»Heilung durch Statutenwechsel« im internationalen Eheschließungsrecht [1 ed.] 9783428490240, 9783428090242

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»Heilung durch Statutenwechsel« im internationalen Eheschließungsrecht [1 ed.]
 9783428490240, 9783428090242

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RETINA VOlT

"Heilung durch Statutenwechsel" im internationalen Eheschließungsrecht

Schriften zum Internationalen Recht

Band90

"Heilung durch Statutenwechsel" im internationalen Eheschließungsrecht

Von

Betina Voit

Doocker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Voit, Betina:

"Heilung durch Statutenwechsel" im internationalen Eheschließungsrecht I von Betina Voit. - Berlin : Duncker & Humblot, 1997 (Schriften zum .internationalen Recht ; Bd. 90) Zug!.: Passau, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09024-1

Alle Rechte vorbehalten

© 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-09024-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 1996 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Sie wurde betreut von Herrn Professor Dr. Klaus Schurig, der mich von meinem ersten Semester an in seinen Vorlesungen für das Privatrecht, später dann besonders für das internationale Privatrecht begeistert hat. Thm danke ich für die langjährige Förderung, die ich als Hilfskraft und als WissenschaftlicheAssistentinan seinem Lehrstuhl erfahren habe, sowie für seine weiterführenden Anregungen im Rahmen der Dissertation. Herrn Professor Dr. Jan Wilhelm gilt mein Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch meinen Eltern für die intensive Förderung in Schulzeit und Studium sowie meinem Mann Wolfgang für seine Geduld und zahlreiche Anregungen. Das Entstehen der Arbeit wurde zudem gefördert durch Gewährung eines WiedereiDstiegsstipendiums im Rahmen des Hochschulsonderprogramms II. Marburg, im Februar 1997

Betina Voit

Inhaltsverzeichnis Einleitung.........................................................................................

15

1. Kapitel

Meinungsstand A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen..........

19

I. Die Änderung der Staatsangehörigkeit als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . .

19

ll. Heilung durch bloßen Staatsangehörigkeitswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

2. "Grundsatz" der Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts ............

21

3. Schließen einer offenen Gesetzeslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

4. Anwendung des neuen Heimatrechtstrotz Anerkennung der Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts... ................................

25

a) Fehlende Veranlassung für eine Nichtigerklärung .............. .....

25

b) Entscheidungseinklang mit aktuellem Heimatstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

Heilung unter zusätzlichen Voraussetzungen...... ......... ... ... .. ....... ....

26

IV. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

V. Ablehnung einer Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. . . . . . . . . . . . . . .

30

VI. Antizipierende Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

31

B. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB vertretenen Meinungen ..........

33

I. Einführung............... .................................................... ....... ..

33

ll. Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel...................................

33

m.

ill. Heilung durch Anwendung des (späteren) Heimatrechts unter Ein-

schränkungen................. .. .............................................. ........

35

IV. Ablehnung einer Heilung............................................. ... ..........

37

V. Antizipierende Anknüpfung .............. ............. .................. ..........

38

Inhaltsverzeichnis

8

VI. Verfassungsrechtliche Gleichstellung einer "hinkenden Ehe".............

38

C. Kollisionsrechtliche Alternativlösungen ... ...........................................

41

I. Angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

ll. Unselbständige Anknüpfung der Ehegültigkeit als Vorfrage ..............

43

2. Kapitel Reichweite der einschlägigen Kollisionsnormen und deren Anwendung unter Berücksichtigung des "AUgemeinen Teils" des IPR A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

B. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

45

I. Zulassung zur Eheschließung im Inland....... ...... ...................... ... ..

45

ll. Spätere Beurteilung einer Inlands- oder Auslandseheschließung . . .. . . . . .

45

1. Rechtslage nach Geschichte und Wortlaut des Gesetzes....... .. .......

45

2. Folgerungen für die Annahme einer Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel.................................................................... ...

49

a) "Grundsatz" der Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts? ... ....

49

b) Offene Gesetzeslücke? ............ ...... .... ............. ...................

49

c) Argumente der "fehlenden Veranlassung" und des internationalen Entscheidungseinklangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Zwischenbilanz..... ...... .................................................... ...... ..

51

C. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 3 EGBGB ...................... .... .. .. ..

52

I. Zulassung zur Eheschließung im Inland................................ ........

52

ll. Spätere Beurteilung einer Inlandseheschließung..................... .. ...... .

53

1. Rechtslage.... ... .......... .. .......... ... ...... ........ ...... ....... ......... .....

53

2. Folgerungen für die Annahme einer Wandelbarkeit durch Staatsangehörigkeitswechsel ........................ .. :... .......... ... .... .. ... ........ .

55

ill. Konsequenz für den kollisionsrechtlichen Ansatz zur verfassungsrechtlichen Gleichstellung einer hinkenden Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

57

D. Stellenwert der auf kollisionsrechtliche Mittel des "Allgemeinen Teils" zurückgreifenden Lösungsvorschläge................................. ......... .. ........

61

I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

m.

Inhaltsverzeichnis

9

II. Angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

ill. Unselbständige Anknüpfung der Ehegültigkeit als Vorfrage ..... ... ......

66

3. Kapitel

Möglichkeiten der Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB A. Vorbemerkung .... ......... ................... ....... ... ....... ........ ....... ... ....... .. .

70

B. Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung ............... .. .......

70

I. Ausgangspunkt: Das Anknüpfungsmoment als Generalisierung der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

II. Abweichung der tatsächlichen von den normierten Interessen und Folgen einer solchen Abweichung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

73

C. Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit................ .... .... .

78

I. Vorbemerkung ................................................ ........... ... .... .. .. .

78

II. Die zum Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit führenden Interessen .

78

ill. Möglichkeit einer teleologischen Reduktion hinsichtlich des Anknüpfungspunktes Staatsangehörigkeit? .... .......... .................... .. .. . :. . . . . . .

80

IV. Schluß . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung................. .. ... .. ..

86

I. "Bewußte Lücke" hinsichtlich des Anknüpfungszeitpunkts? .... .... ...... .

86

II. Ursachen für die abweichende Beurteilung der Ehegültigkeit durch ein späteres Heimatrecht und Folgerung für eine potentielle Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

88

1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Von Anfang an unterschiedliche Beurteilung..............................

89

a) Unterschiedliche Anknüpfungspunkte ................. ... ... .... ..... ..

89

b) Unterschiedliche Verweisungsart ....... .. . ... ..... .. .... .. ........ ......

90

c) Ordre public ..... ..... .................. ................... ... .. .. .... ........

91

d) Zwischenbilanz.. .... ..... .... ..... ...... ..... ... ....... ....... ..... .... .... ..

92

3. Rückwirkende Änderung der Beurteilung bei Staatsangehörigkeitswechsel ................................ ............ ........... ............. ........

92

10

Inhaltsverzeichnis 4. Beurteilungsänderung ex nunc................. ...............................

93

5. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .

93

ill. Auf Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts gerichtete Interessen..

94

1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .

94

2. Parteiinteressen ..................................... .... ...................... ...

95

a) Behandlung eines automatischen Staatsangehörigkeitswechsels durch Eheschließung . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .

95

aa) Vorbemerkung .... ............................................... ......

95

bb) Interessenlage.................................................... .... ...

97

b) Parteiinteresse und Inhalt des Sachrechts ..............................

100

c) Stabilitätsinteressen der Parteien..................... ... .................

I04

aa) Vorbemerkung .........................................................

I04

bb) Einbürgerung von Ausländern in Deutschland..................

I04

(I) Einleitung...........................................................

104

(2) Verschlechterung.................................................

I05

(3) Verbesserung............. ...... ...................................

I07

cc) Einbürgerung Deutscher im Ausland..............................

110

dd) Einbürgerung von Ausländern in einem Drittland..............

II4

ee) Zusammenfassung .... .......... .... .... ... .. ... ....... .. ..............

II5

d) Interesse an Anwendung des "Antrittsrechts" bei subjektiven Eheschließungsmängeln....... ... .. ... . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .

I1 5

e) Zeitlicher Bezug des Parteiinteresses bei objektiven Eheschließungsmängeln .. ......... .......... ............... ..... ................. ......

I20

aa) Vorbemerkung ................ .... .. ....... .......................... ..

I20

bb) Nichtehe ...................................... .................. ... ......

120

cc) Unangreifbar gültige Ehe........ ............................... .....

I22

dd) Vernichtbare Ehe............................................. ...... ...

I23

(I) Verschlechterung .............. ............ ... ................. ...

I23

(2) Verbesserung . . . ... .. .. .. . . . . . . . .. . . ... . . .. . . . . . .. .. . . . . . .. . .. . .. ..

I24

Inhaltsverzeichnis

11

ee) Zusammenfassung................................................... ..

125

3. Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

a) lndividua.linteressen Dritter................................................

125

aa) Vorbemerkung .......................... ...............................

125

bb) Kind.

125

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 00 0 0 0 0 0 0 0

0 0 0 •• 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 •• 0 0 0 0

00 0 0 0 0 0

(1) Nichtehe ............ ....... ..... ....................................

125

(2) Wirksame Ehe.....................................................

126

(3) Vernichtbare Ehe................ .. ..................... .. ........

127

cc) Partner aus zweiter Ehe bei Wiederheirat nach nicht zustande gekommener Erstehe..............................................

127

dd) Partner aus erster Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

(1) Zulässigkeit der Polygamie nach neuem Heimatrecht.. ..

128

(2) Wiederheirat nach nicht anerkannter Auslandsscheidung .... ..... .. ......................................................

129

b) Verkehrsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

aa) Verbesserung einer Nichtehe ....... ................ .. ..............

131

bb) Verbesserung einer vernichtbaren Ehe ...........................

132

cc) Verschlechterung einer wirksamen Ehe..........................

132

c) Zwischenbilanz... ..... ......... .. ....... .................. ......... ... .. .....

133

4. Ordnungsinteressen ... .. .. .... ......... .... ....... .... .. .. .......... .. ..........

133

a) Verbesserung einer Nichtehe ... ...... ........................ ............

133

aa) Interesse an Klarheit und Eindeutigkeit von Statusfragen.....

133

bb) Interesse an Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung.........

135

b) Verschlechterung einer wirksamen Ehe.................... ............

136

c) Verbesserung einer vernichtbaren Ehe................... ... ...........

137

5. Zusammenfassung und Schlußfolgerung ...................................

138

IV. Kumulative Anwendung des aktuellen Heimatrechts bei einer wegen objektiver Eheschließungsmängel vernichtbaren Ehe.. .....................

139

1. Ge1tendmachung des Mangels als eigener Anknüpfungsgegenstand .

139

12

Inhaltsverzeichnis 2. Stabilitätsinteressen... ...... ................................... .... ..............

143

3. Automatischer Staatsangehörigkeitwechsel................................

145

4. Selbständiger Staatsangehörigkeitswechsel ................................

147

5. Kontinuitätsinteresse ......................... .... ..... ..........................

148

6. Ergebnis....... ................................ ....... ..................... ........

149

V. Antizipierende Anknüpfung ............... .. .. ...... ..... .. ... ....... ..... ... .....

150

1. Einführung . 00 00 000000 00.00 00 00 00 00 00 00 oo •oo 00 00 00 00 00 .oo 00 00 0000 00.00 00 00 00 00 00 00.

150

2. Antizipierende Anknüpfung bei engster Verbindung zu künftigem Heimatrecht?.......... ......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

3. Antizipierende Anknüpfung bei Handeln unter künftigem Recht .....

153

4. Zusammenfassung ··00·······00··································· ·········00···· 158

4. Kapitel Möglichkeiten der Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB A. Einführung ... ... .......... ..... 00 ...... 0000 00 ............ 00 00 ...................... 00.......

159

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB OOoooooooo•oooooooooooooooooooo

160

I. Partei- und Verkehrsinteresse an Anwendung der Ortsformoo.ooooOOoooo oo

160

ll. Interessen an Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe oooooooooo oooo• oo ·

161

1. Einfiihrung oo oo oooooooooooo •oo•oo oo ooooooooooo••oooooooooooooooo ooo ooooooooOO OOOooO

161

2. Behauptete Regelungszweckeoooooooooo oooo oooooooooooooooooooooooooo oooooo oo•

161

3. Regelungszweck nach der Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

a) IPR-Neuregelungsgesetz ooooooooooooooooooo oooooooooooooooooo oooooo oooooooo

164

b) Sachrechtliehe Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165

c) Auswirkungen auf das Kollisionsrecht.. ooooooooooooo oooooooooooo oooooo•

167

d) Gefahr der Schwächung der obligatorischen Zivilehe im Sach····oo············oo•oo···· ·oo· recht .............. oo .. oooo ooo················oooo

168

C. Abweichen von Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB oooo oo oooooo• oooo oo oo ooooooooooo oooooo o 170 I. Konsequenzen aus dem ordre-public-Charakter des Art. 13 Abs. 3 S. 1

EGBGB? .. . oo .. oo .. .................... oo .. oo ...................... ... ... ... . 00.. ......

170

Inhaltsverzeichnis 11. Flüchtige Inlandsbeziehung im Zeitpunkt der Eheschließung .. .. .. .. .. .. .

m.

13 173

Späterer Schwund der Inlandsbeziehung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

177

IV. Zusammenfass1,1ng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

5. Kapitel Lösungsmöglichkeiten im anwendbaren Sachrecht A. Einführung.......... ....... ........... .............. ....... .. ................. ........ ......

181

B. Sachrechtliehe Behandlung wegen eines Formverstoßes nicht zustande gekommener Ehen .. .. .. . .. . .. . .. .. .. .. . . . . .. .. .. .. .. . . .. . .. .. .. .. . .. .. .. . . .. . .. . . . .. . . . .. .. .

183

I. Lösungsversuche zur Bejahung des Ehestatus am Beispiel des deutschen Eherechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

1. Vorbemerkung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . . .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

183

2. Teleologische Reduktion der Rechtsfolge "Nichtehe"? ............ .....

183

a) Einführung............................................................... .... .

183

b) Zur Gesetzgebungsgeschichte des§ 11 EheG........ ........ .... .. .. .

185

c) Besonderheiten bei Eheschließungen von Ausländern...... ........

188

aa) Rechtslage bis 1947.. .............. ........ .................... .. .....

188

bb) Einfluß des§ 15 a EheG a.F. (Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB) auf die bisherige Rechtslage........................................ .

189

cc) Schluß.................................................................. ..

192

3. Heilung einer Nichtehe durch langjähriges Zusammenleben.. .. ......

193

11. Eintritt einzelner Rechtsfolgentrotz Verneinung des Ehestatus.......... .

197

1. Einschränkung der Berufung auf das Nichtbestehen einer Ehe .. .. .. .

197

2. Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Ehe" in einer Sachnorm ......

202

a) Einführung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . .. .. . .. .. .

202

b) Anspruch auf Gewährung einer Witwen- oder Witwerrente .... ...

203

aa) Vorbemerkung .... .....................................................

203

bb) Gewährung einer Rente nach Nichtehe .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

203

cc) Wegfall einer bezogenen Rente bei "hinkender" Wiederheirat ................. ... .... ........ ............ ........ ... ... ... ..... .......

207

14

Inhaltsverzeichnis c) Entschädigungsansprüche nach dem BEG ........................ .....

209

C. Kollisionsrechtlich nicht heilbare materielle Eheschließungsfehler .. . .........

211

I. Vorbemerkung ............ .......... ;............. .. .. .............................. .

211

II. Nichtehe aus materiellen Gründen................... .. ... ................. .. ....

212

1. Einleitung............ .................... ... .......... .............................

212

2. Nichtehe wegen fehlender Erklärung des Ehekonsenses...... .........

213

3. Gleichgeschlechtlichkeit der Partner .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .

214

4. Bigamische Ehe bei ausländischem Eheschließungsstatut....... ... ....

216

lli. Aufgrund subjektiver Eheschließungsmängel vernichtbare Ehe . . . . . . . . . .

217

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse................. .. ....... .. .......

218

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .

220

Einleitung Schließen zwei Personen die Ehe, bestimmt das Internationale Privatrecht genauer: die Kollisionsnonnen der Art. 13 und 11 Abs. 1 EGBGB -, welchen Rechtsordnungen die materiellen und die fonnellen Eheschließungsvoraussetzungen zu entnehmen sind. Entspricht die Eheschließung nicht den Anforderungen, die die jeweils maßgebende Rechtsordnung an sie stellt, so entscheidet diese nach allgemeiner Auffassung auch über die Folgen des Fehlers: darüber, ob die Ehe deshalb nicht zustande gekommen (also eine Nichtehe) ist, oder ob sie zustande gekommen, aber (durch Klage) vernichtbar ist, oder auch, ob sietrotzdes Fehlers - bei einem bloß aufschiebenden Ehehindernis - unangreifbar gültig ist. In der Vergangetibeit haben sich mehrfach Fälle ereignet, in denen die Partner einer fehlerhaften - vernichtbaren oder nicht bestehenden - Ehe nach der Heirat Angehörige eines Staates geworden sind, der die Ehe als gültig betrachtete. Zum ersten Mal beschäftigte die Rechtsprechung ein solcher Fall, als über eine nach österreichischem Recht wegen Religionsverschiedenheit materiell nichtige Ehe zwischen einer jüdischen Russin und einem evangelischen Österreicher zu entscheiden war, die von dem späteren italienischen Heimatrecht der Eheleute als voll gültig angesehen wurde, weil das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit gegen den italienischen ordre public verstieß 1. Desweiteren geschah es insbesondere in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts mehrfach, daß Juden hier oder im Ausland nach ihrem religiösen Ritus heirateten, nach Gründung des Staates Israel einer von ihnen oder beide dorthin auswanderten und die israelische Staatsangehörigkeit erwarben2; aus israelischer

1 RG (16.5.1931), IPRspr. 1931, Nr. 59= RGZ 132,416 = JW 61 (1932), 2271 m. Anm. Frankenstein = StAZ 11 (1931), 225m. Anm. Bergmann; Vorinstanz: OLG Karlsruhe (8.7.30), IPRspr. Nr. 66 (Ls.) =Recht 34 (1930), Nr. 2009 (Ls.). 2 Z.B. LG Düsseldorf (30.1.63), IPRspr. 1962/63, Nr. 63 = RzW 1963, 508; OLG München (17.12.64), IPRspr. 1964/65, Nr. 84 = RzW 1965, 169; LG Stuttgart (12.7.67), IPRspr. 1966/~7. Nr. 75 = FamRZ 1968, 197; OLG Koblenz (25.3.69), IPRspr. 1971, Nr. 37 a, und in derselben Sache BGH (25.11.71), IPRspr. 1971, Nr. 37 b; BGH (21.1.71), IPRspr. 1971, Nr. 123 = MDR 1971, 297; OLG Koblenz (21.10.75), IPRspr. 1975, Nr. 39 = RzW 1976, 14.

16

Einleitung Sicht waren die Ehen u.U. gültig 3, während es sich aus unserer Sicht um Nichtehen handelte. hnmer wieder korrunt es auch vor, daß Ausländer in Deutschland die Ehe nicht vor dem Standesbeamten, sondern in ihrer Heimatform schließen; hier stellt sich die Frage einer Heilung der fehlerhaften Eheschließung, wenn die Parteien später in ihren Heimatstaat zurückkehren. Vor einiger Zeit ist das Problem wieder aktuell geworden durch eine Entscheidung des Kammergerichts4 : Ein Niederländer war in den Niederlanden von seiner deutschen Frau geschieden worden; die Anerkennung der Scheidung wurde in Deutschland von der zuständigen Landesjustizverwaltung abgelehnt. Später heiratete der Mann in den Niederlanden wiederum eine Deutsche, die nach einer Weile die niederländische Staatsangehörigkeit erwarb. Aus unserer Sicht war die Ehe wegen Bigamie nichtig (§ 20 EheG), aus niederländischer Sicht war sie gültig.

Mehrmals hat die Rechtsprechung in derartigen Fällen eine Heilung der fehlerhaften Ehe "durch Statutenwechsel" angenommen, häufig nur obiter5 , einige Male aber auch auf entscheidungserhebliche Weise6 . In der Literatur wird die Frage kontrovers behandelt; die wohl h.M. bejaht eine solche Heilungsmöglichkeit, wobei neben der Staatsangehörigkeit zunehmend der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten eine Rolle spielt. Ob die Fehlerhaftigkeit einer Eheschließung von einem sogen. "Statutenwechsel" beeinflußt werden kann, ist Gegenstand der folgenden Untersu~ chung. Dazu ist vorab zu klären, was unter dem Begriff "Statutenwechsel" zu verstehen ist. "Statut" bezeichnet die für eine bestimmte Frage maßgebende Rechtsordnung7 . Ein Statutenwechsel im eigentlichen Sinne erfolgt also nur bei einem Wechsel der anzuwendenden Rechtsordnung. Er ist daher- abgese3 Näher unten 1. Kap. B II. 4 KG (27.1.86), IPRax 1987, 33 = FamRZ 1986, 680. 5 KG (11.2.38), JW 1938, 855; BGH (11.6.58) Z 27 , 375 = JZ 1959,121, 123; LG Stuttgart (12.7.67), IPRspr. 1966/67, Nr. 75 = FamRZ 1968, 197; OLG Koblenz (25.3.69), IPRspr. 1971, Nr. 37 a; KG (30.11.70), IPRspr. 1979, Nr. 57 = RzW 1971, 170; OLG Koblenz (21.10.75), IPRspr. 1975, Nr. 39 = RzW 1976, 14; OLG München (22.12.92), StAZ 1993, 151. 6 RG (16.5 .1931), IPRspr. 1931 Nr. 59 = RGZ 132, 416, allerdings mit anderer - nahezu allgemein abgelehnter - Begründung (Parallele zur Scheidungsklage, IPRspr. 1931, S. 122 f.); OLG Karlsruhe (8.7.30}, IPRspr. Nr. 66 (Ls.) =Recht 34 (1930), Nr. 2009 (Ls.); LG Düsseldorf (30.1.63), IPRspr. 1962/63, Nr. 63 = RzW 1963, 508; OLG München (17.12.64), IPRspr. 1964/65, Nr. 84 = RzW 1965, 169; KG (27.1.86), IPRax 1987, 33. 7 Z.B. Neubaus, IPR, S. 94; Lüderitz, IPR, Rnr. 17.

Einleitung

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hen von Änderungen des Kollisionsrechts - nur bei wandelbaren AnknüpfuDgen denkbar. Dies sind Anknüpfungen, die nicht zeitlich fixiert sind (also z.B. nicht Staatsangehörigkeit etc. bei Eheschließung wie in Art. 15 Abs. 1 EGBGB), sondern die zum jeweiligen Beurteilungszeitpunkt realisiert sein müssen. Die Anwendung derselben Kollisionsnorm führt dann bei Änderung der Anknüpfungstatsache zu einer anderen Rechtsordnung. Ein Wechsel des Anknüpfungsmoments bei wandelbarer Anknüpfung ist demnach unproblematisch. Schwierig könnte allenfalls die Feststellung sein, ob eine Anknüpfung wandelbar oder unwandelbar ist8. Problematisch sind dagegen die Fälle, in denen sich ein Umstand geändert hat, der sich auf die Subsumtion unter die Kollisionsnorm nicht auswirkt; man kommt vor und nach der Änderung zum selben Ergebnis, nur erscheint dies u.U. in bestimmten Fällen unangemessen, und deshalb wird eine "Heilung" erwogen. Daß die Rechtsanwendung vor und nach einer Tatsachenänderung zum seihen Ergebnis führt, kann in verschiedenen Konstellationen auftreten: Es gibt einmal Anknüpfungsmomente, die aus ihrer Natur heraus unveränderbar sind. Dazu zählt der Vornahmeort eines Rechtsgeschäfts, auf den Art. 13 Abs. 3 EGBGB abstellt: der Eheschließungsort kann sich nicht nachträglich ändern9. Geändert haben kann sich notwendigerweise nur eine Tatsache, die von der Kollisionsnorm nicht berücksichtigt wird. Darüber hinaus gibt es Anknüpfungsmomente, die zwar veränderbar sind - z.B. die Staatsangehörigkeit einer Person -, die aber durch gesetzgeberische Entscheidung an einen bestimmten Zeitpunkt gekoppelt sind. So ist es beispielsweise im schon oben erwähnten Art. 15 Abs. 1 EGBGB, der das Anknüpfungsmoment für das Güterrechtsstatut unwandelbar auf den Zeitpunkt der Eheschließung fixiert. Hier mag sich zwar die Anknüpfungstatsache nach 10 diesem Zeitpunkt ändern, dies wirkt sich aber kollisionsrechtlich ebensowenig aus, als wenn sich eine sonstige Tatsache änderte, sei es bei einer wandelbaren, sei es bei einer unwandelbaren Anknüpfung 11 .

Die Fälle, in denen entweder von der Rechtsprechung eine "Heilung durch Statutenwechsel" erwogen wurde oder die in der Literatur unter diesem Stichwort diskutiert werden, betreffen sowohl unveränderbare wie veränderbare Anknüpfungsmomente; sowohl Situationen, in denen sich die Anknüpfungstatsache nicht geändert hatte, wie auch solche, in denen dies der Fall war. 8 Für Art. 13 Abs. 1 s.u. 1. Kap. A II 2, 2. Kap. B II I, 2 a. 9 Dazu näher unten 2. Kap. C II I. 10 Veränderungen, die vor dem maßgebenden Zeitpunkt eingetreten sind, sind dagegen zu berücksichtigen. 11 Vgl. Palandt!Heldrich, vor Art. 3, Rnr. 23. 2 Voit

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Einleitung

Der Begriff 11 Statutenwechsel II wird somit weit über seine eigentliche Bedeutung hinaus verwendet und suggeriert damit zugleich einen Lösungsweg, den es in den problematischen Fällen gerade nicht gibtl2: in den Fällen nämlich, in denen das "Statut" (=die anzuwendende Rechtsordnung) trotz der Änderung von Tatsachen wie Staatsangehörigkeit oder gewöhnlichem Aufenthalt nicht gewechselt hat. Es gilt also zu klären, ob und inwieweit derartige nachträgliche Änderungen Einfluß auf die Anwendung der Kollisionsnormen über die Eheschließung haben.

12 Kritisch auch MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 495.

1. Kapitel

Meinungsstand A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen I. Die Änderung der Staatsangehörigkeit als Ausgangspunkt Die Kollisionsnonn des Art. 13 Abs. 1 EGBGB regelt das auf die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen anwendbare Recht. Daneben gilt sie über Art. 11 Abs. 1 alternativ zum Ortsrecht auch für die fonnellen Voraussetzungen einer im Ausland geschlossenen Ehe. Für die Inlandseheschließung bestimmt dagegen Art. 13 Abs. 3 S. 1 die ausschließliche Geltung inländischen Rechts.

Art. 13 Abs. 1 lautet: "Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört"!. Anknüpfungsmoment ist also die Staatsangehörigkeit. Die Diskussion geht daher um die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die spätere Änderung der Staatsangehörigkeit Auswirkungen auf die Anwendung der Nonn des Art. 13 Abs. 1 hat. Dabei ist man sich weitgehend einig, daß jedenfalls eine Verschlechterung nach dem neuen Heimatrecht nicht in Betracht kommt2 . Ist die Eheschließung dagegen nach dem ursprünglichen Heimatrecht fehlerhaft, nach neuem aber wirksam, will ein Großteil der Rechtsprechung und Literatur das Recht der neuen Staatsangehörigkeit auf die 1 Fassung bis zum 31.8.1986: "Die Eingehung der Ehe wird, sofern auch nur einer der Verlobten ein Deutscher ist, in Ansehung eines jeden der Verlobten nach den Gesetzen des Staates beurteilt, dem er angehört. Das gleiche gilt für Ausländer, die im Inland eine Ehe eingehen." Satz 1 war nach aUgemeiner Auffassung "alJseitig auszubauen", so daß die Vorschrift auch Anwendung fand, wenn keiner der Verlobten Deutscher war und nicht im Inland geheiratet wurde; sachlich haben sich daher durch die Neufassung keine Änderungen ergeben. 2 MünchKomrn/Schwimann, Art. 13, Rnr. 13 ("semel validum semper validum"); Hirschfeld, S. 100; Soergel/Schurigl2, Art. 13, Rnr. 33; MaßfelJer, JW 1938, 857; Erman/Hohloch9, Art. 13, Rnr. 12; BGH (11.6.58), JZ 1959, 121, 123 m. Anm. Beitzke; OLG Hamrn (12.9.86), IPRspr. 1986, Nr. 53 = StAZ 1986, 352. Vgl. aber unten II 2 und 3. 2*

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1. Kapitel: Meinungsstand

Wirksamkeit der Eheschließung anwenden, wobei die Voraussetzungen sowie die Begründungen differieren.

II. Heilung durch bloßen Staatsangehörigkeitswechsel 1. Vorbemerkung Oft wird die "Heilung" einer nach dem Eheschließungsstatut fehlerhaften Ehe bereits unter der Voraussetzung angenommen, daß sich die Staatsangehörigkeit eines3 oder beider Partner nachträglich geändert hat und die Ehe nach dem neuen Heimatrecht gültig ist4 . Manchmal wird dies ohne jegliche Begründung vertreten5. Die Begründungsversuche, die in Rechtsprechung und Literatur unternommen werden, sollen im folgenden dargestellt werden. Es ist nicht auszuschließen, daß einige derjenigen, die sich zu einer Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel bekennen, diese dennoch in Fällen ablehnen würden, in denen nicht auch der gewöhnliche Aufenthalt im neuen Heimatstaat liegt. So war auch in den der Rechtsprechung zugrunde liegenden Fällen i.d.R. 3 Zur Frage, ob und wann ein einseitiger Staatsangehörigkeitswechsel ausreichen soll, unten IV. 4 RG (16.5.31), IPRspr. 1931, Nr. 59, und vorher in derselben Sache OLG Karlsruhe (8.7.30), IPRspr. 1930, Nr. 66 (Ls.); KG (11.2.38), JW 1938, 855 m. Anm. Maßfeller (obiter); BGH (11 .6.58) Z 27, 375, 380, 382 (obiter); LG Stuttgart (12.7.67), FamRZ 1968, 197 = IPRspr. 1966/67, Nr. 75 (obiter); OLG Koblenz (25.3.69), IPRspr. 1971, Nr. 37 a = RzW 1969, 549 (obiter), und in derselben Sache BGH (25.11.71), IPRspr. 1971, Nr. 37 b (inzident, obiter); OLG Koblenz (28.2.74), RzW 1974, 171 m. Anm. Wolfsohn 362 (obiter); OLG Koblenz (2.10.75), IPRspr. 1975, Nr. 37 = RzW 1975, 365 (inzident, obiter); LG Koblenz (24.6.76), IPRspr. 1978, Nr. 44 a = RzW 1977, 55 (obiter); KG (30.11.70), IPRspr. 1970, Nr. 57 (obiter); OLG München (22.12.92), StAZ 1993, 151 (obiter); Wolff, S. 196, s. aber auch S. 189; Zitelmann, S. 627 a.E., 629; Raape, S. 243 f.; Nußbaum, S. 135; Maßfeller, JW 1938, 857 (unentschieden); Beitzke, JZ 1959, 125 (ebenso); ders. in Achilles/Greiff, Art. 13, Anm. 4; Frankenstein, JW 1932, 2273, und IPR Bd. 3, S. 187 f. (nicht für Nichtehen); Plaut, S. 64-66 (nicht für Nichtehen); Erman/Marquordt7, Art. 13, Rnr. 22; Palandt/Heldrich, Art. 13, Rnr. 4; Staudinger/Gamillscheg10111, Art. 13, Rnr. 103-124 (mit Einschränkungen, zu diesen näher unten 3. Kap. D lli 2 d); Hirschfeld, S. 100 f. (mit Einschränkung bei Nichtehen, S. 107 f.); Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 773; Steding, S. 119; Breuer in Rahm/Künkel3, Vlli, Rnr. 186 (in 4. Aufl. dagegen anscheinend nur unter der Voraussetzung des "effektiven Ehelebens unter dem neuen Statut"). 5 Beitzke in Achilles/Greiff, Art. 13, Anm. 4; Erman/Marquordt7, Art. 13, Rnr. 22; OLG München (22.12.92), StAZ 1993, 151.

A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen

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dem Staatsangehörigkeitswechsel ein Aufenthaltswechsel vorausgegangen. Die hier dargestellte Auffassung ist aber dadurch gekennzeichnet, daß der gewöhnliche Aufenthalt in der Argumentation keine Verwendung findet, sondern lediglich auf die Staatsangehörigkeit abgestellt wird.

2. "Grundsatz" der Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts

Nach h.L.6 ergibt sich durch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Verlobten die Unwandelbarkeit: Maßgebend sei die jeweilige Staatsangehörigkeit unmittelbar vor Eheschließung. Demgegenüber beruht die Ansicht, der Wechsel der Staatsangehörigkeit könne zur Heilung einer ursprünglich fehlerhaften Ehe führen, teilweise darauf, daß ausdrücklich7 oder stillschweigendS von einer gesetzlich verankerten Wandelbarkeit des materiellen Eheschließungsstatuts ausgegangen wird. Das deutsche IPR9 bzw. Art. 13 Abs. 1 EGBGB 10 enthalte den Grundsatz, daß die Gültigkeit der Ehe in Übereinstimmung mit dem Heimatstaat der Partner beurteilt werden solle. Bei einem Wechsel der Staatsangehörigkeit sei somit das neue Heimatrecht maßgebend. Kommt es demnach für die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 nicht unwandelbar auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Eheschließung, sondern auf den jeweiligen Beurteilungszeitpunkt an, ist die "Heilung" einer nach dem Eheschließungs-

6 Palandt/Heldrich, Art. 13, Rnr. 4, und vor Art. 3, Rnr. 23; Soergel/Kegelll, Art. 13, Rnr. 40; Soergel/Schurig12, Art. 13, Rnr. 32; Lüderitz, IPR, Rnr. 120; Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15; Münzer, S. 83; Erman/Hohloch9, Art. 13, Rnr. 12. 7 Staudinger/Gamillscheg10/11, Art. 13, Rnr. 90, aber eingeschränkt durch "favor matrimonii"; Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 773, ohne das Problem zu sehen, ob dann auch eine wirksame Ehe unwirksam werden könnte; Steding, S. 54, 119. 8 KG (11.2.38), JW 1938, 855, obiter: Grundsatz, daß Ausländer in Deutschland so behandelt werden sollen wie in ihrem Heimatstaat, muß zur Beachtung des Staatsangehörigkeitswechsels führen; OLG Koblenz (28.2.74), RzW 1974, 171 , obiter: Formunwirksame Auslandsehe rumänischer Juden sei später als gültig anzusehen, da beide Parteien mit Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit hinsichtlich des Personalstatuts dem religiösen jüdischen Recht unterlägen. 9 So KG, a.a.O.; ähnlich auch RG (16.5.31). IPRspr. 1931, Nr. 59, S. 123: "allgemeiner Grundsatz, daß in Ehesachen das Heimatsrecht entscheidet"; zu weiteren Begründungselementen dieses Urteils unten; OLG Koblenz (25.3.69), IPRspr. 1971, Nr. 37 a, S. 97 f., obiter. 10 So Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 773.

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1. Kapitel: Meinungsstand

statut fehlerhaften, nach einem späteren Heimatrecht aber wirksamen Ehe notwendige Folge der einfachen Rechtsanwendung. Diejenigen, die Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts behaupten und so zur nachträglichen Gültigkeit einer unwirksam geschlossenen Ehe kommen, lassen konsequenterweise bei einem Verstoß gegen Art. 13 Abs. 3 EGBGB keine Heilung zu II : Die Anknüpfung an den Eheschließungsort ist unwandelbar, es handelt sich um ein unveränderbares Anknüpfungsmomentl2.

3. Schließen einer offenen Gesetzeslücke Im Gegensatz zur soeben dargestellten Auffassung, die dem geltenden Kollisionsrecht einen Wandelbarkeitsgrundsatz entnimmt, gehen andere Vertreter einer Heilung davon aus, daß der Gesetzgeber die Frage der Wandelbarkeit oder Unwandelbarkeit überhaupt nicht geregelt habe 13; bei Schaffung des Art. 13 Abs. 1 (a.F.) habe er lediglich an die Zulässigkeit einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung, nicht aber an die spätere Beurteilung der Ehegültigkeit gedachtl4. Die Folge ist die Existenz einer offenen Gesetzeslücke, die geschlossen werden muß. Frankenstein gewinnt die Lösung aus allgemeinen "Grundsätzen" des Statutenwechsels: Eine Nichtehe ebenso wie eine voll wirksame Ehe seien abgeschlossene Tatbestände; als solche würden sie von einem Statutenwechsel nicht berührt 15 . Demgegenüber sei eine vernichtbare Ehe ein nicht abgeschlossener Tatbestand, der bei einem Wechsel der Staatsangehörigkeit vom neuen Statut erfaßt werdel6. Frankensteins Unterscheidung zwischen den abgeschlossenen Tatbeständen voll wirksame/fehlgeschlagene Eheschließung und dem nicht abgeschlossenen Tatbestand vernichtbare Ehe wird allerdings dadurch wieder von ihm relativiert, daß er vom abgeschlossenen Tatbestand Eheschließung den darauf folgenden Dauerratbestand Ehe unterscheidet 17, der dann wieder dem jeweiligen Personalstatut unterliegt. Gemeint sind nicht etwa die Ehewirkungen, sondern die Wirksamkeit die11 Bayer/Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 773 f.; Steding, S. 54 f.; vgl. auch MünchKomrn/Schwimann, Art. 13, Rnr. 95. 12 Vgl. Einleitung; näher unten 2. Kap. C II 1. l3 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 191; Plaut, S. 65; Hirschfeld, S. 59, vgl. aber andererseits S. 70: grundsätzlich Rechtsordnung des Heimatstaates im Zeitpunkt der Eheschließung. 14 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 191; vgl. aber auch S. 181. 15 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188; ähnlich Zitelmann, S. 628: aus Nichts kann nicht etwas werden; Plaut, S. 64 f. 16 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188. 17 Frankenstein, a.a.O., S. 188 unter aa, S. 189 unter cc.

A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen

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ses "Dauertatbestands" Ehe. So kann sogar trotz wirksamer Eheschließung, die ja nach Frankenstein durch den Statutenwechsel nicht berührt wird, die Ehe sich eben infolge des Statutenwechsels verschlechtem18 (also vernichtbar, aber offenbar auch zur Nichtehe19 werden). Frankenstein ist zwar zuzugeben, daß u.U. eine Nichtehe ohne weiteres zu einer wirksamen Ehe werden kann, nämlich in den von ihm angeführten Fällen formunwirksamer Ehen, wenn das neue Statut formlose Eheschließungen zuläßt20. Hier beruht die Ehe aber auf einem erneuten Eheschließungstatbestand, nämlich sofern das Formstatut dies ausreichen läßt - auf dem ehelichen Zusammenleben, das eben auch nach dem Statutenwechsel stattfand21 . Es wird kein Dauertatbestand von einer anderen Rechtsordnung ergriffen, sondern es fmdet ein neuer "abgeschlossener Tatbestand" statt, der allerdings u.U. nicht so klar defmierbar ist wie ein formeller Eheschließungsakt Daß umgekehrt nach einer wirksamen Eheschließung, die für Frankenstein ja auch wirksam bleibt, der "Dauertatbestand" Ehe durch Statutenwechsel wieder unwirksam werden könne, ist aus seiner Universalistischen Grundanschauung zu erklären22 und aus heutiger kollisionsrechtlicher Sicht nicht ganz leicht nachvollziehbar. Der "Dauertatbestand" Ehe beruht schließlich auf dem Akt der Eheschließung; er unterliegt nicht anderen Kollisionsnormen als die Eheschließung selbst. Es geht hier - wie erwähnt - nicht um Ehewirkungen, für die selbstverständlich eigene Kollisionsnormen gelten. Worum es geht, ist die Wirksamkeit

18 Frankenstein, a.a.O., S. 190 (Beispiele: mehrfach verheirateter Mohammedaner wird Deutscher [ein Beispiel Zitelmanns, das Frankenstein für konstruiert hält, zu Unrecht, wie der Fall des OLG Hamm (12.9.86), IPRspr. 1986, Nr. 53, zeigt]; österreichischer Priester, der - auch aus österreichischer Sicht - zulässigerweise in Deutschland geheiratet hat, geht nach Österreich, wo er nach früherem österreichischem Recht nicht verheiratet sein durfte: österreichisches Recht ergreife die Ehe unmittelbar und mache sie nichtig; das ist aber sogar aus damaliger österreichischer Sicht wohl nicht richtig, s. Walker, IPR, S. 550); ebenso Zitelmann, S. 627. 19 Vgl. den Eingangssatz Frankensteins zum betreffenden Abschnitt: "Nach dem alten Statut war die Ehe wirksam; das neue Statut legt ihr aber nicht den Charakter als Ehe bei", IPR Bd. 3, S. 190. 20 Frankenstein, a.a.O, S. 189 a.E.f.; zur in den USA teilweise noch existierenden formlosen common-law-Ehe s. z.B. Ploscowe/Foster/Freed, S. 78-85; Green!Long, S. 80-89; Thomas, S. 50-63; Steding, S. 73 f. Zur schottischen "marriage by cohabitation with habit and repute" s. z.B. Thomson, S. 15-18; Thomas, S. 45-50. 21 Vgl. Soergei/Schurig12, Art. 13, Rnr. 32; Lüderitz, IPR, Rnr. 120. 22 Dazu näher 2. Kap. B II 2 b.

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1. Kapitel: Meinungsstand der Ehe, und diese hängt ab von der Wirksamkeit des Eheschließungsakts23. Eine andere Frage ist, ob die Wirksamkeit der Eheschließung wandelbar oder unwandelbar angeknüpft wird24. Möglicherweise will Frankenstein auch eine Parallele zum internationalen Sachenrecht ziehen, wo der Fortbestand von Rechten, die unter altem Belegenheitsstatut wirksam begründet wurden, nach einem Statutenwechsel u.U. an der Unvereinbarkeit mit dem Sachenrecht des neuen Belegenheitsstaats scheitern kann25. Das beruht auf Interessen des im Sachenrecht besonders betroffenen Rechtsverkehrs am Lageort; welche Interessen dagegen im Hinblick auf die Beurteilung einer Eheschließung bei einem Staatsangehörigkeitswechsel existieren, ist für diese Frage eigenständig zu ermitteln26.

Hirschfeld gelangt unter Heranziehung "grundlegender Prinzipien" des materiellen Rechts und des Kollisionsrechts27 zu einer alternativen Anknüpfung der Ehegültigkeit an altes und neues Heimatrecht28. Wichtigstes Begründungselement ist dabei das Prinzip des "favor matrimonii", das Hirschfeld Art. 6 Abs. 1 GG und verschiedenen einfachgesetzlichen Normen entnimmt29. Ferner werde durch eine alternative Anknüpfung der Verweisungsgerechtigkeit Rechnung getragen, weil sich durch den Staatsangehörigkeitswechsel der Schwerpunkt des Sachverhalts verlagert habe30; daneben diene diese Lösung dem Individualinteresse der Parteien an Anwendung des aktuellen Heimatrechts31; auch habe der alte Heimatstaat i.d.R. kein Anwendungsinteresse mehr.

23 Darum unzutreffend Schnorr von Carolsfeld, S. 523-525, für die Heilung von gegen Art. 13 Abs. 3 verstoßenden Eheschließungen, insbes. S. 524: "Die Problematik dreht sich ja um das augenblickliche Bestehen, nicht das seinerzeitige Entstehen der interessierenden Verbindung"; ihm folgend Fichte, S. 232 f; vgl. auch LG Düsseldorf (30.1.63), IPRspr. 1963, Nr. 63. Aber ein "Bestehen" ohne "Entstehen" gibt es nicht. 24 Dazu oben 2 und unten 2. Kap. B II 1, 2 a. 25 S. z.B. Kegel, IPR, S. 575 (§ 19 111); Ferid, IPR, Rnr. 7-64, 7-65; Lüderitz, IPR, Rnr. 326. 26 Unten 3. Kap. Dill. 27 Hirschfeld, S. 13. 28 Hirschfeld, S. 100. 29 Hirschfeld, S. 17-23, 101. Einzig mit dem "favor matrimonii" begründen die Heranziehung des neuen Rechts Plaut, S. 65 (für vernichtbare Ehe), Nußbaum, s. 135. 30 Hirschfeld, S. 100. 31 Hirschfeld, S. 102.

A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen

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4. Anwendung des neuen Heimatrechts trotz Anerkennung der Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts a) Fehlende Veranlassung für eine Nichtigerklärung Wieder andere erkennen zwar grundsätzlich an, daß es auch für die spätere Beurteilung auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Eheschließung ankommt32 ; an diesem Grundsatz wollen sie auch in Fällen festhalten, in denen eine ursprünglich fehlerhafte Ehe nach neuem Heimatrecht wirksam ist33 . Dennoch beurteilen sie eine auf das alte Heimatrecht gestützte Nichtigkeitsklage nach dem neuen Heimatrecht mit der Begründung, "daß der deutsche Richter keine Veranlassung hat, eine Ehe für nichtig zu erklären, die im Heimatstaat der Ehegatten als gültig behandelt wird"34. Das "Veranlassungs"-Argument wird auch häufig lediglich als Zusatzerwägung angefiihrt35 . Das Reichsgericht begründet seine Entscheidung weiter mit einer Parallele zum internationalen Scheidungsrecht36 . Diese Begründung ist jedoch allgemein abgelehnt worden 37 und vereinzelt geblieben: Die Ehenichtigkeit unterfallt nach allgemeiner Meinung dem Eheschließungs- und nicht dem Scheidungsstatut38.

32 Raape, S. 242 f.; RG (16.5.31), IPRspr. 1931, Nr. 59; Wolff, S. 189. 33 So ausdrücklich RG (16.5.31), IPRspr. 1931, Nr. 59, S. 122: "...die mit Rücksicht auf das Österreichische Recht materiell ungültig geschlossene Ehe (hätte) nicht dadurch . . . gültig werden können, daß die Eheleute in der Folge die italienische Staatsangehörigkeit erworben haben und daß nach der italienischen Ordnung . . . die Ehe der Parteien als gültig angesehen werden muß"; Wolff, S. 189: "Eine nach diesem Recht nichtige Ehe wird nicht durch Erlangung einer anderen Staatsangehörigkeit gültig. 34 So RG, a.a.O., S. 122 f.; Wolff, S. 196, nachdem er vorher festgestellt hat: "Das steht zwar nicht im Gesetz" . Ähnlich Raape, a.a.O., S. 243 f.- Mit dem Argument der "fehlenden Veranlassung" arbeiten auch Vertreter der Auffassung, die eine Anwendung eines späteren Heimatrechts nur unter zusätzlichen einschränkenden Voraussetzungen befürwortet: Staudinger/von Bar12• Art. 13, Rnr. 46; Staudinger/von Bar/Mankowskil3, Art. 13, Rnr. 91; von Bar, IPR I, Rnr. 313, IPR II, Rnr. 137. 35 OLG Koblenz (25.3.69), IPRspr. 1971, Nr. 37 a; Bayer/Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 773. 36 RG, a.a.O., S. 122. 37 Frankenstein, JW 1932, 2273; Siehr, Heilung, S. 137; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 14. 38 Frankenstein, a.a.O.; Palandt/Heldrich, Art. 13, Rnr. 11; Kegel, IPR, S. 606 f. (§ 20 IV 3); Soergel/Schurigl2, Art. 13, Rnr. 100. 00" 0

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1. Kapitel: Meinungsstand

b) Entscheidungseinklang mit aktuellem Heimatstaat Z .T. wird eine Heilung durch Anwendung des neuen Heimatrechts trotz grundsätzlicher Anerkennung der Unwandelbarkeit mit dem Ziel des "internationalen Entscheidungseinklangs" begründet39.

111. Heilung unter zusätzlichen Voraussetzungen In neuerer Zeit ist eine Auffassung im Vordringen, die - vom Prinzip der Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts ausgehend - eine "Heilung" nur dann bejaht, wenn zusätzlich zum Staatsangehörigkeitswechsel weitere Voraussetzungen erfüllt sind: Die Partner dürfen zum einen keinen gewöhnlichen Aufenthalt im alten Heimatstaat (mehr) haben40, da ein vollständiger Bruch mit dem alten Statut erforderlich sei41. Außerdem müssen die Parteien unter dem heilenden Statut "als Eheleute" zusammenleben. Diese Auffassung geht zurück auf einen Aufsatz Siehrs42 , in welchem er die bis dahin existierende einschlägige Rechtsprechung analysiert. Die oben genannten Voraussetzungen gewinnt er durch eine Betrachtung der tatsächlichen Fallgestaltungen. In den von ihm geschilderten Fällen hätten die Parteien nicht nur ihre Staatsangehörigkeit gewechselt, sondern all ihre durch Aufenthalt oder Wohnsitz vermittelten Beziehungen zu dem Staat abgebrochen, nach dessen Sachrecht die Eheschließung unwirksam war. Ein solcher vollständiger Bruch mit der "invalidierenden" Rechtsordnung sei auch erforderlich, denn nur so lasse sich vermeiden, daß die Kollisionsnormen über die Eheschließung überflüssig und durch das Ehewirkungsstatut ersetzt würden43. Solange die 39 Breuer in Rahm/Künkel4 , Vill, Rnr. 186; vgl. auch die oben (2) genannten Vertreter eines Wandelbarkeitsgrundsatzes. 40 Siehr, Heilung, S. 143-148; Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 47; Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 95; von Bar, IPR Il, Rnr. 137; MünchKomm/Sonnenberger, Einl. Rnr. 498; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18; Münzer, S. 90 f.; KG (27.1.86), IPRax 1987, 33m. Aufs. Siehr S. 19. 41 Siehr, Heilung, S. 143-148, und ähnlich IPRax 1987, 21; Staudinger/von Bar12, a.a.O.; Staudinger/von Bar/Mankowski13 , a.a.O.; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, a.a.O.; KG, a.a.O.; MünchKomm/Sonnenberger, Einl. a.a.O., verlangt zusätzlich (?) zu Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltswechsel den "Abbruch aller Brücken zum Staat des Eheschließungsstatuts"; unklar insoweit Münzer, S. 90, die (im Rahmen von Art. 13 Abs. 1) Abbruch aller Brücken zum Eheschließungsstaat (so mehrfach) verlangt. 42 Siehr, Heilung durch StatutenwechseL 43 Siehr, Heilung, S. 144, unter Hinweis auf die dahingehenden Bedenken Weng-

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Eheleute in dem Staat wohnten, dessen Recht nach deutschem IPR über die Ehegültigkeit mitentscheide44 , sei die Übereinstimmung mit diesem Staat mehr wert als die Übereinstimmung mit dem neuen Heimatrecht45 . Das Erfordernis des ehelichen Zusammenlebens unter dem Heilungsstatut begründet er dreifach. Erstens: Sei diese Voraussetzung nicht erfüllt (weil die Partner die Lebensgemeinschaft nie aufgenommen oder sich vor dem Statutenwechsel wieder getrennt hätten), sei die Beziehung des Heilungsstatuts zum Sachverhalt zu locker, als daß sich eine Ausnahme von der Grundsatzanknüpfung rechtfertigen ließe46. Zweitens: Berufe sich ein Ehegatte auf einen Eheschließungsfehler nach dem ursprünglichen Heimatrecht, obwohl die Partner jahrelang unter der heilenden Rechtsordnung zusammengelebt hätten, stelle dies ein treuwidriges Verhalten dar; wenn das an sich anwendbare Sachrecht die Geltendmachung des Fehlers dennoch zulasse, beruhe das auf rechtspolitischen Gründen; auf diese brauche aber dann nicht mehr uneingeschränkt Rücksicht genommen zu werden, wenn ein vollständiger Bruch zur invalidierenden Rechtsordnung eingetreten sei47 . Die Kehrseite dieses Arguments sei drittens: Das Zusammenleben unter dem Heilungsstatut sei ein Indiz dafür, daß die Partner noch in einem Zeitpunkt aneinander festhalten, in dem eine heilende Rechtsordnung für sie "zuständig" werde. Zusanunenleben "unter" dem Heilungsstatut versteht Siehr dabei ausdrücklich nicht territorial, sondern zeitlich48. Offenbar ist es also nicht erforderlich, daß die Partner ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Heilungsstaat haben, sondern jeder vom ursprünglichen Heimatland verschiedene Staat kommt als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht, sofern die Partner nur nach dem Staatsangehörigkeitswechsel noch zusammenleben49.

lers, RabelsZ 23 (1958), 535, 546 f .; ebenso Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 46 f.; Staudinger/von Bar/Mankowski13 , Art. 13, Rnr. 94 f.; von Bar, IPR I, Rnr. 313. 44 Gemeint ist wohl: als eines der beiden Heimatrechte der Verlobten (bei gleicher Staatsangehörigkeit entschiede dieses Recht natürlich nicht nur "mit", sondern allein). 45 Siehr, Heilung, S. 145. 46 Siehr, Heilung, S. 151. 47 Siehr, Heilung, a.a.O. 48 Siehr, Heilung, S. 150 Fn. 87. 49 Anders die übrigen Vertreter dieser Auffassung, dazu unten.

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1. Kapitel: Meinungsstand

Aus dieser kurzen Zusammenfassung läßt sich bereits ersehen, daß Siehr (und ihm weitgehend folgend von Bar50 und Schwimann51) keine methodische Begründung gibt, warum von der Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1, die er auch in Fällen des Staatsangehörigkeitswechsels für grundsätzlich einschlägig hält52 , abgewichen werden kann. Er geht umgekehrt vor, indem er die Notwendigkeit einer kollisionsrechtlichen "Heilung" postuliert und dann Einschränkungen vornimmt, um das Ganze nicht ausufern zu lassen. Innerer Grund für dieses Postulat sind Billigkeitserwägungen, die er zu Beginn seiner Ausführungen formuliert: "Unangemessen ist es, in einer solchen auf die Begründung einer Statusbeziehung gerichteten Handlung lediglich einen abgeschlossenen Sachverhalt zu sehen, der von einem Statutenwechsel unberührt bleibt. Beachtet muß vielmehr werden, daß rechtlich fehlgeschlagene Statusbegründungen häufig zu tatsächlich gelebten Personenbeziehungen führen, die deshalb einer Heilung durch Statutenwechsel zugänglich sein sollten"53. Als heilendes Statut sieht Siehr in diesem Aufsatz übrigens nicht wie die anderen Befürworter einer Heilung ein späteres Heimatrecht, sondern das Ehewirkungsstatut an, weil es nicht um die Begründung, sondern um die Heilung wegen des faktischen Bestehens eines Statusverhältnisses gehe54 .- Dieses kann mit dem aktuellen Heimatrecht übereinstimmen, muß es aber nicht.- In einer späteren VeröffentlichungSS jedoch nennt Siehr als Heilungsstatut das neue Heimatrecht, ohne sich mit seiner früheren Auffassung weiter auseinanderzusetzen.

Auch andere sind der Auffassung Siehrs zumindest in ihren Grundzügen gefolgt; es wurde allerdings der Versuch unternommen, einen methodischen Weg zu finden, um das Abweichen von Art. 13 Abs. 1 zu rechtfertigen. Wer wie die Vertreter der hier dargestellten Ansicht davon ausgeht, daß Art. 13 Abs. 1 auch die spätere Beurteilung einer Eheschließung dem Heimatrecht der Verlobten unmittelbar vor Heirat unterwirft, kann ein Abweichen von dieser 50 Staudinger/von Bar 12 , Art. 13, Rnr. 46 f.; von Bar, IPR I, Rnr. 313, IPR II, Rnr. 137: als Begründung dient lediglich das Argument der "fehlenden Veranlassung", s. oben A ll 4; ähnlich Staudinger/von Bar/Mankowski l3, Art. 13, Rnr. 95, aber zusätzlich Art. 6 Abs. 1 GG herangezogen (Rnr. 91). 51 MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18. 52 Siehr, Heilung, S. 133 bei und in Fn. 14. 53 Siehr, Heilung, S. 133; eine ähnliche Begründung gibt MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18, der aber verlangt, daß die .Ehegemeinschaft im Bereich des neuen Statuts gelebt wurde, dazu sogleich; vgl. auch Erman/Hohloch9, Art. 13, Rnr. 35: Heilbarkeit (der er - ohne Begründung - zuzustimmen scheint) sei "auf Sachverhalte zu beschränken, in denen der Statutenwechsel auch zu effektivem Leben der Ehepartner unter dem neuen Statut geführt hat". 54 Siehr, Heilung, S. 149. 55 Siehr, IPRax 1987, 19, 21.

A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen

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Kollisionsnorm nur mit den Mitteln der Rechtsfortbildung begründen: Nach herkömmlicher Methodenlehre muß er darlegen, daß Art. 13 Abs. 1 seinem Wortlaut nach auch Fälle erfaßt, die seinem Sinn und Zweck nach nicht erlaßt werden sollen; es m~ß also eine "verdeckte" Lücke existieren. Ist das der Fall, kann Art. 13 Abs. 1 teleologisch reduziert und durch eine Ausnahmekollisionsnorm ergänzt werden. Dementsprechend wird argumentiert, Sinn und Zweck des Art. 13 Abs. 1 erfaßten die Fälle des Staatsangehörigkeitswechsels unter den oben dargestellten Voraussetzungen nicht, wobei zwei Einschränkungen gegenüber Siehrs Auffassung getroffen werden: Zum einen wird verlangt, daß die Partner ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Heilungsstaat genommen haben müssen56. In diesem Zusammenhang wird der Aspekt angeführt, daß im neuen Heimatstaat eine erneute Eheschließung unmöglich ist57.- Zum anderen dürfe kein Grund bestehen, an der Unwandelbarkeit festzuhalten; ein solcher Grund könne sich z.B. aus Rechtspositionen Dritter ergeben, die nun vor einem deutschen Richter geltend gemacht würden58.

IV. Einzelfragen Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob auch ein einseitiger Staatsangehörigkeitswechsel zur Heilung führt. Z.T. wird der Statutenwechsel nur eines Partners dann als ausreichend betrachtet, wenn der Ehe nur nach dem Heimatrecht dieses Ehegatten ein Mangel anhaftete5 9 . Dies lehnen aller56 MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 498; Münzer, S. 90 f.; Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 47; Staudinger/von Bar/Mankowski13 , Art. 13, Rnr. 95; auch MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18: neues Statut nur dann zur Verdrängung legitimiert, wenn es nicht nur erworben, sondern auch "gelebt" wurde. Insoweit keine Aussage bei von Bar, IPR I, Rnr. 313, IPR ll, Rnr. 137. 57 MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O.; Münzer, a.a.O; Neuhaus, IPR, S. 301 {der allerdings verschiedene Lösungsmöglichkeiten nennt, nämlich unselbständige Vorfragenanknüpfung- dazu unten C ll und 2. Kap. D m -, ordre public und "eventuell ... Schaffung einer zusätzlichen Kollisionsnorm"); wie Neuhaus Kropholler, S. 174. Auf diesen Gedanken stellt auch Lüderitz, IPR, Rnr. 201, ab, so daß er offenbar auch gewöhnlichen Aufenthalt im Heilungsstaat voraussetzt. 58 MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O.; ohne die Beschränkung auf eine Geltendmachung Münzer, a.a.O. 59 Nußbaum, S. 135; Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188 f. (anscheinend); Plaut, S. 65 f.; Staudinger/Gamillschegl0/11, Art. 13, Rnr. 123; Siehr, Heilung, S. 147 f.; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18 (aber gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt im Gebiet des neuen Personalstatuts erforderlich); KG (27 .1.86), IPRax 1987, 33

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1. Kapitel: Meinungsstand

dingsmanche mit dem Argument ab, durch eine "einseitige" Heilung werde in Rechte des anderen Ehegatten eingegriffen60.- Daß dagegen eine mangelhafte Ehe nicht mangelfrei werden kann, wenn zwar der eine Ehepartner eine "heilende" Staatsangehörigkeit erwirbt, nach dem Heimatrecht des anderen Partners die Ehe jedoch mangelhaft bleibt, dürfte unmittelbar einleuchten61 __ Davon zu unterscheiden ist die ebenfalls umstrittene Frage, ob es ausreicht, daß ein Ehegatte die neue Staatsangehörigkeit lediglich aufgrund der Eheschließung erworben hat, oder ob ein sog. "selbständiger" oder freiwilliger Statutenwechsel erforderlich ist62.

V. Ablehnung einer Heilung Gegenüber den dargelegten Versuchen, bei einem Staatsangehörigkeitswechsel zur Wirksamkeit einer fehlerhaften Ehe zu gelangen, berufen sich die Gegner63 der Heilungsthesen meist auf den Gesetzeswortlaut. Das Gesetz m. Aufs. Siehr, S. 19; OLG München (22.12.92), StAZ 1993, 151; Beispiele bei Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 96; offengelassen: Raape, S. 243 f. 60 Beitzke, JZ 1959, 125; BGH (11.6.58) Z 27,375. 61 Daher lassen einen einseitigen Statutenwechsel in diesen Fällen nicht genügen KG (11.2.38), JW 1938, 855 m. Anm. Maßfeiler; LG Stuttgart (12. 7 .67), FamRZ 1968, 197 = IPRspr. 1966/67, Nr. 75 (zudem war Ehe auch nach "neuem" Recht wegen Religionsverschiedenheit nicht gültig; ordre public insoweit nicht geprüft); OLG Koblenz (25.3.69), IPRspr. 1971, Nr. 37 a = RzW 1969, 549, und in derselben Sache BGH (25.11.71), IPRspr. 1971, Nr. 37 b; BGH (12.1.71), MDR 1971, 297 = IPRspr. 1971, Nr. 123; OLG Koblenz (2.10.75), IPRspr. 1975, Nr. 37 = RzW 1975, 365; LG Koblenz (24.6.76), IPRspr. 1978, Nr. 44 a = RzW 1977, 55. Beidseitigen Statutenwechsel verlangen in der Literatur Wolff, S. 196; Erman/Marquordt7 , Art. 13, Rnr. 22. 62 Für letzteres: KG, JW 1938, 855 m. Anm. Maßfeiler (allerdings zu Unrecht nach unserem IPR gültige Ehe als Voraussetzung des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit ansehend); Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 187, und JW 1932, 2273 (ebenso); Beitzke, JZ 1959, 125; zweifelnd Maßfeller, a.a.O. ; dagegen: Siehr, Heilung, S. 146 f.; differenzierend nach Art der Eheschließungsmängel: Staudinger/Gamillscheg10/ll , Art. 13, Rnr. 109-113, 119. 63 Eine "Heilung" durch Anwendung des neuen Statuts lehnen ab: Soergel/Kegel11, Art. 13, Rnr. 41, 69 (mit eng begrenzten Ausnahmen, dazu sogleich VI); Soergel/Schurig 12, Art. 13, Rnr. 34, 94 (ebenso); Böhmer, S. 46-48 (unmittelbar zu Art. 13 Abs. 3, aber auch bezogen auf Art. 13 Abs. 1, s. S. 43); Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 8-77; Henrich, IFamR, S. 18; ders., FamRZ 1987, 950 ("nicht unbedenklich"); Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15; Hungert, StAZ 1993, 140, 145 f. (jedenfalls für den konkreten Fall des OLG München, 22.12.92, StAZ 1993, 151; im übrigen für

A. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vertretenen Meinungen

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schreibe nun einmal Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts vorM, und damit sei einer "Heilung" die Grundlage entzogen. Auch die einschränkenden Voraussetzungen, unter denen neuerdings eine Heilung angenommen wird, haben Kritik erfahren. Die Bedingung, die Ehegatten müßten unter dem heilenden Statut zusammenleben, widerspreche dem Erfordernis der Klarheit und Eindeutigkeit von Statusfragen65 . Probleme tauchten u. a. dann auf, wenn die "Ehegatten" entgegen ihrer ursprünglichen Absicht wieder in den Forumstaat zurückkehrten66.

VI. Antizipierende Anlmüpfung Eine auch von Gegnern einer Heilung gemeinhin anerkannte Ausnahme zur prinzipiellen Maßgeblichkeit der Staatsangehörigkeit vor Eheschließung wird mit der sogenannten antizipierenden Anknüpfung gemacht. Eine solche hat erstmals Kegel anläßlich des vielzitierten, in Kanada entschiedenen Falls Ungar v. Schwebel67 vorgeschlagen: Ein jüdisches Ehepaar ungarischer Nationalität wollte nach dem zweiten Weltkrieg in einer Gruppe von Glaubensgenossen nach Israel auswandern; Zwischenstation bildete ein Flüchtlingslager in Italien. Dort übergab der Mann seiner Frau vor einem Rabbiner und zwei Zeugen den Scheidebrief, womit die Ehe nach jüdischem, nicht aber nach ungarischem Recht geschieden war. Für diese Sondersituation, in der sich die Parteien bereits an das zukünftige israelische Heimatrecht gebunden fühlten, will Kegel die Wirksamkeit der Scheidung antizipierend an das Recht der angestrebten israelischen Staatsangehörigkeit anknüpfen68. Dasselbe soll dann auch im Fall der Heirat späterer Israelis auf der Reise gelten69.

"zurückhaltende Handhabung"); Habicht, S. 105; Bergmann, StAZ 1931, 227; RG (11.2.42), WarnRspr. 1942, Nr. 46, obiter. 64 Ferid/Böhmer, Soergel/Kegelll, Henrich, Johannsen/Henrich, Habicht, Bergmann, wie vorige Fn.; Böhmer, S. 45. 65 Böhmer, S. 46. 66 Böhmer, S. 47. 67 Fundstellen und Entscheidungsgründe aller Instanzen bei Kegel, Festsehr. Fragistas m, s. 1-4. 68 Kegel, Festschr. Fragisras ill, S. 22. 69 Soergel/Kegelll, Art. 13, Rnr. 41, 69.

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1. Kapitel: Meinungsstand

Die Idee einer antizipierenden Anknüpfung wurde in Literatur70 und Rechtsprechung71 aufgegriffen und von einigen auf weitere Fallgruppen ausgedehnt. So lassen manche die Beschränkung auf Eheschließungen späterer Israelis im Durchgangslager fallen und wollen allgemein dann antizipierend an das neue Personalstatut anknüpfen, wenn der Wechsel bei Eheschließung unmittelbar bevorsteht und sich die Verlobten deswegen schon an das neue Statut gebunden fühlten72. Gedacht ist dabei an Auswanderer auf der Reise ins Einwanderungsland oder bereits mit gewöhnlichem Aufenthalt im Einwanderungsland73 . Sofern sie sich zu diesem Punkt äußern, verlangen die meisten Vertreter einer antizipierenden Anknüpfung, daß das angestrebte Personalstatut dann auch tatsächlich erworben werden muß74 . Kegel hingegen will in einer Abwandlung des Falls Ungar v. Schwebel ausdrücklich auch dann an das Recht der angestrebten Staatsangehörigkeit anknüpfen, wenn die ungarischen Juden es sich nach ihrer rechtsgeschäftliehen Scheidung nach jüdischem Recht wieder anders überlegt hätten und beispielsweise nach Frankreich statt nach Israel gegangen wären (in welchem Fall sie die israelische Staatsangehörigkeit nicht erworben hätten!): einmal geschieden, immer geschieden75.

70 Siehr, Heilung, S. 140 f.; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16; Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 46; Staudingerlvon Bar/Mankowski 13 , Art. 13, Rnr. 93; Münzer, S. 94-100; Soergei/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 35. 71 OLG Koblenz (7.7 .88), IPRspr. 1988, Nr. 62. 72 MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16; Münzer, S. 95; Staudinger/von Bar/Mankowski 13, Art. 13, Rnr. 93; nicht ganz entschieden Soerge1/Schurig12 , Art. 13, Rnr. 35. 73 MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16. 74 MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16; Siehr, Heilung, S. 141: "statutum personale desideratum et postremo acquisitum"; ebenso Münzer, S. 94 , 95 a.E.f. ; Böhmer, S. 48; anscheinend auch Staudinger/von Bar 12 , Art. 13, Rnr. 46; Staudinger/von Bar/Mankowski13 , Art. 13, Rnr. 93. 75 Kegel, Festschr. Fragistas ffi, S. 23; unrichtig zitiert daher bei Böhmer, S. 48, und bei Münzer, S. 95 (insoweit keine Äußerung bei Soergei/Kegei 11 , Rnr. 41 , 69).

B. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB vertretenen Meinungen

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B. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB vertretenen Meinungen I. Einführung Während das Heimatrecht vor Eheschließung nach Art. 11 Abs. 1 alternativ neben dem Ortsrecht auch für die Form einer Heirat im Ausland gilt, bestimmt Art. 13 Abs. 3 S. 1 für die Eheschließung im Inland etwas anderes: "Eine Ehe kann im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden" 76. S. 2 übernimmt die früher in § 15 a EheG enthaltene Ausnahme, nach der Verlobte, von denen keiner Deutscher ist, die Ehe in der Heimatform eines Verlobten schließen können, wenn dies vor einer Person geschieht, die von der Regierung des entsprechenden Heimatstaates ordnungsgemäß dazu ermächtigt ist.

Damit ist grundsätzlich Heirat in standesamtlicher Form erforderlich. Wurde diese nicht gewahrt, und ist auch die Ausnahmevorschrift des S. 2 nicht erfüllt - etwa weil die Trauungsperson nicht ordnungsgemäß ermächtigt war77 -, ist nach allgemeiner Auffassung78 keine Ehe zustande gekommen; es handelt sich also um eine Nichtehe. Wieder stellt sich die Frage, ob diese Beurteilung dann anders ausfällt, wenn nach Eheschließung eine Änderung der tatsächlichen Umstände eintritt. Da sich der Eheschließungsort nicht ändern kann79, kommen als solche Umstände nur die Änderung der Staatsangehörigkeit und die Änderung des schlichten oder gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht. Auch diese Fälle werden unter dem Stichwort einer "Heilung durch Statutenwechsel" diskutiert.

II. Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel Sucht man in der Rechtsprechung nach einer Begründung für die Annahme einer Heilung, so stößt man auf Formulierungen, die von einer Art Wandelbarkeit des Inlandsformstatuts ausgehen. 76 Fassung bis zum 31 .8.86: "Die Form einer Ehe, die im Inlande geschlossen wird, bestimmt sich ausschließlich nach den deutschen Gesetzen." 77 Zur ordnungsgemäßen Ennächtigung z.B. Soergei/Schurig12, Art. 13, Rnr. 8890; Hepting, StAZ 1987, 154-160; Sonnenberger, StAZ 1964, 289-298. 78 Zur abweichenden Auffassung Henrichs, RabelsZ 37 (1973), 230-244, unten 5. Kap. I 2. 79 S. näher unten 2. Kap. C II 1. 3 Voit

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1. Kapitel: Meinungsstand

Das LG Düsseldorf8° hatte einen Fall zu entscheiden, in dem zwei Polen 1930 in Düsseldorf nach jüdischem Ritus geheiratet hatten. Durch die nationalsozialistische Rassenverfolgung wurden sie später zur Auswanderung nach Palästina gezwungen; mit Gründung des Staates Israel erwarben sie die israelische Staatsangehörigkeit81 ; ihre Ehe war nach israelischem Recht, das Eheschließungen nach dem religiösen jüdischen Recht beurteilte82 , gültig. Nach dem Tod des Mannes macht die Frau in der Bundesrepublik Entschädigungsansprüche als dessen Witwe geltend. Ohne Art. 13 Abs. 3 zu erwähnen, stellt das LG Düsseldorf den Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit fest, um dann lapidar in einem Nebensatz zu folgern, die Partner hätten "also" dem israelischen Eherecht unterlegen. In dieselbe Richtung gehen in einem ähnlichen Fall die Ausführungen des OLG München83 , das Art. 13 Abs. 3 EGBGB durchaus anfangs heranzieht, dann aber zu dem Ergebnis kommt, die Partner einer "zunächst formnichtigen Ehe" seien "nach ihrem nunmehrigen Heimatrecht rechtsgültig verheiratet". Etwas konkreter und offenbar in Anlehnung an die zu Art. 13 Abs. 1 vertretenen Auffassungen formuliert das OLG Koblenz in einem Parallelfall zu dem des LG Düsseldorf, "nach den Regeln des deutschen IPR" sei eine nach deutschem Recht formunwirksame Ehe "dann als gültig anzusehen, wenn beide Eheleute anschließend Staatsangehörige eines Landes werden, das die Ehe als gültig behandelt"84.

80 IPRspr. 1962/63, Nr. 63 = RzW 1963,508 (Entsch. vom 30.1.63). 8l Aufgrund des am 14.7.52 in Kraft getretenen israelischen Bürgerschaftsgesetzes erfolgte der Staatsangehörigkeitserwerb rückwirkend auf den Tag der Einwanderung, jedoch frühestens mit Staatsgründung am 15.5.48, s. Perles, RzW 1965, 422. 82 LG Düsseldorf, a.a.O.; ausführlicher OLG München (17.12.64), IPRspr. 1964/65, Nr. 84 = RzW 1965, 169; insoweit zunächst ablehnend Perles, RzW 1965, 422, 423: Ehen, die vor Staatsangehörigkeitserwerb nach religiösem Recht geschlossen waren, würden von den staatlichen Gerichten nicht sicher anerkannt; anders aber (Anerkennung von israelischer Seite bejaht) nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts in Jerusalem ders. später, RzW 1970, 344, 345, und RzW 1971, 535, 536; ebenso Wolfsohn, RzW 1972, 169, 170; Schüler, RzW 1971, 199; ders., RzW 1972, 245,246. 83 IPRspr. 1964/65, Nr. 84 = RzW 1965, 169 m. Anm. Perles 422 (Entsch. vom 17.12.64), allerdings betr. die Begrenzung von Entschädigungsansprüchen nach dem ersten Ehemann durch die- rituelle -Wiederverheiratung. S. dazu unten 5. Kap. B li 2 c. 84 OLG Koblenz (21.10.75), IPRspr. 1975, Nr. 39, S. 90, obiter, hier wegen nur einseitigen Staatsangehörigkeitswechsels verneint. Ähnlich in der Literatur Palandt/Heldrich, Art. 13, Rnr. 25.

B. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB vertretenen Meinungen

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Auch in der Literatur taucht die Annahme einer Art Wandelbarkeit auf: Nach Schnorr von Carolsfeld gilt Art. 13 Abs. 3 zunächst als "materiellrechtliche Vorschrift", als eine "Norm des Personalstatuts" für alle Deutschen, bei Eheschließung im Ausland lediglich modifiziert durch Art. 1185 . Bei Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit entscheide der neue Staat über das Bestehen der Ehe86 ; die öffentliche Ordnung eines anderen Landes (also hier Deutschlands) sei im Bereich des Personalitätsprinzips ohne Bedeutung. Darüber hinaus gelte Art. 13 Abs. 3 als Ordnungsvorschrift auch für Ausländer, aber nur solange sie sich in Deutschland aufhielten, nicht dagegen, wenn sie nachher allein ihrem Personalstatut unterworfen seien87.

Andere erkennen zwar die Unwandelbarkeit des Inlandformstatuts an, da der Eheschließungsort ein unveränderbarer Anknüpfungspunkt sei88, sprechen sich aber dennoch für eine Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel aus, da Art. 13 Abs. 3 verfehlt sei89.

111. Heilung durch Anwendung des (späteren) Heimatrechts unter Einschränkungen Wie die soeben Genannten geht der überwiegende Teil der Heilungsbefürworter in Rechtsprechung und Literatur davon aus, daß Art. 13 Abs. 3 eine unveränderbare und damit unwandelbare Anknüpfung enthält. Dennoch wird für eine Abweichung von der Vorschrift plädiert, jedoch nicht schon bei bloßem Staatsangehörigkeitswechsel, sondern unter eingeschränkten Voraussetzungen.

85 Schnorr von Carolsfeld, S. 523 Fn. 22. 86 Schnorr von Carolsfeld, S. 524. Dem angeführten Beispiel der "common-lawEhe" (s. hierzu die Nachweise in Fn. 20) kann allerdings ohne weiteres zugestimmt werden, weil (und wenn) eine neue - formfreie - Eheschließung nicht im Inland erfolgt ist; der Unterschied liegt aber eben im neuen Tatbestand der Eheschließung, vgl. oben All3. 87 Hierzu unten 4. Kap. C. 88 Staudinger/Gamillschegl0/11, Art. 13, Rnr. 591. 89 Staudinger/Gamillschegl0/11, Art. 13, Rnr. 591; ähnlich- aber unter zusätzlichen Voraussetzungen - auch Siehr, Heilung, S. 158 a.E.f. : Art. 13 Abs. 3 sei fragwürdig und verdiene deshalb gegenüber anderen Anliegen nicht unbedingt Vorrang. 3•

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1. Kapitel: Meinungsstand

So verlangt von Bar, daß die Partner Staatsangehörigkeit und gewöhnlichen Aufenthalt gewechselt haben müssen90. Er hat offenbar nur die oben geschilderten Fälle späterer Israelis vor Augen und übersieht dabei die Möglichkeit, daß Ausländer unter Verstoß gegen Art. 13 Abs. 3 in der Form ihres derzeitigen Heimatrechts heiraten und später in ihr Heimatland ziehen. Dementsprechend wird meist vertreten, ein Abweichen von Art. 13 Abs. 3 S. 1 sei dann zulässig und geboten, wenn Verlobte hier in der Form ihres Heimatrechts heiraten, später dann Deutschland den Rücken kehren und den gewöhnlichen Aufenthalt wieder in ihrem Heimatstaat nehmen, wobei unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich des Wegfalls der Inlandsbeziehungen gestellt werden91 . Ist dagegen die Ehe nach dem Recht eines Staates gültig, dessen Staatsangehörigkeit die Partner nicht schon bei Eheschließung besitzen, ist zusätzlich zum Aufenthaltswechsel der Erwerb der entsprechenden Staatsangehörigkeit erforderlich92. Der Sache nach handelt es sich bei dieser Auffassung um eine teleologische Reduktion des Art. 13 Abs. 3 S. 193. Der Fortfall des Zwecks wird mit unterschiedlichen Erwägungen begründet. So wird vertreten, Art. 13 Abs. 3 setze als spezielle ordre-public-Vorschrift eine hinreichende Inlandsbeziehung voraus94 . Diese entfalle, wenn die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt wieder in ihren Heimatstaat verlegten95 .

90 Von Bar, IPR II, Rnr. 169; Staudinger/von Bar12 , Art. 13, Rnr. 248; ebenso Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 518. 91 Siehr, Heilung, S. 145, 158 f.; MünchKornrn/Sonnenberger, Einl. Rnr. 498 (aber "äußerst seltene Ausnahmen"); Münzer, S. 92 f. (endgültiger und vollständiger Wegfall der Inlandsbeziehungen erforderlich); Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15 (wenn Eheleute "alsbald" nach Eheschließung in Heimatstaat zurückkehren, aber nicht ganz entschieden); ebenso bereits Henrich, StAZ 1966, 223 f. (für Ehegültigkeit als Vorfrage, s. sogleich im Text); Schnorr von Carolsfeld, S. 525; Wengler, IPRax 1984, 68, 72; sympathisierend Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 40-49, aber "ultima ratio", S. 49. 92 Siehr, Heilung, S. 145; Münzer, S. 93. Für diese Variante Heilung tendenziell ablehnend: Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15. 93 MünchKornrn/Sonnenberger, Einl. Rnr. 498; Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 42 f.; Münzer, S. 88 f., 91-94. 94 Henrich, FamRZ 1958, 122, 123, und StAZ 1966, 223 f.; Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15; Münzer, S. 92; Ollick, S. 86, 148 f. , 169, 184 f.; ähnlich auch Schnorr von Carolsfeld, S. 525. 95 Münzer, Johannsen/Henrich, Henrich, a.a.O. Geweils unter den in Fn. 91 erwähnten Voraussetzungen); Schnorr von Carolsfeld, a.a.O.; Ollick, S. 185; ähnlich

B. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB vertretenen Meinungen

37

Z.T. wird die Abweichung von Art. 13 Abs. 3 auf den Fall beschränkt, daß die Ehegültigkeit nur als Vorfrage auftaucht96; nur dann soll es offenbar an der erforderlichen Inlandsbeziehung fehlen können.

Oft werden aber auch dieselben Gesichtspunkte angeführt wie im Bereich des Art. 13 Abs. 1: Die aus unserer Sicht unwirksame Verbindung werde im Heimat- und Aufenthaltsstaat tatsächlich gelebt97 ; da dort die Ehe als gültig betrachtet werde, bestehe für uns keine Veranlassung, sie als Nichtehe anzusehen98; die Partner hätten unter neuem Recht gar keine Möglichkeit, erneut zu heiraten, weil sie aus dessen Sicht ja bereits verheiratet wären99.

IV. Ablehnung einer Heilung Gegen die kollisionsrechtliche Heilung einer wegen Art. 13 Abs. 3 nicht zustande gekommenen Ehe durch Staatsangehörigkeitswechsel wird eingewandt, daß ansonsten auch Ehen gültig sein müßten, bei denen die Partner schon bei Heirat einem Staat angehören, aus dessen Sicht die Eheschließung gültig ist; Art. 13 Abs. 3 (in der Neufassung: S. 1) sehe aber gerade von der Staatsangehörigkeit abloo. Ein Statutenwechsel im Sinne der Veränderung von Anknüpfungstatsachen - und damit eine Heilung - scheide somit bei Art. 13 Abs. 3 aus: der Eheschließungsort könne sich nicht ändemlOl. auch Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 248; Staudinger/von Bar/Mankowski13 , Art. 13, Rnr. 518. 96 Henrich, StAZ 1966, 223 f.; Ollick, S. 149 f. Vgl. LG Stuttgart (19.6.69), IPRspr. 1968/69, Nr. 73 (Vorfrage der Ehegültigkeit wegen fehlender Inlandsbezogenheit "ausnahmsweise" unselbständig angeknüpft). 9? Siehr, Heilung, S. 158 ("bereits bestehende Ehegemeinschaft"); von Bar, IPR I, Rnr. 213; vgl. auch Lüderitz, IPR, Rnr. 120 (Lösung über Anpassung, dazu unten C I, 2. Kap. D II). 98 Von Bar, IPR ll, Rnr. 169 mit 137; IPR I, Rnr. 313; vgl. auch OLG Koblenz (21.10.75), IPRspr. 1975, Nr. 39 = RzW 1976, 14 (nur auf Staatsangehörigkeitswechsel abstellend). 99 Neubaus, IPR, S. 301; Lüderitz, IPR, Rnr. 201 (Anpassung, dazu unten C I); diesen Gesichtspunkt erwähnt auch das LG Düsseldorf (30.1.63), IPRspr. 1962/63, Nr. 63 = RzW 1963, 508. 100 Soergel/Kegel11 , Art. 13, Rnr. 69; Soergel!Schurig12 , Art. 13, Rnr. 94; Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 774; Kropholler, S. 173 f. (aber Ausnahme unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, ebda. und S. 134). 101 Z .B. Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, S. 773 f.; Steding, S. 54 f.; in diesem Sinne ablehnend auch MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 95 und dort Fn. 338, 339; s. bereits oben A II 2.

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1. Kapitel: Meinungsstand

Immerhin halten aber auch Gegner einer generellen Heilbarkeit eine Abweichung von Art. 13 Abs. 3 bei nur geringer Inlandsbeziehung für möglich102.

V. Antizipierende Anknüpfnng Auch im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 wird von einigen Autoren eine antizipierende Anknüpfung für zulässig gehalten 103 , wenn die Parteien unmittelbar vor Auswanderung oder Rückkehr in ihr Heimatland in ausländischer Form geheiratet haben.

VI. Verfassnngsrechtliche Gleichstellnng einer "hinkenden Ehe" Ein weiterer Ansatz zur Lösung der mit Art. 13 Abs. 3 verbundenen Problematik entspringt nicht dem Kollisionsrecht, sondern dem Verfassungsrecht. Da er sich aber kollisionsrechtlicher Begriffsmuster bedient, soll er hier dargestellt werden. Mit seinem sog. "Witwenrentenbeschluß" vom 30.11.1982 104 hat das BVerfG entschieden, daß auch eine hinkende (nach deutschem Recht ungültige, nach ausländischem aber gültige 105) Ehe von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt sei; die "Witwe" aus solch einer hinkenden Ehe konnte daher Witwenrente beanspruchen. Dem folgen einige in den Grundzügen106; andere übernehmen

102 Soergel/KegeJ11, Art. 13, Rnr. 66; Soergel/Schurig12, Art. 13, Rnr. 85 . 103 Soergel/Kegel11 , Art. 13, Rnr. 69; Soergel/Schurig1 2 , Art. 13, Rnr. 94; Böhmer, S. 48; Münzer, S. 99; s. bereits oben A VI. 104 BVerfG, IPRax 1984, 88 = FamRZ 1983, 251 m. Anm. Bosch. 105 Die umgekehrte Konstellation (sog. hinkende Inlandsehe i. Ggs. zur hier behandelten hinkenden Auslandsehe) wirft insoweit keine Probleme auf, da sie aus unserer Sicht wirksam ist. 106 Z.B. LSG Harnburg (26.6.86), FamRZ 1986, 994; zuletzt OLG Köln (10.5.93), IPRax 1994, 371 m. Aufs. Hepting S. 355: Bei hinkender Ehe verstößt Sterbebucheintrag als "nicht verheiratet" gegen Art. 6 Abs. 1 GG.- Die "spiegelbildliche" Anwendung der Entscheidung auf den Wegfall einer Witwenrente wegen "hinkender Wiederheirat" wird offengelassen in BSG (7.12.89), IPRspr. 1989, Nr. 82.

B. Die im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB vertretenen Meinungen

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die Entscheidung sogar in den Einzelheiten der Begründung107. Diese Auffassung gelangt jedenfalls für sozialrechtliche Folgewirkungen wie die Hinterbliebenenrente zu einer Gleichstellung mit formwirksam geschlossenen Ehen108. Der Entscheidung des BVerfG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Deutsche schloß 1947 die Ehe mit einem britischen Soldaten. Die Trauung fand in einer Kaserne des britischen Besatzungsgebiets entgegen Art. 13 Abs. 3 EGBGB i.V.m. §§ 11, 13 EheG vor einem britischen Militärgeistlichen statt; aus englischer Sicht war die Eheschließung gültig. Die Frau erwarb die britische Staatsangehörigkeit. Später zogen beide nach England. Nach der Rückkehr nach Deutschland 1949 lebten sie hier noch 25 Jahre als Eheleute zusammen; in der Geburtsurkunde ihrer 1952 geborenen Tochter wurden sie als miteinander verheiratet eingetragen; die Eheschließung von 1947 wurde vermerkt. Das BSozG109 hatte nach dem Tod des rentenversicherten Mannes den Antrag der "Witwe" auf Hinterbliebenenrente mit der Begründung abgelehnt, es sei keine wirksame Ehe zustande gekommen. Die Verfassungsbeschwerde dagegen hatte Erfolg. Das BVerfG begründet seine Entscheidung mit folgenden Erwägungen: Zwar setze die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG gesetzliche Regelungen über Form und sachliche Voraussetzungen der Eheschließung voraus. Eine solche Regelung müsse auch gewisse vorgegebene Prinzipien (wie z.B. das Prinzip der Einehe) beachten. Die Ehe sei ein öffentliches Rechtsverhältnis in dem Sinne, daß die Tatsache der Eheschließung für die Allgemeinheit erkennbar sei, die Eheschließung selbst unter amtlicher Mitwirkung erfolge und der Bestand der Ehe amtlich registriert werde110. Unter diesen Voraussetzungen erstrecke sich der Schutz des Grundrechts

aber nicht allein auf die nach deutschem Recht geschlossenen Ehen.

107 Oetker, ZSR 1985, 76-87; SG Harnburg (25.10.83), IPRspr. 1983, Nr. 51 (allerdings Gewährung von Krankenhilfe abgelehnt, da Ehe nicht einmal "hinkend" wirksam); vgl. auch Behn, NJW 1984, 1014-1019, insbes. 1015, 1018. 108 BVerfG, IPRax 1984, 90 ("jedenfalls" für "Anspruch auf Versorgung nach dem Tode eines Partners"); Oetker, a.a.O., nimmt zu einer Ausdehnung auf familienrechtliche Folgen keine Stellung; Behn, a.a.O., S. 1017, hingegen sieht in der Entscheidung auch insoweit Konsequenzen.- Folgerungen im Hinblick auf den eherechtliehen Status zieht dagegen erstmals das OLG Köln (10.5.93), IPRax 1994, 371 m. Aufs. Hepting S. 355. 109 BSozG (14.5.81), NJW 1981,2655. llO BVerfG, IPRax 1984, 90; ähnlich Oetker, ZSR 1985, 82.

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1. Kapitel: Meinungsstand Offenbar versteht das BVerfG demnach "amtliche" Mitwirkung nicht als Mitwirkung eines deutschen Standesbeamten, denn sonst hätte die fragliche Eheschließung diesen Grundanforderungen ja gerade nicht genügt1 11 . Gemeint ist wohl, daß eine irgendwie geartete staatliche Mitwirkung erforderlich ist. Hierfür kann aber auch die Mitwirkung durch einen ausländischen Staat (und bestehe sie nur in der Zulassung kirchlicher Eheschließungen) ausreichen. Auch Oetker1 12 scheint das Erfordernis der "amtlichen Mitwirkung" (insoweit ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Entscheidung) in einem weiten Sinne zu verstehen, wenn er es mit "Öffentlichkeit der Eheschließung" gleichsetzt.- Anders wird die Entscheidung interpretiert von Müller-Freienfelsl13, der unter "amtlicher Mitwirkung" standesamtliche Mitwirkung versteht11 4 , aber glaubt, das BVerfG verlange alternativ Einhaltung der standesamtlichen Formvorschriften oder Ehekonsens.

Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf seine Rechtsprechung115, nach der es Art. 6 Abs. 1 als Schutznorm für verheiratete Ausländer angewandt habe, "ohne der Frage nachzugehen, ob deren Ehe nach deutschem Recht oder nach dem Recht ihrer Heimatländer geschlossen worden war". Auch habe es bereits entschieden, daß Art. 13 Abs. 1, nach dem das Zustandekommen der Eheschließung für jeden Verlobten nach seinem Heimatrecht zu beurteilen sei, nicht zu beanstanden sei. Dabei könne es "- wie im vorliegenden Fall - zu dem Ergebnis kommen, daß nach dem für den ausländischen Verlobten maßgebenden Heimatrecht 11 6 eine rechtsgültige Ehe vorliegt, während für den deutschen Verlobten die Verbindung als 'Nichtehe' zu beurteilen ist". Dann folgt die entscheidende Feststellung, daß grundsätzlich auch eine so zustande gekommene hinkende Ehe dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterliege. Zwar komme der Mitwirkung eines Standesbeamten nach deutschem Recht "als Ordnungselement" wesentliche Bedeutung zu. Nicht minder wesentlich sei aber die Willensübereinstimmung der Verlobten, miteinander die Ehe eingehen zu wollen; durch dieses Versprechen hätten Partner einer hinkenden Ehe insoweit die Voraussetzungen für eine Ehe erfüllt.- Das Verhältnis dieser beiden "wesentlichen Elemente" zueinander bleibt - wie schon die oben erwähnten Grundanforderungen an die Regelungen über Eheschließung - unklar1 17 .

111 Vgl. von Bar, NJW 1983, 1931, der den Widerspruch sieht, ohne ihn aufzulösen. 112 ZSR 1985, 82. 113 Sozialversicherungsrecht, S. 26-28, 30 a.E.f. 114 Ebenso Behn, NJW 1984, 1015; Steding, S. 118, der dennoch den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG auf nichtstandesamtliche Eheschließungen erstreckt sieht. 11 5 BVerfG (18.7.73) E 35, 382 (407 f.); (18.7.79) E 51, 386 (396). 116 Hervorhebung nicht im Original. 11 7 Für widersprüchlich halten die Entscheidung daher auch Müller-Freienfels, JZ 1983,231, und Sozialversicherungsrecht, S. 31; von Bar, NJW 1983, 1931.

C. Kollisionsrechtliche Alternativlösungen

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Nochmals betont das BVerfG, daß die "lebenslange personale Gemeinschaft ... durch die für den anderen Verlobten maßgebliche Rechtsordnung anerkannt wird" 118. Der Grundrechtsschutz müsse einer solchen Verbindung jedenfalls im Hinblick auf die Hinterbliebenenrente gewährt werden 119. Ähnlich, aber noch weitergehend, folgert Oetker aus der Tatsache, daß Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur ein Bürger-, sondern auch ein Menschenrecht ist 120 , es müsse "für die Wirksamkeit einer von Ausländern geschlossenen Ehe auf die nach der jeweiligen Rechtsordnung maßgeblichen121 Formvorschriften" zurückgegriffen werden; die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG könne nicht allein von der Einhaltung der deutschen Formvorschriften abhängig gemacht werden122. Dies gelte auch bei Eheschließung im Inland123. Solange der Grundsatz der Öffentlichkeit des Eheschlusses aber von der ausländischen Rechtsordnung gewahrt bleibe, stehe die entsprechend geschlossene Ehe auch unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG124. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 3 könne sich nicht soweit erstrecken, daß die gleichwohl geschlossene Ehe nach ausländischem Recht zwar wirksam, nach deutschem Recht jedoch unwirksam sei; vielmehr verlange Art. 6 Abs. 1 die "Anerkennung" einer ausländischen Formvorschriften genügenden Ehe125.

C. Kollisionsrechtliche Alternativlösungen I. Angleichung Ein bisher nicht vertretener Ansatz, der Heilungsproblematik mit dem allgemeinen kollisionsrechtlichen Instrumentarium zu begegnen, findet sich bei 11 8 Dies übernimmt als Voraussetzung das SozG Harnburg (25.10.83), IPRspr. 1983, Nr. 51: "... mindestens nach einer der maßgebenden Rechtsordnungen - entweder der inländischen oder der ausländischen Rechtsordnung des einen Verlobten oder beider Verlobten - (muß) eine rechtsgültige Ehe vorliegen ... ". Insoweit sieht Coester, StAZ 1988, 122, 128 f. , Fn. 92, das BVerfG mißverstanden: Gültigkeit nach ausländischem Recht nicht unverzichtbare Voraussetzung. Näher unten 5. Kap. B II 2 b bb. 119 S. BVerfG, IPRax 1984, 90. 120 BVerfG, a.a.O., S. 89; Oetker, ZSR 1985, 81. 121 Hervorhebung nicht im Original. 122 Oetker, ZSR 1985, S. 81. 123 A.a.O., S. 82. 124 Oetker, a.a.O. 125 Oetker, a.a.O., S. 82 a.E.f.

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1. Kapitel: Meinungsstand

Lüderitz. Auch er geht zunächst davon aus, daß das nach Art. 13 Abs. 1, Abs. 3 zu bestimmende Eheschließungsstatut unwandelbar ist 126; eventuelle Härten würden aber u.a. dadurch gehindert, daß eine "gelebte" Ehe nach neuem Personal- oder Aufenthaltsstatut als formlose Ehe anerkannt sein könne (z.B. common-law-Ehe)l27; dann sei eben nach dem Wechsel des Statuts die Ehe neu und nunmehr mangelfrei geschlossen 128 . Diese Erkenntnis lege Anpassung für den Fall nahe, daß das neue Statut zwar eine formlose Eheschließung nicht genügen lasse, aber die "gelebte" Gemeinschaft deshalb als Ehe anerkenne, weil sie nach diesem Recht wirksam geschlossen wurdel29. Wenn Lüderitz vom neuen Personalstatut das Aufenthaltsstatut unterscheidet, meint er offenbar die Fälle, in denen Partner einer im Inland in der Heimatform geschlossenen - und damit nach Art. 13 Abs. 3 EGBGB, § 11 EheG formunwirksamen - Ehe den gewöhnlichen Aufenthalt in ihr Heimatland verlegen. Auch in den Fällen des Art. 13 Abs. 1 scheint "stillschweigende" Voraussetzung der Angleichung zu sein, daß zusätzlich der gewöhnliche Aufenthalt im Bereich des neuen Statuts liegt, da nur dann die von Lüderitz130 offenbar für relevant gehaltene Situation eintreten kann, daß die Betroffenen ihren früheren Irrtum (dort) nicht durch Neuheirat korrigieren können.

Ob die Allgleichung dazu führt, daß die Ehe er tune nach dem neuen Statut beurteilt wird, oder ob sie er nunc geheilt wird, wird von Lüderitz nicht ausdrücklich erörtert. Sein Ansatzpunkt läßt aber Rückschlüsse zu: Wenn er nämlich zum einen den Vergleich mit den nach dem Statutenwechsel formlos neu geschlossenen Ehen zieht, zum anderen für die "eigentlichen" Heilungsfälle darauf abstellt, daß eine Neuheirat unter dem richtigen Recht nicht möglich ist, scheint er mit der vorgeschlagenen Anpassung eine er-nunc-Heilung im Sinn zu haben.

126 Lüderitz, IPR, Rnr. 120. 127 Vgl. bereits oben A II 3 bei und in Fn. 20.

128 Lüderitz, a.a.O. 129 Lüderitz, a.a.O.; in Rnr. 201 bezeichnet er diese Problematik als "eine der Angleichung zumindest ähnliche Frage". 130 Lüderitz, IPR, Rnr. 201, vgl. schon oben Am Fn. 57.

C. Kollisionsrechtliche Alternativlösungen

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II. Unselbständige Anknüpfung der Ehegültigkeit als Vorfrage Sowohl Kritiker als auch etliche Anhänger der Heilungsthesen verweisen darauf, daß sich in vielen Fällen die Probleme durch eine unselbständige Anknüpfung der Vorfrage vermeiden ließen 131 . Häufig taucht die Ehegültigkeit lediglich als Vorfrage im Rahmen anderer Rechtsverhältnisse auf, z.B. für die Beurteilung, ob jemand erbberechtigt oder ob ein Kind ehelich ist. Läßt man hier nicht das Eheschließungsstatut, sondern das IPR der für die Hauptfrage maßgebenden Rechtsordnung über die Gültigkeit der Ehe entscheiden, wird man in vielen Fällen zur Bejahung der Wirksamkeit gelangen, so daß sich eine Erörterung der Heilungsthesen erübrigt. Erbstatut beispielsweise ist das Heimatrecht des Erblassers z. Zt. des Todes (Art. 25 Abs. 1); eine Ehe, die aus Sicht des ursprünglichen, aufgrund von Art. 13 Abs. 1 berufenen Heimatrechts des Erblassers eine Nichtehe, nach dem von seinem letzten Heimatrecht berufenen Recht jedoch wirksam ist, ist für die Frage der Erbberechtigung somit gültig; die "Witwe" erbt.- Haben aus Sicht ihrer ursprünglichen Heimatrechte in einer Nichtehe lebende Partner vor der Geburt ihres Kindes die Staatsangehörigkeit gewechselt, so ist das Kind bei abhängiger Vorfragenanknüpfung ehelich, wenn das Heimatrecht der Eltern z.Zt. der Geburt des Kindes (=Kindschaftsstatut, Art. 19 Abs. 2, 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die Eheschließung ein Recht beruft, das die Ehe als wirksam betrachtet. Ähnliches gilt für die Fälle des Art. 13 Abs. 3: Knüpft man hier die Frage der Ehegültigkeit aus Sicht eines ausländischen Hauptfragenstatuts an, wird die Mißachtung der deutschen Formvorschriften kaum virulent werden132. Einige Autoren, die Vorfragen grundsätzlich selbständig anknüpfen wollen133, und solche, die eine "starre" Anknüpfungsregel ablehnenl34, sprechen sich im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 dann für eine unselbständige Anknüpfung aus, wenn 131 Böhmer, S. 48-51; Neuhaus, S. 300 f.; Kropholler, S. 174; Henrich, IFamR, S. 18 a.E.; MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 496; Münzer, S. 88; Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 68; vgl. auch Behn, NJW 1984, 1017, der (vor der !PR-Reform) die Frage aufwirft, ob unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 Abs. 1 GG die unselbständige Vorfragenanknüpfung gesetzlich statuiert werden müsse; Wengler, IPRax 1984, 70, der die Vorfrage alternativ dem "Nachwirkungsstatut" zuweisen will. 132 Heilung trotz Aufenthaltswechsels ins Heimatland daher nicht erörtert z.B. in BayObLG (11.1.90), StAZ 1990, 131 (Ehe als Vorfrage für Legitimation wegen Art. 6 Abs. 1 GG "ausnahmsweise" unselbständig angeknüpft). 133 Henrich, FamRZ 1958, 122 (anders aber StAZ 1966, 222). 134 Henrich, StAZ 1966, 222; Ollick, S. 50 f.

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1. Kapitel: Meinungsstand die Parteien wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt sind: Die für das Eingreifen des Art. 13 Abs. 3 als ordre-public-Vorschrift erforderliche Inlandsbeziehung sei weggefallen 135.

Folgt man der Lehre von der unselbständigen Vorfragenanknüpfung, bedarf es daher in diesen Fällen keiner "Heilung". Böhmer, Gegner der Heilungsthesen, hält diese Lösung für genügend: Härten ließen sich durch die unselbständige Vorfragenanknüpfung "in ausreichendem Maße ausschalten• 136. In allen entschiedenen Fällen habe nicht die Gültigkeit der Ehe als Hauptfrage zur Debatte gestanden, sondern es sei um erbrechtliche oder unterhaltsrechtliche Fragen oder um Ansprüche auf Hinterbliebenenrente gegangen137. Die soeben gebildeten Beispielsfälle hatten Nichtehen zum Gegenstand; Fälle, in denen eine bloß vernichtbare Ehe als Vorfrage auftaucht, werfen nämlich i.d.R. keine Probleme auf: Da die Ehe nach dem Eheschließungsstatut ja (noch) besteht, braucht weder "geheilt" noch unselbständig an das Statut der Hauptfrage angeknüpft zu werden. Anders wäre die Situation allerdings, wenn ein ausländisches Recht bestimmte Rechtsfolgen vom Bestehen einer unangreifbaren Ehe abhängig machte.

135 Henrich, FamRZ 1958, 122, und StAZ 1966, 223 f., siehe schon oben B ll; Ollick, S. 185; LG Stuttgart (19.6.69), IPRspr. 1968/69, Nr. 73. 136 Böhmer, S. 48; vgl. auch Henrich, IFamR, S. 18 a.E. 137 Böhmer, a.a.O.

2. Kapitel

Reichweite der einschlägigen Kollisionsnormen und deren Anwendung unter Berücksichtigung des "Allgemeinen Teils" des IPR A. Einführung Eine Lösung der mit dem Stichwort "Heilung durch Statutenwechsel" angesprochenen Problematik und damit die Bewertung der oben dargestellten Auffassungen muß bei den einschlägigen Kollisionsnormen der Art. 13 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 3 EGBGB ansetzen. Als erste Frage ist nämlich diejenige zu beantworten, ob diese Normen Regelungen für die erörterten Fälle enthalten und welchen Inhalt diese Regelungen ggf. haben.

B. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 EGBGB I. Zulassung zur Eheschließung im Inland Zunächst regelt Art. 13 Abs. 1 die Frage, nach welchem Recht sich die materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung richten, wenn zwei Verlobte im Inland die Ehe eingehen wollen: Maßgebend ist das Heimatrecht eines jeden von ihnen.

II. Spätere Beurteilung einer Inlands- oder Auslandseheschließung 1. Rechtslage nach Geschichte und Wortlaut des Gesetzes Daneben besagt Art. 13 Abs. 1 nach allgemeiner Auffassung, daß dasjenige Recht, das über die Zulassung zu einer aktuellen Eheschließung befindet, auch für die spätere Beurteilung einer im Inland oder im Ausland vorgenommenen

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

Eheschließung gilt 1. Der Verdacht ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, daß der Gesetzgeber sowohl bei der alten als auch bei der neuen Fassung überhaupt nicht an die Situation einer späteren Beurteilung gedacht hat, sondern lediglich an eine aktuelle, bevorstehende Inlandseheschließung. Damit wäre Art. 13 Abs. 1 gleichsam eine Vorschrift für den Standesbeamten, nicht aber für den Richter. Dafür spricht zum einen die Formulierung "Eingehung der Ehe" in der ursprünglichen Fassung2 sowie die Verwendung des Wortes "Verlobter" in beiden Fassungen3, zum anderen der neu gefaßte Absatz 2, der sich offensichtlich nur auf die Ermöglichung einer aktuellen Eheschließung bezieht4 ("Fehlt danach [d.h. nach dem Recht, das nach Abs. 1 anwendbar ist] eine Voraussetzung, so ist insoweit deutsches Recht anzuwenden, wenn 1. ... , 2 .... und 3. es mit der Eheschließungsfreiheit unvereinbar ist, die Eheschließung zu versagen ... "). Wenn aber Art. 13 Abs. 1 die spätere Beurteilung einer Ehe gar nicht regelt, kann ihm auch kein Unwandelbarkeitsgrundsatz entnommen werden. Die These, daß bei der jeweiligen Fassung des Art. 13 Abs. I nur an die aktuelle Eheschließung gedacht wurde, kann jedoch mit einem Blick in die Gesetzesmaterialien widerlegt werden: Bereits in den Motiven zu § 16 Abs. 1 des 1. Gebhardschen Entwurfs, der das auf die "Erfordernisse der Eheschließung" anwendbare Recht regelte, taucht als Beispiel eine im Ausland geschlossene Ehe auf, die später vom deutschen Richter zu beurteilen ist5. In den Beratungen der 1. Kommission über den 2. Gebhardschen Entwurf, dessen § 16 Abs. 1 nunmehr - wie der spätere Art. 13 Abs. I EGBGB - von "Eingebung einer Ehe" spricht, wurden der Fassungsantrag "Die Zulässigkeit und Gültigkeit einer Ehe ... " und die Anregung "Die Ehehindernisse und die Ungültigkeit der Ehe ... " anstelle von "Die Eingebung der Ehe ... " abgelehnt6, ohne daß damit eine inhaltliche Beschränkung beabsichtigt war. Mit diesen beiden Formulierungen wäre auch die spätere Beurteilung einer Ehe erfaßt worden; offenbar meinte man, sie mit "Eingebung" bereits erfaßt zu haben7 . 1 Kegel, IPR, S. 606 (§ 20 IV 3); Soergel/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 99; Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 8-64 (Folgen fehlender Eheschließungserfordernisse); Palandt/Heldrich, Art. 13 , Rnr. 11 (ebenso); Erman/Hohloch9, Art. 13, Rnr. 36 (ebenso). 2 S.o. 1. Kap. AI Fn. 1. 3 Mit diesem Argument auch Frankenstein, IPR Bd. 3, S.191. 4 Vgl. auch Soergel/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 52, 74. 5 Niemeyer, S. 176. 6 Protokoll11516, Hartwieg/Korkisch, S. 98 f. 7 Vgl. auch Motive zum 2. Gebhardschen Entwurf, Niemeyer, S. 337.

B. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

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Weiterhin ist sowohl in den Protokollen zu § 8 des Entwurfs eines Gesetzes über die räumliche Herrschaft der Rechtsnormen8 als auch in den Beratungen über die Reichstagsvorlage9 die Gültigkeit geschlossener Ehen angesprochen. Gleiches gilt für die der Neufassung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB zugrunde liegenden Reformvorschläge: In der Begründung des Entwurfs des Deutschen Rats für IPR von 1979 wird ausdrücklich festgehalten, daß das Heimatrecht jedes Verlobten "auch dann maßgebend (ist), wenn später in Deutschland über die Gültigkeit einer Eheschließung zu entscheiden ist" 10. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum IPR-Neuregelungsgesetz erfaßt die Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 "auch die Folgen einer Eheschließung trotz entgegenstehender Ehehindernisse" 11 . Damit ist jedenfalls die spätere Beurteilung einer im Inland geschlossenen Ehe gemeint. Daß aber auch an eine Beurteilung im Ausland geschlossener Ehen gedacht wurde, belegt eine Passage der Begründung zu Art. 13 Abs. 3, wo es heißt: "Absatz 3 des Entwurfs steht der Anerkennung fremder 'Geschäfts-' und 'Ortsform' bei Eheschließung in einem anderen Staat ebensowenig ... entgegen, da insoweit die allgemeinen Grundsätze des Artikels 11 EGBGB-E gelten" 12 . Die "Geschäftsform" wird aber gerade durch Art. 13 Abs. 1 bestimmt. Nach alledem kann man nicht behaupten, an eine spätere Beurteilung der geschlossenen Ehe sei nicht gedacht worden. Es liegt auch insbesondere im Hinblick auf eine Eheschließung im Inland die Annahme wenig nahe, der Gesetzgeber wolle lediglich regeln, welche Voraussetzungen Verlobte erfüllen müssen, um heiraten zu können, und die spätere Beurteilung der Frage, ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall

8 Mugdan I, S. 281 (Protokolle, S. 8242). 9 Bericht der XII. Kommission vom 12.6.1896, Mugdan I, S. 309 f.: Da Art. 12 der Reichstagsvorlage (ebenso wie Art. 13 a.F.) seinem Wortlaut nach nur Eheschließungen unter Beteiligung Deutscher und Eheschließungen von Ausländern im Inland regelte, wurde (erfolglos) beanstandet, daß die Vorschrift "unentschieden (lasse), was ... betreffs Ehen solcher Ausländer Rechtens sein solle, welche ihre Ehe im Auslande geschlossen hätten und demnächst nach Deutschland gekommen seien ... und nun hier die rechtliche Entscheidung über ihre eherechtliehen Verhältnisse in Anspruch nähmen ... ". Damit ist aber impliziert, daß die Regelung für eine derartige spätere Entscheidung prinzipiell als einschlägig angesehen wurde, daß sie lediglich aufgrund der festgelegten Inlandsbezüge die genannte spezielle Situation nicht erfaßte. 10 Beitzke, Vorschläge und Gutachten, S. 28. 11 BT-Drucks. 10/504, S. 52. 12 BT-Drucks. 10/504, S. 53.

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

erfüllt waren oder nicht - mit anderen Worten, ob die betreffenden Personen nun wirksam verheiratet sind oder nicht - offenlassen13. Ein letztes Argument bildet in diesem Zusammenhang die einhellige Auffassung der Gesetzesverfasser, in den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 1 fielen auch die Auswirkungen von Willensmängeln14. Diese können ihrer Natur nach erst relevant werden, wenn der Erklärende sie entdeckt hat, also erst nach einer erfolgten Eheschließung. Art. 13 Abs. 1 EGBGB erfaßt daher sowohl die unmittelbar bevorstehende Eheschließung als auch die Beurteilung einer erfolgten. Wie erwähnt1 5, regelt er unmittelbar das auf die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen anwendbare Recht; darüber hinaus gilt er aber über Art. 11 Abs. 1 als Geschäftsrecht alternativ auch für das auf die Form einer Auslandseheschließung anwendbare Recht.

Das bedeutet zunächst, daß es auch für die spätere Beurteilung auf den Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit ankommt. Behalten beide Partner ihre frühere Staatsangehörigkeit, dann untersteht also auch die spätere Beurteilung dem so bestimmten Recht und nicht etwa einem über einen anderen Anknüpfungspunkt - etwa den gewöhnlichen Aufenthalt - berufenen Recht. Das bedeutet aber auch, daß es für die spätere Beurteilung bei dem in Art. 13 Abs. 1 festgelegten Anknüpfungszeitpunkt bleibt, selbst wenn durch oder nach Heirat ein Staatsangehörigkeitswechsel stattfindet. Eine Festlegung des Anknüpfungszeitpunkts ergibt sich nämlich dadurch, daß an die Staatsangehörigkeit der "Verlobten" angeknüpft wird, also an die Staatsangehörigkeit der Parteien unmittelbar vor der Eheschließungl6. Die gesetzliche Regelung ist somit eindeutig: Das Eheschließungsstatut ist unwandelbar.

13 Ähnlich Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 181 , trotzseiner These aufS . 191, der Gesetzgeber habe an die spätere Beurteilung nicht gedacht. 14 Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf, Niemeyer, S. 179; 2. Kommission, Mugdan I, S. 281 f. (Protokolle, S. 8242-8244), inzident; Bericht der Xll. Kommission vom 12.6.1896, Mugdan I, S. 310; RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52. 15 Oben 1. Kap. A I. 16 Mit ähnlicher Argumentation von Bar, IPR ll, Rnr. 133; vgl. Beitzke, Vorschläge und Gutachten, S. 28.

B. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

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2. Folgerungen für die Annahme einer Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel a) "Grundsatz" der Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts?

Die obige Feststellung läßt sich nicht mit der Behauptung aus dem Weg räumen, es gebe einen Grundsatz, demzufolge jeder nach seinem aktuellen Heimatrecht behandelt werden soll 17 . In Art. 13 Abs. 1 steht das Gegenteil. Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit bedeutet nicht automatisch Wandelbarkeit, wenn das Gesetz selbst einen Anknüpfungszeitpunkt festlegt.

b) Offene Gesetzeslücke?

Auch die Behauptung, das Gesetz regele die spätere Beurteilung und damit den Statutenwechsel nicht 18 , trifft -wie gezeigt - nicht zu. Die Auffassung Frankensteins, mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit ergreife das neue Statut bestehende Vernichtungsrechte 19, resultiert möglicherweise aus seiner Universalistischen Grundeinstellung20. Für ihn ist die Herrschaft des Heimatrechts über Fragen, die die Person betreffen, eine Selbstverständlichkeit, eine universell vorgegebene Anknüpfung; mit seinen Worten: die primäre Anknüpfung21 . Hiervon abweichende Anknüpfungen sind nach Frankenstein entweder sekundäre Anknüpfungen22 (dann nämlich, wenn sie vom primär zuständigen Staat stammen; die primär zuständige Rechtsordnung mag so auch Unwandelbarkeit vorschreiben23) oder sog. Pseudoanknüpfungen, durch deren Setzung ein primär nicht zuständiger Staat seine Rechtsmacht überschreitet24 . Bezeichnend für diese Unterscheidung sind Frankensteins Ausführungen zum Güterrechtsstatut: Wechsele einer der Ehegatten sein Statut, so werde er damit von der neuen Rechtsordnung ergriffen25 . Dies nennt Frankenstein den 17 S. oben 1. Kap. All 2. 18 S. oben 1. Kap. All 3. 19 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188; s. oben 1. Kap. All 3. 20 Hierzu Schurig, Kollisionsnorm, S. 122-124. 21 Z.B. Frankenstein, IPR Bd. 1, S. 34, 49, 85; Bd. 3, S. 57. 22 Z.B. Frankenstein, IPR Bd. 1, S. 34, 50, 120. 23 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 303 f. für das Güterrechtsstatut 24 Frankenstein, IPR Bd. 1, S. 34, 129-131. 25 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 302. 4 Voit

2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

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wissenschaftlichen Grundsatz, der sich eben aus der primären Anknüpfung ergibt. Die unwandelbare Anknüpfung des Art. 15 Abs. 1 a.F. an das Heimatrecht des Ehemannes zum Zeitpunkt der Eheschließung wird für ihn somit in vielen Fällen zur "Pseudoanknüpfung", da sie vom primär berufenen aktuellen Heimatrecht abweicht26. Bereits hieran läßt sich ersehen, worauf seine Ansicht beruht, bei einer vernichtbaren Ehe habe das neue Statut über Fortdauer des Anfechtungsrechts zu entscheiden. Selbst positiven gesetzlichen Festlegungen setzt er seine primären, "wahren" Anknüpfungen entgegen. Umso eher müssen für ihn diese Anknüpfungen Gültigkeit haben, wenn gesetzlich nichts geregelt ist, was seiner Meinung nach bezüglich des Anknüpfungszeitpunkts in Art. 13 Abs. 1 der Fall ist27. Wie gezeigt ist jedoch der Anknüpfungszeitpunkt in Art. 13 Abs. 1 festgelegt. Ein universelles IPR, das etwas anderes vorschreiben würde, existiert nicht; wir beachten allein unsere Kollisionsnormen; wir sind autonom in der Kollisionsrechtssetzung und -anwendung28 . Keine Rechtsordnung "ergreift" irgendein Rechtsverhältnis oder Recht von selbst (wie bei Frankenstein das Anfechtungsrecht), sondern weil und sofern unsere Kollisionsnorm dies so regelt. Damit ist nicht ausgeschlossen, von einer Regelung, die eine unserer Kollisionsnormen enthält, unter den Voraussetzungen der Rechtsfortbildung abzuweichen; auch dann handelt es sich aber um eine in unserem IPR begründete Entscheidung und nicht darum, einem Universal-IPR gleichsam als übergeordneter Autorität Folge zu leisten.

c) Argumente der ''fehlenden Veranlassung" und des internationalen Entscheidungseinklangs Die für eine Heilung trotz grundsätzlicher Anerkennung der Unwandelbarkeit vorgebrachten Argumente, angestrebt sei der Entscheidungseinklang mit dem neuen Heimatstaat, oder es bestehe keine Veranlassung, eine Ehe anders zu beurteilen als dieser29 , beruhen auf einem Zirkelschluß und können daher ebensowenig die Anwendung eines späteren Heimatrechts begründen. Wie erwähnt, bestimmen wir autonom durch unsere Kollisionsnormen, wann wir eine Ehe für gültig halten. Besagt die Anknüpfung, daß es auf das Heimat26 27 28 29

Frankenstein, a.a.O., S. 309 f . Frankenstein, a.a.O., S. 191. Schurig, Kollisionsnorm, S. 64-72, 188-192. S. oben 1. Kap. A II 4 .

B. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

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recht im Zeitpunkt der Eheschließung ankommen soll, dann ist damit zugleich ausgesagt, daß wir auch "Veranlassung" haben, nach diesem Recht zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung vorgelegen haben oder nicht. Angestrebt ist dann gerade nicht der Entscheidungseinklang mit dem aktuellen Heimatstaat, sondern mit dem Heimatstaat bei Eheschließung. Angesichts des Wortlauts des Art. 13 Abs. 1 besteht somit "Veranlassung", nach dem alten Heimatrecht zu entscheiden, kommt es auf Entscheidungseinklang mit diesem an. Anderes kann man nur vertreten, wenn man der Auffassung ist, Art. 13 Abs. 1 erfasse seinem Sinn und Zweck nach Fälle des Staatsangehörigkeitswechsels nicht. Dann müßte dieses aber auch dargelegt werden; es reicht nicht, einfach eine Behauptung aufzustellen, ohne sich mit dem Gesetzeswortlaut überhaupt auseinanderzusetzen. Zudem bleibt bei diesen Argumenten wie auch bei der Annahme eines Wandelbarkeitsgrundsatzes30 - offen, ob eigentlich im umgekehrten Fall Gültigkeit nach Eheschließungsstatut, Fehlerhaftigkeit nach später erworbenem Heimatrecht- dasselbe gelten soll, und wenn nicht, warum nicht. Hinter dieser Auffassung verbirgt sich möglicherweise der Ansatz (überholter) statutistischer Denkweise: die Vorstellung, das gegenwärtige Heimatrecht sei als "statutum personale" für alle persönlichen Fragen ausschlaggebend; auch völkerrechtliche Vorstellungen mögen hineinspielen im Sinne einer Respektierung der Personalhoheit des jetzigen Heimatstaates.

111. Zwischenbilanz Art. 13 Abs. 1 erfaßt sowohl die aktuelle Eingebung als auch die spätere Beurteilung einer Ehe; als maßgebenden Zeitpunkt legt er denjenigen unmittelbar vor Eheschließung fest. Das bedeutet, daß ein Wechsel der Staatsangehörigkeit bei Zugrundelegung der Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 keinen Einfluß auf die Beurteilung der Wirksamkeit einer Eheschließung hat. Es ist aber - wie schon angeklungen - immerhin denkbar, daß Art. 13 Abs. 1 entgegen seinem Wortlaut bestimmte oder sogar alle Fälle des Staatsangehörigkeitswechsels nicht erfassen wollte. Für die obige Feststellung, daß Art. 13 Abs. 1 nach dem Willen des Gesetzgebers auch die spätere Beurteilung einer Eheschließung regelt, bliebe selbst im letzteren Fall noch Raum: Sie beträfe nur Konstellationen, in denen sich die Staatsangehö-

30 S. oben 1. Kap. A II 2. 4'

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen rigkeiten nicht verändert haben, und besagte dann lediglich, daß es auch für die spätere Beurteilung auf die Staatsangehörigkeit und nicht auf andere Anknüpfungspunkte (wie z.B. den gewöhnlichen Aufenthalt) ankäme.

Bevor aber der Frage nachgegangen wird, ob es Möglichkeiten gibt, von der Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 abzuweichen, soll der Regelungsbereich des Art. 13 Abs. 3 abgesteckt werden.

C. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 3 EGBGB I. Zulassung zur Eheschließung im Inland Art. 13 Abs. 3 S. 1 regelt die Frage, welcher Rechtsordnung die formellen Voraussetzungen der Eheschließung zu entnehmen sind, wenn zwei Partner im Inland heiraten wollen: Anwendbar sind ausschließlich die deutschen Formvorschriften. Damit besitzt die Vorschrift zwei Komponenten: Zum einen schließt sie bei Inlandsheirat das sonst nach Art. 11 Abs. 1 für die Form von Rechtsgeschäften alternativ maßgebende Geschäftsrecht - hier also das Heimatrecht- aus31; zum andem beruft sie (deutsches) Ortsrecht. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Berufung des Ortsrechts auf Art. 13 Abs. 3 S. 1 selbst beruht32, oder ob man die eigentliche "Berufungs" -norm in Art. 11 Abs. 1 sieht und bei Art. 13 Abs. 3 S. 1 den jene Norm einschränkenden Charakter mehr in den Vordergrund stellt3 3.

31 Die- Auffassung Sonnenhergers (StAZ 1964, 292 f.), bei Art. 13 Abs . 3 handele es sich nicht um eine Ausnahme, sondern um den Grundsatz ("locus regit actum"), ist unzutreffend: Der "Grundsatz", der für die Form von Rechtsgeschäften (und damit auch z.B. für Auslandseheschließungen) gilt, befmdet sich unstreitig in Art. 11 Abs. 1. 32 Vgl. z.B. MünchKomm/Spellenberg, Art. 11, Rnr. 7. 33 Vgl. z.B. Staudinger/von Bar/Mankowskil3, Art. 13, Rnr. 477.

C. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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II. Spätere Beurteilung einer Inlandseheschließung 1. Rechtslage

Es liegt nahe, daß Art. 13 Abs. 3 auch Antwort auf die Frage gibt, nach welchem Recht sich die spätere Beurteilung der Formgültigkeit einer im Inland geschlossenen Ehe richtet: Dann entschiede darüber ebenfalls inländisches Recht und nicht etwa eine andere Rechtsordnung. Als "andere Rechtsordnung" käme insbesondere das Heimatrecht der Parteien in Betracht, weil dieses diejenige Rechtsordnung ist, auf die die in der allgemeinen Vorschrift des Art. 11 Abs. 1 alternativ berücksichtigten Parteiinteressen an Geltung des "Geschäftsrechts" hinführen.

Die Problematik stellt sich insoweit anders als bei Art. 13 Abs. 1, da die Frage, ob die Norm auch dann eingreift, wenn sich die Anknüpfungstatsache ändert, nicht auftreten kann: der Anknüpfungspunkt Eheschließungsort ist unveränderbar. Allerdings könnte man erwägen, ob Art. 13 Abs. 3 S. 1 tatsächlich an den Ort der Eheschließung anknüpft. Immerhin denkbar - und in der Sache auf den ersten Blick kein Unterschied - wäre es auch, daß Anknüpfungspunkt der Ort des schlichten Aufenthalts der Verlobten ist, und dies eben fixiert auf den Zeitpunkt der Eheschließung. Dafür könnte sprechen, daß der Aufenthalt immerhin eine personenbezogene Anknüpfung darstellt und dem Gesichtspunkt des bei der Eheschließung betroffenen Parteiinteresses daher- zumindest "optisch" - eher Rechnung trägt. Der schlichte Aufenthalt kann natürlich ohne weiteres geändert werden; dann wären die Fragestellungen bei Art. 13 Abs. 3 und bei Art. 13 Abs. 1 insoweit parallel. Entgegen dem ersten Anschein besteht aber sehr wohl auch ein sachlicher Unterschied zwischen Eheschließungsort und Aufenthaltsort bei Eheschließung, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: Angenommen, ein ausländisches Paar mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, dessen Heimatrecht Eheschließung durch Stellvertretung zuläßt, wollte die Ehe durch im Inland agierende Stellvertreter schließen34 , wobei beide sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Inland aufhielten, dann läge der (beabsichtigte) Eheschließungsort im Inland35, während der schlichte Aufenthalt der Eheschließenden im Ausland läge.

34 Die Frage, ob die Zulässigkeit der Stellvertretung zur Form oder (auch) zu den materiellen Voraussetzungen gehört, soll hier ausgeklammert bleiben; vgl. dazu z.B. Soergel/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 80; Palandt/Heldrich, Art. 13, Rnr. 10. 35 Vgl. Soergel/Schurig12, Art. 13, Rnr. 80; Palandt!Heldrich, Art. 13 , Rnr. 10; Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 202; Staudinger/von Bar/Mankowski 13 , Art. 13, Rnr. 478, 755; aber nicht ganz unstr., vgl. Nachw. bei Soergei/Schurig 12 , a.a.O., Fn. 20.

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen "Eheschließungsort" kann daher nicht durch "Ort des Aufenthalts bei Eheschließung" ersetzt werden. Art. 13 Abs. 3 S. 1 knüpft aber in der Tat an den Ort der Eheschließung an. Dafür spricht zum einen der Wortlaut der Bestimmung (kann "im Inland ... geschlossen" werden, und nicht: "bei Aufenthalt der Ehegatten im Inland"). Zum anderen will Art. 13 Abs. 3 S. 1 auch seinem Sinn und Zweck nach die obligatorische Zivilehe allgemein für alle im Inland stattfindenden Eheschließungen durchsetzen3 6. Dem widerspräche es, wenn im obigen Beispielsfall einer Eheschließung durch Stellvertreter (unabhänfig von ihrer Zulässigkeit, sofern inländisches Recht über die Form entscheidet 7 ) auch im übrigen die Heimatform maßgebend wäre mit der Folge, daß die Heirat nicht vor dem Standesbeamten stattfmden müßte38.

Nachdem also feststeht, daß Art. 13 Abs. 3 S. 1 an den Eheschließungsort anknüpft und dieser unveränderbar ist, kann es nur noch darum gehen, ob die spätere Beurteilung einer im Inland erfolgten Eheschließung einem anderen Anknüpfungspunkt als dem des Art. 13 Abs. 3 S. 1 folgt. Die Frage, welchem Recht die spätere Beurteilung der Inlandseheschließung untersteht, wird - anders als bei Art. 13 Abs. 139 - in der Begründung des Regierungsentwurfs nicht ausdrücklich betont. Daß aber der Gesetzgeber als selbstverständlich davon ausgeht, daß auch hierfür das durch Art. 13 Abs. 3 S. 1 berufene inländische Recht gilt, wird an verschiedenen Stellen der Begründung deutlich. Wenn z.B. im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 die spätere Beurteilung im Ausland geschlossener Ehen angesprochen wird40, läßt das darauf schließen, daß auch bei der Inlandsheirat an die spätere Beurteilung gedacht wurde; dafür spricht ebenfalls, daß die Entwurfsbegründung sich im Hinblick auf die Beibehaltung der zwingenden Inlandsform mit der Gefahr hinkender Ehen auseinandersetzt4 1 (die sie durch Art. 13 Abs. 3 S. 2 hinreichend entschärft sieht): der Begriff "hinkende Ehe" impliziert aber die Situation der späteren Beurteilung. Unterstellte man die spätere Beurteilung einer Inlandseheschließung nicht ebenfalls dem inländischen Recht, sondern dem Heimatrecht, liefe zudem die Durchsetzung der Inlandsform leer: Da eine Mißachtung sanktionslos bliebe, würde eine Heirat in der Heimatform gleichsam herausgefordert. 36 Näher unten 4. Kap. B. 37 Da die Frage der persönlichen und gleichzeitigen Anwesenheit der Verlobten jedenfalls auch zur Form gehört (vgl. Soergel/Schurig12, Art. 13, Rnr. 80; Palandt/Heldrich, Art. 13, Rnr. 10), ist eine Stellvertretung bei standesamtlicher Heirat bereits aufgrund § 13 EheG unzulässig. 38 Zur Situation, wenn die Tatsache der Inlandseheschließung der einzige Bezugspunkt zum Inland ist, unten 4. Kap. C II. 39 S. oben B II 1. 40 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 53, s. dazu bereits oben B II 1. 41 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 53.

C. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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Auch im Rahmen von Art. 13 Abs. 3 kann daher -wie schon bei Art. 13 Abs. 1 -nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber die spätere Beurteilung offen lassen wollte. Es ist somit festzuhalten, daß die Anknüpfung an den inländischen Eheschließungsoft sowohl die aktuelle Eingebung als auch die spätere Beurteilung einer Ehe erlaßt. Für beide Regelungsgegenstände ist demnach die Geltung des Heimatrechts ausgeschlossen.

2. Folgerungen für die Annahme einer Wandelbarkeit durch Staatsangehörigkeitswechsel Hat - wie oben gezeigt - das Heimatrecht bei Eheschließung keinerlei Bedeutung für das auf die Form anwendbare Recht, so muß dies erst recht gelten, wenn die Parteien erst nach der Eheschließung ihre Staatsangehörigkeit wechseln42. Da die Staatsangehörigkeit nicht Anknüpfungspunkt ist, ist es auch unerheblich, wenn sie sich "wandelt". Eine unter Verstoß gegen Art. 13 Abs. 3 in religiöser (oder sonstiger nichtstandesamtlicher) Form geschlossene Ehe wird somit nicht ohne weiteres dadurch wirksam, daß die Parteien später in einem Staat eingebürgert werden, der ihre Eheschließung anerkennt. Die Entscheidungen, die das dennoch annehmen43, sind unzutreffend: Die nach ihrer rituellen Inlandseheschließung nach Israel ausgewanderten jüdischen Paare haben aus unserer Sicht nicht mit dem Erwerb der israelischen Staatsangehörigkeit dem israelischen - formellen -Eherecht unterlegen; nach Art. 13 Abs. 3 galt vielmehr für die erfolgte Eheschließung weiterhin deutsches Recht. Auch die Annahme, Art. 13 Abs. 3 sei für Deutsche eine "Norm des Personalstatuts", die bei Staatsangehörigkeitswechsel nicht mehr gelte44 , geht fehl. "Personalstatut" bezeichnet die Anknüpfung eines IPR für Dinge, die eine Partei persönlich nahe angehen; angeknüpft wird an Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt45 . Eine "Norm des Personalstatuts" ist damit eine Sachnorm der Rechtsordnung, auf die eine Kollisionsnorm für 42 Soergei!Kegel11 , Art. 13, Rnr. 69; Steding, S. 55; Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 774; Siehr, Heilung, S. 158 (aber Heilung bei Abbruch aller Beziehungen zum Inland bejaht); von vornherein überhaupt nur den zweiten Fall betrachtet MünchKomm/Sonnenberger, Einleitung Rnr. 498. 43 Oben 1. Kap. B ll. 44 Schnorr von Carolsfeld, S. 523, Fn. 22, S. 524; oben 1. Kap. B ll. 45 Kegel, IPR, S. 321 f. (§ 13 ll 2).

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

diese persönlichen Rechtsfragen verweist (z.B. werden für die Eheschließungsvoraussetzungen, die deutsche Staatsangehörige erfüllen müssen, die entsprechenden Vorschriften des Ehegesetzes als "Normen des Personalstatuts" von Art. 13 Abs. 1 berufen). Art. 13 Abs. 3 S. 1 ist aber keine Sachnorm, sondern eine Kollisionsnorm46: er ordnet bei Heirat im Inland die ausschließliche Maßgeblichkeit des Ortsrechts an und schließt das Geschäftsrecht - das nach Art. 11 Abs. 1 sonst alternativ gilt - aus. Eine materiellrechtliche Regelung enthält Art. 13 Abs. 3 S. 1 dagegen nicht. Eine solche fmdet sich in § 13 EheG47 , der die Eheschließung vor dem Standesbeamten vorschreibt. Diese Sachnorm des deutschen Eherechts könnte man somit als "Norm des Personalstatuts" für Deutsche ansehen48.

Art. 13 Abs. 3 S. 1 selbst aber gilt, weil wir immer vom eigenen Kollisionsrecht - dem Kollisionsrecht der lex fori - ausgehen. Unser Kollisionsrecht wird somit seinerseits durch eine Norm des Inhalts berufen, daß zunächst stets das Kollisionsrecht der lex fori anzuwenden ist ("Kollisionsgrundnorm" 49). Als derartige Kollisionsgrundnorm könnte man Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB verstehen, der lautet: "Bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates50 bestimmen die folgenden Vorschriften, welche Rechtsordnungen anzuwenden sind (Internationales Privatrecht)." Dabei handelt es sich zum einen um eine Definition der Kollisionsnormen als Rechtsanwendungsnormen; zum anderen aber ist durch die Formulierung "die folgenden Vorschriften" klargestellt, daß wir immer von unserem Kollisionsrecht, vom Kollisionsrecht des Forum auszugehen haben und das anwendbare Recht nicht aufgrund eines etwaigen universell vorgegebenen Kollisionsrechts51 oder aufgrund des "Anwendungswillens" einer ausländischen Rechtsordnung52 bestimmen sollen.

Auf dasselbe läuft die Auffassung hinaus, daß das Kollisionsrecht des Forums nicht mehr gesondert berufen werden muß53. Nur wenn es also eine Kollisionsgrundnorm mit dem Inhalt gäbe: "Für Eheschließungen gelten die Kollisionsnormen des Heimatrechts", könnte man 46 Zur Abgrenzung: Schurig, Kollisionsnorm, S. 58-64. 47 Oder auch -jedenfalls teilweise- in Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB (früher § 15 a EheG), der eine Ausnahme für Ausländer enthält. 48 Sie wird aber nicht als solche berufen, dazu sogleich. 49 Dazu Schurig, Kollisionsnorm, S. 73-77. 50 Allerdings richtigerweise auch ohne diese Verbindung, Schurig, Kollisionsnorm, S. 57. 5l Zum Gegensatz Autonomismus-Universalismus Schurig, Kollisionsnorm, S. 188-192; vgl. schon oben B ll 2 b. 52 Zu unilateralistischen Kollisionsrechtssystemen Schurig, Kollisionsnorm, S. 2932, Kritik s. 288-296. 53 Z.B. implizit Kropholler, S. 2 unten.

C. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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von Art. 13 Abs. 3 als Norm des Personalstatuts sprechen. Aber eine solche Kollisionsgrundnorm existiert nicht. Art. 13 Abs. 3 S. 1 erfaßt alle Eheschließungen im Inland, und für alle diese beruft er deutsches Sachrecht, nicht etwa für Eheschließungen von Deutschen. Art. 13 Abs. 3 S. 1 gilt daher nicht als "Norm des Personalstatuts", sondern ist als Kollisionsnorm immer berufen. Daneben ist nochmals zu betonen, daß Art. 13 Abs. 3 S. 1 auch seinerseits nicht etwa das Personalstatut beruft, sondern das Ortsrecht54. Im Einzelfall kann zwar beides zusammenfallen, nämlich bei der Eheschließung

Deutscher im Inland. Aber auch in diesem Fall wird deutsches Recht von Art. 13 Abs. 3 nicht als Heimatrecht berufen; dazu wäre er nämlich nicht erforderlich, da

insoweit bereits die Regelung des Art. 11 Abs. 1 i. V.m. Art. 13 Abs. 1 existiert. Art. 13 Abs. 3 S. 1 bezweckt gerade eine Einschränkung des Staatsangehörigkeitsgrundsatzes des Art. 13 Abs. I. Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß für Deutsche die deutschen Formvorschriften nach Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 als Heimatrecht anwendbar wären, wäre damit nichts gewonnen: sie blieben es für die erfolgten Eheschließungen Deutscher nach dem Gesetz auch bei einem Staatsangehörigkeitswechsel, wie die obigen Untersuchungen gezeigt haben55 .

111. Konsequenz für den kollisionsrechtlichen Ansatz zur verfassungsrechtlichen Gleichstellung einer hinkenden Ehe Wenn Art. 13 Abs. 3 S. 1 -wie im einzelnen dargelegt- für die Form einer Eheschließung im Inland deutsches Sachrecht beruft, unterliegt die Argumentation, die das Bundesverfassungsgericht zum Schutz einer hinkenden Ehe veranlaßt hat56, einer Fehlvorstellung über das anwendbare Recht. Zwar trifft zu, daß Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur Ehen von Deutschen schützt, sondern auch Ehen mit Ausländerbeteiligung. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß hinsichtlich der Form einer Eheschließung im Inland (unter bestimmten Voraussetzungen) die Einhaltung des ausländischen Rechts genüge, ja sogar, daß man nicht "umhin" könne, "für die Wirksamkeit einer von Ausländern geschlossenen Ehe auf die nach der jeweiligen Rechtsordnung maßgeblichen Formvorschriften zurückzugreifen"57. Die Frage ist ja: welcher 54 55 56 57

Oben C I, ll 1. Oben B II. Oben 1. Kap. B VI. Oetker, ZSR 1985, 76, 81.

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

Rechtsordnung58? Die Frage des anwendbaren (in- oder ausländischen) Rechts wird aber von Art. 13 Abs. 3 EGBGB beantwortet: Für die Inlandseheschließung gilt (abgesehen von der Ausnahmebestimmung des Art. 13 Abs. 3 S. 2) unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beteiligten deutsches Recht. Die oben dargestellte Auffassung hält dagegen (häufig unausgesprochen59) wie selbstverständlich das Heimatrecht für entscheidend, z.B. wenn festgestellt wird, daß nach dem für den ausländischen Verlobten "maßgebenden" Heimatrecht die Ehe ja gültig sei6°.- Zwar gilt für die materielle Wirksamkeit einer Ehe nach Art. 13 Abs. 1 das Heimatrecht der Verlobten; Art. 13 Abs. 3 bestimmt für die Form einer im Inland geschlossenen Ehe aber gerade etwas anderes, indem er allein Ortsrecht für anwendbar erklärt. Dies ist allerdings - wie erwähnt - eine Ausnahme zur alternativen Anwendbarkeit der - im EGBGB grundsätzlich für Statusfragen maßgebenden Staatsangehörigkeit, die über Art. 11 Abs. 1 als "Geschäftsrecht" zum Tragen kommen könnte. Das Staatsangehörigkeitsprinzip hat aber keinen Verfassungsrang61. Der einfache (!) Gesetzgeber hätte beispielsweise ebensogut allgemein statt des Staatsangehörigkeitsprinzips das Domizilprinzip einführen können. Ob dann ebenfalls argumentiert worden wäre, es reiche aus, wenn die Ehe nur aus Sicht des Heimatrechts wirksam geschlossen ist, erscheint sehr fraglich. Sollte allerdings das BVerfG (und die ihm folgende Literatur) gemeint haben, die formellen Voraussetzungen müßten (wie die materiellen) von Verfassungs wegen (zumindest alternativ) nach dem Personalstatut beurteilt werden, dann hieße das, Art. 13 Abs. 3 wäre verfassungswidrig62 ; er hätte darum für nichtig erklärt wer-

58 Kritisch auch Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 18-23, insbes. 2123: Mit dem Hinweis des BVerfG auf die Schutzwürdigkeit einer "hinkenden" Ehe werde auf eine "nach irgendwelchem Auslandsrecht gültige - und nur bei uns ungültige- Ehe generell abgehoben"; vgl. auch von Bar, IPR ll, Rnr. 240. 59 S. das obige Zitat von Oetker, ZSR 1985, 81: Mit den "nach der jeweiligen Rechtsordnung maßgeblichen Formvorschriften" meint er die jeweiligen Heimatrechte. 60 BVerfG (30.11.82), IPRax 1984, 90. 61 Vgl. BVerfG (4.5 .71) E 31, 58, 78 f. ("Spanierentscheidung"): Die Eheschließungsfreiheit verlange nicht zwingend, daß ausländische Verlobte wie deutsche Verlobte behandelt werden müßten, "d.h. daß insoweit das Recht des Wohnsitzes oder des Eheschließungsortes zu gelten hätte"; das Staatsangehörigkeitsprinzip beruhe auf der Annahme des deutschen Gesetzgebers, dieses entspreche dem Parteiinteresse. Diese Erwägungen könnten es rechtfertigen (und nicht etwa erfordern!), "die von Art. 6 Abs. 1 GG vorausgesetzte Normierung des Instituts der Ehe grundsätzlich nicht den deutschen, sondern den jeweiligen nationalen Regeln zu entnehmen". 62 Nach von Bar, IPR ll, Rnr. 240, eine mögliche Interpretation des Beschlusses, die er aber verwirft; vgl. auch Wengler, IPRax 1984, 68, 70.

C. Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

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den müssen (§ 95 Abs. 3 S. 2 BVerfGG)63. Man könnte sich z.B. auf den Standpunkt stellen, daß bei den Grundanforderungen, die Art. 6 Abs. 1 GG nach dieser Auffassung an eine Eheschließung stellt (Ehekonsens und formalisierte öffentliche Eheschließung)64, eine Regelung wie Art. 13 Abs. 3 gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoße, da sie die deutsche Eheschließungsform ohne hinreichende sachliche Gründe auch zwingend auf Ausländer ausdehne. Diesen Weg zu gehen, hat sich das BVerfG aber gescheut65 ; stattdessen bringt es das kollisionsrechtliche Gefüge durcheinander, ohne die Norm selbst anzutasten.

Auch der Hinweis des BVerfG auf seine eigene Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 GG, in der es nicht danach gefragt habe, ob die betreffenden Ausländereben nach deutschem oder nach Heimatrecht wirksam sei, geht fehl66: Zum einen gab es in diesen Fällen überhaupt keine Anhaltspunkte für die Unwirksamkeit der Eheschließungen67 ; dann wäre es aber auch nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts gewesen, entgegen den ordentlichen Gerichten die Wirksamkeit in Frage zu stellen68. In beiden entschiedenen Fällen ging es um die Beachtung von Art. 6 Abs. 1 GG bei der Ausweisung des ausländischen Ehemannes einer deutschen Frau. Ort der Eheschließung war im einen Fall sicher, im anderen Fall aber offenbar ebenfalls Deutschland.

Hätte die Wirksamkeit der Ehen aber überprüft werden müssen (und dürfen), dann (nach oben Ausgeführtem) in der Tat nach deutschem Recht, nämlich nach deutschem internationalem Privatrecht69: Für die materiellen Voraussetzungen wäre es dann nach Art. 13 Abs. 1 jeweils auf das deutsche Heimatrecht der Frau und auf das ausländische Heimatrecht des Mannes angekommen, für die Formwirksamkeit bei Inlandseheschließung nach Art. 13 Abs. 3 auf deutsches Recht1°. Die Fragestellung, ob die Ehen in den zu entscheidenden Fällen daher nach deutschem oder ("nur") nach Heimatrecht wirksam gewesen sind, ist demnach schon im Ansatz verfehlt;

63 Ebenso Winkler von Mohrenfels, RabelsZ 51 (1987), 20, 26; diese Möglichkeit betont auch Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 30; vgl. auch Steding, s. 44. 64 Oetker, ZSR 1985, 82; vgl. BVerfG (30.11.82), IPRax 1984, 89 f. 65 Kritisch auch Müller-Freienfels, a.a.O. 66 Ebenso Beitzke, SGb 1983, 239. 67 Ebenso Beitzke, a.a.O. 68 Keine "Superrevisionsinstanz", vgl. z.B. Pieroth/Schlink, Rnr. 1255-1260 (1257) . 69 Vgl. Beitzke, a.a.O.: "Entscheidend ist doch, ob die Ehe bei uns gültig ist.. . " (Hervorhebung im Original nicht enthalten). 70 Ähnlich Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 20 f., Fn. 25.

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

dasselbe gilt für die Betonung, daß dieser Frage nicht nachgegangen worden sei, und die darauf gestützte Argumentation des BVerfG71 . Wenn also die Vorgaben des Grundgesetzes nicht eine bestimmte Eheschließungsform verlangen, sondern die Ausgestaltung der Förmlichkeiten dem einfachen Gesetzgeber überlassen72 , dann natürlich dem deutschen Gesetzgeber73, nicht einem ausländischen. Der deutsche Gesetzgeber bestimmt hierbei nicht nur über die Anforderungen des deutschen materiellen Rechts an eine formwirksame Ehe, sondern er bestimmt auch über die für die Formwirksamkeit maßgebende Rechtsordnung74. Das Argument Oetkers, Verfassungsrang komme nur dem allgemeinen Erfordernis der Öffentlichkeit des Eheschlusses zu75, somit reiche die Erfüllung dieser Mindestanforderungen im fremden Recht, damit die so geschlossene Ehe von der Verfassung geschützt und entgegen Art. 13 Abs. 3 anzuerkennen sei76, greift nicht durch: Das einfache Recht, wozu auch das Kollisionsrecht gehört, füllt den von der Verfassung gesetzten Rahmen aus; Maßstab für den Einzelfall ist somit, sofern es verfassungsgemäß ist, das einfache Gesetzesrecht. Mit dem obigen Argument müßte sonst konsequenterweise auch die mit Ehekonsens im Inland lediglich kirchlich eingegangene Verbindung zweier Deutscher wegen Art. 6 Abs. 1 GG "anzuerkennen" sein, und das ist auch nach Oetker nicht der Fall: "Unerläßliche Voraussetzung" sei immer die Anerkennung der Eheschließung durch den Heimatstaat eines der Verlobten77 , offenbar eben deshalb, weil er das Heimatrecht für das "eigentlich" maßgebende Recht hält. Demgegenüber bleibt festzuhalten, daß bei einer Eheschließung im Inland für die Form nicht das Heimatrecht anwendbar ist, sondern - vorbehaltlich S. 2- nach Art. 13 Abs. 3 S. 1 deutsches Recht. Das BVerfG nimmt in seiner Entscheidung auf die Vorschrift des Art. 13 Abs. 3 EGBGB, obwohl es sie anfangs erwähnt, nicht weiter Bezug. Daher dürfte es sich bei der Feststellung, das Gericht habe die Frage, ob die Gültigkeit von

71 Vgl. auch Müller-Freienfels, a.a.O. 72 Oetker, ZSR 1985, 82; vgl. auch BVerfG, a.a.O. , S. 89 f. Nicht ganz klarSteding, S. 43 f., 70 einerseits, und S. 69 andererseits. 73 Ebenso Fichte, S. 231. 74 Vgl. auch Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 98-100, der Art. 6 GG fiir den "falschen Aufhänger" hält (ebenso JZ 1983, 231), da dies "nach deutschem Eherecht" auf die Gewährung einer Witwenrente nach einer Nichtehe hinauslaufe, "ein Ergebnis, das doch gerade nicht im Sinne des Gesetzgebers liegt" . 75 Oetker, a.a.O.; vgl. auch BVerfG a.a.O., S. 90. 76 Oetker, a.a.O. 77 Oetker, a.a.O.

D. Lösung mit kollisionsrechtlichen Mitteln des "Allgemeinen Teils"

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Eheschließungen bei Anwendung des § 1264 RVO nach deutschem IPR zu beurteilen sei, abschließend verneint78, um eine Überinterpretation der Entscheidung handeln. Näher liegt die Fragestellung, ob nach der Verfassungsgerichtsentscheidung die Gültigkeit der Eheschließung überhaupt Voraussetzung für die Gewährung einer Witwenrente ist: Die Verneinung des Ehestatus schließt nicht aus, einer hinkenden Ehe beispielsweise unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bestimmte Wirkungen zukommen zu lassen, die sonst an eine Ehe anknüpfen79 . Das ist aber ein Problem auf der Ebene des Sachrechts (auf der auch sog. "Auslandssachverhalte" berücksichtigt werden können) und hat nichts mit der Frage des für die Eheschließung maßgebenden Rechts zu tun80.

D. Stellenwert der auf kollisionsrechtliche Mittel des "Allgemeinen Teils" zurückgreifenden Lösungsvorschläge I. Vorbemerkung Nachdem der Regelungsbereich der einschlägigen Kollisionsnormen abgesteckt wurde, sollen die Vorschläge überprüft werden, die mit den spezifisch kollisionsrechtlichen Mitteln des "Allgemeinen Teils" des IPR zur Anwendung einer anderen Rechtsordnung als den von Art. 13 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 berufenen gelangen.

II. Angleichung Zunächst ist auf den Ansatz Lüderitz' einzugehen, der einen Ausweg in der Allgleichung sucht81. Allgleichung ist erforderlich bei einem Normenwiderspruch82. Ein solcher kann entstehen, wenn unsere Kollisionsnormen für die Lösung eines konkreten Falles verschiedene Rechtsordnungen berufen, deren anzuwendende Sachnormen nicht zueinander passen, etwa weil der systemati7 8 So LSG Harnburg (26.6.86), FamRZ 1986, 994 = IPRspr. 1986, Nr. 52,

s. 119.

79 80 81 82 4-70.

S. z.B. Soergei/Schurig12, Art. 13, Rnr. 100. Näher unten 5. Kap. B II 2 b, c. Ähnlich von Bar, IPR I, Rnr. 240. Lüderitz, IPR, Rnr. 120, 201 . Kegel, IPR, S. 260 (§ 8 I); Lüderitz, IPR, Rnr. 193 f.; Ferid, IPR, Rnr. 4-67,

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

sehe Standort vergleichbarer materieller Regeln jeweils ein anderer ist (Beispiel: Rechte des überlebenden Ehegatten, wenn das Erbstatut nur erbrechtlich ausgleicht, das Güterrechtsstatut nur güterrechtlich: es entsteht eine Normenhäufung, deren Ergebnis - der überlebende Ehegatte macht doppelten "Gewinn" -von keiner Rechtsordnung gewollt ist). Ein solcher Widerspruch kann entweder materiellrechtlich beseitigt werden, indem man in einem der anwendbaren Sachrechte eine Norm entwickelt, welche auf die besondere Konstellation Rücksicht ninunt, die sich durch die gleichzeitige Berufung sich widersprechender Rechtsordnungen ergibt. (hn genannten Beispiel wäre z.B. eine Anrechnung des Ererbten durch ergänzende Rechtsfortbildung im Rahmen des Güterrechtsstatuts denkbar.) Eine andere Lösungsmöglichkeit bietet die kollisionsrechtliche Angleichung, indem man beispielsweise dieselbe Rechtsordnung für beide Fragen beruft (im Beispiel also entweder nur das Güterrechtsoder nur das Erbstatut)1!3.

Auf den ersten Blick scheint auch für die hier interessierenden Fälle die Angleichung einen Lösungsweg zu bieten: Hält das von Art. 13 Abs. 1 berufene ursprüngliche Heimatrecht (bzw. im Fall des Art. 13 Abs. 3 deutsches Ortsrecht) die Ehe für fehlerhaft, während sie nach neuem Heimatrecht (bei Art. 13 Abs. 3 ggf.: nach neuem Aufenthaltsrecht84) wirksam ist, widersprechen sich diese beiden Rechtsordnungen. Der Widerspruch ließe sich mit Lüderitz auflösen, wenn man das neue Statut ab dem Zeitpunkt des Statutenwechsels anwenden könnte, die Ehe somit ex nunc heilte85. Daß aber unterschiedliche Rechtsordnungen dieselbe Frage unterschiedlich beurteilen, ist zunächst Konsequenz aus der Verschiedenheit der Kollisionsrechte. Weicht eine von uns nicht berufene Rechtsordnung von unserer Beurteilung ab, so interessiert uns das grundsätzlich nicht; wir wenden aufgrund unserer eigenen rechtspolitischen Entscheidung autonom unser Kollisionsrecht an86. Widersprüche, die sich aus der abweichenden Beurteilung durch andere, von uns nicht berufene Rechtsordnungen ergeben, nehmen wir damit hin87 .

83 Vgl. zu beiden Angleichungsarten z.B . Kegel, IPR, S. 264-269 (§ 8 ill 2, 3); Schurig, Kollisionsnorm, S. 234-239 (zum Verhältnis beider zueinander S. 238 f.). Etwas anders MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 428: keine "kollisionsrechtliche" Angleichung, sondern "funktionelle Qualifikation". 84 Vgl. oben 1. Kap. CI. 85 Vgl. oben 1. Kap. C I. 86 Schurig, Kollisionsnorm, S. 64-72, 188-192; J. Schröder, S. 29; vgl. bereits oben B II 2 b. 87 J. Schröder, S. 29; vgl. auch S. 64 f. (keine Anpassung bei Art. 13 Abs. 3, wenn nach fremdem Statut verheiratet).

D. Lösung mit kollisionsrechtlichen Mitteln des "Allgemeinen Teils"

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Ein Angleichungsproblem stellt sich also nur dann, wenn die einander widersprechenden Rechtsordnungen von unserem /PR berufen sind88 : nur dann besteht die Gefahr, daß wir eine in sich widersprüchliche Entscheidung treffen. Auch damit ist die Idee der Angleichung aber noch nicht hinfa.Ilig. Möglicherweise sind tatsächlich sowohl altes wie auch neues Heimatrecht (bzw. deutsches Ortsrecht und ausländisches Heimatrecht) von unseren Kollisionsnormen berufen: Nach Art. 13 Abs. 1 kommt es für die Wirksamkeit der Eheschließung auf die Heimatrechte der Verlobten in diesem Zeitpunkt an89. Nach Art. I4 Abs. I Nr. I bestimmt dagegen über die persönlichen Ehewirkungen das (gemeinsame) Heimatrecht im jeweiligen Zeitpunkt. Geht es daher um persönliche Ehewirkungen - für die das Bestehen einer Ehe Voraussetzung ist -, können im selben Fall sowohl altes als auch neues Heimatrecht berufen sein. Dabei kann sich die Situation ergeben, daß das Ehewirkungsstatut (neues Heimatrecht) die Wirksamkeit der Eheschließung bejaht, während sie das Eheschließungsstatut (altes Heimatrecht) verneint. Diese Situation ist aber Folge der Differenziertheit unserer kollisionsrechtlichen Anknüpfungen. Hat ein System nur wenige Kollisionsnormen, die dafür große Bereiche erfassen, werden alle Fragen im jeweiligen Bereich nach derselben Rechtsordnung entschieden90. So kann ein Fall, auch wenn er verschiedene Rechtsfragen aufwirft, nach einer einzigen Rechtsordnung beurteilt werden. Dem Vorteil der Einheitlichkeit steht dabei der Nachteil der Undifferenziertheit gegenüber. Je mehr unterschiedliche Kollisionsnormen wir dagegen für die unterschiedlichen Sachrechtsfragen - auch für die eines einzigen Falles - haben, umso eher treten die Unterschiede in den berufenen Sachrechtsordnungen zutage. Unterschied ist aber nicht gleichbedeutend mit Widerspruch. Wirft ein Fall die Rechtsfragen A und B auf und ist für die Beurteilung von A die Rechtsordnung a, für die Beurteilung von B die Rechtsordnung b maßgebend, so bedeutet es nicht automatisch einen Widerspruch, wenn die Rechtsordnung b über die Rechtsfrage A anderer Auffassung ist als die Rechtsordnung a: nicht b entscheidet über A, sondern a. Dabei ist es auch unerheblich, ob A und B zwei voneinander unabhängige Rechtsfragen sind, oder ob A Vorfrage für B ist91. Ein Normenwiderspruch entsteht vielmehr nur dann, wenn zur Entscheidung derselben Rechtsfrage mehrere Rechtsordnungen berufen sind, deren 88 J. Sehröder, S. 61 f.; das ist auch an anderer Stelle von Lüderitz gemeint (IPR, Rnr. 193). 89 Oben B II 1 a.E. 90 Allerdings vorbehaltlich einer Rückverweisung. 9l Zur Lösung über die Vorfragenanknüpfung näher sogleich, m.

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit keiner der Rechtsordnungen zu vereinbaren ist. Wann es sich um dieselbe Rechtsfrage handelt, ist nach der rechtspolitischen Funktion92 der jeweiligen Sachnormen in einer weiten Betrachtungsweise zu entscheiden. War unter altem IPR zu beurteilen, ob die elterliche Sorge für ein nichteheliches Kind der Mutter oder dem Vater zustand, hatte man es mit einer Rechtsfrage zu tun, auch wenn zwei Kollisionsnormen die jeweiligen Beziehungen regelten93; ebenso ist die Entscheidung über die Vermögensrechte des überlebenden Ehegatten ein und dieselbe Rechtsfrage, auch wenn hierfür die güterund die erbrechtliche Kollisionsnorm heranzuziehen sind. Um dieselbe Rechtsfrage in diesem weiten Sinne handelt es sich z.B. auch bei der Konstellation, daß eine Ehe nach dem Eheschließungsstatut zustande gekommen und scheidbar ist, während sie aus Sicht des Scheidungsstatuts nicht zustande gekommen ist, im Falle ihres Zustandekoromens aber unscheidbar wäre: Beide Rechtsordnungen würden bei alleiniger Anwendbarkeit den Ehestatus verneinen (wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten); die wortgetreue Anwendung der einschlägigen Kollisionsnormen mit dem Ergebnis Unscheidbarkeit der wirksamen Ehe würde damit keiner Rechtsordnung gerecht94.

Bezogen auf die Ausgangsfrage kann folgendes festgestellt werden: Die sachrechtliehen Regelungen über die Voraussetzungen einer Eheschließung und über die Folgen eines Verstoßes betreffen die Begründung des Ehestatus, während die Vorschriften über die Wirkungen einer Ehe die Rechte und Pflichten in einer wirksam begründeten Statusbeziehung regeln. Die unterschiedliche rechtspolitische Funktion beider Bereiche liegt auf der Hand. Daran ändert nichts, daß die Beantwortung der Frage nach den Wirkungen in gewissem Umfang95 die Beantwortung der Frage voraussetzt, ob die Eheschließungsvoraussetzungen erfüllt sind.

Es handelt sich bei funktioneller Betrachtungsweise also nicht um dieselbe, sondern um zwei verschiedene Rechtsfragen. Da wir aber diese beiden funktionell verschiedenen Fragen bewußt unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstellen, sind daraus sich ergebende "Widersprüche" hinzunehmen. Bei der Problematik, ob eine fehlerhafte Eheschließung durch einen Statutenwechsel geheilt werden kann, ist es daher unerheblich, ob das Ehewirkungsstatut die Ehe für wirksam hält: um die Ehewirkungen geht es nicht.

92 Vgl. J. Schröder, S. 110: gleichrangige Rechtsfolgen, die nicht harmonieren. 93 Zu daraus entstehenden Normenwidersprüchen vgl. z.B. Kegel, IPR, S. 260 (§ 8 1). 94 Zu dieser Problematik Soergei/Schurig 12 , Art. 17, Rnr. 34; Kegel, IPR, S. 653 (§ 20 VII 2 a dd). 95 D.h. jedenfalls bezüglich des Zustandekommens der Ehe.

D. Lösung mit kollisionsrechtlichen Mitteln des "Allgemeinen Teils"

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Aus diesem Grund ist auch Siehrs ursprüngliche Auffassung, heilendes Statut müsse das Ehewirkungsstatut sein96, abzulehnen.

Es ist also festzuhalten, daß ein Widerspruch zwischen zwei für dieselbe Rechtsfrage berufenen Rechtsordnungen gar nicht existiert, weil das neue Heimatrecht aus unserer Sicht nicht auf die Wirksamkeit der Eheschließung anwendbar ist97 • Erst indem man das neue Statut für diese Frage heranzieht, könnte somit überhaupt ein Widerspruch entstehen. Damit kann in der Angleichung nicht die Lösung des Problems liegen: Mit ihr ist nicht zu begründen, warum das neue Statut berücksichtigt werden soll. Der Widerspruch entsteht vielmehr zwischen der Rechtsordnung, die nach unseren Kollisionsnormen auf die Eheschließung angewandt werden soll, und der Rechtsordnung, die man vielleicht lieber statt ihrer anwenden will. Das ist aber kein Fall für die Angleichung. Soweit Lüderitz darauf abstellt, daß die Betroffenen ihren Irrtum "unter richtigem Recht" nicht korrigieren können, weil sie nach ihm bereits verheiratet sind98 , ist dies ebensowenig auf einen Normenwiderspruch zwischen zwei für die fragliche Eheschließung berufenen Rechtsordnungen zurückzuführen: Bei der "Heilung" einer fehlerhaften Ehe geht es nicht um die Beurteilung einer Neuheiratsmöglichkeit, sondern um die Beurteilung der ursprünglichen Eheschließung. Auch Lüderitz bezieht die Angleichung nicht etwa auf eine etwaige neue Eheschließung, sondern er will die fehlerhafte (also die ursprüngliche) Ehe heilen99.

Stellt man allerdings nicht auf die ursprüngliche Eheschließung, sondern auf eine potentielle Neuheirat ab, ist Lüderitz zuzugeben, daß eine gewisse Widersprüchlichkeit darin läge, die Partner auf eine derartige Neuheirat zu verweisen, wenn eine solche gar nicht möglich wäre. Zum einen ist eine Neuheirat aber möglich: die Parteien könnten ja bei uns (und in allen anderen Staaten, die die Eheschließung für fehlerhaft halten) neu heiraten HJO. Insoweit steht also einer Korrektur "unter richtigem Recht" prinzipiell nichts entgegen; nur widerspricht das u. U. dem Interesse der Parteien, in ihrem Aufenthaltsstaat zu heiraten. Selbst wenn man aber darauf abstellen wollte, daß es nicht möglich ist, am gewöhnlichen Aufenthaltsort neu zu heiraten, beruhte der Widerspruch nicht 96 Siehr, Heilung, S. 149, anders IPRax 1987, 19, 21. 97 Ebenso Soergei/Schurig12, Art. 13, Rnr. 33, Fn. 12. 98 Lüderitz, IPR, Rnr. 201. 99 Lüderitz, IPR, Rnr. 201, allerdings offenbar ex nunc, s.o. 1. Kap. C I a.E. 100 Auch bei einer nur vernichtbaren Ehe ist das bei Anwendbarkeit deutschen Rechts nach§ 13 DVO zum EheG zulässig. 5 Voit

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen

darauf, daß wir für diese beabsichtigte neue Eheschließung nicht zueinander passende Nonnen berufen: aus unserer Sicht ist allein das aktuelle Heimatrecht bzw. für die Fonn alternativ das Recht des Eheschließungsortes anwendbar. Daß dort eine neue Eheschließung nicht möglich ist, weil das Heiratsstatut die erste Eheschließung anders beurteilt als wir, führt vielmehr zu einem "Widerspruch" tatsächlicher Art101. Damit handelt es sich aber auch in bezug auf eine etwaige Neuheirat nicht um ein Angleichungsproblem; darin eine "der Angleichung ähnliche Frage" zu sehen102, hilft im Hinblick auf die Lösung dieser Fälle ebenfalls nicht weiter. Darüber hinaus wird nicht ganz klar, welche Rolle für Lüderitz das "Gelebtsein" der Ehe spielt. Darauf abzustellen, daß das neue Statut "die 'gelebte•l03 Gemeinschaft deshalb als Ehe anerkennt, weil sie nach diesem Recht wirksam geschlossen wurde" 104, verwirrt: Dem neuen Statut wird es gleichgültig sein, ob die Eheleute zusammenleben oder nicht; nach ihm ist die Eheschließung ja wirksamlOS. Offenbar sieht Lüderitz in dem "Gelebtsein" der Gemeinschaft also vielmehr eine weitere Voraussetzung für die Beachtlichkeit des neuen Personalstatuts, ohne daß er dies aber ausdrücklich klarstellt.

111. Unselbständige Anknüpfung der Ehegültigkeit als Vorfrage Es soll im Rahmen dieser Arbeit nicht ein weiteres Mal der Streit um die selbständige oder abhängige (unselbständige) Anknüpfung von Vorfragen aufgerollt werden, insbesondere, nachdem in einer jüngeren umfassenden Abhandlung die Systemwidrigkeit und Entbehrlichkeit der unselbständigen Vorfragenanknüpftlog überzeugend nachgewiesen wurde106. Einer eingehenderen Untersuchung bedarf es aber hier auch aus einem anderen Grunde nicht: Die Lehre von der unselbständigen Vorfragenanknüpfung kann - wenn überhaupt - nur einen Teil der Fälle lösen, in denen sich das "Heilungsproblem" stellt: nur den Teil nämlich, in dem die Ehegültigkeit überhaupt als Vorfrage auftaucht. Sie versagt dagegen, wenn diese Frage 101 Oder zu einem Auslandssachverhalt aus Sicht des neuen Statuts: Theoretisch könnte das Problem gelöst werden, indem der neue Staat die Neuheirat auch dann erlaubt, wenn die erste Eheschließung zwar nicht aus seiner Sicht, aber aus fremder Sicht fehlerhaft ist. 102 Lüderitz, IPR, Rnr. 201. 103 Hervorhebung nicht im Original. 104 Lüderitz, IPR, Rnr. 120. 105 Vgl. auch Soergei/Schurig 12, Art. 13, Rnr. 33 Fn. 12. 106 Schurig, Festschr. Kegel 1987, S. 549-598.

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Hauptfrage istlO?. In den Fällen, in denen die Beteiligten in der Hauptsache Klarheit über Wirksamkeit, Vemichtbarkeit oder Nichtbestehen ihrer Ehe haben wollen, kann nicht auf die unselbständige Vorfragenanknüpfung ausgewichen werden.

Es trifft auch nicht zu, daß in allen entschiedenen Fällen nicht die Gültigkeit der Ehe als Hauptfrage zur Debatte gestanden habelOS, abgesehen davon, daß eine Rechtsordnung auch in der Lage sein muß, Fälle zu beurteilen, die sich noch nicht ereignet haben. Vielmehr ging es bereits in dem Fall, der die gesamte Heilungsdiskussion überhaupt erst aufgeworfen hatte109, um die Ehegültigkeit als Hauptfrage: Nach fast 11-jährigem Zusammenleben, wovon 5 Jahre unter einem Statut verbracht worden waren, das die Ehe als gültig betrachtete, erhob der Ehemann Nichtigkeitsklage. Hier hätte jedenfalls unselbständige Vorfragenanknüpfung nicht weitergeholfen. Auch in der Entscheidung des KG vom 27.1.86110 war die Frage nach der Wirksamkeit der Ehe Hauptfrage: Die (ehemals deutsche, z.Zt. des Verfahrens niederländische) Klägerin wollte ihre aus deutscher - nicht aber aus niederländischer - Sicht nichtige Ehe für nichtig erklären lassen, um nach ihrem verstorbenen früheren Mann Witwenrente erlangen zu können111. Keine Lösung bietet die unselbständige Vorfragenanknüpfung außerdem in den Fällen, in denen bereits die Hauptfrage deutschem Recht untersteht, da dann notwendigerweise vom deutschen IPR ausgegangen werden muß112. Dies wird z.B. nicht klar genug gesehen von Behn11 3 in seinem Aufsatz zur Witwenrentenentscheidung des BVerfG114. Wenn er dort die Frage aufwirft, ob als Konsequenz aus dieser Entscheidung der Gesetzgeber gehalten sei, hinkende Familienrechtsverhältnisse zu vermeiden, "insbesondere durch Statuierung der im Einzelfall unselbständigen Vorfragenanknüpfung"115, so ist ihm zu entgegnen, daß dieser Vorschlag jedenfalls im entschiedenen Fall nicht weitergeholfen 107 U.a. deshalb abgelehnt von Staudinger/von Bar/Mankowski 13 , Art. 13, Rnr. 541. 108 So aber Böhmer, S. 48. 109 RG (16.5.1931), IPRspr. 1931, Nr. 59; s. auch oben Ein!. 110 KG, IPRax 1987, 33; s. auch oben Ein!. 111 Das KG hat allerdings bezüglich einer anderen Frage - offenbar unbewußt mit abhängiger Vorfragenanknüpfung operiert, indem es nämlich die Wirksamkeit der Scheidung als Vorfrage für die nunmehr nach niederländischem Recht beurteilte Wirksamkeit der Ehe ebenfalls niederländischem Recht unterstellte und bejahte, obwohl die Scheidung von uns nicht anerkannt wurde; dazu 3. Kap. D m 3 a dd (2). 112 Ähnlich Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 540. 113 Behn, NJW 1984, 1014-1019. 114 BVerfG (30.11.82), IPRax 1984, 88, oben I. Kap. B VI. 115 Behn, S. 1017.

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2. Kapitel: Reichweite der Kollisionsnormen hätte 116 : Es ging um die Hauptfrage, ob einer Witwe nach deutschem Sozialrecht eine Witwenrente zustand; die Vorfrage nach der Wirksamkeit der Ehe an das Statut der Hauptfrage anzuknüpfen, hätte also bedeutet, die Eheschließung nach Art. 13 Abs. 3 S. 1 zu beurteilen; ein Ergebnis, das Behn offenbar gerade vermeiden will. Wenn er im folgenden Abschnitt ("Sozialrechtliche Folgerungen") die eigenständige sozialrechtliche Ausle~ung des Witwenbegriffs als eine "eher unselbständige Vorfragenanknüpfung" 11 bezeichnet und allgemein die Ausfüllung sozialrechtlicher Begriffe nicht anband des deutschen IPR, sondern durch ein "beteiligtes" ausländisches IPR, z.B. "das IPR eines Verlobten"11 8, erwägt, wird deutlich, daß hier die (kollisionsrechtliche) Frage des anzuwendenden Rechts mit der (sachrechtlichen) Frage der Ausfüllung inländischer Normen durch ausländische Erscheinungen - Substitution - vermischt wird 119. Denn wenn der sozialrechtliche Witwenbegriff unabhängig von der zivilrechtliehen Wirksamkeit der Ehe ist, wird er damit nicht einem fremden IPR überantwortet, sondern unserem eigenen Sachrecht: Dieses entscheidet eigenständig darüber, ob ein Tatbestand, der nach aus unserer Sicht nicht anwendbarem fremdem Recht eine wirksame Ehe bildet, zur Ausfüllung des Witwenbegriffs geeignet ist. Das hat nichts mit Vorfragenanknüpfung noch überhaupt mit Anknüpfung zu tun. Setzt der sozialrechtliche Witwenbegriff dagegen eine zivilrechtlich wirksame Ehe voraus, dann ist es Sache allein unseres IPR, die für die Ehewirksamkeit maßgebende Kollisionsnorm zu stellen, und nicht die eines "beteiligten" fremden IPR120. Nur ein anderer Ansatzpunkt kann hier zur unselbständigen Anknüpfung im kollisionsrechtlichen Sinne führen: Geht man davon aus, daß die Hinterbliebenenrente Unterhaltsersatl,{unktion hat und daß unmittelbare Voraussetzung für die Gewährun~ der Rente somit lediglich der Wegfall eines (ehelichen) Unterhaltsanspruchs ist1 1, dann stellt sich bereits die Hauptfrage anders: Angeknüpft wird nämlich dann nicht die Witweneigenschaft, sondern der Unterhaltsanspruch; erst in dessen Rahmen taucht die Frage nach der Wirksamkeit der Ehe auf, die dann unselb-

116 Das erkennt für die Hinterbliebenenrente auch Böhmer, S. 49, bei seiner Lösung über unselbständige Anknüpfung; er meint aber, diese Lücke habe das BVerfG durch seine Witwenrentenentscheidung geschlossen. Vgl. auch Ollick, s. 189. 117 Behn, S. 1018; ähnlich allgemein S. 1019. 118 Behn, S. 1019. 119 Zur Abgrenzung Schurig, Festschr. Kegel 1987, S. 568-573, insbes. im hier behandelten Zusammenhang S. 572 f.; dazu auch Soergei/Schurig12, Art. 13, Rnr. 100; Kegel, IPR, S. 278 (§ 9 II 2 d). Vgl. auch unten 5. Kap. B II 2. 120 s. oben c m. 121 Von Maydell, Festschr. Bosch 1976, S. 645, 651; Ollick, S. 191 f., 195; sympathisierend auch Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 67 a.E.f.; ebenso für den umgekehrten Fall (Wegfall der Witwenrente wegen erneuter - aber hier nicht anerkannter- Heirat) Staudinger/Gamillscheg 1011 1, vor Art. 13, Rnr. 245.

D. Lösung mit kollisionsrechtlichen Mitteln des "Allgemeinen Teils"

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ständig angeknüpft werden könnte122. Dieser Lösung ist aber schon an praktischer Bedeutung durch die Neufassung des EGBGB einiges an Boden entzogen worden: Während man über die Staatsangehörigkeitsanknüpfung des auch für den ehelichen Unterhalt maßgebenden Art. 14 a.F. EGBGB bei Ausländerehen häufig ins ausländische Recht gelangte123, stellt der spezielle (das Raager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 2.10.1973 wiedergebende) Art. 18 n.F. EGBGB124 auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten ab. Der gewöhnliche Aufenthalt dürfte in einer beträchtlichen Zahl der Fälle, in denen Hinterbliebene hier eine Rente beantragen, im Inland liegen. Der Unterhaltsanspruch richtet sich somit in diesen Fällen nach deutschem Recht125 ; eine "Vorfragenlösung" scheidet aus. Bereits an diesen Beispielen wird deutlich, daß die Lehre von der unselbständigen Vorfragenanknüpfung allenfalls die Anzahl der Fälle reduzieren kann, in denen sich das Heilungsproblem stellt. Zu einer umfassenden Lösung kann sie aber nichts beitragen126. Darüber hinaus ist anzumerken: Unselbständige Vorfragenanknüpfung bedeutet, eine bestimmte Rechtsfrage, wenn sie als "Vorfrage" auftaucht, nicht mehr nach unserem eigenen IPR, sondern nach dem IPR der für die Hauptfrage berufenen Rechtsordnung zu beurteilen. Damit weicht man aber von den positiven Kollisionsnormen unseres IPR ab 127 , von denen nach Art. 3 Abs. 1 EGBGB auszugehen ist128. Ein solches Abweichen ist nur unter den Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung möglich, gleich ob es sich um eine Vorfrage oder um eine Hauptfrage handelt129. Auch aus diesem Grunde hat die unselbständige Anknüpfung keinen Eigenwert im Rahmen der Heilungsdiskussion.

122 So z.B. von Maydell, Festschr. Bosch 1976, S. 645, 652 (als Hilfserwägung); Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 67 a.E.f., 83-86; Ollick, S. 191 f., 197. 123 Vorbehaltlich einer Rückverweisung, vgl. z.B. zum englischen Recht im Witwenrentenfall Müller-Freienfels, Sozialversicherungsrecht, S. 86-88. 124 Demgegenüber knüpft Ollick, S. 197, unzutreffend immer noch an Art. 14 n.F. (!)an. 125 S. auch Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 535. 126 In diesem Sinne auch MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 17; Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 537. 127 Schurig, Festschr. Kegel 1987, S. 556, 564, 587.- Dasselbe gilt für die von Wengier (IPRax 1984, 68, 70, und Stellungnahme, S. 157) vorgeschlagene alternative Anknüpfung von Vorfragen an jedes "anwendungswillige" Recht bei "permanenter Effektivität" des Rechtsverhältnisses. 128 S. oben C II 2. 129 Schurig, Festschr. Kegel1987, S. 590.

3. Kapitel

Möglichkeiten der Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB A. Vorbemerkung Nachdem also auch gängige kollisionsrechtliche Mittel des Allgemeinen Teils nichts zur Lösung der hier anstehenden Probleme beitragen können, soll in den folgenden beiden Kapiteln untersucht werden, ob und inwieweit eine Rechtsfortbildung im Bereich der Kollisionsnormen über die Eheschließung möglich ist. Dazu sind zunächst die allgemeinen Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung näher zu betrachten.

B. Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung I. Ausgangspunkt: Das Anknüpfungsmoment als Generalisierung der Interessen Die Kollisionsnorm soll dazu dienen, die Rechtsordnung zu ermitteln, nach der ein bestimmter Sachverhalt zu entscheiden ist. Oder umgekehrt: Es soll jeder auf der Welt existierenden Sachnorm, die eine (sachliche) Regelung in dem von der Kollisionsnorm erfaßten Gebiet trifft, ihr räumlicher Anwendungsbereich zugewiesen werden1. Das Bindeglied zwischen Sachverhalt und Sachnorm bildet dabei das in der Kollisionsnorm enthaltene Anknüpfungsmoment. Welche Rechtsordnung jeweils am geeignetsten ist, um über einen bestimmten Sachverhalt zu entscheiden, bzw. bei welchen Sachverhalten es sinnvoll erscheint, eine bestimmte Sachnorm anzuwenden, ist eine Frage der (von Kegel2 aufgezeigten und systematisierten) kollisionsrechtlichen Interessen. Je nach Anknüpfungsgegenstand führen diese Interessen zu entsprechend unterschiedlichen Anknüpfungsmomenten. 1 Zur Austauschbarkeil des Ansatzes beim Sachverhalt oder bei der Norm Schurig, Kollisionsnorm, S. 89-94. 2 Kegel, Festschr. Lewald 1953, S. 270-277; ders., IPR, S. 106-116 (§ 2 I, ll);

B. Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung

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So knüpft man z.B. familienrechtliche Fragen, weil sie eine Person besonders intensiv betreffen, im Parteiinteresse an die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt dieser Person an3; sachenrechtliche Vorgänge haben gewöhnlich erhebliche Bedeutung für den Rechtsverkehr, darum wird im Verkehrsinteresse an den Ort angeknüpft, an dem die betreffende Sache belegen ist4.

Die Kollisionsnorm soll nun die Prüfung ersparen, auf welche Rechtsordnung die im jeweiligen Sachverhalt konkret vorhandenen kollisionsrechtlichen5 Interessen hinführen; diese Prüfung ist bei Aufstellung der Norm vorgenommen worden. Da die Kollisionsnorm aber - wie jede Norm - zur Anwendung in einer Vielzahl von möglichen Fällen dienen soll, erfolgt die kollisionsrechtliche Interessenermittlung notwendigerweise abstrakt, praesumtiv und generalisierend6. Der Abstraktionsgrad ist dabei im IPR besonders hoch, weil auf der Tatbestandsebene7 der Kollisionsnorm zum einen unzählige mögliche Lebenssachverhalte aus sehr weiten Bereichen8, zum anderen unzählige Sachnormen aus aller Welt erfaßt werden. Beim Aufstellen der Kollisionsnorm wird nicht nur ermittelt, welche Interessen möglicherweise beteiligt sind, sondern die Norm legt auch fest, welche Anknüpfung ein festgestelltes - und für die aufzustellende Norm als bedeutsam erachtetes9- Interesse verwirklicht; die Interessen werden also typisiert. Beispielsweise taucht bei der Bestimmung des Personalstatuts (=Anknüpfung im Parteiinteresse 1 ~ die Frage auf, ob eine Person mit dem Staat am engsten verbunden ist, dem sie angehört, oder mit demjenigen, in dem sie wohnt. Diese Frage wird von den verschiedenen nationalen Gesetzgebern verschieden beant wortet: dem Staatsangehörigkeitsprinzip auf der einen Seite steht so das Domizil3 Kegel, IPR, S. 109 (§ 2 II 1), S. 321 f. (§ 13 II 2). 4 Kegel, IPR, S. 111 (§ 2 I1 2). 5 Für eine Berücksichtigung sachrechtlieheT (ergebnisorientierter) Interessen der "Beteiligten" im Rahmen der Kollisionsnormanwendung hingegen Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 92-97; dagegen mit Recht Schurig, RabelsZ 59 (1995), S. 239: Zum einen eignen sich "ergebnisorientierte" Interessen der Parteien häufig wegen derer Gegenläufigkeit nicht zur Bestimmung des anwendbaren Rechts; zum anderen werden damitalle anderen Interessen als die der Parteien weitgehend ausgeblendet. 6 Schurig, Kollisionsnorm, S. 200. Insoweit zustimmend auch Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 57. 7 Zum Aufbau der Kollisionsnorm Schurig, Kollisionsnorm, S. 78-89 (87 f.); Kegel, Festschr. Raape 1948, S. 22-33 (27). 8 Vgl. z.B. Art. 25 EGBGB, der (abgesehen von der Spezialvorschrift des Art. 26) das gesamte Gebiet der "Rechtsnachfolge von Todes wegen" kollisionsrechtlich regelt. 9 S. Schurig, Kollisionsnorm, S. 185. lOS. oben.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. I EGBGB oder Aufenthaltsprinzip gegenüber. Indem sich ein Gesetzgeber für eines der beiden Prinzipien entscheidet, nimmt er die Wertung vor, welches seiner Ansicht nach die Rechtsordnung ist, mit der eine Person am engsten verbunden ist. Dies ist für das deutsche IPR i.d.R. das Recht der Staatsangehörigkeit11 . So wird beispielsweise für die Geschäftsfähigkeit, den Namen, die Eheschließungsvoraussetzungen, die allgemeinen Ehewirkungen - und über sie auch Güterrecht und Ehescheidung - und das Erbrecht in erster Linie an die Staatsangehörigkeiten der betreffenden Personen angeknüpft. Mit der Bestimmung des Anknüpfungsmoments "Staatsangehörigkeit" sind die Parteiinteressen somit typisiert worden.

Zu einem Anknüpfungsmoment führt dabei meist nicht nur ein einzelnes Interesse (z.B. Parteiinteresse), sondern oft sind mehrere Interessen im Spiel. So ist die Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 an die Staatsangehörigkeit der Verlobten auf das Parteiinteresse und auf das Ordnungsinteresse an internationalem Entscheidungseinklang zurück:zuführen12. Hier weisen also parallele Interessen zum seihen Anknüpfungsmoment. Ebenso kommt es vor, daß einander entgegengesetzte Interessen für unterschiedliche Anknüpfungen sprechen und die konkrete Kollisionsnorm demnach Ausdruck einer Abwägung zwischen diesen Interessen ist13: Sofern nicht etwa eine Anknüpfungshäufung vorgenommen wird1 4 , muß einem Interesse der Vorzug gegeben werden. Beispielsweise ist bei der Anknüpfung der Formwirksamkeit einer Inlandseheschließung einerseits das Parteiinteresse im Spiel, nach den Formvorschriften des Heimatlandes zu heiraten, andererseits das Gedenfalls behauptete) 15 Ordnungsinteresse an Einhaltung der Inlandsform: letzterem hat der Gesetzgeber den Vorzug eingeräumt16. Hierhin gehört auch die gesetzgebensehe Entscheidung zwischen Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsprinzip, soweit damit dem Ordnungsinteresse an leicht feststellbarer und stabiler Anknüpfung gegenüber potentiell entgegengesetzten Parteiinteressen Rechnung getragen wird 17 . Zwischen Parteiin-

11 12 13 14

RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31 ; Kegel, IPR, S. 325 f. (§ 13 II 3). Näher unten C II. Vgl. Schurig, Kollisionsnorm, S. 185 f. Beispiel: Nach Art. 11 Abs. 1 reicht es aus, wenn ein Rechtsgeschäft formgültig ist entweder nach dem sog. Geschäftsrecht oder nach dem Recht des Vornahmeortes. 15 Kritisch zur Vorschrift des Art. 13 Abs. 3 z.B. Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 144-149; Staudinger/Gamillscheg1°111 , Art. 13, Rnr. 657-659; Soergei/Kegei 11, Art. 13, Rnr. 66; Soergei/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 84. 16 Näher 4. Kap. B II. 17 Dazu näher unten C II.

B. Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung

73

teressen an Anwendung des Heimatrechts und dem genannten Ordnungsinteresse besteht dagegen Interessenparallelität.

II. Abweichung der tatsächlichen von den normierten Interessen und Folgen einer solchen Abweichung Voraussetzung jeder Rechtsfortbildung ist nach herkömmlicher Methodenlehre die Existenz einer planwidrigen Gesetzeslücke18. Unterscheidet sich eine abstrakt umschreibbare Fallgruppe von den von einer Norm "eigentlich gemeinten" Fallgruppen so weit, daß eine Gleichbehandlung unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks sachlich ungerechtfertigt und willkürlich erschiene, existiert eine "verdeckte Gesetzeslücke", die durch Einschränkung der entsprechenden Norm zu schließen ist19. Dafür, daß der Gesetzgeber bestimmte Fälle mit der Norm nicht gemeint hat, sind zwei verschiedene Ursachen denkbar: Entweder er hat diese Fälle unbewußt nicht in seine Interessenfeststellung und -bewertung miteinbezogen, oder er hat es bewußt nicht getan, weil die Fälle zu selten vorkommen, als daß sich eine u.U. aufwendige Ausnahmeregelung lohnte20. Auch letzteres rechtfertigt eine Gesetzeslücke im Sinne der herkömmlichen Methodenlehre. Läßt der Gesetzgeber aus einem derartigen Motiv eine Lücke, so will er - anders als beim "beredten Schweigen"21 - gerade nicht ausschließen, daß sie durch Rechtsfortbildung geschlossen wird.

Durch die oben beschriebene Generalisierung bei der Entstehung einer Kollisionsnorm kann es geschehen, daß im konkreten Fall die tatsächliche kollisionsrechtliche22 Interessenlage von der abstrakt festgestellten abweicht. 18 S. etwa Bydlinski, S. 472 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 370 (im Rahmen der "gesetzesirnmanenten" Rechtsfortbildung); Zippelius, S. 58-60. Dagegen kritisch zum Lückenbegriff und zum Umgang mit ihm z.B. Esser, Grundsatz und Norm, S. 179182, und Vorverständnis, S. 177-182. 19 Bydlinski, S. 480; ähnlich Larenz, Methodenlehre, S. 377, 391 f.; Zippelius, S. 63. Kritisch zur Begründung der Rechtsfortbildung mit der im positiven Gesetz enthaltenen "ratio" Esser, Grundsatz und Norm, S. 252 f., und Vorverständnis, s. 178-182. 20 Bydlinski, S. 475. 21 S. Larenz, Methodenlehre, S. 370. 22 Daß die Parteien im konkreten Fall ein Interesse an Anwendung eines nicht berufenen Sachrechts wegen dessen Inhalts haben, kann dagegen nicht zu einem beachtlichen Interessenschwund führen: Liegen der Kollisionsnorm kollisionsrechtliche und grundsätzlich keine sachrechtliehen Interessen zugrunde, muß dasselbe auch für die Anwendung der Kollisionsnorm gelten. Anders aber Flessner, lnteressenjurisprudenz,

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Sofern allerdings die zugrunde liegende Wertung auch auf die veränderte Interessenlage noch zutrifft, scheidet ein Abweichen von der Nonn aus. Es ist aber denkbar, daß bestimmte Fälle ganz andere Interessen aufwerfen als die bei Aufstellung der Nonn ursprünglich abstrakt festgestellten. Auch dies ist dann unerheblich, wenn die im Einzelfall tatsächlich vorhandenen Interessen ihrerseits die Norm rechtfertigen, wenn man also bei Berücksichtigung der tatsächlichen Interessen dieselbe Norm aufstellen würde; eine Gleichbehandlung der ungeregelten mit den geregelten Fällen ist dann eben nicht ungerechtfertigt. Möglich ist jedoch auch, daß die tatsächlichen kollisionsrechtlichen Interessen auf eine andere23 Rechtsordnung weisen, so daß die normierte Anknüpfung für diese Fälle ihre innere Berechtigung verloren hat24. Erst ein derartiger "Interessenschwund" 25 eröffnet die Möglichkeit, von der Kollisionsnorm abzuweichen. Bei den oben26 dargestellten Interessenhäufungen darf man sich insoweit nicht auf die Prüfung eines einzelnen Interesses beschränken. Vielmehr müssen im Fall der Interessenparallelität alle Interessen auf ihren möglichen Schwund untersucht werden, und falls einige dieser Interessen noch fortbestehen, kommt es darauf an, ob sie die Anknüpfungsnorm eventuell auch allein "tragen". Beruht die Anknüpfung dagegen auf einem Interessenvorzug, ist zu prüfen, ob das verdrängte Interesse ausnahmsweise im Verhältnis zum bevorzugten ein solches Gewicht erhält, daß die abstrakt vorgenommene Interessenahwägung im Einzelfall keine Berechtigung mehr hat. Dabei darf die Interessenbewertung des Gesetzgebers nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden. Die Bevorzugung des Ordnungsinteresses durch Art. 13 Abs. 3 beispielsweise darf daher nicht mit dem Argument beiseite geschoben werden, angemessener sei die Anwendung des Heimatrechts27 . Es müßten ganz besondere Umstände S. 51-59, 92; dagegen Schurig, RabelsZ 59 (1995), S. 239. S. auch oben I, Fn. 5. 23 Flessner geht von einem häufig vorhandenen Interesse der Parteien an Anwendung der Iex fori aus (Interessenjurisprudenz, S. 119-124) und will dies als "Interessenschwund" ausreichen lassen (a.a.O., S. 123), um seine Theorie für ein nur "fakultatives Kollisionsrecht" (s. Flessner, RabelsZ 34 [1970], S. 547-584) zu untermauem; gegen eine solche Verkürzung des kollisionsrechtlichen Interessenspektrums und die Vernachlässigung der Bindungskraft positiver Normen mit Recht Schurig, RabelsZ 59 (1995), S. 239-242 (Kritik hinsichtlich des praktischen Nutzens S. 243). 24 S. Schurig, Kollisionsnorm, S. 200. 25 Schurig, Kollisionsnorm, S. 202. 26 B 1. 27 Das Problem liegt ähnlich wie bei der Interessentypisierung, oben B I: Staatsangehörigkeitsprinzip erhält Vorzug vor dem Domizilprinzip; nur geht es dort (zunächst) um die Entscheidung, welche von mehreren Anknüpfungsmöglichkeiten ein- und dasselbe Interesse (Parteiinteresse) verwirklichen soll.

B. Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung

75

gegeben sein, die unter Rücksichtnahme auf die bereits vorgenommene Interessenbewertung durch den Gesetzgeber dennoch die Anwendung des Heimatrechts erforderten.

Selbst wenn aber im konkreten Fall keines der real vorhandenen Interessen die Anknüpfung mehr trägt, wäre es voreilig, schon dann eine planwidrige Gesetzeslücke anzunehmen, die zum Abweichen von der Kollisionsnorm berechtigt. Der Sinn der Herausbildung spezieller Kollisionsnormen liegt darin, die Rechtsanwendung einfach und vorhersehbar zu gestalten; einfacher und vorhersehbarer nämlich, als dies bei einer freien Interessenbewertung ad hoc der Fall wäre. Insofern erfüllt jede Kollisionsnorm neben der Aufgabe, kollisionsrechtliche Gerechtigkeit zu verwirklichen, auch eine Ordnungsfunktion. Durch die oben erwähnte Besonderheit des IPR, daß seine Normen notwendigerweise einen außerordentlich hohen Verallgemeinerungsgrad aufweisen, kann es recht leicht vorkommen, daß die tatsächlichen Interessen mit den in der Norm generalisierten nicht mehr übereinstimmen. Ein häufiges Abweichen von den Kollisionsnormen wäre die Folge. Die Aufgabe des kollisionsrechtlichen Systems, ein Mindestmaß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Entscheidungen zu gewährleisten, wäre gefahrdet28. Mit anderen Worten: Auch eine völlige Inkongruenz von tatsächlichen und generalisierten Interessen kann aus diesem Grunde dem "Plan" der Norm entsprechen. Dies tritt auch deutlich zutage im Gesetzentwurf der Bundesregierung, wenn die Ablehnung einer allgemeinen Ausweichklausel folgendermaßen begründet wird: "Im Unterschied zu ausländischen Vorbildern ... wird die rechtsanwendende Praxis allerdings nicht gesetzlich ermächtigt, in Ausnahmefallen von den Kollisionsnormen des vorliegenden Entwurfs abzuweichen. Eine derartige allgemeine Ermächtigung berücksichtigt die Rechtssicherheit nicht ausreichend. Das schließt nicht aus, daß auch für das IPR allgemein anerkannt Grundsätze über die richterliche Rechtsfortbildung gelten, die hier sogar besondere praktische Bedeutung erlangt haben" 29 .

Nach Schurig bedingt daher die bloße Existenz einer Kollisionsnorm ein (Ordnungs- und Verkehrs-)lnteresse an gleichbleibender Rechtsanwendung ("Kontinuitäts- oder Beharrungsinteresse")30. Bei Schwund der tatsächlichen Interessen könne man deshalb nicht so in die Interessenprüfung eintreten, als ob es die Norm gar nicht gäbe, sondern man dürfe erst dann von einer Kolli-

28 Schurig, Kollisionsnorm, S. 202. 29 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 29. 30 Schurig, Kollisionsnorm, S. 201 f.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

sionsnorm abweichen, wenn dieses Kontinuitätsinteresse nicht mehr schützenswert erscheint31. Schurigs Überlegungen beziehen sich dabei ursprünglich insbesondere auf ungeschriebene (oder unvollständig kodifizierte) Kollisionsnormen32 , die vor der Reform das Bild des IPR noch nachhaltiger prägten als heute. Immer noch sind weite Teile dieses Gebiets überhaupt nicht kodifiziert, sondern beruhen auf ungeschriebenem (durch Wissenschaft und Judikatur herausgebildetem) Recht. So sind beispielsweise bisher33 das internationale Sachenrecht und das Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse nicht durch gesetzliche Normen, sondern durch Richterrecht34 geregelt; in manchen Bereichen wird man bereits von Gewohnheitsrecht sprechen können (beispielsweise beim Grundsatz des Belegenheitsrechts im internationalen Sachenrecht3"5). Hierbei ist die Gefahr einer "freien" Interessenprüfung in der Tat höher als bei gesetzlich normierten Regeln. Bei der Rechtsfortbildung muß anerkanntermaßen die vom Gesetz vorgezeichnete Interessenbewertung nachvollzogen werden36. Dies fällt bei kodifizierten Normen leichter als bei unkodifizierten, da die zugrunde liegenden Interessen bei ersteren im allgemeinen offener zutage treten und daher bei der Fortentwicklung des Gesetzes eher beachtet werden können. Eine "freie" Neubewertung der Interessen ist darum im Rahmen kodifiZierter Normen schon aus diesem Grund nicht möglich. Handelt es sich dagegen um ungeschriebene Normen, ist der Schritt zur Behauptung eines "Interessenschwundes" und zur Ersetzung der fraglichen Norm schnell gegangen; damit würde sich das System aber bald selbst auflösen. Dieses Ergebnis läuft aber sowohl dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Kollisionsrechtsordnung als auch dem Interesse des auf Vorhersehbarkeit angewiesenen Rechtsverkehrs zuwider. Das Kontinuitätsinteresse bildet also ein Korrektiv bei der Weiterentwicklung auch richterrechtlicher Normen, die damit - unabhängig von ihrer formalen rechtlichen Bindungskraft37 -nicht der freien Abänderbarkeit unterliegen. 3l Schurig, Kollisionsnorm, S. 201 f.; ebenso ders. Festschr. Kegel 1987, S. 590 f., und RabelsZ 59 (1995), 239. 32 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm, S. 180 f. 33 Zur geplanten Reform s. den "Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts (außervertragliche Schuldverhältnisse und Sachen)" vom 1.12.1993, abgedruckt z.B. bei Kropholler, Anhang (S. 556-558). 34 Zur Berechtigung des Begriffs "Richterrecht" im Hinblick auf seinen wissenschaftlichen Ursprung einerseits und in Abgrenzung zum Gewohnheitsrecht andererseits Schurig, Kollisionsnorm, S. 181 f. und ebda. Fn. 602. Allgemein zum Verhältnis Richterrecht/Gewohnheitsrecht z.B . Larenz, Methodenlehre, S. 433. 35 BGH (20.3.63) Z 39, 173, 174; von Bar,IPR II, Rnr. 746 m.w.N. (allenfalls im Recht der beweglichen Sachen bezweifelt). 36 S. z.B. Larenz, Methodenlehre, S. 372 (Lücke ist "in Übereinstimmung mit der zugrunde liegenden Regelungsabsicht und der Teleologie des Gesetzes auszufüllen"). 37 Hierzu z.B. Larenz, Methodenlehre, S. 429-436; Bydlinkski, S. 501-512; Schurig, Kollisionsnorm, S. 198 (insoweit ebenfalls offengelassen).

B. Voraussetzungen kollisionsrechtlicher Rechtsfortbildung

77

Auch bei gesetzlichen Normen besteht selbstverständlich ein Kontinuitätsinteresse. Nur wird es hier überlagert von deren durch Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich begründeten Bindungskraft38.

Die Frage, ob im Einzelfall von einer - gesetzlichen oder richterrechtlichen- Kollisionsnorm bei tatsächlichem Interessenschwund abgewichen werden kann, erfordert also eine Bestimmung des Kontinuitätsinteresses. Dieses wurde gekennzeichnet als Ordnungs- und Verkehrsinteresse. Die Erwartungen der Allgemeinheit und des Rechtsverkehrs orientieren sich an den objektiv erkennbaren Gegebenheiten. Hat sich der Schwund der realen Interessen im Einzelfall auch nach außen hin manifestiert, sind Beharrungsinteressen nicht mehr beeinträchtigt39: Eine evident interessenwidrige Normanwendung wird von Rechtsverkehr und Allgemeinheit nicht erwartet. Als Beispiele für ein zulässiges Abrücken von positiven Kollisionsnormen finden sich bei Schurig40 die Fälle zu "flüchtiger" oder "sich verflüchtigender" Anknüpfungen: Ein Staatenloser oder Mehrstaater, dessen Personalstatut vom schlichten Aufenthalt bestimmt wird, befmdet sich lediglich auf der Durchreise; ein Delikt, für das grundsätzlich das Tatortrecht gilt, ereignet sich innerhalb einer geschlossenen Gruppe im Ausland. Auch der bereits erwähnte Fall Ungar v. Schwebel41 (Scheidung ungarischer Juden auf der Reise nach Israel im Auswanderungslager) wird in diesem Zusammenhang angeführt.

Wird bei gesetzlichen Normen anhand der herkömmlichen Methodenlehre eine beachtliche Regelungslücke bejaht, ist dadurch eine Beachtung des Ordnungs- und Verkehrsinteresses an Kontinuität impliziert42 : Es ist anerkannt, daß Einzelfallgerechtigkeit nur unter Abwägung mit dem widerstreitenden Wert der Rechtssicherheit verwirklicht werden kann43; erst aufgrund dieser Abwägung ist dann die Existenz einer Lücke zu bejahen oder zu verneinen44 .

38 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm, S. 180. 39 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm, S. 202: Anknüpfung "für jedermann erkennbar zu 'flüchtig'"; S. 204: "objektiv erkennbare Sonderprägung". 40 Schurig, Kollisionsnorm, S. 202-204. 41 Oben 1. Kap. A VI. 42 S. Schurig, Festschr. Kegel1987, S. 590 Fn. 149. 43 Zippelius, S. 60; Bydlinkski, S. 473 (Gesetzeslücke anband der "rationes legis" festzustellen, wozu er aufS. 454 auch die Elemente der Rechtsidee, somit auch die Rechtssicherheit zählt); S. 480: keine Auflösung des gesetzlichen Tatbestandes in bloße Billigkeitserwägungen. Vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 392: Verbot der teleologischen Reduktion, wenn ein vorrangiges Interesse an Rechtssicherheit die strikte Einhaltung der eindeutigen Norm verlangt. 44 Zippelius, a.a.O.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

C. Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit

I. "orbemerklulg Bevor der Frage nachgegangen wird, ob ein Wechsel der Staatsangehörigkeit andere kollisionsrechtliche Interessen aufwirft, als in der Norm des Art. 13 Abs. 1 berücksichtigt sind, soll untersucht werden, welche Interessen zum Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit geführt haben und ob es unabhängig von einem Wechsel der Staatsangehörigkeit - Fälle gibt, in denen von diesem Anknüpfungspunkt abgewichen werden kann.

II. Die zum Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit führenden Interessen Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Verlobten liegt zunächst im

Parteiinteresse, da das jeweilige Heimatrecht die Rechtsordnung ist, mit der die Parteien bei Eheschließung nach der abstrakt vorgenommenen Wertung des Gesetzgebers persönlich am engsten verbunden sind45.

Daneben dient die Anknüpfung an die Heimatrechte der Verlobten nach der Gesetzesbegründung aber auch der Vermeidung hinkender Ehen46; gemeint sind hier "hinkende Inlandsehen "47 , also Ehen, die zwar bei uns gültig sind, nicht aber im Ausland. Dabei dachte man vor allem an die Eheschließungen hier lebender Ausländer, deren Herkunftsländer- wie die Gesetzesbegründung feststellt - überwiegend dem Staatsangehörigkeitsgrundsatz folgen48: Beurteilte man die Eheschließungen dieser Ausländer nach deutschem Recht als Recht des gewöhnlichen Aufenthalts oder des Eheschließungsortes, wäre eine Anerkennung in den Heimatstaaten ungewiß, was sich besonders bei einer Rückkehr dorthin negativ auswirkte. 45 Kegel, IPR, S. 594 (§ 20 IV 1 a), S. 325 f. (§ 13 II 3); BVerfG (4.5 .71) E 31, 58, 78; RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31 (Staatsangehörigkeit sei immer enge Beziehung, während gewöhnlicher Aufenthalt ohne jeden Bezug in persönlichen Belangen zum Recht des Aufenthaltsstaats bestehen könne); lritisch z.B. Lüderitz, Festschr. Kegel1977, S. 47 f; Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 3344 (insbes. S. 38, 43: bei den Gesetzesvorarbeiten seien die Interessen überhaupt nicht systematisch und vollständig festgestellt worden). 46 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52; ebenso Münzer, S. 90. 47 Zur hinkenden Auslandsehe vgl. oben 1. Kap. B VI. 48 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31, vgl. auch S. 52.

C . Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit

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Insofern ist mit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der internationale Entscheidungseinklang49 angestrebt: der Entscheidungseinklang zwischen (deutschem) Aufenthaltsstaat und (ausländischem) Heimatstaat nämlich. Aus der Staatsangehörigkeitsanknüpfung ergibt sich aber zugleich Entscheidungseinklang mit den Staaten, die dem Aufenthaltsprinzip folgen, wenn es um deren Angehörige geht: Nach Art. 4 Abs. 1 sind Rück- und Weiterverweisungen zu Staaten mit beachten. Lediglich hinsichtlich Personen aus Staatsangehörigkeitsprinzip, die gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat mit Aufenthaltsprinzip haben, können sich Entscheidungsdivergenzen ergeben.Die Vermeidung hinkender Ehen war übrigens bereits im ersten Gebhardschen Entwurf ein entscheidendes Argument gegen Lösungsmöglichkeiten, die einseitig Mannesrecht beriefen50. Auch der Antrag der Hansestädte Lübeck, Bremen und Harnburg (sog. Hanseatischer Entwurf)5f zu § 2370 der Bundesratsvorlage, die Eheschließung im Inland ausschließlich nach deutschem Recht zu beurteilen52, wurde in den Beratungen über den Entwurf nicht angenommen, da es "Deutschland nicht gleichgültig sein (könne), ob die von einem Deutschen mit einer Ausländerin oder von einer Deutschen mit einem Ausländer eingegangene Ehe im Ausland als gültig erachtet werde ..53.

Die prinzipielle Entscheidung für das Heimatrecht anstelle des Aufenthaltsrechts entspringt neben der gesetzgebefischen Einschätzung des Parteiinteresses und dem Interesse an äußerem Entscheidungseinklang dem Ordnungsinteresse an einem leicht und eindeutig feststellbaren und stabilen Anknüpfungspunkf54: Zum einen läßt sich die Staatsangehörigkeit leichter nachweisen als der gewöhnliche Aufenthalt, der Wechsel der Anknüpfung tritt zu einem genau bestimmbaren Zeitpunkt ein und darüber hinaus unterliegt die Staatsangehörigkeitsanknüpfung auch nicht in gleichem Maße Manipulierungsgefahren55 . Zum anderen kann die Staatsangehörigkeit nicht so leicht gewechselt werden wie der gewöhnliche Aufenthalt und sichert daher eine größere Kontinuität der Anknüpfung56. 49 Vgl. BT-Drucks. 10/504, S. 52; Münzer, S. 90; allgemein zum Interesse am internationalen Entscheidungseinklang Kegel, IPR, S. 112 f. (§ 2 ll 3 a); s. auch Schurig, Festschr. Kegel 1987, 573-576. 50 Niemeyer, S. 175. Daneben wurde im Bereich der Eheschließung als "Vorbedingung" der "dominierenden Stellung" des Mannes ein eigenes kollisionsrechtliches Interesse der Frau anerkannt, s. Niemeyer, S. 174 f. 51 Abgedruckt bei Hartwieg/Korkisch, S. 297-324. 52 Hartwieg/Korkisch, S. 307-309. 53 Hartwieg/Korkisch, S. 341 (wenngleich vorwiegend aus Erwägungen, die die Staatsangehörigkeit betreffen). 54 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31 ; Palandt!Heldrich, vor Art. 3, Rnr. 19. 55 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31. 56 S. auch Lüderitz, Festschr. Kegel1977, S. 39.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Gegenüber einem etwaigen Parteiinteresse an Anwendung des Aufenthaltsrechts hat der Gesetzgeber diesen Ordnungsinteressen also den Vorzug eingeräumt57.

111. Möglichkeit einer teleologischen Reduktion hinsichtlich des Anknüpfungspunktes Staatsangehörigkeit? Möglicherweise haben die Parteien im Einzelfall Interesse an Anwendung einer anderen Rechtsordnung als des Rechts ihrer Staatsangehörigkeit: Ihr Interesse mag beispielsweise auf Anwendung des Rechts ihres gewöhnlichen Aufenthalts, des Eheschließungsortes oder ihres religiösen Glaubens gerichtet sein. Es schließen zum Beispiel zwei Italiener mit gewöhnlichem Aufenthalt in England die Ehe. Dann können sie daran interessiert sein, daß ihre Heirat nach englischem Recht als ihrem Aufenthaltsrecht beurteilt wird.

Sofern der Heimatstaat die entsprechende Rechtsordnung für anwendbar hält, treten in dieser Hinsicht keine Probleme auf, da die Rechtsordnung dann durch die Berücksichtigung einer Rück- oder Weiterverweisung (Art. 4 Abs. 1) auch angewandt wird. Anders ist es dagegen, wenn der Heimatstaat wie im Beispielsfall58 - dem Staatsangehörigkeitsprinzip folgt59. Mit der Staatsangehörigkeitsanknüpfung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen nach einer Rechtsordnung beurteilt werden sollen, mit der die jeweilige Partei persönlich eng verbunden ist60. Ist das konkrete Interesse der Parteien auf Anwendung einer Rechtsordnung gerichtet, zu der sie keine enge persönliche Verbindung haben - beispielsweise auf Anwendung des Rechts des Eheschließungsorts -, so würde durch ein Abstellen auf diese Rechtsordnung die in Art. 13 Abs. 1 enthaltene gesetzgeberische Wertung verfehlt. Das Interesse an Anwendung

57 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52: "Dahinter müssen jedenfalls im Grundsatz andere Ziele zurückstehen .. . ". 58 S. für Italien Art. 27 des Gesetzes über die Reform des italienischen Systems des internationalen Privatrechts vom 31.5.1995, abgedruckt StAZ 1996, 361 (Übersetzung ebda. und bei Bergmann/Ferid, Italien, S. 45, s. auch S. 16); ebenso das bisherige italienische IPR: Vitta, S. 197-199; Lettieri, S. 210. 59 Vgl. bereits oben II. 60 Oben II.

C. Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit

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einer "entfernteren" Rechtsordnung wie z.B. des Eheschließungsorts ist daher schon aus diesem Grunde unbeachtlich61. Anders ist die Lage möglicherweise, wenn sich die Parteien mit einer anderen Rechtsordnung enger verbunden fühlen als mit dem Recht ihrer Staatsangehörigkeit, im obigen Fall z.B. mit dem englischen Recht als dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts. Mit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit wurde jedoch das Parteiinteresse typisiert62; der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis des u. U. an Anwendung des Aufenthaltsrechts bestehenden Parteiinteresses für die Staatsangehörigkeitsanknüpfung entschieden63. Insbesondere war ihm die richterrechtlich beherrschte Rechtsentwicklung in den Niederlanden bekannt64, wo eine starke Tendenz dahin geht, dann nicht an dieprinzipiell maßgebende - Staatsangehörigkeit anzuknüpfen, wenn diese nicht "effektiv" ist65.

Die mögliche engere Bindung an den Aufenthaltsstaat wurde bedacht, aber aus den oben66 genannten Gründen bewußt nicht abweichend geregelt. Dann aber ist es nicht zu rechtfertigen, von der normierten Staatsangehörigkeitsanknüpfung zugunsten einer im Einzelfall als passender empfundenen Aufenthaltsanknüpfung abzuweichen67. Nicht so einfach fällt die Entscheidung dagegen, wenn die Partner im obigen Fall nur noch sehr schwache Beziehungen zu Italien hätten und auch nicht beabsichtigten, England auf Dauer zu verlassen. Das Parteiinteresse an Anwendung der persönlich nächsten Rechtsordnung trägt hier die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit auch unter Berücksichtigung der Typisierung nicht mehr: Die Verbindung zum Heimatstaat ist nicht

61 Auch das immer verfolgte Ideal eines möglichst weitgehenden internationalen Entscheidungseinklangs durch Wahl einer verbreiteten Anknüpfung (s. hierzu Schurig, Festschr. Kegel 1987, S. 575; Kegel, IPR, S. 112 f. [§ 2 II 3 a]) würde preisgegeben, wenn man das Recht des Eheschließungsorts für anwendbar erklärte; vgl. RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52. 62 Oben BI. 63 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 30. 64 So auch MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 519. 65 S. im einzelnen Boele-Woelki, Effektivitätsprüfung, insbes. S. 33-80; zurückhaltend dagegen die "Skizze eines allgemeinen !PR-Gesetzes" des niederländischen Justizministeriums, s. Boele-Woelki, IPRax 1995, 264, 265 . 66 C II. 67 Ebenso MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 519. 6 Voit

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

nur weniger eng als zum Aufenthaltsstaat, sondern es handelt sich nicht einmal mehr um eine auch nur enge Verbindung68. Auch das Interesse an internationalem Entscheidungseinklang hat in derartigen Fällen möglicherweise seine Bedeutung verloren: Wie oben ausgeführt, dachte man bei diesem Ziel in erster Linie an Ehen von hier lebenden Ausländern. Entscheidungseinklang mit dem Heimatstaat bedeutet für diese Ehen, daß sie sowohl im Heimat- als auch im Aufenthaltsstaat Deutschland wirksam sind69, also in den Staaten, zu denen die Parteien die engsten Bindungen haben. Haben die Partner im Beispielsfall nicht nur ihren gewöhnlichen Aufenthalt, sondern auch ihr "domicile" in England, würden die Eheschließungsvoraussetzungen aus englischer Sicht nach englischem Recht beurteilt70 . Dann aber kann eine solche Stabilität der Ehe durch Entscheidungseinklang zwischen Heimat- und Aufenthaltsstaat nicht erreicht werden, sondern nur Entscheidungseinklang zwischen uns und einem dieser Staaten. Für das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs ist damit die Auswahl zwischen beiden indifferent. Das Ordnungsinteresse an einem leicht feststellbaren Anknüpfungspunkt ist ebenfalls dann nicht mehr unmittelbar berührt, wenn der gewöhnliche Aufenthalt im Einzelfallleicht und eindeutig festzustellen ist. Letzteres reicht für sich genommen jedenfalls nicht aus, um von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung abzuweichen: Dieser ist der Vorzug gegeben worden, weil sie im allgemeinen leichter festzustellen ist; dabei wurde gesehen, daß in Einzelfällen der gewöhnliche Aufenthalt selbstverständlich ebenfalls leicht feststellbar sein kann (immerhin befindet sich die Aufenthaltsanknüpfung nach der Staatsangehörigkeitsanknüpfung auf der zweiten Sprosse der in das Gesetz [Art. 14 EGBGB] übernommenen "Kegelschen Leiter"); ein Abgehen von der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit schon dann, wenn der gewöhnliche Aufenthalt leicht ermittelbar ist, widerspricht aber der kollisionsrechtlichen Gleichbehandlung, die durch die Anknüpfungsnorm gewährleistet werden soll.- Hier geht es jedoch um Fälle, in denen auch andere der Norm zugrunde liegende Interessen geschwunden sind.

Wollte man jedoch dann das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts anwenden, wenn zu diesem die Verbindung besonders eng und stabil, zum Heimatstaat dagegen besonders schwach ist71 , erhöben sich gerade die Schwierig-

68 S. dagegen RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31 : Staatsangehörigkeit stelle immer enge Beziehung dar. 69 Oben C II. 70 S. Dicey/Morris, Bd. 2, S. 663 ; Bergmann/Ferid, Großbritannien, S. 25. 71 Dafür Mansel, Rnr. 561-578.

C. Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit

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keiten, die der Gesetzgeber mit der generellen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit venneiden wollte: Zum einen müßten häufig - also auch in Fällen, in denen dies im Ergebnis verneint würde - Untersuchungen darüber angestellt werden, ob eine derart enge Verbindung gegeben ist oder nicht, was der Zielsetzung der Norm widerspricht. Wenn Mansei von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung im Rahmen einer "Effektivitätsprüfung" nur "bei ganz eindeutigem, klar erkennbarem Schwerpunkt aller Beziehungen im Aufenthaltsstaat" und "Abbruch der Beziehungen zum Heimatstaat" abgehen wi1172 , so kann das nicht darüber hinw.:gtäus..;hen, daß der Feststellung eines im Ergebnis eindeutigen Schwerpunkts möglicherweise aufwendige Ermittlungen voranzugehen haben, insbesondere, weil in~oweit auch subjektive Voraussetzungen wie z.B. Rückkehrabsichten von Bedeutung sind.

Zum anderen beruht die gesetzgeberische Entscheidung für die Staatsangehörigkeitsanknüpfung - wie erwähnt - auch auf der Überlegung, daß ein Staatsangehörigkeitswechsel im Gegensatz zu einer Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts immer zu einem bestimmten Zeitpunkt eintritt73 ; ein möglicherweise eintretender Wechsel der anzuwendenden Rechtsordnung soll also klar sein. Es ist aber nahezu unmöglich, einen genauen Punkt festzustellen, an dem die Verbindungen zum Staat des gewöhnlichen Aufenthalts so eng geworden sind, daß nunmehr dessen Recht statt - wie zuvor - das Heimatrecht anzuwenden wäre. Hier könnte beispielsweise die Festlegung einer bestimmten Aufenthaltsdauer etwa zehn Jahre - helfen74; eine solche feste Grenze wäre aber ohne die Entscheidung des Gesetzgebers nicht zu begründen.

72 Mansel, Rnr. 569. Starke Bedenken weckt auch sein Vorschlag, die "absolute Ineffektivität" der Staatsangehörigkeit nur auf Wunsch des "Betroffenen" zu berücksichtigen (Rnr. 570): Damit gerät das anwendbare Recht leicht zum Spielball ausschließlich sachrechtlieh motivierter Interessen. Besonders kraß kann sich das bei Handlungsunfahigkeit der Anknüpfungsperson auswirken: Hier soll "Betroffener" derjenige sein, der das jeweilige Verfahren in Gang gebracht hat, z.B. die potentiellen Erben (Mansel, a.a.O.); daß auf diese Weise das auf die Beerbung anwendbare Recht von den (u. U. widersprüchlichen) Eigeninteressen potentieller Erben bestimmt werden soll, ist nicht hinnehmbar (für das internationale Erbrecht daher Lösung offengelassen von Mansel, Rnr. 580). 73 RegE, BI-Drucks. 10/504, S. 31; vgl. auch z.B. Staudinger/Gamillscheg 1011 1, vor Art. 13, Rnr. 116. 74 Vgl. die in diese Richtung gehenden Vorschläge z.B. von Wengler, IPR I, S. 258; Grasmann, Festschr. Neumayer 1985, S. 249, 261 f; ablehnend z.B. Mansel, Rnr. 565, dort auch weitere Nachweise zu solchen Vorschlägen (Fn. 37).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Auch dieser Aspekt spricht somit gegen ein Abweichen von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts. Selbst ein anderweitiges "domicile" im englisch-amerikanischen Sinne ist daher irrelevant. Zwar setzt das Anknüpfungsmoment "domicile" eine wesentlich engere Verbindung zum betreffenden Staat als nur gewöhnlichen Aufenthalt voraus, nämlich (im Fall des "domicile of choice") den "animus manendi et non revertendi", den Willen, am Aufenthaltsort zu bleiben und nicht an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren75. Der Zeitpunkt aber, wann aus einem gewöhnlichen Aufenthalt ein "domicile" wird, ist kaum festzustellen. Im übrigen ist das "domicile" kein Anknüpfungspunkt in unserem Sinne, sondern ganz dem common law verhaftet7 6. Wir kennen nur die Unterscheidung Staatsangehörigkeit/gewöhnlicher Aufenthalt; eine eigenständige Bedeutung hat demgegenüber das "domicile" aus unserer Sicht nicht.

Eine engere Beziehung zu einem religiösen Recht spielt ebenfalls keine Rolle: Bestimmt das nach Art. 13 Abs. 1 maßgebende Personalstatut, daß religiöses Recht entscheidet, so folgen wir dem. Problematisch wird es erst, wenn der Heimatstaat dem religiösen Recht keine zivilrechtliche Bedeutung zumißt (wie z.B. unsere eigene Sachrechtsordnung). Insoweit ist Art. 13 Abs. 1 wieder Ausdruck einer Interessenabwägung, die das internationale Privatrecht schlechthin betrifft: Gegenüber potentiellen Parteiinteressen an Anwendung des Rechts einer Religionsgemeinschaft ist dem Ordnungsinteresse an Anwendung des Rechts eines Staates der Vorzug eingeräumt worden77 . Internationales Privatrecht bestimmt, welchen Staates Privatrecht anzuwenden ist78 . Die Anknüpfungspunkte des EGBGB führen zu Staaten, nicht zu Religionen. Eine enge Beziehung zu einem religiösen Recht ist daher bedeutungslos, es sei denn, im Heimatstaat ist eben dieses religiöse Recht anwendbar79. In derartigen Fällen wird das religiöse Recht aber lediglich aufgrund der "Vermittlung" durch den Heimatstaat angewandt, der wir zu folgen haben; die (durch die Staatsangehörigkeit vermittelte) Verbindung zu diesem Staat ist zunächst entscheidend.Die in diesem Abschnitt angestellten Erwägungen gelten erst recht, wenn die Verbindung zu dem entsprechenden Staat erst nach Eheschließung aufgenommen wird, der gewöhnliche Aufenthalt also beispielsweise erst nach der Eheschließung in einen anderen Staat verlegt wird: Spielt der Aufenthalt bei Eheschließung keine Rolle, dann erst recht nicht ein nach der Eheschließung begründeter Aufenthalt. 75 76 77 78 79

Henrich, RabelsZ 25 (1960), 456, 462; Dicey/Morris, Bd. 1, S. 126-130. Vgl. Schurig, Kollisionsnorm, S. 229. Vgl. auch Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 8. Kegel, IPR, S. 3 (§ 1 II); vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB. S. Kegel, IPR, S. 15 (§ 1 IV 2 b).

C. Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit

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IV. Schluß Es ist daher festzuhalten: Auch die Tatsache, daß zum Heimatstaat nur eine sehr schwache Verbindung besteht, rechtfertigt grundsätzlich kein Abweichen vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit80. Extremfa.J.le, in denen eine Person billigerweise nicht mehr nach ihrem Heimatrecht zu behandeln ist, weil sie von ihrem Heimatstaat verfolgt wird, werden durch Abkommen und Gesetze wie das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention)81 oder das AHK-Gesetz Nr. 23 über die Rechtsverhältnisse verschleppter Personen und Flüchtlinge82 aufgefangen: Nach diesen Regelungen wird das Personalstatut der betreffenden Personen nicht durch das Heimatrecht, sondern durch Wohnsitz oder gewöhnlichen (hilfsweise schlichten) Aufenthalt bestimmt; die Frage eines regelwidrigen Abgehens von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung stellt sich daher hier nicht. In allen anderen Fällen ist nicht zu vergessen, daß sich die Betroffenen häufig im Aufenthaltsstaat einbürgern lassen können83 . Solange sie dies nicht getan haben, zeigen sie, daß doch noch eine Bindung an den Heimatstaat besteht, die die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit rechtfertigt84 . Eben dieser Gedanke liegt auch der Begründung der IPR-Neuregelung zugrunde, wenn es dort heißt: "Man wird nach wie vor davon ausgehen können, daß die Verbundenheit mit dem Heimatstaat - jedenfalls in bezug auf die Person und die Familie, solange der Schritt zu einer Einbürgerung nicht getan ist - weiterhin die Anwendung des Heimatrechts rechtfertigt" 85 .- Wird allerdings eine beantragte Einbürgerung aus Gründen abgelehnt, die nicht auf der mangelnden Bindung an den Aufenthaltsstaat beruhen, haben es die Beteiligten gerade nicht in der Hand, ihre enge Beziehung zum Aufenthaltsstaat durch den Erwerb der entsprechenden Staatsangehörigkeit zu manifestieren. Für diese Sonderfälle ist ein Abgehen von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung zu erwägen,

80 Ebenso: Lüderitz, IPR, Rnr. 74, Fn. 25. 81 Auszugsweise abgedruckt und kommentiert z.B. bei Palandt/Heldrich, Anh. II

zu Art. 5, Rnr. 19-29. 82 Auszugsweise abgedruckt und kommentiert z.B. bei Palandt/Heldrich, Anh. II zu Art. 5, Rnr. 14-16. 83 Henrich, Individualgerechtigkeit, S. 347. 84 S. auch Kegel, IPR, S. 325 a.E. (§ 13 II 3). 85 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31 (Hervorhebung nicht im Original).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

da dann die oben erwähnte implizite gesetzgeberische Annahme, es handele sich um einen Schritt, der im Willen der Beteiligten liege, nicht zutrifft86 • Die Situation, daß die Parteien unmittelbar vor Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit sich bereits nach dem künftigen Heimatrecht gerichtet haben87, betrifft den Anknüpftlogszeitpunkt und soll daher erst im Zusammenhang mit den Problemen des "Statutenwechsels" erörtert werden88.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung I. "Bewußte Lücke" hinsichtlich des AnknüpfungszeitpWlkts? Als Grund für ein Auseinanderfallen der tatsächlichen und der durch eine kodifizierte Norm geregelten Interessen sind zwei Möglichkeiten festgestellt worden: Entweder bestimmte Interessenkonstellationen sind unbewußt nicht geregelt worden, oder aber es ist bewußt keine Regelung für u.U. seltene Ausnahmefälle getroffen worden89. Im Unterschied zur klaren Entscheidung des Gesetzgebers für den Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit spricht die jüngere Gesetzgebungsgeschichte im Hinblick auf den Anknüpfungszeitpunkt dafür, daß der Fragenkreis der "Heilung durch Statutenwechsel" bewußt nicht geregelt wurde. In der Begründung des !PR-Gesetz-Entwurfs von Kühne findet sich zu § 12 (Voraussetzungen der Eheschließung), nachdem die Regelung inhaltlich wiedergegeben und als maßgeblicher Anknüpfungszeitpunkt derjenige unmittelbar vor Eheschließung festgestellt wurde, folgende Passage: "Ob und inwieweit später staatsangehörigkeitsrechtliche Veränderungen bei nachträglichen Streitigkeiten über die Wirksamkeit der Eheschließung berücksichtigt werden können, bedarf angesichts der verhältnismäßig geringen praktischen Bedeutung des Problems keiner gesetzgeberischen Klärung . .. "90. 86 Durch ein Abweichen in diesen seltenen Fällen würden auch die dahin zielenden Argumente Mansels, Rnr. 571 , gegen den "Einbürgerungseinwand" weitgehend hinfällig . Sofern er aber darauf abstellt, daß möglicherweise in Deutschland geborene Ausländerkinder die Einbürgerung aus Rücksicht auf ihre Eltern nicht beantragen, spricht das doch eher für eine - wenn auch durch die Eltern vermittelte - Bindung an den Heimatstaat, die die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit noch trägt. 87 Vgl. oben 1. Kap. A VI. 88 Unten D V. 89 Oben B II. 90 Kühne, S. 80.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Der Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnt sich eng an den Entwurf von Kühne an; so übernimmt er die Eingangspassage Kühnes wörtlich, den zweiten Absatz in weiten Teilen sinngemäß9 1. Lediglich die oben zitierte Passage fehlt. Hätte der Gesetzentwurf eine Rechtsfortbildung für diesen Problemkreis ausschließen wollen, so hätte es angesichts der zitierten Passage nahegelegen, dies ausdrücklich klarzustellen, wenn im übrigen die Begründung übernommen wird. Es spricht daher viel dafür, daß der Entwurf ebenso wie Kühne eine gesetzgeberische Regelung der Heilungsfälle nicht für erforderlich hielt, ohne damit die Rechtsfortbildung in diesem Bereich ausschließen zu wollen. Daß der Entwurf auf die Übernahme der Passage verzichtet hat, beruht möglicherweise darauf, daß an anderer Stelle Fragen des Statutenwechsels angesprochen werden, nämlich vorab in einer "Übersicht über die vorgesehenen Anknüpfungen" 92 . Dort heißt es: "Der Entwurf sieht von einer gesetzlichen Regelung der Probleme der selbständigen oder unselbständigen Anknüpfung von Vorfragen, der Qualifikation sowie der Beseitigung von Normenwidersprüchen ... ab .... Diese Fragen der 'Feinabstimmung' des IPR entziehen sich einer über Leerformeln hinausgehenden gesetzgeberischen Festlegung, zumal auch die Rechtsprechung in neuererZeitnach Vorarbeit durch die Wissenschaft eher zu individualisierenden Lösungen tendiert ... ; aus demselben Grund sieht der Entwurf im Gegensatz zu § 7 des Österreichischen !PR-Gesetzes von einer Regelung der mit einem Wechsel der Anknüpfungspunkte (Statutenwechsel) verbundenen Problematik ab." Es folgt ein Hinweis auf die spezielle Regelung des Art. 26 Abs. 5 S. 1; weiter heißt es: "Im übrigen treten Fragen des Statutenwechsels zu einem erheblichen Teil in dem vom Entwurf nicht erfaßten internationalen Sachenrecht auf . . . Eine allgemeine Vorschrift für den Statutenwechsel würde daher die rechtspolitische Zielsetzung dieses Entwurfs überschreiten." Damit ist zwar nicht ausdrücklich ein Staatsangehörigkeitswechsel nach Eheschließung angesprochen; auch einen solchen könnte man aber unter diese Begründung fassen, womit allerdings noch nichts darüber ausgesagt wäre, ob ein Staatsangehörigkeitswechsel einen "Statutenwechsel" im Sinne einer beachtlichen Veränderung der Anknüpfungstatsachen zur Folge hätte93 . Ein nochmaliger Hinweis im Rahmen der Begründung der Eheschließungsregelungen erschien vielleicht aus diesem Grunde entbehrlich. Es spricht demnach einiges dafür, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit des Staatsangehörigkeitswechsels nach Eheschließung zwar gesehen, aber bewußt 91 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52. 92 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 32. 93 S. oben Einleitung.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

keiner eigenständigen Regelung zugeführt hat. Daraus kann aber nicht notwendig geschlossen werden, daß er der Auffassung war, die gesetzliche Regelung erfasse ihrem Sinn und Zweck nach derartige Fälle nicht. Vielmehr wollte er sich überhaupt nicht mit dieser Frage befassen. In der Kühneschen Entwurfsbegründung heißt es dementsprechend auch: "Ob und inwieweit später staatsangehörigkeitsrechtliche Veränderungen . . . berücksichtigt werden können ... ". Das "Ob" einer Lücke muß damit erst noch selbständig festgestellt werden. Es ist also zu untersuchen, ob alle oder bestimmte Fälle des Staatsangehörigkeitswechsels kollisionsrechtlich beachtliche Interessen aufwerfen, die in Art. 13 Abs. 1 nicht berücksichtigt sind und die zu einer anderen Regelung als der in Art. 13 Abs. 1 getroffenen führen müßten; nur dann kommt eine Abweichung von der Kollisionsnorm in Betracht94.

II. Ursachen für die abweichende Beurteilung der Ehegültigkeit durch ein späteres Heimatrecht und Folgerung für eine potentielle Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts 1. Einführung

Daß eine Eheschließung von einem späteren Heimatstaat anders beurteilt wird als vom Heimatstaat bei Eheschließung, kann verschiedene Ursachen haben. Der Grund liegt jedoch niemals allein darin, daß das Sachrecht des neuen Heimatstaats den ursprünglichen Fehler nicht kennt; denn es kommt zunächst auf das internationale Privatrecht des neuen Heimatstaats an: Eine abweichende Behandlung der sachrechtliehen Eheschließungsvoraussetzungen in der Rechtsordnung des neuen Heimatstaats kann nur relevant werden, wenn dieser sein eigenes Sachrecht in bezug auf die Eheschließung überhaupt für anwendbar hält. Dies wird in der Heilungsdiskussion mitunter verkannt oder zumindest durch mißverständliche Formulierungen nicht klar genug herausgestellt. So vergleicht das KG95 in einem Fall, in dem ein deutsch-russisches Paar nach Eheschließung die chilenische Staatsangehörigkeit erworben hatte, lediglich das deutsche und das chilenische sachliche Eheanfechtungsrecht und kommt zu dem Ergebnis, daß

94 Oben B II. 95 KG (11.2.38), JW 1938, 855.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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das chilenische Recht bestimmte Anfechtungsgründe "nicht kennt" 96 . Darauf konnte es aber nur ankommen, wenn chilenisches sachliches Eheanfechtungsrecht aus chilenischer Sicht überhaupt anwendbar war, was das KG nicht untersucht. Auch Hirschfeld formuliert ungenau, wenn er das "neue Heimatrecht" "in der Weise" berücksichtigen will, "daß vorher fehlerhafte Ehen nach einem Statutenwechsel nur aufgelöst werden können, wenn dies auch nach dem neuen materiellen Eherecht möglich wäre"97 , und wenn er im Fall des RG98 eine Heilung durch Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit annimmt, "da das italienische Recht ein Eheverbot der Religionsverschiedenheit nicht kennt"99. Es fehlt jeweils der gedankliche Zwischenschritt, daß nach dem Kollisionsrecht des neuen Heimatstaates auch dessen sachliches Eheschließungsrecht anwendbar ist.

Ist nach dem IPR des neuen Heimatstaats dagegen dasselbe Sachrecht wie nach dem des alten Heimatstaats anwendbar, kann es zu einer Entscheidungsdivergenz zwischen beiden nicht kommen; die Unterschiede in den jeweiligen eigenen Sachrechten sind dann belanglos. Erwerben also Angehörige des Staates A, deren Ehe nach dem berufenen Sachrecht von A nichtig ist, später die Staatsangehörigkeit von B, so ist es unerheblich, daß das Sachrecht von B einen derartigen Nichtigkeitsgrund nicht kennt, wenn nach dem IPR vonBebenfalls das Heimatrecht bei Eheschließung, also das Recht von A entscheidet.

Eine Abweichung in der Beurteilung muß also (auch) im Kollisionsrecht der jeweiligen Staaten begründet seinlOO.

2. Von Anfang an unterschiedliche Beurteilung

a) Unterschiedliche Anknüpfungspunkte Hier existiert zunächst die Möglichkeit, daß die Kollisionsrechte sowohl des alten wie des neuen Heimatstaats zwar beide auf den Zeitpunkt Eheschließung abstellen, aber unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben. Beispielsweise knüpft das Kollisionsrecht des alten Heimatstaates - wie wir - an die Staatsangehörigkeit bei Eheschließung an, beruft also sein eigenes Sachrecht, während durch das neue Heimatrecht das Sachrecht am Ort des gewöhnlichen 96 KG, a.a.O., S. 856 (Heilung dennoch abgelehnt wegen unselbständigen Staatsaugehörigkeitserwerbs der Frau). 97 Hirschfeld, S. 100 (Hervorhebung nicht im Original). 98 Entscheidung vom 16.5.31, RGZ 132, 416, s. oben Einleitung. 99 Hirschfeld, S. 114. 100 S. auch (allgemein) Wengler, Stellungnahme, S. 144 a.E.f.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB Aufenthalts bei Eheschließung berufen wird (weil entweder - im Falle einer Kollisionsnormverweisung durch das neue Heimatrecht - der Aufenthaltsstaat ebenfalls an den gewöhnlichen Aufenthalt bei Eheschließung anknüpft oder weil die Kollisionsnorm des neuen Heimatstaats eine Sachnormverweisung auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bei Eheschließung enthält). Auch die umgekehrte Konstellation ist denkbar: Das Kollisionsrecht des alten Heimatstaats beruft das Sachrecht des Aufenthaltsstaates, während nach neuem Heimatrecht das Sachrecht des alten Heimatstaates maßgebend ist. Die Anknüpfungspunkte können auch in der Weise divergieren, daß nach einem der beiden Rechte das Recht des Eheschließungsorts oder ein religiöses Recht maßgebend ist, oder- wohl nur theoretisch-, daß ein Recht sich selbst als Iex fori beruft.

b) Unterschiedliche Verweisungsart Schließlich kann es sein, daß beide Heimatkollisionsrechte zwar denselben Anknüpfungspunkt haben - auch hier jeweils bezogen auf den Zeitpunkt der

Eheschließung -, aber die eine Kollisionsnorm eine Sachrechts-, die andere eine !PR-Verweisung enthält. Zu einer unterschiedlichen Beurteilung kann es dementsprechend z.B. kommen, wenn vom einen Heimatrecht das Sachrecht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts bei Eheschließung, vom anderen aber dessen Kollisionsrecht berufen ist (das auf ein anderes Recht verweist), ähnlich bei Anknüpfung an den Eheschließungsort; nicht dagegen, wenn beide Heimatrechte an die Staatsangehörigkeit bei Eheschließung anknüpfen, da dann sowohl Sachnorm- als auch Kollisionsnormverweisung beim Sachrecht des Heimatstaats bei Eheschließung enden (enthält das ursprüngliche Heimatrecht die !PR-Verweisung, wird dennoch sein eigenes Sachrecht berufen; enthält das spätere Heimatrecht die !PR-Verweisung, folgt es der Beurteilung des ursprünglichen Heimatstaats nach dessen Sachrecht).

Erst wenn auf diese Weise vom ursprünglichen und vom späteren Heimatstaat unterschiedliche Sachrechte für die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen berufen sind, kann sich eine inhaltliche Abweichung dieser Sachrechte auch in einer unterschiedlichen Beurteilung der Ehegültigkeit niederschlagen. Nicht jede inhaltliche Abweichung muß aber zu einer unterschiedlichen Beurteilung führen: Insbesondere, wenn ein Ehehindernis, das die vom neuen Heimatrecht berufene Rechtsordnung nicht kennt, nach dem ursprünglichen Heimatrecht nur aufschiebenden Charakter hatte, führen beide Sachrechte zu dem Ergebnis, daß die geschlossene Ehe unangreifbar wirksam ist. Diese Fälle können daher aus den späteren Betrachtungen ausgeklammert bleiben.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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c) Ordre public Möglicherweise berufen sogar beide Heimatkollisionsrechte prinzipiell dasselbe Sachrecht, nur verstößt dessen einschlägige Norm gegen den ordre public eines der Heimatrechte101 . Das kann der Fall sein, wenn ein Ehehindernis des ursprünglich berufenen Rechts gegen den ordre public des neuen Heimatrechts verstößtf02 . Denkbar ist aber auch, daß das vom ersten Heimatstaat grundsätzlich berufene Recht eine Heirat zuläßt, die jedoch vom ersten Heimatstaat als ordre-public-widrig nicht anerkannt wird, während der spätere Heimatstaat keinen Verstoß gegen den ordre public annimmt: beispielsweise verweisen beide Heimatstaaten auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bei Eheschließung; dieses läßt eine "Ehe" zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern zu, was gegen den ordre public des ersten, nicht aber des späteren Heimatstaates verstößt. Daß eine solche auf dem ordre public beruhende unterschiedliche Beurteilung auch für uns relevant werden kann, setzt allerdings voraus, daß wir fremden ordre public überhaupt beachten. Während die Anwendung des ordre public einer dritten Rechtsordnung, die im konkreten Fall nicht von unserer "einschlägigen" Kollisionsnorm berufen wird, meist abgelehnt wird 103, ist seine Berücksichtigung jedenfalls im Rahmen des renvoi anerkannt 104: Ist durch unsere Kollisionsnorm ein bestimmtes Recht berufen, so sollen wir nach Art. 4 Abs. 1 so entscheiden, wie der betreffende Staat dies tut. Dann müssen wir aber auch den ordre public dieses Staates anwenden. Beim hier anstehenden Problem geht es nun darum, ob wir die Auffassung des neuen Heimatstaats über die Wirksamkeit der Eheschließung berücksichtigen oder nur die des ursprünglichen: je nachdem, wie wir diese Frage entscheiden, wird dann auch der entsprechende ordre public für diese Frage mitberufen.

101 S. (allgemein) Wengler, Stellungnahme, S. 144. 102 So z.B. in der Entscheidung des RG (16.5.31), IPRspr. 1931, Nr. 59, s. oben Einleitung. 103 Z.B. Ferid, IPR, Rnr. 3-39; Palandt/Heldrich, Art. 6, Rnr. 8; Soergel/ Kegel 11 , Art. 30, Rnr. 26; Erman/Arndt7, Art. 30, Rnr. 15; Hirschfeld, S. 70; entgegen dieser pauschalen Sicht die "allseitige" Berücksichtigung gewisser Wertprinzipien fremder Staaten erwägend Schurig, Kollisionsnorm, S. 262. 104 Z.B. Kegel, IPR, S. 295 a.E.f. (§ 10 VI); Schurig, Kollisionsnorm, S. 262; Ferid, IPR, Rnr. 3-40; Lüderitz, IPR, Rnr. 217 (der von Lüderitz zitierten Passage in RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 43, ist m.E. nichts Gegenteiliges zu entnehmen, da sie sich speziell auf Art. 6 EGBGB bezieht); Palandt/Heldrich, Art. 6, Rnr. 8; MünchKomm/Sonnenberger, Art. 6, Rnr. 62; Erman/Arndt7 , Art. 30, Rnr. 15; Hirschfeld, s. 70.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

d) Zwischenbilanz Grund für eine unterschiedliche Beurteilung der Ehegültigkeit durch den alten und den neuen Heimatstaat ist demnach, daß nach dem internationalen Privatrecht des neuen Heimatstaats (generell oder - bei Eingreifen des ordre public - im speziellen Fall) eine andere Sachrechtsordnung anwendbar ist, um über die Gültigkeit der Eheschließung zu befinden, als nach demjenigen des alten Heimatstaates. Das kann, wie gezeigt, auf einem abweichenden Anknüpfungspunkt beruhen, auf der unterschiedlichen Eigenschaft als Sachnorm- oder als !PR-Verweisung, u.U. beides miteinander kombiniert, sowie auf dem Eingreifen des ordre public in einer der beiden Rechtsordnungen. Den bisher behandelten Ursachen gemeinsam ist jedoch, daß der neue Heimatstaat die Ehe von Anfang an, also bereits vor dem Staatsangehörigkeitswechsel, anders beurteilt hat als der alte. Die Meinung des neuen Heimatstaats hat sich nicht etwa mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit geändert, sondern er hatte bereits vorher eine andere Meinung. Eine Ausnahme kann für das Eingreifen des ordre public gelten: Hier ist es denkbar, daß beispielsweise der neue Heimatstaat vor der Herstellung einer entsprechenden Inlandsbeziehung durch die Parteien die Ehe übereinstimmend mit dem alten Heimatstaat für fehlerhaft gehalten hat. Nehmen die Parteien aber gewöhnlichen Aufenthalt im Staat ihrer späteren Staatsangehörigkeit, greift vielleicht zu diesem Zeitpunkt dessen ordre public ein, vielleicht auch erst mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit, so daß jedenfalls im entsprechenden Zeitpunkt ein Wechsel in der Betrachtung der Ehegültigkeit durch den neuen Heimatstaat stattfindet.

3. Rückwirkende Änderung der Beurteilung bei Staatsangehörigkeitswechsel Auch über diese letzte Konstellation hinaus kann es vorkommen, daß der neue Heimatstaat die Ehe vor und nach dem Staatsangehörigkeitswechsel unterschiedlich beurteilt: Das wäre einmal der Fall, wenn er das Eheschließungsstatut insgesamt wandelbar anknüpftelOS. 105 Dem Wortlaut nach der Fall in der Tschechischen Republik: § 22 Abs. 1, Abs. 3 des Gesetzes über das internationale Privat- und Prozeßrecht vom 4.12.63, Sb. Nr. 97 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Tschechien, S. 24 f.) bestimmt, daß die Kollisionsnormen über die Scheidung, die primär das gemeinsame Heimatrecht zur Zeit der Verfahrenseinleitung berufen, auch für die Ungültigerklärung oder Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Ehe anwendbar sind. Ob dadurch auch eine Verschlechterung möglich sein soll, erscheint aber sehr zweifelhaft.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Außerdem darf nicht übersehen werden, daß auch in anderen Staaten die Heilungsdiskussion geführt wird 106 . Sollte sich in einer dieser Rechtsordnungen eine Wandelbarkeit zugunsten der Ehegültigkeit (alternative Anknüpfung107) entwickeln, könnte es dadurch ebenfalls zu einer unterschiedlichen Beurteilung durch altes und neues Heimatrecht kommen. Selbst wenn aber ein Staat die Eheschließungsvoraussetzungen wie beschrieben wandelbar anknüpfen sollte, so heißt das, daß er seine Entscheidung auf den Zeitpunkt der Eheschließung (ex tune) zurückbezieht, da es ja gerade um das auf die Eheschließung anwendbare Recht geht. Wandelbarkeit bedeutet also rückwirkende Neubeurteilung der EhegültigkeiL

4. Beurteilungsänderung ex nunc Die Möglichkeit dagegen, daß der neue Heimatstaat die Ehegültigkeit mit Wirkung vom Staatsangehörigkeitswechsel an einem anderen Recht unterstellt (ex nunc), ist zwar nicht ausgeschlossen; sie kann aber nicht auf einer bloßen wandelbaren Anknüpfung der Eheschließungsvoraussetzungen beruhen. Eine Beurteilungsänderung ex nunc kann vielmehr nur darauf beruhen, daß im vom neuen Heimatrecht berufenen Sachrecht eine materielle Norm existiert, nach der beispielsweise eine vernichtbare Ehe oder eine Nichtehe mit dem Staatsangehörigkeitswechsel zu einer wirksamen Ehe erstarken, oder nach der vielleicht auch umgekehrt eine wirksame Ehe mit dem Staatsangehörigkeitswechsel ex nunc aufgelöst ist. Sollte es solche materiellen Normen tatsächlich geben, dürfte es sich um Ausnahmen handeln.

5. Folgerung Knüpfte man nun generell im deutschen Kollisionsrecht die Eheschließungsvoraussetzungen entweder insgesamt oder zugunsten der Ehe wandelbar an, hieße das, sie nach dem jeweils aktuellen Heimatrecht zu beurteilen. Nach Art. 4 Abs. 1 wäre damit auch das !PR des neuen Heimatstaates berufen. Der neue Heimatstaat bezieht sein Urteil aber - wie gezeigt - ebenfalls auf den Zeitpunkt der EheschließunglOS. Eine Anknüpfung an das aktuelle Heimat106 Vgl. z.B. für Österreich Schwind, IPR, Rnr. 234. 107 Näher unten ill 2 b. 108 Abgesehen von der erwähnten Möglichkeit, daß er die Ehe durch eine materielle Norm ex nunc heilt.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

recht hätte demnach zur Folge, daß wir bei einem Staatsangehörigkeitswechsel die Ehegültigkeit rückwirkend neu beurteilen müßten 109. Über die bisher genannten Möglichkeiten für eine unterschiedliche Beurteilung hinaus kommt allerdings auch eine differenzierte Anknüpfung durch den neuen Heimatstaat in der Weise in Betracht, daß er zwar grundsätzlich unwandelbar auf den Zeitpunkt der Eheschließung abstellt, die Vernichtbarkeit einer zustande gekommenen Ehe aber kumulativ dem aktuellen Heimatrecht unterstelltllO. Wendet man in diesem Fall das aktuelle Heimatrecht an, werden die Eheschließungsvoraussetzungen insoweit nicht notwendig rückwirkend neu beurteilt111 .

111. Auf Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts gerichtete Interessen 1. Einführung

Nachdem bereits festgestellt wurde, daß trotz engerer Bindung an eine andere Rechtsordnung grundsätzlich nicht vom Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit abgewichen werden kann112, ist zu untersuchen, ob und ggf. welche Interessen dafür sprechen, die Anknüpfung auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Eheschließung unwandelbar festzulegen, wie es nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 der Fall ist113. Der Berücksichtigung einer späteren Staatsangehörigkeit stünden jedenfalls einige der Ordnungsinteressen, die zu einer Verdrängung der Aufenthaltsanknüpfung geführt haben114, nicht entgegen: Der angestrebte Entscheidungseinklang mit dem Heimatstaat der betreffenden Partei wäre nicht beeinträchtigt: Wenn zwei aufeinanderfolgende Heimatstaaten die Ehegültigkeit unterschiedlich beurteilen, kann Entscheidungseinklang notwendigerweise nur mit einem von ihnen erreicht werden. Knüpft man an die aktuelle Staatsangehörigkeit an, bestünde der Entscheidungsein109 Unrichtig daher Hirschfeld, S. 111 f., der generell ex-nunc-Wirkung annimmt, obwohl er alternativ (also eingeschränkt wandelbar) anknüpft. 110 Vgl. Staudinger/Gamillscheg 10' 11 • Art. 13, Rnr. 119. Zu dieser Möglichkeit im Hinblick auf das deutsche IPR unten m 2 e dd (2), IV. 111 Näher unten ill 2 e dd (2). 112 Oben C m, IV. 113 Oben 2. Kap. B II. 114 Oben C II.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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klang eben nicht mehr mit dem ursprünglichen, sondern mit dem späteren Heimatrecht. Diese Übereinstimmung scheint gerade wegen ihrer Aktualität jedenfalls auf den ersten Blick115 - sogar wichtiger zu sein als diejenige mit einem ehemaligen Heimatstaat. Auch das Ordnungsinteresse an einem leicht feststellbaren Anknüpfungspunkt wäre nicht gestört: Festzustellende Anknüpfungstatsache bliebe die Staatsangehörigkeit; ob sich die erforderlichen Feststellungen auf die Staatsangehörigkeit unmittelbar vor Eheschließung oder auf eine später erworbene Staatsangehörigkeit beziehen, macht keinen Unterschied. Das Interesse an einem stabilen Anknüpfungspunkt spricht an sich ebenfalls nicht gegen die Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts: Wenn der Gesetzgeber die Staatsangehörigkeit im Personen-, Familien- und Erbrecht allgemein als Anknüpfungspunkt bevorzugt hat, weil sie seltener Änderungen unterworfen ist als der gewöhnliche Aufenthalt 11 6, heißt das nicht, daß er Änderungen generell nicht akzeptieren will - sonst hätte er alle Rechtsverhältnisse in den betreffenden Bereichen unwandelbar anknüpfen müssen -, sondern lediglich, daß er die Änderungen auf ein Minimum beschränken will. Zwar geht die Begründung des Regierungsentwurfs in diesem Zusammenhang davon aus, daß es Statusverhältnisse gibt, die unwandelbar angeknüpft werden müssen117 ; daß dazu das Eheschließungsstatut zählt, wird aber nicht ausdrücklich gesagt. Wie sind also die übrigen Interessen im Hinblick auf den Anknüpfungszeitpunkt gelagert?

2. Parteiinteressen

a) Behandlung eines automatischen Staatsangehörigkeitswechsels durch Eheschließung aa) Vorbemerkung Die Zahl der Staaten, in denen eine ausländische Frau allein aufgrund der Heirat mit einem Angehörigen des betreffenden Staates kraft Gesetzes dessen

115 Zur Situation bei einem automatischen Staatsangehörigkeitswechsel s. dagegen sogleich III 2 a. 116 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31. 11 7 RegE, a.a.O.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Staatsangehörigkeit erwirbt, ist geringer geworden118; auch der Verlust der eigenen Staatsangehörigkeit bei einem derartigen automatischen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit kommt in immer weniger Ländern vor119. Dies war auch das Ziel des New Yorker UN-Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen vom 20.2.1957120, das mittlerweile für 66 Staaten gilt1 21 . Nach Art. 1 dieses Übereinkommens berührt die Eheschließung zwischem einem Angehörigen eines Vertragsstaats und einem Ausländer die Staatsangehörigkeit der Ehefrau nicht "ohne weiteres". Dennoch gibt es immer noch Staaten, in denen ein automatischer Staatsangehörigkeitserwerb und/oder -verlust durch Heirat erfolgt. Selbst in einem europäischen Land - nämlich der Schweiz - war beides immerhin bis zum 31.12.1991 der Fa11122. Zudem war bei der Schaffung des Art. 13 Abs. 1 a.F. der automatische Staatsangehörigkeitserwerb und -verlust durch Eheschließung weit verbreitet; auch das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht enthielt als Erwerbs- und Verlustgrund hinsichtlich der Frau die Eheschließung123; möglicherweise hat also der historische Gesetzgeber zumindest diese Form des "Statutenwechsels" bedacht und mit der Norm des Art. 13 Abs. 1 auch geregelt, so daß sich u.U. Rückschlüsse auf die Behandlung eines späteren Staatsangehörigkeitswechsels ergeben.

118 Beispiele: Äthiopien (Art. 2 des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22.7 .1930, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Äthiopien, S. 1); Elfenbeinküste (Art. 12 des Gesetzes Nr. 61415 vom 14.12.61, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Elfenbeinküste, S. 3); Iran (Art. 976 Nr. 6 des Zivilgesetzbuchs v. 16.2.35 i.d.F. des Gesetzes v. 19.2.59 und v. 27.2.83, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Iran, S. 3); alle auch aufgeführt bei Kammann, S. 25; vgl. auch Mansel, Rnr. 85, S. 87: Zahl der Staaten bedeutend. 11 9 Beispiele: Äthiopien (Art. 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, s. vorige Fn., abgedruckt bei Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 2); Burundi (Art. 15 b des Gesetzesdekrets Nr. 1193 vom 10.8.71 betreffend das Gesetz über das burundische Staatsangehörigkeitsgesetzbuch, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Burundi, S. 8); China (Art. 9 des Staatsangehörigkeitsgesetzes v. 10.9.80, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, China, S. 30); Iran (Art. 987 des Zivilgesetzbuchs, s. vorige Fn., abgedruckt bei Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 5). 120 Text abgedruckt in StAZ 1973, 295; auszugsweise auch bei Jayme/Hausmann, Nr. 139. 121 Einschließlich der 1974 beigetretenen Bundesrepublik Deutschland; Jayme/Hausmann, S. 555 Fn. 1. 122 Bergmann/Ferid, Schweiz, S. 6 Fn. 23, S. 7 Fn. 28; s. auch de Groot, S. 167, 175 a.E.f. 123 § 6 und§ 17 Nr. 6 RuStAG in der Fassung bis zum 31.3.1953.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Daher soll trotz der abnehmenden Bedeutung des automatischen Staatsangehörigkeitswechsels dessen Einfluß auf die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen untersucht werden. Man könnte erwägen, ob ausländisches Staatsangehörigkeitsrecht, das einen automatischen Erwerb oder Verlust durch Heirat nur bei der Frau vorsieht, aus unserer Sicht gleichheitswidrig und damit u.U. als ordre-public-widrig nicht anzuwenden ist 124. Diese Frage soll aber hier ausgeklammert bleiben: Die Probleme liegen zunächst nicht anders, als wenn ein Partner ohne Rücksicht auf sein Geschlecht die Staatsangehörigkeit des anderen Partners durch Eheschließung erwürbe und seine eigene verlöre. Der einfachen Darstellung wegen soll trotzdem der statistische "Normalfall" zugrunde gelegt werden, daß sich eine Änderung der Staatsangehörigkeit nur bei der Frau ergibt.

bb) Interessenlage Die Anknüpfung der Eheschließungsvoraussetzungen an die Staatsangehörigkeit erfolgt in erster Linie im Parteiinteresse, da der Gesetzgeber davon ausgeht, daß eine Person sich typischerweise am engsten mit ihrem Heimatrecht verbunden fiihlt 125. Diesem Parteiinteresse würde grundsätzlich durch eine wandelbare Anknüpfung eher Rechnung getragen als durch eine unwandelbare, da sich das Parteiinteresse auf Anwendung des gegenwärtigen Heimatrechts richtet. Bei einer wandelbaren Anknüpfung des Eheschließungsstatuts wäre aber der späteren Beurteilung das Recht der neuen Staatsangehörigkeit auch dann zugrunde zu legen, wenn die Frau durch Eheschließung unter Verlust ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit des Mannes erworben hätte. Der automatische Erwerb einer Staatsangehörigkeit erfolgt jedoch unabhängig davon, wie eng die Verbindung der betreffenden Person zu dem Staat ist; Voraussetzung ist lediglich die Eheschließung. Die so erworbene Staatsangehörigkeit kennzeichnet dann aber typischerweise gerade nicht das Recht der engsten Verbindung. Im Gegensatz zum Erwerb durch Geburt oder einem selbständigen späteren Erwerb auf Antrag trifft beim automatischen Erwerb die gesetzgeberische Grundannahme, die Staatsangehörigkeitsanknüpfung verwirkliche das Parteiinteresse, also regelmäßig nicht zu.

124 Zur Unbeachtlichkeit ausländischen Staatsangehörigkeitsrechts wegen ordrepublic-Verstoßes s. z.B. Soergel/Kegel12 , Art. 5, Rnr. 4 a.E. und dort Fn. 6 (ablehnend). 125 Oben C Il. 7 Voit

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. I EGBGB

Die neue Staatsangehörigkeit ist - jedenfalls zunächst - typischerweise eine nur formale, während die Bindung an das ehemalige Heimatrecht fortwirkt. Ob sich etwas anderes ergibt, wenn im Laufe der Zeit sich die neue Staatsangehörigkeit tatsächlich zur engsten Verbindung entwickelt hat, ist an dieser Stelle noch nicht zu erörtern: Insoweit ist die Situation parallel zu der eines späteren selbständigen Staatsangehörigkeitswechsels. Die automatisch erworbene Staatsangehörigkeit an sich ist jedenfalls kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Eheschließung.

Nur durch Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts kann demnach erreicht werden, daß in diesen Fällen auch für den Partner, dessen Staatsangehörigkeit sich durch Eheschließung geändert hat, das Recht angewandt wird, zu dem er die engste persönliche Verbindung hat. Betrachtet man dagegen den Fall, daß die Frau ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit nicht verliert, sondern daß sie die Staatsangehörigkeit des Mannes zu ihrer eigenen hinzuerwirbt, hätte Wandelbarkeit nicht dieselben Konsequenzen wie bei einem Staatsangehörigkeitswechsel. Bei einer mehrfachen Staatsangehörigkeit ist nach Art. 5 Abs. 1 "das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf ihres Lebens". Es müßte also ermittelt werden, mit welchem Recht die Frau jeweils enger verbunden ist: mit ihrem bisherigen Heimatrecht oder mit dem Recht der hinzuerworbenen Staatsangehörigkeit. Zur Anwendung des Rechts einer nur formalen Staatsangehörigkeit kann es hierbei also nicht kommen.

Daß ein automatischer Staatsangehörigkeitswechsel keinen Einfluß auf die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen haben soll, läßt sich auch der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen. So heißt es im Antrag der Hansestädte Lübecks, Bremens und Hamburgs ("Hanseatischer Entwurf") zu § 2370 der Bundesratsvorlage: "Nach dem Entwurf sollen sich die materiellen Erfordernisse der Eheschließung bei Ausländern ausschließlich nach deren heimatlichem Rechte richten. . . . Es ist aber kaum richtig, daß der deutsche Gesetzgeber Anlaß hat, Ehen eines Deutschen mit einer Ausländerin, die durch die Ehe die Reichsangehörigkeit erwirbt, in allen Fällen deshalb zu untersagen, weil das auswärtige Recht sie aus Gründen, die er nicht anerkennt ... verbietet 126". Statt dessen wird bei Inlandseheschließung die Anwendung deutschen Rechts empfohlen. Weiter heißt es dann: "Die zwar nicht notwendige aber durchaus richtige Folge würde sein, daß die im Inland geschlossenen Ehen nur nach Maßgabe der deutschen Gesetze für nichtig erklärt und angefochten werden können" 127 . Dieser Antrag der Hansestädte stieß im Bundesrat auf Ablehnung und wurde daher nicht 126 Hartwieg/Korkisch, S. 308. 127 Hartwieg/Korkisch, S. 308.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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weiter verfolgt1 2 8; er macht aber deutlich, daß nach der (mit ihm mißbilligten, später aber Gesetz gewordenen) Vorschrift des Entwurfs der automatische Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit keinen Einfluß auf die Beurteilung der Ehegültigkeit nach dem ehemaligen ausländischen Heimatrecht der Frau hatte. Entsprechendes kommt auch in der Begründung des Regierungsentwurfs für die Neuregelung des IPR deutlich zum Ausdruck, wenn es dort heißt: "In Übereinstimmung mit dem bisherigen Recht unterstellt Absatz 1 die sachlichen Voraussetzungen der Eheschließung dem Heimatrecht jedes Verlobten. Maßgeblich ist der Zeitpunkt unmittelbar vor der Eheschließung"129. Das heißt nichts anderes, als daß es auf eine durch Eheschließung erworbene Staatsangehörigkeit nicht ankommt. Aus dem Dargelegten folgt: Die unwandelbare Anknüpfung der Eheschließungsvoraussetzungen entspricht jedenfalls regelmäßig dann dem Sinn und Zweck des Gesetzes, wenn ein Staatsangehörigkeitswechsel automatisch durch Eheschließung erfolgt130. Eine Anwendung des späteren Heimatrechts scheidet damit in diesen Fällen grundsätzlich aus131. Ob dasselbe gilt, wenn ausnahmsweise die persönlichen Bindungen an dieses Recht bereits bei Eheschließung stärker sind als an das bisherige Heimatrecht, ist später zu erörtern132.

128 S. Protokoll der !PR-Kommission des Bundesrats, Hartwieg/Korkisch, S. 341. 129 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52. 130 Ähnlich Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 80. 131 Ehegültigkeit daher zu Recht nicht nach dem Recht einer automatisch erworbenen Staatsangehörigkeit, sondern nach dem ursprünglichen Heimatrecht beurteilt: KG (11.2.38), JW 1938, 855 (obiter, aber mit der unzutreffenden Begründung, der Staatsangehörigkeitserwerb setze gültige Eheschließung voraus; auf unsere Sicht kommt es aber insoweit nicht an); LG Frankfurt (28.2.52), IPRspr. 1952/53, Nr. 126 = NJW 1952, 1380; LG Kiel (14.12.53), IPRspr. 1952/53, Nr. 128 a = MDR 1954, 240 Geweils deutsches Recht auf Eheaufhebung angewandt; das mußte allerdings auch aus anderen Gründen erfolgen, dazu unten D m 2 d). In der Lit. lehnen eine Heilung aufgrund automatischen Staatsangehörigkeitswechsels generell ab: Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 187, und JW 1932, 2273 (Begründung wie KG, s.o.); Beitzke, JZ 1959, 125; befürwortend dagegen (bei vollständigem Bruch mit dem Eheschließungsstatut) Siehr, Heilung, S. 146 f. 132 Unten V. 7*

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

b) Parteiinteresse und Inhalt des Sachrechts Läßt man die Fälle des automatischen Staatsangehörigkeitswechsels außer Betracht, so stellt sich die Frage, ob Wandelbarkeit nicht zumindest beim selbständigen Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit dem Parteiinteresse eher entspräche als unwandelbare Festlegung des Anknüpfungszeitpunkts. Parteiinteresse im kollisionsrechtlichen Sinn bezeichnet das Interesse einer Partei an Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung auf einen Sachverhalt, und zwar unabhängig vom materiellrechtlichen Ergebnis133. Im Bereich derjenigen Normen, die die persönlichen Verhältnisse regeln, ist das Interesse der Partei - wie bereits dargelegt - auf Anwendung derjenigen Rechtsordnung gerichtet, zu der ihre engste persönliche Verbindung besteht. Dieses sog. Personalstatut wird nach der Wertung unseres IPR grundsätzlich durch das Recht der Staatsangehörigkeit bestimmt 134 . Da die Eheschließung ein derartiger Gegenstand ist, der die Person als solche betrifft, soll das Personalstatut über die Voraussetzungen der Eheschließung entscheiden, mag die Heirat danach zulässig sein oder nicht, mag eine geschlossene Ehe nach diesem Recht voll gültig oder fehlerhaft sein. Möglicherweise widerspricht das Ergebnis der Rechtsanwendung im Einzelfall dem sachrechtliehen Interesse der Partei, beispielsweise wenn die beabsichtigte Eheschließung wegen eines Ehehindernisses versagt oder eine dennoch geschlossene Ehe später für nichtig erklärt wird. Ein im Einzelfall ungünstiges Ergebnis hat aber für die Bestimmung des kollisionsrechtlichen Parteiinteresses keine Bedeutung. Bei einem Wechsel der Staatsangehörigkeit ist das kollisionsrechtliche Parteiinteresse grundsätzlich ebenfalls unabhängig vom sachrechtliehen Ergebnis auf Anwendung des neuen Heimatrechts gerichtetl35. Nach herrschender Lehre spielt aber bei der Frage, ob ein nachträglicher Wechsel der Staatsangehörigkeit Einfluß auf die Beurteilung einer Eheschließung hat, das sachrechtliehe Ergebnis sehr wohl eine Rolle: Das neue Heimatrecht soll nur und immer dann maßgebend sein, wenn dadurch die Ehegültig-

133 Vgl. Kegel, IPR, S. 106-108, 109 f. (§ 2 I, II 1); Schurig, Kollisionsnorm,

s. 187. c.

134 Oben C ll. 135 Zu Stabilitätsinteressen bei nachträglichem Staatsangehörigkeitswechsel unten

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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keit begünstigt wird, nicht dagegen, wenn sich die Ehe verschlechtert ("matrimonium semel validum, semper validum")l36. Nun ist es prinzipiell möglich, bei der Bildung einer Kollisionsnorm auch konkrete sachrechtliehe Ergebnisinteressen der Parteien zu berücksichtigen, wenn aufgrund der kollisionsrechtlichen Interessenbewertung 137 mehrere Rechtsordnungen zur Wahl stehen; das geschieht dann mittels einer Häufung von Anknüpfungen 138 : Ein Rechtsgeschäft ist beispielsweise gültig, wenn es entweder den Anforderungen von Recht A oder den Anforderungen von Recht B entspricht (alternative Anknüpfung, Beispiel: Art. 11 Abs. 1 EGBGB). Eine derartige Anknüpfungshäufung nimmt die h.M. vor: Die Wirksamkeit der Eheschließung wird alternativ an altes und neues Statut angeknüpft 139, oder, andersherum gewendet: die Frage der Fehlerhaftigkeit wird kumulativ altem und neuem Statut unterstellt 140. Offenbar ist man der Auffassung, daß die Parteien typischerweise ein materiellrechtliches Interesse an Gültigkeit ihrer Ehe haben. Stimmt dieses bei einem Staatsangehörigkeitswechsel mit dem kollisionsrechtlichen Interesse an Anwendung des neuen Heimatrechts überein, "verbessert" sich die Ehe also, wandelt sich das Statut; steht das Gültigkeitsinteresse im Widerspruch zum kollisionsrechtlichen Interesse an Anwendung des neuen Heimatrechts -weil sich die Ehe dadurch "verschlechterte" -, beläßt man es bei dem alten Statut. Hier ist aber einem Irrtum entgegenzuwirken: Ein Sachrecht, nach dem die Ehe fehlerhaft ist, muß nicht notwendig für beide Parteien ungünstig sein. Es ist vielmehr nach dem Sinn des jeweiligen Ehehindernisses zu unterscheiden: Unter den Ehehindernissen gibt es zum einen solche, die eine Heirat im vorwiegend öffentlichen Interesse unterbinden wollen1 41, wie z.B. verbotene Verwandtschaftsgrade oder das Verbot der Doppelehe. Bei diesen objektiven Ehehindernissen ist die Anknüpfung an das Personalstatut weniger des Inhalts der Normen wegen geboten als vielmehr wegen des Gegenstands, den sie regeln, nämlich die Eheschließung. Man hätte sich demgegenüber auch auf den Standpunkt stellen können, daß solche Hindernisse als eher öffentlichen Interessen dienend dem Recht eines Staates unterliegen müssen, der von der

136 Z.B. MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 13; Hirschfeld, S. 100; oben 1. Kap. AI. 137 Dazu oben B I. 138 Näher Schurig, Kollisionsnorm, S. 204-209. 139 Vgl. Soergel/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 34. 140 Zur Austauschbarkeit von alternativer und kumulativer Anknüpfung Schurig, Kollisionsnorm, S. 206. 141 S. die Zusammenstellung bei MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 35-66.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB Heirat besonders betroffen ist (etwa dem Recht des Aufenthaltsstaates142, weil dort die Ehe geführt wird, oder dem Recht des Eheschließungsorts, weil dort der - möglicherweise unerwünschte - Tatbestand stattfmdet, dem der Rechtsverkehr "zusehen" kann, oder auch - insoweit liefe das Parteiinteresse parallel - dem Recht des Heimatstaats, weil es um dessen Angehörige geht). Die gesetzliche Regelung und ihre Begründung 143 machen aber deutlich, daß man die Ehevoraussetzungen insgesamt im Parteiinteresse angeknüpft hat144.

Die Fehlerhaftigkeit einer Ehe wegen eines solchen objektiven Ehehindernisses wird in der Regel zu dem sachrechtliehen Interesse der Parteien an Gültigkeit ihrer Verbindung im Widerspruch stehen. Eine Ausnahme mag für das Ehehindernis der Doppelehe gelten: Wußte der zweite Ehepartner nichts von der Erstehe, wird er häufig ein Interesse an Vernichtung der Zweitehe haben. Gewährt ihm die anwendbare Rechtsordnung ein Vernichtungsrecht (wie das deutsche Recht, § 24 Abs. 1 EheG), so aber nicht in erster Linie seines eigenen, sondern des öffentlichen Interesses wegen: Der zweite Partner hat das Vernichtungsrecht auch dann, wenn er bei Eheschließung von der Erstehe wußte; auch der Bigamist selbst hat i.d.R. ein Vernichtungsrecht, was ebenfalls für den objektiven Charakter des Ehehindernisses spricht.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Normen, die die vorrangig dem

Schutz der Verlobten vor Eingebung einer Ehe dienen.

Solche Schutznormen sind zum einen Vorschriften über Ehemündigkeit, Geschäftsfahigkeits- und diesbezügliche Zustimmungserfordernisse sowie das Erfordernis eines eigenen Ehewillens der Verlobten145. Wird die Eheschließung aus derartigen Gründen im anwendbaren Recht verweigert, so geschieht das zugunsren der geschützten Partei, ebenso wenn die dennoch geschlossene Ehe dann angreifbar ist. Die Anwendung dieser Rechtsordnung liegt somit, obwohl eheunfreundlich, im kollisions- wie im (objektiv 146 verstandenen) sachrechtliehen Interesse der betreffenden Partei. Schutzvorschriften sind außerdem solche, die Rechtsfolgen vorsehen, wenn einer der Eheschließenden in der freien Willensbildung durch Zwang oder 142 Vgl. Lüderitz, Festschr. Kegel1977, S. 47. 143 S. RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 52: Anwendung des Heimatrechts auf Eheschließungsvoraussetzungen "rechtfertigt sich aus den allgemein die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in personen- und familienrechtlichen Angelegenheiten tragenden Erwägungen". 144 S. auch MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 35: Unterstellung grundsätzlich aller Ehehindernisse unter Art. 13 "empfiehlt sich". 145 Vgl. die Einteilung bei MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 27-32. 146 Subjektiv kann die Partei natürlich trotz des Schutzes an der Eheschließung "interessiert" sein (z.B. ein Geschäftsunfähiger).

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Irrtum beeinträchtigt wurde. In seinem sachrechtliehen Interesse liegt dann nicht unbedingt die Gültigkeit der Ehe, sondern vielmehr ein durch das anwendbare Recht ggf. gewährtes Authebungsrecht. Auch Formvorschriften dienen dem Schutz der Verlobten, soweit sie den Zweck verfolgen, den Partnern die Bedeutung und Tragweite ihres Entschlusses vor Augen zu fiihren 147 . Da das deutsche IPR aber für die Form einer Auslandseheschließung neben dem Heimatrecht nach Art. 11 Abs. 1 alternativ auch das Ortsrecht zuläßt, dessen formelle Anforderungen ja durchaus erheblich geringer sein können als die des Heimatrechts, bringt es zum Ausdruck, daß es den möglicherweise bestehenden Schutz durch die Heimatform gerade nicht durchsetzen will. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, daß ein Staatsangehörigkeitswechsel immer und ausschließlich dann beachtlich sein soll, wenn dadurch die Ehegültigkeit begünstigt wird. Im sachrechtliehen Interesse der Parteien kann - wie gezeigt - durchaus auch die Fehlerhaftigkeit der Ehe liegen. Die unreflektierte Berufung auf einen "favor matrimonii"148 blendet den Schutzcharakter derartiger Vorschriften aus und rückt einseitig die für die Parteien belastende Komponente in den Vordergrund. Unterstellt, es ist grundsätzlich zulässig, vom Anknüpfungszeitpunkt des Art. 13 Abs. 1 abzuweichen, ergeben sich aus dem Vorhergesagten mehrere Fragen. Erstens: Kann es richtig sein, daß eine nach altem Statut fehlerhafte Ehe auch dann durch Staatsangehörigkeitswechsel geheilt wird, wenn die Fehlerhaftigkeit auf Schutznormen beruht, wenn also kein sachrechtliebes Gültigkeitsinteresse der geschützten Partei besteht149? Zweitens: Wird es den Interessen gerecht (wird es gar von ihnen gefordert), nur eine Verbesserung der Ehegültigkeit durch Staatsangehörigkeitswechsel zuzulassen, nicht dagegen eine Verschlechterung? Bei der Untersuchung, ob und wann von Art. 13 Abs. 1 abgewichen werden kann, sind diese beiden Fragen rniteinzubeziehen.

147 Zu diesem Zweck der Eheschließungsform s. z.B. Beitzke/Lüderitz, FamR, S. 45; Thomas, S. 123 f. 148 Z.B. Hirschfeld, S. 102; Plaut, S. 65. Anders dagegen Staudinger/ Gamillscheg10/1l, Art. 13, Rnr. 90, der derartige "subjektive" Eheschließungsfehler von einer Heilung ausnimmt (Art. 13, Rnr. 110, 119), allerdings zu Unrecht auf den Fall beschränkt, daß die Frau "auf Grund" der Ehe die Staatsangehörigkeit des Mannes erwirbt. 149 Dazu näher unten m 2 d.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

c) Stabilitätsinteressen der Parteien aa) Vorbemerkung Neben dem kollisionsrechtlichen Interesse an Anwendung der persönlich nächsten Rechtsordnung und dem materiellrechtlichen Interesse an einem bestimmten Ergebnis kann noch ein weiteres Parteiinteresse existieren, nämlich das Interesse an dauerhafter Beurteilung der Ehegültigkeit nach dem zur Zeit der Eheschließung anwendbaren Recht. Möglicherweise vertrauen die Parteien auf die Rechtslage, die sich bei Anwendung des ursprünglichen Heimatrechts ergibt; dann haben sie ein Interesse an stabiler Beurteilung der Ehegültigkeit (auch als Kontinuitätsinteresse bezeichnet150). Ein solches Stabilitätsinteresse kann im Hinblick auf die Beurteilung durch unterschiedliche Staaten bestehen: Haben sich die Partner auf die nach dem alten Heimatrecht bestehende Rechtslage eingerichtet, so sind sie möglicherweise daran interessiert, im neuen Heimatstaat genauso wie im alten Heimatstaat vor dem Wechsel der Staatsangehörigkeit behandelt zu werden. Hierbei geht es den Parteien also um das Urteil des neuen Heimatstaats. Weiterhin können die Parteien ein Interesse daran haben, daß sich die Beurteilung des alten Heimatstaats vor und nach dem Wechsel der Staatsangehörigkeit nicht ändert. Möglicherweise ist ihr Interesse auch auf die Beurteilung durch einen Drittstaat bezogen. Diese Stabilitätsinteressen und ihre Bedeutung für die Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 sollen im folgenden näher untersucht werden.

bb) Einbürgerung von Ausländern in Deutschland (1) Einleitung Dem Interesse, im neuen Heimatstaat so behandelt zu werden wie im alten, trägt die Unwandelbarkeit unserer Kollisionsnorm zunächst dann Rechnung, wenn wir selbst der neue Heimatstaat sind, also in Fällen, in denen Ausländer in Deutschland eingebürgert werden. Maßgebend ist dann nicht mit dem l50 Lüderitz, Festschr. Kegel 1977, S. 38 f; es ist von dem oben genannten allgemeinen Kontinuitätsinteresse an gleichbleibender Rechtsanwendung zu unterscheiden, vgl. auch Schurig, Kollisionsnorm, S. 199 Fn. 682. Das Kontinuitätsinteresse an Stabilität der Anknüpfung bezieht sich auf den Norminhalt selbst, nicht auf die Anwendung der einmal aufgestellten Norm.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Staatsangehörigkeitswechsel deutsches Recht, sondern weiterhin das ursprüngliche Heimatrecht. Die unwandelbare Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit unmittelbar vor Eheschließung führt allerdings nicht denknotwendig zur seihen sachlichen Beurteilung wie im alten Heimatstaat vor dem Staatsangehörigkeitswechsel. Theoretisch denkbar ist nämlich auch die Möglichkeit, daß der alte Heimatstaat wandelbar anknüpft. Da unsere Verweisung !PR-Verweisung ist (Art. 4 Abs. 1), hätten wir dem zu folgen und die Rückverweisung anzunehmen (Art. 4 Abs. 1 S. 2). Das Vertrauen auf die sachliche Rechtslage, die sich bei Anwendung des alten Heimatrechts vor dem Staatsangehörigkeitswechsel ergibt, würde dann also nicht berücksichtigt. Dennoch will Art. l3 Abs. 1 diesem Vertrauen Rechnung tragen: Durch eine unsererseits unwandelbare Anknüpfung ist zumindest die Chance gegeben, daß die Ehe der Parteien nach dem Staatsangehörigkeitswechsel ebenso beurteilt wird wie vorher, während es bei einer wandelbaren Anknüpfung zwangsläufig zu einer Neubeurteilung kommen würde.

(2) Verschlechterung Ist die Ehe nach dem ehemaligen ausländischen Heimatrecht wirksam, so haben die Parteien bei einer Einbürgerung in der Regel ein Interesse an stabiler Beurteilung durch uns. Sollten sie kein Interesse an stabiler Beurteilung der Ehe als wirksam haben, betrifft das nicht die zurückliegende Eheschließung, sondern entspringt dem nachträglichen Wunsch nach Auflösung151. Dem Interesse an Lösung von einer wirksamen Ehe dienen aber nicht die von Art. 13 Abs. l berufenen Normen über die Eheschließung, sondern diejenigen über Ehescheidung, die von Art. 17 berufen werden. Ein für den Anknüpfungszeitpunkt des Art. 13 Abs. l relevanter Interessenschwund ist bei einer solchen Konstellation von vornherein nicht gegeben.

Wäre das Eheschließungsstatut wandelbar, wäre die (ursprünglich wirksame) Verbindung der Parteien an den deutschen sachrechtliehen Eheschließungsvorschriften zu messen; die wirksame Ehe könnte also zu einer vernichtbaren oder gar zu einer Nichtehe werden. hn deutschen sachlichen Eheschließungsrecht kommt allerdings letzteres nur bei mangelndem Ehekonsens und Geschlechtsgleichheit in Betracht, Fälle, die selten praktisch werden und zudem bereits an unserem ordre public scheitern dürf-

151 Vgl. (für den - umgekehrten - Fall, daß Deutsche Ausländer werden - dazu unten cc -) Staudinger/von Bar/Mankowski1 3, Art. 13, Rnr. 88.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB ten152. Wandelbarkeit würde aber jedenfalls dann zu einer Nichtehe nach deutschem Recht führen, wenn Partner einer in einem Drittstaat in der (von Art. 11 Abs. 1 alternativ berufenen) Heimatform geschlossenen Ehe hier eingebürgert würden: Die nach dem ursprünglichen Heimatrecht formgültige Eheschließung müßte nach den deutschen Formvorschriften über die standesamtliche Eheschließung beurteilt werden.

Damit würde das Vertrauen in die dauerhafte Gültigkeit der einmal wirksam geschlossenen Ehe enttäuscht. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung1 53: Ein mit einer Deutschen verheirateter Jordanier schließt in Jordanien eine nach dem gemeinsamen Heimatrecht erlaubte Zweitehe mit einer Jordanierin; diese Ehe ist auch aus unserer Sicht gültig (einen Verstoß gegen den deutschen ordre public [Art. 6 EGBGB], den das Gericht für den Fall erwogen hat, daß der Mann in Deutschland mit zwei Ehefrauen zusammenlebte, verneinte es 154 , da die Erstehe mittlerweile geschieden war). Dann haben die Parteien ein Interesse daran, daß sich an dieser Beurteilung auch dadurch nichts ändert, daß eine oder beide Parteien in Deutschland eingebürgert werden. Die Gültigkeit der Zweitehe wurde dementsprechend auch nach der Einbürgerung des Mannesaufgrund von Art. 13 Abs. 1 bejaht155. Auch wenn nach deutschem Recht - im Gegensatz zum ursprünglichen Heimatrecht - subjektive Eheschließungsmängel gegeben wären (etwa Aufhebbarkeit wegen nach altem Heimatrecht unbeachtlicher Willensmängel oder fehlender Einwilligung der gesetzlichen Vertreter), kann ein Stabilitätsinteresse einer oder beider Parteien daran bestehen, daß die Ehe, die bisher volle Wirksamkeit entfaltete, nicht nunmehr wegen Mangelhaftigkeit des Eheschließungsakts beseitigt werden kann. Ebenso können die Parteien ein Interesse daran haben, daß sich eine nach dem ursprünglichen Heimatrecht fehlerhafte Ehe nicht noch verschlechtert, also etwa eine ex nunc aufhebbare Ehe nicht ex tune vernichtet werden kann oder eine (ex tune oder ex nunc) vernichtbare Ehe zur Nichtehe156 wird.

l52 MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 30, 38; Soergel/Schurig12, Art. 13, Rnr. 128 (betr. Ehen "im eigentlichen Sinne" zwischen Gleichgeschlechtlichen); s. auch unten 5. Kap. C II 3. 153 OLG Hamm (12.9.86), IPRspr. 1986, Nr. 53 = StAZ 1986, 352. 154 OLG Hamm, a.a.O.; kritisch Kegel, IPR, S. 380 (§ 16 VI 2). 155 OLG Hamm, a.a.O. 156 Während an die Nichtehe regelmäßig keinerlei Rechtsfolgen geknüpft sind, hat die vernichtbare Ehe oft zumindest kindschafts- und vermögensrechtliche Folgen, vgl. im deutschen Recht§ 1591 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB, §§ 26, 37 EheG.

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(3) Verbesserung Stabilitätsinteressen richten sich aber nicht nur gegen eine Verschlechterung einer Ehe; sie können ebensogut gegen eine Verbesserung sprechen: Erfahren die Parteien nach der "Eheschließung", daß ihre Verbindung nach dem (derzeitigen) Heimatrecht eine Nichtehe ist, und wollen sie diesen Mangel - aus welchen Gründen auch immer - nicht durch eine erneute Eheschließung beheben (auch z.B. wenn sie sich damit abgefunden haben, daß sie ihn nicht beheben können, weil das Gesetz eine Ehe zwischen ihnen verbietet), besteht ein Interesse an stabiler Beurteilung der Ehe als nichtexistent I 57 . Ein Wirksamwerden der Nichtehe, weil nach deutschem Sachrecht die Eheschließung gültig wäre, widerspräche diesem Interesse. Die Parteien haben vielleicht inzwischen andere Partner gefunden, die sie heiraten wollen oder schon geheiratet haben.

Es stellt sich die Frage, ob auch bei der nur vernichtbaren Ehe möglicherweise ein Interesse der Parteien daran besteht, die fehlerhafte Ehe weiterhin nach der alten Rechtsordnung zu beurteilen. Diese Frage könnte bei der lediglich vernichtbaren Ehe deshalb anders zu beantworten sein, weil es sich anders als bei der Nichtehe-jagerade um eine (noch) wirksame Ehe handelt. Die Parteien können eben nicht einfach auseinandergehen, sondern sind auf ein Gerichtsurteil angewiesen, das ihre Ehe vernichtet. Vertrauen auf stabile Beurteilung als fehlerhafte Ehe kann hier also nicht dazu führen, daß die Parteien bar jeder Verpflichtung aus der Ehe leben und beispielsweise erneut heiraten können. Das bedeutet aber nicht, daß es ein solches Interesse an stabiler Beurteilung als vernichtbare Ehe nicht geben kann: Stellt sich nach Eheschließung die Fehlerhaftigkeit der Ehe heraus, und will ein oder wollen beide Ehepartner mit Rücksicht auf eine noch zu erhebende oder bereits erhobene Klage nicht mehr an der Ehe festhalten, so ist auch hier ein Interesse daran anzuerkennen, daß das Recht, den Fehler geltend zu machen, nicht durch einen Staatsangehörigkeitswechsel verloren geht. Auch wenn man noch keine anderweitige Ehe schließen durfte, so können die Ehegatten doch im Vertrauen auf die Mangelhaftigkeit ihrer Eheschließung auseinandergegangen sein und andere Partner gefunden haben, die sie -nach Erlaß eines entsprechenden Urteils - zu heiraten beabsichtigen. Ein solches Vertrauen auf die Mangelhaftigkeit der Ehe kann nicht nur bei subjektiven, sondern auch bei solchen Fehlern gegeben sein, deren Geltendmachung 157 Anerkannt z.B. auch von Staudinger/Gamillschegl0/11, Art. 13, Rnr. 114; Hirschfeld, S. 107.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB vorrangig öffentlichen Interessen dient 158 , sofern das ursprüngliche Heimatrecht auch bei derartigen Fehlern einem oder beiden Ehepartnern ein subjektives Vernichtungsrecht gewährt. Ist letzteres allerdings nicht der Fall - hat also beispielsweise nur der Staatsanwalt ein Klagerecht, dessen Ausübung in seinem Ermessen steht -, konnten die Eheleute schon unter altem Recht nicht anderweitig "disponieren"; ein Vertrauen auf Vernichtbarkeit kann dann nicht entstanden sein.

Demgegenüber meint Hirschfeld, das Vertrauen auf Fehlerhaftigkeit und dadurch bedingte Auflösbarkeit der Ehe sei nicht schützenswert: Das Eingehen einer Ehe in der Erwartung, diese wegen eines bestimmten bereits bestehenden Grundes später wieder auflösen zu können, stehe im Widerspruch zum Wesen der Ehe und zu dem Eheschließungsversprechenl59. Insoweit ist Hirschfeld zwar zuzustimmen. Damit sind aber noch nicht die Fälle angesprochen, in denen sich erst nach Eheschließung ein Mangel herausgestellt hat und die Partner daraufhin auseinandergegangen sind. Hirschfeld folgert, das Abschneiden der auf der Fehlerhaftigkeit der Eheschließung beruhenden Erwartungen bedeute daher keine Beeinträchtigung des Vertrauensgrundsatzes,

"sofern die Ehegatten aus der Fehlerhaftigkeit nicht bereits Konsequenzen gezogen und Aufhebungs- bzw. Nichtigkeitsklage erhoben haben oder ... inzwischen getrennt leben" 160 . Gerade die letzte Einschränkung zeigt aber doch,

daß er das Vertrauen in die Vernichtbarkeit für prinzipiell schützenswert hält. Daher ist es widersprüchlich, wenn er eine Heilung durch Anwendung des neuen Rechts bei vernichtbaren Ehen (im Gegensatz zu Nichtehen, wo er Zusammenleben als Ehegatten bei Staatsangehörigkeitswechsel verlangtl61) ohne weitere Einschränkungen befürwortetl62. Ein Schützenswertes Vertrauen auf Vernichtbarkeit einer Ehe wird auch in anderem Zusammenhang von der deutschen Rechtsordnung anerkannt. Die intertemporale Vorschrift des Art. 198 EGBGB enthält in Abs. 2 eine Ausnahme von dem Grundsatz des Abs. 1, nach dem sich die Gültigkeit einer vor lokrafttreten des BGB geschlossenen Ehe nach bisherigem Recht richtet: Danach sind nach altem Recht nichtige oder ungültige Ehen von Anfang an gültig, wenn ein entsprechender Grund nach den Vorschriften des BGB nicht gegeben wäre oder keine Auswirkungen mehr hätte. Diese Ausnahme wird aber explizit auf den Fall beschränkt, daß "die Ehegatten zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch als Ehegatten miteinander leben" . Eine Unterscheidung zwischen nicht zustande gekommenen und nur vernichtbaren 158 Zur Unterscheidung s. oben ill 2 b. 159 Hirschfeld, S. 106.

160 Hirschfeld, S. 106 (Hervorhebung nicht im Original). 161 Hirschfeld, S. 107 f. 162 Hirschfeld, S. 100, 112.

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Ehen wird insoweit nicht getroffen: auch bei letzteren ist das Zusammenleben "als Ehegatten" Voraussetzung für die Anwendung des neuen Rechts 163. Stabilitätsinteressen dürften auch der eigentliche Grund dafür sein, daß Siehr Zusammenleben "unter" dem Heilungsstatut verlangt 164, wobei er es selbst als bloßes "Indiz" dafür bezeichnet, daß die Partner im Zeitpunkt des Statutenwechsels noch aneinander festhalten165. Mehr kann es in der Tat nicht sein; man denke nur an den Fall, daß ein Zusammenleben aus beruflichen Gründen - zumindest vorübergehend - nicht möglich ist: es zur normativen Voraussetzung zu machen, geht darum zu weit. Das Erfordernis, auf das es unter dem Gesichtspunkt der Stabilitätsinteressen ankommt, ist das "Aneinander-Festhalten", ob die Parteien jetzt - wie in der Regel - zusammenleben oder nicht. Leben sie beim Staatsangehörigkeitswechsel nicht zusammen, so kann sich der Ehewille aus anderen Umständen ergeben, z.B. entsprechenden Äußerungen untereinander oder gegenüber Dritten. Siehr rechtfertigt das Erfordernis des Zusammenlebens u.a. mit der Überlegung, andernfalls sei die Beziehung des Heilungsstatuts zum Sachverhalt zu locker, als daß sich eine Ausnahme von der Grundsatzanknüpfung rechtfertigen Iieße 166. Diese Begründung überzeugt jedoch nicht. Der Sachverhalt, um den es geht, ist die Eheschließung, und das hierfür anwendbare Recht wird durch die Beziehung der Parteien zu jeweils einem konkreten Staat bestimmt. Für die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Sachverhalts Eheschließung kommt es also auf die "engste Verbindung" der Parteien zu einem Staat an. Diese Verbindung zwischen den Parteien und ihrem jeweiligen Heimatstaat wird nicht dadurch "lockerer" , daß sie nicht zusammenleben. Die Bestimmung des Eheschließungsstatuts hängt nicht davon ab, ob die Parteien die Lebensgemeinschaft aufnehmen oder fortsetzen. Dann kann das Zusammenleben aber auch kein Kriterium für die Intensität der Verbindung zwischen der Rechtsordnung eines späteren Heimatstaates zum Sachverhalt Wirksamkeit der Eheschließung sein. Leben die Parteien beim Wechsel der Staatsangehörigkeit nicht zusammen (richtiger: halten sie nicht aneinander fest, vgl. soeben), ist daher nicht etwa aus diesem Grunde167 die Beziehung des Heilungsstatuts zum Sachverhalt zu locker, sondern die Beziehung der Parteien untereinander ist zu "locker", als daß sie mit der Anwendung des neuen Statuts "gesegnet" werden wollten. Das aber ist nichts anderes als das oben beschriebene Stabilitätsinteresse.

163 Siehe 2. Kommission, Mugdan I, S. 239 (Protokolle, S. 9060): "Konvaleszenz, auch wenn sie auf materielle Mängel der Ehe erstreckt werden sollte, (habe) jedenfalls insofern eine Schranke zu fmden ... , als noch res integra sein muß". 164 Siehr, Heilung, S. 150, oben 1. Kap. A III. 165 Siehr, Heilung, S. 152. 166 Siehr, Heilung, S. 151, oben 1. Kap. A III. 167 Wohl aber u.U. wegen des zeitlichen Bezugs des Parteiinteresses, dazu näher unten e.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB Siehr stützt das Erfordernis des Zusammenlebens unter der heilenden Rechtsordnung weiterhin auf den Gesichtspunkt, daß sich ein Partner treuwidrig verhalte, wenn er sich in einem derartigen Fall auf einen Eheschließungsfehler berufe168. Hier wird aber "das Pferd vom Schwanz aufgezäumt": Treuwidriges Verhalten kann innerhalb des anwendbaren Sachrechts u.U. dazu führen, daß man sich auf einen gegebenen Eheschließungsfehler nicht berufen darf169. Damit kann man aber nicht die Berufung eines Sachrechts begründen, nach dem der Eheschließungsfehler gar nicht besteht und das dementsprechend ohne den Gesichtspunkt der Treuwidrigkeit auskommt.

Abschließend ist festzuhalten: Die unwandelbare Anknüpfung des Eheschließungsstatuts dient zunächst dem Interesse von Ausländern, bei einer Einbürgerung in Deutschland genauso behandelt zu werden wie im früheren Heimatstaat, und zwar sowohl im Hinblick auf eine fehlerlose wie auch auf eine fehlerhafte Ehe.

cc) Einbürgerung Deutscher im Ausland Ist die Situation umgekehrt, werden also Deutsche Ausländer, kann unsere Kollisionsnorm dem oben beschriebenen Interesse an stabiler Beurteilung durch den neuen Heimatstaat dagegen dem ersten Anschein nach keine Rechnung tragen: Auf die Beurteilung durch einen ausländischen Staat haben wir keinen unmittelbaren 170 Einfluß. Auch mit einer unwandelbaren Anknüpfung können wir nicht verhindern, daß der neue (ausländische) Heimatstaat die Eheschließung anders beurteilt als der alte Heimatstaat. Die Entscheidung bestimmter Staaten können wir allerdings mittelbar beeinflussen: derjenigen Staaten nämlich, die eine Kollisionsnormverweisung auf das Heimatrecht bei Eheschließung aussprechen. Jene Staaten würden für ehemalige Deutsche nach deutschem Recht entscheiden. Knüpfen wir unwandelbar an, bleibt es also auch im neuen Heimatstaat bei der ursprünglichen Beurteilung nach deutschem Recht; dem Interesse, im neuen Heimatstaat so behandelt zu werden wie im alten, wird durch unsere unwandelbare Anknüpfung somit Rechnung getragen. Knüpften wir dagegen wandelbar an die jeweilige Staatsangehörigkeit an, änderte sich u.U. auch die Meinung des neuen Heimatstaats: Er müßte - bei Beachtung der Rückverweisung - sein eigenes 168 Siehr, Heilung, S. 151, s.o. 1. Kap. A ill. 169 S. näher unten 5. Kap. BIll. 170 Einen mittelbaren Einfluß haben wir dagegen bereits dadurch, daß wir unsere Kollisionsnorm so interessengerecht gestalten, daß sie für andere Staaten Vorbildfunktion gewinnt; vgl. Kegel, IPR, S. 86 (§ 2 ll 3 a).

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Recht anwenden. Im Verhältnis zu diesen Staaten hat also die Unwandelbarkeit unserer Anknüpfung eine erhebliche Bedeutung. Anders verhält es sich aber in den Fällen, in denen aufgrund einer abweichenden kollisionsrechtlichen Entscheidung im neuen Heimatstaat ein anderes Recht für die Eheschließung gilt. Hat der neue Heimatstaat die Ehe infolge einer Abweichung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung von Anfang an anders beurteilt17l, so hat er seinerseits keinen Anlaß, das Vertrauen der Parteien auf dauerhafte Anwendung des ursprünglichen Heimatrechts zu schützen. In diesen Fällen haben die Partner bereits vor dem Staatsangehörigkeitswechsel in einer hinkenden Ehe gelebt.

Wird demnach im neuen Heimatstaat- in dem Staat also, zu dem die Parteien nunmehr typischerweise ihre engste Verbindung haben, in dem sie in den meisten Fällen auch leben - das Interesse der Parteien, so behandelt zu werden wie im alten Heimatstaat Deutschland, nicht berücksichtigt, könnte man Zweifel am Sinn der unwandelbaren Anknüpfung haben: Es geht zum einen um Fälle, in denen Parteien, die aus deutscher Sicht in wirksamer Ehe gelebt haben, in ihrem neuen Heimatstaat als fehlerhaft oder überhaupt nicht verheiratet gelten (weil man dort die Eheschließung z.B. nach Wohnsitzrecht, dem Recht des Heiratsstaats oder auch wandelbar nach dem neuen Heimatrecht beurteilt172). Einer Nichtigkeitsklage beispielsweise, die der dortige Staatsanwalt - auf die nach neuem Heimatrecht bestehende Rechtslage gestützt - erhöbe, würde dort ggf. stattgegeben. Welcher Grund könnte dann bestehen, daß wir in unserer Beurteilung nach altem Heimatrecht stabil bleiben und weiterhin von der Wirksamkeit der Ehe ausgehen? Oder umgekehrt: Auch wenn die Ehe bisher für uns nach deutschem Sachrecht (etwa wegen des Verbots der Doppelehe) nichtig war, welches Interesse könnten die Parteien daran haben, daß einer Nichtigkeitsklage, die im neuen Heimatstaat abgewiesen würde, weil die Ehe aus dessen Sicht wirksam ist (da beispielsweise nach dem aus seiner Sicht anwendbaren Sachrecht die Doppelehe nach Auflösung der Erstehe generell nicht mehr sanktioniert wird)173, stattgegeben wird? 17 1 Oben II 2. 172 Zu den Ursachen divergierender Beurteilung näher oben D II. 173 Ist allerdings die Zweitehe aus Sicht des neuen Heimatstaates deshalb wirksam, weil dieser - im Gegensatz zu uns - die Erstehe als nicht (mehr) bestehend ansieht, haben wir es zusätzlich mit der Vorfragenproblematik zu tun: Bei - zu befürwortender - selbständiger Anknüpfung ist auch für die Frage des Besteheus der Erstehe von unserem IPR auszugehen (s. oben 2. Kap. D 111), so daß sich an der Beurteilung als Doppelehe selbst bei wandelbarer Anknüpfung des Statuts der Zweitehe nichts änderte; s. auch unten D m 3 a dd (2).

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Dieselbe Frage stellt sich bei subjektiven Eheschließungsmängeln: Wenn ein nach deutschem Recht zur Aufhebung berechtigender Willensmangel gegeben ist, den der betreffende Partner in seinem neuen Heimatstaat aber nicht geltend machen kann, welches Interesse kann er dann daran haben, daß wir seiner Aufhebungsklage dennoch stattgeben? Zusammengefaßt läßt sich fragen: Kann es ein Interesse der Parteien daran geben, daß wir trotz anderslautender Beurteilung durch den neuen Heimatstaat an unserer urspiÜnglichen Meinung festhalten? Hierauf gibt es keine pauschale Antwort. Haben wir Einfluß auf die Entscheidung des neuen Heimatstaats- weil wir selbst neuer Heimatstaat sind174 oder der neue Heimatstaat auf unser Recht verweist 175 -, sind die Stabilitätsinteressen allein auf unsere Anknüpfungsentscheidung bezogen. Anders liegen die Dinge aber, wenn der neue (ausländische) Heimatstaat die Wirksamkeit der Eheschließung anders anknüpft: Diese bereits gegebene Entscheidung des neuen Heimatstaats beeinflußt u. U. die Interessen, die sich auf eine Beurteilung durch uns beziehen: Haben sich die Parteien auf die Rechtslage nach dem neuen Heimatrecht eingestellt (also beispielsweise darauf, daß ihre nach deutschem Recht wirksame Ehe nach neuem Heimatrecht nicht besteht, oder umgekehrt darauf, daß ihre in Deutschland nichtige Ehe im neuen Heimatstaat volle Gültigkeit entfaltet), so sind sie möglicherweise daran interessiert, daß auch der alte Heimatstaat Deutschland seine Meinung ändert. Erfolgte z.B. im Vertrauen darauf, daß die Ehe im neuen Heimatstaat nicht anerkannt wird, eine Trennung, so läge es u. U. nicht im Interesse der Parteien, wenn wir weiterhin von der Wirksamkeit der Ehe ausgingen176. Leben sie mit dem Wissen, daß ihr neuer Heimatstaat die fehlerhafte Ehe als voll gültig anerkennt und eine erneute Eheschließung daher dort entbehrlich oder gar nicht möglich ist, zusammen, so wird ihr Interesse darauf gerichtet sein, daß auch wir die Ehe nunmehr als voll gültig akzeptieren. Die Partner haben also dann keine Stabilitätsinteressen, wenn sie sich auf die Entscheidung des neuen Heimatstaats eingestellt haben. Das kann einmal darauf beruhen, daß sie trotz ihres kollisionsrechtlichen Interesses an Anwendung des alten Heimatrechts aus dessen sachrechtlicher Entscheidung keine Konsequenzen gezogen haben und ihrem materiellen Interesse die Beurteilung des neuen Heimatstaats entspricht. 174 Oben III 2 c bb. 175 Dazu soeben. 176 Zur Relevanz dieses Interesses in derartigen Fällen unten III 2 e cc.- Der Hinweis auf "bloß vorgeschobene Gründe" greift hier - anders als oben bb (2) - angesichts der gegebenen abweichenden Beurteilung durch den neuen Heimatstaat zu kurz; so aber Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 88.

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Zum anderen ist auch möglich, daß sie sich von vornherein dem späteren Heimatrecht verbundener fühlten, wenn beispielsweise ihr kollisionsrechtliches Interesse auf Anwendung des Aufenthaltsrechts bei Eheschließung gerichtet war.

Aus den vorhergehenden Überlegungen läßt sich die Erkenntnis gewinnen, daß das Vertrauen der Parteien nicht a priori gegen eine "Verschlechterung" der Ehe spricht, wie dies die Befürworter einer Heilung offenbar annehmen, wenn sie wirksame Ehen von der Anwendung des neuen Statuts ausnehmen177 • Haben sich die Parteien auf die nach dem neuen Heimatrecht bestehende Rechtslage eingerichtet, so macht es keinen Unterschied, ob danach die Ehe besser oder schlechter beurteilt wird als nach altem Heimatrecht. Angenommen, Deutsche heiraten in einem Staat, in dem für die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen das Recht des Heiratsorts gilt; danach ist die Ehe wirksam, während sie nach deutschem Recht vernichtbar ist. Später wandern die Partner in den betreffenden Staat aus und erwerben dessen Staatsangehörigkeit. Halten die Partner an der Ehe fest, sind Stabilitätsinteressen an Anwendung des ursprünglichen (deutschen) Heimatrechts zu verneinen. Nichts anderes gilt aber im umgekehrten Fall, wenn die Ehe nach deutschem Recht wirksam, nach dem ausländischen dagegen vernichtbar ist und sich die Parteien im Hinblick auf die Vernichtbarkeit nach dem neuen Heimatrecht getrennt haben. Ein Vertrauensinteresse der Parteien daran, daß wir bei unserer Auffassung bleiben, besteht nicht. Dennoch wäre nach den Verfechtern einer Heilbarkeit auf die Ehegültigkeit ab Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit im ersten Fall das neue Heimatrecht anzuwenden, während es im zweiten Fall beim deutschen Recht bliebe.

Die Ungleichbehandlung beider Fallgruppen ist daher jedenfalls nicht allein durch das Vertrauen der Parteien zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, wenn das kollisionsrechtliche Parteiinteresse von vornherein auf Anwendung des späteren Heimatrechts gerichtet war.

Denkbar ist aber auch die umgekehrte Konstellation, daß die Parteien sich trotz anderer Behandlung im neuen Heimatstaat an die ursprünglich bestehende Rechtslage gebunden fühlen; dann ist ihnen weiterhin an kontinuierlicher Beurteilung durch uns gelegen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es um Folgewirkungen geht, die nicht im neuen Heimatstaat, sondern bei uns eintreten. Dazu folgendes Beispiel: Zwei in wirksamer Ehe lebende Deutsche wandern aus und werden in einem Staat eingebürgert, der die Ehe aus welchen Gründen auch immer nicht anerkennt (für den es sich also um eine Nichtehe handelt); dessen ungeachtet leben sie weiter als Eheleute in diesem Staat zusammen; nach dem Tod des einen beantragt der andere für das noch in Deutschland befindliche Vermögen des Partners einen Erbschein nach § 2369 177 Oben 1. Kap. AI. 8 Voit

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BGB. Hier kann man kaum sagen, ein Schützenswertes Interesse des überlebenden Gatten daran, daß wir bei unserer Beurteilung der Ehe nach deutschem Recht bleiben, gebe es nicht, da seine Ehe im neuen Heimatstaat ohnehin nicht bestanden hätte. Auch, wenn die Ehegültigkeit als Hauptfrage zur Debatte steht (also z.B. im Inland auf Nichtigkeit oder Aufhebung der Ehe geklagt wird), kann es ein Interesse daran geben, daß wir bei unserer ursprünglichen Auffassung bleiben178, da nur so etwaige Folgewirkungen, die bei uns eintreten, erhalten oder beseitigt werden können. Unwahrscheinlich ist es dagegen, daß ein Urteil, das wir über die Ehegültigkeit fällen, im neuen Heimat- und Aufenthaltsstaat anerkannt wird1 79, so daß sich auf dem Umweg über das Verfahrensrecht die Meinung des neuen Heimatstaats änderte und nunmehr mit unserer Beurteilung übereinstimmte.

Es ist festzuhalten, daß auch bei einer Einbürgerung Deutscher im Ausland Stabilitätsinteressen im bezug auf kontinuierliche Beurteilung durch uns bestehen können. Auch diesen Interessen trägt die unwandelbare Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 somit Rechnung.

dd) Einbürgerung von Ausländern in einem Drittland Werden Ausländer in einem anderen ausländischen Staat eingebürgert, so können wir ihrem Interesse, dort genauso behandelt zu werden wie in ihrem ehemaligen Heimatstaat, nicht dienen: Auf die Stellungnahme eines ausländischen Staates haben wir keinen unmittelbaren Einfluß180, und in diesen Fällen - anders als bei der Einbürgerung Deutscher im Ausland181 - auch keinen mittelbaren über den renvoi. Hier gilt grundsätzlich nichts anderes als für die Einbürgerung Deutscher in einem Land, das die Eheschließung anders beurteilt als wir182. Fühlen sich die Parteien an die nach altem Heimatrecht bestehende Rechtslage gebunden, 178 S. auch Staudinger/Gamillschegl0/11, Art. 13, Rnr. 101 (für Schutz des Vertrauens auf Bestand einer wirksamen Ehe trotz abweichender Beurteilung des seiner Auffassung nach grundsätzlich maßgebenden- neuen Heimatrechts). 179 Vgl. §§ 606 a Abs. 1, 328 ZPO. 180 Vgl. oben m 2 c cc. 181 s. oben m 2 c cc. l82 Gleiche Interessenlage wird auch von Staudinger/Gamillscheg 10111 , Art. 13, Rnr. 102, behauptet; dennoch will er hier grundsätzlich der Entscheidung des neuen Heimatstaats über das Weiterbestehen der Ehe folgen, da dieser "näher dran" sei.

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haben sie ein Interesse, weiterhin so wie im alten Heimatstaat behandelt zu werden. Wenn auch der neue Heimatstaat diesem Interesse im Einzelfall keine Rechnung trägt, so kann es dennoch hinsichtlich der Beurteilung durch den alten Heimatstaat und durch dritte Staaten (wozu wir zählen) bestehen. Auch hier geht es möglicherweise um Folgewirkungen, die im alten Heimatstaat oder bei uns eintreten; deren Beurteilung nach dem ursprünglich maßgebenden Sachrecht kann auch dann im Parteiinteresse liegen, wenn der neue Heimatstaat hinsichtlich der Ehegültigkeit anders entscheidet.

ee) Zusammenfassung Die unwandelbare Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 dient zum einen dem Interesse der Parteien, daß die Frage der Ehegültigkeit vom neuen Heimatstaat genauso beurteilt wird wie vom ehemaligen Heimatstaat. Dieses Interesse wird immer verwirklicht, wenn es sich um die Einbürgerung von Ausländern in Deutschland handelt; es kann aber auch (ebenfalls über die Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1, allerdings nur mittelbar) bei der Einbürgerung Deutscher im Ausland verwirklicht werden, wenn der neue Heimatstaat eine !PRVerweisung auf das Heimatrecht bei Eheschließung enthält. Daneben schützt die Unwandelbarkeit auch das Interesse, daß sich durch einen Staatsangehörigkeitswechsel unabhängig von der Beurteilung im neuen Heimatstaat nichts an der Beurteilung durch den alten Heimatstaat ändert; diesem Interesse kann nur gedient werden, wenn es sich um die Einbürgerung Deutscher im Ausland handelt. Schließlich wird auch das Interesse von Ausländern geschützt, von uns ebenso wie im alten Heimatstaat behandelt zu werden. Ein Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt des Art. 13 Abs. 1 kommt daher nur dann in Betracht, wenn im konkreten Fall beim Staatsangehörigkeitswechsel keine Stabilitätsinteressen der Parteien an dauerhafter Beurteilung nach dem alten Heimatrecht gegeben sind.

d) Interesse an Anwendung des "Antrittsrechts" bei subjektiven Eheschließungsmängeln Die soeben beschriebenen kollisionsrechtlichen Stabilitätsinteressen beruhen auf dem Vertrauen der Partner in die bis zum Staatsangehörigkeitswechsel s•

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nach dem anwendbaren Recht bestehende materielle Rechtslage. Ein solches Vertrauen setzt voraus, daß den Partnern diese Rechtslage (also Wirksamkeit, Vemichtbarkeit oder Nichtbestehen der Ehe) auch bekannt ist, so daß Stabilitätsinteressen nur in diesem Fall überhaupt existieren können. Möglicherweise gibt es aber Fälle, in denen die Anwendung eines späteren Heimatrechts ungerechtfertigt erscheint, obwohl die Partner sich nicht auf die bisherige Rechtslage eingestellt haben. Angenommen, ein Mann hat sich bei Eheschließung darüber geirrt, daß das voreheliche Kind seiner Frau von ihm stammt, was ihn zwar nach seinem ursprünglichen, nicht aber nach seinem späteren Heimatrecht zur Eheaufhebung berechtigt. Beim Staatsangehörigkeitswechsel hatte er seinen Irrtum noch nicht entdecktl83 und dementsprechend noch an der Ehe festgehalten, so daß das oben beschriebene Stabilitätsinteresse insoweit nicht tangiert wäre. Entdeckt der Mann den Irrtum nun später, wäre bei Anwendbarkeit des neuen Heimatrechts die Aufhebung der Ehe nicht mehr möglich. Vereinzelt wird in der Literatur eine Heilbarkeit durch Anwendung des neuen Heimatrechts dann abgelehnt, wenn nach dem alten Heimatrecht subjektive (also Ehefähigkeit und Willensbildung betreffendel84 ) Eheschließungsfehler bestehen185, allerdings beschränkt auf den Fall eines Staatsangehörigkeitswechsels "auf Grund der Ehe" 186. Die Rechtsprechung zog ebenfalls in solchen Fällen eine Heilung oft gar nicht in Erwägung187. Andere lehnen demgegenüber eine Differenzierung nach Art der Eheschließungsfehler ab und wollen eine Heilung auch bei subjektiven Mängeln zulassenl88. Bei den angesprochenen Normen handelt es sich um diejenigen, die vorrangig dem Schutz der Verlobten vor Eingehung einer Ehe dienen (Schutznormen), indem sie beispielsweise Geschäftsfähigkeit verlangen oder Auflösungsrechte an Willensmängel knüpfen 189. Der Schutz vor Eingehung 183 Wurde der Fehler vorher entdeckt und betreibt der geschützte Ehegatte dennoch nicht die Beseitigung der Ehe, dürfte nach dem ursprünglichen Heimatrecht eine sachrechtliehe Heilung eintreten, vgl. § 32 Abs. 2 EheG. 184

s.o. m 2 b.

185 Staudinger/Gamillscheg10/ll, Art. 13, Rnr. 110, 119, vgl. auch Rnr. 112. 186 Staudinger/Gamillschegl0/11 , a.a.O. , was er weiter faßt als einen automatischen Staatsangehörigkeitswechsel (also z.B. wohl auch erleichterte selbständige Einbürgerung von Ehegatten). 187 LG Frankfurt (28.2.52), IPRspr. 1952/53, Nr. 126 = NJW 1952, 1380; LG Kiel (14.12.53), IPRspr. 1952/53, Nr. 128 a = MDR 1954, 240 (jeweils automatischer Staatsangehörigkeitswechsel der Ehefrau, daher schon aus diesem Grund altes Statut maßgebend, s.o. m 2 a bb). 188 Siehr, Heilung, S. 155 f.; Staudinger/von Bar12 , Art. 13, Rnr. 47; Staudinger/von Bar/Mankowski 13 , Art. 13, Rnr. 97; KG (11.2.38), JW 1938, 855 (obiter). 189 s. oben m 2 b.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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einer Ehe betrifft die spezielle persönliche Situation der Verlobten, in der sich diese gerade bei Eheschließung befinden. Im Gegensatz zu auf objektiven Gründen beruhenden Vernichtungsrechten, die auch der Beseitigung eines von der Rechtsordnung mißbilligten aktuellen Zustands dienen (z.B. einer Doppelehe oder einer Ehe zwischen Verwandten), sind Schutzvorschriften damit ausschließlich rückbezogen. Normen, die dem persönlichen Schutz der Verlobten vor Eingehung einer Ehe dienen, müssen ihnen daher ihrem Sinn und Zweck nach auch dann ein Loskommen von der Ehe ermöglichen, wenn zwischenzeitlich ein Staatsangehörigkeitswechsel stattgefunden hat. Dieser Gedanke findet sich auch in der Gesetzgebungsgeschichte wieder. Bereits der 1. Gebhardsche Entwurf unterstellt in § 16 die Eingehung der Ehe dem Heimatrecht jedes Eheschließenden190. Bezüglich der Geltung dieses Grundsatzes für Willensmängel führt Gebhard in den Motiven zu dem Entwurf aus: "Das Recht, welches bei der Eheschließung für die Willenserfordernisse maßgebend ist (Simulation, Einfluß von Zwang, Irrtum und Betrug), kann nicht wohl ein anderes sein als dasjenige, welches über die Ehehindernisse entscheidet, mithin das Recht des Staates, dem der einzelne Teil angehört. Dies um so mehr, als die betreffenden Normen vornehmlich den Schutz der Angehörigen vor unsittlichen und widerrechtlichen Beeinflussungen im Auge haben und es bezüglich dieses Schutzes keinen Unterschied machen kann, ob der Angehörige männlichen oder weiblichen Geschlechts ist, ob er im Fall der Gültigkeit der Ehe eine andere Staatsangehörigkeit erlangt oder nicht"191 . Damit ist Gebhard offenbar der Auffassung, daß jedenfalls eine durch Eheschließung erworbene Staatsangehörigkeit keinerlei Einfluß auf das für Willensmängel maßgebende Recht haben soll. Der Gedanke gilt aber zum einen nicht nur für Willensmängel, sondern aus den dargelegten Gründen für alle Normen des Eheschließungsrechts, die gerade dem Schutz der Verlobten vor Eingehung einer solchen Bindung dienen. Zum anderen ist er nicht nur auf einen automatischen Staatsangehörigkeitswechsel (oder auch auf einen Staatsangehörigkeitswechsel "auf Grund der Ehe") beschränkt. In diesem Zusammenhang ist auch ein Vergleich mit dem internationalen Scheidungsrecht hilfreich. Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterstellt die Ehescheidung dem Ehewirkungsstatut (also in erster Linie dem gemeinsamen Heimatrecht, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1) bei Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags. S. 2 bestimmt dann: "Kann die Ehe hiernach nicht geschieden werden, so unterliegt die Scheidung dem deutschen Recht, wenn der die Scheidung begehrende Ehegatte in diesem Zeitpunkt Deutscher ist oder dies bei der Ehe190 Niemeyer, S. 6. 191 Niemeyer, S. 180 (Hervorhebung nicht im Original).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

schließung war." Mit dieser letzten Alternative wird für ehemalige Deutsche das sog. "Antrittsrecht" berufen. Dies beruht auf einem Vorschlag des Deutschen Rats für IPR, der die hilfsweise Anwendung des Antrittsrechts allerdings allseitig vorgesehen hatte: "Können die Ehegatten nach der gemäß § A maßgebenden Rechtsordnung nicht geschieden oder von Tisch und Bett getrennt werden, ist dies dagegen nach dem Recht des Staates möglich, dem ein Ehegatte bei der Eheschließung angehört hat, so ist dieses Recht anzuwenden"192. Motiv für diesen Vorschlag war die Überlegung, daß man meist mit den Vorstellungen heiratet, die im eigenen Heimatstaat üblich sind; dieses Vertrauen sollte nicht enttäuscht werden 193, und zwar unabhängig davon, ob die Verbindung zum Antrittsrecht im Zeitpunkt des Scheidungsverfahrens enger war als zum Scheidungsstatut oder nicht. Diese Interessenlage spricht dafür, die jetzt geltende Regelung allseitig anzuwenden194. Wenn aber das Vertrauen auf das Scheidungsrecht des "Antrittsstaats" allgemein schützenswert erscheint und vom Gesetzgeber zumindest für Deutsche auch geschützt wird, muß dies erst recht für die Normen gelten, die die Verlobten schon bei Eingehung der Ehe vor Fehlern bewahren wollen. Dies scheint - allerdings insoweit ohne Differenzierung nach Art der Eheschließungsfehler - auch in der ursprünglichen Begründung des deutschen Rats als selbstverständlich vorausgesetzt zu sein, wenn es dort heißt: "Wie die Gültigkeit der Ehe vom Heimatrecht bei Heirat abhängt, sollte daher auch die Auflösung der Ehe ... nach dem Recht möglich sein, unter dem die Ehe angetreten ist (Antrittsrecht)" 195. Der mögliche Einwand, die Normen des Scheidungsrechts seien allgemein bekannter als die der Eheaufhebung und vergleichbarer Regelungen, und daher werde auf letztere nicht in gleichem Maße vertraut196, greift dagegen nicht durch: Durch die Berufung des Antrittsrechts wird nicht konkretes, sondern abstraktes Vertrauen geschützt. Auch derjenige, der sich bei Eingehung der Ehe nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht hat, ob und aus wel192 Beitzke, Vorschläge und Gutachten 1981, S. 7, § B. 193 Lauterbach, Vorschläge und Gutachten 1962, S. 27 (zu der gleichlautenden Regel); Kegel, IPR, S. 651 (§ 20 VII 2 a bb). 194 Kegel, a.a.O.; Soergel!Schurig 12, Art. 17, Rnr. 32; (die Begründung des RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 61, steht dem zumindest nicht entgegen; vgl. Kegel, a.a.O.). A.M. Kropholler, S. 325; MünchKomm/Winkler von Mohrenfels, Art. 17, Rnr. 51. Im Hinblick auf automatischen Staatsangehörigkeitswechsel mit allseitigem Ausbau sympathisierend, ihn aber de lege Iata verwerfend Kersting, FamRZ 1992, 268, 273 f.

195 Lauterbach, a.a.O., 27 f. (Hervorhebung im Original). 196 Vgl. Siehr, Heilung, S. 156.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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eben Gründen nach seinem Antrittsrecht eine Ehescheidung möglich ist, wird ggf. nach diesem Recht geschieden. Dann kann es aber auch nicht auf den Bekanntheitsgrad der Regelungen über Ehefähigkeit und Willenserfordernisse ankommen. Bedenkt man zudem die Möglichkeit, daß in bestimmten Fällen nach dem Antrittsrecht wegen desselben Lebenssachverhalts wahlweise Eheaufhebung oder Ehescheidung verlangt werden könnte (etwa bei einem Irrtum über eine persönliche Eigenschaft, die später zum Scheitern der Ehe geführt hat197 z.B. Alkoholabhängigkeit eines Partners -), so wäre es widersinnig, wenn wegen des Fehlers, der bereits bei Eheschließung gegeben war, nur die Scheidung nach dem Antrittsrecht, nicht dagegen die Aufhebung der Ehe begehrt werden könnte, da auf diese das Heimatrecht bei Eheschließung nicht mehr anwendbar wäre 198. Selbst ein solches abstraktes Vertrauen auf Geltung der Schutzvorschriften des Heimatrechts bei Eheschließung als "Antrittsrecht" ist allerdings dann nicht gegeben, wenn sich der betreffende Partner bereits bei Eheschließung mit einer anderen Rechtsordnung enger verbunden gefühlt hat als mit seinem Heimatrecht, z.B. mit dem Aufenthaltsrecht Das hat aber auch vor dem Staatsangehörigkeitswechsel nichts an der prinzipiellen Anwendbarkeit des Heimatrechts geändert: eine Abweichung vom Anknüpfungspunkt wegen engerer Bindung an das Aufenthaltsrecht kam grundsätzlich nicht in Betracht199. Die Willensfreiheit wird vom Heimatrecht auch dann geschützt, wenn die betreffende Person sich an ihr Heimatrecht nicht gebunden fühlt. Dann würde es dieser kollisionsrechtlichen Interessenbewertung aber widersprechen, wenn man bei einem Wechsel der Staatsangehörigkeit die Anwendbarkeit des "Antrittsrechts" davon abhängig machte, ob die geschützte Person von der Anwendbarkeit dieser Rechtsordnung ausgegangen ist. Es entspricht daher der gesetzgebensehen Interessenbewertung, daß jedenfalls auf Eheschließungsfehler, die Ehefähigkeit und Willenserfordernisse betreffen, auch nach einem Wechsel der Staatsangehörigkeit das Heimatrecht unmittelbar vor Eheschließung anzuwenden ist, und zwar unabhängig davon, ob die neue Staatsangehörigkeit "auf Grund" der Ehe erworben wurde oder nicht200.

19? Vgl. für das deutsche Recht z.B. Giesen, Rnr. 153; ferner Gernhuber/ Coester-Waltjen, S. 131, 139. 198 So aber die Konsequenz der Auffassung Siehrs, Heilung, S. 156. 199 Oben C m. 200 Insoweit anders Staudinger/Gamillscheg 10/ll, Art. 13, Rnr. 110, 119; s. bereits oben.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Selbst wenn man der Meinung sein sollte, Art. 17 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. könne nicht allseitig ausgebaut werden, kommt eine Reduzierung des Schutzes auf ehemalige Deutsche jedenfalls im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 nicht in Betracht, da es hier um eine Abweichung von dieser Norm geht und der oben dargelegte Grundgedanke, dem Art. 13 Abs. 1 somit Rechnung trägt, sich nicht auf Deutsche beschränkt. Die oben201 aufgeworfene Frage, ob eine nach altem Statut fehlerhafte Ehe auch dann geheilt wird, wenn die Fehlerhaftigkeit auf Schutznormen besteht, ist daher zu verneinen.

e) Zeitlicher Bezug des Parteiinteresses bei objektiven Eheschließungsmängeln aa) Vorbemerkung Haben im konkreten Fall die Parteien kein Stabilitätsinteresse, weil sie sich auf die nach neuem Heimatrecht bestehende Rechtslage eingestellt haben, bestehen ferner keine subjektiven Eheschließungsmängel nach altem Heimatrecht, so bedeutet das nicht notwendig, daß eine wandelbare Anknüpfung dem kollisionsrechtlichen Parteiinteresse eher entspricht.

bb) Nichtehe Betrachtet man die Situation, die bei einer ursprünglichen Nichtehe vor dem Staatsangehörigkeitswechsel existiert, so sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: a) Das konkrete kollisionsrechtliche Interesse der Parteien ist - der Norm des Art. 13 Abs. 1 entsprechend - auf Anwendung ihres derzeitigen Heimatrechts gerichtet202; nach diesem ist keine Ehe zustandegekommen. Dennoch fühlen sich die Partner "als Eheleute". Sie haben also ein rein materiellrechtliches Interesse an Beurteilung ihrer Eheschließung als gültig. Auch wenn die Eheschließung bei Anwendung einer anderen Rechtsordnung, zu der die Partner keine oder jedenfalls nicht ihre engste persönliche 201 ill2 b. 202 Was nicht notwendig auch gewöhnlichen Aufenthalt im Heimatstaat voraussetzt.

D. Abweichen vom Ank:nüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Beziehung haben, gültig wäre, resultiert daraus nicht etwa ein kollisionsrechtliches Interesse an Anwendung dieser Rechtsordnung; denn es geht den Parteien nicht um die Allgemessenheit gerade dieser Rechtsordnung zur Entscheidung in ihren persönlichen Angelegenheiten, sondern es geht ihnen allein um das materiellrechtliche Ergebnis203, gleichgültig, welche Rechtsordnung ihnen das beschert. Dann wandelt sich dieses materiellrechtliche Gültigkeitsinteresse auch nicht deshalb plötzlich rückwirkend in ein kollisionsrechtliches Interesse um, weil die Partner später die Staatsangehörigkeit erwerben, nach deren Recht die Eheschließung wirksam wäre. Zwar ist ihr kollisionsrechtliches Interesse bezüglich der Beurteilung aktueller Sachverhalte auf Anwendung ihres jetzigen Heimatrechts gerichtet; hinsichtlich der Zeit vor dem Staatsangehörigkeitswechsel bleibt es aber bei einem ausschließlich materiellrechtlichen Interesse. In dem ersten vom Reichsgericht204 entschiedenen "Heilungsfall" etwa hatten die Partner sechs Jahre lang ein rein materiellrechtliches Interesse daran, daß ihre Ehe gültig war, während das kollisionsrechtliche Interesse des Mannes zu einer Rechtsordnung führte, nach der die Ehe nichtig war (nämlich zur österreichischen). Die Einbürgerung in Italien mag zwar darauf beruht haben, daß sich die Partner dem italienischen Recht inzwischen enger verbunden fühlten als ihren ursprünglichen Heimatrechten; sie hat aber nicht dazu geführt (wie auch?), daß das italienische Recht plötzlich auch für die Vergangenheit das dem Mann vertrauteste war. Hätte es sich ursprünglich nicht nur um eine nichtige Ehe, sondern um eine Nichtehe gehandelt, so führte die rückwirkende Beurteilung nach dem neuen Heimatrecht also dazu, daß das bis zum Staatsangehörigkeitswechsel bestehende kollisionsrechtliche Parteiinteresse an Anwendung des Österreichischen Rechts schlichtweg ignoriert würde205. b) Möglicherweise fühlen sich die Parteien aber schon bei Eheschließung mit einer anderen Rechtsordnung enger verbunden als mit ihrem Heimatrecht (beispielsweise mit dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts), und nach dieser Rechtsordnung wäre die Eheschließung gültig. Zwar ist das Interesse an Anwendung dieser Rechtsordnung ein kollisionsrechtliches. Da es aber bereits vor dem Staatsangehörigkeitswechsel bestand, ist es - unabhängig von der Frage des Anknüpfungszeitpunkts - auf den Anknüpfungspunkt bezogen206. Das Parteiinteresse an einem anderen Anknüpfungspunkt ist aber nach der Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich unbeachtlich207 . Dieses Interesse an 203 Zur grundsätzlichen Irrelevanz materiellrechtlicher Ergebnisinteressen im Hinblick auf kollisionsrechtliche Rechtsfortbildung oben B I Fn. 5; B II Fn. 22. 204 RG (16.5.31), IPRspr. 1931, Nr. 59; s. oben Ein!. 205 Anders dagegen bei kumulativer Anknüpfung eines nur zur Vernichtbarkeit führenden Fehlers, wie in der Entscheidung der Fall; näher unten ill 2 e dd (2), IV. 206 Zur Ausnahme der antizipierenden Anknüpfung unten V. 207 Oben C m.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

einer von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung abweichenden kollisionsrechtlichen Anknüpfung ändert sich mit dem Staatsangehörigkeitswechsel nicht rückwirkend in ein Interesse an Anwendung des Rechts der - aus damaliger Sicht - späteren Staatsangehörigkeit. Haben Juden die Ehe im Ausland nach ihrem religiösen Ritus geschlossen, so war ihr konkretes kollisionsrechtliches Interesse auf Anwendung des religiösen Rechts gerichtet. Dieses abweichende Parteiinteresse ist aber aus unserer Sicht unbeachtlich, da durch die Staatsangehörigkeitsanknüpfung die Parteiinteressen typisiert worden sind208. Werden diese Juden später in Israel eingebürgert, so wird aus ihrem unbeachtlichen Interesse an Anwendung des religiösen Rechts nicht rückwirkend ein beachtliches Interesse an Anwendung des späteren Heimatrechts209.

Auch Frankenstein hat offenbar das Problem der Rückwirkung vor Augen, wenn er im Hinblick auf die "abgeschlossenen Tatbestände" wirksame Eheschließung/Nichtehe schreibt: "Die wirksame Eheschließung kann nicht nachträglich unwirksam, die nichtige Eheschließung nicht umgekehrt wirksam werden" 210 . Eine alternative Anknüpfung an eine später erworbene Staatsangehörigkeit wird somit den kollisionsrechtlichen Parteiinteressen nicht gerecht, da sie zwangsläufig zu einer rückwirkenden Neubeurteilung der Eheschließung führt211: Aus einer Nichtehe würde eine wirksame Ehe auch für eine Zeitspanne, in der die kollisionsrechtlich entscheidende Verbindung zu dem entsprechenden Staat gar nicht bestanden hat.

cc) Unangreifbar gültige Ehe Ähnliches gilt in dem Fall, daß die Ehe nach dem ursprünglichen Heimatrecht unangreifbar gültig geschlossen ist, während sie nach neuem Heimat-

208 Oben C ID, s. auch BI. 209 Daher jedenfalls rückwirkende Heilung zu Recht abgelehnt: OLG Koblenz (17.5.72), IPRspr. 1972, Nr. 132 (aber zu Unrecht nur auf Voraussetzungen des BEG bezogen, kollisionsrechtliche Heilbarkeit dagegen nicht ausgeschlossen); OLG Koblenz (22.2.73), IPRspr. 1973, Nr. 33; OLG Zweibrücken (17.9.75), RzW 1975, 370; BGH (8.11.77), FamRZ 1978, 232. 210 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188 (Hervorhebung nicht im Original); s. dazu näher oben 1. Kap. A II 3. 211 Das aber befürworten ausdrücklich z.B. Siehr, Heilung, S. 177 (mit Ausnahmen); Staudinger!von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 98.

D. Abweichen vom Anknüpftlogszeitpunkt Eheschließung

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recht eine Nichtehe oder rückwirkend vernichtbar ist212 . Durch eine wandelbare Anknüpfung des Eheschließungsstatuts würde die Ehe auch für eine Zeitspanne vernichtet oder zur Nichtehe, in der das kollisionsrechtliche Parteiinteresse auf Anwendung des ursprünglichen Heimatrechts gerichtet war. Berechtigt der nach neuem Heimatrecht gegebene Eheschließungsfehler lediglich zur Beseitigung der Ehe ex nunc (beispielsweise wegen eines Willensmangels}, stellt sich das Problem der Rückwirkung einer wandelbaren Anknüpfung nicht in gleicher Weise: Wie bei der Scheidung würde die Ehe ja erst für einen zukünftigen Zeitraum aufgelöst. Zum einen dürfte aber in einem Fall, in dem ein Ehegatte die Aufhebung wegen eines nur nach neuem Recht bestehenden einseitigen Eheschließungsmangels betreibt, der andere Ehegatte häufig ein Stabilitätsinteresse an dauerhafter Beurteilung nach altem Heimatrecht haben2 13, so daß eine Abweichung vom Anknüpfungszeitpunkt bereits hieran scheitert. Zum anderen ist der Zeitpunkt, zu dem der Mangel bestanden haben muß, derjenige der Eheschließung. Wenn auch die Ehe nach neuem Heimatrecht nicht rückwirkend zu diesem Zeitpunkt aufzulösen wäre, so führte eine wandelbare Anknüpfung doch dazu, daß die Frage, ob bei Eheschließung ein die Wirksamkeit beeinträchtigender Fehler vorhanden war, die man zuvor bereits verneint hat, nunmehr bejaht werden müßte. Das im Zeitpunkt der Eheschließung vorhandene Parteiinteresse kann sich aber - wie dargelegt - nicht im nachhinein ändern. Sollte dagegen das kollisionsrechtliche Parteiinteresse bereits im Zeitpunkt der Eheschließung auf Anwendung der Rechtsordnung gerichtet gewesen sein, die später zum Heimatrecht wurde, betrifft dies wieder nur den Anknüpfungspunkt. Aus dem - unbeachtlichen - Interesse an einem anderen Anknüpfungspunkt kann aber nicht rückwirkend ein Interesse an einem wandelbaren Anknüpfungszeitpunkt werden.

dd) Vernichtbare Ehe ( 1) Verschlechterung Entsprechendes gilt für die Verschlechterung einer nach dem ursprünglichen Heimatrecht wirksamen, aber vernichtbaren Ehe: Wird eine ex nunc auf212 S. auch bereits das obige Zitat Frankensteins, bb. 213 Vgl. oben 2 c bb (2).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

hebbare Ehe zu einer ex tune nichtigen oder wird eines von beiden ohne weiteres zur Nichtehe, würde damit die Ehegültigkeit rückwirkend neu beurteilt; dagegen spricht aber (abgesehen von Stabilitätsinteressen) das vor dem Staatsangehörigkeitswechsel bestehende kollisionsrechtliche Parteiinteresse.

(2) Verbesserung

Anders ist die Lage aber, wenn es um die Verbesserung einer vernichtbaren Ehe geht, wenn also entweder eine ex tune nichtige zu einer ex nunc vernichtbaren Ehe oder eine von beiden zur voll wirksamen Ehe würde. Dk Frage des Bestehens einer Ehe würde dann nämlich für die Vergangenheit nicht anders beantwortet als vorher. Ob ein Fehler bei Eheschließung besteht, muß nach dem bisher Gesagten aufgrund der in diesem Zeitpunkt existierenden Interessen entschieden werden. Eine wandelbare Anknüpfung der Eheschließungsvoraussetzungen im Sinne einer rückwirkenden Neubeurteilung dieser Frage verstieße daher ebenfalls gegen das kollisionsrechtliche Parteiinteresse. Ist aber ein derartiger Fehler auf die Wirksamkeit der Ehe nur von Einfluß, wenn er auch in einem besonderen Verfahren geltend gemacht wird, ist die Ehegültigkeit- im Gegensatz zur Situation bei einer Nichtehe oder einer voll wirksamen Ehe - nur unter zwei Voraussetzungen berührt: Erstens muß ein die Wirksamkeit beeinträchtigender Eheschließungsfehler gegeben sein; zweitens muß dieser Fehler auch geltend gemacht werden. Dann ist aber prinzipiell auch nichts dagegen einzuwenden, wenn man für diese beiden Voraussetzungen die kollisionsrechtlichen Interessen getrennt ermittelt. Damit entschieden für die Frage, ob ein Eheschließungsfehler besteht, die z.Zt. der Eheschließung existierenden Interessen; für die Frage dagegen, ob ein gegebener Mangel auch geltend gemacht werden kann und welche Folgen die Geltendmachung hat, würden die in diesem Zeitpunkt existierenden kollisionsrechtlichen Interessen zusätzlich berücksichtigt. Mit der Zeitgebundenheit der Parteiinteressen zu vereinbaren ist demnach eine Norm, die bei einer lediglich vernichtbaren Ehe die Geltendmachung des Fehlers nur erlaubt, wenn dies auch nach neuem Recht möglich ist21 4 .

21 4 Näher unten IV.

D. Abweichen vom Anknüpftlogszeitpunkt Eheschließung

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ee) Zusammenfassung Da sich die Parteiinteressen nicht nachträglich für einen zurückliegenden Zeitraum ändern können, sprechen sie in den Fällen, in denen die Ehegültigkeit rückwirkend (auf den Zeitpunkt der Eheschließung bezogen) neu beurteilt würde, gegen eine wandelbare Anknüpfung des Eheschließungsstatuts: Sowohl die Verschlechterung einer wirksamen Ehe als auch die Verbesserung einer Nichtehe wird damit den kollisionsrechtlichen Parteiinteressen nicht gerecht. Im Fall einer vernichtbaren Ehe dagegen würde das Parteiinteresse durch eine kumulative Anknüpfung der Geltendmachung des Mangels an das neue Statut insoweit nicht beeinträchtigt. Die damit sich andeutende Differenzierung entspricht der bereits von Frankenstein getroffenen Unterscheidung zwischen den abgeschlossenen Tatbeständen Nichtehelvoll wirksame Ehe einerseits und vernichtbare Ehe andererseits215 .

3. Drittinteressen

a) Individualinteressen Dritter aa) Vorbemerkung Außer den Parteien selbst können auch Dritte, die mit den Parteien in einer personenrechtlichen Verbindung stehen, von einer Neubeurteilung der Ehegültigkeit betroffen sein.

bb) Kind (1) Nichtehe

Zu denken ist einmal an ein nichteheliches Kind der Frau mit einem Dritten: Durch die rückwirkende Heilung einer Nichtehe würde dieses Kind möglicherweise zu einem ehelichen Kind der Parteien (vgl. § 1591 BGB). Das kann, muß aber nicht notwendig in seinem Interesse liegen. War z.B. die Tatsache der Nichtehe und die Abstammung von einem Dritten bekannt, so kann das Kind ein Interesse daran haben, vermögensrechtliche Ansprüche gegen 21 5 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188; s. dazu näher oben 1. Kap. A II 3.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

seinen wahren Erzeuger geltend zu machen (wozu nach dem anwendbaren Recht eine Vaterschaftsfeststellung erforderlich sein kann, vgl. § 1600 a BGB). Wäre plötzlich die Mutter rückwirkend bei Geburt des Kindes verheiratet gewesen, wäre dieses somit gezwungen, zunächst seine Ehelichkeit anzufechten, um die Rechte gegen seinen wahren Vater durchzusetzen. Möglicherweise verbietet das anwendbare Recht aber eine Anfechtung durch das Kind bei intakter Ehe (wie z.B. grundsätzlich § 1596 BGB); dann erhebt sich die Frage, ob eine solche Vorschrift in einer derartigen Konstellation überhaupt anwendbar ist. Die Komplikationen erhöhen sich, wenn vor Heilung der Nichtehe die Vaterschaft des Dritten bereits festgestellt worden ist: In welchem Verhältnis steht dann die Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft zur rückwirkenden Ehelichkeit des Kindes? Eine wandelbare Anknüpfung kann somit Normenwidersprüche bewirken. Diese sind zwar grundsätzlich auflösbar, indem man in den berufenen Rechten kollisionsrechtlich oder materiellrechtlich angleicht216. In Art. 13 Abs. 1 haben wir aber eine Norm, die bereits das Entstehen derartiger Normenwidersprüche vermeidet. Mag eine Situation wie die beschriebene in der Realität auch nicht allzu häufig vorkommen, weil die Partner und die während der "Ehe" geborenen Kinder oft von der Wirksamkeit der Eheschließung ausgehen werden, so zeigen die immerhin denkbaren abweichenden Fallgestaltungen doch, daß die unwandelbare Anknüpfung des Eheschließungsstatuts auch unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll ist.

(2) Wirksame Ehe

Dasselbe gilt für die umgekehrte Situation: Würde eine nach dem Eheschließungsstatut wirksame Ehe nach neuem Heimatrecht rückwirkend zur Nichtehe, so würden damit aus ehelichen Kindem nichteheliche. Damit müßte u. U. die Vaterschaft, die aufgrund der Ehe bisher feststand, nunmehr gerichtlieh festgestellt werden. Ein Kind, das als eheliches bislang über eine unterhalts- und erbrechtlich einigermaßen gesicherte Aussicht verfügte, muß nunmehr um die Durchsetzung dieser Ansprüche fürchten. Auch wenn der neue Heimatstaat der Ehegatten diese Position bezieht, kann ein Schützenswertes Interesse des Kindes daran bestehen, daß Staaten, die einmal von der Wirksamkeit der Ehe ausgegangen sind, bei dieser Auffassung auch nach einem Staatsangehörigkeitswechsel der Ehepartner bleiben.

216 Zur Angleichung s. näher oben 2. Kap. D II.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Dagegen wird man ein Interesse des Kindes, daß sich eine wirksame Ehe nicht in eine vernichtbare oder aufhebbare Ehe verwandelt, dann verneinen müssen, wenn sich dadurch am Kindesstatus nichts ändert, wie es z.B. im deutschen Recht der Fall ist (s. § 1591 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BGB, § 37 EheG).

(3) Vernichtbare Ehe Unter der soeben genannten Voraussetzung besteht auch kein Interesse des Kindes daran, daß sich eine vernichtbare Ehe nicht verbessert, also beispielsweise eine nichtige Ehe zur aufhebbaren wird oder der Fehler überhaupt nicht mehr geltend gemacht werden kann.

cc) Partner aus zweiter Ehe bei Wiederheirat nach nicht zustande gekommener Erstehe Hat ein (oder haben beide) Partner einer ursprünglichen Nichtehe nach Entdeckung des Fehlers eine wirksame Ehe mit einem Dritten geschlossen, so würde durch die Annahme einer generellen rückwirkenden Heilung der Erstehe durch Staatsangehörigkeitswechsel die Zweitehe nachträglich zur - in den meisten Fällen nach dem Eheschließungsstatut verbotenen - Doppelehe. Das verstieße aber nicht nur gegen die Interessen des wiederheiratenden Partners der ersten Ehe2 17 , sondern auch gegen das Interesse des neuen Partners. Dieser durfte darauf vertrauen, daß der bei Eheschließung ledige Verlobte nicht plötzlich rückwirkend in einer wirksamen ersten Ehe lebt, so daß die Zweitehe vernichtbar oder sogar zur Nichtehe2 18 wird. Auch derartige Stabilitätsinteressen neuer Partner schließen daher jedenfalls eine vorbehaltlose Verbesserungsfähigkeit einer Nichtehe aus.

217 Oben m 2 c bb (3). 218 So z.B. im englischen Recht: Bromley!Lowe, S. 81.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB dd) Partner aus erster Ehe (1) Zulässigkeil der Polygamie nach neuem Heimatrecht

Drittinteressen sind eventuell auch berührt, wenn eine verheiratete Person eine weitere, nach dem Eheschließungsstatut bigamische Ehe schließt und dann in einem Land eingebürgert wird, das auch die zweite Ehe für wirksam hält. Beispiel: Ein mit einer deutschen Frau verheirateter deutscher Mann moslemischen Glaubens heiratet in einem islamischen Staat eine Angehörige dieses Staates und wird dort eingebürgert. Auf den ersten Blick wird man geneigt sein, ein beachtliches Parteiinteresse der ersten Ehefrau dahingehend anzunehmen, daß weiterhin deutsches Recht anwendbar bleibt und sie dementsprechend ihr Vernichtungsrecht auch nach dem Staatsangehörigkeitswechsel des Mannes ausüben kann. Nimmt man dagegen an, die Frau aus erster Ehe wäre nicht Deutsche, sondern ebenfalls Angehörige des islamischen Staates, dann hätte man wohl nicht dieselben Bedenken gegen einen Verlust ihres Klagerechts; schließlich ist ein solches nach ihrem eigenen Personalstatut auch nicht gegeben. Auf die Staatsangehörigkeit des ersten Ehepartners kommt es aber grundsätzlich weder im einen noch im anderen Falle an: Entscheidend für die Zulässigkeit der zweiten Eheschließung sind nach Art. 13 Abs. 1 die Heimatrechte der Eheschließenden. Bei der Frage, ob eine zweite Ehe wegen Bigamie fehlerhaft ist, hat also das Personalstatut des ersten Ehepartners nie mitzureden; maßgebend ist immer das Eheschließungsstatut für die zweite Ehe219 . Hätte im Ausgangsfall der Ehemann der deutschen Frau zuerst die Angehörigkeit des islamischen Staates erworben und dann zum zweiten Mal geheiratet, bestimmte über die Wirksamkeit der Zweitehe ja auch nur das islamische Eheschließungsstatut220, während die Staatsangehörigkeit der ersten Ehefrau ohne Belang ist221 ; etwas anderes kann sich nur aus dem ordre public222 ergeben. 219 Staudinger/Gamillscheg 10111 , Art. 13, Rnr. 504; Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 459. 220 Sofern dieses nicht wegen Gesetzesumgehung ausnahmsweise unbeachtlich ist; s. zur Umgehung ausführlich Schurig, Festschr. Ferid 1988, S. 375-422 (vgl. auch den S. 385 zitierten Fall "Helene Böhlau"). 221 S. auch die Beispiele bei Staudinger/Gamillscheg10/ 11 , Art. 13, Rnr. 504; Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 460 a.E. 222 Bei deutscher Staatsangehörigkeit der ersten Frau ist wegen der grundlegenden Bedeutung des Prinzips der Einehe trotz Zulässigkeil nach dem Eheschließungsstatut zu erwägen, ob der ersten Frau ein Vernichtungsrecht zusteht; dafür Staudin-

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Kollisionsrechtliche Interessen des ersten Ehepartners sind bei der Frage des auf die Wirksamkeit der Zweitehe anwendbaren Rechts nach der gesetzgeberischen Wertung somit grundsätzlich ohne Belang. Dann können sie aber auch kein Schützenswertes Vertrauen auf Fortbestand des Vernichtungsrechts begründen. Ein Argument gegen die Anwendung eines späteren Heimatrechts läßt sich ihnen daher nicht entnehmen.

(2) Wiederheirat nach nicht anerkannter Auslandsscheidung

Zu einer bigamischen Ehe kann es auch kommen, weil wir - im Gegensatz zu den Heimatrechten der Partner - die im Ausland erfolgte Scheidung der Erstehe nicht anerkennen. Hier entsteht zunächst unabhängig von einem Staatsangehörigkeitswechsel eine Entscheidungsdivergenz, nämlich bezogen auf die Wirksamkeit der Scheidung. Im Hinblick auf die zweite Eheschließung stellt sich in der Folge ein Vorfragenproblem: Bleiben wir auch im Rahmen der Zulässigkeit der zweiten Eheschließung bei unserer Auffassung, daß die Ehescheidung unwirksam war- behandeln wir also die Vorfrage "selbständig" nach unserem internationalen Verfahrensrecht223 -, so ist die Eheschließung fehlerhaft, vorausgesetzt, das Eheschließungsstatut verbietet bigamische Ehen. Stellen wir dagegen für die Vorfrage "Wirksamkeit der Scheidung der Erstehe" auf das für die Zweitehe maßgebende Eheschließungsstatut ab224 (=unselbständige Anknüpfung der Vorfrage), so ist die Ehe nicht bigamisch und daher voll gültig. Nimmt man in Abwandlung des Sachverhalts, der der Entscheidung des Kammergerichts vom 27.1.1986225 zugrunde lag, an, der Niederländer habe nach der Scheidung seiner ersten mit einer Deutschen geschlossenen Ehe, deren Anerkennung von der Landesjustizverwaltung abgelehnt worden war, in zweiter Ehe eine Niederländerin geheiratet, so wäre diese Ehe aus unserer Sicht bei selbständiger ger/Gamillscheg 10/ll, Art. 13, Rnr. 504 (analoge Anwendung des § 24 EheG); auf Scheidung der Erstehe wollendargen Staudinger/von Bar12 , Art. 13, Rnr. 194, und Staudinger/von Bar/Mankowski 1 , Art. 13, Rnr. 461, die Frau beschränken. Eingreifen des ordre public bei Auslandsheirat allgemein abgelehnt: Soergel/Kegel 11 , Art. 13, Rnr. 116; Soergel/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 127. 223 Dafür z.B. Soergel/Schurigl2, Art. 13, Rnr. 18 f., 120 f., s. auch Rnr. 61; Kegel, IPR, S. 596 (§ 20 IV 1 b bb); zur Scheidungsanerkennung s. Soergel/Schurig12, Art. 17, Rnr. 81-112. 224 So z.B. Staudinger/von Bar12, Art. 13, Rnr. 126 f. (für Auslandseheschließung); ähnlich Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 311-313 (bei fehlendem Inlandsbezug). 225 KG, IPRax 1987, 33. 9 Voit

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB Anknüpfung der Vorfrage "wirksame Scheidung" bigamisch, bei abhängiger Beurteilung der Vorfrage nach dem Eheschließungsstatut dagegen nicht bigamisch. Die Frage, ob der erste Ehepartner das Recht hat, die bigamische Ehe zu vernichten, stellt sich also bereits ohne einen Staatsangehörigkeitswechsel: bei unselbständiger Vorfragenanknüpfung hat er es nicht.

Ist die Ehe auch aus Sicht des Eheschließungsstatuts bigamisch, weil es die Scheidung nicht anerkennt, so könnte man die Frage stellen, ob die bigamische Ehe durch spätere Einbürgerung in einem Land geheilt wird, nach dessen Recht die Ehescheidung wirksam ist. Als Beispiel kann der Sachverhalt dienen, der der oben abgewandelten Kammergerichtsentscheidung tatsächlich zugrunde lag: Der Niederländer hat in zweiter Ehe keine Niederländerin, sondern wieder eine Deutsche geheiratet; die Ehe war daher nach dem maßgebenden deutschen Heimatrecht der Frau wegen des Verbots der Doppelehe nichtig. Weil die in den Niederlanden lebende Frau aber später die niederländische Staatsangehörigkeit erworben hatte, nahm das KG eine Heilung der Nichtigkeit durch Statutenwechsel an.

Die Bejahung einer Heilung bei dieser Fallkonstellation setzt aber voraus, daß man auf dem Boden der unselbständigen Vorfragenanknüpfung steht226. Behandelt man die Vorfrage nämlich selbständig, wäre eine Veränderung des Eheschließungsstatuts ohne Bedeutung: die Beurteilung der Wirksamkeit der Scheidung ändert sich nicht. Für die Frage, ob der bei unselbständiger Vorfragenanknüpfung beim ersten Ehepartner eintretende Rechtsverlust durch Heilung gegen eine Anwendung des neuen Heimatrechts spräche, gelten aber die oben angestellten Überlegungen: Konsequenterweise müßte man dann allein auf das für die Zweitehe maßgebende Eheschließungsstatut abstellen, und für dieses sind die Interessen des ersten Ehepartners grundsätzlich ohne Belang. Eine andere Frage ist, ob möglicherweise die Beurteilung einer Scheidung anders ausfallen kann, wenn sich Umstände, die für die Anerkennung eine Rolle spielen, nach Scheidung geändert haben. So spricht sich Siehr u.a. dann für die nachträgliche Anerkennung einer Scheidung aus, wenn beide Eheleute nach einverständlicher Auslandsscheidung die Nationalität eines Staates erwerben, der ihre Scheidung anerkennt227 . Dies hat aber im Hinblick auf das für die Eheschließung maßgebende Recht keine Bedeutung und soll daher hier nicht vertieft werden.

226 So damit im Ergebnis auch das KG, a.a.O. 227 Siehr, Heilung, S. 161-163; a.M. Soergel!Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 37

m.w.N., Art. 17, Rnr. 84.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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b) Verkehrsinteressen aa) Verbesserung einer Nichtehe Die rückwirkende Neubeurteilung einer Nichtehe kann gegen die Interessen des am (ursprünglichen) Aufenthaltsort der Partner befindlichen Rechtsverkehrs verstoßen. Eine Ehe hat vermögensrechtliche Konsequenzen, von denen Gläubiger betroffen sein könnten. Durch das rückwirkende Wirksamwerden einer Nichtehe sind möglicherweise Geschäfte, die im Vertrauen auf unbeschränkte Verpflichtungs- und Verfügungsmacht getätigt wurden, von diesbezüglichen Beschränkungen betroffen (vgl. § 1369 BGB)228. Auch die Verkehrsschutzvorschriften der Art. 12 und 16, nach denen der Rechtsverkehr unter bestimmten Voraussetzungen vor ausländischen Handlungsbeschränkungen geschützt wird, greifen hier nicht notwendigerweise ein: Das Problem derartiger Beschränkungen liegt hier nicht darin, daß sie auf einem ausländischen - und daher dem Rechtsverkehr unbekannten - Recht beruhen, sondern darin, daß sie rückwirkend einträten. Auch wenn z.B. das Güterrechtsstatut einer "geheilten" Nichtehe im Inland lebender Partner deutsches Recht wäre, sähe sich der inländische Rechtsverkehr u. U. einer güterrechtlichen Beschränkung rückwirkend ausgesetzt. In diesem Fall hilft weder Art. 12 noch Art. 16. Zwar könnte man den Rechtsverkehr möglicherweise durch eine Analogie zu den bereits vorhandenen Verkehrsschutzvorschriften schützen. Es ist aber bereits fraglich, ob überhaupt eine Lücke existiert, die durch Analogie geschlossen werden müßte: Bleibt es nämlich bei der im Gesetz festgelegten Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts, ist der Rechtsverkehr ausreichend geschützt. M.a.W.: Die Tatsache, daß durch die "teleologische" Reduktion einer Norm an anderer Stelle Lücken entstünden, spricht dagegen, daß eine solche Reduktion wirklich vom Sinn der Norm erfordert wird. Das Schutzbedürfnis des Rechtsverkehrs ist allerdings dann nicht besonders groß, wenn man zur Voraussetzung einer Anwendung des neuen Heimatrechts macht, daß keine Stabilitätsinteressen der Parteien bestehen, daß also die Partner als Eheleute aneinander festhalten. Wenn sie dann nämlich wie üblich zusammenleben, wird der Rechtsverkehr regelmäßig auf die Wirksamkeit und nicht auf die Unwirksamkeit der Ehe vertrauen.

228 Vgl. Siehr, Heilung, S. 177 a.E.f., der in derartigen Fällen Dritte schützen will, indem er die Heilung ausnahmsweise nicht zurückwirken läßt. Damit würde aber weder altes noch neues Heimatrecht auf die Eheschließung angewandt. 9*

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Auf der anderen Seite ist aber auch möglich, daß die Tatsache der Nichtehe bekannt ist; dann muß sich der Rechtsverkehr auf die wahre Rechtslage verlassen können.

bb) Verbesserung einer vernichtbaren Ehe Verkehrsinteressen an stabiler Beurteilung einer vernichtbaren Ehe nach dem Heimatrecht bei Eheschließung bestehen nicht: Die lediglich vernichtbare Ehe ist zunächst wirksam und hat dieselben vermögensrechtlichen Konsequenzen wie eine voll gültige Ehe. Kann der Eheschließungsfehler nach einem Staatsangehörigkeitswechsel nicht mehr geltend gemacht werden, ändert sich für den Rechtsverkehr daher nichts. Ein Verkehrsinteresse an Erhaltung der Vernichtungsmöglichkeit gibt es nicht.

cc) Verschlechterung einer wirksamen Ehe Bei einer ursprünglich wirksamen Ehe muß man unterscheiden: Wird eine wirksame Ehe rückwirkend zu einer Nichtehe, sind Verkehrsinteressen beeinträchtigt, wenn man beispielsweise an die Mitverpflichtung von Ehegatten denkt (vgl. § 1357 BGB). Auch hier würde durch Wandelbarkeit des Eheschließungsstatuts ein Verkehrsschutz erforderlich, der bei Festhalten am Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 ohnehin gegeben ist. Daß eine zunächst wirksame Ehe durch Staatsangehörigkeitswechsel (möglicherweise rückwirkend) vernichtbar wird, wirft dagegen keine anderen Verkehrsinteressen auf, als bestünden, wenn die Ehe von vornherein vernichtbar gewesen wäre: Auch in diesem Fall ist die Ehe zunächst wirksam, so daß durch die Vernichtung Verkehrsinteressen beeinträchtigt sein können. Für deren Schutz sorgt dann aber ggf. das anwendbare Sachrecht229.

229 Vgl. § 27 EheG i.d.F. bis zum 30.6.1977; jetzt§ 26 Abs. 1 EheG n.F. (keine Rückwirkung der Nichtigerklärung im vermögensrechtlichen Bereich), dazu z.B. Gernhuber/Coester-Waltjen, S. 127.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

133

c) Zwischenbilanz Es hat sich gezeigt, daß auch Dritte von der Neubeurteilung einer Nichtehe erheblich betroffen sein können, ebenso wie von der Neubeurteilung einer wirksamen Ehe. Auch Sonnenherger führt den Gesichtspunkt an, daß eine Heilung Rechtspositionen Dritter beeinträchtigen kann23°. Die Folgerung, daß - entgegen der von ihm sonst favorisierten Heilbarkeit - an der Unwandelbarkeit festzuhalten sei, wenn solche Rechtspositionen "nunmehr vor einem deutschen Richter geltend gemacht werden" 231 , greift aber zu kurz. Damit würde die Ehegültigkeit nach unterschiedlichen Rechtsordnungen beurteilt, je nachdem, in welchem Zusammenhang sie auftaucht: Im Rechtsstreit mit Dritten wäre sie nach altem Heimatrecht zu verneinen, im Rechtsstreit der Partner untereinander ggf. nach neuem Heimatrecht zu bejahen. Das verstieße aber- ähnlich wie die unselbständige Vorfragenanknüpfung232 - gegen das Interesse an innerem Entscheidungseinklang. Die mögliche Beeinträchtigung von Drittinteressen ist vielmehr ebenfalls ein Argument dafür, daß es jedenfalls in bezug auf Nichtehen generell bei der unwandelbaren Anknüpfung des Eheschließungsstatuts bleiben muß.

4. Ordnungsinteressen

a) Verbesserung einer Nichtehe aa) Interesse an Klarheit und Eindeutigkeit von Statusfragen Im Inland gilt das - durch Art. 13 Abs. 3 auch auf Ausländer erstreckte Prinzip der obligatorischen Zivilehe. Damit ist (unabhängig von den weitergehenden Anforderungen hinsichtlich einer standesamtlichen Heirat) gesichert, daß die Eheschließung durch einen formellen öffentlichen Eheschließungsakt erfolgt233; durch bloßen Konsens der Parteien kann im Inland keine Ehe zustande kommen. Formfreie Ehen wie die "common-law-

230 MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 498. 231 MünchKomm/Sonnenberger, a.a.O. 232 S. insoweit Schurig, Festschr. Kegell987, S. 578-585. 233 S. Gernhuber/Coester-Waltjen, S. 105: Förmlicher Eheschluß als unverlierbarer Bestandteil in Kontinentaleuropa.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Ehe"234 können im Inland nicht- auch nicht über die Ausnahmevorschrift des Art. 13 Abs. 3 S. 2- zur Entstehung gelangen. Durch dieses Erfordernis eines förmlichen Eheschließungsakts wird dem Ordnungsinteresse an Klarheit hinsichtlich des Status einer Person Rechnung getragen235. Dem entspricht, daß nach deutschem Sachrecht eine Nichtehe im Gegensatz zur vernichtbaren Ehe nicht geheilt werden kann; die Heilbarkeil durch fünfjähriges Zusammenleben als Ehegatten nach § 17 Abs. 2 EheG erstreckt sich nicht auf Nichtehen236. Bloß vernichtbare (d.h. nichtige oder aufhebbare) Ehen sind durch die Eheschließung zunächst wirksam zustande gekommen und bleiben bis zu einem entsprechenden Urteil wirksam; durch eine Heilung des jeweiligen Fehlers ändert sich also insoweit nichts; es entfällt lediglich die VernichtungsmöglichkeiL Dagegen würde durch die sachrechtliehe Heilung einer Nichtehe eine Ehe erst entstehen. Genau das soll aber nach der Wertung des deutschen Gesetzgebers nicht geschehen. Ohne erneuten Eheschließungsakt, der die Begründung einer Ehe nach außen hin klar und eindeutig dokumentiert, soll eine nicht bestehende Ehe nicht entstehen. Nun scheitert die generelle Heilung einer Nichtehe durch Staatsangehörigkeitswechsel schon am potentiellen Vertrauen der Parteien (und Dritter) auf die bisherige Rechtslage237 . Machte man aber zur zusätzlichen Voraussetzung der Heilung, daß die Partner beim Staatsangehörigkeitswechsel noch aneinander festhalten, müßten immer, wenn es in irgendeinem Zusammenhang auf die Ehegültigkeit ankommt, von den entsprechenden Personen oder Stellen solche außerhalb der Eheschließung liegenden Ermittlungen angestellt werden. Das Ergebnis derartiger Untersuchungen, die sich zudem im Nachhinein besonders schwierig gestalten können, kann aber niemals dieselbe Klarheit und Eindeutigkeit bringen wie ein typischerweise leicht nachweisbarer förmlicher Ehe-

234 S. z.B. Ploscowe/Foster/Freed, S. 78-85; Green!Long, S. 80-89; Thomas, S. 50-63; Steding, S. 73 f. 235 S. Thomas, S. 124. 236 Z.B. Palandt!Diederichsen, § 17 EheG, Rnr. 1; Schwab, Rnr. 54; dagegen analoge Anwendung des§ 17 Abs. 2 EheGerwägend Hepting, IPRax 1994, 355, 360; für Anwendung von§ 17 Abs. 2 auch bereits Henrich, RabelsZ 37 (1973), 230, 242, der aber bei Stattfinden irgendeines Eheschließungsakts eine von vornherein nur nichtige Ehe annimmt; für Heilung von Nichtehen auch Neubaus, Festschr. Schwind 1978, 223, 236; näher unten 5. Kap. B I 2. 237 Oben m 2 c bb (3), 3 a bb (1), 3 a cc, 3 b aa.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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schluß238. Solange daher das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe nicht mit inter-omnes-Wirkung (§ 638 S. 2 ZPO) rechtskräftig festgestellt ist, wäre der Ehestatus mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Theoretisch ist zwar die vergleichbare Möglichkeit denkbar, daß das Heimatrecht der Partner einer Nichtehe - im Gegensatz zu unserer Rechtsordnung - eine sachrechtliehe Heilung von Nichtehen kennt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Bei einer derartigen Heilung durch das anwendbare Eheschließungsstatut würde die Nichtehe ebenfalls zu einer wirksamen erstarken, ohne daß ein erneuter Eheschließungsakt stattfände; einen Verstoß gegen den ordre public wird man in einer solchen sachrechtliehen Heilung nicht erblicken können. Diese parallele Situation könnte den Schluß nahelegen, daß dann auch eine Heilung durch Staatsangehörigkeitswechsel nicht an inländischen Ordnungsinteressen scheitern muß. Dies trifft aber nicht zu: Hier geht es nicht um die Anwendung ausländischen Rechts, das man bis zur ordrepublic-Grenze hinnimmt. Hier geht es um die Frage der teleologischen Reduktion einer Norm im deutschen Kollisionsrecht; dabei ist es aber erforderlich, die bereits vorhandenen Wertungen unserer Rechtsordnung zu berücksichtigen. Dazu gehört das Ordnungsinteresse an Klarheit und Eindeutigkeit der Personenstandsverhältnisse.

bb) Interesse an Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Aber auch unabhängig vom Problem des formlosen Entstehens einer Ehe durch "Heilung" läuft die rückwirkende Neubeurteilung einer Nichtehe Ordnungsinteressen zuwider. Eine Rechtsordnung soll möglichst klar und einfach sein239. Dazu gehört es, daß die rechtliche Bewertung ein und desselben Sachverhalts nicht unterschiedlich ausfällt, je nachdem, wann die Bewertung erfolgt. Denn damit setzte sich das Recht zu sich selbst in Widerspruch. Insofern beeinträchtigt jede Form der Rückwirkung das Interesse an Widerspruchsfreiheit einer Rechtsordnung. Eine solche Beeinträchtigung kann hingenommen werden, wenn die rückwirkende Neubeurteilung aus übergeordneten Interessen heraus vom Gesetzgeber angeordnet wird (wenn im materiellen Recht etwa die Irrtumsanfechtung im Interesse des Erklärenden nach § 142 BGB zurückwirkt, wobei dem Interesse der anderen Partei durch § 122 BGB Rechnung getragen wird). Wie betont, geht es hier aber darum, ob vom Anknüpfungszeitpunkt des Art. 13 Abs. 1, der eine Rückwirkung gerade vermeidet, abgewichen werden kann. In diesem Zusammenhang ist das 238 Ähnlich Böhmer, S. 46 f. 239 S. z.B. Kegel, IPR, S. 111 (§ 2 II 3).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Interesse an einer widerspruchsfreien Rechtsordnung (als eines von mehreren Interessen) zu berücksichtigen. Eine Rückwirkung ist dabei um so bedenklicher, je weiter sie zurückreicht und je mehr Widersprüche sie produziert. Durch eine rückwirkende Neubeurteilung einer Eheschließung würde meist ein längerer Zeitraum neubewertet, in den möglicherweise schon mehrere gerichtliche oder behördliche Entscheidungen fallen, die dann nicht mehr mit der rückwirkend geschaffenen Rechtslage übereinstimmen. Beispielsweise hätten die "Ehegatten" jahrelang zuviel Steuern gezahlt, weil sie getrennt statt zusammen veranlagt worden wären. Auch wenn Rechtskraft bzw. Bestandskraft dazu führen mögen, daß der vergangene Zeitraum nicht neu aufgerollt werden müßte, so bliebe doch die Tatsache, daß unsere Rechtsordnung zwei verschiedene Aussagen über den Bestand einer Ehe in diesem Zeitraum trifft, ohne daß sich die Interessenfür diesen Zeitraum geändert haben.

Das Ordnungsinteresse an Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung wird auch nicht etwa durch Aspekte der Einzelfallgerechtigkeit überwogen: Wie festgestellt, sind die Parteiinteressen gerade nicht auf rückwirkende Neubeurteilung gerichtet240.

b) Verschlechterung einer wirksamen Ehe Dieselben Gründe, die gegen die rückwirkende Verbesserung einer Nichtehe sprechen, gelten auch für die rückwirkende Verschlechterung einer nach dem Eheschließungsstatut wirksamen Ehe. Das betrifft zunächst den Fall, daß aus einer wirksamen Ehe eine Nichtehe würde: Da Mindestvoraussetzung für eine Neubeurteilung wäre, daß die Parteien bei Staatsangehörigkeitswechsel nicht mehr aneinander festhalten24 1, wäre die Frage des Bestehens einer Ehe von außerhalb der Eheschließung liegenden Umständen abhängig. Das ist mit dem Ordnungsinteresse an Klarheit von Statusfragen nicht zu vereinbaren. Aber auch die bloße Verschlechterung einer Ehe, ohne daß Folge eine Nichtehe wäre, verstößt gegen Ordnungsinteressen: Zuerst das Vorhandensein von Fehlern, die die Ehegültigkeit beeinträchtigen, zu verneinen, um später die Ehe wegen derartiger Fehler zu vernichten, trägt nicht zum Ansehen der Rechtsordnung und zur Rechtssicherheit bei. Entsprechendes gilt für die Verschlechterung einer fehlerhaften Ehe.

240 Oben III 2 e bb. 241 S. oben III 2 c ee.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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c) Verbesserung einer vernichtbaren Ehe Geht es um die Verbesserung lediglich vernichtbarer Ehen, gilt dagegen im Hinblick auf die Rückwirkung zunächst die oben24 2 angestellte Überlegung: Über den Bestand der Ehe würden keine unterschiedlichen Aussagen getroffen, da die Ehe auch vor dem Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit wirksam war. Dennoch kann das Interesse an Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung betroffen sein: Eine wandelbare Anknüpfung in der Weise, daß die Eheschließungsvoraussetzungen nach dem aktuellen Heimatrecht beurteilt würden, führte dazu, daß wir einen Eheschließungsfehler, den wir zunächst bejaht haben, nach dem Staatsangehörigkeitswechsel verneinen müßten. Nur auf den ersten Blick scheint der Widerspruch dann besonders gravierend zu sein, wenn die Eingebung der Ehe bei Bestehen eines bestimmten Hindernisses nicht nur nach dem anwendbaren Heimatrecht zivilrechtlich verboten, sondern zugleich bei uns unter Strafe gestellt ist, wie die Eingebung einer Doppelehe (§ 171 StGB). Man müßte anscheinend eine bigamische Ehe bei Erwerb einer entsprechenden Staatsangehörigkeit für zivilrechtlich wirksam erklären, auch wenn ihre Eingebung strafbar war. Die Strafandrohung zeigt jedoch, für wie wichtig wir den Grundsatz der Einehe halten; bei hinreichender Inlandsbeziehung (die jedenfalls zu bejahen ist, wenn der Straftatbestand eingreift, was nur bei bestimmten Inlandsbezügen der Fall ist243) setzen sich unsere Vorstellungen daher über den ordre public auch bei Anwendbarkeit eines Rechts durch, nach dem Polygamie zulässig ist244: Die wegen Bigamie fehlerhafte Ehe bleibt dies bereits aus diesem Grund auch bei einem Staatsangehörigkeitswechsel.

Wie aber bereits dargelegt, ist die Gültigkeit einer nur vernichtbaren Ehe unter zwei Voraussetzungen betroffen: Zum einen muß ein erheblicher Eheschließungsfehler gegeben sein; zum anderen muß er geltend gemacht werden. Unterstellt man lediglich die Frage der Geltendmachung dem neuen Statut, wird auch nur diese Frage bei einem Staatsangehörigkeitswechsel neu beantwortet. Davon nicht berührt ist das Bestehen des Fehlers nach dem Eheschließungsstatut: Er ist zwar gegeben, kann aber die Wirksamkeit der Ehe ggf. nicht mehr beeinträchtigen. Bei dieser Sichtweise erscheint der Widerspruch, der sich aus der Anwendung des neuen Heimatrechts ergibt, als nicht mehr gravierend. Man billigt

242 ill2 e dd (2). 243 Nämlich insbesondere bei Abschluß der Doppelehe im Inland, § 3 StGB, s. Dreher/Tröndle, § 171, Rnr. 2; im Ausland geschlossene Doppelehe Deutscher dagegen nur unter den Voraussetzungen des§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar. 244 S. Kegel, IPR, S. 379 a.E.f. (§ 16 VI 2).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

nicht nachträglich einen rechtswidrigen Zustand, sondern der Zustand bleibt rechtswidrig. Lediglich die Folgen des Rechtsverstoßes ändern sich.

5. Zusammenfassung und Schlußfolgerung Die unwandelbare Anknüpfung des Eheschließungsstatuts dient zunächst dem Interesse der Parteien an Anwendung des Rechts, mit dem sie jeweils am engsten verbunden sind: Da bei einem automatischen Staatsangehörigkeitswechsel durch Eheschließung typischerweise die Verbindung zum bisherigen Heimatrecht enger ist, führte Wandelbarkeit dazu, daß auf die Wirksamkeit der Eheschließung nicht dasjenige Recht Anwendung fände, mit dem die betreffende Partei am engsten verbunden ist. Das widerspräche jedoch der kollisionsrechtlichen Interessenbewertung durch den Gesetzgeber. Auch über die Behandlung eines automatischen Staatsangehörigkeitswechsels hinaus entspricht aber Unwandelbarkeit den kollisionsrechtlichen Interessen: Haben sich die Parteien auf die Beurteilung nach altem Heimatrecht eingestellt, haben sie ein Stabilitätsinteresse. Auch Dritte können ein berechtigtes Vertrauen auf kontinuierliche Beurteilung der Ehewirksamkeit haben. Die Anwendung eines späteren Heimatrechts setzt daher jedenfalls das Fehlen derartiger Stabilitätsinteressen voraus. Selbst wenn man aber - wie die h.M. - den genannten Stabilitätsinteressen durch eine vom Zusammenleben der Parteien abhängige Anwendbarkeit eines späteren Heimatrechts Rechnung trüge, widerspräche dies in vielen Fallkonstellationen der kollisionsrechtlichen Interessenlage: Zunächst müßten - unabhängig vom Bestehen konkreter Stabilitätsinteressen - nach dem Eheschließungsstatut bestehende subjektive Eheschließungsmängel von einer Wandelbarkeit ausgenommen werden; Grund hierfür ist das abstrakte Vertrauen der Parteien auf Geltung des "Antrittsrechts". Im Hinblick auf eine "Wandelung" einer Nichtehe in eine wirksame Ehe und umgekehrt ist - abgesehen von potentiell an Unwandelbarkeit bestehenden Verkehrsinteressen - das (an verschiedenen Stellen der Rechtsordnung sich ausdrückende) Ordnungsinteresse an Klarheit und Eindeutigkeit von Statusfragen hervorzuheben: Mit diesem ist eine Abhängigkeit des Ehestatus von außerhalb der Eheschließung liegenden Umständen nicht zu vereinbaren.

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Schließlich würde die -durch Wandelbarkeit bedingte -rückwirkende Neubeurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen den vor dem Staatsangehörigkeitswechsel bestehenden kollisionsrechtlichen Parteiinteressen nicht gerecht.

Diesen Interessen trägt somit die unwandelbare Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 Rechnung. Es handelt sich dabei um so erhebliche Interessen, daß sie die Fixierung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung auf den Zeitpunkt der Eheschließung auch dann tragen, wenn sich die Partner im Einzelfall nicht auf die ursprüngliche Beurteilung der Ehegültigkeit eingestellt haben. Daher ist es weder zu rechtfertigen, wirksame Ehen (nur vernichtbare eingeschlossen) mit einem Staatsangehörigkeitswechsel schlechter zu beurteilen, noch Nichtehen zu wirksamen Ehen erstarken zu lassen. Einer allgemeinen "Heilung durch Statutenwechsel" ist damit der Boden entzogen.

IV. Kumulative Anwendung des aktuellen Heimatrechts bei einer wegen objektiver Eheschließungsmängel vernichtbaren Ehe 1. Geltendmachung des Mangels als eigener Anknüpfungsgegenstand Übrig bleiben lediglich die Fälle, in denen die Ehe nach dem ursprünglichen Heimatrecht wirksam, aber aus objektiven Gründen vernichtbar ist. Ein derartiger Eheschließungsfehler ist auf das (Fort-)Bestehen der Ehe nur von Einfluß, wenn er auch geltend gemacht wird245. Nur unter dieser zweiten Voraussetzung hat ein (trennendes) Ehehindernis, das nicht unmittelbar zum Nichtbestehen der Ehe führt, also überhaupt Auswirkungen. Ist aber der Zeitpunkt der Eheschließung materiellrechtlich nicht alleinentscheidend, stellt sich die Frage, warum er es dann kollisionsrechtlich sein sollte. Dem kollisionsrechtlichen Parteiinteresse an Anwendung des Rechts der (aktuell!) engsten Beziehung entspricht es vielmehr, wenn ein nach dem Eheschließungsstatut bestehender objektiver Eheschließungsmangel, der der Geltendmachung bedarf, nur unter den Voraussetzungen des aktuellen Heimatrechts geltend gemacht werden kann. Eben diese Unterscheidung zwischen Bestehen und Geltendmachung eines Mangels auch auf kollisionsrechtlicher Ebene trifft schon Frankenstein, wenn er schreibt: "Läßt das neue Statut einen Angriff auf den Bestand der Ehe überhaupt nicht oder nicht aus dem Grunde zu, der nach dem alten Statut 245

s. bereits oben m2 e dd (2).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

vorlag, so kann der zum Angriff berechtigte Ehegatte dieses Recht nicht ausüben, solange er dem neuen Statut untersteht" 246 . Zwar bezieht Frankenstein seine Heilungsthese entgegen der hier vertretenen Auffassung247 auch auf subjektive Eheschließungsmängel248; ebenso kommt es - im Unterschied zur obigen Formulierung Frankensteins - nicht darauf an, ob beim "zum Angriff berechtigten" Ehegatten selbst der Statutenwechsel eingetreten ist, sondern nur darauf, ob die Staatsangehörigkeit des Landes, nach dessen Recht der Fehler bestand, gewechselt wurde. Der Ansatz Frankensteins, bei lediglich vernichtbaren Ehen zwischen dem Vernichtungsrecht und dessen Ausübung zu differenzieren, ist jedoch nach oben Dargelegtem richtig. Auch die wegen ihrer angeblichen Widersprüchlichkeit und der Parallele zu Art. 17 vielgescholtene Entscheidung des RCJ249 soll vielleicht genau dieses ausdrücken, wenn dort einerseits ausgeführt wird, daß die "mit Rücksicht auf das Österreichische Recht materiell ungültig geschlossene Ehe" nicht durch Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit hätte gültig werden können, andererseits aber die Klage auf Nichtigkeit dem späteren italienischen Heimatrecht unterstellt wird250. Das RG führt für das deutsche, Österreichische und italienische Recht aus: "Die Nichtigkeit einer aus sachlichrechtlichen Gründen nichtigen Ehe kann ... , solange diese nicht für nichtig erklärt oder aufgelöst ist, nur im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Das bedeutet, daß eine dem äußeren Anschein nach zu Recht bestehende Ehe so lange als gültig zu behandeln ist, bis ihre Nichtigkeit durch Klage im besonderen Verfahren mit Erfolg geltend gemacht worden ist•251. Wendet das RG sodann auf die Nichtigkeitsklage in Analogie zum damaligen Art. 17252 das aktuelle Heimatrecht an, liegt darin kein Widerspruch zur vorherigen Aussage, an der Ungültigkeit der Ehe (d.h. am Bestehen eines nach dem ursprünglichen Heimatrecht zur Vernichtbarkeit führenden Fehlers) habe sich durch den Staatsangehörigkeitswechsel nichts geändert. Nur die Geltendmachung des Fehlers kann durch das neue Statut eingeschränkt werden. Entsprechend schreibt Frankenstein (der die Entscheidung unter einem anderen Aspekt -zu Unrecht - kritisiert253) bezüglich der Nichtigkeitsklage des Ehemannes: " ... sein Recht, 246 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 189. 247 Oben m 2 d. 248 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 188. 249 RG (16.5.31), IPRspr. 1931, Nr. 59, s. oben Ein!. 250 RG, a.a.O., S. 122. 251 RG, a.a.O., S. 122. 252 Heute ist allerdings - jedenfalls für Deutsche - subsidiär das "Antrittsrecht" maßgebend, dazu näher oben m 2 d. 253 Das Gericht habe sich zu Unrecht auf fremden (nämlich den italienischen) ordre public berufen (Frankenstein, a.a.O., S. 189, Fn. 35); dieser ist aber schließlich

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die Ehe zu vernichten, ruhte, solange er Italiener war, da das italienische Recht die Ausübung dieses Rechts nicht gestattet"254. Die Interessen, die für prinzipielle Unwandelbarkeit des Eheschließungsstatuts sprachen, sind·- vorbehaltlich etwaiger Stabilitätsinteressen255 - nicht davon berührt, wenn die im Zeitpunkt der Geltendmachung bestehenden Parteiinteressen zusätzlich berücksichtigt werden. Da die Geltendmachung als eigenständige Voraussetzung neben die Frage des Bestehens eines Fehlers tritt, entspricht es vielmehr dem Interesse an Anwendung des aktuellen Heimatrechts, die Geltendmachung zusätzlich dem Recht der aktuellen Staatsangehörigkeit zu unterstellen. Ist nach beiden Rechten ein Fehler gegeben, der auch nach beiden Rechten unter denselben Voraussetzungen geltend gemacht werden kann, ergäbe sich nichts anderes als bei Anwendbarkeit nur des Eheschließungsstatuts. Läßt das neue Statut dagegen eine gegenüber dem alten Recht erweiterte Geltendmachung zu - erkennt es etwa eine nach altem Recht eingetretene Heilung des Fehlers nicht an -, so bleibt es bei der nach altem Recht eingetretenen Rechtslage: Das neue Statut soll nur kumulativ mit dem Eheschließungsstatut entscheiden; sonst käme es zu einer rückwirkenden Neubeurteilung der Ehegültigkeit256. Weiterhin kommt die (umgekehrte) Konstellation in Betracht, daß nach neuem Recht der nach ursprünglichem Recht existierende Eheschließungsfehler ebenfalls gegeben ist, aber anders als nach diesem - etwa wegen Zeitablaufs oder wegen mangelnder Klagebefugnis einer bestimmten Person - nicht mehr (uneingeschränkt) geltend gemacht werden kann. Für diesen Fall gilt ebenfalls das oben Dargelegte ohne Besonderheiten: Dem kollisionsrechtlichen Parteiinteresse entspräche es, wenn die Frage der Geltendmachung zusätzlich dem neuen Heimatrecht unterstünde. Es ist schließlich auch denkbar, daß der Eheschließungsfehler, der nach altem Heimatrecht besteht, aus Sicht des neuen Heimatstaates von vornherein überhaupt nicht gegeben ist. Hier stellt sich die Frage, wie sich die Unterstellung der "Geltendmachung" unter das neue Statut auswirkte: Besteht von vornherein kein Fehler, kann denknotwendig auch kein solcher geltend gemacht werden.

die Ursache dafür, daß der Mangel nach italienischem Recht nicht geltend gemacht werden kann; er ist daher im Rahmen des renvoi anzuwenden, s.o. II 2 c. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Erman/Arndt7 , Art. 30, Rnr. 15. 254 Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 189. 255 Dazu sogleich 2. 256 Oben m 2 e cc, dd (1).

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB Man kann es bei dieser Feststellung bewenden Jassen und die Frage, ob der nach dem Eheschließungsstatut gegebene Fehler geltend gemacht werden kann, damit verneinen. Man kann diese Situation aber auch als Angleichungsproblem begreifen: Genau genommen trifft das neue Statut über die Frage der Geltendmachung eines ihm unbekannten Eheschließungsfehlers überhaupt keine Aussage. Da das alte Statut für die Frage der Geltendmachung bei einem Staatsangehörigkeitswechsel nur noch eingeschränkt berufen ist, nämlich nur kumulativ mit dem neuen Heimatrecht, entsteht als Folge ein Normenrnangel: Das alte Statut soll über die Frage der Geltendmachung nicht (allein) entscheiden, das neue Statut regelt den konkreten Fall nicht. Ein derartiger Normenmangel ist wie derjenige der Normenhäufung im Wege der Angleichung zu beheben257. Das Ergebnis einer solchen Angleichung ist vorgezeichnet durch einen Vergleich mit der oben dargestellten Konstellation, daß der Fehler nach beiden Statuten besteht, nach dem neuen Statut aber nicht mehr geltend gemacht werden kann. Die Frage, ob bestimmte Tatsachen bei Eheschließung überhaupt einen Fehler begründen, und die Frage, ob ein gegebener Fehler geltend gemacht werden kann, hängen jeweils von der Bewertung der betreffenden Tatsache durch das jeweilige Recht ab. Bewertet eine Rechtsordnung einen Umstand überhaupt nicht erst als Eheschließungsfehler, so liegt darin ein "minus" gegenüber der Situation, daß sie einen gegebenen Fehler aufgrund bestimmter Umstände im nachhinein als tragbar ansieht. Läßt man also im Vergleichsfall die Geltendmachung des nach neuem Recht immerhin auch bestehenden Fehlers nicht zu, so muß das erst recht in dem Fall gelten, wenn aus Sicht des neuen Rechts ein Fehler überhaupt nicht gegeben ist. Dieses Ergebnis läßt sich am einfachsten durch eine kollisionsrechtliche Angleichung begründen: Ist für die Geltendmachung ein Statut berufen, nach dem ein Eheschließungsfehler überhaupt nicht besteht, so wird insoweit auch für die Frage des Bestehens des Fehlers dieses Statut mit berufen.

Ein Eheschließungfehler könnte dementsprechend dann nicht mehr zur Vernichtung der Ehe führen, wenn er entweder nach dem neuen Recht zwar besteht, aber die Voraussetzungen für eine klageweise Geltendmachung nach diesem Recht nicht (mehr) gegeben sind, oder auch, wenn er nach dem neuen Heimatrecht überhaupt nicht besteht. Die Frage einer Abweichung von Art. 13 Abs. 1 dürfte insoweit nur dann relevant werden, wenn die Ehegültigkeit als Hauptfrage zur Debatte steht, d.h. wenn eine dazu berechtigte Person Klage auf Vernichtung der Ehe erhoben hat. Es geht also um Fälle, in denen eine derartige Klage erhoben wird, obwohl die Ehe bei Anwendung des aktuellen Heimatrechts wirksam ist. Ist die Wirksamkeit der (zu diesem Zeitpunkt noch nicht vernichteten) Ehe dagegen Vorfrage für die Beurteilung einer anderen Rechtsfrage, käme man auch bei alleiniger Anwendung

257 S. dazu oben 2. Kap. D ll.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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des ursprünglichen Heimatrechts zur Bejahung der Gültigkeit258. Sollte allerdings eine Rechtsordnung bestimmte Folgen nur an eine unangreifbare Ehe knüpfen259, ohne daß die Ehe vorher vernichtet worden ist, muß über die Frage, ob die Ehe durch Klage vernichtbar ist, nach oben Dargelegtem das Recht der aktuellen Staatsangehörigkeit mitentscheiden.Wie im Hinblick auf das Bestehen des Fehlers, so kann sich natürlich auch hinsichtlich der Geltendmachung deutsches Recht über den ordre public durchsetzen. Eine Doppelehe kann daher auch bei Anerkennung durch den aktuellen Heimatstaat gegebenenfalls für nichtig erklärt werden.

2. Stabilitätsinteressen Die kumulative Anwendung des neuen Rechts mit der Folge, daß ein Vernichtungsgrund nicht geltend gemacht werden kann, kommt aber nur in Betracht, sofern die Parteien aus der nach altem Recht bestehenden Nichtigkeit beim Staatsangehörigkeitswechsel noch keine Konsequenzen gezogen haben260. War ihr kollisionsrechtliches Interesse zunächst auf Anwendung des alten Heimatrechts gerichtet, müßten sie also im Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitswechsels noch aneinander als Ehegatten festgehalten haben; die Anwendung des neuen Rechts scheidet damit aus, wenn sie sich beim Staatsangehörigkeitswechsel bereits getrennt oder gar schon Nichtigkeitsklage erhoben haben. Anders als bei einer Nichtehe261 verstößt diese Einschränkung auch nicht gegen das Ordnungsinteresse an Klarheit und Eindeutigkeit von Statusfragen: Nicht das Entstehen des Ehestatus ist von derartigen Zusatzvoraussetzungen abhängig, sondern lediglich die gerichtliche Entscheidung über das Fortbestehen. Eine solche Entscheidung aufgrund außerhalb der Eheschließung liegender Umstände wird den Gerichten aber auch zugemutet, wenn es um die sachrechtliehe Heilung vernichtbarer Ehen geht (§ 17 Abs. 2 EheG). Nach außen hin steht sowohl bis zu einer solchen gerichtlichen Entscheidung als auch danach die Frage des Ehestatus fest.

War ihr kollisionsrechtliches Interesse dagegen von vomherein auf Anwendung des späteren Heimatrechts gerichtet, so können beim Staatsangehörigkeitswechsel auch keine Stabilitätsinteressen bezüglich des alten Heimatrechts 258 259 260 261

S. bereits oben 1. Kap. C II. Vgl. oben 1. Kap. C II. Oben III 2 c ee. Dazu oben III 4 a aa.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

bestehen. Damit könnte das neue Heimatrecht konsequenterweise auch dann angewandt - und die fehlerhafte Ehe geheilt - werden, wenn die Eheleute beim Staatsangehörigkeitswechsel nicht mehr aneinander festhalten262. Haben zum Beispiel Italiener mit domicile in Großbritannien eine nach englischem Recht wirksame, nach italienischem Recht aber vernichtbare Ehe geschlossen, ist es denkbar, daß sie trotz Wirksamkeit nach englischem Recht nicht an der Ehe festhalten. Eine Heilung der Ehe bei Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit würde dennoch nicht gegen ihre Stabilitätsinteressen verstoßen, wenn sie von vornherein von der Maßgeblichkeit der englischen Beurteilung ausgegangen sind.

Die Feststellung, ob im konkreten Fall Stabilitätsinteressen vorhanden sind, wäre somit auch davon abhängig, ob das konkrete kollisionsrechtliche Parteiinteresse vor dem Staatsangehörigkeitswechsel auf Anwendung des Heimatrechts oder auf Anwendung einer anderen Rechtsordnung (beispielsweise des Aufenthaltsrechts) gerichtet war. Das ist aber mit der gesetzgeberischen Interessenabstrahierung nicht zu vereinbaren: Mit der Entscheidung für den Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit wird die Ermittlung, mit welcher Rechtsordnung eine Partei im Einzelfall am engsten verbunden ist, ersetzt263 . Diese Entscheidung ist dann aber auch bei Fortentwicklung des Kollisionsrechts zugrunde zu legen. Auch im Hinblick auf einen Wechsel der Staatsangehörigkeit sind damit Untersuchungen, ob vor dem Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit die Beziehung zum alten Heimatrecht die engste Bindung der Partei war, obsolet. Will man daher die Vemichtbarkeit kumulativ dem neuen Recht unterstellen, ist erforderlich, daß die Partner im Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitswechsels noch als Ehegatten aneinander jesthalten, unabhängig davon, zu welcher Rechtsordnung vorher im konkreten Fall die engere Bindung bestand. Ist diese Voraussetzung erfüllt -haben sich die Eheleute bei Staatsangehörigkeitswechsel also noch nicht getrennt -, so sind die Interessen, die für eine ausschließliche Anwendung des Heimatrechts vor Eheschließung sprechen, geschwunden. Falls die Ehe nur nach dem Heimatrecht eines der Gatten fehlerhaft ist und nur dieser seine Staatsangehörigkeit wechselt, sind - sofern die Partner in diesem Zeitpunkt noch aneinander festgehalten haben - auch keine schützenswerten Interessen des anderen Gatten an Erhalt der möglicherweise auch ihm zustehenden Vernichtungsmöglichkeit berührt264. Das Vertrauen in die Vernichtbarkeit wird

262 s. oben m 2 c cc, dd. 263 Oben B I, s. auch C ill.

264 Gegen eine Heilung bei einseitigem Staatsangehörigkeitswechsel aber BGH (11.6.58) JZ 1959, 121, 123 m. Anm. Beitzke S. 123 (im Rahmen von Art. 116 Abs. 2 S. 2 GG); Beitzke, a.a.O., S. 125. Möglicherweise beruht diese Ansicht in

D. Abweichen vom Anknüpftlogszeitpunkt Eheschließung

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geschützt, sofern die Partner bereits Konsequenzen aus der alten Rechtslage gezogen haben; für einen weitergehenden Erhalt des Vernichtungsrechts besteht anders als bei subjektiven Eheschließungsmängeln265 - bei nur objektiven Fehlern kein Anlaß. Interessengerechter ist in diesen Fällen die kumulative Anwendung des aktuellen Heimatrechts: Die Ehe kann also nur dann vernichtet werden, wenn der Eheschließungsfehler auch nach neuem Heimatrecht besteht266.

3. Automatischer Staatsangehörigkeitwechsel Zu beachten ist allerdings, daß das Parteiinteresse typischerweise nicht auf Anwendung des neuen Heimatrechts gerichtet ist, wenn die Staatsangehörigkeit automatisch durch Eheschließung erworben wurde. Eine nach dem ursprünglichen Heimatrecht nichtige Ehe ist daher grundsätzlich auch dann für nichtig zu erklären, wenn mit der Heirat die Staatsangehörigkeit gewechselt hat267. Nehmen allerdings die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Staat, so ist denkbar, daß sich die zunächst nur formale Staatsangehörigkeit des einen Gatten mit der Zeit tatsächlich zum Ausdruck der engsten Verbindung entwickelt. Das kollisionsrechtliche Parteiinteresse ist dann ab diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Geltendmachung des Mangels auf Anwendung des neuen Heimatrechts gerichtet. Möglich ist natürlich auch, daß die Partei bereits vor Eheschließung mit dem Recht der später automatisch erworbenen Staatsangehörigkeit am engsten verbunden war, so daß die Anwendung des neuen Heimatrechts von vornherein ihrem kollisionsrechtlichen Interesse entspräche. Beim automatischen Staatsangehörigkeitswechsel müßte die Anwendung des neuen Heimatrechts daher unter dem Vorbehalt stehen, daß zu diesem die engere Bindung der betreffenden Person besteht. Ist die Ehe also zu einem Zeitpunkt, in dem die Bindung an das Recht der automatisch erworbenen Staatsangehörigkeit die an das ursprüngliche Heimatrecht überwiegt, noch Wahrheit auf dem Schutz des Vertrauens in die Vernichtbarkeit, also auf dem Schutz von Stabilitätsinteressen; diesen ist aber anders Rechnung zu tragen. 265 Oben III 2 d. 266 Im Ergebnis ebenso z.B. Siehr, Heilung, S. 150-152; MünchKomm/ Schwimann, Art. 13, Rnr. 18; Münzer, S. 90 f. (jeweils aber weitergehend ohne Unterscheidung nach Art und Folge des Mangels). 2 67 Oben III 2 a bb. 10 Voit

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nicht vernichtet worden, kann das nur unter den Voraussetzungen des aktuellen Heimatrechts geschehen. Das bedeutet aber, daß man ermitteln muß, ob die automatisch erworbene Staatsangehörigkeit ausnahmsweise doch die engste Verbindung darstellt. Es sind also über die bloße Feststellung der Staatsangehörigkeit hinausgehende Untersuchungen erforderlich. Damit stellt sich die Frage, ob nicht dieselben Gründe, die gegen ein Abweichen von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung gesprochen haben268, auch gegen eine derartige Behandlung einer automatisch erworbenen Staatsangehörigkeit sprechen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß auch nach positiv vorhandenen Kollisionsnormen die "engste Verbindung" dann anders zu bestimmen ist, wenn die Staatsangehörigkeitsanknüpfung versagt: bei Doppelstaatern nämlich ist die Ermittlung der sog. "effektiven" Staatsangehörigkeit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 erforderlich. Besitzt jemand zwei (oder mehr) Staatsangehörigkeiten, so führt die gesetzgeberische Grundannahme, die engste Verbindung bestehe zum Heimatrecht, nicht weiter, wenn es darum geht, nur eine Rechtsordnung auf eine bestimmte Rechtsfrage anzuwenden269. Regelmäßig ist die Bindung an eine der beiden Heimatrechtsordnungen enger, zur anderen weniger eng. Damit trifft auf eine der beiden Staatsangehörigkeiten die genannte Grundannahme nicht zu. Diese soll daher für die Anknüpfung nicht entscheiden; die maßgebende Staatsangehörigkeit muß somit anhand anderer Kriterien als eben desjenigen der Staatsangehörigkeit ermittelt werden; dafür dienen nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 insbesondere der gewöhnliche Aufenthalt oder der Lebensverlauf. Damit ist aber die Situation eines automatischen Staatsangehörigkeitserwerbs vergleichbar: Die automatisch erworbene Staatsangehörigkeit versagt als isolierter Anknüpfungspunkt für die Beurteilung einer vernichtbaren Ehe, weil sie - anders als eine durch Geburt oder selbständig erworbene Staatsangehörigkeit - nicht typischerweise auf das Recht der engsten Verbindung hindeutet; sind aber insbesondere durch den der Eheschließung nachfolgenden Lebensverlauf die Bindungen an das neue Heimatrecht enger geworden, so ist die automatisch erworbene Staatsangehörigkeit wieder zum Ausdruck der engsten Bindung geworden. Sie ab diesem Zeitpunkt als Anknüpfungspunkt zu berücksichtigen, entspricht der Wertung des Gesetzgebers, wie sie in Art. 5 Abs. 1 S. 1 zutage tritt. Diegenaue Bestimmung des Zeitpunkts, in dem die Bindung an die automatisch erworbene Staatsangehörigkeit diejenige an das alte Heimatrecht überwiegt, kann 268 Oben C m. 269 Für Kumulierung der Heimatrechte bei Zulassung zur Eheschließung früher z.B. Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 70; w.N. bei Mansel, Rnr. 101.

D. Abweichen vom Anknüpftlugszeitpunkt Eheschließung

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natürlich Schwierigkeiten bereiten; insofern ist die Lage aber ebenfalls nicht anders als beim Wechsel der "effektiven" Staatsangehörigkeit eines Doppelstaaters. Wird die Staatsangehörigkeit des Partners zu der eigenen hinzuerworben, ergibt sich diese Lösung unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 S. 1: Das neue Heimatrecht kann nur dann angewandt werden, wenn zu diesem die engeren Beziehungen bestehen. Letzteres gilt allerdings wegen Art. 5 Abs. 1 S. 2 dann nicht, wenn ein Deutscher eine ausländische Staatsangehörigkeit durch Eheschließung hinzuerwirbt Hier bleibt es auch dann bei der Anwendung des deutschen Rechts, wenn die Bindung an das neue Heimatrecht die engere geworden ist.

4. Selbständiger Staatsangehörigkeitswechsel Fraglich ist, wie bei einem selbständigen Staatsangehörigkeitswechsel zu verfahren ist. Soll für die Anwendbarkeit des neuen Heimatrechts ausreichen, daß die Staatsangehörigkeit gewechselt wurde, und damit die gesetzgeberische Grundannahme genügen, daß zum (aktuellen) Heimatrecht typischerweise die engste Verbindung besteht? Oder ist mit den Verfechtern einer generellen Heilbarkeit die Einschränkung zu treffen, daß ein vollständiger Bruch zum alten Heimatstaat gegeben sein muß, was mindestens gewöhnlichen Aufenthalt im neuen Heimatstaat voraussetzt270? Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Einbürgerung ohne gewöhnlichen Aufenthalt im betreffenden Staat nur selten vorkommen wird. Denkbar ist etwa der Fall, daß ein Staat seine Staatsangehörigkeit für besondere Verdienste verleiht271. Näher liegt allerdings die Möglichkeit, daß der Ehegatte eines Staatsangehörigen zwar nicht automatisch, aber auf Antrag unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt eingebürgert wird272 . Wird aber in diesen Fällen eine Einbürgerung beantragt, die zum Verlust der ursprünglichen Staatsangehörigkeit führt - andernfalls stellt sich das Problem wegen Art. 5 Abs. 1

270 Z.B. MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18; Münzer, S. 90 f.; insoweit anders Siehr, Heilung, S. 143-145, 150, vgl. oben 1. Kap. A Ill. 271 Z.B. nach Art. 7 Abs. 3 des chinesischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 10.9.80, abgedruckt bei Bergmann/Ferid, China, S. 30: Einbürgerung wegen "anderer angemessener Gründe"; darunter ist z.B. "Einsatz für die Sache der chinesischen Revolution und den Aufbau Chinas" zu verstehen, s. Nachw. bei Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 26. 272 Z.B. nach Art. 7 Abs. 1 des chinesischen Staatsangehörigkeitsgesetzes, s. vorige Fn., abgedruckt bei Bergmann/Ferid, a.a.O., S. 30; s.a. S. 26. JO•

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

S. 1 nicht -, so spricht dies dafür, daß zu der entsprechenden Rechtsordnung auch die engere Beziehung besteht. Macht man dagegen die Anwendung des neuen Heimatrechts von zusätzlichen Voraussetzungen wie dem vollständigen Bruch zum alten Heimatstaat273 oder (zusätzlich) dem gewöhnlichen Aufenthalt im neuen Heimatstaat274 abhängig, würde die gesetzgeberische Interessentypisierung mißachtet. Derartige Einschränkungen mögen vom Standpunkt derjenigen Auffassung aus erforderlich sein, die - ohne näher zu differenzieren - bei jeglicher Art von Eheschließungsmängeln eine Heilung befürwortet: sonst würde die Ausnahme zur Regel. Im Gegensatz zu dieser Auffassung soll hier aber die Anwendung des aktuellen Heimatrechts auf ganz bestimmte Fälle beschränkt bleiben, in denen die Gründe, die für eine ausschließliche Berücksichtigung des Zeitpunkts unmittelbar vor Eheschließung sprechen, nicht zutreffen. Von diesem Interessenschwund ist der Anknüpfungspunkt Staatsangehörigkeit jedoch nicht betroffen. Bei diesem - und nur bei diesem - sollte man es daher grundsätzlich275 auch belassen, wenn man den Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung um einen weiteren, nämlich den der Geltendmachung des Mangels, ergänzt.

5. Kontinuitätsinteresse

Das Abweichen von einer positiven Kollisionsnorm wie der des Art. 13 Abs. 1 steht aber unter dem Vorbehalt, daß das Kontinuitätsinteresse an gleichbleibender Rechtsanwendung nicht dennoch die Anwendung der Norm erfordert276. Hier ist zunächst zu berücksichtigen, daß sich die Rechtsfortbildung nur auf einen ganz schmalen Teilbereich der Norm bezieht; es soll weder eine allgemeine Wandelbarkeit eingeführt (und damit der Anknüpfungszeitpunkt völlig ignoriert) werden, noch wird eine alternative Anknüpfung zugunsten der Ehegültigkeit schlechthin befürwortet: Nichtehen und wegen subjektiver Eheschließungsmängel vernichtbare Ehen sind weiterhin nach dem alten Heimatrecht zu beurteilen. 273 Z.B. Siehr, Heilung, S. 143-145; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18; w.N. oben 1. Kap. A III. 274 MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 18; Münzer, S. 90 f. 275 Ausnahme: automatischer Staatsangehörigkeitswechsel, dazu soeben 3. 276 Oben B II.

D. Abweichen vorn Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Auch bei aus objektiven Gründen vernichtbaren Ehen bleibt der Anknüpfungszeitpunkt des Art. 13 Abs. 1 insoweit maßgebend, als eine Ehe nur dann vernichtet werden kann, wenn nach dem zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Recht ein Fehler besteht. Die Anwendung des alten Heimatrechts wird lediglich durch das neue Heimatrecht beschränkt: Da das kollisionsrechtliche Parteiinteresse hinsichtlich der Geltendmachung von Mängeln auf Anwendung des aktuellen Heimatrechts gerichtet ist, soll eine Ehe nur dann wegen objektiver Eheschließungsmängel beseitigt werden können, wenn dies auch nach neuem Recht möglich ist. Die Grundaussage des Art. 13 Abs. 1, daß für die Gültigkeit einer Ehe auf den Zeitpunkt der Eheschließung abzustellen ist, bleibt erhalten. Sie wird nur ergänzt durch den Gedanken, daß in Fällen, in denen die Ungültigkeit geltend gemacht werden muß, die kollisionsrechtlichen Interessen bei Geltendmachung ebenfalls zu berücksichtigen sind. Es wurde gezeigt, daß die unwandelbare Anknüpfung des Eheschließungsstatuts in den meisten Fällen diejenige Lösung ist, die der kollisionsrechtlichen Interessenlage am besten entspricht. Damit erfüllt die Norm ihren Zweck, nämlich den Rechtsfindungsweg durch Abstrahierung der Interessen zu verkürzen, zu vereinfachen und so nachvollziehbar zu machen277 . Dann wird aber durch eine Abweichung in einem kleinen abgrenzbaren Randbereich der Norm, in welchem die Interessen anders gelagert sind als im übrigen Normbereich, das Interesse des Rechtsverkehrs an gleichbleibender Rechtsanwendung nicht beeinträchtigt. Ein Ordnungs- oder Verkehrsinteresse, das gegen eine derartige Rechtsfortbildung spricht, ist daher nicht ersichtlich.

6. Ergebnis Als Ergebnis der bisherigen Überlegungen ist Art. 13 Abs. I durch folgende Kollisionsnorm rechtsfortbildend zu ergänzen: Die Vernichtbarkeit einer nach dem Eheschließungsstatut aus objektiven Gründen fehlerhaften (z.B. bigamischen oder verbotenerweise zwischen Verwandten geschlossenen) Ehe untersteht beim Wechsel der Staatsangehörigkeit kumulativ dem aktuellen Heimatrecht, sofern die Partner im Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitswechsels noch als Ehegatten aneinander festhalten. Im Fall eines automatischen Staatsangehörigkeitswechsels gilt dies nur dann, wenn bei Geltendmachung des Mangels die engere Beziehung der betreffenden Partei zum Recht der automatisch erworbenen Staatsangehörigkeit besteht und die Partner noch in 277 Vgl. oben B I.

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einem Zeitpunkt, in dem die Bindung an das neue Heimatrecht enger ist, aneinander festhalten.

V. Antizipierende Anknüpfung 1. Einführung Hauptgrund für das Festhalten an der unwandelbaren Anknüpfung des Eheschließungsstatuts bei einer wirksam oder überhaupt nicht zustande gekommenen Ehe war die Tatsache, daß durch eine wandelbare Anknüpfung die Eheschließung rückwirkend neu beurteilt würde; damit ignorierte man aber die am Anknüpfungszeitpunkt bestehenden kollisionsrechtlichen Interessen278. Die Wirksamkeit der Eheschließung würde jedoch dann nicht - oder allenfalls für einen geringfügigen Zeitraum - rückwirkend neu beurteilt, wenn man in Fällen, in denen kun nach der Eheschließung eine andere Staatsangehörigkeit erworben wurde, antizipierend an die zukünftige Staatsangehörigkeit anknüpfte, wie dies für bestimmte Fälle Kegel279 vorgeschlagen hat. Dies ließe sich - jedenfalls auf den ersten Blick - mit den kollisionsrechtlichen Parteiinteressen begründen: Strebt jemand bei Eheschließung den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit an - befindet er sich entweder auf der Reise in den künftigen Heimatstaat280 oder hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt schon dort281 -, so wird er häufig bereits in diesem Zeitpunkt mit dem künftigen Heimatrecht am engsten verbunden sein; zumindest aber ist in diesem Zeitpunkt die dahingehende Entwicklung angelegt, die man möglicherweise ex post auch berücksichtigen könnte282. Seinem Parteiinteresse entspräche da-

278 Oben m2 e bb, cc. 279 Kegel, Festschr. Fragistas ID, S. 22; Soergei/Kegelll, Art. 13, Rnr. 41 , 69; s.o. 1. Kap. A VI. 280 In diesen Fällen für antizipierende Anknüpfung Kegel, Festsehr. Fragistas ID, S. 22; Soergei/Kegel11 , Art. 13, Rnr. 41; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16. 281 Für Einbeziehung auch dieser Fälle MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16. 282 Für einen derartigen nachträglichen "Blick in die Zukunft" zur Bestimmung der "effektiven" Staatsangehörigkeit im Rahmen von Art. 15: Soergei/Schurig12, Art. 15, Rnr. 5 m.w.N. (auch zur Gegenmeinung); MünchKomm/Siehr, Art. 15, Rnr. 14.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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her die Anwendung dieses Rechts anstelle des Heimatrechts bei Eheschließung. Steht nicht ein selbständiger, sondern ein automatischer Staatsangehörigkeitswechsel durch Eheschließung bevor, könnte man ebenfalls an die antizipierende Anwendung des künftigen Heimatrechts denken, wenn die Bindung an dieses bei Eheschließung enger als zum bisherigen ist283 oder jedenfalls die dahingehende Entwicklung - etwa durch Aufenthaltnahme im neuen Heimatstaat284 - bei Eheschließung angelegt ist. Ob aber das Parteiinteresse an Anwendung des zukünftigen Heimatrechts ausreicht, um eine antizipierende Anknüpfung zu begründen, soll anband der Konsequenzen dieser Begründung untersucht werden.

2. Antizipierende Anknüpfung bei engster Verbindung zu künftigem Heimatrecht? Das kollisionsrechtliche Parteiinteresse ist unabhängig vom sachrechtliehen Ergebnis285; es kann also auch dann auf Anwendung des künftigen Heimatrechts gerichtet sein, wenn die Ehe nach diesem "schlechter" beurteilt wird als nach dem bisherigen. Nicht nur die antizipierende Anknüpfung zugunsten, sondern auch zu Lasten der Ehegültigkeit kann daher im kollisionsrechtlichen Parteiinteresse liegen. Eine Ehe, die bei Anwendung des bisherigen Heimatrechts wirksam wäre, kann bei antizipierender Anknüpfung eine Nichtehe sein. Ein Willensmangel, der nach dem ursprünglichen Heimatrecht unbeachtlich ist, kann bei antizipierender Anknüpfung zur Aufhebung der Ehe führen. Dieser Konsequenz stehen angesichts der Hinwendung zum künftigen Heimatstaat auch Stabilitätsinteressen nicht grundsätzlich entgegen; ausgeschlossen sind solche aber nicht. Da zudem die Parteiinteressen im Zeitpunkt der Eheschließung auf Anwendung des künftigen Heimatrechts gerichtet sind, würde - anders als beim nachträglichen Staatsangehörigkeitswechsel286 - nicht etwa ein bis zum Staatsangehörigkeitswechsel bestehendes kollisionsrechtliches Interesse an Anwendung des bisherigen Heimatrechts ignoriert.

283 284 285 286

S. oben ill 2 a bb a.E. Vgl. Soergel/Schurig 12, Art. 15, Rnr. 5. Oben ill 2 b. Oben ill 2 e bb, cc.

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Den Parteiinteressen entspräche somit grundsätzlich in allen Fällen eines unmittelbar bevorstehenden Staatsangehörigkeitswechsels (und nicht nur bei einer Verbesserung der Ehe) die Anwendung des künftigen Heimatrechts am besten. Mit einer solchen generellen antizipierenden Anknüpfung wäre aber ein anderes Interesse verletzt, das der Gesetzgeber mit der Entscheidung für die Staatsangehörigkeitsanknüpfung verfolgt: das Interesse an einem zeitlich eindeutig bestimmbaren Anknüpfungspunkt nämlich. Wie bereits ausgeführt287, war ein Argument bei der Anknüpfungsentscheidung zwischen Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsprinzip, daß "ein Staatsangehörigkeitswechsel ... immer zu einem bestimmten Zeitpunkt (eintritt)"288. Es muß für den Normgeber auf der Hand gelegen haben, daß die kollisionsrechtlichen Parteiinteressen sich nicht mit dem Staatsangehörigkeitswechsel schlagartig ändern, sondern auch unmittelbar davor schon auf Anwendung des Rechts der künftigen Staatsangehörigkeit gerichtet sind. Wenn er dennoch gerade im Hinblick auf deren zeitliche Eindeutigkeit die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt wählt, bringt er damit zum Ausdruck, daß er eine generelle antizipierende Anknüpfung - etwa in der oben beschriebenen Art und Weise - ausschließen will. Die Vertreter einer antizipierenden Anknüpfung wenden allerdings auch gar nicht in allen Fällen, in denen die Partner "die Brücke nach rückwärts abgebrochen" haben289, das neue Recht auf die Ehegültigkeit an, sondern wie bei der Heilung durch nachträglichen Staatsangehörigkeitswechsel auch nur, wenn dadurch eine ansonsten fehlerhafte Ehe besser beurteilt würde290 , ohne daß sich diese Differenzierung aus der Argumentation selbst ergibt29 1. Die fast erleichterte Feststellung Siehrs, bei der von Kegel vorgeschlagenen antizipierenden Anknüpfung tauche das Problem des Statutenwechsels gar nicht auf, die entsprechenden Akte seien vielmehr schon von Anfang an gültig292 , trifft die Sache daher nicht ganz: Hätten sich die Partner bei ihrer Heirat auf der Reise nach ihrem gegenwärtigen Heimatrecht gerichtet und nicht nach dem Recht der angestrebten Staatsangehörigkeit, und wäre die Ehe nach dem neuen Recht farmfehlerhaft gewesen, wäre niemand auf die Idee gekommen, das neue Recht "von Anfang an" anzuwenden. Ist aber der Wechsel der Staatsangehörigkeit im einen Fall unbeachtlich, im anderen Fall beachtlich, hat sich "das Problem des Statutenwechsels" sehr wohl gestellt; 287 Oben C II. 288 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 31. 289 So die oft zitierte Formulierung Kegels, Soergel/Kegel 11 , Art. 13, Rnr. 41. 290 So ausdrücklich MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16. 291 Z.B. nicht aus der Argumentation Kegels (Festschr. Fragistas III, S. 22, Soergel/Kegelll, Art. 13, Rnr. 41) und Siehrs (Heilung, S. 140 f.). 292 Siehr, Heilung, S. 141 ; ähnlich Böhmer, S. 48.

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nur hat man es sich nicht bewußt gemacht, wenn die Ehe nach dem neuen Statut gültig ist. Beschränkt man aber die antizipierende Anknüpfung auf ein bestimmtes sachrechtliches Ergebnis, kann das kollisionsrechtliche Parteiinteresse allein keine tragfahige Begründung bilden.

3. Antizipierende Anknüpfung bei Handeln unter künftigem Recht

Neben der Tatsache, daß die Parteien bei Eheschließung alle Brücken zum alten Heimatstaat abgebrochen haben, wird von einigen Autoren auf den Umstand abgestellt, daß sich die Parteien bereits an das neue Recht gebunden gefühlt haben293; stillschweigend mögen auch die übrigen Autoren davon ausgegangen sein. Auf den ersten Blick scheint damit das kollisionsrechtliche Parteiinteresse gemeint zu sein: Auch dort kommt es auf die Bindung der Parteien an eine bestimmte Rechtsordnung an. Dennoch besteht ein Unterschied: Die antizipierende Anknüpfung dient nicht der Anwendung des Rechts, mit dem die Parteien objektiv am engsten verbunden sind294, sondern mit dieser Formulierung wird - implizit - zur Voraussetzung erhoben, daß diese Verbundenheit auch Motiv dafür war, eine bestimmte rechtliche Gestaltung zu wählen, nämlich diejenige, die den Anforderungen des künftigen Heimatrechts entspricht. Auf die rechtliche Gestaltung der Eheschließung haben die Parteien aber nur in bestimmtem Umfang Einfluß vorrangig dann, wenn es um die Form der Eheschließung geht. So verwundert es nicht, wenn sich in allen Beispielen, die im Bereich des Eheschließungskollisionsrechts für eine antizipierende Anknüpfung gegeben werden, die Parteien hinsichtlich der Form nach dem Recht der angestrebten Staatsangehörigkeit gerichtet haben295. "Richtet" man sich aber nach einer bestimmten Rechtsordnung, will man deren Anforderungen gerade erfüllen. Im Schutz dieses Parteiverhaltens liegt also der eigentliche Grund dafür, nur

293 Soergel/Schurig12, Art. 13, Rnr. 35; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16; Münzer, S. 95; ebenso OLG Koblenz (7.7.88), IPRspr. 1988, Nr. 62. 294 Sonst müßte auch ein Recht maßgebend sein, nach dem die Ehe schlechter beurteilt würde, s.o. 2. 295 Böhmer, S. 48; Siehr, Heilung, S. 140 f.; MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16; Münzer, S. 94 f. Auch bei der antizipierenden Anknüpfung einer rituellen Privatscheidung (Fall Ungar v. Schwebet, Kegel, Festschr. Fragistas ill, S. 22) geht es um eine Formfrage im weiteren Sinne.

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dann antizipierend anzuknüpfen, wenn die Eheschließung nach dem so berufenen Recht gültig ist. Damit handelt es sich also bei der antizipierenden Anknüpfung um Fälle des "Handelns unter falschem Recht "296. Diese Problematik wird in anderem Zusammenhang als Frage des "richtigerweise" anwendbaren Sachrechts behandelt297; eine Konsequenz daraus, daß durch die Anknüpfung an objektive Gegebenheiten - anders als bei der Rechtswahl - das anwendbare Recht ohne Rücksicht auf den Parteiwillen feststeht. Mit der antizipierenden Anknüpfung würden dagegen bestimmte Fälle kollisionsrechtlich durch ausnahmsweise Berufung des "falschen" Rechts gelöst298: die Fälle nämlich, in denen bei der Rechtshandlung ein Anknüpfungswechsel unmittelbar bevorsteht. Somit stellt sich die Frage, ob diese Fälle zu Recht anders behandelt werden als diejenigen, in denen die Parteien ohne bevorstehenden Anknüpfungswechsel auf Geltung einer anderen Rechtsordnung vertraut haben: Handelt in der zuletzt angesprochenen Konstellation jemand nach den Normen seines Aufenthaltsrechts oder eines religiösen Rechts, obwohl aus unserer Sicht Heimatrecht anwendbar ist, so ist das normaler Ausdruck davon, daß das Parteiinteresse nicht notwendig, sondern nur typischerweise auf Anwendung des Heimatrechts gerichtet ist299. Wollte man aber immer, wenn die Parteien auf die Geltung einer anderen Rechtsordnung vertrauen, diese - in Abweichung von der normierten Staatsangehörigkeitsanknüpfung - auch kollisionsrechtlich berufen, hieße das, die gesetzgeberische Interessenbewertung über Bord zu werfen300. Ist eine Person durch Staatsangehörigkeit, gewöhnlichen Aufenthalt oder auch Religion mit verschiedenen Rechtsordnungen verbunden, so fällt es auch grundsätzlich in ihren eigenen Risikobereich, Rechtshandlungen so zu gestalten, daß sie von allen diesen Rechtsordnungen anerkannt werden. Gerade wegen der Verbindung, die die Person zum jeweils anderen Recht hat, ist das Vertrauen darauf, daß nur eines der betreffenden Rechte gilt, nicht gerechtfertigt. 296 Ebenso Münzer, S. 97 a.E.f. 297 Z.B. MünchKomm/Sonnenberger, Ein!. Rnr. 444; Kegel, IPR, S. 773 (§ 21 m 3); von Bar, IPR I, Rnr. 222; kollisionsrechtliche Ausweichklausel wird (de lege ferenda?) erwogen von Lüderitz, IPR, Rnr. 149; ders., Rnr. 150, in Sonderfällen für Vertrauensschutz im IPR (nämlich hinsichtlich des Vertrauens auf Verwirklichung eines Anknüpfungspunkts). 298 Münzer, S. 99 a.E.f. 299 S.o. BI. 300 S.o. c m.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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Anders ist die Situation dagegen in den Fällen, für die eine antizipierende Anknüpfung vertreten wird: Hier sind die Parteien nicht durch unterschiedliche Anknüpfungen mit mehreren Staaten im selben Zeitraum verhältnismäßig stabil verbunden, son4ern es steht gerade die Verlagerung von Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt in einen anderen Staat unmittelbar bevor (falls nicht der gewöhnliche Aufenthalt ohnehin bereits im künftigen Heimatstaat liegt). Wenn zum bisherigen Heimatstaat in Zukunft keine Verbindung mehr bestehen wird, weil auch das Band der Staatsangehörigkeit unmittelbar nach Eheschließung gekappt wird, gibt es aus Sicht der Parteien - anders als in den eben erwähnten Fällen - keinen Grund mehr, ihre Handlungen nach dessen Recht auszurichten. Das Vertrauen auf Geltung des künftigen Heimatrechts ist also berechtigt. Anders dagegen, wenn zwar ein Staatsangehörigkeitswechsel bevorsteht, aber der gewöhnliche Aufenthalt im alten Heimatstaat beibehalten wird: Hier haben die Parteien Anlaß, sich um die rechtliche Beurteilung durch den alten Heimatstaat zu kümmern.

Weicht man in diesen Fällen von der gesetzlichen Anknüpfung ab, liegt darin keine Mißachtung der gesetzgebensehen Interessenbewertung, sondern deren Fortführung: Das Vertrauen der Parteien wird nur dann kollisionsrechtlich geschützt, wenn es sich darauf gründen kann, daß der Wechsel der maßgebenden Anknüpfung unmittelbar bevorsteht. Dieser Gedanke gilt unabhängig davon, ob sich die Parteien schon an das entsprechende Recht (z.B. Aufenthaltsrecht) gebunden gefühlt haben, bevor sie einen Staatsangehörigkeitswechsel überhaupt in Erwägung gezogen haben. Die antizipierende Anwendung des künftigen Heimatrechts kann nicht auf Fälle beschränkt werden, in denen die Parteien nicht auch schon in früheren Zeiten in die Geltung des (aus unserer Sicht) falschen Rechts vertraut haben. Es ist m.a.W. nicht etwa ein Wandel in der Bindung der Partner als Hinwendung vom derzeitigen zum künftigen Heimatrecht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr, daß ihr Vertrauen auf alleinige Maßgeblichkeit des künftigen Heimatrechts - gleichgültig, ob erst im Hinblick auf den bevorstehenden Staatsangehörigkeitswechsel entstanden oder schon vorher bestehend - durch den unmittelbar bevorstehenden Staatsangehörigkeitswechsel seine Berechtigung erhält.

Das Kontinuitätsinteresse an gleichbleibender Rechtsanwendung tritt demgegenüber zurück: Sind die Parteien auf dem Weg in den neuen Heimatstaat oder befinden sie sich schon dort, so werden Rechtsverkehr und Allgemeinheit nicht berührt, wenn man in solchen Ausnahmefällen Rechtshandlungen der Parteien, die diese unmittelbar vor Einbürgerung vornehmen, nach ihrem künftigen Heimatrecht beurteilt.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

Der antizipierenden Anknüpfung in Fällen, in denen Staatsangehörigkeitsund Aufenthaltswechsel unmittelbar bevorstehen - oder der gewöhnliche Aufenthalt bereits im künftigen Heimatstaat liegt- und die Parteien ihr Verhalten nach dem künftigen Heimatrecht ausgerichtet haben, ist daher zuzustimmen. Da Art. 13 Abs. 1 hinsichtlich der Form nur für Eheschließungen im Ausland gilt, wird eine antizipierende Anknüpfung insoweit nur bei der Beurteilung ex post relevant. Sie ist nicht auf die vergangenen Fälle von Eheschließungen späterer Israelis auf der Reise nach Israel zu beschränken301, sondern gilt wegen der parallelen Interessenlage unter den genannten Voraussetzungen für alle Fälle, in denen die Heirat unmittelbar vor einem Staatsangehörigkeitswechsel dem künftigen Heimatrecht angepaßt wird. So hatte das OLG Koblenz302 über einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Formwirksamkeit einer in Ungarn vorgenommenen jüdisch-rituellen Eheschließung zwischen einem Tschechoslowaken und einer Ungarin ging; die Frau erwarb - offenbar unter Verlust der ungarischen Staatsangehörigkeit - automatisch durch Eheschließung die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit. Unmittelbar nach der Eheschließung im Februar 1946 nahmen beide- wie bei Eheschließung geplant - gewöhnlichen Aufenthalt in der Tschechoslowakei, von wo sie drei Jahre später nach Israel auswanderten. Nach tschechoslowakischem Recht war die Eheschließung im Gegensatz zum ungarischen Recht gültig. Das Gericht bejahte die Formwirksamkeit der Ehe, weil es die Voraussetzungen für eine antizipierende Anknüpfung (einschließlich der subjektiven Bindung an das neue Heimatrecht) als erfüllt ansah. Ist die antizipierende Anknüpfung aber keine bloße Anwendung des künftigen Heimatrechts wegen Schwundes des kollisionsrechtlichen Parteiinteresses, sondern beruht sie darauf, daß die Bindung an das Recht der künftigen Staatsangehörigkeit Motiv für eine bestimmte rechtliche Gestaltung war, drängt sich die Frage auf, was in Fällen gilt, in denen die angestrebte Staatsangehörigkeit - aus welchen Gründen auch immer - schließlich doch nicht erworben wurde303 . Kegel bildet den Beispielsfall, daß die ungarischen Juden auf der Reise nach Israel es sich nach ihrer Scheidung anders überlegen und stattdessen nach Frankreich gehen304. Die subjektive Situation der Parteien im Zeitpunkt der Eheschließung ist unabhängig davon, ob die beabsichtigte Entwicklung sich später tatsächlich 301 302 303 304

So aber wohl Soergei/Keget 11 , Art. 13, Rnr. 41, 69. OLG Koblenz (7.7.88), IPRspr. 1988, Nr. 62. Zum Meinungsstand s.o. 1. Kap. A VI. Kegel, Festschr. Fragistas m, S. 22 a.E.f.

D. Abweichen vom Anknüpfungszeitpunkt Eheschließung

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verwirklicht oder nicht. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes dürfte es daher keine Rolle spielen, ob die Staatsangehörigkeit dann auch wirklich erworben wird305. Damit würde dem Vertrauensschutz gegenüber den mit der Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 verfolgten Interessen aber ein zu großes Gewicht eingeräumt: Zum einen würde die Typisierung des Parteiinteresses mißachtet, wenn die Anknüpfung nicht einmal im nachhinein verwirklicht sein muß; zugleich wäre der bezweckte Entscheidungseinklang mit dem Heimatstaat gestört; wenden sich die Parteien wie in dem von Kegel gebildeten Beispiel gar einem Drittstaat zu, wäre nicht einmal Entscheidungseinklang mit diesem gesichert. Möglicherweise beurteilen also sowohl Heimat- als auch Aufenthaltsstaat die Eheschließung als fehlerhaft 306 . Hinzu kommt folgende, bereits oben angestellte Überlegung: Erwerben die Parteien die angestrebte Staatsangehörigkeit entgegen ihren ursprünglichen Absichten nicht, bleibt insoweit also die Verbindung zum alten Heimatstaat bestehen; dann aber haben die Parteien wieder Anlaß, sich um dessen Beurteilung zu kümmern, z.B. indem sie den fehlerhaften Rechtsakt formgerecht wiederholen. Dem Argument Kegels hingegen, man solle die Wirkung einer Scheidung (auf die hier anstehende Problematik übertragen: einer Eheschließung) nicht in der Schwebe lassen307, ist zwar prinzipiell zuzustimmen; nur geht es ja beim Handeln unter dem Recht einer angestrebten Staatsangehörigkeit immer um dessen nachträgliche Beurteilung; zum späteren Beurteilungszeitpunkt steht jedoch i.d.R. fest, wie sich die Dinge entwickelt haben, so daß ein Schwebezustand in dem Sinne, daß wir noch keine abschließende Beurteilung treffen könnten, nicht entsteht. Auch das Kontinuitätsinteresse an gleichbleibender Rechtsanwendung verlangt, daß bei der Rechtsfortbildung die Grundsatzentscheidungen des Gesetzgebers beachtet werden. Dazu gehört, daß bei Art. 13 Abs. 1 an das objektive Merkmal Staatsangehörigkeit angeknüpft wird; eine völlige Verlagerung ins Subjektive widerspräche dieser Entscheidung und käme in vielen Fällen der vom Gesetzgeber abgelehnten Aufenthaltsanknüpfung gleich. Daher ist zu verlangen, daß die angestrebte Staatsangehörigkeit dann auch tatsächlich erworben worden sein muß308.

305 306 307 308 s.o. 1.

So im Ergebnis die Auffassung Kegels, a.a.O. So im Beispielsfall Kegels hinsichtlich der Scheidung. Kegel, Festschr. Fragistas ID, S. 23. So z.B. MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 16; Siehr, Heilung, S. 141; Kap. A VI.

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3. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 1 EGBGB

4. Zusammenfassung

Das Problem der rückwirkenden Neubeurteilung einer Eheschließung stellt sich nicht, wenn antizipierend an eine durch oder unmittelbar nach Eheschließung erworbene Staatsangehörigkeit angeknüpft werden kann. Begründete man eine solche antizipierende Anknüpfung allein mit dem kollisionsrechtlichen Parteiinteresse an Anwendung des Rechts der engsten Verbindung, müßte man bei bevorstehendem Staatsangehörigkeitswechsel (unabhängig vom sachrechtliehen Ergebnis) immer antizipierend anknüpfen. Damit würde jedoch der Sinn der Staatsangehörigkeitsanknüpfung, die gerade auch dem Ordnungsinteresse an einem zeitlich eindeutigen Anknüpfungspunkt dient, verwässert. Eine generelle Berücksichtigung einer künftigen Staatsangehörigkeit scheidet daher aus. Haben sich aber die Parteien bei ihrer Eheschließung an das künftige Heimatrecht gehalten, weil sie sich vor dem unmittelbar bevorstehenden Staatsangehörigkeitswechsel allein an dieses gebunden fühlten, ist es gerechtfertigt, ihr Vertrauen insoweit zu schützen und antizipierend an die angestrebte Staatsangehörigkeit anzuknüpfen, sofern diese dann tatsächlich erworben wurde.

4. Kapitel

Möglichkeiten der Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB A. Einführung Eine Einschränkung des Art. 13 Abs. 3 setzt - ebenso wie die des Art. 13 Abs. 1 -nach herkömmlicher Methodenlehre eine Regelungslücke voraus. Die jüngere Gesetzgebungsgeschichte läßt keinen Aufschluß darüber zu, ob es ähnlich wie bei Art. 13 Abs. 11 Fallgestaltungen gibt, mit deren Behandlung sich der Gesetzgeber nicht abschließend befassen wollte: Die Entwürfe des Deutschen Rats für IPR2 ebenso wie derjenige Kühnes3 waren von der ausschließlichen Maßgeblichkeit des Ortsrechts bei der Inlandsheirat abgerückt und ließen daneben die Anwendung des Geschäftsrechts, also der Heimatrechte, zu. Kühne allerdings sah ein konstitutives Registrierungserfordernis für nach Heimatrecht geschlossene Ehen vor4. Die Fälle, daß Verlobte in der Form ihres Heimatrechts heirateten, hätten nach den Vorschlägen des Deutschen Rats keine Probleme mehr aufgeworfen; die Konstruktion einer "Heilung durch Statutenwechsel", falls die Partner später Deutschland den Rücken kehrten, wäre nicht mehr erforderlich gewesen. Auch Kühne ging davon aus, daß bei seinem Vorschlag hinkende Ehen weitgehend vermieden würden5. Insofern war es nur konsequent, wenn er in seiner Entwurfsbegründung auf Heilungsfragen nur im Rahmen der materiellen Eheschließungsvoraussetzungen einging6 . Da das Neuregelungsgesetz demgegenüber an der alten Regelung des Art. 13 Abs. 3 festhält, können wie zuvor auch hinkende Auslandsehen

1 Oben 3. Kap. D I. 2 Lauterbach, S. 1 (Eheschließung I § A 111); Beitzke, Vorschläge und Gutachten 1981, s. 4. 3 Kühne, S. 6 (§ 13). 4 Änderung des Personenstandsgesetzes durch § 37 Nr. 2 !PR-Gesetz-Entwurf, S. 16; s. auch Begründung S. 86, 213 f. 5 Kühne, S. 85. 6 Kühne, S. 80.

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

entstehen7 ; wieder stellt sich somit die Frage, ob ein Teil dieser Problemfälle durch die Annahme einer "Heilung" gelöst werden könnte. Dazu schweigt die Begründung des Regierungsentwurfs. Es ist daher wie schon im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 zu untersuchen, ob es Fälle gibt, in denen die realen Interessen so von den normierten abweichen, daß auch unter Berücksichtigung des Ordnungs- und Verkehrsinteresses an kontinuierlicher Rechtsanwendung eine Gleichbehandlung ungerechtfertigt wäreB.

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB I. Partei- und Verkehrsinteresse an Anwendung der Ortsform Indem nach Art. 13 Abs. 3 bei Inlandsheirat das Ortsrecht anwendbar ist9, kommt die Vorschrift zunächst einem Parteiinteresse entgegen, nämlich dem Interesse der Eheschließenden an leichter Ermittlung der EheschließungsformlO. Das am Vornahmeort geltende Recht ist für sie am schnellsten und einfachsten zu ermitteln. Im Parteiinteresse läge hingegen auch eine andere Anknüpfung, nämlich wie für die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen die Anknüpfung an das Heimatrecht. Parteiinteressen sprechen also für zwei verschiedene Anknüpfungsmomente. Dieser Interessenlage trägt im Regelfall Art. 11 Abs. 1 dadurch Rechnung, daß er eine alternative Anknüpfung an Orts- und Geschäftsrecht zuläßt, dem Parteiinteresse also so weit wie möglich entgegenkommt. In Art. 13 Abs. 3 S. 1 wird dem Parteiinteresse an Geltung des Heimatrechts dagegen nicht mehr Rechnung getragen.

Zugleich dient die Berufung des Ortsrechts dem Interesse des Rechtsverkehrs an leichter und sicherer Rechtsanwendung 11 . 7 Das Problem ist allerdings dadurch weiter entschärft worden, daß Spanien und Griechenland (als die insoweit am häufigsten betroffenen Staaten) inzwischen die fakultative Zivilehe eingeführt haben und auch im Ausland geschlossene Zivilehen kollisionsrechtlich anerkennen; s. zu Spanien Rau, IPRax 1981, 189, 190, 191; zu Griechenland Chiotellis, IPRax 1982, 169, 170, 172. 8 Siehe oben 3. Kap. B II. 9 S. oben 2. Kap. C I. 10 So allgemein für die Anknüpfung an das Ortsrecht Kegel, IPR, S. 110 (§ 2 II 1). 11 Vgl. allg. Kegel, IPR, S. 110 (§ 2 II 2); Staudinger/Firsching12, Art. 11, Rnr. 51; von Bar, IPR II, Rnr. 600; RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 48.

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB

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II. Interessen an Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe 1. Einführung Mit dem Ausschluß der alternativen Geltung des Geschäftsrechts in Art. 13 Abs. 3 S. 1 wird deutlich, daß der Gesetzgeber bei einer Inlandseheschließung nicht primär die Parteiinteressen verfolgt, sondern ein anderes in den Vordergrund rückt: ein ausgeprägtes Interesse des Staates an Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe12. Demgegenüber verblaßt das Parteiinteresse an Heirat in der Ortsform zu einem bloßen Reflex. Im folgenden soll untersucht werden, warum dem Gesetzgeber so an der Ausdehnung der obligatorischen Zivilehe ins Kollisionsrecht gelegen ist, um dann die Möglichkeiten der Rechtsfortbildung zu behandeln.

2. Behauptete Regelungszwecke Als Gründe dafür, daß auch Eheschließungen von Ausländern13 der deutschen Ortsform bedürfen, werden im wesentlichen folgende angeführt: - Nach Auffassung einiger Autoren soll die Ausdehnung der standesamtlichen Heirat auf Ausländereheschließungen dazu dienen, materiell fehlerhafte Ehen zu verhindem 14. Man will die Prüfung der Rechtsfragen, die bei den materiellen Eheschließungsvoraussetzungen auftauchen können, nicht der heimatlichen Trauperson - soweit eine solche nach Heimatrecht überhaupt erforderlich ist - überlassen, sondern hält hierfür die Mitwirkung eines Standesbeamten für zweckmäßiger15 . Mag auch für den sachrechtliehen Bereich das Argument Berechtigung haben, Art. 6 Abs. 1 GG verpflichte den Staat, die Einhaltung der von ihm

12 Zu Recht kritisch z.B. Frankenstein, IPR Bd. 3, S. 144-149; Staudinger/Gamillscheg!0/11, Art. 13 , Rnr. 657-659; Soergel/Kegel 11 , Art. 13, Rnr. 66; Soergei!Schurigl2, Art. 13, Rnr. 79 m.w.N. 13 Ist ein Deutscher beteiligt, so wäre auch bei alternativer Geltung des Heimatrechts standesamtliche Heirat erforderlich. 14 Hepting/Gaaz, vor §§ 3 ff PStG, § 11 EheG, Rnr. 31, 36; Otto, StAZ 1973, 129, 135. 15 Hepting/Gaaz, wie vorige Fn. II Voit

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

gesetzten Ehehindernisse zu überwachen16 , so kann daraus nichts für Eheschließungen von Ausländern hergeleitet werden: Hier werden die materiellen Eheschließungsvoraussetzungen vom jeweiligen Heimatstaat aufgestellt (Art. 13 Abs. 1), und deren Einhaltung wird bei Heirat im Heimatstaat ebenfalls von der heimatlichen Trauperson überprüft. Selbst wenn diese nicht die gleiche Zuverlässigkeit besitzen sollte wie ein deutscher Standesbeamter, so ist das kein Grund, dessen Mitwirkung zu erzwingen: Warum sollte die Überwachung der materiellen Ehevoraussetzungen bei uns dringender sein als im Heimatstaat selbst? -Weiterhin wird als Zweck des Art. 13 Abs. 3 S. 1 angeführt, er diene der Klarheit der Personenstandsverhältnisse17 . Eine Eheschließung habe Auswirkung auf viele andere Rechtsverhältnisse; im Interesse der Rechtsanwendung in diesen Fällen sei es erforderlich, daß die Heirat leicht nachgewiesen werden könne. Am leichtesten lasse sich eine Eheschließung aber durch den Eintrag ins Personenstandsregister nachweisen. Ob dieser Grund aber ausschlaggebend für Schaffung und Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 war, erscheint ebenfalls fraglich. Auch an die Zulassung der Heimatform hätte man ein Registrierungserfordernis anschließen können18; ob dieses wie im Vorschlag Kühnes 19 notwendigerweise konstitutiv sein muß, ist eine andere- wohl zu verneinende20- Frage. Daß für den Gesetzgeber das Argument der "Klarheit der Personenstandsverhältnisse" zumindest nicht die entscheidende Rolle gerade für die Regelung des Art. 13 Abs. 3 gespielt hat, wird auch in der Begründung des Regierungsentwurfs deutlich. Dort heißt es, nachdem man klargestellt hat, daß am Grundsatz des Art. 13 Abs. 3 festgehalten wird: "Damit werden zugleich die im Rahmen des Entwurfs von Kühne . . . erforderlichen, in sich zweifelhaften Ergänzungen des Grundsatzes durch das Erfordernis der konstitutiven Eintragung in deutsche Personenstandsbücher überflüssig." Das 16 Z.B. Gernhuber/Coester-Waltjen, S. 106; Staudinger/Dietz10/ll, § 11 EheG, Rnr. 22 f; s. auch BVerfG (7.10.70), E 29, 166, 176. 17 Bundesverband deutscher Standesbeamter, StAZ 1981, 165, 167; Deutsches Institut für Vormundschaftswesen, DAVorm 1980, 591; Otto, StAZ 1973, 129, 135 (unter Hinweis auf das Übereinkommen über den internationalen Austausch von Auskünften in Personenstandsangelegenheiten vom 4.9.1958). S. zu diesem Ordnungsinteresse, soweit damit reine Konsensehen ausgeschlossen sind, als Argument gegen die Heilung von Nichtehen oben 3. Kap. D m 4 a aa. 18 S. z.B. Gamillscheg, RabelsZ 33 (1969), 654, 704. 19 Kühne, S. 16, 86, 213 f. 20 Eine lediglich fakultative Registrierung sahen die Entwürfe des Deutschen Rats vor, Lauterbach, S. 14 f.; Beitzke, Vorschläge und Gutachten 1981, S. 5, 34 f.

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. I EGBGB

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Argument erhält somit nur den Rang eines Nebeneffekts, durchaus aber nicht eines tragenden Grundes21 für die Regelung des Art. 13 Abs. 3 S. 1. - Mit dem soeben erläuterten Zweck verwandt, aber wohl doch nicht ganz dasselbe ist der Zweck Klarheit der Registerführung22 . Offenbar erblicken einige in dem Bestreben, alle im Inland geschlossenen Ehen lückenlos durch ein Register nachweisen zu können, einen ordnungspolitischen Selbstzweck. Hierfür gilt das soeben Gesagte. -Manche Autoren halten Art. 13 Abs. 3 für eine notwendige Konsequenz aus dem angeblich öffentlichrechtlichen Charakter der Eheschließung23. Hoheitsakte könnten aber in Deutschland nicht von ausländischen Amtsträgem ausgeübt werden24. Auch dieses Argument überzeugt als Begründung für Art. 13 Abs. 3 S. 1 nicht. Wenn zum einen Hepting/Gaaz aus der hoheitlichen Tätigkeit des Standesbeamten auch für die Trauung von Ausländern folgern, "daß eine Eheschließung im Inland nur durch Hoheitsakt erfolgen kann "25, unterliegen sie einem Zirkelschluß: Ließe man die Eheschließung in der Heimatform zu, müßte sie ja gerade nicht vor dem Standesbeamtem als Hoheitsträger stattfinden, sondern es wären z.B. auch rein private Eheschließungen möglich. Aber auch, wenn darauf abgestellt wird, daß Eheschließungen in ausländischer Form i.d.R. ebenfalls Ausübung von Hoheitsbefugnissen darstellen

(u.a. etwa, wenn "bestimmte Religionsgemeinschaften" "zugleich staatliche Funktion bewahrt haben"26), folgt daraus keineswegs zwingend, daß nach "Grundsätzen des internationalen öffentlichen Rechts" insoweit stets notgedrungen inländisches Recht anzuwenden wäre27. Zunächst ist die Eheschließung - trotz etwaiger Mitwirkung von Amtsträgem - ein privatrechtliches Rechtsgeschäft28. Selbst wenn aber an diesem privatrechtliehen Rechtsgeschäft ausländische Hoheitsträger mitzuwirken haben, hindert das nicht 21 Zum im RegE genannten "Hauptgrund" unten 3 a. 22 Angeführt von Hepting/Gaaz, vor§§ 3 ff PStG, § 11 EheG, Rnr. 36. 2 3 Sonnenberger, StAZ 1964, 289, 293; Hepting/Gaaz, a.a.O., Rnr. 35-39. 24 Sonnenberger, Hepting/Gaaz, wie vorige Fn; ähnlich auch Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 8-48. 25 Hepting/Gaaz, a.a.O., Rnr. 39. 26 Sonnenberger, StAZ 1964, 289, 293; implizit auch Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 848. 27 Gegen die These von der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts Schurig, Kollisionsnorm, S. 142-166. 28 So auch Soergel/Schurig1 2 , Art. 13, Rnr. 84 Fn. 2, gegen Hepting, StAZ 1987, 154, 156. II*

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

a priori ihre Tätigkeit im Inland. Wir sind frei, ihre Amtshandlungen in den Bereichen zuzulassen und anzuerkennen, in denen wir das für richtig halten, also z.B. soweit es um Eheschließungen von Ausländern geht. Treffend formuliert Weyers eben im Hinblick auf die Regelung des Art. 13 Abs. 3, "daß nichts uns hindert, für Zwecke unseres Rechts die Auswirkungen der Souveränität einseitig zu modifizieren, und daß es Sache unserer Rechtskunst ist, 'souverän' die Regelung auszuwählen, die uns nach Gesichtspunkten der Individualgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit in Deutschland heute richtig erscheint ... "29. Die These, die Regelung des Art. 13 Abs. 3 sei wegen des öffentlichrechtlichen Charakters der Eheschließung zwingend erforderlich, ist demnach ebenfalls unhaltbar.

3. Regelungszweck nach der Gesetzesbegründung

a) IPR-Neuregelungsgesetz Obwohl die Frage der Abschaffung oder Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 im Vorfeld der Reform äußerst lebhaft und kontrovers diskutiert wurde30, begnügt sich der Regierungsentwurf, der sich für die Beibehaltung entschieden hat, mit folgender lapidaren Begründung: " ... der Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe im innerstaatlichen Recht entspricht es aber, Ausnahmen über § 15 a EheG [jetzt Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB] hinaus bei Eheschließung im Inland nicht zuzulassen "31. Die Begründung nimmt also Bezug auf die Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe im Sachrecht32 . Damit stellt sich die Frage, ob der Gesetzge-

29 Weyers, FamRZ 1964, 169, 171. 30 Für Abschaffung z.B. der Deutsche Rat für IPR in: Lauterbach, S. 1 (Eheschließung I § A lll), und in: Beitzke, Vorschläge und Gutachten 1981, S. 4; Kühne, S. 6 (§ 13); für verfehlt hielten die Norm z.B. auch Soergel/Kegel11, Art. 13, Rnr. 66; Gamillscheg, Festschr. Nipperdey 1965 I, S. 323, 342 f. Für Beibehaltung dagegen: Bundesverband deutscher Standesbeamter, StAZ 1981, 165, 167; Deutsches Institut für Vormundschaftswesen, DAVorm 1980, 591; Otto, StAZ 1973, 129, 135; Ferid, IPR (2. Aufl.), Rnr. 8-46. 31 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 53. 32 Ebenso Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 8-46 f.: Art. 13 Abs. 3 S. 1 hat den gleichen Geltungsgrund wie die obligatorische Zivilehe selbst.

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB

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ber eine erneute Entscheidung getroffen hat, die obligatorische Zivilehe im Sachrecht beizubehalten, und welches die Gründe dafür waren.

b) Sachrechtliehe Diskussion Der erstmalig im Personenstandsgesetz von 187533 für ganz Deutschland verankerte und ins BGB übernommene Grundsatz der obligatorischen Zivilehe war ursprünglich ein Erfolg des Staates im Kulturkampf zwischen Staat und katholischer Kirche34. Deren Zuständigkeitsanspruch auf dem Gebiet der Ehe stand im Gegensatz zum staatlichen Bestreben nach konfessioneller Unabhängigkeit der Eheschließung; er wurde daher zurückgedrängt: Nunmehr garantierte der Staat die Möglichkeit der Eheschließung und nahm die Durchführung monopolartig selbst wahr. In der Folgezeit fehlte es insbesondere von katholischer Seite nicht an Bestrebungen, den strikten Grundsatz durch eine lockerere Regelung wie die der fakultativen Zivilehe zu ersetzen35. Eine vom Bundesjustizministerium 1968 eingesetzte Expertenkommission ("Eherechtskommission") sollte u.a. eine Stellungnahme zur Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe abgeben36. Sie diskutierte auf der Grundlage eines Gutachtens von Neuhaus3 7 , der der Kommission angehörte. Neuhaus hatte die Einführung der fakultativen Zivilehe mit Vorprüfung durch den Standesbeamten und anschließender (nicht-konstitutiver) Registrierung bei kirchlicher Eheschließung gefordert38. Gegen die obligatorische und für die fakultative Zivilehe machte er insbesondere folgende Gründe geltend: 33 § 41 des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6.2.1875. 34 S. z.B. Gernhuber/Coester-Waltjen, S. 105 a.E.f.; Neubaus, FamRZ 1972, 59, 63; Coester, StAZ 1988, 122, 126. 35 S. z.B. Bosch, Neue Rechtsordnung in Ehe und Familie, S. 32-115 (der dort aber unter Berufung auf Art. 4 GG bereits de lege lata von der Geltung der fakultativen Zivilehe ausgeht, S. 32, 43). 36 Eherechtskommission beim Bundesministerium der Justiz, Vorschläge zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Ehegatten, zur Neuregelung des Verlöbnisrechts, zur Reform des formellen und materiellen Eheschließungsrechts sowie zur Ehemündigkeit der Frau, 1972. 37 Aufsatzfassung in FamRZ 1972, 59-69. 38 Neubaus, FamRZ 1972, 63-65, 68 f.

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

Für weite Teile der Bevölkerung sei der kirchliche Akt der "eigentliche" Eheschließungsakt; mit der fakultativen Zivilehe würden sowohl der kirchliche als auch der staatliche Eheschließungsakt aufgewertet39. Die obligatorische Zivilehe sei mit der katholischen Eheauffassung unvereinbarW. Das früher häufig vertretene Argument des "Gewissenszwangs", der zugunsten einer kirchlichen Eheschließung ausgeübt werden könnte, habe durch die fortschreitende Säkularisierung des öffentlichen Bewußtseins an Gewicht verloren41. Politisch sei die Zulassung der fakultativen Zivilehe "Ausdruck echter Toleranz"42. Die Eherechtskommission folgte diesen Argumenten nicht, sondern schlug die Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe vor. Dabei waren zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen vertrat man die Auffassung, durch die obligatorische Zivilehe erfülle der Staat seine Pflicht zu religiöser Neutralität gegenüber allen Religionsgemeinschaften am besten: Die Befugnis zur Vomahme von Eheschließungen müßte sonst nicht nur den großen Kirchen, sondern auch kleineren Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften zuerkannt werden; eine verfassungsgemäße Abgrenzung der Befugten von den Nichtbefugten sei kaum möglich43. Zweitens befürchtete man, daß bei Zulassung der Zivilehe künftig gefordert werde, kirchlich geschlossene Ehen sollten dann auch nur kirchlich scheidbar sein44 ; dem wollte man vorbeugen. In der Folgezeit entstand ein - nicht veröffentlichter45 und später nicht weiter verfolgter46 - Entwurf des Justizministeriums zu einem Zweiten Eherechtsreformgesetz47, durch das die noch im EheG verbliebenen Materien u.a. also das Eheschließungsrecht-ins BGB zurückgeführt werden sollten4B. Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 EheG (Eheschließung nur vor dem Standesbeamten) sollte danach unverändert übernommen werden. Auch hier war Begründung, der Staat habe sich in einer weltanschaulich pluralistischen

39 Neubaus, a.a.O., S. 63 f.

40 Neubaus, a.a.O., S. 64.

41 Neubaus, a.a.O. , S. 64. 42 Neubaus, a.a.O., S. 65. 43 Eherechtskommission, S. 59 .

44 Eherechtskommission, a.a.O. 45 Vgl. Bosch, FamRZ 1982, 862; Finger, JZ 1983, 125; Coester, StAZ 1988, 122. 46 S. Coester, a.a.O. 47 Zum folgenden Finger, JZ 1983, 125-132, dem der Entwurfvorgelegen hat. 48 Finger, JZ 1983, 126.

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. I EGBGB

167

Gesellschaft neutral zu verhalten49; Überschaubarkeit und Kontrolle litten jedenfalls stark, da bei der fakultativen Zivilehe die Eheschließungsbefugnis wohl ohne Beschränkung auf die großen Kirchen allen Glaubensgemeinschaften eingeräumt werden müßte50.

c) Auswirkungen auf das Kollisionsrecht Wenn nun die Begründung des Regierungsentwurfs zur IPR-Neuregelung auf die "Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe im innerstaatlichen Recht" Bezug nimmt5 1, liegt es nahe, daß damit - wenn man überhaupt so konkret gedacht hat- die von der Eherechtskommission und dem Entwurf zum 2. Eherechtsreformgesetz dargelegten Gründe zugunsten der obligatorischen Zivilehe gemeint sind52. Es ist aber zweifelhaft, ob diese Gründe des Sachrechts ohne weiteres auf das Kollisionsrecht übertragbar sind. Bei der Diskussion um Abschaffung oder Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 geht es um die Frage, ob man -nach der Regel des Art. 11 Abs. 1 - neben dem Ortsrecht auch das Geschäftsrecht zur Verfügung stellt mit der Folge, daß Ausländer hier in der Form ihres Heimatrechts - also gegebenenfalls kirchlich, aber auch in anderer Form heiraten können. Für Deutsche bliebe es bei § 11 Abs. 1 EheG. Die Befürchtung der Eherechtskommission, Forderungen nach beschränkter Scheidbarkeit kirchlich geschlossener Ehen könnten sich erheben, geht kollisionsrechtlich ins Leere: Die Frage der Scheidbarkeit untersteht dem gesondert zu bestimmenden Scheidungsstatut (Art. 17); dieses sagt, ob geschieden werden kann oder nicht; ist damit ein ausländisches Recht berufen, sind rechtspolitische Argumente, die sich zwangsläufig nur auf unser eigenes Sachrecht beziehen, wertlos. Ist dagegen deutsches Recht Scheidungsstatut, stellt sich das Problem der Scheidbarkeit kirchlich geschlossener Ehen nicht anders, als es sich auch mit Art. 13 Abs. 3 stellt, wenn eine Ehe im Ausland kirchlich geschlossen wurde, was nach Art. 13 Abs. 1 i.V.m. 11 Abs. 1 - sofern vom Heimat- oder Ortsrecht zugelassen - möglich ist. Dieser Grund ist also für die Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 ohne Bedeutung. 49 Finger, JZ 1983, 129.

50 Entwurfsbegründung, S. 6, zitiert nach Finger, JZ 1983, 129. 51 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 53, s.o. 3 a.

52 Stutzig macht insoweit die Tatsache, daß Eherechtskommission und Entwurf

zum 2. EheRG aus Zeiten der sozialliberalen Koalition stammen, das IPR-Neuregelungsgesetz dagegen nach der "Wende" datiert; aber man mag sich mit der Sache identifiziert haben.

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

Auch das weitere Argument für die sachrechtliehe Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe, das sich in der Begründung des Entwurfs zum 2. EherechtsreformG wiederfindet, bietet kollisionsrechtlich wenig Substanz: Die Pflicht unseres Staates, sich religiös neutral zu verhalten, würde nicht verletzt, wenn dieser Ausländern ermöglichte, in ihrer Heimatform zu heiraten, während für Deutsche weiterhin die Zivilehe obligatorisch bliebe. Der deutsche Staat selbst müßte gar keine Glaubensgemeinschaften benennen und damit gegenüber anderen bevorzugen -, die zur Vomahme von Eheschließungen befugt sind. Er müßte keine Auswahl treffen, geschweige denn allen Glaubensgemeinschaften die Vomahme von Eheschließungen gestatten, sondern würde insoweit lediglich das Recht der ausländischen Heimatstaaten zum Zuge kommen lassen. An diesen ist es dann zu bestimmen, wer ihre Angehörigen trauen darf. Damit verletzt aber unser Staat nicht seine religiöse Neutralität, ebensowenig wie er sie verletzt, wenn für andere Fragen durch unsere Kollisionsnormen auf die Rechtsordnung eines ausländisches Staates verwiesen wird, in dem (partiell) religiöses Recht gilt. Wenn sich aber beide Gründe für die sachrechtliehe Beibehaltung der obligatorischen Zivilehe nicht auf das Kollisionsrecht übertragen lassen, was steht dann hinter der strikten Haltung des !PR-Gesetzgebers?

d) Gefahr der Schwächung der obligatorischen Zivilehe im Sachrecht Man könnte an eine politische Motivation denken, wie sie Wengier einmal formuliert hat, als er die Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 forderte: Man solle den Unmut derjenigen Deutschen, denen die religiöse Eheschließung verweigert würde, nicht dadurch vergrößern, daß man eine solche Ausländern gestatte53 . Ähnliche Erwägungen haben im Österreichischen Recht dazu geführt, daß man von den ursprünglichen Reformplänen abrückte und zur kollisionsrechtlichen Ausschließlichkeit der Inlandsform zurückkehrte54. Auch dieser Gedanke kann aber nicht der Grund für die Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 sein, da eine Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern bereits durch Art. 13 Abs. 3 S. 2 (früher § 15 a EheG) erfolgt, der eine Heirat in der Heimatform sogar nur eines der beiden Verlobten gestattet, wenn sie vor einer ordnungsmäßig ermächtigten Person im Sinne dieser Vorschrift stattfindet. Das könnte ebenfalls Anlaß für "Unmut" sein; 53 Wengler, JR 1981, 270. 54 S. Schwind, StAZ 1976, 121, 124.

B. Regelungszwecke des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB

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auf diesen hat man keine Rücksicht genommen. Dann hätte man aber auch den Schritt zur Abschaffung des Art. 13 Abs. 3 gehen können. Hätte man aber die Regelung des Art. 13 Abs. 3 aufgehoben, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit wieder verstärkt die Aufgabe des sachrechtliehen Grundsatzes der obligatorischen Zivilehe gefordert worden. Auch wenn man beides - wie gezeigt - argumentativ durchaus trennen kann, wäre wieder ein Nährboden für die Wiederbelebung der Diskussion geschaffen worden. Genau dies sollte aber offenbar vermieden werden, wenn die Begründung des Regierungsentwurfs so großen Wert darauf legt, über - den ja bereits existierenden - § 15 a EheG hinaus keine Ausnahmen vom Grundsatz der obligatorischen Zivilehe zuzulassen55 . Die Bezugnahme auf die Beibehaltung im Sachrecht ist somit nicht als inhaltlicher Bezug auf sachrechtliehe Argumente zu verstehen, sondern als formaler: der Grundsatz der obligatorischen Zivilehe sollte nicht auch nur in Gefahr kommen, geschwächt zu werden. Eben dies befürchtete man für den Fall der Abschaffung des Art. 13 Abs. 3. So heißt es bereits bei Kahn, allerdings noch ganz im Zeichen des Kulturkampfs: "Die obligatorische Zivilehe ist einmal ein Rechtsinstitut, zu dessen strikter Durchführung der Staat bei den bestehenden Gegenströmungen energischer und kräftiger Hilfen nicht entraten kann "56. Eine ähnliche Aussage fmdet man in jüngerer Zeit bei Ferid/Böhmer: "Solange man dem Grundsatz der obligatorischen Zivilehe folgt, ist Art. 13 Abs. 3 S. 1 die unabdingbar notwendige Sicherung dieses Grundsatzes auf internationaler Ebene .. 57.

Zwar ist der Grundsatz durch Art. 13 Abs. 3 S. 2 in der Tat bereits abgeschwächt; es ist aber etwas anderes, ob man eine bestehende Sonderregelung wie die des früheren § 15 a EheG lediglich übernimmt, oder ob man eine Norm, die bis jetzt für das Prinzip "Inlandsehe-Inlandsform" gestanden hat, abschafft. Festzuhalten ist demnach, daß man die obligatorische Zivilehe aus sachrechtliehen Gründen für so wichtig gehalten hat, daß man sie durch ihre Ausdehnung ins Kollisionsrecht stärken wollte. Dieses Motiv verleiht der Norm des Art. 13 Abs. 3 (rechts-)politischen Gehalt58. Die allgemeinen kollisionsrechtlichen Interessen, die durch eine alternative Anknüpfung nach 55 RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 53, vgl. oben 3 a.

56 Kahn, S. 126. 57 Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 8-46. Anders sah das der Deutsche Rat für IPR, s. Kegel, RabelsZ 25 (1960), 206: nicht zu befürchten, daß die obligatorische Zivilehe des materiellen deutschen Eherechts ins Wanken geriete; ähnlich Deutscher Rat bei Lauterbach, S. 11. 58 S. bereits Deutscher Rat, Lauterbach, S. 11: "mögliche Rückwirkung auf das innerstaatliche Recht (ist) eine ausgesprochen politische Frage".

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

der Kollisionsnorm des Art. 11 Abs. 1 gewahrt würden, werden durch das besondere politische Interesse an Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe verdrängt. Kollisionsnormen aber, die - in Abweichung von der allgemeinen Anknüpfung -bestimmten Normen des eigenen Sachrechts einseitig zum Durchbruch verhelfen, weil diese Normen besondere kollisionsrechtliche Interessen auf den Plan rufen, sind Kollisionsnormen des ordre public59. Damit handelt es sich bei Art. 13 Abs. 3 S. 1 um eine solche spezielle ordre-public-Norm60. Eine andere Frage ist es, ob der deutsche ordre public eine derartige Kollisionsnorm tatsächlich erforderf' 1•

C. Abweichen von Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB I. Konsequenzen aus dem ordre-public-Charakter des Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB? Fraglich ist, ob aus dem ordre-public-Charakter des Art. 13 Abs. 3 S. 1 Erkenntnisse gewonnen werden können, die für eine Einschränkung der Norm sprechen, wie dies von Henrich vorgeschlagen62 und von anderen übernommen wurde63 . Danach soll Art. 13 Abs. 3 nur bei ausreichendem Inlandsbezug anwendbar sein; dieser falle weg, wenn die Partner nach Eheschließung in ihr Heimatland zurückgekehrt seien. Aus der Klassifizierung 59 Schurig, Kollisionsnorm, S. 249, 252 f; vgl. auch Lüderitz, IPR, Rnr. 64. 60 Ganz h.M., z.B. OLG Celle (5.11.64), FamRZ 1965 = IPRspr. 1964/65, Nr. 82; Kegel, IPR, S. 385 (§ 16 X); Ferid, IPR, Rnr. 3-29,2; Kropholler, S. 234; Palandt/Heldrich, Art. 6, Rnr. 10; Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15; Ollick, S. 85 a.E.f.; Beitzke, SGb 1983, 239; Jasper, MDR 1983, 544; Erman/Hohloch9, Art. 13, Rnr. 9. A.A. Görgens, StAZ 1977, 80 f.; Oetker, ZSR 1985, 84 f. 6l Dies wird z.B. bei Staudinger/Gamillschegl0/11, Art. 13, Rnr. 657, und Gamillscheg, Festschr. OLG Celle, 61, 67, nicht von der obigen Frage unterschieden; insoweit zu Recht kritisch Bayer!Knörzer!Wandt, FamRZ 1983, 771, Fn. 13. 62 Henrich, FamRZ 1958, 122, 123; StAZ 1966, 219, 223 f., aber jeweils beschränkt auf die Ehegültigkeit als Vorfrage, oben 1. Kap. B ill; Johannsen/Henrich, Art. 13, Rnr. 15. 63 Ollick, S. 149, 169, 184 f. (wenn Ehegültigkeit Vorfrage, dagegen ausdrücklich abgelehnt für Ehegültigkeit als Hauptfrage, S. 148 a.E.f.); Münzer, S. 92 (ohne Beschränkung auf Vorfrage).

C. Abweichen von Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB

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als ordre-public-Norm wird somit geschlossen, daß dieselben Grundsätze zu gelten hätten wie bei der allgemeinen VorbehaltsklauseL Die allgemeine ordre-public-Klausel (Art. 6) ist eine Generalklausel; sie führt zu einer kumulativen Anwendung elementarer Wertungsprinzipien des deutschen Rechts64 in bestimmten Fällen, in denen nach unserem IPR grundsätzlich ausländisches materielles Recht berufen ist. Welche Fälle das sind wann also neben dem ausländischen Recht deutsches Recht anzuwenden ist -, wird u.a. aufgrund des Inlandsbezugs entschieden65; er bildet insoweit das Anknüpfungsmoment für die entsprechende Wertung des deutschen Rechts66 . Dieses Anknüpfungsmoment ist weit gefaßt, erfordert also eine Konkretisierung im Einzelfall; eine Beziehung zum Inland kann etwa aufgrundder Staatsangehörigkeit oder des Aufenthalts eines Beteiligten, durch den Vomahmeort eines Rechtsgeschäfts oder auch nur dadurch begründet sein, daß im Inland entschieden wird67. Es muß m.a.W. das betreffende Wertprinzip der deutschen lex fori daraufhin untersucht werden, welche Art und Intensität von Inlandsbezug zu seiner Anwendung führt68. Diese kollisionsrechtliche Sicht des ordre public wird nicht allgemein geteilt. Von einigen wird der ordre public als ein unmittelbar auf materiellrechtlichen Interessen beruhender Fremdkörper im kollisionsrechtlichen System angesehen69. Die unterschiedliche Sichtweise ändert aber nichts daran, daß für das Eingreifen der allgemeinen Vorbehaltsklausel ein bestimmter - bzw. zu bestimmender - Inlandsbezug gegeben sein muß.

Art. 13 Abs. 3 ist aber eine spezielle ordre-public-Klausel; sie enthält ein Anknüpfungsmoment, das als Konkretisierung des erforderlichen Inlandsbezugs angesehen werden kann, nämlich das Tatsbestandsmerkmal: Eheschließung im InlaruflO. Das erkennt auch Henrich, wenn er schreibt: "Schließt ein Paar in Deutschland die Ehe, dann ist bereits durch diese 64 Zu dieser Struktur des ordre public, die ihn - entgegen der bislang wohl herrschenden Auffassung - als Bestandteil des allgemeinen kollisionsrechtlichen Systems erscheinen läßt, s. Schurig, Kollisionsnorm, S. 248-263, insb. 259 f. 65 Z.B. Kegel, IPR, S. 379 a.E.f. (§ 16 VI 2); Lüderitz, IPR, Rnr. 206; Ferid, IPR, Rnr. 3-20. 66 Schurig, Kollisionsnorm, S. 253. 67 Schurig, Kollisionsnorm, S. 258; wohl auch Ferid, IPR, Rnr. 3-20; insoweit ohne Differenzierung a.A. Lüderitz, IPR, Rnr. 206; Palandt/Heldrich, Art. 6, Rnr. 6. 68 Schurig, Kollisionsnorm, S. 259 f. 69 S. Kegel, IPR, S. 385 (§ 16 XI): kollisionsrechtlichen Charakter negiert, da es sich lediglich um die Begrenzung von Kollisionsnormen handele; ähnlich Neumayer, Festschr. Dölle 1963 II, 179, 190; Ferid, IPR, Rnr. 3-13 ("Störenfried im internationalen Rechtsverkehr"). 70 Ebenso: Bayer!Knörzer/Wandt, FamRZ 1983, 771; vgl. auch ebda. Fn. 41.

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4. Kapitel: Rechtsfortbildung im Bereich des Art. 13 Abs. 3 EGBGB

Tatsache eine Inlandsbezogenheit gegeben" 71 . Ob diese im Vomahmeort begründete Inlandsbeziehung dem Sinn und Zweck der Vorschrift nach ausreicht, um die Anwendung des Inlandsrechts zu begründen, ist eine Frage, die allein aufgrund der der Norm des Art. 13 Abs. 3 zugrunde liegenden Interessen entschieden werden kann. Aus dem ordre-public-Charakter der Vorschrift können jedenfalls insoweit keine weitergehenden Schlüsse gezogen werden72 . Darüber hinaus kann nach einigen Vertretern dieser Auffassung die Inlandsbezogenheit offenbar nur dann schwinden, wenn die Ehegültigkeit nur als Vorfrage betroffen ist73 . Auch in bezug auf die allgemeine Vorbehaltsklausel wird vertreten, der ordre public greife nur ein, wenn das ausländische Recht die Sache in einem Hauptpunkt betreffe74 . Dies wird ebenfalls z.T. damit begründet, daß die Inlandsbeziehung abgeschwächt sei, wenn es nur um eine Vorfrage gehe75. Mag auch die Auffassung im Ergebnis zutreffen, so ist dieser Begründung jedoch zu widersprechen: Die Verquickung von Inlandsbezogenheit und Eigenschaft als Vor- oder Hauptfrage überzeugt nicht. Geht es beispielsweise um die bigamische Ehe eines hier lebenden Moslems, so ist durch den gewöhnlichen Aufenthalt ein Inlandsbezug gegeben. Für den Grad des Inlandsbezugs macht es keinen Unterschied, ob die zweite Ehefrau Unterhalt verlangt76 (Ehegültigkeit als Vorfrage) oder ob sie auf Nichtigkeit klagt (Ehegültigkeit als Hauptfrage).

71 Henrich, StAZ 1966, 223; ebenso Ollick, S. 86, 148 f., obwohl sie jeweils zunächst auch im Rahmen der speziellen Vorbehaltsklausel eine (weitergehende) Inlandsbeziehung für erforderlich hält. 72 Vgl. (in anderem Zusammenhang) Sonnenberger, StAZ 1964, 292: Relativer Wertungsmaßstab des allgemeinen ordre public ist durch Art. 13 Abs. 3 absolut gesetzt worden; Verstoß gegen Art. 13 Abs. 3 ist nach gesetzgeberischer Wertung "ohne Anschauung des Einzelfalls immer anstößig"; s. allgemein auch Ferid, IPR, Rnr. 3-31: Bei den speziellen Vorbehaltsklauseln "ist dem Richter ... die Prüfung abgenommen, ob etwa eine hinreichende Inlandsbeziehung ... das Eingreifen des o.p. rechtfertigt". 73 Henrich, StAZ 1966, 223 a.E.: "Die Inlandsbezogenheit, die ursprünglich bei der Eheschließung gegeben war, besteht nicht mehr, wenn das Paar ins Ausland gezogen ist und die Ehegültigkeit nur als Vorfrage auftaucht"; ausdrücklich Ollick, s. 148 f. 74 Kegel, IPR, S. 380 (§ 16 VI 2); Ferid, IPR, Rnr. 3-25; MünchKomm/ Sonnenberger, Art. 6, Rnr. 78, der aber (m.E. richtiger) dahingehend differenziert, ob es um die Begründung eines Rechtsverhältnisses oder um die Anerkennung von Rechtswirkungen eines bereits begründeten Rechtsverhältnisses geht. 75 Ferid, IPR, Rnr. 3-25. 76 Die Leugnung des Inlandsbezugs in einem solchen Fall kritisiert auch Lüderitz, IPR, Rnr. 208 a.E.

C. Abweichen von Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB

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Die Inlandsbeziehung hängt also nicht davon ab, ob es um Haupt- oder Vorfrage geht, sondern ist davon losgelöst zu bestimmen77. Unabhängig davon läuft diese Auffassung aber darauf hinaus, daß auch dieses Kriterium für das J;ingreifen der allgemeinen ordre-public-Kiausel auf Art. 13 Abs. 3 übertragen wird. Insoweit kann auf oben verwiesen werden: Art. 13 Abs. 3 ist eine Konkretisierung des allgemeinen ordre public, die - anders als dieser - ihre Anwendungsvoraussetzungen selbst genau umschreibt. Hiernach ist nicht zwischen Ehegültigkeit als Vor- oder als Hauptfrage zu differenzieren. Darum ist Renrieb auch zuzustimmen, wenn er meint, daß die Vorfrage der Ehegültigkeit "stets an Art. 13 EGBGB anzuknüpfen" ist78. Die Ausnahmen, die er später dann dennoch macht, lassen sich jedenfalls nicht damit begründen, daß Art. 13 Abs. 3 ordre-public-Charakter hat.

Vielmehr ist im Hinblick auf die eigenen von Art. 13 Abs. 3 verfolgten Interessen selbständig zu überprüfen, ob und wann diese mit den tatsächlichen Interessen nicht mehr übereinstimmen.

II. Flüchtige Inlandsbeziehung im Zeitpunkt der Eheschließung Ausschlaggebender Grund für die Beibehaltung des Art. 13 Abs. 3 S. 1 war - wie dargelegt79 - die Befürchtung, andernfalls werde der sachrechtliehe Grundsatz der obligatorischen Zivilehe geschwächt. Man mag insoweit anderer Auffassung sein80; die Entscheidung des Gesetzgebers ist jedoch zu respektieren. Eine generelle Abweichung von Art. 13 Abs. 3 S. 1 zugunsten des Heimatrechts der Verlobten scheidet daher von vornherein aus; andernfalls liefe die Norm leer. Auch bei ausländischer Staatsangehörigkeit der Beteiligten ist somit für die Eheschließung im Inland grundsätzlich die deutsche Eheschließungsform maßgebend. Der Ort einer Eheschließung beruht aber nicht auf irgendwelchen Zufalligkeiten, sondern im allgemeinen darauf, daß die Verlobten bei Eheschließung ihren gewöhnlichen oder zumindest einen längeren schlichten Aufenthalt im Eheschließungsstaat bereits haben oder planen. Die Beziehung zum Inland 77 Zu Recht differenziert wird z.B. von Kegel, IPR, S. 379 f. (§ 16 VI 2). Rein statistisch mag der erforderliche Inlandsbezug seltener in Fällen gegeben sein, in denen der anstößige Rechtssatz "nur" eine Vorfrage betrifft, s. Schurig, Kollisionsnorm, S. 258. 78 Henrich, FamRZ 1958, 122. 79 Oben B II 3d. 80 Deutscher Rat für IPR, s. Kegel, RabelsZ 25 (1960), 206, und Lauterbach, S. 11, s. oben B II 3d.

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reicht also im Regelfall über dessen Eigenschaft als Eheschließungsstaat hinaus. Diesen Regelfall wird der Gesetzgeber vor Augen gehabt haben, als er sich für die Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe auch im Hinblick auf Ausländer entschieden hat: Dürften Ausländer, die - wenn auch vorübergehend- im Inland wohnen, ohne die Beschränkung des Art. 13 Abs. 3 S. 2 in nichtstandesamtlicher Form heiraten, könnte davon eine Signalwirkung für die übrige Bevölkerung ausgehen. Möglicherweise gibt es aber Fälle, in denen eine derartige Signalwirkung nicht zu befürchten ist. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, daß unser IPR (über Art. 13 Abs. 3 S. 2 hinaus) auch nichtstandesamtliche Eheschließungen anerkennt, nämlich dann, wenn sie im Ausland stattgefunden haben: nach Art. 11 Abs. 1 ist in diesem Fall nämlich alternativ Orts- oder Geschäftsrecht maßgebend. Deutsche können somit im Ausland in der dort geltenden Form, d.h. gegebenenfalls auch kirchlich, heiraten. Zur möglichst weitgehenden Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe wäre es jedoch immerhin denkbar gewesen, zumindest für Deutsche auf Einhaltung der Inlandsform - und damit grundsätzlich auf einer Heirat im lnland8 1 - zu bestehen. Diesen Weg ist man aber nicht gegangen: Die Eheschließung in einer ausländischen Ortsform sollte den Parteien immer offenstehen; dies wurde in der Gesetzgebungsgeschichte auch mehrfach ausdrücklich festgehalten82 .

Das politische Interesse an Durchsetzung der obligatorischen Zivilehe ist also begrenzt. Von einer Eheschließung im Ausland wird keine unerwünschte Signalwirkung befürchtet, selbst wenn es sich um deutsche Verlobte handelt. Dasselbe gilt jedoch für Inlandseheschließungen, in denen eine über die Bedeutung als Eheschließungsort hinausgehende Beziehung zum Inland nicht (oder nicht mehr83) besteht. Denkbar ist zum einen der Fall, daß die Parteien sich lediglich auf der

Durchreise befanden, die Eheschließung also rein zufällig im Inland und nicht

im Ausland stattfand. Der inländische Rechtsverkehr ist von einer solchen Eheschließung auf der Durchreise nicht stärker betroffen, als wenn sie im

81 Für Deutsche steht im Ausland (abgesehen von der konsularischen Eheschließung, hierzu z.B. Ferid/Böhmer, IPR, Rnr. 8-53 bis 8-55) nur die Ortsform offen, nicht aber die Heimatform, h.M., MünchKomm/Schwimann, Art. 13, Rnr. 110, 119; Soergei/Schurig 12 , Art. 13, Rnr. 83; Palandt/Helddch, Art. 13, Rnr. 20 (implizit); a.A. Staudinger/Gamillscheg 10/1l, Art. 13, Rnr. 804; Staudinger/von Bar/Mankowski13, Art. 13, Rnr. 722. 82 Gebhard, Motive zum Ersten Entwurf, Niemeyer, S. 181 f. ; RegE, BT-Drucks. 10/504, S. 53: "Deutsche können somit im Ausland in der jeweils zugelassenen Ortsform gültig heiraten". 83 Dazu sogleich.

C. Abweichen von Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB

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Ausland stattfände. In diesem Fall ist die Beziehung zum Inland zu flüchtig, um das politische Interesse an Anwendung deutschen Rechts durchzusetzen84. Aber selbst, wenn sich die Parteien vor der Eheschließung längere Zeit im Inland aufgehalten haben, ist in Ausnahmef