitatoren oder gegen den poetischen Stil des Apollonios von Rhodos richtet. Sicher ist nur, daß es eine Stellungnahme für die Phainomena des Arat durch einen ehrenhaften Vergleich mit dem 278 S. obenS. 121ff. 279 Anth. Pal. 12, 28, 1. / 2. Jh. n. Chr.? (Übersetzung von H. BECKBY). 280 Vgl. Theokr. 1, 144; 17, 135f.; 22, 214; Kallimachos, Fr. 112, 7f. sowie die GruBadressen an die Götter nach homerischem Vorbild in allen sechs Hymnen. Zu yaipg und seinen Adressaten s. auch SoURvINOU-INWOOD 1995, S. 180-216, bes. 195ff., 199-207 mit vielen epi-

grammatischen Beispielen. 281 Für das in der Anthologia überlieferte, in Inschriften zur Besitzanzeige übliche τόδε spricht

sich RIEDwEG 1994, S. 127 (mit Anm. 23) aus. Von ihm stammt auch die Übersetzung des ersten Verses bis zum Kolon. PFEIFFER und Gow / PAGE folgen der Konjektur BLOMFIELDs: τό t. 282 Vgl. die Referate der älteren Forschung bei HERTER 1937, S. 188, Gow / PAGE 1965, 2, 208f. und Coco 1988, S. 16 sowie FRASER 1972, 2, S. 840 Anm. 303 und 1, S. 592. Nach WILAMOWITZ 1924, I, S. 206 meint ἔσχατον den höchsten Dichter und damit Homer. Er behält ferner die Lesung ἀοιδόν in V. 1 bei, s. aber Gow / PAGE 1965, a. a. O. Ein weiteres Problem des Epigramins — oder seiner Interpreten — besteht in der von PFEIFFER mit guten Argumenten von RUHNKEN übernommenen Konjektur σύμβολον ἀγρυπνίης in V. 4 (statt

des in der Anthologie überlieferten σύντονος

Aypurvin),

vgl. dazu u. a. G. LoHsE,

ZYNTONOZ ATPYTINIH (Zu Kallimachos Epigr. 27, 4), Hermes 95, 1967, S. 379-381, THOMAS 1979, SZASTYNKA-SIEMION 1986, S. 221, CAMERON 1992.

206

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

frühgriechischen Dichter Hesiod beinhaltet." Das Arat-Epigramm des Kallimachos ist bis in jüngste Zeit ausführlich und kontrovers behandelt worden.’ Wir wollen daher an dieser Stelle nur einen kurzen Blick auf die poetische Gestaltung der fiktiven Sprecherrolle werfen. Einzigartig ist in Ep. 27 die metaphorische Ansprache an die mündliche Rede: ῥήσιες. Ein Grund dafür liegt sicherlich in dem Wortspiel ῥήσιες -- ᾿Αρήτου. Die feinen gesprochenen Worte werden in einer Apposition als ein Werk bezeichnet, das durch die schöpferischen Nachtwachen des Sternenbeobachters Arat, also unter großen Mühen, entstanden ist. Diese Kenn-

zeichnung entspricht dem πόνος zur Charakterisierung des dichterischen Werks im Kreophylos-Epigramm. Das fiktive Titulusepigramm, das mit den Künstlerinschrif-

ten und auf diese Art auch indirekt mit dem dedikatorischen Epigramm verwandt ist, wird von einem Rezipienten und Bewunderer gesprochen. Doch ist es in diesem

Fall nicht so sehr die Individualisierung der Sprecherrolle, die dem Epigramm einen besonderen

Ton

verleiht,

sondern

mehr

noch

die Personifikation

des

fiktiven

Adressaten, die dem Ausdruck λεπταί / ῥήσιες zugrundeliegt.”” 3.6. Dialoge

Die Beziehung von Leser und Denkmal ist schon in den ältesten griechischen Epigrammen als eine Art Dialog konzipiert, da man sich die Wissensvermittlung in schriftlicher Form nur in Analogie zur mündlichen Kommunikation mit ihren personalen Aktanten vorstellen konnte. Obwohl der Austausch von Informationen zwischen den beiden Partnern einseitig ist, taucht die Figur eines fragenden ξεῖνος schon in einem Epigramm aus der Mitte des 5. Jahrhunderts auf.”* Dieser ist zunächst allerdings nicht viel mehr als der willkommene, personifizierte Anlaß für den fiktiven Sprecher des Epigramms, seine Erklärungen zum Denkmal abzugeben. Eine ganz andere Leserrolle haben wir zuletzt in dem kallimacheischen Timonoe-Epigramm gesehen: Hier ist der Leser im Besitz zwar nicht des ganzen Wissens, aber doch eines bedeutenden Teils. Die Neudefinition der Sprecherrollen gehórt zu den

besonderen Merkmalen der Epigramme des Kallimachos. Vor diesem Hintergrund ist auch ein Grabepigramm des Alexandriners zu sehen, das nun zum dritten Mal das Thema des in die Fremde verschlagenen Schiffbrüchigen variiert (Ep. 58 = 50 GOW / PAGE = Anth. Pal. 7, 277). Τίς, ξένος à vaunyé; Λεόντιχος ἐνθάδε νεκρόν εὗρεν ἐπ᾽ αἰγιαλοῦ, χῶσε δὲ τῷδε τάφῳ 283

E. REITZENSTEIN, Zur Stiltheorie des Kallimachos, in: E. FRAENKEL u. a. (Hgg.), Festschrift

R. REITZENSTEIN, Leipzig / Berlin 1931, S. 23-60, hier S. 42ff. verweist auf eine in den Aratscholien belegte antike Diskussion darüber, ob der Dichter der Phainomena eher Homer oder Hesiod nachgeahmt habe.

284 RiEDwEG 1994, S. 126-133, CAMERON 1995, S. 374-379, der in οὐ τό γ᾽ ἀοιδοῦ £oyatov ändert und das Epigramm mit KAIBEL 1894 so versteht, daß Arat den Dichter Hesiod (CAMERON behält ἀοιδόν in V. 1) nicht bis ins letzte imitiert habe. ASPER 1997, S. 122 Anm. 66 schließt sich dagegen HERTER und WILAMOWITZ an (τὸν ἀοιδῶν / ἔσχατον meine Homer).

285 Zu dieser anthropomorph vorgestellten Personifikation s. ausführlich AsPER 1997, S. 189. 286 CEG 1, 120; s. dazu oben S. 83 mit Anm. 213.

Die Inszenierung des Sprechakts

207

δακρύσας ἐπίκηρον ἑὸν Blov' οὐδὲ γὰρ αὐτός ἥσυχον, αἰϑυίῃ δ᾽ ἰσα ϑαλασσοπορεῖ. Wer, fremder Schiffbrüchiger ... ? Leontichos hat hier den Leichnam gefunden, am Strand; bestattet hat er ihn in diesem Grab, wobei er sein eigenes,

todgeweihtes Leben beweinte. Denn er selbst kommt nicht zur Ruhe, einem

Seevogel””” gleich lebt er auf dem Meer.

In diesem Epigramm findet ein überraschender Tausch der Rollen statt. Der Finder des fremden Leichnams beweint nicht den Toten, sondern sein eigenes, gefährdetes Leben. Wie in Ep. 17 und Ep. 18 bildet das Schicksal eines Schiffbrüchi-

gen nur den Anlaß zu einer heftigen Ablehnung der Seefahrt im allgemeinen." Auch die Gestaltung der Sprecherrollen bietet Unerwartetes. Die Frage zu Beginn des Textes wird nicht mit einem Prädikat zu Ende geführt und auch nicht beantwortet. Das Fragepronomen τίς und die Anrede an einen ξένος lassen zunächst

vermuten, daß hier ein Wanderer nach dem unbekannten Besitzer des Grabmals fragt. Da dieser jedoch ein fremder, namenloser Schiffbrüchiger ist, könnte eine

solche Frage gar nicht sinnvoll beantwortet werden.

Dies vermutet jedenfalls

FANTUZZI, der daher ältere Konjekturen in V. 1 oder 2 zurückweist, die den an-

onymen Toten als Dialogpartner des Fragers einführen wollten./? Seiner Ansicht

nach geht es Kallimachos um die Inszenierung einer Doppeldeutigkeit, da die Frage des ersten Satzes auch als „Wer hat dich bestattet?" verstanden werden könnte.

Wenn Ep. 58 also gar kein Dialogepigramm im engeren Sinne ist, wer ist dann der Sprecher von der Mitte des ersten Verses an? Die Form des ‘Berichts’ in der 3. Person läßt ebendies im Unbestimmten. Auch hier entsteht durch Kombination zweier konventioneller epigrammatischer Sprechakte — der Frage an den Grabinhaber und dem Bericht über eine Bestattung — eine ganz neue Form. Die Frage des “Wanderers’

oder anonymen Lesers wird, wie BING gesehen hat, in einem ganz

287 Zu diesem Vogel s. auch Od. 5, 337, Aristot. Hist. an. 542 b 17, Kall. Hymn. 4, 12; mit der Schiffahrt wird er auch bei Pausanias 1, 5, 3 und Lykophron 230 verbunden. Zum Eisvogel in Grabepigrammen vgl. die Hinweise bei MERKELBACH / STAUBER 01 / 12 / 20; 05/01/44

und 55. 288 Zu dieser Einstellung vgl. schon Hesiod Erg. 101 (πλείη μὲν yàp γαῖα κακῶν, πλείη δὲ 9áXacca) und bes. 682-687: ... οὗ μιν (scil. τὸν πλόον) ἔγωγε αἴνημ" oo yàp ἐμῷ Yuμῷ κεχαρισμένος éatív: / ἁρπακτός" χαλεπῶς κε φύγοις κακόν κτλ. Weitere Grabepi-

gramme für Schiffbrüchige: CEG 1, 132; 143 = /G IX, 1?, 882; CEG 2, 526 (in Form eines Dialogs zwischen den Ehegatten), 664; GV 633 = CowıLLouD 1974, Nr. 475 (gewaltsamer Tod nach Schiffbruch); GV 1129 = /K 2, 304; GV 1232; 1501; MERKELBACH / STAUBER 03 /

07,17: 080] / 31 und 33, 10/06/13. 289 FANTUZZI 2002, S. 426. Die Interpunktion nach τίς und die Konjektur ἔνϑα σε (SCHNEIDER) in V. 1 sowie die Wiederherstellungsversuche mit εὐρέ σ᾽ (VOLGER und STADTMULLER) und eupe μ᾽ (AGAR, WALTZ, BECKBY und Gow / PAGE) in V. 2 sind Eingnffe in den

Text, die den Sprechakt im Sinne einer konsequenten Anrede an den Toten oder aber im Sinne eines Dialogepigramms mit dem Toten als zweitem Sprecher vereinheitlichen wollen. So wäre die Frage Τίς (V. 1) beantwortet. Die erste Lösung wirft das Problem auf, woher der Sprecher sein Wissen haben soll oder warum er, wenn er Leontichos ist, nicht in der 1. Ps. antwortet. Die zweite Möglichkeit, daß doch der Tote in der 1. Ps. redet, kann nicht erklären, warum dieser dann seinen Namen nicht nennt. — Vgl. /GUR 413, If. (2. Jh. n. Chr):

ϑαῦμα μέγιστον ὁρῶ᾽ τίς ὁ ξένος |ἐνθάδε τοῦτο ἀνέϑηκεν; (s. o. S. 117 Anm. 343).

208

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

anderen Sinne beantwortet, als man erwartet^" Es geht tatsächlich um das τίς, also darum, ob der Tote oder Leontichos hier zu beklagen ist. Nach Ansicht einiger Interpreten zeigt das Epigramm den Dialog eines fiktiven Autors Leontichos mit

sich selbst. Er beginnt einen Epigrammtext und sieht dann plótzlich die Parallele zu

seinem eigenen Leben.” Die Darstellung des Sprechakts suggeriert jedoch zunächst etwas anderes: Auf die Frage eines Lesers antwortet der Stifter des Denkmals, auch wenn er sich nicht wie sonst üblich namentlich zu erkennen gibt. Daß hier aber gar keine echte Kommunikation zustande kommt, zeigt sich erst auf den

zweiten Blick. Wenn wir das Epigramm auf diese Weise als 'audible thought’ lesen, so zeigt es eine außergewöhnliche Freiheit im Umgang mit der epigrammatischen Form. Die zweite, ebenso plausibel scheinende Móglichkeit besteht darin, mit GOW / PAGE die ansprechende Konjektur ebpe μ᾽ zu übernehmen. Dann aber muf der Interpret sich damit abfinden, daB der Sprecher des zweiten Epigrammteils die Frage des ersten Sprechers absichtlich nicht in dem von diesem intendierten Sinne beantwortet.

Während das Leontichos-Epigramm in Form eines Grabgedichtes eine recht ernste Reflexion vorführt, ein memento mori auch für den Leser des Buchgedichts,

präsentieren andere Distichen einen eher komischen Dialog. Dazu gehört auch Ep. 4 (7 51 Gow / PAGE) des Kallimachos auf den Menschenhasser Timon von Athen, das einige der charakteristischen Elemente des epigrammatischen Sprechakts und

seiner dialogischen Konzeption ironisiert: Τίμων (οὐ yàp &t' ἐσσί), τί tot, σκότος ἢ φάος, éx9póv; “τὸ σκότος" ὑμέων γὰρ πλείονες εἰν ᾿Αἴδῃ." Timon (denn du bist ja nicht mehr), was ist dir verhaßt, Finsternis oder Licht? Die Finsternis, denn von euch sind mehr im Hades.

Der imaginäre Betrachter des Timon-Grabes stellt zunächst fest, daß der Adressat seiner Frage nicht mehr existiert, was jedoch paradoxerweise kein Hindernis

für den Dialog, sondern gerade der Anlaß des Wortwechsels ist.?? In jedem anderen Grabepigramm wäre diese Feststellung überflüssig, denn bereits die Anrede an einen (menschlichen) Namen macht die Gattung des Sepulkralepigramms kenntlich. Nicht einmal für den Buchleser ist dieser Hinweis sinnvoll. In Ep. 4 móchte der Fragende von dem 'Bewohner' des Grabs wissen, was wohl ein notorischer Misanthrop zu seiner Lage in der Unterwelt zu sagen hat. Als Antwort erwartet man nun wohl am ehesten, daf dieser das menschenfeindliche Dunkel genieBt. Überraschen-

derweise ist Timon im Hades aber noch unglücklicher als auf der Erde: Trifft er 290 Βινο 1995, S. 125. 291 BiNG 1995, S. 124—126, GUTZWILLER 1998, S. 208f.: „... so the reader of 50 gradually recognizes that the opening query about the identity of the deceased represents Leontichus' own dialogue with himself as he muses on the identity of the shipwrecked corpse he has just buried.“ 292 Der Eingang des Gedichtes erinnert an die Technik des Timonoe-Epigramms (Ep. 15), in dem der Leser als erstes den Namen des Verstorbenen feststellt und dann seine Gedanken daran anknüpft. Zum Aufbau vgl. LAUSBERG 1982, S. 259 und HuTCHINSON 1988, S. 72, zu den Sprecherrollen GUTZWILLER 1998, S. 197f.

Die Inszenierung des Sprechakts

209

dort doch noch mehr der ihm so sehr verhaßten Menschen an — eine Antwort, die zugleich eine Beschimpfung des Lesers ist.” Das Gedicht parodiert somit auch einen Gedanken, der aus dem Philemon (4. / 3. Jh.) zugeschriebenen Epigramm zum Lob des Euripides bekannt ist (Arıth. Pal.

9, 450):

Ei ταῖς ἀληϑείαισιν οἱ τεϑνηκότες αἴσϑησιν εἶχον, ἄνδρες, ὧς φασίν τινες, ἀπηγξάμην ἄν, ὥστ᾽ ἰδεῖν Εὐριπίδην. Wenn es wahr wäre, daß die Toten eine Wahrnehmung haben, ihr Männer, wie

manche sagen, dann würde ich mich aufhängen, um den Euripides zu sehen.”

Für Timon ist es das Schlimmste, daß er überhaupt jemanden im Hades getroffen hat. Wie die Ep. 10, 13 und 23 handelt auch dieses von der Unterwelt an sich und von der Enttäuschung bestimmter auf sie bezogener Erwartungen. So wird

auch die naive Vorstellung des Fragers, das menschliche Miteinander im Hades funktioniere nach den gleichen Regeln wie das oberweltliche Leben, ins Lachhafte

verkehrt. Dasselbe gilt für die absurde Darstellung des toten Sprechers, der wie ein lebendiger Gesprächspartner angeredet wird, scheinbar ohne daß dem fiktiven Frager die Unmöglichkeit der Situation bewußt wird. Das Epigramm zeigt einen unüberwindbaren Gegensatz zwischen Timon und dem Rest der Welt, einerlei, ob oben auf oder unten in der Erde. Obwohl nur einer fragt, antwortet Timon gleich allen. Ὑμεῖς sind für den Misanthropen alle anderen Menschen, von denen ihn seine Verachtung stärker trennt als der Unterschied zwischen Leben und Tod. Ähnlich heißt es in einem etwas jüngeren der acht in der

Anthologia überlieferten Epigramme auf den Menschenhasser, er sei nicht einmal im Hades als ein echter Toter anerkannt (Anth. Pal. 7, 315, 6)? Τίμων, οὐδ᾽ ᾿Αίδῃ γνήσιός εἰμι νέκυς. Timon bin ich, nicht einmal im Hades ein echter Toter.

Einer seiner charakteristischen Wesenszüge ist also, daß er nirgends dazugehört. Unter den Timon-Epigrammen der Anthologia ist das Epigramm des Kallimachos das einzige in der Form eines Dialoges. Dies ist nicht überraschend, denn Timon gilt gewiß nicht — dies zeigt auch die Knappheit seiner Antwort in Kallimachos' Ep. 4 — als ein leutseliger Gespráchspartner. Die eine Gruppe der Timon293 πλείονες (= die Toten) ist ein bekannter Euphemismus, vgl. Aristoph. Eccl. 1073; Anth. Pal. 11, 42, 6 (Krinagoras) und 7, 731, 5f. (Leonidas): ὧδ᾽ εἶπας οὐ κόμπῳ ἀπὸ ζωὴν ὁ καλαιός / Goato KT; πλεόνων ἦλϑε μετοικεσίην, Gow / PAGE, S. 203. Zu Timon in der Alten und Mittleren Komödie vgl. GUTZWILLER 1998, S. 197 mit Anm. 33. Weitere Timon-

Epigramme sind Anth. Pal. 7, 313-320, 577 zu finden. 294 Vgl. Aristoph. Ran. 66f. Die Jamben des Philemon müssen kein Epigramm sein, auch wenn

sie in der Anthologia überliefert sind. LAUSBERG 1982, S. 259 meint nicht ohne gute Anhaltspunkte, Ep. 4 parodiere die Worte Achills in der odysseischen Nekyia, einen berühmten Vergleich zwischen der menschlichen Existenz auf der Erde und in der Unterwelt. 295 Zenodot von Ephesos (Zenodotus 3 Gow / PAGE) oder Rhianos zugeschrieben.

210

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Gedichte bringt diese Eigenschaft in kurzen monologischen Distichen des Timon zum Ausdruck,

so etwa das Epigramm eines ansonsten unbekannten Ptolemaios

(Anth. Pal. 7, 344): Μὴ πόϑεν εἰμὶ μάϑῃς μηδ᾽ οὐνομα΄ πλὴν ὅτι ϑνήσκειν τοὺς παρ᾽ ἐμὴν στήλην ἐρχομένους ἐϑέλω. Du sollst nicht erfahren, woher ich bin, und auch nicht meinen Namen; nur, daß ich will, daß die an meinem Stein Vorbeikommenden sterben.

Hegesippos, ungefähr ein Zeitgenosse des Kallimachos, läßt den Charakter des

toten Timon durch die Ekphrasis seines Grabes deutlich werden (Anth. Pal. 7,

320): Ὀξεῖαι πάντῃ περὶ τὸν τάφον εἰσὶν ἄκανϑαι

καὶ σκόλοπες" βλάψεις τοὺς πόδας ἣν προσίῃς" Τίμων μισάνϑρωπος ἐνοικέω, ἀλλὰ πάρελϑε οἱμώζειν εἶπας πολλά᾽ πάρελϑε μόνον. Scharfe Disteln sind überall um das Grab und Domen; du wirst dir die Füße verletzen, wenn du herantrittst. Hierin wohne ich, Timon der Misanthrop. Doch geh weiter, sag, daß du vielmals klagst, geh nur weiter. Eine solche Beschreibung des Grabplatzes stellt das alte epigrammatische Mo-

tiv des blumengeschmückten Grabes an lieblichem Ort auf den Kopf.” Die Schilderung des strenggenommen temporären Bewuchses geht über die vorsichtigen Verweise der inschriftlichen Epigramme auf die Lokalität weit hinaus. Sie steht außerdem in einem krassen Widerspruch zur Funktion eines beschrifteten Grabsteines. Wàre das Grab tatsáchlich so überwachsen, wie der fiktive Sprecher behauptet, dann kónnte man die Inschrift wahrscheinlich gar nicht lesen. Ebendies ist auch gemeint. Es handelt sich um echtes Lektürehindernis. Allen Timon-Epigrammen gemeinsam ist die negative Umdeutung typischer Motive der fiktiven epigrammatischen Rahmensituation. Passend zum Charakter des Grabinhabers wird dabei alles,

was sonst der Ehre des Toten dient, in sein Gegenteil verkehrt: Die Aufforderung,

an das Grab heranzutreten, wird zu einer Warnung vor dem abweisenden Ort, Gruß und Klage werden zurückgewiesen, der Passant soll am besten gar nicht erst den Namen des Toten erfahren, er soll sogar auf alle Weise am Kommunizieren mit

dem Toten gehindert werden.” Die Negierung wird einerseits auf der inhaltlichen 296 Hegesippus 8 Gow / PAGE; zu den unterschiedlichen Zuteilungen an Hegesipp oder Kallimachos s. Gow / PAGE 1965, 2, S. 303f.; zum dornenbewehrten Grab vgl. Anth. Pal. 7, 315,

s. oben S. 61 Anm. 140. 297

Vgl.

CEG

1, 98

und

462;

die

letztgenannte

Inschrift

wurde

von

W.

BLOMEL

erstmals

vollstándig ediert (/K 41, 501), s. jetzt MERKELBACH / STAUBER 01 / 01 / 12. 298 Der ideale Betrachter oder Leser ist hier derjenige, der gar nicht kommt. Vgl. Kallimachos

Ep. 3 PFEIFFER = 52 Gow / PAGE: μὴ χαίρειν einng με ... / ἴσον ἐμοὶ χαίρειν ἐστὶ τὸ μὴ σὲ neräv. Die Handschriften überliefern γελᾶν. Die Konjektur πελᾶν von GRAEFE und Jacobs verteidigen Gow / PAGE 1965, 2, S. 203, mit der Begründung. der Pentameter benótige einen Bezug zu dem vorangehenden πάρελϑε („geh vorüber und grüße mich nicht").

Die Inszenierung des Sprechakts

211

und motivischen Ebene des Epigramms, andererseits auch auf der Ebene der personalisierten Sprecherrollen betrieben. Die Menschenfeindlichkeit des Timon wird

dabei in der Regel durch die Abwehr potentieller Leser ausgedrückt. Die einzige Ausnahme bildet das Dialogepigramm des Kallimachos (ΕΡ. 4). Hier kommt ein

verbaler Austausch zustande, der anonyme Frager erhält seine Abfuhr jedoch in der Antwort des Misanthropen.

In der konsequenten Negierung der überlieferten Inhalte und Funktionen des epigrammatischen Sprechakts zeigen sich die Kenntnisse der hellenistischen Dichter, was die Konventionen inschriftlicher Epigramme betrifft. Auf diesem Bewußtsein für die Merkmale der Gattung basieren die entscheidenden Pointen. Die Frustration des Fragers ist zwar nicht mehr Gegenstand des Timon-Epi-

gramms, dafür aber Teil der Leserrolle eines weiteren Epigramms zu Jenseitsvorstellungen. Das Epigramm auf Charidas aus Kyrene gehört zu den am meisten dis-

kutierten Dialogepigrammen des Kallimachos (£p. 13 = 31 σον / PAGE): Ἦ ῥ᾽ ὑπὸ σοὶ Χαρίδας ἀναπαύεται; 'ei τὸν ᾿Αρίμμα τοῦ Κυρηναίου παῖδα λέγεις, ὑπ᾽ ἐμοί. ὦ Χαρίδα, τί τὰ νέρϑε; ‘noAb σκότος. αἱ δ᾽ ἄνοδοι τί; “ψεῦδος. ὁ δὲ Πλούτων; ᾿μῦϑος.᾽ ἀπωλόμεϑα. οὗτος ἐμὸς λόγος ὕμμιν ἀληϑινός: εἰ δὲ τὸν ἡδύν βούλει, Πελλαίου βοῦς μέγας εἰν ᾿Αἴδῃ. Ruht wirklich Charidas unter dir? - Wenn du den Sohn des Arimmas aus Kyrene meinst, unter mir. -- O Charidas, wie ist's da unten? — ‘Große Finsternis."

- Und die Rückwege? - ‘Lüge.’ - Aber Pluton? - ‘Legende’. - Wir sind verloren! -- ‘Dies ist meine wahre Rede für euch, wenn du aber die angenehme

willst: Für einen Pellater gibt’s im Hades einen großen Ochsen.’ Der

Dialog

stellt eine Unterredung

zwischen

einem

anonymen

Passanten,

Mitglied der Oberwelt, und zwei verschiedenen Antwortgebern dar. Zunächst wendet sich der Fragende an den Grabstein, auf dem er offensichtlich gerade den Namen des Verstorbenen gelesen hat. Das Epigramm beginnt mit der erstaunten Reaktion des Lesers auf die Schrift: Er muß den Toten also kennen.”” Da ihm der Stein die Identität des Grabinhabers bestätigt, wendet er sich an ebendiesen Chari-

das, dessen Anwesenheit unter dem Stein durch das eindringliche ὑπὸ σοί - ὑπ᾽ ἐμοί betont wird. Hier und in einigen anderen Epigrammen, von denen wir zuletzt das Timon-Epigramm betrachtet haben, nimmt Kallimachos die von den anonymen Dichtern inschriftlicher Grabepigramme geschaffene Verkleidung der Botschaft insofern ernst, als er den Dialog mit dem Toten als eine realistische Szenerie gestalDamit wäre auch ein Bezug zum Epigramm des Hegesippos hergestellt. Notwendig wird die

Änderung des Textes dadurch allerdings nicht, vgl. auch GIANGRANDE 1998b. 299 Vgl. Ep. 15, 1: "Tinovon.’ τίς δ᾽ ἐσσί; ... G. CApoviLLa, Callimaco, Rom 1967 (Studia Philologica 10), Bd. 2, S. 400f. (wiederabgedruckt bei Coco 1988, S. 197) untersucht ἡ pa bei Kallimachos als Ausdruck von Pathos und Ironie. Epigrammanfänge mit ἡ gibt es aller-

dings schon in CEG 1, 161, 430 (= /G P?, 502) und CEG 2, 633, mit ἦρα in GV 1537 (= GG 424), jedoch nicht in einer Frage, sondern als Ausruf des anonymen Betrachters oder Lesers (s. oben S. 86). Es dient der Personalisierung der Sprecherrolle und ist in erster Linie ein

Ausdruck von Überraschung (vgl. WALsH 1990, S. 13f.).

212

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

tet. Dies geschieht auch hier durch die neuartige Kombination fiktiver epigrammatischer Sprechakte, die in der Tradition des Steinepigramms zunächst getrennt vorkommen. In diesem Fall werden der Dialog des Wanderers mit dem Denkmal und

die Anrede des Grabinhabers an den Passanten miteinander verbunden." Das Ergebnis ist die ausführliche Vorführung einer ,impossible conversation".

Die

Frage, ob der Tote unter dem Stein liegt, ist zunächst nicht spektakulär: Es könnte

sich ja auch um einen Kenotaph handeln. Den Frager aber treibt ein anderes Interesse um. Das deiktische ‘unten’ versteht er als Bezugnahme auf den Hades, und so erkundigt er sich mit ti τὰ νέρϑε; gleich dem Frager des Timon-Epigramms nach den dortigen Lebensumstünden. Die Auskünfte des Charidas sind allerdings zum Verzweifeln, und entsprechend desillusioniert ist auch die Reaktion des Fragers

(ἀπωλόμεϑα V. 4). Die Unterwelt ist finster, ohne Wiederkehr” und ohne eigene Götter. Das letzte Distichon enthält die Antwort des Charidas auf die Reaktion des Auskunftsuchenden in der Form einer Redensart (V. 5f.), über deren genaue Bedeutung verschiedene Hypothesen aufgestellt wurden. Von ihrer Interpre-

tation hängt ab, ob der Schluß des Epigramms einen Trost oder eine weitere Enttäuschung für seine Leser bereithält. Charidas tritt als Sachverständiger für die

Unterwelt auf. Sein Wissen macht ihn den pauschalisierend mit üppıv” zusammengefaßten Lebenden überlegen. Wie die hesiodeischen Musen ist er in der Position, einen wahren oder falschen λόγος zu erzählen.””” Der wahre λόγος beinhaltet die Leugnung aller angenehmen Vorstellungen über das Jenseits. Worin die ‘süße’,

aber unwahre Rede besteht, hängt von dem heute nicht mehr eindeutig zu verstehenden Genitiv Πελλαίΐου ab. Eine überzeugende Erklärung geht auf KABEL zurück,” der auf eine Redensart verweist, derzufolge man im Hades für eine kleine Münze - nach KAIBEL eine Münze aus Pella — einen großen Ochsen billig erwerben könne. Die Anhänger dieser Interpretation können mit Recht auf Kallimachos Fr. 191, 2 verweisen, in dem der aus der Unterwelt heraufsteigende Hipponax den Hades als den Ort bezeichnet, an dem man einen Ochsen für wenig kaufen könne.’ Gegen die Verbindung der beiden Stellen hat sich GIANGRANDE vor al-

lem durch den Hinweis auf Aischylos Ag. 36 ausgesprochen." Dort wird βοὺς ἐπὶ 300 Vgl. GV 1831-1847, 926-1170, 1193-1208, 1209-1599 (Gruppen B VI 1,113, III 3, IV).

301 GUTZWILLER 1998, S. 210. 302 Vgl. σκότος in Ep. 4, I. 303 Vgl. schon Dareios in der Persern des Aischylos: ὑμεῖς δὲ 9pnvelt' ἐγγὺς ἑστῶτες τάφου / καὶ ψυχαγωγοῖς ὀρϑιάζοντες γόοις / οἰκτρῶς καλεῖσϑέ μ᾽ ἐστὶ δ᾽ οὐκ εὐέξοδον / ἄλλως τε πάντως, xot κατὰ χϑονὸς ϑεοὶ / λαβεῖν ἀμείνους εἰσὶν ἢ μεϑιέναι (V. 686-

690).

304 V. 5, vgl. Ep. 4,2. 305

Vgl. Hesiod Theog. 27 und Od. 19, 203 (Odysseus belügt Penelope). Zum Topos ἀληϑὲς ἠδύ vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 188f. und Hdt. 7, 101, 3; Aischin. 3, 127.

306 KAIBEL 1896, S. 265f. Ihm sind viele gefolgt, so auch PFEIFFER 2, 1953, S. 84 zur Stelle;

vgl. Gow / PAGE 1965, 2, S. 189.

307 S. PFEIFFER a. a. O. 308 G. GIANGRANDE, Callimaque et ie BOY?

MET AX aux Enfers, REG 82, 1969, S. 380-389 =

SMA III, S. 27-36 (= GIANGRANDE 1969b) und DERS., L'Épigramme XIII PFEIFFER de Callimaque. Maintien de mon interprétation, REG 85, 1972, S. 57-62 = SMA III, S. 37-42 (=

Die Inszenierung des Sprechakts

213

γλώσσῃ μέγας (‘ein großer Ochse auf der Zunge’), allem Anschein nach eine bildliche Umschreibung für die Verpflichtung zu schweigen, etwa im Sinne von ‘die

Lippen sind versiegelt', verwendet. Eine mógliche Interpretation des letzten Distichons wäre demnach: Dies ist meine wahre Rede für euch, wenn du aber eine

angenehme Lüge hören willst, dann ist im Hades nur Schweigen.” Daß hier aber auch eine Anspielung auf die Wáhrung der Unterwelt vorliegt, wie KAIBEL meinte, wird von LIVREA zu Recht bekräftigt. Er stellt zudem die Frage nach dem philoso-

phisch-weltanschaulichen Hintergrund des Charidas-Epigramms, in dem man mitt-

lerweile ein „statement of Cynic or Sceptic nihilism" sieht." LIVREA kommt zu dem plausiblen Ergebnis, daB das letzte Distichon von Ep. 13 in zweifacher Hinsicht zu verstehen ist: Die angenehme Lüge über die Unterwelt sei die Mär vom

billigen Einkauf eines Ochsen, den man mit einer *Pellaios' genannten Münzen erwerben

kónne.

Diese Münze

meine den Obolos,

der nach griechischer Bestat-

tungssitte auf die Zunge des Toten gelegt wurde. In Wahrheit jedoch, so die Botschaft des Charidas, erwerbe man sich damit nur den ‘Ochsen auf der Zunge’, also

das ewige Schweigen.’

Da Charidas offenbar dem fiktiven Sprecher in Ep. 13 gut bekannt ist, gehórte er vielleicht zu einer bestimmten Gruppe von Intellektuellen, móglicherweise auch zum Umfeld des Kallimachos. So kónnte die hier vertretene skeptische Weltsicht wie im Fall des Timarchos-Epigramms charakteristisch für das Denken einer histo-

rischen Person dieses Namens gewesen sein." Sehr wahrscheinlich ist jedenfalls, daß Kallimachos

eine bestimmte

Sicht des Lebens

nach

dem

Tode

darstellen

wollte, die den auch anderweitig bezeugten pessimistischen Unterweltsphiloso-

phien seiner Zeit nahesteht.?? Die Dialogsituation erinnert womöglich nicht zufällig an die kynische Diatribe, in der ein fictus interlocutor das Gesprüch mit seinen

GIANGRANDE 1972b); auch Gow / PAGE 1965, a. a. O. halten dic Aischylosstelle für einen móglichen Einwand gegen die Interpretation KAIBELS. 309 Die These GIANGRANDEs wurde vor allem wegen der Konjektur Πελλανίου abgelehnt, für die er keine Belege anführen kann. Nach GIANGRANDE liegt in Ep. 13 eine Anspielung auf den Poseidon Pellanios vor, der in Kyrene als chthonische Gottheit verehrt worden sei; da-

gegen wendet sich ausführlich LivREA 1990, S. 320f. Πελλαῖος ist für ihn eine kleine Ledermünze, wie sie in Kyrene gebräuchlich gewesen sein soll, oder eine scherzhafte Neubildung. mit der auf den kyrenäischen Hedonismus verwiesen werde (bes. S. 321—323). 310 GUTZWILLER 1998, S. 210. Dies erscheint mir sinnvoller als das Verständnis GIANGRANDES,

demzufolge es sich um Anspielungen auf lokale Kulte handele. 311 LivrEA 1990, S. 323. Aber auch dann handelt es sich wohl nur um ein partielles Schweigen, denn immerhin führt Charidas seine Reden noch aus dem Grab heraus. 312 Gow / PAGE 1965, 2, S. 188 nennen dics als eine Möglichkeit, vgl. jetzt auch GUTZWILLER 1998, S. 210. 313 LIVREA 1990, S. 323f. K. ABEL, Art. 'Kynismus', in: ScHMITT / VOGT 1988, S. 398 schildert

die Grundhaltung dieser Philosophen gegenüber den von ihnen als ,Absurditáten der Volksreligion“ wahrgenommenen Phänomenen. Der kynische Begriff des τῦφος (ABEL, S. 397 und 400 zu Krates) spielt vielleicht bei Kallimachos Fr. 203, 40 eine Rolle. Zur kynischen Literaturform vgl. K. DORING, „Spielereien mit verdecktem Ernst gemischt". Unter-

haltsame Formen literarischer Wissensvermittlung bei Diogenes von Sinope und den frühen Kynikern, in: KULLMANN / ALTHOFF 1993, S. 337-352, 346f.

214

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Einwürfen voranbringt.’'* Inhaltlich zu vergleichen ist vielleicht auch die Nekyia des Menippos von Gadara (ebenfalls 1. Hälfte des 3. Jh.), eine Art Predigt über die Torheit der traditionellen Jenseitsvorstellungen. Den Umgang des Kallimachos mit philosophischen Themen zeigt auch das Fragment eines ganz anders strukturierten Epigramms, das möglicherweise áhnliche Topoi wie Ep. 10, 2 (Tj πάλι πῶς ἔσεαι) und Ep. 13, 3 (τί τὰ νέρϑε) in einem

leider nicht mehr rekonstruierbaren, erzählenden Rahmen behandelte (Fr. 393). αὐτὸς ὁ Μῶμος ἔγραφεν ἐν τοίχοις 'ó Κρόνος ἐστὶ σοφός". ἡνίδε Kol κόρακες τεγέων ἔπι 'Kola συνῆπται᾽ κρώζουσιν καὶ κῶς αὖϑι γενησόμεϑα᾽. ... der Tadel selbst schrieb auf die Wände 'Kronos ist weise’. Sieh, auch die Raben auf den Dächern krähen: “Was ist die Folgerung?" und: “Wie werden wir nachher sein?”

Es scheint, als ärgere sich der Sprecher dieses Epigramms über den Einfluß des Philosophen Kronos, der einerseits jeden Kritiker ın einen Bewunderer verwandelt,

andererseits selbst die Sprache der Tiere durch logische und eschatologische Künsteleien verdorben

hat. Wäre

dies die Ansicht

des Kallimachos,

so könnte

man

vielleicht daraus folgern, daß er die geschilderte Art des Philosophierens als eine Konkurrenz zu seiner eigenen dichterischen Tätigkeit empfand. Denn die Frage,

auf welche Weise man etwas wissen kann, und das logische Folgern und Verknüpfen sind auch eine Eigenheit der Dichtung - darunter auch der Epigramme - des Kallimachos. Ob er sich aber einen solchen Nachhall in der breiten Öffentlichkeit,

für die Wände und Dächer hier wohl stehen, wünschte, mag man bezweifeln. Er hätte es jedenfalls nicht zugegeben. Ein gelungenes dialogisches Experiment des Kallimachos ist ferner Ep. 34 (= 22 GOW / PAGE), das Epigramm auf die Weihung einer Eichenkeule an Herakles: Tiv pe, λεοντάγχ᾽ @va ovoktóve, φήγινον ὄζον 91e τίς; 'Apxivog. ποῖος; ὁ Κρής. ᾿δέχομαι.᾽ 314 Vgl. ABEL, ἃ. a. Ο., S. 401 zum fiktiven Gesprächspartner in der Diatribe des Bion von Borysthenes (1. Hälfte des 3. Jh.): „... ein blutleerer wärtstreibende Element der Gedankenbewegung sind unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Publikum nen Charakter, sondern um eine funktionale Rolle. 315 Lesky 1971, S. 756; DörmG 1993, S. 350f.; R. HELM, 1906, s. dazu aber DORING 1993, S. 350 Anm. 17. 316

Schemen, dessen Einwürfe das vorund der Predigt den Anstrich der geben.“ Es handelt sich nicht um eiLukian und Menipp, Leipzig / Berlin

Callimachus 64 Gow / PAGE; überliefert bei Diog. Laert. 2, 111 (Vita Eucl. Megar.).

317 „quomodo posthac erimus" (PFEIFFER 1, 1965, S. 323). Zum Text des Fragments s. ferner REITZENSTEIN 1893, S. 177, zur Interpretation (Spott auf den Philosophen Diodoros Kronos) den PFEiFFERSChen Kommentar sowie FRASER 1972, 1, 356 und 757. Zur Verwendung logischer Termini auch in der Dichtungstheorie, meist aber mit jüngeren Beispielen, vgl. C. IMBERT, Stoic Logic and Alexandrian Poetics, in: M. SCHOFIELD / M. BURNYEAT / . BARNES (Hgg.), Doubt and Dogmatism. Studies in Hellenistic Epistemology, Oxford 1980, S. 182-216.

Die Inszenierung des Sprechakts

215

Dir hat mich, Herr Löwenwürger, Ebertöter, den SproB der Eiche, geweiht -

‘Wer?’ - Archinos. — ‘Welcher?’ - Der Kreter. - “Akzeptiert.”

Gegen

eine Interpretation

des kallimacheischen

Gedichtes,

die von

einer

‘Realitätsannahme’ ausgeht, hat sich A. KOHNKEN überzeugend ausgesprochen.” Auch Ep. 34 ist ein literarisches Epigramm mit einer scherzhaften Umdeutung der konventionellen fiktiven Rahmensituation. Mit dem Timon-Epigramm vergleichbar ist besonders die Anpassung einer epigrammatischen Sprechsituation an den Charakter des Sprechers. Obwohl die Rollen beinahe nirgends so traditionell festgelegt sind wie in dedikatorischen Epigrammen, erzeugt die Personalisierung der Perspektive einen ganz neuen Ton. In Ep. 4 und auch in Ep. 34 erweist sich etwa der

eine der beiden Dialogpartner als auffallend einsilbig, und auch die Gedichte selbst sind kurz und lapidar. Nach der gángigen und plausiblen Interpretation unterbricht der in Ep. 34 angeredete Herakles die weit ausholende und einschmeichelnde Rede des Weihgeschenks, auch wenn er namentlich nicht genannt ist. Der erste Vers enthält allein drei Adjektive, davon zwei zusammengesetzte Epitheta, die Herakles als einen

„Mann der Tat?! nicht weiter interessieren und von dem wesentlichen Geschäft im Heiligtum, der Annahme von Weihgaben, nur abzuhalten scheinen.” Der Dialog in Ep. 34, der durch die geschickte Positionierung der Personalpronomina τίν ne in V. 1 vorbereitet wird, entwickelt sich zwischen einem Gegenstand, der poetisch als 'Eichenzweig' verbrämten Keule, und dem beschenkten Gott. Der Aorist ϑῆκε zeigt an, daB der Sprecher glaubt, der Akt der Weihung sei gerade vollzogen - da unterbricht ihn der Gott. Im Unterschied zu dem Dialogepigramm auf den Misanthropen Timon besteht das Archinos-Gedicht nicht nur aus Frage und Antwort in der ‘natürlichen’ Reihenfolge. Dedikatorische Epigramme halten den Moment der Weihung fest - im Augenblick des Aktes selbst oder im Rückblick - , sie apostrophieren den Gott, geben aber niemals seine Reaktion zu

erkennen. Das wäre wohl auch anmaßend. Vorbildhaft für diese ansonsten unübliche Dialogisierung des Weihepigramms sind dedikatorische Inschriften mit der IchRede des Gegenstands in Kombination mit der Apostrophe an den Gott (CEG 1,

190 = /G P), 608)? σοί ul[e], ϑεά, τόδ᾽ Xya [Apa ἀνέϑ]εκε Μελάνϑυροϊίς ἔργον | εὐχσάμενος δε[κάτ]εν παιδὶ Διὸς μπεγάλο. 318 Übersetzung von ΚΟΗΝΚΕΝ 1993, S. 121. φήγινος ὀζος ist eine epische Umschreibung der Keule des Herakles (Gow / PAGE 1965, 2, S. 179), vgl. das epische

φήγινος ἀξων in " 5.

838. 319 KOHNKEN 1993, S. 121-123 wendet sich besonders gegen die -- nicht beweisbare — Erklärung von LUCK 1968, S. 392f., der Text suggeriere einen Dialog zwischen einem Bittsteller und einem ptolemáischen Beamten, aber auch gegen die ernste Auslegung von SCHMIDT 1976, der Sinn des Epigramms sei, daB es auf den Stifter und nicht auf die Gabe ankomme. KOHNKEN spricht stattdessen von einer „Parodie des Gattungstypus" (ebd. S. 123). 320 Vgl. auch das Lob der Kürze in Ep. 11 auf den Kreter Theris.

321 KOHNKEN 1993, S. 123. 322 Zum geschäftlich-prosaischen Ton vgl. Ep. 24 und Ep. 54.

323 Athen, Akropolis ca. 530—520?

216

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos Dir, Göttin, hat mich das Bildnis hier, Melanthyros aufgestellt; eine Arbeit, die er als Zehnten der Tochter des großen Zeus gelobt hatte. Die Statue spricht Athene im Auftrag des Melanthyros an. Kallimachos dage-

gen personalisiert auch das göttliche Gegenüber des klassischen Weiheakts und führt die Handlung der Dedikation als ein dialogisches Geschehen vor. In der Dia-

logsituation übernimmt Herakles die Rolle des Fragenden, die ursprünglich für das Grabepigramm charakteristisch ist. Der Typologie des Denkmalepigramms zufolge

wäre dies eigentlich die Rolle des Lesers. Ep. 34 verbindet nicht nur ehemals nicht zusammengehórige Elemente des Steinepigramms: Wie in Ep. 58 wird der standardisierte, inschriftliche Sprechakt von einer spontanen Reaktion durchkreuzt. Nach KÖHNKEN liegt die eigentliche Pointe des Epigramms darin, daß der Gott

die Gabe erst dann annimmt, als er erfährt, daß ihr Stifter ein Kreter ist.” Kreter sind nicht nur für ihre kriegerische, handgreifliche Tüchtigkeit berühmt, sondern

auch, wie wir am Beispiel von Ep.

11 gesehen haben, für ihre lapidare Kürze.

Vielleicht ist Herakles mit dem Weihgeschenk einverstanden, als er erfährt, daß der Weihende eine von ihm selbst geschátzte Tugend besitzt. Die Vorstellung der Weihung als einer dialogischen Sprechhandlung eines

menschlichen und eines göttlichen Akteurs findet sich auch in Ep. 54 (= 24 Gow / PAGE): Τὸ χρέος ὡς ἀπέχεις, ᾿Ασκληπιέ, τὸ πρὸ γυναικός Δημοδίκης ᾿Ακέσων ὥφελεν εὐξάμενος, γιγνώσκειν᾽ ἣν δ᾽ ἀρα λάϑῃ {καί μιν ἀπαιτῇς, φησὶ παρέξεσϑαι μαρτυρίην ὁ πίναξ.

325

Daß du die Schuld erstattet bekommen hast, Asklepios, die dir für seine Frau Demodike Akeson aufgrund eines Gelübdes schuldete, das wisse, wenn du es aber vergißt und sie einforderst, sagt die Tafel, daß sie dafür Zeugnis ablegen wird.

Kallimachos zeigt auch hier zwei verschiedene, miteinander verschrünkte fik-

tive Sprechakte. Die Anrede an Asklepios bildet dabei den formalen Rahmen des ganzen Epigramms. Zunächst scheint der Stifter Akeson selbst den Sprecher des fiktiven Sprechakts abzugeben, auch wenn er die Rede in der 1. Person vermeidet. In V. 3f. schließt sich eine ‘Rede in der Rede’ an, indem - in Form eines Kondizionalgefüges — auf die Móglichkeit einer zukünftigen Unterredung zwischen der Inschrift und dem Heilgott verwiesen wird." Als Sender der Botschaft tritt hier das 324 Die Kreter stünden demnach allgemein für eine besondere Leistungsfähigkeit, S. 123 und Anm. 18. 325 Eine Entscheidung zwischen den verschiedenen vorgeschlagenen Emendationen zu treffen ist kaum möglich. GUTZWILLER 1998, S. 190 (mit Anm. 19) übernimmt καὶ δὶς μιν (STADTMÜLLER). Denkbar wäre aber auch die Hinzufügung eines accusativus rei (PORSON,

PFEIFFER) oder Ergänzungen in der Art von πάλι kai μιν (MAIR). 326 Zur Interpretation s. McKav 1969, S. 350 und FRASER 1972, 2, S. 834, Anm. 261. Dieser hält das Epigramm für möglicherweise inschriftlich. Die Gótterkritik sei nicht allzu ernst zu nehmen. S. ferner CHAMOUX

1967 / 1975, S. 312-318; SCHMIDT

1976, S. 147£., HUTCHIN-

SON 1988, S. 72, MEYER 1993a, S. 168-171; GUTZWILLER 1998, S. 191f. Zu Asklepios vgl.

Die Inszenierung des Sprechakts

217

“Denkmal” in den Vordergrund. Möglicherweise wendet sich Akeson, dessen Name darauf verweisen könnte, daß er ebenfalls ein professioneller Heiler ist, absichtlich in distanziert-unpersönlichem Ton an den göttlichen Geschäftspartner, um ihm den

πίναξ als unerwarteten Zeugen für die Unterhandlung zu präsentieren. Die Tafel selbst ist wohl kaum die versprochene Gabe, sondern deren bürokratisches Beiwerk.

Kallimachos führt einen epigrammatischen Sprechakt in der Krise vor: Wie in Ep. 34 ist die Rolle des gegenständlichen Sprechers durch eine gewisse Besorgtheit gekennzeichnet, die Übermittlung der Nachricht könne mißlingen. Auch in Ep. 56,

in dem ein bronzener Hahn seine Aufgabe geradezu rührend ernst nimmt und sich mit einer Wahrheitsformel absichert, übertreibt Kallimachos in der Präsentation seiner Sprecherfiguren. Wie wir sahen, geschieht dies durch die Psychologisierung der ursprünglich funktionalen Rollen. So kommt es, daß der Sprecher in Ep. 54 glaubt, der Gott kónnte die Zahlung des Akeson vergessen, und es sei seine (Akesons) Aufgabe, ihn daran zu erinnern. Man kann darin eine rationalistische Distanz des Epigrammautors zu gewissen Formen griechischer Religiositát sehen." Als typisch kallimacheisch kónnen wir mittlerweile die Infragestellung traditionell epigrammatischer Sprechhandlungen ansehen, wobei es wieder um Fragen des Glau-

bens und Wissens geht. Diese Betonung eines intellektuellen Aspekts wie auch das Insistieren auf den Formen des Sprechens verbinden das Akeson-Epigramm mit einer Reihe anderer Epigramme des Kallimachos. 3.7. Die persona des Dichters Für die Zeitgenossen des Kallimachos ist die Person des Dichters hinter seinen

Epigrammen deutlicher sichtbar gewesen als für den heutigen Leser. Das intendierte Publikum im intellektuellen Umfeld des ptolemäischen Alexandria dürfte meistens auch gewußt haben, wer sich hinter den Personennamen in den Epigram-

men verbirgt, sei es, daß sie historische Personen, sei es, daß sie literarische Figuren meinten. Aber auch die Charakterzeichnung mancher Sprecherrolle mag auf ganz bestimmte Personen — einschlieDlich der des Dichters — gezielt haben.

Es

scheint mir daher plausibel, daß Kallimachos in die Sprecherrollen Erfahrungen und Beobachtungen einfließen ließ, die seiner eigenen Intellektualität entsprachen oder aber fremde Denk- und Sprachweisen charakterisieren sollten. Nun gibt es aber neben diesen epigrammatischen Sprecherrollen auch andere textinterne Figuren oder personale Rollen, durch die der Dichter mit dem Publikum kommuniziert. Die wichtigste und háufigste dieser Rollen ist natürlich das poetische 'Ich', das insbesondere durch die nicht-epischen Dichtungsgattungen der ar-

chaischen und klassischen Zeit vorgeprágt ist. Wáhrend man bereits im Fall manch eines quasi-inschriftlichen Epigramms spekulieren kann, ob nicht eine Kreuzung der Gattungen in Form einer Kontamination der Sprecherrollen vorliegt," ist in den nützlichen Artikel von B. HOLTZMANN,

'Asklepios', LIMC II, 1, Zürich / München

1984, S. 861—897.

327 GUTZWILLER 1998, S. 192. 328 Zu der auf KROLL zurückgehenden Diskussion um das Konzept der 'Kreuzung der Gattungen’ in der hellenistischen Literatur und besonders im Fall des Kallimachos vgl. FÜHRER

218

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

den Liebesepigrammen die persona des Dichters in der Regel Hauptaktant der Sprechhandlung (und oft nicht nur dieser). Zu den Gemeinsamkeiten dieser Epigramme mit den 'anathematischen' ist Ent-

scheidendes schon gesagt worden, weshalb wir uns hier auf die Vorführung weni-

ger Beispiele beschränken wollen. Einen neuen Typus der privaten Rede bei Kallimachos, aber auch bei anderen alexandrinischen Dichtern, hat WALSH 1991 als

„audible thought" herausgearbeitet.” Er zeigt, wie besonders seit Euripides, der gerne auf den mentalen Prozeß hinter den Worten verweist, die Einheitlichkeit des

inneren λόγος verlorengeht."' Die Gedanken bewegen sich freier in verschiedene Richtungen und kónnen

selbst den Sprecher überraschen.

Der Grund

für diese

Entwicklung besteht nach WALSH darin, daß das Selbstgesprách mit dem ϑυμός nicht mehr vor der prásumtiven Offentlichkeit eines mündlichen Darbietungen lauschenden Publikums stattfindet. Die ‘private Rede’ benötigt die fiktive Szenerie nur

als einen Anstoß für ihre eigene gedankliche Bewegung.” Nur eines der Liebesepigramme nimmt Bezug auf visuelle Details einer konkret vorzustellenden Szenerie, ohne daß diese zum Anlaß einer Reflexion werden, die

dann den eigentlichen Gegenstand des Epigramms bildet. In dem in seiner Echtheit bestrittenen Ep. [63] (= 63 Gow / PAGE)" auf die Geliebte Konopion spricht der Liebhaber ψυχροῖς ... παρὰ προϑύροις, während das Mädchen im Hause

schläft. Die Nachbarn erbarmen sich (γείτονες οἰκτείρουσι) des ausgeschlossenen Liebhabers, nicht aber die hartherzige Konopion. Der Liebhaber klagt und beschimpft das Mädchen.

Das zweite Paraklausithyron,

das unter dem

Namen

des

Kallimachos überliefert ist, steht der Aussageweise der bisher betrachteten Epigramme in der Tat näher (Ep. 42 = 8 Gow / PAGE): 1993, S. 89f. Sie diskutiert unter anderem den Fall der hellenistischen Siegerepigrammce, in denen Elemente der Chorlyrik und anderer ‘alter’ Gattungen verwendet werden. S. außerdem M. FANTUZZI, Il sistema letterario della poesia Alessandrina nel III sec. a. C., in: CAMBIANO / CANFORA / LANZA I, 2, 1993, S. 31—73, bes. 43 und 50 (= FANTUZZI 1993a). 329 Vgl. insbesondere WALSH 1991; GUTZWILLER 1998, S. 213-223; FANTUZZI 2002, S. 448—

463. 330 Seine Beispiele sind hier die Epigramme 2 („image of private discourse", WALsH 1991]. S. 4) und 31 („a disposition owned and disowned, endowed with its own personality"), ferner 28 („a voice that does and does not issue from the speaker, from his knowledge and will") und 41 („we find two souls or perhaps one"), vgl. WALsH 199], S. 21.

331 WaLSH 1991, S. 9-11. 332 In dieser dynamischen Darstellung der Gedanken liegt der wichtigste Unterschied zu einer Situationsschilderung wie in Sapphos Fr. 31 LoBEL / PAGE, WALSH 1991, S. 6f. Hier wird dem Publikum ein ferliger Gedanke nahegebracht und nicht, wie bei Kallimachos, privat reflektiert. 333

Die Collectio Planudea weist das Gedicht Rufinus zu, vgl. PFEIFFER 2, 1953, S. 99, der das

Epigramm dem Kallimachos nicht so sehr wegen des für ihn ungewóhnlichen Themas, der Liebe zu einer Frau, sondern mehr noch wegen des Tones nicht sicher zuweisen mag. Die Echtheit haben hingegen F. ZUCKER, Zu hellenistischen Dichtern. 1. Kallimachos, Ep. [63] (64)

PFEIFFER,

Philologus

98,

1954,

S. 94-97,

Luck

1956

und

McKav

1964

verteidigt.

Nach Luck ist die Zuteilung an den Kallimacheer Rufinus erst durch eine gelehrte Konjek-

tur entstanden. D. H. GARRISON, Mild Frenzy. A Reading of the Hellenistic Love Epigram, Wiesbaden 1978 (Hermes Einzelschriften 41), S. 63f. übergeht die ganze Frage.

Die Inszenierung des Sprechakts

219

Ei μὲν ἑκών, ᾿Αρχῖν᾽, ἐπεκώμασα, μυρία μέμφου,

εἰ δ᾽ ἄκων ἥκω, τὴν προπέτειαν £a. Ἄκρητος καὶ Ἔρως μ᾽ ἠνάγκασαν, ὧν ὁ μὲν αὐτῶν εἷλκεν, ὁ δ᾽ οὐκ εἶα τὴν προπέτειαν ἐᾶν. ἐλϑὼν δ᾽ οὐκ ἐβόησα, τίς ἢ τίνος, ἀλλ᾽ ἐφίλησα τὴν φλιήν᾽ εἰ τοῦτ᾽ ἐστ᾽ ἀδίκημ᾽, ἀδικέω. Bin ich freiwillig zu dir geschwärmt, Archinos, schilt mich tausendmal, wenn ich aber unfreiwillig komme, dann lasse die unnötige Hast auf sich beruhen. Ungemischter Wein und Eros zwangen mich, von denen der eine mich zog, der andere die unnötige Hast nicht lassen ließ. Gekommen rief ich nicht: Wer oder wessen Sohn ich bin, sondern küßte nur die Schwelle. Wenn das ein Unrecht ist, so tue ich Unrecht.

Auch hier ist der nächtliche κῶμος eines Verliebten, offenbar der persona des

Dichters, Anlaß des Epigramms. Doch wird die Situation als eine bereits vergangene betrachtet, der Sprecher und Hauptakteur des Schwärmens reflektiert über Folgen und Ursachen seines Tuns. Ob der umworbene Archinos allerdings über-

haupt Vorwürfe erhoben hat, bleibt unklar. Es scheint eher, als rechtfertige der leicht verunsicherte Schwärmer sein Handeln vor sich selbst. Die Pointe besteht, wie besonders GIANGRANDE betont hat, in einem überraschenden antiklimaktischen Schluß: Vers 2 läßt viel 'Schlimmeres' erwarten als das schüchterne Küssen der

Türschwelle."^ In römischer Zeit hat ein vielleicht erfolgloser exclusus amator das Epigramm an die Wand eines Hauses auf dem Esquilin geschrieben." Das Vokabular der Selbstreflexion in Ep. 42 verweist, wie schon KAIBEL gezeigt hat, auf stoische Lehren bezüglich des rationalen Umgangs mit den eigenen Erregungszu-

ständen und Leidenschaften.” Die Selbstdarstellung des um die Richtigkeit des Handelns besorgten Sprechers erinnert an die apologetische Attitüde des Mikylos in Ep. 26: οὔτε τι δεινόν / ῥέζων οὔτ᾽ ἀδικέων οὐδένα x14." Während wir

dort aber keinen eindeutigen Hinweis darauf erhalten, welche Untaten Mikylos

334 GIANGRANDE 1968, S. 127. 335 S. KAIBEL 1878, Nr. 1111, S. 502; davor schon in Hermes 10, 1876, S. 1ff., s. PFEIFFER 2, 1953, S. 92; Gow / PAGE 1965, 2, S. 162. 336 KAIBEL 1896, S. 267, insbesondere zu προπέτεια, daher auch GUTZWILLER 1998, S. 217f.

mit Anm. 70; vgl. ferner WILAMOWITZ 1924, 2, S. 128, Anm. 1, FRASER 1972, 2, S. 837f. Anm. 280 sowie DERS. 1, S. 589. ἄδικα ἔργα und ἄδικοι ἄνδρες sind aber auch ein bei "Theognis' und Solon beliebtes elegisches Thema, vgl. z. B. Thgn. 1, 29; 744; 749; 948 Young, ferner die ἀδικοι παῖδες in Thgn. 2, 1282f. YouNG und Fr. inc. sed. 2, 1223

Young: οὐδέν, Κύρν᾽, ὀργῆς ἀδικώτερον ..., in dem es ebenfalls um die Beherrschung der Affekte geht. Vgl. außerdem Kallimachos Fr. 191, 11: ἀδικα βιβλία des Euhemeros. 337 Im Zusammenhang mit den Liebesepigrammen könnte die etwas unbestimmte Szenerie in

Ep. 26, 4 (ἀλλοι δαίμονες ol μ᾽ ἔχετε. vgl. die erotischen Epigramme Ep. 30, 3f. ce δαίμων / οὐμὸς ἔχει und Ep. 43, 5 μὰ δαίμονας) einen ganz anderen Sinn bekommen.

Die demutsvolle Haltung des Sprechers in Ep. 42 betont vor allem GARRISON 1978, S. 64. Zu Kallimachos als Feind des unruhigen Lebens vgl. auch £p. 58, zur Ablehnung des Lärms ASPER 1997, S. 193-198.

220

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

denn hätte begehen können,

geht es in Ep. 42 offensichtlich um die rationale Kon-

trolle der erotischen Passion."*

Diese Kontrolle erlangt der Sprecher eines anderen Epigramms durch das genaue Beobachten eines alter ego (Ep. 30 = 12 Gow / PAGE = Anth. Pal. 12, 71): Θεσσαλικὲ Κλεόνικε τάλαν τάλαν, οὐ μὰ τὸν ὀξύν

ἥλιον, οὐκ ἐγνων᾽ σχέτλιε, ποῦ γέγονας; ὀστέα σοι καὶ μοῦνον ἔτι τρίχες" ἡ ῥά σε δαίμων οὐμὸς ἐχει, χαλεπῇ δ᾽ ἦντεο ϑευμορίῃ; £yvov' Εὐξίϑεός σε συνήρπασε, καὶ σὺ yàp ἐλϑών

τὸν καλόν, ὦ μόχϑηρ᾽, ἔβλεπες ἀμφοτέροις. Oh Thessalier Kleonikos, du Armer, Armer! Bei der strahlenden Sonne, ich habe dich fast nicht erkannt. Unglücklicher, wohin bist du gekommen? Knochen nur und Haare sind dir geblieben. Hat dich etwa der Daimon ergriffen, der auch mich erfaßt hat? Hast du dies schlimme Schicksal erlitten? Ich verstehe. Euxitheos hat auch dich geraubt. Auch du hast, als du kamst, den schó-

nen Knaben, du Elender, mit beiden Augen angeschaut. Das Epigramm beginnt wie ein Grabgedicht, in dem der ‘Wanderer’ einen Namen auf einem Grab erkennt und den befreundeten Toten beklagt. Wie in Ep. 15 auf Timonoe beginnt der Sprecher mit der Identifizierung seines Gegenübers, in-

dem er seinen Namen ausspricht. Und ebenso bekennt er dieser angeredeten Person, daß er sie beinahe nicht erkannt hätte. Während aber der Grund für diese Krise des Erkenntnisvorgangs in Ep. 15 im Dunkeln bleibt und vielleicht nur der Psychologisierung der Sprecherrolle dient, nennt der Sprecher von Ep. 30 die Ursache: Der Thessalier Kleonikos hat sich verándert und sieht nun aus wie ein Toter. Der

Griff des Liebesdaimons wird implizit mit dem der Totengötter verglichen.” Die Hervorhebung der kognitiven Leistung durch das doppelte ἔγνων zeugt von einem gewissen Stolz des personalen Sprechers, die Situation richtig interpretiert zu ha-

ben.” Diese Entdeckung einer rationalen Deutung gleicht, wie die Analogie zu Ep.

15 zeigt, einer metaphorischen

‘Lektüre’: Hier allerdings werden

nicht die

Zeichen und Wörter einer Inschrift, sondern die körperlichen Symptome für die psychische Befindlichkeit eines Menschen interpretierend ‘gelesen’. Für die Darstellung dieser kognitiven Vorgänge benötigt Kallimachos nicht nur das Vorbild der selbstbezüglichen Thematisierungen des Sprechakts im inschriftlichen Epigramm, sondern auch eine differenzierte Rhetorik. Die Fiktion einer kom-

munikativen Situation und die minutiöse Beobachtung von Sprechern prägen seine erotischen Epigramme nicht weniger als die quasi-inschriftlichen. Treffend bemerkt hierzu GARRISON: 338 Im Anschluß an GaARRISON 1978 sieht FANTUZZI 2002, S. 458 in der Entschuldigung für irrationales Verhalten ein durchgehendes Motiv der kallimacheischen Liebesepigramme, das

ihn insbesondere von Asklepiades unterscheidet (vgl. GUTZWILLER 1998, S. 217f.). Apologetischen Zwecken dient unter anderem der Weingenuß. Die Haltung richtet sich auch gegen den Anspruch insbesondere der stoischen Philosophie — von dem sie sich aber nicht unabhángig zeigt -, der wahrhaft Intellektuelle dürfe nicht die Selbstkontrolle verlieren. 339 Ep. 26, 4: ἄλλοι δαίμονες ol μ᾽ ἔχετε. 340 So auch FANTUZZI 2002, S. 449, vgl. den ganz ähnlichen Gedankengang in Ep. 43 und 61.

Die Inszenierung des Sprechakts

221

„All but one of Callimachus’ epigrams take the form of an address to someone, and the person addressed is usually identified by name. He freely uses

expletives, interrogatives, interjections, and oratio recta to establish a natural and lifelike atmosphere for his conversational monologues. His style 15 more

garrulous too reflected in the length of his epigrams ... ^^!

Die Erinnerung an eine solche kommunikative Situation — von Kallimachos als λέσχη bezeichnet — spielt in einem Epigramm eine bedeutende Rolle, das man zugleich auch als das berühmteste Beispiel einer privaten, monologischen Rede bei Kallimachos betrachten kann (£p. 2 = 34 σον / PAGE = Anth. Pal. 7, 80): Εἰπέ tic, Ἡράκλειτε, τεὸν μόρον, ἐς δέ με δάκρυ ἡγαγεν᾽ ἐμνήσϑην δ᾽ ὁσσάκις ἀμφότεροι ἥλιον ἐν λέσχῃ κατεδύσαμεν. ἀλλὰ σὺ μέν που,

ξεῖν᾽ ᾿Αλικαρνησεῦ, τετράπαλαι σποδιή, αἱ δὲ τεαὶ ζώουσιν ἀηδόνες, ἧσιν ὁ πάντων ἁρπακτὴς ᾿Αίδης οὐκ ἐπὶ χεῖρα βαλεῖ. Jemand hat mir, Herakleitos, von deinem Tod berichtet und mich zum Weinen gebracht; ich erinnerte mich, wie oft wir beide die Sonne im Gespräch unter-

gehen ließen. Du, mein Freund aus Halikamassos, bist längst schon irgendwo Asche, deine Nachtigallen aber leben, auf die der alles hinwegraffende Hades seine Hand nicht legen wird.

Das vieldiskutierte Epigramm^ auf Herakleitos von Halikarnassos und seine Gedichte, das wie andere Grabgedichte im 7. Buch der Anthologia überliefert ist,

hat zwar oberflächlich gesehen das Thema, nicht aber die Sprechhaltung eines Se-

pulkralepigramms.”* Der Sprecher berichtet dem Toten von dem Moment, an dem ihn die Nachricht vom Tod des Freundes in der Fremde auf mündlichem Wege erreicht hat. Dies ist die Umkehrung des bekannten epigrammatischen Botenmotivs, das Kallimachos in einem seiner quasi-inschriftlichen Grabgedichte verwendet."^ Anders als in den Epigrammen, deren fingierte Kommunikationssituation vor einem

Denkmal stattfindet, von dem aus die Botschaft in alle Welt geschickt wird, spielen Vermittlung und Inhalt der Nachricht an sich eine untergeordnete Rolle. Was zählt, 341 GARRISON 1978, S. 68f. Der Längenvergleich bezieht sich auf Asklepiades von Samos, der áhnliche Themen in kürzeren Epigrammen behandelt. GARRISON meint, es gehe Kallimachos um die soziale, freundliche Atmosphäre des Symposions. Die Gedanken des fiktiven Sprechers kreisen allerdings in dicsem und auch in anderen Liebesepigrammen vor allem um ihn selbst oder demonstrieren seine intellektuelle Überlegenheit. Auch das Aussehen des Kleonikos läßt keine gemütliche Stimmung aufkommen.

342 Das Epigramm hat etliche hervorragende Interpreten gefunden, vgl. z B. WILAMOWITZ 1924, 1, S. 121f., J. G. MACQUEEN, Death and immortality. A study of the Heraclitus epigram of Callimachus, Ramus 11, 1982, S. 48-56, WarsH 1990, S. 1-4: HUNTER 1992, S. 119-123; GUTZWILLER 1998, S. 206f. 343 Etwas mißverständlich formuliert GUTZWILLER 1998, S. 207: „... the unique format of this epitaph, a speech act directed to the deceased himself ...". Das Einzigartige ist nicht die Anrede an den Toten (vgl. PEEK, GV 1384-1563 = Gruppe B IV 2), sondern die nicht durch einen Schiffbruch oder ähnliches begründete Abwesenheit des Herakleitos im imaginären

Augenblick des Sprechakts. 344 Vgl. Ep. 12 (Κύζικον ἣν ἐλϑῃς ...), dazu TARÁN 1979, S 132ff.

222

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

ist die andauernde Erinnerung an den abwesenden Freund, der zweimal direkt angesprochen wird (V. 1 und 4). Der anonyme Bote löst die Gedanken aus, von denen der einsame Sprecher dem Freund erzählt (ἐμνήσϑην, V. 2). Auch dies ist ein grabinschriftlicher Topos, denn das Verbreiten der Kunde zur Erinnerung der Überlebenden ist auch die Funktion eines μνῆμα.᾿“ Kallimachos stellt dieses Mo-

tiv jedoch zum ersten Mal aus der Sicht eines sich Erinnernden dar, der den Toten kennt. Die Vergegenwärtigung des Herakleitos macht dem Sprecher schmerzlich bewußt, wie groß die räumliche und zeitliche Distanz in Wirklichkeit ist, die ihn von

dem Freund trennt. Er weiß nicht genau, wo sich dieser gerade befindet (που, V. 3), noch, wie lange er schon tot ist (τετράπαλαι, V. 4). Die Melancholie der Verse erinnert an das Epigramm auf den schiffbrüchigen Sopolis, von dem es heißt: νῦν δ᾽ ὁ μὲν εἰν ἁλί που φέρεται νέκυς (Ep. 17, 3). Doch endet Ep. 2 hoffnungsvoller als das Gedicht auf dem verwaisten Kenotaph. Zwar ist Herakleitos in Wirklichkeit nicht mehr als Asche, doch leben seine Gedichte weiter. Aus der fingierten Gesprächssituation an einem Grabmal, an dem der Hinterbliebene und der Tote miteinander in einen zumindest symbolischen Kontakt treten

können, ist hier ein ganz in die Vorstellung des Dichters verlegtes, inneres Ge-

spräch mit dem Freund und mit sich selbst geworden. Das Epigramm verzichtet auf die Illusion eines realistisch inszenierten Dialogs mit dem Verstorbenen. Obwohl das diskursive Element nicht fehlt - Adresse an Herakleitos, Einführung eines Boten, Ich-Rede — stellt das Epigramm keine fiktive Kommunikation, sondern einen

Sprechakt mit einem wahrhaft einsamen

Sprecher dar. Diese Einsamkeit wird

durch die Gegenüberstellung mit den A&oxaı' Herakleitos intensiviert.

der Freunde zu Lebzeiten des

4. ZUSAMMENFASSUNG Im AnschluB an die Vorstellung der Forschungsdiskussionen zu den Epigrammen des Kallimachos, die unsere Frage nach der Inszenierung der fiktiven Sprechhandlungen betreffen, haben wir die Gedichte zunächst nach Form und Inhalt geordnet. [n einer synoptischen Zusammenschau der erhaltenen Epigramme wurde deutlich, wie eng die inhaltliche und formale Beziehung der Epigramme des Kallimachos zu ihren Vorläufern oder auch zu zeitgleichen Gegenstücken ist, die für die inschriftliche Verwendung gedichtet waren. Die einzige offensichtliche Ausnahme stellen, abgesehen von den beiden extra germs sortierten Beispielen (Ep. 1 und 59),

die erotischen Epigramme dar, die in der Tat als eine Neuerung des frühen Hellenismus betrachtet werden können. Doch hat sich ebenso gezeigt, daß die Konventionen des inschriftlichen Epigramms nur eines der Muster sind, durch das die 345 Vgl. etwa die im Index von CEG 2, S. 333f. aufgeführten zahlreichen Belege für μνῆμα und verwandte Ausdrücke in Steinepigrammen des 4. Jh. sowie ECKER 1990, S. 220 zu μνῆμα im archaischen Epigramm. 346 Vgl. HUNTER 1992, S. 120. 347 Zu einem Grabmal aus dem 6. Jh. v. Chr., das sich selbst als Agoyn. als Ort der arıstokratischen Begegnung und des Gespráchs, bezeichnet, vgl. MARGINESU 2001.

Die Inszenierung des Sprechakts

223

Inszenierung des epigrammatischen Sprechakts bei Kallimachos geprägt wird. So scheinen einerseits alltägliche Sprechhandlungen wie der geschäftlich-bürokratische

Umgang in manchen philosophische Diskurse Epigramm einzuwirken. ellen haben ihre Spuren

Weihepigrammen, andererseits auch literarische und auf die Art der Rede und das Auftreten der Sprecher im Auch mündlich geführte Debatten im Kreis der Intellektuhinterlassen. Oft fehlt jedoch das Vergleichsmaterial, um

den genauen Ort dieser Redeformen und -inhalte zu bestimmen. Unsere Untersu-

chung stützte sich auch aus diesem Grund zunächst auf das überlieferte Material der griechischen Versinschriften. So wurden die einzelnen Formen der epigrammatischen Präsentation bei Kallimachos im Verhältnis zu ihren inschriftlichen Vorgängern betrachtet und dort, wo es móglich schien, in eine motivische Reihe auch mit Jüngeren Epigrammen eingeordnet. Die Annahme, Kallimachos habe für ein Buch

oder gar für bestimmte Sequenzen in diesem Buch gedichtet, ist zwar begründet, wurde aber nicht zur Grundlage unserer Interpretation gemacht. Zwei Ergebnisse wollen wir hier besonders festhalten: Erstens das Bemühen des Kallimachos, Ereignisse und Situationen im Spiegel von gedachter und gesprochener Rede zu zeigen, was eine Fülle von fiktiven Sprechern und Einschüben in Form direkter und indirekter Rede innerhalb des rahmengebenden àuferen oder

‘primären’ Sprechakts zur Folge hat. Belehrung und Demonstration von Wissen stehen dabei für die fiktiven Sprecher auffällig im Vordergrund, und dies auch in eher banalen Zusammenhängen. Damit verbindet sich eine zweite Eigenheit insbesondere der kallimacheischen Epigramme. Der Dichter personalisiert die Rollen der fiktiven Sprecher in einem bis dahin unüblichen Ausmaß. Das zeigt sich schon in der Verteilung des Wissens. Der anonyme Wanderer des Steinepigramms kann dort nur auf das sichtbare Denkmal reagieren, bei Kallimachos wird er im Akt des Le-

sens gezeigt, wobei er eigene Kenntnisse und Gedanken selbstándig ergánzt. Die Personalisierung der Sprecherrollen bedeutet aber auch, daß die sich zu Wort meldenden Figuren als psychologische Subjekte vorgeführt werden, die — auch dies scheint mir ein Merkmal der Dichtung des Kallimachos zu sein — entweder eine gewisse rationale Distanz zu ihrer Rolle aufweisen oder aber ein besonderes Seibstbewußtsein demonstrieren. Hierin gleichen sich die traditionell epigrammatischen Sprecherrollen und die persona des Dichters und Liebhabers in den erotischen Epigrammen. Die neuere Forschung zu den Epigrammen des Kallimachos hat zu Recht betont, daB diese Gestaltung der Sprecherrollen die Aufmerksamkeit des Lesers darauf lenkt, daß es sich dabei um Fiktionen handelt, zumal die wortwörtliche Auffas-

sung ihrer Rolle zu einigen Paradoxa führt, die dem Leser nicht verborgen bleiben kónnen. Dies betrifft vor allem den Wahrheitsanspruch der 'sprechenden' Inschriften. Doch ist die Art der epigrammatischen Präsentation nicht in jedem Fall so neu,

wie es vielleicht scheinen mag. Die originellen Effekte entstehen oft schon aus der Kombination von Darbietungsformen, die in der Überlieferung der Steinepigramme bereits vorliegen. So kónnen Epigramme mit einem 'anonymous mourner' als Sprecher oder auch die Dialoge zwischen Angehórigen in Grabgedichten des 4. Jahrhunderts als Vorbilder für die Personalisierung der vormals unpersónlich vorzustellenden Sprecherrollen bezeichnet werden.

224

Autor und Leser in den Epigrammen des Kallimachos

Die Vielstimmigkeit der kallimacheischen Epigramme ist sicher nicht aus der Absicht des Verfassers zu erklären, sich die verschiedenen Stimmen gegenseitig dekonstruieren zu lassen, um so die Absurditäten einer traditionellen Gebrauchsliteratur zu brandmarken. Die imaginären Sprecher geben vielmehr jedem Leser das

Gefühl, an einer lebendigen Konversation teilzuhaben. Sie wecken Sympathie, provozieren Widerspruch und geben Rätsel auf. Die Literarisierung des Epigramms bei Kallimachos besteht nicht in der Zerstörung alter Formen, sondern in ihrer kreativen Anpassung an ein Lesepublikum.

In diesem Zusammenhang ist es nicht überraschend, daß sich die Appellstruktur der inschriftlichen Vorbilder in einigen Gedichten des Kallimachos in eine innere Struktur, genauer: in eine Form des rhetorisch geschulten diskursiven Den-

kens verwandelt zu haben scheint. Beispielhaft vorgeführt wird dies in der epigrammatischen Leserrede. Der Leser internalisiert den epigrammatischen Dialog und vollführt den Akt des Lesens als einen Akt des forschenden Denkens.

C. EPIGRAMMATISCHE SPRECHERROLLEN IN DEN ELEGISCHEN UND JAMBISCHEN GEDICHTEN DES KALLIMACHOS 1. EPIGRAMMATISCHE SPRECHERROLLEN IN DEN ELEGISCHEN GEDICHTEN Auch wenn der Aufbau einer von Kallimachos konzipierten Buchausgabe sei-

nes eigenen poetischen Werks nach wie vor kontrovers ist,' so ist doch eines unbestreitbar: Auch diese im Verhältnis zu den Epigrammen umfangreicheren Kompositionen zeichnen sich durch eine Vielfalt von Formen der poetischen Präsentation aus, die sich einerseits in dem 'zusammengesetzten' Charakter der aus vielen Einzelepisoden bestehenden Bücher, andererseits in ihrer metrischen und stilistischen polyeideia nachweisen läßt. Dazu paßt, daß auch in der Wahl der imaginären Sprechakte, in denen das Material dargeboten wird, das Prinzip der Abwechslung vorherrscht. Hier zeigt sich, daß die Tradition der epigrammatischen Sprecherrollen inspirierend gewirkt hat, zumal sie mit der Ich-Rede des Gegenstands eine lebendige, personale Form der Rede bietet, die dem Stil des Kallimachos offenbar

sehr entgegenkam.? Im Fall der aitiologischen Elegien besteht nicht nur eine forma-

le, sondern auch eine inhaltliche Verwandtschaft. Besonders Epigramme auf geweihte Gegenstände, die von der Ursache einer besonderen Stiftung oder einer Eigenheit des Denkmals berichten, sind zugleich auch aitiologische Gedichte.” Eine weitere Gemeinsamkeit läßt sich zudem auf der Ebene des illokutiven Akts ausmachen: Der Zweck der meisten Epigramme und der in den Aitia versammelten Ele-

gien besteht in einer Art des Preisens.“ Sprechende Statuen in den Jamben sind nur eine komische Variante desselben Themas.

Die formale Integration des Epigramms in eine der beiden Gattungen kann auf zweierlei Weise vonstatten gehen. So kónnen die für Epigramme charakteristischen ]

Zum Aufbau der Aitia s. KREVANS Forschungsübersicht ebd. Anm.

1984, S. 138-146, 230-292 und AsPER 1997, S. 60f ,

152. Die Diskussion wurde jüngst belebt durch die These

CAMERONS 1995, Kallimachos habe keine eigene Sammelausgabe seiner Werke veranstaltet, in der die Aitia den Anfang bilden sollten und für die der Aitienprolog nachträglich gedichtet worden sei, vgl. CAMERON 1995, S. 104ff. (Forschungsübersicht), bes. S. 112f. Für die Zugehörigkeit der sogenannten μόλη zum Buch der Jamben ebd. S. 163-173, s. dazu jetzt

2

R. HUNTER, (B)ionic man: Callimachus" iambic programme, PCPhS 43, 1997, S. 41-52. HARDER 1998, S. 96-98. GUTZWILLER 1998, S. 86f., bes. 86: „... the source for Callimachus' animation of inanimate objects is the epigrammatic tradition, the giving of voice to stone.“ Zum personalen Erzählstil des Kallimachos s. auch CAMERON 1995, S. 439, 445 und 451, der allerdings auf die Vorbildfunktion der Elegie verweist.

3

KREVANS 1984, S. 185-188, 250-252 behandelt den Zusammenfall von Epigramm und Elegie nach der Etablierung des Buchepigramms in der hellenistischen Dichtung am Beispiel der Aitia des Kallimachos.

4

Vgl HARDER 1998, S. 101 zur Funktion der „generic games" in den Aitia: „the basic function of the genres under consideration (scil. sepulkrales und dedikatorisches Epigramm sowie Enkomion) was to a certain extent honorific ...“.

226

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Formen der Anrede, etwa die Ich-Rede eines Gegenstandes in der Locke der Berenike, die Struktur eines ganzen Gedichtes bestimmen. Diese Gestaltung bewirkt, daß das Gedicht auch als ein ausgeweitetes Weihepigramm interpretiert werden

könnte. Die zweite Möglichkeit besteht in der Integration eines Epigramms in die Erzählsituation einer Elegie durch seine direkte oder indirekte Wiedergabe innerhalb eines narrativen Rahmens, also durch eine Form der ‘Rede ın der Rede’. Bei Kallimachos finden sich Beispiele für beide Arten der ‘Gattungskreuzung’, die wir im folgenden — getrennt nach den einzelnen Formen des fiktiven Sprechakts — un-

tersuchen wollen. Hierbei soll es insbesondere um die Rezeption der inschriftlichen Sprecherrollen in einem größeren literarischen Zusammenhang und um die Frage

nach dem typisch kallimacheischen Modus der Präsentation gehen. 1.1. Rede aus der Unterwelt? (Fr. 64)

In dem Sepulcrum Simonidis überschriebenen Fragment aus dem dritten Buch der Aitia erzählt der keische Dichter offenbar in eigener Person die Geschichte seines Grabmals (Fr. 64, 1-12): Οὐδ᾽ ἀ]ν tot Καμάρινα τόσον κακὸν ὁκκόσον ἀ[ν]δρός κινη]ϑεὶς ὁσίου τύμβος ἐπικρεμάσαι᾽' καὶ γ]ὰρ ἐμόν κοτε σῆμα, τό μοι πρὸ πόληος ἔχ[ευ]αν

Ζῆν ᾿Ακραγαντῖνοι Ξείνι[ο]ν ἀζόμενοι, ...K]at' οὖν ἤρειψεν ἀνὴρ κακός, εἰ τιν᾽ ἀκούειί[ς Φοίνικ]ᾳ πτόλιος σχέτλιον ἡγεμόνα: πύργῳ] δ᾽ ἐγκατέλεξεν ἐμὴν λίϑον οὐδὲ τὸ γράμμα ἡἠδέσϑ᾽ η τὸ λέγον τόν [μ]ς Λεω πρέπεος κεῖσϑα ı Κήϊον ἄνδρα τὸν ἱερόν, ὃς τὰ περισσά εν καὶ] μνήμην πρῶτος ὃς ἐφρασάμην,

οὐδ᾽ ὑμ)έας, Πολύδευκες, ὑπέτρεσεν, οἱ με μελά[ϑ]ρου μέλλοντος πίπτειν ἐκτὸς ἔϑεσϑέ κοτε Nicht einmal Kamarina würde wohl ein so großes Übel verhängen wie das von der Stelle bewegte Grab eines heiligen Mannes; denn auch mein Denkmal, das mir die Akragantiner vor der Stadt errichteten, den Zeus des Gastrechts ehrend, hat einmal ein schlechter Mann niedergerissen -- du hast vielleicht von Phoinix, dem schrecklichen Führer der Stadt, gehört. In einen Turm vermauerte er meinen Stein und scheute nicht die Inschrift, die sagt, daß ich hier

liege, der Sohn des Leoprepes, ein heiliger Mann aus Keos, der ich Gewaltiges

... (?) und zuerst die Erinnerung ersann, und auch euch, Polydeukes, fürch-

tete er (scil. Phoinix) nicht, die ihr mich aus dem Hause ... Der Beginn der Elegie in Vers 1 ist gesichert. Der fiktive Sprecher erscheint

allerdings erst in V. 3. Ein offenbar verürgerter Simonides spricht in der 1. Person über den Grabfrevel an seinem τύμβος,

den sich der Akragantiner Phoinix zu-

5

περισσά bezieht sich vermutlich auf die Weisheit des Simonides, s. PFEIFFER 1, 1965, S. 67 zur Stelle und Bing 19882, S. 68 Anm. 30.

6 7

_PFEIFFER l, 1965, S. 66. τύμβος und σῆμα sind in zahlreichen Epigrammen und auch schon bei Homer belegt, vgl. 2. B. Il. 7, 86: orua te ol χεύωσιν. Das Thema der - zu vermeidenden — Grabschändung

Elegische Dichtungen

227

schulden kommen ließ, als er das Denkmal des Dichters in eine Mauer verbaute, ohne sich um den berühmten Grabinhaber zu kümmern. Besonders tadelnswert ist

dies, weil doch die Inschrift auf dem Stein den Eigentümer als ἀνὴρ ἱερός auswies. Diese Inschrift (γράμμα) wird in oratio obliqua wiedergegeben, wobei eine epigrammatische Form der Selbstvorstellung des Sprechers bewahrt wird (V. 8ff.).

Das indirekte Grabepigramm identifiziert den Sprecher durch das Patronymikon und die Angabe der Heimat, zudem durch zwei für das Epigramm charakteristische Relativsátze, die den Verstorbenen preisen. Die epigrammatische Form verweist auf das Muster einer Inschrift in der 3. Person (σῆμα τόδε τοῦ δεῖνος ..., ὃς ἐφράσατο

...), doch wird die Rede durch die Integration in den äußeren Sprech-

akt personalisiert (ὃς ἐφρασάμην ..., V. 10). So preist Simonides sich in seinem Gedicht selbst; ein Effekt, der, wie wir noch sehen werden, dem Charakter des

Sprechers angemessen ist. Die Fortführung der übergeordneten Erzählung von der Grabschándung durch Phoinix leitet zu einer im Leben des Simonides weiter zurückliegenden Begebenheit über.” An die Geschichte des Grabfrevels, der in dem

Abbruch einer ganzen sepulkralen Anlage bestand,” fügt sich gut die berühmte Legende vom Einsturz des Skopadenhauses - zwei Katastrophen, die der Sprecher gewissermaßen überstanden hat. Der Übergang von der ‘Rede’ der Inschrift zu

dieser zweiten Episode wird durch die Apostrophe an die Dioskuren betont. Wir haben es also nicht nur mit der Kontaminierung zweier Sprechhaltungen — einer moralisierenden, elegischen und einer informativen, epigrammatischen Rede -, sondern noch mit einer dritten Aussageform, der Anrede an die Gottheit, zu tun. Auf diese folgte in V. 15 mit dem Beginn des Gebets an die Götter (Ovaxszg ...)

schon der nächste Wechsel in der Folge der Sprechhandlungen. Bis zur Apostrophe an die Zeussóhne in V. 11 richtet sich die postume Rede des Simonides an ein gedachtes Gegenüber (V. 5: ei τιν᾽ ἀκούει[ς), das jedoch

anders als in Grabepigrammen, in denen die Stimme eines Unterweltsbewohners spricht, nicht als am Grabe anwesend betrachtet werden kann, denn schließlich ist das Denkmal ja zerstört worden.'" Dies rechtfertigt auch die Beschreibung seiner

ursprünglichen und seiner derzeitigen Lage. Die Ich-Rede der Elegie in Fr. 64 erinnert an die Rede aus der Unterwelt, wie sie Kallimachos auch in seinen fiktiven

Grabepigrammen verwendet. Sie geht jedoch nicht mehr von einem Denkmal aus, 8 9

erscheint Vgl. κοτέ Mögliche l, 1965, KREVANS

in Steinepigrammen seit dem in V. 3 und 12. Quellen für die Geschichten, S. 67 zu V. 6 gesammelt. 1984, S. 240 und 250; BiNG

1. Jh. v. Chr., vgl. hierzu GV 1370-1376. auf die Kallimachos hier anspielt, sind bei PFEIFFER Zum unbestimmten Ort der Sprecherstimme vgl. 1988a, S. 67-70, M. A. HARDER, “Generic Games’ in

Callimachus' Aetia, in: M. A. HARDER / R. F. REGTUIT / G. C. WAKKER (Hgg.), Genre in Hellenistic Poetry, Groningen 1998 (Hellenistica Groningana 3). S. 95-113, hier S. 97; nach GUTZWILLER 1998, S. 186 ist das Subjekt des Aitions der fiktive Sprecher des Textes. Allerdings ging es im weiteren Zusammenhang nicht um Simonides, sondern um Aitia der sizili-

schen Stádte. l0

GABATHULER 1937, S. 63 verweist darauf, daß der Elegie Fr. 64 im Unterschied zu einem Epigramm Gegenwartsbezug und Aktualität fehlen. Er diskutiert das Fragment jedoch unter

seinen Epigrammen, da es in der Kallimachos-Ausgabe von SCHNEIDER 2, 1873, Fr. TI noch als ein Epigrammfragment betrachtet wurde. Richtig ist die Einordnung bei WILAMOWITZ 1924, 1, S. 180 Anm. 1.

228

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

daß als existent betrachtet wird, sondern nur noch von der Erinnerung daran, die

auf indirekte Weise durch die Aitia bewahrt wird.'" Daß die Person des Sprechers

selbst - von welchem Ort des Hades auch immer seine Stimme kommt - hier wichtiger und vor allem wissender ist als ihre Gedenkinschrift, hat noch einen weiteren

Grund. Die literarische Form des Grabepigramms, auf die die Verse 7ff. anspielen, steht in besonderer Beziehung zu Simonides, der selbst als Urheber zahlreicher Epigramme bekannt war.'” So rühmt er sich in V. 10 als Erfinder der μνήμη, der Technik des Erinnerns, die als Mnemotechnik nicht nur in der Rhetorik, sondern

auch beim offiziellen Gedenken an die Toten von Nutzen war. Genau diese Fähigkeit ist es, die ein Epigramm, das er auf sich selbst verfaßt haben soll, feiert. Es

spielt zudem

mit der doppelten

Bedeutung

von

μνήμη

als Gedächtnis

und

Nachruhm (Ep. 146 BERGK = 89 WEST): μνήμην δ᾽ obrıva φημι Σιμωνίδηι ἰσοφαρίζειν ὀγδωκονταέτει παιδὶ Λεωπρέπεος. In der Erinnerung, sage ich, kommt keiner dem Simonides gleich, dem acht-

zigjährigen, dem Sohn des Leoprepes. Aristides, der das Distichon überliefert hat, versteht die Verse interessanter-

weise als ein Eigenlob des Simonides, das er zitiert, um sich seinerseits gegen den

Vorwurf des Eigenlobs zu immunisieren. Wenn auch das Epigramm möglicher-

weise eher der Simonideslegende als der Selbstwahrnehmung des keischen Dichters zuzuschreiben ist, so besteht doch eine Pointe darin, daß Simonides für seine μνήμη gar kein μνῆμα benötigt. Die Gestaltung des Sprechakts in Fr. 64 als einer

Rede des Verstorbenen nach dem Vorbild des Grabepigramms bietet jedenfalls eine gute Gelegenheit, Simonides als einen Quell des Wissens und der Erinnerung darzustellen und

den

'heiligen Mann'

als einen Gelehrten zu portrátieren,

dessen

Ruhm keines Monumentes mehr bedarf. 11

Vgl. hierzu BiNG 1988a, S. 67f.: ,, Simonides does not appear to have risen from the dead, yet neither does he speak through the medium of his tombstone. The medium seems rather to be Callimachus who impersonates the dead man, allowing him to borrow his voice in order

12.

to speak not from, but about his tombstone ...".

C. M. BowRA, Early Greek Elegists, Cambridge ?1960 (Harvard !1935), S. 174-193 und 1961, S. 321f., BiNG 1988a, S. 68f. Kallimachos erwähnt Simonides noch einmal in Fr. 222. Zu Kallimachos und Simonides vgl. jetzt R. HuNTER, The Poet Unleaved. Simonides and Callimachus, in: D. BOEDEKER / D. SipER (Hgg.), The New Simonides. Contexts of Praise

13 14

and Desire, New York / Oxford 2001, S. 242—254. GOLDMANN 1989, S. 52. Seinem Zeugnis folgt GOLDHILL 1988, der die Echtheit des Epigramms vorsichtig verteidigt. Das Selbstlob des Simonides habe einen charakteristischen selbstironischen Ton, der in den Anspielungen auf das klassische Formular des Epigramms bestehe, vgl. ebd. S. 189ff. (Literaturbericht zum Distichon des 'Simonides' ebd. S. 189 in Anm. 2) und S. 196: „The poem

is not merely self-praise, but self-praise that proceeds through self-mocking of parodic citation." Zu Ironie und Anspielungen bei Simonides s. GENTILI 1968, S. 41. Hinweise auf die Form des Grabepigramms sind nach GOLDHILL μνήμη an erster Position und φημί, vgl.

Kallimachos Ep. 15, 3. GoLpHILL 1988, S. 192-194 argumentiert gegen VAN BUREN, daß μνήμη hier dasselbe wie μνῆμα bedeuten könne. Ob die sogenannte simonideische Ironie

aber nicht doch hellenistischen Ursprungs ist, scheint mir noch nicht ausgemacht.

Elegische Dichtungen

229

1.2. Dialoge mit Statuen (Fr. 114, 1-9, Fr. 7, 9-14) Das sehr zerstörte Fr. 114, das vielleicht ebenfalls aus dem dritten Buch der

Aitia stammt, zeigt die Reste eines Dialogs zwischen einem Fragenden und einer höchst merkwürdigen Statue des Delischen Apollon (Fr. 114, 1-9):

ἸκικλῈ!} ef In πολυγώνιε, χαῖρε [

πα]ιδὸς ἐπὶ προϑύροις.

;] ναί, Δήλιος᾽: * o6 yernl

]v;' ναὶ, μὰ τὸν αὐτὸν ἐμέ.

1] ναί χρύσεος᾽: “ἢ κλεᾳφᾳ!

Ἰζῶμᾳ μέσον στ[ρέφεται σκαιῇ μὲν ἔ]χεις χερὶ Κύνϑιε τίόξον, τὰς δ᾽ ἐπὶ δεξιτερῇ] σὰς; ἰδανὰς Χάριτας; ... Vieleckiger, sei gegrüßt ... .. auf der Schwelle des Knaben. ... Ja, delisch.' “Bist du wirklich .. ... Ja, bei mir selbst.’ ... ‘Ja, golden.’ ...

.. umgibt dich ein Gürtel in der Mitte . und hältst du in der linken Hand, Kynthios, den Bogen, auf der rechten aber deine bezaubernden Chariten?

Aus

den

wenigen

Versen

geht hervor,

daß

das elegische

Fragment

die

Sprechsituation eines dialogischen Denkmalepigramms verwendet. Zwei kurze und eine lange Frage sind in Fr. 114 bis V. 9 zumindest teilweise erhalten, darauf folgt in V. 10-17 die Antwort des Gottes. Der fiktive Fragende muß sich der Sta-

tue gegenüber befinden, denn er grüßt sie direkt und bezieht sich dabei auf das, was er im Augenblick der Unterredung vor sich sieht. Die Szenerie klingt sowohl in der Erwähnung des Standorts ἐπὶ npo9ópoic ^ als auch in der Beschreibung des Gottes an. Warum dieser mit toAvuyóvie (V. 2) bezeichnet wird, ist nicht ganz klar." Dahinter könnte sich aber das Motiv für die Neugier des Fragenden verbergen, der sich offensichtlich wundert und vom Auskunftgeber mehrfach überzeugt werden muß. Vergleichbar ist hier aber auch die Rückfrage des epigrammatischen

"Wanderers' in Ep. 13, 1: Ἦ ῥ᾽ ὑπὸ coi Χαρίδας ἀναπαύεται; ... Ruht wirklich Charidas unter dir?" ... 15

So PFEIFFER 1, 1965, S. 127 zu V. 4-17 (mit Blick auf Ep. 13, 34 und 61) und jetzt auch G. B. D'ALESSIO, Apollo Delio, i Cabiri Milesi e le cavalle di Tracia. Osservazioni su Callimaco Frr. 114-115 Pf., ZPE 106, PAGE = Anth. Plan. 275). Zu 1960, S. 63-65 (= S. 26-28); KassEL 1983, S. 7-12; HARDER

l6 17

1995, S. 5-21, hier 8-13 (mit Blick auf Posidippus 19 σον / einer vorsichtigen Interpretation s. ferner PFEiFFER 1952 / FRASER 1972, 2, S. 1026 Anm. 114, S. 1085 Anm. 428; 1998, S. 99.

Vgl. Ep. 24, 2. Gemeint ist: ‘vor dem Tempel’, s. MANAKIDOU 1993, S. 229 und Anm. 26. Vgl. PFEIFFER 1, 1965, S. 127 zu V. 2.

230

Epigrammatische Sprecherrolien bei Kallimachos

PFEIFFER, der bezweifelt, daß der Fragende überhaupt die sonst in den Aitia dominierende persona des Dichters ist, glaubt, es handele sich um „possibly a

stranger coming to the sacred island, perhaps a pilgrim or a merchant or an 'antiquarian'^. Diese Figur entspräche genau der Rolle eines Epigrammlesers, doch ist es natürlich nicht auszuschließen, daß sich im Fall dieses Aitions die persona des Dichters in eine ursprünglich epigrammatische Rolle begeben hat. Der Dialog mit dem Gott beabsichtigt offenbar ein Spiel mit der Personifikation: Ist dieser vieleckige Apollon anthropomorph, ein Kunstwerk oder noch eine

andere Art der góttlichen Erscheinung? Dieses Spiel erreicht mit dem Schwur bei sich selbst in V. 5 einen vorübergehenden Hóhepunkt. Erzielt wird der Effekt zum einen durch die personale Perspektive des sprechenden Gegenstands, zum anderen durch die Hinweise auf sein Aussehen, die dem Betrachter die Identifizierung mit der menschengestaltigen Erscheinungsform des Gottes schwierig erscheinen lassen. Die Art der Pointe erinnert an die kallimacheischen Weihepigramme, insbesondere

an diejenigen, die doch sehr merkwürdige Gegenstände vor Augen führen. Der

Zusammenhang von Fr. 114 legt nahe, daß es sich hier um eine poetische Strategie der Buchdichtung handelt, die an die bildliche Vorstellungskraft, insbesondere an

das personifizierende Denken des Lesers appelliert. Die Vorstellung, daß Apollon vieleckiger Klotz, bildliche Statue, sprechendes Subjekt und weiteres mehr zur selben Zeit ist, kann dann am ehesten nachvollzogen werden, wenn man die Statue gar nicht vor Augen hat. Auch in den ersten beiden Büchern der Aitia werden Informationen in der Art eines Dialogs präsentiert, den — in diesen Fällen eindeutig— die persona des Dich-

ters mit verschiedenen Góttinnen führt. In den Frr. 3 und 7, 19-21? wendet sich der Sprecher an die Musen, um die Ursachen bestimmter Riten zu erfahren. In Fr. 7, 9-14 sind die Chariten sein Gegenüber:?! ]ες &vetpov[gc]

ὧ)ς ἀπὸ κόλπου

μητρὸς Ἐλειϑυίης ἤλϑετιε pj οιυλομένης,

ἐν δὲ Πάρῳ κάλλη τε καὶ αἰόλα βεύδε᾽ ἔχουσαι en ἀπ᾽ ὀστλί yyov δ᾽ αἰὲν ἀλειφα ῥέει,

ἔλλατε νῦν, ἐιλέγοισι [6j ᾿ἐνιψήσασϑιε; Auto ac χεῖρας ἐμιοῖς, ἵνα μοῃι πουλὺ μένωσιι,)ν ἔτος. .. wie ihr ohne Gewänder auf Wunsch Eleithyias den Schoß der Mutter verlieet; in Paros aber (steht ihr) mit schönen, bunten Kleidern, von den Locken

fließt aber immer Öl herab; kommt nun, streicht mit den glänzenden Händen über meine Elegien, damit sie mır viele Jahre bleiben. 18

PFEIFFER 1952 / 1960, S. 63-65, bes. 63 und Anm. 25. Vgl. HARDER

1998, S. 99 (, unidenti-

19

Helikon entrückten Dichter im Gespräch mit Apollon. Vgl. Ep. 24 (ein Reiterheros ohne Pferd). 48 (eine weit gähnende Maske), 49 (eine halb

fied character“). KASSEL 1983, S. 9 meint wohl zu Unrecht, die Szene zeige den auf den

verkohlte Maske), 55 (eine monstróse Lampe).

20

Die Antwort der Musen erfolgt in V. 23f., vgl. auch Fr. 31b (PFEIFFER 2, 1953, S. 108), Fr. 43, 56f.

21

Zum Gespräch des Dichters mit den Musen und den Chariten s. A. M. HARDER, Aspects of the structure of Callimachus’ Aetia, in: HARDER / REGTUIT / WAKKER 100—106.

1993, S. 99-110, hier

Elegische Dichtungen

231

Hier sind zunächst die Góttinnen selbst, dann aber auch, wie in £p. 51, ihre

Bildnisstatuen angesprochen. In dem Gebet des Dichters an die imaginären Chariten (V. 13f.) werden diese wieder in Bewegung versetzt und damit lebendig. In Fr. 114, V. 5 antwortet der Gott dem Fragenden nicht nur mit einer einfa-

chen Bestätigung, sondern mit einem Schwur: “ναὶ, μὰ τὸν αὐτὸν Auf.’ Er verwendet dazu eine gängige Schwurformel, doch kommt das letzte Wort recht unerwartet: Apollon schwört bei sich selbst! Daß Schwüre von Göttern besondere Glaubwürdigkeit besitzen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Aber bei welchem Apollon schwört der Gott? Dem vieleckigen, dem anthropomorphen Bogenträger oder einem abstrakten göttlichen Walten? Während sich der auskunftgebende fiktive Sprecher dieser Elegie seines Wissens anscheinend

sehr sicher ist, bleibt der

reale Leser im unklaren. Auf diese Weise wird er dazu animiert, seine ganze Vorstellungskraft, aber auch seine Bildung zu aktivieren.

1.3. Monologische Anrede an ein Gótterbild (Fr. 100, Fr. 103) Neben Fr. 114 sind in den Aitia noch weitere Fragmente erhalten, in denen Götterstatuen zum Ausgangspunkt einer aitiologischen Erzählung gemacht werden.” Fr. 100 aus dem 4. Aitienbuch bietet nicht die Rede eines Bildes, sondern

aus der umgekehrten Perspektive die Anrede eines Betrachters an die Bildnisstatue der samischen Hera (V. 1ff.): οὔπω Σκέλμιον ἔργον EbEoov, ἀλλ᾽ ἐπὶ τεϑμόν δηναιὸν γλυφάνων ἀξοος ἦσϑα cavíc ὧδε γὰρ ἱδρύοντο ϑεοὺς τότε" καὶ γὰρ᾿Αϑήνης ἐν Λίνδῳ Δαναὸς λιτὸν ἔϑηκεν ἕδος Du warst noch nicht das gutgeglättete Werk des Skelmis, sondern nach altem Brauch ein vom Schnitzmesser ungeglättetes Brett. Denn so errichteten sie damals die Götter. Denn auch das schlichte Bild der Athene in Lindos stellte

Danaos auf ... Zu Beginn der Elegie fehlen wenige Verse, in denen eine direkte Anrede des

Sprechers an das Bild gestanden haben kónnte.^' Das gegenwärtige — diesmal sehr zufriedenstellende — Aussehen der Statue erinnert den Sprecher an ihre urtümlichrustikale Vorgängerin. Anstatt das vorhandene Kunstwerk zu loben, demonstriert

er sein Wissen über die Götterbilder der griechischen Frühzeit. Die vertrauliche 22

Vgl. die Epigramme des Kallimachos, in denen sprechende Gegenstände auf sich selbst als Sprecher verweisen, besonders im Zusammenhang mit dem Motiv der Wahrheitsbeteuerung (z. B. Ep. 49, 54 und 56). PFEIFFER 1952 / 1960, S. 63 sowie ebenda Anm. 26a (Nachtrag zu 1952) kennt für diese Form des Schwurs bei sich selbst keine Vorbilder, verweist aber auf Aristoph. Av. 1614, wo Poseidon vn τὸν Ποσειδῶ schwört; weitere Parallelen aus der

23

24

Komödie hat KASSEL 1983, S. 9 gesammelt. In Fr. 101 (Ἥρῃ τῇ Σαμίῃ περὶ μὲν τρίχας ἀμπελος ἕρπει) ist allerdings keine Sprechsituation mehr erhalten, siehe hierzu FRASER 1972, 2, S. 1020 Anm. 96; zur Beschreibung der Bildwerke bei Kallimachos generell MANAKIDOU 1993, hier S. 222-225. Vermutlich ist nur ein Distichon verloren, vgl. PFEIFFER 1, 1965, S. 104 zum Anfang des Aitions.

232

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Wendung an das Du personalisiert das Bild, das jedoch nicht Subjekt des Satzes ist. Der Sprecher stellt die Göttin dar, als stellungen durch die Menschen, sich im Brett zu einem Kunstwerk verändert. Die Göttin wirkt wie eine Persiflage auf den

habe sie selbst, nicht ihre bildlichen DarLaufe der Zeit von einem ungehobelten Anrede „Du warst ein Brett ...“ an eine hymnischen Du-Stil.”” Diese Thematisie-

rung des Kunstcharakters gehórt nicht in den Hymnus, sondern ins Epigramm. Die Kreuzung hymnischer und epigrammatischer Anredeformen hat hier, wo es sich zudem um keinen sehr erhabenen Gegenstand handelt, eine eigentümliche Wirkung. Man fragt sich, warum gerade Kallimachos für seinen Sprecher eine Sicht des Gótterbilds wählt, der die Aufgeklärtheit selbst des Xenophanes fehlt. Die Kritik des Anthropomorphismus durch den Kolophonier ist in diesem Zusammenhang auf-

schluBreich:?* ἀλλ᾽ οἱ βροτοὶ δοκέουσι γεννᾶσϑαι ϑεούς, τὴν σφετέρην δ᾽ ἐσθῆτα ἔχειν φωνήν τε δέμας τε. Aber die Menschen glauben, daß die Götter geboren werden, daß sie ihre

Kleider, Stimme und ihren Körper hätten. Das darauf bei DIELS / KRANZ folgende Fragment des Xenophanes verspottet die Naivität der Menschen, die sich auch Bildwerke der Götter nach ihrem eigenen

Aussehen herstellen." Ebendiese schon im 6. Jahrhundert kritisierten Elemente ei-

ner nichtintellektuellen Gottesvorstellung nutzt Kallimachos für sein poetisches Spiel mit den Sprecherrollen der Statuen und ihrer Betrachter. Er betont Kleidung und Körpergestalt (Fr. 114, 7-9) und verleiht den Götterbildern schließlich sogar

Stimme, um sie in einen Dialog zu verwickeln."* Die antiquarische Gelehrsamkeit,

die im einen Fall eine Gótterstatue, im anderen Fall ihr Betrachter beweist, steht in einem für den hellenistischen Leser sicher auffälligen Kontrast zu der gänzlich unintellektuellen Auffassung des Sprechakts als eines direkten Dialogs mit den Góttern. Das Ganze ist natürlich eine Demonstration der Gelehrsamkeit des Dich-

ters selbst, jedoch auch eine Prásentation, die durch Humor die Sympathie des Lesers zu wecken weiß. Zugleich entsteht der Eindruck einer Vertrautheit von Gottheit und Mensch und damit auch einer spontanen Nähe zu den dargebotenen kul-

turhistorischen Stoffen. In Fr. 103 ist eine Anrede an den attischen Hafen-Heros Androgeos erhalten: Ἥρως à κατὰ πρύμναν, ἐπεὶ τόδε κύρβις ἀξίδει 25

S. dazu HARDER 1998, S. 107-110. In Fr. 112, 7-9 wird diese Form der Darstellung mit dem yaipe-Gruf kombiniert (S. 108), wofür es auch einige epigrammatische Beispiele gibt.

26

Xenophan. Fr. 21 B 14 D. / K. = Clem. Al. Strom. 5, 109, 2 STAHLIN / FRÜCHTEL ἡ TREU.

27 28

Xenophan. Fr. 21 B 15 D. / K. Ξ Clem. Al, Strom. 5, 109, 3 STAHLIN / FRÜCHTEL / TREU. Ganz anders wird dagegen das Verhältnis von Bild und Dargestelltem in den Fr. 84f. auf

den Lokrer Euthykles und seinc óffentliche Ehrenstatue gestaltet. Hier trennt der Sprecher zwischen Bild und Person (Fr. 85, 9f.): εἰκόν]α σὴν αὐτὴ Aokpig ἐϑηκε [πόλ]ις, / Ἰάσται Τεμεσαῖον

29

(damit ist das Material Erz gemeint) ἐπειπί. Ebenso differenziert Ep.

(εἰκόν᾽ αὑτῆς) zwischen dem Material und der Dargestellten. Vgl. PFEIFFER 1, 1965, S. 107; HARDER 1998, S. 97.

38, 2

Elegische Dichtungen

233

O Heros bei den Hinterschiffen, da das Bild” folgendes singt ... Da der komplette Kontext fehlt, kann man hier nicht einmal entscheiden, ob es

sich um eine monologische oder um eine dialogische Sprechsituation gehandelt hat. Anscheinend werden aber ein personal vorgesteliter Heros und eine sprachbegabte bildliche Darstellung in einem Atemzug genannt. Vielleicht haben personalisierte Sprecher auch in Fr. 103 eine Rolle gespielt. 1.4. Inschriftliche Liebesbotschaften (Fr. 67, Dieg. Z, Aristainetos 1, 10) Innerhalb der elegischen Erzáhlung von Kydippe und Akontios im dritten Buch der Aitia (Fr. 67-75) sind zwei Passagen rekonstruierbar, die einen epigrammatischen Charakter gehabt haben müssen. Im Unterschied zu den bisherigen Beispie-

len handelt es sich dabei jedoch nicht um die Integration des epigrammatischen Sprechakts der Grab- und Weihinschriften in einen narrativen Kontext, sondern um das Zitieren inschriftlicher Liebesbotschaften, die das Motiv der xaAóc-Inschriften variieren. Diese, die in der Regel kurz und in Prosa formuliert sind, werden erst durch die Übernahme in die elegische Erzählung zu Versepigrammen. Aus den Fragmenten der Diegesis Z und aus Aristainetos, dem Epistolographen des 5. Jh. n. Chr.,”' erfährt man von einer List, die der verliebte Akontios mit

Hilfe eines beschrifteten Apfels bewerkstelligt:”? ὡς Kuóóviov ἐκλεξάμενος μῆλον ἀπάτης αὐτῷ περιγεγράφηκας λόγον καὶ λάϑρᾳ διεκυλίσας πρὸ τῶν τῆς ϑεραπαίνης ποδῶν. ... ἡ δὲ κόρη κομισαμένη καὶ τοῖς ὀμμασι περιϑέουσα τὴν γραφὴν ἀνεγίνωσκεν ἔχουσαν ὧδε: 'μὰ τὴν Ἄρτεμιν ᾿Ακοντίῳ γαμοῦμαι᾽. ἔτι διερχομένη τὸν ὅρκον εἰ καὶ ἀκούσιόν τε καὶ νόϑον τὸν ἐρωτικὸν λόγον ἀπέρριψεν αἰδουμένη, ... Du pflücktest einen Kydonischen Apfel, schriebst um ihn herum eine listige Rede und rolltest ihn heimlich vor die Füße der Dienerin | ... ] das Mädchen

aber nahm ihn und las, mit den Augen entlanglaufend, die Schrift, die so lautete: "Bei Artemis, ich werde Akontios heiraten’. Noch während sie den Eid ablas, wenn auch als einen ungewollten und falschen Liebesschwur, warf sie ihn (scil. den Apfel) voller Scham fort, [ ... ]

Die aus einer gemeinsamen Quelle von Diegesis und Aristainetos übernom-

mene Version der Apfelaufschrift in Form eines Schwurs paßt nicht in das Metrum der Elegie. Möglicherweise haben die antiken Kommentatoren eine in die Elegie integrierte indirekte Wiedergabe der Aufschrift, die wie in Fr. 64 durch ein verbum

dicendi eingeleitet gewesen sein könnte, in eine Oratio recta umgewandelt. In der 30

Zu κύρβις vgl. PFEIFFER (wie vorige Anm.).

31

Beide Quellen sind bei PFEIFFER 1, 1965, S. 71 abgedruckt. Die Geschichte muß Fr. 72 vorausgegangen sein.

32

Aristainetos

1, 10, 26f,

36-40

MazaL.

ZAFFAGNO,

I] giuramento

scritto

sulla

narrativa 1, 1976, S. 111-119.

Zur Interpretation

mela,

Materiali

des Apfelsymbols

e contributi

per

vgl.

E.

la storia della

234

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Kydippe des Kallimachos hat dann vielleicht ein metrisches Apfel-Epigramm gestanden." Die Darstellung der Apfellektüre bei Aristainetos zeigt, da die Liebes-

werbung heimlich geschieht, möglicherweise ein leises Lesen.'^ Daß dies bei Kallimachos auch so war, ist damit jedoch nicht gesagt. Das ausgiebige Spiel, das er

ansonsten mit den verwirrenden Effekten metaphorisch 'sprechender' Inschriften und Gegenstände treibt, spricht eher dagegen. Die Pointe besteht hier darin, daß die Leserin der Inschrift nicht weiß, daß das vermeintliche ‘Ich’ der ‘sprechenden’ Inschrift in Wahrheit sie selbst ist. Diese Technik (τέχνην, Fr. 67, 3) der Leserbe-

einflussung hat Akontios, wie es zu Beginn der Episode heißt, von Eros selbst lernt (Fr. 67, 1ff.). Ob Kallımachos hier die Möglichkeit zu einem solchen Spiel den Sprecherrollen tatsächlich genutzt hat oder nur in irgendeiner Form auf bekannte Episode anspielte, muß aber vorerst offenbleiben. Die Apfelbotschaft an Kydippe ist jedoch nicht das letzte Beispiel einer

gemit eine In-

schrift, die in der erotischen Elegie Frr. 67-75 zur Sprache kommt. In der Version

des Aristainetos zieht sich der unglückliche Akontios wie ein verliebter theokritischer Hirte in die Einsamkeit Bäumen:”

der Natur zurück und

spricht dort mit den

᾿εἶϑε, ὦ δένδρα, καὶ νοῦς ὑμῖν γένοιτο Kai φωνή, ὅπως ἂν εἴπητε μόνον Κυδίππη καλή“. ἢ γοῦν τοσαῦτα κατὰ τῶν φλοιῶν ἐγκεκολαμμένα φέροιτε γράμματα.᾽ O wenn ihr doch, ihr Bäume, Verstand und Stimme hättet, damit ihr nur sagen könntet: „Kydıppe ist schön.“ ... oder doch wenigstens so viele Buchstaben in die Rinde geschnitten trüget.

Ein Vergleich der Stelle mit dem Distichon, das die Aristophanesscholien aus der Kydippe des Kallimachos zitieren, zeigt, daß der spütantike Autor die bei Kallimachos in Form einer Oratio obliqua in den Vers eingefügte Inschrift in diesem

Fall tatsächlich in Prosa und in die direkte Rede zurückübersetzt hat:^ ἀλλ᾽ Evi δὴ φχοιοῖσι κεκομμένα τόσσα φέροιτε γράμματα, Κυδίππην ὁσσ᾽ ἐρέουσι καλήν. Aber ın die Rinden geschnitten mögt ihr soviele Buchstaben tragen, wie sagen werden, daß Kydippe schön ist. 33

Von Kallimachos inspiriert ist wahrscheinlich Anth. Pal.

wenn es unter dem Namen Platons überliefert Μῆλον ἐγώ βάλλει με φιλῶν σέ τις. ἀλλ᾽ μαραινόμεϑα. Daß die Motive der sogenannten sind, hat W. Ludwig, Platons Liebesepigramme

34

5, 80 (= 'Plato' 5 FGE),

auch

und aus Kydippe Xanthippe geworden ist: Enivevoov, Ξανϑίππη" κἀγὼ καὶ σὺ platonischen Epigramme eher hellenistisch [1963], in: PFoHL 1969, S. 56-84, gezeigt.

So jedenfalls B. M. W. KNox , Silent Reading in Antiquity, GRBS 9, 1968, S. 421—435, hier 430f. Vgl. aber S. BUscH, Lautes und leises Lesen in der Antike, RhMus 145, 2002, S. 1-45.

35 36

Text nach PFEIFFER 1, 1965, S. 76 (Apparat zu Fr. 73). Fr. 73. Die Rekonstruktion von Prosainschriften auch aus den Epigrammen des Kallimachos hat die Interpreten aller Epochen gereizt. Genau darin liegt wohl auch das von Kallimachos beabsichtigte Leserverhalten.

Elegische Dichtungen

235

Daß Akontios der textinterne Sprecher war, ist sehr wahrscheinlich. Aus Aristainetos wird zudem deutlich, in welcher Szenerie er sich befindet. Auch hier redet Akontios in der Situation eines einsamen Sprechers die Báume an, und vielleicht

hat schon Kallimachos wie Aristainetos dabei verschiedene Baumarten erwähnt.” Beide Autoren lassen Akontios im Wunschmodus sprechen. Wührend sich der Akontios des Kallimachos aber wünscht, die Báume móchten eine 'sprechende'

Inschrift tragen, und sich damit eng an die traditionelle mündliche Beschreibung der schriftlichen Kommunikation hält,’” zergliedert Aristainetos den Sprechakt in eine mündliche und eine schriftliche Komponente. Er läßt die angeredeten -- und damit personalisierten - Bäume zu Sprechern werden und nimmt im Gegenzug den γράμματα die Stimme. Das Quantitätsargument (‘soviele Buchstaben, wie sagen

werden ...^) erinnert an die Darstellung der Namensinschrift des Theris-Epigramms (Ep. 11: στίχος ob μακρὰ λέξων / ... ἐπ᾿ ἐμοὶ δολιχός), in dem die Rede des inschriftlichen Verses und der Träger der Inschrift zueinander in Beziehung gesetzt

werden. Dies ist mit Sicherheit nicht poetologisch im engeren Sinne zu deuten, zeigt aber eine gewisse Obsession des jeweiligen fiktiven Sprechers, was den Akt des Schreibens und vielleicht auch den Akt des Lesens betrifft. Der Akontios des Kallimachos wünscht sich, daß die Bäume eine kaAöc-In-

schrift trügen, doch záhlt er in Gedanken die Buchstaben und nicht den Wald von Inschriften, um den es doch eigentlich geht. Auch in dieser mentalen Strukturie-

rung, die den Umweg über unerwartete Argumente liebt, gleicht der Sprechakt des Aitienverses der Präsentation von Gedankengängen in den kallimacheischen Zpigrammen.” 1.5. Monologische Ich-Rede von Gegenständen (Fr. 110, Fr. 97)

In der Locke der Berenike (Coma Berenices, Aitia IV, Fr. 110)” berichtet ein geweihter Gegenstand in der 1. Person von den Umständen seiner Weihung. Die 37

Zu φηγοῖς ὑποκαϑήμενος ἢ πτελέαις (Aristainetos 1, 10, 57 MAZAL, s. PFEIFFER 1, 1965, S. 76) vgl. Kallimachos /7ymn. 3, 120 und 6, 27 (πτελέη) sowie Ait. Fr. 186, 15; Jamb. 5, Fr. 195, 32; Hymn. 3, 239 (φηγός). Baumarten - sowohl die wilden als auch die kultivierten Sorten — werden überhaupt recht häufig erwähnt, vgl. u. a. Hymn. 4, 79-85 (die Bäume des Helikon); Hymn. 6, 27f. (der heilige Hain der Demeter), Jamb. 4 (der Streit von Lorbeer und Olive), hier bes. Fr. 194, 13, 65 und 96.

38 39

Vgl. Fr. 64, 7f.: τὸ γράμμα / ... τὸ λέγον. Ep. 11, 1: στίχος οὐ μακρὰ λέξων, Vgl. Theokr.

18, 47£.: γράμματα

δ᾽ ἐν φλοιῷ

γεγράψεται,

ὡς παριών

ug / avveiun

Δωριστί' ᾿σέβευ᾽ μ᾽ Ἑλένας φυτόν ein.’ Hier liegt die Pointe darin, daß man den Leser dorisch sprechen läßt. Die Stelle zeigt im übrigen die Integration einer Inschrift in den Hexameter, wobei der Dichter mit ὡς παριών τις nahtlos zu der Sprechhaltung eines Epigramms überleitet. S. ferner Anth. Pal. 12, 129 und 130, 3f. (ob δρυὸς οὐδ᾽ ἐλάτης ἐχαράξαμεν οὐδ᾽ ἐπὶ τοίχου / τοῦτ᾽ Enog [scil. '&kaXóg'] ἀλλ᾽ Ev ἐμὴ ἰσχετ᾽ Ἔρως κραδίᾳ), ein Kallimachos rezipierendes Epigramm über kaAoc-Graffiti, das die Schriftkritik des 5. und 4. Jahrhunderts wiederaufzunehmen scheint.

40

Zur Rekonstruktion des Inhalts vgl. R. PFEIFFER, BEPENIKHX

TIAOKAMOZ

[1932], in:

Kallimachos 1975, S. 100—152; H. HERTER, Die Haaröle der Berenike [1971], in: Kallımachos 1975, S. 186-206; S. WEST, Venus Observed? A Note on Callimachus, fr. 110, CQ

N. S. 35, 1985, S. 61-66 (= WEST 19852); zu den historischen Zusammenhängen WEBER 1993, S. 266, 313-315.

236

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Anredestruktur ist einerseits durch die lateinische Übersetzung des Kallimachostextes durch Catuli," andererseits durch das in V. 7 erhaltene ne Κόνων ἔβλεψεν gesichert, das sich auf den Hofastronomen Ptolemaios’ III. bezieht, der die vergöttlichte Locke, die Berenike für ihren Gatten im Arsinoe-AphroditeTempel weihte, zuerst am Himmel gesehen haben soll." Der Vergleich von Fr. 110 mit der Version des Catull en detail hat ergeben, daß Kallimachos die Rede in der 1. Person und die Apostrophe wesentlich häufiger benutzt, als es die verschiedenen

Umsetzungen des Catull in die 3. Person vermuten lassen könnten.“ Die Vielfalt der Redeformen

und ihre Herkunft aus verschiedenen

Gattungen,

aber aus dem Epigramm, hat HARDER 1998 zusammengefaßt:*

insbesondere

„Ihus the narrative voice seems to hover between epigrammatic explanation

on behalf of a reader / spectator, encomiastic address of Berenice in 'Du-Stil' [ ... ] and reflection which may contain occasional apostrophe.“

Der epigrammatischen Sprechhaltung vergleichbar ist die Rede der von Selenaia an Arsinoe-Aphrodite geweihten Muschel in dem ausführlich berichtenden Ep. 5 (= 14 Gow / PAGE). Auch dieses Gedicht beinhaltet die phantastische Reise

eines Gegenstands, hier der selbständigen 'Schiffahrt' einer Muschel, zum Ort der Bestimmung.“ In ähnlicher Weise erzählt die Locke in Fr. 110, 51ff. von ihrer al-

lerdings unfreiwilligen Reise vom Kap Zephyrion zu den Góttern und Sternen. Die V. 61—64 der Locke enthalten eine Selbstvorstellung der Sprecherin, die einer epigrammatischen Präsentation vor einem Publikum von Betrachtern gleicht: φάεσ]ιν ἐν πολέεσσιν ἀρίϑμιος ἀλλ[ὰ γένωμαι kai Βερ]ενίκειος καλὸς ἐγὼ πλόκαμίος, ὕδασι] λουόμενόν με παρ᾽ ἀϑαίνάτους ἀνιόντα Κύπρι!ς ἐν ἀρχαίοις ἄστρον [ἔϑηκε νέον. 41

Catull. 66; zum Verhältnis der beiden Dichtungen zueinander s. HUTCHINSON 1988, S. 322324,

42

Ein epigrammatisches Motiv zitiert V. 51: ἀρτι [vJeözuntöv pe κόμαι ποθϑέεσκον ἀδε[λφεαί (‘als soeben erst Abgeschnittene betrauerten mich meine Haar-Schwestern'); so

finden sich in CEG 2 für das 4. Jahrhundert acht Belege für ποϑεῖν als Klage der Hinterbliebenen. Möglicherweise endete die Elegie mit einem xaipe-Gruß an Berenike (vgl. PFEIFFER 1, 1965, S. 122 z. St), der aus Epigrammen, aber auch aus Hymnen bekannt ist, vgl.

43

HARDER 1998, S. 108. PFEIFFER 1932 / 1975, S. 112: „Die traditionelle Form des Exemplum in der epischen Rede ist also in ein bewegtes, lebhaftes, antithetisches Spiel von Anrede und Fragen aufgelockert;

der Übersetzer hat uns diese, uns ja aus vielen anderen Beispielen bekannte Feinheit kalli44

45

macheischen Stils verwischt." HARDER 1998, S. 99,

Zu Ep. 5 vgl. G. GIANGRANDE, Three Alexandrian epigrams, API 167, Call. E. 5, AP 12, 91, in: Papers of the Liverpool Latin Seminar 1976, Classical Latin poetry, Medieval Latin poetry, Greek poetry, Liverpool 1977, S. 253-270 = SMA I, S. 271-288 und K. J. GurzWILLER, The Nautilus, the Halcyon, and Selenaia. Callimachus's Epigram 5 PFEIFFER = 14 G.-P., ClAnt 11, 1992, S. 194-209, wo die Anspielungen auf das biologische Vokabular des Aristoteles diskutiert werden, und WEBER 1993, S. 257f. Eine genauere Datierung ist, wie bei allen Epigrammen des Kallimachos, nicht möglich.

46

Vgl. Fr. 110, 51-67.

Elegische Dichtungen

237

... sondern daß ich unter die Vielzahl der Lichter gezählt werde, ich, die schöne Locke der Berenike, feucht von Wasser hat mich Kypris unter die Unsterb-

lichen versetzt als einen neuen Stern unter alte.

Mit der Sprechhaltung der Muschel in Ep. 5 hat die Rede der Locke schließlich die leicht bedauernde Reflexion über ihren einstigen und jetzigen Zustand gemein-

sam." Dieser Aspekt ist allerdings in Fr. 110 stärker herausgearbeitet, in dem die Klage der Locke um die Entfernung von ihrer ‘Herrin’ als ein Kompliment für die

Königin Berenike und ihr Haar zu verstehen ist. Die Personalisierung der Sprecherperspektive ist jedoch keine in jeder Hinsicht realistische Psychologisierung. In Ep. 5, 9 verweist εἰμὶ γὰρ ἄπνους auf den Objektcharakter des dedicatum und damit auf das Paradoxon der Sprecherfiktion. Diesen für den Leser irntierenden

Effekt verwendet Kallimachos auch in seinem pseudosepulkralen Epigramm auf Timon," um eine absurde Dialogsituation — ein ‘Toter’ informiert einen ‘Wande-

rer’ über das Schicksal nach dem Tod - zu persiflieren. Die Geschichte einer Vergöttlichung aus dem Munde des betroffenen Subjekts in Fr. 110 bietet dem Dichter

Gelegenheit, einen Kontrast zwischen der erwarteten Einheit der Sprecherrolle und der in sich widerspruchsvollen 'pluralen' Identität einer Personifikation zu inszenieren. In der neueren Forschung hat man dies bisweilen als „Künstlichkeit“ und

bewußte Brechung der Perspektive interpretiert, die eine Distanz zur offiziellen ideologischen ‘Doktrin’ offenbare.” Die Frage ähnelt damit der Diskussion über eine mógliche kritische Distanznahme des Kallimachos hinsichtlich allgemein verbreiteter religiöser Vorstellungen in seinen 'inschriftlichen' Epigrammen. Die Annahme, daß sich hinter der Gestaltung der fiktiven Sprecherrollen in den Dichtungen des Kallimachos eine solche Strategie der Distanzierung verbirgt, entspricht vielleicht dem heutigen Empfinden. Es gilt jedoch zu bedenken, daß die 'Künstlich-

keit’ des Sprechakts — zumindest was das Epigramm betrifft - kein neues Element in der Tradition der griechischen Dichtung darstellt. Das Spiel mit den Facetten der Personifikation, auch die extreme Personalisierung, die sich besonders in der für ein veritables Opfer psychologisch plausiblen Klage der Locke zeigt,” ist nur eine Steigerung typisch epigrammatischer Effekte, die ähnlich offenbar auch schon in der attischen Komödie genutzt wurden. Für den Leser eines solchen Gedichts ist diese Art der Präsentation, die in besonderer Weise an die Vorstellungskraft des

Rezipienten appelliert, ästhetisch überaus reizvoll. 47

Vgl. besonders Ep. 5, 9f: μηδέ nor ἐν ϑαλάμῃσιν ἐϑ᾽ ὡς πάρος (εἰμὶ γὰρ ἄπνους) / τίκτηται voteprig ὥεον ἀλκυόνος und Fr. 110, 75-78: οὐ] τάδιε) μοι τοσσήνδς φιέ ρει χάριν ὄσίσο)ν ἐκείνης / ἀϊσχάλλω κορυφῆς οὐκέτι ϑιξόμενίος, / rg ἀπο, παρἰ[ϑ]ενίη μὲν óc ἣν en, πολλὰ πέπωκα / λιτά, γυναικείων δ᾽ οὐκ ἀπέλαυσα μύρων sowie die Parallele zwischen ὄφρα δὲ] ... [γένωμαι (V. 59-61, allerdings von PFEIFFER ergänzt) und

48

49 50

Ep. 5,7. Ep. 4, 1: οὐ γὰρ Er’ ἐσσί. Ein typisch epigrammatischer Verweis auf den Kunstcharakter des Gegenstands ist in Ep. 5, 8 die Einbeziehung des potentiellen Betrachters, die durch περίσκεπτον impliziert ist (zu diesem Motiv vgl. z. B. MERKELBACH / STAUBER 01 / 01 / 13. V. 2: γνωτὸν àyaX pa). WEBER 1993, S. 267 im Anschluß an E. R. SCHWINGE, Künstlichkeit von Kunst. Zur Geschichtlichkeit der alexandrinischen Poesie, München 1986, S. 70. Vgl. auch die Frage in V. 47: ti πλόκαμοι ῥέξωμεν;

238

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Über Fr. 97: Τυρσηνῶν τείχισμα Πελασγικὸν εἶχέ με γαῖα läßt sich auch

mit Hilfe der Diegesis wenig ermitteln.”' Falls es um die Errichtung der Mauer ging, so wäre Fr. 97 möglicherweise eine in die Aitia integnerte, ausführliche Bauinschrift, in der eine Mauer ihre Geschichte in der 1. Person erzählt. 1.6. Epigrammatische Sprechakte in Siegesliedern (Fr. 384, 44—52, SH 254, 1—4)

Die Parallelen zwischen der Locke der Berenike und dem Weihepigramm sind durch das verwandte Thema der Stiftung eines Gegenstandes begründet, auch wenn der Ort des Sprechakts des 'Epigramms' innerhalb der Aitia inkonkret bleibt. Eine solche inhaltliche Verwandtschaft zum dedikatorischen Epigramm liegt auch im Fall der beiden erhaltenen Enkomien des Kallimachos vor, dem Sieg des Sosi-

bios (Σωσιβίου Νίκη, Fr. 384) und dem Sieg der Berenike (Victoria Berenices, SH 254)." Beide Gedichte kombinieren den Aufbau des pindarischen Preislieds mit

Formen oder Motiven des elegischen Weih- und Siegerepigramms." In den Versen

44—49 des Epinikions für Sosibios erwáhnt Kallimachos zwei Weihgeschenke im Rahmen einer Aufzählung der Siege des Empfängers. Zunächst geht es um einen

Sieg des Sosibios im Diaulos (Fr. 384, 44-46):* ἀμφοτέρων ὁ ξεῖνος ἐπήβολος: οὐκέτι γυμνάς

παῖδας ἐν Ἡραΐῳ στήσομεν Εὐρυνόμης." ὡς φαμένῳ δώσει τις ἀνὴρ ὁμόφωνον ἀοιδήν. Beider war der Fremde teilhaftig: nicht mehr nackt werden wir die Töchter der Eurynome im Heraion hinstellen. Einen. gleichlautenden Gesang wird einer demjenigen geben, der so redet.

An dieser ersten Stelle wird eine Weihgabe des Sosibios genannt, die vermutlich ein Relief oder eine Statuengruppe der bekleideten Chariten darstellte. Die Lücke vor V. 44 ist die Ursache dafür, daß wir den Sprecher der Verse (pan£vo, V. 46) nicht mehr kennen. Plausibel erscheint die Erklárung von WILAMOWITZ und anderen, daß hier vielleicht ein argivischer Priester der Hera spricht, für den der

5]

.Von den Tyrrhenern hatte mich, die pelasgische Mauer, das (kekropische?) Land ...“: PFEIFFER 1, 1965, S. 102f. Vgl. Dieg. IV, 3f. zu den Aktivitäten der Pelasger in Athen: kai

τοῦ ποιηϑέντος ὑπ᾽ αὐτὼν τείχους. GUTZWILLER 1998, S. 187 und HARDER 1998, S. 97 erwähnen das Fragment nur als ein weiteres Beispiel für eine epigrammatische "Stimme", 52

deren Herkunft allerdings unklar sei. Die Elegie ist zugleich das Proómium zum 3. Buch der Aitia, vgl. LLOYD-JONES / PARSONS in SH, S. 100 (mit der Forschungsdiskussion zur Rekonstruktion des Aufbaus der Aitia) und

S. 110. 53

Zur Verwandtschaft mit dem Epigramm s. besonders FUHRER 1992, S. 100 (Victoria Berenices) und 190 (Σωσιβίου Νίκη). Das entsprechende epigrammatische Vergleichsmaterial ist dort und in einem Anhang auf S. 243f. zusammengestellt.

54

FuHRER 1992, S. 168 und 189, zu den beiden Weihungen im einzelnen ebd. S. 161-168;

55

WEBER 1993, S. 249f., 324. FUHRER 1992, S. 161 und Anm. 616. Zur Einkleidung der Chariten vgl. auch Fr. 7, 9-14. Typisch kallimacheisch ist die Gleichsetzung von Statue und Gottheit selbst.

Elegische Dichtungen

239

Stifter Sosibios ein ξεῖνος ist.” In der direkten Rede läge damit eine charakteristische Personalisierung der Sprecherperspektive vor. Die Einführung mehrerer Sprecher ermöglicht Kallimachos auch die Apostrophe an verschiedene fiktive Adressaten, insbesondere an Ptolemaios I. in V. 39-41. Wenngleich Aktanten und Lokali-

sierung des fiktiven Sprechakts in den zitierten Versen nicht mehr mit letzter Sicherheit geklärt werden können, so wird doch deutlich, daß die Preisrede des An-

onymus in V. 44-46 nicht nur an den hymnischen Preisredner, sondern auch an die epigrammatische Sprecherrolle des bewundernden Betrachters angelehnt ist. Ein direktes Epigrammzitat benutzt Kallimachos dagegen für die Darstellung

einer zweiten Weihgabe, die der Sprecher selbst gesehen haben will (Fr. 384, V. 47-50): τοῦτο μὲν ἐξ ἄλλων ἔκλυον ἱρὸν ἐγώ, κεῖνό γε μὴν ἶδον αὐτός, ὃ πὰρ ποδὶ κάτϑετο Νείλου νειατίῳ, Κασίην εἰς ἐπίκωμος ἅλα" 'Κυπρόϑε Σίδονιό!ς μ!|ε κατήγαγεν ἐνθάδε YaLbAJOG ...' Von diesem Weihgeschenk habe ich von anderen gehört, jenes aber habe ich selbst gesehen, das er an der äußersten Mündung des Nils hinstellte, als er mit seinem Festzug zum Kasischen Meer kam: ‘Von Kypros brachte mich hierher ein sidonisches Schiff [ ... ] ”

Während in den Versen 47-49 die persona des Epinikiendichters von den durch Sosibios geweihten Denkmälern berichtet, beginnt ab V. 50 eine epigrammatische Ich-Rede des Weihgegenstands, der offenbar importiert wurde und wie die Locke der Berenike oder die Muschel in Ep. 5 von einer Reise zu berichten weiß. Diese Reiseschilderungen sind die ‘Biographie’ des geweihten Gegenstands. Die

direkte Wiedergabe des Epigramms beginnt allerdings unvermittelt, der wechsel wird nicht angekündigt. Es scheint, als zitiere der Sprecher die die er sich anläßlich eines Besuchs vor Ort notiert oder gemerkt hat. mnemonischen Fähigkeiten beweist der fiktive Sprecher offenbar auch 7f., die ebenfalls eine direkte Rede einleiten:

SprecherInschrift, Dieselben in den V.

σημερινὸν δ᾽ ὡσεί περ ἐμὸν περὶ χεῖλος ἀΐσσει τοῦτ᾽ ἔπος ἡδείῃ λεχϑὲν ἐπ᾽ ayyelin'

Als wäre es heute, kommt mir das Wort von den Lippen, das auf die süße Nachricht hin gesprochen wurde: ...

Wenn es hier um die imaginäre mündliche (Wieder-)Aufführung eines Siegeslieds geht, so können die V. 47-49 als die Einleitung zu einer Epigrammrezitation verstanden werden. 56

WILAMOWITZ

1924, 2, S. 91, vgl. FuHRER

1992, S. 164 und Anm. 630. Zu überlegen wäre

vielleicht aber auch, ob es sich um einen anonymen Sprecher (τις) wie u. a. in Jamb. 1, Fr. 191, 78 handeln kónnte.

57

Übersetzung nach FUHRER 1992, S. 249; zur Interpungierung und zur Interpretation von ἐπκίκωμος, das man auch als "im Lande weilend' verstanden hat, s. dort S. 166 und Anm.

639. Zur kasischen Nilmündung vgl. WEBER 1993, S. 397 mit Anm. 4.

240

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Die mögliche Beeinflussung durch das hellenistische Siegerepigramm ist im Fall des zweiten kallimacheischen Epinikions, der Victoria Berenices (SH 254-

268), in der Forschung umstritten.’® Das Epinikion des Kallimachos, so das Ergebnis der Untersuchung von FUHRER 1992, wird in den Versen 1ff. als eine Weihgabe an die Götter präsentiert, so daß das Gedicht selbst „sozusagen eine Verschmelzung von Weihepigramm und geweihtem Kunstwerk“ darstellt. Dagegen betont HARDER den Buchcharakter der Elegie („text-as-a-written monument"), die

durch die Assoziation mit der Locke der Berenike auf den Zusammenhang der Aitia und damit auf einen Text, nicht aber auf ein Monument verweise. Wenn wir

den Beginn des elegischen Preislieds betrachten, so füllt zunüchst das Fehlen einer epigrammatischen Sprecherfiktion ins Auge (S77 254, 1-3): Znví te καὶ Neuen tt χαρίσιον &5vov ὀφείλω, νύμφα, κα[σιγνήΪϊτων ἱερὸν αἷμα ϑεῶν, ἡμίε]τερο.

[...... ]. £ov ἐπινίκιον ἵππων.

Dem Zeus und Nemea schulde ich ein Geschenk der Dankbarkeit, Nymphe, heiliges Blut der Geschwistergötter, unsere (Weih-?)gabe für den Sieg deiner Pferde.

Gleich dem pindarischen Sprecher in Οἱ, 10, 1f£9? bietet der Dichter seine Verse als eine Gabe dar, hier jedoch als ein Geschenk an den nemeischen Zeus.‘ Die Erwähnung des Ortes läßt in der Tat an eine Weihung denken, doch gibt der Text ansonsten keine Hinweise darauf, ob er als Epigramm verstanden sein will. Schriftmetaphorik und Bezugnahmen auf die performance sind zudem ein fester Bestandteil der pindarischen Epinikien, wie ein kurzer Blick auf Οἱ. 10, 1—4 zeigt, einen Text, der dem gebildeten alexandrinischen Leser neben vielen anderen als Folie für

das Verständnis der Victoria Berenices gedient haben dürfte: Τὸν Ὀλυμπιονίκαν ἀνάγνωτέ μοι ᾿Αρχεστράτου παῖδα, πόϑι φρενός ἐμᾶς γέγραπται" γλυκὺ γὰρ αὐτῷ μέλος ὀφείλων ἐπιλέλαϑ᾽ ὦ Μοῖσ᾽. ... 58

Gegen FUHRER 1992, 5. 100-103, 136 sowie 232-234 wendet sich jetzt HARDER

1998, 5.

101.

59 60

FUHRER 1992, S. 102. HARDER 1998, S. 99-101, Zitat S. 101, vgl. die Kritik an FUHRER

1992, S. 101: „The

poem's epinician beginning and overall structure, however, seem to me to exclude percep-

tion as an agonistic epigram, even though there may be some points of contact between this 61

poem and certain specific victory epigrams.“ Übersetzung FUHRER 1992, S. 234.

62

Vgl. auch Pyfh. 4, 3.

63

Zur motivischen Tradition der Gleichsetzung von Dichtung und Opfergabe s. AsPER 1997, S. 158, Anm. 113. Das seltener im Singular belegte £5vov im Sinne von 'Brautgabe' wird

bei Pindar Οἱ. 9, 10 SNELL / MAEHLER metonymisch für den Vorsprung der Pferde des Pelops gebraucht, durch den dieser Hippodameia gewann. Insofern ist es auch für den kallimacheischen Zusammenhang passend. Zum pindarischen Tenor vgl. ferner ὀπινικίοισιν ἀοιδαῖς in Nem. 4, 78 SNELL / MAEHLER.

Elegische Dichtungen

241

Lest mir nach, wo der Olympiasieger, Archestratos’ Sohn, in meinem Sinn geschrieben steht! Ein süßes Lied nämlich schulde ich ihm — und habe es ver-

gessen! Muse, ...^

So ist mit der Gabe des Kallimachos wohl tatsáchlich eher eine schriftliche Preiselegie als ein monumentales Epigramm assoziiert. Die inhaltliche und formale Integration epigrammatischer Elemente in eine làngere elegische Dichtung geschieht also auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Eine wesentliche Wirkung der fiktiven Sprecherrollen besteht in der Erzeugung eines leichten, bisweilen scherzhaften Tons. Dieser kommt besonders durch die

Psychologisierung der Roilen und durch den ungezwungenen Umgang der fiktiven Sprecher mit den góttlichen Personifikationen zustande. Den Dialog zwischen der Statue des Apollon und dem Fragenden in Fr. 114 kónnte man fast als eine Epigrammparodie, als die „Nachahmung einer Form bei gleichzeitiger Veränderung des Inhalts‘ bezeichnen, deren Zweck zwar nicht die „ironische Entlarvung", aber

doch insoweit eine rationale Weiterentwicklung der Vorlage ist, als sie die Herkunft der verwendeten Formen aus der Tradition durch übertreibende Nachahmung bewußt macht. Es ist dies eine Dichtung, die humorvolle Unterhaltung und intellektuelle Anreize zugleich bietet. Im Fall der Siegeslieder, die als ganze stärker von den ernsten Motiven des Epinikions geprägt sind, möchte man nicht von parodistischen oder komödienhaften Elementen sprechen. Trotz dieser Unterschiedlichkeit des Tons aber haben die genannten Elegien doch die Einführung selbstbewußter, oft überraschender Sprecherrollen gemeinsam. Diese beleben den Text und suggerieren, wie vor allem das Beispiel des von einem Augenzeugen beschriebenen und sich selbst äußernden Weihgeschenks zeigt, die Authentizität

personal verbürgter Überlieferungen.“

1.7. Anrede an das Publikum (Fr. 57, 1f. = SH 264, If.) Die Funktion der Sprecherrollen für die Leser der Gedichte läßt sich an einem

weiteren Beispiel noch verdeutlichen. In Fr. 57 (= SH 264) der Victoria Berenices berichtet der Erzähler von dem Gespräch zwischen Herakles und Molorchos, in dem es um den mythischen Ursprung der nemeischen Spiele ging. Das Fragment beginnt mit der Aufforderung an die fiktive Zuhórerschaft, sich den Fortgang der

Erzählung selbst dazuzudenken: αὐτὸς ἐπιφράσσαιτο, τάμοι δ᾽ ἀπο μῆκος ἀοιδῇ; 600a δ᾽ ἀνειρομένῳ φῆ[σ]ς, τάδ᾽ ἐξερέω" “ἄττα γέρον, τὰ μὲν ἄλλα πα[ρὼν ἐν δ)αιτὶ μαϑήσει, νῦν δὲ τά μοι πεύσῃ Παλλὰΐϊς. ..... l.-{ 64

Übersetzung von D. BREMER; zur Metapher des schriftlichen ‘Archivs im Kopf’ s. oben S.

65 66

"Vgl. die Definitionen bei LORENZ 1992, S. 83 Art. ‘Parodie’ und von WILPERT 1989, S. 660. Vgl. Anth. Pal. 12, 129, 6 (s. oben S. 113) und Fr. 384, 48: ἰδον αὐτός, s. HERTER 1971 / 1975, S. 187. Es gilt das Prinzip, daB derjenige. der es am besten wissen muß, auch den Part des Sprechenden übernimmt. Dieselbe Erklárung findet sich bei FUHRER 1992, S. 189, zur Einführung der Ich-Rede des Adressaten in der Σωσιβίου Νίκη.

112 Anm. 321.

242

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

... mag er sich selbst dazudenken, dem Gesang aber die Länge abschneiden. Was er aber dem Fragenden antwortete, das werde ich heraussagen:

'Altes

Väterchen, das andere wirst du beim Mahl erfahren, jetzt aber wirst du hören, was mir Pallas ...'

Die mythische Erzählung wird innerhalb des Epinikions in Form eines Dialogs zwischen dem fragenden Molorchos und seinem Gast wiedergegeben. Ein dritter Sprecher, der als der organisierende Erzähler des Ganzen auftritt, verbindet die

Episode mit dem restlichen Gesang. Wie von der Forschung mehrfach betont, handelt es sich hier und an ähnlichen Stellen bei Kallimachos um eine Anspielung und subtile Neudeutung der bekannten

pindarischen Abbruchsformel.°’ Mit dieser Formel verbindet Pindar nicht nur bisweilen eine moralische Bewertung

des bis dahin Referierten, sie hat auch eine

wichtige erzühltechnische Funktion, die in der Straffung und Überleitung zu einem neuen Programmpunkt innerhalb des Epinikions besteht. Derartige Einschaltungen des Erzáhlers in den Gang der Geschichte gelten allgemein als Indizien für das Verhältnis des Autors zum Publikum, insbesondere als Gradmesser ihrer Nähe oder Distanz zueinander. ! Die Wendung ans Publikum zu Beginn eines Hauptabschnitts mit der Absicht, die Aufmerksamkeit des Hórerkreises zu erhalten, gilt, ebenso wie antizipierende Vorgriffe und Wahrheitsbeteuerungen, ursprünglich als ein Charakteristikum der mündlichen Vortragsdichtung.‘°” Derartige aus der Vortragsliteratur übernommene Wendungen, die in der Leseliteratur Mündlichkeit fingieren, lassen

die Figur des Erzählers lebendig erscheinen. Sein Vortragsstil reizt zum Vergleich mit anderen, von Kallimachos inszenierten Präsentationen von Dichtung. Hier läßt das Thema der Länge einer poetischen Rede an das Leitmotiv der physischen, moralischen und rhetorischen Kürze in den Epigrammen des Kallimachos denken,

in denen originelle Begründungen für den angeblichen Zwang zur ‘Abkürzung’ der Rede vorgeführt werden.” In SH 264 läßt Kallimachos den Sprecher anders argumentieren als etwa in Ep. 11 (ὃ kai στίχος ob μακρὰ λέξων ...). Der Sprecher

der Victoria Berenices zieht die Bedingungen der fiktiven mündlichen Erzählsituation,

nicht

das

äußerliche

Merkmal

der

Schriftlichkeit

eines

Textes,

als

67

T. FUHRER, A Pindaric Feature in the Poetry of Callimachus, AJP 109, 1988, S. 53-68 und DIES. 1992, S. 71-75, 121-125; Bing 1995, S. 124f., HARDER 1998, S. 100 mit Anm. 15.

68

"Vgl. H. R. JAUS, Untersuchungen zur mittelalterlichen Tierdichtung, Tübingen 1959 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanistische Philologie 100), S. 142-164 (über Vortragsliteratur und Leseliteratur), bes. S. 145f.; HARDER, 1990. In dem zuletzt genannten Artikel werden die von I. J. F. DE JoNG, Narrators and Focalizers, Amsterdam 1987 (= DE JoNG 1987a) an den homerischen Epen gewonnenen narratologischen Beobachtungen auf die Aitia des Kalli-

69

machos angewandt. Zum vergleichbaren Fall der Strukturierung der Katalogdichtung durch Verben des Wissens und Sagens vgl. HARDER 1998, S. 102 Anm. 21. [αὖ 1959, S. 146. Aber auch in der Vortragsdichtung sind diese Formeln, zumindest bei Dichtern von der Qualitát eines Pindar, nicht nur funktional, sie enthalten z. B. auch moralische Urteile.

70

Vielleicht ist hier auch μῆκος ἀοιδῆς zu lesen, vgl. dazu SH, S. 116f. Der Sinn des Textes würde dadurch aber kaum verändert. ‘aroteuvo' bedeutet konkret "etwas abschneiden’, in der medizinischen Terminologie sogar ‘etwas amputieren' (vgl. LSU s. v.). Auf die Rede

übertragen wird das Verb bei Plat. Leg. 653 c, wo es im Sinne von ‘etwas bei der Untersuchung abtrennen' verwendet wird.

Elegische Dichtungen

243

Begründung für die erforderliche Abkürzung heran. Es handelt sich also um eine *hymnische' anstelle einer ‘epigrammatischen’ Argumentation. Für den mündlichen Vortragsstil charakteristisch ist auch der Appell des Dichters an das gemeinsame Wissen, der Hörer wird als ein „privilegierter Mitwisser" behandelt." Der Erzähler

verläßt sich darauf, daß der Zuhörer den Fortgang des Mythos, auf den er anspielt, auswendig kennt und selbst rekapitulieren kónnte. Diese einzigartige Aufforderung zur aktiven Beteiligung des Rezipienten steht jedoch im Grunde im Widerspruch zu den Intentionen eines mündlich vortragenden Sängers, der das selbständige gedankliche Abschweifen der Zuhörer ja gerade verhindern müßte. Ebenso ist die

Kürze nicht notwendigerweise das Ziel eines episierenden Sángers und Mythenerzählers. Das 'Selbst-Dazudenken' formuliert vielmehr Erfahrungen und Bedürf-

nisse eines gebildeten Lesers, wie sie Kallimachos etwa in Ep. 2 und 15 in Szene gesetzt hat, und die Kürze hat er selbst als Merkmal seiner Dichtung eingeführt. So

richtet sich die Adresse in S 264, If. in erster Linie gar nicht an das fiktive Publikum von Hórern des Preisredners, sondern — wenn auch implizit — an die Leser des Kallimachos."? Diese wissen, daß der will, daß ihm das Singen zu lange dauere, Vermeidung allzu bekannter Themen in der hier zwar nicht direkt, aber doch durch einen seine narrative Strategie. Auf áhnliche Weise

Dichter nicht wirklich von sich sagen sondern daß es wohl eher um die Dichtung geht. Kallimachos spricht Mittelsmann zu seinem Leser” über vermitteln auch die Sprecher in den

dramatisierten Epigrammen Anliegen des Dichters.

71

Jaus 1959, S. 151; HARDER

1990, S. 298 zum „shared knowledge" bei Homer und in Kalli-

machos' Aitia und Jamben. 72

So jetzt auch Bing 1995, S. 125: „This invitation to the reader is, so far as I can see, unparalleled in earlier literature, and it remained so until the time of Augustus. Indeed, the

first really comparable instances appear in Lucian!" Vgl. ferner AsPER 1997, S. 137: „Der Rezipient wird zum Vollstrecker produktionsästhetischer Normen deklariert. die einzuhalten wohl eher die Sache des Autors wäre [ ... ]*. Dieselbe überraschende Zuweisung von Eigenschaften und Handlungen des Dichters an die fiktiven Aktanten im dargestellten Sprechakt, insbesondere was Gelehrsamkeit und Reflexion betrifft, läßt sich auch an den Sprecherrollen

der kallimacheischen Epigramme beobachten. 73

Vereinfacht formuliert FRASER 1972, 1, S. 725: „The poet speaks directly to the reader." Zur Rolle eines ,,'fictional delegate" of the historical author“ vgl. HARDER 1990, S. 289. zum vermittelnden Kommunikationssystem s. oben S. 13 mit Anm. 40.

244

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

2. EPIGRAMMATISCHE SPRECHERROLLEN IN DEN JAMBEN Für die literaturwissenschaftlichen Diskussionen um die Eigenheiten der poetischen Darbietungen des Kallimachos spielten die Jamben lange Zeit eine eher un-

tergeordnete Rolle, wofür nicht zuletzt ihr wenig ermunternder Überlieferungszu-

stand verantwortlich gewesen sein mag." Insbesondere betrifft dies die Klärung

von Struktur und Funktion der fiktiven Sprechhandlungen, die man bisher meist am Beispiel der in den sogenannten mimetischen ymnen dargebotenen kultischen performances untersucht hat. Gerade in den Jamben findet man jedoch eine beachtliche Zahl von fiktiven Erzählsituationen und Sprecherrollen, deren Ähnlichkeit mit den Darstellungstechniken der Epigramme etwa schon von DAWSON beobach-

tet wurde.'5 In den Jamben des Kallimachos, für die eine Ausgabe durch den

Dichter bezeugt ist und die damit sicher als Buchdichtung konzipiert sind," 74

Zum

folgenden vgl. insbesondere die Kommentare

und Monographien

von M.

PUELMA

PrWONKA, Lucilius und Kallimachos. Zur Geschichte einer Gattung der hellenistisch-rómischen Poesie, Frankfurt 1949, S. 206-367, bes. 310-357, C. M. Dawson, The lambi of Cal-

limachus. A Hellenistic Poet's Laboratory, YCIS 11, 1950, S. 1-168; D. L. CLAYMAN, Callimachus' Jambi, Leiden 1980 (Mnemosyne Suppl. 59); A. KERKHECKER, Callimachus Book of /ambi, Oxford 1999 (Diese wichtige Neuedition der Jamben, die bisweilen substantiell von der Edition PFEIFFERS abweicht, vgl. KERKHECKER, S. XXI-XXIV, konnte hier nur noch sporadisch herangezogen werden.) s. ferner auch G. SERRAO, La poetica di "nuovo

stile'. Dalla mimesi aristotelica alla poetica della verità, in: BIANCHI BANDINELLI

1977, S.

200—253 (2 SERRAO 1977b), hier S. 229-233; HuTCHINSON 1988, S. 50-56; CAMERON 1995, S. 141-173. Fragen der Erzähltechnik und Gattungskonzeption diskutieren bes. M. DEPEW, Taußeiov καλεῖται vov. Genre, Occasion and Imitation in Callimachus, frr. 191 and 203 PFEIFFER, TAPhA 122, 1992, S. 313-330; M. ΒΕ. FALIVENE, Callimaco serio-comico: il primo Giambo (fr. 191 PFEIFFER), in: R. PRETAGOSTIN! (Hg.), Tradizione e innovazione nella cultura greca da Omero all'età ellenistica. Scritti in onore di Bruno Gentili, Rom 1993, S. 911—925; HUNTER 1997, D. KONSTAN, The Dynamics of Imitation. Callimachus’ First Iambic, in: HARDER / REGTUIT / WAKKER 1998, S. 133-142. - Zum Aufbau des Jamben-

buchs s. CLAYMAN 1980, S. 48f. sowie S. 142-149; A. ARDIZZONI, Überlegungen zur Struk75

tur des Buches der 'Jamben' von Kallimachos [1963], in: Kallimachos 1975, S. 167-175; KREVANS 1984, S. 290—292; KERKHECKER 1999, S. 282—290. Zu den Hymnen vgl. u. a. HARDER 1992, S. 384 Anm. 2; C. CALAME, Legendary narration

and poetic procedure in Callimachus! Hymn to Apollo, in: HARDER / REGTUIT / WAKKER 1993, S. 37-55, hier S. 48f. Anm. 19. Das mimetische Potential der Jamben diskutiert W. ALBERT, Das mimetische Gedicht in der Antike, Frankfurt a. M. 1988 (Beiträge zur Klassischen Philologie 190), S. 79f. und 82 (zusammengefaßt auf S. 87) zu Jamb. 1 sowie S. 63f. zu Jamb. 4 (Fr. 194, 61, 63). Behandelt werden jedoch nur die Stellen, an denen eine Sze-

nerieveränderung erwähnt wird, die für den Autor zur Definition des *mimetischen Gedichts’ gehört, s. dazu aber die Kritik bei HARDER Jamben kommen bei ALBERT nicht vor.

1992, S. 385f. mit Anm. 9. Die anderen

76

DAWSON 1950, S. 82f., 95, 104.

77

KREVANS 1984, S. 212f.; den Rahmen bilden jeweils die programmatischen Gedichte Jamb. ] und 13, vgl. auch PUELMA 1949, S. 322f. und die in der vorletzten Anmerkung zitierten Autoren sowie HUNTER 1997, S. 41; GUTZWILLER 1998, S. 187f., KERKHECKER 1999, S.

282-287.

Jambische Dichtungen

245

herrscht das Prinzip der bunten Vielfalt poetischer Formen, das in Jamb. 1 und Jamb. 13 auch theoretisch gerechtfertigt wird. Der 13. Jambus enthielt einen Dialog zwischen der persona des Dichters und einem anonymen Kritiker. Das Verfahren gleicht der Inszenierung von Kritik und

Erwiderung im Aitienprolog, nur daß der Gegner hier direkt zu Wort kommt.”

Aus der Diegesis ist zu ersehen, daß sich der angegriffene Dichter gegen den Vorwurf der πολυείδεια, der Mischung von Metren und Dialekten verteidigt, indem er sich auf „den Tragiker Ion“ beruft. Dieser Dichter, bei dem es sich um Ion von Chios (1. Hälfte des 5. Jh.) handeln könnte, war mit ansehnlichen Leistungen in verschiedenen poetischen Gattungen -- darunter auch dem Epigramm - hervorge-

treten." Einer der gegen Kallimachos gerichteten Vorwürfe lautet, er hätte nicht die Dichtersprache griechischer Regionen verwenden dürfen, in denen er selbst nie gewesen sei," er maße sich fremde Sprecherrollen an und lasse dabei die Konsequenz und Einheitlichkeit der Sprechhaltung vermissen. Kallimachos, der sich im ersten Vers des in hipponakteischen Choliamben gehaltenen Gedichts auf Apollon und die Musen beruft, vertritt das gegensátzliche Konzept einer freien Wahl der

Formen, das zugleich ein Konzept der Buchdichtung ist. Unabhängig von der Herkunft eines Dichters sei es danach jedem gestattet, Versmaß und Gattung frei zu wählen, denn wer sollte einem das verbieten?" Besondere Beachtung verdienen die

Verse 15-18, in denen der Kritiker sein Mißfalien hinsichtlich der Gestaltung der Sprechakte durch die ‘neuen’ Dichter formuliert: ?

78 79

Hunter 1997, S. 41, ASPER 1997, S. 164f.; KERKHECKER 1999, S. 251, 254-257 (mit Alternativen zum PFEIFFERschen Text). Das Zeugnis dafür ist das Scholion (RV) zu Aristoph. Pax 835 (Fr. 36 A 2 DIELS / KRAN2),

s. PFEIFFER 1, 1965, S. 205. HUNTER 1997, S. 41—47 meint allerdings, dieser lon allein sei zu unbedeutend gewesen. Seine ansprechende Vermutung lautet, Kallimachos habe zugleich auf den Stammvater der Ioner und auf den platonischen Ion anspielen wollen (vgl. bes. 46f.). Vielleicht folgte auch Apollonios dem Prinzip der Gattungsmischung und schrieb einen pro-

pemptischen Jambus, vgl. PFEIFFER 1, 1965, S. 190 zu V. 26-36. - Zum Lob Ions bei Kallimachos vgl. ferner PUELMA 1949, S. 233; DAWSON

1950, S. 131; CLAYMAN

1980, S. 46, 49

und 57. 80

Vgl. Fr. 203, 11-18 und die besser erhaltenen Verse in 64-66: οὔτ᾽ ᾿Ξ Ἔφεσον £X Io oot U1o;01 συμμείξας, Ἔφεσον, ϑεν περ ol τὰ μέτρα μέλλοντες / tà χωλὰ τίκτειν μὴ ἀμαϑῶς ἐναύονται; zum Text s. jetzt aber auch KERKHECKER 1999, S. 253, zur Deutung PUELMA

81

1949, S. 338-342,

CLAYMAN

1980, S. 45 und besonders BiNG

Anm. 60 auf S. 38f., DEPEw 1992, S. 324-330, zur πολυείδεια 1992, S. 21 Anm. 47. Daß der Vorwurf des Kriükers anachronistisch S. 220 Anm. 63. Vgl. Fr. 203, 30-33: τίς εἶπεν auı[....Pe..p.[....]). / σὺ σὺ δ᾽ Mpoo]v, / σὺ δὲ τραγῳδε[ν] ἐκ ϑεῶν ἐκληρώσῳ; δοκέω τοιδίικεψαι ("Wer hat gesagt, ... du aber verfertige Pentameter, du

S. 38 und

πεντάμετρα συντίϑει, μὲν οὐδείς, ἀλλὰ καὶ das heroische Maß, du

hast von den Göttern erlost, Tragódien zu dichten; ich glaube niemand, hierzu HUTCHINSON 1988, S. 55f.

82

1988a,

vgl. außerdem FUHRER ist, betont ASPER 1997,

sondern

...'), s.

Text mit Neulesungen bei KERKHECKER 1999, S. 253ff. — Zu éxixvéo vgl. Plat. Phaidr. 262 d: Μουσῶν προφῆται ... ἐπιπεπνευκότες ἂν ἡμῖν eiev τοῦτο τὸ γέρας. Im Sinn einer göttlichen Inspiration wird auch ἐπίπνοια verwendet, vgl. LSU s. v.; HUNTER 1997, S. 46 zum platonischen Vorbild im /on 534 b-c.

246

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos ἀλλ᾽ εἴ τι ϑυμὸν ἢ fi γαστέρα nveug.| εἴτ᾽ οὖν ἐπῆλϑ᾽ ἀρχαῖον εἴτ᾽ anauff. .]. |, τοῦτ᾽ ἐμπί[έϊπλεκται καὶ λαλευσί. .]..[ Taoti καὶ Δωριστὶ καὶ τὸ σύμμικτον. Aber wenn (sie?) das Herz oder den Magen etwas ..., kommt ihnen etwas Altes oder etwas ... unter, so wird dies eingeflochten, und sie reden Ionisch, Dorisch oder die gemischte Sprache.

Auch die polemischen Verse 30f. spielen auf den Niedergang der poetischen

Inspiration an, indem sie die Künstlichkeit und Willkür der ‘modernen’ Gattungskreuzungen tadeln. Wenn ein solcher Dichter, so der Vorwurf in den hier zitierten Versen 15ff., auf ein veraltetes Wort stößt, flicht er es in seinen Text ein" und übernimmt auch den poetischen Dialekt seines Vorgängers, ohne sich um die

gegenüber dem Vorbild veränderten Rahmenbedingungen für Produktion und Rezeption zu kümmern. Der Kritiker ignoriert dabei — natürlich in polemischer Absicht — die längst etablierte Differenzierung zwischen der Stimme des Dichters und der fiktiven Sprecherrolle, die der Darstellungsebene angehórt. Nach Ansicht des Kritikers reden die Dichter nicht authentisch, wenn sie Sprache der Alten nachahmen oder gar zu einem neuen Dialekt ‘vermischen’: also eigentlich immer dann, wenn sie nicht in propria persona und in einer eng umgrenzten ‘Dichterrolle’ auftreten. Diese Kritik trifft letzten Endes das Konzept der Buchdichtung, deren Autoren eben nicht mehr darauf angewiesen sind, aus Anlaß einer bestimmten Situation an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Publikum zu sprechen. Insbesondere Kallimachos befleißigt sich stattdessen der verschiedensten Techniken, um

eine glaubwürdige und ästhetisch wie intellektuell ansprechende Vermittlung seiner Themen zu inszenieren. Diese Verantwortung des von den Gattungskonventionen wenigstens teilweise befreiten Dichters hat insbesondere DEPEW herausgearbeitet: „The challenge to the contemporary poet, who, as Callimachus implies, cannot possess the culture-specific authority to compose in traditional genres, is to posess sufficient τέχνη to recreate, selfconsciously and fictionally, the

conditions for their utterance.^"

In seinen Jamben verwendet Kallimachos Inhalte, Strukturmuster und Sprech-

haltungen, die traditionell in anderen Gattungen beheimatet gewesen sind." Die Form des Epigramms, seine spezifische Anredestruktur, die den Gesamtaufbau mitbestimmt, ist gleich für drei Jamben prägend gewesen. Die Jamben 7, 9 und 11 verwenden epigrammatische Sprecherrollen. Neben diesen relativ sicheren Belegen

für die Rezeption des inschriftlichen Epigramms in der Jambendichtung des Kalli83

ἐπῆλϑ᾽ KERKHECKER. - Zur Metapher des Webens von Worten und ihrem Bedeutungswandel zu einem negativen Bild bei Plat. Leg. 669 d vgl. CLAYMAN 1980, S. 45 Anm. 74.

84

DrPEW

1992, S. 327. Vgl. jetzt auch HUNTER

1997, S. 43: „... the recreation of archaic

poetic forms should not be ... the search for 'historical authenticity' ... but rather a flexible frame in which the various resources of the literary heritage could be used to produce a living poetry."

85

DAWSON 1950, S. 138: „series of attempts to put new wine into old bottles and old wine into new bottles", s. ferner FUHRER 1992, S. 208.

Jambische Dichtungen

machos sollen im folgenden aber auch motivische und Parallelen berücksichtigt werden.

247

darstellungstechnische

2.1. Rede aus der Unterwelt? (Fr. 191, Fr. 201) Der archaische Jambendichter Hipponax von Ephesos als die „authorizing ‘voice”“ des kallimacheischen Jambenbuchs steht in Jamb. 1 (= Fr. 191) vorübergehend aus dem Hades wieder auf, um einem Kreis alexandrinischer Dichterphilologen eine strenge Mahnrede zu halten. Diese direkt wiedergegebene Rede

bildet den fiktiven Sprechakt des Gedichts, auch wenn die Anrede an das Publikum durch Apostrophen

und die Einführung weiterer Sprecher,

darunter auch einer

‘sprechenden’ Inschrift, unterbrochen wird. Doch zunächst stellt sich der Redner selbst vor (Fr. 191, 1-3): ᾿Ακούσαϑ᾽ InnwvaKtoc' [οὐ γὰρ ἀλλ᾽ fico ἐκ τῶν ὄκου βοῦν κολλύβου πιπρήσκουσιν, φέρων laußov Hört Hipponax -- denn ich komme nirgendwo anders her als von dort, wo man einen Ochsen für einen Kreuzer kauft; mit einem Jambus ...

Eine zeitgenóssische Szenerie vor dem alexandrinischen Sarapistempel des Parmenion," an dem die Philologen der Metropole versammelt sind, bildet die imaginäre Bühne für den vehementen Auftritt des alten Jambographen (Fr. 191, 911): ἐς τὸ πρὸ TEIXEUG ἱρὸν | |GA£ec) δεῦτε, οὗ τὸν; πάλαι Πάγχαιοιν ὁ πλάσας Ζᾶνα γέρων; λαλάζων ἄδικα βιβλία ψήχει.

Hierher zu dem Heiligtum vor der Mauer kommt in Scharen, wo der Alte, der den vormaligen schmiert.

Zeus

von Panchaia erfand,

lallend unfromme

Bücher

be-

Die Invektive gegen den schwatzhaften Alten zielt auf Euhemeros, der zu Kallimachos’ Zeiten bereits verstorben war. Man hat daher gemeint, daß die Erwäh-

nung des Geschmähten, der um 300 v. Chr. noch vor der Errichtung des Sarapeions in Alexandria lebte, an dieser Stelle auf eine bekannte Philosophenstatue im Heiligtum zu beziehen ist." Eine Sitzstatue etwa könnte eine Buchrolle auf den Knien halten. Der fiktive Sprecher beschreibt die offenbar im Schreiben begriffene 86 87

HUNTER 1997, S. 41. Zur Art und Weise seines Auftritts vgl. KERKHECKER 1999, S. 18-20. Zur Identifizierung und Lokalisierung des Heiligtums vgl. Dieg. VI, 3f. (PFEIFFER 2, 1953. S. 163) und CLAYMAN 1980, S. 11 und Anm. 2; WEBER 1993, S. 280 und 289 Anm. 3; KERKHECKER 1999, S. 22-25.

88

S. CLAYMAN 1980, S. 11 Anm. 2. Der Grund für diese Hypothese liegt in den chronologischen Problemen. Da Euhemeros schon um 300 lebte, müfite man die aktuelle Handlung

des 1. Jambus in die Frühzeit des Kallimachos legen. Dies paßt aber nicht zu der mehrfach geäußerten Annahme, daß es sich um ein relativ spätes Gedicht handelt.

248

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Figur wie einen lebenden ‘Kollegen’. Kallimachos selbst dagegen greift — soviel wir wissen - in Jamb. 1 keinen seiner Zeitgenossen namentlich an. Darin unterscheidet er sich von seinem archaischen Vorgänger.” Daß der hier heraufbeschworene Hip-

ponax selbst auf eine Statue losgeht, fügt sich in das Bild seines Charakters. Auch während der Rede des Sprechers droht diesem die unvermeidliche Rückkehr in den Hades, eine Tatsache, die er zu Beginn seiner ῥῆσις betont (Fr. 191,

31-36): SORT yevéc9o | kai Yplapecode τὴν ῥῆσιν.

ἀνὴρ Βαϑυκλῆϊς ᾿Αρκίάς - οὐ μακρὴν ἄξω, ὦ λῷστε μὴ ol(pau|ve, καὶ γὰρ οὐδ᾽ αὐτός μέγα oxoAóG[o:] | 5[z]i με γὰρ μέσον δινεῖν φεῦ φ]εῦ 'Axépo[vr]og -- τῶν πάλαι τις εὐδαίμων ἐγένετο Seid still und schreibt die Rede auf! Bathykles, ein Arkader -- ich werde sie

nicht lang machen, mein Bester. Verzieh nicht das Gesicht! Ich habe auch selbst nicht viel Zeit, denn ich muß ja, wehe, mitten im Acheron herumwirbeln -, einer von den Alten, war gesegnet ...

Dem Dichter Hipponax also ist die kurzfristige ἄνοδος aus der Unterwelt gelungen. Um die gegensätzlichen Vorstellungen, die sich die Zeitgenossen des Kallimachos über den Aufenthalt im Hades machten, insbesondere um die euphemistische oder aber desillusionierende Behandlung des Themas," geht es auch in Ep. 13. Vergleichbar ist die Haltung des Sprechers dieses fiktiven Grabepigramms mit der des 1. Jambus insofern, als sich die Stimme des Unterwelterfahrenen als besonders wissend in Angelegenheiten des Jenseits präsentiert. Die bewußt hervorgehobene Absurdität eines ‘toten’ Sprechers wiederum erinnert an Ep. 4 und 5." Hier wird daraus eine weitere originelle Variante einer Begründung für die Not-

wendigkeit der kurzen Rede.?^ Sie kommt dem Philologenpublikum auch insofern entgegen, als es die Worte mitschreiben soll.

Das angeredete Publikum der alexandrinischen Philologen ist es, das die Figur des Hipponax als einen ‘“fictional delegate' des Kallimachos erscheinen läßt.” Im 89

BriNG 1988a, S. 65f, Kallimachos hat nicht die Drastik und Obszönität des alten Hipponax. Sein Vorgehen entspricht nach BiNG eher dem παρατραγῳδεῖν der attischen Komödie. Das Drama könnte auch sonst vorbildhaft sein. In Eur. Hec. 1ff. erscheint etwa der Schatten des Polydoros, s. PFEIFFER 1, 1965, S. 160.

90 91

"Vgl. Fr. 191, If. und 34f. Vgl. Ep. 4, 1: Τίμων (οὐ yàp Er’ ἐσσί) ... sowie Ep. 5, 9: ... (εἰμὶ yàp ἄπνους). Zur Sprechhaltung des 1. Jambus s. im übrigen PUELMA

1949, S. 208-210;

ALBERT

1988, S.

79f.; DEPEW 1992, S. 317-323; FALIVENE 1993, bes. S. 915-917 und 921-924. Auf Vorbilder für die Unterredung mit dem berühmten, toten Dichter verweist KERKHECKER 1999, S. 11-17, bes. 14f. (in Epitaphien), s. ferner oben S. 209. 92

Vgl. die Parenthese in V. 32-35.

93

Zum Publikum vgl. bes. V. 16-25. Zu Hipponax / Kallimachos s. BiNG 1988a, S. 671: D£PEw 1992, S. 320. Vgl. auch FALIVENE 1993, S. 925: „Il poeta non ci descriverà una particolare diatriba alla quale gli sia capitato di assistere presso il Serapeo di Parmenione, ma la imitera, per fingere l'invettiva di un nuovo Ipponatte, venuto a rampognare i colleghi / av-

versari alessandrini: anch'essi un dato dell'esperienza di Callimaco, ma 'traslati' in figure

Jambische Dichtungen

249

1. Jambus ist es also nicht so sehr die Form wie eine spezielle Thematik -- humorvoll präsentierte Informationen aus der Unterwelt durch einen Berufenen - die eine Verbindung zu den Epigrammen herstellt. In größerer Nähe zu den traditionellen Formen der Anrede im Grabepigramm

befindet sich allerdings der Sprecher des 11. Jambus, von dem nur der erste Vers

(bis auf zwei Silben) erhalten ist (Fr. 201): ᾿Αλλ' οὐ τὸν Ὑψᾶν, ὃς τὸ σᾶμά peo

Beim Hypsas, nein!, der du an meinem Grab (vorübergehst?) ...

Der Beginn des Jambus gleicht einer epigrammatischen Anrede des Toten an den Wanderer, wie sie seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. in metrischen Inschriften be-

legt ist. In Fr. 201 spricht, wie aus der Diegesis ersichtlich, ein Konnidas aus Selinus — der Hypsas ist ein Fluß der Gegend - und berichtet von einer Begebenheit nach seinem Tod. Diese Geschichte wiederum ist das Aition zu einem Sprichwort. So gehen Selbstvorstellung und Biographie des Sprechers in eine allgemeinere Thematik über. Der epigrammatische Relativsatz mit der Anrede an den anonymen Betrachter oder Leser des dorischen σᾶμα verweist auf eine imaginár-sepulkrale Szenerie. Der fiktive Kontext des Sprechakts ist hier dem Thema des Gedichts angepaßt, in dem es um ein Testament geht und der Tod des Protagonisten ja voraus-

gesetzt ist. Einen vergleichbaren Sprecherpart gibt vielleicht Simonides in Ait. Fr.

64, der dort post mortem die historischen Ereignisse um seine Grabstátte und damit auch Geschehnisse nach der Bestattung berichtet. Der entrüstete Ausruf des Sprechers in Fr. 201, nach PFEIFFER „more Callimacheo“ ein gelehrter und der fiktiven Situation angeglichener Schwur beim Fluß der Heimatstadt, kann als ein Hinweis auf einen insgesamt komischen Ton dieser Rede aus dem Grabmal verstanden werden. che li rappresentano senza nominarli, che li imitano ‘soltanto’.“ S. aber die ansprechende Vermutung von KERKHECKER 1999, S. 34, wonach Kallimachos zum von Hipponax angeredeten Publikum zu rechnen ist: ,,Callimachus, it seems, includes himself among the victims of this poem." Dieser Kallimachos entspräche demjenigen, der sich in den Epigrammen mit

Unterweltsthematik unterweisen (und von Timon beschimpfen) läßt. 94

PUELMA 1949, S. 285 bezeichnet das Gedicht als ein „‘iambisches’ Epigramm in der Ver-

95

kleidung eines Epitaphion", vgl. KERKHECKER 1999, S. 215. Der genaue Ort der Grabstätte war möglicherweise wie in den elegischen Buchepigrammen im Text selbst angegeben. PFEIFFER denkt sich das Grab am Fluß: anders Dawson

1950, S.

103, HowALD / STAIGER 1955, S. 357 und CLAYMAN 1980, S. 40, die den Relativsatz nicht auf den Hypsas, sondern auf den angeredeten Passanten beziehen. 96

PFEIFFER 1, 1965, S. 199, vgl. Ait. Fr. 7, 34; Jamb. 4, Fr. 194, 106. Die von PFEIFFER angeführten Parallelen für “(ἀλλ᾽ οὐ τό(ν) + Gott’ stammen aus der Komödie und Tragödie (Aristoph. Lys. 986; Soph. Ant. 758; El. 1063; Eur. Jon 870). Ep. 14 oder 17 beginnen zwar

mit einem Ausruf, gehóren jedoch in die Kategorie der mit einem Sprichwort, das sich auf den Tod an sich bezieht, eingeleiteten Epigramme (Δαίμονα τίς δ᾽ εὖ oióe τὸν Αὔριον; [Ep. 14, 1]), s. ferner S. KosTer, Die Invektive in der griechischen und römischen Literatur, Meisenheim 1980 (Beiträge zur Klassischen Philologie 99), S. 93f., KERKHECKER 1999, S.

213-217.

250

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

In Fr. 201 verwendet der Dichter also die Erzählsituation, wenn auch nicht das Metrum eines Grabepigramms. Die Wahl des fiktiven Sprechers erfolgt in Abstim-

mung mit dem Thema, das auf diese Weise durch einen glaubhaften Sprecher vermittelt wird. Daß es sich dabei ‘nur’ um die Fiktion eines Sprechers handelt, scheint Kallimachos nicht zu stören. Wenn Fr. 612 -- ἀμάρτυρον οὐδὲν ἀείδω -oder Hymn. 1, 65 — ψευδοίμην, ἀΐοντος ἃ κεν neníSotev ἀκουήν — ein Plä-

doyer für Glaubwürdigkeit in diesem Sinne, also für die Glaubwürdigkeit einer Fiktion darstellen, so wäre damit nur gesagt, daß der Dichter ein in sich stimmiges Sprechen und Handeln seiner Figuren inszeniert, nicht aber, daß er selbst stets die “Wahrheit’ spricht. Ein wichtiges Kriterium für diese Plausibilität sind aber personalisierte Sprecherrollen, ‘uäprtupeg’ wie der πίναξ in Ep. 54 oder der Hahn in

Ep.

56, in deren fiktiv mündlicher Rede Gedankengänge

und

kommunikative

Handlungen offengelegt werden. Die Fiktion eines ‘toten Sprechers’, der noch in

seinem Grab ansprechbar und im Besitz von Wissen ist, kann sich zudem auf eine lange Tradition berufen: auf die Inszenierung des Sprechakts und die Metaphorik des sprechenden Gegenstands im inschriftlichen Epigramm, die gerade zu Beginn des 3. Jahrhunderts das Interesse zahlreicher Buchdichter fand. 2.2.

Sprechende Gegenstände (Fr. 191, 76f., Fr. 197, Fr. 194, Fr. 192)

Kehren wir zurück zum 1. Jambus und zu der gleichnishaften Erzählung, die dort Hipponax einer corona alexandrinischer Gelehrter diktiert. Der Arkader Bathykles vermacht auf seinem Sterbebett demjenigen der Sieben Weisen einen goldenen Pokal, der unter ihnen der Beste (ἄριστος) sei.” Sein Sohn Amphalkes erklärt

zunächst Thales die Absicht des Vaters (66-68), der den Pokal an Bias weitergibt. Jeder der Kandidaten, die sich so erst als wirklich weise herausstellen, reicht den Becher weiter, bis dieser seine Runde wieder bei Thales beendet. Der Milesier, der ihn auch als erster erhalten und weitergegeben hatte, stiftet den Preis daraufhin mit

folgender Inschrift dem Didymäischen Apollon (Fr. 191, 76f.): ᾿'Θάλης HE τῷ μεδεῦντι Νείλεω δήμου δίδωσι, τοῦτο δὶς λαβὼν ἀριστῇον.᾽ "Thales gibt mich dem Herrn über das Volk des Neleus, nachdem er zweimal diesen Siegespreis bekommen hat.' Die Lücke vor V. 76 läßt nicht mehr erkennen, ob und wie die ‘Rede’ des Be-

chers eingeleitet war. Kallimachos erfindet für den Pokal des Bathykles ein auf den ersten Blick echt wirkendes, Ionisch 'sprechendes' Epigramm. Die Form des Epigramms verlangt ein Lob auf den Stifter und seine Leistung. Ohne die Kenntnis der ganzen Geschichte wäre das Epigramm allerdings mißverständlich. Daß der Ge-

genstand im Epigramm nicht genannt, sondern nur auf ihn gezeigt wird (με, τοῦτο), ist noch gute epigrammatische Tradition. Dem ξεῖνος aber, der das Weihgeschenk betrachtet, wird ein wesentlicher Teil der Geschichte vorenthalten. Die Pointe, die darin besteht, daß Thales den Preis für den Weisesten 97

Dieg. VI, 6-10 und Fr. 191, 47-50.

der Weisen

Jambische Dichtungen

251

zweimal nicht behielt, sondern selbst weitergab, ginge damit verloren." Die IchRede des zeugnisablegenden Gegenstands aber hat in fr. 191, 76f. den Anschein

eines echten Epigramms — nur eben choliambisch und im Präsens. In Fr. 197, 1-3, dem Beginn des 7. Jambus, verwendet Kallimachos eine durch die epigrammatische Ich-Rede vorgegebene Struktur für den Aufbau des ithyphallischen Gedichts, von dem wir durch die Diegesis wissen, daß es dem Jambenbuch

angehört haben muß:”” Ἑρμᾶς ὁ ΠΙερφεραῖος, Alviov ϑεός, ἔμμι τῶ φιυγαίχμα en ] πάρεργον innotextov[og' Hermes Perpheraios, Gott der Ainier, bin ich, des lanzenscheuen deschreiners Nebenwerk ...

... Pfer-

Das altertümliche Standbild des Hermes Perpheraios im thrakischen Ainos er-

zählt eine aitiologische Kultlegende zur Erklärung des Beinamens,'” in der es selbst die Hauptrolle spielt. Sprechende Hermen sind nicht nur in Inschriften, sondern auch als Bühnenfiguren belegt, so auch bei dem Komiker Platon (Fr. 204

KASSEL / AUSTIN = 188 Kock); "?! (A.) (B.

οὗτος, τίς εἰ; λέγε ταχῦ. tí σιγᾷς; οὐκ ἐρεῖς; Ἑρμῆς ἔγωγε Δαιδάλου φωνὴν ἔχων ξύλινος βαδίζων αὐτόματος ἐλήλυϑα

Du da, wer bist du? Sag schnell! Willst du nicht sprechen? -- Der Hermes des Daidalos bin ich, stimmbegabt, hölzern, ich bin von selbst hierhergegangen.

Auch in einem komischen Fragment des Phrynichos, das nach seiner Überlieferung bei Plutarch (Alkibiades 20, 6f.) mit dem Hermokopidenfrevel in Verbindung gebracht werden muß, scheint eine Statue des Gottes zu sprechen (Fr. 61 KASSEL / AUSTIN = 58 Kock):

98

δοῦναι (67), δίδωμι (68), δόσις (71) und δῶρον (75) sind Schlüsselwörter der Passage. die das Epigramm in V. 77 aufgreift. Zur gleichsam sokratischen Weisheit des Thales s. HUN-

TER 1997, S. 49f.; vgl.. aber auch KERKHECKER 1999, S. 39-44, der die Rolle des Apollon. des Gottes der wahren Weisheit, hervorhebt. Die Weihung an Apollon steht in der bei Diog. Laert. 1, 29 zitierten prosaischen Version der Thalesinschrift auch im Text im Vordergrund, $. KERKHECKER 1999, S. 42 Anm. 196.

99

PFEIFFER l, 1965. S. 193 und DERS. 1934, S. 23-39. Die Ich-Rede ist auch durch V. 17 und V. 43ff. gesichert. Zu den epigrammatischen Strukturelementen und zur Gestaltung Sprecherrolle s. jetzt auch KERKHECKER 1999, S. 182-196.

der

100 Der Beiname des Gottes wird in der Geschichte von περιφέρεσθαι abgeleitet, vgl. re[pıp£pw]v in Dieg. VIII, 18. Zum Hermes Perpheraios und den in diesem Zusammenhang erwähnten altertümlichen Xoana vgl. G. SIEBERT, 'Hermes', in: LIMC V, 1, Zürich / München 1990, S. 285-386, hier S. 294f., MANAKIDOU 1993, S. 257f. und schon PUELMA 1949, S. 287f. 101 PFEIFFER 1, 1965, S. 192; KERKHECKER 1999, S. 195 Anm. 63.

252

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos ὦ φίλταϑ᾽ Ἑρμῆ, καὶ φυλάσσου μὴ πεσὼν αὑτὸν παρακρούσῃ καὶ παράσχῃς διαβολὴν ἑτέρῳ Διοκλείδῃ βουλομένῳ κακόν τι δρᾶν. (EPM.) φυλάξομαι" Τεύκρῳ γὰρ οὐχὶ βούλομαι μήνυτρα δοῦναι τῷ παλαμναίῳ ξένῳ

O liebster Hermes, paf auf, daß du nicht fállst und dich selbst auf die Seite legst und Anlaß zur Verleumdung gibst einem anderen Diokleides, der auf Schaden sinnt. — Ich passe auf. Denn dem Teukros, dem mörderischen Fremden, will ich keinen Denunziantenlohn geben.

R. KASSEL, der das Material zu den 'sprechenden' Hermen gesammelt hat, bezweifelt allerdings, daß die Bühnenhermen dort wirklich mit Hilfe von Schauspielern zum Sprechen gebracht wurden: '” „... denken wir uns lieber bei ihm (scil. Phrynichos) einen Hermes, von dem

sein Dialogpartner und er selbst so reden, als wäre er seine eigene Statue.

Die schillernde Identität dieses ‘als ob’ setzt Kallimachos in seinen Buchgedichten in fiktive Sprecher- und Hörerrollen um, die sich teils dem formalen Reper-

toire des Epigramms,"^ teils dem spielerischen Umgang mit der Personifikation von Göttern in der Komödie verdanken. Beispiele dafür haben wir in Fr. 114 und

Fr. 7, 9-14, aber auch in Fr. 100 gesehen. Aus diesen elegischen Fragmenten bekannt ist das vom Dichter beabsichtigte paradoxe Zusammentreffen einer personalisierten Sprecherfigur mit dem expliziten Hinweis auf ihren artifiziellen Charakter. In Fr. 197 wird der Effekt durch den Verweis auf einen wertmindernden Defekt der Statue verstärkt: Ein πάρεργον selbst eines bekannten Künstlers zu sein, bedeutet eine Herabstufung gegenüber dem Hauptwerk. Auch einige Weihgegenstände in den Epigrammen des Kallimachos müssen solche “Schmälerungen’ ihres

102 KassEL 1983, S. 5-7 meint, das ‘Ich’ des Hermes in Fr. 204 KASSEL / AUSTIN = 188 Kock müsse nicht zwangsläufig von einer Statue geäußert worden sein. In Fr. 61 KASSEL / AUSTIN = 58 Kock handele es sich um einen Hermes, der zwar wie eine Statue angeredet werde,

aber keine sein müsse. Zustimmend jetzt PELLICCIA

1995, S. 70-72 im Rahmen seiner

Untersuchung des „Informal and Comic Usage" der Metapher des sprechenden Gegenstands.

PELLICCIA, ebd. S. 71 Anm. 117 plädiert interessanterweise gegen HUTCHINSON 1988, S. 33 mit Anm. 15 dafür, daß Kallimachos auch in Hymn. 5 an eine Statue der Athena als Gegenüber der Sprecherstimme denkt. 103 KassEL 1983, S. 7. Diese Folgerung ergibt sich für KASsEL aus dem Vergleich mit der Inszenierung 'sprechender' Hermen bei Aristoph. Nub. 1478-1485 und Plut. 1153 (παρὰ τὴν 9ópav στροφαῖον ἱδρύσασϑέ με).

104 PFEIFFER 1, 1965, 5. 192 führt zum Vergleich mit dem Kallimachosfragment eine Inschrift aus Magnesia am Mäander an, die, wenn auch weniger originell, dieselben Elemente enthalte (wie Ich-Rede und Künstlerangabe), s. O. KERN, Die Inschriften von Magnesia am

Mäander, Berlin 1900, S. 136 Nr. 203: Ἑρμῆς εἰμὶ Τύχων ἐκ Χαλκίδος οὗτος ἐκεῖνος / ᾿Αντίλοχός μ᾽ ἐποίησε πολίταις πᾶσι xopnyóv. Der Herausgeber datiert die Inschrift auf einer Marmorbasis in Form eines Dreifußes in das 3. Jh. v. Chr., auch wenn ein Hermes Ty-

chon zu dieser Zeit sonst nicht belegt ist, s. KERN ebd., KERN 1933b und PFEIFFER z. St.

Jambische Dichtungen

253

Wertes hinnehmen. Diese augenzwinkernde Bescheidenheit dürfte die Sympathie des Lesers mit dem sprechenden Objekt erst recht geweckt haben.

In der Erzählung über die Auffindung der Statue durch die Fischer von Ainos und ihren Versuch, das ungehobelte Brett wieder loszuwerden, läßt der Papyrus noch erkennen, daß auch die Ainier den Hermes ansprechen, als sei er nicht ein unbelebter Gegenstand (V. 45f.): οἱ δ᾽ εἶπαν[ ... ]vel μὴ τύ γ᾽ αὖτις £v9[nc. Sie aber sagten ... komm du nicht wieder ... Wenn man davon ausgeht, daB auch in diesen Versen noch die Statue selbst spricht, handelt es sich um das Zitat einer wörtlichen Rede. Hinweise für einen echten Dialog mit dem Bildnis gibt es in Fr. 197 nicht.

Die Vorliebe des Kallimachos für ‘sprechende’ Gegenstände auch außerhalb epigrammatischer Strukturen scheint durch den 4. Jambus bestätigt zu werden. Hier sind die Wortführer keine Denkmäler, die sich an ihre Betrachter wenden, sondern zwei sich streitende Bäume. Lorbeer und Ölbaum sind nicht nur sprachbegabt, sondern besitzen auch ϑυμός, der besonders hervortritt, als sich ein Dornbusch an der Gartenmauer ungebeten in den Zwist um den nützlicheren Baum

einmischt.' Die Einleitung zu seiner Rede: ἔλεξεν (ἠν γὰρ οὐκ ἄπωϑε τῶν δενδρέων) 7 enthält eine Begründung dafür, warum der domige Strauch die anderen Bäume denn habe hören können. Diese erscheint nur auf den ersten Blick als

überflüssig. Durch sie wird deutlich, daß der Dornbusch gewissermaßen einer anderen Klasse angehört und daß er sich in einen Kreis erlesener Gewächse hineingedrängt hat. Die Einführung einer Begründung an dieser Stelle führt aber auch dazu, daß man die Stimmigkeit der fiktiven Szenerie genauer betrachtet, denn Kallimachos tut ja so, als sei ein Gespräch unter Bäumen nur eine Frage ihres Standorts. Auf die logischen Probleme einer anthropomorphen Personalisierung von Bäumen aufmerksam geworden, "* wird sich der Leser nun umso mehr amüsieren,

wenn der Lorbeer den armen Dornbusch ὑποδρὰξ οἷα ταῦρος anschaut, worin wohl, wie die episierende Sprache an dieser Stelle anzeigt, eine gewisse Überheblichkeit zum Ausdruck kommt (Fr. 194, 101£.):'” τὴν δ᾽ ἀρ᾽ ὑποδρὰξ οἷα ταῦρος ἡ δάφνη ἔβλεψε καὶ τάδ᾽ εἰπεν᾽

105 Vgl. Ep. 6, 19, 48, 49. 106 V. 93-102; zu sprechenden Bäumen in der Volksliteratur s. STONEMAN

1992, S. 105f.

107 V. 97. 108 Vgl. die Frage des Sprechers an Apollon in Aymn. 4, 82-85: ... ἐμαὶ ϑεαὶ einate Μοῦσαι, In ῥ᾽ ἐτεὸν ἐγένοντο τότε δρύες ἡνίκα Νύμφαι; 'Νύμφαι μὲν χαίρουσιν, ὅτε δρύας

ὄμβρος ἀέξει, / Νύμφαι δ᾽ αὖ κλαίουσιν, ὅτε δρυσὶ μηκέτι φύλλα. 109 Vgl. z. B. τὸν δ᾽ ἀρ᾽ ὑπόδρα ἰδὼν προσέφη πόδας ὠκὺς ᾿Αχιλλεύς in //. 1, 148. Eine schöne Deutung des Zorns und des zornigen Sprechers bei Kallimachos (eine Art Selbstportrait) gibt KERKHECKER

1999, S. 111-115.

254

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Da sah ihn grimmig wie ein Stier der Lorbeer an und sagte folgendes: ... Hier wird der bildlichen Vorstellungskraft des Lesers einiges abverlangt, und gerade darin besteht der Charme dieses Textes.

Die sprechenden Bäume und Tiere sind aus der Gattung der Fabel schon vor

dem Hellenismus bekannt.''^ Kallimachos greift darauf in seinem 2., ‘äsopischen’

Jambus zurück. In den erhaltenen Fragmenten berichten nacheinander ein Fuchs und der Dichter Ásop, warum die verschiedenen Unterarten der Poeten mit unter-

schiedlichen Stimmen reden. Ursprünglich hätten Menschen und Tiere dieselbe Sprache gehabt, bis Zeus, wohl um die Frechheit des Fuchses zu bestrafen, die Sprache der Tiere auf die Menschen übertrug. Der Beginn des 2. Jambus lautet

(Fr. 192, 1-3): Ἦν κεῖνος οὐνιαυτός, ᾧ TO te πτηνόν καὶ toov ϑαλάσσῃ καὶ τὸ τετράπουν αὐτὼς ἐφϑέγγεϑ᾽ ὡς ὁ πηλὸς ὁ Προμήϑειος Es war ın jenem Jahr, als die geflügelte Art und die im Meer und ebenso die

vierfüßige sprach wie der Tonklumpen des Prometheus ... Als ein sprechender Gegenstand erscheint hier der despektierlich als "Tonklumpen des Prometheus’ bezeichnete Mensch. In der anschließenden Invek-

tive gegen die Geschwätzigkeit (Fr. 192, 12-15) steht das λαλεῖν wie in Fr. 203,

17 für die Sprache der Dichter.''' In der Phantasie des Dichters Kallimachos treten also nicht nur sprach- und vernunftbegabte Gegenstände als fiktive Interlokutoren auf. Umgekehrt können auch die Menschen selbst zu sprechenden ‘Gegenständen’ werden, zu Statuen oder Tonklumpen mit der Stimme von Tieren. Die ‘mise en scene’ sprechender Objekte ist eine besonders anschauliche

Art und Weise,

über

das ‘Wie’ der Kommunikation zu reflektieren. 2.3.

Anrede an Gegenstände und Personen (Fr. 199, Fr. 195, Fr. 196)

Spärlich sind auch die erhaltenen Reste des 9. Jambus (Fr. 199). Aus der Die-

gesis wird deutlich, daß der Aufbau des Gedichtes demjenigen eines Dialogepi110 Zur Geschichte der Fabel und ihrer Rolle in der Dichtung des Kallimachos vgl. PUELMA 1949, S. 212 und 221-227 (über den 2. Jambus des Kallimachos); HUTCHINsoN 1988, S.

51f., G.-J. VAN DUX, Ainoi, Logoi, Mythoi: Fables in Archaic, Classical, and Hellenistic Greek Literature; with a Study of the Theory and Terminology of the Genre, Leiden / Köln 1997 (Mnemosyne Suppl. 166), bes. S. 230-250 zu Kallimachos Fr. 192 und Fr. 194.

111 CLAYMAN 1980, S. 19 erinnert an die Charakterisierung der Poeten durch den Vergleich mit Tieren in Fr. 191 und an den eigenen Wunsch des Dichters, I, Fr. 1, 30-34). S. jetzt auch A. AMBÜHL, Callimachus and Prologue and a Lemma in the London Scholion, ZPE 105, sprechen Tiere in der Regel nicht, vgl. PELLICCIA 1995, S. negativ bewerteten — irrationalen Teile der Seele von Homer

wie die Zikade zu singen (4itia the Arcadian Asses. The Aetia 1995, S. 209-213. Bei Homer 103f.; allerdings werden die bis zu Platon und darüber hin-

aus als Tiere bezeichnet, s. ebd. S. 28-30. Zur Rolle der Akustik (also nicht des Sprechens, sondern des Tónens) bei Kallimachos vgl. z. B. PrEIFFER 1954 / 1975, MEYER 1993b, S. 331f. (zur Schilderung einer Morgenstimmung in Fr. 260, 62-69), AsPER 1997. S. 193—198.

Jambische Dichtungen

255

gramms entsprochen haben muß, das mit der Frage eines Passanten an eine Hermesstatue beginnt. Da die Diegesis uns eine Kurzfassung des verlorenen Sprechakts bieten kann, sei ihre Inhaltsangabe hier zitiert: Φιλητάδου παιδὸς εὐπρεποῦς ἐραστὴς ἰδὼν Ἑρμοῦ ἄγαλμα ἐν παλαιστριδίῳ ἐντεταμένον, πυνϑάνεται μὴ διὰ τὸν Φιλητάδαν. ὁ δέ φησιν ἄνωϑεν εἶναι Τυρσηνὸς καὶ κατὰ μυστικὸν λόγον ἐντετάσϑαι, ἐπὶ κακῷ δὲ αὐτὸν φιλεῖν τὸν Φιλητάδαν. Der Liebhaber eines schönen Knaben namens Philetades sah in der Palaistra ein Bildnis des Hermes mit einem aufgerichteten Phallos und fragte, ob dies nicht wegen Philetades so sei. Der aber sagte, er sei tyrrhenischer Abkunft und aus einem mystischen Grund ithyphallisch, zu einem schlechten Ende aber liebe er den Philetades.'"

Die Frage des Liebhabers, mit der der Jambus beginnt, war wohl der kürzeste Teil des Gedichts, die Antwort der Statue ein längerer ‘biographischer’ Bericht über die Herkunft des Bildnistyps. Am Ende wird die hoffnungsvolle Frage des

anonymen Betrachters enttäuscht, die mit der Apostrophe an den Gott einsetzt. (Fr. 199, 1£): Ἑρμᾶ, ti τοι τὸ νιεῦρον, ὦ Γενειόλα,

ποττὰν ὑπήναν κοὺ ποτ᾽ ixvi[ov

;

Hermes, warum richtet sich dein Glied, o Bartträger, zum Bart und nıcht zu den Füßen?

Die dialogische Struktur mit Frage und Antwort ist charakteristisch schon für

inschriftliche Epigramme, in denen ein Denkmal erklärt werden soll. Dabei wird die Beschreibung des Bildes in die fiktive Rede der Gesprächspartner integriert, so daß man von einer dramatisierten Ekphrasis sprechen könnte. Zu all den deskriptiven und aitiologischen Elementen kommt hier jedoch ein besonderes erotisches Interesse des Fragers hinzu. Die Diegesis zeigt an, daß es sich um keinen beliebigen Betrachter, sondern um einen bestimmten - dem Dichter vielleicht bekannten -

ἐραστής handelt.''” So umkleidet die epigrammatische Form in Wahrheit nicht nur ein Aition, sondern auch einen Ratschlag in Liebesangelegenheiten. Eine Ähnlichkeit des Jambus zu den erotischen Epigrammen des Kallimachos zeigt sich in dem Blick selbst, mit dem der Frager die Statue betrachtet: Er identifiziert sich mit dem personal wahrgenommenen Bild seines Gegenübers und deutet dessen physische Symptome anhand der eigenen Erfahrungen. Darin gleicht er dem sympotischen Sprecher in Ep. 30, der die Auswirkungen der Verliebtheit am Körper des Kleonikos wiedererkennt.

112 Dieg. VIII, 33-40, PFEIFFER I, 1965, S. 196. Zum ithyphallischen Hermes auf Samothrake und seiner tyrrhenisch-pelasgischen Herkunft vgl. Hdt. 2, 51 sowie PFEIFFER 1, 1965, S. 196

und S. 463 zu Fr. 723; KERKHECKER 1999, S. 205f. Anm. 49. 113 Dazu paßt, daß Hermes neben seinen vielen anderen Funktionen auch Gott der Liebe sein kann, vgl. dazu SIEBERT 1990, S. 288. PUELMA 1949, S. 265f. betont die Beziehungen zum

hellenistischen Liebesepigramm.

256

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Charakteristisch für den Aufbau des 9. Jambus ist die Verbindung von Formelementen des Denkmalepigramms,

Aitiologie und erotischer Thematik innerhalb

eines jambischen Trimeters.''* Die Dialogsituation verbindet die subjektive Sprech-

haltung des Jambus mit der objektiveren des epigrammatischen gesprächs in den Aitien (Fr. 7, 19-21; Fr. 114).

Informations-

Der epodische 5. Jambus (Fr. 195) beginnt mit der Anrede an einen Fremden, die sich als ein weiterer Ratschlag herausstellt: Ὦ ξεῖνε - συμβουλὴ | ıYap Ev τι τῶν ἱρῶν ἄκουε τἀπὸ καρδι[ίης, ] ἐπεί σε δαίμων ἄλφα βῆτια οὐχ ὡς ὀνήιστον. |[

] }

O Fremder - denn zu den heiligen Dingen gehört das Raten - höre, was von Herzen kommt. Denn ein Gott hat dich AB(C lehren lassen?) nicht als den nützlichsten ...

Obwohl die Anrede Ὦ Eeive an die klassische Apostrophe an den Wanderer in Grabepigrammen wie dem berühmten Thermopylen-Epigramm des Simonides erinnert, ist der Aufbau des 5. Jambus nicht epigrammatisch zu nennen. Hier geht es wohl nicht so sehr um die Einbeziehung einer potentiellen Lesergruppe, sondern eher um die Vermeidung eines bestimmten Eigennamens. In den Invektiven des Hipponax wird der Gegner mit seinem eigenen oder mit einem Schimpfnamen direkt angegriffen. Man hat den Beginn des 5. kallimacheischen Jambus mit Fr. 118

(WEST) verglichen, das

Ὦ Závv', ... beginnt. Die Anrede

Ὦ ξεῖνε nimmt da-

gegen Rücksicht darauf, daß auch andere den Jambus lesen konnten.' So hätte Kallimachos die Mahnung des Hipponax in Jarmb. 1, sich nicht auf das Philologengezänk einzulassen, hier vielleicht auf diese Weise beherzigt. Leider erlaubt uns das kurze Fragment keine náheren Einblicke.

Eine Variante des fiktiven Rahmengesprächs stellt die Rede an den Freund im

6. Jambus (Fr. 196) dar." Wieder sind wir auf die Diegesis angewiesen, aus der allein man erfährt, daß der Sprecher nach Art eines Propemptikon dem zur Abreise rüstenden Gnorimos die Statue des Olympischen Zeus beschreibt. Da der Freund ausdrücklich κατὰ 9éav τοῦ Ὀλυμπίου Διός (Dieg. VII, 26f.) verreist, erhält er in dem Abschiedsgedicht eine detaillierte Schilderung des Aussehens der Statue, die mit den wichtigsten Informationen einsetzt: 'AjA£iog ὁ Ζεύς, à τέχνα δὲ Φειδία 114 CLAYMAN

1980,

5. 40

sieht diesen

Jambus

wie Jamb.

7 als „extended

epigram“.

HUTCHINSON 1988, S. 52 und Anm. 55 weist darauf hin, daß Hermes vor Kallimachos schon

ein Thema der griechischen Fabel ist und zudem bei Hipponax auffallend oft angeredet wird. Wieder sind es vielfältige Quellen, aus denen die Inhalte zusammenfließen. 115 Vgl. CLAYMAN 1980, S. 51f. 116 Zur Bedeutung von ξεῖνος und zum

eher freundschaftlichen Ton der Anrede

s. KERK-

HECKER 1999, S. 127 und 143. 117 Zu Jamb. 6 vgl. PUELMA 1949, S. 293—296; MANAKIDOU 1993, S. 238-242, KERKHECKER 1999, S. 147-181. DAWSON 1950, S. 72, hält das Gedicht für mißlungen.

Jambische Dichtungen

257

Elier ist der Zeus, das Kunstwerk aber von Pheidias ...

Im Verlauf der Beschreibung, bei der genaue Maße angegeben werden, scheint der Blick des Sprechenden von unten, der Basis, nach oben zu den an der Lehne

des Thrones über dem Haupt des Zeus angebrachten Figuren der Horen zu wandern. Auffällig ist die Nüchternheit des Berichts, der das Gedicht von den eher euphorischen Epigrammen auf Kunstwerke unterscheidet. Abweichend vom üblichen Schema der preisenden Darstellung künstlerisch hochwertiger Statuen wird nicht die Lebendigkeit der Figur, sondern μῆκος ὕψος πλάτος der Statuenbasis

καὶ don ἡ δαπάνη, wie es in der Diegesis heißt, betont.''* Die Frage nach den Kosten verbindet der Sprecher der Jamben mit einer Wendung an das fiktive Gegenüber, in der er durch eine vorweggenommene Frage ein dringendes Interesse seines Zuhórers insinuiert (Fr. 196, 45-47): 1[ö] δ᾽ ὧν ἀναισίμωμα - λίχνος ἐσσὶ [yàp καὶ; τό μευ πυϑέσϑαι s] [..]..- μὲν [o]o [λ]ογιστὸν οὐδ. [ . ]e[ die Kosten nun - denn begierig bist du, auch das von mir zu erfahren -- sind nichtzu berechnen noch (?) ... Die Art dieses Einschubs erinnert an eine Strukturierung katalogartiger Passagen, die Kallimachos in ähnlicher Form auch in den Aitia, Fr. 43, 84f., verwendet, diesmal aber aus dem Munde des fragenden ‘Dichters’ selbst: ἐγὼ δ᾽ ἐπὶ καὶ [τὸ πυ]ϑέσϑαι / f]9zXov.''? Vorbildhaft ist aber auch die Vorwegnahme einer Frage des Passanten, mit der das Epigramm seine Leser in die fingierte Gesprächssitua-

tion hineinzuziehen versucht. '” Zuletzt wird in demselben epodischen Versmaß die Inschrift des Künstlers Pheidias aus Athen — oder doch wenigstens ihr Inhalt — angegeben. Die in den stark zerstórten Versen enthaltenen Angaben stimmen mit der bei Pausanias überlieferten Inschrift auf der Zeusstatue überein. Dort heißt es (Paus. 5, 10, 2):

118 Dies ist der Grund, weshalb Dawson 1950, S. 72 in Jamb. 6 „little poetic inspiration“ walten sicht. CLAYMAN 1980, S. 35 meint dagegen, daß es sich um eine keineswegs übelwollende Parodie ernster technischer Lehrdichtung handele; von der Nüchternheit überrascht

zeigt sich auch MANAKIDOU 1993, S. 241f. Die Rolle defizitärer oder reduzierter Gegenstánde sowie das durchgehende Spiel mit personifizierten Gottheiten in anderen Gedichten des Kallimachos geben m. E. KERKHECKER 1999, S. 150 recht, der den ausgesprochen komischen Effekt für beabsichtigt hält: „The playful identification of god and statue lies at the

heart of /ambus VI. The statue is ‘the god himself’ (37f). A common manner of speaking pushed, by a literal-minded speaker, to hilarious extremes of comic absurdity. The god is reduced - not just to an image, the programme of its iconography, the skill of execution, but to the most banal qualities of any physical object ... ". 119 PFEIFFER 1, 1965, S. 191. Zu Verben des Wissens in der Katalogdichtung s. HARDER 1998, S. 102 Anm. 21. Als Beispiel dient dort u. a. Eur. /ph. A. 192-209. Zum Metrum und zum Stil der Passage vgl. KERKHECKER 1999, S. 161f. 120 Vgl. PEEK, GV 1330-1341 (Gruppe B IV 1 c 8) sowie Kallimachos £p. 10.

258

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos Φειδίαν δὲ τὸν ἐργασάμενον τὸ ἀγαλμα εἶναι καὶ ἐπίγραμμά ἐστιν ἐς μαρτυρίαν ὑπὸ τοῦ Διὸς γεγραμμένον τοῖς ποσί’ 'Φειδίας Χαρμίδου υἱὸς ᾿Αϑηναῖός μ᾽ ἐποίησε.᾽ Pheidias soll der Verfertiger des Bildes sein, und zum Beweis dient eine Inschrift zu Füßen des Zeus: ‘Pheidias, Sohn des Charmides, Athener, hat mich gemacht.’

Die Reste, die vom entsprechenden Jambentext des Kallimachos noch erhalten sind, klingen nicht nach einer eingeschobenen, direkten Rede in epigrammatischer

Form. Es scheint eher, als fahre der Sprecher in seiner Erklärung der Statue fort, bis er sich mit ἀπέρχξευ, „geh fort“, von seinem Freund verabschiedet. Als 'epi-

grammatisch’ kann man daher nur den Sprechakt als ganzen bezeichnen, und auch nur insoweit, als sich der Sprecher an einen potentiellen Betrachter richtet. Der 6. Jambus vereinigt Strukturelemente von Epigramm und Propemptikon. Äußerer Anlaß des Gedichts ist die Reise eines Freundes, den Inhalt jedoch bildet die exakte Ekphrasis eines Denkmals für einen präsumtiven Passanten. Die monologische Sprechhaltung kombiniert die persönliche Anrede an den Freund mit der Rolle des epigrammatischen Informanten, die dort in der Regel dem betrachteten Gegenstand

selbst

zukommt.

Im

letzten

Wort,

ἀπέρχευ,

fallen

beide

Rollen

zusammen: Wie ein Monument seinen Leser oder Betrachter verabschiedet, so schickt der ‘Dichter’ seinen Freund auf die Reise. "Epre χαίρων - also eine ähnliche Formulierung wie ἀπέρχευ - ist auch der Schluß eines kallimacheischen Epigrammes, mit dem das Denkmal seinen Betrachter, das Gedicht seinen Leser entläßt.

121 Ep. 40, 6. Auf die Parallele verweist PFEIFFER 1, 1965, S. 191, s. auch PUELMA 1949, S. 293. PUELMA 1949, S. 313 bezeichnet den letzten Vers des 6. Jambus als „Abschieds- oder Entlassungsformel" mit dem Kolorit der Komódie.

Jambische Dichtungen

259

3. ZUSAMMENFASSUNG In den Aitia und Jamben, aber auch in der Elegie auf den Sieg des Sosibios (Fr. 384) verwendet Kallimachos Anredeformen und Motive, die in der Tradition des inschriftlichen Epigramms stehen. Die rhetorischen Figuren des griechischen

Grab- und Weihepigramms fließen dabei nicht etwa beiläufig und unauffällig in die von Kallimachos geschaffene neue Form der Dichtung ein. Kallimachos sorgt dafür, daß die Herkunft der seine Texte strukturierenden Elemente dem literarisch in-

teressierten Leser deutlich wird. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird vor allem dadurch geweckt, daß die etwas künstlichen und manchmal unfreiwillig komischen Merkmale, die die Gattung des Epigramms von Beginn an auszeichnen, in den Vordergrund gerückt oder gar noch zugespitzt werden. An verschiedenen Stellen der aus so unterschiedlichen poetischen Traditionen schöpfenden Dichtung des Kallimachos, im aitiologischen Sammelgedicht, im elegischen Epinikion und im Jambenbuch mit seiner metrischen und thematischen

Vielfalt, begegnen immer wieder auch epigrammatische Elemente. In den Aitia (Fr. 64), in der Σωσιβίου Νίκη und im 1. Jambus werden Inschriften in direkter Rede zitiert, in den Aitienfragmenten Frr. 100 und 114 sowie in der Locke der Berenike (Aitia Fr. 110), aber auch in den Jamben 7 und 9 — um nur die in unserem Zusam-

menhang wichtigsten der erhaltenen Fragmente zu nennen - läßt die Inszenierung des fiktiven Sprechakts von Beginn an keinen Zweifel, daß es sich um Adaptionen epigrammatischer Sprecherrollen handelt. Epigramme und aitiologische Dichtungen haben das ‘historische’ Interesse an der Biographie einer Person oder der Geschichte eines Gegenstands, der an bedeutende menschliche oder göttliche Handlungen erinnert, gemeinsam.

So entwickelt

der Erzähler Kallimachos aus der poetischen Präsentation eines Götterbilds heraus zahlreiche bekannte und unbekannte Details der mythischen und kultischen Tradition, die mit diesem verbunden sind. Die ‘Biographie’ eines Gegenstands im Rah-

men einer Dedikation, zu der auch die Schilderung verschiedener geographischer Stationen des Objekts gehört, ermöglicht zudem eine imaginäre Reise durch Griechenland (Ep. 5, Aitia Fr. 110) und einen Exkurs in die geographische Gelehrsamkeit. Dieses geographisch-aitiologische Interesse des Dichters ist, wie das Beispiel

der Geschichte des Hermes Perpheraios aus dem Jambenbuch zeigt, keineswegs auf die Epigramme und die Aitia beschränkt. Es erklärt zudem, warum es häufig Motive des dedikatorischen Epigramms sind, die in den Dichtungen des Kallimachos außerhalb des Epigrammbuchs wiederbegegnen. Die traditionelle Sprechhandlung eines Grabepigamms dagegen, in der mit Grabinhabern und 'Wanderern' ein bestimmtes Personal auftritt, wird nur in Aitia Fr. 64 und im 11. Jambus verwendet. Auch wenn uns große Teile dieser Werke fehlen, kann man doch sagen, daß sich der Einfluß des klassischen Grabepigramms vor allem dort zeigt, wo es

um die Selbstvorstellung einer Person geht. Auch Dialoge mit Denkmálern aus

260

Epigrammatische Sprecherrollen bei Kallimachos

Stein, Holz oder Bronze haben die anonymen Autoren sepulkraler Versinschriften vorgeprägt.

Das Formenrepertoire des inschriftlichen Epigramms zeichnet sich durch einige sehr spezifische Gestaltungen der fiktiven Rede aus, die Kallimachos selbst zur

Strukturierung seiner Epigramme, aber auch in seinen elegischen und jambischen Adaptionen epigrammatischer Texte verwendet. Charakteristisch für das Epigramm ist zum einen die imaginierte Rede einer von Natur aus sprach- und leblosen Sache, worunter man Gefäße, Statuen und Grabstätten oder deren längst entschwundene Inhaber fassen kann (Aitia Fr. 64, Fr. 110). Diese Rede richtet sich in der Regel an ein anonymes Gegenüber im imaginären Gesichtsfeld des sprechenden Objekts. Auf

der anderen Seite fand der Dichter aus Kyrene in den Versinschriften aber auch die Form der Rede des fiktiven Betrachters oder Lesers eines sinnlich wahrnehmbaren und zu deutenden Gegenstands. Ein solcher Wechsel des Sprecherstandorts scheint auch bei den unmittelbaren Vorgängern und Zeitgenossen des Kallimachos, den Dichtern und Dichterinnen der frühhellenistischen literarischen Epigramme, beliebt gewesen zu sein. Für die Gestaltung dieser Rolle eines Sprechers, der sich dem imaginären Gegenstand scheinbar gegenüber befindet, bietet der rhetorische Formenschatz des Epigramms wiederum reiche Variationsmöglichkeiten. Bei Kallimachos erklärt der textinterne Adressat den Gegenstand, indem er für den textexternen Leser informative Fragen stellt oder aber seiner begründeten Bewunderung (manchmal

auch

seinem Befremden)

Ausdruck

verleiht (Jamb.

9). Auch

schlichte Neugier ist eine für diese Rolle charakteristische Haltung. Die Erklärung des Gegenstands wirkt dann sehr subjektiv und persönlich, sie läßt den Leser an möglichen Empfindungen (z. B. Aitia Fr. 100).

und Reflexionen über das Wahrgenommene

teilhaben

Denkmal und Adressat sind auch bei Kallimachos in einer Frage-Antwort-Relation aufeinander bezogen. Die Rolle des sprechenden Gegenstands und die Rolle des sprechenden Betrachters können daher wie im klassischen Epigramm zu einem fiktiven Dialog kombiniert werden (Aitia Fr. 114), wodurch eine besonders vertrauliche Gesprächssituation, etwa eine Nähe zwischen Gottheit und Mensch, suggeriert wird. Den offiziellen Charakter von Grabmälern und Weihgegenständen wiederum erkennt der Leser daran, daß diese von einem Sprecher vorgestellt werden, der Teil

einer Gruppe ist. Er spricht vor einer imaginären Fest- oder Trauergemeinde, vor den Besuchern eines Heiligtums oder vor den Bürgern einer Stadt (Fr. 384, 4446). Charakteristisch für eine solche, aus dem schon im 6. Jahrhundert belegten “anonymous mourner' entstandene und in Analogie zu ähnlichen Sprecherrollen in anderen Gattungen fortentwickelte Rede ist die Verwendung der 1. Person Plural. Auch der Festredner spricht aus der Perspektive des Betrachters, der von den Monumenten und von Inschriften berichtet, die darauf angebracht sind.

Wir können also in den untersuchten Texten anonyme Adressaten, Betrachter, die von dem Gegenstand ‘angesprochen’ werden, und solche, die mit ihm dialogisch ‘kommunizieren’, unterscheiden. Die einzelnen Situationen und Sprechakte, in denen sie sich befinden, mögen dabei eher privater Natur oder von einer offiziel-

len, feierlichen Stimmung geprägt sein. Vor allem aber durch die psychologische

Zusammenfassung

261

Verfeinerung der Sprecherrollen und durch ihre neuartige Kombination gelingt es

Kallimachos, eine Vielfalt origineller Szenerien zu gestalten. Die Verwendung personaler, psychologisch ausgestalteter Sprecherrollen und der häufige Wechsel der Sprecher bieten gerade in längeren Gedichten mehrere Vorteile. Sie helfen dem Dichter dabei, Gelehrsamkeit zu vermitteln, ohne in Monotonie zu verfallen, und sie geben dem Leser Gelegenheit, sich mit einer Rolle zu

identifizieren oder auch ablehnend Stellung zu beziehen. Auf diese Weise wird er zunächst in eine einzelne Szene und dann in eine ganze Erzählung '*hineingezogen'. Eine für den textexternen Leser besonders attraktive Rolle ist die des wißbegieri-

gen und intelligenten ‘Fragers’. Die Verwunderung eines solchen ‘Fragers’ über das merkwürdige Aussehen einer Statue (Aitia Fr.

100, Fr.

114, Jamb.

9) kann

jeder Leser unmittelbar nachvollziehen. Zugleich aber wird ihm nicht verborgen bleiben, daß die Rolle des ‘Fragers’ oder des textinternen anonymen Adressaten eines Gegenstands, der Auskunft zu antiquarischen sujets gibt, auch Züge des Dichters selbst trägt. Erkennt der Leser in dieser Rolle sich selbst ebenso wie den Dichter, entsteht auch eine Nähe zwischen diesen beiden. Die Art und Weise, in

der der Eindruck erzeugt wird, daß man beim Lesen mit einem Abwesenden in Verbindung tritt, erinnert an die Appelltechniken und an das vermittelnde Kommunikationssystem des klassischen Steinepigramms. Die Interpretation der traditionellen Sprecherrollen des Epigramms durch Kal-

limachos unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von ihren inschriftlichen Vorbildern. Der ‘sprechende’ Gegenstand oder Betrachter im anonymen inschriftlichen Epigramm ist, wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, ursprünglich als eine funktionale Rolle zu betrachten. Seine Aufgabe besteht im Zeigen und in der Herstellung von Akzeptanz für das Gezeigte. So dient der durch den Epigrammtext in Szene gesetzte Sprechakt der vorwegnehmenden Gestaltung

einer möglichen und erwünschten Kommunikation vor einem Denkmal. Die verwendeten Sprecher sind daher Stereotype wie ‘die Stele’ oder ‘der Wanderer’, ein Identifikationsangebot an den textexternen, historischen Leser. Ziel ist es, die Bot-

schaft des Denkmals in das Gespräch und in die Erinnerung eingehen zu lassen. Mit der Zeit aber scheint die Akzeptanz insbesondere der Rolle des ‘sprechenden’ Denkmals für die gebildeteren Leser problematisch geworden zu sein: “Sprechende’ Konkurrenz wie der Grabinhaber, der Betrachter oder gar die γράμματα

selbst anstelle der Stele treten im Grabepigramm auf den Plan und präzisieren das kommunikative Geschehen. In CEG 1, 108 (5. Jh.) etwa agieren, wie wir gesehen haben, mehrere fiktive Sprecher mit diversen Funktionsbereichen nebeneinander.

Zumindest die ambitionierteren Autoren von Epigrammen scheinen nun zur Kenntnis zu nehmen, daß die Unmittelbarkeit der quasi-mündlichen Rede des Epigramms eine Fiktion ist, die zwangsläufig mit einer gewissen Künstlichkeit der dargestellten

Situation einhergeht.

So haben wir die komplizierte Sprechhandlung

Versinschriften damit zu erklären

versucht,

daß ihre Autoren

um

mancher

eine rationale

Klärung der Situation -- Wer ist nun wirklich der Sender der Botschaft und wem gehört die metaphorische “Stimme des Steins’? -- bemüht sind. Da sich die grundlegenden Paradoxa der schriftlichen Kommunikation jedoch auch so nicht auflösen lassen, tritt das Artifizielle in manchen dieser Texte nun erst recht hervor.

Ein

262

Epigrammatische Sprecherrolien bei Kallimachos

vergleichbares Bemühen um eine authentischere Darstellung des Sprechakts führt besonders im 4. Jahrhundert zu einer Personalisierung der Sprecherrollen, die sich vor allem in den monologischen und dialogischen Grabgedichten zeigt, in denen die vom Todesfall persönlich betroffenen Angehörigen miteinander kommunizieren. Hierbei entstehen einige konzeptionell durchaus gelungene Epigramme. Bei Kallimachos nun werden beide Tendenzen, die Rationalisierung der Rollen und auch die

Personalisierung der Sprecherperspektive, aufgegriffen und nicht selten auf die Spitze getrieben. ‘Personal’ werden nicht die psychologisch glaubwürdigen Sprecherrollen wie die sich am Grabmal unterredenden Ehegatten ausgestaltet, sondern gerade die Fiktionen von Sprechern, deren Rolle nur als funktional verstanden werden kann. So ‘reden’ bei Kallimachos Gegenstände wie tönerne Lampen und Masken, Schreibtafeln, Bronzefiguren, hölzerne und steinerne Statuen und Reliefs, zeigen sich dabei aber im Besitz von geradezu menschlicher Emotion und Ver-

nunft. Gleichzeitig wird ihre konkrete Gegenständlichkeit durch den Verweis auf einen materiellen Defekt oder ein eigentümliches Aussehen betont, das Paradox des sprachlosen Sprechers also gerade nicht verschleiert. Daß Kallimachos das fiktionale Potential der epigrammatischen Inszenierung von Sprechakten bewußt und, wie es scheint, mit einem gewissen Vergnügen an den komischen und absurden Effekten nutzt, läßt er an manchen Stellen deutlich erkennen. Beispiele dafür sind etwa Ep. 56, die doppelte Beglaubigung einer Weihung, Ep.

54 mit einem Sprecher, der weiß, daß er nichts weiß, oder auch das

Götterbild in Aitia Fr. 114, 5, das bei sich selbst schwört, um den ‘Frager’ von der Wahrheit seiner Aussage zu überzeugen. So wird ausgerechnet eine rhetorischlogische Schwäche des Steinepigramms zum Ausgangspunkt für die Gestaltung eines Themas, das Kallimachos und seine Leser interessiert haben muß. Auf welche

Weise gelangen wir an unser Wissen, welchen Zeugniswert kónnen wir den Texten, Objekten und Gewährsleuten beimessen? In welcher Form können wir unser Wissen an andere vermitteln? Der Vergleich der kallimacheischen Epigrammdichtung

mit den längeren Fragmenten aus seinen Aitia und Jamben hat gezeigt, daß es ebendieses Thema ist, das den Dichter beschäftigt haben muß, und daß die Rezep-

tion der griechischen Versinschrift bei Kallimachos in diesem Kontext zu verstehen ist.

Besonders

dort,

wo

er Personifikationen

von

Góttern

und

ihre

Statuen

gleichzeitig auftreten läßt (Aitia Fr. 114, Fr. 100, Jamb. 7, Jamb. 9, Hymn. 5), spricht der Dichter die Vorstellungskraft seiner Leser an. Die kleinen Defekte der Gegenstände und die psychologische Charakterisierung der Sprecher - sie erscheinen vor allem neugierig, pedantisch, manchmal auch wehleidig oder überheblich — appellieren an die Emotionen. Aber auch die analytischen und logischen Kompetenzen der Rezipienten sind gefordert, wenn Kallimachos paradoxe Sprechhandlungen inszeniert. Darstellungen von Lesesituationen sind bei Kallimachos, wie in der gesamten antiken Literatur, relativ selten. Einen Sprecher im Akt des Denkens oder Lesens können wir jedoch in Ep. 30 und in Ep. 15 ‘beobachten’. Die von Kallimachos in den fiktiven Sprechakten der quasi-inschriftlichen, aber auch der erotischen Epigramme sichtbar gemachten Gedankengänge ergeben zusammen mit den elegischen

Zusammenfassung

263

und jambischen Adaptionen ein überraschend klares Bild eines impliziten Lesers. Dieser Leser richtet -- wie der epigrammatische ‘Wanderer’ -- Fragen an sein Ge-

genüber, zieht aber auch selbständige Schlüsse aus dem Wahrgenommenen und reflektiert zugleich über die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Gelingt die Aneignung neuen Wissens, bereitet ihm dies ebensosehr Vergnügen wie demjenigen, der dieses Wissen vermittelt hat. Dieser nur scheinbar naive, in Wirklichkeit aber überaus erfahrene /ector doctus, dem wir als ‘Leser im Text’ im Laufe der

Untersuchung bei Kallimachos immer wieder begegnet sind, und der mit Ironie, Humor, aber auch Sympathie gezeichnet wird, trägt sicherlich die Züge eines bestimmten Lesers — des Kallimachos selbst.

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REGISTER l.

ANTIKE AUTOREN Suppl.

Aischines 2. 51, 1

191 A. 23

178f.

112 A. 321

3. 127

212 A. 305

180

105 A. 299

3. 184

98 A. 266, 164 A. 114

236

115 A. 337

381ff.

93 A. 249

457

39 A. 65

Aischylos Ag. 36

212

Fr. 281

RADT

112 A. 321

Eum. 273-275

112 A. 321

Ep. 2 FGE

124 A. 373

Pers. 641

190 A. 229

818f.

105 A. 299

818-820

54

Alkaios v. Messene 16 Gow / PAGE

121 A. 364, 123 u. A. 369

Anthologia Palatina Prom. 789

112 A. 321

841

90 A. 232

Sept.

375-652

39ff.

397f.

41 A. 67

432-434

39

468f.

39

511-520 568f. 592 646 642-648

41

659-661 722

40f. u. A. 67

40 40f. u. A. 67 41 A. 68

40, 187 A. 212

4, 1, 21f.

129 A. 9, 131 A. 17 u. 20

5. 80

234 A. 33

5,85

125f. u. A. 377

6, 13

107 A. 303

6,227

110 A. 313

6, 269

188 A. 216

6, 308

195

6. 311

183 A. 199

6, 353

117 A. 345

6. 354

117 u. A. 345

7, 3

80 A. 202

7. 13

177 A. 174

7, 21

112 u. A. 327

7, 21£.

124 A. 373

7, 221

61 A. 140

7,31

61 A. 140

7,80

221f.

7,117

112 A. 323

302

Register

7,153

69f.

11,42

209 A. 293

7,217

126 A. 379

11, 218

188 A. 216

7, 245

93 A. 245

11, 275

131 A. 20

7, 262

188 A. 216

11, 312

2 A. 5, 100 A. 277. 199

7. 273

186 A. 211

11,437

124f. u. A. 374. 128 A. 2

7, 274

187f.

12, 28

205 A. 279

7,277

206

12.71

220

7,313-320

209 A. 293

12, 98

165f.

7, 314

210

12, 129

113, 235 A. 39, 241 A. 66

7,315

61 A. 140, 209.

12, 130

235 A. 39

7.318

179

14, 45

188 A. 216

7.320

210

14, 56

184f., 197 A. 255

7. 321

61 A. 140

7. 347

136 A. 47

Anthologia Planudea

7. 422

121f. u. A. 365

23

86

7, 422-430

121 A. 363

68

118 u. A. 351

7. 425

176 A. 172

275

229 A. 15

7.427

122f.

7. 428

122 A. 367, 188 A. 216

Antipater v. Sidon

7. 429

121 A. 364, 123, 176 A.

30 Gow / PAGE

176 A. 172

7, 445

m 121 u. A. 361

32Gow/PAGE 53Gow/PacE

122 A. 368 120 A. 360

7. 482

125 u. A. 375, 126

7. 461

179 A. 182

Anyte

7. 464 7. 465

120 A. 360 119, 170 A. 141

4 Gow / PAGE 8 Gow / PAGE

7,481

188 A. 216

7. 496

186 A. 211

Apollonios v. Rhodos (?)

7. 500

178 A. 177, 179 A. 182

| FGE

7,577

209 A. 293

7. 589

202 A. 268

7. 649

117£.

7.712

177 A. 174

Iff

204

7. 724

104 A. 296

158

187 A. 214

7,731

166 A. 128, 209 A. 293

9,332

117, 119 A. 355

Ep.

9,450

209

1 Gow / PAGE

113 A. 328

9. 507

205

2 Gow / PAGE

124 A. 374

9. 561

131 A. 19

9. 604

117 A. 345

Aristainetos

9. 605

117 A. 345

l, 10, 26ff. MazaL

233f. u. A. 32

9. 826

178 A. 175

1, 10,57 MazaL

2354. 37

u. A.

104 A. 296 115f. u. A. 347

131 A. 20

Arat v. Soloi 347

Phain.

303

Antike Autoren

Aristophanes Av. 1614

Poet.

231 A. 22

6, 1449 b 25

159f. A. 96

11, 1452 a 29ff.

204 A. 276

Eccl. 1073

209 A. 293

Fqu. 1172f.

93 A. 249

1316

115 A. 337

Lys.

986

249 A. 96

Rhet. 1367 b 20

98 A. 263

1413 b LIff.

96 A. 256

Asklepiades 2 Gow / PAGE

125 A. 377

31 Gow / PAGE

178 A. 177, 179 A. 182

39 Gow / PAGE

118 A. 351 126 A. 379

41 Gow / PAGE Nub. 1478-1485

252 A. 103

Plut. 1153

252 A. 103

Ran.

Athenaios 3, 125c

3]

7,327a

128 A. 5

11, 462 f

26 A.7

11, 464 f

183 A. 202

11, 472 f

126 A. 378

52ff.

96 A. 256

10, 424 d

179 A. 181

66f.

209 A. 294

13, 596 d

112 A. 326

330

131 A. 17

13, 604 f

31

478

178 A. 176

15, 669 c

128 u. A. 3

1239

192 A. 238 Catull

Thesm.

66

765ff.

42 A. 71

7esf.

42 À. 71

Certamen Hom.

1831.

42 A. 71

15

659

178 A. 176

1100

178 A. 176

236 A. 41 et Hes.

69 A. 169

Cicero Ad fam.

Vesp.

1163

2. 13, 2

183 A. 198

178 A. 176 Arch.

Schol. Pax 835

245 A. 79

25

30 A. 23

Aristoteles

Tusc.

Hist. an.

1, 84

30 A. 23, 164 A. 118

5. 23

100 A. 275

542 b 17

207 A. 287

304

Register

Verr. 2, 4,127

Erinna 30 A. 23

2 Gow / PAGE

Clemens v. Alexandria

Euripides

Strom.

Alc.

5, 8, 50

128 A. 4

5, 10

128 A. 5

5, 109,2

232 A. 26

5. 109, 3

232 A. 27

8,9

131 A. 18

215

178 A. 176

Corpus Hippocraticum De aff. 10, 8 L.

131 A. 18

De morb.

81 A. 206

194 A. 246

110 A. 313

Corpus Fabularum Aesopicarum 257, 1

177 A. 174

Hec.

Iff.

248 A. 89

1270-1273

186 A. 208

Hipp.

877

41 A. 69

877ff. 865

112 A. 322

2, 43f. L.

131 A. 18

3. I6 L.

131 A. 18

42 4.72

Kranz

92 A. 242 249 A. 96

42 A. 72

Demokrit Fr. 68 A 134 DIELS/

131 A. 18

Demosthenes

20, 112

30 u. A. 26

Diogenes Laertios 1, 29

251 A. 98

1, 79f.

128 A. 5

1, 89f.

69 A. 169

2, 111

214 A. 316

6. 14

30 A. 28

6, 95

174 A. 158

Dion Chrysostomos 37, 38

69 A. 168

Epicharm Fr. 245 KAIBEL

Iph. A. 115ff. 192-209 322 322ff. 794-800 797f.

43 A. 74 257 A. 119 43 A. 76 43 A. 74 42 4.72 112 A. 325

Iph. T.

639ff. 755ff. 762f. 793f.

43 A.74 43 A.74 105 A. 299, 115 A. 337 43 A. 76

Med.

92 A. 242

1f.

201 A. 265

305

Antike Autoren Suppl. 53 ff.

92 A. 242

Tro.

4. 162, 5

167 A. 132

5, 35,2

104 A. 292

5. 35, 3f.

43 A. 78

5, 59

30 A. 23

942

115 A. 337

5, 59ff.

136 A. 47

1191

30 A. 23

5, 59. 4

29 A. 17

5. 60, 1

46 A. 82

6, 4.1

43 A. 78

Fr.

60 AUSTIN

112 A. 322

6, 77,2

164 A. 114

506, 2-6 NAUCK

112 A. 321

6, 97,1

103 A. 290

578, 1-3 NAUCK

39 A. 65, 105 A. 299

7. 6, 3f.

43 A. 78

578—590 NAUCK

42 A.71

7, 101, 3

212 A. 305

839, 8ff. NAUCK

92 A. 242

7. 147. 1

167 A. 132

7. 228

30 A. 23

Eustathios

7, 228, 2

93 A. 247

Komm. zu Od.

7, 228, 3

98 A. 263

2, 190

179 A. 181

7. 228, 3f.

99 A. 270

14, 350

98 A. 263

7, 228, 4

98 A. 264

7, 228, 6f.

29 A.17

7, 239, 3f.

43 A. 78

8, 22, 1-3

43 A. 77,45

8,49,2

167 A. 132

8, 128, If.

43 A. 78

Gellius

19, 9. 14

129 A. 10

Hedylos 5 Gow ! PAGE

126 A. 378

6 Gow / PAGE

126 A. 378

Herondas Mim. 4

117 A. 344

Hegesipp 8 Gow / PAGE

210 A. 296

Hesiod Erg.

Heraklit 1 σον / PAGE

119 A. 354, 170 A. 141

|ff.

26 u. A. 5

101

207 A. 288

682-687

207 A. 288

Herodot 1, 30f.

190 A. 228

Scut.

l, 123, 4-125, 1

43 A. 78

131

1, 124, 1

TA.18,43 A. 77

l, 125, If.

43 A. 77

Theog.

l, 125, 2

43 A. 78

27

Ll. 187,1

65 A. 155

Ι, 187, 1-5

43f. u. A. 79

Hipponax

2, 141. 6

4Aff.

118 WEsT

3. 128, 2-4

43 A. 78

19 A. 70

212 A. 305

256

306

Register 25f. u. A. 4

Ilias

19, 203

212 A. 305

253 A. 109

19, 565

187 A. 212

. 318f.

170 A. 139

23, 143ff.

48 A. 89

304

89 A. 230

24, 80-84

16 A. 56, 55

725

66 A. 158

24, 831.

164 A. 114

838

215 A. 318

24, 217

204 A. 277

Hom. Hymn. Aphr. 29

56 A. 117

Q

91 A. 237

0

. 152211

38

. 169-180

38f.

ΡΜ on oO

. 146-149

0

^ oL

148 Mo

12, 184-192

tA

Homer

234-236

194 A. 243 226 A. 7

Herm.

164 A. 114

231

16 A. 56, A. 112

19, 53f.,

170 A. 231

55 Horaz

7. 89f.

55

Carm.

10, 439

66 A. 158

3,11

11, 500

79 A. 202

11, 632-637

50 A. 99

12. 326f.

91 A. 237

15, 681f.

65 A. 155

16, 608ff.

48 A. 89

Ion v. Chios

18, 377

66 A. 158

Fr. 36 A 2 Dırıs/Kranz

23, 331f.

16f. u. A. 57, 54

24. 287

167 A. 133

130 A. 13

Sat.

1, 2, 105-108

129 A. 10

245 A. 79

Kallimachos (PFEIFFER) Ait.

Odyssee

I Fr. 1, 9-12

200 A. 264

l, 1-3

64 A. 151

I Fr. 1, 30-34

254 A. 111

2, 188-191

179 A. 181

I Fr. 1, 37f.

176 A. 172

4,710

186 A. 210

Ι Fr.3

230

4. 756

164 A. 114

I Fr. 7, 9-14

230f., 238 A. 55. 252

5. 337

207 A. 287

| Fr. 7, 19-21

230, 256

7. 109f.

85 A. 219

I Fr. 7, 34

249 A. 96

8. 296f.

85 A. 219

l Fr. 31b

230 A. 20

8. 370ff.

48 A. 89

II Fr. 43, 56f.

230 A. 20

10, 492-495

111 A. 318

II Fr. 43, 84f.

257

10, 521

79 A. 202

II] ΔῊ 254—268

240

L1, 57f.

175 A. 167

HI SH 254, 1ff.

144 A. 84, 238, 240

11, 75f.

16 A. 56,55 A. 112

III Fr. 57 = SH 264

16 A. 54, 24 Iff.

11, 76

164 A. 114

III Fr. 64

11, 140-144

175 A. 167

226ff., 233, 235 A. 38. 249, 259f.

11, 210ff.

175 A. 167

Ill Fr. 67-75

233ff.

307

Antike Autoren IIl Dieg. 2 |f.

233

IIl Fr. 72

233 A. 32

IIl Fr. 73

234f.

Ill Fr. 75, 53-77

140 A. 67

ΠῚ Fr. 84f.

232 A. 28

33 6D

III Fr. 85, 9f.

232 A. 28

14 (44)

IV Fr. 97

238

IV Dieg. IV, 3f.

238 A. 51

IV Fr. 100

231f., 252, 250ff.

IV Fr. 101

231 A. 23

IV Fr. 102

140 A. 67

IV Fr. 103

232

16 (37)

IV Fr. 110

226, 235ff., 259f.

17 (45)

IV Fr. 112, 71.

205 A. 280

Fr. 114

140 A. 66 u. 67, 229 241, 252, 256, 259ff.

Fr. 114, 7-9

232

Fr. 186, 15

235 A. 37

203, 215 A. 320, 235 u. A. 38, 243 12 (43)

15 (40)

Ep. (in Klammern: Zählung Gow / PAGE)

1 (54)

129 A. 10, 130 A. 13, 144 A. 85, 158f., 168 A. 134, 222

2 (34)

129 A. 10, 221f., 243

216.

146 A. 90, 148f., 172 A. 153, 178f., 221 A. 344

148f., 174 A. 161, 209, 211f., 229 u. A. 15. 248 148f., A. 96

179 A.

181. 249

139 A. 57, 148f., 186 A. 210, 188 A. 216, 202ff , 208 A. 292, 211 A. 299, 220, 228 A. 14. 243. 262 148f., 171 A. 149 119 A. 355. 148f.. 186 A. 210, 201ff. 207, 222, 249 A. 96

18 (38)

146 A. 91, 148f., 186ff . 194, 201, 203, 207

19 (46)

150f, 160f. 162 A. 106, 186 A. 209, 253

20 (32) 21 (29)

150f., 165 u. A. 121 130, 132, 140 A. 68, 150f., 170, 171 A. 148. 176ff., 194 A. 248

22 (36) 23 (53)

150f.

24 (60)

152f, 188f. 215 A. 322, 229f. A. 16 u. 19

25 (11)

128 A. 5, 179

26 (47)

129 A. 10, 146 A. 91, 152f., 181 A. 187, 186 A. 210, 189, 236f., 239, 248 u. A. 91, 259

150f., 219f.

27 (56)

128 A. 5, 152f., 205f.

28 (2)

6 (55)

129 A. 10, 139 A. 62, 152f., 199f.

114 A. 335, 130 u. A. 13, 156f., 200 A. 263

29 (5)

156f.

7(57) 8 (58) 9 (41) 10 (33)

152f., 186 A. 210

30 (12)

156f., 219 A. 337, 220. 256, 262

3l (1)

129 A. 10, 156f., 167 A. 133

148f., 172ff., 209, 214, 257 A. 120

32 (7)

156f., 179 A. A. 247

145 A. 88, 148f., 180 A. 186, 189 A. 225, 191ff..

33 21)

152f.

3 (52) 4 (51)

5 (14)

11 (35)

148f.,

171,

144 A. 86, 148f., 179f , 210f. A. 298 148f, 197 A. 255, 208f., 211, 212 A. 302 u. 304, 215, 237, 248 u. A. 91, 253

152f., 190 A. 231, 195f. 148f., 161f., 164

116 A. 340, 164}. 174f., 209

156f.,

189f,

196,

180.

150f..

168f., 206.

194

308

Register

34 (22)

152£, 181 A. 187, 214f., 217, 229 A. 15

60 (39)

150f., 159 A. 95, 172f.. 175

35 (30)

130, 140 A. 68, 150f. 170ff., 176f.. 191 A. 236

61 (42)

129 A. 10, 150f., 220 A. 340, 229 A. 15

[36] (62)

144 A. 85, 158

154f.

37 38 39 40

139 A. 62, 152f., 166f.

62 (61) [63] (63)

(17) (20) (19) (48)

152f., 167, 232 A. 28 152f., 167 150f., 187 A. 215, 258 A. 121

41 (4)

129 A. 156f.

42 (8)

107 A. 303, 114 A. 332, 129 A. 10, 156f., 218ff.

43 (13)

156f.. 179 A. 181, 219 A. 337, 220 A. 340

44 (9) 45 (10) 46 (3)

156f. 156f.

47 (28)

154f., 161 A. A. 215, 189

48 (26)

10, 147 A. 93,

128 A. 5, 168 A. 134

156f.,

166,

101,

128 A. 2, 154f., 230 A. 19, 253

187

193ff.,

Fr. 393 (64) Fr. 394 (65)

144 A. 85. A. 333

158. 218 u.

114 A. 330, 214 128 A. 5

Hymn. l

205 A. 280

l. 65

138 A. 54, 198 A. 258. 250 205 A. 280 205 A. 280

120

235 A. 37

239

235 A. 37 205 A. 280

12

207 A. 287

. 79-85

235 A. 37

, 82-85

253 A. 108

103

178 A. 176

49 (27)

154f., 182ff.. 230 A. 19, 231 A. 22, 253

205 A. 280, 252 A. 102. 262

50 (49)

150f, 163f. 181 190, 189 A. 225

205 A. 280

51 (15)

52 (6) 53 Q3) 54 (24)

55 (16) 56 (25) 57 (18) 58 (50) 59 (59)

A. 6,27

235 A. 37

154f., 169f.. 231 156f.

Jlamb.

154f.

l Fr. 191

244f., 247ff, 111, 256, 259

Dieg. VI, 6-10

250 A. 97

l Fr. 191,2

212

] Fr. 191, 11

219 A. 337

] Fr. 191, 34

176 A. 170

] Fr. 191, 47-50

250 A. 97

] Fr. 191, 76f.

250f.

l Fr. 191, 78

239 A. 56

114 A. 163 A. 183 A. 216f., 262

332, 142, 154f., 113, 181 A. 187, 201, 215 A. 322, 231 A. 22, 250,

154f., 181ff, 242, 230 A. 19

194

M., 22, 139 A. 154f., 196ff., 217, A. 22. 250, 262

A. 63, 231

254

2 Fr. 192

250, 254

154f., 162f.

4 Fr. 194

235 A. 37, 250, 253f.

145 A. 87, 150f., 206f , 219 A. 337

4 Fr. 194, 61

244 A. 75

4 Fr. 194, 63

244 A. 75

4 Fr. 194, 106

249 A. 96

144 A. 85. 158f.. 222

A.

309

Antike Autoren 5 Fr. 195

254, 256

Lykophron

5 Fr. 195, 32

235 A. 37

230

6 Fr. 196

254, 2561.

207 A. 287

Dieg. VII, 26f.

256

Lykurg

6 Fr. 196, 59-62

4

109

93 A. 247

7 Fr. 197

246, 250ff., 256 A. 114, 259, 262

142

30 A. 25

Dieg. VIII, 18

251 A. 100

Lysias

Dieg. VIII, 33-40

255 A. 112

16,9

9 Fr. 199

140 A. 66, 246, 254ff., 259ff.

Martial

Il Fr. 201

246f., 249f.. 259

4.23

13 Fr. 203

244 A. 77, 245f.

13 Fr. 203, 17 13 Fr. 203, 40

Fr. 222

94 A. 252

128 A. 3

254

Meleager

213 A. 313

l, 21f. σον / PAGE

131

228 A. 12

124 Gow / PAGE

179 A. 182

238ff., 259f. 196 A. 251

Menander 744 KASSEL / AUSTIN = 631 KOCK

182 A. 197

241 A. 66 165 A. 120

Nepos

250

Paus.

255 A. 112

1,3

128 A. 3

4 Gow / PAGE

117 A. 344, 119 A. 355

128 A. 4 128 A. 3

9 Gow / PAGE

117 A. 345

128 A. 4

Parmenides

30 A. 23

Nossis

128 A. 4

Fr. 28 A 46 DiELS / KRANZ

19f. A. 70

129 A. 9 128 A. 3

Pausanias

128 A. 3

15.3 5. 10,2

Leonidas v. Tarent 22 (35) Gow / PAGE 67 (15) Gow / PAGE 78 (93) Gow / PAGE 98 (24) Gow / PAGE

121 A. 365 125 A. 375

Perses v. Theben

166 A. 128

5 Gow / PAGE

177 A. 174

Lutatius Catulus

l. FPL p. 43 MonEL 129 A. 10

207 A. 287 257f.

121 A. 361

Petron

Satyr. 115

30 A. 23

310

Register

Philochoros

644 d 3

9] A. 237

645a2

9] A. 237

653c

242 A. 70

Philodem

669 d

246 A. 83

Poet.

88527

91 A. 237

FGrHist 328 F 171

5.38,9

183 A. 202

30 A. 28 Phaid.

Photios s.v. Κυψελιδῶν κτλ

70

Pindar (SNELL / MAEHLER) Isthm. 4 (3). 88

131 A. 17

Nen.

59c

164 A. 118

61 c-d

165 A. 119

Phaidr. 262 d

245 A. 82

263 b 3f.

70 A. 172

264 c

69 A. 169

Phileb.

4. 78

240 A. 63

8. 40ff.

92u. A. 242

65 c

168 A. 135

Rep. Ol.

394 a-d

159 A. 96

583b

187 A. 212

6, 90f.

42

6. 91

110 A. 315

9,10

240 A. 63

Soph.

10, 1-4

240f.

263 e

14, 4

93 A. 249

147 A. 93

Symp. 183 b

Pyth. 4. 3

168 A. 135

240 A. 62 Platon’

Platon

5 FGE

234 A. 33

Hipparch.

22a FGE

178 A. 175

228 d-e

48Sff.

228 d 5-7

46

Platon, Komödiendichter

228 e

46

61 KASSEL / AUSTIN = 58 KOCK

251f.

229a4

46[.

204 KASSEL / AUSTIN = 188 Kock

251f.

229b1

46f.

Plinius d. Á. Nat. hist.

Ion 534 b-c

245 A. 82

536d

190 A. 231

54l c

190 A. 231

7. 151

190 A. 228

Plinius d. J.

Epist. Leg.

4, 3, 3

128 A. 3

311

Antike Autoren Plutarch

75 FGE

124 A. 374

Alkibiades

83 FGE

70 A. 172

Fr. 57 BERGK

69 A. 168

251

20, 6f.

Mor.

Solon

184 A. 206

346 F

Fr. 4, 3f. WEST

Polybios 12, 13,3

93 A. 249

Sophokles 183 A. 202

Ant.

Poseidipp v. Pella

224

178 A. 176

758

249 A. 96

850f. 1267

89 A. 230

19 Gow / PAGE

165 A. 123 112 A. 326 229 A. 15

705 SH

112 A. 324 u. 325

Fl.

6 Gow / PAGE 17 Gow / PAGE

XV 24-27 BASTIANINI / GALLAZZI

180, 191

Α. 236

81 A. 206

807

83 A. 211

1063

249 A. 96

1296f.

204 A. 277

Quintilian Inst.

Old. T.

1, 5. 20

30 A. 23

Sappho Fr. 31

LOBEL/ PAGE

40

79 A. 202

1207

79 A. 202

218 A. 332 Phil. 29]

Semonides 7, AL WEST

178 A. 176

65 A. 154 Trach.

Simias 4 Gow / PAGE

112 A. 327

Simonides / 'Simonides'

Ep. 94 BERGK

98 A. 263

Ep. 110 BERGK

70 A. 172

Ep. 146 BERGK = 89 WEST 228

154ff.

42 A. 73

549

178 A. 176

683

112 A. 321

968

81 A. 206

Fr. 597 RADT

112 A. 321

6 FGE

98 A. 263

10 FGE

136 A. 47

21 ΠΕ

93 A. 247

5. V. Αρχίβιος κτλ. 128 A. 4

22 FGE

178 A. 177 u. 178

s. v.

31 FGE

86 A. 221

37 FGE

125 A. 375

s. V. ὑμεῖς, ὦ Μεγαρεῖς 128 A. 5, 169 A. 136

68 FGE

186 A. 21]

Suda

Mapia vóg

128 A. 3

312

Register

Theognis

Tibull

l, 29 YouNG

219 A. 336

l, 124 YouNG

179 A. 181

Ll, 210 YOUNG

179 A. 181

Timaios

1, 258 YouuG

179 A. 181

FGrHist 566

1, 332b YouNG

179 A. 181

Ι, 567ff. YOUNG

19 A. 70

Val. Max.

1, 744 YOLNG

219 A. 336

7. 1.2

Ll, 749 YoUNG

219 A. 336

1. 812 YouuG

179 A. 181

Vergil

1, 871 YOUNG

70 A. 172

Catal.

1, 948 YOUNG

219 A. 336

11, 1-4

2, 1223 YouuG

219 A. 336

2, 1282f. YouuG

219 A. 336

Vita Hom. Herod.

2, 1356 YouNG

179 A. 181

ll

Theokrit

3, 6, 49f.

168 A. 135

350

183 A. 202

190 A. 228

129 A. 10

69 A. 169

Vitruv

1, 109

110 A. 313

l, 114

205 A. 280

3. 46

110 A. 313

Xenophanes

7, 44

138 A. 54

Fr.21B1,22D./ K. - Eleg. B 1. 22 WEST

12, 11

164 A. 114

15, 78-86

117 A. 344

Fr. 21 B 14 DiELS / KRANZ

232 A. 26

15, 114

170 A. 140

Fr. 21 B 15 DiELs / KRANZ

232 A. 27

16, 97

186 A. 210

17. 135f.

205 A. 280

Xenophon

17, 137 18, 47f.

164 A. 114 75 A. 191, 235 A. 39

Mem. 1,6, 14

22. 214

205 A. 280

25, 151

110 A. 313

Thukydides 1, 132.2

30 A. 24

2, 43. 3

37 A.53

6, 54. 7

30 A. 23

6, 59, 3

30 A. 23

8, 3. 21

30 A. 23

26 A. 7

101 A. 283

Zenodot 1 σον / PAGE

112 A. 323

3 Gow / PAGE

209 A. 295

313

Inschriften und Papyri

2.

INSCHRIFTEN UND PAPYRI

BERNAND 1969

1, 72

50 A. 100

27

115 A. 338

Ι, 74

62 A. 141

34

110

l. 76

60

35

98 A. 265

Ι. 83

93 A. 248

38

178 A. 175

l. 84

102, 104 A. 292

49

169 A. 136, 190 A. 232, 203 A. 271

1, 89

48 A. 90

79 A. 201

l. 97

57 A. 12]. 67

56

l . 98

61, 210 A. 297

60

114 A. 330

63

106

l ‚102

48 A. 90

68

85 A. 219

l . 108

53, 71 A. 179, 75f., 91. 192 A. 237, 261

92

172 A. 152

105

192 A. 238

108

124 A. 372

|. 28

64 A. 149, 66f., 89 u. A. 230, 204 A. 274

1,34

67, 175 A. 165

]. 39

61 A. 141

1, 40

60

1,43

63 A. 147, 77 A. 193

1, 46

66 A. 158, 181 A. 190

1,49

79

1,51

66 A. 162, 78 A. 197

1, 68

66 A. 162

1,69

60

1, 71

59

m

66 A. 162

ve

1,27

i—

59



1. 26

-—

56f., 200 A. 262

132

. 136

62

139

59

4

1, 24

mn

59 A. 130

[

1, 23

mn

66, 181 A. 190

m

1, 18

-—

61f.

-—

l. 16

131

i—

47 A. 84, 637

“0 A. 100 48 A. 90 54f.. 207 A. 288

-—

l. 13

130

‚142

200 A. 262

mar

63 A. 147

66 A. 158

‚143

207 A. 288

ne

l. 12

, 124

64f.

144

74

Ma

57 A. 121

123

83f., 205 A. 120

. 146

74

[_

l. 1i

120

. 150

66



164

66 A. 162

‚117

. 152

58f.



92 A. 242 u. 244, A. 114

200 A. 262

. 116

. 153

57

m

1, 10

60f., 160 A. 98

‚113

. 159

48 A. 90, 67, 173 A. 156



(Ἐπ

64

‚110

. 16]

77f.. 181 A. 191. 211 A. 299

. 162

55f., 62 A. 142

. 167

67

, 173

74, 192 A. 237

‚174

7531.

. 190

2151.

314

Register

. 192 . 195 . 207 . 230 ‚264 . 270 . 286 . 309 ‚320 . 349 ‚378 ‚399 ‚401 ‚403 ‚429 , 430 ‚42 „438 ‚439 44 ‚442 ‚454 ‚462

M

. 548

74f., 197

. $49 571

164 A. 114 85 A. 219

. 573

164 A. 114

. 574

197 A. 254

.577

6f. u. A. 18, 13, 76

. 581

189 A. 224

590

16 u. A. 55, 18, 137

591

‚592 ‚595 ‚596 . 597 . 600 . 611

173 A. 156 48 A. 90 89 A. 230 72 A. 184, 85 A. 218 48 A. 90 84{ 192 A. 237

16a

98 A. 265 92 9] A. 240 80 A. 205 94 A. 251 91 A. 238 90 A. 235 94 93 A. 248 200 A. 262 89 A. 230 176 A. 172 62f.. 204 A. 274 90 91 A. 240 94. 114 A. 332 94 A. 253. 114 A. 332 80 u. A. 204. 82

211 A. 299

623

481.

627

791.

‚631

142 A. 78. 197 A. 254

. 632

103 u. A. 288, 213

89f.

. 633

81 A. 208, 211 A. 299

49ff.

636

164 A. 114

210 A. 297

648

8]

92f., 178 A. 177

662

189 A. 224

. 664

207 A. 288

187 A.

-

118 A. 348, 181 A. 190

467 . 47021.

85 A. 219

78

475 479 487

91 A. 240

673

172 A. 154, 197 A. 254

91f.

680

81f.

90f.

‚685

91 A. 240

. 492

89 A. 230

. 086

80f., 177 A. 174

403

90 A. 235

700

98 A. 265

‚512

87

. 709

81 A. 206, 91 A. 240

520

90

.713

189 A. 224

523

176 A. 171

. 716

91 A. 240

525

91,103 A. 288

717

200 A. 262

‚718

79f.

. 526

207 A. 288

. 527

94 A. 251

719

80 A. 203

. 530

86f.

721

80 A. 203, 92 A. 244

. 332

91

732

94 A. 250

. 737

9] A. 240

739

9] A. 240

. 535

2,545 2, 546

A.

238.

288f., 105 92 84 90 A. 235

103

u.

A.

. 742-1. 179a

89

. 798

94 A. 253. 114 A. 332

315

Pom

POR

Pp

m

oom 00

mom

m oe

Inschriften und Papyri

93 A. 248 30 A. 25, 98 A. 265 93 A. 248, 178 A. 177 103 A. 288 103 A. 288 103 A. 288 103 A. 288 93 A. 248 103, 163 A. 110 102, 178 A. 177 200 A. 262 102 A. 287 94 A. 253, 114 A. 332 98 A. 265 104 A. 293 104 A. 294

341 424 436—440 462 463

190 A. 232

630-1170

207 A. 288

632 633 764

CIRB 118 CoviLLOoUD 1974

475 DuBors 44

92 A. 242 u. 244

840 926-1147 926-1170 945 1001 1129 1133 1150

61 A. 140

1171-1185

87 A. 226

1171-1208

115 A. 336

171a

110 A. 316

1171b

110 A. 314

1193-1208

98 A. 265

1204-1208

1996

74 A. 188

FRIEDLANDER / HOFFLEIT 1948

149

GV 1-51 20 51a 52-136 52-629 52-1208 101 112 137-285 305 376

46 A. 81

111 A. 317 111 A. 319 111 A. 319

61 A. 140 86, 211 A. 299 86 A. 224 61 A. 140 61 A. 140

68 92 A. 242 u. 244 70 58 A. 126 68, 159 A. 94 14 A. 43 190f. 172 A. 152 58 A. 126 62 A. 144 161 A. 102

68, 159 A. 94 104 u. A. 296 207 A. 288 110 A. 316

61 A. 140 14 A. 46, 18 212 A. 300 110 u. A. 314

197f. u. A. 256 207 A. 288 175 A. 164 98 A. 265 65 A. 157, 70 A. 174 1A.2,45 A. 80, 68 69 A. 169 69 A. 169

69 A. 169 171 A. 149 212 A. 300 166 A. 128 21 A. 77,47 A. 84. 65 A. 157, 68, 212 A. 300

1223-1247 1226

78 A. 197 47 A. 84

316

Register

1284

207 172 183 172

1312

110 u. A. 312

1330-1341

175 A.

1331

1232 1284-1301

A. A. A. A.

288 154, 175 A. 166, 203 154

2005 2018

61 A. 140 175 A. 169

IG P. 13071

91 A. 241

D. 502

211 A. 299

163 A. 112

D. 533

76

1342

115, 118 A. 348

1}. 608

215f.

1370-1376

226f A. 7

1.618

74 A. 189, 197

1384-1563

221 A. 343

P. 627

85 A. 219

1386

87 A. 226

P. 615

164 A. 114

1309

61 A. 140

P. 766

85 A. 219

1413

58 A. 128

P. 811

164 A. 114

1418

111 A. 319

D. 1017

189 A. 224

1498

114 A. 332

P, 1021

16 A. 55, 18, 137

1501

207 A. 288

P, 1092bis

89 A. 231

1537

86, 211 A. 299

P^. 1154

57 A. 121

1600-1830

68 A. 166

P, 1178

63 A. 147

1620

106 A. 301

p, 1179

1625

92 A. 242 u. 244. A. 114

1635

111 A. 319 114 A. 330

I. 1194bis

47 A. 84. 63

1636-1669

187 A. 214

P, 1197

61 u. A. 14]

1702-1726

190 A. 230 111 u. A. 317

P, 1203bis P, 1204

59 A. 130

D, 1208 P, 1213

67 u. A. 163

1754-1777

105 A. 297 166 A. 126

1802-1809

183 A. 204

P. 1215

66 A. 158, 181 A. 190

1802-1830

161 A. 103, 164 A. 116

P, 1219

66 A. 162, 78 A. 197

1831-1847

212 A. 300

D. 1234

60

1831-1887

68, 83 A. 213

P, 1240

66 A. 162

1835

85 A. 219

I, 1243

60

1843

85 A. 219 169 A. 136, 190 A. 232,

1’, 1248 p, 1251

79 66, 181 A. 190

203 A. 271

iu 1255

61 A. 141

1882

86 A. 223

I^. 1260

115 A. 338

P. 1261

50 A. 100

1887

561.

1888-2095

68

l^. 1263

59

1905

199 A. 260

I. 1265

59

1906

30 A. 23

P, 1273bis

78 A. 196

1970

61 A. 140

P, 1277

66 A. 162

1985

207 A. 288

P, 1278

62 A. 141

1990

178 A. 175

P.

57 A. 121,67

1729 1745

1845

166, 257 A.

120

1295bis

164

66 63 A. 147. 77 A. 193

317

Inschriften und Papyri

P, 1315

102 A. 285, 104 A. 292

01/01/97

98 A. 265

P, 1353

93 A. 248

01/12/05

84f., 192 A. 237

P, 1403

118 A. 348, 181 A. 190

01/12/20

207 A. 287

P, 1468bis

89 A. 229

01/12/23

81 A. 206, 91 A. 240

I. 1508 P. 1517 IX, 17, 878

105 A. 300

01/15/04

164 A. 117

60

01 / 20/25

175 A. 169

74

03/05/02

110f.

IX, 17, 880

54 A. 110

03/07/17

207 A. 288

IX, 1?, 881 IX, 17, 882 XII, 3, 536 XII, 3, 540 XII, 3, 543 XII, 3, 546 XIV, 1746

74

04/05/06

192f.

207 A. 288

04/21/03

163 A. 112

48 A. 89

05/01/42

105f.

48 A. 89

05/01/44

207 A. 287

48 A. 89

05/01/50

171 A. 149

48 A. 89

05/01/55

207 A. 287

30 A. 23

05/01/63

175 A. 164

08/01/31

207 A. 288

08/01/33

207 A. 288

IGUR 413

117 A. 343, 207 A. 289

10/06/01

73 A. 186

1148

61 A. 140

10 / 06 / 13

207 A. 288

14707/02

85 A. 219

16/06/01

199 A. 260

IK 2, 304

207 A. 288

23. 512

105 A. 297

P. Vindob.

41, 501

210 A. 297

G 40611

KAIBEL 1878

33 A. 37, 129 A. 6

SEG

488

80 A. 204

14, 565

70f.

11

219 A. 335

18, 338

70 A. 175

30, 1005

198 A, 257

37, 351

116 A. 342

41, 540A

78f. A. 198. 203 A. 273

44, 463

78f. A. 198

45. 661

78f. A. 198

KERN 1900 203

252 A. 104

LAZZARINI 1976

643

137 A. 52

688

84 A. 216 SH

MERKELBACH / STAUBER

Fr. 339 All

191 A. 235

s. auch unter Kallimachos, Poseidipp

01/01/01

103f., 163 A. 110

01/01/12

210 A. 297

SIG?

01/01/13

170 A. 139. 237 A. 48

2

105 A. 300

318

Register

3. Acheloos

156

Achill

17 A. 56, 55, 209 294, 253 A. 109

NAMEN 4, 107f.. 117, 72. 163 A. 111

Apellis

155, 181

Aphrodite

49. 85 A. 219. 103. 117, 118 A. 349, 152f.. 236. s. auch Kypris

Apollon

84ff. 89, 111. 229ff. 241. 245, 250. 251 A. 98

A.

Adonis

170 A. 140, 181 A. 189

Agamemnon

55

Agathias Scholastikos

Anyte v. Tegea

202 A. 268

141

A.

Aietion

190 A. 228 155, 182, 183 A. 202 153, 188f.

Apollonios v. Rhodos

Aigisthos

64

Arat v. Soloi

Aischines

98, 191 A. 235 151, 163f. 155, 162

113, 114 A. 335, 124. 128 A. 2, 153, 187 A. 214, 205f.

Arata

81f.

39ff., 44 A. 79, 45, 47, 54,83 A. 211, 212f.

Archeneos

61 A. 141. 62

Archestratos

240f.

Aisopos (Äsop)

254

Archias

59

Akeratos

55

Archibios

128 A. 4. 130

Akeson

155, 216f.

Archimedes

100 A. 275

Aline

110

Archinos (1)

153. 214f.

Alkaios v. Messene

123

Archinos (2)

157, 219

Ares

39, 85 A. 219

Aglaos Agoranax

Aischra Aischylis Aischylos

Alkaios v. Mytilene (?)

123 A. 369

205. 245

Alkımachos (1)

60

Aretemias

119

Alkımachos (2)

74f.. 197

Arimmas

149, 211

Alkinoe

81

Aristainetos

233ff.

Alkinoos

36

Áristaios

149, 191

Akontios

233f.

Aristides

228

Alxenor

66

Arıstippos (1)

151

Amisoisas

192 A. 238

Arıstippos (2)

164 A. 118

Amphalkes

250

Amphiaraos

40, 42, 113

Anakreon

167 A. 130

Aristophanes, Komódiendichter 209 A. 293f., 234, 249 A. 96, 252 A. 103

Androgcos

232

Antilochos

252 A. 104

Ántmachos

99 A. 273

Ántinoos

118 A. 348

Antipatros v. Sidon

120. 122

Antiphanes

76

Aristophanes v. Byzanz

98 A. 263

Aristoteles

26, 96, 204, 236 A. 45

Arniadas

54 A. 110

Arsinoe

152f., 236

Artemis

45, 152f., 155, 233

Asklepiades v. Samos 2, 4, 107, 118, 125, 126 A. 379, 179 A. 182, 195

319

Namen

Asklepios

154f., 216f.

Dareios I.

43f., 212 A. 303

Aspasia

65

Deianeira

42 A. 73

Astakides

151

Deidamas

58f.

Athenaios

128

Deinias (1)

54

Athene

89, 93 A. 249, 216, 231, 252 A. 102

Deinias (2)

92

Demeter

151

Augustus

243 A. 72

Demeter Pylaia

153

Aurios

249 A. 96

Demodike

155, 216

Autokleides

78

Demodokos

36

Demokrit

7 A. 18. 131 A. 18

Bakchos

152f.

Demophilos

79

Basilo

151, 165

Demosthenes

30, 98 A. 266

Bathykles

248, 250

Didyme

149, 178

Dike

40ff.

Dikon

149, 161

Diodoros Kronos

214 mit A. 317

Diogenes Laertios

251 A. 98

Diokleides (1)

252

Diokleides (2)

149, 201

Diokles

157

Diomedes

194 A. 243

Dion

158

Dionysos

118 A. 349, 152ff., 182, 193ff.

Dionysios

110

Diophon

149

Dioskuroi

155. 227

Diotimos

125. 128

Diphilos

92

Dokimos

192f.

Doricha

112

Echemmas

155

Battos, Vater des Kallimachos

138 A. 56,

151, 171{. 177 Bellerophontes

38, 43

Bembakis

164 A. 114

Berenike

118, 155. 235ff., 259

Bias

250

169f.,

Bion v. Borysthenes 214 A. 314 Biote

67

Bitte

57

Brentes

70

Catull

30 A. 23, 236

Chairion

74, 197

Chares

195

Charidas

149, 211ff.. 2291.

Charmides

258

Charmis

149

Chilias

1251

Chronos

93

Chrysanthe

92

Cicero

100 A. 275, 183

Clemens v. Alexandria Daidalos

251

Damagetos

131

Damasistratos

60

Damatrios

102

Danaos

231

128, 131 A. 18

226,

Eileithyia (Eleithyia)

154f., 230

Eirenaios

106

Eirene

155. 162

Eleithyia, s. Eileithyia Elpenor

17 A. 56. 585 A. 112

Epandrides

137

Epikles

60

Epikydes

157

320 Erinna

Register 108 A. 306, 141 A. 72, 177 A. 174

Eros

156, 219, 235 A. 39

Eteokles

39ff.

Euainetos

139 A. 63, 155, 196ff.

Eudemos

155

Euhemeros

219 A. 336, 247

Eukosmides

59

Eumaios

111

Euopides

65

Euphronos

119

Euripides

42f, 92, 194f, 201, 209, 248 A. 89, 249 A. 96, 257 A. 119

Herakleitos

v.

Halikarnassos

Herakles

119f..

125.

148f., 170 A. 141. 171. 221f. 42 A. 73. 152f., 189 A. 224, 214ff., 241

Hermes

103f., 156, 251ff.. 255. 256 A. 114, 259

Hermias

105

Herodes

98 A. 265

Herodot

Eurymachos

92

Eurynome

238

Eurytos

199

Hestia

α΄. 43ff., 47. 52. 64 A. 149, 74 A. 187. 85. 97f., 100, 136, 163 A. 111 96, 117 A. 344 25f.. 110 A. 313, 140 A. 67. 205f.. 207 A. 288. 212 A. 305 56 A. 117

Euthykles

232 A. 28

Hierokleia

87

Euthylla

67

Hieron

62

Euthymenes

149, 202, 204

Hieronymos v. Rhodos

Euthymos

89 A. 230

Euxitheos

157, 220

Hippaios Hippakos

151, 172f. 149, 178

Hipparchos

45f., 64 A. 149

Herondas Hesiod

31

Gaios

199 A. 260

Hippias

102

Ganymedes

157

Hippodameia

240 A. 63

Gastron

64

Hippomedon

41

Ges

197 A. 254

Hipponax v. Ephesos

Glaukos (1), hom. Held

193f.

50, 176 A. 170, 245,

247ff.. 256 Homer

52, 79%. A. 202, 110 A. 313, 111, 190 A. 231,

Glaukos (2)

TOf.

Glykera

91

200, 205f. A. 282-284,

Gnorimos

256

243, 254 A. ΠΠ]. s. auch: Register der anti-

Hades

62, 93 A. 248, 104, 106, 110ff., 125f., 149, 173, 175ff., 208f, 21l1ff, 221, 228, 247f.

ken Autoren Honestos v. Byzanz

187f.

Horaz

129 A. 10, 130 A. 13

Horigenes

115 A. 338

Hyberbios

4l

Hebdomaios

115

Hedylos

108, 130

249

Hegesippos

210f.

62

Hegilla

94

Hektor

17 A. 56, 19, 53ff.

Inachos

Hephaistos

44, 72, 85 A. 219

Io

Hera

231, 238

Iole

LH, 155, 162 162 A. 108 199

321

Namen

Ion (v. Chios?)

245

Kroisos

Ion v. Samos

30, 98 A. 265

Kronos, s. Diodoros Kronos

lonis

157, 168f.

Kybele

151

Isis

155, 162, 182, 192 A.

Kydippe

140 A. 67, 233f.

238

Kypris (Aphrodite)

104, 118, 125f., 236f.

Kyros

43 A. 77, 205

Laertes

204 A. 277

Kallignotos

157, 168f.

Kallimachos v. Kyrene

passim, s. Register

der antiken Autoren

Kallimachos (2 Kallimachos (3) Kallias Kallikrates Kallistion

151 176 A. 171 64 82 155, 181, 183

Kallistrate

90

Lampis

Leonidas v. Tarent

Leontichos

Kallistratos

31

Leoprepes

Kapaneus

39

Leoxos

Kasbollis

84

Leptines

Kekrops Kerkinos Kerkope Kimon

111, 238 80 200 A. 262 151, 172f.

Leto Leukares Lukian Lukillios

Kleinias

153

Lutatius Catulus

Kicobulos Kleombrotos

69 A. 168 151, 164ff., 175

Lykainis Lykophron

Kleonikos Kleoteles

157, 220, 256 89

Lykos Lykurg

190 A. 228

86 78

4, 107, 108 A. 306. 121ff., 125f., 140 A. 66, 147 A. 92, 166 A. 128, 177, 186, 209 A. 293 151, 206ff. 226, 228 74 70 111 158 243 A. 72 2 A. 5, 199 129 A. 10 155

Konallis (früher: Komallis) 80f.

Lysanias

Konnaros

195

Lysikleides

207 A. 287 149, 186f., 201 93 A. 247 114 A. 335, 156f. 16, 137

Konnidas

249

Konon

236

Markos

199

Konopion

218

Maximos

199

Kore

153

Medea

201

Kosina Krates

62 213 A. 313

Megas Megistias

92

Kreophylos

139 A. 62, 153, 199f,

Melanippos

151

206

Melanthyros

215f.

149, 171 A. 149

Meleagros v. Gadara

Krethis

98 A. 263

98 A. 263, 122 A. 367,

129, 131, 176 A. 179 A. 182

Krinagoras

209 A. 293

Kritias (1)

149, 178f.

Kritias (2)

155, 181

Melite

Kritos (?)

50 A. 100

Menander, Komödiendichter Menekorros

86 182 A. 197

172,

322

Register

Menekrates (1)

151

Oidipus

123f.

Menekrates (2)

157

Oligedas

61

Menexenos

IL 56f.

Onesimos

86

Menippos v. Gadara 214

Oneso

61

Menippos (2)

156f.

Opsiades

87

Menitas

153, 166f.

Orestes

43, 83 A. 211. 158. 204 A. 277

Menoitios

180

Meixis

74

Osiris

124

Midas

69, 100

Osthilos

61

Mikkos (1)

151, 163f.

Mikkos (2)

155, 193

Palamedes

39f. A. 65, 42 A. 71

Mikylos

151, 189f., 219

Pallas

2411.

Mimnermos

140 A. 67

Pamphilos

154f., 182f.. 189

Mnasalkes

99 A. 272

Panamyes

84

Mnesagora

102 A. 285

Pantaleon

94

Mnesiarchides

90

Parmenides

19f. A. 70

Mnesilochos

42 A.71

Parmenion

247. 248 A. 93

Mnesitheos Molorchos

75 241

Pasianax Patroklos

116 55

Molpagores

74

Pausanias Periegetes

Momos

214

Moschion

124 Α. 172

Pausanias (2)

Myrhine

79

Peisianax

60

Myrto

189 A. 224

Peisistratos

122

Pelops

240 A. 63

100 A. 275. 207 A. 287.

257

149. 173, 175

Nadys

73

Penelope

212 A. 305

Neleus

250

Perses v. Theben

121]

Phaidimos

59. 66

Nemesis v. Rhamnus

16, 137

Nestor

47fT., 51f., ΤΟΙ

Phalene

79 A. 201

Nikochares Nikoteles

102 A. 285 151. 160f., 163

Pheidias Pheidis

4 2571 123f.

A. 111

Phileratis

153

Philctades

255

Philipp II.

93

25 A. 4, 55 A. 112, 175

Philippos (2)

151. 160

A. 167, 204 A. 277. 212

Philippos (3)

157

Nitokris Nossisv.Lokroi

43 4. 117, 141 A. 72, 163

Numenios v. Tarsos 205

Odysseus

A. 305

Philarchos Fhilemon

180 209

323

Namen Rhianos

209 A. 295

Rufinus

218 A. 333

60

Sabaithis

117

Philoxenos

155, 196

Saon

149, 161, 164, 173

Phoinix

226f.

Sappho

218 A. 332

Phoxios

80

Sarapis

Phrasierides

55

152f., 155, 166f.. 247, 248 A. 93

Phrasikleia

561.

Selenaia

153

Phrynichos

251f.

Semiades

59 A. 130

Phyloto

164 A. 114

Seneca

6 A. 15

Pindar

42, 92f., 240, 242

Simias v. Rhodos

108, 112, 124 A. 373

Pittakos

158

Simon

153

Platon

46, 98, 164ff., 242 A. 246 A.

Simonides

3. 36 A. 49, 69, 93. 97ff.. 178f., 184 A. 206, 186 A. 211. 226ff., 256

Simos

155, 193, 195

Skelmis

231

Smikros

190f.

Philochoros

98 A. 269, 100 A. 275, 183 A. 202

Philokles

113f.

Philon

Platon, Komödiendichter

Plutarch v. Chaironeia

100, 147 A. 93, 175, 234 A. 33, 70, 245 A. 82, 83, 254 A. 111

251

184 A. 206, 251

181,

Pluton

211

Smikythos

78 A. 197

Polemon

100 A. 275

Sokrates

Polydeukes

226

45, 101 A. 283, 118

Polydoros

248 A. 89

Solon

219 A. 336

Polyneikes

40ff., 51

Sophillos

1121.

Polyphem

157

Sophokles

83 A. 211, 112f.. 124 A. 373, 249 A. 96

Sopolis

149, 201f., 222

Sosibios Spudokrates

238f., 241 A. 66, 259

Telemachos

87

Telephanes

67

Teleson

Hof.

Tellos

190 A. 228

Tetichos

63ff.

Teukros

252

Thales

155, 162, 250, 251 A. 98

Theaitetos

153

Themistokles

45

Theogeiton

84

Theognis

219 A. 336

Theoites

90f.

Poseidippos v. Pella 30 A. 28, 108, 109 A. 308, 110 A. 315, 112, 114, 118, 140 A. 68, 165, 180, 191f. Poseidon

213 A. 309, 231 A. 22

Pothos

165f.

Praxinos

103

Praxiteles

59

Prieneus

Ε13 u. A. 331

Prometheus

254

Protomachos

115

Ptolemaios 1.

239

Ptolemaios II.

164 A. 114

Ptolemaios Ill.

169 A. 137, 236

Ptolemaios (4)

210

Pygmas

58f.

Pvlades

158

164 A.

87

Register

324 Theokrit v. Syrakus 96, 109 A. 309, 117 A. 344, 205 A. 280

Typhon

41

Tyrtaios

140 A. 67

Theokritos (2)

157

Theris

149, 191f., 203, 215, 235

Vergil

129 A. 10

Thersis

118

Vison

59

Thrason

66

Thukleides

91

Xanthippe

234 A. 33

Thymochos

84

Xenophanes

232

Xenvares

74

Xerxes

45

Timaios v. Tauromenion

183

Timandre

81

Timarchos

149, 173ff., 213

Timarete

75

Zenodot v. Ephesos

209 A. 295

Timodemos

153

Zeus

Timokles

187

Timon

148, 179, 215, 237

Timonoe

138f. A. 57. 149, 202ff., 206, 208 A. 292, 220

4, 41. 56 A. 117, 74. 93 A. 249, 156f, 194 A. 243, 197, 200. 215f. 226f., 240. 247. 254. 256ff.

Timotheos

202f.

| - Ikleides

59

192,

208ff,

4.

BEGRIFFE -, an den Toten / an Unbelebtes 79f., 90. 1141. 149, 207 A. 289, 221 A. 343, 237 A. 48, 249

Abbruchsformel 16, 242

ἀδικεῖν / ἄδικος 219 u. A. 336 Aitiologie, aitiologisch 251, 255f., 259

4.

198,

225,

231,

Aition 153, 227 A. 9, 230, 231 A. 24, 249, 255 Alitagskommunikation / Alltagsnähe 10, 22,

35, 42, 47, 52, 109 A. 307, 127, 195, 223

anonymous (first person) mourner T1, 78 A.

197, 81, 119, 124, 128, 148ff., 185, 201f., 223, 260

-, an den Wanderer / Passanten 21. 37 A. 58, 38. 65, 102, 106, 125, 147ff., 159, 170ff., 212. 249, 256

-, an den ξένος

151, 207, 256 A. 116

-, an die Stimme des Steins 85 —, an ein ‘Du’ 80 A. 205, 232 -, an ein Werk 153 153,

155f,

196,

215f.

Anrede / Apostrophe

—, an eine Gottheit 227, 2318f., 255

—, an das Haupt 79

-, an Gegenstände 200, 254ff.

-, an das Publikum 187 A. 215, 241ff., 247

-, an Symposiasten / Freunde 147, 156, 158, 258

-, an den Betrachter 47 A. 84, 65 A. 157, 80, 155, 159, 180ff. —. an den Leser 104, 151, 159, 171 172. 175, 178, 180, 185. 249

A.

148,

-, an Trauernde 151 - extended apostrophe 140 A. 67

Begriffe -, Formen / Strukturen der 4, 33 A. 38, 35, 56, 58, 63, 68, 75f., 124, 127, 176 A. 172, 183 A. 203, 208, 226, 239, 259 -, häufiger Gebrauch bei Kallimachos A. 67, 146, 159, 236

140

-, Kreuzung / Kombination von Anredeformen 232

Anthologie 33, 36, 96, 101, 129, s. auch Epigrammsammiung

325 Bericht 13f., 68, 76, 146ff., 1596. 207, 221, 225, 235ff., 255ff.

186, 193,

Betrachten,s. Sehen

Betrachter 11, 16f., 21, 37, 45ff., 506. 63, 66f., TIER, 77tf., 102, 112 A. 327, 137, 146f., 152ff., 180ff., 200ff., 230ff., 237 A. 48, 249ff., 260f. -, Einbeziehung des 117ff. -, mit Leser vergleichbar 11, 184f.

Antizipation / Práfiguration / Vorwegnahme

8, 19, 21, 44f., 47, 51f., 63, 67, 73, 75, 84, 114 A. 330, 115, 142, 156, 161, 175, 182f., 242, 257, 261 Antwort / Antworten 7, 9, 13, 76, 86, 127, 141 A. 20, 145, 156, 169, 173, 204, 207ff., 215, 229ff., 242, 255, 260

Apfel 233f. Appell 8, 21, 23, 32f., 42, 52, 56£., 636. 73, 76f., 80, 94, 106, 108, 118f., 148, 152, 198, 230, 237, 243, 261f. Appellstruktur 8ff, 13, 15f, 22, 35f., 47, 52ff., 58, 67f., 101, 108, 127, 141, 159, 224, s. auch Epigramm:

Appellstruktur,

Rezeptionsästhetik audible thought 143 A. 82, 147, 156, 188, 208, 218ff. Aufführung / performance 5, 25ff., 31, 35f., 47f.. 96, 112 A. 323, 137, 139, 140 A. 65, 142, 144f., 158, 239f., 244 Autor

-, abwesend 20, 29, 53, 71 A. 176 -, als Frager 4f., 230

-, anonym 13, 82, 112, 260 -, AutorbewuBtsein 14, 25

Bild / Statue

-, Ähnlichkeit mit dem Dargestellten 118ff., 232

-, als lebendig erscheinend 41, 71{ 88 A. 228, 137 u. A. 53, 169, 184, 231, 257

- Bild und Epigramm 4, 11, 21, 37ff., 57£., 121ff., 133 A. 28 -, Bild und Schrift 39ff., 44f., 47, 117£., 121 7, Scheinbar sprechend 72, 74f., 163 A. 111, 187, 230ff., 2516 255ff. -, Spiegelbild 184f. —, Verhältnis

zum

Betrachter

11

u.

A.

28,

184f.

- 5. auch Kunstwerk, Personifizierung Bildung 47, 95, 107f., 110ff., 124, 165. 201, 331 Bote 39ff., 46, 85, 93, 102, 103 A. 291, 115, 148f., 160 A. 96, 178f., 197, 221f.

Brief 38f., 42f., 116 Buchepigramm, s. Epigramm

Bukolik 110 χαῖρε, s. Gruß

-, Autor-Leser-Beziehung 7f., 12, 20, 23, 29,

88, 109, 123ff., 141ff., 242 -, empirischer/ realer 13, 22, 38, 109 -, fiktiver 13, 203 -, für sein Werk verantwortlich 26, 38, 98ff., 107, 124ff., 138ff.

-, Rolle des 4, 12, 16, 22, 109, 174 -, vom Sprecher zum Autor 20ff., 26, 246 Belehrung / Unterweisung

15, 26, 45f., 86,

161, 172f., 185, 223, 248 A. 93, s. auch Moral, Wissen

Defekt am beschriebenen Gegenstand 184, 189, 195, 200, 230, 252, 257 A. 118, 262

Deixis, deiktisch 11, 15ff., 20f., 50, 54, 58ff, 72, 74, 93, 101, 114, 117, 137, 159, 212 -, am Phantasma 18f., 21, 142 -, S. auch Sprechakt: Zeigfeld, Zeichen Denken / Gedankenbewegung -, im Epigramm 54, A. 212, 92, 109, 187, 190, 196f., 218, 221 A. 341,

66f., 70, 75, 78, 81, 83 115, 118, 121f., 146f , 202, 213, 214 A. 314. 222ff., 230, 262

Register

326 -, in anderen 235, 241}

Gedichten

des

Kallimachos

-, als Sprecher 109, 114, 119ff., 126. 141 A. 72, 145, 147ff., 159, 174, 195f., 198, 217ff., 226ff., 2451T.

Denkmal -, als Metapher 92

-, als sprechend dargestellt 18, 60, 70f., 74. 76f., 85, 102, 109, 111, 149, 178f., 181,

189, 198f., 201 -, als Wegweiser 46, 89 -, als Zeiger 58, 80 1

Dichter

, Autorität / Sprecherrolle in Frage gestellt 186f., 197ff., 261 . Dialog mit dem Leser 76, 84, 115, 206ff.. 260

, Funktionen des 46, 55, 74. 121, 137, 187 , nicht lebendig 57, 70 -, Zerstórung des 21, 226f.

-, im Epigramm 38, 109 A. 309, 110ff., 128.

140, 17 1ff., 195ff., 206 -, und Publikum 26ff., 134 A. 42, 217, 242 Dichtung. pragmatische Aspekte der 26f. Dichtungstheorie, antike 26, 37 A. 59, 114, 125 A. 376, 171, 191 A. 235. 193, 196 A. 251, 198, 200 A. 263, 204. 214 A. 317,

235, 245f. Dipylonkanne 48f., 51

Dithyrambos 37 A. 55, 97 A. 259 Dokimasie 94 A. 252 Drama / dramatische Form

-, unfreiwillig komisch 259

- von Lesern geschätzt 96

- als Spiegel der literarischen Entwicklung 108, 110ff. -, literarisch überarbeitet

100,

120

A.

359,

vgl. 69 A. 171

-, s. auch Epigramm: Grab-/Weihepigramm δεξίωσις 87 Dialog 5ff., 13, 37, 56, 68, 70 A. 174, 71 A. 176, 76f., 816 142, 145ff., 159, 174f., 181, 185, 200, 206ff., 223f., 229ff., 237, 242, 245, 255, 259f.

1

-, rhetorisch-logische Schwáche 262

-, Komödie 42, 132 A. 25, 154, 1826. 195. 208, 225, 231 A. 22, 237. 241. 249, 251f., 258, 262 ‚ Tragödie 37, 39ff., 79 A. 202, 81 A. 206. 82, 83 A. 211, 89 A. 230, 91 A. 239, 96f., 105, 112, 193ff., 245, 249 A. 96 ‚ und Epigramm 13, 83, 85, 87, 95, 97, 101. 105, 178 A. 176, 204

-. 5. μνῆμα, σῆμα Denkmalepigramm / Steinepigramm

, 5. auch Dialog, Sprechdrama

Dramatisierung, 7f., 13, 37, 81. 85, 142f.. 159, 179. 202 A. 269, 243, 255, s. auch Dialog, Sprechakt Dramentheorie 13

-, der Seele mit sich selbst 147

ἡ ῥα / Pau 86, 122, 211 A. 299, 220

- extended dialogue 140 A. 104

Ekphrasis 61,66 A. 158, 118, 137, 147. 169. 210, 255, 258

-, im Drama 1317 77 -, im Weihepigramm unüblich 215 -, informativ 83f., 149, 155, 159, 175

Ι

-, komischer 208 -, mit Gottheit 181, 214ff., 229ff., 252

Elegie 2ff., 109, 124f. A. 374 -, elegischer Stil des Kallimachos 140 A. 67,

225 A.1 -, elegisches Versmaß 30, 46f., 108, 144, 233

, mit Statuen 71 A. 178, 83f., 229ff., 241, 251ff., 259

-, enkomiastische 140 A. 66

, vermittelnde Funktion 13ff.

-, Themen der 4, 130, 219 A. 336 -, threnodische 78f. A. 198, 97, 109

-, zwischen Angehórigen 86f., 223 -, s. Denkmal, Lesen: als Dialog Diatribe 213f., 248 A. 93

-, erotische 2f., 234

-, und Epigramm 28 A. 16, 35, 77, 97ff., 101, 109 A. 310, 114, 132, 140, 168 A. 136, 179 A. 181, 192, 202f., 225ff.

Begriffe Enkomion 28, 110, 140 A. 66, 225 238, s. Elegie, Lob

A.

4,

327 -, nicht als literarisch zu bezeichnen A. 10, 97 A. 259

10, 27

ἐπειπεῖν 167

-, nicht lyrisch 32 A. 35, 131 A. 20

ἐπεσσομένοισιν ὁρᾶσϑαι 163

- objektbezogen 3f., 31f., 58, 131 A. 20

Epideixis, epideiktisch 2, 100, 120 A. 360,

-, öffentlich / auf Staatsdenkmälern

92 A. 242, 93, 97, 101, 103, 124, 203 A. 273

129, 137, 142, 147, 169, 184, 199 Epigramm (literaturgeschichtlich) - als Auftragsdichtung 227

133f.,

174,

190 A.

Iff., 27ff., 33. 76, 96, 99f.,

107, 125, 138f., 159, 198, 259

-, als Geschenk 50, 147 -, als Kurzbiographie

174,

190,

198,

239,

249, 255, 259, vgl. 36 A. 48 -, als Merkvers 28 —, Appelistruktur 8, 13, 35f., S3ff., 58, 68,

, , . -,

-,

JO1ff., 127, 141, 159, 224 auf Dichter 109, 112f.. 124, 171 auf kleine Gegenstände / Personen 189ff., 193, 195 aus Totenklage entstanden 28, 78 A. 198 Buchepigramm 2f., 5, 9f, 13, 22f., 32f., 36, 38, 61 A. 140, 968. 107ff., 116ff, 127ff., 136ff., 141f., 147, 193, 249 A. 95 Definitionen 9, 27ff., 96f., 138 A. 57

-, epideiktisches 2, 100, 120 A. 360, 129, 184, 199 -, erotisches / Liebes- 2f., 33, 96, 108, 114 A. 335, 125, 126 A. 379, 133, 145, 147, 156f., 159, 165f., 168, 218ff., 222f., 255, 262

-, Formtypen / Formeln 68f., 74, 77, 113ff., 120, 124, 126f., 170, 216

-, Grabepigramm

2,

14,

18ff.,

28,

107,

36ff.,

52ff., 65, 71, 77ft., 90ff, 96ff, 102ff., 108, 110ff., 116, 120ff., 126, 128, 146ff.,

156, 160ff, 167f., 170ff, 2061L, 220f., 227f., 248ff., 256, 259, 261

-, Parallelepigramme 101, 170 A. 142 -, pragmatische Aspekte 36, 46ff.. 76, 115. 168

-, als ἐλεγεῖον bezeichnet 30, 46f., 98 -, als Gattung

37, 89,

216,

-, Realitütsbezug 3, 76, 96f., 100f., 113, 115, 120 A. 360, 127, 132ff, 138f., 142f. 167, 171, 173, 202 -, sekundär inschriftlich 107 A. 303, 102

161

A.

—, sich selbst thematisierend 76, 113, 121. 124, 142, 159, 180, 187, 198f., 204, 217, 220, 231 A. 22

-, Siegerepigramm / agonistisches Epigramm

114, 140 A. 66, 144, 155, 195f., 218 A. 328, 238ff. ᾿ -, und andere Gattungen 23, 30, 77, 95, 107, 132, 139,

140 A. 66, 192, 217f.. 225ff..

236, 244ff. - und Homer 35 A. 43, 54, 69 A. 169 -, und Prosainschrift 203 A. 271, 234 A. 36

—, Weihepigramm 2, 14, 18f., 21, 55, 96, 102f., 108, 124, 133, 137, 145f., 152ff., 162, 167f£., 172, 180ff. 189, 193ff. 214f., 223, 225f., 230, 238, 250, 259 -, S. auch Denkmalepigramm, Elegie Epigramm (Stil) -, Alliteration 61, 82

-, Antithese 53 A. 106, 56f., 112 - bürokratisch / förmlich 103, 217, 222 - Deiktika 18f, 50, 54, 58ff., 72, 74, 93, 101, 114, 117, 142. 147, 212 -, Endakzentuierung 64 A. 152, 81, 146 -, exclamatio 82f., 87, 146, 151f., 156, 249

-, leserorientiert 9ff., 25ff., 32f., 55, 65, 71, 74, 127

-, Klangeffekte 61, 62 A. 135, 82, 161 u. A. 99, 175f.

-, literarisches Iff., 10, 14f., 20ff., 32. 36, 76, 97ff.. 101 A. 279 u. 281, 1078, 124, 138, 179, 260

-, Klimax 81, 92, 219

-, Negation / Negierung 70 A. 172, 161 A. 103, 183, 210f., vgl. 164f.

—, Länge / Kürze 3, 28 A. 16, 32f., 75. 114 A. 335, 162, 167 A. 130, 168. 186 A. 209, 191ff., 196, 216, 221, 242 -, Lebendigkeit 69, 76, 82, 167, 224

Register

328 -, löst Empfindung aus 65ff., 80ff., 146. 179 - Pointe / Überraschung 32, 44, 122, 131, 165, 167, 181, 183f., 188, 190, 197, 211, 216, 219, 228, 230, 234, 250

-, antike Vorstellungen 39 u. A. 61, 263 - im Sinne von Lesen 106, 220 Erzählen / Erzählung 1, 14, 38, 43, 47 A. 85. 93. 121 A. 362, 141 A. 72, 162, 168. 214.

-, Rede in der Rede 145, 148ff., 159, 166. 179, 182, 194, 216, 226, s. auch

226ff., 238ff., 250ff., 261, s. auch Bericht

Sprecherrolle: Aufspaltung / Doppelung

Erzähler 4, 13ff, 25. 222, 241ff., 259

109,

140,

168.

160,

, Reim 161, 175

-, allwissend 14, 109, 146, 198

, Relativsatz 51, 160, 173, 227, 249 . schlicht / lapidar 58, 160, 168. 190

- s. auch Perspektive, Sprecher, Stimme Erzähltheorie / Narratologie 4, 14

- Tempora / Zeitstufen 48 A. 90, 50, 63, 93 A. 246, 163

—. verba dicendi 74, 101ff., 145, 146 A. 91, 155, 166, 187, 233, s. auch performative Verben -, visuelle Effekte 5 u. A. 13, vgl. 133 A. 29 -- Wiederholung / Doppelung des Verbs 172f. - Wortspiel 61, 92, 106, 160 A. 98, 177 A. 174, 183f., 190, 205f., 228, vgl. 82, 122

fictus interlocutor 213, 214 A. 314, 254 Fiktivitàt. s. Autor: fiktiver, Epigramm: Realitätsbezug, Hörer: fiktiver, Leser: fiktiSprache: ver, Mündlichkeit: fingierte. , Sprefiktiver kt: Fiktionsspiel, Sprecha n cher: fiktiver, Sprecherfiktio Fluch 21, 82, 116

Frage / Frager 4f.. 75.

148ff.,

174f..

159,

-, Zeugma 160, 163, 186 A. 209, 190 A. 229 -, s. auch Anrede, Bericht, Dialog. Monolog Epigrammbuch 5ff., 16, 96ff., 107 A. 303,

204, 206ff., 229, 236 A. 43, 257. 260fT. Frage-Antwort-Relation 7, 9, 13, 76, 83f.. 87, 120, 159, 215. 229, 241, 255, 260

225 A. 3, 259, s. auch Buchepigramm Epigrammdichter 2ff., 30f., 35, 38, 46, 63, 65, 74f., 958. 102, 108ff., 128 A. 3, s. auch Autor -, namentlich bekannt 96f., 117ff., 1241f.

Gattung. s. Epigramm (literaturgeschichtlich) Gattungsmischung / generic mobility 132,

117ff., 129f., 132, 148, 172 A. 150, 223,

-, Schulen’ 2 A. 4, 107f. Epigrammsammlung

217f., 225 A. 4, 226, 245 A. 79, 246 Gebet 74 A. 189, 196, 227, 23] Gedankenbewegung, s. Denken Gelübde 74 A. 189, 102, 104. 162, 181, 183, 216

—, antik 3, 36, 96ff., 100f., 121, 128ff., 172, s. auch Anthologie, Epigrammbuch -. modern 23, 33f., 47, 144, 172

γέρας Sa vóvtov 60, 167

Epigrammtheorie 9, 31fT., vgl. 57f. Epitaph 27 A. 9, 28 A. 14, 75, 81f., 87, 99, 109£., 121, 171, 176, 189f., 248 A. 91,

-, am Meer 55, 62 A. 142

249 A. 94

Erinnern / Erinnerung 9f., 18, 45, 50, 52f.. 55. 57, 58 A. 123, 62f., 65. 67, 76, 81, 92. 112, 119, 125, 171, 177, 217, 221ff., 226ff., 261 117, A pa -Topos Erkennbarkeit / γνωτὸν &ya

169f., 237 A. 48 Erkennen -. als Wiedererkennung 204, 220, 255, 261

153ff.,

146,

γνωτὸν ayana-Topos, s. Erkennbarkeit Grab -, am Weg 62, 64, 67 - Bezeichnungen 91 A. 239, 226 A. 7

-, Erde 59f., 119, 179 -, Grabschändung 21, 44, 226f -. Grabschmuck, 170, 210

Blumen

58,

61,

-, ohne Inschrift 123 - s. Grabepigramm, pvrua, opio

Grabluxus 37 A. 53 Grabrede, s. Epitaph

85.

119,

Begriffe Gruß (χαῖρε) 10, 21, 55, 68, 75, 90f., 115, 148ff., 180, 205, 210, 232 A. 25, 236 A. 42, s. auch Anrede

329 -, Ehreninschriften 3, 109 A. 308, 113, 232 A. 28

163

A.

-, Felsinschriften 45, 48 A. 128, 118 A. 348 - Fluchinschriften 21, 116

Hadesbraut 56f. Hóren

-, als Rezipieren / Verstehen 41ff., 75 A. 191, 94, 105, 242, 253

-, Grabinschriften 2, 7, 10, 18f., 28, 35f., 54ff., 68, 70, 73ff., 90ff, 103ff., 110ff., 115ff., s. auch Epigramm: Grabepigramm -, in literarischen Texten 97f.

-, antike Vorstellungen 6

-, in Sprechakt zurückübersetzt 168

-, Betonung des 139 A. 61

-, Inschriftenkritik 110ff.

- Einheit von Sprechen und Hören 9

-

-, Freude am 58

- Künstlerinschriften 4, 59, 66, 99, 257, vgl.

-, Nichthóren 168

Ka Àóc-Inschriften 50, 233ff. mit A. 39 auch 153, 206

-, von Rezitationen 193ff.

-, Vaseninschriften 16, 35, 47£f., 52f.. 79f.

-, Vorrang vor dem Sehen 5 A. 13

- Weihinschriften 1, 3, 16, 21, 29f., 35f., 70, 74, 84, 96, 102f., 105 A. 300, 124, s. auch Epigramm: Weihepigramm

-, s. auch Lärm, Rezeption Hörer —, aktiver 4

- 5. auch Epigramm

-, als dringend interessiert dargestellt 257

Ironie 3, 40, 141, 164, 168, 176, 179 A. 182, 200 A. 263, 208, 211 A. 299, 241, 263

-, als privilegierter Mitwisser dargestellt 243

ἰσϑάναι 163

-, empirischer 13 -, fiktiver 13, 24 1ff.

Jambus

-, metaphorisch für Leser 7

- als Versmaß 124, 194

-, vom Hörer zum Leser 20ff., 35

-, und Epigramm 209 A. 294, 244ff.

- von Rezitationen 138ff., 190 A. 231, 194 Hórergruppe 5f., 25ff., 37 A. 51, 241f.

Jenseitsvorstellungen 19, 52f. u. A. 108, 146, 149, 151, 165, 174, 176, 21 1ff., 214, 248

Hórerrolle 252

Humor 51, 196, 241, 249, 263

κεῖσϑαι 162 mit A. 105

‘Ich’ als Zeigwort 18ff., 71 A. 176

Kenotaph 149f., 186f., 196, 201, 203, 212, 222

Ich-Du-Relation 70 A. 173, 185

κηρύσσειν 102 A. 288, 103, 146 A. 91,

Ich-Rede 4, 14ff., 28 A. 15, 50 A. 100, 65 A. 157, 68ff., 102, 105 A. 300, 1496, 159, 177f., 185ff.. 225ff., 234ff. Innerlichkeit / Verinnerlichung 37 A. 57, 67. 91 A. 239, 147 Inschriften

186ff., 201 κλέος, s. Ruhm Kommunikation

-, antike Vorstellungen 6ff., 29, 206 -, durch Inschriften 2, 7, 27, 37, 4ΙΗ͂. 52, 72. 76, 113

-, als lokostatische Texte 19 A. 68, 52, 100

-, Fehischlagen der 116, 208

-, als Teil einer Handlung 43. 45

-, im Epigramm thematisiert 85, 113. 188 A.

-, Anbringungsort 36 A. 46

216, 198, 203f., 250ff.

-, Beischrift 39ff., 44, 58, 85, 184

-, indirekt / vermittelt 102, 243 A. 73, 261

-, Besitzerinschriften 51 -, Editionen 23, 34

-, indirekte Direktheit 21, 167 A. 131 -, literarische 12, 23

330

Register

- schriftliche

-, Leseerfahrung

17 A. 60, 41ff, 52, 235, 261

1, 5ff,, 22. 45,

105.

142.

243, 263

-, Verschriftlichung 20ff., 7, 29. 47

-, Lesehindernisse 63, 67, 120 A. 357. 204, 208, 210

-, S. auch Mündlichkeit Kommunikationsfunktion / kommunikative Funktion 13, 15f., 68, 74, 76, 102, 159, 180

-

Lesekultur / literarische 138, 139 A. 60

Kultur

35.

112.

Kommunikationsprobleme / -hindernisse 180. 197 A. 255, 204 A. 274

-, Lesevergnügen 96, 116, 121. 184, 263

Kommunikationssituation 6f., 71

-, unmittelbare Auswirkung 20f.. 39. 42. 47. 51. 165ff.

-, metaphorisch 220

-, vom Autor erinnert 22 1f.

-, vom Autor imaginiert / fingiert 53, 58, 77, 144, 220f., 261

- Vorlesen 6f., 75. 96

-, vom Leser inszeniert 6 A. 16

- abwesend 20, 29, 35, 42, 53. 86. 147

Kommunikationssystem 13f., 243 A. 73, 261

-, aktiver 4, 6, 9ff., 45, 102, 117, 119. 121. 174f., 203, 231, 243

Komödie, s. Drama

Leser

-, als Frager dargestellt 5. 84. 87, 102. 151. 208, 261

Kunstwerk 66, 85, 117£., 153, 155. 163 A. 111, 169, 184, 194 A. 244, 230ff., 257, 257

-, als Hörer dargestellt 6f., 41} 242f.

-, sprachliches 97f.

-, als Projektionsfláche des Autors 123 -, als wißbegierig dargestellt 202, 261

Lärm / Tönen 40ff., 114 A. 330, 195, 219 A.

337. 254 A. II

-, antike Leserpsychologie 6f., 67, 203f.

Landmarke, s. Wegweiser Leerstellen 11, 15f., 45, s. auch Rezeptionsästhetik

λέσχη 221f. Akt

des Lesens

5fT..

lOff.,

41f.,

75.

86.

115ff., 137, 149, 162, 185, 202ff., 235, 262 -, als Aktualisierung 19, 36 -, als Dialog 5, 7f., 13ff., 56, 71 A. 178, 76ff., 206ff., 224

-, Beschimpfung / Verspottung des 123. 146, 148, 180, 209ff., 248 A. 93 - Buchleser 5f., 140f., 208

—, Einbeziehung des 9ff., 18, 22, 45, 65, 73, 77, 87, 101, 159, 179, 256f.

Lesen / Lektüre -

-, als Zeuge 76, 180f.

83ff,

142,

159,

185,

176 u. 200,

-, einsamer 116

-, empirischer / realer 12f.. 19. 78. 86. 115. 120, 127, 184, 203, 231 -, fiktiver 12f., 23, 106, 118, 120, 123ff., 143, 175, 177, 184, 203, 260, s. auch Leserrolle

-, als Vertrag 1 A. 1, 22

-. Frauen TH.

-, Anleitung zum Lesen 124

-, Freiheit des 12 A. 37

-, antike Vorstellungen 6f., 38ff., 203f. -, einsames/ privates 6, 116, 143

-, gebildeter 22, 46, 97, 108 A. 137, 135, 143, 165, 175, 240, 243, 261

-, Freiwilligkeit 12, 35f.

-, idealer 12f., 93, 123, 147, 204

-, gemeinsames Lesen 76, 86 A. 223, 120f.

-, impliziter 12, 79, 83, 108, 120, 123, 127, 180, 263

-, lautes 6, 42 A. 70, 51, 75f., 85 A. 217, 116 -, leises 5, 109, 115f., 234

als Leserinnen

-, intellektueller 85, 203ff., 217, 223

88,

65 u. A.

118f.,

156, 67,

I21ff.,

110.

184,

Begriffe -, Lesererwartung 9, 22, 31, 38, 94f., 124ff , 134, 161f., 165, 209, s. auch Rezeptionsgewohnheiten

331 Metrik 28, 30, 35, 47 A. 87, 58 A. 125, 60 A. 137, 70 A. 175, 90 A. 236, 129 A. 10, 130, 170, 178 A. 178, 194, 225

-, Lesergruppe 21, 63f., 83, 89, 94, 1346

Mimesis, mimetisch 26, 37 A. 55, 100, 142 Α. 81, 167, 244

-, Leserlenkung 183

- im Unterschied zu diegetisch 167

172, 187 A. 215, 203, 256 !0ff,

15f,

20,

142,

171,

- S. auch Epigramm: Realitätsbezug

-, Leserrolle 7 A. 18, ΠΗ͂ 77ff, 87, 96, 107, 109, 115ff, 120ff, 184ff, 201ff, 211, 216, 230, 261, s. auch fiktiver Leset

μνῆμα 46, 55, 70, 77, 90 A. 232, 92, 101 A. 285, 159, 228

-, Lesertypologie 12

-, im Unterschied zu σῆμα 65

-, Manipulation / Beeinflussung 16, 43f., 47, 65, 88, 107, 128, 181, 184, 234

Mnemotechnik 25, 228, vgl. 239

- Nichtleser 116

μῶμος, s. Tadel Monolog 37, 71, 82, 145ff., 162, 181, 184 A.

-, vom Hórer zum Leser 20, 22

207, 185ff., 200ff., 221f., 231ff.. 2356

-, wissend / informiert 45, 95, 109, 177, 223, 243 Liebe 51, 67, 86f., 126, 130, 156ff., 165, 168, 182, 217£f., 233ff., 255 Lieblingsinschriften, s. Inschriften: [nschriften

57 A. 119, 58,

ka Aóc-

Literarisierung 13, 16, 20, 28 A. 15, 30, 6I, 76, 97, 101, 107, 127, 138, 224 Lob / Preis 49, 51, 59, 66, 78. 80, 83, 87, 91, 102, 110f., 118, 140 A. 65, 148, 150ff., 169f., 177, 181, 189, 190 A. 231, 209, 215 A. 320, 224f, 227f., 238ff, 250, 257, s. auch Enkomion

258, 262 -, innerer 83

Moral 37, 42, 44f., 47, 63ff., 86, 104, 123, 125 A. 375, 164, 172 A. 155, 190f.. 196, 227, 242 mors immatura, s. Tod

Motive in Epigrammen, s. Bote, Erkennbarkeit, Liebe, nö9og, Reise, Seefahrt, Sehen, Weg, Wissen, Zeuge

Mündlichkeit 5ff., 25ff. -, der dargestellten Kommunikation 7f., 13,

26, 35, A1ff., 48ff., 76, 206, 235 -, der Wissensvermittlung 73 A. 187, 198

Magie / Zauber 28 A. 15, 51, 116

Meer, s. Seefahrt

-, fingierte / fiktive 8, 52, 74f., 87, 101, 145

A. 88, 167f., 242f., 250, 261 - im Epigramm 28f., 35, 47ff, 53. 71 A. 176, 72ff., 162 A. 104, 172

Mehrdeutigkeit / Ambivalenz 41, 126, 163, 147, 183, 190, 191 A. 236, 192, 194 A. 247, 228

-, Inszenierung von 52f., 72, 75, 77, 96. 168

-, als Merkmal von Literatur 22

-, und Schriftlichkeit 22f., 47ff., 168

Metapher, metaphorisch 6 A. 18, 42f., 76, 85, 102ff., 11 1fT., 125, 141, 184, 194, 198, 204, 206, 220

Mystenrien 124, 175 A. 167

-, Boten- / Briefmetapher 42

-, als zentrale Botschaft des Epigramms 14,

-, Buchmetaphorik 111 A. 32

103f., 162, vgl. 115 A. 337, 117, 202ff.

Name

-, Lebensweg 147

-, Auskunft verweigert 210

-, Mysterienmetaphorik 124 -, unbewußte 72, 85, 88, 105, 141, 199

-, im Gegensatz 186, 201

-, s. auch Schrift, Sprache, Sprechen, Stimme

-, inspiriert Dichter 82

zur lebenden Person

-, sprechender 113, 189f., 193, 217

124f,

160,

164,

174.

177.

Register

332

—, s. auch Hören, Lesen, Sehen Rezeptionsästhetik Iff.. 9ff. 57. Leerstellen, Leser Rezeptionsgewohnheiten 22, 96

Narratologie, s. Erzähltheorie Nestorbecher 48ff., 70f. παῖς καλός 50, 113

Paradoxon 15 A. 47, 19, 72, 88 A. 228, 103, 105, 116, 175f., 192£., 197, 208, 223 Parodie 124, 125 A. 375, 137, 174 A. 161, 209, 215 A. 319, 232, 237, 241, 257 A. 118 performative Verben 10, 21 A. 78, 74f. u. A. 187. 102. 105, 142, 146f. u. A. 91, 148, 152. s. auch verba dicendi

s.

auch

Rezipient, s. Betrachter, Hörer, Leser Rhetorik 11, 37, 43ff., 47, 161f. - als Vorläufer moderner Wirkungsästhetik

24.5.11 —, Rhetorikkritik 43, 47

-, und Epigramm 37, 45. 52, 67, 70, 72. 82. 98, 127, 161f., 184f., 220, 224 Ruhm

Persiflage, s. Parodie

Personalisierung 14, 37, 71{. 141 A. 73, 147, 198, 215f., 227, 237 Personifizierung, -fikation 40, 45, 71 A. 178, 72, 93, 195, 200, 206, 230, 237, 241, 252, 257 A. 118, 262

- κλέος 36, 38. S6f., 60. 74ff., 81. 84f., 90f., 93, 102fT., 113ff.. 126, 151, 153. 164 A. 114, 166 A. 126, 176f.. 180, 189 A. 224, 197, 199 - des Dichters 25. 110, 124. 128, 171, 177, 199, 227f.

Perspektive 14f., 159, 215, 237 - auktorial 14f., 81, 168, 170

Schrift

-, neutral 15

-, als Bote dargestellt 39, 43, 115 -, als Metapher 43, 240, 241 A. 64

-, personal 14f., 37, 68. 80ff., 146, 159, 169, 185, 200, 215f., 230, 237ff., 262 ς 80, 86f., 105, 149, 165. 175 / ποϑεῖν πόϑο u. A. 168, 236 A. 42

Práfiguration, s. Antizipation Preis, s. Lob, Enkomion

- als Rede / Stimme dargestellt 7 A. 18. 39ff., 47, 85, 111, 113, 119f., 261

-, als stumme Rede 42f., 105, 115f. -, im Epos nicht erwähnt 25 -, positiv bewertet 42 A. 71, 49, 114 -, und Bild 39ff., 45, 47, 57. 66, 117. 120 A. 356, 121 -- und Dichtung 5, 25ff., 133 A. 51

προσφϑέγγεσϑαι 117f. u. A. 347

Rätsel 121f., 138 A. 54, 177, 184f., 205 Reise 89, 124f., 236, 239, 258f.

-, und Intrige / List 431f., 88

Rezeption / Wahrnehmung -, antike Vorstellungen 5f., 7 A. 18, 8 A. 19,

-, und Wissensvermittlung 206 -, Verweise auf die Funktion von 42 A. 71.

103ff., 119, vgl. 216

19 A. 71, 41, 42 A. 70, 209

Schriftkultur 6 A. 16, 7, 12, 25ff., 108, 116

—, fiktiver Texte 1, 8 A. 19, 36 A. 48, 120

Schriftlichkeit . als Merkmal des Epigramms 5, 10, 1968.

, gesteuert / kontrolliert 52, 80f., 136, 161, 171, 181ff.

SGÍf.,

77T,

28ff., 478.

‚ideale 123, 184

-, im Epigramm dargestellt / inszeniert 56ff.,

. in der Forschung negativ bewertet 28f., 136 A. 50

80f., 88, 117, 142, 147, 181, 200ff. ‚ literarische Darstellungen 53f.

‚ quasi-pragmatische 8 A. 19

von

38, 43ff.

. mediale / äußerliche 29, 242 1

I

-, Fühigkeiten im Hellenismus verfeinert 143

. Mißtrauen gegenüber der / Kritik an der

40f., 47, 88, 114, 235 A. 39

Begriffe

-, Übergänge zwischen Mündlichkeit und 20ff., 516

168

Schriftrátsel 121

333 -, bei Toten nicht vorhanden

19 A. 70, 72,

76 -, der Inschrift / des Steins 76, 85 A.

219,

105, 115

Schriftzeichen / Buchstaben 7, 16, 28, 391T., 44{ 49, 51, 76, 86, 103, 112f., 115, 203, 234f.

-, der Tiere 214, 254

-, Buchstabenmagie 28 A. 15, 51, vgl. 116

- Funktionen von 8ff.

-, Buchstabenrátsel 124 -, mit auditiven Signalen assoziiert 42 A. 70 -, übernehmen Intention des Verfassers 39

-, metaphorisch für den Akt des Lesens 76. 105, 111f., 115 -, metaphorisch für poetischen Dialekt 245f., 254

-, s. Sprechende: Buchstaben Schwur 70 A. 172, 157, 168, 230f., 233, 249, 262 Seefahrt 53ff., 60, 149, 186f., 201, 207 Seele 60, 79f., 84, 92, 112, 147 u. A. 93, 157, 164ff, 166 A. 126, 173f., 254 A. ΠῚ

Sehen / Schauen 39, 41, 44, 60, 63 A. 146, 66, 78, 87, 93 A. 247, 106, 117ff., 122f., 137, 163f, 170, 184{ 197, 209, 220, 239, 253 - Freude am 58 —, Motiv des 66

-, schauende Gegenstánde 184, 187

-, visuelle Aspekte der Rezeption 105, 117, 181 -, visuelle Aspekte der Schrift / des Gegenstands 19 A. 68, 21, 58, 85, 112 A. 327, 139, 218 -, s. auch Betrachter, Bild, Epigramm: visuelle Effekte

Sehraum, s. Wahrnehmungsraum Selbstgesprách 83 u. A. 211f., 147, 218 Selbstmord 151, 1641f. σῆμα 16f., 39f, 53f., 57f., 62, 65, 70, 73, 77, 104, 115, 149, 151, 170ff., 176ff., 180, 186 A. 208, 191, 201, 226f., s. auch μνῆμα Sinngedicht 31, 38 A. 59

Spott 123, 128 A. 2, 132 A. 25, 148, 150, 183 A. 202, 199, 205, 214 A. 317, 232

- Fiktionsspiel der 18

-, metaphorisch für Schrift 43, 76, 103 A. 290, 104f., 111f. -, Sprachfähigkeit 87 A. 228, 115, 137 A. 53, 233 —, Sprachrátsel 121 —, Zeichensprache 121

-, s. Sprechen, Sprecher, Stimme Sprechakt / Sprechhandlung -, als Akt des Lesens inszeniert 202 -, Brief in Form eines 42f.

—, dedikatorischer 167, 180, 216 -, Dissoziierung des 20, 52, 67, 72 -, Dramatisierung des 159

-, Einheit des 9, 13, 20 -, epigrammatischer 21f., 29, 36ff., 56, 681f., 78f. A. 198, 83, 115, 127, 137, 146ff., 185, 204, 207ff., 223, 233, 238ff., 258f. - fiktiver 1 A. 2, 8, 42, 63, 77, 101 A. 281, 106, 141ff., 183, 222tT., 239 -, illokutiver Akt 145ff., 225

10, 20f,

74

u. A.

187,

- im Epigramm thematisiert 1f., 220 -, in der Krise / in Frage gestellt 217

-, Inszenierung des 53, 72fT., 87, 96, 101£f., 115ff., 124, 127, 143, 159ff., 175ff., 184. 201, 222f., 250, 258ff. -, Künstlichkeit des 237 -, perlokutiver Akt 10 -, Origo 37 A. 58, 63

Sprache

-, phonetischer Akt 42, 105

- Alltagssprache 10

-, Psychologisierung / Personalisierung des

- antike Vorstellungen 6 A. 17, 26, 98 u. A.

182, 200 -, Verdauerung des 21, 41. 51

268

334

Register

—, Verschriftlichung 51f., 75

des

10, 20ff,

38, 48,

-, Zeigfeld 17ff., 41, 63, 142 -, s. Deixis, performative Verben Sprechakttheorie 8ff., 10 A. 26, 74 A. 187

-, als wißbegierig dargestellt 202 -, auktorialer 166, 187 —-, Autorität des 104, 223, 231 A. 22 -, fiktiver 12ff., 20, 68, 127, 141ff., 170, 179, 185, 192f., 196ff., 206, 223, 226

Sprechen

-, fictional delegate des Autors 248 -, nicht mit Kallimachos gleichzusetzen 202

-, als unbewußte Metapher 72, 85, 105, 141

-, personaler 71, 104, 109, 167, 179, 197f..

Sprechdrama 18, 72

-, bei leblosen Sprechern

14f., 18f., 71, 76,

88 A. 228, 115

220, 230 —, scheinbare Individualität des Iff.. 69ff. u.

A. 176, 74

- durch Symbole 122f. -, gleichbedeutend mit 'leben' 171 A. 149

-, Sprachloser 262

-, nur Lebenden móglich 76

-, Sprecherwechsel 84, 86f., 239, 261

-, ohne Stimme 105, 123, 184 Sprechende / Sprachbegabte

-, Sympathie mit dem 184, 200 - textinterner 1, 7f.. 37, 141, 173, 217. 235

-, αὐλή 85 A. 218

-, trägt Züge des Autors 119ff., 140 A. 67,

243 A, 72, 253 A. 109, 262f.

-, Báume 253f. u. A. 106

, Verhältnis zum Leser / Rezipienten 67,

-, Buchstaben 6, 44ff., 188, 261

75, 161, 174, 177, 181, 183, 217. 242

- Bücher 112 A. 324, 199f. -, Daimon (heroisierter Toter) 85 A. 219 -, Denkmäler 60, 70, 81 A. 206, 85 u. A. 218, 109, 111, 149, 181, 185, 261 —, Gegenstände 1, 7, 45 A. 80, 70ff., 85, 141, 155, 184, 197£., 204, 230, 233f., 250ff., 260ff. -, Grabinhaber / Verstorbene

19, 37 A. 58,

71. 105, 177, 209, 248ff., s. auch Tod

- wissend / informiert 102, 146 A. 89, 159, 185, 187, 198, 212, 223, 228, 231, 241 A. 66, 242 A. 68, 248, 250, 257 A. 119, 262 . Zu erraten 184

. 5. auch Dichter, Sprechende / Sprachbegabte, Sprecherrolle Sprecherfiktion 14, 141, 199 A. 260, 223.

237. 240, 250

-, Grabmäler 171. 174, 186

Sprecherrolle 20ff., 37 A. 58. 47. 130, 137.

- Hermen 251ff.

143 A. 82, 159, 168, 182, 192ff., 225ff., 243ff. -, Aufspaltung / Doppelung 192f., 195. vgl. 1031.

-, Inschriften 113, 149, 223, 234f. 247 -, Kolumnen 112 -, Löwe 85 A. 219

-, Menschen als sprechende Gegenstände 254 -, Sphinx 69 —, Statuen / Bildwerke 1, 4, 7, 22, 72, 75, 162f.. 163 A. 111, 197f., 225, 230, 253f.

-, besonders betont 1f., 4, 185, 198 -, Einheit 237 -, Funktion 180, 187, 197£., 241 -, kontaminiert / kombiniert 195, 203, 217. 260

-, Steine 20, 71 A. 178, 85f., 105, 188, 225 A. 2

—, Neudefinition 206ff.

-, Stimme 93

-, Personalisierung / personalisiert 185, 187,

-, Tafel 142 A. 79 -, Tiere 72, 254 Sprecher -, abwesend 18f., 44

198, 211, 2158. 223, 237ff., 250ff., 262 -, Problematisierung 186, 197ff., 261 -, Psychologisierung 217, 220ff., 241, 261 - Spiel mit der 182, 199, 234

Begriffe Sprichwort / Sentenz 156, 168, 183, 186, 187 A. 214, 201, 249

335 Variation 33, 56, 68, 74, 85, 100 A. 276, 160, 175, 178 A. 177, 180f., 187, 202 A. 268, 260

Stimme (Person des Erzählers) 14ff., 68f.. 78f., 87, 102ff., 109, 120ff., 141 A. 72

verba dicendi, s. Epigramm (Stil)

-, als Strukturprinzip bei Kallimachos

Verinnerlichung, s. Innerlichkeit

130,

141 A. 72

Vorwegnahme, s. Antizipation

- stark hervortretend 140f., 231 A. 22 - 5. auch Bericht, Erzähler, Ich-Rede

Summe (Laut) 42, 47, 232, 234f.

54, 79,

Wahrnehmungsfeld / -raum 17 A. 60, 18. 21,

115f.,

s. auch Sprechakt, Zeigfeld

184, Weg

. antike Vorstellungen 6 A. 17, 20 A. 70

104,

110,

124.

Wegweiser 17, 46, 56, 62 A. 142, 89, 175.

. innere 44, 156

vgl. 104

—, metaphorisch für poetischen Dialekt 254

-, metaphorisch für Schrift 47, 54, 76, 84f., 103ff., 114 A. 330, 184, 235, 261 . S. Hóren, Sprache, Sprechen, Sprechende/ Sprachbegabte, Sprecher

Wissen -, Darstellung der Wissenstradierung

5 A.

13, 74 A. 187, 86, 159, 206, 213 A. 313 -, Darstellung von Wissensdrang 174f.. 204.

208

Symposion / Gelage

-, im Sinne von Bildung 111

—, sympotische Dichtung 50, 97, 108f. —, und Epigramm

55, 59, 61, 63ff., 67, 147, 175, 177ff., 201

3, 29 A. 20, 31

A. 29,

SOff., 69, 100f., 108f., 114, 120f., 125f., 130ff.. 140 A. 69, 144£.. 157, 171, 221 A. 341, 255

--

Leitmotiv 214, 217

bei

Kallimachos

172,

176f,

, Nichtwissen 1f., 14, 197f. ‚ Reflexion über Bedingungen des 214, 217.

262f. Tadel (μῶμος) 80 A. 205, 81, 90, 177 A. 174, 214

-, 'Wisse ...' als Anredeform

τέχνη 85 A. 219, 256

- Wissensvermehrung durch Lesen 5, 263

89,

151,

155.

172 A. 154, 175f.. 216

Tod

ξένος 62, 64, 75, 81, 83, 86, 89, 102, 119. 151, 180, 182, 191, 206f., 238, 252, 256

-, auf dem Meer 55, 60, 206f. -, in der Fremde 14, 80, 180, 206f., 221 -. ultima verba 166 -, vorzeitiger / mors immatura

56 A.

115,

73, 79, 110, 149, 151

Schrifizeichen, Wegweiser

-. S. auch Jenseitsvorstellungen

Zeiger, Zeigerfunktion, s. Deixis

Tragödie, s. Drama

Zeit (Personifikation) 93, 113

Zeitstufen / zeitliche Logik 84, 147, 149ff., 163, 181, 194

Überraschung, s. Pointe Unterweisung, s. Belehrung Unvergänglichkeit Ruhm

Zeichen, 8, 14, 17f., 39ff, 54, 58 A. 124. 105, 121, 204f, 220, s. auch Deixis.

69,

111f,

151,

s. auch

Zeuge / Zeugnis 76, 94f., 101, t113f., 154f.. 180ff., 197f., 216f., 241, 251