Hegemon Und Symmachoi: Untersuchungen zum Zweiten Athenischen Seebund [Reprint 2011 ed.] 3110144441, 9783110144444

In der 1968 gegründeten Reihe erscheinen Monographien aus den Gebieten der Griechischen und Lateinischen Philologie sowi

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Hegemon Und Symmachoi: Untersuchungen zum Zweiten Athenischen Seebund [Reprint 2011 ed.]
 3110144441, 9783110144444

Table of contents :
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Erster Teil. Probleme der Seebundsorganisation
1. Kapitel. Waren die Verbündeten zur Stellung von militärischen Kontingenten verpflichtet?
A) Stellten die Bundesgenossen Schiffskontingente?
1. Direkte Quellenaussagen über Verpflichtungen der Verbündeten
2. Einsätze verbündeter Schiffe
3. Ablieferung unbemannter Schiffe an Athen? – Die Trieren in IG II2 1607
4. Ergebnis
B) Gab es ein Landheer des Seebunds?
2. Kapitel. Die finanziellen Abgaben der Verbündeten (Syntaxeis)
A) Die Festsetzung der Syntaxeis
1. Grundsätzliches
2. Andros
3. Tenedos
4. Eretria
5. Keos
6. Ainos
7. Ein Unterschied zum Phoros
8. Zusammenfassung
B) Die Einziehung der Syntaxeis
C) Die Verwaltung der Syntaxeis
1. Existierte eine Bundeskasse?
2. Die zuständige Behörde
3. Die Rechenschaftslegung
4. Syntaxis- und Eisphoraverwaltung
D) Die Verwendung der Syntaxeis
E) Die Einführung der Syntaxeis
1. Zur Mitwirkung der Verbündeten
2. Das Einführungsdatum
Exkurs: Die Beitragsfreiheit Thebens
3. Jährliche oder unregelmäßige Zahlung?
F) Zusammenfassung
3. Kapitel Das athenische Münzgesetz von 375/4 und die Bundesgenossen
A) Das Münzgesetz und die Gründung des Seebunds
B) Mögliche Auswirkungen des Gesetzes auf die Bundesgenossen
C) Die näheren Umstände des Nomotheten-Beschlusses von 375/4
D) Zusammenfassung
Zweiter Teil. Einzelne Poleis und der Seebund
4. Kapitel. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2
A) Zum Text der Inschrift
B) Zum Verhältnis des athenischen Dekrets zu dem der Bundesgenossen
C) Dogma oder Psephisma?
D) Der Fall Paros: Schlichtung interner Auseinandersetzungen
1. Zur Terminologie
2. Der Vergleich zum Fall Keos
3. Die machtpolitische Lage im Jahr 373/2
4. Paros und Athen
E) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs
1. Nähere Umstände der Diallagai
2. Zu einigen Konsequenzen der Interpretation
3. Versuch einer historischen Einordnung
Anhang: Eine mögliche Ergänzung von Zeile zwei der Inschrift
5. Kapitel. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre
A) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung (IG II2 125)
1. Phokion, der Tyrann Plutarchos und der Angriff auf Eretria
2. Die Datierung des Hegesippos-Dekrets ins Jahr 348
3. Die Seebundsmitgliedschaft der Euböer
4. Die Unternehmungen von 349/8: Ergebnis und Einordnung
B) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG II2 149)
1. Der Text der Inschrift
2. Der Charakter des Dokuments
3. Datierung
4. Ergebnis
6. Kapitel. Delos und der Seebund
A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums
1. Die Wiedereinrichtung der athenischen Verwaltung
2. Die Mißhandlung der athenischen Amphiktyonen
3. Die Mitwirkung andrischer Amphiktyonen
4. Die Mitwirkung von Delos an der Tempelverwaltung
5. Der delisch-athenische Streit in Delphi
B) War Delos Mitglied im Zweiten Athenischen Seebund?
C) Seebundsmitgliedschaft und Verschuldung beim Tempel
1. Identität von Schuldner- und Mitgliedspoleis?
2. Darlehensnahme und Syntaxis des Seebunds
3. Die Durchsetzung der Tempelansprüche
4. Die Tempelkredite innerhalb der athenischen Seebundspolitik
D) Fremde Richter in den Seebunds Städten
E) Athen, Delos und der Seebund (Ergebnisse)
1. Athen und Delos
2. Das Heiligtum und der Seebund
Schluß
A) Die wichtigsten Ergebnisse
B) Gesichtspunkte für die Gesamtentwicklung des Seebunds
1. Kosten und Nutzen
2. Herrschaft und Partnerschaft
3. Der Seebund nach dem Bundesgenossenkrieg
Literaturverzeichnis
Indices
A) Quellen
1. Inschriften
2. Literarische Quellen
B) Namen
C) Sachbegriffe
D) Griechische Termini

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Martin Dreher Hegemon und Symmachoi

w

Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Winfried Bühler, Peter Herrmann und Otto Zwierlein

Band 46

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

Hegemon und Symmachoi Untersuchungen zum Zweiten Athenischen Seebund von

Martin Dreher

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1995

G e d r u c k t m i t U n t e r s t ü t z u n g des F ö r d e r u n g s - u n d B e i h i l f e f o n d s Wissenschaft der V G Wort

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahrxe

Dreher, Martin: Hegemon und Symmachoi : Untersuchungen zum Zweiten Athenischen Seebund / von Martin Dreher. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Bd. 46) Zugl.: Konstanz, Univ., Habil.-Schr., 1991/92 ISBN 3-11-014444-1 NE: G T

© Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1991 /92 von der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz als Habilitationsschrift angenommen. Sie wurde für den Druck leicht gekürzt und überarbeitet, das Manuskript wurde im Juli 1994 abgeschlossen. Der Plan zu dieser Arbeit entstand während meiner Mitarbeit an dem von der DFG geförderten Projekt „Prozeßrechtiiche Inschriften der griechischen Poleis" am Leopold-Wenger-Institut der Universität München. Gerhard Thür, der das Projekt leitet, hat mich in dieser Zeit an rechtshistorische Fragestellungen und Methoden herangeführt und meine Studien nach Kräften gefördert. In Konstanz dann war Wolfgang Schuller, dessen eigene Habilitationsschrift dem Ersten Athenischen Seebund gewidmet war, ein für mein Vorhaben idealer Mentor; er hat mich in jeder nur wünschenswerten Hinsicht vorbehaltlos unterstützt. Die beiden Genannten und Raphael Sealey (Berkeley) haben auch die Fachgutachten im Habilitationsverfahren verfaßt, denen ich wertvolle Anregungen verdanke. Weitere Hinweise und Auskünfte haben mir Peter Funke, Martin Hose, Wolfgang Rosier, Ute Schillinger und Gerd Stumpf zukommen lassen. Durch das freundliche Entgegenkommen der damaligen Direktorin, Dina Peppas Delmousou, und ihrer Stellvertreterin, Chara Karapa Molisani, konnte ich 1985 und 1989 im Epigraphischen Museum Athen an den für das Thema einschlägigen Inschriften arbeiten; auch konnte ich dort mehrere Photographien anfertigen lassen, darunter die beiden, die dank der freundlichen Genehmigung des Museums diesem Buch als Bildtafeln beigegeben werden können. Die Besichtigung weiterer Steine hat mir die American School of Classical Studies, besonders J. Diamant, in ihrem Athener Agora-Museum ermöglicht. Allen Genannten gilt mein aufrichtiger Dank. Für die Aufnahme in die Reihe „Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte" und für ihre Verbesserungsvorschläge bin ich den Herausgebern zu Dank verpflichtet. Insbesondere Peter Herrmann hat zahlreiche Hinweise beigesteuert und sich darüber hinaus der Mühe des Korrekturlesens unterzogen. Thomas Witte gilt mein Dank für seine aufopferungsvolle Mitarbeit an den Indices. Der Verwertungsgesellschaft Wort danke ich für einen beträchtlichen Druckkostenzuschuß. Konstanz, im Dezember 1994

Martin Dreher

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis Einleitung

XI 1

Erster Teil Probleme der Seebundsorganisation 1. Kapitel Waren die Verbündeten zur Stellung von militärischen Kontingenten verpflichtet? A) Stellten die Bundesgenossen Schiffskontingente? 1. Direkte Quellenaussagen über Verpflichtungen der Verbündeten a) Die Timotheos-Expedition nach Kerkyra i. J. 375 (Xen. hell. 5, 4, 66) b) Die Argumentation der Kerkyräer nach Xen. hell. 6, 2, 9 . . c) Die Differenzierung der Symmachoi bei Isokr. 7, 2 2. Einsätze verbündeter Schiffe a) Die boiotischen Trieren i. J. 373 bei [Dem.] 49 b) Die thrakischen Trieren i.J. 373 bei Diod. 15, 47, 2 c) Die Hilfe des Alketas i.J. 373 nach Xen. hell. 6, 2, 10 . . . . d) Die Hilfe der Mytilenaier nach IG II 2 107 e) Die Triere von Peparethos 3. Ablieferung unbemannter Schiffe an Athen? — Die Trieren in IG II 2 1607 4. Ergebnis B) Gab es ein Landheer des Seebunds?

11 11 12 12 18 19 20 21 25 26 27 29 30 34 38

2. Kapitel Die finanziellen Abgaben der Verbündeten (Syntaxeis)

41

A) Die Festsetzung der Syntaxeis 1. Grundsätzliches 2. Andros 3. Tenedos

41 41 43 44

VIII

B) C)

D) E)

F)

Inhaltsverzeichnis

4. Eretria 5. Keos 6. Ainos 7. Ein Unterschied zum Phoros 8. Zusammenfassung Die Einziehung der Syntaxeis Die Verwaltung der Syntaxeis 1. Existierte eine Bundeskasse? 2. Die zuständige Behörde a) Bisherige Vorstellungen b) Neuer Vorschlag: Athenische Synhedroi 3. Die Rechenschaftslegung a) Die Rechenschaftspflicht der Strategen b) Die Rechenschaftspflicht der athenischen Synhedroi 4. Syntaxis- und Eisphoraverwaltung Die Verwendung der Syntaxeis Die Einführung der Syntaxeis 1. Zur Mitwirkung der Verbündeten 2. Das Einführungsdatum Exkurs: Die Beitragsfreiheit Thebens 3. Jährliche oder unregelmäßige Zahlung? Zusammenfassung

45 57 57 59 60 61 65 65 68 68 69 71 71 74 76 78 80 80 81 84 86 88

3. Kapitel Das athenische Münzgesetz von 3 7 5 / 4 und die Bundesgenossen . . . . A) B) C) D)

90

Das Münzgesetz und die Gründung des Seebunds 91 Mögliche Auswirkungen des Gesetzes auf die Bundesgenossen . . . 96 Die näheren Umstände des Nomotheten-Beschlusses von 3 7 5 / 4 . 104 Zusammenfassung 105 Zweiter Teil Einzelne Poleis und der Seebund

4. Kapitel Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 3 7 3 / 2

109

A) Zum Text der Inschrift B) Zum Verhältnis des athenischen Dekrets zu dem der Bundesgenossen C) Dogma oder Psephisma? D) Der Fall Paros: Schlichtung interner Auseinandersetzungen 1. Zur Terminologie 2. Der Vergleich zum Fall Keos

109 113 117 118 119 120

Inhaltsverzeichnis

3. Die machtpolitische Lage im Jahr 373/2 4. Paros und Athen E) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs 1. Nähere Umstände der Diallagai 2. Zu einigen Konsequenzen der Interpretation 3. Versuch einer historischen Einordnung . a) Externe Schlichtung von Fraktionskämpfen b) Zwischenstaatliche Schiedsgerichte und fremde Richter . . . . Anhang: Eine mögliche Ergänzung von Zeile zwei der Inschrift . . . .

IX

124 128 131 132 135 139 139 143 152

5. Kapitel Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

155

A) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung (IG II 2 125) 155 1. Phokion, der Tyrann Plutarchos und der Angriff auf Eretria . . 156 2. Die Datierung des Hegesippos-Dekrets ins Jahr 348 167 3. Die Seebundsmitgliedschaft der Euböer 173 4. Die Unternehmungen von 349/8: Ergebnis und Einordnung . . 178 B) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG II 2 149) 180 1. Der Text der Inschrift 181 2. Der Charakter des Dokuments 185 3. Datierung 193 4. Ergebnis 197

6. Kapitel Delos und der Seebund

198

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums 198 1. Die Wiedereinrichtung der athenischen Verwaltung 198 2. Die Mißhandlung der athenischen Amphiktyonen 203 3. Die Mitwirkung andrischer Amphiktyonen 215 a) Die Andrier als Repräsentanten des Seebunds 216 b) Das Verhältnis zwischen andrischen und athenischen Amphiktyonen 223 c) Das Ausscheiden der Andrier aus der Amphiktyonie 226 4. Die Mitwirkung von Delos an der Tempelverwaltung 227 5. Der deüsch-athenische Streit in Delphi 231 B) War Delos Mitglied im Zweiten Athenischen Seebund? 234 C) Seebundsmitgliedschaft und Verschuldung beim Tempel 241 1. Identität von Schuldner- und Mitgliedspoleis? 241 a) Die Schulden zu Beginn der athenischen Verwaltung 241 b) Die Neuvergabe von Krediten 245 c) Ergebnis 250 2. Darlehensnahme und Syntaxis des Seebunds 251

X

Inhaltsverzeichnis

3. Die Durchsetzung der Tempelansprüche 253 4. Die Tempelkredite innerhalb der athenischen Seebundspolitik . 257 D) Fremde Richter in den Seebunds Städten 259 E) Athen, Delos und der Seebund (Ergebnisse) 265 1. Athen und Delos 265 2. Das Heiligtum und der Seebund 268 Schluß

273

A) Die wichtigsten Ergebnisse B) Gesichtspunkte für die Gesamtentwicklung des Seebunds 1. Kosten und Nutzen 2. Herrschaft und Partnerschaft 3. Der Seebund nach dem Bundesgenossenkrieg

273 276 276 281 287

Literaturverzeichnis

293

Indices

301

Α) Quellen 1. Inschriften 2. Literarische Quellen B) Namen C) Sachbegriffe D) Griechische Termini

301 301 304 310 313 316

Bildtafeln

zwischen S. 300/301

Abkürzungsverzeichnis Antike Autoren (mit Ausnahme von Dem. = Demosthenes und FGrHist = Fragmente der griechischen Historiker, hg. v. F. Jacoby, Berlin/Leiden 1923 ff.), Sammelwerke und Lexika sind nach dem Kleinen Pauly Bd. I, München 1975, abgekürzt. Die Zeitschriftensiglen sind nach L'annee philologique aufzulösen. Darüber hinaus sind folgende Abkürzungen verwendet: ATL BE EM GD I. Delos IG PA Prozeßkommentare

StV II

StV III

Syll. 3

1

2

The Athenian Tribute Lists, 4 Bde., hg. v. B. D. Meritt/H. T. Wade-Gery/M. F. McGregor, Princeton 1939-1953. Bulletin epigraphique in: Revue des Etudes Grecques Epigraphisches Museum Athen Guide de Delos (s. Literaturverzeichnis unter Bruneau/Ducat) Inscriptions de Delos (s. Literaturverzeichnis unter Coupry und unter Plassart) Inscriptiones Graecae, Berlin 1873 ff. J. Kirchner, Prosopographia Attica, 2 Bde., Berlin 1901 - 1 9 0 3 Prozeßrechtliche Kommentare zu einzelnen Inschriften im Rahmen des Projekts «Prozeßrechtliche Inschriften der griechischen Poleis» 1 . Der Band zu den attischen Inschriften wird derzeit für den Druck vorbereitet 2 . Die Staatsverträge des Altertums II: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 700 bis 338 v. Chr. Unter Mitwirkung von R. Werner bearbeitet von H. Bengtson, München 1975 2 . Die Staatsverträge des Altertums III: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 338 bis 200 v. Chr., bearbeitet von Η. H. Schmitt, München 1969. W. Dittenberger, Sylloge inscriptionum Graecarum, Leipzig 1915-1924 3 .

Vgl. dazu H. J. Wolff, Sammlung griechischer Rechtsinschriften, ZRG 98, 1981, 6 0 6 - 6 0 8 = ZPE 45, 1982, 1 2 3 - 1 2 6 . Erschienen ist jetzt der erste Band der Reihe: G. Thür / H. Taeuber (Hgg.), Prozeßrechtliche Inschriften der griechischen Poleis: Arkadien (IPArk), SAWW 607. Band, Veröffentlichungen der Kommission für Antike Rechtsgeschichte Nr. 8, hg. v. W Selb, Wien 1994.

Einleitung In der modernen Forschung wurden dem Zweiten Athenischen Seebund 1 des vierten Jahrhunderts v. Chr. folgende Monographien gewidmet. Den Grundstein legte Georg Busolt mit seiner Abhandlung «Der Zweite Athenische Bund», die zwar als Teil des siebten Supplementbandes der Jahrbücher für classische Philologie (1873-1875) erschien, von ihrer Anlage und ihrem Umfang her aber als Monographie zu betrachten ist. Busolt bemühte sich um eine Analyse der "Verfassung des Bundes" und stellte das "Verhältniss Athens zu den Seestädten" von der Schlacht bei Knidos bis zur Schlacht von Chaironeia dar. Viele seiner Ausführungen haben bis heute Gültigkeit behalten oder sind zumindest einer Auseinandersetzung wert. In großen Teilen der nachfolgenden Literatur ist Busolts Werk jedoch zu wenig berücksichtigt worden, wozu allerdings auch dessen nur grob untergliederte, nicht leicht überschaubare und durch keine Indices erschlossene Darstellung beigetragen haben mag. Von der methodischen Anlage der Untersuchung her kann insbesondere Busolts — natürlich auch zeitgebundene — Rekonstruktion einer Bundesverfassung heutigen Maßstäben nicht mehr genügen. Die zum Teil selbst in Gesetzessprache übergehende, wie eine moderne Staatsverfassung mit Kommentar aufgebaute Darstellung suggeriert ein juristisch geschlossenes Paragraphenwerk, das so als ganzes nicht existierte und dessen Einzelbestimmungen häufig genug nur vermutet oder aus Analogieschlüssen gewonnen sind. Insbesondere kann das nach Busolts Meinung legitime Verfahren, bei fehlenden Informationen die Verhältnisse des "Ersten Athenischen Bundes" des fünften Jahrhunderts umstandslos auf den Zweiten Bund zu übertragen, nicht akzeptiert werden. Trotzdem sind seine systematischen Fragestellungen, soweit dazu Quellenmaterial vorliegt, unverzichtbar für die Erforschung des Bundes; einige davon, die in der Folgezeit stark vernachlässigt wurden, werden im ersten Abschnitt dieser Untersuchung wieder aufgegriffen. Die fehlende Einheitlichkeit und Klarheit von Busolts Ausführungen sowie einige inzwischen bekannt gewordene Inschriftenfunde rechtfertigten für F. H. Marshall eine zusammenfassende Neubearbeitung des Themas 2 . In seinem schmalen Buch «The Second Athenian Confederacy» aus dem Jahr 1905 machte er in prägnanter Kürze und Übersichtlichkeit das bis dahin bekannte Material dem gelehrten Publikum leichter zugänglich. Eine problemorientierte, gut dokumentierte Untersuchung legte Silvio Accame unter dem Titel «La lega ateniese del sec. IV a. C.» im Jahr 1941 vor.

1 2

Z u dieser Bezeichnung siehe weiter unten in dieser Einleitung. Vgl. Marshall, Confederacy S . X I .

2

Einleitung

Accame, der sich auf wiederum vermehrtes inschriftliches Material, vor allem auch auf wichtige Neubearbeitungen desselben, stützen konnte, befaßte sich sehr intensiv mit den Inschriften, die er oft selbst an den Steinen überprüfte 3 , und präsentierte eine Reihe von neuen Ergänzungen und Interpretationen. Accames Buch ist bis heute Ausgangs- und Bezugspunkt jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Zweiten Athenischen Seebund. Auch die vorliegende Arbeit hat ihm viel zu verdanken. Ein ganzes Kapitel ζ. B. (4. Kapitel) hat die von Accame in einem Anhang publizierte Neulesung und Kommentierung des bundesgenössischen Dekrets von 373/2 zum Gegenstand. Jack Cargills «The Second Athenian League» aus dem Jahr 1981 ist die jüngste Monographie zum Thema und unterscheidet sich von den umfassend angelegten früheren Studien dadurch, daß der Verfasser sich auf die Fragestellung konzentriert, ob der Seebund des vierten Jahrhunderts als Herrschaft Athens über seine Verbündeten oder als partnerschaftliche Allianz zu charakterisieren sei: «Empire or free alliance?» lautet der Untertitel des Buches. Während die frühere Forschung überwiegend zu der Ansicht tendierte, Athen habe die liberalen Grundsätze des Zweiten Seebunds nur knapp ein Jahrzehnt lang respektiert, sei dann aber nach der Schlacht bei Leuktra schnell wieder in die imperiale Politik des fünften Jahrhunderts zurückgefallen, spricht sich Cargill gegen einen solchen Umschwung aus und vertritt die These, Athen habe sich während der gesamten Dauer des Bundes an die anfänglich aufgestellten Prinzipien gehalten und am Charakter der "free alliance" nicht gerüttelt 4 . Cargills These hat bei den wenigsten Fachkollegen, die sich dazu geäußert haben, volle Zustimmung gefunden 5 . Aber auch die meisten derjenigen, die sie nicht oder nicht in toto akzeptieren, erkennen an, daß Cargill durch seine anti-traditionelle Betrachtungsweise und seine neuen Argumente einen interesssanten Beitrag zur Diskussion über den Charakter des

3 4

5

Cargill, League 2, mißtraut den Lesungen Accames; vgl. auch u. 4. Kap. A). Cargills Darstellung erweckt den Eindruck, als habe er einen völlig neuen Standpunkt begründet (relativiert schon von W. Schuller, H Z 238, 1984, 122) und reiht auch Busolt undifferenziert unter die Vertreter der Imperialismus - These ein (S.l). Demgegenüber ist daraufhinzuweisen, daß Busolt in der oben genannten Abhandlung, die Cargill bei seiner Untersuchung des Aristoteles - Dekrets im ersten Teil seines Buches mehrfach, danach aber kaum mehr zitiert, heftig und ausführlich gegen die Meinung, der Seebund habe sich in eine άρχή umgewandelt, polemisiert hat, wenngleich meist mit anderen Argumenten, als sie dann Cargill entwickelt; vgl. Busolt, Bund 821ff., besonders 845ff. (viele von Busolts Thesen hat dann Weise, Bundesgenossenkrieg, übernommen). Aber auch ζ. B. auf Busolts Argumentation (S.807), daß die athenische Kleruchie auf Samos nicht gegen die Grundsätze des Bundes verstoßen habe, wird von Cargill, der denselben Standpunkt vertritt (S.l46ff.), nicht verwiesen. Weitgehend in dieselbe Richtung wie Cargill hatte auch G . T . Griffith in einem 1978 erschienenen Aufsatz argumentiert (s. Literaturverzeichnis), den Cargill nicht erwähnt (angemerkt auch von S. Hornblower, C R 32, 1982, 236). Nach Griffith sind in der athenischen Politik des vierten Jahrhunderts nur noch wenige 'imperialistische' Elemente erkennbar, aufgrund völlig anderer Machtverhältnisse könne von einem Rückfall in die Gegebenheiten des fünften Jahrhunderts keine Rede sein. Mit geringen Abstrichen werden Cargills Ergebnisse akzeptiert in den Besprechungen von R. M . Berthold, A H R 87, 1982, 754-755, und J. T . Roberts, AJPh 104, 1983, 409-413; auch Mitchel, Rasura 40 Anm.6, erklärt sich fur überzeugt von Cargills Hauptthese.

Einleitung

3

Bundes geleistet hat 6 . Obwohl in der Tat über Cargills Beweisführung noch zu diskutieren ist und an einzelnen Stellen der hier vorgelegten Arbeit zum Teil zustimmend, zum Teil ablehnend darauf Bezug genommen wird, ist diese Studie keine Replik auf Cargills Thesen. Eine Stellungnahme ergibt sich gleichsam nur als Nebenprodukt. Ihr Ausgangspunkt und ihr Ziel sind anders gelagert. Ausgangspunkt der Untersuchung war die Überzeugung, daß einige nicht unwichtige Quellen oder Quellenstellen für die Geschichte des Zweiten Athenischen Seebunds noch nicht oder nur unzureichend herangezogen bzw. ausgewertet worden sind. Nicht in allen, aber in den meisten Fällen handelt es sich dabei um inschriftliche Dokumente, die erst im Laufe dieses Jahrhunderts wieder ans Licht kamen und erst selten behandelt wurden; betroffen sind aber auch Teile des schon im letzten Jahrhundert bekannten Materials. Vielleicht gerade aufgrund der Tatsache, daß sowohl die literarischen als auch die inschriftlichen Quellen zu diesem Thema so verstreut sind, hat die moderne Forschung sich sehr früh, eben vielleicht zu früh, zum Ziel gesetzt, die disparaten Einzelaspekte zusammenzutragen und eine umfassende Darstellung des Zweiten Athenischen Seebunds zu liefern 7 . Zusätzlich hat die Kenntnis des weit besser dokumentierten Delisch - Attischen Seebunds oft genug den Blick verstellt auf die spezifischen Probleme des vierten Jahrhunderts. Vorschnelle Analogien wie einseitige Fragestellungen verdankten sich einer Perspektive, die von diesem dominanten Vorgänger bestimmt war. Dadurch haben sich schon früh auch durchaus schwach begründete Forschungsmeinungen zu axiomartigen Grundannahmen verfestigt, die seit vielen Jahrzehnten ungeprüft übernommen werden8. Aus diesem Befund ergibt sich für die vorliegende Arbeit eine doppelte Zielsetzung. Zum einen sollen Quelleninformationen, die bislang nicht oder nur unzureichend ausgewertet wurden, für das Thema fruchtbar gemacht werden.

6

Vgl. die Besprechungen von P. J. Rhodes, T L S 8 0 , 1981, 1306; N . R. E. Fisher, G & R 2 9 , 1982, 203; C . D . Hamilton, E M C 2 6 , 1982, 3 0 6 - 3 1 7 ; N . Jones, C W 75, 1982, 3 7 5 - 3 7 6 ; S. M . Sherwin - White, J H S 102, 1982, 2 6 9 - 2 7 1 ; G . L. Cawkwell, E H R 99, 1984, 144; T . R. Martin, C P h 7 9 , 1984, 2 4 3 - 2 4 7 ; W . Schuller, H Z 2 3 8 , 1 9 8 4 , 1 2 1 - 1 2 3 . Durchgängig ablehnend gegen Cargills Ergebnisse äußern sich S. Accame, M G R 8, 1 9 8 2 , 1 8 1 - 1 8 7 , und S. Hornblower, C R 3 2 , 1 9 8 2 , 2 3 5 - 2 3 9 . Einige der vorstehend Genannten (dazu kommt noch Burke, Restoration efforts 12) gestehen Cargill zu, daß Athen de jure die Versprechungen des Aristoteles - Dekrets nicht gebrochen habe, bestehen aber darauf, daß die Aggressivität gegen nicht dem Seebund angehörige Staaten zugenommen habe. Damit ist ihre Position nicht mehr allzuweit entfernt von der Cargills, der an einigen Stellen durchaus athenisches Herrschaftsstreben außerhalb des Seebunds erkennt (ζ. B. S.102), ohne jedoch diese Aspekte mit seiner Hauptthese zu einem Gesamturteil zusammenzufassen.

7

Dementsprechend ist die Forschung über den Delisch - Attischen Seebund des fünften Jahrhunderts tendenziell genau den umgekehrten W e g gegangen. Das relativ ergiebige literarische und inschriftliche Material, darunter die Tributlisten und ζ. T . umfangreiche Volksbeschlüsse, hat die Erforschung von Einzelfragen nahegelegt. Die grundlegenden monographischen Behandlungen sind mit den A T L (bes. Bd. III, S.183ff.), Meiggs' «Empire» und Schullers «Herrschaft» erst relativ spät erschienen.

8

Vgl. insbesondere das 1. und 2. Kapitel dieser Arbeit zur Abgabenverpflichtung der Verbündeten.

4

Einleitung

Häufig genug gehören diese Gesichtspunkte in den Bereich des Rechts, genauer der zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen, und das ist angesichts der Tatsache, daß die griechische Rechtsgeschichte ein von den Historikern im allgemeinen recht vernachlässigtes Gebiet ist 9 , wohl kein Zufall. Auf diese Weise soll das nach wie vor unvollständige Bild, das wir uns vom Verhältnis Athens zu seinen Verbündeten machen können, um einige Aspekte erweitert werden. Die eng verflochtenen zwischenstaatlichen Beziehungen machen es unvermeidlich, daß dabei nicht ausschließlich von Mitgliedern des Seebunds, sondern auch von anderen Staaten die Rede ist, soweit sie mit dem Seebund in Verbindung standen 1 0 . Zum anderen sollen einige, zur communis opinio gewordene Forschungsmeinungen, die vor allem die Organisation und Funktionsweise des Bundes betreffen und die nie oder nur unzureichend begründet bzw. überprüft worden sind, neu überdacht werden. D e m g e m ä ß kann die Anlage der Arbeit nicht den Charakter einer durchgängigen These annehmen. Vielmehr wird die Struktur im wesentlichen vom Material her bestimmt, von dem sich neue Ergebnisse erwarten lassen. Soweit sich diese Gesichtspunkte dem übergeordneten Thema, das man auch als «Das Verhältnis Athens zu seinen Verbündeten im Zweiten Athenischen Seebund» formulieren könnte, zuweisen lassen, sind sie danach gegliedert worden, ob sie mehr übergreifend die Struktur des gesamten Bundes (Teil I), oder konkret die Verhältnisse einzelner Poleis (Teil II) betreffen. Dabei sind die drei Kapitel des ersten Teils durch die zentrale Fragestellung nach den Abgaben und Leistungen der Bundesgenossen für den Seebund auch thematisch eng miteinander verbunden. Während im ersten Kapitel danach gefragt wird, ob die Verbündeten Athens wirklich, zusätzlich zu oder anstelle von finanziellen Beiträgen, militärische Sachleistungen zu erbringen, also Schiffe und Truppen zu stellen hatten, befaßt sich das zweite Kapitel mit den Aspekten der finanziellen Abgaben, der Syntaxeis. Insbesondere soll geklärt werden, inwieweit Athen als Hegemon des Bundes allein für die Festsetzung der Beitragshöhe, die Einziehung der Syntaxis, ihre Verwaltung und Verwendung zuständig war, und inwieweit die verbündeten Poleis Anteil an diesen Entscheidungen hatten. Mögliche Auswirkungen des athenischen Münzgesetzes von 375/4 auf die Zahlungsweise der Syntaxeis stehen schließlich auch im Vordergrund, wenn im dritten Kapitel Zusammenhänge zwischen diesem Gesetz und dem Seebund untersucht werden 1 1 . Der zweite Teil, der dem Verhältnis einzelner Mitgliedspoleis zum Seebund insgesamt bzw. zum Hegemon Athen gewidmet ist, vereinigt drei Fallstudien, die eben deshalb ausgewählt wurden, weil interessante und auch relativ ergiebige Quellen

9

10

11

V g l . zuletzt die Bemerkungen von S. T o d d u n d P. M i l l e n in ihrem Beitrag «Law, society and Athens» zu «Nomos. Essays in Athenian law, politics and society», hg. v. P. Cartledge, P. Millett, S. T o d d , C a m b r i d g e 1990, 1-18. Das gilt besonders für das 6. Kapitel dieser Untersuchung, in dem auch überprüft wird, ob Delos dem Seebund angehörte. Die S y n t a x i s ist schließlich n o c h m a l s G e g e n s t a n d i m sechsten Kapitel ( C 2), w o nach Verbindungen zu Anleihen beim delischen Apollon - T e m p e l gefragt wird.

Einleitung

5

vorliegen, diese aber teils unzureichend ausgewertet, teils unzutreffend eingeordnet sind. Zwar liegt das Schwergewicht hier auf der Rekonstruktion der jeweiligen Ereignisse und Zusammenhänge, gleichwohl aber ergeben sich aus dem fast den ganzen Zeitraum des Seebunds umspannenden chronologischen Bogen wichtige neue Anhaltspunkte für die Gesamtbeurteilung des Bundes. Die untersuchten Einzelfälle von Paros, Euböa und Delos erweisen sich nämlich durchaus als Schlüsselstellen für das praktizierte Verhältnis zwischen Hegemon und Symmachoi, und die sich dafür ergebenden unmittelbaren Konsequenzen werden dann auch im Schlußabschnitt gezogen. Die Arbeitsweise ist durch die dominierenden inschriftlichen Quellen stark epigraphisch geprägt. Soweit es vom Uberlieferungszustand der Texte und von den vorliegenden Editionen her lohnend erschien, wurden die Steine nach Möglichkeit persönlich in Augenschein genommen. Einige dieser Neulesungen gaben Anlaß zu teils punktuellen, teils aber auch weitgehenden Neuinterpretationen und Neubewertungen der entsprechenden Texte oder Textstellen 12 . Auch haben sich aus dem Zusammenhang der Darstellung und aus dem Vergleich einiger Texte mehrere Vorschläge zu Ergänzungen ergeben, die von den bislang akzeptierten abweichen. Wenn die vorgelegte Darstellung noch manche epigraphische Einzelheit oder thematische Nebenbemerkung enthält, die für das schnelle Verständnis des Zusammenhangs überflüssig oder sogar hinderlich erscheint, so läßt sich das vielleicht wenn nicht rechtfertigen, so doch in einer Arbeit, die großen Wert auf das genaue Verständnis der Einzeldokumente legt, hoffentlich entschuldigen. Zum Ausgleich sind den meisten Kapiteln Zusammenstellungen der wichtigsten Ergebnisse angefügt, die im Schlußkapitel nochmals im Ganzen zusammengefaßt werden. Die hier angestrebte Detailforschung unterscheidet sich also in verschiedener Hinsicht von den bislang vorliegenden Monographien zum Thema; sie knüpft vom Ansatz her eher an Aufsätze und Einzelbeiträge an, die zwar verschiedentlich auch nicht frei sind von den oben kritisierten Voreinstellungen, die sich aber häufig um unvoreingenommene Quellenanalysen bemühen und zahlreiche wertvolle Ergebnisse erbracht haben, die im einzelnen noch zu würdigen sein werden 13 . Wenn die hier vorgelegten Untersuchungen einige neue Gesichtspunkte beisteuern, in manchen Fragen weiterführen und darüber hinaus zur weiteren Befassung

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Soweit die Neulesungen Konsequenzen für das hier behandelte T h e m a haben, werden sie an der entsprechenden Stelle der Untersuchung vorgestellt und diskutiert. Die übrigen, meist geringfügigen Befunde sollen demnächst anderweitig publiziert werden. An dieser Stelle sollen vor allem die Arbeiten G. L. Cawkwells hervorgehoben werden, die zusammengefaßt Buchumfang erreichen; daneben haben insbesondere F. Mitchel und R. Sealey zum besseren Verständnis des Seebunds beigetragen. Nicht zuletzt haben auch diejenigen Forschungen, die das Athen- und Sparta - zentrierte Bild der klassischen Poliswelt durch Untersuchungen über die Geschichte anderer Regionen und Poleis bereicherten, viel zu unserer Vorstellung vom Ägäisraum im vierten Jahrhundert und damit auch zu Einzelaspekten des Seebunds beigetragen. Vgl. etwa die (im Literaturverzeichnis angeführten) Schriften von Buckler und Fossey zu Böotien, von Hornblower zu Maussollos von Karien, von Knoepfler zu Euböa sowie Gehrkes Arbeit über die Stasis in den griechischen Poleis.

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Einleitung

mit noch offenen Problemen anregen können, dann sind sie auch ein Beitrag zu einer möglichen späteren, auf breiteren Grundlagen ruhenden neuen Gesamtdarstellung des Zweiten Athenischen Seebunds. Für den Zweiten Athenischen Seebund, wie das athenische Bündnissystem des vierten Jahrhunderts hier genannt wird, hat sich in der deutschsprachigen Literatur kein einheitlicher Terminus eingebürgert 1 4 . Arnold Schaefer hatte zunächst v o m "Athenischen Seebund" oder auch vom "jüngeren S e e b u n d " gesprochen; "Zweiter athenischer Seebund" liest man dann im Titel einer Schrift von H ö c k 1 5 . Busolts Abhandlung hat den Titel "Der Zweite Athenische Bund", und diese Formulierung ist verschiedentlich übernommen worden 1 6 . Aufgrund der Ansicht, daß Athen schon Anfang der achtziger Jahre des vierten Jahrhunderts ein V>\inAn\s system gegründet, aber mit dem Königsfrieden wieder verloren habe, zählte Beloch den ab 379/8 bestehenden Bund als "dritten attischen Seebund" 1 7 , fand damit aber keine Zustimmung. Ehrenberg lehnte Belochs Zählung ab und kehrte zur Bezeichnung "Zweiter", aber "attischer B u n d " zurück 1 8 , während neuerdings die Bezeichnung "Zweiter attischer Seebund" überwiegt 1 9 . M a n sieht bereits an diesen ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammengestellten Beispielen, daß die Bestandteile 'athenisch' und "attisch', ' B u n d ' und "Seebund' in jeder möglichen Kombination verwendet werden, während die Zählung als zweites Bündnis praktisch nicht zur Disposition steht. Obwohl es letztlich nicht entscheidend ist, welchen N a m e n man einem Gegenstand gibt, wenn die Varianten geringfügig sind und dieser damit eindeutig bezeichnet ist, ist es doch erstaunlich, daß meines Wissens die Wahl des N a m e n s noch nie begründet wurde 2 0 . Immerhin kann die Terminologie unter Umständen auf grundsätzliche

Im englischsprachigen Raum hingegen lautete die traditionelle Bezeichnung "the Second Athenian Confederacy". Aufgrund seiner begrifflichen Unterscheidung zwischen "League' als Staatenbund u n d ' C o n f e d e r a c y ' als B u n d e s s t a a t ( S . 2 4 f f . ) hat Larsen, Representative g o v e r n m e n t , konsequenterweise von "the Second Athenian League" gesprochen. Diesen Terminus verwendet dann durchgehend Cargill, der damit auch sein B u c h betitelt, während Sealey zunächst die Bezeichnung "Second Athenian Sea-League" eingeführt hatte, vgl. Sealey, Transformation, zuletzt aber auch "Second Athenian League" gebraucht, vgl. Sealey, Demosthenes 56fF. Der Übergang zum T e r m i n u s ' L e a g u e ' hat sich jedoch nicht allgemein durchgesetzt, vgl. die o. in A n m . 6 genannten Besprechungen, insbesondere die von Cawkwell. Schaefer, Demosthenes I, S.XI. 27ff.; A. Höck, Die Beziehungen Kerkyras zum zweiten athenischen Seebunde, Beilage zum Jahresbericht des Königl. Gymnasiums zu H u s u m , H u s u m 1881. Ζ . B. von A. H ö c k in einer etwas früheren Schrift als der eben in A n m . 1 5 zitierten (vgl. Höck, Rath); von E. Lenz, Synhedrion, oder von E. Fabricius, Zur Geschichte des zweiten Athenischen Bundes, R h M n. F. 4 6 , 1891, 589-598. '7 Beloch, Gr. Gesch. III 1, I49ff., bes. 150 Anm.2; III 2, 156ff. 1 8 Ehrenberg, B u n d 3 2 2 mit A n m . l . " Vgl. ζ. Β. I. Weiler, Griechische Geschichte, Darmstadt 1 9 8 8 2 , 2 4 8 ; W . Schuller, Griechische Geschichte, München 1 9 9 1 3 , 46. 134. 20 Das dürfte ebenso für das athenische Bündnissystem des fünften Jahrhunderts gelten, für das seit langem (Busolt hingegen sprach konsequenterweise v o m ersten athenischen Bunde) die zwei Varianten "Erster Attischer" bzw. "Delisch - Attischer Seebund" gebräuchlich sind (sie werden daher auch in dieser Arbeit verwendet, obwohl das folgende weitgehend auch für den Ersten 15

Einleitung

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Beurteilungen rückschließen lassen, die vor allem dadurch bestimmt scheinen, wie stark die Analogien zum Bündnis des fünften Jahrhunderts gewichtet werden. W e n n hier der Bezeichnung "Zweiter Athenischer Seebund" der Vorzug gegeben wird, so deshalb, weil für ein zwischenstaatliches Verhältnis der vom Staatsverband abgeleitete T e r m i n u s angemessener erscheint als der auf die Landschaft Attika bezogene. Die Athener selbst n a n n t e n ihren Staat in den U r k u n d e n bekanntlich οί ' Α θ η ν α ί ο ι , gelegentlich auch ή ττόλιχ (των Αθηναίων), u n d ihre Bündnisse im fünften u n d vierten Jahrhundert οί ' Αθηναίοι και οι σ ύ μ μ α χ ο ι . In adjektivischer F o r m w u r d e der Staat selbst nicht bezeichnet. ' Α τ τ ι κ ή oder Derivate davon k o m m e n bei der B e n e n n u n g des Staatswesens oder seiner Bündnisse nicht vor. Das Bündnis war Sfibund, weil die Gründungsmitglieder Chios, Byzantion, Rhodos u n d Mytilene ausschließlich, die späteren Mitglieder fast ausschließlich Insel- oder Seestädte waren u n d das Bündnis überwiegend f ü r den Bereich des ägäischen u n d Ionischen Meeres B e d e u t u n g besaß. D i e A u s n a h m e einer L a n d m a c h t war T h e b e n , dessen kurzfristige Mitgliedschaft (von 378/7 bis ca. 371) den Charakter des Seebunds nicht entscheidend veränderte. Die Schreibweise griechischer Termini, insbesondere von O r t s n a m e n u n d geographischen Bezeichnungen, soweit diese transkribiert wurden, hält sich im Prinzip möglichst eng an das Original, wobei die Buchstaben gemäß ihrem deutschen L a u t w e r t v e r w e n d e t sind (ζ. B. Bule, Julis). I m D e u t s c h e n gebräuchliche B e z e i c h n u n g e n (ζ. B. Piräus, Alexander) w e r d e n j e d o c h beibehalten. U m möglichst einheitlich zu verfahren u n d eine universelle Auffindbarkeit zu ermöglichen, werden die Inschriften, soweit sie darin enthalten sind, vorrangig nach dem Corpus «Inscriptiones Graecae» (IG) zitiert. Das gilt insbesondere für die große Zahl der herangezogenen attischen Inschriften. W e n n sie auch in Auswahlsammlungen a u f g e n o m m e n sind, wird auf diese zusätzliche Referenz meist nur aus besonderen G r ü n d e n (wie ζ. B. der Vorlage eines verbesserten Textes) verwiesen. D i e D o k u m e n t e der delischen A m p h i k t y o n i e w e r d e n hingegen, auch wenn sie in den IG publiziert sind, vorrangig nach dem Corpus «Inscriptions de Delos» (I.Delos) zitiert, weil die früheren Lesungen dort neu u n d sehr gründlich ü b e r p r ü f t sind. Sonst werden die Inschriften möglichst nach D i t t e n b e r g e r s «Sylloge I n s c r i p t i o n u m G r a e c a r u m » ( S y l l . 3 ) o d e r «Die Staatsverträge des Altertums» (StV) angegeben.

Seebund zutreffen würde). N u n wird zwar häufig daraufhingewiesen, warum man 'delisch' in den N a m e n eingefügt hat; aber warum man 'attisch' und nie 'athenisch' sagt, ist meines Wissens nicht diskutiert.

Erster Teil Probleme der Seebundsorganisation

1. K a p i t e l

Waren die Verbündeten zur Stellung von militärischen Kontingenten verpflichtet? A) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente? Gemäß der communis opinio der modernen Forschung hatten die Mitglieder des Seebunds Schiffe und Soldaten zu den militärischen Unternehmungen des Seebunds zu stellen. Diese Verpflichtung habe, so nimmt man an, seit der Gründung des Seebunds und auf jeden Fall für die größeren Poleis bestanden. Derartige Leistungen seien auf die Geldumlagen, die Syntaxeis, angerechnet worden, die wiederum alle Mitgliedsstaaten hätten entrichten müssen. Kleinere Poleis hätten von vornherein nur — entsprechend höhere — Geldzahlungen geleistet, und diese Ersetzung der Sach- durch Geldleistungen habe sich mit der Zeit verallgemeinert1. Dieses Bild hat große Ähnlichkeit mit der Darstellung, die Thukydides 2 von der Entwicklung des Delisch - Attischen Seebunds des fünften Jahrhunderts gibt. Insbesondere die Ablösung von militärischen Leistungen durch Geldzahlungen der Bündner stellt Thukydides als eine wichtige Ursache dafür heraus, daß die Vormacht Athen die nunmehr militärisch schwachen Bundesgenossen unter ihre Herrschaft bringen und damit die ursprüngliche Symmachie in eine αρχή umwandeln konnte. Die Forschung ist weitgehend der Ansicht, daß sich auch im Seebund des vierten Jahrhunderts das Verhältnis Athens zu seinen Verbündeten in ähnlicher Weise geändert habe; aus einer anfänglichen Gleichberechtigung sei in den

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Schaefer, Demosthenes I 35. 60f. (seine in der ersten Auflage, S . 2 7 , geäußerte Meinung, die größeren Poleis hätten nur Schiffe gestellt und keine Syntaxeis gezahlt, hat Schaefer hier aufgegeben; sie wurde allerdings von Hahn, Bemerkungen 4 5 5 f f . , aufrechterhalten); Busolt, Bund 7 0 5 . 7 0 8 . 7 1 0 ; V o n Stern, Athen und Theben 84 A n m . 4 . 9 6 ; Weise, Bundesgenossenkrieg 15- 23f.; Ed. Meyer, G d A V 3 7 4 ; Marshall, Confederacy 38f.; Busolt / Swoboda, Staatskunde II 1 3 7 0 A n m . 4 . 1 3 8 5 . 1 3 8 6 A n m . l ; Beloch, Gr. Gesch. III 2, 166; Schwahn, Σύυταξις l 4 5 3 f . ; Cloche, Pol. i t r . 6 3 ; Martin, Vie 2 7 0 f . ; Accame, Lega 133; Cawkwell, Peace 91 f.; in einer späteren Studie (Failure 4 8 Anm.31) betont Cawkwell, daß die gleichzeitige Ablieferung von Schiffen und Geld nicht bewiesen werden könne; Brun, Eisphora 91f.; S . l l l - 1 1 3 bestreitet Brun allerdings die Ersetzung der militärischen Leistungen durch Geldzahlungen und vertritt die These, alle Seebundsmitglieder hätten, auch in späterer Zeit, sowohl Syntaxeis zahlen als auch militärische Hilfe leisten müssen; Sealey, Demosthenes 65. Nicht jeder der hier Zitierten teilt die im Text zusammengefaßte Ansicht in allen Punkten. Stellung von Schiffskontingenten als pflichtgemäße Umlage nehmen aber alle an.

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1, 9 6 f . 99. Zu modernen Interpretationen vgl. die Hinweise bei Smarczyk, Religionspolitik 4 7 Anm.43.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

sechziger Jahren eine Vorherrschaft Athens geworden 3 . Wenn nun für diese Entwicklung verschiedene Anhaltspunkte genannt werden, über die hier nicht gehandelt werden soll, dabei aber gerade nicht die Ablösung der Kontributionen von Schiffen in Geld angeführt wird, so steckt darin schon ein Hinweis darauf, daß der Vorgang selbst weniger durch die Uberlieferung gesichert ist, sondern daß er - in Analogie zum fünften Jahrhundert - der angenommenen Entwicklung der sechziger Jahre zur Dominanz Athens vorausgesetzt wurde4 . Ein wichtiger Bestandteil dieser Ansicht ist die Annahme, die Verbündeten Athens hätten in einer festgelegten Größenordnung Schiffe und Soldaten zur Kriegsführung zu stellen gehabt. Für diese Verpflichtung wird eine Reihe von Belegen angeführt 5 , die im folgenden überprüft werden sollen. Sie lassen sich systematisch in drei Gruppen einteilen.

1. Direkte Quellenaussagen über Verpflichtungen der Verbündeten a) Die Timotheos - Expedition nach Kerkyra i. J. 375 (Xen. hell. 5, 4, 66) Xenophon berichtet an der angegebenen Stelle, daß Timotheos zu seinen Unternehmungen im Sommer 3 7 5 im Ionischen Meer einige Schiffe samt Besatzung aus Kerkyra herangezogen habe:' Ο δε Τιμόθεος ... έκ Κερκύρας αλλας (sc. τριήρεις) π ρ ο σ ε π λ η ρ ώ σ α τ ο . Da alle 60 Schiffe 6 , mit denen Timotheos ausgelaufen war, bereits in Athen mit Mannschaften besetzt worden waren (Xen. a. a. O. 63), waren sonst keine bundesgenössischen Kontingente in seiner Flotte 7 . Timotheos brachte Kerkyra in seine Gewalt und wurde bald darauf von der spartanischen Flotte unter Nikolochos angegriffen, die er in einer Seeschlacht bei Alyzeia schlug 8 . Nikolochos verstärkte seine Flotte von ursprünglich 55 Schiffen, von denen er in der Schlacht einige verloren haben mochte, um sechs ambrakiotische Trieren, woraufhin Timotheos zunächst kein

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Vgl. anstelle von vielen anderen Accame, Lega 182ff.; Cawkwell, Failure 47f. Unlängst wurde von Cargill, League, eine Gegenposition formuliert (s. o. Einleitung). Zum ganzen Problem vgl. u. Schluß B) 2.

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Busolt hält das Verfahren, die Verhältnisse des Zweiten, wenn dafür keine direkten Quellen vorliegen, aus denen des Ersten Bundes heraus zu erschließen, grundsätzlich für geboten (s. o. Einleitung), vgl. zum vorliegenden Fall Bund 7 0 8 f . Im Gegensatz dazu sieht Brun, Eisphora 111, prinzipiell die Gefahr einer zu systematischen Analogie und bemerkt auch hinsichtlich der Kontributionen die Differenz zum fünften Jahrhundert, s. o. A n m . l .

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Von den oben in Anm. 1 genannten Autoren werden jeweils nicht alle Zeugnisse herangezogen, die im folgenden zusammengestellt sind. Angesichts der kurzen Passagen in den angegebenen Schriften erübrigt sich aber ein Einzelnachweis. Isokr. 15, 1 0 9 gibt 5 0 Schiffe an, vielleicht um das persönliche Verdienst seines Schülers noch zu steigern. Auf Polyain. 3, 10, 16, wo es allgemein heißt: Τ ι μ ό θ ε ο ς μετά Κερκυραίων και των άλλων συμμάχων προς Λακεδαιμονίους ναυμαχων, darf sicher nicht gebaut werden. Vgl. auch Tuplin, Timotheos 549f. Xen. hell. 5, 4, 64: Κέρκυραν ... ύφ' έαυτω έποιήσατο, vgl. Isokr. 15, 109.

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Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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erneutes Treffen mehr wagte. Hingegen setzte er seine beschädigten Schiffe instand und fügte ihnen noch weitere mit Mannschaften besetzte aus Kerkyra hinzu, so daß er insgesamt über mehr als 70 Schiffe gebot und damit dem Gegner überlegen war 9 . Timotheos hat also etwa ein Dutzend, vielleicht, wenn auch er bei Alyzeia ein oder zwei Schiffe verloren hatte, maximal 15 Schiffe aus Kerkyra herangezogen. Diese waren längstens bis zum Friedensschluß mit Sparta vonnöten, der nach neueren Forschungen am 16. Hekatombaion, etwa Anfang August 375, oder kurz davor geschlossen wurde 1 0 , und der auch für die athenische Flotte Anlaß zur Rückkehr in die Heimat war 1 1 . Die Schlacht bei Alyzeia fand am zwölften Skirophorion (Ende Juni) statt, so daß die kerkyräischen Schiffe maximal einen Monat, eher aber kürzer, die Flotte des Timotheos verstärkten. Entscheidend für die Wertung dieser Zeugnisse ist nun die Tatsache, daß Kerkyra in dieser Zeit mit Sicherheit noch nicht Mitglied des Seebunds war. Der athenische Volksbeschluß über die Symmachie mit Kerkyra, Akarnanien und Kephallenia (IG II2 96) ehrt die Gesandten dieser Staaten (Z.7ff.), die auch in der entsprechenden Volksversammlung anwesend waren ( Z . l l ) und dort, wie zuvor schon in der Bule (Z.5), die Aufnahme ihrer Staaten in den athenischen Seebund beantragten (Z. 12ff.). Das Dekret datiert aus der zweiten Prytanie des Jahres 375/4 und fällt daher in den Monat Metageitnion (August / September). Der Friedensschluß mit Sparta vor diesem Zeitpunkt 12 ließ Cawkwell vermuten, daß Timotheos bei seiner Rückreise aus dem Ionischen Meer diese Gesandten gleich mit sich gebracht habe 13 . Der gültige Eintritt Kerkyras in den Seebund 14 , der 9

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Xen. hell. 5, 4, 65f.; vgl. zur Eroberung Kerkyras noch Dein. 1, 14. 17; [Aristot.] Oec. 1350 a 30; Nep. Tim. 2, 1; Diod. 15, 36, 5; Polyain. 3, 10, 4. 6. 12f. 16f.; Frontin. 2, 5, 47. Tragfähige Schlüsse, wie sie im folgenden versucht werden, können allerdings fast nur auf den detaillierten Bericht Xenophons bauen. Vgl. zu den Ereignissen auch Höck, Beziehungen. Vgl. G. L. Cawkwell / J. Buckler, Dating the Peace of 375/4 Β. C „ GRBS 12, 1971, 353-361; Cawkwell, Failure 43; Tuplin, Timotheos 563f.; Jehne, Koine Eirene 57ff. Für das Jahr 374 argumentiert hingegen Sealey, City states 355ff.; ders., Demosthenes 63 mit Anm.59. Xen. hell. 6, 2, 2; vgl. Cawkwell, Peace 89. Vgl. auch Tuplin, Timotheos 564 mit Anm.78. Cawkwell, Failure 43. Weil Kerkyra entgegen den Bestimmungen des vorliegenden Volksbeschlusses (Ζ. 14f.) nicht im Mitgliederverzeichnis der Aristoteles - Stele erscheint - die Ergänzung[Κερκυίραίων | [ό δΐήμος in IG II 43, Z.97f. wurde von J. E. Coleman / D. W . Bradeen, Thera on IG II 43, Hesperia 36, 1967, 102-104 aus Platzgründen für unmöglich erklärt; contra: Accame, Note critiche 179181. 186 — hat die Polis nach Cargill, League 40f. 68ff. 111, den vorgesehenen Beitritt dann doch nicht vollzogen. Alle Argumente Cargills, der auch einige Anhänger gefunden hat, können an dieser Stelle nicht widerlegt werden, aber siehe neben Accame a. a. O. die Besprechungen von S. Hornblower, C R 32, 1982, 236f.; P. J. Rhodes, Τ LS 80, 1981, 1306; W . Schuller, H Z 238, 1984, 122. Cawkwell, Failure 42, akzeptiert zwar die Ergänzung Θηΐραίων von Coleman / Bradeen ( Φ ε ί ρ α ί ω ν wurde dann noch vorgeschlagen von Mitchel, Rasura 39ff., Πυρίραίων von G. Scuccimarra, Note in margine al decreto di Aristotele (IG 2 , 11,43 linee 97-98), RSA 17/18, 1987/88, 39-53, wobei aber nicht erklärt wird, warum von den lesbischen Poleis nur Pyrrha als Demos beigetreten sein soll), vermutet aber die Eintragung Kerkyras auf der nicht vollständig erhaltenen Vorderseite der Stele. Auch Tuplin, Timotheos 544ff., lehnt nach eingehender Diskussion die These Cargills letztlich ab. Das stärkste Argument gegen Cargill ist m. E., daß die Vertragsurkunde, die die gegenseitigen Eide enthält (IG II 2 97), wegen der Unterordnung der bei-

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

durch beiderseitige Eidesleistungen besiegelt werden mußte (IG II 2 96, Z. 15-22), erfolgte dann noch etwas später, die entsprechende Urkunde mit dem Text der Eide (IG II 2 97) datiert man daher im allgemeinen in den folgenden Monat Boedromion 1 5 . Wenn also der Einsatz des kerkyräischen Kontingents keine Leistung Kerkyras im Rahmen des Seebunds war, wie ist sie dann zu erklären? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder hat Timotheos die von ihm unterworfene Polis zur Heeresfolge gezwungen, wie das in den Auseinandersetzungen der griechischen Staaten unzählige Male vorkam. Oder aber Kerkyra hat ihm auf seine Bitte hin freiwillig Unterstützung gewährt. Grund dafür könnte die von Xenophon (a. a. O . 64) hervorgehobene milde Behandlung der Kerkyräer gewesen sein, die vielleicht nicht nur, wie Xenophon hinzufügt, die um Kerkyra herum liegenden Poleis, sondern auch Kerkyra selbst zur Anlehnung an Athen brachte. Kurz darauf beantragte Kerkyra ja zusammen mit Akarnanien und Kephallenia die Aufnahme in den Seebund (IG II 2 96). Dabei kann natürlich nicht mit Sicherheit gesagt werden, bis zu welchem Grad athenischer Druck im Spiel war. Aber immerhin blieb Kerkyra auch während der harten spartanischen Angriffe, denen es ab 3 7 4 ausgesetzt war, auf Seiten Athens, das seinerseits Hilfe schickte 1 6 , und war zunächst bis 3 6 1 / 0 loyales Mitglied des Seebunds 17 . Für die 375 dem Timotheos gestellten Schiffe bestand also keine formelle Verpflichtung Kerkyras, das noch nicht durch einen Symmachievertrag mit Athen verbündet war. Die zitierte Xenophon-Stelle läßt sogar die Möglichkeit offen, daß Timotheos die Besatzungen auch der kerkyräischen Schiffe bezahlte. Denn zum einen gebraucht Xenophon den in dieser Zeit für gewöhnlich auf Söldner bezogenen Terminus πληρόω (hier προσεπληρώσατο, "die Schiffe besetzen") 18 , und zum anderen sagt er, Timotheos habe sich (nach dieser Verstärkung seiner Flotte) aus Athen Geld schicken lassen müssen, weil er so viele Schiffe gehabt habe (άτ€ πολλάς ναϋς έ'χων, ebd.), was sich nun durchaus auf die kerkyräischen Schiffe beziehen ließe.

den Vertragspartner unter Entscheidungen des gesamten Seebunds nur als Beitritt Kerkyras zu dieser Organisation betrachtet werden kann. Das Dokument ist erst nach seiner Ratifizierung durch die Eidesleistung aufgezeichnet worden. Sicherlich bei dieser Gelegenheit ließ man auch den zum Vertrag führenden Beschluß von Rat und Volk (IG I Γ 9 6 ) in Stein meißeln. Dafür spricht zum einen, daß er unter dem Sekretär einer nachfolgenden Prytanie aufgezeichnet wurde (s. u. A n m . 1 5 ) , und zum anderen, daß der Text selbst keine Publikationsbestimmung enthält. Diese muß also in einem späteren Volksbeschluß getroffen worden sein, der uns nicht erhalten ist und der wahrscheinlich selbst nicht in Stein gemeißelt wurde. '5 Tuplin, Timotheos 561ff. datiert den Beitritt Kerkyras in die Zeit nach 3 7 5 / 4 . Auch der Volksbeschluß I G Ι Γ 9 6 selbst ist unter einem anderen Sekretär (Ζ. 1) aufgezeichnet worden als unter dem, der in der zweiten Prytanie im Amt war (vgl. I G II 9 9 , Z.4), also später. 16 17 18

Xen. hell. 6, 2, 3fF. Diod. 15, 9 5 , 3; Ain. tact. 1 1 , 1 3 . Xen. hell. 5, 4, 66; vgl. 5, 4, 63; 6, 2, 12 u. a.; πληρόω als Besetzung der Schiffe mit Söldnern im Gegensatz zur ausgehobenen Bürgerbesatzung: Dem. 50, 7; vgl. ebd. 15; Isokr. 8, 7 9 ; Isaios 11, 48.

Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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Im Lichte dieser Ergebnisse wird man auch die Inschrift interpretieren müssen, die C l a u d e Vatin vor einigen Jahren auf dem Sockel der drei Tänzerinnen von Delphi entdeckt hat 1 9 . Sein Text lautet: [...] έ π ΐ Λεωχαρέους άρχον[τ]ος Δε[λ]φώ[ν] [..' I ]πποδάμαντος ά[ρχ]ο[ν]τος' ΛΘ[η]να[ί]ωΜ βλόντβς από Λ α κ ε δ α ι μ ο ν ί ω ν ' ΑπόλΙλωνι] Πυθίωΐι]'Αθηναίοι και συμμαχοΰντε[ς] [ά]νεθε[ν] τον vac τρίποδα καΓι] τ ά ς κόρας. D i e Datierung auf das J a h r 3 7 5 / 4 ist durch den athenischen Archon Hippodamas gesichert. D a ß die Weihung anläßlich des athenischen Sieges bei Alyzeia erfolgte, wird durch eine zweite W i d m u n g auf demselben Sockel bestätigt 2 0 , von der man früher schon einige Buchstaben gelesen hatte, die aber erst durch Vatins Neulesung und Rekonstruktion verständlich wird 2 1 : [Πυθίωι άν]εθη[κ]ε Τ ι μ ό θ ε ο ς v[e-] [ov συν]οι[κ]ισμόν ποι[ώ]ν Ν[ί]κη[ς) [και του Δή]μ[ο]υ του Άθηναίω[ν). Die Frage im Zusammenhang der Beteiligung der Bundesgenossen an den militärischen Lasten des Seebunds ist, wer die σ υ μ μ α χ ο υ ν τ ε ς gewesen sein mögen, die in Zeile 4 der ersten Inschrift genannt sind. Hätten einige der 19

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M . C . Vatin, Les danseuses de Delphes, C R A I 1983, 26 - 4 0 ; vgl. S E G 3 3 , 4 4 0 . Diese erst jüngst veröffentlichte Inschrift hat meines Wissens n o c h n i e m a n d für die hier abgelehnte Position herangezogen. Grundsätzliche Skepsis gegen Vatins M e t h o d e n , anläßlich seiner Lesungen anderer delphischer Inschriften, äußert M . Seve, B E 1992, N r . 7 8 . N u r dieser Sieg des T i m o t h e o s k o m m t als Anlaß fur die W e i h u n g in Frage, vgl. V a t i n , Danseuses 38f. mit Verweis a u f X e n . hell. 5, 4, 6 5 ; vgl. auch Isokr. 15, 108f.; D e i n . 1, 14; D i o d . 15, 36, 5; N e p . T i m . 2, 1; Polyain. 3, 10. Vielleicht gehört auch das bei Dein. 1 , 1 6 erwähnte Psephisma für T i m o t h e o s ins J a h r 3 7 5 u n d enthielt eine B e s t i m m u n g über die W e i h u n g in Delphi. D e n in I G II 1 4 2 5 , Z . 3 1 5 f . verzeichneten K r a n z hat T i m o t h e o s höchstwahrscheinlich ebenfalls aus Anlaß dieses Sieges a u f der A k r o p o l i s geweiht. Er selbst erhielt wohl wegen desselben Sieges die Ehrenstatue auf der Akropolis (IG II 3 7 7 4 ) , wie Aischines (3, 2 4 3 : δια τον περί.πλουν τ ο ν ε ι ς Κέρκυραν) nahelegt. D i e Statue wird auch bei Paus. 1, 2 4 , 3 erwähnt. T r o t z alledem wird Vatins D a t i e r u n g gegenüber der traditionellen a u f 3 3 5 - 3 3 0 für unsicher gehalten v o n P. A m a n d r y , Trepieds de Delphes et d u P^loponnese, B C H 111, 1987, 7 9 - 1 3 1 , hier 81 m i t A n m . 5 , der sich aber m i t den Inschriften nicht befaßt. Vatins Rekonstruktion des Textes (die Druckfehler wurden hier stillschweigend korrigiert) ist ein gekonnter und insgesamt sinnvoller Vorschlag, bei d e m der A u s d r u c k v[f ov σ υ ν ί ο ι ί κ ΐ ι σ μ ό ν a m ehesten zu E i n w ä n d e n A n l a ß g i b t . D a s S u b s t a n t i v ' S y n o i k i s m o s ' , für dessen übertragene B e d e u t u n g V a t i n auch einige Beispiele a n f ü h r t , wird m a n k a u m ersetzen k ö n n e n , aber das Adjektiv ν έ ο ς ist weit weniger zwingend. D a die Zeilenlänge nach der linken Seite hin nicht feststeht, wäre auch eine F o r m von νικάω, v o n ν α υ μ α χ έ ω oder von v a ö c denkbar. Aber auch wenn m a n der E r g ä n z u n g des Herausgebers folgt, dürfte sich der A u s d r u c k nicht, wie V a t i n zu verstehen scheint, d a r a u f beziehen, d a ß Athen das seit d e m Peloponnesischen Krieg fehlende Kriegsglück gegen Sparta erneuern konnte. Angesichts des etwa ein J a h r zurückliegenden Seesiegs des Chabrias bei N a x o s k ö n n t e allenfalls a u f die erneute V e r b i n d u n g Athens mit der Siegesgöttin angespielt sein. D e m e n t s p r e c h e n d hat m i c h auch Vatins M e i n u n g , das ganze M o n u m e n t sei ein Gegenstück zu Lysanders W e i h u n g in D e l p h i nach seinem Sieg bei A i g o s p o t a m o i , nicht überzeugt. Eher scheint mir die Rivalität zwischen T i m o t h e o s und Chabrias eine Rolle zu spielen, w o r a u f ich vielleicht an anderer Stelle näher eingehen kann.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

athenischen Bundesgenossen aufgrund einer Verpflichtung Schiffe und Mannschaften zu der Expedition des Timotheos abgeordnet, dann würde man auch in unserer Weihinschrift nach dem Sieg über die Spartaner die ansonsten übliche Formel erwarten, mit der Athen und seine Verbündeten bezeichnet sind: Αθηναίοι και οί σύμμαχοι 2 2 . Ebenso sind die Verbündeten auf den von ihnen gestifteten goldenen Kränzen in Athen bezeichnet, die nach Demosthenes (24, 1 8 0 ; vgl. 2 2 , 7 2 ) die Aufschriften trugen: οί σύμμαχοι τόν δήμον ϊνδραγαθιας ε ν ε κ ' έστεφάνωσαν και δικαιοσύνης bzw. οί σύμμαχοι ΐ ρ ι σ τ ε ι ο ν τη 'Αθηναία ανέθεσαν. Das Partizip συμμαχουν-rec in Vatins Text bezieht sich daher nicht auf die Gesamtheit der Bundesgenossen, sondern auf die konkret an den Kämpfen beteiligten Nichtathener, die auch grammatisches Subjekt zu έ λ ό ν τ ε ς sind, also selbst die Kriegsbeute zusammen mit Athen errungen haben 2 3 . Könnten die συμμαχουντες daher die Söldner des Timotheos sein, mit denen er seine Schiffe besetzt hatte 2 4 , ebenso wie [οί στρατι]ωται οί έν τ[ωι

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Genau diese Formulierung findet sich auf einer Weihinschrift, die dem Apoll in Athen aufgestellt wurde, I G II 2 7 8 9 : [ 'Αθηναίοι και] οι σύμμαχοι | [ανέθεσαν τω]ι Άπόλλωνί | [δεκάτην άπό τωΐμ πολέμιων. Der Text wurde von seinem Erstherausgeber S. Kumanudis (Αθήναιον 1, 1 8 7 2 , 172) auf ungefähr 3 6 5 datiert, worin ihm Köhler (IG II 1 1 5 4 ) und Kirchner folgten. Da diese Zuweisung nur aufgrund der Schrift erfolgte, kann die zeitliche Bandbreite für das kurze, nicht stoichedon geschriebene Fragment beträchtlich sein. In die Zeit des Zweiten Athenischen Seebunds gehört es aber zweifellos, und es beweist, wenn es richtig ergänzt ist, daß die Athener und die Verbündeten nach einem Sieg dem Apollon gemeinsam eine Statue weihten. Es bleibt aber unklar, welcher Sieg der Anlaß der Weihung gewesen sein könnte. Gerade in den sechziger Jahren hat Athen — im Gegensatz zum vorausgehenden Jahrzehnt — keine großen Siege errungen, und von einer Beteiligung der Verbündeten ζ. B. an den Aktionen des Timotheos in der Nordägäis (zur Chronologie vgl. Buckler, Hegemony 2 5 5 - 2 5 9 ) ist nichts bekannt. Sie scheinen selbst bei der Schlacht von Mantineia keine Rolle gespielt zu haben (Xen. hell. 7, 5, lif.; Diod. 15, 82ff.). Der Vertrag Athens mit den aufständischen Keern aus dem J a h r 3 6 3 / 2 wurde zwar von den Bundesgenossen mitbeschworen ( I G II 1 1 1 , Z . 5 7 - 5 8 . 7 0 - 7 2 ) ; an der vorauszusetzenden militärischen Niederwerfung des Aufstands scheinen sie aber nicht beteiligt gewesen zu sein (s. u. 4.). Der - sicherlich leichte - Sieg gegen die kleine Insel dürfte auch keine große Kriegsbeute ergeben haben und, da die Keer wieder ins Bündnis aufgenommen wurden, kaum der Anlaß einer Dedikation gewesen sein. Möglicherweise hat auch ein erfolgreicher Kampf gegen die neugeschaffene thebanische Flotte (vgl. u. 2.a) stattgefunden, von dem nichts überliefert ist. Das würde damit zusammenstimmen, daß wir über den Verbleib jener beachtlichen Flotte nichts mehr vernehmen, nachdem sie an den Hellespont geschickt wurde, um Byzantion und andere Poleis zum Abfall von Athen zu bewegen, vgl. Diod. 15, 7 9 , 1-2; Isokr. 5, 53. Schon weil die Umstände des gemeinsamen Militäreinsatzes ungeklärt sind, kann die Apollon-Weihung nicht als Beleg für eine Heeresfolge der Verbündeten herangezogen werden. Denn wenn es ein Krieg zur Verteidigung eines Bundesmitglieds war, dann waren natürlich, das ist völlig unstrittig, die anderen Verbündeten zum militärischen Beistand verpflichtet. Darüber hinaus war es immer möglich, daß sich Verbündete, sofern sie das freiwillig tun wollten, den athenischen Kriegszügen anschlossen.

^

Als Objekt ζ υ έ λ ό ν τ ε ς ist an Kriegsbeute zu denken (vgl. ζ. B. Syll. 29), aus deren Verkauf das Monument finanziert wurde. Am ehesten kamen dafür die Kriegsgefangenen in Frage, für die man Lösegeld erzielen konnte, vgl. α ι χ μ α λ ώ τ ο υ ς έ λ ό ν τ ε ς bei Paus. 9, 2, 6 oder αιχμαλώτους ελαβεν bei D i o d . 15, 3 4 , 6 (über Chabrias in der Seeschlacht bei Naxos); vgl. zur Kriegsfinanzierung durch Lösegelder in dieser Zeit auch Busolt, Bund 719f.

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Xen. hell. 5, 4, 63; vgl. Philoch. FGrHist 3 2 8 F 151.

Α) Stellten die Verbündeten SchifFskondngente?

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Αι]αντ6[ί]ωι tojl | [ev' Ελλησττό]ντωι σ[υμμαχ]βσά[με]νοι auf dem Chabrias Monument athenische Söldner waren 25 ? Bei aller Wichtigkeit der Söldner können sie aber kaum an so prominenter Stelle neben den Athenern als Dedikanten des Monuments genannt sein. Dafür gibt auch das Chabrias - Monument keine Parallele, auf dem lediglich die Kranzverleihungen der Söldner an ihren Feldherrn nachträglich festgehalten sind 26 . Wenn man, um auf die Xenophon - Stelle (hell. 5, 4, 66) zurückzukommen, aufgrund der Angaben Xenophons daran festhält, daß keine bundesgenössischen Schiffe aus Athen mit ausgelaufen waren, dann bietet sich die Erklärungsmöglichkeit an, daß sich in den Gewässern von Kerkyra einige Schiffe der umliegenden Staaten der athenischen Flotte angeschlossen haben. Dafür kommen in erster Linie kerkyräische Schiffe selbst in Betracht, nachdem Timotheos die Insel gleich bei seiner Ankunft in seine Gewalt gebracht hatte. Es könnte sich um die Schiffe handeln, die der Stratege nach Xenophon erst nach der Schlacht bei Alyzeia in seine Flotte aufnahm. Daneben wäre noch an kephallenische oder akarnanische Schiffe zu denken. Viele Schiffe konnten es nicht gewesen sein, wenn man Xenophon Glauben schenkt, nach welchem Timotheos mit 60 Schiffen auslief und mit derselben Anzahl die Schlacht bestritt. Unter diesem Aspekt waren es vielleicht nicht einmal Schiffe, sondern eher Soldaten, die Timotheos aus den ihm wohlgesonnenen Staaten auf seine Schiffe nahm. Nach Xenophons geraffter Darstellung war dazu vor der Schlacht kaum Gelegenheit; Diodor hingegen (15, 36, 5) läßt Timotheos zunächst Kephallenia, Akarnanien und den Molosserkönig Alketas für die athenische Sache gewinnen und danach erst die Seeschlacht schlagen. Mit seiner Absicht, diese Staaten zum Anschluß an den Seebund zu bringen, hatte Timotheos Erfolg. Der oben zitierte athenische Beschluß über die Aufstellung des Korenmonuments dürfte etwa gleichzeitig mit ihrem Seebundsbeitritt gefaßt worden sein. Den Athenern mag es dadurch besonders leicht gefallen sein, Soldaten aus diesen Staaten wegen ihres Beitrags zum Sieg über Sparta neben sich als Dedikanten zu nennen. Wie immer die Unterstützung für Timotheos aussah, es muß eine freiwillige Hilfeleistung gewesen sein und keine, die aus der Mitgliedschaft im Seebund resultierte. Denn was oben für Kerkyra gezeigt wurde, gilt auch für alle anderen Staaten dieser Region. Keiner von ihnen war während der Timotheos Expedition schon Seebundsmitglied. Die Akarnanen, Pronnoi auf Kephallenia und mit Sicherheit auch Alketas traten erst nach der Rückkehr des Timotheos

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Vgl. auch die Söldnerinschriften Δι[ό]τιμος και ο! στρατι,ωται Ιοί] | ξίν Σΐύρωι ol έ π ί των ν ε ω ν und Φ ι λ ί σ κ ο ς | και οί σ τ ρ α τ ί ώ τ α ι οί £[ν Ά β ύ δ ω ι ] a u f der linken Seite des Monuments, Burnett / Edmondson, Chabrias M o n u m e n t 7 9 f . Wesentliche Ergänzungen der Texte stammen von A. Wilhelm, Ein Stützpunkt der Athener im Hellespontos, Anz. Österr. Akad. 8 4 , 1947, 190 - 197, N D in A. Wilhelm, Akademieschriften zur griechischen Inschriftenkunde ( 1 8 9 5 - 1951) III, Leipzig 1974, 2 4 2 - 2 4 9 . Zu den Söldnern am Hellespont vgl. ebd. S . 1 9 5 und Jordan, Navy 199 A n m . 7 2 .

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Vgl. Burnett / Edmondson, Chabrias M o n u m e n t 88f.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

bei, die anderen Poleis Kephallenias und wohl auch der Demos von Zakynthos noch später 27 .

b) Die Argumentation der Kerkyräer nach Xen. hell. 6, 2, 9 Einige Zeit nach den vorstehenden Ereignissen und nachdem Kerkyra inzwischen Mitglied des Seebunds geworden war, wurde diese Polis von Sparta angegriffen und belagert und bat Athen um Hilfe (Xen. hell. 6, 2, 3ff.; Diod. 15, 46, 3). Die kerkyräische Gesandtschaft wies die Athener nach Xenophon (ebd. 9) besonders auf die militärische Bedeutung und die strategische Position ihrer Insel hin. Aus dem Satz: "Es gebe wohl keine andere Polis, außer natürlich Athen, die in der Lage sei, mehr Schiffe und mehr Geldmittel aufzubringen" (sc. als Kerkyra) hat m a n auf die doppelte Verpflichtung der athenischen Verbündeten geschlossen, Schiffe zu stellen und Geldzahlungen zu leisten. N u n ist die ganze Argumentation der kerkyräischen Gesandten an dieser Stelle nichts weiter als eine rhetorische Einlage Xenophons, die ζ. T. wörtlich aus Thukydides 1, 32 - 36 stammt. Vor Beginn des Peloponnesischen Krieges hatte Kerkyra den Athenern die Vorteile dargelegt, die ein Bündnis mit ihnen für Athen mit sich bringe. Im Jahr 373 hingegen hätten die Kerkyräer lediglich auf die athenische Bündnisverpflichtung hinzuweisen brauchen (was sie wahrscheinlich auch getan haben), die uns zufällig gerade im Vertrag mit Kerkyra erhalten ist und die bei einem feindlichen Angriff auf einen Vertragspartner den anderen zur militärischen Hilfe verpflichtet 28 . Xenophon, der bekanntlich den Zweiten Seebund nie ausdrücklich erwähnt und dementsprechend auch in diesem Zusammenhang nichts über den Beitritt Kerkyras berichtet, setzt das athenisch kerkyräische Bündnis immerhin doch voraus, wenn er die Gesandten die Gefahr beschwören läßt, die Insel könne Athen verlorengehen und den Feinden einen Machtzuwachs verschaffen: d KepKÜpac στερηθειβν, τ ο ι ς δέ π ο λ ε μ ί ο ι ς μ ε γ ά λ η ν α ν ϊ σ χ ύ ν π ρ ο σ β ά λ ο υ ν 2 9 . D a ß natürlich bei der Verteidigung Kerkyras für Athen immer auch die von Xenophon angeführten Motive im Hintergrund standen, macht eben die Grundlage dafür aus, daß sie hier genannt werden können. Die vorteilhafte Lage der Insel war geradezu ein Topos, wenn Isokrates (15, 108) sagen kann: T i c γ α ρ ούκ οιδε Κόρκυραν μ έ ν €V έ π ι κ α ι ρ ο τ ά τ ω και κάλλιστα κειμένην των περί Πελοπόννησο^ ... 30 . Die vorliegende Xenophon - Stelle ist also zu allgemein, um als konkreter Beleg dafür dienen zu können, daß die Seebunds - Mitglieder zur Beteiligung an

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IG I I 2 96 - 98 mit IG II 2 43 Β, Z.10 - 13. 35 - 38; Xen. hell. 6, 2, 33. 38. Vgl. Accame, Lega 90f. 105. IG II 97, Z . 2 - 1 1 ; entsprechender Eid der Athener Z . 1 5 - 2 0 . Vgl. auch den Vertrag m i t Kephallenia, IG II 2 98, Z.5-9, den mit Eretria, IG I I 2 230, Z . 8 - 1 1 u n d den Anfang der Eidesformel im Vertrag mit Chalkis, IG Ι Γ 44, Z.26. Nach Tuplin, Timotheos 553, hingegen läßt sich für die Frage nach einem athenisch - kerkyräischen Bündnis aus der Xenophon - Passage nichts gewinnen. Vgl. Diod. 15, 46, 1, wo die Bedeutung Kerkyras von spartanischer Seite aus gesehen wird.

Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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einer Bundesflotte verpflichtet waren 3 1 . Das Schwergewicht der angeblichen kerkyräischen Argumentation liegt bei Xenophon auch darauf, daß die Stadt mit ihrer Flotte und ihren Geldmitteln dem spartanischen Gegner in die Hände fallen könnte. Zwangsmäßige Eingliederung der kerkyräischen Schiffe in die Flotte der Spartaner und ihrer Verbündeten ist also eher der Bezugspunkt als SchifFsstellung im athenischen Seebund. Darüber hinaus ist klar, daß die Schiffe eines Partners wie Kerkyra in jedem Bündnis von Nutzen sein konnten, und in ihrem wesentlichen Bestandteil, der Zusicherung gegenseitiger Hilfe im Verteidigungsfall, unterschieden sich auch die Bündnisverträge des Zweiten Athenischen Seebunds nicht von allen anderen athenischen und außerathenischen Epimachieverträgen, ob sie innerhalb oder außerhalb eines größeren Bundes abgeschlossen wurden oder nicht 32 . Nur zu dieser vertraglich vereinbarten militärischen Hilfeleistung κατά θάλατταΐ' (IG II 2 97, Z.9. 29) also kann ein Zusammenhang bestehen, nicht aber zu einer Beteiligung Kerkyras an einer Bundesflotte.

c) Die Differenzierung der Symmachoi bei Isokr. 7, 2 In ähnlicher Weise kann Isokr. 7, 2 aus der Diskussion genommen werden: τ η ς πόλεως ... e n δέ συμμάχους έχούσης πολλούς μέν τους έτοίμως ή μ ΐ ν , ην τ ι δέη, βοηθήσοντας, πολύ δέ πλείους τούς τ ά ς συντάξεις ύποτελουντας καΐ τό προσταττόμενον ποιουντας. Man hatte mit diesem Passus zunächst eine Unterscheidung zwischen Schiffe stellenden und Geldzahlungen leistenden Seebundsmitgliedern begründet 33 . Die Gegenposition sah hier den Mitgliedern des Seebunds Bundesgenossen im weiteren Sinn gegenübergestellt 34 . Diese von den meisten Forschern vertretene Auslegung steht allerdings im Widerspruch zu ihrer Annahme, die Seebundsmitglieder hätten Geld und Schiffe abliefern müssen 35 . Accame 36 schließlich versteht die IsokratesStelle so, daß die Syntaxeis zahlenden Bundesgenossen die kleinen, die militärische Hilfe leistenden und Syntaxeis zahlenden hingegen die großen Mitgliedsstaaten seien und bezieht die ganze Stelle damit erneut auf den Seebund. Dafür besteht jedoch von der Formulierung des Isokrates her ebensowenig Anlaß, wie umgekehrt dafür, hier eine Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern des Seebunds treffen zu müssen. Denn die Hilfeleistung, "wenn man ihrer bedürfe", bezieht sich doch auf den Fall, daß eine Polis angegriffen

Hahn, Bemerkungen 458, dem Busolt / Swoboda, Staatskunde II 1386 A n m . l , folgen, will die Stelle als Beleg für die Stellung von Schiffen gelten lassen, aber nicht als Beweis für eine Beitragspflicht Kerkyras in Geld: die Chremata seien keine Syntaxeis. 3 2 Hahn, Bemerkungen 455, macht zu Recht auf den formal defensiven Charakter des Seebunds aufmerksam. Vgl. zu Beispielen aus früherer Zeit Bonk, Defensiv- und Offensivklauseln 16 - 47. 3 3 Von Stern, Hegemonie 84; Martin, Vie 271. 3 4 Vgl. Busolt, Bund 711 f.; Marshall, Confederacy 39 Anm.5. 35 s . o. Anm. 1. 3 6 Accame, Lega 133 Anm.3. 31

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

wird. U n d genau die Zusicherung von Hilfeleistung für diesen Fall, mit demselben Begriff (βοηθβίν) wie bei Isokrates ausgedrückt, war der wesentliche Bestandteil sowohl der Verträge, die mit den Mitgliedern des Seebunds geschlossen wurden, als auch athenischer Bündnisverträge außerhalb des Seebunds 3 7 . Isokrates, der zu Beginn seiner siebten Rede (Areopagitikos) den Athenern vor Augen hält, daß ihre Machtposition durch den Bundesgenossenkrieg keinesfalls grundlegend erschüttert sei, verweist neben anderen dahingehenden Argumenten im zitierten Passus also darauf, daß Athen über (immer noch) zahlreiche Bündnispartner verfüge, die im Bedarfsfall zur Hilfeleistung verpflichtet seien. D a ß die Verbündeten dies auch bereitwillig tun würden, m a g man als Zweckoptimismus des Redners betrachten. Gerade weil Isokrates umfassend auf die Unterstützung verweist, auf die Athen zählen könne, wird er bei den Hilfe leistenden Verbündeten an alle dazu verpflichteten Bündnispartner inner- und außerhalb des Seebunds gedacht haben. Daß es nach Isokrates neben den vielen, die militärische Hilfe leisten würden, noch mehr Syntaxeis zahlende und Athen gehorchende Bundesgenossen gab, muß dann, wenn m a n das damit gegebene Zahlenverhältnis ernst n i m m t 3 8 , so verstanden werden, daß damit die kleinen Seebundsmitglieder gemeint sind, die zwar sicher auch durch das Vertragsformular zu militärischer Hilfe verpflichtet waren, die aber in der Praxis nicht dazu in der Lage waren. Syntaxeis jedoch zahlten auch sie, und daher war die Zahl der Syntaxeis beisteuernden insgesamt höher als die der Verbündeten inner- und außerhalb des Seebunds, die militärische Unterstützung leisten konnten.

2. Einsätze verbündeter Schiffe E i n e zweite G r u p p e von Z e u g n i s s e n betrifft die Beteiligung von bundesgenössischen Schiffen an athenischen Militärunternehmungen. Daß es solche Beteiligungen gegeben hat, soll natürlich nicht bestritten werden. Aber prinzipiell schon ist es nicht zwingend, aus der faktischen Teilnahme eines Bündners darauf zu schließen, daß er dazu verpflichtet gewesen sei. Dies umso weniger, als es sich in allen Fällen um einzelne Poleis handelt und nie um mehrere oder gar einen Großteil der Bundesgenossen, deren Schiffe bei solchen Unternehmungen genannt sind. Im Einzelfall sind daher andere Motive denkbar, die die Bündner zur Kriegsteilnahme bewogen haben mögen.

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Zu den Seebundsverträgen s. o. Anm.28. Ansonsten vgl. den Vertrag mit Chios von 384 , als der Seebund noch nicht bestand, IG II 34, Z.22-26; die Verträge mit Dionysios von Syrakus, IG II 105, Z. 12-23; mit Arkadien, Achaia, Elis und Phleius, IG I I 2 112, Z.25-35; mit Thessalien, IG II 2 116, Z . 1 6 - 1 8 . 26-29; mit Chalkis, Aisch. 3, 90; mit Eretria, IG II 230, Z.8-11. Zu den athenischen Verbündeten außerhalb des Seebunds vgl. bes. Cargill, League 83ff. Busolt, Bund 712, hat das unter einem nicht ganz klaren Hinweis auf Isokr. 7, 9-10 abgelehnt. Accame, Lega 133 Anm.3 hingegen verwendet die Mengenangabe des Isokrates als Argument gegen die Interpretation Marshalls, Confederacy 38f. (die schon Busolt, a. a. O. vertreten hatte).

Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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a) Die boiotischen Trieren i. J. 373 bei [Dem.] 49 Den wohl schwierigsten Fall bildet die Erwähnung eines boiotischen Kontingents in der Rede des Apollodoros gegen Timotheos, [Dem.] 49. Timotheos habe sich, so der Redner, als er mit seiner Flotte vor Kalauria lag, 1000 Drachmen geborgt und diese Summe dem boiotischen Nauarchen zur Bezahlung von dessen Schiffsmannschaften gegeben 39 . Timotheos hatte das Kommando der athenischen Flotte inne, die im Frühjahr 373 ([Dem.] 49, 6) nach Kerkyra fahren sollte, um der verbündeten Insel gegen spartanische Angriffe zu Hilfe zu kommen. Die ganze Situation wird von Xenophon ausführlich beschrieben, von dem wir auch erfahren, daß Athen einige Zeit vor der Flottenausfahrt den Kerkyräern 600 Peltasten unter Ktesikles auf dem Landweg zu Hilfe geschickt hatte (Xen. hell. 6, 2, 3 - 39; vgl. Diod. 15, 46, 3). Nach übereinstimmenden Angaben der Quellen stellten die Athener dem Timotheos 60 Schiffe zur Verfügung 40 , boiotische Schiffe erwähnen weder Xenophon noch Diodor. Trotzdem kann aufgrund der recht detaillierten Darstellung Apollodors nicht daran gezweifelt werden, daß Timotheos einige boiotische Schiffe in seiner Flotte hatte, die jeweils von einem boiotischen Trierarchen kommandiert wurden; sie waren offenbar als Kampfeinheit zusammengefaßt und standen als solche unter dem Unterbefehl eines boiotischen Nauarchen, der manchmal auch Archon genannt wird. Die Mannschaften hatten ihren Sold (μισθοφορία schließt in § 49 τροφή mit ein) έκ τ ω ν κοινών σ υ ν τ ά ξ ε ω ν , also aus den Beiträgen der Bundesgenossen, zu erhalten (§ 49). Timotheos gab nach Apollodor (§ 16) an, die 1000 Drachmen für die boiotischen Schiffe έκ τ ω ν στρατιωτικών gezahlt zu haben, also aus der dafür vorgesehenen Kasse41. Apollodoros spricht durchgängig von boiotischen Trieren und Trierarchen sowie vom boiotischen Nauarchos, worin sich die Tatsache spiegelt, daß der boiotische Bund spätestens 375 wiederhergestellt und völlig von Theben dominiert wurde 42 . Mitglied im athenischen Seebund war allerdings nicht der boiotische Bund, sondern Theben 43 , aber bezeichnenderweise als einzige boiotische Polis. Das boiotische Kontingent unter Timotheos konnte nach Lage der Dinge nur aus wenigen Trieren bestehen44. Theben war vorwiegend Landmacht und be33 [Dem.] 49, 1 4 - 1 6 . 2 1 . 4 8 - 5 0 . 4 0 Xen. hell. 6, 2, 13; Diod. 15, 47, 2; [Dem.] 4 9 , 11. Z u m Verhältnis beider Stellen zueinander vgl. u. C ) 4. 4 2 Vgl. ζ. B. Buckler, H e g e m o n y 18ff. N a c h M . Sordi u n d D. Knoepfler m u ß Boiotien von 3 7 9 bis 3 3 8 als pseudo - föderaler thebanischer Einheitsstaat betrachtet werden; vgl. zuletzt D. Knoepfler, U n legislateur thebain chez C i c e r o n (De legibus II, X V , 7), in: Historia testis. M e l a n g e s d'epigraphie, d'histoire ancienne et de philologie offerts ä Τ . Zawadzki, Fribourg 1989, 37-60, hier 4 7 mit A n m . 4 2 . « IG II 2 43, Z.79. ^ Vgl. Cloche, Thebes 126. 135. In der ersten Zeit des Seebunds scheint es sogar so gewesen zu sein, d a ß Theben sich mindestens zwei athenische Trieren ausgeliehen hatte (vgl. u. 3.). Die Apollodor Rede ist im übrigen das einzige Zeugnis dafür, d a ß es auch i m böotischen B u n d ein Trierarchie System gab. O b es allerdings so ähnlich wie das athenische funktionierte, kann d a m i t nicht als gesichert gelten.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

Schloß erst 3 6 6 oder 365 auf Initiative des Epameinondas den Bau von 100 Trieren 4 5 , die dann in den folgenden Jahren in der Agäis operierten. Nach dem Peloponnesischen Krieg, in den Theben auch zur See eingriff 4 6 , hört man dementsprechend fast nichts von boiotischen Schiffen; lediglich zwei thebanische Trieren liefen 3 7 7 zum Kauf von Getreide nach Pagasai aus, und eine Einheit von zwölf Trieren wurde 3 7 1 in Kreusis an der Südküste Boiotiens von den Spartanern erbeutet 4 7 . D a s kleine Geschwader, das zu Timotheos stieß, war zweifellos an der Ostküste Boiotiens stationiert, wo mit Aulis und Anthedon zwei kleinere Häfen verfügbar waren, die auch recht gute Verbindungswege nach Theben besaßen 4 8 . Dieses von Apollodoros nur beiläufig erwähnte boiotische Kontingent war offenbar das einzige, das von bundesgenössischer Seite zu Timotheos stieß. Es könnte leicht sein, daß es von Xenophon deswegen nicht genannt wird, weil es lediglich in der von Timotheos lange ausgedehnten Vorbereitungsphase präsent war, den eigentlichen Feldzug unter Iphikrates aber nicht mehr mitmachte. Denn nach der Rückberufung des Timotheos scheint sich seine vor Kalauria liegende Flotte aufgelöst zu haben. Sein Nachfolger Iphikrates betrieb die Bemannung der Schiffe wiederum in Athen 4 9 , von wo aus er erst im Frühjahr 3 7 2 auslief 5 0 . Timotheos hatte, wie oben gesagt, 60 athenische Schiffe, dazu wissen wir aus

Diod. 15, 78, 4. 79, 1; vgl. Isokr. 5, 53. Der von Diodor unter dem Jahr 364/3 berichtete Beschluß wird von Buckler, Hegemony 161 fF., ins Jahr 366, von anderen ins Jahr 365 gesetzt. Zur Einordnung des Flottenbauprogramms in das thebanische Machtstreben vgl. zusammenfassend Alfieri Tonini 56ff. 4 6 Vgl. ζ. B. Thuk. 4, 91; 8, 3, 2; auf dem Monument Lysanders in Delphi ist ein boiotischer Nauarchos repräsentiert, vgl. Meiggs / Lewis 95 (d); Paus. 10, 9, 9; Plut. Lys. 18. v Xen. hell. 5, 4, 56; 6, 4, 3; vgl. 5, 4, 60. 4 8 Vgl. Plut. Ages. 6; Buckler, Hegemony 161 ff. Larymna weiter im Norden kam erst nach der Schlacht bei Leuktra in den boiotischen Bund, vgl. Buckler, 9. Zu der Flotte des Epameinondas und zu ihrer wahrscheinlichen Stationierung in Aulis als Haupthafen vgl. auch J. Buckler, Boiotian Aulis and Greek Naval Bases, in; United States Naval Acadamy (Hg.), New aspects of naval history (History Symposium 4, 1979), Annapolis 1981, 13-24. Alle anderen Häfen hält Buckler aus verschiedenen Gründen für nicht geeignet. Hingegen plädiert Fossey für die Bucht von Skoponeri, zwischen den Orten Anthedon und Larymna, als Haupthafen der Flotte und läßt Aulis und andere Orte nur als sekundäre Stützpunkte gelten: J. M. Fossey, Une base navale d' fipaminondas, in: Actes du 3 e congres international sur la Beotie antique, Montreal 1979, 9-19; unter Hinzufügung von Plänen wieder abgedruckt in: ders., Papers 185-200. Vgl. auch dens., Topography 4. 68ff. 99. 250ff. Fosseys Ansicht wird geteilt und bestärkt von P. Roesch, U n decret inedit de la Ligue Thebaine et la flotte d' fipaminondas, R E G 97, 1984, 45-60, hier 54-56, abgelehnt von Buckler, Hegemony 309 Anm.29.

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Xen. hell. 6, 2, 14. Die bei [Dem.] 49, 13 berichtete Auflösung (καταλελύσθαι.) der Flotte vor Kalauria ist zunächst, da die Flotte im folgenden noch da war, nur als Unordnung zu verstehen. Die wirkliche Auflösung seiner Flotte aber konnte Timotheos offenbar nur kurzfristig, u. a. durch die Zahlung an die boiotischen Trierarchen, verhindern. Für die Rückkehr der Schiffe nach Athen argumentiert auch Tuplin, Timotheos 539-41. Vgl. ζ. B. Beloch, Att. Politik 147; Woodhead, Chabrias 262f., auch wenn sich Xenophons Bericht nicht danach anhört, als ob über den Vorbereitungen des Iphikrates der Winter vergangen sei. D a r a u f b a u t gegen die communis opinio Gray, Years 316f.; nach ihr ist Iphikrates noch im Sommer 373 ausgelaufen. Dazu jedoch Tuplin, Timotheos 539fif.

Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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Apollodors Rede von den boiotischen Trieren. Iphikrates ließ sich von den Athenern noch einige zusätzliche Schiffe, die um Attika herum kreuzten, zur Verfügung stellen, darunter die beiden Staatsschiffe 'Paralos' und "Salaminia', und brachte es damit nach Xenophon (a. a. O.) auf die Gesamtzahl von rund 7 0 Schiffen 5 1 . Für Schiffe der Thebaner oder anderer Bundesgenossen ist in dieser Zahl kein Platz. Es ergibt sich aus diesen Überlegungen erstens, daß außer den boiotischen keine weiteren bundesgenössischen Schiffe an der Unternehmung beteiligt waren, und zweitens, daß die Thebaner mit der Entsendung einiger Schiffe keineswegs einer dementsprechenden Verpflichtung nachkamen, sonst hätten sie auch unter Iphikrates anwesend sein müssen. Athen hätte nach den Ereignissen um Oropos gegenüber Theben die Erfüllung einer solchen Verpflichtung auch nicht durchsetzen können, vielmehr hatte es der boiotischen Vormacht umgekehrt mit dem Ausschluß aus dem Seebund gedroht 5 2 . Daß Theben daraufhin nachgab, zeigt schon sein eigenes Interesse am Bündnis mit Athen. Und dieses eigene Interesse, sich zusammen mit Athen gegen Sparta zu wehren, erklärt auch unschwer die Entsendung der boiotischen Schiffe. Schon in der ersten Phase des Krieges war Boiotien das vorrangige Angriffsziel der Spartaner gewesen, die bis zum Frieden von 375 jährliche Einfälle unternommen hatten 5 3 . Als die Peloponnesier dann den Seekrieg eröffneten und nach Boiotien überzusetzen drohten, schickte Athen die erste Expedition unter Timotheos um die Peloponnes herum, um die feindlichen Kräfte von Boiotien abzulenken. Das geschah auf ausdrückliche Bitte der Thebaner hin (Xen. hell. 5, 4, 62). Nach dem erneuten Kriegsausbruch 3 7 3 war die Situation für Theben sehr ähnlich. V o n Phokis aus waren Angriffe mit spartanischer Beteiligung zu erwarten, und wenn auch die spartanische Flotte unter Mnasippos zunächst Kerkyra belagerte 54 , so konnte sie doch in Zukunft wieder Boiotien bedrohen, so daß die athenische Hilfe für Kerkyra in jedem Fall auf thebanische Unterstützung treffen mußte. Nachdem Theben bei den früheren spartanischen Einfällen stets athenische Hilfe auch zu Lande erhalten hatte und nachdem die Peloponnes - Umfahrung des Jahres 375 auch im thebanischen Sinn erfolgreich war 5 5 , mag man in Theben durchaus der Auffassung gewesen sein, daß eine direkte Beteiligung an der neuerlichen athenischen Expedition nach Kerkyra eine gegenüber Athen,

51 Es ist vielleicht beachtenswert, daß Xenophon für die Flotte des Iphikrates ausdrücklich eine Gesamtzahl nennt, während er für T i m o t h e o s nur die Bewilligung von 6 0 athenischen Trieren berichtet (6, 2, 11). Diod. 15, 4 7 , 2 - 4 gibt höhere Zahlen. D a ß Athen, wenn auch nur kurzfristig, wie Iphikrates versprach, seine Küsten in dieser Weise von eigenen Schiffen entblößte, zeigt nicht nur, daß es von den höchstwahrscheinlich zurückgebliebenen boiotischen Trieren nicht das Geringste befürchtete, das Verhältnis der beiden Bündnispartner zu diesem Zeitpunkt also gut war, sondern läßt es auch denkbar erscheinen, daß man beim Schutz der attischen Gewässer bis zu einem gewissen Grad auf bundesgenössische Schiffe vertraute. 5 2 Isokr. 14, 53 Xen. hell. 54 Xen. hell. 5 5 Vgl. auch

2 0 . 37. 5, 3 4 - 5 5 . 59; 6, 2, 1; Diod. 15, 3 2 - 3 4 ; Plut. Ages. 25f. 6, 2, 3 f f ; Diod. 15, 4 7 , Iff. Nep. T i m o t h . 2, 2.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

vielleicht auch besonders gegenüber Timotheos, angemessene Geste sei. Zudem fielen die Kosten für Theben recht niedrig aus, da die Schiffsbesatzungen aus den Syntaxeis des Seebunds bezahlt wurden. Daß Theben zu den Kosten der Flotte selbst nichts beitrug, erregte nach Xenophon schon vor dem Frieden von 3 7 5 einigen Unwillen in Athen 5 6 . Die Entsendung der boiotischen Schiffe konnte auch auf die Besänftigung dieser Stimmung berechnet gewesen sein. Z u einer solchen Zusammenarbeit mit A t h e n steht keineswegs in Widerspruch, daß es Theben im Hinblick auf den weiteren Ausbau seiner Vormachtstellung in Boiotien vielleicht ganz gelegen kam, starke athenische Kräfte im Westen zu binden. Denn die beiden großen Poleis waren zwar einerseits Verbündete gegen Sparta, andererseits aber auch Konkurrenten mit gegensätzlichen Interessen. Insbesondere die ungefähr in dieser Zeit erfolgte Zerstörung Plataiais durch Theben 5 7 belastete das Verhältnis zu Athen. W a r u m dann die boiotischen Schiffe an der eigentlichen Expedition unter Iphikrates, wie oben angenommen, nicht teilnahmen, läßt sich letztlich nicht sagen. Es mag an der Abberufung des Timotheos gelegen haben oder daran, daß die Boioter nicht in das Konzept des Iphikrates hineinpaßten, daß sie anderweitig in der Ägäis gebraucht wurden oder daß sich das Verhältnis zu Athen bis zum Frühjahr 3 7 2 entsprechend verschlechtert hatte. Jedenfalls sieht alles danach aus, daß ihre zeitweilige Anwesenheit zwar mit Athen abgestimmt war, wofür auch die Bezahlung der Mannschaften durch Timotheos ein Beweis ist, daß es sich aber um eine aus der Interessenlage Thebens erklärliche freiwillige Sonderleistung des boiotischen Vororts handelte, die keine generelle Verpflichtung der Bündner zur Stellung von Schiffen belegen kann.

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Xen. hell. 6, 2, 1. Zur Erklärung dieser Stelle s. u. den Exkurs im 2. Kap. E). Die Chronologie ist nicht ganz klar. Paus. 9, 1, 8 gibt für die Zerstörung Plataiais das Archontat des Asteios (373/2), ihm folgt ζ. B. Judeich, Athen und Theben 187 A n m . l . Nimmt man hingegen den im isokrateischen *Plataikos' mehrfach vorgebrachten Hinweis ε ι ρ ή ν η ς ο ύ σ η ς ernst (Isokr. 14, 1. 5. 14), dann muß die Zerstörung nach dem Frieden von 375 - denn § 14 stellt den Kriegszustand nach 378 dazu in Gegensatz — und vor Wiederaufnahme der Kriegshandlungen 373 erfolgt sein (vgl. ζ. B. Busolt, Bund 778f.; Cawkwell, Peace 93f.). W e n n nun die zweite Timotheos - Expedition nach Kerkyra im Munichion (April / Mai) 373 auslief ([Dem.] 49, 6) und zwar, wie Xen. hell. 6, 2, 3-14 angibt (vgl. Diod. 15, 47, Iff.), um dem von Sparta angegriffenen Kerkyra zu helfen, dann müssen die Kampfhandlungen bereits im Frühjahr 373 wieder aufgenommen worden sein. Für Herbst 373 argumentieren hingegen Accame, Lega 144 Anm.5. 236 Anm.7 und Cawkwell, Peace 44-48. Den Sommer bevorzugt L. Prandi, Platea: momenti e problemi della storia di una polis, Padua 1988, 127. Nach Cawkwell (S.85) haben die hier vorgebrachte und von ihm abgelehnte Theorie schon frühere Forscher vertreten; aber bei Blass, Beredsamkeit II 243f. und Meyer, GdA V 390f. (4. Aufl.), die Cawkwell in seiner A n m . l 3 nennt, findet sich diese Argumentation nicht, vielmehr stehen beide Gelehrte der Darstellung Cawkwells näher als der hier vorgelegten. Nach dieser wurde Plataiai also zu Anfang des Jahres 373 zerstört und Diodors Datierung (15, 46, 4-6) ins Archontat des Sokratides (374/3) wäre bestätigt. Für ein Datum früh im Jahr 373/2 tritt Tuplin, Timotheos 544, ein; vgl. dens., The fate of Thespiae during the Theban hegemony, Athenaeum 64, 1986, 321-341, hier 321 mit Anm.2. Zur athenischen Reaktion auf die Zerstörung Plataiais vgl. Xen. hell. 6, 3, 1.

Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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b) Die thrakischen Trieren i. J. 373 bei Diod. 15, 47, 2 In seinem Bericht über eben diesen zweiten Kerkyra - Feldzug des Timotheos sagt Diodor (15, 47, 2), Timotheos habe seiner Flotte 30 Trieren hinzugefügt, nachdem er viele Poleis in Thrakien zum Abschluß einer Symmachie bewogen hätte. Diodor sagt nicht ausdrücklich, daß es sich um Schiffe dieser neuen thrakischen Verbündeten gehandelt habe, aber das wird man als seine Ansicht unterstellen dürfen. Ansonsten könnte man noch an die Einziehung von Schiffen unterworfener Staaten denken 58 . Waren es aber Schiffe der genannten Thraker, und sollten diese wirklich in den Seebund aufgenommen und nicht durch anderweitige Verträge an Athen gebunden werden, dann gilt zunächst ganz unabhängig von einer genauen Datierung, daß diese Staaten zu dem Zeitpunkt, als ihre Schiffe in der Timotheos - Flotte waren, noch keine Seebundsmitglieder sein konnten. Wenn sie Timotheos wirklich Schiffe mitgaben, dann als freiwillige Leistung, nicht als eine auf sie umgelegte Verpflichtung, die das Synhedrion noch nicht durchgeführt haben konnte 59 . Diodor gibt im anschließenden Paragraphen selbst an, daß Timotheos Gesandte dieser Poleis mit sich führte, die die Symmachie abschließen sollten. Interpretiert man die Stelle nur aus sich selbst heraus, so könnte es schon hier scheinen, daß der Autor bzw. seine Quelle die Transport- und Begleitschiffe der thrakischen Gesandten (und Diodor spricht von π ρ έ σ β ε ω ν π λ ή θ ο ς ) irrtümlich zur Gesamtzahl der Schiffe rechnete, die Timotheos für seine Expedition zur Verfügung standen. Aber die Stelle ist grundsätzlich verdächtig 60 . Sie steht in direktem Gegensatz zu Xenophons Darstellung (hell. 6, 2, 12), nach der Timotheos Inseln aufgesucht hat — vermutlich Verbündete auf den Kykladen —, um seine Schiffe zu bemannen, nachdem ihm das in Athen nicht gelungen war. Weder Xenophon noch Apollodoros ([Dem.] 49), von dem wir über die im vorigen Abschnitt behandelten boiotischen Trieren wissen, noch Isokrates, der einen weiteren erfolgreichen Feldzug seines Schülers und Freundes in seiner Lobrede (15, 108-

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Der athenische Volksbeschluß über die Symmachie mit den thrakischen Königen Berisades, Arnodokos und Kersebleptes (IG II 126, Z.6-9) beweist, daß Athen mindestens in späterer Zeit, das Dekret datiert 357/6, einige Orte in diesem Gebiet unterworfen hatte. Als Beleg für eine Kontributionspflicht in Form von Schiffen wird die Stelle vor allem von Brun, Eisphora 113 Anm.l angeführt, aber schon Schaefer, Demosthenes I 60 und Beloch, Gr. Gesch. III 2, S.167, fassen sie so auf. Vgl. Busolt, Bund 762fF.; Hahn, Bemerkungen 459f.; Meyer, GdA V 390 Anm.3; Busolt / Swoboda, Staatskunde II 1370 A n m . l ; Accame, Lega 101; Gray, Years 322; C. Vial in seiner Anmerkung zur Stelle in der Bude - Ausgabe, Paris 1977, und Burnett / Edmondson, Chabrias Monument 82f., jeweils mit weniger vollständiger Begründung als der hier gegebenen. Gegen das Argument der zeitlichen Enge, vorgebracht von Burnett / Edmondson, wendet sich zu Recht Woodhead, Chabrias 260, der jedoch selbst nicht überzeugend für die Glaubwürdigkeit Diodors plädiert, ebenso H. Pistorius, Lesbos 39; Cawkwell, Peace 87 und, wohl als erster, Höck, De rebus 23f. Während Gehrke, Stasis 95 Anm.37, sich Höck anschließt, hat dieser selbst wenig später die gegenteilige Argumentation Busolts akzeptiert, vgl. Höck, Beziehungen 12 Anm.6. Die meisten Gelehrten setzen Diodors Glaubwürdigkeit jedoch stillschweigend voraus.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

113) gewiß nicht ausgelassen hätte 61 , erwähnen diese Fahrt nach Thrakien oder die Anwesenheit thrakischer Trieren. Die von Apollodor geschilderte Geldknappheit des Timotheos, der sich zur Bezahlung der boiotischen Kontingente Geld geliehen habe, wäre schließlich nicht denkbar, wenn der Stratege gerade von einem erfolgreichen Thrakienzug zurückgekehrt wäre. Es ist auch kaum vorstellbar, welche thrakischen Poleis noch dem Seebund hätten beitreten können, und noch dazu in so großer Zahl, wie Diodor behauptet, nachdem die auf der Aristoteles - Stele eingetragenen Staaten spätestens 375 von Chabrias in das Bündnis gebracht wurden oder bald darauf eintraten 62 . Krithote, Sestos, Poteidaia, Torone, Pydna und Methone hingegen brachte Timotheos erst nach seinem Zug nach Samos (366) zum Anschluß an Athen, wahrscheinlich ohne daß diese Staaten Mitglieder des Seebunds wurden 63 . So mag Diodor Nachrichten, die vielleicht auf spätere oder frühere Aktionen des Timotheos 6 4 , vielleicht aber auch auf die Expedition des Chabrias von 376/5, dem Timotheos als Stratege nachfolgte, zu beziehen sind, in diesen Zusammenhang gebracht haben, in den sie nicht gehören. Ein Irrtum Diodors bzw. seiner dem Timotheos freundlichen Quelle liegt umso näher, als er zwar von der Absetzung des Timotheos berichtet, dann aber fälschlicherweise seine sofortige Wiedereinsetzung (an der Seite des Iphikrates) zur Durchführung des Kerkyra Feldzuges behauptet, während Timotheos in Wirklichkeit in Athen weilte, wo ihm im November / Dezember 373 der Prozeß gemacht wurde 65 .

c) Die Hilfe des Alketas i. J. 373 nach Xen. hell. 6, 2, 10 Der Bitte der Kerkyräer um Hilfe gegen Sparta entsprach Athen im Jahr 373, noch vor der Entsendung einer Flotte, indem sofort eine Truppe von nahezu 600

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Das gilt ebenso für Dein. 1, 14; 3, 17. Vgl. Busolt, Bund 765f. Den Unwillen der Athener über Timotheos' Zögern und seine Ersetzung durch Iphikrates hätte Isokrates auch in diesem Fall ohne weiteres übergehen können. Dazu gehören Byzantion (Gründungsmitglied: IG II 43, Z.83), Selymbria (Β, Z.29), Perinthos (Z.84), Elaius (Β, Z.27), Ainos (Β, Z.7), Maroneia (Z.87), Dikaiopolis (Β, Z.9), Abdera (Β, Z.3; vgl. Diod. 15, 36, 4), Neopolis (Β, Z.34), Arethusa (Z.82; zur Lage des Ortes in Thrakien vgl. Knoepfler, Styra 239, und, gegen den für Euböa eintretenden Cargill, League 33, dens., Cinq cents 249 Anm.22), Dion (Β, Z.32), der chalkidische Bund (B, Z.5-6), Samothrake (Β, Z.8), Thasos (Β, Z.4). Gegen Woodhead, Chabrias 259, der, wie auch früher schon vorgeschlagen, die Einträge in Β, Z. 16-34 der Timotheos - Expedition von 373 zuweisen will, vgl. Cawkwell, Failure 42f.; Cawkwell setzt die Historizität der Diodor - Stelle voraus, nimmt aber an, daß die von Timotheos in den Seebund gebrachten Poleis nicht mehr in die Stele eingemeißelt wurden. U m welche Namen es sich noch handeln könnte, gibt er jedoch nicht an. Isokr. 15, 108. 112f.; Schol. Dem. 3, 28; Dein. 1, 14; Diod. 15, 81, 6. Gegen die Mitgliedschaft dieser Staaten im Seebund Cawkwell, Failure 45 (gegen Accame, Lega 180f.). Wenn Timotheos 372, bei seiner Abfahrt nach Persien, mit dem Makedonenkönig Amyntas befreundet war, [Dem.] 49, 26, dann muß er sich schon vorher in jenen Gewässern aufgehalten haben. Für eine Verwechslung mit dem ersten kerkyräischen Feldzug plädieren jedoch Busolt, Bund 762. 764 und v. Stern, Athen und Theben 112f. Diod. 15, 36, 4. Zum Prozeß vgl. Xen. hell. 6, 2, 13; Nep. Timoth. 4; [Dem.] 49, 9f. 22. 47.

Α) Stellten die Verbündeten SchifFskontingente?

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Peltasten unter dem K o m m a n d o des Ktesikles abgeschickt wurde 6 6 . Die Athener baten ihrerseits Alketas, beim Ubersetzen nach Kerkyra behilflich zu sein (Xen. hell. 6, 2, 10). Der Molosserkönig Alketas war zu diesem Zeitpunkt Mitglied des Seebunds 6 7 , und so könnte man schließen, obwohl niemand die Stelle in diesem Sinn anführt, daß Athen die Verpflichtung der Molosser zur Heeresfolge einforderte. Aber schon Xenophons Darstellung enthält keine derartige Implikation; es scheint sich vielmehr um eine außerordentliche Hilfeleistung des Alketas gehandelt zu haben. Außerdem beschränkte sich seine Hilfe auf das Übersetzen des athenischen Kontingents, die Molosser selbst stellten keine Truppen. Selbst wenn sie das getan hätten, hätten sie nur ihrer Verpflichtung genügt, einem angegriffenen Bundesmitglied zu Hilfe zu kommen. Heeresfolge im Seebund wäre damit nicht belegt.

d) Die Hilfe der Mytilenaier nach IG II 2 107 Der von Kallistratos beantragte athenische Volksbeschluß für Mytilene (IG II 2 107, Z.35ff.) aus dem Jahr 3 6 8 6 8 lobt den Demos der Mytilenaier für seine Hilfe im vorausgegangenen Krieg. Im Krieg gegen Sparta also, der mit einer etwa einjährigen Unterbrechung von 3 7 8 bis 371 dauerte, habe Mytilene militärische Hilfe geleistet, so werden das recht sicher ergänzte συν[δΐ6|πολέμη]σαΜ in Z.38f. und das έβίοήθουν in Z . 4 5 im allgemeinen verstanden 6 9 . Dabei braucht aus dem Terminus σ υ ν δ ι α π ο λ ε μ έ ω keineswegs zu folgen, daß Mytilene bei sämtlichen Kriegshandlungen an Athens Seite stand; denn mit vorliegendem Ehrendekret versuchte der H e g e m o n des S e e b u n d e s , d e m beunruhigten Bundesgenossen seine neue, auf Frieden mit Sparta bauende Politik zu erläutern 7 0 , so daß die Verdienste des Adressaten leicht etwas übertrieben werden konnten. J a es wäre sogar denkbar, da wir in konkreten Situationen nie etwas von mytilenischen Kontingenten hören und da sie in den entscheidenden Schlachten bei N a x o s und bei Alyzeia mit Sicherheit ebensowenig wie andere B u n desgenossen beteiligt waren 7 1 , daß die gesamte Formulierung des Kallistratos lediglich auf die Mitgliedschaft der lesbischen Polis im Seebund anspielt, der ja insgesamt, wie im Aristoteles - Dekret explizit gesagt wird, der Bekämpfung Spartas dienen sollte. Mytilene selbst war eines der vier Gründungsmitglieder des

66 Xen. hell. 6, 2, 9f.; Diod. 15, 46, 3. 67 Er und sein Sohn Neoptolemos sind als Mitglieder verzeichnet IG II 43 Β, Z. 13-14. Die Mitgliedschaft des Alketas im Seebund seit 375 wird auch von Cargill, League 43, anerkannt, obwohl nach seiner Ansicht Kerkyra nicht beitrat. 6 8 Zur Datierung vgl. Cawkwell, Failure 53. 6 9 Vgl. zuletzt Brun, Mytilene 379f. Zurückhaltender denkt T o d I I S.98 daran, daß die Ressourcen, der Hafen und die geographische Lage Mytilenes für Athen nützlich gewesen sein könnten. 7 0 Vgl. ζ. B. Sealey, Callistratos 193; Griffith, Athens 136; Alfieri Tonini, Atene 50. Nach Cawkwell, Failure 53, resultierte die Besorgnis der Bundesgenossen eher aus den athenischen Ansprüchen auf Amphipolis. 7 1 Zu Alyzeia s. o. S.12; zu Naxos s. u. S. 35. 201.

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1. Verpflichtung zur Stellung von militärischen Kontingenten

Seebunds (IG II 2 43, Z.80) und hat zweifellos daran Anteil gehabt, daß auch die übrigen Poleis der Insel der Allianz beitraten. Darauf könnten sich Z . 4 5 - 4 7 der Mytilene - Inschrift beziehen, wo es heißt: αύτοί Te έβίοήθουν και τ ο υ ς [άλλο|υς σ υ μ μ ά χ ο υ ς πίαρβκάλεσαν β ο η θ ^ ΐ ν τή|ν καθήκουσαι^' Αίθηι/αιοις βοήθβιίαι^ 72 . Allerdings, das soll durchaus zugegeben werden, ist die Anspielung auf eine direkte militärische Zusammenarbeit näherliegend 7 3 . Der einzige konkrete Anhaltspunkt dafür findet sich auf der Basis der Chabrias - Statue, die auf der Agora aufgestellt wurde und auf der nebeneinander der D e m o s der Mytilenaier und die (athenischen) Soldaten auf Mytilene als Stifter eines Kranzes für den Strategen genannt s i n d 7 4 . Der wahrscheinlichste Zeitpunkt für die Stationierung einer athenischen Garnison ist das Jahr nach der Schlacht bei Naxos 7 5 . Möglicherweise bestand der athenische Stützpunkt sehr lange und sollte der Versorgung der in dieser Gegend operierenden Flotteneinheiten dienen 7 6 . Die B e l o b i g u n g unserer Inschrift m a g sich daher a u f die T o l e r i e r u n g und Unterstützung der athenischen Garnison und möglicherweise auf gelegentliche Hilfeleistungen für die athenischen Schiffsverbände beziehen. Bedeutendere Kämpfe gab es jedoch nach der Schlacht bei Naxos in der Ägäis nicht mehr. W e n n die Mytilenaier sich tatsächlich an kleineren Aktionen beteiligten, die unsere Überlieferung nicht erwähnt, die aber dem Lob unseres Dekrets zugrundeliegen könnten, dann bedeutet gerade diese besondere Ehrung für Mytilene, daß die Polis nicht die normale, angeblich alle Alliierten betreffende Pflicht zur Stellung von Schiffen erfüllt hat, sondern daß hier freiwillige Leistungen besonders hervorgehoben werden sollten. Aus demselben Grund läßt sich die Stelle auch nicht dahingehend verallgemeinern, daß, ebenso wie Mytilene, alle Bundesgenossen an der Kriegsführung teilgenommen hätten 7 7 . Mytilene hat nach dem oben zitierten Text andere Verbündete zur Hilfeleistung für Athen aufgefordert. O b mit Erfolg oder nicht, wissen wir nicht. Jedenfalls zeigt auch diese Aufforderung, daß hier von freiwilligen Leistungen verbündeter Poleis nach deren eigenem Ermessen die Rede ist und nicht von festen Kontingenten, die von Athen hätten eingefordert werden können.

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Die Möglichkeit der Gleichsetzung von βοηθά ν und der Zahlung von Syntaxeis wird unten in Anm.120 gezeigt. Militärische Hilfe bezeichnet σ υ ν π ο λ ε μ β ω in IG II 110, Z.7-8. Keine militärischen Aktionen meint πολεμέω in IG Ι Γ 111, Z.28, vgl. u. 4. c). Vgl. Burnett / Edmondson, Chabrias Monument 80. Vgl. Burnett / Edmondson, Chabrias Monument 85; Brun, Eisphora 151; Cargill, League 153, spricht allgemeiner von den ersten Jahren des Seebunds. Mytilene blieb Mitglied des Seebunds bis zur Machtergreifung des Tyrannen Kammys, vgl. Cargill, League 142. Vgl. zur späteren Existenz des athenischen Stützpunkts [Dem.] 50, 53; Apollodors Trierarchie begann im Jahr 362, s. § 4 der Rede. Isaios 9, 1 und 14, muß nach H. Pistorius, Lesbos 42, auf 368 bezogen werden. Dieselbe Funktion Mytilenes als Stützpunkt Athens nach seinem Wiedereintritt in den Seebund 346 vermutet Accame, Lega 135 aufgrund von IG Ι Γ 213, Z.13f. So aber Cawkwell, Failure 47.

Α) Stellten die Verbündeten Schiffskontingente?

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Bundesgenossen, die so handelten, legten die in ihren Beitrittsverträgen festgeschriebene Beistandspflicht gegenüber Athen sehr großzügig aus. Die besonders in dem Vertrag mit Kerkyra erhaltene, aber auch fragmentarisch bestätigte Formel sieht nämlich gegenseitige Hilfeleistungen nur im Falle eines Angriffs auf einen der Vertragspartner vor 7 8 , und auf die Eide, mit denen der Beitritt beschworen wurde, bezieht Kallistratos sich auch im Mytilene - Dekret, Z.47f.: έμμ|°5 Ähnlich im Kolophon - Dekret, Z.5-8. 1 0 6 Hingegen mußte der Vertrag mit den Kephalleniern aus dem Jahr 375 oder 372 auf Kosten der Kephallenier publiziert werden: IG II2 98 (= StV II 267), Z.26f. 102

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

eine Versöhnung des Seebunds mit Paros und für eine Schlichtungsregelung des Seebunds für parische Fraktionen, die sich bekämpft hatten (s. o. D 1). Im Vergleich zur einzig bekannten Niederwerfung abgefallener Bündner haben die Vorgänge um Paros einen völlig anderen Charakter. Das spricht nicht für eine Wende in der Behandlung abgefallener Bündner, sondern gegen die Gleichsetzung der Ausgangssituation (D 2). Mögliche Motive für einen Abfall von Paros sind für die Zeit um 373/2 nicht auszumachen; die machtpolitischen Rahmenbedingungen waren einer Rebellion nicht förderlich, sondern standen ihr entschieden entgegen (D 3). Die im athenischen Beschluß festgehaltene Beteiligung von Paros an athenischen Festen schließlich muß nicht auf Zwang beruhen, sondern dürfte die athenische Bestätigung einer freiwilligen Bindung der Insel an Athen bedeuten (D 4). Aufgrund dieser sicherlich unterschiedlich starken Argumente haben wir meines Erachtens davon auszugehen, daß das Synhedrion des Zweiten Athenischen Seebunds - die vermittelnde Rolle Athens selbst kann man nur vermuten — als auswärtige Instanz zur Beilegung von Auseinandersetzungen beigetragen hat, die auf Paros von mindestens zwei verfeindeten Gruppierungen ausgetragen worden waren. Es sei noch darauf hingewiesen, daß die Festsetzung der Diallagai für Paros nicht die einzige rechtliche Tätigkeit war, die das Synhedrion des Seebunds ausübte bzw. auszuüben berechtigt war. Im Aristoteles - Dekret ist es nämlich in zwei Fällen als Gericht vorgesehen, und zwar erstens, wenn Athener in bundesgenössischem Gebiet Eigentum erwarben (IG II2 43, Z.4lff., wo vor allem die Vollstreckungstätigkeit festgelegt ist), und zweitens, wenn Athener versuchten, die Garantien des Dekrets rückgängig zu machen (Z.51ff.). Ob es aber je zu einer diesbezüglichen Tätigkeit des Synhedrions gekommen ist, wissen wir nicht.

1. Nähere Umstände der Diallagai Uber die Ereignisse, die den Diallagai vorausgingen, können wir lediglich Vermutungen anstellen. Gehrkes vorsichtig formulierte Vorstellung, eine prospartanisch - oligarchische Gruppe habe versucht, die Macht an sich zu reißen und Unruhen verursacht, es sei aber vielleicht nicht zum Abfall vom Seebund gekommen 107 , kann zwar nicht mit der gleichen Sicherheit ausgeschlossen werden wie die These von der vollzogenen Rebellion, aber immerhin spricht eines der oben vorgebrachten Argumente, daß nämlich die machtpolitische Situation einem Abfall sehr entgegenstand, auch gegen die Annahme eines versuchten Abfalls. Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppierungen, die sich häufig, aber nicht immer, als demokratische und oligarchische "Partei' gegenüberstanden 108 , sind auch ohne außenpolitischen Situationswechsel

Gehrke, Stasis 126 mit Anm.6. 108 Vgl. zu den Zielen der 'Bürgerkriegsparteien' Gehrke, Stasis 328ff., zum Gegensatz von Demokraten und Oligarchen ebd. 336ff. 107

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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vorgekommen 1 0 9 . Im Z u s a m m e n h a n g mit Verfassungsänderungen oder auch unabhängig davon sind weitere Anlässe für grundsätzliche Auseinandersetzungen innerhalb einer Bürgerschaft bekannt 1 1 0 oder denkbar, ohne daß wir daraus für Paros irgendetwas ableiten könnten. Wenn die Diallagai der Bundesgenossen Sanktionen gegen Vertreibungen und Gewalthandlungen bis hin zum M o r d festsetzten, so darf daraus geschlossen werden, daß diese Verbrechen im vorausgegangenen Bürgerkrieg verübt worden waren 1 1 1 , der daher grundsätzliche und wichtige Angelegenheiten zum Inhalt gehabt haben muß. Z u dem Zeitpunkt jedoch, an dem die Diallagai vom Synhedrion beschlossen wurden, hatten die Bürgerkriegsparteien in Paros bereits grundsätzliche Einigungsbereitschaft gezeigt. D a s hatten wir aus der Bestimmung des Dekrets geschlossen, die für zukünftige Verfahren bei Morden, wie sie in der Vergangenheit offenbar vorgekommen waren, D e m o s und Bule von Paros als Gericht vorsieht ( Z . 2 0 - 2 1 ) 1 1 2 . Die Volksversammlung, an der die gesamte Bürgerschaft teilnehmen konnte, wäre als Gerichtshof denkbar ungeeignet gewesen, wenn sich die verfeindeten G r u p p e n nach wie vor unversöhnlich gegenübergestanden hätten. Auch setzt die vorgesehene gemeinsame Tätigkeit von D e m o s und Bule das normale Funktionieren dieser beiden wichtigsten politischen Institutionen einer Polis und damit ein Ende der K ä m p f e mit Notwendigkeit voraus 1 1 3 . A u f den möglichen Anteil Athens an dieser grundsätzlichen Einigung wurde oben schon hingewiesen. Diese Ausgangssituation beim Beschluß der Verbündeten legt es auch nahe anzunehmen, daß die Parier von sich aus das Synhedrion zu seinem Dekret aufgefordert hatten 1 1 4 . Das Synhedrion zeigt in seinen Diallagai Vertrauen in die parischen Institutionen, was ohne Befürchtungen für ein Wiederaufflammen der Kämpfe kaum möglich gewesen wäre, wenn Athen oder seine Verbündeten den Pariern solche B e s t i m m u n g e n aufgezwungen hätten. D a es sich u m die

109 Mytilene schied wohl noch nicht aus dem Seebund aus, als es ca. 351 oligarchisch wurde, sondern erst unter dem Tyrannen Kammys, vgl. Cargill, League 142. In Methymna scheint die Tyrannis des Kleomis das Bündnis mit Athen nicht berührt zu haben, vgl. Cargill, a. a. O . Vgl. zu weiteren Fällen unten S.285f. und zum ganzen Problem auf breiterer Basis Gehrke, Stasis 286f. Umgekehrt ging nicht jedem Ausscheiden aus dem Seebund ein Verfassungsumsturz voraus, wie bereits die Fälle von Theben Ende der siebziger Jahre und im Anschluß daran die der euböischen Poleis zeigen (vgl. zu den Austritten Cargill, League 161ff.). Vgl. Gehrke, Stasis 207. Vgl. Accame, Lega 238. Zu diesen Mitteln in den griechischen Staseis vgl. Gehrke, Stasis 214ff. 1 1 2 Das scheint keine Neuerung gewesen zu sein, sondern den überkommenen parischen θεσμοί entsprochen zu haben, wie durch κατά τ ό ς θεσμός betont wird; vgl. Aristot. Ath. pol. 39, 5: τ ά ς δε δίκας του φόνου ε ί ν α ι κατά τά πάτρια. Die Differenzierung Accames, Lega 247f. wonach nur eigenhändige Mörder mit dem T o d bestraft und die Drahtzieher (αίτιοι) gemäß den Gesetzen verurteilt werden sollten, halte ich nicht für überzeugend, vgl. meinen Prozeßkommentar. 113 Vgl. auch das "Dekret über die Eintracht" aus Mytilene, datiert in die dreißiger Jahre des vierten Jahrhunderts, das von Bule und Demos Mytilenes selbst beschlossen wurde, allerdings wohl nach dem Wunsch Alexanders d. Gr.: Heisserer / Hodot, Decree 117ff. 1 1 4 Accame stellte sich diese Frage nicht; nach Gehrke, Stasis 265 mit Anm.6, kam der Anstoß zur Versöhnung von außen, nämlich vom Seebund. 110 111

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

Beilegung innerparischer Kämpfe handelte, bestand auch kein Anlaß für den Seebund, so weitgehende Eingriffe in die Autonomie eines Mitglieds ohne dessen Einwilligung vorzunehmen. Die übrigen Verbündeten hätten vielmehr durch ein solches Vorgehen einen Präzedenzfall geschaffen, durch den auch ihre eigene, von allen hochgeschätzte Autonomie (IG II 2 43, Z.20-21) in Frage gestellt worden wäre. Mindestens die Bereitschaft der Parier, sich freiwillig an die Diallagai des Synhedrions zu halten, ist also vorauszusetzen. Die Bundesgenossen konnten aber durchaus von den in Athen weilenden Gesandten oder vom Synhedros der Parier zu ihrem Beschluß aufgefordert worden sein. Das Motiv der Parier, an den Seebund zu appellieren, wird man darin suchen müssen, daß sie ihre erreichte Einigung durch die Autorität des Synhedrions für die Zukunft absichern wollten. Befürchtete Rückfälle in V e r b a n n u n g e n und Ermordungen sollten jetzt möglicherweise noch härter bestraft werden, wenn die Festsetzung der Todesstrafe für Mord (Z.19) eine Neuerung gegenüber den bis dahin geltenden parischen Gesetzen bedeutete, was wir aber nicht wissen 115 . So wie die Diallagai formuliert sind, galten sie nur für die Z u k u n f t und konnten nicht auf vergangenes Unrecht angewandt werden 1 1 6 . Sie bekräftigten anläßlich der zurückliegenden Ereignisse das - natürlich auch zuvor bestehende Verbot, jemanden von Haus und Hof zu vertreiben oder jemandem nach dem Leben zu trachten. Für Zuwiderhandlungen setzten sie - vielleicht verschärfte Sanktionen fest. Uber die Behandlung der im vorausgegangenen Bürgerkrieg verübten Verbrechen erfahren wir weder aus den Diallagai noch aus dem athenischen Volksbeschluß etwas, was auch daran liegen kann, daß beide D o k u m e n t e nur zum Teil erhalten sind. Es ist möglich, daß die parischen Fraktionen bei ihrer Einigung eine Amnestie für die Taten der Bürgerkriegszeit vereinbart hatten; es ist möglich, daß von einer solchen Amnestie ζ. B. die Rädelsführer ausgenommen waren wie nach dem Abfall von Keos 363/2 oder wie die Dreißig und ihre unmittelbaren Helfer in Athen 1 1 7 ; es ist aber auch möglich, daß es überhaupt keine Amnestie gab und die aus dem Bürgerkrieg anhängigen Verfahren bereits durch Sondergerichte 1 1 8 oder sonstige (Schlichtungs-) Maßnahmen abgeschlossen waren. Wie es sich letztlich verhielt, läßt sich aufgrund des vorliegenden Materials nicht entscheiden.

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Κατ|ά τ ό ς [ΘΙίσμός (Z.20f.) bezieht sich wahrscheinlich nicht auf τ ε θ ν ά κ ι ι zurück, sondern nur auf das Verfahren durch Demos u n d Bule von Paros. Möglicherweise war für M o r d auch in Paros bis dahin die Verbannung als Strafe vorgesehen, wie das jetzt G. Thür, Die Todesstrafe im Blutprozeß Athens (Zum δ ι κ ά ί ί ΐ ν i n i g 13 104, 11-13; D e m . 23, 22; Aristot. AP 57, 4), JJP 20, 1990, 143-156, für das vorsolonische Athen wahrscheinlich gemacht hat. Nach T h ü r ist die Todesstrafe fiir Mörder erst durch Solon eingeführt worden. Vgl. Accame, Lega 243. Vgl. IG II 2 111, Z.31-32. 41ff. für Keos; Aristot. Ath. pol. 39, 6 für Athen. Accame, Lega 241, spricht von einer partiellen Amnestie, weil er meint, sie gelte nur für Paros, nicht aber für den übrigen Seebund wie die Diallagai selbst, worauf gleich zurückzukommen ist. Gehrke, Stasis 126, übernimmt Accames These von der partiellen Amnestie, erläutert aber den Bezugspunkt Accames nicht, so daß die Einschränkung 'partiell' unverständlich bleibt. Gehrke, Stasis 126, meint, Sondergerichte ausschließen zu können, offenbar weil sie nicht erwähnt sind.

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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Die Diallagai der Bundesgenossen galten nur für Paros. Das wird zum einen im athenischen Beschluß ausdrücklich gesagt (τοΐς Παρίοις Ζ.8-9), ergibt sich zum anderen aber auch aus der Nennung konkreter Institutionen und Gesetze in den Diallagai selbst. Es ist ein Widerspruch, wenn es Accame zwar für selbstverständlich hält, daß in Z . 2 0 Demos und Bule von Paros gemeint sind, aber dann erklärt, diese Spezifizierung sei in der Formulierung des Textes weggelassen worden, weil die Diallagai gleichzeitig für alle Seebundsstaaten Gültigkeit erlangen sollten 1 1 9 . Der selbstverständliche Bezug auf Paros reicht völlig aus zur Erklärung, warum zu Demos und Bule hier ebensowenig der Name dieser Polis gesetzt ist wie in allen anderen Volksbeschlüssen, die ihre eigenen staatlichen Organe ohne Angabe ihrer Polis benennen, sofern keine Verwechslungen drohen. Einen ausdrücklichen Hinweis müßte man hingegen erwarten, wenn die Bestimmungen für den ganzen Seebundsbereich hätten gelten sollen 120 . Eine generelle Gültigkeit des Beschlusses ist auch deswegen unmöglich, weil mit Sicherheit nicht überall, wie in Paros, Demos und Bule schon vorher Gericht in Mordprozessen gewesen sind 121 und daher κατά τ ό ς θεσμός (Z.2021) in diesem Fall nicht hätte formuliert werden können. Auch von der Gesamtsituation des Bundes her gesehen wäre es undenkbar, daß nicht einmal Athen, sondern die Verbündeten selbst durch eine derartige, für die meisten Poleis völlig unnötige lex generalis ihre garantierte Verfassungsautonomie in so spektakulärer Weise eingeschränkt hätten. Auch Paros selbst setzte sich durch die Diallagai keinen Eingriffsmöglichkeiten auswärtiger Mächte aus, weder von Seiten der Hegemonialmacht Athen, noch von Seiten des Seebunds insgesamt. Denn die Anwendung der von den Symmachoi festgelegten Regelungen, also die gerichtliche Verfolgung der geächteten Taten, blieb allein Sache der Parier, deren volle Gerichtshoheit damit in keiner Weise angetastet wurde.

2. Zu einigen Konsequenzen der Interpretation Mit der Ablehnung der These Accames, Paros sei nach einem Abfall wieder in den Seebund eingegliedert worden, werden auch einige Schlüsse, die auf dieser These aufbauen, hinfällig. Sie sollen hier in Kürze genannt werden. a) Der grundsätzlichste und vielleicht am schwersten wiegende Schluß aus Accames These ist im Verlauf dieser Untersuchung bereits zurückgewiesen

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Accame, Lega 2 4 3 , vgl. 2 4 1 ; bei der Verallgemeinerung auf den gesamten Seebund folgt ihm Cataldi, Atene 12, der darin einen Präzedenzfall sieht. So ζ. B. I G II 2 4 3 , Z . 5 9 - 6 3 ; I G II 2 125, Z . 9 - 1 1 : έάν] | 8e τ ι ς τ ο υ λοίποϋ χρόνου eiriστρατίίύσηι έπί Έρ€]|τριαν ή έ π ' αλλην τινά των συμμαχίΐδων πόλεων, ... θάνατον αύτοΰ I κατεγνωσθαι. Vgl. Ζ . 1 4 - 1 5 . Gerade in Athen, an dessen Rechtswesen sich viele Verbündete schon im fünften Jahrhundert orientiert hatten (vgl. H . Weber, Attisches Prozeßrecht in den attischen Seebundsstaaten, Paderborn 1908), war das nicht der Fall.

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

worden 1 2 2 . Er beruht auf dem Vergleich mit einer vermeintlichen Parallele zu den parischen Ereignissen, nämlich der gewaltsamen Wiedereingliederung der Insel Keos in den Seebund, und behauptet, die Parier seien nach ihrem Abfall erheblich milder und unter Beteiligung der Symmachoi behandelt worden als die Keer etwa zehn Jahre später. Aufgrund der beiden Ereignisse — daneben werden andere Gründe genannt, die hier nicht interessieren - müsse man die frühe Periode des Seebunds, in der Athen seine Verbündeten partnerschaftlich und rücksichtsvoll behandelt habe, von einer zweiten, etwa 369 beginnenden Phase unterscheiden, in der Athen an seine aus dem fünften Jahrhundert bekannten Praktiken angeknüpft und versucht habe, die Bundesgenossen einseitig zu beherrschen. M i t der Interpretation der Diallagai als Schlichtung innerparischer Auseinandersetzungen fällt ein Argument für die These von der Wandlung des Seebunds in eine "Arche' weg. Dieses Resultat kommt der Meinung von Cargill 123 , es habe eine solche Veränderung nicht gegeben, sicherlich entgegen, kann und soll aber für diesen grundsätzlichen Streit, der nicht Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist, nicht ausschlaggebend sein 124 . b) Daß der Name der Parier nach ihrem Abfall vom Seebund nicht von der gemeinsamen Stele des Bundes (IG II2 43) getilgt worden sei, möchte F. Mitchel dahingehend verallgemeinern, daß Rebellionen von Seebundsmitgliedern nicht durch die Löschung ihres Namens offiziell anerkannt wurden; daher könne auch die weithin akzeptierte Theorie, in Zeile Β 15 sei der Name Jason (von Pherai) aufgrund seines Austritts aus dem Seebund gelöscht worden, nicht stimmen 1 2 5 . Dieses Argument Mitchels ist schon deshalb schwach, weil es voraussetzt, daß Athen den Abfall der Parier durch die Tilgung ihres Namens hätte akzeptieren können. Gerade aber die athenische Bemühung, einen abgefallenen Verbündeten wieder de facto in den Bund zurückzuholen, was ja unter Umständen sehr schnell zum Erfolg führen konnte und gerade bei Paros sehr wahrscheinlich gewesen wäre, zeigt, daß Athen den Abfall nicht akzeptiert hätte und deshalb eine Tilgung des Namens nicht in Frage gekommen wäre 126 . Mit dem nicht vollzogenen Abfall der Parier ist aber Mitchels Argument auch der Boden entzogen, auf dem es gebaut ist. c) Pouilloux hatte die Möglichkeit ins Auge gefaßt, den runden Buchstaben in IG II2 43, Z.89, neben der Eintragung der Parier, z u 0 [ d a i o i ? zu ergänzen. Gegen die von Pouilloux vorausgesetzte gleichgerichtete Politik von Mutter- und Tochterstadt wandte dann Cargill ein, daß Thasos loyal zu Athen gehalten habe,

Vgl. o. D) 2. Cargill begegnet dem hier abgelehnten Schluß auf andere Weise, wie oben (Anm.40) vermerkt. 1 2 4 Vgl. aber unten das Schlußkapitel B) 2. 12 5 Mitchel, Rasura 51 f. 1 2 6 Die plausible Vermutung Cargills, Athen habe de iure niemals Austritte aus dem Seebund akzeptiert (vgl. o. Anm.49), würde Mitchels These, daß Austritte nicht zur Namenstilgung führten, erheblich besser stützen als seine eigene, gegenteilige Voraussetzung eines akzeptierten Austritts von Paros. Alle Argumente für die Ergänzung [ Ι ά σ ω ΐ ν und die Tilgung des Namens nach dem Tod des Thessaliers hat jetzt M. Jehne, Iasons Symmachie, überzeugend zusammengefaßt; das läßt sich mit dem hier Gesagten in Übereinstimmung bringen.

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Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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während Paros abgefallen und in den Bund zurückgezwungen worden sei 1 2 7 . Abgesehen davon, daß auch eine am Ende der siebziger Jahre gegensätzliche Politik den gleichzeitigen Beitritt beider Poleis mehrere Jahre zuvor nicht ausschließen würde, hat dieser Gegensatz vom hier verfochtenen Standpunkt aus nicht existiert. Das spricht aber wiederum nicht für die Ergänzung von Pouilloux gegenüber der meist akzeptierten: ΟΓιναΙοι oder anderen Möglichkeiten, aber die Frage bleibt durch den Wegfall des Cargill'schen Gegenarguments weiterhin offen. d) Was mögliche Austritte aus dem Seebund betrifft, so schließt Mitchel 1 2 8 aus der Beteiligung des Synhedrions an der vermeintlichen Wiedereingliederung der Parier, daß die Verbündeten nicht nur dem Beitritt oder Wiedereintritt, sondern auch dem Austritt oder Ausschluß eines Mitglieds hätten zustimmen müssen. Nun würden die uns vorliegenden Diallagai für Paros nicht einmal dann die Beteiligung der Verbündeten an einem Beschluß über die Wiedereingliederung der Parier in den Bund beweisen, wenn wir die Annahme vom vorausgegangenen Abfall akzeptieren könnten; denn die Diallagai der Verbündeten könnten auch erst nach einem allein von Athen beschlossenen Wiedereintritt der Insel angefertigt worden sein, sie setzen ihn jedenfalls voraus. Da aber ein Abfall nicht stattgefunden hat, bleiben die Behauptungen Mitchels über die Beteiligung der Symmachoi unbelegt. e) Die in einer Athen und Naxos betreffenden athenischen Inschrift erwähnten δίαλλίαγάς και έκείχειρίας (IG II 2 179 c, Z.4) sind für S. Cataldi ein Argument (neben anderen) dafür, auch für Naxos einen vorausgegangenen Abfall vom Seebund anzunehmen. Wegen der Einschränkungen der Gerichtshoheit, die er dem Naxos - Dokument entnimmt 1 2 9 , müsse es einen gewissen zeitlichen Abstand zu dem moderaten Schlichtungsbeschluß für Paros gehabt haben und gehöre daher in dieselbe Zeit wie das Wiedereingliederungsdekret für Keos, zu dem es auch inhaltliche Parallelen aufweise. Gegen den Vergleich der beiden Dekrete über Keos bzw. Paros ist oben bereits das Nötige gesagt (s. o. D 2.). Einen Abfall von Naxos hat man in der Forschung immer wieder vorausgesetzt, obwohl noch nicht einmal feststeht, daß Naxos überhaupt Mitglied des Seebunds war 1 3 0 . Man stützte sich dabei vorwiegend auf die aus der 127 128 129

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Cargill, League 3 5 mit den Belegen fur Pouilloux. Mitchel, Rasura 52. Cataldi, Atene 12. Einschränkungen durch Athen postulierten bereits Szanto, Gerichtswesen 41; Lipsius, Bundesverfassungen 159f.; Meyer, GdA V 4 4 9 ; Marshall, Confederacy 46; Herbst, s. v. Naxos, R E 16, 2 ( 1 9 3 5 ) 2 0 9 0 ; Accame, Lega 141. 184; Cawkwell, Failure 52; Griffith, Athens 136; Just, Interpretation 542f. (weitere Angaben bei Cataldi, a. a. O . A n m . 1 2 ) . Die Einwände von M. Feyel, Sur quelques inscriptions attiques et ioniennes de la premiere moitie du IVe siecle, RPh 19, 1945, 1 1 6 - 1 6 1 , hier 152ff., beruhen auf seiner unhaltbaren Konstruktion einer βουλή εκκλητος Als Abkommen zwischen eher gleichberechtigten Partnern sehen das Dokument ζ. B . Hitzig, Staatsverträge S.10 Nr.7; Gauthier, Symbola 168 Nr. (XI). Cargill, League 94. 137, lehnt aufgrund des fragmentarischen Zustands jede Interpretation des Textes ab. Die Mitgliedschaft von Naxos im Seebund, die von Schaefer, D e sociis 10, angenommen worden war, geht nach Beloch, Gr. Gesch. III 1, 153 Anm.2, selbstverständlich aus I G I I 2 1 7 9 hervor, ebenso Accame, Lega 8 2 , und die meisten anderen Forscher. Für einen Beitritt vor der Schlacht bei Naxos votieren ζ. B . Beloch, Gr. Gesch. III 2, 161; Accame, Lega 81fF.; Woodhead, Chabrias

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

fragmentarischen Inschrift IG II 2 179 erschlossenen Eingriffe Athens in die Gerichtshoheit von Naxos und folgerte daraus, daß die Insel zuvor abgefallen sein müsse 1 3 1 . Zwingende Argumente hat es für diese Vermutung jedoch nie gegeben, und die jetzt von Cataldi angeführte Parallele der Diallagai von Naxos zu denen von Paros ist gemäß der hier vorgelegten Interpretation wertlos. Diallagai nach einer vorausgegangenen Rebellion sind in keiner Quelle bezeugt, insbesondere nicht in dem Wiedereingliederungsdekret für die Keer (IG II 2 111). Wenn man daher diesen Terminus des Naxos - Dekrets, der ganz ohne Zusammenhang erhalten ist 1 3 2 , rein aufgrund seiner in anderen Texten erkennbaren Bedeutung interpretieren will, dann am ehesten als Schlichtung interner Streitigkeiten auf N a x o s 1 3 3 durch wahrscheinlich auswärtige (aus Thera kommende?) Richter 1 3 4 .

264; für einen Beitritt nach dieser Schlacht ζ. B. Marshall, Confederacy 60; Burnett / Edmondson, Chabrias Monument 81 mit Anm. 15· Aber die Vereinbarung von Rechtsbeziehungen allein, über deren Charakter das fragmentarische Dekret keine ausreichende Auskunft gibt, reicht als Beweis für eine Seebunds - Mitgliedschaft keineswegs aus. Vielmehr sind Symbolai, für die das Naxos - Dekret meist gehalten wird, von Athen mit Mitgliedspoleis des Seebunds nicht sicher zu beweisen (unsicher bleiben Naxos und gegebenenfalls Siphnos), während wir von vier solchen Verträgen mit Nichtmitgliedern wissen, das sind Knossos, eine weitere kretische Polis, Stymphalos und Troizen; vgl. Woodhead, Inscriptions. Unten im 6. Kap. (C) wird gezeigt werden, daß auch die Verzeichnung der Naxier als Schuldner des delischen Tempels keinen Beweis für ihre Seebundsmitgliedschaft bedeutet. Busolt, Bund 757-760, sprach sich entschieden gegen eine Seebundsmitgliedschaft von Naxos aus; Cargill, League 37, bleibt in dieser Frage skeptisch. 131 Meyer, G d A V 449; Lipsius, Bundesverfassungen 159f. (als Vermutung formuliert); Marshall, Confederacy 46f.; Kirchner im Kommentar zu IG II 2 179 ("probabile est"); Woodhead, Inscriptions 225 Anm.7. 233. Bei einem aus Zeitgründen oberflächlichen Vergleich der drei Fragmente von IG II 2 179 im Epigraphischen M u s e u m Athen (EM-Nr.n 7 0 1 4 , 7 1 2 1 , 7 2 0 4 ) sind mir Zweifel daran gekommen, ob Frg.c, auf dem διαλλ]αγάς steht, wirklich zu den beiden anderen gehört, wie es auf Wilhelms Vorschlag hin allgemein akzeptiert ist. Es könnte sonst von einem ähnlichen Abkommen stammen, das Athen mit dem in Frg.c mehrfach genannten Thera abgeschlossen haben mag. Alle drei Fragmente passen nicht aneinander. Die Buchstaben sind zweifellos sehr ähnlich, Unterschiede bestehen aber vor allem beim Rho, dessen Bauch in Frg. a schön gerundet, in Frg.c abgeflacht und eckiger erscheint. Am auffälligsten ist das leicht unterschiedliche Stoichedon - Bild. In Frg.b nämlich rücken die Buchstaben von Zeile zu Zeile etwas nach links, in Frg.c hingegen leicht nach rechts. Darüber hinaus ist Frg.c um fünf Zentimeter dünner als die beiden anderen (freundliche Mitteilung von P. Siewert, der sich die drei Bruchstücke auf meine Bitte hin ebenfalls angesehen hat), was natürlich auch auf das besondere Schicksal dieses Bruchstücks zurückgehen kann. Nach IG II 2 ist Frg.a dreizehn, Frg.b zwölf und Frg.c neun Zentimeter dick. All das relativiert die ohnehin schon problematische Interpretation des bruchstückhaften Textes noch stärker. Mit den Diallagai in Frg.c, Z.4 würde allerdings διαλλάσσοντας in Z.6 von Frg.a gut korrespondieren. 133 Wilhelm, Beschlüsse 7, scheint die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Naxos und Thera durch die Bundesgenossen zu vermuten. Er ging dabei als Parallele von der Annahme aus, die Diallagai von 373/2 hätten zwei Poleis, nämlich Paros und Chios, miteinander versöhnt, was dann aber durch Accames Neulesung obsolet wurde; vgl. Accame, Lega 230 A n m . l . 132

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Vgl. Hitzig, Staatsverträge S.10 Nr.7, der auch auf den δ ι α ι τ η τ ι κ ό ς ι^όμος (Frg.a, Z.8) verweist.

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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0 Der vermeintlich von einer prospartanischen Gruppierung herbeigeführte Abfall ist für Lanzillotta eine indirekte Bekräftigung seiner These, Paros sei erst und gerade durch seine Allianz mit Athen in große ökonomische Schwierigkeiten geraten 1 3 5 . Nachdem Lanzillottas These bereits aufgrund irriger Voraussetzungen aufgestellt wurde 1 3 6 , hat sie nun auch ihren indirekten Beleg verloren.

3. Versuch einer historischen Einordnung a) Externe Schlichtung von Fraktionskämpfen Immer wieder wird in Abhandlungen über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit der klassischen und hellenistischen Zeit an die archaischen Aisymneten und N o m o t h e t e n e r i n n e r t 1 3 7 . Bei aller N ü t z l i c h k e i t einer Gegenüberstellung erscheint es aber doch sehr gewagt zu behaupten, die externen Schlichtungen von Fraktionskämpfen ab dem Ende des fünften Jahrhunderts knüpften an diese Tradition a n 1 3 8 , die immerhin 100 bis 200 Jahre zurücklag. Im allgemeinen wurde den oft sagenumwobenen archaischen Persönlichkeiten der Erlaß einzelner Gesetze oder einer Verfassung zugeschrieben 1 3 9 . Verschiedentlich, aber nicht i m m e r waren in den b e t r e f f e n d e n Poleis F r a k t i o n s k ä m p f e vorausgegangen, die durch diese Staatsmänner beigelegt wurden. Solon wird als einziger von ihnen als Diallaktes bezeichnet 1 4 0 ; außer seinen Dichtungen für Athen bezeugen viele Lieder des Alkaios derartige Auseinandersetzungen für Mytilene 1 4 1 . Wie Solon kamen auch andere Nomotheten aus den Reihen der eigenen Polisbürger und waren daher nicht typisch für eine auswärtige Beteiligung, obwohl diese ebenfalls vorkam 1 4 2 . Mit den Vorgängen der archaischen Zeit haben die Diallagai für Paros also wenig gemein 1 4 3 . Wie aber verhält es sich mit jenen auswärtigen Versöhnungen,

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Offenbar hat Lanzillotta, Paro 138, die nicht deutlich ausgesprochene Vorstellung, der Abfall von Athen hätte die ökonomische Situation der Insel verbessern sollen. Vgl. u. S.244 mit Anm.251. Vgl. ζ. B. Heuß, Stadt und Herrscher 69f.; Gehrke, Stasis 261. So Gehrke, a. a. Ο. Vgl. v. a. Aristot. pol. 1273 b 27 - 1274 b 28 mit einigen Beispielen. Vgl. auch J. Toepffer, s. v. Aisymnetes, R E 1, 1 (1894) 1088ff.; H . Berve, DieTyrannis bei den Griechen 1, München 1967, 94. Aristot. Ath. pol. 5ff. (5, 2: Diallaktes); Plut. Sol. 12ff. (14, 2: Diallaktes). Vgl. F. Schachermeyr, s. v. Pittakos, R E 20, 2 (1950) 1865ff. v g l . wieder Aristot. pol. 1273 b 27ff. Pittakos und Zaleukos ζ. B. haben in ihren Heimatstädten Mytilene und Lokroi gewirkt, Philolaos aus Korinth in Theben, Charondas sowohl in seiner Heimatstadt Katane als auch in Rhegion und vielleicht weiteren chalkidischen Kolonien Siziliens und Unteritaliens. Nach Herodot (5, 28) hatten einige vornehme Parier einen Bürgerkrieg in Milet beigelegt, nachdem die Parier von den Milesiern als Schlichter ( κ α τ α ρ τ ι σ τ η ρ ε ς ) ausgewählt worden waren. Für die Mordgesetze hat man in Paros, wie in Athen für die drakontischen Gesetze (vgl. ζ. B. Aristot. Ath. pol. 4, 1), den alten Terminus θεσμοί offenbar beibehalten, vgl. Z.21 und 22 der Diallagai. Zu einer Parallele aus Tegea vgl. G. Thür, IG V/2, 159: Testament oder Orakel?, in:

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 3 7 3 / 2

die zum Ende des Peloponnesischen Krieges und danach einsetzten und die den Ereignissen auf Paros viel u n m i t t e l b a r e r vorausgingen? V o n all den "Versöhnungen" nach Bürgerkriegen, die Gehrke zusammengestellt hat 1 4 4 , kommt als nähere Parallele zu Paros hauptsächlich Byzantion im Jahr 403/2 in Frage, weil nur in diesem Fall sich die streitenden Fraktionen auf einen auswärtigen Schlichter, nämlich einen spartanischen Strategen, einigten. Alle anderen Fälle sind grundsätzlich davon verschieden 1 4 5 , weil sie o h n e auswärtige Beteiligung beigelegt wurden 1 4 6 , weil sie das Diktat eines militärischen Siegers waren 147 , weil nur eine Partei sich um auswärtige Hilfe bemühte 1 4 8 oder weil es sich nicht um eine Schlichtung, sondern um eine Verfassungsreform handelte 149 ; manchmal treffen auch mehrere Unterschiede gleichzeitig zu, und einige Ereignisse lassen sich nicht genau genug einordnen 1 5 0 . Auch über die Vorgänge in Byzantion nach 403 sind wir nur oberflächlich unterrichtet 1 5 1 . Offenbar wurden gemäßigte Oligarchen, vielleicht im Bund mit Demokraten, gegen die von Sparta eingerichtete Dekarchie aktiv. Beide Fraktionen versprachen sich wohl Unterstützung für ihre Position aus Sparta, wo das System der Dekarchien schon nicht mehr unumstritten war. In dem Wissen, daß keine Lösung gegen den Willen der ganz Griechenland dominierenden Spartaner möglich war, wandten sich die Byzantier an Sparta. W e n n sie ausdrücklich einen spartanischen Strategen anforderten 152 , implizierten sie, daß er als Führer eines militärischen Kontingents eintreffen würde und rechneten damit, daß Sparta den Bemühungen seines Vermittlers militärischen Nachdruck verleihen würde. Die Initiative der Byzantier leitete daher eine Aktion ein, die Sparta über kurz oder lang vielleicht von selbst beschlossen hätte, wenn die Unruhen in Byzantion heftiger geworden wären. Denn mit der Einrichtung des Dekarchiensystems durch Lysander hatte Sparta bereits in die inneren Verhältnisse vieler Poleis eingegriffen und seine prinzipielle Zuständigkeit als Ordnungsmacht demonstriert, die dann durch den Königsfrieden noch gestärkt wurde.

Festschrift für A. Kränzlein. Beiträge zur Antiken Rechtsgeschichte, Graz 1986, 123-135, hier 131. Z u m außerathenischen Vorkommen des Terminus vgl. auch Q u a ß , N o m o s 1 Iff. 144 Gehrke, Stasis 261, besonders Anm.4 und 5. Die i. f. herangezogenen Beispiele sind im ersten Teil von Gehrkes Buch näher beschrieben. 145 Soweit sie in die Zeit vor 373/2 fallen, werden sie i. f. dennoch daraufhin untersucht, ob sie auf die Diallagai für Paros Einfluß ausüben konnten. 14,5 Ζ. B. Mantineia 425/3?; Pharsalos vor 380; auch Selymbria 408, als Alkibiades nur einen Vertrag über die R ü c k f ü h r u n g der Verbannten Schloß, der sich nicht mit der Umsetzung innerhalb der Polis befaßte. 147 Ζ. B. die Proklamation des Brasidas in Torone 423; Thespiai 377; Thessalien (Larisa) 344. 148 Ζ. B. Herakleia Pontike ca. 364; Chios 344/3?. 149 Ζ. Β. Elis ca. 350; Mantineia 425/3. 150 Ζ. B. Pyrrha ca. 350; Phokaia. '51 Durch Diod. 14, 12, 2ff.; vgl. Gehrke, Stasis 36. 152 σ τ ρ α τ η γ ο ν ή τ ή σ α ν τ ο παρά Λακεδαιμονίων, sagt Diodor (14, 12,2).

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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Aus diesen Gründen dürften auch die Bürger von Pharsalos nach einem internen Streit die Verwaltung ihres Gemeinwesens an den spartanischen Proxenos Polydamas übergeben haben; kurz zuvor (vielleicht 394) hatte Sparta die Stadt aus den Händen der Thessalier befreit, in die sie im Jahr 395 geraten war 1 5 3 , so daß man sich Sparta besonders verbunden fühlte und dessen Proxenos für die Aufgabe bestimmte. Bei den weiteren Versöhnungen in der Zeit zwischen dem Peloponnesischen Krieg und den Anfängen des Zweiten Seebunds ist es daher in der Tat Sparta, das aus eigenem Antrieb und meist gestützt auf seine militärische Macht die Fraktionen anderer Poleis zur Beilegung ihrer Kämpfe brachte 154 . Das gilt bereits für die spartanische Mitwirkung an der Versöhnung der Athener in der Stadt und derer in Piräus, nachdem die Herrschaft der von Sparta gestützten Dreißig gestürzt war. Die Ereignisse ähneln denen von Paros insofern, als die beiden athenischen Bürgerfraktionen zunächst selbst eine Einigung anstrebten 1 5 5 , worin sie dann von König Pausanias und 15 spartanischen Diallaktai bestärkt wurden 1 5 6 . Deren Mitwirkung an den Versöhnungsvereinbarungen, die in der aristotelischen Ath. pol. διαλύσεις, in anderen Quellen aber auch Diallagai genannt werden 1 5 7 , hat man sich wohl nicht wie in Paros als Ausformulierung einer Beschlußvorlage 158 , sondern als Beratung und Beaufsichtigung der beiden athenischen Parteien vorzustellen. Die spartanischen Diallaktai entschieden keine aus der Zeit des Bürgerkriegs herrührenden Einzelfälle, deren gerichtliche Verfolgung vielmehr unter Strafe gestellt wurde 159 . Sie wirkten bei der Festlegung dieser und weiterer Regelungen mit, die Grundlage für das zukünftige Zusammenleben der Athener sein sollten. Auch das ist eine Gemeinsamkeit mit den Diallagai für Paros. Auch bei den Auseinandersetzungen in Phleius war Sparta der entscheidende Faktor. Es erzwang zunächst im Jahr 3 8 4 die Rückberufung von Verbannten (Xen. hell. 5, 2, 8ff.) und führte dann, als diese sich in Fragen der Vermögensrückgabe benachteiligt glaubten, einen Feldzug gegen die Stadt 1 6 0 , nach dessen Ende (379) König Agesilaos ein Gremium aus je 50 Mitgliedern der beiden Fraktionen bildete, das unter dem Schutz einer spartanischen Garnison Recht sprechen und neue Gesetze geben sollte. Xen. hell. 6, 1, 2. Vgl. Gehrke, Stasis 126. Die Beschwichtigungsrede des Brasidas in T o r o n e 3 2 3 (Thuk. 4, 114) versucht, vom Standpunkt der militärischen Überlegenheit aus auch die unterlegene Fraktion zur Unterwerfung zu bringen. 1 5 5 Vgl. bes. Aristot. Ath. pol. 3 8 , 3: τ ά ς διαλύσεις γενέσθαι. Vgl. auch Lys. 12, 53. 156 Aristot., Ath. pol. 3 8 , 4 , überliefert μετά των δέκα διαλλακτων, was vielleicht aufgrund von X e n . hell. 2, 4, 3 8 in δ€κα zu korrigieren ist; glaubwürdiger ist sicher Xenophons Zahl, vgl. ζ. B. Rhodes, Commentary 4 6 1 . Z u den Motiven Spartas und seines Königs Pausanias vgl. Ph. Harding, King Pausanias and the restoration o f democracy at Athens, Hermes 116, 1 9 8 8 , 186-193. 157 Besonders in den Reden des Lysias, vgl. auch Loening, Reconciliation agreement 2 0 . Weitere Belege zur Terminologie bei Rhodes, Commentary 4 6 3 . 158 Auch Loening, Reconciliation agreement 28ff., spricht dem Übereinkommen den Status eines Dekrets oder einer Serie von Gesetzen ab. 159 Vgl. Xen. hell. 2, 4, 4 3 u. a. 1 6 0 Xen. hell. 5, 3, lOff.; vgl. Gehrke, Stasis 129 f. mit weiteren Quellenangaben. 153 154

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

In Thespiai 3 7 7 schließlich zwang König Agesilaos, der mit seinem Heer von einem Feldzug gegen T h e b e n zurückkehrte, die beiden sich bekämpfenden Bürgerkriegsparteien zu einer friedlichen Einigung und zur Ablegung von Eiden 1 6 1 . M a n ersieht aus dem Vorstehenden, daß an allen Versöhnungen von Bürgerkriegsparteien durch auswärtige Schlichter, in der Zeit vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis in die siebziger Jahre, die zu dieser Zeit in Griechenland dominierende Vormacht Sparta beteiligt war. In einem Fall wandte man sich freiwillig an die Spartaner, in den beiden anderen Fällen griff Sparta ungebeten in die Streitigkeiten ein. Das stimmt gut zu dem Bild der selbstherrlichen und die Autonomie der griechischen Poleis wenig respektierenden Hegemonialmacht, das sich aus der gesamten spartanischen Politik dieser Zeit ergibt 1 6 2 . Von dieser Politik, oder zumindest auch von dieser Politik (mittelbar auch von der eigenen Herrschaft des fünften Jahrhunderts 1 6 3 ) distanzierte sich Athen öffentlich im Aristoteles - Dekret, um alle Staaten, soweit sie nicht dem Großkönig Untertan waren, aus dem Einflußbereich Spartas in den eigenen Bund herüberzuziehen: δ π ω ς αν Λακ6δ[αιμό]νιοι έ ω σ ι τός"Ελλη|νας έλ€υθέ[ρ]ος [και] αύτονόμος ήσυχίαν | α γ ε ι ν κτλ. (IG II 2 4 3 , Ζ.9-11; vgl. Diod. 15, 28, 1). Nach der Gründung des Zweiten Seebunds hätte es gemäß dem traditionellen "Großmachtverständnis" nahegelegen, daß die Diallagai für das Mitglied Paros von der Vormacht des Bundes, also Athen selbst, erlassen worden wären. Wenn wir nun sehen, daß es im Jahr 373/2 das Synhedrion der Verbündeten war, das die Diallagai beschloß, so müssen wir darin eine auch praktische Negierung der beschriebenen spartanischen Schlichtungspraxis sehen. In diesem Punkt 1 6 4 hat Athen sein Versprechen, β ξ ί ΐ ν α ι αύ[τ|ω[ι (sc. dem zukünftigen Mitglied) έλευθέρίωι. δ ν τ ι και α ύ τ ο ν ό μ ω ι ττολι|τ[€υομεν]ωι π ο λ ι τ ^ ί α ν ην αν βόληται κτλ. (IG II 2 43, Ζ. 19-21) nicht nur erfüllt, sondern fast übererfüllt, da man eine von einem Mitgliedsstaat selbst gewünschte Schlichtung durch Athen kaum als Eingriff in dessen innere Angelegenheiten hätte diskreditieren können. Die Tätigkeit des Synhedrions aber vermied schon jeden dahingehenden Anschein und kam der athenischen Propaganda so sehr entgegen, daß es durchaus eine athenische Idee gewesen sein könnte, den Bundesgenossen die Aufsetzung der Diallagai zu überlassen. O b sich die Parier zuerst an Athen oder gleich von sich Xen. hell. 5, 4, 55: διαλλάξας be αυτούς καΐ ορκοιχ όμόσαι άλλήλοις άναγκάσας. Vgl. Gehrke, Stasis 183f. 162 Vgl. dazu Isokr. 4, 122ff. und ζ. B. Ryder, Koine Eirene 39ff.; Funke, Homonoia 27ff.; Cartledge, Agesilaos 77ff. Eingriffe Athens und Spartas in die inneren Kämpfe anderer Staaten hatte es natürlich auch im Peloponnesischen Krieg immer wieder gegeben. Meist jedoch handelte es sich um die Unterstützung der demokratischen resp. oligarchischen Fraktion, von wirklichen Schlichtungen haben wir meines Wissens keine Überlieferung; vgl. allenfalls ansatzweise die Maßnahmen des Nikostratos in Kerkyra, Thuk. 3, 75, die aber auch auf seiner militärischen Macht basierten. 1 6 3 Vgl. Accame, Lega 30ff. 1 6 4 Cargill ist es in seiner Monographie über den Seebund gelungen zu zeigen, daß Athen auch in anderer Hinsicht die Autonomie seiner Verbündeten respektierte. Ganz so weit, wie Cargill meint, ging die athenische Zurückhaltung zwar nicht, aber doch weiter, als im allgemeinen angenommen. Vgl. u. Schluß B) 2.

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Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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aus an das S y n h e d r i o n g e w a n d t haben, wissen wir nicht, aber des Einverständnisses Athens zur Abwicklung der Schlichtung hatten sie sich bestimmt versichert. Schlichtungen von Bürgerzwisten durch auswärtige Instanzen wurden nach unserem Befund in der klassischen Zeit erst unter spartanischer Vorherrschaft und dann ausschließlich von Sparta durchgeführt. Der Tatsache der auswärtigen Beteiligung an sich sowie einigen der oben b e n a n n t e n S p e z i f i k a der Schlichtungstätigkeit kann durchaus - bei allen sonstigen Unterschieden — ein Vorbildcharakter auch für die parischen Diallagai zuerkannt werden. D e r Athenische Seebund trat zwar insofern in Spartas Fußstapfen, konnte aber im Unterschied zur lakedaimonischen Großmacht als neutrale, aus gleichberechtigten Mitgliedern bestehende Instanz auftreten. Die Schlichtung von 3 7 3 / 2 war darüber hinaus insofern etwas Neues, als zum ersten Mal in der griechischen Geschichte, soweit wir wissen, das offizielle O r g a n eines Staatenbundes als Schlichter bei internen Fraktionskämpfen einer Polis tätig wurde. N a c h dem Ende des Seebunds, zur Zeit der makedonischen Vorherrschaft, waren es dann bezeichnenderweise die makedonischen Könige, die die Bürgerkriege, sofern sich die Fraktionen nicht von selbst einigten, dank ihrer Macht beendeten 1 6 5 . D i e inneren Wirren in vielen Poleis, die durch Alexanders berühmtes Verbanntendekret zu befürchten waren, sollten durch sein Machtwort bzw. das Antipaters wieder beigelegt werden 1 6 6 .

b) Zwischenstaatliche Schiedsgerichte und fremde Richter Die Funktion des Synhedrions als Schlichter für eine andere Polis fällt in einen Schnittpunkt des 'internationalen griechischen R e c h t s ' 1 6 7 . A u f der einen

165 Vgl J a s Vorgehen Philipps II. in Thessalien (Gehrke, Stasis 195f.) und die Regelungen Alexanders für Chios 332 (Gehrke ebd. 48), zu denen auch das Dekret über die Eintracht in Mytilene (Heisserer / Hodot, Decree 117f.) in enger Beziehung steht. Allgemein Tod, Arbitration 179. 166

167

Diod. 18, 8. 2 f f . , bes. 4; κ α τ ά γ α ν άναγκάση. Vgl. zu den Ereignissen zuletzt Engels, Hypereides 25Iff. Gesandtschaften der betroffenen Poleis wandten sich möglichst direkt an Alexander, vgl. fur Athen Hyp. 1, col. 19. Auch die Regelungen, die in Mytilene (332 oder 324; für das frühere Datum zuletzt Heisserer / Hodot, Decree 120fF., mit neubearbeitetem Text; für das spätere zuletzt A. Wittenburg, II ritorno degli esuli a Mitilene, in; Symposion 1988, Akten der Gesellschaft für Griechische und Hellenistische Rechtsgeschichte Bd.7, hg. v. G. Nenci - G. Thür, Köln / Wien 1990, 267-276) für die Rückkehr der Verbannten getroffen wurden, waren von Alexander gefordert (Z.28-29) und mit ihm abgestimmt (Z.44-49). Auf die Problematik des Begriffs bzw. der Begriffe kann hier nicht eingegangen werden. Weiter führen H. J. Wolff, Das Problem der Konkurrenz von Rechtsordnungen in der Antike, SB Akad. Heidelberg, phil. - hist. Kl., 1979, Abh. 5; Triantaphyllopoulos, Rechtsdenken; G. Thür, Das Recht der altgriechischen und hellenistischen Staaten, in: Antike Rechts- und Sozialphilosophie, hg. v. O. Gigon und M. W. Fischer, Frankfurt a. M. u.a. 1988, 251-257. Vgl. auch Schmitt, Forme 530.

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

Seite steht die Praxis der zwischenstaatlichen Schiedsgerichte, bei denen sich zwei Staaten dem Schiedsspruch einer auswärtigen Macht unterwerfen. In den meisten Fällen wurde die Schiedsinstanz von einem einzelnen Staat gebildet; daß aber auch mehrere Staaten gemeinsam oder eine von mehreren Staaten getragene Institution wie die delphische A m p h i k t y o n i e das Schiedsgericht bilden konnten 1 6 8 , ist eine gewisse Gemeinsamkeit zum Fall Paros. Das Synhedrion war aber, genauer gesagt, das Gremium eines Staaten bundes und schon darin von den genannten Instanzen unterschieden 1 6 9 . Der Hauptunterschied zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist aber der, daß das Synhedrion nicht zwischen verschiedenen Staaten, sondern zwischen verfeindeten Gruppierungen innerhalb einer Polis schlichtete. Auf der anderen Seite steht eine ebenfalls internationale Einrichtung, die aus einer Vielzahl von Fällen der hellenistischen Zeit bekannt ist und für die sich in der Forschung die Bezeichnung ' fremde Richter' durchgesetzt h a t 1 7 0 . Bei Auseinandersetzungen zweier G r u p p e n innerhalb einer Polis, später auch zur Entscheidung ganz gewöhnlicher Rechtshändel, wurden Abordnungen auswärtiger Staaten ins Land gerufen, um die anstehenden Streitigkeiten als Richter oder als Schlichter - auch diese werden unter die Kategorie der fremden Richter subsumiert 1 7 1 - zu beenden. Hiervon unterscheidet sich die Schlichtung für Paros darin, daß sie von dem vollzähligen Gremium eines Staatenbundes durchgeführt

Die Schiedsgerichte bis 338 sind gesammelt in dem Corpus von Piccirilli, Arbitrati. Paros selbst hat Ende des fünften Jahrhunderts Kämpfe zwischen seinen Kolonien Thasos und Neapolis geschlichtet, Piccirilli N r . 3 3 . Die N r . n 12 und 3 6 bei Piccirilli sind Beispiele für ein mehrstaatliches Schiedsgericht, in den Nr.n 6, 8, 17, 53 und 57 schlichten die Amphiktyonen; eine spätere Schlichtung mit der Formulierung κατά τό[ν | άμΐφίκτιονικόΐ' νύμον (Ζ. 11-12) ist Fouilles de Delphes III 4, 1, Nr.38. Eine in Olympia gefundene Bronzetafel enthält, wie schon in der Erstveröffentlichung herausgearbeitet wurde, kein Schiedsurteil, sondern ein nach 480 v. Chr. gefälltes internationales Strafurteil der olympischen Autoritäten: P. Siewert, Eine BronzeUrkunde mit Elischen Urteilen über Böoter, Thessaler, Athen und Thespiai, in: DAI (Hg.), Olympia-Bericht 10, Berlin 1981, 228-248, bes. 243. Am engsten verwandt scheint in dieser Hinsicht die Schlichtung des Streits zwischen Tegeaten und Athenern um die Einnahme des linken Flügels vor der Schlacht bei Plataiai, 479 v. Chr. (Piccirilli, Arbitrati Nr.14). Nach Plut. Arist. 12, 4 entschieden die Synhedroi und Hegemones der griechischen Kontingente. Allerdings bildeten diese keinen Staatenbund, sondern eine Kriegsallianz. Der Streit mußte auch ad hoc auf dem Kriegsschauplatz geschlichtet werden und entsprach insofern nicht den normalen Bedingungen zwischenstaatlichen Handelns. Die Anerkennung eines Schlichters und die Ingangsetzung eines Schlichtungsverfahrens kamen in diesem Fall nicht in Frage, denn die Schlachtordnung hätte sowieso von denselben militärischen Instanzen festgelegt werden müssen. Dementsprechend erscheint die ganze Schlichtung bei Herodot weniger formalisiert als bei Plutarch, es waren nach dem Halikarnassier nämlich die lärmenden spartanischen Soldaten, die den Athenern zur Durchsetzung verhalfen. 170 Vgl grundsätzlich Sonne, De arbitris; Busolt / Swoboda, Staatskunde I 486f. 557f.; Steinwenter, Streitbeendigung 140ff.; Heuß, Stadt und Herrscher 69ff.; Robert, Juges etrangers. Ausgewählte Beispiele internationaler Schiedssprüche bei Thür, Untersuchungen 473f. Weiteres Material bei Triantaphyllopoulos, Rechtsdenken Anm.85 S.lOOf.

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171

Vgl. Steinwenter, Streitbeendigung l48ff.; Robert, Juges etrangers 782.

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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wurde, während die fremden Richter im allgemeinen aus einer Handvoll Privatpersonen bestanden, die von ihrer Heimatpolis entsandt wurden 1 7 2 . Dieser Unterschied besteht nicht im Vergleich zur π ό λ ι ς ε κ κ λ η τ ο ς , einer Polis, von deren Gerichten bestimmte Prozesse einer anderen Polis entschieden wurden. Die Einrichtung hat bereits im vierten Jahrhundert existiert u n d gerade im Athenischen Seebund eine Rolle gespielt, ist aber vor 3 7 3 / 2 nicht bezeugt 1 7 3 und könnte als spezielle F o r m der fremden Richter bezeichnet werden. V o n diesen und auch der ε κ κ λ η τ ο ς π ό λ ι ς wurden konkrete Streitfälle beigelegt, während das Synhedrion Verfahrensregeln für künftige Gesetzesbrüche in Paros erließ. Hier wie dort wurde jedoch in Auseinandersetzungen zwischen Bürgern einer Polis, nicht zwischen Staaten, eingegriffen. Gemeinsam mit den beiden genannten Verfahrensweisen, der zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit und den fremden Richtern, ist dem Fall Paros erstens, daß die innerhalb der Polis entstandene Auseinandersetzung durch das Eingreifen einer auswärtigen Institution beigelegt wurde, und zweitens, daß die Parier sich der auswärtigen Schlichtung freiwillig unterwarfen 1 7 4 . Auch von der Chronologie her liegen die Diallagai für Paros an einer Nahtstelle der beiden hier betrachteten internationalen Einrichtungen. Während die zwischenstaatliche Schiedsgerichtsbarkeit seit mindestens d e m sechsten

Zur Anzahl der Richter s. u. S.262 Anm.338 und 339. 173 Vgl. Aisch. 1, 89. Athen hat auch im Zweiten Seebund (zur Praxis des fünften Jahrhunderts vgl. Schuller, Herrschaft 48-52; Koch, Volksbeschlüsse, bes. 464-466) einzelne Bundesstädte dazu gezwungen, wichtige Prozesse zur Entscheidung nach Athen zu überweisen. In diesen Fällen bezeichnete sich Athen als εκκλητος πόλις: IG II 2 111, Z.49; IG II 2 404, Z.17; eventuell auch IG II 2 179 a, Z. 14, wenn man Cataldi, Atene 6ff. gegen Gauthier u. a. folgt. Die schwierige Interpretation dieser Passagen und ihre Abgrenzung von der in IG II 2 1128, Z.21 vorkommenden Ephesis ist m. E. noch nicht völlig gelungen, und auch die letzte zusammenfassende Behandlung von Cataldi (a. a. O . ) kann in vielen Punkten nicht überzeugen, vgl. die entsprechenden Prozeßkommentare. Obwohl in dieser Praxis Athens vielleicht ein wichtiger Ursprung für die Einsetzung fremder Richter gesehen werden muß, kann sie, da es sich nicht um freiwillige Schlichtung handelt, hier nicht näher betrachtet werden. 174 Ebensowenig wie ein Zwang zur Unterwerfung unter Athen ist aus der Inschrift ein Zwang zur Unterwerfung unter die Schlichtung des Synhedrions erkennbar. Die den Diallagai bereits vorausgesetzte innerparische Aussöhnungsbereitschaft legt nahe, daß die Parier den Beschluß des Synhedrions bereitwillig akzeptierten, wenn sie ihn nicht sogar selbst herbeigeführt hatten. Zur Schlichtung durch Athen gezwungen, so zumindest wirft es der fingierte Brief Philipps von Makedonien ([Dem.] 12, 17) den Athenern vor, wurden hingegen im Jahr 3 6 1 / 0 die beiden Poleis Thasos und Maroneia in ihrem Streit um Stryme, vgl. [Dem.] 50, 14. 21. 32; Harpokr. s. ν. σ τ ρ ύ μ η . Es ist aber nicht sicher, daß Athen sich in diesem Streit die Schiedsrichterfunktion selbst vorbehielt, wie Piccirilli, Arbitrati S.195 mit A. Raeder annimmt. Beide Poleis waren im Seebund; für Maroneia vgl. IG II 2 43, Z.87; Β, Z.4 wird gewöhnlich [Θάσιίοι ergänzt, vgl. Accame, Lega 89; eine Alternative θΙάσιοι] in Z.89. Für die Mitgliedschaft von Thasos spricht neben der hier vorausgesetzten Gleichstellung mit Maroneia auch die Kranzverleihung an Athen im Jahr 354/3: IG II 2 1437, Z . 1 1 ; I G II 2 1436, Z.35; IG II 2 1438, Z.16; in IG II 2 1441, Z.14 ist möglicherweise ein davon unabhängiger Kranz aufgelistet. 172

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

Jahrhundert gesichert überliefert ist 175 , gehört die Einrichtung der fremden Richter überwiegend der hellenistischen Zeit an und wurde vor allem von den Diadochen und ihren Nachfolgern begünstigt 1 7 6 . L. Robert war daher der Ansicht, daß in den wenigen auswärtigen Beilegungen von Prozessen einer anderen Polis, die aus dem vierten Jahrhundert bekannt sind, die Wurzeln des später so verbreiteten Rechtsverfahrens gesucht werden müßten 1 7 7 . Ein Vergleich mit den zeitlich und terminologisch unserem Dokument am nächsten stehenden Fällen aus beiden der oben genannten Kategorien kann vielleicht dabei helfen, den Punkt der Entwicklung, den die Diallagai für Paros bezeichnen, genauer auszumachen. 1) Noch in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts m u ß eine Inschrift datiert werden 1 7 8 , in der Diallaktai mit der Schlichtung von Auseinandersetzungen beauftragt sind. Das Zusammenwirken dieser Diallaktai mit dem Dikasterion von Arkesine und eventuell einer εκκλητος ττόλις ist aus dem Text heraus nicht leicht zu verstehen. Nachdem man die Diallaktai zunächst als einheimische Amtsträger, den athenischen Diaiteten vergleichbar, aufgefaßt hatte, hat Dittenberger die Ansicht begründet, es habe sich um ein "außerordentliches Gremium von aus der Fremde herangezogenen Männern" gehandelt, die durch die Beilegung einer großen Menge angesammelter Rechtsstreitigkeiten die offenbar gestörte innere Ordnung der Polis wiederherstellen sollten 179 . Dittenbergers Interpretation, die seitdem nicht mehr in Frage gestellt wurde 1 8 0 , setzt voraus, daß es einen früheren Beschluß der Arkesiner zur Berufung der Diallaktai gegeben hatte 181 und daß dort oder in dem stark verstümmelten Teil der vorliegenden Inschrift: ihre Aufgabe definiert war, die wir aus dem erhaltenen Teil nur erschließen können. Auch die Hilfskonstruktion Dittenbergers, die Überweisung einiger Fälle an das örtliche Gericht durch die Diallaktai sei nur deshalb vorgesehen, weil man befürchtet habe, die Fremden könnten die Vielzahl der Fälle nicht mehr erledigen 182 , ist aus dem Text nicht ableitbar; dort scheint es vielmehr allein der Entscheidung der Diallaktai überlassen, ob sie einen Fall ans Dikasterion übergeben oder selbst entscheiden wollten. Davon wird jedoch die Grundidee der fremden Richter nicht erschüttert, die auch meiner Meinung nach vor allem

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Vor d e m inschriftlich überlieferten ersten gesicherten Schiedsgericht (Nr.4) f ü h r t Piccirilli, Arbitrati, noch drei Fälle an (Nr.1-3), die bis ins achte Jahrhundert zurückreichen. Vgl. Robert, Juges etrangers 782. 177 Robert, a. a. O.; die Diallagai für Paros hat er nicht herangezogen. 178 IG XII 7, 3 (= Syll. 2 511, in der dritten Auflage nicht mehr enthalten); Z.27-51 (die übrigen Teile lassen sich nicht in einen Zusammenhang bringen; Teile der sonst einhellig abgelehnten Ergänzungen Szantos akzeptiert Cataldi, Atene 29 Anm.122) auch bei Gauthier, Symbola 333. Arkesine war, vielleicht in einem Koinon mit Minoa und Aigiale, Mitglied des Seebunds, vgl. IG II 2 4 3 Β Ζ . 2 8 : Ά μ ό ρ γ ι ο ι . 179 Syll. 2 511 Anm.7 und 8 gegen Radet und Szanto. 180 Yg] z β Robert, Juges Strangers 782; Gauthier, Symbola 333ff.; Cataldi, Atene 28f. 6 Anm.36 mit weiteren Verweisen. 181 Vgl. allgemein zum Verfahren Robert, Juges etrangers 770. 182 Syll.2 511 Anm.8 und Gauthier, Symbola 334. Nach Steinwenter, Streitbeendigung 158 Anm.2, fand vor den Diallaktai n u r das Schlichtungsverfahren statt, der Prozeß aber vor einem einheimischen Dikasterion. 176

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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dadurch gerechtfertigt ist, daß die Diallaktai ausdrücklich dem einheimischen Gericht (έπί τ δ ά σ τ ι κ δ δικαστη|ρίο, Z.32-33) gegenübergestellt sind 1 8 3 und daß sie ihre Einsetzung einer Sondersituation der Polis verdankten, in der auch mit dem Gedanken gespielt w u r d e 1 8 4 , sich an eine ε κ κ λ η τ ο ς π ό λ ι ς , also an die Rechtsinstanzen einer fremden Polis, zu wenden. Mit dem in der Inschrift aus Arkesine gebrauchten T e r m i n u s "Diallaktai' können wir ohne weiteres auch die Synhedroi bezeichnen, die als Subjekte der Diallagai für Paros eben als Diallaktai handelten. Wie jene waren die Synhedroi Fremde, die von der betroffenen Polis freiwillig angerufen w u r d e n 1 8 5 und die internen Streitigkeiten bereinigen sollten 1 8 6 . Arkesine und Paros waren Mitglieder des Seebunds, aber in beiden Fällen deutet die Inanspruchnahme fremder Diallaktai nicht auf eine vorausgegangene Rebellion gegen diese Allianz hin. Wichtige Unterschiede bestehen jedoch. In Arkesine haben sich die Diallaktai mit konkreten Einzelfällen befaßt. Offenbar ging es u m die Beilegung von Vermögensstreitigkeiten, wie sie in anderen uns bekannten Fällen bei der Wiedereingliederung von Verbannten entstanden 1 8 7 . Aber ob die Rückkehr von Verbannten auch in Arkesine der Anlaß für die vielen Prozesse war, läßt sich nicht sagen. Die Diallaktai setzten selbst Beträge fest, die von einer Partei (an die jeweils andere, die vielleicht auch die Polis selbst sein konnte 1 8 8 ) zu entrichten waren, oder führten eine Einigung der Parteien über einen solchen Betrag herbei 1 8 9 ; sie agierten also als Richter und als Schlichter. Ihre Entscheidungen waren endgültig und konnten bei Mißachtung seitens des Verurteilten auf dem in Arkesine gegen Schuldner üblichen Rechtsweg durchgesetzt werden ( δ ί κ α ι κατά τ ω μ μ ή έ κ τ ι ν ό ν τ ω ν , Ζ . 3 6 Ε ) . Die Tätigkeit der Diallaktai war demnach von vornherein eingeschränkt auf Entscheidungen über umstrittene Geldbeträge und damit nach späteren Maßstäben dem Zivilrecht angehörig. Strafrechtliche Befugnisse, gar Kapitalstrafen zu verhängen, hatten sie nicht. Gerade darum aber ging es in den Diallagai der Verbündeten für Paros, die T o d oder Verbannung als Strafe für Morddelikte festsetzten. Im weiteren Unterschied zu Arkesine waren die Synhedroi nicht als Richter und auch nicht als Schlichter konkreter Einzelfälle tätig, sondern erließen allgemeine, gesetzliche Regelungen, die in allen Einzelfällen von dem parischen Gericht angewandt werden sollten, als das D e m o s und Bule bestimmt wurden. Dementsprechend waren die Synhedroi auch nicht 183

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Vgl. Gauthier, Symbola 335; zum Gegensatz άστικόν - ξενικόν δικαστήριον auch Busolt / Swoboda, Staatskunde I 486 Anm.2. Vgl. Gauthier, Symbola 337 Die Formel eSo?e[f τηι. βοληι και TIOL δήμωί (sc. in Arkesine) in Zeile 7 dürfte von Szanto sicher ergänzt sein, vgl. Zeile 47. Für Arkesine vgl. Gauthier, Symbola 337. Beispiele dafür gibt Gauthier, Symbola 335f. Eine Polis ist gegenüber ihren Bürgern nicht selten Partei, so ζ. B. Kerkyra in dem Schiedsspruch IG XI 1 , 6 9 2 . δσοι δ' αμ μ ή έ κ τ ί ν ω σ ι ν καθίά] | οί δ ι α λ λ α κ τ α ΐ έ τ α ξ α ν ή π ε ί σ α ν τ ε ς τ ό ς κ α | τ α δ ι κ α σ α μ ε ν ο ς , Ζ.33-35. Die Ubersetzung Gauthiers, "les sommes ... ou fixees par composition avec leurs adversaires", läßt den Sachverhalt nicht deutlich genug werden, den Dittenberger, a. a. O . Anm.9, so paraphrasiert: "ή (καθά) α ύ τ ο ί " (sc. οί δ ι α λ λ α κ τ α ί ) "έπεισαν τους καταδικασαμένους".

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

an dem Ort der zu schlichtenden Auseinandersetzungen anwesend, wie die Diallaktai in Arkesine, sondern faßten ihren Beschluß an ihrem Tagungsort Athen. Sie agierten als Repräsentanten eines Staatenbundes, während die Diallaktai in Arkesine zweifellos Privatbürger einer auswärtigen Polis waren. Leider ist es nicht möglich, die arkesineische Inschrift genauer zu datieren. Gauthier vermutet hinter den vorauszusetzenden Turbulenzen eine Kriegssituation und denkt daher an die Zeit des Bundesgenossenkrieges, 357-355. Hat er damit recht 1 9 0 , wären die Diallagai für Paros fast zwanzig Jahre älter. Ebenso vage ließe sich vermuten, die Diallaktai in Arkesine könnten zu den aus der delischen Tempelkasse bezahlten athenischen Richtern gehört haben (s. folgenden Abschnitt); dann wären sie sehr wahrscheinlich im Jahr 374/3, mithin vor den Diallagai auf Paros, tätig gewesen. 2) Aus der Abrechnungsurkunde der Amphiktyonen des delischen Tempels für das Jahr 374/3 erfahren wir, daß die Tempelkasse Ausgaben verbucht hat ε ι ς τ ά ς σ[υμμαχ]ίδας [πόλεις ά ν δ ρ ά σ ι ν τ|οΐ]ς έ π ι τ ά ς δ ί κ α ς π ε μ φ θ ε ΐ σ ι ν ΰττό τ[ης] βολής 1 9 1 . In einigen Poleis des Seebunds haben demnach schon vor dem Paros - Dekret fremde Richter gewirkt. Auch sie hatten natürlich Einzelfälle zu bearbeiten und waren, im weiteren Unterschied zu den Diallaktai für Paros, Athener und von der athenischen Bule ausgewählt und ausgesandt. Immerhin sind diese ά ν δ ρ ε ς επί τ ά ς δ ι κ α ς die ersten sicher datierbaren fremden Richter, die in der griechischen Geschichte bekannt sind, und es ist sehr bedauerlich, daß wir über ihre Tätigkeit nichts näheres erfahren. 3) Das'ίσοι; δ ι κ α σ τ ή ρ ι ο ^ , das die 384 in ihre Heimat zurückgekehrten phleiasischen Emigranten zur Regelung von Vermögensstreitigkeiten forderten, wird von Gehrke als Gericht aus auswärtigen Richtern verstanden 192 . Er kann sich dabei auf Xenophon (hell. 5, 3, 10) berufen, nach dessen Formulierung die Verbannten die Gerichtsbarkeit ev αύτη τ η πόλε ι ablehnten. Stellt man diesen wörtlichen Gegensatz in den Vordergrund, dann verlangten die zurückgekehrten Phlciasier genau genommen die Verhandlung ihrer Klagen vor einem Gericht, das nicht in ihrer, sondern in einer anderen Polis fungierte, also dem Dikasterion einer anderen Polis, und wir hätten dann ein frühes Beispiel für eine ε κ κ λ η τ ο ς π ό λ ι ς vor uns 1 9 3 . Schon die dabei auftretende sachliche Schwierigkeit, daß nämlich die in Phleius anstehenden Verfahren um Vermögenswerte, wozu nach Gehrke auch bewegliches Vermögen gehörte 1 9 4 , kaum von einem auswärtigen

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Aus IG XII 7, 5 (letzte Edition Migeotte, Emprunt Nr.48) wissen wir zwar, daß Arkesine in dieser Zeit großen Geldbedarf hatte; aber der von Gauthier, Symbola 336, genannte Grund dafür, " ä la suite des exactions atheniennes", ist nicht akzeptabel: vgl. o. im 1. Kapitel die Abschnitte zu Festsetzung, Eintreibung und Verwendung der Syntaxeis. I.Delos 98 A, Z.72-73, vgl. dazu ausführlich u. 6. Kapitel D). Z u den Vorgängen Xen. hell. 5, 2, 8ff.; 5, 3, lOff. 21ff. (ίσον δ ι κ α σ τ ή ρ ι ο ν : 5, 3, 10). Vgl. Gehrke, Stasis 2 6 3 mit A n m . 1 6 ; vgl. 129f. mit weiteren Quellen, die aber für das hier aufgeworfene Problem nichts ergeben. Vgl. o. Anm.173. Am ehesten wäre nach den Umständen Sparta selbst dafür in Frage gekommen, das Gericht zu stellen; Dikasterion ist zwar ein für die spartanische Gerichtsbarkeit unüblicher Begriff, wird aber von H d t . 6, 85, 1 anscheinend für die spartanische Gerusia gebraucht. Gehrke, Stasis 129 Anm.15 (gegen Seibert) zuXenophons (hell. 5, 2, 10) ε μ φ α ν ή κ τ ή μ α τ α .

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

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Dikasterion, sondern nur an O r t u n d Stelle durchgeführt werden konnten, steht einer allzu wörtlichen Interpretation von €V α ύ τ η τ η ττόλει entgegen. A u c h der größere Z u s a m m e n h a n g , den uns X e n o p h o n berichtet, legt eine andere Lösung nahe. Die R ü c k f ü h r u n g der phleiasischen Verbannten war von Sparta erzwungen worden; nach der Verweigerung eines ϊ σ ο ν δ ι κ α σ τ ή ρ ι ο ν wichen diese wiederum nach Sparta aus; König Agesilaos belagerte in ihrem Interesse Phleius nahezu zwei Jahre lang. N a c h d e m Agesilaos also alles im Interesse der Exilierten Liegende getan hatte, w a r u m hätte er ihnen nicht ein auswärtiges Gericht zuweisen sollen, wenn sie das wirklich verlangt hätten? D a er aber, nachdem er alle Vollmachten über Phleius erhalten hatte, eine Kommission aus 50 zurückgekehrten und 50 in der Polis gebliebenen Phleiasiern zu Richtern u n d Gesetzgebern in der Stadt einsetzte 195 , so könnten wir schließen, daß ein solches, gleichgewichtig besetztes Gericht schon zuvor von den V e r b a n n t e n als ί σ ο ν δ ι κ α σ τ ή ρ ι ο ^ gemeint war. An dem von ihnen abgelehnten Gericht έν α ύ τ η τ η π ό λ ε ι hatte sie nämlich nach Xenophon (5, 3, 10) gestört, daß οί ά δ ι κ ο υ ν τ ε ς (also ihre Widersacher, die sich ihr Vermögen angeeignet hatten) δ ι κ ά ζ ο ι ε ν , während sie selbst, als gerade zurückgekehrte Minderheit (5, 3, 16), keine Rolle bei der Rechtssprechung gespielt hätten. Die Forderung der Verbannten nach einem gerechten Gericht weist also, falls sie von ihren U r h e b e r n überhaupt präzisiert w o r d e n ist, eher nicht auf eine auswärtige Schlichtung hin. D a es sich auch u m kein reales Phänomen, sondern u m eine bloße Vorstellung handelt, bleiben uns eventuelle nähere U m s t ä n d e verborgen, u n d wir können daraus, trotz enger zeitlicher Nähe, keine Parallelen für Paros gewinnen. 4) Anläßlich eines Streits zwischen Melos u n d Kimolos u m den Besitz dreier kleiner Nachbarinseln faßte der Korinthische B u n d in der Zeit nach 3 3 8 ein Dogma 1 9 6 . Wie im Fall von Paros wird hier das Synhedrion eines Staatenbundes tätig, ohne daß wir sagen k ö n n t e n , ob die Streitsache freiwillig oder d u r c h makedonischen D r u c k vor das Synhedrion k a m 1 9 7 . Dieses fällte jedoch nicht selbst das Schlichtungsurteil, s o n d e r n b e a u f t r a g t e d a m i t die Argiver, die zugunsten von Kimolos entschieden. Der Vorgang hebt sich aus den sonstigen internationalen Schiedsurteilen also n u r dadurch heraus, daß Argos mit der Schlichtung vom Korinthischen Bund beauftragt wurde 1 9 8 . Entschieden w u r d e ein konkreter zwischenstaatlicher Streitpunkt.

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Xen. hell. 5, 3, 25; vgl. die Einsetzung von zehn zurückgekehrten Verbannten u n d zehn übrigen Mytilenäern zur Regelung der Vermögensstreitigkeiten i m l a h r 332 oder 324, O G I S 2, Z.21ff. IG XII 3, 1259 = Syll.3 261 = T o d II 179. 197 T o d II s.235, bemerkt, bleiben diese u n d weitere Fragen offen. Im Jahr 331 legte der makedonische Feldherr Antipater dem Synhedrion des Korinthischen Bundes seine Antwort an die u m Frieden ersuchenden Spartaner vor; das S y n h e d r i o n aber gab die Angelegenheit o h n e Entscheidung an Alexander d. Gr. weiter: Diod. 17, 73, 5198 In ähnlicher Weise beauftragte der Achäische Bund Megara mit der Schlichtung eines Streits zwischen Korinth u n d Epidauros: Syll. 3 471; derselbe Bund wählte nach 164 Richter zur Beilegung einer Gebietsstreitigkeit zwischen Megalopolis und Sparta: Syll. 3 665. Vgl. H . F. Hitzig, Der griechische Fremdenprozeß im Licht der neueren Inschriftenfunde, Z R G 28, 1907, 211-253, hier 248f. Weitere Beispiele für die Schlichtung von Gebietsstreitigkeiten durch B ü n d e n e n n t

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 3 7 3 / 2

5) In die Zeit vor 3 3 6 wird ein athenisches Dekret ( I G I I 2 2 8 1 ) datiert, das nur sehr fragmentarisch überliefert ist, aber dennoch den Zusammenhang erkennen läßt, in den die in Zeile vier genannten Diallaktai gehören. Für welchen Staat Athen den Beschluß gefaßt hat, wissen wir nicht; er müßte aber in Zeile zwei als Subjekt genannt gewesen sein, wo sich aus meiner Neulesung 1 9 9 die Formel ergibt: και σα ή[ι, die in allen Parallelen mit der Nennung der Athener und meist auch der betroffenen auswärtigen Polis (jeweils im Dativ) verbunden ist 2 0 0 . D a sich unter den Parallelfällen auch das in jenen Jahren mit Athen verbündete, aber nicht dem Seebund angehörige Korinth befindet, kann die Formel kein Beleg für die Mitgliedschaft der unbekannten Polis im Seebund sein. Das gilt auch für ού μΜη]σ[ι]κακήσω aus Zeile drei, das zwar in die Eide gegenüber den vom Seebund abgefallenen und von Athen wieder unterworfenen Keern aufgenommen, aber auch in vielen Fällen außerhalb des Seebunds als Amnestieformel nach einer Stasis in der Bürgerschaft oder nach zwischenstaatlichen Streitigkeiten gebraucht wurde 2 0 1 . Ein Bündnis mit Athen ist jedoch auch in unserer Inschrift vorauszusetzen, denn der Eid, zu dem die Amnestieformel gehört und in dem der athenische D e m o s genannt w i r d 2 0 2 , kann nur der Abschluß eines neuen, oder die B e k r ä f t i g u n g bzw. E r n e u e r u n g eines früheren B ü n d n i s s e s nach dessen Erschütterung sein. D a ß die Auseinandersetzungen, für die jetzt eine Amnestie beschlossen wurde, mit diesem Bündnis zusammenhingen, ist möglich, aber nicht sicher. Zur Entscheidung von Streitfällen, die aus der Zeit der Stasis rührten, oder, wenn die Amnestie sich auf alle diese Fälle erstreckte, für Zwistigkeiten, die sich aus der Versöhnung ergaben, oder zur Festlegung der Versöhnung selbst weilten in der betroffenen Polis Diallaktai. Diese sind, da έ]ττιδημωσιν in Zeile

Wilhelm, Neue Beiträge I S . 1 4 . Vgl. auch L. Robert, Lesbiaca I, R E G 1 9 2 5 , 2 9 - 4 3 , hier 3 4 Anm.3 ( N D in Opera Minora Selecta II, Amsterdam 1969, 7 2 1 - 7 3 5 ) . 199

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202

Den Stein habe ich im Epigraphischen Museum Athen besichtigt, wo er unter der EM - Nr. 7 1 2 4 aufbewahrt wird. V o m achten erkennbaren Buchstaben der zweiten Zeile haben die bisherigen Editoren nur eine senkrechte Haste verzeichnet. Diese sitzt jedoch weit links auf dem Stoichosfeld und zeigt zudem in der Mitte den leichten Ansatz einer Querhaste, m u ß also zu einem Eta gehören. I G I I 2 9 8 , Z . 2 1 - 2 3 : ούτοι δέ έίπιμελέσθων Κ6]|φαλληνίας δπως [αν ήι σα τ ο ι ς τε Ά ί θ η ν α ί ο ι ς και Κείφαλλήσιν, ergänzt von Ε. Schweigert, Hesperia 9, 1 9 4 0 , 3 2 2 ; I G II 2 4 0 4 , Z.7-8: δίπως αν σα ήι Κέως τω[ι. δήμωί τ ω ι ' Αθηναίων και τ ο ΐ ς Κεοι|ς (zur Ergänzung τ ο ι ς Κ ε ο ι ς statt Schweigerts τ α ΐ ς πόλεσι €γ Κεωι vgl. Dreher, Z u I G II 2 4 0 4 , S . 2 7 3 mit Anm.45; IG I I 2 123, Z.7-9: δπως [α]ν"Ανδ[ρο|ς] ?[ι] σ[α] τωι δ[ή]μωι τ ω ι ' Αθη[να]ίων [κα|ί] τωι δήμωί τωι ' Ανδρίων; X e n . hell. 7, 4, 4: δπως και Κόρινθος σώα η τω δήμω των 'Αθηναίων, woraus wir mit Schweigert (a. a. Ο . Anm. 15) auf δπως αν Κόρινθος σα ήι τωι δήμωι τ ω ι ' Αθηναίων als Wortlaut des von Demotion beantragten Dekrets schließen dürfen. Für Keos siehe IG I I 2 111, Z . 5 7 - 5 8 . 8 2 - 8 3 . Ansonsten ζ. B. IG I 3 7 6 , Z . 1 5 - 1 6 . 2 0 - 2 1 ; Thuk. 4, 74; And. 1, 90; Xen. hell. 2, 4 , 43; Aisch. 3, 2 0 8 ; D e m . 2 3 , 193; Piccirilli, Arbitrati 3 3 (= IG XI 5, 109 = S t V II 2 0 4 ) , Z . 1 2 - 1 3 ; siehe ferner Gehrke, Stasis 2 6 2 mit Anm.7. Es dürfte sich daher um den Eid der anderen Polis gegenüber Athen handeln. Der Text selbst ist wegen des Infinitivs όμνύναι (Ζ.9) nicht das instrumentum foederis, sondern die Festlegung der Eidesformel innerhalb des athenischen Volksbeschlusses.

Ε) Ergebnis und historische Bedeutung des Vorgangs

151

fünf sich noch auf die Diallaktai beziehen wird, fremde Richter oder Schlichter, deren Herkunft 203 , Zahl und genauere Tätigkeit uns verborgen bleibt. Keiner der zum Vergleich herangezogenen Vorgänge ist wirklich eine Analogie zu unserem Ausgangspunkt, der Schlichtung für Paros. In Teilen jedoch sind Gemeinsamkeiten zu erkennen, vor allem in dem grundlegenden Bestreben nach einer neutralen und daher allgemein akzeptierten Schlichtungsinstanz. Die für die Zeit vor und nach der Paros - Schlichtung dokumentierte zwischenstaatliche Schiedsgerichtsbarkeit — Ende des fünften Jahrhunderts hatten nach delphischer Vermittlung gerade Parier die Schlichtung zwischen Thasos und Neapolis übernommen 204 —, kann daher eine gewisse Vorbildfunktion gehabt haben. Daß die Repräsentanten eines Staatenbundes als zwischenstaatliche Schlichter auftreten, ist vor der Schlichtung des Synhedrions für Paros nicht belegt und daher auch auf dieser Ebene etwas Neues. Die Diallagai mögen ihrerseits dazu beigetragen haben, daß der Korinthische Bund zu einer solchen Rolle kam, allerdings wiederum bei einem zwischenstaatlichen Streit. Direkte Abhängigkeiten sind jedoch in all diesen Fällen der Natur der Sache nach nicht erkennbar. Mit dem Institut der fremden Richter haben die Diallagai lediglich gemeinsam, daß auswärtige Personen an der Beilegung innerstaatlicher Streitigkeiten mitwirkten. Allerdings mag die Tatsache, daß schon in den ersten Jahren des Zweiten Athenischen Seebunds, auf jeden Fall 374/3, athenische Richter in andere Seebundsstädte entsandt wurden, eine Schlichtungsfunktion des Synhedrions nahegelegt haben. Daß eine solche Funktion statt von der Bundes Vormacht Athen, deren Bule die Richter entsandt hatte, von dem gemeinsamen Bundesorgan wahrgenommen wurde, bezeugt, daß das Synhedrion der Verbündeten in dieser Zeit eine auch von Athen anerkannte, mit Autorität verbundene zentrale Stellung im Seebund einnahm und damit über Wirkungsmöglichkeiten verfügte, die offenbar weit über organisatorische, die Syntaxeis betreffende Angelegenheiten hinausgingen. Das Synhedrion übernahm die Schlichtungstätigkeit anläßlich einer Sondersixuaüon auf Paros, und es ist möglich, daß das die einzige Betätigung dieser Art blieb; im Gegensatz dazu hatten die athenischen Seebunds - Richter nur Standard - Fälle zu regeln. Dabei bestand der Unterschied darin, daß diese Richter Einzelstreitfälle zu schlichten

203

2t,/i

Cataldi, Atene 7 A n m . 3 7 , deutet die Präsenz der Diallaktai als Intervention der athenischen Bundesgenossen; dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Piccirilli, Arbitrati 33; vgl. Nr.2 zu einer Schiedsrichtertätigkeit der Parier im siebten Jahrhundert. Zur Entwicklung der Einrichtung im vierten Jahrhundert vgl. Tod, Arbitration 178.

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4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

und zu entscheiden hatten, während die Synhedroi mit den Diallagai für Paros Verfahrensregeln erließen, unter die Einzelfälle zu subsumieren waren. Die Diallagai für Paros lassen sich daher den modernen juristischen Termini 'Schiedsvergleich' und 'Schiedsspruch' nicht unterordnen 2 0 5 . Auch wenn also gewisse Einflüsse wirksam gewesen sind, so steht die Schlichtungsrolle des Synhedrions doch mit am Anfang einer zunehmenden und dann im Hellenismus weit verbreiteten internationalen (Schieds-) Gerichtsbarkeit, die zur Beilegung von Auseinandersetzungen innerhalb einer Polis diente. Angesichts der Anzahl der Poleis, die Mitglieder im Synhedrion des Seebunds waren, kam dem Fall Paros mindestens ein hoher Bekanntheitsgrad und vielleicht auch eine gewisse Wirkung auf die nachfolgende Entwicklung zu.

Anhang: Eine mögliche Ergänzung von Zeile zwei der Inschrifi Im epigraphischen Kommentar wurde angemerkt, daß der zwanzigste Buchstabe der zweiten Zeile klar als Rho zu lesen und daß davor noch der untere Ansatz einer senkrechten rechten Haste zu sehen ist. Von den beiden Buchstaben, die eine rechte senkrechte Haste in der gesamten Buchstabenhöhe aufweisen, Eta und Ny, kommt zu einer Wortbildung mit der Endung ρηι nur das Eta in Frage, so daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit von —]ηρηι auszugehen haben. Ein sinnvolles Substantiv oder auch Adjektiv, das in der Dativform angeschlossen werden könnte, scheint es mir nicht zu geben, aber unter den Verben, die in zwischenstaatlichen Regelungen vorkommen, würde sich διατηρεω anbieten. Das W o r t ist weitgehend synonym mit δ ι α φ υ λ ά τ τ ω und διατελέω und hat, soweit es sich auf den zwischenstaatlichen Verkehr bezieht, auch dieselben Objekte bei sich, nämlich meist φιλία, e w o i a und σ υ μ μ α χ ί α 2 0 6 . Es ist allerdings erst ab dem Ende des vierten Jahrhunderts in diesem Zusammenhang sicher belegt 207 . In einem athenischen Dekret für Kolophon aus dem Jahr 307/6 wird die Ehrung

2t)

5 Schon Steinwenter, Streitbeendigung 92. 97ff., hat festgestellt, daß die von Mathiaß getroffene Unterscheidung δ ι α λ λ α γ ή - Schiedsvergleich, δ ί α ι τ α - Schiedsspruch sich aus der griechischen Terminologie nicht erweisen läßt. Das gilt u m so mehr, wie sich im vorstehenden gezeigt hat, für die zwischenstaatlichen Schlichtungen, denen Steinwenter n u r geringere Aufmerksamkeit geschenkt hat.

206 Vgl. IG II 2 456, Z.8; IG II 2 566, Z.3-5; IG II 2 582, Z.4; IG II 2 716, Z.8 ( τ ι μ ά ς ) ; IG II 2 774 b, Z . l l ( φ ι λ ο τ ι μ ί α ν ) ; IG II 2 856, Z.9 (αϊρεσιν, ebenso in weiteren Bürgerrechts - Verleihungen); IG II 2 982, Z. 14; StV III 492, Z.37. 62. 91 (dieselbe Formel mit δ ι α φ υ λ ά τ τ ω in Z.93); IG II 2 1304, Z.6-7; Syll. 3 601, Z.23-24; Syll. 3 613, Z.27; Syll. 3 630, Z.3-4. In innerstaatlichem Z u s a m m e n h a n g wird δ ι α τ η ρ ε ω vorwiegend mit δ η μ ο κ ρ α τ ί α , α υ τ ο ν ο μ ί α , ειρήνη, εύνοια, ευνομία, φιλία, φ ι λ ο τ ι μ ί α und ομόνοια verbunden, vgl. IG XII 7, 506 (= Syll.3 390), Z.23-24; Syll. 3 591, Z.33-34; Syll. 3 630, Z.6; IG II 2 1006, Z.83. 85 (und in weiteren Ephebendekreten); IG II 2 1028, Z.75-76; IG II 2 1236, Z.17. 207 Von den in der vorigen Anm. zitierten Inschriften gehören IG II 2 456, IG II 2 566, IG II 2 582 und vielleicht (vgl. Kirchner ad loc.) IG II 2 716 noch ins vierte Jahrhundert.

Anhang: Eine mögliche Ergänzung von Zeile zwei der Inschrift

153

damit begründet, daß die Kolophonier als Kolonisten Athens die Freundschaft und Verbundenheit 208 mit Athen bewahrt hätten (IG II 2 456, Z.7-9): έ π ε ι δ ή άποιΙκΌΐ δντβς του δή[μου | του 'Αθηναίων Κολοφώνιοι διατίηρουσιν την τ€ φ[ιλί|αν και οικειότητα την elc τον δ]ημ[ον] τον Άθηναί[ων. In ganz ähnlichem Sinn könnte auch das Paros - Dekret darauf hingewiesen haben, daß die Parier, die ja in Zeile sechs ebenfalls als Apoikoi bezeichnet sind, mit Athen verbunden waren bzw. in Zukunft verbunden bleiben sollten. Das möglicherweise zu ergänzende διατίηρηι wäre von einer den Konjunktiv regierenden Konjunktion wie 'ίνα oder δπως äv abhängig 209 und hätte als Subjekt, das im Singular stehen müßte, den Demos der Parier, was gut mit der Nennung des Demos der Athener in Zeile sechs korrespondieren würde. Der Wechsel des Numerus in Zeile fünf zum Plural τ υ γ χ ά ν ο σ ι ν wäre in den Inschriften kein Einzelfall 210 , und inhaltlich bleibt das Subjekt, ob 'Demos der Parier' oder "die Parier', das gleiche. Die Stellung des Prädikats fast ganz am Ende des Satzteils wäre nicht ganz ideal, aber auch damit müssen wir in inschriftlichen Formulierungen rechnen, zumal da διατηρηι auch ein durch και angeschlossenes zweites Prädikat in einem zweiteiligen Nebensatz sein könnte. Die anschließende Bestimmung κατά τά πάτρια möchte ich, wie ich es schon in der Ubersetzung zum Ausdruck gebracht habe 2 1 1 , zu dem vorausgehenden Satz und nicht auf die nachfolgenden Bestimmungen über die Opfergaben ziehen 212 . Dafür spricht zum einen, daß κατά τά πάτρια in seinem nicht seltenen inschriftlichen Vorkommen ganz überwiegend am Ende eines Satzes oder Satzteils steht und sich auf das Vorausgehende zurückbezieht; der Anfang eines hier durch καί...καί sogar zweigeteilten Satzes wäre hingegen eine völlig ungewöhnliche Stellung 2 1 3 . Inhaltlich ergäbe die Zuordnung des Ausdrucks

Statt οικειότητα, das in Frg. b, Z.14-15 vorkommt, scheint mir auch ζ. Β. τ η ν ε ΰ ν ο ι α ν als Ergänzung möglich (vgl. Frg. b, Z.9-10: [αρετής ενεκα και εύ]|νοίας). Das Kolophon - Dekret ist bereits oben (s. S.130) bei der Frage nach dem Koloniestatus von Paros zum Vergleich herangezogen worden. 209 Vgl_ StV III 492, Z.93: 'ίνα διαφυλάσσωσιν την συμμαχίαν και τ η ν ευνοιαν, sowie IG II 2 1304, Ζ.6-7: δπως αν παρ' έκατέρων τωι [δΐήμωι ή τ ε φιλίΐα κ]αΙ ή ε ι ρ ή ν η διοτ τηρή|ται κτλ. 2 1 0 Vgl. ζ. Β. IG II 2 107, das Ehrendekret für Mytilene aus dem Jahr 369/8, Z.15-17. Z.37-39. 2 1 1 Siehe auch die Ubersetzung von Wickersham / Verbrugghe Nr.31. 2 1 2 So aber Graham, Colony 63; Smarczyk, Religionspolitik 529 Anm.89; vgl. o. Anm.97. 2 1 3 Von den 28 Beispielen, die im Index der Syll. 3 s. ν. πάτριος c) aufgeführt sind (dazu kommt das im Index fehlende Dekret Nr. 434, Z.73), weichen nur vier von der Endstellung des Ausdrucks ab, nämlich N r . l 4 5 , Z.46; N r . 5 9 0 , Z.6; N r . 6 6 l , Z.9; N r . 8 8 5 , Z . 1 7 . Der Abstand zum zugehörigen Verb ist aber nie so groß, wie er es im Paros - Dekret wäre. Ein ähnliches Bild ergab die IBYCUS - Recherche zu den IG. An den 32 (ζ. T . natürlich mit der Sylloge identischen) Belegstellen, die eine Aussage zulassen, steht κατά τά πάτρια nur dreimal nicht am Ende eines Satzteils, dafür aber in diesen drei Fällen (IG I 3 7, Z.22; IG II 2 949, Z.9; IG II 2 1078, Z.17) direkt nach dem jeweiligen Prädikat. Für die hier abgelehnte Deutung findet sich in allen untersuchten Beispielen keine Parallele. Eine zu einem neuen Prädikat gehörende και ~ καιKonstruktion im Anschluß an ein rückbezügliches κατά τά πάτρια, wie sie hier für das Paros Dekret angenommen wird, weisen auch drei gleichartige Agonotheten - Inschriften des zweiten Jahrhunderts v. Chr. auf: [και τ]ήν θυσ[ίαν συνετελε|σεν τωι Θ η σ ε ι κΐατά [τά πΐάτρια και τ η ς λαμπάδος καΐ | του γυμνικού άγω[ν]ος έποιήσατο τ η ν έ π [ ι μ έ λ ε ι α ν , so IG II 2 208

154

4. Der Beschluß der Bundesgenossen über Paros von 373/2

zu den Opferbestimmungen nur dann einen Sinn, wenn Athen damit die Wiederaufnahme eines unterbrochenen alten Brauchs festgelegt hätte. Ein Abfall von Athen und dem Seebund, mit dem sich eine solche Unterbrechung begründen ließe, ist jedoch im vorstehenden Kapitel ausgeschlossen worden. Der dem erhaltenen Teil unmittelbar vorausgehende T e x t 2 1 4 könnte also, zwar nicht im Wortlaut, aber doch sinngemäß, mit aller Vorsicht so paraphrasiert werden, daß Athen die Parier mit der έπαινέσαι. - Formel belobigte, was umso näher liegt, als die offensichtlich in ihrer Mission erfolgreichen Gesandten zur Bewirtung ins Prytaneion geladen wurden (Z.12-14) 2 1 5 . Daran fügte sich - wenn sie nicht vorausging - die in diesen Fällen übliche, sehr allgemein gehaltene Begründungsformel 2 1 6 über die freundschaftliche Haltung der Parier zu Athen. Der Wunsch oder die Aufforderung, die Verbundenheit auch in Zukunft gemäß der Tradition zu bewahren 2 1 7 , Schloß sich mit dem Prädikat δ ι α τ η ρ η ι an und sollte schließlich mit der Einführung der parischen Teilnahme an athenischen Festen in die Praxis umgesetzt werden.

956, Z.5-7, ergänzt nach den gleichlautenden Formularen in IG II 2 957, Z.4-5, und IG II 2 958, Z.5-6. 214 Weitere Einzelbestimmungen können durchaus vorausgegangen sein, da wir die Länge des Dekrets nicht kennen. 2 1 5 Die Aussage Henrys, Honours 262: "It is clear from Demosthenes (19. 234) that it was standard practice (τό νόμιμον έ'θος) to invite all ambassadors, and the epigraphical record confirms that this practice was followed without exception", muß dahingehend modifiziert werden, daß schon Demosthenes gewisse Einschränkungen vornimmt, indem er zwischen einheimischen und fremden Gesandten unterscheidet und die Ehrung vom richtigen Verhalten der - in diesem Fall athenischen - Gesandten abhängig macht. Epigraphisch ist uns die Bewirtung fremder Gesandter natürlich nur in den Fällen bezeugt, in denen ein Vertrag mit ihrer Heimatpolis zustandekam oder ein von ihnen vorgebrachter Vorschlag von Athen angenommen wurde (nepl coy OL π ρ ε σ β α ς ... Χεγουσίν). Bei gescheiterten Missionen wurde kein Dokument öffentlich aufgestellt, und wir wissen daher nicht, ob die Gesandten trotzdem ins Prytaneion geladen wurden. 216 Vgl. Henry, Honours 7f.; neben έπ€ΐδή kommt auch δτι in der Begründungsformel vor, ζ. B. IG II 2 107, Z.38. 217 Vgl. StV III 409 (Isopolitievertrag zwischen Milet und Kyzikos, um 330 oder früher), Z.11-13: τ ά ς μέν π ό λ ί ΐ ς φίλας el|vau ec τον απαντα χρόνον κατά τά πάτρια.

5. Kapitel Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre A) Der Angriff aufEretria und seine

Bewältigung

Die Rekonstruktion der Ereignisse auf Euböa im Jahr 3 4 9 / 8 v. C h r . basiert im wesentlichen auf einer Passage aus der Phokion - Biographie Plutarchs und einigen Bemerkungen der zeitgenössischen Redner und ihrer Scholiasten 1 . Die fast rein militärtechnische Darstellung Plutarchs und die jeweils einem gerichtlich - politischen Zweck untergeordneten Andeutungen der Redner ermöglichen kein in sich geschlossenes Gesamtbild der Situation; nahezu jeder einzelne V o r g a n g wurde in der Forschung unterschiedlich dargestellt und beurteilt. V o r kurzem nun hat D. Knoepfler in überzeugender W e i s e dargetan, daß sich auch der athenische Volksbeschluß über die Bestrafung der Angreifer Eretrias (IG II 2 1 2 5 ) 2 auf das Eingreifen Athens in die euböischen Verhältnisse nicht im Jahr 3 5 7 , sondern im Jahr 349/8 v. C h r . bezieht 3 . Durch dieses inschriftliche Zeugnis lassen sich zwar keineswegs alle Probleme lösen, aber in einigen Punkten führt die

1

2

3

Plut. Phok. 12-14; Aisch. 2, 12. 169-171; 3, 86ff. mit Scholia; Dem. 5, 5 mit Scholion; 9, 57; 19, 290 mit Scholion; 21, 110. 132f. 161-167. 197; 39, 16-18; [Dem], 59, 4; Philochoros FGrHist 328 F 160. Die meisten dieser Testimonia sind wiedergegeben in IG XII 9, S. 151-153. Erstveröffentlichung durch K. S. Pittakis, L' ancienne Athenes, Athen 1835, S. 269f. bzw. A. R. Rangabe, Antiquites Helleniques II, Athen 1855, Nr. 391f. Weitere Editionen: IG II 65; Michel 1455; Syll.3 191; Tod II 154. D. Knoepfler, Le decret d' Hegesippe d'Athenes pour Eritrie, MH 41, 1984, 152-161. Der Tatsache, daß die Antragsteller attischer Dekrete ab 354/3 regelmäßig mit Patronymikon und Demotikon aufgeführt wurden, trägt Knoepfler (S.152f.) durch die Einfügung dieser Angaben in seine Ergänzung der ersten Zeile Rechnung (vgl. u. den Text der Inschrift). Ausgehend von der richtigen Voraussetzung, daß die Angeklagten Athener waren (dazu u.), argumentiert Knoepfler dann (S.156), daß deren Vergehen unmöglich mit dem Euböa - Feldzug Athens von 357 in Verbindung gebracht werden könne, den sowohl Demosthenes als auch Aischines in seltener Einmütigkeit als große Ruhmestat Athens darstellten. In der Karriere des Hegesippos komme daher nur das athenische Eingreifen auf Euböa 348 v. Chr. als möglicher Anlaß für das Hegesippos Dekret in Frage. Bis dahin kann ich Knoepflers Argumentation nur beipflichten (vgl. auch die Zuweisung von Aristot. Rhet. 1411 a 6-11, die Befürwortung der Euböa - Expedition durch Kephisodotos, auf 349/8 statt auf 357/6 durch Sealey, Social War 77). Die von ihm hergestellten Bezüge (S.157) des Volksbeschlusses auf die Ereignisse jenes Jahres aber sind meines Erachtens nicht gegeben. Der Angriff auf das Territorium der Euböer (Z.6-7) ist nämlich nicht das athenische Unternehmen unter Phokion, und das Eingreifen euböischer, aber nicht - eretrischer Truppen kann sich nicht auf die Schlacht von Tamynai beziehen. Beide von Knoepfler nicht ausgeführten, aber doch wohl vorausgesetzten gegenteilige Annahmen sollen im folgenden widerlegt und unter Beibehaltung der Knoepfler'schen Datierung durch eine andere Rekonstruktion der Ereignisse ersetzt werden.

156

5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

K o m b i n a t i o n des Textes mit der literarischen Überlieferung doch weiter. K n o e p f l e r hat dabei wertvolle Einsichten erzielt, auf die die folgenden Überlegungen aufbauen; teils ergänzen sie K n o e p f l e r s Ergebnisse, teils widersprechen sie ihnen.

1. Phokion, der Tyrann Plutarchos und der Angriff auf Eretria Im Jahr 349/8 v. Chr. 4 bat Plutarchos, der in Eretria als eine Art Tyrann die politischen Geschicke dieser Polis bestimmte 5 , Athen um Hilfe, als er seine Herrschaft von politischen Gegnern, zu denen auch der spätere Tyrann Kleitarchos zu gehören scheint, bedroht sah 6 . Sicher dürfte sein, daß diese Machtkämpfe primär innenpolitischer Natur und noch nicht von der später dominierenden pro- oder antimakedonischen Einstellung der agierenden Parteien bestimmt w a r e n 7 . Ein direktes oder indirektes Eingreifen Philipps v o n Makedonien muß zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen werden 8 , hingegen waren Athen und die übrigen euböischen Poleis daran beteiligt. Athen entsprach der Bitte des Plutarchos und schickte ihm ein kleines Truppenkontingent unter dem Kommando Phokions zu Hilfe 9 . Für die Athener offenbar überraschend 10 stellte sich ihnen eine euböische Streitmacht unter Führung des Kallias aus Chalkis entgegen und brachte sie in eine gefährliche Lage, der Phokion durch seinen Sieg bei Tamynai jedoch entrinnen k o n n t e 1 1 . Plutarchos hatte an diesem K a m p f praktisch keinen Anteil mehr, er hatte auf eigene Faust angegriffen und wurde in die Flucht geschlagen, so daß Phokion ohne seine Hilfe zurückblieb und ihn nach ^ Zur Datierung des Feldzuges in das Jahr 348, wie sie zuerst von H. Weil begründet wurde (Schaefer, Demosthenes II 84, war noch von 3 5 0 ausgegangen; auch die Jahre 3 5 1 u n d 3 4 9 wurden in der Literatur vertreten), s. E. Radüge, Die Zeitbestimmung des Euboeischen und Olynthischen Krieges, Diss. Königsberg, Gießen 1908, 7ff. 19ff. 5 Z u r S t e l l u n g der e u b ö i s c h e n T y r a n n e n dieser Zeit vgl. die relativierenden Ü b e r l e g u n g e n von Cawlcwell, Policy 203f. Vgl. auch H. Berve, Die T y r a n n i s bei den Griechen 1, M ü n c h e n 1967, 302f. 6 Plut. Phok. 12, 1; Aisch. 3, 8 6 mit Scholion; D e m . 9, 57; D e m . 5, 5 m i t Scholion; Philoch. FGrHist 3 2 8 F 160. Es ist nicht einsichtig, w a r u m Gehrke, Stasis 65, diese Vorgänge nicht, sondern n u r die Ereignisse nach der Vertreibung des Plutarchos in seine Zusammenstellung aufnimmt. Z u r Rekonstruktion der Einzelheiten vgl. besonders Knoepfler, Argoura 300fF.; einige Alternativen sind aufgezeigt von H . - J . Gehrke, Eretria u n d sein T e r r i t o r i u m , Boreas 11, 1 9 8 8 , 15-42, hier 3 0 Anm.86. 7 Plutarch, Phok. 12, ist in diesem Punkt u n g l a u b w ü r d i g , wie die in der folgenden A n m . zitierte Literatur nachweist. 8 Vgl. C a w k w e l l , Olynthus 129f. 138; Brunt, Euboea 2 5 0 ; Carter, Athens 4 1 9 ; Knoepfler, Argoura 2 9 8 f . ; Burke, Eubulus 111 A n m . 3; Bearzot, Focione 85ff., mit m ö g l i c h e n Erklärungen für Plutarchs gegenteilige Behauptung; Tritle, Phocion 77, mit dem Versuch, die Quelle Plutarchs zu rekonstruieren. 9 Plut. hok. 12, 1; Schol. Dem. 5, 5; Schol. D e m . 19, 2 9 0 ; Schol. Aisch.3, 86. Die lange diskutierte Frage, ob von Athen aus zwei Kontingente abgeschickt w u r d e n , k a n n hier unbeachtet bleiben. Ebensowenig werden hier die umstrittenen topographischen Probleme erörtert; dazu zuletzt Tritle, Eretria. 10 Plut. Phok. 12, lf.; vgl. Aisch. 3, 86. 11 Aisch. 3, 87f.; Schol. Aisch. 3, 86; Plut. Phok. 13, 1-3. Vgl. auch Theop. FGrHist 115 F 149.

Α) D e r Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

157

dem Sieg aus Eretria vertrieb 12 . Auch Phokion verließ den Kriegsschauplatz und hinterließ auf Euböa, wo die Verhältnisse keineswegs wieder geordnet waren, eine athenische Besatzung in der Festung Zaretra unter dem K o m m a n d o des Molossos 13 . Mit dieser Expedition des Phokion nun möchte Knoepfler den in IG II 2 125 genannten Angriff auf Eretria identifizieren 14 , und in den athenischen Politikern um Eubulos und Meidias, die die Aussendung des Phokion herbeigeführt hatten 15 , sieht er die namentlich nicht genannten Angeklagten, gegen die sich das Dekret des Hegesippos gerichtet habe. Dieser Interpretation möchte ich in dem Punkt beipflichten, daß es sich bei den Angeklagten auf jeden Fall um Athener handelte. Zu Recht schließt Knoepfler Hypothesen aus, die hier Thebaner, euböische Poleis oder andere Verbündete als Angeklagte bezeichnen. Den Argumenten Knoepflers, die hier nicht wiederholt werden sollen, sei noch hinzugefügt, daß auch der Verfahrenstyp der Eisangelia, der dem Dekret höchstwahrscheinlich zu Grunde lag 16 , sich immer gegen Einzelpersonen richtete und nicht die Politik einer gesamten (hier: einer euböischen) Polis angreifen konnte; dafür wären politisch - militärische, nicht gerichtliche Maßnahmen geboten gewesen. Des weiteren legt auch die Tatsache, daß in der für die Zukunft getroffenen Strafbestimmung (Z.9ff.) ausdrücklich Athener als mögliche Angreifer Eretrias oder anderer Verbündeter 17 genannt sind (Z. l l f . ) , den Schluß nahe, daß diese Art von Selbstbezichtigung oder Schuld - Eingeständnis in einem athenischen Volksbeschluß aus einer aktuellen Situation resultierte, in welcher tatsächlich Athener die Schuldigen waren. Dasselbe ergibt sich aus der Hortativ Formel zu Anfang des Dekrets, die den Bundesgenossen Schutz auch vor Angriffen attischer Bürger von Attika aus - so die recht sichere Ergänzung der Zeilen 3 und 4 - verspricht. In Analogie zu den beiden angeführten Stellen muß aber auch die herkömmliche Ergänzung der Z. 2-3 entsprechend geändert werden. Die allgemein akzeptierte Ergänzung Wilhelms lautet: δπως αν τω]ν 12

Plut. Phok. 13- O f f e n b a r erschien es d e m Plutarchos nicht nur militärisch zu riskant, sondern auch politisch nicht wünschenswert, sich allein a u f Athen gestützt gegen die übrigen E u b ö e r zu stellen. S o ist es denkbar, d a ß er sich zu diesem Z e i t p u n k t mit seinen innenpolitischen G e g n e r n vorübergehend versöhnte und die euböische Eintracht zu vertreten versprach (daß er zu einem späteren Zeitpunkt so gehandelt habe, n i m m t Picard, Chalcis 2 4 2 an; vgl. dazu u.). D a m i t wäre dann der Satz bei Plut. Phok. 13, 4 erklärt, daß P h o k i o n den Plutarchos aus Eretria vertrieben habe. Andernfalls erklärt sich diese Aktion so, daß Plutarchos mit seinen Söldnern irgendwo im Gebiet von Eretria Q u a r t i e r bezogen hatte u n d von dort durch Phokion vertrieben wurde. Er w u r d e zu diesem Z e i t p u n k t nur aus d e m G e b i e t Eretrias, nicht aber aus E u b ö a vertrieben, denn spätere Ereignisse, vor allem die G e f a n g e n n a h m e einiger Athener, setzen seine A n w e s e n h e i t a u f E u b ö a noch voraus. D i e N a c h r i c h t Plutarchs von der Vertreibung des T y r a n n e n d u r c h P h o k i o n hält Knoepfler, Argoura 3 0 1 , ebenso wie Picard, a. a. O . , für unglaubwürdig (dazu u.).

13

Plut. Phok. 13, 7. 14, 1. Knoepfler, Decret 157f. Meidias war φ ί λ ο ς και πρόξ€Κος des Plutarchos, D e m . 2 1 , 110. D e m o s t h e n e s widersetzte sich nach eigenen Angaben (5, 5) der gesamten Expedition von A n f a n g an. Vgl. Cawkwell, O l y n t h u s 139 m . A n m . 4; dens., E u b u l u s 4 9 ; Sealey, Social W a r 7 7 .

14 15

16 17

Vgl. u. S . 1 6 5 . Z u Unrecht nennt Pistorius, H e g e m o n i e s t r e b e n 2 7 , in seiner Paraphrase der Stelle auch Athen selbst als mögliches Angriffsziel.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

σ υ μ μ ά χ ω ν μ η δ ε ί ς [ ' Α θ η ν α ί ω ν τ ο υ δ ή μ ο υ | μ η δ ' άλλος] μ η δ ε ί ς , μ ή τ ε ξ έ ν ο ς μ ή [ τ ε α σ τ ό ς , ά δ ι κ ή ι τ|ων σ υ μ ί μ ά χ ω ν μ[η]δένα, ... . Ausgehend v o m S t e i n b e f u n d , der das S i g m a von ά λ λ ο ς in Ζ . 3 nicht erlaubt 1 8 , m u ß eine F o r m u l i e r u n g g e f u n d e n werden, die berücksichtigt, daß auch an dieser Stelle lediglich die Athener u n d ihre V e r b ü n d e t e n als Personenkreis genannt sein können, a u f den sich die folgende Strafandrohung erstreckt 1 9 . Ich schlage daher vor, δ π ω ς ε κ τώ]ν σ υ μ μ ά χ ω ν μ η δ ε ί ς [των ' Α θ η ν α ί ω ν μ ή δ ' έ κ | Αθηναίωΐν μ η δ ε ί ς zu ergänzen. Diese Konstruktion wäre so zu verstehen, daß μ ή τ ε ... μ ή τ ε in Z . 3 parallel zu d e m vorausgehenden zweimaligen μ η δ ε ί ς steht und die beiden dort bereits genannten Personenkreise der S y m m a c h o i und der Athener nochmals a u f n i m m t 2 0 . Sie böte gegenüber Wilhelms Ergänzung auch den Vorteil, daß die Athener selbst direkt genannt sind und nicht erst durch μ ή τ ε ά σ τ ό ς als Spezifizierung von μ η δ ' ά λ λ ο ς μ η δ ε ί ς eingeführt würden — in einem athenischen Volksbeschluß nur schwer vorstellbar, selbst wenn Athener hier mit einer verurteilungswürdigen Handlungsweise in Z u s a m m e n h a n g gebracht werden (wie in Ζ. 11-12, wo aber die Athener auch ausdrücklich aufgeführt sind). Auch ist mir für Wilhelms οι σ ύ μ μ α χ ο ι ... ' Α θ η ν α ί ω ν τ ο υ δ ή μ ο υ keine inschriftliche Parallelstelle bekannt, während οι σ ύ μ μ α χ ο ι ... τ ω ν ' Α θ η ν α ί ω ν die übliche Formulierung in den U r k u n d e n ist 2 1 . Der Übersichtlichkeit halber sei nun noch der vollständige Text unserer Inschrift eingefügt. Stoichedon 3 9 (Z.12. 14. 15. 20 mit je 4 0 Buchstaben) [ Έ δ ο ξ ε ν τωι δ ] ή μ ω ι · ' Η γ ή σ [ ι ] τ π τ [ ο ς ' Η γ η σ ί ο υ

Σ ο υ ν ( ι ε ύ ς ) ε ί π ε ν]

18

Den Stein konnte ich im September 1985 im Epigraphischen Museum in Athen besichtigen (EM 6964). Vom hier zur Diskussion gestellten Buchstaben im achten Stoichos der dritten Zeile ist sehr deutlich der untere Teil der linken senkrechten Haste zu erkennen, genau wie in Köhlers Faksimile verzeichnet; Rangabi (vgl. o. Anm.2) hat die Haste vollständig eingezeichnet. Der rechte untere Teil des Stoichos war anscheinend nicht beschrieben, so daß die vorhandene Haste am besten zu einem Γ oder einem Π gehören könnte. Mit diesen Buchstaben ist jedoch kein Zusammenhang herstellbar. Es kommt daher vor allem ein Ν in Frage, dessen mittlere und rechte Haste auch an anderen Stellen der Inschrift nicht weit nach unten reichen und sich deshalb mit dem freien Teil des Stoichos vereinbaren lassen.

19

Vgl. IG II 279, Z . 5 : f K των συμμάχων τώ[ν 'Αθηναίων. Im vierten Jahrhundert ist δπως ohne dv noch selten, aber belegt in IG II 2 149, Z.4; IG II 2 226, Z.42; Syll. 283, Z.5. Ein eventuelles Unrecht von Athenern oder von Verbündeten hatte in ähnlicher Formulierung ein (an dieser Stelle ergänzter) Volksbeschluß aus dem fünften Jahrhundert unter Strafe gestellt: εάν 8e T i c Ά θ ί ε ν α ΐ ο ς e χσύμμαχος αδικεί περί τό]|ν φόρον, κτλ. (IG I 3 34, Ζ.31-32). Diese pleonastische Ausdrucksweise, die den griechischen Inschriften auch sonst nicht fremd ist, kann in einer auf rhetorische Effekte zielenden Zweckformel umso leichter hingenommen werden. Zur Bedeutung von 'Xenoi' als 'Verbündete' vgl. P. Gauthier, Les ξένοι dans les textes atheniens de la seconde moitie du Ve siecle av. J.-C., R E G 84, 1971, 44-79, hier 46ff. 65ff. Andernfalls könnte ξένος hier den Söldner im Gegensatz zum Bürgersoldaten meinen, vgl. auch zu dieser Bedeutung Gauthier, a. a. O. 45 und 79. Vgl. in der vorliegenden Inschrift selbst Zeile 12, sonst etwa IG Ι Γ 43, Z.8-9.

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Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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[δπως έκ τώ]ν συμμάχων μηδείς [των'Αθηναίων μηδ' έκ] [Άθηναίω?]ν μηδεις, μήτε ξένος μή[τε αστός, άδικηι τ - ] [ων συμ]μάχων μ[η]δένα, ορμώμενος [ τ η ς ' Αττικής μηδέ] 5

[των π]όλεων των σ[υ]μμαχίδων μηδ[αμόθεν, έψηφ'ισθα-] [ι τ]ώι δήμωί- περί μέν των έπιστρ[ατευσάντων έπί τ - ] [ή]ν χώραν τήν Έρετριέων, την βουλίήν προβουλεύσα - ] σαν έξενε[γ]κεΐν εις τον δημον e l k την πρώτην έκκ~] λησίαν, δπως αν [δ]ίκην δώσιν κατά [τους νόμους· έάν]

ίο

δέ τ ι ς τοϋ λοιποί) χρόνου επιστράτευση ι έπί'Epe - ] τριαν ή έ π ' άλλην τινά των συμμαχί[δων πόλεων, Άθη-] ναίων ή των συμμάχων των Άθηνα[ίων, θάνατον αύτου] κατεγνώσθαι και τά χρήματα δ[ημόσια είναι και τ - ] ής θεοΰ τό έ π ι δ έ κ α τ ο ν και εΐν[αι τ ά χρήματα αύτοΰ]

15

αγώγιμα έξ άπασων των πόλεω[ν των σ υ μ μ α χ ί δ ω ν έάν] δέ τ ι ς άφέληται πόλις, όφείλίειν τωι κοινωι τωι τ - ] ών σ υ μ μ ά χ ω ν άναγράψαι δέ τό [ψήφισμα έστήληι λι~] θίνηι και στήσαι έν άκροπ[όλει και έν τηι άγοράι] και έν τωι λιμένι. τό δέ [άργύριον δούναι ε ι ς την ά-]

20

ναγραφήν τον ταμίαν τ[ου δήμου - έπαινέσαι δέ και τ~] ους βοηθήσ[αντ]ας' Ε[ρ]ε[τριευσιν Χαλκιδέας και Κα-] ρυστίους [και Καλλίαν Χαλκιδέα τον Εϋβοέων? στρ-] [α]τηγόν [έ]παιν[έσαι δέ?

25

. . Ε

33 28

] ]

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Neuere Ergänzungen: Z . l Ende Knoepfler; Z.2-3 Anfang Dreher; Z.21-22 Knoepfler; έ[ς]' \ϊ.[ρέτριαν Köhler; Z.24 Dreher. Zu den übrigen Ergänzungen vgl. den Apparat Kirchners zu IG II 2 125. Ubersetzung: Beschluß des Volkes: Antrag des Hegesippos, des Sohnes des Hegesias, aus Sunion: Damit niemand von den Bundesgenossen der Athener und niemand von den Athenern, (also) weder Fremder noch Bürger, einem der Verbündeten Unrecht tut, indem er irgendwo von Attika oder von einer der verbündeten Poleis aus angreift, möge vom Volk beschlossen sein: Über diejenigen, die in das Gebiet von Eretria eingefallen sind, soll die Bule ein Probuleuma verfassen und in der nächsten Volksversammlung vor das Volk bringen, damit sie gemäß den Gesetzen bestraft werden. Wenn in Zukunft jemand gegen Eretria oder eine andere der verbündeten Poleis zu Felde zieht, sei er Athener oder Verbündeter der Athener, (dann) soll er zum Tode verurteilt werden, und sein Vermögen soll an den Staat fallen, ein Zehntel (davon) an die Göttin. Sein Vermögen soll in allen verbündeten Poleis konfisziert werden können; wenn eine (verbündete) Polis es einzieht, soll sie es der Gemeinschaft der Bundesgenossen schulden. Das Psephisma soll man auf eine steinerne Stele schreiben und auf der Akropolis, auf der Agora und im Hafen aufstellen; das Geld für die Aufzeichnung soll der Tamias des Demos zur Verfügung stellen. Man soll auch diejenigen Chalkidier und Karystier belobigen, die den Eretriern geholfen haben sowie Kallias aus Chalkis, den Strategen der Euböer ... Belobigen soll man auch ... Es ist also davon auszugehen, daß die im vorliegenden Dekret eines Angriffs auf Eretria Beschuldigten athenische Bürger waren. Was aber die Annahme Knoepflers betrifft, die angeklagten Athener seien in der Politikergruppe zu finden, die für die Aussendung Phokions verantwortlich war 22 , so scheint mir dies aus mehreren Gründen nicht möglich zu sein: a) Die für die Aussendung der Phokion - Expedition verantwortlichen "Anstifter" (Knoepfler), die diese Aktion durch eigene Reden oder durch andere Redner in der Volksversammlung betrieben hatten, waren für ein gerichtsförmiges Verfahren in Athen keine faßbare Kategorie. Juristisch verantwortlich waren für ein Psephisma — mindestens im vierten Jahrhundert — der Antragsteller selbst und der Abstimmungsleiter; das wissen wir nicht nur aus vielen γραφαι παρανόμων, sondern auch aus der entsprechenden inschriftlichen Sanktionsformel: έάν 8e TLC ειττηι ή έτηψηφίσηι ... παρά τόδε τό ψήφισμα 2 3 , so soll er bestraft werden. Der Anklageantrag des Hegesippos konnte sich also nicht gegen eine Gruppe von Politikern bzw. Rhetores richten. Hätte er aber den Antragsteller oder den

22

"

Auch wenn sich Knoepfler, Decret nicht ganz präzise ausdrückt, muß man ihn wohl doch in diesem Sinn verstehen, wenn er sagt: "Les veritables responsables, ceux qui avaient persuade aux Atheniens de soutenir le tyran Ploutarchos ..., ceux-lä ne furent traines en justice que plus tard (S. 159); oder: "Les instigateurs de Γ expedition de 3 4 8 " (ebd.) seien in IG II 125 angeklagt. Zitiert aus I G I I 2 4 3 , Z.51ff.

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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Abstimmungsleiter des Psephismas (oder beide) belangt, mittels dessen Phokion ausgeschickt wurde, dann gäbe es keinen Grund, warum statt der umfassenden Formulierung των έπιστρίατευσάντων die ein oder zwei Angeklagten nicht namentlich genannt wären. b) Wenn der Text der Inschrift von Leuten spricht, die gegen die Chora Eretrias gezogen sind (Z. 6f.), dann kann man rein sprachlich darunter nur die Teilnehmer an dieser militärischen Aktion selbst, nicht aber die dahinter stehenden Drahtzieher verstehen 24 . Ebenso eindeutig wird auch für die Zukunft mit Strafe bedroht, wer επιστρατ[εύσηι επί. Έρε|]τρίαν ή έττ' άλλη ν τινά των συμμαχίΐδων πόλεων (Ζ. 10-11). (Die Möglichkeit, daß Phokion und andere Teilnehmer der Expedition angeklagt waren, soll weiter unten behandelt werden.) c) Der Volksbeschluß setzt voraus, daß Eretria und weitere euböische Poleis mit Athen verbündet waren, so daß der Angriff auf Eretria als Verstoß gegen geltende Symmachieverträge gewertet werden mußte. Hätten sich nun wirklich führende Politiker wie Eubulos eines solchen Rechtsbruchs schuldig gemacht, wie anders hätte Demosthenes ihr Verhalten verurteilen können - und nicht erst ab 343, dem Jahr, in das Knoepfler den vorliegenden Prozeß datiert, sondern schon in all den dazwischenliegenden Jahren —, als er das an den wenigen Stellen tut, an denen er darauf zu sprechen kommt. Als politischen Fehler bezeichnet er die Expedition nach Euböa in der Friedensrede (5, 5) insbesondere wegen des geringen politischen Gewinns, der dabei zu erzielen gewesen sei. Und wohl weniger auf die Aktion des Phokion denn auf die Folgeereignisse, insbesondere die Lösegeldzahlungen für die gefangenen Athener an Plutarchos, bezieht sich das Wort vom πόλεμος άδοξος και δαπανηρός an derselben Stelle 25 . Kein Wort aber von Rechtsbrüchen, obwohl Demosthenes nicht nur in der Meidias - Rede, doch dort an erster Stelle, beste Gelegenheit dazu gehabt hätte, seine politischen Gegner mit dementsprechenden Vorwürfen zu überziehen. Dieses Nicht-Vorkommen in der politischen Auseinandersetzung verweist schon darauf, daß der Eretria - Angriff unserer Inschrift nicht als offizielles, von der Volksversammlung sanktioniertes Vorgehen, sondern als isolierter Willkürakt eines kleineren Personenkreises angesehen werden muß. d) Knoepfler legt seiner Interpretation die Datierung der Inschrift auf das Jahr 3 4 3 zugrunde. Zu dieser Zeit hat sich die Auseinandersetzung zwischen der Demosthenes - Gruppe, zu der auch Hegesippos gezählt werden muß, und ihren Gegnern zugespitzt; das kommt insbesondere im Gesandtschaftsprozeß zum Ausdruck, in dessen zeitliche Nähe Knoepfler unseren Text rücken möchte 2 6 . Dieses Glied in der Argumentation Knoepflers soll unten im 2. Abschnitt angefochten werden, wo für ein früheres Datum dieser Inschrift plädiert wird.

In seinem Regest der Inschrift spricht Knoepfler, Decret 154, auch von "auteurs d' une attaque armee contre le territoire d' Eretrie". 25 Vgl. u. Anm.41 und S . 1 7 9 . 20 Decret 159. 2 Cawkwell, Euboea 46, und Tritle, Phocion 88f., unterscheiden den Erfolg Phokions zu Recht von den für Athen weniger erfolgreichen nachfolgenden Ereignissen. Sonst ist in der Literatur, wohl als Folge verallgemeinerter negativer Aussagen des Demosthenes (s. u. S.179) meist von einem insgesamt mißglückten Feldzug die Rede, vgl. ζ. B. Brunt, Euboea 291; Hammond / Griffith, Macedonia 318 Anm.2. 30 Plut. Phok. 14, 1. 3 1 In der Meidias - Rede (21, 162ff.) ζ. B. hätte Demosthenes eine gute Gelegenheit dazu gehabt, aber Phokion wird dort nur in militärisch - sachlichem Zusammenhang erwähnt. Aus militärtechnischer Sicht war Phokions Vorgehen durchaus angreifbar, vgl. Gehrke, Phokion 12-14; Bearzot, Focione 88fif; dagegen Knoepfler, Argoura 301 mit Anra. 52; Tritle, Phocion 81fF. 27 28

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

163

Willen der Demosthenes-Gruppe, die Beseitigung der Tyrannis des Kleitarchos in Eretria (!) übertragen wurde 32 , bestätigt die bisherigen Darlegungen. Spricht nun, wie gezeigt, alles dagegen, den in I G I I 2 125 gerichtlich verfolgten Angriff auf Eretria mit der Expedition des Phokion zu identifizieren, und hält man dennoch an der von Knoepfler vorgezeichneten Datierung auf die Ereignisse 3 4 9 / 8 fest, dann bleibt nur die Möglichkeit, für die im folgenden argumentiert werden soll, nämlich daß die in der Inschrift erwähnten Ereignisse in die Endphase des athenischen Engagements auf Euböa gehören, als Phokion den Kriegsschauplatz bereits verlassen hatte. Die Quellen bieten für diese Ereignisse noch spärlichere Notizen als für die vorangehende Zeit, so daß an eine ins einzelne gehende Rekonstruktion nicht zu denken ist. Die nachfolgend vorgeschlagene Kombination der Quellenaussagen kommt daher nicht ohne Vermutungen aus und muß sich damit zufrieden geben, über einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht hinausgelangen zu können. Ausgangspunkt ist die Bemerkung des Scholiasten (Ulpian) zu Dem. 19, 2 9 0 : ούτος (sc. Hegesileos) e'ic Ευβοίας έπεστρατήγησεν ÖTe τω Πλουτάρχω την βοήθειαν επεμψαν 'Αθηναίοι, ώς εΐπεν (sc. Dem.) kv Φιλιτπτικοΐς (i. e. 5, 5)· εκρίθη δέ ώς συνεξαπατήσας τω Πλουτάρχω τον δήμον. Hier erscheint die Nachricht, daß der Stratege Hegesileos zur Zeit der Hilfsaktion der Athener auf Euböa tätig war, verknüpft mit seiner Verurteilung in Athen. Als Grund der Verurteilung wird angegeben, Hegesileos habe zusammen mit Plutarchos den Demos getäuscht, betrogen. Meine Vermutung geht nun dahin, daß das Vergehen, für welches Hegesileos verurteilt wurde, in eben jenem Angriff auf Eretria bestand, den IG II 2 125 voraussetzt, und daß der nämliche Volksbeschluß die Einleitung desselben Verfahrens darstellt, auf welches das Scholion Bezug nimmt 3 3 . Der problematische Terminus έ π ι σ τ ρ α τ η γ έ ω zunächst kann sowohl bedeuten, "jemandem als Stratege im Amt folgen" als auch "neben (einem) anderen Stratege sein" 3 4 . Da erstere Bedeutung gegenüber dem gewöhnlich gebrauchten στρατηγέω nur einen Sinn ergibt, wenn auch der Amtsvorgänger genannt ist, wird an unserer Stelle, an der dies nicht der Fall ist, die zweite Bedeutung angenommen werden müssen, die, absolut gebraucht, am besten als "Mit-Stratege sein", "Stratege, aber nicht der alleinige bei der zu erfüllenden Aufgabe sein" zu verstehen ist 35 . Offen bleibt dabei, ob Hegesileos neben Phokion

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Philoch. FGrHist 3 2 8 F 160; Schol. Aisch. 3, 103. Auch Knoepfler, Decret 160, stellt eine enge Verbindung zwischen diesen Quellen her, geht aber davon aus, daß es sich um zwei verschiedene, wenn auch gleichgerichtete, Prozesse handelt. Die Formulierung: "Les memes accusateurs, les memes accuses, le meme chef d' accusation au service de la meme politique" (S. 160) soll offenbar mehr Knoepflers Interpretationstendenz verdeutlichen als auf belegte Tatbestände verweisen. So Parke, Euboea 2 4 9 f . Knoepfler, 160 A n m . 4 2 , möchte, ohne auf Parkes Begriffserläuterungen einzugehen, das überlieferte έπεστρατήγησεν in e π ε σ τ ρ ά τ ε υ σ ε ν verbessern. Diese m. E . unnötige Konjektur würde der vorliegenden Interpretation jedoch keinen Abbruch tun. Parke hingegen, Euboea 249f., betrachtet Hegesileos als direkten Nachfolger Phokions. V o n ihm habe dann Molossos das Kommando übernommen. Ebenso Bearzot, Focione 92.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

oder neben Molossos sein Amt ausübte, oder auch neben diesen beiden, die jeweils das Oberkommando innehatten 3 6 . Da Parke vielleicht Recht hat mit seinem Hinweis, daß die kleine athenische Streitmacht 3 7 keine zwei Strategen benötigt habe, ist auch denkbar, daß Hegesileos für zu dem Unternehmen gehörige Schiffskontingente verantwortlich war 38 . Das Hauptproblem der Scholiastenstelle besteht jedoch darin, daß über das Vergehen des Hegesileos, das er zusammen mit Plutarchos verübt haben soll, nichts näheres ausgesagt ist. Die Forschung sucht den Anlaß zur Verurteilung des Strategen in den Ereignissen von 349/8 und vermutet, Hegesileos habe bei der Auslösung der von Plutarchos gefangengenommenen Athener unrechtmäßig gehandelt 39 . Es ist natürlich nicht unmöglich, daß, wie so oft, wenn Geld im Spiel war, auch in diesem Falle der Vorwurf der Bestechung erhoben wurde 40 , aber der Vorgang selbst, soweit wir ihn kennen, spricht nicht gerade für diese Vermutung. Denn der eigentliche Verhandlungspartner Athens in dieser Angelegenheit war, was dabei immer übersehen wird, nicht mehr Plutarchos selbst; dieser hatte die Athener zwar als Geiseln gefangengenommen, sie nach dem Zeugnis des Scholiasten zu Dem. 5, 5 aber dann seinen Söldnern übergeben, als diese ihren Lohn forderten. Falls also Hegesileos in dieser Sache für Athen tätig wurde, hatte er es mit den Söldnerführern zu tun, und es ist schwer einsehbar, wie er dabei zusammen mit Plutarchos die Athener hintergangen haben soll. Auch das Tauschgeschäft selbst bietet keinen Anhaltspunkt; das Scholion hält fest, daß die Athener die beträchtliche Summe von 50 Talenten bezahlten 4 1 und dafür die Gefangenen auslösten. Sicherlich zu Recht nimmt man an, es handle sich bei diesen um den Strategen Molossos und weitere Soldaten, die in Zaretra stationiert waren; das Grabmal des Molossos in Athen gilt daher als zusätzliches Indiz dafür, daß die Gefangenen zurückkehrten 4 2 . Gänzlich spekulativ ist die Vermutung Carters 43 , Hegesileos sei dafür verurteilt worden, daß er, als Mit - Stratege 36

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Vielleicht ist Hegesileos einfach aus diesem G r u n d bei Plutarch nicht erwähnt. Anders Parke, Euboea 250. Vgl. auch Carter, Athens 426; Tritle, Phocion 80 mit Anm.24. Die Überlegung Parkes, Euboea 249, ist auf das Heer bei Tamynai gemünzt, kann aber ebenso auf die Besatzung in Zaretra übertragen werden. Vgl. zum Einsatz von Schiffen Plut. Phok. 14, 1; D e m . 21, 164. 167. Vgl. auch Knoepfler, Argoura 290f. mit Karte S.305; S. G. Bakhuizen, Studies in the topography of Chalkis on Euboea. A discussion of the sources, Leiden 1985, 132f. Kahrstedt, Forschungen 54, denkt sogar daran, daß Hegesileos die betroffenen Athener dem Plutarchos in die Hand gespielt haben könnte. Über den Charakter des Vergehens wird aber in der Literatur nur selten reflektiert. Schaefer, Demosthenes II 85, vermutet, daß Hegesileos ebenso wie Timarchos (Aisch. 1, 113; 2, 177) Mitglied einer Kommission war, welche die Vollzähligkeit der eretrischen Söldnertruppen überprüfen sollte u n d von Plutarchos bestochen wurde. Die Quellen lassen jedoch keine Beteiligung von Söldnertruppen auf Seiten Athens erkennen, eher vermitteln sie den gegenteiligen Eindruck. O b der Prozeß gegen Timarchos sich daher auf diesen Feldzug bezieht, scheint ebenfalls fraglich zu sein. Für Bestechung plädiert auch Parke, Euboea 250. Daher die oben zitierte Charakterisierung des Demosthenes (5, 5): π ό λ ε μ ο ν άδοξον και δαπ α ν η ρ ό ς α ρ α σ θ α ι bzw. μ ε τ ά τ ο υ π ρ ο σ ο φ λ β ΐ ν α ί σ χ ύ ν η ν . Vgl. Carter, Athens 426f. (im Widerspruch dazu aber S. 428). Grab des Molossos: Paus. 1, 36, 4; vgl. ζ. B. Parke, Euboea 250. Carter, Athens 426.

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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Phokions den Truppen des Plutarchos an die Seite gestellt, dessen Desertion nicht verhindert habe. Näherliegend erscheint es deshalb, das Vergehen des Hegesileos mit dem inschriftlich überlieferten Ereignis zu identifizieren, das in derselben Zeit u n d an demselben Ort stattfand, dem Angriff auf Eretria. Ein weiteres Argument dafür bildet der Verfahrenstyp der Eisangelie 44 , der sowohl der Anklage in IG II 2 125 zugrunde liegt 4 5 als auch f ü r den vom Scholiasten berichteten Prozeß vorausgesetzt werden kann 4 6 . Dieser Prozeßtyp kam insbesondere gegen Strategen zur Anwendung 4 7 , und dieses Amt hatte Hegesileos in unserem Zeitraum inne. Den Angriff auf Eretria m u ß Hegesileos, wenn wir die beiden Quellenstellen kombinieren, gemeinsam mit Plutarchos aus Eretria geführt haben, und in dieser Konstellation läßt sich auch der historische Zusammenhang leicht herstellen. Uber Plutarchos, den Phokion nach der Schlacht bei Tamynai aus Eretria vertrieben hatte, berichten die Quellen, wie oben referiert, erst wieder, daß er am Ende des athenischen Engagements auf Euböa, also einige Zeit später - seinen Söldnern statt ihres Lohns athenische Gefangene übergeben habe. Daraus folgt, daß Plutarchos nach der Schlacht bei Tamynai zwar das Gebiet Eretrias, nicht aber Euböa, verlassen und daß er nach wie vor seine Söldnertruppe bei sich hatte. Was liegt nun unter diesen Voraussetzungen näher, als daß der von der Macht vertriebene Tyrann Eretrias versucht hätte, die Herrschaft in seiner H e i m a t zurückzuerobern? Da er von außerhalb der Grenzen kam, richtete sich sein Angriff έπΐ τ η ν χ ώ ρ α ν τ ή ν Έ ρ ε τ ρ ι έ ω ν (IG II 2 125, Z.6f.). Von einigen seiner Landsleute wird er sich Unterstützung versprochen haben, zudem half ihm der athenische Stratege Hegesileos mit einigen Gleichgesinnten. Wie erwähnt waren es Leute um Eubulos, insbesondere Meidias, die einige Zeit zuvor in Athen die militärische Unterstützung des Plutarchos durch die Phokion - T r u p p e n durchgesetzt hatten. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der Vetter des Eubulos, Hegesileos, an Plutarchos festhielt, auch wenn Phokion diesen offenbar als nicht mehr bündnisfähig betrachtet hatte. Seine Handlungsweise m u ß allerdings eine reine Privatinitiative gewesen sein 4 8 , denn sie verstieß so offensichtlich gegen ^ Darauf verweist auch Knoepfler, Decret 160 Anm. 43, der es allerdings bei einer Analogie belassen will. « Vgl. Th. Thalheim, Hermes 37, 1902, 351f.; Hansen, Eisangelia 25 und 100 N r . 99, sowie den Prozeßkommentar zu IG Ι Γ 125. Μ. H. Hansen, T h e Sovereignty of the Peoples Court in Athens in the Fourth Century B. C. and the Public Action against Unconstitutional Proposals, Odense 1974, 24 Anm. 21; ders., Eisangelia 63 Anm.39 (mit Fragezeichen). ^ Vgl. Hansen, Eisangelia 58ff. 48 Eine mehr oder weniger private Beteiligung an militärischen U n t e r n e h m u n g e n ist auch für den athenischen Strategen Chabrias in Ägypten bezeugt: Diod. 15, 92, 3; Nep. Chabr. 2-3; Plut. Ages. 37, 1-4. Auch in diesem Fall liefen jedoch die Unternehmungen des Chabrias, mindestens in ihrem Verlauf, athenischen Staatsinteressen zuwider, so daß er unter A n d r o h u n g der Todesstrafe nach Athen zurückbeordert wurde. Die A k t i o n des Hegesileos unterschied sich also a u c h von "halboffiziellen" Maßnahmen athenischer Strategen, die zwar nicht explizit vom Volk angeordnet waren, aber doch auf dessen Z u s t i m m u n g setzten; dazu gehört wohl auch, trotz der nachträglichen Bestrafung der Strategen, die athenische Hilfe bei der Befreiung der thebanischen Kadmeia 379: Xen. hell. 5, 4, 9-12. 19; Diod. 15, 25, 4 - 27, 4 (vgl. Dein. 1, 38f.; Plut. Pelop. 14); dazu zuletzt Kallet - Marx, Athens 140fF.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

bestehende Interessen Athens, daß im Prozeß gegen Hegesileos nicht einmal Eubulos zu seinen Gunsten eingriff, was Demosthenes (19, 290) diesem nachträglich entgegenhielt. Das zweifellos auch vom größten Teil der Eubulos Anhänger anerkannte Interesse Athens an einem Ende des Konflikts auf Euböa hatte zu Friedensverhandlungen mit den euböischen Poleis geführt 4 9 , die bereits vor der Aktion des Plutarchos und des Hegesileos entweder bereits zum Abschluß gekommen oder mindestens so weit gediehen sein mußten, daß Eretria in seinem aktuellen politischen Zustand als Bundesgenosse Athens betrachtet wurde (dazu u. 3.)· Denn das Hegesippos - Dekret setzt voraus, daß Eretria als verbündete Polis angegriffen wurde. Das Vergehen des Hegesileos 50 bestand in athenischen Augen also darin, einen athenischen Verbündeten geschädigt zu haben, und aus diesem G r u n d legt der Volksbeschluß so großen Wert auf die Betonung der jetzigen und zukünftigen Unversehrtheit Eretrias und aller anderen Symmachoi 51 . D a ß Hegesileos athenischer Stratege war und als Amtsträger bis zu einem gewissen Grad die athenische Politik repräsentierte, erklärt zum einen, warum die Ekklesia dieser Aktion eine so große Bedeutung beimaß, daß man gegenüber den Symmachoi eine Art von Selbstzerknirschung an den Tag legte. Diese Haltung las sich andererseits nicht als - völlig undenkbare — Selbstverurteilung der athenischen Politik, weil das Hegesileos - Unternehmen auf reiner Privatinitiative beruhte. Bei einem Erfolg der Aktion hätte sich Athen auf die neue Lage einstellen und gegebenenfalls Plutarchos als politischen Verhandlungspartner akzeptieren müssen. So aber wurde das Heer von den Eretriern und den übrigen vereinigten Euböern, die damit ganz im athenischen Sinn handelten und daher im Hegesippos - Dekret (Z. 20ff.) gelobt werden, geschlagen. Kombiniert man Knoepflers Ergänzungsvorschlag für Z.22 des Hegesippos Dekrets (sc. έ π α ι ν έ σ α ι . δέ) [και Καλλίαν Χαλκιδέα τ ο ν Εϋβοβων στρ|α]τηγόν mit der Nachricht des Aischines (3, 86f.), daß die euböischen Truppen bei Tamynai von Kallias gesammelt und angeführt wurden, so liegt darin ein weiteres Indiz für die enge Zusammengehörigkeit der bezeichneten Ereignisse. Da die Belobigung des Kallias und seiner Mitkämpfer jedoch nicht ihrer Bekämpfung des regulären athenischen Unternehmens unter Phokion bei T a m y n a i gegolten haben kann, müssen wir sie notwendigerweise auf ein Unternehmen in der Folgezeit beziehen, das die Euböer in dieser Konstellation durchführten; und hierfür kommt eigentlich nur die Abwehr des eben ange-

^ Aisch. 2,12: Gesandte Euböas in Athen. 50 Plutarchos wurde in Athen nicht gerichtlich oder außergerichtlich verfolgt, weil er erstens nicht mehr greifbar war, zweitens der athenischen Gerichtsbarkeit nicht unterstand u n d drittens keine politische Rolle mehr spielte, die ein Interesse an seiner Verfolgung begründet hätte. 51 Das wird unterstrichen durch die Bestimmung in Z. 17-20, auf athenische Kosten drei Exemplare des Beschlusses aufzustellen, und zwar auf der Akropolis, auf der Agora und im H a f e n — nach Wilhelms Ergänzung der Zeile 18: ά ν α γ ρ ά ψ α ι δ ' α ύ τ ό (bei Michel Nr.1455) n u r auf der Akropolis und im Hafen.

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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nommenen Angriffs auf Eretria durch Plutarchos, dem dieses Heer zuvor schon gegenübergestanden hatte, und Hegesileos in Betracht 52 . Plutarchos gelang es dabei oder danach wohl noch in irgendeiner Weise, die Athener aus Zaretra gefangenzunehmen, die er dann seinen Söldnern übergab, bevor er sich, ebenso wie jene, aus Euböa absetzte. Die Anklage gegen Hegesileos dürfte entsprechend dem nomos eisangeltikos auf Verrat, π ρ ο δ ο σ ί α , gelautet haben 5 3 , wie wir es aus analogen Fällen militärischen Fehlverhaltens wissen. Daß die Anklage Erfolg hatte, geht noch nicht aus ihrer Einleitung durch Hegesippos, wohl aber aus der zitierten Nachricht des Scholiasten hervor.

2. Die Datierung des Hegesippos - Dekrets ins Jahr 348 Die Anklage gegen die Angreifer Eretrias und damit der ganze Volksbeschluß IG II 2 125 kann nicht ins Jahr 343, rund fünf Jahre nach dem Ereignis, auf das sie Bezug nimmt, datiert werden. Die von Knoepfler für diesen Zeitpunkt vorgebrachten Argumente sind meines Erachtens nicht tragfähig 5 4 . Daß Hegesippos etwa in jenem Jahr auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand, kann kein Grund dafür sein, nicht näher datierte Aktivitäten in diese Zeit zu legen. Vielmehr erstreckte sich sein Auftreten in der Öffentlichkeit über den langen Zeitraum von 365 - 325 v. Chr. 5 5 , so daß die von früheren Bearbeitern angenommene Datierung seines Dekrets auf 357 ebenso in diesem Rahmen liegt wie die im folgenden vertretene auf das Jahr 348. Statt im Jahr 343 einen besonders günstigen Zeitpunkt zu sehen, erscheint es mir unter dem genannten Aspekt gerade deshalb besonders ungeeignet für die Anklageerhebung, weil in dieser Zeit die gesamte athenische Politik und gerade die Unternehmungen des Hegesippos 56 vom Gegensatz zu Makedonien geprägt und auf diesen hin ausgerichtet waren. Das athenische Unternehmen auf Euböa 349/8 war jedoch nicht durch vorheriges Eingreifen Philipps provoziert oder sonst unmittelbar gegen Makedonien gerichtet, sondern allein durch den In den J a h r e n nach 3 4 8 w a r , a b g e s e h e n davon, d a ß d i e Q u e l l e n k e i n e r l e i m i l i t ä r i s c h e U n t e r n e h m u n g der Euböer erwähnen, nicht einmal die M ö g l i c h k e i t , geschweige denn irgendein A n l a ß dazu gegeben. M a n ist sich in der Forschung inzwischen darüber einig, d a ß makedonische Truppen bzw. Söldner die Insel nicht vor dem Jahr 342 betraten (vgl. o. A n m . 8), und selbst dann, zu einem Zeitpunkt also, dem n i e m a n d diese Vorgänge zuweisen will, läßt sich die in der Inschrift gegebene Konstellation nicht belegen. ^ Vgl. dazu meinen Prozeßkommentar. Knoepfler, Decret 159f.; an seiner D a t i e r u n g zweifelt a u f g r u n d des langen Abstands zu den Ereignissen auch Ph. Gauthier, BE 1987, 2 4 6 . 55 Diog. Laert. 3, 24; vgl. W . Kroll, s. v. Hegesippos, RE Suppl. IV, 1924, Sp. 7 1 3 f ; vgl. Knoepfler selbst, Decret 157 mit A n m . 23. Vgl. seine Gesandtschaft nach Pella, D e m . 19, 331, u n d seine daran anschließende Rede "Über Halonnesos" [ D e m . ] 7, m i t der Hegesippos versuchte, A b ä n d e r u n g e n in den B e s t i m m u n g e n des Philokrates - Friedens zu erreichen. A u c h seine Mission in die Peloponnes z u s a m m e n m i t Demosthenes und Polyeuktos 3 4 2 ( D e m . 9, 7 2 ) war gegen Philipps dortiges Eingreifen gerichtet. Vgl. ζ. B. Cawkwell, Policy 123ff. 126. 52

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

innenpolitischen Konflikt in Eretria bedingt 57 . Die Verantwortlichen eines in diesem Zusammenhang verübten Unrechts gegen Eretria fünf Jahre später zur Verantwortung zu ziehen, paßt daher nicht in die inzwischen durch Philipp grundlegend veränderte politische Lage. Derselbe Einwand gilt auch gegen die von Knoepfler beanspruchte Parallele zwischen dem Hegesippos - Dekret und dem Gesandtschaftsprozeß des Jahres 343. Wurde hier mit innenpolitischen Gegnern in Bezug auf Athens Haltung gegenüber Makedonien abgerechnet, so ging es dort um die Bestrafung einer das athenische Bündnis mit Euböa gefährdenden Militäraktion, deren Teilnehmer nach 348 wohl nicht mehr in Erscheinung traten 58 . Weiter argumentiert Knoepfler, daß der Hegesileos - Prozeß, den er für die engste Parallele zur Hegesippos - Anklage hält, nur kurz vor der im Herbst 343 gehaltenen Gesandtschaftsrede des Demosthenes geführt worden sein könne, weil darin (19, 290) weder das Vergehen des Angeklagten noch eine Begründung des Eubulos für seinen niedrigen Strafantrag erwähnt sei. Auch dieser Schluß ist keineswegs zwingend, konnte doch Demosthenes zweifelsfrei davon ausgehen, daß seinem Publikum der Prozeß gegen den Vetter des berühmten Eubulos auch nach einigen Jahren noch gut im Gedächtnis war. Im übrigen wollte Demosthenes diesen Punkt, der ohnehin nur einen kleinen Seitenhieb in seiner Gesamtargumentation darstellte, schon deshalb nicht weiter vertiefen, weil Hegesileos auch seiner Meinung nach völlig zu Recht verurteilt wurde, so daß er eine Rechtfertigung von dessen Vergehen durch Eubulos von der Sache her nicht verlangen konnte. Nur völlig losgelöst vom sachlichen Zusammenhang konnte sein Vorwurf, Eubulos trete nicht einmal für seine gerichtlich verfolgten Verwandten ein, bei seinen Zuhörern verfangen und den Kontrahenten desavouieren. Umgekehrt hätte Demosthenes die Verurteilung des Hegesileos und die Einzelheiten seines Vergehens dann viel stärker in den Vordergrund rücken müssen, wenn er Eubulos selbst dafür hätte verantwortlich machen können, oder wenn er darin auch nur eine zu dessen Politik gleichgerichtete Unternehmung gesehen hätte. Daß er dies nicht tat, stützt wiederum die oben vertretene Identifizierung dieses Prozesses mit dem im Hegesippos - Dekret eingeleiteten Verfahren. Auch die im Volksbeschluß (Z.21f. nach der Ergänzung Knoepflers) ausgesprochene Belobigung wäre, nimmt man 343 als Datum an, zwar nicht für die Person des Kallias, wohl aber im Fall der kollektiv genannten Chalkidier und Karystier ungewöhnlich spät erfolgt, zumal sie sich nicht auf eine für Athen existentiell wichtige Hilfeleistung bezieht, die lange Zeit im öffentlichen Bewußtsein präsent gewesen wäre. Akzeptiert man darüber hinaus noch die hier vorgelegte Ergänzung der Zeile 24 und versteht diese zusätzliche Belobigung als

S.o. A n m . 8. Eine Bedrohung durch Makedonien, die allerdings nicht in eine militärische Aktion gemündet sei, vertritt Burke, Eubulus 111 mit Anm. 3 u n d 119f. 5 Namentlich bekannt ist ja nur Hegesileos, der schon im Jahre 362/1 als Stratege belegt ist (Xen. Poroi 3, 7; Ephoros bei Diog. Laert. 2, 54; Diod. 15, 84, 2), und von dem nach 348 nichts mehr berichtet wird. 8

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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eine Gesandtenehrung, dann kann sich der Beschluß nur auf kurze Zeit, nicht aber auf fünf Jahre zurückliegende Ereignisse beziehen. Schließlich ist Knoepfler der Ansicht, daß der Tyrann Plutarchos erst im Jahr 3 4 3 gestürzt und die Demokratie wiederhergestellt worden sei, Athen dann versucht habe, sich Eretria wieder anzunähern und die athenischen Garantien des Hegesippos - Dekrets in diesen Zusammenhang gehörten 59 . Was zunächst den Plutarchos betrifft, so wendet sich Knoepfler, wie vor ihm bereits Wallace und Picard 6 0 , gegen die traditionelle Ansicht, die politische Karriere des Tyrannen sei mit den Ereignissen von 3 4 8 beendet gewesen. Vielmehr habe er die Macht in Eretria zurückerlangen können und bis 3 4 3 ausgeübt 61 . Dieser Ansicht kann ich mich nicht anschließen. Zwar hat sich Plutarchos offenbar mit seinen Gegnern ausgesöhnt (διαλύσαμε IOC Schol. Dem. 5, 5), unter denen hier zweifellos seine euböischen Widersacher zu verstehen sind, die sich unter Kallias von Chalkis gegen ihn und Phokion militärisch zusammengeschlossen hatten 6 2 . Von daher ist es nicht ausgeschlossen, daß er wieder nach Eretria zurückkehren konnte, wenngleich es schwerfällt zu glauben, die um Kleitarchos gescharten Eretrier, deren Bedrohung der Plutarchos Herrschaft erst die athenische Hilfsaktion mit allen ihren Konsequenzen ausgelöst hatte, hätten den früher bekämpften Tyrannen nun plötzlich bereitwillig aufgenommen. Akzeptiert man die oben vertretene Ansicht, nach der Plutarchos zusammen mit Hegesileos die Macht in Eretria gewaltsam zurückerobern wollte, dann verliert die Vermutung von der friedlichen Rückkehr des Plutarchos noch mehr an Wahrscheinlichkeit. Selbst wenn man aber zugibt, daß Plutarchos sich nach 3 4 8 wieder in Eretria aufhielt, so scheint es doch ausgeschlossen, daß er dort seine frühere oder eine

5» Knoepfler, Decret 159f. Diese Meinung ist bei Wallace, Euboian League 15f., eher implizit, während Picard, Chalcis 242 mit Anm.4, folgende Stellen anführt, die, nach 348 entstanden, gegen einen noch an der Macht befindlichen Tyrannen gerichtet sein sollen, weil dieser hier mit Verachtung und Haß geschmäht werde. So vermag ich aber Dem. 5, 5 nicht zu verstehen, wo der Autor die falsche Politik seiner Gegner am Beispiel der Hilfeleistung für Plutarchos kritisiert, die den Athenern Schmach gebracht habe: μετά τοΰ προσοφλεΐν αίσχύνην και παθεΐν οΐα των όντων ανθρώπων οϋδένες πώποτε πεπόνθασίν ύπό τούτων οίς έβοήθησαν. Der Vorwurf richtet sich ganz gegen seine athenischen Widersacher, die er daher mit den nächsten Worten der κακία zeiht, von welcher sich seine politischen Ratschläge natürlich grundlegend abheben: π ά ν τ ε ς ύ μ ε ΐ ς ε γ ν ω τ ε την τε των τότε ταϋτα πεισάντων κακίαν καΐ τά β έ λ τ ι σ τ ' είρηκότ' έμε (ebd.). Dem. 21, 110 dann erscheint mir als recht beiläufige Erwähnung (TOUT! γάρ ab μικρού παρήλθε μ ' ειπείν) der Verbindung des Meidias mit Plutarchos und recht nüchterner Verweis auf dessen Urheberschaft der euböischen Unannehmlichkeiten, und 21, 132 schließlich wird Plutarchos selbst überhaupt nicht angesprochen. Soweit die von Picard herangezogenen Quellenbelege; zu Dem. 9, 57 und Philochoros F 160 s. o. Anm.l. 151 Das Datum scheint auch Wallace anzunehmen, während Picard den Sturz des Plutarchos zeitlich nicht festlegt. 6 2 Parke, Euboea 249, hält hingegen eine Aussöhnung des Plutarchos mit Athen für gegeben. Wallace, Euboian League 15, scheint die Aussöhnung auch auf Hegesileos zu beziehen, von dem er glaubt, er sei auf die Nachricht von der Gefangennahme des Molossos hin nach Euböa geschickt worden.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

ähnliche Machtstellung wiedererlangte. Seine Tyrannis war, ebenso wie später die des Kleitarchos, auf eine Söldnertruppe gegründet, u n d der Bericht des Demosthenes - Scholiasten (5, 5) über die eigenartige Entlohnung dieser Soldaten durch Ubergabe der athenischen Gefangenen deutet auf eine endgültige Auszahlung hin. Auch weil sich dieser Vorgang unmittelbar an die Aussöhnung zwischen Plutarchos und den Euböern anschloß, dürfte die Entlassung der Söldner eine Bedingung für die Z u s t i m m u n g der Euböer zu diesem Friedensschluß gewesen sein, der dem Plutarchos gegebenenfalls nichts weiter als die Garantie eines unbehelligten Abzugs verschaffte. Auf gar keinen Fall aber hätte man in Eretria die Wiederherstellung der auf Söldner gestützten Plutarchos Herrschaft geduldet, die man doch gerade erfolgreich beseitigt hatte. Wenn aber die Söldner aus Euböa noch 348 abzogen, dann ging notwendigerweise auch Plutarchos mit ihnen, denn nach Dem. 9, 57 hat er die Insel zusammen mit seinen Söldnern verlassen: έ π β ι δ ή ά τ τ α λ λ α γ ε ν τ ο ς Π λ ο υ τ ά ρ χ ο υ καΐ τ ω ν ξένων ό δ ή μ ο ς α χ β τ η ν π ό λ ι ν και τ ο ν Πορθμόν. So bekräftigt diese Argumentation die traditionelle Forschungsmeinung, nach welcher Eretria in den Jahren von 348 bis zur Aufrichtung der Tyrannis des Kleitarchos 3 4 3 demokratisch verfaßt war 63 . Das gewichtigste Argument aber gegen eine Datierung des Hegesippos Dekrets auf das Jahr 343 besteht darin, daß dieser Volksbeschluß nicht nur freundschaftliche Beziehungen Athens zu Chalkis, insbesondere zu Kallias, sowie zu Karystos und damit wohl auch zu den übrigen Euböern dokumentiert 6 4 , sondern auch einen Bündniszustand zwischen Athen und höchstwahrscheinlich ganz Euböa, mindestens aber Eretria, voraussetzt. Das ergibt sich ganz klar daraus, daß der Angriff auf Eretria als Präzedenzfall betrachtet wird, den man ausdrücklich auch deshalb verfolgt, um eventuelle zukünftige Angreifer verbündeter Poleis abzuschrecken (so das Präskript, Z. 2-5), und den man daher zum Anlaß nimmt, Strafen für eventuelle zukünftige Angriffe "auf Eretria oder eine andere der verbündeten Poleis" festzusetzen (Z. 11-17). Das ganze Dekret legt, wie bereits oben vermerkt, größten Wert auf die Erhaltung dieses Bündnisses, dem Athen in der aktuellen Situation also eine hohe Bedeutung beimißt. Von all dem kann aber im Jahr 343 nicht die Rede sein. Ein in diesen Zeitraum gehörendes Bündnis Athens mit Euböa wurde, wenn es überhaupt zu einem solchen Bündnis kam, frühestens 342 abgeschlossen 65 . Wenn Knoepfler

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D i e z u s a m m e n f a s s e n d e D a r s t e l l u n g des D e m o s t h e n e s k a n n d u r c h a u s einen längeren d e m o k r a t i s c h e n Z e i t r a u m einschließen. D i e F o r m u l i e r u n g des Philochoros ε κ ε ί ν ο υ S' έ κ π ε σ ό ν τ ο ς (sc. Plutarchos) έ τ υ ρ ά ι Ί ν η σ ε (sc. Kleitarchos) läßt das demokratische Intervall völlig beiseite und erlaubt schon aus diesem G r u n d keine genaue zeitliche Abstandsbestimmung; anders Picard, Chalcis 242 mit Anm.5. Die Karystier sowie, nach der Ergänzung Knoepflers, die Chalkidier u n d Kallias werden in IG II 125, Z . 20-23, belobigt. Die euböischen Poleis müssen ab 348 wieder ein Koinon gebildet haben, vgl. Picard, Chalcis 244f., und unten 3. Cawkwell, Policy 202 und 211-213 argumentiert für Frühjahr 342. Brunt, Euboea 255ff., verteidigt das traditionelle D a t u m 340. In seinem Aufsatz "Euboea" spezifiziert Cawkwell seine These: Die 342 aus Furcht vor Philipp gebildete euböische Liga sei nach dem raschen Abklingen der

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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meint, die Garantien des Hegesippos - Dekrets für Eretria seien im Vorfeld der Verhandlungen mit den Euböern 6 6 gegeben worden, so verkennt er sowohl das im T e x t vorausgesetzte Symmachieverhältnis als auch die Interessenlage der Verhandlungspartner: Vorleistungen Athens wären schwerlich damit in Einklang zu bringen, daß es nach Aischines die Euböer waren, welche das Bündnis suchten; die Initiative ging dabei von dem bedrängten Chalkis aus 6 7 . Im Jahr 3 4 3 hingegen war mindestens ein Teil der Euböer, Kallias aus Chalkis an der Spitze, mehr an Makedonien orientiert 6 8 , was ihnen im Herbst desselben Jahres die Beschimpfung des Demosthenes eintrug: τους καταράτους Εύβοέας (19,75)69. Die bisherigen Ausführungen haben impliziert, daß für die Verabschiedung des Hegesippos - Dekrets nur der Zeitraum in Frage kommt, der sich direkt an die oben beschriebenen Ereignisse aus der ersten Hälfte des Jahres 3 4 8 anschließt. Nur eine kurze, in den Quellen nicht genau begrenzte Zeitspanne von einigen Jahren bleibt übrig, in der Athen und Euböa noch gute Beziehungen gehabt haben können, deren Existenz eine wichtige Voraussetzung unserer Inschrift ist. Den Terminus ante quem bildet wohl bereits das Jahr 3 4 6 , als Euböa nicht mehr eindeutig zum Einflußbereich Athens gehörte und vielleicht teilweise schon mit Philipp sympathisierte 70 . Knoepfler führt gegen diese sich aufdrängende Datierung lediglich den Einwand ins Feld, die politische Gruppierung um Demosthenes sei in der Zeit vor 3 4 6 noch nicht mächtig genug gewesen, dieses Dekret durchzusetzen 7 1 . Seine Annahme, die Anklage des Hegesippos habe sich gegen die damals einflußreichsten Politiker Athens um Eubulos gerichtet, wurde bereits oben zurückgewiesen, so daß auch dieser Prozeß (gegen Hegesileos) auf eine Stufe mit anderen im Zusammenhang mit der Phokion - Unternehmung stehenden Verfahren 7 2 rückt, die Knoepfler selbst in der unmittelbaren Folgezeit des Krieges ansiedelt. Längerfristige "Regierungsperioden" einer bestimmten politischen Gruppe sind aufgrund der athenischen Verfassung sowieso fast nie mit Sicherheit auszuma-

Gefahr nicht mit Leben erfüllt worden und schnell wieder zerbrochen; erst 3 4 1 / 0 , nach dem Sturz des Kleitarchos, sei sie wirklich durchgesetzt worden. Sealey, Demosthenes 262ff., übernimmt und vertieft die Datierung Cawkwells. 6C

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Die Gesandtschaft nach Eretria, D e m . 9, 6 6 , datiert Knoepfler, Decret 159 mit A n m . 4 0 , mit Picard ebenso auf Ende 3 4 3 / Anfang 3 4 2 (die Bedenken Brunts, Euboea 2 5 9 , bleiben bestehen) wie die ersten Verhandlungen mit Kallias. Aisch. 3, 90f. D a ß Euböa im Herbst 3 4 3 ganz unter Philipps Einfluß stand, war traditionellerweise unbestritten, vgl. Cawkwell, Demosthenes, Policy 2 0 2 f . ; Brunt, Euboea 2 5 8 f . Für Eretria hat dann jedoch Cawkwell, Euboea 4 6 , wahrscheinlich gemacht, daß es bis zur Machtergreifung des Kleitarchos im athenischen Seebund geblieben sei. Karystos dürfte sogar durchgängig loyales Mitglied des Seebunds gewesen sein, vgl. u. A n m . 9 3 . Vgl. Aisch. 3, 89f.; Dem. 19, 2 0 2 . 2 1 9 . 3 2 6 . 3 3 4 . Vgl. Dem. 19, 2 2 (vgl. 3 2 6 ) ; Aisch. 2. 120. Dazu Cawkwell, Euboea 4 8 . Knoepfler, Decret 158f. Knoepfler, Decret 158f. mit A n m . 3 3 und 34. Als Quellen führt er auf: D e m . 3 9 , 16-18; D e m . 21 und Aisch. 1, 113. Bei dem Prozeß gegen Timarchos (Aisch. a. a. O . ) bleibt, nebenbei bemerkt, völlig unklar, wie sich T i m a r c h o s als Inspekteur der Söldner auf Euböa hat bestechen lassen können.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

chen, und eine einzelne Gerichtsentscheidung kann durchaus auch gegen einen "gerade führenden" Politiker ausfallen. Immerhin hat Demosthenes im Jahr 343, in das nach Knoepfler das Hegesippos - Dekret gehört, den sogenannten Gesandtschaftsprozeß gegen Aischines, wenn auch knapp, verloren, und daß seine Stellung in den Jahren 344-342 keineswegs so durchgängig dominant war wie gemeinhin a n g e n o m m e n , hat Cawkwell gezeigt 7 3 . Umgekehrt war Demosthenes in der Zeit von 348-346 vielleicht doch nicht so bedeutungslos, wie Knoepfler unter Berufung auf Cawkwell 74 annimmt. 348 bereits gewann er als Verteidiger des Philokrates die gegen diesen angestrengte Graphe paranomon 7 5 , und auch an der Anbahnung des Friedens von 346 hatte er Anteil, nicht zuletzt als Mitglied der Gesandtschaften nach Makedonien. O b Hegesippos bereits in dieser Zeit eng mit Demosthenes zusammenarbeitete, wissen wir nicht; da er selbst aber seit mindestens 365 politisch tätig war 7 6 , mochte sein eigenes Ansehen bereits 348 groß genug gewesen sein, die Verurteilung des Hegesileos durchzusetzen. Die aus seinem Eisangelieantrag sprechende Rücksichtnahme auf die Interessen der athenischen Verbündeten u n d die diesen daselbst gegebenen Schutzgarantien zeugen von einer politischen Grundhaltung gegenüber den Symmachoi, die auch Demosthenes, soweit erkennbar, zu teilen schien 77 . Dessen Ablehnung der Phokion - Expedition, deren er sich später so brüstete (5, 5), resultierte vielleicht nicht nur aus dem Vorrang, den er der Hilfe für Olynth einräumen wollte und aus einem prinzipiellen Tyrannenhaß 7 8 - obwohl er speziell für Plutarchos mit Sicherheit nichts übrig hatte - , sondern mag auch in dem Bewußtsein erfolgt sein, daß Athen die Sympathien der euböischen Verbündeten durch eine direkte militärische Intervention auf der Insel verlieren könnte 7 9 . Auch beim Abschluß des Philokrates - Friedens scheint Demosthenes die Interessen der Verbündeten stärker berücksichtigt zu haben als viele seiner Gegner, wenn seine Behauptung stimmt, er habe das Dogma des Synhedrions unterstützt, das allen athenischen Symmachoi die Möglichkeit sichern sollte, dem Friedensvertrag beizutreten 8 0 . Da die euböischen Poleis im Sommer 348 mit Athen einen Frieden schlossen, mit dem die athenische Intervention auf der Insel endgültig beendet war 8 1 , und da das Hegesippos - Dekret ganz unmittelbar mit dieser Aussöhnung zusammenhängen muß, während viele Euböer später dann 73 74

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Cawkwell, Policy 127-134. Vgl. Cawkwell, Olynthus 135 Aisch. 3,62. S. o. Anm.55. Vgl. D e m . 3, 30-35; 4, 23f.; 51, 13f.; [Dem.] 13, 6-10. Die Politik des Demosthenes gegenüber den athenischen Bundesgenossen scheint mir, insbesondere was den Seebund betrifft, noch nicht ausreichend untersucht zu sein. Beide Begründungen kehren in der Literatur immer wieder. Immerhin haben sich paneuböische Bestrebungen nicht erst 348 manifestiert, sondern stehen in einer längeren Tradition, vgl. Wallace, Euboian League; Picard, Chalcis; Cawkwell, Euboea 4 2 f f , u n d ausgeschlossen ist es nicht, daß Demosthenes bereits Anfang der vierziger Jahre persönliche Beziehungen zu Kallias aus Chalkis unterhielt. D e m . 19, 144. Vgl. Schaefer, Demosthenes II 229; Accame, Lega 202ff. Aisch. 2, 12; 3, 88.

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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mehr zu Philipp neigten, möchte ich dafür plädieren, den Volksbeschluß IG II 2 125 noch in das Jahr 348 zu setzen 82 . Er gehört in die unmittelbare Nähe des Friedensschlusses, der noch vor dem Olympischen Frieden, also etwa im Juli / August, zustandekam. Wie sich die Bestimmungen des Hegesippos - Dekrets in die Beziehungen Athens zu seinen Verbündeten einfügen, und welche weitergehenden Schlüsse sich aus dieser Einordnung auch für den Zustand des Zweiten Athenischen Seebunds ergeben, soll nun abschließend untersucht werden.

3. Die Seebundsmitgliedschaft der Euböer Die euböischen Poleis gehörten zu den ersten Mitgliedern des Zweiten Athenischen Seebunds 8 3 , lehnten sich aber nach der Schlacht bei Leuktra an Theben an, so daß sie faktisch nicht mehr in der Allianz waren, bis sie sich im Jahr 357, nach kriegerischen Auseinandersetzungen, wieder mit Athen v e r b ü n d e t e n 8 4 . O b w o h l Athen mit den euböischen Poleis auch zu diesem Zeitpunkt Einzelverträge abschloß, scheint es nicht ausgeschlossen, daß die Euböer in der Folgezeit ihr Koinon in irgendeiner Form aufrechterhielten oder w i e d e r b e l e b t e n 8 5 . Die Existenz des euböischen Zusammenschlusses auch unmittelbar nach der athenischen Expedition von 348 wurde aufgrund der Aischines - Stelle 3, 89 in den jüngsten Forschungen inzwischen erkannt 8 6 . In welchem Verhältnis aber stand Euböa in dieser Zeit zu Athen und seinem Bündnissystem? Bis zum athenischen Eingreifen auf der Insel im Jahr 348 hören wir nichts von etwaigen Störungen in den Beziehungen Athens zu seinen euböischen

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Zustimmend Sealey, Demosthenes 118 mit Anm.70. IG I I 2 44 (Vertrag Athen - Chalkis); IG II 2 43, Z. 80 (Chalkis). Z . 81 (Eretria). Z. 83 (Karystos). Histiaia folgte einige Zeit später, IG I I 2 4 3 Β, Z.18. Vgl. Diod. 15, 30, 1. Diod. 16, 7, 2; Aisch. 3, 85. Vgl. Accame, Lega 181. N u r für Karystos ist der Abschluß des Symmachievertrags inschriftlich belegt (IG II 124 = StV II 304), w e n n nicht auch der völlig fragmentarische Vertrag mit Chalkis (IG i r 147) in diesen Z u s a m m e n h a n g gehört, so Bengtson, StV II S.275; Picard, Chalcis 239. Zwar werden in dem Volksbeschluß IG I I 2 124, Z.16, Gesandte nach Eretria, Chalkis u n d Histiaia erwähnt, was man zu Recht als Hinweis auf ähnliche Verträge mit diesen Poleis verstehen darf, aber das D o k u m e n t selbst gilt nicht, wie in der Literatur a n g e n o m m e n (vgl. z.B. Accame, Lega 123 A n m . 2), für alle E u b ö e r gleichermaßen. E. Ruschenbusch, Isaios 7, 38, Demosthenes' erste freiwillige Trierarchie. Die Datierung des Euböa Unternehmens vom Jahre 357 v. Chr., Tyche 6, 1991, 179-182, datiert den Euböa-Feldzug auf das Ende des Jahres 358/7. Das ist die Vermutung Picards, Chalcis 239, unter Berufung auf D e m . 22, 72 bzw. 24, 180 und IG II 149. Den inschriftlichen Beleg würde ich nicht akzeptieren, s.u. S.194f. Wallace, Euboian League 10. 18 mit Anm.31, n i m m t für die Zeit von ca. 395 bis 341/0 ein "Schattendasein" der euböischen Liga an. Vgl. auch Cawkwell, Policy 211 Anm.7, der ein euböisches Koinon in dieser Zeit ablehnt. Die ausdrückliche Feststellung dieses Sachverhalts ist das Verdienst von Picard, Chalcis 244; aber schon Cawkwell, Policy 211, scheint die Aischines - Stelle in ähnlichem Sinn aufzufassen.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Verbündeten 87 . Erst die athenische Unterstützung für Plutarchos brachte die Euböer, die sich um Kallias aus Chalkis sammelten, in Opposition und in eine direkte Konfrontation mit der Vormacht des Bundes. Offenbar sah man in der Expedition Athens — abgesehen von vielleicht schon vorher vorhandenen Sympathien für die Gegner des Plutarchos in Eretria — einen schwerwiegenden Eingriff in innere Angelegenheiten nicht nur Eretrias, sondern Euböas insgesamt 88 . Daß das paneuböische Programm des Kallias, das Kahrstedt in dem Slogan "Euboia für die Euboier" zusammengefaßt hat 89 , bereits zu diesem Zeitpunkt Verbreitung gefunden hatte, wird daran deutlich, daß das Heer bei Tamynai aus ganz Euböa zusammenkam (Aisch. 3, 87). Aus athenischer Sicht vergingen sich die Euböer mit ihrer militärischen Frontstellung gegen Athen an den Grundsätzen des Bündnisses, denn statt der erwarteten Unterstützung, so berichtet Plutarch (Phok. 12), habe Phokion auf Euböa lauter Verräter vorgefunden. Und Aischines formuliert (3, 88f.), trotz seiner Handlungsweise habe Kallias von Athen Verzeihung erlangt 90 . Aus all dem wird klar, daß sich die an den Ereignissen von 348 Beteiligten bis dahin noch als Bündnispartner verstanden91, mit diesen Ereignissen das Bündnis aber als faktisch außer Kraft gesetzt betrachteten 92 . Wenn dann im Sommer 348 Friede geschlossen wurde (s.o.) und unsere Quelle dabei von Aussöhnung und Verzeihung spricht (Aisch. 3, 88f.), dann liegt es eigentlich schon aus diesem Grunde nahe, eine Wiederherstellung des früheren Bündniszustandes zwischen Athen und den euböischen Poleis anzunehmen. Die moderne Forschung hingegen hat das bislang anders gesehen. Meist ausgehend von der Tatsache, daß Euböa einige Jahre später, vielleicht ab 3 4 6 , mehr oder weniger zum Einflußbereich Philipps gehörte, hat man eine pro-makedonische Wende, zum Teil als direkte Folge der athenischen Intervention auf der Insel, bereits mit dem Friedensschluß von 3 4 8 oder kurz danach postuliert 9 3 . Soweit dabei 87

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Für Chalkis ist eine freundschaftliche Haltung gegen Athen vor Beginn des Krieges bezeugt, vgl. Knoepfler, Argoura 299 mit Anm.43. Die Euböer konnten sich dabei auf den Königsfrieden von 386 und auf das Grundsatzdekret des Zweiten Athenischen Seebunds von 378/7, IG II 43, Z.9-31, berufen. Im ersten Beitrittsvertrag mit Chalkis (IG Ι Γ 44, Z.21 ff.) wurden einige Garantien ausdrücklich bestätigt. Antiathenische Reaktionen sehen auch Sealey, City states 452ff.; Burke, Eubulus 111; Tritle, Eretria 162. Kahrstedt, Forschungen 75 Die Darstellung des Aischines hält Brunt, Euboea 253, für unglaubwürdig, kann dafür aber keinen Grund anführen. Zur Problematik der Stelle s. auch Cawkwell, Euboea 49. Vgl. auch Dem. 21, 133: και συμβάλουμε νους τοΐς συμμάχοίξ. Die Stelle ist mit D. M. MacDowell (Hg.), Demosthenes against Meidias, Oxford 1990, als unverdächtig zu betrachten. Vgl. zur Rede jetzt auch Ε. M. Harris, Demosthenes' speech against Meidias, HSCPh 92, 1989, 137-156. Verschiedentlich ist in der Literatur von einem neuerlichen Abfall der euböischen Städte die Rede, ζ. B. Brunt, Euboea 248. Vgl. Schaefer, Demosthenes II 85; Accame, Lega 199: 'L' Eubea sarä perduta per sempre alia lega marittima"; Cawkwell, Policy 213 (aber s.u.); Brunt, Euboea 249ff. 253; Brun, Eisphora 132f. Verschiedentlich wird unter Verweis auf [Dem]. 7, 38 eingeräumt, daß Karystos loyal zu Athen geblieben sei: Parke, Euboea 252; Cloche, Pol. etr. 215: "Finalment, toutes les cites eubeennes, ä Γ exception de Carystos, echapperent ä Γ influence d' Athenes ... et Γ Eubee quittait la ligue navale."; Accame, Lega 199; Wallace, Euboian League 17; vgl. u. S.249. Cawkwell hat in seinem Aufsatz

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

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noch die Annahme eine Rolle spielt, hinter den euböischen Ereignissen von 349/48 habe Philipp von Makedonien gestanden 94 , muß diese inzwischen als widerlegt gelten: Philipp übte zu dieser Zeit noch keinen Einfluß auf Euböa aus 95 . Die Tatsache aber, die darüber hinaus und weiterhin ins Feld geführt wird, daß nämlich die euböischen Gesandten auch Philipps Wunsch nach Friedensverhandlungen nach Athen überbrachten (Aisch. 2, 12), impliziert keineswegs die Zugehörigkeit Euböas zu Philipps Einflußbereich 9 6 . Dabei braucht man nicht zu bezweifeln, daß Philipp versucht hat, sich auf Euböa Freunde zu schaffen. Ebenso wie er schon Ende der fünfziger Jahre Briefe auf die Insel sandte 97 , so wird er sich auch jetzt in dieser Weise dorthin gewandt haben 9 8 ; auf der Basis der ernsthaften Absicht, in Friedensverhandlungen mit Athen zu treten, fiel seine Wahl der Mittelsmänner vielleicht gerade deshalb auf die Euböer, weil er deren Verhandlungsposition in Athen damit stärken zu können glaubte. Eine gewisse Distanzierung Euböas von Athen, sein Pochen auf Eigenständigkeit durch Hinweise auf makedonische Interessen im Hintergrund, das war wohl das Maximum, das sich Philipp in diesem Moment erhoffen konnte 9 9 . Vorrangig ging es ihm aber, wie die Folgezeit beweist, um Friedensverhandlungen mit Athen, und zu diesem Zweck dürfte er auf die Erfahrungsregel zurückgegriffen haben, daß man bei seinem Feind am ehesten etwas durch dessen, nicht durch seine eigenen Freunde erreicht. Auch Philipp scheint demgemäß die Euböer als (Wieder- oder Noch-)Verbündete Athens angesehen zu haben. Hätte er selbst sie als Bündnispartner gewonnen gehabt und wäre ihrer Unterstützung sicher gewesen, so hätte er, gerade im Hinblick auf die Kämpfe in Olynth, eigentlich alles tun müssen, um ihren Konflikt mit Athen zu schüren und athenische Kräfte auf Euböa zu binden. Wenn er stattdessen die euböischen Friedensverhandlungen durch eigene Wünsche in dieser Richtung bestärkte und ergänzte, dann zeigt das wiederum nur, daß Philipp keinen maßgeblichen Einfluß auf Euböa hatte. "Euboea" die Meinung vertreten, daß Eretria nach 3 4 8 Mitglied des Seebunds geblieben sei (S.46) und hat als einziger auch für die ganze Insel bewiesen, daß "in 3 4 6 Euboea was by no means on Philip's side, or indeed thought o f as being so" (S.47). Eine einheitlich pro-athenische Haltung Euböas nach 3 4 8 hat Cawkwell jedoch nicht erschlossen. 54

" 96

97 58

"

Etwa Accame, Lega 199; Hammond / Griffith, Macedonia 3 1 8 Anm.2. S. o. Anm.8. Dieses Argument Brunts, Euboea 2 5 0 , das bereits Kahrstedt, Forschungen 6 3 , vorgebracht hatte, scheint auch Cawkwell, Euboea 4 7 , nicht widerlegbar zu sein. Dem. 4 , 3 7 ; vgl. zuletzt Cawkwell, Euboea 5 0 A n m . 2 0 . Auch diese Kontakte lassen es zusätzlich zu den Argumenten Brunts, Euboea 249f., als durchaus möglich erscheinen, daß Kallias gegen Phokion Philipps Hilfe erbeten hatte, ohne sie jedoch zu erhalten. Die weitgehend akzeptierte (contra jedoch H a m m o n d / Griffith, Macedonia 3 1 8 A n m . 2 ) Konjektur von Aisch. 3, 8 7 παρά Φαλαίκου statt παρά Φιλίππου ist von daher gesehen vielleicht doch unnötig. Cawkwells Argument (Euboea 5 0 A n m . 2 0 ) , makedonische Truppen hätten nicht Seite an Seite mit Phokern kämpfen können, ist aus zwei Gründen nicht zwingend: Erstens hat Kallias bzw. Taurosthenes die Phoker möglicherweise erst dann angeheuert, als das Hilfegesuch von Philipp abgelehnt war, und zweitens hätte Philipp im anderen Fall auch solche Söldnertruppen schicken können, gegen die die Phoker keine Aversionen gehabt hätten. O b diese Karte von den Euböern auch ausgespielt wurde, wissen wir nicht. Nach Aisch. 2, 12 sieht es so aus, als hätten die Gesandten Philipps Botschaft erst nach Abschluß der Friedensverhandlungen übermittelt.

176

5- Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Daß Euböa sich vielmehr zunächst wieder an Athen anschloß und daß der Friedensschluß von 348 die Wiedereingliederung der Insel in den athenischen Seebund bedeutete 1 0 0 , legt neben den literarischen Hinweisen vor allem der athenische Volksbeschluß über die Angreifer Eretrias nahe, wie er hier verstanden wird. Lehnt man dessen Datierung auf 3 5 7 ab, dann bleibt 348 der einzig mögliche Zeitpunkt, an dem eine Symmachie zwischen Athen und den euböischen Poleis durch einen athenischen Angriff auf Eretria gestört worden sein konnte. Daß IG II 2 125 diese Symmachie voraussetzt 101 , kann zusätzlich zu den oben vorgebrachten Gründen noch an der Formulierung in Z. 6f., περί μέν των έπιστρίατβυσάντων έπί τή]ν χώραν τ η ν ' Ερετριέων, erkannt werden (vgl. entsprechend auf die Zukunft gerichtet Z. 10f.). Denn eben dieser Wortlaut bezeichnet in den Eidesformeln verschiedener athenischer Symmachieverträge den casus belli, der den jeweils anderen Bündnispartner zu militärischer Hilfeleistung verpflichtete 102 . Auf die Bedeutung, die Athen in diesem Volksbeschluß der Erhaltung der Symmachie beimaß, ist ebenfalls schon eingegangen worden. Die Existenz einer Symmachie setzt bereits der athenische Volksbeschluß IG II 2 149 voraus; wenn dieser, wie weiter unten vorgeschlagen, unmittelbar vor das Hegesippos - Dekret datiert werden kann, wäre das ein weiterer Beleg für das Bestehen des Bündnisses. O b nun im Sommer 3 4 8 ebenso wie 3 5 7 neue Symmachieverträge abgeschlossen und beeidet wurden, oder ob sich Athen mit den Euböern darauf einigte, die Verträge von 357 als weiterhin in Kraft befindlich anzuerkennen, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Existenz des euböischen Koinon ab etwa diesem Zeitpunkt macht es jedoch wahrscheinlich, daß die Euböer von Athen die vertragliche Anerkennung dieser Institution verlangten 103 . Athen hingegen hatte traditionellerweise die Einzelstaatlichkeit der verbündeten Poleis, nicht nur der euböischen, gefördert bzw. durchgesetzt 1 0 4 . Ein idealer Kompromiß wäre

Cawkwell, Euboea 46 bzw. 48, hat die Seebundsmitgliedschaft nach 348 für Eretria und, ftir eine kürzere Dauer, auch für Oreos angenommen. Sonst ging man bisher von der Unabhängigkeit Euböas in der Zeit von 348 bis 341 aus und veranschlagte einen mehr oder weniger starken Einfluß Makedoniens. 1 0 1 Auch nach Picard, Chalcis 238, stand beim Beschluß des Hegesippos - Dekrets eine Symmachie kurz vor dem Abschluß oder war gerade abgeschlossen worden. Picard bezieht den Text allerdings auf das Jahr 357. 102 Angriff auf die Chora ζ. Β. IG II 2 97, Z.7. 29f.; IG II 2 105 und 523 (= StV II 280), Z.13. 25; vgl auch IG II 43, Z.29f. 3 8 f . ' Επιστρατίύίίΐ^ kommt ebenfalls oft in diesem Zusammenhang vor, ζ. B. IG II 2 98, Z.5f. 1 0 3 Aus der Formulierung des Aischines (2, 12) πρέσβεις οί τωι^ Εύβοεων schließt Wallace, Euboian League 16, auf eine gemeinsame Gesandtschaft der euböischen Poleis, was ein weiteres Indiz für das euböische Koinon wäre. Die Ausdrucksweise des Redners darf aber sicher nicht staatsrechtlich gepreßt werden. 104 Vgl z u Euböa etwa Cawkwell^ Policy 211 Anm.7; zur entsprechenden athenischen Politik gegenüber Keos Dreher, Zu IG II 404; zur Vereinzelung der Poleis als Herrschaftsmittel Athens im fünften Jahrhundert Schuller, Herrschaft 58ff. 100

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

177

es in dieser Lage gewesen, wenn Athen einen Vertrag mit dem euböischen Koinon über die Fortgültigkeit der früheren EinzekeTtrige abgeschlossen hätte 1 0 5 . Andeutungen in diese Richtung finden sich in einem anderen athenischen Volksbeschluß über Euböa (IG II 2 149), der aber, wie im folgenden gezeigt wird, nicht selbst als ein Vertrag angesehen werden kann, sondern einen solchen (oder mehrere) seinerseits voraussetzt. Eine fragmentarische Formulierung daraus könnte sich sogar direkt auf die angegriffenen Eretrier beziehen 1 0 6 , von denen bisher die Rede war; auch seine Zweckformel (Z. 4-6: δπως μηδεις άδικηταΐι κα|ί φυλάττηται ή φιλ]ια και ή συμμαχία τωι. δήμ[ωι | τωι'Αθηναίων και τ]οΐς Εύβοί^υσιν) zielt in dieselbe Richtung wie das Hegesippos - Dekret. Wahrscheinlich ging es diesem auch chronologisch unmittelbar voraus 107 . Trotz der wahrscheinlich erfolgten Anerkennung des euböischen Koinon und trotz des gewissen Entgegenkommens, das Athen im Hegesippos - Dekret an den Tag legte, ist gerade dort nicht die Rede von einem Gesamt - Euböa, sondern nur von den Poleis Eretria, Chalkis (nach der Ergänzung Knoepflers) und Karystos. Dies erklärt sich zum einen aus dem speziellen Vorfall, bei dem nur das Gebiet von Eretria angegriffen wurde, die anderen Poleis 1 0 8 zu Hilfe kamen und dafür von Athen belobigt wurden, zum anderen aus dem genannten Interesse Athens, den euböischen Zusammenschluß möglichst nicht zu fördern. Vielleicht aber führte Kallias das euböische Synhedrion auch erst nach dem Dekret über Eretria zusammen 1 0 9 . Jedenfalls impliziert die Darstellung des Aischines, daß dieses in Chalkis angesiedelte Synhedrion von Kallias als eine für Athen und den Seebund nützliche Einrichtung ausgegeben und in Athen vielleicht auch so gesehen wurde, denn der Redner stellt diesem Schein die angeblich wahre Absicht des Kallias gegenüber, nämlich Euböa gegen Athen stark zu machen 1 1 0 .

105

Die Wiederbelebung eines früheren Mitgliedsvertrags ist das Mytilene - Dekret aus dem Jahr 3 4 6 , nachdem die lesbische Polis aufgrund innerer Wirren für einige Zeit aus dem S e e b u n d ausgeschieden war, vgl. ζ. Β. H . Pistorius, Lesbos 53ff.; Gehrke, Stasis 122; Brun, Mytilene 3 8 I f f . In dem athenischen Beschluß (IG II 2 1 3 , Z . 9 - 1 3 ) heißt es: τ η ν μέ[ν φιλία]|ν και τ η ν σ υ μ μ α χ ί α ν [ΰΐπάρχειν [τωι δήμίωί τωι. Μ υ τ ι λ η ν α ί ω ν [πΐρός [τ]όν δ[ημοι> τό]|ν

'Αθηναίων, η[ν) δι,εθίντο προς ά[λλήλας] | αϊ 106 Vgl. Zeile 2: τους άδικουμίενους.

πόλεις.

Dazu vgl. u. Β) 3. IG II 149 könnte daher sogar auf derselben Stele mit dem Hegesippos - Dekret gemeinsam publiziert worden sein. Schon Knoepfler, Decret 153, hat daraufhingewiesen, daß dessen ungewöhnliches Präskript ja einen vorausgehenden Beschluß vorauszusetzen scheint. 108 Über eine eventuelle Beteiligung von Hestiaia am Koinon läßt sich keine Aussage treffen. 109 Der Aischines - Text (3, 88f.) ist nicht ganz klar. Zwischen der Verzeihung für Kallias und der Gründung des Synhedrions soll eine kurze Zeit vergangen sein. Es bleibt dabei aber zu fragen, ob der Akt der Verzeihung als der Friedensschluß im technischen Sinn zu verstehen ist. 110 Aisch. 3, 89: Εύβοικόν μεν τω λόγω συνέδριον ε ι ς Χαλκίδα συνάγων, ίσχυράν δε τ η ν Ευβοιαν έ φ ' υμάς εργω κατασκευά£ων. M a n hat dabei zu beachten, daß diese Behauptung des Aischines nachträglich aufgestellt wurde, als Kallias schon mehrere politische Kehrtwendungen vollzogen hatte. 107

178

5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Sowohl von daher als auch aufgrund der Unterschiede zur Situation im Jahr 34I/O 1 1 1 kann das euböische Synhedrion des Jahres 348 nur als zusätzliches Organ zum Gesamt - Synhedrion des Seebunds in Athen angesehen werden. W e n n Aischines (3, 91) es für Ende der vierziger Jahre als Neuerung darstellt, daß die Euböer nicht mehr im athenischen Synhedrion vertreten waren und keine Syntaxeis mehr an Athen abzuführen brauchten, dann war 348 beides noch gegeben 112 , und die euböischen Poleis waren normale Mitglieder des Seebundes, die sich zudem noch in einem eigenen Synhedrion vereinigten. Eine Hinwendung zu Makedonien kann nicht vor 346 erfolgt sein und war zu dem Zeitpunkt noch nicht vollzogen, wie Cawkwell überzeugend gezeigt hat 1 1 3 ; aber dabei scheint Euböa nicht geschlossen gehandelt zu haben. Eretria hielt vielleicht am Bündnis mit Athen fest 114 , während Kallias unentwegt zwischen den größeren Mächten hin- und herlavierte 115 . Die Geschlossenheit des euböischen Koinon war damit zunächst beendet; sie ließ sich offenbar nur in Anlehnung an Athen durchsetzen: 348 noch innerhalb des Seebunds, 341/0 dann in einer von Athen akzeptierten Sonderstellung Euböas. Was die Ereignisse von 348 für die Struktur und die Machtverhältnisse innerhalb des Seebunds zeigen, ist, daß Athen in dieser Phase um Rücksichtnahme auf die Interessen der Verbündeten, insbesondere was deren Eigenständigkeit betrifft, bemüht war. Die territoriale Integrität der Symmachoi wird hochgehalten und die Existenz eines euböischen Koinon geduldet. Zwar hatten auch gewisse militärische Erfolge der Euböer zu dieser Haltung Athens beigetragen, aber andererseits hatte Athen seine militärischen Möglichkeiten keineswegs ausgeschöpft 1 1 6 . W e n n auch die Verhandlungsposition der Euböer insgesamt günstiger geworden war, so mußten sie doch im Seebund verbleiben, was angesichts ihrer ungestörten Mitgliedschaft in der Zeit davor allerdings kein großes Opfer gewesen sein wird.

4. Die Unternehmungen von 349/8: Ergebnis und Einordnung Im vorstehenden wurde argumentiert, daß der im Hegesippos - Dekret vorausgesetzte und verurteilte Angriff auf Eretria zwar ins Jahr 349/8 zu setzen ist, aber nicht mit dem offiziellen Euböa - Feldzug desselben Jahres unter Phokion gleichgesetzt werden darf, sondern erst im Anschluß daran erfolgte. Der Angriff war eine private, athenischen Interessen zuwiderlaufende Aktion von Freunden des Plutarchos, der damit wieder an die Macht gebracht werden sollte, nachdem

111

Bzw. 343/2 nach Cawkwell, s. o. Anm.65. Anders Brunt, Euboea 253f. " 3 Vgl. Cawkwell, Euboea 46ff. 114 Vgl. Cawkwell, Euboea 46, der allerdings die Existenz des Koinon nach 348 nicht erkannt hat. Anders noch Wallace, Euboian League 18 mit Anm.40. " 5 Aisch. 3, 89ff. 116 Das Ausrücken π ά ν δ η μ ε L war bereits beschlossene Sache und wurde nur durch die Nachricht vom Sieg des bedrängten Phokion bei Tamynai hinfällig: Dem. 39, 16; 21, 161; 59, 4. Vgl. etwa Schaefer, Demosthenes II 82; Gehrke, Phokion 9; Cawkwell, Olynthus 128f. 112

Α) Der Angriff auf Eretria und seine Bewältigung

179

er von Phokion aus Eretria vertrieben worden war. Die Angreifer müssen als eine Gruppe von Athenern um den Strategen Hegesileos angesehen werden, für deren Handlungsweise die athenische Volksversammlung eine strenge Bestrafung einleitete, nicht zuletzt um zu dokumentieren, daß Athen die territoriale Integrität seiner Bundesgenossen u n b e d i n g t achten wollte; das w u r d e m i t einer entsprechenden Garantie für alle Bundesgenossen noch unterstrichen. Das Dekret selbst muß auf den Sommerbeginn des Jahres 348 datiert werden. Das offizielle athenische Eingreifen unter Phokion und wohl auch die unglückliche Aktion des Hegesileos brachten die euböischen Poleis in Opposition zu Athen, die aber mit dem Friedensschluß im Sommer 348 beigelegt werden konnte. Diese Aussöhnung bedeutete die Wiedereingliederung der Euböer in den athenischen Seebund, wobei höchstwahrscheinlich ein eigenes euböisches Synhedrion, das innerhalb des Seebundes existierte, von Athen und den anderen Verbündeten akzeptiert wurde. Angesichts dieser Ergebnisse m u ß auch die Beurteilung des athenischen Euböa - Feldzuges von 349/8 revidiert bzw. differenziert werden. Er war keineswegs ein vollständiges Debakel 1 1 7 . Davon kann man nur insofern sprechen, als die Zahlung von 50 Talenten zur Auslösung der Geiseln an den inzwischen zum Feind gewordenen Plutarchos sowohl eine große Schmach als auch eine harte finanzielle Belastung für Athen bedeutete 1 1 8 . Darauf vor allem ist das vernichtende Demosthenes - Urteil vom π ό λ ε μ ο ς άδοξος και δ α π α ν η ρ ό ς (5, 5) zu beziehen, das dem Redner umso leichter fiel, als er selbst von vornherein gegen den ganzen Feldzug agitiert hatte 1 1 9 . Das hätte er wohl kaum getan, wenn die Gegner des Tyrannen die Loslösung Eretrias vom athenischen Seebund auf ihre Fahnen geschrieben hätten. Daher hätte Athen seinen Einfluß auf der Insel vielleicht einfacher bewahren können, wenn es überhaupt nicht eingegriffen und den Plutarchos gleich fallengelassen hätte. Immerhin aber hatte der Feldzug paradoxerweise letztlich dasselbe Ergebnis, daß nämlich Plutarchos, zu dessen Unterstützung man ausgezogen war, am Ende als Feind betrachtet wurde. Das lag vielleicht nicht ausschließlich daran, daß der Tyrann Eretrias sich durch sein militärisches Verhalten selbst diskreditierte, worauf die Quellen in ihrem Interesse an den militärischen Taten Phokions besonders abheben. Es mag vielmehr auch daher rühren, daß Phokion und andere athenische Führer erkannten, daß Plutarchos in Eretria keine ausreichende Basis für eine Weiterführung seiner Herrschaft mehr hatte. Das ist natürlich eine Vermutung und nicht direkt belegbar. Wenn aber, was sicher scheint, Athen trotz einiger Kompromisse und neuer Bedingungen den Verbleib der Euböer im Seebund sichern konnte, dann war der Feldzug, der dieses Ergebnis mit sich brachte, in dieser Hinsicht höchstens überflüssig, sicher nicht erfolglos und auf keinen Fall ein Debakel.

117 118 119

So nach vielen anderen selbst Tritle, Phocion 89; vgl. o. bei A n m . 2 9 . Athen hatte offenbar sogar Schwierigkeiten bei der Richterbezahlung: Dem. 39, 17. Vgl. o. S.164 zur zitierten Stelle; D e m . 21, 110. 2 6 0 mit Scholia zur Opposition des Redners.

180

5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Letztendlich zeigen die hier behandelten Ereignisse auch, daß die Bedeutung des Seebunds für die athenische Politik in der Zeit nach dem Bundesgenossenkrieg viel höher zu veranschlagen ist als man es im allgemeinen annimmt 1 2 0 . Rücksichtnahme auf die Symmachoi 121 ist bei der Beurteilung der athenischen Entscheidungen dieser Zeit ebenso in Rechnung zu stellen wie Rückwirkungen, die sich aus dem Konflikt mit Makedonien für das Verhältnis Athens zu den Verbündeten ergaben. Athen hat sich 349/8 mit militärischen und diplomatischen Mitteln bemüht, Euböa weiterhin an sich zu binden. Es ging ihm dabei nicht einfach um die Existenz freundschaftlicher Beziehungen, sondern es legte Wert darauf, daß die Euböer in die Allianz eingebunden blieben. Dabei gelang es Athen, diesen Zustand vertraglich festzuschreiben. Daß sich die Situation innerhalb von kurzer Zeit verändern sollte, war keine Folge der Ereignisse von 349/8 mehr, sondern hing ab vom verstärkten Ausgreifen der makedonischen Großmacht, das auch den Euböern neue politische Handlungsmöglichkeiten bot.

B) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG II2 149) Die Beziehungen zwischen Athen und Euböa nach dem Bundesgenossenkrieg ließen sich genauer beschreiben, wenn wir einen athenischen Volksbeschluß besser verstehen könnten, der auf jeden Fall in den Zeitraum von 357 bis 340 gehört und sich mit euböischen Angelegenheiten beschäftigt. Leider ist der erste Teil der Inschrift, der die eigentlichen Bestimmungen enthielt, fast völlig zerstört. Erhalten ist der sich daran anschließende Proxeniebeschluß für zwei, drei oder vier Euböer (Z.6-11), die Belobigung athenischer und verbündeter Gesandter und eine Geldanweisung für ihre Reisekosten (Z. 11-17), Publikationsbestimmungen (Z. 17-23) und, als eine Art Anhang, eine schwer verständliche Bestimmung über Waffenlieferungen (Z.23-25). Die Inschrift hat in der modernen Literatur recht wenig Beachtung gefunden, und ihre Datierung ist umstritten. Im folgenden soll daher auf der Grundlage einer neuen Textrekonstruktion 1 2 2 der Versuch unternommen werden, die Bestimmungen des Dekrets genauer als bisher zu analysieren und sie nach Möglichkeit in ihren historischen Zusammenhang zu bringen.

120 Vgl. dazu auch die Überlegungen im Schlußteil dieser Arbeit unter B) 3. 121

122

Gegen die Interpretation etwa von C. Mosse, Les institutions politiques grecques ä l'epoque classique, Paris 1967, 128, die das Hegesippos - Dekret als Indiz dafür anführt, daß Athen die Entscheidungen des Seebunds zunehmend monopolisiert habe, siehe Cargill, League 122. Für ihre Autopsie des Steins, vorgenommen im August 1986, bin ich G. T h ü r und G. Stumpf sehr dankbar, ebenso für den bei dieser Gelegenheit angefertigten Abklatsch. Im September 1989 konnte ich den Stein selbst in Augenschein nehmen u n d habe vom Epigraphischen Museum freundlicherweise ein Photo erhalten, das unten als Tafel II reproduziert wird.

181

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG II 2 149)

1. Der Text der Inschrift Steinbeschreibung: Der Stein war bei seiner Auffindung in einer neuzeitlichen Mauer im Parthenon verbaut, so daß Curtius den Text erst ab Z.5 lesen konnte. Nach der Herausnahme des Steins hat Wilhelm den ganzen erhaltenen Text aufgenommen. Die Stele, jetzt im Epigraphischen Museum in Athen (EM 12399), ist aus pentelischem Marmor, Höhe 0,33, Breite 0,28 Dicke 0,11 m, und bis auf den rechten Rand überall abgebrochen. Die Buchstaben gehören in die Mitte des vierten Jahrhunderts und sind 0,005 m hoch. Editionen: U. Köhler, IG II 89 (nach Abschrift von Curtius); Α. M. Woodward, Some unpublished Attic inscriptions, J H S 28, 1908, 291 - 307, hier 304 - 307; J. Kirchner, IG II2 149 (nach Abschrift von Wilhelm). Text: 18

ι er

10....ΙΓΠ

ΣΤΟΙΧ. 37

10

£

τους άδικουμ[ένους... ... [13

βο]υλεύσασθαι κ[α!?] .P.Ol.... ^

5

ΣΑ, δπως μηδείς άδίκήται. [κα]~

[ί φυλάττηταί ή φιλ]ία και ή συνμαχία τώι δήμωίι] [τώι' Αθηναίων και τ]οΐς Εύβοιεΰσιν. έπαινέσαι [δε ..?.... και' Αμφίήριτον και Ήρακλειόδωρον ίο

[

δτι] πρόθυμοι ήσαν περί τον δημ-

[ον τον'Αθηναίων καΓι έποίουν δ τι έδύναντο άγαιο [θόν και είναι αύτοΐύς και έγγόνους προξένους [και εύβργέτας του] δήμο τδ'Αθηναίων έπαινέσαι [δε τους πρέσβεις τ]ων'Αθηναίων τός πεμφθέντας [και πρέσβειςέςτο]υς έκ πρυτανεΐον των συνμάχων και καλέ" [σαι τός έπΐ δεΐπνον τ] εις αυριον. ά"

182

5. D i e euböischen Poleis zu B e g i n n der vierziger J a h r e

15

[ποδοΰναι. δε ε ι ς έφό]δια τ ο ι ς πρέσβεσι

Toy ταμ-

[ίαν τ ο υ δήμου έκ τω]ν κατά ψηφίσματα

άναλισκο -

[μένων τώι δήμωι τρ]ιάκοντα δ ρ α χ μ ά ς εκάστωι. [ναγράψαι δέ και τή]ν προξενίαν, εάν και τώι

άδήμ-

[ωι δοκήι, Toy γραμμίατέα τ η ς βουλής εν στήληι λ~ 20

[ιθίνηι και στησαι] ev άκροπόλει

δέκα ή μ ε ρ ω ν

εί~

[ς δέ τ η ν άναγραφήν] τ ή ς σ τ ή λ η ς δούναι τον ταμί" [αν τ ο υ δήμου

]ι δραχμάς έκ των κατά ψηφίσ-

[ματα άναλισκομέΐνων τώι δήμωι. el ναι δέ

τοΐς

[ ' Ε ρ ε τ ρ ι ε υ σ ι ν ? κομιδ}ήν των ακίδων καθά έπαγγέλ 25

[λονται],

vacat

D i e Ergänzungen Ζ . 9 - 2 3 stammen von Köhler, Ζ . 1-8 (außer κ[αΙ? in Ζ . 3 ) und Ζ . 2 4 - 2 5 sind von Wilhelm ergänzt. Z . 3 - 5 : [" " " έλέσθαι άνδρας - - - ο ϊ τ ί ν ε ς συμβοΐυλεύσασθαί [τε κύ]ρ[ι]οι [γενώ|νται και έπιμεληθω]σ[ι] ό π ω ς μ η δ ε ι ς ά δ ι κ ή τ α ι , [αλ|λά γενηται ή τ ε φιλ]ία και ή συνμαχία κ.τ.λ. Woodward, Notes, S . 2 6 5 (die epigraphischen Zeichen sind hier modernisiert). Z . 8 : [ τ ο υ ς ' Ε σ τ ι α ι ά ς Wilhelm bei Kirchner; [τους Ε ύ β ο ί ε ΐ ς Woodward, Notes, S . 2 6 6 (statt [τους π ρ έ σ β ε ι ς ? in seiner Edition von 1 9 0 8 ) ; ihm folgen Cawkwell (mit Verschreibung Εύβοεΐς, was einen Buchstaben zu wenig ergäbe, obwohl die Schreibweise auch belegt ist) und Picard. Köhler verzichtet auf eine Ergänzung. Z. 13: και τ ο υ ς π ρ έ σ β ε ι ς ? τού]ς Köhler; το]υς Woodward, was jeweils zwei Buchstaben mehr als die vorhandenen Stoichoi voraussetzt. Wilhelms (bei Kirchner) τ ό ς π ρ έ σ β ε ι ς τό]ς hält zwar die Stoichedon-Ordnung ein; da das Ypsilon j e d o c h deutlich erkennbar ist, meine ich, daß die A n n a h m e eines überzähligen Buchstabens (vielleicht des einzigen Iota) im ersten Teil der Zeile notwendig ist, auch wenn in den vier anderen Fällen ( Z . l l . 12. 2 0 . 2 4 , s. u. den Epigraphischen Kommentar) der 3 8 . Buchstabe jeweils am Zeilenende eingefügt wurde. Ου und ο für ου sind in diesem T e x t beliebig nebeneinander gebraucht, so daß auch die unterschiedliche Schreibweise des Artikels kurz hintereinander nicht stören darf. Z . 2 2 : ε'ίκοσ]ι δραχμάς Woodward, Inscriptions, S . 3 0 7 .

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG I I 2 149)

183

Z.23: Die doch sehr sichere Ergänzung unterschreitet die Stoichedon Ordnung um einen Buchstaben. Z.24: [ ' Ε σ τ ι α ι β ϋ σ ι ν ? Wilhelm bei Kirchner; [Εύβοιεΰσιν Cawkwell, gefolgt von Picard; beide schreiben diesen Ergänzungsvorschlag, der die Stoichedon - O r d n u n g um einen Buchstaben unterschreitet, zu Unrecht (trotz der Parallele in Z.8) W o o d w a r d zu (und geben dabei jeweils unterschiedliche Fundstellen an, an keiner von denen sich die Ergänzung findet); Woodward hatte hingegen (unter Vorbehalt, da es keine Parallelen gebe) vorgeschlagen (Inscriptions, S.307), [ Ά θ η ν α ί ο ι ς £ η μ ί α ν τ ] ή ν α δ ί κ ω ν καθά ε π α γ γ έ λ λ ο ν τ α ι zu ergänzen, wobei er ά δ ι κ ω ν als eine Verschreibung für ακίδων ansah (dazu unten). Z.25: έπαγγελ|[λονται ? Woodward; έπαγγέλ|[ουσι.ν Wilhelm bei Kirchner. Epigraphischer Kommentar: Die unterstrichenen Buchstaben sind von früheren Herausgebern gelesen, auf dem Stein aber nicht mehr zu sehen. Z . l : Die drei Buchstaben auf den Stoichoi 25-27 sind nur von Wilhelm (bei Kirchner) gelesen. Z.3: Auf Stoichos 26 ist der obere Teil einer linken senkrechten Haste zu erkennen, das Photo zeigt zusätzlich die obere Schräghaste, so daß es sich um ein Kappa handeln müßte. Obwohl Woodward in seiner Edition (Inscriptions) von 1908 keinerlei Hinweis darauf gibt, sagt er in seinen ergänzenden Bemerkungen (Notes) von 1910, er habe den Buchstaben zwar als Kappa transkribiert, es könne aber auch ein anderer sein (s.o. Krit. App.). Von dem Buchstaben auf Stoichos 30 ist nur der obere Teil zu sehen, es könnte sich demnach auch um ein Beta handeln. Die Stoichoi 32 und 33 sind nur von Woodward gelesen. Zwischen der dritten und vierten Zeile ist nachträglich eine tiefe Rille eingekerbt worden, so daß beide Zeilen stark beschädigt sind. Soweit der Text erhalten ist, ist er jedoch eindeutig lesbar (siehe auch die Umzeichnung von Woodward). Z.4: Der sechzehnte Buchstabe ist mit Sicherheit ein Sigma. Auf Stoichos 17 sind die beiden unteren Enden von schrägen Hasten erkennbar, die nur zu einem Alpha oder Lambda (das im Zusammenhang ausgeschlossen werden kann) gehören können. Das unterstrichene Pi ist nur von Kirchner, das unterstrichene Iota nur von Woodward gelesen. Z.5: Stoichos 24 zeigt ganz zweifellos ein Ny, vgl. Z.13. Z . l l : Das früher gelesene, unterstrichene Delta ist jetzt ausgebrochen, vgl. Z.20 und 21. An diesen Stellen hat die linke Bruchkante offenbar in jüngerer Zeit Beschädigungen erlitten. Die beiden letzten Buchstaben der Zeile sind zusammen auf Stoichos 37 geschrieben. Z . l 2 : Die beiden letzten Buchstaben sind zusammen auf Stoichos 37 geschrieben.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Z.13: Abklatsch und Photo lassen vom 17. Buchstaben eine im oberen rechten Teil liegende Schräghaste erkennen, die im Zusammenhang (epigraphisch wären auch Kappa, Psi oder Chi möglich) nur von einem Ypsilon herrühren kann, von dem Woodward noch die senkrechte Haste gesehen hat. Auf Stoichos 26 ist das N y eindeutig, vgl. Z.5. Z.14: Stoichos 17 weist eindeutig ein Omega auf, zweifellos ein Versehen des Steinmetzen. Ein anderer Schreibfehler wurde hingegen korrigiert, und zwar ist auf Stoichos 19 ein ursprüngliches Epsilon in Rho umgemeißelt worden. Das Epsilon ist noch auf dem Stein und dem Photo, nicht jedoch auf dem Abklatsch sichtbar. Z.16: Auf Stoichos 16 ist eine rechte senkrechte Haste zu sehen. Woodward hat das ganze Ny gelesen. Z.20: Das unterstrichene Epsilon ist jetzt ausgebrochen, vgl. Z . l 1. Die beiden letzten Buchstaben der Zeile sind zusammen auf Stoichos 37 geschrieben. Z.21: Das unterstrichene Tau ist jetzt ausgebrochen, vgl. Z . l 1. Z.24: Das Eta auf Stoichos 17 ist gut zu lesen und von allen Herausgebern außer Kirchner als gelesen gegeben. Von dem Buchstaben davor gibt Koehler (nach Curtius) noch einen oberen Rechtsbogen, der nur zu Beta oder Rho gehören könnte, den ich aber ebensowenig wie alle anderen Herausgeber zu sehen vermochte. Die letzten drei Buchstaben der Zeile sind auf den Platz von zwei Stoichoi verteilt. Dabei fallen die letzten beiden Buchstaben in der Zeilenhöhe ab. Z.25: Vacat kann erst ab Stoichos 22 mit Sicherheit angegeben werden. Davor läßt der Bruch des Steins nicht erkennen, wie viele Stoichoi dieser Zeile noch beschrieben waren. Übersetzung (ab Z.4): ... damit niemand angegriffen werde und die Freundschaft und das Bündnis zwischen dem Demos der Athener und den Euböern gewahrt bleibe. M a n soll auch belobigen ... und Ampheritos und Herakleiodoros ..., weil sie sich um den Demos der Athener verdient gemacht und getan haben, was sie zu seinem Nutzen (tun) konnten; sie und ihre Nachkommen sollen Proxenoi und Euergetai des Demos der Athener sein. Man soll ferner die Gesandten der Athener belobigen, die ausgesandt worden waren, sowie die Gesandten der Verbündeten, und man soll sie für morgen zum Mahl ins Prytaneion einladen. Der Tamias des Demos soll jedem der Gesandten für die Reisekosten 30 Drachmen aus dem Betrag geben, der dem Demos für seine Beschlüsse zur Verfügung steht. Der Sekretär der Bule soll die Proxenie, wenn auch der Demos zustimmt, auf eine steinerne Stele aufschreiben und auf der Akropolis innerhalb von zehn Tagen aufstellen lassen. Für die Beschriftung der Stele soll der Tamias des Demos ... Drachmen aus dem Betrag auszahlen, der dem Demos für seine Beschlüsse zur Verfügung steht. Den Eretriern (?) sollen die Geschoßspitzen geliefert werden, wie sie es wünschen.

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa ( I G I I 2 149)

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2. Der Charakter des Dokuments In der Forschung wird allgemein angenommen, vorliegender Volksbeschluß bedeute den Abschluß eines Vertrags, spezifischer eines Symmachievertrags, mit den Euböern 1 2 3 . Mit welchen möglichen Vertragsschlüssen in welchen Jahren das Dokument identifiziert wird, kann hier zunächst außer Betracht bleiben. Es scheint mir nämlich grundsätzlich sehr zweifelhaft, ob wir überhaupt von einem Vertrag sprechen können 1 2 4 . a) Der Text erwähnt zwar die φιλίία και συνμαχία des athenischen Demos mit den Euböern (Z.5-6); wenn aber die Ergänzung φ υ λ ά τ τ η τ α ι auch nur sinngemäß richtig ist, woran ich nicht zweifle, dann kann damit kein Bündnisabschluß ausgedrückt sein. In allen Fällen, in denen Athen — und dasselbe gilt für andere Staaten - Bündnisse einging, beschlossen Rat und Volk, daß es nun eine Symmachie geben solle (βΐναι, γίγνεσθαι, 8 L C T , συντίθεσθαι, καθιστάναι u. a.), daß man eine Symmachie schließen (ποιεΐν) oder jemanden als Symmachos aufnehmen solle (δέχ^σθαι, προσάγβιν). Das Verb φυλάττειν und seine Komposita δια - und συνδιαφυλάττβιν hingegen bezeichnen immer die Bewahrung und Beachtung schon bestehender Verbindungen 1 2 5 . Ebenso müßte ein Bündnisbeschluß direkt abhängig sein von der Formel έψηφισθαι τώι δήμωι oder εδοξεν τηι βουλτμ και τώι δήμωι und könnte weder in der Hortativ - Formel des Dekrets noch ganz am Ende des inhaltlich abgeschlossenenTextteils stehen, was beides im vorliegenden Text der Fall ist. Zu vermuten, im verlorenen Teil des Dekrets sei dennoch eine Symmachie beschlossen worden, ergibt keinen vertretbaren Sinn im Aufbau des Beschlusses ("es soll zwischen Athen und Euböa Freundschaft und Symmachie sein, damit Freundschaft und Symmachie gewahrt bleiben", käme dabei ungefähr heraus) und kann natürlich keine Parallele für sich anführen. Vielmehr scheint die φυλάττηται - Formel in enger Verbindung zum ersten Teil des δπως - Satzes zu stehen, so daß man vielleicht das [και] explikativ

Vgl. Woodward, Inscriptions 3 0 6 f . : "...its upper part (sc. der Stele) which contained the terms o f the alliance" ( 3 0 7 ) ; Kirchner formuliert als Titel: " D e civitatum Euboeicarum societate"; ferner Accame, Lega 1 8 1 ; Cawkwell, Policy 2 1 1 A n m . 7 ; Larsen, Federal States 1 0 3 A n m . l ; B r u n t , Euboea 2 6 0 ; Fernandez Nieto, Acuerdos S . 3 7 3 ; Picard, Chalcis 2 4 0 . 124 Vielleicht hat H . Bengtson das D o k u m e n t aus diesem G r u n d nicht als eigenen Eintrag in den zweiten Band der "Staatsverträge" aufgenommen; er erwähnt jedoch a u f S . 3 7 5 , daß es sich a u f das Bündnis von 3 5 7 "beziehe" (zur Datierung s. u. 3.). 1 2 5 Vgl. ζ. B. I G Ι Γ 3 4 a 4ff. und I G II 3 5 a 2ff„ den Vertrag bzw. die Verträge mit Chios, wo sich das μεμνηιΊται διαφυλάξεων (hier aus beiden Texten zusammengefaßt wie S t V II 2 4 8 ) a u f den zwei Jahre zurückliegenden Königsfrieden bezieht; ferner I G II 1 1 8 , Z . 9 - 1 0 . : δ τ ι δ ΐ ί τ έ λ ε σ ε ν σ]υνδίαφυλάτ|[τοσα Π ο τ ά δ α ι , α ν Ά ί θ η ν α ί ο ι ς ; I G II 2 3 7 , Z . 9 - 1 0 . Das Gesagte gilt auch für Schwurformeln, die zwar beim Abschluß von Bundesverträgen geleistet werden, die aber a u f die Zukunft gerichtet (daher meist φυλάξω ..., vgl. T o d II 1 1 1 , Z . 2 4 ; Syll. 3 5 8 8 , Z . 8 2 f . 8 5 f . ) die Einhaltung des kurz zuvor und mit einer anderen Formel abgeschlossenen Vertrages versprechen.

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

auffassen u n d paraphrasieren darf: "damit niemand angegriffen werde und deshalb (oder schwächer: "und zugleich') die Freundschaft... gewahrt bleibe." b) Bei einem Bündnisvertrag würde man Bestimmungen über die gegenseitigen Schwurleistungen erwarten, worauf es im vorliegenden Text keinen Hinweis gibt. Weitere Reisen von Gesandten zur Abnahme von Eidesleistungen sind nicht vorgesehen, die athenischen Gesandten erhalten Geld für die Reise, von der sie bereits zurückgekehrt sind. c) An Verhandlungen über den Beitritt oder Wiedereintritt von Staaten in den Seebund haben, soweit wir wissen, keine Gesandten der Verbündeten teilgenommen, obwohl die Beitrittsverträge, zumindest in der ersten Zeit des Seebunds, auch vom Synhedrion beschworen wurden 1 2 6 . Nach unserem Dokument jedoch wurden die athenischen von bundesgenössischen Gesandten begleitet (Z.13). d) Es ist kaum möglich, daß die in Z.7 genannten Männer Gesandte aus Euböa waren, die zum Zweck des Abschlusses eines Bündnisvertrags in Athen weilten und dort die athenischen Eide abnehmen sollten 127 . Im Text waren mindestens drei Namen aufgezählt, deren erster verloren ist. M a n hat bisher immer angenommen, daß zu Beginn der Zeile 8 ihre Herkunft angegeben war 128 . Aufgrund des Namens Ampheritos, der in Hestiaia belegt ist 1 2 9 , und weil ein Herakleodoros als Politiker dieser Polis bekannt ist 130 (zur möglichen Identität s. u.), hatte Wilhelm alle drei als von dort stammend angesehen und τ ο υ ς Ε σ τ κ η α ς ergänzt. Dagegen hat dann Cawkwell die zuerst von Woodward vorgeschlagene Ergänzung τ ο υ ς Εύβοιεΐς wiederaufgenommen 1 3 1 . Cawkwell hat dabei durchaus recht mit seinem Argument, daß zur einschränkenden Ergänzung τ ο υ ς ' Ε σ τ ι α ι α ς keine Notwendigkeit bestehe, und das gilt selbst dann, wenn man Herakleiodoros als Bürger von Hestiaia identifiziert. Die anderen beiden Genannten können durchaus auch aus anderen euböischen Poleis stammen. D a r ü b e r hinaus ist auch nicht auszuschließen, daß in Z . 8 ein vierter Personenname statt einer zusammenfassenden Herkunftsbezeichnung stand. In diesem Fall könnten die vier großen euböischen Poleis repräsentiert gewesen sein. Das wäre insbesondere dann möglich, wenn in dem verlorenen Teil des Textes die Geehrten bereits mit der N e n n u n g des Herkunftsortes und eventuell auch des Vatersnamens eingeführt worden sind. D a f ü r haben wir aber keinen Anhaltspunkt, so daß in obiger Textrekonstruktion keiner der möglichen 126 Ygi j a z u Cargill, League 103ff. mit Kritik an früheren Auffassungen. 127

So jedoch Woodward, Inscriptions 306; Ε. Ziebarth, IG XII 9, p. 151. Woodward hat seine ursprüngliche Ergänzung τ ο ϋ ς π ρ ί σ β ί ΐ ς (vgl. Inscriptions 304) dann durch τ ο υ ς Ε ϋ β ο ι ε ΐ ς ersetzt, wobei er aber offenbar an seiner Interpretation (s. vorige Anm.) festhielt. 129 Vgl a . Wilhelm, U r k u n d e n dramatischer Aufführungen in Athen, Wien 1906, 90. Auf unsere Inschrift bezogen in der Besprechung von E. Ziebarth, Berliner Philol. Wochenschrift 1910 N r . l , S.9. 130 Aristot. Pol. 1303 a 18-20. 131 Woodward, Notes 266; Cawkwell, Policy 211 Anm.7, bemerkt, daß um 342 (in dieses Jahr datiert Cawkwell das Dekret, s. u.) Hestiaia unter dem N a m e n Oreos bekannt gewesen sei; dagegen bringt Brunt, Euboea 260 Anm. 6, zwei Gegenbeispiele vor, deren eines allerdings (Tod II 141 = StV II 287) u m das Jahr 364 datiert wird. Brunt greift jedoch damit die Ergänzung Woodwards nicht an, die auch Picard, Chalcis 239 Anm.5, übernimmt. 128

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG I I 2 149)

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Ergänzungen der Vorzug gegeben wurde. Für die Ergänzung τους Ε ύ β ο ι ε ΐ ς gäbe es allenfalls dann einen Grund, wenn man annimmt, daß die Geehrten als Repräsentanten des euböischen Koinon einen im verlorenen Text stehenden Vertrag mit Athen abzuschließen hatten. Aber gerade das wird hier bestritten. Denn zum einen sind die Geehrten nicht, wie in diesen Fällen üblich, als πρέσβεις ihrer Poleis bezeichnet 1 3 2 . Zum anderen erhalten sie mit der Proxenie und der Euergesie Ehrungen, die weit über die für Gesandte übliche Einladung ins Prytaneion hinausgehen. Daß diese Einladung für die Geehrten fehlt, darf als Indiz dafür angesehen werden, daß sie zur Zeit des Volksbeschlusses nicht in Athen weilten und daher dort auch keinen Vertrag ratifizieren konnten. Wenn also der verlorene Teil des Dekrets kein Bündnisvertrag war, was läßt sich dann darüber sagen? a) Mit Sicherheit hat Athen mit einer oder mehreren der euböischen Poleis verhandelt. Es ist klar, daß die in Z . l l f f . genannten athenischen Gesandten, deren Zahl wir nicht kennen, im Zusammenhang mit dem verlorenen Teil des Beschlusses stehen müssen und daß dort die Ergebnisse ihrer Verhandlungen festgelegt waren. Die angesichts der kurzen Reise relativ hohen Ephodia von 30 Drachmen deuten auf eine längere Verweildauer der Gesandtschaft 1 3 3 , und die Tatsache ihrer Belobigung sowie die einiger Euböer im Zusammenhang mit der Beschwörung der Freundschaft zwischen Athen und Euböa legt es nahe, einen erfolgreichen Abschluß ihrer Mission anzunehmen. O b ein formeller Vertrag geschlossen wurde, läßt sich nicht feststellen, es deutet jedoch nichts darauf hin. Ein Bündnisvertrag kann es nach dem bisher Gesagten aber nicht gewesen sein. b) Die athenischen Gesandten wurden von πρέσβεις έκ των1 συμμάχων begleitet (Z.13f.), deren Zahl ebenfalls unbekannt ist. Auch sie werden belobigt und zum Mahl ins Prytaneion geladen 1 3 4 . Diese Nachricht über eine aus Athenern und Vertretern der Seebundsmitglieder zusammengesetzte Gesandtschaft ist in der inschriftlichen Überlieferung singulär 1 3 5 . Sie ist in der modernen Forschung über die Beteiligung der Bundesgenossen an der athenischen Politik, insbesondere nach dem Bundesgenossenkrieg, nicht

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Die dafür zu erwartende Ergänzung τους npsaßeic τους Eußoeων ist von der Zeilenlänge her ausgeschlossen. Börner, s. ν.Έφόδιον, RE V 2 (1905) 2859, kalkuliert etwa eineinhalb Drachmen pro Reisetag. In IG II 124 werden τοις τήν συίμμαίχίαν πρ6σβ€[ύ]|σασι zehn (Ζ.17-18), Gesandten, die vielleicht auf einer einzigen Reise nacheinander Eretria, Chalkis und Hestiaia aufsuchen sollen (wenn nicht verschiedene Gesandtschaften gemeint sind) 20 Drachmen (Z.15.16) und derselbe Betrag auch den Gesandten nach Karystos (Z.12-13) zugesprochen. Vgl. auch W . L. Westermann, Notes upon the Ephodia of Greek Ambassadors, CPh 5, 1910, 203-216, hier 207; Mosley, Envoys 74-77; D. Kienast, s. v. Presbeia, RE Suppl. 13 (1973), 499-628, hier 578f. Zur Formel επί δεΐττνον vgl. zuletzt Henry, Honours 274. O b die bundesgenössischen Gesandten auch Ephodia erhielten, kann durchaus überlegt werden. Die Synhedroi in IG Ι Γ 42 müssen als athenische hmxzxxi%a verstanden werden, s. o. 2. Kap. C) 2. b).

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

berücksichtigt worden. Bezug genommen wird in der Literatur hingegen auf die literarisch belegte Tatsache, daß im Jahr 3 4 6 mit den zehn zu Philipp II. geschickten athenischen Gesandten auch Aglaokreon aus Tenedos als Repräsentant der Bundesgenossen abging. Diesen, so sagt Aischines, hätten die Athener aus den Bundesgenossen ausgewählt 1 3 6 , und es wäre interessant zu wissen, ob auch die Gesandten unserer Inschrift auf diese Weise oder vom Synhedrion der Bundesgenossen ausgewählt wurden. Die Anwesenheit bundesgenössischer Vertreter nötigt uns jedenfalls zu dem Schluß, daß die Angelegenheiten, u m die auf E u b ö a verhandelt wurde, den ganzen Seebund betroffen haben. c) Der G r u n d für die Proxenieverleihung an die drei oder vier in Z.7f. genannten Männer muß ebenfalls im Zusammenhang mit den Angelegenheiten stehen, die der verlorene Teil der Inschrift behandelt, sonst wäre die Ehrung nicht in demselben Volksbeschluß direkt an das Vorhergehende angeschlossen. Für die Verleihung der Proxenie und der Euergesie an die Geehrten und ihre N a c h k o m m e n wäre lediglich die Führung von Verhandlungen mit Athen, auch wenn dadurch Ubereinstimmung erzielt wurde, ein zu geringer Anlaß. Die Genannten müssen Athen vielmehr substantielle Dienste erwiesen haben, und diese bestehen in solchen Fällen meist in finanzieller oder persönlicher Unterstützung bei militärischen Unternehmungen. d) D i e wenigen erhaltenen Reste in den letzten Zeilen des eigentlichen Volksbeschlusses (Z. 1-6 unseres Textes) lassen natürlich keinen sicheren Schluß zu. Immerhin fällt auf, daß der Begriff ά δ ι κ έ ω gleich zweimal auftaucht. Seine Verwendung hat hier offenbar nichts mit Unrecht gegenüber einzelnen Bürgern zu tun, wie das in Ehrendekreten der Fall ist 1 3 7 ; vielmehr handelt es sich, wie die Rolle der Gesandten nahelegt, um zwischenstaatliches Unrecht, und das wäre vor allem ein militärischer Angriff auf eine ganze Polis 1 3 8 . Der in Z.4 zum Ausdruck gebrachte Wunsch, niemandem solle (in Zukunft) Unrecht geschehen, steht in einer δπακ - Formel, die in verschiedenen athenischen Dekreten die Funktion hat, die darin getroffenen Einzelbestimmungen prononciert einem allgemeineren Ziel unterzuordnen 1 3 9 . Welche Art von Beschluß jedoch könnte diesem Ziel, der Verhinderung von Unrecht in Form militärischer Angriffe, dienen? Zunächst wird man an einen Symmachievertrag denken, durch den Angriffen fremder Staaten auf die Vertragsschließenden begegnet werden soll. Das ist durch

Aisch. 2, 20: öv έκ των συμμάχων €Ϊλεσθ€. Accame, Lega 202, vermutet, daß ein entsprechendes Dogma der Alliierten vorausgegangen sei. 137 In athenischen Ehrendekreten werden häufig bestimmte Institutionen und Amtsträger damit beauftragt, den oder die Geehrten vor Unrecht zu schützen; vgl. ζ. B. IG I 110, Z.15-17: κ|αί οπως αν μ ή άδίκηται, έττιμε|λεσθαι τ η ν τ ε βολήν κτλ.; IG II 226, Ζ.8-9; IG II 237, Ζ.30-31. 138 Möglicherweise in Zukunft angegriffene Staaten bzw. Gesamtbürgerschaften sind^als OL ά]|δικούμενοί bezeichnet in IG II 112, Z.33-34, und dementsprechend ist auch IG Ι Γ 2 3 6 , Z.19 zu ergänzen; vgl. Tod II 110, Z.19; IG II 2 125, Z.3 (s. o. A); StV III 470, Z.8: δπως δέ οι 'Αθηναίοι μηδ' ίιφ' ένός άδιίκέωνται των Αίτωλων κτλ. (3.Jh.). 1 3 9 Vgl. ζ. Β. IG Ι Γ 43, Z.9ff. Η ier wie in anderen Fällen steht die δπως-Formel am Beginn des Antrags, während sie in unserem Text den Abschnitt, dem sie zugehört, abschließt. 136

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG I I 2 149)

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den Zusammenhang zum zweiten Teil des δπως-Satzes und weitere eben getroffene Überlegungen aber auszuschließen; auch kommt die vorliegende Formel in Symmachieverträgen nicht vor. Ebensowenig erscheint die Formel in Rechtshilfeverträgen, die zudem nicht auf auswärtige Angriffe bezogen sind und an denen auch keine Vertreter der Bundesgenossen mitwirken würden 1 4 0 . Es bleibt also die Bestrafung eines konkreten Unrechts übrig, mit möglichen Konsequenzen für ähnliche Fälle in der Zukunft. Daß über dieses Unrecht beraten wurde oder beraten werden sollte, könnte einen Zusammenhang für βο]υλεύσασθαι in Z.3 bilden 141 . Wie sich eventuell in Zukunft angegriffene euböische Poleis an Athen oder den Seebund insgesamt wenden sollten, könnte im Zusammenhang mit der Form τους άδι.κουμ[ένους in Z.2 festgelegt gewesen sein. Diese Vermutung gründet sich auf die ins Auge springende Ähnlichkeit mit dem ebenfalls die euböischen Verhältnisse behandelnden Hegesippos - Dekret, das oben besprochen wurde. In Z.2-5 jener Inschrift findet sich nämlich die Formel [δπως έκ τώ]ν συμμάχων μηδεϊ,ς [των 'Αθηναίων μηδ' έκ | Αθηναίω?]ν μηδείς, μ ή τ ε ξένος μή[τε αστός, άδίκήι τ|ων συμίμάχων μ(η]δένα, κτλ. Könnten sich beide Volksbeschlüsse auf dieselben Vorkommnisse auf Euböa beziehen, nämlich den nichtoffiziellen Angriff einiger Athener auf Eretria, der einerseits die anderen euböischen Poleis zu Hilfeleistungen veranlaßt hat - daher der Bezug auf die Euböer in Z.6 von IG II 2 149 —, und der auf jeden Fall große Verwirrung in den gesamten athenischen Seebund bringen mußte daher die Beteiligung bundesgenössischer Gesandter? Betrachten wir vor einer abschließenden Einordnung und Datierung des Dekrets noch den letzten Satz des Textes, der dafür auch wichtig zu sein scheint. Der zentrale und einzig vollständig erhaltene Terminus des Satzes ist των ακίδων in Ζ.24. Woodward hatte darunter Schiffsschnäbel oder etwas dergleichen verstanden 142 und, weil er damit keinen Zusammenhang zu dem vermeintlichen Bündnisvertrag im verlorenen Teil des Textes herzustellen vermochte, eine Vefschreibung des Steinmetzen angenommen. Eigentlich sei άδικων zu lesen und der Satz bedeute, daß die Jurisdiktion über Gesetzesbrecher in Euböa und in Athen (sie!) dem mächtigeren Partner Athen zustehen solle. Seine dementsprechende Ergänzung (s. o. den Kritischen Apparat) hat Woodward

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Leider sind auch diese Verträge, die Athen im vierten Jahrhundert abgeschlossen hat, nur äußerst fragmentarisch erhalten. Vgl. A. G . Woodhead, Greek Inscriptions, Hesperia 2 6 , 1957, 2 2 1 - 2 3 3 und zusammenfassend Gauthier, Symbola, 166ff. Natürlich ist auch die Ergänzung eines K o m p o s i t u m s denkbar. W o o d w a r d s Vorschlag (Notes, 265), die Einsetzung einer Kommission anzunehmen (s. Krit. App. zu Z.3-5), kann v o m Inhalt her keine Plausibilität für sich beanspruchen und wäre auch epigraphisch nur möglich, wenn έ λ έ σ θ α ί ΑΙ/δρας noch vor TOÜC α δ ι κ ο ύ μ ε ν ο υ ς gestanden hätte. In diesem Fall kann aber auch Woodward, wie er selbst einräumt, keinen Zusammenhang zu τ ο ύ ς ά δ ι κ ο υ μ ί ε ν ο υ ς herstellen. Es muß daher vielmehr an die Tätigkeit bereits vorhandener Institutionen Athens u n d des Bündnisses gedacht werden. Woodward, Inscriptions 307: "a spike or the beak of a ship".

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5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

mangels Parallelen selbst unter Vorbehalt gestellt. Diese Rekonstruktion, die aus inhaltlichen und sprachlichen Gründen nicht haltbar scheint, braucht hier nicht widerlegt zu werden 1 4 3 , denn die Unterstellung eines Schreibfehlers ist keineswegs notwendig. Wilhelm hat mit seiner Ergänzung κομιδήΐν των ακίδων wieder einmal den richtigen Weg gewiesen, aber eine Interpretation des Satzes liegt bisher nicht vor. Daher hat auch niemand Woodwards Verständnis von α κ ί ς als Schiffsschnabel widersprochen, obwohl diese Bedeutung meines Wissens nirgends nachgewiesen ist.' Ακίς heißt vielmehr die (scharfe) Spitze, insbesondere die von Geschossen wie Pfeilen, Wurfspeeren usw. 1 4 4 . In athenischen Inschriften kommt das Wort in seiner verbalen Form vor, nämlich in den Rechenschaftsberichten der Werftaufseher, die in ihren Beständen β έ λ η καταπαλτων άνηκίδωτα καΐ άπτερωτα, also (noch unfertige) Katapultgeschosse ohne Spitzen und Federn sowie ( β ε λ η καταπαλτών) ή κ ι δ ω μ ε ν α , Geschosse mit (metallenen) Spitzen, verzeichnen 145 . Auch in einer Inschrift aus Epidauros ist der Terminus im genannten Sinn gebraucht 1 4 6 . Etwas schwieriger ist jedoch κ ο μ ι δ ή zu verstehen. Daß es sich um die Rückgabe einer geliehenen oder sonstwie geschuldeten Sache handelt, ist bei Geschoßspitzen wohl auszuschließen. Auch über den Transport solch kleiner Gegenstände bräuchte man kein Aufhebens zu machen 1 4 7 . Es bleibt daher die Bedeutung von "Besorgung, Beschaffung, (Be-)Lieferung' übrig. Dabei ist für denjenigen, der etwas besorgt oder liefert, im allgemeinen auch die Übernahme der dadurch entstehenden Kosten impliziert 1 4 8 . W e r aber w e m die Geschoßspitzen zu liefern hatte, wäre leichter zu beantworten, wenn nicht auch καθά έ π α ν ν έ λ ί λ ο ν τ α ι verschiedene, sogar gegensätzliche Bedeutungen haben

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Vgl. zu den rechtlichen Implikationen den Prozeßkommentar. Vgl. Lidd. - Sc. s. ν. ακίς. Beide Posren finden sich jeweils in IG II 2 1627, Z.337-340 aus dem Jahr 330/29, in IG II 2 1628, Z.517-520 (326/5), in IG I I 2 1629, Z.993-996 (325/4) und in IG II2 1631, Z.226-228 aus dem Jahr 323/2, wobei die Zahl der mit Metallspitzen versehenen Geschosse sich ab 326/5 von 51 auf 60 erhöht hat, während die erste Kategorie in allen Inventarlisten mit 455 Geschossen vertreten ist. Böckh, Seewesen 110, hat zur zitierten Stelle der jüngeren Inschrift (bei ihm Ν. XV) die nötigen Erklärungen gegeben: "Die zu den Katapulten gehörigen Geschoßse sind theils βέλη ήκιδωμένα, mit metallenen Spitzen (ακίδες) versehene, theils άνηκίδωτα και άπτερωτα, ... Die Form άνηκίδωτος, deren sich schon Aischylos bediente, wird von den Grammatikern (Hesych. Phavorin. Anecd. Bekker Bd.I S.402, 25) angemerkt und durch ävev ακίδος erklärt." Vgl. auch Marsden, Artillery 57. Syll.3 1169 (ca. 320 v. Chr.), Z.58-60: εδόκει οι ό θεός τάν ακίδα έξε|λεΐν έκ τοΰ πλεύμονος· άμέρας δέ νενομενας υγιής εξήλθε τάν άκί|δα ίν ταϊς χερσί φέρων. Vgl. R. Herzog, Die Wunderheilungen von Epidauros, Leipzig 1931 (Phil. Suppl. 22, 3), 94 ("Pfeilspitze") mit Verweis auf Hippocr. Epid. V 46. Die epigraphisch mögliche Ergänzung τοις | [πρεσβεσι τήν κομιδ]ήν των ακίδων, "den Gesandten (wenn die in Z.7 genannten Euböer denn doch Gesandte wären, aber s. o. S. 186f.) soll der Transport der Geschoßspitzen (nach Euböa) obliegen", soll daher nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. In der Gesamtsituation ergäbe sich daraus auch keine Differenz zu der im folgenden vorgeschlagenen Interpretation. Vgl. ζ. B. IG Ι Γ 1635, Z.34. 38; IG II 2 654, Z.31-35; Syll.3 245 col.I, Z.12-13; Syll.3 495, Z.3435. IG II 207 b-d, Z.17 ist das Wort im größeren Zusammenhang von Kornlieferungen erhalten, aber der nur stückweise erhaltene Satz läßt sich nicht mehr rekonstruieren.

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG I I 2 149)

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könnte. Im einen Fall hätten die Euböer (oder Eretrier) den Athenern die Lieferung angeboten oder versprochen. Im anderen Fall hätten sie die Athener um die Lieferung gebeten. Aus folgenden Gründen ziehe ich die letztere Möglichkeit und damit statt έπαγγελίλουσιν die nach καθά übliche mediale Form, die auch die Bedeutung 'wünschen, verlangen, bitten' haben kann 1 4 9 , für die Ergänzung vor. a) Wenn die Euböer oder Eretrier Athen die Lieferung von Geschoßspitzen zugesagt hätten, hätte es schwerlich eines athenischen Volksbeschlusses bedurft, das Geschenk anzunehmen. In diesem Fall hätte man die Euböer entsprechend belobigt. b) Die Formulierung eivai. mit Dativ der Person und Akkusativ der Sache (Proxenie, Atelie usw.) ist aus athenischen Ehrendekreten, in denen den Honoranden eine Gunst gewährt wird, so geläufig 150 , daß auch in unserem Fall Athen eher das Subjekt als das Objekt des Schenkens sein dürfte. Da der Bestimmung eine Reihe von Ehrungen vorausgehen 1 5 1 , wäre ein solcher Gunstbeweis Athens in gewissem Sinne (s. u.) inhaltlich an den vorhergehenden Text angebunden. c) Athen ist als waffenproduzierende und -exportierende Stadt bekannt 1 5 2 ; das gilt vor allem für Waffen aus Metall, zu denen die Geschoßspitzen ja gehören. Wer aber ist der genaue Adressat der athenischen Lieferung, die Hestiaier, die Eretrier oder die Euböer insgesamt? Wilhelm hatte' Εστιαιευσιν? ergänzt, weil er die in Z.7 genannten Männer jenem Ort zurechnete; dafür besteht aber, wie oben ausgeführt, keine Notwendigkeit. In Parallele zu Z . 6 ergänzte Cawkwell dann Εύβοιευσιν, womit er die übliche Zeilenlänge von 3 7 Buchstaben wieder-

Vgl. Lidd. - Sc., s. ν. έπαγγέλλω 6. V o j den Inschriften vgl. ζ. B. IG I I 2 4 4 , Z . 1 2 - 1 3 : καθά έιτ|αγγ[(:λλον]τα[ι o]i Χαλκιδής; I G II 112, Z. 14-15: δίεχεσθαι την συμμαχίανκαθά έπαγγέλίλονται ο|ί ' Αρίκάδες; hingegen Ζ . 2 8 : καθότι αν [έπαγγελλωσιν' Αθηναίοι und ähnlich Ζ . 3 3 - 3 4 (die Ergänzungen sind jeweils durch die Stoichedon - Ordnung abgesichert); I G II 116, Z. 10-11: κίαίθά έπ[α]νγ6λλοντα|ι οι θ ί τ τ α λ ο ΐ ί ΐ ; Ζ . 3 5 - 3 6 : ό τ ι ΐ ΐ ι κΐαΐί προθύμ[ω]ς έπίοίουν πά|ντα] irepl ών αύ[τ]ο[ϊ]ς [ή] TTÖMIIC έίττίηΐγίγάλίατίο. Nach den sicheren Belegen steht also nach καθά die mediale, nach καθότι αν die aktivische Form von έπαγγελλω. Weitere Beispiele für das Aktiv nach καθότι, civ sind S t V II 2 2 3 , Z . 6 - 7 . 10-11; I G I I 2 9 7 , Z . 1 9 - 2 0 ; IG I I 2 105, Z. 15-16. 21. Wahrscheinlicher als Mg-itts (Hesperia 14, 1945, 124) καθάττίρ αν Αθηναίοι] ev αγγέλλοσιν erscheint daher, in IG I 8 6 , Ζ. 15 καθότι άν κτλ. zu ergänzen, womit allerdings die angenommene, aber nicht gesicherte Zeilenlänge von 7 6 Buchstaben um einen verkürzt wäre (dazu vgl. auch S t V II 196); ein ähnliches Problem bietet Z . 7 des Textes. Auch die Ergänzung καθά αύτοΐς έπαγγ|ελλουσ]ι in I G II 114, Z . 9 - 1 0 wäre von daher in Frage zu stellen; καθά αύτοί έτταγγ|ελλοντα]ι wäre stattdessen vorzuziehen und findet eine gewisse Entsprechung in αΐύτο'ι έΐπίαγγίλίλωσι, wie Ε. Schweigert, Hesperia 6, 1937, 3 2 7 - 3 2 9 Nr.5, Z . 5 , die beiden dort zusammengefügten Fragmente ergänzt hat (der Text fehlt in den StV); je nach der fehlenden Konjunktion wäre natürlich auch dafür gegebenenfalls αΐύτοί €[π]αγγελ[λονται zu schreiben. 150 Vgl. ζ. B. Henry, Honours 1 3 2 fur die Proxenie und Euergesie.

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In Z . 1 0 - 1 1 unseres Dekrets ist die Proxenieverleihung mit der alternativen Formel και είναι αίιτοΐϋς ... προξένους ausgedrückt, was aber keinen inhaltlichen Unterschied ausmacht. 152 Vgl. ζ. B. A. French, T h e growth o f Athenian economy, London 1 9 6 4 ( N D Westport 1 9 7 5 ) , 128; R. J . Hopper, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, München 1986, 115· 151

192

5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

herzustellen vermeinte 1 5 3 . Bei diesem epigraphischen Argument hat Cawkwell jedoch übersehen, daß der 38. Buchstabe nicht aus Wilhelms Ergänzung, sondern aus der A n o r d n u n g des Steinmetzen am Zeilenende resultiert (s. o. den Epigraphischen Kommentar). Am Zeilenanfang fehlen daher insgesamt 16 Buchstaben zur Normallänge der Zeile, wovon fünf auf das unbezweifelte κομιδίήΐ' entfallen. O b w o h l Cawkwells Ε ύ β ο ι ε υ σ ι ν nur zehn statt der erforderlichen elf Buchstaben ergibt, ist seine Ergänzung abzulehnen, obwohl sie nicht ganz auszuschließen ist, da auch die sichere Ergänzung in Zeile 23 einen Buchstaben weniger als üblich aufweist. Allerdings hält dort die Restzeile die Stoichedon - Ordnung ein, während es hier sehr unwahrscheinlich ist, daß der Steinmetz den ersten Teil der Zeile 24 gestreckt hätte, um dann am Zeilenende drei Buchstaben auf zwei Stoichoi zu drängen. Aber möglich ist angesichts der recht zahlreichen Steinmetz - Versehen unseres Textes auch das. Unter Berücksichtigung der normalen Buchstabenzahl möchte ich die Ergänzung Έ ρ ε τ ρ ι ε υ σ ι ν ? in die Diskussion bringen, für die ich zwei, keineswegs zwingende, Argumente anführen kann. Z u m einen wissen wir aus den oben zitierten Ubergabelisten der athenischen Werftaufseher, daß in den athenischen Arsenalen spätestens ab 330 Katapulte aus Eretria aufbewahrt wurden 1 5 4 . W e n n diese Waffen in Eretria verwendet oder sogar dort gebaut wurden 1 5 5 , ließe sich die Anforderung und Lieferung so speziellen Zubehörs wie der ά κ ί δ β ς recht gut verstehen. Z u m anderen wäre gerade Eretria von den Bestimmungen des verlorenen Textteils besonders betroffen, wenn der oben angedeutete Zusammenhang mit dem athenischen Volksbeschluß über die Angreifer Eretrias (IG II 2 125) sich bei der weiter u n t e n erfolgenden U b e r p r ü f u n g der Datierungsmöglichkeiten noch weiter erhärtet. Die zunächst etwas eigenartig anmutende Stellung des Schlußsatzes als einer Art Anhängsel ohne Zusammenhang zum Vorhergehenden ist angesichts der individuell formulierten und für unsere Begriffe oft inkonsequent gegliederten Anträge an Rat und Volk nicht so außergewöhnlich. Vielleicht handelt es sich aber in diesem Fall tatsächlich um einen vom Antragsteller selbst so aufgefaßten Appendix, der wegen seiner relativ geringen Bedeutung ganz ans Ende gesetzt wurde. Ein gewisser Zusammenhang zum Vorstehenden wurde oben bereits angedeutet, daß nämlich auch die in den Zeilen 23 bis 25 enthaltene Bestimmung

153

155

Cawkwell, Policy 212 Anm.7; ihm folgt Picard, Chalcis 239 Anm.5, der das unglückliche Argument der Zeilenlänge wiederholt. IG II 2 1627, Z.328-29 nennt elf π λ α ί σ ι α (das sind rechteckige Rahmen) κ α τ α π α λ τ ω ν | τ ω ν έξ ' Ε ρ έ τ ρ ι α ς ; IG II 2 1628, Z.510-11, IG II 2 1629, Z.985-86 u n d IG I I 2 1631, Z.220-21 haben die gleiche Eintragung. Vgl. o. Anm.145. Böckh, Seewesen 110, hat vermutet, daß die Katapulte auf dem athenischen Feldzug gegen Kleitarchos gebaut worden waren. D a f ü r wäre jedoch die Formulierung έ ξ Ε ρ έ τ ρ ι α ς kaum angemessen. Nach Marsden, Artillery 57f. (ihm folgt Cawkwell, Euboea 55), hatte Kleitarchos von Eretria die Katapulte von Philipp II. erhalten; sie seien dann bei der Vertreibung des Kleitarchos in athenische H ä n d e gefallen. Die Athener hatten jedoch keinen G r u n d , den von ihnen wieder zur Herrschaft gebrachten Demokraten Eretrias diese Waffen vorzuenthalten. Daher ist auch an die weitere Möglichkeit zu denken, daß die Katapulte in Eretria gebaut und an Athen geliefert wurden.

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG II 2 149)

193

ebenso wie die vorausgehenden Personenehrungen eine Gunst bedeutete, die vom athenischen Demos gewährt wurde und die daher als letztes Glied einer Reihe betrachtet werden kann. Um die Wiederaufnahme und Spezifizierung einer Bestimmung aus dem verlorenen Textteil muß es sich dabei nicht handeln, obwohl natürlich die dort zu Grunde liegende Situation auf Euböa auch der Anlaß für die Schlußbestimmung gewesen sein muß. Man darf wohl so weit gehen zu sagen, daß ein Beschluß über Waffenlieferungen voraussetzt, daß diejenigen, die die Waffen anforderten, sich damit auf eine militärische Konfrontation vorbereiten wollten. Daß die Eretrier oder Euböer ein solches Ansinnen an Athen richteten und die benötigten Waffenteile nicht einfach auf dem Markt erwarben oder anfertigen ließen, zeigt, daß sie die Metallspitzen recht dringend benötigten. Ich zweifle nicht daran, daß Athen sie aufgrund des vorliegenden Beschlusses aus seinen Waffenarsenalen nahm und den Adressaten übergab 156 . Auch die Tatsache, daß die höchsten athenischen Institutionen mit einer solchen Angelegenheit befaßt wurden, darf nicht verwundern. Zum einen brauchten die für das Kriegsmaterial zuständigen Epimeleten entsprechende Rückendeckung für ihre Abrechnungen. Zum anderen ist uns bekannt, daß sich Bule und Demos nicht nur um den Bau von Schiffen, sondern auch um die Überwachung der sonstigen Waffengattungen gekümmert haben 157 . Lykurgos wurde mit derartigen Kriegsvorbereitungen beauftragt und unter anderem dafür öffentlich geehrt, daß er einen bedeutenden Vorrat an Waffen angesammelt hatte, worunter von Plutarch ausdrücklich auch Geschosse (βέλη) gezählt werden 158 .

3. Datierung Für die zeitliche Einordnung des Volksbeschlusses ergeben sich aus den bisherigen Darlegungen folgende Kriterien, die meist erschlossen und daher nicht absolut sicher, aber doch sehr wahrscheinlich sind. 1) Der verlorene Teil des Textes enthielt mit Sicherheit keinen Symmachievertrag und nur vielleicht einen Vertrag anderen Inhalts, setzt aber ein Bündnis Athens mit den euböischen Poleis voraus.

1

A u c h bei anderen Gelegenheiten hat Athen seinen Verbündeten Kriegsmaterial zur Verfügung gestellt. Die Kriegsschiffe, von denen wir dabei hören, mußten allerdings wieder zurückgegeben werden, wie ζ. B. die an Theben ausgeliehenen Schiffe, von denen im 1. Kapitel (A 3 ) die Rede ist, oder die wohl nach 341 den euböischen Chalkidiern zur Verfügung gestellten Schiffe, für die Athener zu bürgen hatten: IG I I 2 1623, Z.160ff.; IG II 2 1629, Z.516ff. Die Geschoßspitzen waren im Verhältnis dazu natürlich unbedeutende Posten und wurden ohne Ersatzpflicht weggegeben. !57 Vgl. 2. B. IG II 120, einen Volksbeschluß über die Inventarisierung der Chalkothek. 158 Vgl. IG II 457; Paus. 1, 29, 16 und Plut. mor. 852 c: χ ί ψ ο τ ο ν η θ ε ί ς Se έττι τ η ς τ ο υ πολέμου π α ρ α σ κ ί υ η ς δπλα μέι^ πολλά και βελών μ υ ρ ι ά δ α ς πέντε ά ν ή ν ε γ κ ε ν ε ι ς τ η ν άκρόπολίν.

194

5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

2) Über die verlorenen Bestimmungen hatte Athen mit einer oder mehreren der euböischen Poleis erfolgreiche Verhandlungen geführt. 3) Es ging um Angelegenheiten, die den gesamten Seebund betrafen. 4) Dem Volksbeschluß war eine kriegerische Auseinandersetzung vorausgegangen, in der die Geehrten Athen unterstützt hatten. Das war wahrscheinlich ein Angriff auf Euböa bzw. eine Polis der Insel, dessen Urheber nun bestraft werden sollten. 5) Zukünftige Angriffe dieser Art sollten durch den Volksbeschluß verhindert, Freundschaft und Bündnis mit Euböa sollten gesichert werden. 6) Weitere militärische Auseinandersetzungen waren in Kürze zu erwarten. Betrachten wir nun unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse die bisherigen Datierungsvorschläge der Forschung. Köhler (IG II 89) hatte die Inschrift allein aufgrund der Schrift in die 106. Olympiade, d. i. 356-352, gesetzt. Woodward brachte dann das Dekret in den Zusammenhang mit den Ereignissen von 357/6, als Athen die Thebaner aus Euböa vertrieb und mit den euböischen Poleis Symmachieverträge abschloß 1 5 9 . Die in Z.7 genannten Männer seien euböische Gesandte gewesen und hätten die zustimmende Antwort der Euböer auf die athenischen Symmachieangebote überbracht, von denen in IG II 2 124 die Rede sei, so daß unser Dekret jener Inschrift unmittelbar gefolgt sein müsse. Beide Annahmen sind in den obigen Ausführungen widerlegt worden. Der in Z.7 erwähnte Herakleiodoros müsse, so fährt Woodward fort, trotz der leicht unterschiedlichen Schreibweise mit jenem Herakleodoros aus Oreos (= Hestiaia) identifiziert werden, der nach Aristot. Pol. 1303 a die Oligarchie in seiner Heimatstadt durch eine demokratische Regierungsform ersetzt habe. Obwohl die von Aristoteles geschilderten Ereignisse ins Jahr 377 gehörten, könne Herakleodoros 20 Jahre später ohne weiteres noch politisch aktiv gewesen sein. Woodwards Datierung lehnt Cawkwell 160 mit dem Argument ab, daß Athen mit den euböischen Poleis im Jahr 357 Einzelverträge abgeschlossen habe, während IG II 2 149 mit einer Allianz zwischen Athen und den Euböern befaßt sei. Er bezieht sich dabei zweifellos auf die Zeilen 5-6, in denen die Bewahrung von Philia und Symmachia mit den Euböern beschworen wird. Da aber dieses Dekret, wie oben gesagt wurde, weder ein Symmachiebeschluß, noch ein instrumentum foederis ist, sondern nur in einer zusammenfassenden Klausel auf bereits bestehende Verhältnisse Bezug nimmt, so mag τ]οΐς Εύβοι^ύσιν nicht im technischen Sinn für den Vertragspartner, sondern durchaus als totum pro partibus gebraucht sein und mehrere Einzel - Symmachien implizieren 161 . So

' 5 ' Woodward, Inscriptions 3 0 6 ; ihm folgen Ziebarth, I G X I I 9, p . 1 5 1 ; T o d II, S . l 6 0 f . ; Accame, Lega 181; Wallace, Euboian League 13; Bengtson, S t V II, S . 2 7 5 ; Fernandez Nieto, Acuerdos, S . 3 7 3 . Nach Kirchner (IG II 149) kann das Dekret "vix recentior" als 3 5 5 sein, weil dann der Seebund aufgelöst worden sei. Von einer Auflösung kann jedoch keine Rede sein, wie auch die vorliegende Untersuchung an vielen Stellen deutlich macht, vgl. bes. u. Schluß B) 3. Cawkwell, Policy 2 1 1 Anm.7. ">' Man stelle sich hingegen den δπως - Satz mit einer Aufzählung der einzelnen euböischen Poleis vor; er verlöre völlig den floskelhaften Charakter, der ihn ausmacht. 160

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG I I 2 149)

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hatte sich auch schon Woodward die Sache vorgestellt 1 6 2 , und es wäre dies beileibe nicht der einzige Fall in den Quellen, in dem mehrere souveräne Staaten gerade einer Insel in dieser Weise zusammengefaßt sind 1 6 3 . Aber auch wenn man die Existenz eines euböischen Bundes voraussetzt, wäre es ganz unwahrscheinlich, daß Athen einen einzigen Gesamtvertrag abgeschlossen hätte. Denn soviel, oder besser: sowenig wir über dieses euböische Koinon wissen, bedeutete es doch niemals die völlige Auflösung der Einzelstaaten in eine Gesamt - Souveränität, sondern lediglich einen Bund der Poleis unter Führung von Chalkis 1 6 4 . Daher hätte Athen, auch in konsequenter Weiterführung seiner antiföderalistischen Politik (s. dazu ο. A 3.)» in jedem Fall mit den Einzelpoleis Bündnisverträge abgeschlossen, die unter Umständen die Anerkennung des Koinon, wie nach 3 4 8 und dann wieder nach 341/0, nicht unmöglich gemacht hätten. Cawkwells Einwand nimmt also das Jahr 3 5 7 nicht aus der Diskussion. D a die euböischen Poleis in jenem Jahr im Anschluß an einen militärischen Einsatz Athens wieder in den Seebund aufgenommen wurden, wären sogar die obigen Kriterien Nr. 1, 2 und evtl. 4 erfüllt. Zu den übrigen Kriterien paßt das Datum jedoch nicht und muß deshalb doch ausscheiden. Cawkwell hat stattdessen das Jahr 3 4 2 vorgeschlagen und sich später dem Vorschlag Brunts, der für 3 4 1 / 0 plädiert, angeschlossen 165 . Herakleiodoros hält er für den Enkel des bei Aristoteles erwähnten Herakleodoros. Beide Forscher sind der Meinung, Athen habe sich zu dieser Zeit mit einem geeinten Euböa verbündet. Das aber ist erstens nicht nachweisbar 166 und zweitens auch gar keine unabdingbare Voraussetzung unseres Dekrets. D e n n o c h sind durch die vorausgehenden militärischen Unternehmungen Athens in Oreos und Eretria unsere Kriterien Nr. 1, 2 und evtl. 4 erfüllt. Die Waffenlieferungen (Kriterium 6) ließen sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit Makedonien beziehen.

Woodward, Inscriptions 3 0 7 : "... the alliance between Athens and Euboea, without necessarily specifying the names of the separate cities." 163

164

165

156

Vgl. fur Euböa selbst Aisch. 2, 12 (erst später gründete Kallias ein euböisches Synhedrion, ebd. 3, 89); Dem. 19, 75; Xen. hell. 6, 5, 2 3 : Ε ύ β ο ε ΐ ς άπό πασών των πόλεων (quellenkritisch aber Cawkwell, Policy 2 1 1 Anm.7). Die Keer sind immerhin in I G Ι Γ 4 3 Β, Z . 2 3 - 2 6 als Oberbegriff für die Einzelpoleis erwähnt (s. u. S . 2 7 3 A n m . 2 4 7 ) , und der Vertrag IG II 9 6 spricht von den Kephalleniern insgesamt (Z.6-8), obwohl daraufhin nur die — demnach eigenständige — Polis Pronnoi in der Liste der Verbündeten I G II 4 3 Β, Z . 1 1 - 1 2 ) verzeichnet wurde. Zu weiteren Beispielen des staatsrechtlichen Gebrauchs eines solchen Plurals vgl. Cawkwell, Euboea 4 3 . Das zeigt nicht zuletzt die Darstellung des Aischines (3, 94ff.), der selbst dem euböischen Koinon ablehnend gegenüberstand: Eretria und Oreos müßten jetzt (Ende der vierziger Jahre) ihre jeweiligen Syntaxeis nicht mehr an Athen, sondern an Chalkis abliefern. Cawkwell, Policy 2 1 1 Anm.7; Brunt, Euboea 2 6 0 ; Cawkwell, Euboea 4 5 A n m . 1 4 . 6 7 A n m . 3 7 . Unabhängig von Brunt hat auch Larsen, Federal States 103 A n m . l dieses Datum ins Auge gefaßt. Der Rückschluß aus I G X I I 9, 2 0 7 (um 2 9 0 ) , ζ. B. bei Cawkwell, Euboea 4 2 f „ ist keineswegs zwingend, zumal auch dort die Frage nach der Souveränität noch nicht geklärt ist. Vgl. auch, was o. in A n m . l 6 4 zu Aisch. 3, 94ff. gesagt wurde. Dem. 18, 7 9 . 2 3 4 . 2 3 7 f . benennt wahrscheinlich ebensowenig im technischen Sinn die Vertragspartner wie die o. in A n m . l 6 3 genannten Stellen. D a Oreos und Eretria nacheinander befreit wurden, wurden mit ihnen wahrscheinlich 2 Einzelverträge geschlossen, von denen IG II 2 3 0 vielleicht ein Fragment ist; vgl. dazu Knoepfler, R E G 98, Cinq-cents und o. 2. Kap. A) 4 .

196

5. Die euböischen Poleis zu Beginn der vierziger Jahre

Schließlich wurde von Picard das Jahr 348 ins Spiel gebracht 167 . Für ihn steht fest, daß der Herakleiodoros unserer Inschrift mit jenem der aristotelischen Politik zu identifizieren ist. Nur gehöre der demokratische Umsturz in Oreos nicht ins Jahr 377, wie Woodward angenommen hatte, sondern in die turbulenten Ereignisse des Jahres 357. Für eine Datierung von IG II2 149 auf 342 oder später sei aber der zeitliche Abstand zu groß, so daß man 348 annehmen müsse. Das prosopographische Argument aus dem Namen "Herakleiodoros' ist allerdings weder für Picards Datum etwas wert, denn auch zwischen 357 und 340 kann derselbe Politiker tätig gewesen sein, noch gibt es sonst etwas für die Datierung her, da der von Aristoteles erwähnte Politiker oder ein Nachkomme für alle vorgeschlagenen Jahreszahlen in Anspruch genommen werden kann, die Identifizierung aber keineswegs sicher ist. Es spricht jedoch anderes für das Jahr 348 als Zeitpunkt unseres Volksbeschlusses. Athen hatte auf Seiten des Plutarchos in die euböischen Angelegenheiten eingegriffen. Aus IG II 2 125 hat sich ergeben (s. ο. A), daß kurz nach dem Friedensschluß (Kriterium 1) Plutarchos mit Unterstützung einiger Athener die Herrschaft in Eretria zurückgewinnen wollte, dabei jedoch von den vereinigten Euböern geschlagen wurde (Krit. 4). Angesichts dieser Situation mußte Athen die Euböer sofort beruhigen, um sie nicht als Bundesgenossen zu verlieren, und mit ihnen über das weitere Vorgehen beraten (Krit. 2); nicht über ein Bündnis, das ja schon bestand, sondern über das Vorgehen gegen die Missetäter und über Schutzmaßnahmen für die Zukunft (Krit. 5). Der unerhörte Vorgang eines militärischen Angriffs auf ein Mitglied des Seebunds von athenischem Boden aus forderte auch die Teilnahme der zweifellos beunruhigten anderen Verbündeten an den Verhandlungen (Krit. 3). Die Waffenlieferungen waren auf die weitere Bedrohung durch den noch nicht endgültig geschlagenen Plutarchos berechnet (Krit. 6). Er setzte sich aus Euböa zusammen mit seinen Söldnern erst ab, nachdem diese den Athenern ihre athenischen Gefangenen gegen Lösegeld ausgeliefert hatten. Aus der Kombination mit dem in das Jahr 348 zu datierenden Volksbeschluß IG II 2 125 hat sich also ergeben, daß dieses Datum das einzige ist, welches allen aus IG II2 149 erschlossenen Kriterien gerecht wird. Insbesondere die Beteiligung der Bundesgenossen (Krit. 3) und der Bezug auf zukünftige Angriffe (Krit. 5) werden nur unter dieser Annahme verständlich. Dabei muß IG II2 149 dem Hegesippos - Dekret vorausgehen, denn dort wird bereits das athenische Strafverfahren gegen die Angreifer Eretrias in Gang gebracht, und konkrete Strafdrohungen gegen zukünftige Aggressoren werden beschlossen. IG II 2 149 scheint dazu die Vorstufe zu bilden, auf der all das mit den Euböern und den übrigen Bundesgenossen abgesprochen wird.

w

Picard, Chalcis 239f. 242.

Β) Der athenische Volksbeschluß über Euböa (IG II 2 149)

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4. Ergebnis Auf der Grundlage einer neuen Textrekonstruktion hat sich ergeben, daß der athenische Volksbeschluß IG II 2 149 selbst kein Symmachievertrag Athens mit den Euböern ist, sondern vielmehr ein bereits bestehendes Bündnis voraussetzt. Die Verhandlungen, die aus den erhaltenen Teilen unseres Textes nur indirekt erschließbar sind, müssen ein Unrecht betroffen haben, das für den gesamten Athenischen Seebund von Bedeutung war, da auch bundesgenössische Vertreter daran beteiligt waren. Daher kann ein Zusammenhang zu dem im ersten Teil des Kapitels behandelten Hegesippos - Dekret hergestellt werden, so daß sich ein inhaltliches Kriterium für die bislang stark umstrittene Datierung unseres Textes ergibt: Dieser gehört zu den Ereignissen des Jahres 349/8 nach dem Phokion Feldzug. Er geht dem Beschluß IG II 2 125 unmittelbar voraus und spricht mit den direkt betroffenen Euböern, aber auch mit den übrigen Bundesgenossen ab, wie dem vorausgegangenen, nicht autorisierten Angriff einiger Athener um Hegesileos auf Eretria begegnet werden sollte. Gegen den von diesen Athenern unterstützten ehemaligen Tyrannen Plutarchos von Eretria müssen auch die Waffenteile gedacht gewesen sein, die Athen im letzten Satz des Dekrets, so die hier vorgelegte Interpretation, den Eretriern zur Verfügung stellte.

6. Kapitel Delos und der Seebund A) Die Verwaltung des delischen

Apollonheiligtums

1. Die Wiedereinrichtung der athenischen Verwaltung Zur Zeit der Gründung des Zweiten Athenischen Seebunds 1 lag die Verwaltung des delischen Apollon - Heiligtums in den Händen der autonomen Polis Delos. Das ist uns zwar nicht direkt belegt, läßt sich aber aus mehreren Indizien mit recht großer Sicherheit erschließen. Demnach begann diese Phase der delischen Verwaltung bald nach dem Königsfrieden 2 und dauerte wahrscheinlich bis zum Ende des athenischen Jahres 378/7. A b dem Amtsjahr des Kaileas (377/6) sind uns durch das sogenannte Marmor Sandwicense athenische Amphiktyonen als Administratoren des Heiligtums bezeugt 3 . D a ß dieses athenische G r e m i u m in seiner Abrechnung keine Übernahme früherer Kassenbestände auswies, ist letztlich kein so starkes Indiz dafür, daß erst mit diesem Abrechnungszeitraum die athenische Verwaltung wieder einsetzte, wie man meist angenommen hat 4 . Denn zum einen arbeiteten die athenischen Amphiktyonen sowohl früher als auch in der Folgezeit immer wieder mit delischen Amtsgremien zusammen 5 , so daß man eine Übergabe der Kassenbestände von Deliern an Athener vor dem Amtsjahr des Kaileas nicht von vornherein ausschließen kann; diese Bestände wären dann bis 378/7 verbraucht

Die G r ü n d u n g fällt ins Jahr 379/8, spätestens in die Zeit nach dem Angriff des Sphodrias auf den Piräus, wahrscheinlich aber vor dieses Ereignis, w i e Cawkwell, Foundation, überzeugend dargetan hat; vgl. aber auch schon H a m p l , Staatsverträge 133; Kallet - M a r x , Athens, geht noch vor K l e o m b r o t o s ' Invasion Boiotiens h i n a u f u n d hat sicherlich d a r i n recht, d a ß e i n i g e der vorbereitenden u n d initiierenden M a ß n a h m e n noch ins J a h r 3 7 9 gehören; vgl. auch Sealey, Demosthenes 52ff. Für die traditionelle Datierung nach der Sphodrias-Attacke haben sich in letzter Zeit ausgesprochen: Sinclair, King's Peace 52f.; C . D. H a m i l t o n (in e i n e m in vieler Hinsicht unzulänglichen Artikel), Diodorus on the establishment of the Second Athenian League, A H B 3, 1989, 9 3 - 1 0 1 ; Tuplin, Failings 158 A n m . 3 5 . 2 C o u p r y , Congresso 56; ders., I.Delos S . 2 1 . 4 3 ; Sinclair, King's Peace 43f. Bereits in den Jahren 4 0 2 bis 394/3 war das Heiligtum von Delos verwaltet worden. 3 IG II 1635 = I.Delos 98, Z.2. Diese sowie alle weiteren, Delos betreffenden Inschriften, auch die in Athen aufgefundenen, werden im folgenden n u r noch nach dem Corpus 'Inscriptions de Delos' zitiert, deren Editoren sie, soweit möglich, einer neuerlichen Revision unterworfen haben. 4 V o n Schoeffer, De Deli insulae rebus 56; Coupry, I.Delos S.21; Sinclair, King's peace 52. 5 V g l . I.Delos 9 3 (Jahr 410/9), Z . 1 0 - 1 5 ; I . D d o s 9 4 (Jahr 408/7), Z.4; I.Delos 104 (Jahr 364/3), Z.3f. Siehe zu diesen Dokumenten u. S . 2 1 8 bzw. S . 2 2 7 1

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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worden. Eine solche Zusammenarbeit ist neuerdings auch dadurch belegt, daß in Athen nicht lange vor dem Jahr 3 7 7 / 6 offenbar eine Art 'Dreiecksgeschäft' s t a t t g e f u n d e n hat, bei d e m eine G e s a n d t s c h a f t aus C h i o s delischen Repräsentanten eine dem Heiligtum geschuldete S u m m e zurückerstattete, deren größten Teil die Delier ihrerseits an einen athenischen Trierarchen weitergaben. O b w o h l der Charakter unserer diesbezüglichen Q u e l l e , einer bislang nur unzureichend publizierten, fragmentarischen Inschrift, im Dunkeln liegt, bezeugt diese doch eine finanzielle Transaktion zwischen dem delischen T e m p e l und Athen 6 . Z u m anderen kann die Kasse einfach leer gewesen sein, so daß den 6

Der Text war zuerst nur als Photographie publiziert worden von O. Alexandri, A D 25, 2 (1), 1970, 60 Nr. 17 und Tafel 56 a. Er wurde transkribiert und kurz kommentiert von Lewis, Besprechung Coupry, I.D^los 718f. Nach Lewis sieht die Inschrift, obwohl südöstlich der Akropolis gefunden, nicht nach der Arbeit eines athenischen Steinmetzen aus. Auch bleibe unklar, welche Behörde die Abrechnung aufgesetzt habe. Meines Erachtens kommt dafür jedoch nur eine athenische Institution in Frage, denn die letzte Eintragung eines vorausgehenden Abrechnungspostens, dessen Endsumme in den Zeilen 5-6 genannt wird, hält eine Soldzahlung für den Grammateus Chaireneos aus dem Demos Lamptrai fest. Auch dem Zahlungsempfänger in der ersten erhaltenen Eintragung mag ein athenisches Demotikon zugeordnet gewesen sein, Lewis ergänzt Ε ύ ξ ε ί ν ω ί ' Αμαξα?]ντε(ί). V o m unterpunkteten Ny, das bei Lewis durch ein Druckversehen zu Ypsilon wurde, ist auf dem Photo noch die rechte Haste zu erkennen, so daß die Lesung nahezu sicher ist und von allen attischen Demen nur Hamaxanteia in Frage kommt. Unter den von D . Whitehead, Abbreviated Athenian demotics, Z P E 81, 1990, 105-161, zusammengestellten Abkürzungen bietet IG II 2749, Z.3 mit Πυθοκρίτωι' Αμαξαντ£(ί) eine direkte Parallele. Für die delische Zahlung von 6.700 Drachmen an den Trierarchen Mantias verweist Lewis auf I.Delos 98, Z . 3 5 als Parallele, wonach dem athenischen Trierarchen Antimachos eine ähnliche Summe (7.000 Dr.) für den Transport der Festgesandtschaft und der Chöre ausbezahlt wurde, in diesem Fall von den athenischen Amphiktyonen des delischen Heiligtums. Die Parallele bereitet insofern Schwierigkeiten, als die von Athen 426 wieder eingeführten penteterischen Festspiele in Zeiten der delischen Tempelverwaltung nicht gefeiert wurden, vgl. Coupry, I.Dilos S.23. 43, und Mantias daher einen Transport für die kleineren jährlichen Delia durchgeführt haben müßte. Es ist aber schwer vorstellbar, daß die Delier die athenischen Theoroi und Chöre auf Kosten des Heiligtums transportieren ließen. Andererseits ist an Lewis' Zuweisung des Textes "in the period immediately before the reestablishment of the Athenian amphictyony in 3 7 7 " (daraus liest Develin, Officials 224, das konkrete Jahr 378/7) kaum zu zweifeln, da Delier die Rückzahlung des chiischen Darlehens entgegennahmen, es sei denn, das Darlehen wäre nicht vom Heiligtum, sondern von der Polis Delos gewährt worden, was aber äußerst unwahrscheinlich ist. Der Trierarch Mantias wiederum ist auch als Schuldner in den Aufzeichnungen der athenischen Werftaufseher IG II 1604, Z.10 und 46 aufgeführt. Clarke, Date 49ff., hat gezeigt, daß Mantias' dortige Schulden aus einer Trierarchie herrührten, und hat darüber hinaus die Datierung der Inschrift ins Jahr 379/8 sehr wahrscheinlich gemacht. Die von Alexandri und Lewis 'publizierte' Inschrift bestärkt ihn darin und gibt ihm Anlaß zu der Vermutung, daß Mantias' Trierarchie ins Jahr 379 gehören könnte (S.54f.). Wenn das der Fall wäre, ließen sich die beiden Inschriften über die Chronologie hinaus vielleicht auch inhaltlich aufeinander beziehen, so daß folgende Hypothese gewagt werden soll: Wenn Mantias als Trierarch bestimmte Transportleistungen für Delos übernommen hatte, so konnte er das nicht auf eigene Rechnung tun, sondern mußte dazu von den staatlichen Organen Athens beauftragt werden. Nachdem Delos ihn nicht schnell bezahlte und Mantias seinerseits, vielleicht im Zuge der allgemeinen Schuldeneintreibung in Athen (s. u. S.269), dazu gedrängt wurde, den aus seiner Trierarchie resultierenden Zahlungspflichten an den Staat nachzukommen, wird er die zuständigen Organe, vor allem die Bule, um Hilfe gebeten haben. Diese nutzte die ausgezeichneten Beziehungen, die Athen zu Chios als dem ersten Seebundsmitglied unterhielt, und veranlaßte die Chier, die ausstehende (Teil-) Rückzahlung ihres Darlehens an Delos mit dem Junktim zu versehen, daß die Delier davon den Mantias für seine Dienste bezahlten. Nur

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6. Delos und der Seebund

athenischen Amphiktyonen 377/6 oder auch früher garnichts zu übergeben war. Anderenfalls müßte man den bis dahin amtierenden delischen Tempelverwaltern unterstellen, die "heiligen Gelder" dem Apollon entzogen zu haben, nur damit sie in Zukunft nicht von Athen verwaltet würden. Ein stärkeres Argument dafür, daß die athenische Verwaltung im Jahr 377/6 wieder begonnen hat, ist jedoch die von Coupry herausgearbeitete fünfjährige Dauer eines Administrations - Zyklus' , der in unserem Fall von 377 bis 3 7 2 reichte 7 ; für ein vorausgehendes Quinquennium (382-377) ebenfalls athenische Administratoren anzunehmen, würde die Zeit der delischen Tempelverwaltung allzusehr z u s a m m e n s c h r u m p f e n lassen 8 . D e s weiteren wäre eine derartige Ausdehnung athenischen Einflusses ζ. B. im Jahr 378, als der Seebund erst aus wenigen Mitgliedern bestand 9 , schwerer vorstellbar als im folgenden Jahr, in dem durch das Aristoteles - Dekret (IG II 2 43) die Erweiterung des Seebundes angestrebt und auch wirklich erreicht wurde 1 0 . Die athenische Inbesitznahme des delischen Heiligtums könnte durchaus als eine das Aristoteles - Dekret flankierende Maßnahme intendiert gewesen sein, die vorrangig auf die Gewinnung der Kykladeninseln für den Seebund zielte 11 . Athen hat sich so einerseits Prestige verschafft 1 2 und gezeigt, daß es gewillt war, sich gegen spartanische Ordnungsvorstellungen durchzusetzen — denn auf Spartas Druck muß die Ablösung der athenischen durch eine delische Tempelverwaltung

so kann beim gegenwärtigen Stand unseres Wissens das athenische Interesse daran erklärt werden, sich an diesem Dreiecksgeschäft zu beteiligen und dessen ersten Teil, die Zahlung von Chios an Delos, sogar in der Volksversammlung vornehmen zu lassen: ev τωι δήμωι in Ζ.16-17 auf Alexandris Photo muß doch wohl so verstanden werden. 7 Vgl. Coupry, I.Dilos S.21. 8 Für die Notwendigkeit einer mehrjährigen delischen Verwaltung spricht vor allem die Zahl der durch die Tempelinventare dokumentierten penteterischen Kränze, die nur zu Zeiten der athenischen Tempelverwaltung geweiht wurden, vgl. Coupry, I.Delos S.43 und Sinclair, King's peace 43. In der Zeit von 405 bis 374 können nämlich nur drei penteterische Feste stattgefunden haben, vgl. die Übersicht bei Coupry, I.Delos S.43. 21. 23. Nach v. Schoeffer, De Deli insulae rebus 54; Beloch, Gr. Gesch. III 1, 144; Coupry, Congresso 56; Sinclair, King's peace 44 und anderen wurde neben den 398/7 und 394/3 fälligen Festen auch das von 381 (bzw. 382, wenn man die Umstellung vom dritten auf das zweite Olympiadenjahr mit Groh, Delo 155ff., nach 394 und nicht nach 377 datiert) nicht gefeiert. In diesem Fall wäre Delos im Jahr 382 oder 381 eben nicht unter athenischer Verwaltung gewesen. Groh, Delo 158, hält auch fiir möglich, daß statt der Delia von 382 die des Jahres 405 ausgefallen sind. 5

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Im März 377, als das Aristoteles - Dekret beschlossen wurde, umfaßte der Seebund die sechs Mitglieder Chios, Byzantion, Rhodos, Mytilene, Methymna und Theben. Sie alle sind in IG II 43, Z.79-83, von derselben Hand eingetragen wie der Text des Dekrets selbst; vgl. zuletzt Cargill, League l6ff.; zum Eintritt Methymnas und Thebens Dreher, Eintritt. Vgl. Diod. 15, 28, 3; Accame, Lega 70ff. Ferguson, Amphictyony, lehnt einen Zusammenhang mit der Gründung des Seebunds ab. Stattdessen sei der Zeitpunkt der Verwaltungsübernahme von den großen Delia im vorhergehenden Jahr bestimmt gewesen. Diese Plazierung der Delia ist jedoch durch die Forschungen von Groh und anderen (s.o. Anm.8) obsolet geworden. Zur in dieser Hinsicht parallelen Situation von 393 vgl. Funke, Homonoia 132.

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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nach dem Königsfrieden zurückgeführt werden 1 3 . Die athenische Aneignung des Tempels im Jahr 377 mag sogar, obwohl dieses Motiv in den Quellen nicht genannt wird, dazu beigetragen haben, daß Sparta im folgenden Jahr eine Flotte in die Agäis schickte, durch deren Niederlage in der Schlacht bei Naxos erst die athenische Oberhoheit zur See wiederhergestellt wurde 1 4 . Andererseits war die Übernahme der Tempelverwaltung durch Athen vielleicht auch deshalb ein Anreiz für die Inselstaaten, dem Seebund beizutreten, weil einige von ihnen beim Heiligtum verschuldet waren und hoffen konnten, als Verbündete Athens nachsichtiger behandelt zu werden 1 5 . Eine Verschuldung vor 377 ist uns aus der Abrechnung von 393-388 nur für Mykonos, Syros, Paros und Thermal auf Ikaros bekannt 1 6 . Aus einer sehr problematischen Urkunde ergibt sich, daß auch Chios vor 377/6 in Delos Schulden hatte 1 7 . Da keine weitere diesbezügliche Abrechnung aus dem ersten Viertel des vierten Jahrhunderts erhalten 18 und die von 393-388 selbst fragmentarisch ist, läßt sich nicht sagen, ob noch weitere der im Marmor Sandwicense genannten Poleis früher verschuldet waren. Dazu k o m m t die allgemeine Unsicherheit bei der Datierung der Seebundsbeitritte 1 9 . Von den eben aufgezählten vier Poleis ist lediglich für Mykonos ein Beitritt erst im Jahr 375 anzunehmen 2 0 . Das beim delischen Apoll hochverschuldete Paros hingegen ist recht früh auf die Stele des Aristoteles Dekrets eingetragen (Z. 89) und daher noch vor der Schlacht bei Naxos Seebundsmitglied geworden 2 1 . Dasselbe könnte auch für Syros und Thermal gelten, wenn sie wirklich dem Seebund angehörten 2 2 , so daß wir immerhin zwi-

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Athen hielt die Ü b e r n a h m e des delischen H e i l i g t u m s zweifellos für vereinbar m i t d e n Bestimmungen des Köni^sfriedens, die es im Aristoteles - Dekret (gleichgültig, ob man in der Rekonstruktion von IG II 43, Z. 12-14, eher Accame, Lega 49ff., oder Cawkwell, Foundation 60 A n m . l , folgt) noch einmal ausdrücklich anerkannt hatte. Mit seiner Ü b e r n a h m e des Tempels machte es die Durchsetzung der gegenteiligen spartanischen Interpretation des Königsfriedens rückgängig. 14 Vgl. Xen. hell. 5, 4, 60f.; D e m . 20, 77; Diod. 15, 34, 3-6; Polyain. 3, 11, 2; Plut. Phok. 6.; Burnett / Edmondson, Chabrias M o n u m e n t S.79 (A). 1 5 In der Tat hat dann Athen von den verschuldeten Poleis die Gelder zumindest nicht gewaltsam eingetrieben. Siehe dazu und zum möglichen Zeitpunkt der Verschuldung u. C). 16 I.Delos 97, Z.12-13; I.Delos 97 bis, Z . l l - 1 2 . 17 Zur Inschrift vgl. o. Anm.6. ά π ε δ ο σ α ν τ δ α ρ χ α ί ο Δ[ηλ]ίοις m u ß bedeuten, daß die Chier mit der ebenfalls genannten S u m m e von 10.800 D r a c h m e n einen Teil des Darlehens selbst, nicht Zinsen, zurückzahlten. Über die Gesamthöhe des Darlehens erfahren wir nichts; möglicherweise haben die Chier in einem zweiten Schritt auch die Restschuld getilgt, da sie in I.Delos 98 nicht mehr als Schuldner aufgeführt sind. 18 In I.Delos 95, einem Fragment aus einer Periode der delischen Verwaltung und einzigem weiteren Dokument aus diesem Viertel des Jahrhunderts, ist uns keine entsprechende Rubrik erhalten. 19 Vgl. ζ. B. Accame, Lega 70ff.; Cargill, League 38ff. 20 IG II 2 43 Β, Z.19; vgl. Accame, Lega 98. 100. 21 Zur Verschuldung vgl. I.Delos 98, Z.13. Β, Z.5; vgl. auch o. S.127f. u n d unten C). Z u m Beitritt in den Seebund vgl. Accame, Lega 83. 236. 22 W e n n Syros unmittelbar nach der Schlacht bei Naxos, oder sogar schon vorher, eine athenische Garnison a u f n a h m (vgl. Burnett / E d m o n d s o n , Chabrias M o n u m e n t 79 (L) mit K o m m e n t a r S.80f.), so könnte das für seine Mitgliedschaft im Seebund sprechen, vgl. Brun, Eisphora 130 sofern die Stationierung von Chabrias nicht gewaltsam vorgenommen wurde. Z u Garnisonen im Seebund u n d zu ihrer Übereinstimmung mit den Garantien des Aristoteles - Dekrets vgl. Cargill,

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6. Delos und der Seebund

sehen einem und drei Staaten namhaft machen können, die die athenische Ü b e r n a h m e des delischen Heiligtums mindestens nicht von einem Seebundsbeitritt abgehalten, möglicherweise sogar dazu ermuntert hat. Sicher aber wurde diese athenische Maßnahme von potentiellen Verbündeten nicht isoliert gesehen, sondern, wie von Athen ja auch beabsichtigt, im Zusammenhang mit den umfangreichen Garantien des Aristoteles - Dekrets; die Expedition des Chabrias im Jahr 3 7 7 , die ihn nach Diodor (15, 30, 5) auch zu den Kykladen führte, kann ebenfalls einiges bewirkt haben. Die Übernahme der Tempelverwaltung wurde von Athen zweifellos als Wiederherstellung eines früheren (Rechts-)Zustandes gerechtfertigt 2 3 . Die bis dahin für das Heiligtum zuständigen Delier ließen sich damit allerdings wohl kaum überzeugen. W i e Athen also die Einsetzung seiner Amphiktyonen praktisch durchsetzte, ist nicht überliefert. Einer direkten militärischen Aktion bedurfte es vielleicht n i c h t 2 4 , zumal die Beziehungen der beiden Staaten, wie eingangs bemerkt, vor 3 7 7 / 6 nicht unbedingt schlecht waren. Es hat auch nicht den Anschein, als ob eine athenische Garnison zum Schutz der Amphiktyonen auf Delos stationiert worden wäre; die Kosten für eine solche Garnison hätten sicher vom Tempel getragen und in den Ausgabenlisten der Amphiktyonen aufgeführt werden müssen 2 5 . Ebensowenig hätten die im vierten Jahrhundert allenfalls noch wenigen athenischen Kleruchen die Amphiktyonen wirksam schützen können; aber es siedelten höchstwahrscheinlich gar keine athenischen Kleruchen mehr auf der Insel 2 6 . Trotz allem aber kann es letztlich nur die wiedererstarkte und durch

League l 4 6 f f . ; zu Syros 153. Für die Seebundsmitgliedschaft von Thermal liegt kein Zeugnis vor. Beide Poleis erscheinen im Marmor Sandwicense als Schuldner (I.Delos 9 8 , Z . l l bzw. 14), was aber entgegen der gängigen Meinung nicht als Beweis für ihre Mitgliedschaft angesehen werden kann, s. u. C). W e n n sie dem Seebund angehörten, könnten sie auf der verlorenen rechten Seite der Zeilen 8 6 - 9 0 des Aristoteles - Dekrets verzeichnet gewesen sein, vgl. zuletzt Cargill, League 37f. 23

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Vgl. die spätere athenische Argumentation bei den Verhandlungen vor der delphischen Amphiktyonie, s.u. 5. Nach Seager, Thrasybulos 102 A n m . 6 6 , benötigte Athen auch nach der Schlacht bei Knidos keine bewaffnete Intervention zur Wiedererlangung der Kontrolle über das delische Heiligtum. Vgl. die Anweisung der Stationierungskosten durch die athenische Volksversammlung für die Garnison auf Andros, I G II 123. Die Liste der Ausgaben für 3 7 7 - 3 7 4 ist in I . D ä o s 98, Z . 3 1 - 5 6 zwar nicht ganz vollständig erhalten, die fur 3 7 4 / 3 in derselben Inschrift (Z.67fF.) aber schon. Ein einzelner Kleruche ist uns aus dem vierten Jahrhundert bezeugt in I.Delos 104-5 (Jahr 3 5 9 / 8 ) , Z . 1 3 : τ ο ι ς θάψασι τ ο ν κληροχοΐν. Da dieser Eintrag bei den Ausgaben des Tempels aufgeführt ist (vgl. Coupry, I.Delos S . 5 8 ) , scheinen die Amphiktyonen die Bestattungskosten dieses Kleruchen übernommen zu haben. Das dürfte für einheimische, also auf Delos oder dem benachbarten Rheneia wohnende Kleruchen kaum die Regel gewesen sein, so daß wir damit rechnen müssen, daß ein woanders, ζ. B. auf Lemnos, Imbros oder Skyros ansässiger athenischer Kleruche bei seinem Besuch des delischen Heiligtums verstorben war. Von den Kleruchen, die vielleicht - 4 2 2 nach Delos gekommen waren (Diod. 12, 7 3 , 1: ... Αθηναίοι ... έξεβαλον αύτοϋς έκ τ η ς νήσου και την πόλιν αύτοι κατέσχον wird im allgemeinen so interpretiert; contra bereits A. Kirchhoff, Uber die Tributpflicht der attischen Kleruchen, Abh. Kgl. Akad. Berlin 1 8 7 3 I, S . 3 4 ; vgl. Diod. 12, 58; T h u k . 3, 104; 8, 108), mußten die meisten, wenn nicht alle, nach der Rückkehr der Delier im folgenden Jahr (Thuk. 5, 1. 32; Diod. 12, 7 7 ) die Insel wieder verlassen. Sollten danach noch einzelne athenische Kleruchen geduldet worden sein, so doch kaum länger als bis zum Ende des fünften Jahrhunderts, als die Delier die Verfügungsgewalt

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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den erwähnten Chabrias - Zug zur Schau gestellte militärische Präsenz Athens in der Agäis gewesen sein, die die Delier zur D u l d u n g der athenischen Fremdverwaltung veranlaßt hat. W a n n immer sie dafür die Unterstützung einer führenden Macht erlangen konnten, versuchten sie nämlich, das Heiligtum in eigene Regie zu übernehmen. Sparta ermöglichte das ab ca. 403 und nach dem Königsfrieden 27 . Ein späterer Versuch, Philipp von Makedonien als Garanten zu gewinnen, scheiterte im Jahr 343 oder kurz zuvor 2 8 . Erst Antigonos sicherte ab 314 eine langfristige Periode der delischen Unabhängigkeit 2 9 . Dementsprechend konnte auch Athen seine H o h e i t über das delische Heiligtum nur aufrechterhalten, wenn und solange es die Agäis beherrschte, wie im f ü n f t e n Jahrhundert zur Zeit des ersten Seebunds, oder wenn es dort zumindest nicht direkt bedroht wurde, wie nach dem Sieg bei Knidos 3 0 . Delos konnte auf sich allein gestellt gegen die athenische Übermacht nichts ausrichten. Im Jahr 377 durfte es noch hoffen, daß die bis dahin stärkste Macht Griechenlands, Sparta, die athenische Aneignung des Heiligtums wieder rückgängig machen und die nach dem Königsfrieden geschaffenen Verhältnisse weiterhin garantieren würde. Nach dem athenischen Sieg bei Naxos mußten die Delier diese Hoffnung begraben; sie scheinen sich daraufhin mit den Athenern arrangiert zu haben und mit ihnen ohne größere Streitigkeiten bis in die vierziger Jahre ausgekommen zu sein.

2. Die Mißhandlung der athenischen Amphiktyonen Nicht sehr lange nach der Übernahme der Tempelverwaltung sahen sich die athenischen Amphiktyonen einem tätlichen Angriff seitens einiger Delier

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über das Apollon - Heiligtum erhielten, wie durch I.Delos 87 (=Tod II 99) gesichert ist. Lysander, der dem delischen Apoll selbst Geschenke geweiht hat (I.Delos 104, Z . 8 2 m i t C o u p r y s Kommentar S.42) hätte die Präsenz athenischer Kleruchen sicher unterbunden. P. Roussel, Delos, colonie athenienne, Paris 1916, N D mit Ergänzungen 1987, 34, hält die oben zitierte inschriftliche Erwähnung des Kleruchen für "un peu enigmatique" u n d betont, daß nichts auf die politische Organisation einer Kleruchie hinweise. Für Treheux, Delos 1020, ist die Inschrift ein Beleg für die Präsenz athenischer Kleruchen auf Delos, nur sei ihre Zahl nicht bestimmbar. Vgl. ζ. B. Coupry, Congresso 56, und o. Anm.8. Dazu unten 5. Vgl. Vial, Delos 1-3, zur genauen Datierung von Beginn u n d Ende der Unabhängigkeitsperiode zwischen 314 und 166 v. Chr. Die Einwände Couprys, Congresso 57, gegen Treheux' Datierung der Unabhängigkeit auf September 314, m i t denen aber auch C o u p r y das D a t u m nicht f ü r widerlegt hält, sind bei Vial, der Treheux folgt, allerdings nicht berücksichtigt. Sie bewogen auch Treheux selbst nicht dazu, von seiner These abzurücken, vgl. dens., U n e nouvelle lecture des inventaires d'Apollon ä Delos, in: Comptes et inventaires dans la cite grecque. Actes du colloque de Neuchätel en l'honneur de Jacques Treheux, hg. v. D . Knoepfler, Neuchätel 1988, 29-35, hier S.29. I.Delos 97 belegt die athenische Vorrangstellung bei der Tempelverwaltung fiir die Jahre 3 9 3 / 2 bis 389/8.

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6. Delos und der Seebund

ausgesetzt, die daraufhin in einem Asebieprozeß verurteilt wurden. Den Vorfall kennen wir aus dem Gerichtsurteil, das die A m p h i k t y o n e n in ihre Aufzeichnungen aufgenommen haben (I.Delos 98 Β, Z . 2 4 - 3 0 ) : Ο'ιδβ ώφλον Δηλίων α σ ε β ε ί α ς [έττΐ Χίαρισάυδρο ά ρ χ ο ν τ ο ς |' Αθήνησι, ev Δήλωι δέ Γαλαίο, τ[ίμημα] τ ό [έ]πιγβ[γ]ραμμένον | [κ]αΙ ά^ιφυγία, δτι [και] έκ τ δ ie[po τ ο Ά Ι π ό λ λ ω ν ο ς τ ό Δ η λ ί ο ή|γον τ ό ς Ά μ φ ι κ τ ύ ο ν α ς και ε τ υ τ ι ί τ ο ν "Folgende Delier wurden wegen Asebie verurteilt, unter dem Archon Charisandros in Athen, in Delos Galaios - Strafe: das Verzeichnete und ewige Verbannung weil sie die Amphiktyonen aus dem Tempel des delischen Apoll geworfen und geschlagen hatten" 3 1 . Es folgen die Namen und Vatersnamen von sieben Verurteilten, jeweils mit dem Zahlzeichen für 1 0 . 0 0 0 Drachmen Strafsumme; ein weiterer Name ist eradiert. Das Urteil erging im Amtsjahr des athenischen Archonten Charisandros, also 376/5; es bildet den terminus ante für den Angriff auf die Amphiktyonen. Möglicherweise muß der Vorfall noch vor die Schlacht bei Naxos (September 3 7 6 ) gesetzt werden, nach welcher Athen die Ägäis wieder beherrschte, so daß die Delier eine solche Provokation nicht mehr gewagt hätten 3 2 . D a ß aber diese Annahme nicht zwingend ist, wird sich aus dem weiter unten behandelten historischen Zusammenhang ergeben. Terminus post ist der Wiederbeginn der athenischen Verwaltung nach dem Königsfrieden, also, wie oben gesagt, das Amtsjahr des vorhergehenden Archonten Kaileas, 377/6. In welches der beiden Jahre die Tätlichkeiten gehören, ist nicht zu entscheiden. Sie dürften auch kaum der Anlaß dafür gewesen sein, daß der Amphiktyone Sosigenes zum Ende des Amtsjahres 377/6 aus dem Gremium ausschied, während sein Kollege Idiotes sein Amt erst mit Beginn des folgendes Jahres antrat 33 . Denn obwohl es so aussieht, als sei Sosigenes durch Idiotes ersetzt worden 3 4 , kann keine Ablösung vorliegen, da normalerweise fünf Amphiktyonen gleichzeitig dem Gremium angehörten und zwar aus fünf verschiedenen Phylen 3 5 ; bei einer Ablösung hätte der Nachfolger des Sosigenes also aus dessen Phyle kommen müssen, was jedoch für Idiotes nicht zutrifft. W i r müssen daher annehmen, daß, aus welchen Gründen auch immer, beide für die gesamte Amtsperiode bestimmt waren, der eine aber nach einem Amtsjahr ausscheiden mußte, während der andere sein Amt erst im zweiten Jahr der Amtsperiode antreten könnte36.

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Zur Struktur und Übersetzung der Stelle vgl. auch Thür, Urteil aus Mantineia, 68. So ζ. B. auch Ferguson, Amphictyony 4 0 Anm.3; Dittenberger, A n m . 3 6 zu Syll. 3 153. Die Amtszeiten der Amphiktyonen sind in den Zeilen 1-11 auf Seite Α der Inschrift festgehalten, wobei hier die Interpunktion Köhlers zu Grunde gelegt wird, welcher auch Coupry folgt. Zur abweichenden Interpunktion Dittenbergers, Syll. 153, die andere Amtszeiten für die einzelnen Amphiktyonen bedeutet, vgl. Coupry, I.Delos S . 2 1 .

So noch v. Schoeffer, D e Deli insulae rebus 55. Vgl. Ferguson, Amphictyony, der gleichwohl einen Zusammenhang zwischen den Unruhen und dem Wechsel in der Amphiktyonie annimmt; Coupry, I.Delos S . 2 1 . Erst im Jahr 374/3 wurden Sosigenes und Idiotes durch Nachfolger aus ihrer jeweiligen Phyle ersetzt: I.Delos 98 A, Z . 6 0 - 6 1 ; vgl. den Kommentar Kirchners zu IG Ι Γ 1 6 3 5 . 3(> Idiotes diente seinerseits auch nicht die gesamte Amtsperiode ab, sondern schied, wie die Inschrift mitteilt, nach dem Hekatombaion des Jahres 375/4, also im Lauf des August 3 7 4 , wieder aus.

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A) D i e Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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Die Delier wurden wegen Asebie verklagt und verurteilt 37 . Durch die Wahl dieser Klageform, statt etwa einer γ ρ α φ ή ύβρεως oder einer δίκη αίKeine, ließ sich herausstellen, daß sich die Tat gegen Apollon und sein Heiligtum gerichtet hatte; daß Athener davon betroffen waren, trat demgegenüber zurück. Die Klage, deren Formulierung das aufgezeichnete Urteil in etwa beibehalten hat 3 8 , wurde wahrscheinlich von den mißhandelten Amphiktyonen selbst erhoben. Zwar hatte jeder Bürger die Möglichkeit, eine öffentliche Klage einzubringen, aber den Vorgang selbst und die Übeltäter kannten wohl nur die Amphiktyonen gut genug, die auch das größte persönliche Interesse an der Ahndung des Unrechts hatten 3 9 . Von Schoeffer hatte einst angenommen, daß das Gerichtsverfahren in Delos stattgefunden habe. Dabei war er zunächst davon ausgegangen, daß das Gericht aus Athenern bestand, die zu diesem Zweck nach Delos geschickt worden seien; so verstand er in seiner Monographie eine andere Stelle der Inschrift, die er nach C.I.A. II 814 b so zitierte: τ ο ι ς e i c τ ά ς δ ί κ α ς π ε μ φ θ ε ΐ σ ι ν ύπό τ η ς βουλής 4 0 . Später hielt v. Schoeffer die vom Rat geschickten Athener für Anwälte, welche die betroffenen Delier vor einem unabhängigen Gericht anklagen sollten 4 1 . Beide Versionen sind nicht haltbar. D a ß ein ganzer Gerichtshof nach Delos geschickt wurde, wäre der athenischen Rechtspraxis, die bedeutende Prozesse immer vor die Volksgerichte in Athen zog, völlig fremd gewesen und ist schon deshalb abzulehnen. Darüber hinaus aber ist durch eine treffsichere Ergänzung Wilhelms, die v. Schoeffer noch nicht b e k a n n t war, der Zusammenhang der betreffenden Zeile des Marmor Sandwicense dergestalt wiederhergestellt worden, daß beide Interpretationen v. Schoeffers ausgeschlossen werden, weil nämlich die von Athen geschickten Männer nicht nach Delos, sondern in die verbündeten Poleis reisen sollten, zu denen Delos nicht gehörte 42 ; damit besteht kein Zusammenhang mehr zu dem Asebieprozeß 43 . Dabei braucht nicht bestritten zu werden, daß es eine von Athen unabhängige Gerichtsbarkeit der Polis Delos gegeben hat, worauf sich v. Schoeffer in seiner späteren Interpretation stützen zu können glaubt 4 4 . Das folgt aber aus der anderweitig belegten Souveränität von Delos und nicht aus dem Peisitheides - Dekret (IG II 2

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Näheres zu Asebiedelikten ζ. B. bei Lipsius, Recht 358ff. Z u m Vergehen der Delier 3 6 1 f. Allgemein vgl. die Q u e l l e n z u s a m m e n s t e l l u n g von M . Winiarczyk, A n t i k e Bezeichnungen der Gottlosigkeit u n d des Atheismus, R h Μ 135, 1992, 2 1 6 - 2 2 5 , die allerdings keine Inschriften berücksichtigt! Vgl. T h ü r , U n t e r s u c h u n g e n , 470 N r . 6 . Vgl. auch Lipsius, Recht 243. V. Schoeffer, D e Deli insulae rebus 68. Köhlers T e x t in C.I.A. II 8 1 4 (= I G II 814) b, Z . 3 2 lautet allerdings genau: τ/oih em τ ά ς δ ί κ α ς π ε μ φ θ ί ΐ σ ι ΐ ' ύ π ό τ[ή]ς β ο υ λ ή ς kv ... . Vgl. zu dieser B e s t i m m u n g ausführlich u. D ) . V. Schoeffer, R E Delos 2 4 8 1 . S. dazu u. B). Ad. Wilhelm, Besprechung von Dittenberger, Syll. Γ , in: G G A 1903 N r . 1 0 , S.782, ergänzt Zeile 71 von C I A II 8 1 4 zu: και e k τ ά ς σ [ υ μ μ α χ ] ί δ α ς [ π ό λ ε ι ς κήρυξι τ ο ΐ ] ς έ π ϊ τ ά ς δ ί κ α ς π ε μ φ θ ά σ ι ν ύ π ό τ η ς β ο λ ή ς . Wilhelms κήρυξι, an d e m bereits Dittenberger (Syll. 1 5 3 A n m . 2 6 ) A n s t o ß g e n o m m e n hatte, weil es u m zwei Buchstaben zu kurz fur die Zeile ist, w u r d e von P r e u n e r (bei Kirchner I G II 1635) d u r c h άνδράσιι^ ersetzt, das die späteren Herausgeber ü b e r n a h m e n . R E Delos 2 4 8 1 .

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6. Delos und der Seebund

222), das v. Schoeffer anführt. Dieses setzt nämlich nicht zwingend eine Verurteilung des Peisitheides in Delos voraus - er könnte auch geflohen sein und gehört überdies, wie inzwischen nachgewiesen wurde, in die Zeit nach 334, beweist daher für die Zeit des Seebunds nichts 45 . Der Asebieprozeß gegen die Delier fand also in Athen vor einem Dikasterion statt. Das ergibt sich vor allem aus den beiden uns bekannten Amphiktyonieprozessen, über die in der Stoa Poikile bzw. im Parabyston verhandelt wurde 46 . Auch hätte ein delisches Gericht das dortige Heiligtum kaum als das des delischen Apollon spezifiziert. Für den Gerichtsort Athen sprechen aber auch Überlegungen zur historischen Situation. Die angegriffenen athenischen Amphiktyonen hätten in dem offenbar athenfeindlichen Klima kaum auf ein aussichtsreiches Verfahren in Delos hoffen können, werden ihre Klage also nicht dort erhoben haben. Außerdem hätten sie durch eine Klage in der Inselpolis anerkannt, daß der Tempel auf delischem Hoheitsgebiet liege. Da die griechischen Prozesse im allgemeinen nach der lex fori anhängig gemacht wurden 47 , unterstrich es hingegen die gegebene athenische Oberhoheit über den Tempel, wenn der Prozeß in Athen stattfand. Das Urteil wäre, wenn es in Delos ergangen wäre, auch kaum in die Aufzeichnungen des — bis einschließlich 375/4 rein athenischen - Amphiktyonenkollegiums eingegangen und in Delos und Athen aufgestellt worden. Die angeklagten Delier wurden vom Gericht mit je 10.000 Drachmen Geldstrafe und mit ewiger, d. h. lebenslanger Verbannung belegt. Die Geldstrafe zunächst mußte sicher an die Tempelkasse bezahlt werden. Darin dürfte der Hauptgrund liegen, warum die Strafen bzw. die Schuldner im Rechenschaftsbericht der Amphiktyonen unmittelbar nach den verschuldeten Poleis und Privatleuten verzeichnet wurden 48 . Der Einwand, dann müßten auch die eingetriebenen Gelder verzeichnet sein 49 , ist nicht stichhaltig. Denn es ist durchaus möglich, daß einige der dem Tempel gehörigen Häuser aus dem konfiszierten Besitz der Verurteilten stammten (s. dazu weiter unten). Weitere Gelder mögen erst in späteren Jahren eingetrieben worden sein, aus denen wir

^ Zu den Nachweisen s. u. S.229. Nachdem die Frage seit v. Schoeffer meines Wissens nicht mehr aufgegriffen wurde, weist jetzt G. Stumpf in seinem Prozeßkommentar zu IG II 1635 auf die Parallelen hin und siedelt deshalb auch den Asebieprozeß in Athen an. Das hatte schon Böckh, Staatshaushaltung II 93, angenommen, ohne allerdings eine Begründung für notwendig zu halten; ebenso Usteri, Ächtung 67. Die Paralleltexte sind: IG II 1641 Β = I.Delos 104-26 C aus der Mitte des vierten 2 Jahrhunderts und IG II 1646 a = I.Delos 104-22 b, wofür 346/5 der terminus a quo ist, vgl. Couprys Kommentar. G. Stumpf, Zwei Gerichtsurteile aus Athen. IG ΙΓ 1641 Β und IG Ι Γ 1646 a, Tyche 2, 1987, 211 - 215, gibt eine Neulesung und neue Erklärung beider Texte. Vgl. ζ. B. Triantaphyllopoulos, Rechtsdenken 16. 4 8 V. Schoeffer, De Deli insulae rebus 67, scheint zunächst vermutet zu haben, die Strafgelder hätten der athenischen Staatskasse zugestanden; zu seiner späteren Ansicht vgl. u. Anm.51. « V. Schoeffer, RE Delos 2481.

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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keine vollständigen Abrechnungen mehr haben. Oder man hat die Angelegenheit recht bald auf sich beruhen lassen, um mit den Deliern nicht weiterhin in Streit zu leben. Für Gelder aus Gerichtsprozessen scheinen die Amphiktyonen eine spezielle Kasse bzw. Buchungsrubrik gehabt zu haben, die schon in I.Delos 98 A, Z . 2 5 f . (evtl. auch Z . 6 6 ) als Einnahmeverbuchung auftaucht. Für die Ausgabenseite wurde in einem späteren athenischen Volksbeschluß verfügt, daß die Amphiktyonen aus solchen Geldern die Aufstellung des Proxeniedekrets für Pythodoros aus Delos bezahlen sollten 5 0 . Die Vermutung, nach der die Strafgelder aus dem Asebieprozeß an die delische Staatskasse fallen sollten 5 1 , braucht nach den obigen Ausführungen gegen die Annahme eines delischen Gerichts nicht gesondert widerlegt zu werden. Daß ein Teil davon als Schmerzensgeld den mißhandelten Amphiktyonen zugefallen sei 5 2 , ist eine moderne Vorstellung, die dem athenischen Asebieverfahren zur Ahndung eines Religionsfrevels nicht gerecht wird. Dem zweiten Teil der Strafe, der ewigen Verbannung, kann der Charakter einer Strafe nur zukommen, wenn die damit Belegten ihre Heimat, also Delos, verlassen mußten. Auch aus logischen Gründen kann jemand nur von dort verbannt werden, wo er bisher gelebt hat bzw. normalerweise lebt oder leben will; allenfalls kann die Verbannung zusätzlich noch auf andere Territorien ausgedehnt werden 53 . Es ist dabei eine recht akademische Frage, ob sich die Verbannung auch auf das athenische Staatsgebiet erstreckte; daran dürfte in der Realität niemand gedacht haben, da Athen für die dort verurteilten Delier zuallerletzt als Zufluchtsort in Frage kam 5 4 . Trotzdem wurde die Ansicht vertreten, die άειφυγία der Inschrift habe nur für Athen, gegebenenfalls auch für den ganzen Athenischen Seebund, nicht aber für Delos gegolten 55 . Dies geschah vielleicht

3 50 I.Delos 88 (= Syll. 158 = Durrbach, Choix 10), Z.25-27: ί ί ς δέ την άναγραφήν δούναι της στήλη|Ις] τους Άμφικτύονας έκ των χρημάτων των άσ|πραττομενων παρά των τάς δίκας όφλόντων. Zur Vollstreckung der Strafen siehe weiter unten. 5 1 Nach v. Schoeffer, RE Delos 2481, fiel ein Teil des Geldes an Delos. 5 2 V. Schoeffer ebd. Ihm folgt Seibert, Flüchtlinge 1116. 53 In IG II 111, Z.41 haben die Athener einige Julieten aus Keos und Athen verbannt: φίύγειν αυτούς Κέω και 'Αθήνας. Keos mußte hier erwähnt werden, weil Julis nur ein Teil dieser Insel war, auf die die Verbannung sinnvollerweise ausgedehnt wurde; ein möglicher Rückzug der Verbannten nach Athen wurde daran anschließend vielleicht auch deshalb ausdrücklich ausgeschlossen, weil es den Keern nach ihrem früheren Abfall erlaubt worden war, sich im athenischen Bundesgebiet anzusiedeln, wenn sie das wünschten: ebd. Z.64-66. Vgl. auch IG II 24 b, Z.4-6 (= Osborne, Naturalization II D 9, Z.20-22): φεύγίίν την πόλιν | τ]ην' Αθηναίων και τά[ς αΧλ]ας πόλίες, όπόσαι' ΑΘ1|ηναίων έσίν σύμμαχοΐι. Das Dekret datiert ungefähr in das Jahr 388. Vgl. allgemein auch Gehrke, Stasis 222. 298, mit Beispielen aus anderen Bünden; die Vorfälle auf Delos um 376/5 hat Gehrke nicht in seine Stasis - Sammlung aufgenommen. 5 4 Nach Usteri, Achtung 67, bezog sich die Verbannung "auf die gesamte Amphiktyonie". Diese ursprünglich um das delische Heiligtum konzentrierte Staatengemeinschaft hatte jedoch - anders als in Delphi - im vierten Jahrhundert keine Organisationsstruktur mehr; zu ihrem Verschwinden im Laufe des fünften Jahrhunderts vgl. ζ. B. Smarczyk, Religionspolitik 475f. Konkret kann sich eben auch Usteri nur vorstellen, daß die Schuldigen "mindestens aus Delos und Athen verbannt'' waren (Hervorhebung im Orig.). 55 Ζ. B. Laidlaw, Delos 80; Osborne, Decrees for Delians 172 Anm.l 1.

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6. Delos und der Seebund

auch unter der unausgesprochenen Voraussetzung, daß es sich um ein athenisches Urteil handelte, ausdrücklich aber deshalb, weil man den verurteilten Pyrrhaithos mit dem gleichnamigen delischen Archon des Jahres 374/3 identifizierte 5 6 , was aber durchaus fraglich ist 5 7 . Hauptzweck der Verbannung mußte es sein, die antiathenisch eingestellten Delier von der Insel und d a m i t auch v o m Apollonheiligtum fernzuhalten 5 8 , u m zu verhindern, daß sich ähnliche Manifestationen wiederholten und daß die athenfeindliche Haltung in der delischen Bürgerschaft an Boden gewann. Zur Erlangung dieses Ziels scheuten sich die athenischen Amphiktyonen und Richter nicht, durch ihre Klage bzw. ihr Urteil letztlich in Hoheitsrechte der Polis Delos einzugreifen. Denn spätestens bei ihrer Vollstreckung mußten beide Strafbestandteile, Geldstrafe und Verbannung, die delische Souveränität direkt berühren. Wie also hat man sich die Eintreibung der Geldsummen und die Durchsetzung der Verbannung konkret vorzustellen? Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu klären, ob das in der Inschrift festgehaltene Urteil auch wirklich vollstreckt wurde. Ein wichtiges Indiz für die D u r c h f ü h r u n g der Vollstreckung wäre es, wenn einige der in I.Delos 98 B, Z.31ff. genannten, dem Tempel gehörigen Häuser und Werkstätten tatsächlich von den Verurteilten konfisziert worden waren, wie man seit langem vermutet h a t 5 9 . Diese Immobilien wurden vom Tempel wohl erst seit 3 7 5 / 4 , dem auf das Urteil folgenden Jahr, vermietet 6 0 und stammten in zwei Fällen aus dem Besitz von Männern, deren N a m e n mit zwei Vatersnamen von Verurteilten übereinstimmen 6 1 . Ein weiteres Patronymikon taucht erst in späteren Verzeichnissen als N a m e eines Vorbesitzers von Tempeleigentum a u f 6 2 , was sich leicht aus dem fragmentarischen Zustand der Listen erklären ließe. D a ß die Häuser durch Konfiskation an den Tempel gelangten, ist jedoch nicht sicher. Es

Laidlaw, Delos 80. Als Archon ist Pyrrhaithos bezeugt in Β, Z.9 unserer Inschrift. 57 Dazu u. S.236f. 5 8 Bestünde die Strafe nur darin, daß sich die Verurteilten vom Heiligtum fernhalten sollten, dann müßte man eine andere Terminologie erwarten, so Usteri, Achtung 67f., gegen Szanto, J O E A I 1, 1898, 205, mit einigen Beispielen. Darüber hinaus ließen sich folgende Texte anführen: Im drakonischen Mordgesetz (IG I 3 104, Z.27f., ergänzt nach Dem. 23, 37) heißt es: άπεχόμενον άγοραΐς έφο|ρ[[α]ς κ[α]1 [άθλον και hiepov ' Αμφικτυονιχδν. Das Urteil aus Mantineia IG V 2, 262 enthält die Bestimmung (Z.20-22): ά π ε χ ο μ ί ν ο ς | κά τόρρεντερον γ έ ν ο ς e v a i | αματα πάντα άπϋ τοΐ ι ε ρ ο ί , d. h. (sie sollen) "sich und ihre Nachkommen in männlicher Linie für alle Zeiten vom Heiligtum fernhalten". Der von H. Taeuber erstellte Text ist hier zitiert nach Thür, Urteil aus Mantineia 58, von dem auch die Übersetzung übernommen ist. 55 Vgl. Böckh, Staatshaushaltung II 83. 95. 96. Weitere Literaturhinweise bei Hennig, Häuser 414 Anm.15; dazu noch T o d II S.81f. und Kent, Estates 257f. 6 0 Mieteinnahmen, wohl aus den B, Z.31ff. aufgezählten Objekten, sind nur für die Jahre 375/4 und 374/3 verzeichnet: A, Z.29-31 bzw. 66. Die davon getrennte Aufzählung der Häuser und ihrer Lage ist deshalb wohl nicht im Zusammenhang mit den Mieteinnahmen zu sehen, sondern muß angelegt worden sein, als die Häuser in den Besitz des Tempels gekommen waren. 61 Leukippos (Β, Z.34. 36. 38. 50) könnte der Vater des verurteilten Aristophon (Β, Z.29), Episthenes (B, Z.35- 37) der des verurteilten Patroklees (Β, Z.28) sein. Episthenes gehörte vielleicht auch eines der 375/4 verpachteten Landgüter (A, Z.108). 62 Tynnon, der Vater des Antiphon (B, Z.29f.) in I.Delos 104-8 Β, Z.38 und I.Delos 104-11 A, Z.25. 56

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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ließe sich damit zwar noch vereinbaren, daß die Häuser nicht den Verurteilten selbst, sondern ihren Vätern gehört hatten 6 3 , sei es, weil diese noch als Eigentümer geführt wurden, sei es, weil man die Namen der Verurteilten nicht mit "heiligen Häusern" verbunden sehen wollte 6 4 ; wenn man nämlich nicht davon ausgeht, daß auf die Väter als Vorbesitzer ausgewichen wurde, wäre es schon erstaunlich, daß kein einziges Haus, das einem der Verurteilten selbst gehörte, an den Tempel gefallen sein sollte. Schon schwieriger aber ist zu erklären, warum in B, Z.31ff. unserer Inschrift auch Häuser aus dem Besitz sonst unbekannter Personen gleichzeitig mit den vielleicht konfiszierten aufgeführt werden, obwohl sie mit dem Asebieprozeß nicht in Verbindung zu bringen sind. Könnten die Häuser des Leukippos, des Episthenes und des Tynnon nicht auf dieselbe, uns unbekannte Weise an den Tempel gelangt sein wie jene 6 5 ? Von Episthenes, so notiert unser Dokument an anderer Stelle (A, Z . 2 4 : Είσεπράχθη μηνυθέν έκ των ' E m σθένος Δηλίο 380 Drachmen), wurde im Zeitraum 3 7 7 / 6 - 3 7 5 / 4 ein weiterer Betrag aufgrund einer Anzeige eingetrieben. Kent hat diesbezüglich vermutet, die Amphiktyonen hätten erst einige Zeit nach den Konfiskationen der Häuser von dem Landgut des Episthenes erfahren, und die genannten 3 8 0 Drachmen seien die daraus gewonnenen Einkünfte, die jetzt konfisziert worden seien 6 6 . Nun dürften auf dem kleinen Delos die Besitzverhältnisse bekannt gewesen sein; zudem ist der ganzjährige Ertrag eines Landguts nicht ganz einfach zu konfiszieren, so daß die Formulierung έκ των auch einen Verkauf von dem Episthenes gehörigen beweglichen Gütern (χρημάτων wäre dann zu denken) voraussetzen könnte 6 7 . Der Zusammenhang zum Asebieprozeß wird jedoch auch dadurch in Frage gestellt, daß parallel zu der Maßnahme gegen Episthenes von einer ebensolchen gegen einen Python berichtet wird, von dem 1100 Drachmen eingetrieben wurden (A, Z.25; dieses Mal heißt es allerdings: παρά Πύθωνος 6 8 ) und der mit den Verurteilten nicht in Verbindung stand. Es könnte sich daher in beiden Fällen um Verbindlichkeiten handeln, die aus der Zeit vor der athenischen Verwaltung herrührten und die den athenischen Amphiktyonen in der Anfangszeit ihrer Verwaltungszeit angezeigt worden sind (μηνυθέν).

M

Das ist ein Einwand von Schoeffers, D e Deli insulae rebus 65f.; dess., R E Delos 2 4 8 0 f . , gegen die These von der Konfiskation. Letzteres ist die Erklärung Couprys, I.Delos S . 2 3 ; seine weitere Vermutung, die Väter hätten für ihre Söhne gehaftet, hat keine Grundlage in den Rechtsquellen. Vielmehr wurde ein junger Mann in Athen mit seiner Mündigkeit ein voll verantwortliches Rechtssubjekt, vgl. Lipsius, Recht 504ff. 790f; Harrison, Law I 73ff., und man wird wohl kaum annehmen dürfen, die Täter seien sämtlich minderjährig gewesen.

65

Hennig, Häuser 4 1 4 , nimmt an, daß die nicht nach dem Asebieprozeß konfiszierten Häuser schon früher im Besitz des Tempels waren, aber die Einnahmen daraus nicht eigens aufgeführt wurden. Dazu im Widerspruch steht aber die kurz zuvor vertretene und auch hier geteilte Auffassung, der Beginn der Aufzeichnung der Mieteinnahmen sei dadurch begründet, daß die Häuser erst an den Tempel gefallen seien.

66

Kent, Estates 257f. Es wäre dann wohl έκ των (χωρίων) zu denken. Nach Böckh, Staatshaushaltung II 8 3 , wurde das "Vermögen" des Episthenes konfisziert. Vgl. auch v. Schoeffer, De Deli insulae rebus 67f.

67 68

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6. Delos und der Seebund

Hinweise auf eine erfolgte Einziehung der Güter der Verurteilten sind also vorhanden, sie können aber aufgrund fehlender Eindeutigkeit kein Beweis dafür sein, daß das Urteil des Asebieprozesses wirklich vollstreckt wurde. Wenn die Häuser aufgrund des Urteils konfisziert wurden, dann würde man überdies erwarten, daß sie — wie in Athen von den Poleten - verkauft worden wären und der Erlös von den Strafsummen abgezogen worden wäre 69 . Diese sind aber am Ende des Archontenjahres 3 7 4 / 3 mit 1 0 . 0 0 0 Drachmen unverändert aufgezeichnet und die Häuser vermietet worden. Ähnlich unklar bleibt das Ergebnis bei der Betrachtung eines zweiten möglichen Anhaltspunktes. Im oben zitierten Proxeniedekret für Pythodoros aus dem Jahr 3 6 9 / 8 hat die athenische Volksversammlung verfügt, daß die Amphiktyonen die entsprechende Stele aus den Geldern bezahlen sollten, "die von den ProzeßVerlierern eingezogen wurden" 7 0 . Aus der Formulierung ist klar, daß den Amphiktyonen solche Gelder zur Verfügung standen. Es ist aber nicht so klar, daß es sich dabei um Gelder handelte, die von den im Asebieprozeß Verurteilten eingezogen worden waren 7 1 . Auch die wahrscheinliche Identifizierung des Epikrates, des Antragstellers des Zusatzdekrets für Pythodoros, mit dem gleichnamigen mißhandelten Amphiktyonen kann dafür kein Beweis sein 72 ; sie zeigt nur, daß Epikrates als ehemaliger Amphiktyone mit den Verwaltungspraktiken so gut vertraut war, daß er den genauen Buchungstitel bestimmen konnte, von dem die Ausgabe zu leisten war. Unter der Voraussetzung, daß von den 3 7 6 / 5 Verurteilten nicht nur Güter zur Weitervermietung konfisziert 73 , sondern auch Vermögensteile verkauft worden waren, konnten natürlich auch Gelder aus der Vollstreckung des Asebieurteils in die Kasse der Amphiktyonen gelangt sein 74 , wenngleich erst nach Ende des Amtsjahres 374/3, da uns bis dahin eine fast vollständige Abrechnung vorliegt. Aber daß in einem ganz anderen Abrechnungszyklus noch die Gelder aus dem sieben Jahre zurückliegenden Asebieprozeß und nur diese bereitlagen, ist keineswegs wahrscheinlich; vielmehr wurden die Kassenbestände eines abgelösten Amphiktyonengremiums in den Abrechnungen der Nachfolger als Pauschalsumme ausgewiesen 75 , aus denen die Herkunft einzelner Rechnungsposten nicht mehr zu erschließen war. Hingegen wissen wir aus dem Marmor Sandwicense selbst, daß dem Tempel aus Pfändern, die aufgrund eines Urteils verkauft werden konnten, Einnahmen zuflössen 76 . Die 65

70 71

Für Strafverfahren im allgemeinen vermutet auch Gehrke, Stasis 2 1 2 , daß man in anderen Staaten ähnlich wie in Athen verfahren sei. Beispiele für eingezogene Vermögen, die an Privatleute verkauft wurden, nennt er in A n m . l 4 . I.Delos 8 8 , Z . 2 5 - 2 7 , zitiert o. Anm.50. Diese Identifizierung wird am energischsten vertreten von Osborne, Decrees for Delians 1 7 0 - 1 7 3 .

Gegen Osborne, Decrees for Delians 172: Zur Identifizierung vgl. Davies, APF 4 9 0 9 . Diese Einnahmen wurden, wie oben zu I.Ddlos 9 8 , Z.26ff. 64fF. gesagt, unter μισθώσεις verbucht. 74 Das wird von den meisten Forschern (zuerst von Böckh, Staatshaushaltung II 9 3 ) bestritten, weil in den Abrechnungen keine derartigen Einnahmen verzeichnet seien. 7 5 Vgl. I.Delos 1 0 4 - 2 8 A, Z.8-9. 72

73

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I.Delos 9 8 A, Z.25f.; evtl. ist A, Z . 6 6 der gleiche Einnahmeposten zu ergänzen. Vgl. zu der von Gerichten sanktionierten Pfandnahme Lipsius, Recht 9 5 0 f . mit A n m . 3 6 . W e n n man sich unter den έ ι ^ χ υ ρ α hier an den Tempel verpfändete Grundstücke, also ein Hypothek - Verhältnis,

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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Formulierung dieses Einnahmepostens in den Abrechnungen deckt sich fast völlig mit jener, die die Ausgaben f ü r die Pythodoros - Stele festlegt, so daß wir hierin eine viel engere Beziehung vor uns haben, als sie zum Asebieprozeß konstruiert w e r d e n kann 7 7 . Für die relativ geringe Ausgabe v o n 2 0 - 3 0 D r a c h m e n , die die Anfertigung einer Stele im vierten Jahrhundert erforderte, reichte die Anweisung auf die aus den Pfändern anfallenden Beträge auch völlig aus. D e r Antragsteller hat die A m p h i k t y o n e n vielleicht deshalb a u f diesen E i n n a h m e p o s t e n des entsprechenden Abrechnungsjahres verwiesen, weil die übrigen Einnahmen schon f ü r anderweitige Ausgaben festgelegt waren. Es sind also, so der unveränderte B e f u n d , keine aus d e m Asebieprozeß an den T e m p e l gefallenen Strafgelder eindeutig nachweisbar. Weitere V e r w i r r u n g schafft der v o n der Forschung bislang nicht beachtete Umstand, daß der N a m e des verurteilten Patroklees noch an zwei anderen Stellen der Inschrift verzeichnet ist. Nach A , Z . 2 2 hat Patroklees Darlehenszinsen v o n 3 0 0 D r a c h m e n f ü r einen a n d e r e n Delier, H y p s o k l e e s , an den T e m p e l zurückgezahlt, war mithin im Besitz seines Vermögens. Dieser Vorgang aus dem A b r e c h n u n g s z e i t r a u m 3 7 7 / 6 bis 3 7 5 / 4 mag n o c h in die Z e i t v o r d e m Asebieprozeß gehören und daher nicht beweiskräftig sein, obwohl die Eintragung als vorletzte v o n insgesamt elf privaten Zinsrückzahlungen sehr wahrscheinlich im Jahr 3 7 5 / 4 erfolgt sein m u ß 7 8 . M i t Sicherheit aus der Zeit nach dem Urteil aber (vgl. A , Z . 5 7 - 5 8 ) s t a m m t die zweite Eintragung (A, Z . 9 2 ) , die den recht

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vorzustellen hat (so Bogaert, Banques 130 Anm.14, der aber die Vollstreckung außer acht läßt), so bleibt die aus der Formulierung των όφληκότων τ ά ς δίκας resultierende Frage, ob die Amphiktyonen selbst den Verfall des Pfandes konstatieren konnten, oder ob ein Prozeß in Athen gefuhrt werden mußte. Die Eintragung I.Delos 98 A, Z.25-26 kann sich ihrerseits nicht auf Güter der 376/5 Verurteilten beziehen, da dort keine Pfänder im Spiel waren und die Summe von 1.845 Drachmen als eingetriebene Ausbeute von mindestens sieben mal 10.000 Drachmen Strafsumme sehr kläglich ausgefallen wäre. Die von Hypsoklees selbst und in seinem Namen geleisteten Zinszahlungen lassen folgende Schlußfolgerungen zu. Theognetos zahlte 312 Drachmen und drei Obolen (Z.18); Antipatros 287 Drachmen und drei Obolen (Z. 19-20); das sind zusammen genau 600 Drachmen; Patroklees zahlte 300 Drachmen. Das sind im Durchschnitt jeweils 300 Drachmen, so daß man bei der Zahlung, die Hypsoklees selbst geleistet hat (Z. 17), zu den beiden erhaltenen ein drittes Eta als letztes fehlendes Zahlzeichen ergänzen konnte. Verwirrend ist, daß diese vier Zahlungen in nur drei Abrechnungsjahren (377/6 - 375/4) erfolgten. Bedenkt man aber, daß für das Abrechnungsjahr 374/3 (A, Z.57ff.) keinerlei Zinszahlungen, weder von Poleis noch von Privaten, verzeichnet sind, so wird man annehmen müssen, daß der von Hypsoklees geschuldete Zins dieses Jahres im voraus bezahlt wurde. In diesem Fall erklärt sich die Stelle Β, Z.18, nach der Hypsoklees am Ende des gesamten Abrechnungszeitraums (377/6 - 374/3) noch 400 Drachmen Zins schuldig war, so, daß der Schuldner pro Jahr statt der fälligen 400 nur 300 Drachmen gezahlt hatte. Eine zweite Möglichkeit wäre die, daß die letzte der vier tatsächlich geleisteten Zahlungen eine Nachzahlung von dreimal 100 Drachmen für die ersten drei Abrechnungsjahre war und daß Hypsoklees den Zins für 374/3 schuldig blieb. Denn pro Jahr hatte Hypsoklees, soviel ergibt sich aus dem Durchschnitt der Zahlungen und der Ausstände (insgesamt 1.600 Drachmen), 400 Drachmen Zins zu zahlen. Wenn wir voraussetzen können, daß die Zahlungen in ihrer chronologischen Reihenfolge aufgezeichnet sind, dann ist diejenige des Patroklees die letzte gewesen und gehört in jedem Fall, gleich ob sie als Nach- oder als Vorauszahlung zu verstehen ist, ins Jahr 375/4.

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6. Delos und der Seebund

wahrscheinlich ergänzten Namen Πατροκίλέης 7 9 in einer Gruppe von offenbar 20 Deliern zeigt, die zusammen eine neue Anleihe von einem Talent aufgenommen haben 80 . Derselben Gruppe gehört auch ein Tynnon an, wie der Vater eines Verurteilten hieß, von dem, wie oben ausgeführt, möglicherweise Häuser konfisziert worden waren. Alles hängt auch hier wieder von möglichen Personenidentifizierungen ab. Hält man den zuletzt genannten Patroklees für identisch mit dem Verurteilten 81 , so kann das Urteil nicht vollstreckt worden sein; wir müßten vielmehr, wenn auch die übrigen Identifizierungen zutreffen, eine allgemeine Amnestie voraussetzen, die nicht nur Patroklees und eventuell anderen Verurteilten 82 ökonomische Aktivitäten mit Hilfe eines Tempeldarlehens ermöglichte, sondern auch zuließ, daß Pyrrhaithos das Archontat übernahm. Die Verbannung wäre in diesem Fall aufgehoben und die Geldstrafe erlassen worden, aber die bereits konfiszierten Häuser wären weiterhin in Tempelbesitz geblieben. Das später belegte recht gute Verhältnis Athens zu den Deliern hätte mit dieser Regelung seinen Anfang genommen bzw. darin seine Grundlage erhalten. Der Friede zwischen Athen und Sparta von 375 könnte für die Delier der Anlaß gewesen sein, die Zusammenarbeit mit der jetzt unabänderlichen athenischen Tempelverwaltung anzustreben. Der Gedanke an eine Amnestie der Verurteilten stößt jedoch auf weitere Probleme. Wenn der ursprünglich an vierter Stelle stehende Name auf der Liste der Verurteilten (Β, Z.29) später deswegen eradiert wurde, weil der Betreffende sich rehabilitieren konnte 8 3 , dann widerspräche das einer Amnestie für alle Verurteilten. Ebenso wäre es kaum glaubhaft, daß am Ende des Abrechnungszeitraums, also 374/3, das Urteil in seiner ursprünglichen Form und ohne Hinweis auf eine inzwischen erfolgte Amnestie hätte aufgezeichnet werden können. Wenn man aber umgekehrt dieses Szenario und alle Namensgleichungen als letztlich nicht gesichert ablehnt, dann besteht natürlich die Möglichkeit, daß die

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Coupry setzt ein Fragezeichen hinter die Ergänzung. Außer Patroklees bzw. Patrokles käme von den Namen, die nach Ausweis von Fräser / Matthews, Names, auf den Inseln vorkommen, nur noch Patrokleides in Betracht. Dieser Name ist jedoch nur einmal für Euböa, für Delos nicht überliefert.

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Vgl. dazu Coupry, Congresso 64f., den epigraphischen Kommentar desselben zu I.Delos 98 (S.20) und den Kommentar S.24. Vgl. auch Bogaert, Banques 129. Der Name erscheint außerdem in I.Delos 102, Z . 6 und könnte wiederum dieselbe Person bezeichnen. Der Namensanfang ' Αρισ[τ in A, Z . 8 1 , der zu einer gleichartigen Gruppe von Darlehensnehmern gehört, läßt sich natürlich vielfältig ergänzen. Möglich ist immerhin auch die Ergänzung zu Aristophon, einem der Verurteilten. So v. Schoeffer, D e Deli insulae rebus 67; ders., R E Delos 2 4 8 0 . Mit Fragezeichen Coupry, I.Delos S . 2 3 . D i e alternative Erklärung eines Steinmetzversehens zieht S t u m p f in seinem Prozeßkommentar in Erwägung: Der Steinmetz könnte die anschließende, ebenfalls 18 Buchstaben umfassende Eintragung des Aristophon zweimal geschrieben haben.

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A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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Urteile vollstreckt worden sind; sie ist aber nicht belegbar. Erkennt man nur die Gleichsetzung einiger Vorbesitzer von heiligen Häusern mit den Vätern von Verurteilten an, worauf man sich bislang beschränkt hat, dann müßte man im Lichte der oben angeführten weiteren Identifizierungsmöglichkeiten den Vorwurf der Willkür auf sich nehmen und erklären, warum die konfiszierten Häuser nicht auf die verzeichnete Strafsumme von jeweils 10.000 Drachmen angerechnet wurden. O h n e neue prosopographische Daten, welche vor allem durch weitere Patronymika die Identifizierung einiger wichtiger N a m e n erlaubten oder ausschlössen, ist also das Problem, ob die Urteile des Asebieprozesses vollstreckt worden sind, wohl nicht endgültig zu lösen. Daher kann auch die eingangs aufgeworfene Frage, wer denn eine solche Vollstreckung durchgeführt hätte, nur hypothetisch beantwortet werden. Der wichtigste Punkt ist dabei wieder das Verhältnis athenischer und delischer Institutionen. Unmittelbar zuständig für die Vollstreckung eines athenischen Urteils zugunsten des unter athenischer Verwaltung stehenden Tempels wären natürlich die athenischen A m p h i k t y o n e n 8 4 . Aber die Durchsetzung sowohl von Geldstrafen als auch von Verbannungen m u ß t e unweigerlich zu Eingriffen in delische Hoheitsrechte führen. Gegenüber einer auch nur zum Teil athenfeindlichen Bevölkerung wären dementsprechende Versuche der Amphiktyonen, der offensichtlich einzigen athenischen Amtsträger auf der Insel, von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Sie hätten weder die Ermittlungen über die Eigentumsverhältnisse der Verurteilten führen, noch etwas konfiszieren, geschweige denn für den Tempel an andere Delier vermieten können; die Verhaftung solcher Verurteilter 85 , die das Verbannungsverdikt nicht befolgten, u n d ihre gegebenenfalls gebotene Überstellung nach Athen hätten sie in einer derartigen U m g e b u n g kaum vornehmen können. O h n e die Unterstützung delischer Institutionen war also jegliche Vollstreckung solange undenkbar, wie sich die Amphiktyonen nicht die nötigen Machtmittel aus Athen beschafften 8 6 . Das wiederum wäre nicht ohne größere Eskalation der Feindseligkeiten zwischen Athenern u n d Deliern abgegangen, was wohl gegen die momentanen Interessen beider Staaten verstoßen hätte. Da wir von einer solchen Entwicklung auch nichts erfahren, sondern die Mehrzahl der mißhandelten Amphiktyonen ihr Amt ordnungsgemäß zu Ende führte und Delos sich bald darauf mit Athen arrangiert zu haben scheint (s. u.), müssen wir schließen, daß auch in der Frage der Urteilsvollstreckung eine einvernehmliche Regelung zwischen den athenischen Amphiktyonen und den Deliern erfolgte 87 . Ein Kompromiß kann nach Lage der Dinge nur so ausgesehen 84

85 8(5

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Coupry, I.Delos S.22, scheint sie daher auch — unreflektiert — als diejenigen vorauszusetzen, die die Konfiskationen durchführten. Durch α π α γ ω γ ή oder ε ^ δ ε ι ξ ι ς , vgl. Harrison, Law II 186. Ähnliche Schlußfolgerungen ergeben sich an anderer Stelle (u. C 3.) für die Eintreibung der Außenstände des Tempels. W e n n man den delischen Archon Pyrrhaithos f ü r einen der Verurteilten u n d f ü r den Repräsentanten einer weiterhin athenfeindlichen Polis Delos hält (so Böckh, Staatshaushaltung II 93 u n d andere), dann ist das, wie Coupry, I.Delos S.23, bemerkt hat, nicht damit zu vereinbaren, daß die Amphiktyonen auf delischem Territorium Konfiskationen durchführten.

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6. Delos u n d der Seebund

haben, daß Delos sich von den Angriffen der Verurteilten distanzierte und die athenische T e m p e l v e r w a l t u n g grundsätzlich a n e r k a n n t e , w ä h r e n d die Amphiktyonen im Gegenzug eine milde Behandlung der Verurteilten versprachen und auf die nur mit delischer Hilfe mögliche Vollstreckung der Urteile ganz oder teilweise verzichteten. Damit sind wir bei der abschließenden Frage dieses Abschnitts, wie nämlich der Angriff auf die Amphiktyonen grundsätzlich zu charakterisieren und in die politische Situation von Delos einzuordnen ist. Der H a u p t g r u n d für die gewaltsamen Ubergriffe m u ß , darin besteht auch in der Forschung Übereinstimmung, in der Übernahme der Tempelverwaltung durch Athen gesehen werden, die nur wenige Zeit vorher erfolgte und die Delier aus dieser Position verdrängte. Vor diesem Hintergrund ist es zusätzlich möglich, daß das konkrete Verhalten der athenischen Amphiktyonen zu einer solchen Reaktion von Deliern beigetragen hat. Dabei braucht kein bewußt antidelisches Vorgehen angenommen zu werden. Es mochte genügen, daß die Amphiktyonen, wenn sie ihre neue Aufgabe ernst nahmen, die Tempelfinanzen schnell ordnen und insbesondere die Außenstände energisch eintreiben wollten. Vielleicht waren die später Verurteilten davon besonders betroffen; einige aus ihrem Kreis (wenn die Namen dieselben Personen bezeichnen), so erfahren wir aus der Abrechnung, zahlten Schulden zurück oder wurden von Eintreibungen des Tempels betroffen, wobei allerdings nicht immer sicher ist, ob das jeweils vor dem Angriff auf die Amphiktyonen geschah 88 . Etwas Gesichertes läßt sich also hierzu nicht feststellen. Die Grundfrage muß aber die sein, ob der Angriff auf die Amphiktyonen ein Teil oder zumindest eine Folge der offiziellen Politik der Polis Delos war; ob er also für uns ein Zeichen d a f ü r sein kann, daß Delos die athenische Tempelverwaltung abschütteln wollte. Dafür gibt es keine Anzeichen. Die sieben, vielleicht acht verurteilten Delier bildeten nur eine kleine Gruppe, die wir selbst dann nicht als repräsentativ für die delische Bürgerschaft anzusehen brauchen 89 , wenn der verurteilte Epigenes delischer Archon des Jahres 377/6 war 9 0 . Ein geplantes politisches Vorgehen gegen die athenische Tempelverwaltung hätte auch gravierendere Folgen haben und zum Beispiel die Amphiktyonen für längere Zeit von der Tempelverwaltung fernhalten müssen. Hingegen scheinen die mißhandelten Amphiktyonen, die sich offenbar nur kurz zur Betreibung des Prozesses in Athen aufhielten, die Führung ihrer Amtsgeschäfte auf Delos kaum unterbrochen zu haben. So wurden bereits in dem auf das Urteil folgenden Jahr die neu an den Tempel gekommenen Häuser vermietet, was umso schwerer wie-

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89 90

I.Delos 98 A, Z.22: Patroklees zahle, wenn auch für einen anderen, Schulden zurück (s.o. S.211 mir Anm.78). A, Z.24: Der Tempel treibt Schulden aus dem Eigentum des Episthenes ein, des Vaters eines Verurteilten. So jedoch Attinger, Delos 34f.; Cauer, RE Amphiktyonia 1908. O b das Amt des eponymen Archonten in Delos größere politische Macht verlieh als in Athen, ist unbekannt. Auch wissen wir nicht, ob das Vergehen, an dem Epigenes beteiligt war, noch in das Jahr seines Archontats oder in das darauf folgende fiel (s. o. S.204).

A) Die Verwaltung des delischen Apollonheiligtums

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gen würde, wenn es sich um konfiszierte Häuser der Verurteilten handelte 9 1 . Eventuell wurden sie sogar an Delier vermietet, genau so wie im ganzen Abrechnungszeitraum viele Delier ihre Darlehenszinsen bezahlten und neue Kredite erhielten, also ganz normale Geschäftsbeziehungen zur Tempeladministration hatten. Wenn sich beweisen ließe, daß die Urteile des Asebieprozesses vollstreckt wurden, dann hättten wir in der dabei vorauszusetzenden delischen Hilfeleistung ein gewichtiges Argument dafür, daß sich Delos von den Taten der Verurteilten distanzierte. Aber dieser Beweis läßt sich, wie gezeigt, nicht sicher führen. Sanktionen Athens gegen die ganze Bürgerschaft der Delier scheint es nicht gegeben zu haben. Es liegt also insgesamt gesehen nahe, hinter den Ereignissen des Jahres 376/5 keine antiathenische Politik der delischen Institutionen zu vermuten, sondern sie als zwar patriotisch motivierte, aber eher private Aktion der daran beteiligten Delier einzustufen. Ein Zusammenhang zu einem angeblichen naxischen Abfall von Athen zu derselben Zeit 92 kann also aus den delischen Verhältnissen ebensowenig begründet werden wie umgekehrt der naxische Aufstand selbst belegbar ist und entbehrt damit der Grundlagen, aus deren Vergleich er sich ergeben sollte.

3. Die Mitwirkung andrischer Amphiktyonen Von 377 bis 374, also in den ersten drei Jahren des fünfjährigen Abrechnungszeitraums, wurde das Heiligtum ausschließlich von athenischen Amphiktyonen verwaltet (I. Delos 98 A, Z.2-11). Die Sollzahl des Gremiums wird wahrscheinlich, wie in früheren und späteren Abrechnungen, fünf Männer betragen haben; den Gründen dafür, daß höchstens vier Amphiktyonen gleichzeitig im Amt waren und daß es auch unter diesen noch mindestens einen Wechsel gab, soll hier nicht nachgegangen werden 9 3 . Im Hinblick auf den Zweiten Athenischen Seebund ist es vielmehr bedeutsam, daß für den letzten Monat (Skirophorion) des Jahres 375/4 und für das ganze Jahr 374/3 zu den jetzt fünf athenischen Amphiktyonen weitere fünf ebenso namentlich genannte Amphiktyonen der Andrier traten (I. Delos 98 A, Z.57-64). Es ist leicht vorstellbar, daß diese Neuerung von den Athenern während der großen Delia im Frühjahr 374, mit denen sie die Tradition der penteterischen Feste wieder aufnahmen, öffentlich verkündet wurde 9 4 . Für das Jahr 373/2 ist uns keine Abrechnung erhalten 95 ; aber wenn wir mit Coupry von der Quinquennalität ausgehen, wäre auch im letzten Jahr dieser Periode ein gemischtes Gremium aus 9! I.Delos 98 A, Z.29-30. B, Z.31ff. « Vgl. u. S.236. 93 Vgl. dazu Coupry, I.Delos S.21f. und o. S.204. Coupry, I.Delos S.23, hält unter Verweis auf Roussel Februar oder Mai des Jahres 374 für möglich. Der hier vermutete Zusammenhang spräche für das spätere Datum: andernfalls würde man die Mitwirkung der Andrier bereits im Elaphebolion 374 erwarten. Möglicherweise ist das Fragment, das Coupry aufgrund formaler Ähnlichkeit zu Nr.98 als I.Delos 99 angeschlossen hat, das fehlende Stück. Es besteht aber nur aus wenigen Wortfetzen.

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6. Delos und der Seebund

Athenern und Andriern zu erwarten, zumal diese Zusammensetzung für den Zeitraum 372/1 bis 368/7 durch I. Delos 100, Z. 2-12, wieder gesichert ist. W e n n in dieser letzteren Urkunde (Z.8-12) auch die Vorgänger-Amphiktyonen des Jahres 373/2 genannt sind, und wenn von ihnen, wie es die Platzverhältnisse innerhalb der Inschrift nahelegen, wiederum fünf Andrier waren 96 , dann ist die Amtstätigkeit der andrischen Amphiktyonen für den Zeitraum 374 bis 367 kontinuierlich dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt oder kurz danach hörte die andrische Beteiligung an der Tempelverwaltung auf, und die Athener führten einen jährlichen Abrechnungsrhythmus ein, der spätestens für 364/3 (I. Delos 104) eindeutig belegt ist 97 . Bis zum Jahr 314 wird der Tempel dann nur noch von athenischen Amphiktyonen verwaltet.

a) Die Andrier als Repräsentanten des Seebunds Da Andros bereits Mitglied im Zweiten Athenischen Seebund war 98 , erhebt sich die Frage, ob es seine Amphiktyonen nach Delos aus diesem G r u n d entsenden k o n n t e und diese gleichsam als Vertreter aller athenischen Verbündeten fungierten, oder ob vom Seebund unabhängige Einflüsse wirksam waren. Ein solches Motiv, das der Tradition nämlich, wäre vor allem dann gegeben, wenn die Andrier schon in der Zeit vor dem Zweiten Seebund an der Tempelverwaltung mitgewirkt hätten. Das wird im allgemeinen für die Zeit ab 393 angenommen, weil die entsprechende Abrechnungsurkunde neben den fünf athenischen noch - höchstwahrscheinlich ebenfalls fünf — weitere Amphiktyonen namentlich aufzählt 9 9 . Die ersten und die meisten späteren Bearbeiter der U r k u n d e hatten ohne Bedenken angenommen, daß die nichtathenischen Amphiktyonen Andrier gewesen seien 100 . Das hielt man offenbar aufgrund der ab 374 gegebenen andrischen Beteiligung für so sicher, daß man meist nicht einmal ausdrücklich auf diese vermeintliche Parallele verwies. Selten wurde in der

96 97 98

99

100

Vgl. den von Coupry als I.Delos 100 rekonstruierten Text u n d seinen Kommentar S.29. Vgl. Coupry, Congresso 60; dens. I.Delos S.32. 35f. 40. IG II 4 3 Β, Z.16. Ganz sicher ist der Beitritt von Andros nicht zu datieren. Accame, Lega 98f., vermutet ihn unmittelbar nach der Schlacht bei Naxos im September 376. Cargill, League 41 f., hält eine Aufzeichnung von Ζ. Β 3-34 entweder 375 oder 373 für möglich, macht aber darauf aufmerksam, daß zwischen Beitritt und Aufzeichnung einige Zeit vergangen sein konnte. Mitglied im Seebund wäre Andros zum Zeitpunkt der Beteiligung an der Tempelverwaltung auch dann gewesen, wenn es etwa erst nach dem Frieden von (August) 375 beigetreten wäre. I.Delos 97, Z . l - 5 . Zur Datierung vgl. auch Coupry, B C H 62, 1938, 237ff. Die H e r k u n f t der Amphiktyonen ist bei ihrer ersten N e n n u n g in Ζ. 1 nicht angegeben, sondern wäre, wie es auch in der Zeit der andrischen Beteiligung ab 374 der Fall war, erst bei der Spezifizierung der beiden, hier nur teilweise erhaltenen Fünfergruppen zu erwarten (vgl. ζ. B. I.Delos 98 A, Z.57-64). In Zeiten der alleinigen athenischen Verwaltung wurden die Administratoren hingegen sofort als Ά μ φ ι κ τ ύ ο ν ε ς 'Αθηναίων eingeführt (ζ. Β. I.Delos 98, Z.2; I.Delos 104, Z.4). Köhler: IG II 5, 813 b; Kirchner: IG I I 2 1634. Vgl. Busolt ·/ Swoboda, Staatskunde II 1285; T o d II S.78; Funke, Homonoia 132.

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Folgezeit die entsprechende Ergänzung Ά ν δ ρ ί ω ν in Frage gestellt 1 0 1 . U n d doch erscheint es mehr als zweifelhaft, daß wirklich Andrier die fünf nichtathenischen Amphiktyonen der Jahre ab 3 9 3 gewesen sind. Zunächst sind es formale Kleinigkeiten, die zwischen I. Delos 97 und I. Delos 98 bzw. 100 nicht genau übereinstimmen. So ist in der früheren Urkunde der (athenische) Sekretär direkt nach den athenischen Amphiktyonen genannt ( Z . 4 ) 1 0 2 , während er in den späteren beiden vor bzw. hinter dem gesamten Gremium steht 1 0 3 . Sodann sind in N r . 9 7 die nichtathenischen Amphiktyonen nur mit ihren N a m e n aufgeführt, während den Andriern in Nr. 98 und 100 jeweils die Vatersnamen hinzugefügt sind 1 0 4 . Das mögen vielleicht noch Veränderungen sein, die auch ohne einen Wechsel in der Besetzung der Amphiktyonie hätten erfolgen können. Aber man muß hier grundsätzlich das Verfahren in Frage stellen, von einer späteren Situation auf eine frühere zu schließen. Gerade wenn man ernsthaft mit der Möglichkeit rechnet, daß die Andrier 374 wegen ihrer Seebunds - Mitgliedschaft an der Amphiktyonie beteiligt wurden, gab es im Jahr 393, als der Seebund noch nicht bestand, keinen erkennbaren G r u n d , der Andros für diese A u f g a b e prädestiniert hätte. In der letzten Phase des Peloponnesischen Krieges, nachdem Andros von Athen abgefallen war, müssen die Beziehungen der beiden Staaten als ausgesprochen schlecht bezeichnet werden; die E r m o r d u n g einer ganzen Schiffsbesatzung durch den Strategen Philokles werden die Andrier den Athenern noch lange nachgetragen haben 1 0 5 . Athen hätte daher mindestens ebensogut Naxos, Paros, Keos oder Karystos heranziehen können, die genauso wie Andros seit alters eng mit d e m delischen Apollon - Heiligtum verbunden waren 1 0 6 . Groh, Delo 154, zitiert die Ergänzung Ά ν δ ρ ί ω ^ , merkt aber an, daß die Herkunft der nichtathenischen Amphiktyonen schwer zu bestimmen sei. Coupry, Congresso 59, hält andrische Amphiktyonen für möglich, aber nicht fiir gesichert und versieht' Ανδρίωι/ in I.Delos 97, Z.4 mit einem Fragezeichen; in seinem dazugehörigen Kommentar bemerkt er unter Hinweis auf Groh (a. a. O.), es sei nicht ausgeschlossen, "qu a l'occasion telle autre ville ait eu un siege au bureau amphictyonique". 1 0 2 Dieser Unterschied hat Groh, Delo 154f., sogar dazu verleitet, die Nennung des Sekretärs an dieser Stelle in Abrede zu stellen; ο ί ς ist jedoch eindeutig. '"3 I.Delos 98, Z.60; I.Delos 100, Z.5 (?) bzw. 11. 10