Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk [Reprint 2011 ed.] 3110142694, 9783110142693

In der Reihe Beihefte zur Zeitschrift füuuml;r die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) erscheinen Arbeiten zu säauml;m

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German Pages 230 [228] Year 1994

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Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk [Reprint 2011 ed.]
 3110142694, 9783110142693

Table of contents :
Vorwort
Erwägungen zum sog. deuteronomistischen Geschichtswerk. Eine Skizze
Abimelech und der Untergang Sichems. Studien zu Jdc 9
Die Erzählung von der Thronfolge Davids — theologische oder politische Geschichtsschreibung?
Prophetisches Wort und Geschichte in den Königsbüchern. Zu einer These Gerhard von Rads
Die Erzählung vom Gottesmann aus Juda in Bethel. Zur Komposition von 1 Kön 13
Tradition und theologische Redaktion in I Reg 17—18
Die Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel
Zur Opferprobe Elias I Reg 18,21—39
Elijah at Horeb: Reflections on I Kings 19.9—18
Naboth-Novelle und Elia-Wort
Zur Komposition von I Reg 22,1—38
Die Josianische Reform und das Deuteronomium
Register der Bibelstellen
Nachweis der Erstveröffentlichungen

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Ernst Würthwein Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk

W DE G

Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft

Herausgegeben von Otto Kaiser

Band 227

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994

Ernst Würthwein

Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme

[Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft. — Berlin ; New York : de Gruyter. Früher Schriftenreihe Fortlaufende Beil, zu: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft NE: HST Bd. 227. Würthwein, Ernst: Studien zum deuteronomistischen Geschichtswerk. - 1994 Würthwein, Ernst: Studien zum deuteronomistischen Geschichtswerk / Ernst Würthwein. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft ; Bd. 227) ISBN 3-11-0142694

ISSN 0934-2575 © Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort Die Veröffentlichung dieses Sammelbandes „Studien zum Deuteronomistischen Geschichtswerk" geht auf die freundliche Initiative meines Kollegen und treuen Freundes, Herrn D. Dr. Otto Kaiser, zurück. Er hat die zusammenfassende Veröffentlichung der älteren Arbeiten in den Beiheften zur ZAW angeregt und mich zur Ausarbeitung von drei Entwürfen, die seit 1988 liegen geblieben waren, ermutigt. Dafür wie für die regelmäßigen fördernden Gespräche und seine Treue in schwerer Zeit bin ich ihm in herzlicher Dankbarkeit verbunden. Herr Dr. U. Becker hat mich bei der Ausarbeitung der unveröffentlichten Aufsätze bereitwillig, geduldig und mit mancherlei Anregungen unterstützt, die Gesamtausgabe vorbereitet und das Stellenregister angefertigt. Dafür danke ich ihm herzlich. Danken möchte ich auch Herrn Pfarrer R. Bickert, der mir seit vielen Jahren treu und mit lebhaftem Interesse an deuteronomistischen Fragen geholfen hat. Ich widme diese Veröffentlichung in tiefer Dankbarkeit dem Andenken meiner lieben Frau und meiner Tochter Susanne. Dank beider Fürsorge allein konnten die vorliegenden Studien durchgeführt und vollendet werden. Marburg, Februar 1994

Ernst Würthwein

Inhaltsverzeichnis Vorwort Erwägungen zum sog. deuteronomistischen Geschichtswerk. Eine Skizze

V l

Abimelech und der Untergang Sichems. Studien zu Jdc 9

12

Die Erzählung von der Thronfolge Davids — theologische oder politische Geschichtsschreibung?

29

Prophetisches Wort und Geschichte in den Königsbüchern. Zu einer These Gerhard von Rads

80

Die Erzählung vom Gottesmann aus Juda in Bethel. Zur Komposition von l Kon 13

93

Tradition und theologische Redaktion in l Reg 17 — 18

102

Die Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel

118

Zur Opferprobe Elias I Reg 18,21-39

132

Elijah at Horeb: Reflections on I Kings 19.9-18

140

Naboth-Novelle und Elia-Wort

155

Zur Komposition von I Reg 22,1—38

178

Die Josianische Reform und das Deuteronomium

188

Register der Bibelstellen

217

Nachweis der Erstveröffentlichungen

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Erwägungen zum sog. deuteronomistischen Geschichtswerk Eine Skizze /. Die These von Mariin Noth Die sog. Vorderen Propheten — Jos, Jdc, Sam, Reg — berichten in jeweiliger Auswahl über verschiedene Epochen der Geschichte Israels: Josua über die Landnahme, Richter über einzelne Kämpfe der sog. Richterzeit, Samuel über die Entstehung des Königtums und die beiden ersten Könige Saul und David. Das Königsbuch gibt schließlich einen Überblick über die Königszeit von der Inthronisation Salomos durch David bis zum Zusammenbruch der beiden Reiche Israel und Juda und der Wegführung in das Exil. Die letzte Nachricht handelt von der Begnadigung des 598/ 97 exilierten Königs Jojachin im Jahre 561/60 (II Reg 25,27-30). Die Bücher umspannen also die Zeit von der Landnahme bis in das Exil hinein. Während man früher die einzelnen Bücher je für sich zu verstehen suchte, wobei man mit mehreren Traditionen, einem längeren Werdegang und schließlich dtr Redaktoren rechnete, hat M. Noth 1943 die weithin aufgenommene These vertreten, daß es sich in den geschichtlichen Büchern in ihrer heutigen Gestalt um ein Werk handle, das von einem einzigen dtr Verfasser nach einheitlichem Plan gestaltet worden sei und das sich von Dtn l bis II Reg 25 erstreckt. »Dtr war nicht nur >RedaktorFällerHaudegen< der dem Helden später beigelegten Ehrenname«; aber Gideon, abgeleitet von gad'a >sich empören; revoltieren^« Man kann sagen: sie halten sich nicht an die Vereinbarungen, die in den vorauszusetzenden Verhandlungen über die Art der Herrschaft Abimelechs getroffen wurden. So auch Crüsemann, Widerstand 34; Rösel, Studien 24 ff.; Fritz, Abimelech 130.

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Abimelech und der Untergang Sichems

geteilten Heer in den Hinterhalt gegenüber Sichern und überfällt die Sichemiten, als sie auf das freie Feld hinausgezogen sind, verlegt ihnen durch Besetzung des Stadttores den Rückzug in die Stadt und schlägt die auf das Feld gezogenen wie die noch in der Stadt weilenden Sichemiten. Dann zerstört er die Stadt und bestreut die Ruine mit Salz, womit wahrscheinlich »künftige Unfruchtbarkeit, d. h. Verödung des Stadtgebietes intendiert« 24 ist. Die Erzählung setzt also voraus, daß Sichern in Trümmern liegt, was nach dem archäologischen Befund seit dem späten 12. Jahrhundert der Fall war, und erklärt, wie es zu diesem Zustand kam. Sie enthält insofern ein ätiologisches Motiv. Mit V. 45 findet diese stilistisch knapp gestaltete Einheit ihren deutlichen Abschluß. Sie führt den Untergang Sichems auf den Vertragsbruch der Sichemiten gegenüber Abimelech zurück. Auf Freveltaten Abimelechs und der Sichemiten, wie sie in V. 4 f. berichtet werden, findet sich keinerlei Hinweis. Zu B): Die Erzählung von der Zerstörung Sichems wird nach V. 25 unterbrochen durch die Gaal-Episode (V. 26 — 41), die in jene »eingebettet«25 ist. Sie ist von dem übrigen Kapitel unterschieden durch ihren lebendigen, mit dem Mittel der direkten Rede arbeitenden Stil. Sie handelt von einem Ereignis der Herrschaftszeit Abimelechs, das in den alten Bestand nicht aufgenommen war und deshalb nachträglich eingefügt wurde, der Aufhetzung der Bürger von Sichern durch einen Fremden namens Gaal. Dieser war mit seinen Leuten nach Sichern gekommen und hatte das Vertrauen der Sichemiten gewonnen. Anläßlich der ausgelassenen Feier der Weinlese wiegelt er diese gegen Abimelech auf, vielleicht um für sich selber die Herrschaft zu gewinnen (V. 29: Gäbe man dieses Volk unter meine Herrschaft26, so wollte ich Abimelech vertreiben). Abimelechs Statthalter in Sichern mit Namen Sebul meldet den Vorgang an Abimelech und veranlaßt ihn zu raschem und taktisch klugem Eingreifen mit seinen Männern: Abimelech legt sich in der Nacht mit seinem in vier Trupps geteilten Heer in den Hinterhalt und macht sich bei Sonnenaufgang auf gegen Sichern. Als Gaal, der zunächst durch Sebul getäuscht wurde, Abimelech entgegenzieht, schlägt ihn dieser in die Flucht, und viele seiner Leute fallen vor dem Stadttor. Abimelech aber kehrt in seine Residenz Aruma zurück (s. BHS). Sebul wird abschließend bescheinigt, durch seine Meldung und seinen klugen Rat Gaal und seine Leute vertrieben zu haben. Diese Erzählung handelt also von einem mißlungenen Versuch, Abimelech um die Herrschaft über Sichern zu bringen. Mit Recht hat 24

25 26

M. Weippert, BRL2, 1977, 265 im Anschluß an F. C. Fensham. Weniger wahrscheinlich ist die Deutung Honeymans (VT 3, 1953, 192 ff.), wonach das Salzstreuen Abimelechs letzten verzweifelten Versuch darstelle, die Rache der ermordeten Sichemiten abzuwehren (195). C. Steuernagel, Lehrbuch der Einleitung in das AT, 1912, 298. Vgl. P. R. Ackroyd, ThWAT III, 451.

Abimelech und der Untergang Sichems

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Crüsemann über sie bemerkt: »Sehr viel durchsichtiger als in der Zerstörungsgeschichte werden hier die politischen Verhältnisse und Vorgänge geschildert.«27 Vor allem geht aus ihr deutlich hervor, was für die Art des Königtums Abimelechs wichtig ist, daß er weder in Sichern noch — wie vielfach vorausgesetzt wird — in Ophra seinen Sitz hat, sondern an einem dritten Ort, Aruma, residiert und in Sichern durch einen Statthalter vertreten wird. Wir werden bei der Frage nach dem geschichtlichen Geschehen, das Jdc 9 voraussetzt, auf diese Beobachtung zurückkommen müssen. Daß ein solches Königtum »von außen« durch Vorgänge in der Stadt leicht gefährdet werden konnte, zeigt diese Erzählung, »die nicht von Haus aus als Ergänzung zur Erzählung über Abimelechs und Sichems Untergang konzipiert ist«28. Sie mußte von dem Ergänzer in diese eingefügt werden, weil sie zeitlich vor dieser liegt. Die beiden behandelten Erzählungen setzen eine Herrschaftsstellung Abimelechs über Sichern voraus, auch wenn die Bezeichnung »König« nicht gebraucht wird (auch in den Amarnabriefen haben die kanaanäischen Stadtfürsten nicht den Titel »König«). Beide schweigen aber völlig über die Tötung der 70 Brüder, mit der Abimelech, unterstützt von den Sichemiten, sich die Herrschaft verschafft haben soll (V. 4 f.). Diese Beobachtung ist wichtig für die Analyse des so komplexen Teils V. 1—21. Zu C): Die Erzählung über die Vernichtung der Bewohner des »Turmes von Sichern« (9,46 — 49) ist durch die einleitenden Worte mit der vorhergehenden Erzählung A verbunden worden. Sie unterscheidet sich aber von dieser in knappem Stil gehaltenen Erzählung deutlich durch die anschauliche Beschreibung der Einzelheiten des Vorgehens Abimelechs. Sie stellt also ursprünglich eine Sondertradition dar. Als Abimelech gemeldet wird, daß sich die Bewohner des Turms von Sichern in das »Gewölbe« (gemeint ist ein unterirdischer Raum) des Tempels des Bundesgottes geflüchtet haben, versorgt er sich und seine Leute mit Baumzweigen vom Berg Zalmon, legt diese auf das »Gewölbe« und setzt sie in Brand, so daß alle im »Gewölbe« versteckten Menschen ums Leben kommen. Es handelt sich um eine selbständige Tradition über das Vorgehen Abimelechs im Kampf gegen Sichern. Während in V. 45 der Schwerpunkt auf der Zerstörung der Stadt liegt, ist hier die Art und Weise betont, wie Abimelech gegen die Menschen des Turms von Sichern vorgeht.29 — Auch in dieser Einheit findet sich kein Hinweis auf die in V. 4 f. erwähnten Mordtaten. 27 28

29

Crüsemann, Widerstand 36. Ebd. 37. Die Frage, ob es sich bei migdal-sckem um die auf einer Aufschüttung errichtete Akropolis handelt (bet millo V. 6.20, so mit anderen Rösel, Studien 29) oder um einen weiter entfernten »Vorposten« (J. A. Soggin, ZDPV 83, 1967, 196 f.; Judges, 1981, 192 f.), kann hier beiseite bleiben.

20

Abimelech und der Untergang Sichems

Zu D): Ohne Überleitung wird in V. 50 ff. die Erzählung vom Tod Abimelechs angeschlossen. Nach dem Untergang Sichems sucht Abimelech von neuem — in welchem zeitlichen Abstand wird nicht gesagt — seinen Herrschaftsbereich zu erweitern durch die Eroberung von Tebez, einer wahrscheinlich einige km nordöstlich von Sichern gelegenen kanaanäischen Stadt mit einer Burg.30 Als er dieser, auf die sich die Bewohner nach Einnahme der Stadt geflüchtet hatten, zu nahe kommt, weil er sie in Brand stecken will, trifft ihn ein von einer Frau geworfener Mühlstein tödlich. Um nicht auf die für einen Krieger so schändliche Weise zu sterben, läßt er sich von seinem Waffenträger mit dem Schwert töten. Hier dürfte eine legendäre Ausgestaltung vorliegen, aber an seinem Ende vor Tebez ist nicht zu zweifeln (zu V. 55 s.o. S. 17). IV. Analyse von Jde 9,1 — 6

In den behandelten alten Traditionen ist keine Spur der in 6,25 — 32 und in 8,31.33 — 35 so deutlich hervortretenden Identifizierung von Gideon mit Jerubbaal zu finden. Ganz anders ist es in 9,1—6, wo nun in Fortsetzung der Überleitung am Ende von Kap. 8 (konsequenterweise) Jerubbaal mit Gideon identifiziert wird, indem ihm die siebzig Söhne Gideons und dessen Heimatort Ophra zugeschrieben werden. Der Abschnitt ist in seiner heutigen Form geradezu von dieser Identifizierung beherrscht. Aber ist das nicht wie in Kap. 6 — 8 einem literarisch sekundären Vorgang zuzuschreiben? Bei V. l — 6 geht Richters Meinung dahin, »daß hier keine historische Gattung vorliegen kann, sondern eine reflektierende Gattung vorliegen muß«(!)31. Dies schließt Richter aus Widersprüchen zu Jdc 6 — 8 wie Spannungen in sich, besonders der zwischen V. 6 und V. 2.32 Auch Crüsemann und Becker sehen V. 1—6 — unter Ablehnung einer literarkritischen Lösung — »als von einer redaktionellen Hand formuliert«33. Richtig daran 30

31 32

33

Zur Lage von Tebez vgl. Y. Aharoni, Das Land der Bibel, 1984, 280: »Die allgemein akzeptierte Identifizierung von Tebez mit Tubas, das ca. 15 km nordöstlich von Sichern liegt, ist allerdings zweifelhaft. Es besteht lediglich eine vage Namensähnlichkeit, doch wurde ein geeigneter Teil an der entsprechenden Stelle nicht gefunden. Möglicherweise ist Tebez nur eine falsche Schreibung für Tirza, eine alte Kanaanäerstadt, die mit Teil elFar'a, ungefähr 10 km nordöstlich von Sichern, identifiziert wird. Tirza und Sichern waren mächtige Kanaan iterstädte im Gebirge Efraim, die dann dem Stamm Manasse zugerechnet wurden.« Diese Zurechnung ist freilich später zu datieren als die Ereignisse von Jdc 9. Daß die Traditionen darüber in Manasse bzw. Nordisrael übernommen und gepflegt wurden, ist gut verständlich. Richter, Untersuchungen 306. Ebd. 303. Becker, Richterzeit 187.

Abimelech und der Untergang Sichcms

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ist, daß die Stellen, die auf eine Identifizierung Jcrubbaals mit Gideon hinzielen — wie umgekehrt in Kap. 6 — 8 — , einer durch diese Tendenz bestimmten Redaktion angehören. Aber soll das Ganze einer spannungsvollen Komposition zuzusprechen sein und sollten die als alt beurteilten Erzählungen V. 22.23b.25 ff. keine entsprechende Einleitung gehabt haben? Wenn sie eine herrschaftliche Stellung Abimelechs gegenüber Sichern voraussetzen und von einer Krise (Gaal) bzw. dem völligen Scheitern berichten, dann sollte man erwarten, daß auch schon in der alten Tradition zusammenhängend über das Zustandekommen dieser Stellung gesprochen wurde. Das geschah in dem Urbestand von 9,1—6, der durch tendenziöse Erweiterungen angereichert und verändert und so seiner ursprünglichen Fortsetzung entfremdet wurde, dadurch, daß Motive eingebaut wurden, von der diese nichts weiß. So wie ein Redaktor an einigen Stellen in Kap. 6 — 8 bestrebt war, Gideon mit Jerubbaal zu identifizieren, so ist wahrscheinlich derselbe in 9,1 — 6 darum bemüht, Jerubbaal mit Gideon zu identifizieren. Dies bewirkte er dadurch, daß er in V. 2 die 70 Mann, die in Sichern herrschen — eine in dieser Zeit in kanaanäischen Städten nicht ungewöhnliche Oligarchie34 — durch eine Apposition, also ein sehr einfaches Mittel, mit den 70 Söhnen Gideons (8,30) — in Ophra(!) — gleichsetzte35 und dazu die Geschichte von ihrer Beseitigung durch Mord erfand, wobei er entsprechende Traditionen der israelitischen Geschichte, besonders aus der Jehuzeit, verarbeiten konnte. In die alten P>zählungen ab 9,22 hat er nicht eingegriffen, sondern sie nur durch einige Rückverweise auf die von ihm eingebrachten Bluttaten begleitet und gedeutet (V. 23a.24.56.57a). V. Die älteste literarische Überlieferung über A.bimelech und sein Verhältnis %u Sichern

Schaltet man die redaktionelle Konstruktion in V. 1—6 aus (V. 2 »alle Söhne Jerubbaals«; V. 4 f.), beurteilt man mit der herrschenden Meinung 34

35

. Alt, Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina, KS II, 41978, 25; W. Thiel, Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher Zeit, 1980, 78. Daß die Zahl 70 sowohl für die Söhne Gideons in 8,30 wie für die in Sichern herrschenden Männer verwendet wird — was die Identifizierung erleichterte —, braucht nicht zu verwundern, wenn man sich vergegenwärtigt, wie oft 70 im AT als runde Zahl gebraucht wird, die für eine größere Menge steht (unserem »-zig« vergleichbar). Einige Beispiele mögen das verdeutlichen: Gen 46,27; Ex 1,5 (70 als Gesamtzahl der Nachkommen Jakobs, die nach Ägypten gelangten); Ex 24,1.9 (70 von den Ältesten Israels steigen zu Jahwe hinauf), Num 11,16.24 (Mose versammelt auf Befehl Jahwes 70 Männer aus den Ältesten Israels); Jdc 1,7 (70 verstümmelte Könige lasen unter Adonibcscks Tische [Brocken] auf); Jdc 12,13 f. (der Richter Abdon hatte 40 Söhne und 30 Enkel, die auf 70 Eselsfüllen ritten); I Sam 6,19 (Jahwe schlug 70 Mann in Bet-Schemesch); II Reg 10,1.6 (Ahab hatte 70 Söhne in Samaria); Ex 25,27; Num 33,9 (in Pvlim befand sich eine Oase mit 70 Palmen, d. h. ein Palmenhain mit vielen Bäumen).

22

Abimelech und der Untergang Sichems

V. 7 — 21 als sekundär und berücksichtigt man, daß die Gaalepisode in eine ältere Überlieferung — sie unterbrechend — eingestellt wurde (s. o.), so erhält man für diese folgende Gestalt: »l Abimelech, der Sohn Jerubbaals, ging nach Sichern zu den Brüdern seiner Mutter und redete zu ihnen, d.h. 36 zu der ganzen Sippe der väterlichen Familie seiner Mutter, also: 2 Redet doch in die Ohren (d. h. nachdrücklich oder insgeheim?) aller Bürger von Sichern: Was ist besser für euch — daß über euch siebzig Mann herrschen oder daß über euch ein einziger Mann herrscht? Und denkt daran, daß ich euer Bein und Fleisch bin. 3 Da redeten die Brüder seiner Mutter seinetwegen mit allen Bürgern von Sichern alle diese Worte; und es neigte sich ihr Herz Abimelech zu, denn sie sagten sich: Er ist unser Bruder! 6 Dann versammelten sich alle Bürger von Sichern und alle Bewohner von Bet-Millo, gingen hin und machten Abimelech zum König bei der Eiche am »Malstein« (s. BH), der sich in Sichern befindet. 22 Als Abimelech drei Jahre (über Sichern37) geherrscht hatte, 23b da wurden die Bürger von Sichern aufsässig gegen Abimelech: 25 Die Bürger von Sichern legten ihm Hinterhalte auf den Gipfeln der Berge und beraubten jeden, der auf dem Wege an ihnen vorüberzog; und man meldete es Abimelech.38 42a Als am folgenden Tage das Volk auf das Feld hinausging, 43 da nahm er das Heer, teilte es in drei Trupps und lauerte auf dem Felde. Als er sah, daß das Volk herausgezogen war aus der Stadt, da stand er gegen sie auf und schlug sie. 44 Abimelech und >der Trupp< (s. BH) bei ihm machten einen Überfall und stellten sich an dem Eingang des Stadttores auf, und die beiden (anderen) Trupps überfielen alle, die auf dem Feld waren und schlugen sie. 45 Abimelech kämpfte an jenem ganzen Tag gegen die Stadt, nahm die Stadt ein und tötete das Volk, das darin war. Dann zerstörte er die Stadt und säte Salz darauf.« Bei der Frage nach dem historischen Hintergrund von Jdc 9 ist von folgenden Gegebenheiten auszugehen: 1) Die Identifizierung Gideons mit Jerubbaal ist jung und ohne geschichtlichen Anhalt. Alle Spekulationen, die von der Annahme ausgehen, daß Abimelech der Sohn Gideons und damit von Vaterseite her Angehöriger des israelitischen Stammes Manasse war, sind nicht haltbar. Wie schon die Namen von Vater und Sohn nahelegen, gehört Abimelech in die kanaanäische und nicht in die israelitische Geschichte. 2) Abimelech ist zwar Halbsichemit, aber sein Sitz war in keiner Zeit Sichern selber: 36 37

38

Waw-explicativum, vgl. G.-K. § 154 Anm. b. S.o. S. 17. Lies ?] (vgl. BHS); Wiederaufnahme in V. 42b, wo versehentlich V. 42a vorangestellt ist.

Abimelech und der Untergang Sichems

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a) Er kommt von auswärts (9,1), um in Sichern mit seinen Verwandten von Mutterseite zu verhandeln. Ereignisse, die in Sichern geschehen und die ihn angehen, müssen ihm nach auswärts gemeldet werden (9,25.30 f.), in Sichern wird er durch seinen Stadtvogt Sebul vertreten

(Tyrr-ifr bzw. 170). b) Nach 9,41 hat er seine Residenz in Aruma, nach Aharoni »offenbar Hirbet el-'Oreme, auf einer Anhöhe ca. 8 km südöstlich von Sichern gelegen«39. Diese Nähe zu Sichern erklärt sein schnelles Eingreifen, wenn ihm von dort anstößige Vorkommnisse gemeldet wurden. c) Daß Abimelech nur von außen her eine herrschaftliche Stellung gegenüber Sichern einnimmt, macht erklärlich, daß er nicht vor der brutalen Zerstörung Sichems zurückschreckt, als die Sichemiten von ihm abfallen. Ein inneres Verhältnis zu der Stadt hat er trotz der Verwandtschaft offenbar nicht. Es trifft nicht zu, daß er mit der Zerstörung Sichems »den Ast abgesägt« hätte, »auf dem er saß«, wie Donner meint.40 Er sucht ja auch noch eine weitere Stadt, Tebez, zu erobern — wir wissen nicht, in welchem Zeitabstand — und damit sein Einflußgebiet zu erweitern. Dort erst scheitert er beim Sturm auf die Zitadelle. Auch nach den Ereignissen um Sichern hat es ihm an Eroberungslust und Eroberungskraft bis zu seinem Tod nicht gefehlt. 3) Das Vorgehen Abimelechs, der danach strebt, von seiner Stadt Aruma aus andere Städte unter seine Herrschaft zu bringen, erinnert an Ereignisse, die sich aus den Amarnabriefen (unter Amenophis III. und IV. 1403 — 1350 v.Chr.) erschließen lassen. So wird von einem Labaja und seinen zwei Söhnen berichtet, daß sie mehrere Städte erobert haben, darunter Sichern, das nicht die Vaterstadt Labajas, aber für seine weiteren Unternehmen wichtig war. Aber Labaja war nicht der einzige Stadtstaatenfürst, von dem solches Machtstreben berichtet wird. So kann über AbduHeba von Jerusalem geschrieben werden: »Labaja ist tot, der unsere Städte erobert hat, aber siehe, Abdu-Heba ist ein anderer Labaja und erobert (auch) unsere Städte« (EA 280). Auch von anderen Dynasten der Amarnazeit wird Expansion in andere Gebiete berichtet. So zeigen die Amarnabriefe, daß es durchaus nichts Ungewöhnliches war, »daß besonders energische und skrupellose Dynasten von der Basis eines Stadtstaates aus ihren Herrschaftsbereich auf Kosten anderer Stadtstaaten erweitert haben.«41 In diesem Zusammenhang muß die Abimelecherzählung gesehen werden: Sie handelt von einem typischen Ereignis der kanaanäischen Geschichte.42 39 4(1 41

42

Land 279. Geschichte I, 172. M. Weippert, Die Landnahme der israelitischen Stämme in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, FRLANT 92, 1967, 140. Auf die Analogie mit Vorgängen der Amarnazeit haben auch H. Reviv, The Government of Shechem in the Fl-Amarna-Period and in the Days of Abimelek, IEJ 16, 1966, 252;

24

Abimelech und der Untergang Sichems

VI. Das Werden von Jdc 9 I. Nach unserer Analyse steht am Anfang des literarischen Prozesses die kanaanäische Tradition von der Einsetzung Abimelechs zum König über Sichern, dem Abfall der Sichemiten und ihrer Bestrafung durch Abimelech, die zur Zerstörung der Stadt führt (V. 1.2*.3.6.22.23b.25.42*. 43 — 45). Eingebettet in diese wurde die Gaalepisode (V. 26 — 41) und angeschlossen eine selbständige, von der ersten unabhängige Tradition von der Tötung der Bewohner des »Turms« von Sichern (V. 46 — 49). Da Abimelech im Mittelpunkt dieser Traditionen stand, lag es nahe, auch die Erzählung von seinem Ende bei dem Angriff auf Tebez anzuschließen (V. 50 — 54). Es entstand so ein geschlossener Erzählungskranz, in dem im Gebiet von Sichern umlaufende Traditionen über Abimelech vereint wurden. Sie sind alle profaner Natur, eine religiöse Wertung findet nicht statt. Wo einmal gewcrtet wird, geschieht dies inklusive und in politischmoralischer Hinsicht mit einem einzigen Wort: Weil die Sichemiten sich nicht an die Abmachungen mit Abimelech hielten (TQ V. 23), wurde Sichern von Abimelech zerstört. Die Schuld wird damit den Sichemiten zugeschrieben, eine königsfeindliche Tendenz fehlt, ebenso irgendeine Anspielung auf die in V. 5 behauptete Tötung der Abimelechbrüder. Diese gehört also nicht zur alten Tradition. II. Der ursprüngliche Erzählungskranz ist in der Folge mehrfach bearbeitet und erweitert worden. Die umfangreichste, wieder aus mehreren Schichten bestehende Erweiterung liegt in V. 7 — 21 vor. In ihr ist zu unterscheiden zwischen der Fabel (V. 8 — 15) und dem Fluch Jotams (V. 7.16a.l9b.20). Während die ursprünglich selbständige, wahrscheinlich aus Weisheitskreisen4·5 hervorgegangene Fabel keinerlei Bezug nimmt auf die Ereignisse um Abimelech, sind die formal als Fluch gestalteten und in V. 57b auch so bezeichneten Verse 16a.19b.20 inhaltlich ganz auf die ältere Erzählung von dem Vertragsbruch der Sichemiten und der darauf folgenden Bestrafung durch Abimelech (Zerstörung von Sichern und Tötung der Bewohner Bet-Millos durch Feuer) abgestimmt. Der Text lautet: »16a Und nun, wenn ihr in Aufrichtigkeit und Treue44 gehandelt habt, als ihr Abimelech zum König gemacht habt, 19b so freut euch an Abimelech und er freue sich an euch. 20 Wenn aber nicht, gehe Feuer aus

43 44

Donner, Geschichte I, 170 — 173 aufmerksam gemacht. Sie gehen jedoch beide von der Voraussetzung aus, daß Abimelech von Vaterseite her ein Israelit war und daß es sich bei seinem Vorgehen um den Versuch handelte, »Kanaanäer und Israeliten vor ein und denselben Wagen zu spannen«, wofür »wohl die Zeit noch nicht reif war« (Donner 172). Diese Auffassung scheitert daran, daß sich die israelitische Herkunft Abimelechs nicht wahrscheinlich machen läßt. Bei ihm handelt es sich um einen Kanaanäer, der nach dem Vorbild der Dynasten der Armanazeit handelte. G. v. Rad, Weisheit in Israel, 1970, 63 f.; anders Crüsemann, Widerstand 32. So KBL·1 1611.

Abimelech und der Untergang Sichems

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von Abimelech und verzehre die Bürger von Sichern und Bet-Millo, [und es gehe Feuer aus von den Bürgern von Sichern und Bet-Millo und verzehre Abimelech«].43 Die Bürger von Sichern und Bet-Millo — Abimelech wird bemerkenswerterweise gar nicht angesprochen — werden also gefragt nach ihrer Gesinnung, als sie Abimelech zum Stadtkönig einsetzten. Auf die Tötung der Abimelechbrüder nimmt der Fluch keinerlei Bezug. Sie wird erst in der letzten Bearbeitung zugefügt (V. 4f.21). Aus dieser Beobachtung ergeben sich zwei wichtige Folgerungen: 1. Für die Beurteilung des Sprechers des Fluches: Wäre Jotam für den Verfasser des Fluches der jüngste, dem Massaker Abimelechs entkommene Sohn Jerubbaals, wie V. 5b behauptet, würde man doch eine Erwähnung der Tötung seiner Brüder und der damit seinem Vater angetanen Schmach erwarten. Eine solche findet sich nur in V. 16b—18, einem Text, der allgemein als sekundäre Einfügung in die Rede Jotams beurteil wird (Wiederaufnahme von 16a in 19a) und der im Unterschied zu den bisher behandelten die Identifizierung von Jerubbaal mit Gideon voraussetzt. Für den Jotamfluch in seiner ursprünglichen Form ist Jotam kein Jerubbaalsohn. 46 Wer Jotam war, wissen wir nicht. Vielleicht ist er nur eine literarische Figur, der man die Fabel und den Fluch in den Mund gelegt hat und die man im Zusammenhang mit der letzten Überarbeitung, die erst Gideon mit Jerubbaal identifiziert hat, zu einem Sohn Jerubbaals gemacht hat (V. 5b.21). 2. Von größerer Bedeutung ist aber die zweite Folgerung hinsichtlich des Sinnes des Fluches. Die Frage an die Sichemiten kann sich nicht auf ihre Mitwirkung an dem Massaker Abimelechs beziehen, da dieses erst in der letzten Bearbeitung eingefügt wurde, sondern nur auf ihre Gesinnung bei der Einsetzung Abimelechs zum Stadtkönig über Sichern. Handelten sie dabei ehrlich und redlich? D. h., waren sie gesonnen, die Verpflichtung, die sie damit eingingen, auch treu zu halten, oder behielten sie sich unausgesprochen und insgeheim vor, das mit der Einsetzung begründete Verhältnis einseitig aufzulösen, wie sie dies ja nach V. 23b taten? Der Fluch betont also eine moralisch-politische Verpflichtung und weist auf die Folgen ihrer Verletzung hin. Er soll offenbar zeigen, daß die Sichemiten, denen in der alten Erzählung die Schuld an dem Untergang ihrer Stadt und der Tötung ihrer Bewohner zugeschrieben wird, vorgewarnt waren. In V. 57b, der vor der Anfügung der Episode von Abimelechs Tod nach V. 45 oder V. 49 gestanden haben dürfte, wird der Fluch als an den Sichemiten erfüllt erklärt. So entstand eine Rahmung, gebildet durch den Fluch und seine Erfüllung. 47 45

46 47

S. u. Anm. 47. Vgl. auch die Bedenken von Veijola, Königtum 107, gegen V. 5b. V. 20b — Feuer soll ausgehen von den Bürgern von Sichern und den Bewohnern des Millo und Abimelech verzehren — ist vielleicht um der Parallele willen zugefügt; er findet im Folgenden keine Erfüllung.

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Abimelech und der Untergang Sichems

Exkurs: Zur Deutung der Fabel Die Exegese des Fluches Jotams (V. 16a.19b.20a) hat ergeben, daß hier Jotam die Sichemiten, die Abimelech eingesetzt haben als Stadtfürst, davor warnt, dem Gewählten gegenüber vertragsbrüchig zu werden, wie sie es in V. 23b (n?3h1) tun, was dann zu ihrem Untergang führt. Faßt man den Fluch als »Anwendung« der Fabel auf, wie es nahe liegt und wie es oft geschieht, so muß man fragen, ob die beliebte Deutung der Fabel auf eine Verhöhnung und Mißachtung des Königtums sich mit dieser »Anwendung« vereinbaren läßt oder ob nicht auch die Fabel in eine Warnung an die Wähler ausmündet, den nun einmal gewählten König nicht zu unterschätzen und ihm das Vertrauen vorzuenthalten, auf das er aufgrund der angebotenen Wahl einen Anspruch hat. Mit der Aufforderung an den mit TÜX bezeichneten Baum »geh hin und werde König über uns« und der Bereitschaft, ihn zu salben, ist zugleich die Verpflichtung der Wähler, auch der starken Bäume des Libanon, die ja in den »Bäumen« eingeschlossen sind, verbunden, den Gewählten ernst zu nehmen. Auch ein König geringer Herkunft hat Anspruch auf die Achtung und Vertragstreue derjenigen, die ihm das Amt angetragen haben. Die bisher angenommene antikönigliche Tendenz der Fabel, die ja einzigartig wäre,48 scheint mir auf einer Mißdeutung zu beruhen. Es ist auch zu fragen — was man durchweg unterläßt —, welchen »Baum« das Wort TüX bezeichnet. Die im Deutschen übliche Übersetzung »Dornbusch« oder »Dornstrauch« ist zu allgemein und weist von vornherein auf ein niedriges unansehnliches Gewächs, das keinen Schatten zu geben vermag und mit einem »Baum« nichts zu tun hat. Für das mit TBK bezeichnete Baumgewächs hat man »Bocksdorn«, Lycium Europaeum, oder »Christdorn«, Ziziphus spina-christi, vorgeschlagen. Der Bocksdorn ist nach G. Dalman »ein 2 —4 m hoher Strauch mit Dornen von 2 cm und dunkelroten Früchten, in ganz Palästina häufig, auch in Gärten kommend.«49 Den Christdorn, an den man auch früher schon gedacht hat50, hat M. Zohary neuerdings so beschrieben, wobei er für die Identität mit dem in der Fabel erwähnten Baum plädiert: »Der Christdorn ist ein stattlicher, immergrüner bis zu 10 m großer Baum, der eine große, ovale, dicht verzweigte Krone entwickelt. Seine ovalen, auffällig genervten und gezähmten Blätter werden 3 — 5 cm lang und etwa 2 cm breit. Sie haben zwei stachlige Nebenblätter, wovon das eine gerade, das andere gebogen ist. Der Baum blüht fast das ganze Jahr 48 49 50

Vgl. Crüsemann, Widerstand 27. G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina II, 321. ZDPV 11, 102 f.

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über, am stärksten im Sommer. Die zweigeschlechtigen Blüten sind gelblichgrün. Die gelbe, fleischige Steinfrucht hat etwa die Größe einer Kirsche (ist jedoch weniger schmackhaft als diese) und wird sogar auf den Märkten angeboten. Die Pflanze kommt ziemlich häufig in Samarien und im südlichen Israel vor, besonders ist sie auch im oberen Jordan-Tal auf der feinkörnigen Schwemmerde anzutreffen.« 51 Daß dieser Baum Schatten zu geben vermag, die Aufforderung von V. l Saß also nicht ironisch gemeint sein muß, ist wohl nicht zu bezweifeln. Vielleicht ist darauf angespielt, daß er nur Schatten, aber keine wertvollen Früchte wie die vor ihm angesprochenen Bäume zu bieten hat. Wie immer es sei, er hat entsprechend der Wahl Anspruch auf Respektierung seines Königtums, wie auch aus der Anwendung im Fluch hervorgeht. Nur bei diesem Verständnis harmonieren die Fabel und ihre Anwendung miteinander, was man doch erwarten sollte. III. In einer letzten tiefgreifenden Bearbeitung wird die in Kap. 6 — 8, besonders in den spätdtr Versen 6,25 — 32 und 8,31.35 vorbereitete Identifizierung des Kanaanäers Jerubbaal mit dem Israeliten Gideon mit allen Folgerungen gezogen: Er hat siebzig Söhne wie Gideon, die in Ophra, der Heimat Gideons, wohnen und dort von ihrem aus der Ehe mit einer Sichemitin stammenden Halbbruder Abimelech umgebracht werden. Der alte Erzählungskränz wird durch diese Bearbeitung in seinem Ausgangspunkt völlig verändert. Es ist bezeichnend, daß diese Bearbeitung in den alten Erzählungskranz selber nicht eingegriffen hat, sondern nur durch einzelne rahmende Sätze (V. 23a.24; 56.57a) das erzählte Geschehen als göttliche Vergeltung für die erst durch sie eingeführte Gewalttat gedeutet hat. Erst durch diese spätdtr (DtrN?) Redaktion ist die schon in ihrer Urgestalt nicht friedfertige, aber dem kanaanäischen historischen Klima der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends, wie wir es aus den Amarnabriefen kennen, entsprechende Darstellung um eine so grausame Episode bereichert und zugleich theologisiert worden. Diese letzte Redaktion hat nichts mit der dtr Grundschrift des Richterbuches zu tun, sondern ist spätdtr. Erst durch sie ist Kap. 9 in das Richterbuch eingestellt worden. Es entbehrt deshalb all der Züge, die für DtrG in Jdc 2,11 bis 8,28 prägend sind. 1/

. Zusammenfassung

Geschichtlicher Ausgangspunkt von Jdc 9 ist der Erzählungskranz, in dem im Gebiet von Sichern umlaufende Überlieferungen über den Kanaanäer Abimelech zusammengefaßt wurden. Sie dürften kanaanäischer 51

M. Zohary, Pflanzen der Bibel, 1983, 155.

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Herkunft, aber im erzählfreudigen Nordreich Israel übernommen und weiter überliefert worden sein. Sie berichten davon, daß die Sichemiten auf das Angebot Abimelechs, eines im benachbarten Aruma residierenden Verwandten, eingingen und ihn an Stelle einer Oligarchie zum Herrscher über ihre Stadt einsetzten. Als sie aber nach drei Jahren vertragsbrüchig wurden, hat sie Abimelech radikal bekämpft und ihre Stadt und den Turm von Sichern mit seinen Bewohnern zerstört. In einer vorgesetzten Erweiterung wird das Motiv, daß diejenigen, die einen König einsetzen, ihm aber nicht die Treue halten, strenge Strafe zu erwarten haben, mit Hilfe einer Fabel und einen daran anschließenden Fluch gegen die Sichemiten, falls sie treubrüchig würden, weit ausgeführt. Ihre eigene Schuld an ihrem Untergang wird dadurch betont: sie waren durch Jotam vorgewarnt. Im letzten Stadium wird die 6,25 — 32 u. a. vorbereitete Identifizierung des Israeliten Gideon mit dem Kanaanäer Jerubbaal, dem Vater Abimelechs, konsequent durchgeführt. Abimelech wird dadurch zum Israeliten, der in Ophra 70 Brüder hat, die er umbringen muß, um selber in Sichern König zu werden. Dieses Stadium ist völlig unhistorisch und soll wahrscheinlich dem Zweck dienen, dem frommen Gideon, der das Königtum ausschlägt, weil es nur Jahwe gebührt (Jdc 8,22 f., spätdtr), den machthungrigen Sohn gegenüberzustellen, wozu die alten Überlieferungen über Abimelech besonders geeignet erschienen.

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Die Erzählung von der Thronfolge Davids — theologische oder politische Geschichtsschreibung? 1. Zur Forschungslage Es ist bereits im letzten Jahrhundert erkannt worden, daß in den Kapiteln 2. Sam 9-20, l.Kön 1-2 ein einheitlich gestaltetes Geschichtswerk von hohem Rang vorliegt. Die Wertung und Deutung, die diesem gern als Thronfolgeerzählung (künftig: ThFE) bezeichneten Werk heute in weiten theologischen Kreisen zuteil werden, sind bestimmt durch zwei einflußreiche Arbeiten: L. Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids, 1926, und G. von Rad, Die Anfänge der Geschichtsschreibung in Israel.1 Mit Recht hat man von Rost s Untersuchung gesagt, daß sie den Rahmen abgesteckt habe, in dem die spätere Diskussion sich bewegte.2 Rost hat gegenüber einigen anderslautenden Stimmen von neuem die Einheit und innere Geschlossenheit der ThFE verteidigt, sie aber auch - und das war neu - durch 2. Sam 6, 16.20 ff und 7, l Ib.16 als mit der Michal-Szene der Ladeerzählung und mit der Nathan-Weissagung «verzahnt» angesehen. Von l.Kön l als dem «Schlüssel für das Verständnis des Ganzen» (S. 86) ausgehend, sieht er in der Frage nach dem Nachfolger Davids das Thema, das das ganze Werk bestimmt. An seinem Anfang steht die «Mitteilung über die Kinderlosigkeit der geborenen Königinmutter» (S. 105) und - im Gegensatz dazu - zugleich die Verheißung, Jahwe werde David eine Dynastie gründen; am Ende, nach vielen turbulenten Ereignissen, wird festgestellt, daß das Königtum festen Bestand in der Hand Salomos hatte (l.Kön 2, 46b). Dies aber ist das Ziel der ganzen ThFE: Von einem Angehörigen des königlichen Hofes in der Anfangszeit Salomos verfaßt (S. 127), ist sie «in majorem gloriam Salomonis» (S. 128) geschrieben.

1

2

In: Archiv für Kulturgeschichte 32, 1944, S. 1-42 (= Gesammelte Studien zum Alten Testament, S. 148—188, danach im folgenden zitiert). W. Brueggemann, On Trust and Freedom, A Study of Faith in the Succession Narrative, Interpretation XXVI, 1972, S. 1.

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G. von Rads vielbeachteter Aufsatz fußt auf den literarischen Ergebnissen Rosis. Insbesondere sieht von Rad durch Rost «den nahezu sicheren Erweis gebracht, daß der Beginn nicht etwa erst in 2. Sam 13 zu suchen ist, sondern kunstvoll in das Ende der sogen. Ladeerzählung verzahnt ist» (S. 159); ebenso steht ihm fest, daß 2. Sam 7 (in seiner ältesten Schicht) «von unserem Historiker schon vorgefunden und dem Anfang seines Werkes eingegliedert worden» ist (S. 160). So erscheint ihm der Anfang «eigenartig genug»: «Hart wie in einer Dissonanz ist die verbaute menschliche Möglichkeit (Mikals Unfruchtbarkeit) und die große göttliche Verheißung nebeneinander gestellt, und kein Leser kann sich vorstellen, wie sich das alles lösen wird. Nur das ahnt man, daß in den folgenden Ereignissen Gott seine Hand wunderbar im Spiele haben wird» (S. 160). Schon diese Sätze machen deutlich, daß von Rad bei aller Würdigung der historischen und literarischen Eigenart besonders die Frage nach der Geschichtstheologie des Verfassers angehen wird. Sein Ergebnis lautet: «Der ganze menschliche Bereich ist das Betätigungsfeld der göttlichen Vorsehung. Diese Auffassung von dem 'concursus divinus' ist es, die es unserem Historiker ermöglicht hat, in seiner Darstellung der ganzen menschlichen Wirklichkeit gerecht zu werden... Eine Glaubenserkenntnis allereinfachster Art liegt diesem Werk zugrunde und deshalb muß es unter allen Umständen als theologisches Geschichtswerk bezeichnet werden, wenngleich es ein ganz weltliches Gemälde darbietet» (S. 185 f). Dabei sieht von Rad, wie Rost, als inneres Thema des Ganzen den davidischen Thron: «Am Anfang war die göttliche Verheißung für den ewigen Bestand dieses Thrones mitgeteilt, dann sah man die furchtbaren Wirrnisse, in die er hineingezogen wurde, bis sich am Ende der von Gott ersehene Erbe der Krone einstellte und die Frage nach der Thronnachfolge Davids gelöst war» (S. 186). Ja, von Rad kann das Thema in theologischer Hinsicht geradezu als ein «messianiscbes» bezeichnen, insofern es das Anliegen des Historikers war, «die Bewahrung des davidischen Thrones durch Gott durch alle Wirren der Geschichte darzustellen» (S. 186). Mit dieser Deutung, die er im wesentlichen im ersten Band seiner «Theologie des Alten Testaments» in verkürzter Form wiederholt hat, hat von Rad eine große Wirkung ausgeübt. C. Westermann kann den genannten Aufsatz charakterisieren als «wegweisendes Wort zum Geschichtsverständnis des Alten Testaments, das Generationen von Studenten in das Geschichtsverständnis des Alten Testaments eingeführt hat».3 s

C. Westermann, Zum Geschichtsverständnis des Alten Testaments, FS von Rad 1971, S. 611.

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Rosts und von Rads Deutung der Thronfolgeerzählung beruht auf der Überzeugung, sie sei zugunsten Salomos geschrieben. An dieser These haben die meisten späteren Äußerungen zur Thronf olgeerzälung, soweit ich sehe, bei allen Unterschieden gegenüber Rost und von Rad, grundsätzlich festgehalten. So hat . Mildenberger* die prosalomonische Tendenz ganz stark hervorgehoben. Die Darstellung wolle der zweifelnden Frage begegnen, ob die Thronbesteigung Salomos zu Recht erfolgte (S. 75), und sei «gedacht als Rechtfertigung eines schließlich erreichten Zustandes» (S. 99), nämlich der Herrschaft Salomos. Dabei rechnet Mildenberger in 1. Kon l mit einer von den wirklichen Vorgängen (Putsch der Salomokamarilla während der Krönungsfeierlichkeiten für Adonja nach dem Tode Davids) weit abweichenden Darstellung, die so tue, «als habe David ein unbestrittenes Recht zur Designation seines Nachfolgers gehabt, welches er zu Gunsten Salomos wahrnahm» (S. 84). Die theologische Anschauung des Erzählers sieht Mildenberger, anders als von Rad, greifbar in l.Kön l, 36.48; 2, 15.24: «Weil der Erfolg bei Salomo und seinen Anhängern war, ist es nicht anders möglich, als daß Jahwe auf ihrer Seite stand» (S.99)-5 R. N. W'bybray,5a der die enge Verbindung der ThFE mit der Weisheitstradition innerhalb und außerhalb Israels betont, hebt als Ziel der Darstellung hervor, sie wolle das Regime Salomos stützen dadurch, daß sie seine Legitimität aufzeige und seine Politik rechtfertige. Eine grundsätzlich abweichende Auffassung hat m. W. nur L. Delekat in seiner Bonner Habilitationsvorlesung von 1964 vorgetragen, ohne sich allerdings im einzelnen mit Rost oder von Rad (den er überhaupt nicht erwähnt) auseinanderzusetzen.6 Das Werk ist nach ihm durch eine «gegen das davidische Königshaus gerichtete Tendenz» bestimmt (S. 28). Ja, indem der Verfasser von Davids heimlichem und Salomos offenem Morden berichtet, lasse er erkennen, daß er es von vornherein für verhängnisvoll halte, einem Menschen so viel Macht zu geben; er sei also Gegner des Königtums überhaupt (S. 31). Darüber hinaus sei da, wo der Erzähler nach der Stellung Jahwes zur Davidsgeschichte frage, 4

P. Mildenberger, Die vordeuteronomistische Saul-David-Überlieferung, masch. Diss. Tübingen 1962. 5 Nach Mildenberger beginnt die ThFE erst mit Absaloms Aufstand, wodurch zwei von den drei «Deutestellen> von Rads wegfallen. 2. Sam. 7, 14 mißt er keinen besonderen Wert zu. 5a The Succession Narrative. A Study of II Sam. 9—20 and I Kings 1 and 2. Studies in Biblical Theology II, 9, 1968. 8 L. Delekat, Tendenz und Theologie der David-Salomo-Erzählung, FS L. Rost, 1967, S. 26-36.

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«überall zugleich ein untergründiger Groll des Erzählers gegen Jahwe unverkennbar», eine bewußte Kränkung: «Willst du wirklich zu allem willenlos Ja sagen?» (S. 34). Man sieht, die Deutung Delekats ist der durch Rost inaugurierten diametral entgegengesetzt. Nun hat Delekats These gegen die Rosts und von Rads wenig oder nichts ausrichten können. In den neuesten Äußerungen von Hermisson, Wettermann? Brueggemann? die ganz in von Rads Bahnen gehen, wird sie nicht einmal erwähnt. Trotzdem scheint sie mir zusammen mit der Interpretation von l.Kön 1-2, die Noth vorgelegt hat, ein Indiz dafür zu sein, daß die Deutung Rosts und von Rads allzulange unkritisch wiederholt wurde und daß es an der Zeit ist, die Tragfähigkeit ihrer Argumente von neuem zu untersuchen. 7 8

Beide in: FS von Rad 1971, S. 136-148 bzw. S. 611-619. Vgl. S. 7, Anm. 2.

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2. Die antisalomonische Tendenz von 1. Könige 1-2

Die erste Voraussetzung der Rost-von Raäschen Deutung ist die, daß das nach langen Wirren endlich erreichte Ziel, die Festigung des Königtums in der Hand Salomos, von dem Verfasser der ThFE positiv beurteilt wird. Von daher kann Rost davon sprechen, daß das Werk «in majorem gloriam Salomonis» (S. 128) abgefaßt sei, und von Rad sagen, daß «am Ende dann doch der, den Jahwe zuvor geliebt hatte, den Thron einnehmen konnte».9 Aber läßt sich eine solche positive Stellung des Autors zu Salomos Thronbesteigung wirklich aus seinem Werk ablesen? Salomo wird außerhalb des Berichtes von seiner Thronbesteigung in l.Kön 1-2 nur noch einmal erwähnt, nämlich bei seiner Geburt (2. Sam 12, 24 f). In diesem Zusammenhang fällt die Bemerkung, die bei der hier zu überprüfenden Deutung eine gewichtige Rolle spielt: «Jahwe liebte ihn.» Sie wird uns später zu beschäftigen haben. Zunächst wollen wir uns auf den Bericht in l.Kön 1-2 konzentrieren. Daß diese Kapitel nicht von vornherein eine positive Stellung des Erzählers zu Salomo und seinem Königtum nahelegen, zeigt ein Blick in die Kommentare. So schreibt I. Benzinger:10 «Daß der Berichterstatter nicht der Partei Salomos angehörte, ist ganz deutlich. Ein offizieller Reichshistoriograph oder ein überzeugter Parteigänger Salomos hätte die Erzählung etwa in der Art der Chronik (mutatis mutandis) gestaltet... Das Recht der Erbfolge ist nach unserem Erzähler auf Seiten Adonias; wenn die alten treuen Diener Davids, ein Joab und ein Abjathar, für ihn eintreten, so haben sie das Wohl des jungen Staates im Auge und sind nicht Empörer wie ein Absalom. Daß dieser Bericht nicht unter Salomos Regierung verbreitet werden konnte, ist klar, ebenso aber, daß er in letzter Linie auf einen Mann zurückgeht, der den Ereignissen nicht ferne stand.» Ähnlich Kittel:11 Die Erzählung nehme in keiner Weise für Salomo Partei, sei vielmehr 9 10 11

Theologie des Alten Testaments I, S. 329. Die Bücher der Könige, KHC IX, 1899, S. 1. Die Bücher der Könige, HK 1900, S. 1.

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ihm gegenüber «so objektiv gehalten, daß man heute noch im Zweifel sein kann, ob der Berichterstatter im Herzen ein Freund Salomos und seiner Herrschaft und nicht vielmehr Parteigänger Adonias war. In der That ist das Letztere recht wahrscheinlich, wie aus dem Umstände hervorgeht, daß der Erzähler über Adonias doch gewiß nicht ganz harmloses Gebahren am Schlangenstein kein Wort des Tadels hat, aber andererseits allen Tadel darüber Natan in den Mund legt, so daß jetzt fast mit Absicht der Schein erzeugt wird, Natan habe Wesentliches erfunden. Nur in l, 5 bricht sein eigenes Urteil - allerdings in entscheidender Weise - durch. Er ist Parteigänger Adonias, erkennt aber dessen Verblendung, die zu seinem Sturz führte.»12 Montgomery u.a. betonen die Objektivität des Verfassers gegenüber Salomo, wobei zu bedenken ist, daß «Objektivität» gegenüber einem Despoten, der Glorifizierung erwartet, doch wohl auch schon eine Stellungnahme bedeutet. Interessant ist die Auffassung von Notb.13 Er unterscheidet einen Haupterzähler in Kapitel l und mehrere Nebenerzähler mit «Nachträgen» in 2, 13 ff. In dem Haupterzähler sieht er zunächst den Willen am Werk, die Vorgänge, die zur Thronbesteigung Salomos geführt haben, als objektiver Historiker darzustellen. Von einer Sympathie für Salomo könne bei ihm «offenbar keine Rede sein». «Er hat sich mit der Thronnachfolge Salomos abgefunden und beschreibt die darauf hinführenden Vorgänge» (S. 39). Wie eine Distanzierung von der Deutung von Rads erscheint es, wenn Not h feststellt, «vom Erzähler bzw. von den Erzählern selbst wird an keiner Stelle ausgesprochen, daß Jahwe die Thronnachfolge Salomos bewirkt habe» (S. 39), und wenn er zwar für den dem Erzähler gebührenden «Ehrentitel eines Geschichtsschreibers» auf v on Rod verweist, aber nicht dessen Urteil erwähnt, daß das Werk «unter allen Umständen als ein theologisches Geschichtswerk bezeichnet werden» müsse.14 Weniger objektiv sieht Notb den von ihm als «Nachträge» beurteilten Abschnitt 2, 13 ff, von dem es ziemlich deutlich sei, daß er Salomo ins Unrecht setzen wolle dadurch, «daß die Maßnahmen gegen die drei (sc. Adonja, Ebjathar, 12

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Etwas zurückhaltender urteilt R.Kittel in «Geschichte des Volkes Israel», II, "1925, S. 145. Seine Stellungnahme leidet hier freilich darunter, daß er das literarische Werk nicht als solches nimmt und charakterisiert, sondern ihm — gewissermaßen aus der besseren Kenntnis des Historikers — immer dazwischenredet. Beides — die literarische Analyse und Würdigung einerseits, die Erwägung darüber, was historisch wahrscheinlich ist, andererseits — muß aus methodischen Gründen stärker getrennt werden. Könige l, BK IX/1, 1968. Vgl. von Rad, S. 186.

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Joab) als Willkürakte des neuen Königs geschildert werden» (S. 32 f). Nun ist die These, daß in 2, 13 ff «Nachträge» vorliegen, trotz der Zustimmung von Gray15 kaum haltbar, l, 53 verlangt nach einer Fortsetzung (Rost), und nachdem der Antagonismus zwischen den beiden Parteien die ganze Erzählung in Kapitel l getragen hat, ist es schwer vorstellbar, daß der Erzähler nicht auch von dem weiteren Schicksal der Adonja-Partei zu berichten beabsichtigte. So ist unbedingt eine Fortsetzung zu erwarten, die in 2, 13-46 vorliegt. Auch ist es so, daß die kritische Tendenz gegen das Königtum Salomos nicht erst in 2, 13 ff einsetzt, sondern schon in Kapitel l zu beobachten ist. Auch Notb spricht schließlich davon, daß der Haupterzähler und die Nebenerzähler ein «nicht gerade sehr erfreuliches Bild von den Vorgängen, die zur Thronbesteigung Salomos geführt haben, entwerfen» (S. 40), schließt also in diesem Urteil Kapitel l und 2, 13 ff zusammen.16 Nun könnte man sagen, ein objektiver Historiker konnte kein erfreulicheres Bild bieten, weil die Vorgänge das nicht zuließen. Aber darf der Bericht in Kapitel l über die Machenschaften, die zur Inthronisation Salomos führten, als streng historische, auf Objektivität bedachte Schilderung dessen, was geschehen ist, gelten? Entscheidend für die Thronbesteigung Salomos sind bekanntlich die Gespräche zwischen dem Propheten Nathan und Bathseba, in denen beide ihr Vorgehen verabreden, um David zum Eingreifen zugunsten Salomos (und damit auch Bathsebas) zu bewegen. In ihnen wird, wie allgemein zugegeben wird, der Anschein erweckt, als solle David ein in Wahrheit nicht gegebenes Versprechen suggeriert werden.17 Nun ist es keine Frage, daß die Verhandlungen zwischen Nathan und Bathseba wie ihr Vorgehen bei David ihrem Wesen nach im geheimen und ohne Zeugen stattfanden. Was da wirklich verhandelt wurde, konnte niemand wissen, auch der Er15

John Gray, l & II Kings, Second Edition 1970, S. 16. Seine Auffassung der gesamten ThFE hat M. Not h, Könige, S. 271, kurz angedeutet: «Nun ist zu beachten, daß es in Jerusalem offenbar Kreise gegeben hat, die bei grundsätzlicher Bejahung des Davidsreiches doch mit Unbehagen den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse unter David und seinen Nachfolgern angesehen und ihre Bedenken auch zum Ausdruck gebracht haben. Aus solchen Kreisen stammt schon das Geschichtswerk über die Thronnachfolge Davids, in dem selbst David kritisiert, vor allem aber Salomo eher negativ als positiv, jedenfalls ohne Sympathie betrachtet wird.» — Eine nähere Ausführung dieser Gedanken hat Noth m. W. nicht vorgelegt. 17 Auch G. von Rad schließt sich dieser Annahme an (S. 172). Vgl. auch S. 178: «Erst durch eine Intrige gelingt es, dem alten König die Zusicherung zu entlocken, daß Salomo der Thronerbe werden soll.»

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Zähler nicht. Daraus ergibt sich, daß wir in diesen Schilderungen der geheimen Vorgänge am Königshof nicht eine historische Darstellung im strengen Sinne sehen dürfen; es handelt sich um eine freie Gestaltung, in der der Verfasser zugleich seine Beurteilung der Thronbesteigung Salomos zum Ausdruck bringt. Wenn also nicht vorausgesetzt werden kann, daß er dabei auf objektiv verbürgte historische Daten zurückgreift, ist es um so kennzeichnender für seine Tendenz, in welcher Weise er sich die Dinge zurechtgelegt hat, wobei es durchaus möglich, ja wahrscheinlich ist, daß er damit nicht allein stand. Warum legt er den Verdacht nahe, daß jenes Versprechen Davids an Bathseba, das ja längst alles entschieden hätte, wenn es wirklich ergangen wäre (Bathseba hätte es gewiß nicht als Geheimsache behandelt), dem altersschwachen König suggeriert wurde? Warum erweckt er den Eindruck, daß das Königtum Salomos dem intriganten Zusammenspiel des Höflings Nathan und der ehrgeizigen Bathseba zu verdanken ist - jener Frau, die als Ehebrecherin in die Erzählungskomposition eingeführt wurde (2. Sam 11, 2 ff) und nun an deren Ende die hohe Ehrenstellung der Königsmutter erhält? Wer Salomo (und Bathseba) wohlwollte, hätte gewiß anders berichtet, von allem Anfang an. Der Erzähler will offenbar - zwar nicht expressis verbis, aber durch Inhalt und Art der Darstellung - seine Kritik an Salomos Königtum zum Ausdruck bringen. Stand er also auf Seiten Adonjas, wie manche Ausleger angenommen haben (Benzinger, Kittel, Sanda u. a.) ? Dagegen könnte sprechen, daß Adonja in l, 5 als ein Mann eingeführt wird, der «sich selbst erhebt», womit wohl gemeint ist: der überheblich ist. Es erscheint mir deshalb richtiger, anzunehmen, daß der Erzähler weder für Adonja noch für Salomo Partei ergriff, sondern überhaupt mit kritischen Augen beobachtete, daß sowohl Adonja wie die Vertreter der Interessen Salomos so selbstverständlich dynastisch dachten und handelten, als sei die Verfügung über den Thron nur ihre Angelegenheit, bei der die freien Männer von Israel und Juda nichts mitzubestimmen hatten. Doch muß man gleich hinzufügen, daß es in dieser Hinsicht bei der Partei Adonjas besser stehen mochte als bei der nur aus Höflingen bestehenden Gruppe, die sich für Salomo einsetzte. Man könnte immerhin die Zusammenkunft Adonjas und seiner Anhänger nach deren Zusammensetzung im Sinne von Vorverhandlungen über einen «Königsvertrag» verstehen: dann hätte diese Partei an ein Königtum nach der Art Davids gedacht, nämlich unter Mitwirkung der Stämme. Wie dem auch sein mag, die Inthronisation Salomos, so wie sie berichtet wird, stellt einen bedeutsamen Bruch dar, und dem Erzähler scheint daran zu liegen, gerade diesen bewußt werden zu lassen. Während David durch einen Vertrag mit Israel und wahrscheinlich auch mit

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Juda König über beide Reichsteile wurde - jedenfalls der Beauftragung durch die Stämme bedurfte -, verfügte er jetzt auf Betreiben von Höflingen und mit Hilfe ausländischer Söldner allein über den Thron. Der Kernsatz in dem Bericht des Jonathan, des Sohnes Ebjathars, vor der Adon ja Versammlung bringt das Geschehen auf einen kurzen Nenner: «König David hat Salomo zum König gemacht.» G. Fobrer hat den Vorgang mit Recht als einen «Staatsstreich von oben» charakterisiert, hat sich allerdings trotz dieser Beurteilung nicht von der Rost-von Radschen Deutung der Gesamtkomposition freigemacht, von der er meint, «sie sollte nachweisen, daß Salomo der rechtmäßige Nachfolger Davids war, und erklären, wie es zu dieser Nachfolgeregelung kommen mußte».18 Aber es liegt auf der Hand, daß eine Schrift, die sich den Nachweis der legitimen Nachfolge Salomos zum Ziel gesetzt hat, äußerst ungeschickt vorginge, wenn sie zugleich zu erkennen gäbe, daß es sich im Grunde um einen «Staatsstreich von oben» handelt. Mir scheint sicher, daß der, der l.Kön l in freier Gestaltung der zumeist geheimen Reden und Vorgänge verfaßte, nicht die Absicht gehabt haben kann, Salomo einen Dienst zu erweisen oder zu bekunden, daß in dieser Thronbesteigung Jahwes Wille in irgendeiner Weise am Werk gewesen sei. Erst recht gilt das von der Fortsetzung in 2, 13 ff. Hier werden Salomo selber mehrere grausame Maßnahmen gegen seine Gegner zugeschrieben, die, wie Notb mit Recht betont hat, als «besonders bedenklich und in ihrer Berechtigung offenbar zweifelhaft» erscheinen (S. 39). Der Rivale Adonja und seine Anhänger Ebjathar und Joab werden mit Gründen, die mit Absicht recht fadenscheinig dargestellt werden, beseitigt oder aus Jerusalem verbannt. Vielleicht war historisch gesehen das Königtum nicht wirklich fest in Salomos Hand, solange Adonja und seine Parteigänger in einflußreichen Positionen lebten. Allein, über solche Bedrohung schweigt der Erzähler. Es liegt ihm offenbar daran, das Vorgehen Salomos nur schwach begründet oder wie im Falle Simeis als willkürlich erscheinen zu lassen. Und mit welchem Sarkasmus wird der Abschnitt über die Ermordung Joabs abgeschlossen! Nachdem der bei allen Exekutionen willfährige Benaja nach einem Zögern, das zeigt, daß er sich der Schwere des Falles bewußt war, Joab im Heiligtum niedergemacht hat, heißt es: «Dann setzte der König Benaja, den Sohn Jojadas, an seiner Stelle über den Heerbann» (2, 35). Welches Vertrauensverhältnis mag zwischen den freien Grundbesitzern außerhalb Jerusalems, die den Heerbann bildeten, und ihrem neuen Komman18

G. Pohrer, Der Vertrag zwischen König und Volk in Israel, ZAW 71, 1959, S. 6 f.

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danten, bisher Chef der Söldnertruppe der «Krether und Plether», bestanden haben! - Es ist wohl kaum ein Zufall, daß die fromme Billigung der Absicht Davids, Salomo zum Mitregenten und Nachfolger einzusetzen, in l, 36 f ausgerechnet diesem Benaja in den Mund gelegt wird. Auch damit gibt der Erzähler zu verstehen, wie er die Vorgänge deutet.19 Wie sehr diese Darstellung der ThFE in 2, 13 ff als eine Belastung für Salomo, ja vielleicht im weiteren Verlauf der Geschichte für die davidische Dynastie insgesamt empfunden wurde, zeigt sich darin, daß man durch die Nachträge in 5-9.3 lb-33 sowie in 44 f Salomo zu entlasten suchte. Die Entlastung kann natürlich in den Versen 5-9 nicht einfach darin gesehen werden, daß man die Bluttaten Salomos auf Aufträge Davids zurückführte, wie das meist verstanden wird. Denn dann würde sie lediglich auf Kosten Davids vorgenommen, was bei dessen späterer Hochschätzung schwer vorstellbar ist. Auch würde der Anstoß, der in den Bluttaten liegt, dadurch nicht beseitigt worden sein. Die Funktion dieses Nachtrages 5-9 muß deshalb in etwas anderem gesehen werden: Die Sätze, für die die Autorität des Ahnherrn David in Anspruch genommen wird, sollen zeigen, wie sachlich berechtigt, ja notwendig die Beseitigung Joabs und Simeis war. Der eine hat durch die Tötung Abners (2. Sam 3, 27) und Amasas (2. Sam 20, 10) das Haus Davids mit einer Blutschuld beladen, die beseitigt werden muß, soll sie sich nicht verhängnisvoll an der Dynastie auswirken. Der andere hat einen Fluch über David ausgesprochen, der dessen ganzem Haus gefährlich werden kann. Der Nachtrag in 2, 5-9 will also deutlich machen, daß beide nicht als Gegner Salomos getötet worden seien, wie die Darstellung in 2, 13 ff deutlich zu erkennen gibt, sondern als solche, auf denen eine alte Schuld lastet, die im Interesse der davidischen Dynastie beseitigt werden muß. Wenn man es aber für geboten hielt, durch solche nachträgliche Deutung die Maßnahmen Salomos zu verteidigen, so zeigt das, wie groß das Unbehagen war, das man dem in 2, 13 ff Berichteten gegenüber empfunden hat, zumal Salomo im Falle Joabs auch das heilige Asylrecht gebrochen hatte. Mit anderen Worten: Man spürte in der alten Darstellung der ThFE die Kritik an den Maßnahmen Salomos und suchte ihr von vornherein die Spitze zu nehmen. - Dabei ist zu beachten, daß sowohl die Ermordung Amasas durch Joab in 2. Sam 20, 8-13 wie der Fluch Simeis in 2. Sam 16, 5 ff wahrscheinlich nachträglich in die ThFE 19

Man kann also von solchen «rhetorischen Apostrophierungen Gottes» nicht ohne weiteres auf die religiöse Anschauung des Verfassers rückschließen, wie Mildenberger S. 96 meint, sondern muß beachten, wem er die Worte in den Mund legt und in welcher Absicht.

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eingeschoben sind, wodurch der sekundäre Charakter von l.Kön 2, 5-9 erhärtet wird. Ebenso ist wohl die hier nicht erwähnte Tötung Absaloms durch Joab in 2. Sam 18, 10-14 späterer Zusatz.20 Zusammenfassend muß man also feststellen, daß l.Kön 1-2 nicht als Schlußkapitel eines Werkes verstanden werden können, das Salomos Königtum freundlich gegenüberstand oder sich mit ihm abfand, weil es nun einmal da war. Sein Werden wird in einer Weise rekonstruiert, die die Abweichung von dem bisher Üblichen betont und den Anteil einzelner, zu der Mitwirkung bei der Besetzung des Thrones nicht legitimierter Personen sowie die Ausnutzung der Altersschwäche König Davids geflissentlich hervorhebt. Daß sich in der Inthronisation Salomos oder gar in der Ausrottung der Führer der Gegenpartei Jahwes Wille verwirklicht habe, wird mit keinem Wort angedeutet. Man ist deshalb nicht berechtigt, dem Verfasser eine derartige Auffassung zuzuschreiben. 20

Vgl. 2u diesen Zusätzen S. 43 ff.

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3. Die antidavidische Tendenz in 2. Samuelis 10-12

Kann das Ende der ThFE also nicht zugunsten Salomos und der durch ihn verwirklichten dynastischen Erbfolge gedeutet werden, so gilt das erst recht von den Eingangskapiteln, von denen Kapitel 11 und ein Teil von 12 auf den Verfasser des ganzen Werkes zurückzuführen sind, der hier die Vorgeschichte jener am Ende zu höchsten Ehren erhobenen Personen, Salomos und Bathsebas, beschreibt.21 Natürlich hat niemand versucht, die Bathseba-Affäre positiv zu deuten, der Erzähler spricht hier zu eindeutig. Aber es ist auffallend, wie wenig Gewicht man in der neueren alttestamentlichen Forschung den so massiven Anschuldigungen — Ehebruch, Anstiftung zum Mord - für das Gesamtverständnis der ThFE zugestanden hat. Rost sieht mit dem Tode des im Ehebruch gezeugten Kindes (12, 15 ff) Davids Schuld gesühnt (S. 98). Für ihn ist «die dunkele Ehebruchsgeschichte Davids mit der Bathseba» kein Gegengrund gegen die Deutung in majorem gloriam Salomonis, «wenn man bedenkt, daß die Hure Rahab und die Moabitin Ruth in den Stammbaum Davids aufgenommen wurden, ja daß schon dem Stammvater Juda Ähnliches über seinen Verkehr mit Thamar nachgesagt und weiterüberliefert wurde» (S. 128). Diese Argumentation ist völlig verfehlt. Man muß sich nur vergegenwärtigen, was in Jos 2 über die Hure Rahab und im Büchlein Ruth über die Moabitin an Positivem erzählt wird, um zu sehen, daß Bathseba nicht in Parallele zu diesen beiden Gestalten gesetzt werden darf. Rost sieht, wie es scheint, die Ehebruchgeschichte als eine Episode an und nicht als ein Ereignis, das in die Geschichte der Beteiligten eingeht und seine Bedeutung behält. Man wird nicht darüber hinwegsehen können, daß diese ganze Affäre erzählt ist, um die Gestalt einzuführen, die am Ende ihren Sohn auf den Thron bringt und selber eine höchst ehrenvolle und mächtige Stellung einnimmt.22 Nur wenn man dies berücksichtigt, wird die ThFE zu 21

Von der angeblichen «Verzahnung» in Ladeerzählung und Nathanweissagung wird später zu sprechen sein; vgl. S. 5 7 f. 22 Zur Rolle der Königinmutter in Juda vgl. G. Molin, Die Stellung der

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dem geschlossenen Geschichtswerk, in dem Anfang und Ende ineinandergreifen, worauf es ja auch Rost ankommt. Von Rad hat die Bathseba-Geschichte - wie viele andere Ausleger auch, er selber verweist auf Caspari und Gressmann - zunächst nach ihrer ästhetischen Seite gewürdigt. Sie habe «seit je die Bewunderung der Ausleger gefunden. Sie zeugt von einer überlegenen Kunst der Darstellung. In allem bewahrt der Erzähler eine wohltuende Zurückhaltung und Keuschheit» (S. 163). Mit Zustimmung zitiert er das Urteil Casparis, wonach sich der Erzähler seiner heiklen Aufgabe mit Würde entledigt habe. Von Rad hebt aber auch die Bedeutung dieses Geschehens für die folgende Geschichte hervor, freilich von einer Stelle ausgehend (2. Sam 12, 11), an deren Ursprünglichkeit er selber zweifelt.23 «Hier steigt das Vergeltungsmotiv, das die ganze Geschichte verborgen durchzieht, empor in das wuchtige Wort eines Propheten. Das ius talionis, das die Geschichte oft so geheimnisvoll übt, wird hier als ein persönliches Handeln des Herrn der Geschichte an dem Ehebrecher geweissagt. Ja, man kann die ganze Geschichte Davids in gewissem Sinne als eine Geschichte der Strafe für dieses eine Vergehen auffassen» (S. 180). Trotzdem gewinnt die Bathseba-Geschichte keine entscheidende Bedeutung für -von Rads Auffassung der ThFE, denn aus ihr erwächst ihm kein Zweifel an der Überzeugung, daß der Erzähler durchaus positiv zur davidischen Dynastie steht. Auch K. Earth hat in seiner «Kirchlichen Dogmatik» im Zusammenhang des Abschnittes «Des Menschen Trägheit» «die unheimliche Geschichte von David und Bathseba» behandelt.24 Unheimlich sei sie schon darum, «weil sie im Kontext der Erzählungen von den großen Taten Davids nach seiner Einsetzung zum König einen Fremdkörper bildet, dessen peinlicher Eindruck durch

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Gebira im Staate Juda, ThZ 10, 1954, S. 161-175; H.Donner, Art und Herkunft des Amtes der Königinmutter im AT, FS Friedrich 1959, S. 105-145. Von Rad meint, auch wenn der Passus 2. Sam 12, 11—12 späterer Zusatz sei, «so würde das an unserer Feststellung nichts ändern, denn der Ergänzer hat seine Weiterung ganz im Geist der großen Erzählung gehalten, allenfalls den in der Geschichte mehr verborgenen Gedanken etwas unterstrichen, indem er ihn als prophetische Weissagung formuliert hat» (S. 180). Aber darf man in dieser Weise eine literarkritische Erkenntnis verharmlosen? Wie mir scheint, hängt die Harmonie, die von Rad konstatiert, damit zusammen, daß er die ThFE im Lichte der Deutung durch spätere Zusätze liest; das wird im Laufe unserer Untersuchung noch deutlicher hervortreten. — Rost sieht 12, 11 als sekundär an, vgl. auch Mildenberger S. 95. K. Earth, KD IV, 2, 1955, S. 524-527.

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ihren bei aller Schmerzlichkeit doch versöhnlichen und sogar verheißungsvollen Schluß zwar gemildert, aber nicht beseitigt wird» (S. 524). Der Vorgang, der aller - etwa tragisch zu nennenden menschlichen Größe entbehre, sei «primitiv, gerade in der Hinterlist, in der David seine Ehrbarkeit wahren will, unwürdig, brutal. Wie soll man ihn anders bezeichnen, als eben als einen Akt der Verlotterung?·» (S. 525). - Aber warum wird das erzählt? Neben der Einführung der Stammutter Bathseba sieht K.Barth eine theologische Absicht: «Der Skopus des Textes ist wohl, sofern es ihm eben nicht um die Einführung der Bathseba geht, schlicht der Aufweis: daß auch David an Israels Untreue gegen Jahve Anteil hat und darum mit seinem Volk, ohne Jahves Treue zunichte zu machen - unter Jahves Gericht steht» (S. 525). David, der Träger der Verheißung, ist wie ein Despot der anderen Völker und also wie alle anderen Menschen. «Das soll ihn offenbar nicht entlasten. Damit soll offenbar gezeigt werden, wie sehr umgekehrt seinem Gott gegenüber ganz Israel, jeder Mensch belastet ist: durch sein menschliches, allzu menschliches, aber damit nicht entschuldigtes, sondern höchst schuldiges Abrutschen - gerade durch das tief Gewöhnliche, das da auch als die Art und die Tat des Herzens und des Lebens des Auserwählten und Berufenen sichtbar wird» (S. 527). Es wird also nach Bart h an David etwas Allgemeines sichtbar gemacht, die Belastung jedes Menschen seinem Gott gegenüber. Vielleicht ist es dem Systematiker erlaubt, im Nachhinein das, was erzählt wird, so zu interpretieren, gewissermaßen als ein Beispiel. Aber daß das die eigentliche Absicht des Erzählers von allem Anfang an gewesen sein sollte, darf von dem, dem es um historisches Verstehen geht, nicht behauptet werden. Offenbar will der Erzähler auch mit dieser Geschichte über David gerade nicht etwas Allgemeines, sondern etwas Besonderes, nur ihn Charakterisierendes aussagen. Die Frage, warum er das tut, kann schwerlich mit Earths theologischer Verallgemeinerung befriedigend beantwortet werden, da der Erzähler diese Antwort mit keinem Wort nahelegt. Die Frage, ob nicht auch in diesem Teil der Erzählung eine Tendenz am Werk sei, läßt sich nicht umgehen. Der Abschluß wird bekanntlich mit der Geburt Salomos, des Thronfolgers, erreicht, und man wird wohl sagen müssen, daß diese das Ziel der Erzählung ist. Die Erzählung trägt nun freilich nichts dazu bei, die hohe Zukunft des Neugeborenen begreiflich zu machen. Im Gegenteil, sie macht sie einigermaßen rätselhaft. Daß nur auf dem Wege über Ehebruch und Mord Bathseba Gemahlin Davids und Mutter des Thronfolgers wurde, konnte nur einer erzählen, dem die Wahrheit über alles ging - man hat denn auch von der im Orient

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einzig dastehenden «heroischen Wahrhaftigkeit» gesprochen25 -, oder einer, der den Beteiligten einen moralischen Makel anhängen wollte. Betrachtet man die Sache nüchtern, so ist das zweite wahrscheinlicher als das erste. Wer um der Wahrhaftigkeit willen schreibt, muß sich der Fakten absolut gewiß sein, sie durch Quellen oder Zeugen belegen können. Es ist nicht wahrscheinlich, daß dies dem Verfasser hier möglich wäre. Es handelt sich auch da um Dinge, die ihrer Natur nach im geheimen geschahen, von denen höchstens Gerüchte, aber keine Akten sprachen. Wer sie aufnahm, tat dies gewiß aus einer kritischen Einstellung zu den Beteiligten. Geradezu boshaft aber erscheinen die Einzelheiten, mit denen die Erzählung ausgestaltet ist und die man als des Erzählers eigene Beigabe ansehen muß. Das Heer ist im Feldlager mit seinen Entbehrungen, der oberste Feldherr aber pflegt in Jerusalem der Ruhe. Es ist der Kriegsaskese unterworfen, wie an der Antwort des Uria verdeutlicht wird (2. Sam 11, 11), aber der König bricht in dieser Zeit in die Ehe eines der Krieger ein. Mit grimmigem Humor wird geschildert, wie der ängstlich gewordene Verführer, ganz unköniglich sich anbiedernd, den betrogenen Ehemann mit gutem Zureden und mit List mit seiner Frau zusammenzubringen sucht, dieser aber einfach wortlos ausweicht und des Königs Absicht, ihm ein illegitimes Kind unterzuschieben, vereitelt. So muß sich der König schließlich eines Mordes bedienen, um seine Ehrbarkeit nach außen hin zu retten,26 auf deren Wahrung er dann doch wieder keinen Wert legt, als er die schwangere Witwe alsbald — die Trauerzeit, von der in 2. Sam 11, 27a die Rede ist, dauerte im allgemeinen nur sieben Tage - in seinen Palast holt, ihr Kind als das seine anerkennt und damit sein ehebrecherisches Verhältnis mit Bathseba vor aller Augen offenkundig macht. Wiederum ist deutlich, wie in l.Kön 1-2, daß es sich nicht um einen historischen Bericht im strengen Sinne handelt, sondern um freie erzählerische Gestaltung, bei der alles andere als Wohlwollen gegenüber David dem Verfasser die Feder geführt hat. Das Urteil von Rads: «Die Gestalt des Königs ist überall mit warmer Anteilnahme und großer Ehrerbietung gezeichnet» (S. 179) ist von daher schwer verständlich. Welch eine vernichtende Kritik am Königtum Davids mit der Beschuldigung des Ehebruchs verbunden ist, wird erst recht deutlich, wenn man die öffentlich-rechtliche Seite, die der Ehebruch neben der privatrechtlichen hat, in Betracht zieht. «Ehe (ist) eine Sache der ganzen Sippe bzw. des Stammes, an der die Fruchtbarkeit der Gruppe hängt, und zwar auch die Fruchtbarkeit der Felder (unio 25 28

G, von Rad, S. 179, im Anschluß an A. Weiser. Oder fürchtet er die Rache des Ehemannes?

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magica). Ehebruch bedroht die Sippe bzw. den Stamm mit Unheil. Die in Ehebruch verwickelten Personen sind zu beseitigen (Tötung: Semiten; Ausweisung: Germanen).»27 Ein in einen Ehebruch verwickelter König muß nach dieser Anschauung als eine Gefahr für das Volk und für das Staatswesen gelten. Auch dies ist zu berücksichtigen, wenn man nach der Tendenz des in Kapitel 11 Erzählten fragt. Ein Motiv, das David in einem besonders ungünstigen Licht erscheinen läßt, ist wahrscheinlich übernommen, nämlich das des «Uriabriefes». Es ist weit verbreitet und begegnet bei Homer (II. VI, 167 ff) und in zahlreichen Märchen; auch Shakespeare hat es verwendet (Hamlet V, 2).28 Gunkel hat den Sinn des Motivs treffend umschrieben: «Wer einen Brief zu überbringen hat, genießt das Vertrauen des Absenders und kann seiner guten Meinung sicher sein. Daher kann Arglist und Arglosigkeit nicht besser gegenübergestellt werden, als wenn ein Bote einen Brief mitnehmen muß, in dem sein eigener Tod befohlen wird.»29 Daß der Erzähler oder schon die Überlieferung, auf die er sich stützt, dieses Motiv auf David übertragen hat, zeigt, was man ihm zutraut. Er wird in der Bathseba-Geschichte als orientalischer Despot gezeichnet, sinnlich, zügellos und skrupellos, wo es um die Durchsetzung seiner Wünsche geht. Ist es vorstellbar, daß jemand derartiges erzählte, der nur irgendwie ein positives Interesse an David und seiner Dynastie hatte? Viele Ausleger haben angenommen, daß durch die Fortsetzung in 11, 27b; 12 das Ganze nun doch einen etwas anderen Charakter gewinne. So sagt Hertzberg: «Nun aber kommt die Hauptsache: die Be- und Verurteilung des Geschehenen von der Gottesseite aus.»30 Ausführlich hebt von Rad die Bedeutung von 11, 27b hervor, gehört doch dieser Halbvers - neben 12, 24bß und 17, I4b - für ihn zu den drei Stellen, «an denen der Erzähler die strikte Zurückhaltung seines eigenen Urteils aufgibt und selbst theologisch Stellung nimmt» (S. 182) und die in Anbetracht ihrer geringen Zahl im Verhältnis zu dem Umfang des Gesamtwerkes von besonderem Gewicht sind. «Die Bedeutsamkeit des Vermerkes» 'Jahwe aber mißfiel, was David getan hatte' - «am Ende der Ehebruchsgeschichte liegt auf der Hand. Hier konnte der Erzähler seinen Leser nicht ohne weiteres zum nächsten Ereignis übergehen lassen. Es war etwas Furchtbares geschehen, dessen Auswirkungen 27 28

29 30

C. H. Ratschow, RGG II, s 1958, Sp. 335. H. Gunkel, Das Märchen im Alten Testament, 1921, S. 132; H.Greßmann, SATAII, l, 21921, S. 156. Gunkel, z. *.Q. S. 132. H. W. Hertzberg, Die Samuelbücher, ATD 10,21960, S. 256.

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im Augenblick noch gar nicht abzusehen waren. Nun geht es freilich dem Historiker nicht eigentlich darum, darauf hinzuweisen, daß sich dies Verbrechen für David sehr verhängnisvoll auswirken würde; er will vielmehr den Leser veranlassen, die nun folgenden Verwicklungen mit dem Urteil Gottes über David zusammenzubringen. Wer diesen kurz und ganz unpathetisch erhobenen Finger in 11, 27 wahrgenommen hat und dann von der Kette von Schicksalsschlägen liest, die über Davids Haus niedergehen, der weiß, in welcher Richtung die Erklärung für alle diese sich auftürmenden Wirrnisse zu suchen ist: hier straft Gott die Sünde des Königs» (S. 182 f). Angesichts des Gewichtes, das von Rad und andere in seiner Nachfolge der Stelle 11, 27b beigelegt haben, ist es von besonderem Interesse, daß neuerdings die ursprüngliche Zugehörigkeit dieses Halbverses zur ThFE mit starken Gründen bestritten worden ist. Die Worte «und die Sache, die David getan hatte, war böse in den Augen Jahwes» erinnern zu deutlich an die Formel «und er tat das Böse in den Augen Jahwes», mit der der Deuteronomist (Dtr) die meisten der Könige bedenkt (l.Kön 11, 6; 14, 22; 15, 26. 34 u. ö.), als daß hier kein Zusammenhang bestehen sollte. Es spricht alles für die These von W.Dietrich, daß 11, 27b «eine dem Kontext angepaßte Fassung der Formel vom 'Tun des Bösen in den Augen Jahwes'» darstellt.31 Dietrich sieht in 11, 27b ein aller Wahrscheinlichkeit nach von DtrP verfaßtes redaktionelles Bindeglied, woraus sich ergibt, daß DtrP es gewesen sein dürfte, «der die Nathan-David-Szene in die Thronfolgeerzählung eingebaut hat» ,32 Die These, daß die Szene 12, 1-15a nicht dem ursprünglichen Zusammenhang angehört, ist seit langem vertreten worden. Nachdem sie erstmals von Schwally™ begründet worden war, ist sie von Budde, Nowack, Kittel, Gressmann u. a. in ihren Kommentaren übernommen worden. Die Hauptargumente sind folgende: a) 12, 15bff lassen nicht das geringste von der vorangehenden prophetischen Rüge und der Ankündigung des Todes des Knaben spüren. Man sollte erwarten, daß der König, tief gedemütigt, Worte der Reue und Buße finde, aber durch seine Kasteiungen will er lediglich das Erbarmen Jahwes erwirken; als dies nicht gelingt, ist der Fall gewissermaßen für ihn erledigt, b) Die Gestalt Nathans ist 31

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W. Dietrich, Prophetic und Geschichte. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung zum deuteronomistischen Geschichtswerk. FRLANT 108, 1972, S. 132. Bedenken gegen die Heranziehung von 11, 27b für die Deutung der ThFE hat auch schon Mildenb erger, S. 95 f, geäußert. f.Schwally, ZAW 12, 1892, S. 153 ff-

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hier ganz anders charakterisiert als in l.Kön 1: dort der intrigante Höfling, mit Bathseba eng liiert, der bei dem Bruch des alten Rechtes - nämlich der Mitwirkung der Stämme an der Inthronisation - tatkräftig mitwirkt, hier der Bußprediger, der dem König den Bruch von Recht und Sitte zum Vorwurf macht. Es ist schwer vorstellbar, daß ein und derselbe Verfasser Nathan in so verschiedener Weise dargestellt haben sollte. Rost hat sich für die Ursprünglichkeit der Nathan-David-Szene in dem von ihm erarbeiteten Umfang (12, 1-7a.. 13. 14. 15a)34 eingesetzt mit dem Argument, sie sei um der sittlichen Vertiefung der Erzählung willen notwendig. «Dann kommt das sittliche Moment zu seiner Geltung. Die Empörung des Lesers über Davids Benehmen findet ihren Ausdruck und dadurch ihre Beruhigung. Man merkt, auch ein König David kann nicht ungestraft dem heiligen Sittengesetz zum Trotz handeln. So wird man diese Szene zum mindesten aus volkspsychologischen Gründen nicht wohl entbehren können» (S. 97). Bei solchen und ähnlichen Urteilen, die sich mehrfach in der Literatur finden, wird vorausgesetzt, was doch erst bewiesen werden müßte: daß nämlich dem Verfasser an einer Befriedigung des moralischen Empfindens des Lesers, an der Beruhigung seiner Empörung, gelegen ist. Wie aber - und diese Möglichkeit muß doch selbst bei einer Gestalt wie König David in Rechnung gestellt werden -, wenn er die Empörung nicht beruhigen, sondern eher nähren wollte? Wenn die weithin angenommene Datierung der ThFE in die Zeit Salomos zu Recht besteht, dann schließt das ein, daß wir noch nicht die später üblich gewordene Glorifizierung Davids allgemein voraussetzen dürfen. Dort etwa, wo man sich von David und der davidischen Dynastie trennt mit dem Ruf: «Wir haben keinen Teil an David und kein Erbe an Isais Sohn» (2.Sam 20, 1; l.Kön 12, 16), hat man wohl andere Erinnerungen an David gepflegt als am Jerusalemer Hof und Tempel. Doch dies nur als ein Beispiel. Jedenfalls darf eine positive Stellung des Verfassers der ThFE zu David nicht zur Voraussetzung der Deutung gemacht und von daher die Echtheit der Nathan-Perikope postuliert werden. Maßgebend für die Einfügung war eher das Bedürfnis der späteren Zeit mit ihrer Verherrlichung Davids. Sie brauchte - insofern hat Rost etwas Richtiges gesehen - eine Beruhigung: Der König hat bereut, und

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* Daß 12, l—15a in sich nicht einheitlich ist, ist allgemein anerkannt. Auf die verschiedenen Analysen von Wellhausen bis Dietrich braucht hier nicht eingegangen zu werden, da dies nichts an unserem Urteil über den sekundären Charakter der Nathan-David-Szene im ganzen ändern würde.

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ihm wurde vergeben. Dem Chronisten genügte freilich auch das nicht mehr; er überging die ganze Affäre.35 Rost hat weiter geltend gemacht, erst durch die Hereinnahme Nathans werde die sonst nur lose angefügte Erzählung vom Sterben des Kindes zu einem wichtigen Glied des Ganzen. Aber dies ist nicht richtig; die Erzählung 12, 15bff, falls sie ursprünglich ist (vgl. dazu S. 31 f), gewinnt einen guten Sinn, auch ohne daß die Nathan-Szene vorausgeht. Wie J.Pedersen gezeigt hat, liegt ihre besondere Bedeutung darin, daß sie Davids Verhältnis zu alten hebräischen Gebräuchen sichtbar macht. David hat den Trauerbrauch umgekehrt, indem er sich vor dem Tode des Kindes betrug, wie sich ein normaler Israelite seiner Zeit nach dem Tod betragen hätte. Als seine Diener an diesem sonderbaren Verhalten Anstoß nehmen, gibt er ihnen selber die Erklärung. Trauerriten nach dem Tod sind sinnlos, denn sie können den Toten nicht ins Leben zurückrufen; sie sind am Platze während der Krankheit, denn da besteht noch Hoffnung, Jahwes Erbarmen zu erlangen und den Tod abzuwenden. «Auf diese Weise entzieht David in Wirklichkeit der alten hebräischen Anschauung von Leben und Tod den Boden... Er beurteilt Handlungen lediglich nach ihren Resultaten.»36 Folgt man dieser Auffassung Pedersens, dann kann man verstehen, weshalb diese Erzählung über das der Sitte widersprechende Verhalten Davids an dieser Stelle gebracht wird. Der König soll noch einmal charakterisiert werden: Wie er sich nicht an das Recht hält, so auch nicht an die überlieferte Sitte. Sein Tun ist allein bestimmt von dem Blick auf den Erfolg. So verstanden, fügt sich diese Szene gut in das Charakterbild ein, das in Kapitel 11 von David entworfen worden war.37 Obwohl der Verfasser in Kapitel 11 und 12, 15bff nur das Geschehen in seiner Sicht darzustellen scheint, ohne es zu beurteilen, wäre der Eindruck falsch, daß bei einer Ausscheidung der NathanSzene jegliche moralisch-religiöse Stellungnahme fehle. Sie wird 35

Gegen das zweite, oben S. 24 f angeführte Argument hat Rost geltend gemacht, Nathan trete «auch in 1. Kon l ebenso wie hier in 12, l ff als Mahner dem König gegenüber, dort als Wahrer eines doch wohl in irgendeinem schwachen Augenblick dem Könige abgedrängten Schwures, hier als Wahrer des Rechtes und der Sitte» (S. 98 f). Aber warum hat dann der Erzähler diesen wichtigen Punkt in l.Kön. l so wenig herausgehoben, daß der Eindruck entstehen mußte, dieser Schwur sei gar nicht geleistet worden, sondern werde David suggeriert? Vgl. dazu S. 13 f. 88 J.Pedersen, Israel III-IV, 1947, S.457 (Übersetzung des Verfassers). 37 Nach G. von Rad, S. 162, «zeichnet der Erzähler ein eindrucksvolles Bild von Davids innerer Selbständigkeit gegenüber den Anschauungen seiner Umwelt». Doch scheint für von Rad darin keine Kritik an David eingeschlossen zu sein.

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indirekt gegeben, und zwar in Kapitel 13, 1-22, in der Erzählung von der Verführung Thamars durch ihren Halbbruder Amnon. Die Analogie zu Kapitel 11 liegt, was das Hauptdelikt, die Verführung angeht, auf der Hand. Wie David Bathseba begehrte, so begehrt Amnon seine Halbschwester Thamar. Als diese von Amnon bedrängt wird, wehrt sie ihm mit den Worten: «Nicht doch, mein Bruder! Tue mir nicht Gewalt an, denn so tut man nicht in Israel; begehe nicht diesen Frevel (nebala). Wohin sollte ich meine Schande tragen? Und du selber würdest gleich sein einem der Frevler (nebalim) in Israel» (2. Sam 13, 12 f). Wiederum kann man nicht annehmen, daß es sich hier um wörtlich genaue Wiedergabe eines Gespräches handelt; vielmehr hat, wie schon Pascher gesehen hat, dichterische Phantasie die Situation gedeutet.38 Aufschlußreich ist nun ein Vergleich mit Kapitel 11. Zwischen Amnon und Thamar würde sich alles leicht in ehrbarer Weise regeln lassen, wie Thamar andeutet (13, 13b), wenn Amnon beim König um ihre Hand anhalten würde. Es wird also hier wie in Gen 20, 12 vorausgesetzt, daß die Heirat mit einer Halbschwester möglich ist; in Lev 18, 11 und 20, 17 wird sie allerdings untersagt. Dennoch wird man sie im Sinne des Verfassers als erlaubt ansehen müssen.39 Unter allen Umständen aber war der Verkehr mit einer verheirateten Frau wie Bathseba verboten. Er muß erst recht als nebala, als arger Verstoß gegen das in Israel gültige Ethos, angesehen werden.40 Der Frau insbesondere oblag unbedingte eheliche Treue, da sie durch die Eheschließung Eigentum des Mannes wurde.41 Es ist nun bezeichnend, daß der Erzähler Thamar Worte heftigen Widerstrebens in den Mund legt, von Bathseba derartiges aber nicht zu berichten weiß. Mir scheint sicher, daß ein so überlegt gestaltender Erzähler mit dem Ausspruch in 13, 13 eine Absicht verbindet. Er bringt diese Worte, weil er sie Thamar zugetraut wissen möchte, und er erzählt Entsprechendes nicht von Bathseba, weil er in ihrem Fall anders urteilt. Daß es sich bei dem in Kapitel 11 Berichteten um eine «nebala in Israel» handelt und daß die, die sie begehen, als «neba38

E. Pascher, Antike Geschichtsschreibung als Beitrag zum Verständnis der = Geschichte, ThLZ 77, 1952, Sp. 642. 39 Auslegungen wie die von Flavius Josephus, übernommen von Hummelauer, «sie habe nur einen Vorwand gebraucht, um den Bruder für den Augenblick los zu werden» (angeführt bei A. Schuh, Die Bücher Samuel, EH 8, 1920, 2. St.), oder von A.Schulz «daß sie das Gesetz gar nicht gekannt hat, und daß sie darum auf ehrliche Weise sein Weib werden will» (ebd.), verkennen doch wohl den Charakter der Darstellung. 40 Zu nebala und der Formel «So tut man nicht in Israel», vgl.M.Noth, Das System der zwölf Stämme Israels, 1930, S. 104 ff. 41 Vgl. Hauck, ThW IV, 1942, S. 738.

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lim in Israel» angesehen werden müssen - dieses Urteil wird für ihn ohne Einschränkung auch dem König und der auf diese Weise zur Königin und spater zur «Herrin» gewordenen Frau gegenüber gelten. Rost hat Bathseba als eine «mehr geschobene als schiebende» Frau bezeichnet (S. 125). Ob das die Meinung des Erzählers ist? Daß man aus seiner Darstellung auch ganz andere Schlüsse ziehen kann, zeigt E, Reuß: «Es ist wohl denkbar, daß man von dem Dache der hochgelegenen Hofburg in benachbarte, niedriger gelegene Höfe sehen konnte, allein eben so klar ist, daß Bathseba dies wissen mußte und daß David folglich keinen Widerstand zu fürchten hatte. Die ehrgeizige Intrigantin wird l.Kön l sehr gut gezeichnet.»42 Ob nun mit oder ohne eigene Initiative - der Weg, auf dem Bathseba an den Hof kommt und zur Lieblingsfrau Davids wird, wird von dem Erzähler mit trüben Farben gemalt. Dabei muß man sich immer gegenwärtig halten, daß im letzten Akt seiner Darstellung diese Frau und ihr Sohn den höchsten Rang in Israel und Juda einnehmen werden. Es ist wohl Absicht und hohe Kunst der Darstellung zugleich, wenn dieser Anfang in Kapitel 11 und jener Schluß in l.Kön 1-2 einander gegenübergestellt werden. Gewiß ist darin auch ein Urteil über das Königtum Davids und Salomos und die hohe Stellung Bathsebas enthalten. Noch deutlicher zu sprechen wäre in jener Zeit sicherlich nicht opportun gewesen. Aber für den, der Ohren hat zu hören, war der Autor bei aller Zurückhaltung und Dezenz der Darstellung, die man ihm nachrühmt, deutlich genug. Stammt diese Darstellung aus der Zeit Salomos, vielleicht aus den ersten Jahren seiner Regierung, wie man allgemein annimmt, dann dürfte nicht daran zu zweifeln sein, daß das moralische Urteil, das in Kapitel 11 und 13 in indirekter Weise ausgesprochen wird, zugleich eine politische Stellungnahme enthält. Der Schluß, daß der Verfasser ein Gegner dieses Königtums, wahrscheinlich der davidischen Dynastie überhaupt, ist, läßt sich kaum umgehen. Bei seiner Darstellung in Kapitel 11 wird er ein Gerücht aufgegriffen haben, das man sich hinter vorgehaltener Hand unter guten Freunden erzählen mochte. Daß er es aufgenommen und nicht unterdrückt hat, weist deutlich auf seine Einstellung hin. Aber hat der Erzähler dieser fragwürdigen Geschichte nicht doch einen verheißungsvollen und damit versöhnlichen Schluß gegeben, wenn er bei der Geburt des zweiten Bathseba-Sohnes Salomo hinzufügte: «Und Jahwe liebte ihn» (2. Sam 12, 24bß)? Von Rad 42

E. Reuß, Das Alte Testament übersetzt, eingeleitet und erläutert I, 1892, S. 248; vgl. auch H. W. Hertzberg, Die Samuelbücher, ATD 10, 21960, 2. St.

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sieht diesen Satz als ebenso gewichtig an wie den von 11, 27b (s. S. 23f). «Als geschichtstheologisches Urteil steht er womöglich noch isolierter im Zusammenhang. Hier ist es nun ein positiver Akzent, der ganz unvermittelt auf eine der beteiligten Personen fällt. Die Aussage ist paradox genug, denn von dem Kind erfährt der Leser nichts, als daß es da ist. Wer würde auch einem Kind aus solcher Verbindung eine große Zukunft vorhersagen wollen! Offensichtlich hat der Erzähler auch Wichtigeres zu tun, als von diesem Neugeborenen zu berichten. Aber da steht nun das Wort von der ganz irrationalen Liebe Gottes zu diesem Menschen; und am Ende der langen Erzählung, wenn dann Salomo nach unübersehbaren Irrungen das Feld behält, da erinnert sich der Leser wieder dieses Satzes, und er versteht, daß hier wirklich nicht menschliches Verdienst und Tugend den Bestand des Thrones gesichert haben, sondern ein paradoxer Auswahlakt Gottes» (S. 183). Aber darf dieser Satz, dem eine solche Schlüsselstellung zugesprochen wird, dem Verfasser der ThFE zugeschrieben werden? Schon die ältere Forschung hatte dagegen Bedenken (s.u.). Der Bemerkung «Jahwe liebte ihn» folgt ein Satz mit einem ziemlich dunklen Text, in dem Salomo ein zweiter Name - Jedidjah, Liebling Jahwes - beigelegt wird, wobei nicht klar ist, von wem. Die Vermutung liegt nahe, daß der Satz «Jahwe liebte ihn» eine Glosse darstellt, die den Namen Jedidjah erläutern wollte. Die von von Rad beobachtete isolierte Stellung, die für Glossen oft charakteristisch ist, wäre damit erklärt. Gegen die Ursprünglichkeit des Satzes aber spricht vor allem, daß die Aussage «Jahwe liebt» für die Zeit, in der man die ThFE anzusetzen pflegt, ganz singular wäre. Von Jahwes Liebe wird im Alten Testament überhaupt nur in einem bestimmten, eng begrenzten Tradentenkreis gesprochen, zu dem die ThFE auf keinen Fall gehört. Jenni hat neuerdings den Sachverhalt folgendermaßen charakterisiert: «Daß Jahwe sein Volk Israel liebt, ist eine verhältnismäßig junge Aussage. Sie begegnet zuerst innerhalb eines Tradentenkreises, in dem Hosea, das Deuteronomium und Jeremia stehen..., und zwar dort, wo im Zuge der theologischen Entfaltung des Erwählungslaubens nach dem Grund der göttlichen Erwählung Israels gefragt wird... Der Grund liegt in der Liebe Gottes als dessen souveränem, nicht weiter ableitbarem Willensentschluß.»43 In bezug auf Einzelpersonen ist nur zweimal von Jahwes Liebe die Rede: gegenüber Salomo an unserer Stelle und gegenüber Kyros in Jes 48, 14.44 G. Quell, dem 43

E. Jenni, THATI, 1971, Sp. 69. - Schon 1C. Budde, Samuel, KHC VIII, 1902, S. 257, hat festgestellt: «Der Ausdruck gehört freilich D und seiner Schule (Holzinger, Hexateuch S. 284), so daß man mit Cook an eine Glosse denken kann.»

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Jenni folgt, weist darauf hin, daß diese beiden Stellen mit der Theorie von der Gottessohnschaft der Könige zusammenhängen mögen, deren Herkunft aus heidnischer Mythologie sich trotz vergeistigter Form nicht habe verleugnen können. «Aus diesem Grund wird eine Deutung dieser Stellen aus dem Gedankenkreis der Jahwereligion nicht in Frage kommen können.»45 Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob schon in der Frühzeit die altorientalische Königsideologie einen solchen Einfluß auf das Königtum in Jerusalem gehabt hat, daß von daher die Aussage «Jahwe liebte ihn» als gebräuchlich angesehen werden kann. Dies ist wenig wahrscheinlich.46 Entscheidend ist jedoch, daß auf jeden Fall der Verfasser der ThFE keinerlei Sympathie für die altorientalische Königsideologie spüren läßt; im Gegenteil, die bisher behandelten Kapitel sind nur geeignet, das Königtum gründlich zu entmythisieren. So können wir die Aussage «Jahwe liebte ihn» nicht auf den Verfasser der ThFE zurückführen,, sondern müssen in ihr einen späteren Zusatz sehen, dem keine Schlüsselstellung für die alte Erzählung zugesprochen werden darf.47 44

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Die Worte «Jahwe liebt ihn» sind in Jes 48, 14 textlich unsicher und werden von den meisten Auslegern geändert, vgl. B. Duhm, P. Volz, G. Fohrer z. St. G. Quell, ThW I, S. 29Vgl. K. H. Bernhardt, Das Problem der altorientalischen Königsideologie im AT, VTS VIII, 1961. Anmerkungsweise sei auf die besonderen Schwierigkeiten von V. 25 hingewiesen. Der Text an sich gibt schon zu Bedenken Anlaß. Man kann ihn übersetzen: «Und er sandte durch den Propheten Nathan und nannte seinen Namen Jedidjah um Jahwes willen.» Wer aber gab diesen Namen? Da die Namengebung einem Außenstehenden wie Nathan nicht zustand, könnte nur David den Namen gegeben haben. Aber es ist kaum verständlich, daß dieser nach dem Namen Salomo dem Kind einen zweiten Namen gab, der ja nun maßgebend sein müßte, in der Folge jedoch nie mehr begegnet. Der Vers ist kaum in Ordnung. Wellhausen u. a. haben vorgeschlagen, statt ^ zu lesen ^ ^ = «und er gab (ihn) in die Hand des Propheten Nathan», wodurch dieser zum Prinzenerzieher gemacht und sein Eintreten für Salomo in l.Kön l verständlich werden soll. Budde versuchte, V. 25 dadurch einen Sinn abzugewinnen, daß er ihn nach 11, 27a stellte und auf den erstgeborenen Knaben der Bathseba bezog. Ihn habe David «Liebling Jahwes» genannt um Jahwes willen, d. h. geradezu, um Jahwe zu besänftigen. «Der Name konnte, da er so arg Lügen gestraft war, als Lästerung erscheinen und daher als Beiname Salomos hierher übertragen sein» (S. 257). Als ursprünglich gelten dann Budde nur die Worte: «Und er ihn Nathan» (d. h. zur Erziehung). Buddes weitgehender Vorschlag zeigt, welche Schwierigkeit V. 25 bereitet. Auch andere Vorschläge helfen nicht weiter. Wahrscheinlich wurde der Vers im Hinblick auf l.Kön l hier eingefügt, um Na-

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Die Andeutung, daß hinter diesem Kind und seiner Zukunft Jahwe selber steht, ist dem Bedürfnis einer jüngeren Zeit und der davidischen Dynastie verbundener Kreise zu verdanken. Sie wollten trotz der dunklen Vorgeschichte der Geburt Salomos, die sie nicht leugnen konnten, seine Herrschaft als gottgewollt erklären. Wahrscheinlich hat auch der alte Erzähler die Geburt Salomos samt ihrer Vorgeschichte von Kapitel 11 ab nur erwähnt, weil dieser der Thronfolger wurde. Einen positiven Kommentar wird man ihm, von dem auch 1. Kon 1-2 stammen, schwerlich zutrauen. Fazit: Gibt man der Erzählung von dem Weg, auf dem Bathseba an den Hof Davids kam und Mutter des Thronfolgers Salomo wurde, in ihrem ursprünglichen Umfang das ihr zukommende Gewicht und verharmlost sie nicht, so zeigt sie deutlich eine kritische Tendenz gegen Davids Königtum. Dieser verhält sich in allem nicht so, wie man sich als Israelit zu verhalten hat. Er läßt sich weder durch das altisraelitische Verbot des Ehebruchs und des Mordes an der Erfüllung seiner Wünsche hindern, noch zeigt er sich gebunden an die Bräuche seiner Zeit, noch - in l.Kön l - an das Recht der Stämme zur Königswahl. Es scheint, daß hier eine gleichlaufende Charakterisierung beabsichtigt ist. Der König, der sich nicht an Recht und Tradition binden läßt, ist auf dem Wege zu einem absoluten, nur durch seinen Willen bestimmten Königtum. Darin ist zweifellos eine Kritik eingeschlossen an der Gestalt des Königtums, wie sie sich unter David herausgebildet hatte. Exkurs: Gehört 2. Sam 12,I5b-24a zur ursprünglichen ThFE? Es soll nicht unerörtert bleiben, daß die Erzählung von Geburt und Tod des erstgeborenen Kindes insgesamt angefochten worden ist. So schreibt E.Auerbach: «Es ist sehr möglich, daß die Erzählung von dem ersten gestorbenen Kind der Bathseba eine Legende ist, die von Salomo den Makel nehmen will, daß er als Frucht eines ehebrecherischen Verhältnisses geboren sei.»48 Leider spricht sich Auerbach nicht darüber aus, ob er diese Legende der ursprünglichen ThFE zuschreibt oder als späteren Zusatz ansieht. Schon früher hatte St.A. Cook™ 12,24b direkt an ll,27a anschließen wollen, so daß folgender Textzusammenhang entstünde: «Und sie ward sein Weib und gebar ihm einen Sohn, den nannte er Sa-

48 49

thans Eintreten für Salomo vorzubereiten. Auch van den Born sieht in 24bß-25 eine nachträgliche Einfügung (in: Samuel, BOT, 1956, S. 174). E. Auerbach, Wüste und Gelobtes Land, 1932, S. 241. St. A. Cook, Notes on the Composition of 2 Samuel, in: AJSLL, XVI, 1899/1900, S. 145-177, hier S. 156f.

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lomo.» Cook hat keine nähere Begründung für seine Auffassung gegeben.50 Folgende Beobachtungen könnten für sie geltend gemacht werden: 1. Die Geschichte von der Geburt des im Ehebruch gezeugten Kindes ist nicht zu Ende geführt; es fehlt ihr die zu erwartende Namengebung, die man in 12,24b finden könnte. 2. Die Erzählung von der Geburt Salomos als des zweiten Sohnes greift zeitlich dem Folgenden weit voraus. 11,26 setzt an einem viel früheren Zeitpunkt ein, denn die Belagerung von Rabbath Ammon, nach 11, l in der Zeit begonnen, «da die Könige auszurücken pflegen», kann nicht zwei Jahre gedauert haben, die man etwa benötigt, um die zwei Schwangerschaften unterzubringen. Die zeitliche Schwierigkeit könnte als Hinweis darauf gewertet werden, daß eine zweite Geburt hier nachträglich eingeschaltet wurde, um - was höchst verständlich ist - Salomo eine makellose Herkunft zu verschaffen. Was von Davids Betragen bei dem Tod des ersten Kindes erzählt wird, dürfte natürlich in diesem Falle nicht als Tadel an David aufgefaßt werden, wie wir es getan haben (S. 26 f); es wäre vielmehr als Preis seiner «aufgeklärten» Denkweise zu deuten. Indes ist zuzugeben, daß die Vermutung Cooks und Auerbachs sich auch mit den von mir angeführten Beobachtungen nicht sicher beweisen läßt. Der Einwand allerdings, den Budde seinerzeit gegen Cook vorgebracht hat, sollte nicht aufrechterhalten werden. Er meinte, Cooks Auffassung sei zwar historisch nicht unmöglich zu nennen, wohl aber historiographisch. Die so zusammengezogene Erzählung wäre nichts als ein Pamphlet auf Salomo und David, um so beißender und gehässiger, je knapper und trockener sie gehalten wäre. «Aber erst die Buße und Sühne in irgendwelcher Gestalt giebt der ungeschminkten, erschütternden Darstellung des Sündenfalls Davids in Cap. 11 ihre Berechtigung. Ein solches Pamphlet dagegen ist weder in der Quelle selbst noch in dem von Cook angenommenen ersten Einschub 11,2-12,25 denkbar.»51 Budde ist offenbar von vornherein der Meinung, daß ein «Pamphlet», wie er es nennt, gegen David und Salomo undenkbar ist. Wenn Nachteiliges über David (und Salomo) berichtet wurde, so müßte es korrigiert und erträglich gestaltet werden, damit kein Makel an den beiden Königen hafte. Das ist ein Vorurteil. Wir müssen nach unseren Beobachtungen damit rechnen, daß die ThFE von allem Anfang an sehr kritisch gegen David und seine Familie eingestellt war und mit einer gewissen Geflissentlichkeit Dinge erzählt, die auf diese Familie ein schlechtes Licht werfen. 50

51

Marquart, Fundamente israelitischer und jüdischer Geschichte, der nach Budde die gleiche Auffassung vertritt, war mir nicht zugänglich. K. Budde, Samuel, S. 254.

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Die Erzählung von der Thronfolge Davids

4. Ahitophel und Husai

Am stärksten hat man den geschichtstheologischen Gesichtspunkt in der Bemerkung 17,14 ausgedrückt gesehen, mit der die rätselhafte Entscheidung des Kriegsrates gegen den «guten» Rat Ahitophels zugunsten des schwärmerischen Planes des Schwadroneurs Husai kommentiert wird: «Jahwe hatte befohlen (HIS, häufig übersetzt: ,hatte es gefügt'), den guten Rat des Ahitophel zu vereiteln, damit Jahwe das Unheil über Absalom brächte». Von Rad bemerkt dazu: «... hier bahnt sich der große Umschwung an. Huschais listiger Rat wurde dem Absalom zum Verderben. Wir verstehen nun, warum der Historiker hier, nachdem die Würfel über Absalom gefallen waren, einen Augenblick innehält und dem Leser eine theologische Deutung der Ereignisse gibt. Hier war der Wendepunkt in den Ereignissen des Aufstandes, und herbeigeführt war dieser Umschwung durch Gott selbst, der das Gebet des Königs in seiner tiefen Erniedrigung erhört hatte» (S. 184). Die entscheidende Frage ist auch hier, ob diese Kommentierung der alten ThFE zugerechnet werden darf oder späteren Datums ist; anders ausgedrückt, ob der Hinweis an den Leser, «auf Gott zu sehen als den verborgenen Herrn und Lenker der Geschichte» (von Rad, S. 185 f), ursprünglich ist oder einer späteren Theologisierung seine Existenz verdankt. Von Rad selber hat darauf hingewiesen, wie völlig isoliert dieser Satz — wie die beiden anderen in 11,27 und 12,24 - im Kontext steht. Er hat gemeint, diese Isolierung vom Erzähler her verstehen zu sollen: «Man hat fast den Eindruck, als unterbräche er nur ungern den Bericht von den völlig geschichtsimmanenten Gegenständen, als beschränke er seine Stellungnahme auf das unbedingt Nötige und wende sich nach diesem schnellen Fingerzeig mit doppelter Konzentration dem Fortgang der Ereignisse zu, in dem dann wieder ausschließlich von Menschen und Menschlichem die Rede ist» (S. 182). Nun ist aber isolierte Stellung eines Satzes häufig Hinweis darauf, daß ein späterer Zusatz vorliegt,52 und so ist es nicht verwunderlich, daß Caspari einen Teil von 17,14 als solchen verstanden hat: 52

Vgl. z. B. W.Richter, Exegese als Literaturwissenschaft, 1971, S. 70.

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«In Erinnerung an II 16,23 Jdc 9,23 haben Spätere zum Ursächer des verfehlten Beschlusses Jahwe gemacht.»53 Danach wäre die Theologisierung einer Nacharbeit zu verdanken und nicht für die Geschichtsauffassung des alten Erzählers heranzuziehen. Soweit ich sehe, hat jedoch Caspari keine Zustimmung gefunden. Dennoch war er auf der richtigen Spur: 17, 14 gehört zu einer späteren Ueberarbeitung. Nur handelt es sich dabei nicht einfach um eine Glosse, die sich auf den einen Vers beschränkt; vielmehr liegt die Sache wesentlich komplizierter: die Ueberarbeitung erstreckt sich auf das von den beiden Gestalten Ahitophel und Husai insgesamt Berichtete, wie im folgenden gezeigt werden soll. Ahitophel begegnet zum erstenmal in 2. Sam 15, 12, wo es im Bericht über den Aufstand Absaloms heißt: «Und Absalom sandte und ,ließ' Ahitophel aus Gilo, den Ratgeber Davids, aus seiner Stadt Gilo rufen; ,und er war bei ihm', als er die Opfer darbrachte.»54 Ahitophel ist der einzige unter den Anhängern Absaloms, der namentlich genannt wird. Daß er trotz des Amtstitels «Ratgeber Davids» nicht in der Umgebung Davids verweilt, sondern in seiner Stadt Gilo ist, wird vielfach darauf zurückgeführt, dass er - nach 11, 3; 23, 34 Grossvater der Bathseba - über Davids Handel mit dieser erzürnt, sich zurückgezogen hatte auf seinen Besitz,55 der in der Gegend noch südlich von Hebron liegt.56 Wie dem auch sein mag, er war nicht sehr weit von Hebron, als Absalom seinen Aufstand begann,57 und wohl von Anfang an an diesem in führender Position beteiligt, daher für Freund und Feind von besonderem Interesse, eine Art Schlüsselfigur, woraus sich auch die spätere, für ihn nachteilige Überarbeitung der ursprünglichen ThFE erklärt. Die beiden nächsten Aussagen über Ahitophel liegen jeweils in auffallender Doppelung vor. Daß er auf der Seite der Gegner Davids steht, erscheint angesichts seiner Klugheit und seines Einflusses als besondere Bedrohung für David. Nach der Erzählung sucht dieser ihr in zweifacher Weise zu begegnen: 1. er ruft Jahwe an: «Gib doch Ahitophel törichten Rat ein, Jahwe!» (15,31); 53 54 55 56

57

W. Caspari, Die Samuelbücher, VII, 1926, S. 585. L Es sind einzufügen: (mit G ) und 1ÖSJ TP1· So z. B. Budde, S. 271, und viele andere. K. Eiliger, Die Heimat des Propheten Micha, ZDPV 57, 1934, S. 130 ( = Kl. Sehr, zum AT, S. 51). Mit M. Noth, Geschichte Israels, 31956, S. 185, und/. Bright, Geschichte Israels, 1966, S. 197, erscheint es mir wahrscheinlich, daß sowohl Südwie Nordreich an dem Aufstand beteiligt waren. A. Alt, Kl. Sehr. II, S. 58, denkt nur an eine Beteiligung des Nordens.

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2. er schickt seinen «Freund» Husai nach Jerusalem mit dem ausdrücklichen Auftrag, den Rat Ahitophels dadurch zu vereiteln, daß er sich Absalom als Gefolgsmann zur Verfügung stellt und das, was er auf diese Weise in Erfahrung bringt, durch Vermittlung der Priester an David mitteilt, so daß dieser dem Plan Ahitophels entgegenwirken kann (15, 33-36). Dieser Doppelung entspricht die Fortsetzung in 16, 21 ff, wo Ahitophel auf die Frage Absaloms: «Was sollen wir tun?» zwei Ratschläge gibt, die sich widersprechen: 1. Absalom solle zu den in Jerusalem zurückgelassenen zehn Haremsdamen Davids «eingehen»; 2. man solle sofort die Verfolgung Davids aufnehmen. Widersprüchlich sind diese beiden Ratschläge besonders insofern, als zuerst der erste ausgeführt wird, bevor der zweite gegeben wird, der aber nach dem anzunehmenden Zeitverlust sinnlos geworden wäre. Von beiden Versionen kann jeweils nur eine der ursprünglichen ThFE zugerechnet werden, und zwar die jeweils unter 2. genannte. Dies soll im folgenden begründet werden. Folgt man der Erzählung, so muß man annehmen, daß David gleichzeitig mit der Nachricht über den Aufstand auch über die Beteiligung Ahitophels informiert wurde. Darum ist es überraschend, erst später, mitten in dem Bericht über seine Flucht, zu lesen: «Als ,David mitgeteilt wurde'58 ,Ahitophel ist unter denen, die sich mit Absalom verschworen haben', sprach David: ,Gib doch Ahitophel törichten Rat ein, Jahwe!'» Die Bemerkung fällt an dieser Stelle aus dem Kontext heraus, da in 15, 13-36 nur von den Ereignissen der Flucht die Rede ist und insbesondere in 15, 19 ff «die zahlreichen Gespräche mit bezeichnenden Persönlichkeiten, die ihm beim Auszug begegnen»,59 referiert werden. Man kann Buddes Urteil über diese (gegen Cook) zustimmen: «Mit Meisterschaft entwickelt vielmehr der Erzähler aus der Spiegelung in so vielen Flächen die Lage Davids und seine Persönlichkeit, und die Schilderung des fluchtartigen Auszugs wird dadurch zu einem wahren Kunstwerk.»60 Dagegen kann ich in Buddes Verteidigung von 15, 31 nur einen nicht angebrachten Harmonisierungsversuch sehen: «Die Wortstellung zeigt an, daß David nicht jetzt auf dem Wege die Nachricht erhält, wie Cook mißversteht, sondern der Erzähler vorher Uebergangenes nachholt. Neu kann nur sein, daß David im Gehen an diesen gefährlichen Feind denkt und dabei der Stoßseufzer sich seinem Herzen entringt.»61 Natürlich will V. 31 in 98

Lies mit GBA

59

K. Budde, Samuel, S. 272.

«° ebd. S. 272. 81 ebd. S. 274.

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diesem o. ä. Sinne verstanden sein. Aber über seine Ursprünglichkeit ist damit nichts entschieden. Der Vers muß vielmehr im Zusammenhang jener späteren Zusätze gesehen werden, die in bezug auf die Gestalt Ahitophels gemacht worden sind. Ihre Erfüllung findet die Bitte von 15, 31 in 16, 21-23, denn der Rat Ahitophels, durch den er als erste königliche Maßnahme Absaloms das «Eingehen» zu den zehn Haremsdamen empfiehlt, die David angeblich in Jerusalem zurückgelassen hatte (zu V. 15, I6b vgl. S. 39), kann absolut wie von jener Situation aus gesehen, in der es auf schnelles Handeln ankam, nur als «töricht» bezeichnet werden. Das hat der Verfasser von 16, 21-23 - wer immer er war - offenbar selbst empfunden, wenn er dem Leser die Befolgung dieses Rates durch Absalom durch die Bemerkung plausibel zu machen sucht, daß ein Ratschlag Ahitophels für David wie Absalom die Bedeutung eines Gottesorakels hatte und daher unbesehen befolgt wurde. Wie «töricht» die empfohlene Maßnahme ist, soll gleich weiter ausgeführt werden. Zunächst aber ist zu sagen, daß 16, 21-23 aus literarischen Gründen als späterer Zusatz angesehen werden muß, da auch hier eine Doppelung vorliegt. Ahitophel antwortet zweimal auf die Aufforderung Absaloms: «Gebt euern Rat, was wir tun sollen!» (V.20), wobei der zweiten Antwort die Einleitung mit Situations- oder Zeitangabe fehlt, die bei Echtheit von 16, 21-23 unbedingt zu erwarten wäre, da diese Antwort ja erst nach geraumer Zeit erfolgt, die für das in V. 22 berichtete Geschehen vorausgesetzt werden muß. Auch eine Gegenprobe bestätigt die nachträgliche Einfügung von 16, 21-23: 17, l schließt nahtlos und ohne daß eine Lücke entsteht an 16, 20 an, während im heutigen Text die beiden Antworten hart nebeneinander stehen, so dass die Übersetzer sich bewogen fühlen, durch ein am Anfang von 17, l eingefügtes «auch» (Kittel bei Kautzsch) oder «dann» (Gressmann) u. ä. einen Übergang zu schaffen.62 82

Übrigens hat schon O. Eißfeldt, Die Komposition der Samuelisbücher, 1931, S. 42, gesehen, daß 16, 21.22 in ihrer Umgebung einen Fremdkörper bilden. Der doppelte Rat Ahitophels passe «ganz und gar nicht zu der höchst kunstvoll komponierten Erzählung 16,15b—17,14 (23)». Der erste Rat Ahitophels werde weder in 16,15—20 vorbereitet, noch greife 17, l—23 auf ihn zurück. Über seine Herkunft urteilt Eißfeldt: «Nun ist dies Stück zu farbig, als daß man es für eine bloße Wucherung halten dürfte. Zudem steht es... zu (12, 11.12) 15, 16; 20, 3 in Beziehung, Stellen, die ebenfalls in ihrer Umgebung Fremdkörper sind, und die Annahme, daß hier Stücke eines größeren Zusammenhanges, einer zweiten Absalom-Erzählung, in die Haupterzählung eingeschoben sind, ist leichter denn die Erklärung der Stellen als sekundäre Zusätze.» — Von Eißfeldt unterscheide ich mich dadurch, daß ich V 23 zu V21f hinzu-

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«Töricht» ist die empfohlene Maßnahme, wie gesagt, einmal von der vorausgesetzten Situation aus, in der, wie ja auch 17, 1-3 zeigt, es auf besondere Eile ankam, wollte man gegen David und sein Gefolge etwas ausrichten; waren erst einmal Frauen und Kinder (vgl. 19, 6), die die Flucht behindern mußten, an einem festen Ort untergebracht und konnten die Berufskrieger gegen den Heerbann geordnet eingesetzt werden, dann mußten die Aussichten für Absalom und den schwerfälligen Heerbann sich verschlechtern. «Töricht» ist die Maßnahme aber vor allem absolut gesehen, denn sie vergeht sich gegen alt-israelitisches Ethos, wie es z.B. in dem Verbot Lev 18, 8 formuliert ist: «Die Scham des Weibes deines Vaters sollst du nicht entblößen; es ist doch deines Vaters Scham» (vgl. auch Dtn 23, 1; 27, 20). Absalom hätte sich mit dem ihm zugeschriebenen Vorgehen nicht nur bei seinem Vater «stinkend» gemacht, sondern bei allen, die das altisraelitische Ethos hochhielten, was besonders bei seinen Anhängern vorausgesetzt werden muß. Nun ist es freilich üblich, der empfohlenen Maßnahme eine besondere Deutung zu geben. Es sei «eine sinnbildliche Handlung, durch die der Regierungsantritt, die Erbfolge, gleichsam die Toterklärung Davids handgreiflich ausgesprochen wird».63 Gressmann bezeichnet das Betreten des Brautgemaches auf dem Dach des Palastes als eine «Staatshandlung», die den offiziellen Regierungsantritt bedeute.64 Nach fohrer bekundete die Besitznahme des Harems «symbolisch die Übernahme der Herrschaft und den Eintritt in die königlichen Hoheitsrechte».65 Hinter diesen Deutungen steht die Auffassung, daß bei den Davididen überhaupt die Übernahme des Harems von dem Vorgänger die Königsherrschaft legitimierte. Diese weitverbreitete Auffassung erscheint mir nicht begründet. Fohrer behauptet zwar: «Daß es sich darin um eine auch sonst vorhandene Rechtssitte handelte, ist bekannt.»66 Aber de Vaux, der sich im übrigen der Hypothese anschließt, muß zugeben: «Einen derartigen Brauch konnte man bis jetzt bei den unmittelbaren Nachbarn Israels nicht nachweisen»,67 eine Feststelnehme und in 16, 21—23 wie den damit in Verbindung stehenden Stellen, wozu auch noch 15, 31 gerechnet werden muß, das Resultat einer planvollen Überarbeitung zur Verunglimpfung Ahitophels sehe. «5 K. Budde, Samuel, S. 278. M H. Greßmann, Die älteste Geschichtsschreibung und Prophetic Israels, SATAII, l «1921, S. 178. 65 G. Fohrer, Der Vertrag zwischen König und Volk in Israel, ZAW71, 1959, S. 5. «« ebd. S. 5. 67 R. de Vaux, Das AT und seine Lebensordnungen I, I960, S. 189.

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lung, die bei einem so ausgezeichneten Kenner des Alten Orients von besonderem Gewicht ist. Sein Hinweis auf ein örtlich und zeitlich weit entferntes persisches Beispiel, das er aus Herodot III, 68 erschließen will, ist verfehlt. Herodot berichtet dort, der Magier Gaumata, der sich als Kyrossohn Smerdis ausgab, habe alle Frauen des Kambyses übernommen. Der Zusammenhang zeigt jedoch, daß dadurch kein Anspruch auf den Thron begründet wurde; dieser hängt vielmehr einzig und allein davon ab, ob er wirklich der Sohn des Kyros ist oder nicht. Der Besitz des Harems ist nicht Voraussetzung, sondern Folge der Königsherrschaft.68 Die von Tsevat zugunsten der Hypothese angeführte Verfluchung des ugaritischen Königs Arihalbu gegen jeden Mann, der nach seinem Tode seine Frau Kubaba seinem Bruder wegnähme,69 ist zu isoliert und kann, da uns der genauere Hintergrund nicht bekannt ist, nicht als ausreichender Beleg gelten. So mißlich wie mit den außerisraelitischen Zeugnissen steht es auch mit den alttestamentlichen Stellen, auf die man sich gewöhnlich für die genannte Hypothese beruft (2. Sam 3, 7; 12, 8; 20, 3; 1. Kon 2, 22) und zu denen aus Raumgründen hier nur kurz Stellung genommen werden kann: 1.2. Sam 3, 7: Durch seine Verbindung mit Sauls Kebsweib Rizpa wollte Abner keinen eigenen Anspruch auf das Königtum erwerben; er setzt sich ja für David ein (3, 12 ff). 2. 2. Sam 12, 8 ist jung; ein späterer Ergänzer, der die Fülle des David von Jahwe Geschenkten zeigen wollte, hat seine Worte etwas unbedacht gewählt. Davids Königtum ist durch die Einsetzung von seiten der Männer von Juda (2. Sam 2, 4) und der Ältesten von Israel (5, 3) legitimiert, nicht durch die Übernahme von Sauls Harem. 3. l.Kön 2, 13 ff: Hätte Abisag zum Harem Davids gehört, so müßte sie nach der genannten Theorie jetzt dem Salomos angehören. In diesem Falle wäre es aber kaum begreiflich, daß der Erzähler, der jedenfalls Adonja nicht feindlich gesinnt ist, diesem den Wunsch nach Abisag und Bathseba die Vermittlung der «kleinen Bitte» an Salomo zugeschrieben hätte.70 68

69 70

So auch

. Tsevat, JSS 3,1958, S. 242.

ebd. S. 237-243. Vielfach haben die Vertreter der erwähnten Auslegung von 2. Sam 16, 21 f sich auf R. Smith, Kinship and Marriage in Early Arabia, 1885, bezogen. Aber Smith hat, worauf schon Tsevat (JSS 3, 1958, S. 242) hingewiesen hat, nur behauptet, daß in alter Zeit in der semitischen Welt die Frau als Eigentum des Mannes galt, nach seinem Tod in die Hände seines Erben überging und folglich die Heirat mit einer Stiefmutter nicht verwerflich war. Sein Ergebnis hat Smith aus arabischen Quellen gewonnen. Er hat ihm in einer Auslegung, die der kritischen Überprüfung

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Da weder außerisraelitische Zeugnisse vorliegen noch die als Beweisstellen angeführten alttestamentlichen Aussagen als stichhaltig gelten können, noch die Übernahme des väterlichen Harems durch den Sohn mit dem Familien- und Sexualethos Israels zu vereinbaren ist, muß die Theorie, der Besitz des Harems legitimiere das Königtum der Davididen, aufgegeben werden. Nach unserem Verständnis von 16, 21-23 bedeutet das von Ahitophel angeratene Vorgehen nicht die Legitimation des Königtums, sondern stellt eine in Israel unerhörte Beschimpfung Davids durch seinen Sohn dar. Denn diese Stelle besagt nicht nur, daß Absalom die Frauen in seinen Besitz bringt; vielmehr wird ausdrücklich gesagt, daß er ihnen beiwohnt (zu bo' in diesem Sinne vgl. z.B. THAT I, Sp. 266). Dies aber ist eine schwere Beleidigung für einen Mann, so daß der Bruch zwischen Absalom und seinem Vater unheilbar sein mußte. Zu solchem ruchlosen Rat war Ahitophel - unter Mißbrauch seines Ansehens und seiner Autorität als Ratgeber (V. 23) - fähig! Der Zusatz will offenbar Ahitophel in ein ganz ungünstiges Licht setzen: Weil er, aus welchen Gründen auch immer, ein Gegner Davids war, muß er auch ein schlechter, zu abscheulichem Tun verführender Mensch gewesen sein. Freilich ließe sich das Absalom nachgesagte Handeln schwerlich in Einklang bringen mit dem weiteren Gang der ThFE. Könnte sie nach 16, 22 so von der Fürsorge Davids für Absalom und seiner verzweifelten Trauer um ihn erzählen, wie sie das in Kapitel 18 tut? Auch das spricht dafür, daß wir es mit einem Einschub zu tun haben. Daß hier eine planmäßig arbeitende Hand am Werk ist, ergibt sich daraus, daß 16, 21-23 nicht nur durch die Bitte Davids in 15, 31 vorbereitet, sondern noch durch weitere Bemerkungen ergänzt wird, die sich alle dadurch als Zusätze verraten, daß sie in ihrem jetzigen Kontext als «Fremdkörper» (Eissfeldt) wirken. Zu dem Akt von 16, 21-23 gehört natürlich, daß Frauen Davids in Jerusalem zurückgeblieben sind. Entsprechend lesen wir in 15, 16b: «Und der König ließ71 zehn Nebenfrauen zurück, um das Haus zu bewachen.» Wie die Wiederaufnahme von I6a in 17a zeigt, liegt hier ein Zusatz vor, der im Hinblick auf 16, 21-23 gemacht wurde (so auch Cook, Budde). Zu derselben Art von Ergänzung gehört 20, 3, wo berichtet wird, daß David die zurückgelassenen Nebenfrauen in ein besonderes Haus bringen läßt, d.h. sie «als von Absalom geschändet» verstößt (Kittel bei Kautzsch). Auch

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bedarf, Stellen des Alten Testaments hinzugefügt, die beweisen sollen, daß die Sitte allgemein verbreitet war; irgendeinen Zusammenhang mit der Legitimation des Königtums hat aber Smith nicht behauptet. Streiche .

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diese Notiz fällt aus der Umgebung heraus. Man erwartet sie nicht mitten in dem Bericht von Sebas Aufstand und den Gegenmaßnahmen Davids, als sei die Verstoßung das Wichtigste gewesen, was David nach seiner Rückkehr nach Jerusalem zu tun gehabt habe. Die Notiz erschien aber dem Überarbeiter notwendig zum Abschluß jener Erzählung über die Haremsdamen, die in 15, I6b begonnen hatte. Übrigens ist der angegebene Zweck ihrer Zurücklassung («um das Haus zu hüten») recht merkwürdig. Die tendenziöse Überarbeitung, die darauf gerichtet ist, das Ansehen Ahitophels herabzusetzen, beschränkt sich nicht nur auf 16, 21-23 und die damit in Zusammenhang stehenden Stellen, sondern findet sich auch in der Fortsetzung. Nach Ausscheidung von 16, 21-23 schließt die in 17, l beginnende Rede Ahitophels direkt an die ihm gestellte Frage Absaloms: «Was sollen wir tun?» (16, 20) an. Ahitophel will sofort die Verfolgung Davids aufnehmen, weil er auf diese Weise das Heer überraschen und zerstreuen und den König David, um den es Absalom doch allein gehe, schlagen könne. Die der Rede folgende Bemerkung: «Das Wort gefiel Absalom und den Ältesten Israels» (17, 4), muß der unbefangene Leser nicht nur als unverbindliche Billigung, sondern als Annahme des Planes Ahitophels verstehen. Die Formel "Wl ^ besagt an den Stellen, an denen sie neben 2. Sam 17, 4 begegnet (l.Sam 18, 20.26; l.Chron 13, 4; 2.Chron 30, 4), immer, daß ein Vorschlag angenommen worden ist. Das ist auch für 2. Sam 17, 4 die nächstliegende Annahme. Um so überraschender ist es, daß nun Husai, den man sich eigentlich beim Kriegsrat anwesend denkt, vor Absalom gerufen und zu einem Urteil über Ahitophels Rat aufgefordert wird. Nach einer Ablehnung dieses Rates, der Davids und seiner Mannen kriegerische Tüchtigkeit unterschätze - daß Frauen und Kinder sich unter Davids Gefolge befinden (19, 6), wird übersehen -, entwickelt Husai seinen eigenen Plan: Ganz Israel von Dan bis Beerseba soll versammelt werden, um David mit massierter Kraft zu treffen, so daß von ihm und all den Männern, die bei ihm sind, auch nicht einer übrigbleibe (17, 7-13). Absalom und die Männer Israels erklären diesen Plan dem Ahitophels überlegen; und nun fällt jene vielzitierte theologische Bemerkung, daß eben diese Entscheidung für Husais Plan gegen den Ahitophels von Jahwe selber bewirkt sei (17,14b). Aber was nun in der Erzählung folgt, stellt alles andere als eine Konsequenz aus der getroffenen Entscheidung dar. Daß Anstalten gemacht werden, um Husais Plan zu verwirklichen, mit dem dieser nach allgemeiner Auslegung Zeit für David gewinnen wolle, wird nirgends gesagt; ja in 17, 15 weiß Husai selbst nicht, welcher der beiden Pläne nun angenommen ist. Aber er spornt David an, eiligst den Jordan zu überschreiten, was nur bei Annahme von

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Ahitophels Plan geboten ist. Auch die an David gesandten Boten wissen in 17, 21 nichts von einem Rat Husais, denn ihre Botschaft lautet: «Auf, setzt eilig über das Wasser, denn so hat Ahitophel euretwegen geraten.» Jedenfalls ist auf diese Nachricht hin bis zum Anbruch des Morgens auch der letzte Mann jenseits des Jordans (17, 22). Damit aber ist Ahitophels Plan, David unterwegs zu überfallen, vereitelt, und zwar nicht deswegen, wie nochmals zu betonen ist, weil Husais Rat ausgeführt worden wäre, sondern weil Ahitophels Rat verraten wurde und David ihm mit der schnellen Überquerung des Jordans zuvorkommen konnte. Damit hat Husai den ihm in 15, 34 f von David gegebenen Auftrag erfüllt, nämlich alles, was er in Erfahrung bringen könne, durch die Vermittlung der Priester Zadok und Ebjathar und deren Söhne an ihn gelangen zu lassen. Auf diese Weise und nicht durch eine Gegenrede hat er den Plan Ahitophels vereitelt, wie es Davids Absicht war, als er ihn zu Absalom nach Jerusalem schickte. Auch der Vorsprung Davids, der in 17, 24 Mahanaim erreicht, während Absalom den Jordan überschreitet, erklärt sich genugsam aus Davids Reaktion auf Husais Warnung und nicht aus einer in Husais Rede vorgeschlagenen Verzögerung, die David einen viel grösseren Vorsprung gesichert hätte. Nach dieser Analyse muß man den ganzen Passus 17, 5-14 als späteren Einschub ansehen; dafür spricht auch, daß 17, 15 nahtlos und logisch an 17, 4 anschließt: Ahitophels Rat wird von Absalom und den Ältesten Israels akzeptiert (17, 4) und von Husai durch Vermittlung der Priester sofort an David verraten, der die nötige Gegenmaßnahme trifft (17, 15-22). Ahitophel wird also in der ursprünglichen Fassung nicht von einem konkurrierenden Ratgeber, dessen Rat in von Jahwe bewirkter Verblendung angenommen wird, überspielt, sondern von einem Verräterkreis, den David in die Umgebung Absaloms eingeschleust hat (15, 27 f. 34 ff). Vielleicht war gerade dies einer der Gründe, die zu dem späteren Einsatz von 17, 5-14 veranlaßten, durch den erreicht wird, daß Husai aus einem Verräter zum erfolgreichen Gegenspieler Ahitophels wird.72 Es scheint mir beachtenswert, daß am Ende der beiden Einschübe 16, 21-23 und 17, 5-14 jeweils eine Begründung dafür gegeben wird, weshalb die Ratschläge befolgt wurden. Beide empfahlen sich einem mitdenkenden Leser so wenig, daß der Verfasser glaubte, ihre Annahme begreiflich machen zu müssen durch Hinweise auf eine hinter ihnen stehende Autorität. Einmal ist es das 72

Mit dem Zusatz 17, 5—14 hängen die Worte in 17, 15 b zusammen: «Und so und so habe ich selber geraten», die nach unserer Analyse der ursprünglichen Fassung der ThFE noch nicht angehören konnten.

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hohe Ansehen Ahitophels, dessen Worte wie ein Gottesorakel, also von Gott eingegeben, gelten. Das andere Mal ist es Gott selber, der die Entschlüsse der Menschen lenkt. Der analoge Aufbau ist deutlich und kann als Beweis dafür gelten, dass die Einschübe auf die gleiche Hand oder den gleichen Kreis zurückgehen. Freilich stehen die frommen Erklärungen im Dienste wenig frommer Tendenzen. Isoliert im Zusammenhang steht auch die Notiz über den Selbstmord Ahitophels in 17, 23, mit der die Bearbeitung zuungunsten Ahitophels abgerundet wird. Die Begründung für seinen Selbstmord - er sah, daß sein Rat nicht ausgeführt wurde - ist in dieser Form sachlich nicht richtig. Daß sein Rat nicht ausgeführt worden wäre, geht aus dem Folgenden nicht hervor. Jedenfalls verlautet nichts von größeren Anstalten, die der Rat Husais erfordert hätte. Mit der Ausscheidung von 17, 5-14 fällt aber nicht nur das Rededuell zwischen Ahitophel und Husai, sondern auch in V. 14 eine tragende Säule jener theologischen Geschichtsauffassung, die von Rad u. a. der ThFE zuschreiben. Für die Nachgeschichte dieses alten Geschichtswerkes bleibt natürlich 17, 14 von großer Bedeutung. Aber erst wenn man erkennt, daß dieser Vers mit seiner theologischen Deutung dem alten Werk nicht zugerechnet werden darf, kann man dieses in seiner ursprünglichen Absicht, von der die spätere Überarbeitung weit weggeführt hat, wirklich erkennen. In dieser durchaus planvollen Bearbeitung ist die Hand eines sehr konsequent verfahrenden, aber auch sehr fähigen Mannes am Werk, wie etwa die Gestaltung der Husai-Rede zeigt. Da diese Bearbeitung, die ganz im Dienste der Dynastie steht, am Hofe zu vermuten ist, der für das ursprüngliche Werk mit seiner dynastiekritischen Haltung - im Gegensatz zur gängigen Auffassung nicht in Frage kommt, ist der weisheitliche Einfluß, der in ihr deutlich fühlbar ist, leicht erklärbar. Die ursprüngliche ThFE ist durch einen profaneren Ton charakterisiert: Ahitophel, offenbar aus einem «Ratgeber» zum erbitterten Gegner Davids geworden, wird durch mehr arglistige als kluge Maßnahmen Davids überspielt. Daran vor allem scheitert der Aufstand Absaloms. Der Wendepunkt, von dem aus sein Scheitern besiegelt ist, ist nicht der kluge Rat Husais, den Jahwe gelingen läßt, sondern der Verrat Husais, bei dem letztlich David Regie geführt hat.

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5. Davidfreundliche und joabfeindliche Überarbeitung

Über die bisher nachgewiesenen Stellen hinaus lassen sich deutliche Anzeichen einer sekundären Überarbeitung beobachten. Diese betrifft einmal die Person Davids. Sein Bild ist in bonam partem verändert worden, was niemand verwundern wird, der das kritische Davidbild der ThFE mit dem Idealbild der späteren Zeit vergleicht. Unretuschiert konnte ersteres schwerlich stehen bleiben. Umgekehrt ist das Bild Joabs nachträglich zu seinem Nachteil umgestaltet worden. Im einzelnen ist auf folgende Stellen hinzuweisen: 1. Die Verse 15, 24-29 sind überfüllt, die Rolle der Lade erscheint unklar. David hält zwei Reden. In der ersten befiehlt er die Rückführung der Lade nach Jerusalem und spricht seine fromme Ergebenheit in den Willen Jahwes aus. In der zweiten dagegen gibt er den Priestern Zadok und Ebjathar den Auftrag zur Rückkehr in die Stadt, damit sie dort als Spione für ihn tätig seien und mit Hilfe ihrer Söhne Nachrichten an ihn gelangen lassen könnten (V. 27 f). Diesem zweiten Auftrag entspricht die Ausführung in 17, 15 ff. V. 27 f sind also fest in der ThFE verankert. Dagegen sind die V. 24-26.29 als sekundäre Erweiterung zu verstehen. Scheidet man sie aus, so wird damit die formale Doppelung wie die inhaltliche Spannung beseitigt. Daß die Einfügung der Lade Textänderungen nach sich zog, ist offensichtlich. Für eine Herstellung des ursprünglichen Textes sind nur Vermutungen möglich, auf die ich hier verzichte. Jedenfalls ist die Tendenz des Zusatzes, Davids Ergebenheit in Gottes Willen zu zeigen.73 2. Die Simei-Szene 16, 5-14 ist, so wie sie berichtet wird, voller Rätsel und mutet teilweise geradezu unwirklich an, was angesichts der realistischen Darstellungsweise, die man der ThFE im allgemeinen nachrühmt, besonders auffällt. Nach der Erzählung geht Simei - von einer Begleitung verlautet nichts - dicht neben David, verflucht ihn und bewirft ihn und seine «Knechte» mit Stei73

Diese Beurteilung der ersten Rede als Zusatz findet sich jetzt auch bei H. Schulte, Die Entstehung der Geschichtsschreibung im alten Israel, BZAW128,1972,8.160 f.

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nen und Staub, während «alles Volk und alle Helden» sich zu seiner Rechten und Linken befinden. Sie, die nachher eine Feldschlacht siegreich zu schlagen vermögen, können Simei nicht abschrecken. In 16, 10-12 findet sich eine doppelte Rede Davids an die Zeruja-Söhne, in der David wiederum in frommer Ergebenheit gezeichnet wird. Hier scheint der ganze Redegang zwischen Abisai und David (V. 9-12) Zusatz zu sein, denn V. 13 setzt die Erzählung von 5-8 fort. Man beachte, daß sich in diesem Zusatz eine Lossagung von den Zeruja-Söhnen findet, wie nachher in den ebenfalls zweifelhaften Versen 19, 22 f - von denselben ZerujaSöhnen, die dann in 20, 6 mit der Niederwerfung des Auf Standes Sebas beauftragt werden.74 Angesichts der merkwürdigen Darstellung in 16, 5-8.13 erhebt sich die Frage, ob nicht diese ganze Simei-Szene - von dem Zusatz in V. 9-12 einmal abgesehen - aus 19, 17 ff herausgesponnen ist. Simei erbittet dort die Vergebung Davids für seine Verfehlung, die nicht näher genannt wird. Man hat den Eindruck, daß diese Verfehlung Simeis, der jetzt mit tausend Mann aus Benjamin David entgegenzieht, um ihm zu huldigen, mehr politischer Natur war, als in dem einzelnen Auftreten Simeis in 16, 5 ff sichtbar wird. Es ist zu vermuten, daß er als politischer Führer Benjamins die Aufstandsbewegung gegen David militärisch unterstützte und daß darin seine «Verfehlung» bestand. Dafür spricht, daß er als politischer Führer Benjamins auch später als Gefahr für das Haus Davids betrachtet wird, weshalb ihm Salomo einen Zwangsaufenthalt in Jerusalem befiehlt (1. Kon 2, 36 ff). Beseitigt man die Äußerungen der Ergebenheit gegen Jahwes Willen aus der ursprünglichen ThFE, so wird das Davidsbild weniger spannungsvoll. E. Fascher hat m. E. das Richtige getroffen mit der Frage, «ob etwa die dem David in den Mund gelegten Aussprüche der Ergebung in den Willen Gottes (16, 10-12; desgl. 15, 25) nicht Zutat des priesterlichen Redaktors der Einzelszene sind, welcher David als Vorbild eines frommen Herrschers zeichnen wollte; denn sie stoßen sich seltsam mit den klugen Weisungen, die der König den zurückbleibenden Priestern und seinem Vertrauten Husai vor seiner Flucht gibt».75 3.18, 2b-4a wird berichtet, daß David eigentlich mit ins Feld ziehen wollte, aber auf Bitte des Volkes in der Stadt zurückbleibt. Auch dies scheint ein Zusatz zu sein, der David gegen den Vorwurf in Schutz nehmen will, daß er anderen den Kampf überlassen 74 75

Auch H. Schulte, aaO S. 151 f, beurteilt die Lossageformel in 16, 10 und 19,22 f als Zusatz. E. Pascher, Antike Geschichtsschreibung als Beitrag zum Verständnis der Geschichte ThLZ 77,1952, Sp. 643.

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habe. V. 4b schließt direkt an V. 2 an, wo «er schickte aus» beibehalten werden kann. 4.18, 10-14, ein Stück, das den Tod Absaloms auf das persönliche Eingreifen Joabs zurückführt, scheint nachträglich eingeschoben zu sein. Zwischen V. 14 und 15 besteht eine Diskrepanz, die Wellhausen durch Umstellung innerhalb von 14-17 und durch Textänderung zu beseitigen versuchte.76 Smith hat V. 15 als Glosse gestrichen.77 Aber das genügt nicht. Vielmehr liegt in 10-14 ein Zusatz vor. Der Dialog zwischen dem Krieger und Joab (10-14) soll deutlich machen, daß Joab ganz bewußt gegen Davids Befehl Absalom tötet, will ihn also besonders belasten. V. 15 schließt direkt an V. 9 an, wodurch bestätigt wird, daß es sich in 10-14 um einen Einschub handelt. Es wird auch an keiner anderen Stelle erwähnt, daß Joab Absalom getötet habe. 5. In ähnlicher Weise wird Joab in dem Bericht über das Ende Amasas, einem Einschub in Kapitel 20, belastet. Die Erzählung 20, 4 ff ist etwas verworren. Amasa wird von David beauftragt, innerhalb von drei Tagen die judäischen Truppen aufzubieten und sich dann in Jerusalem einzubinden (V. 4). Als Amasa die Frist überschreitet, beauftragt David Abisai mit der Verfolgung Sebas (V. 5 f). Joab, die Krether und Plether und alle Helden ziehen mit ihm aus, um Seba zu verfolgen. Unterwegs ist auch plötzlich Amasa da und wird in hinterlistiger Weise von Joab getötet (8-13), der die Verfolgung Sebas bis zum erfolgreichen Ende fortsetzt. - Der Text der Erzählung ist unklar. Wellhausen hat im Anschluß an Thenim schon gesehen, daß Abisai «Correctur für Joab» ist, «wie alles Folgende beweist».78 Aber auf textkritischem Wege ist hier nicht alles in Ordnung zu bringen. V. 4 und 5 und 8-13 stellen Zusätze dar, durch die erst Amasa in die Erzählung eingeführt wird. Scheidet man sie aus, so erhält man eine straffe Erzählung, die davon handelt, daß Joab mit der Verfolgung Sebas beauftragt wurde und sie zu einem vollen Erfolg führte. Daß die Vv. 8-13 Einschub sind, geht auch daraus hervor, daß - wie es in solchen Fällen üblich ist - in V. 13b der Text von V. 7b wieder aufgenommen wird. Übrigens hat schon E.Luther gesehen, daß V.8-13 nicht hierher gehören. Er meint, hier liege eine Tradition von einer Bluttat auf dem «Feld der Messer» vor, die in drei Variationen wiederkehre: 2.Sam 2, 14-16; 4, 1-12; 20, 8-13.7 Wir können dieser These 78 77 78 79

/. Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis, 1872, S. 202. H. P. Smith, The Books of Samuel, ICC, "1951, S. 358. /. Wellhausen, aaO S. 206. B. Luther, in: E. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme, 1906, S. 188.195.

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hier nicht nachgehen. Auf jeden Fall liegt in 20, 8-13 ein Einschub vor, der Joab in ein ganz ungünstiges Licht rückt.80 Da Joab später Gegner Salomos gewesen ist, wird dieser - wie andere Einschübe zuungunsten Joabs - auf höfische Bearbeitung zurückgehen. Diese Einschübe mögen auf Traditionen beruhen, die gegen den als Führer des judäischen Heerbannes in höfischen Kreisen nicht gerade beliebten Joab am Hofe umlaufen mochten. Bezeichnend ist, daß auf diesen Einschub in l.Kön 2, 5.32 Bezug genommen ist, ein Beweis mehr für den sekundären Charakter dieser Stellen. Da auch Simei in 1. Kon 2, 8 mit dem Fluch belastet wird, der uns oben S. 43 f als sekundär erschien, darf man vermuten, daß die Einschübe gegen Joab und Simei in Zusammenhang stehen mit dem Zusatz in l.Kön 2, 5-9, also alle diese Stellen auf eine Bearbeitung zurückgehen. 6. Zweifel an der Ursprünglichkeit erheben sich auch für 2. Sam 14, 2-22, die Episode von der «weisen Frau aus Thekoa», die Joab zu David schickt, um durch den fingierten Rechtsfall, den sie vorträgt, David zur Rückholung Absaloms zu veranlassen. Das Ganze macht in seiner ausgetüftelten Art einen sehr literarischkonstruierten Eindruck. Es ist auch nicht klar, weshalb die Inszenierung dieser Komödie, wie man es genannt hat, nötig erscheint. In 13, 39 wird ausdrücklich von einem Sinneswandel Davids gesprochen: «Und der Geist des Königs verzehrte sich danach, dem Absalom ,zu vergeben';81 denn er hatte sich wegen des Todes Amnons getröstet.» Da dieser Sinneswandel schon vorliegt, ist es überflüssig, David durch eine vorgespielte Komödie zu etwas zu bewegen, was er sowieso will. Ich halte 14, 2-22 für einen weisheitlichen Einschub. Ohne ihn ergibt sich ein guter, straffer Zusammenhang: «l Als Joab, der Sohn der Zeruja, erkannte, daß sich das Herz des Königs Absalom zugewandt hatte, 23 da brach Joab auf, 80

Auch die beiden Stellen 17,25 und 19,14, in denen Amasa erwähnt wird, sind aus literarkritischen Gründen anzufechten. 17,25 unterbricht den Zusammenhang zwischen V.24 und V.26; man sollte erwarten, daß Amasa als Oberbefehlshaber Absaloms eine Rolle im Kampf zwischen den Söldnern Davids und dem Heer Absaloms (18, 6 ff) spielt, aber er wird überhaupt nicht mehr erwähnt. — In 19, 14 liegt eine Doppelung zu V. 13 vor, V. 15 berichtet von der Reaktion der in V. 13 angesprochenen Judäer, knüpft also direkt an V. 13 an; wie Amasa reagiert, wird nicht erwähnt. V. 14 ist also deutlich Einschub, der die Ermordung Amasas durch Joab vorbereiten und motivieren soll: Joab, der als Befehlshaber durch Amasa abgelöst wurde, wird sich an ihm rächen. Dieser Zusammenhang zeigt wiederum, wie überlegt die Überarbeitung verfahren ist. Lies in 13, 39: DiVtZHiO T\VXh ^ - : - : (so Kittel bei Kautzsch).

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ging nach Gesur und brachte Absalom heim nach Jerusalem.» Wie auch in sonstigen Fällen ahnt Joab, was des Königs Wille ist, und erfüllt ihn. Der weisheitliche Einschub, dem man die Freude an der meisterhaften Handhabung der Dialogführung abspürt, ist freilich nicht nur zur Ausschmückung und Unterhaltung bestimmt. Er soll vielmehr zeigen, wie sehr Joab aktiven Anteil an der Rückkunft Absaloms hatte, und damit seine Verantwortung für die folgenden Verwicklungen hervorheben. Die ursprüngliche ThFE sieht Joabs Beteiligung viel undramatischer. Er hat zwischen Vater und Sohn insoweit vermittelt, daß er, den Wunsch des Vaters spürend, den Sohn zurückgebracht hat. Das übrige ist des Vaters Angelegenheit, in die er sich nicht einmischt. Erst auf das größte Drängen Absaloms hin, das fast einer Erpressung gleichkommt, geht Joab als Vermittler zu David. Wenn Joab Absalom zurückholte, so nach der ursprünglichen ThFE nicht um des Sohnes, sondern um des Vaters willen. Die Anekdote von der weisen Frau aus Thekoa stellt die Sache umgekehrt dar, so als ob das Interesse Joabs primär dem Sohn gegolten habe. Diese Wendung bekommt noch eine besondere Note im Hinblick auf den Einschub in 18, 10-14: Joab, der dem König die Rückkehr Absaloms ablistet durch ein Spiel, das er mit ihm treibt, tötet diesen Absalom schließlich mit eigener Hand und gegen das ausdrückliche Gebot des Königs. Sieht man beides zusammen, so wird erst ganz deutlich, welch ungünstiges Bild von Joab durch die Bearbeitung erzeugt wird, und dies ganz gewiß nicht ohne Absicht. In allen behandelten Fällen gehen die beobachteten Spannungen nicht auf verschiedene Traditionen zurück, die der erste Erzähler aufgenommen, aber nicht ausgeglichen hätte. Es liegen auch nicht Parallelerzählungen vor, wie Etssfeldt für manche Stellen angenommen hat.82 Vielmehr haben wir es mit einer nachträglichen Überarbeitung zu tun, die konsequent das Bild Davids und der mit ihm Verbündeten zu ihren Gunsten veränderte und das seiner und Salomos Gegner in malam partem umformte. 82

O. Eißfeldt, Die Komposition der Samuelisbücher, 1931.

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6. Die Thronfolgeerzählung als politische Geschichtsschreibung

Fassen wir die bisherige Untersuchung zusammen, so ergibt sich folgendes: 1. Aus 1. Kon 1-2 läßt sich keine positive Stellungnahme zum Königtum Salomos herauslesen. Die Art, wie seine Inthronisation als Ergebnis einer Intrige von Höflingen dargestellt und wie von der Beseitigung seiner Gegner nach dem Antritt der Herrschaft berichtet wird, muß als eine immanente Kritik an seinem Königtum verstanden werden. 2. Die Erzählung von der Geburt Salomos, als die man die ganze Bathseba-Geschichte auffassen muß - in sich selber ist sie ja nicht von solchem geschichtlichem Interesse, daß sie in das Geschichtswerk aufgenommen werden mußte -, soll Salomo als Kind einer Verbindung kennzeichnen, die durch Ehebruch und Mord zustande gekommen ist. Sie stellt eine deutliche Entmythisierung seines Königtums dar, enthält aber auch ein Urteil gegen das Königtum Davids, das sich von dem altisraelitischen Ethos freigemacht hat. 3. Die Bemerkung «Jahwe liebte ihn» (12, 24) kann gegen diese Auffassung nicht ins Feld geführt werden, wie sie überhaupt für die Deutung des alten Geschichtswerkes nicht herangezogen werden darf, da sie einen späteren Sprachgebrauch spiegelt und sich schon dadurch als Zusatz erweist. Wäre es die Meinung des Autors gewesen, daß Salomo der gottgewollte König ist, so wäre zu erwarten, daß beim Kampf um das Königtum in l.Kön l gerade dieses Argument zugunsten Salomos angeführt worden wäre. Es hätte, etwa im Mund Nathans, den stärksten Eindruck auf David machen müssen. Statt dessen läßt der Autor ganz andere und fragwürdige Argumente vor David ausbreiten. 4. Auch die beiden anderen «Deutestellen», die man zum Beweis dafür angeführt hat, daß die ThFE «unter allen Umständen als ein theologisches Geschichtswerk bezeichnet werden» muß (von Rad, 5. 185 f), können diese Beweislast nicht tragen, da sie einer späteren Überarbeitung zu verdanken sind. In dieser wird u. a. in einer sehr konsequenten Weise darauf hingearbeitet, Ahitophel, der als Seele des Aufstandes erschien, nachträglich moralisch zu vernich-

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ten. Husai dagegen, der nach der ursprünglichen Darstellung durch seine von David bestellte Spionage in Absaloms engster Umgebung das Unternehmen Absaloms und Ahitophels zum Scheitern bringt, wird zum (von Absalom) begehrten Ratgeber gemacht, hinter dem Jahwe steht. Auch so bleibt es sichtlich ein falsches Spiel, das er spielt. Aber der Eindruck, daß er durch schieren Verrat gewirkt hat, wird abgemildert: Ihm steht die Waffe des überredenden Wortes zur Verfügung, und durch sie gibt ihm Jahwe selber Erfolg. Auffallend ist, daß man hier wie auch sonst, soweit wir erkennen können, nicht tiefer in die alte ThFE eingriff (etwa durch Streichungen), sondern sie nur durch Zusätze zu korrigieren suchte. 5. Das ursprüngliche Bild Davids erscheint im Absalom-Aufstand positiver und sympathischer gezeichnet als in Kapitel 11 f und in 1. Kon 1. Freilich ist es auch hier völlig weltlich. So ist des Königs Flucht nicht kopflos, er behält die klare Übersicht und trifft die richtigen Entscheidungen. Indem er die geeigneten Leute in Absaloms Umgebung einschleust und die Spionagetätigkeit Husais und der Priester organisiert, legt er noch auf der Flucht die Grundlage für seinen späteren Erfolg. Seiner arglistigen Schlauheit war, so scheint unser Autor sagen zu wollen, der in seinem Anfangserfolg allzu vertrauensselige Absalom nicht gewachsen. Von Frömmigkeit, Gottergebenheit, Tapferkeit des Königs dagegen berichtet er nichts. Die sind Resultat einer späteren Ubermalung. 6. Auch Joab, der David so treu gedient hat, hat nachträglich dafür büßen müssen, daß er bei dem Thronwechsel auf der falschen Seite stand. Sein an sich schon düsteres Bild wird noch mehr verdunkelt dadurch, daß ihm in einer Überarbeitung die Initiative bei der Rückholung Absaloms zugeschrieben wird, den er dann skrupellos tötet. Ebenso wird ihm die hinterhältige Ermordung Amasas zur Last gelegt. Eine unbefangene Würdigung der ursprünglichen ThFE führt nun meines Erachtens unausweichlich zu dem Ergebnis, daß die beliebte Ausdeutung zugunsten der davidischen Dynastie keinen Anhalt in den Texten hat. Das alte Geschichtswerk ist kritisch eingestellt gegen David und seine Söhne wie gegen seine Lieblingsfrau Bathseba. Es zeigt, wie sich das absolute Königtum Davids freigemacht hat von den Bindungen des altisraelitischen Ethos und Rechts und zu einem dynastischen Denken und Handeln geführt hat, dessen Folgen an verschiedenen negativen Beispielen aufgezeigt werden. Aus ihm resultiert nicht nur die illegitime Einsetzung Salomos in einem «Staatsstreich von oben», es bringt auch die schwersten innenpolitischen und familiären Verwicklungen. Absalom wird nicht nur zum Brudermörder an Amnon, weil er

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sich zur Rache für die Entehrung Thamars verpflichtet fühlt, sondern er beseitigt in Amnon den ihm gegenüber bevorrechtigten Anwärter auf den Thron. Und als er befürchten muß, von David als Thronanwärter übergangen zu werden,83 da schreckt er nicht vor dem Aufstand gegen den Vater und vor dessen Verfolgung zurück. Als Sohn Davids scheint ihm der Anspruch auf den Thron selbstverständlich zu sein. Ebenso denkt Adonja. Mit diesem dynastischen Denken hängt offenbar auch das zusammen, was man «die sträfliche Schwäche Davids seinen Kindern gegenüber» genannt hat, die geradezu «das treibende Moment in der ganzen Geschichte» darstelle.84 Der Fall ist klar: Dachte David dynastisch, so mußte er jeweils in dem ältesten Sohn den Thronfolger sehen. Daher die Nachsicht, wie die in Septuaginta und Vulgata erhaltene, allgemein für ursprünglich gehaltene Bemerkung in 13, 21 andeutet: «Er (David) wollte Amnon nicht wehtun, denn er liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war», d. h. der geborene Thronfolger. Um zu verstehen, was dieses dynastische Denken für das israelitisch-judäische Volk bedeutete, muß man sich klarmachen, daß es ihm ganz neu war und dem Prinzip widersprach, nach dem das Königtum Israels angetreten war. Von Hause aus stand den freien Männern der Stämme die Entscheidung darüber zu, wer über sie König sein solle. Fohrer spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von lange nachwirkenden nomadisch-beduinischen Vorstellungen, die zu einem charismatisch bedingten Wahl- und Vertrags-Königtum geführt hatten.85 Es funktionierte noch bei der Einsetzung Davids: Ein bereits bewährter Mann wurde in freier Entscheidung von den Stämmen als ihr König anerkannt, nicht ohne daß David selbst Bindungen eingehen mußte (2. Sam 2, 4; 5, 3). David aber setzte sich mit der selbstherrlichen Inthronisation Salomos über dieses entscheidende Grundrecht der Stämme Israels hinweg. Freilich scheint er sich der Problematik, die damit verbunden war, bewußt gewesen zu sein, denn seine Haltung in dieser Frage wird zwiespältig und zögernd dargestellt. Auf der einen Seite scheint er, wie wir oben sahen, in seinem jeweils ältesten Sohn den Thronfolger gesehen zu haben. Auf der anderen Seite aber scheute er davor zurück, eine Entscheidung zu treffen, offenbar im Bewußtsein dessen, was für einen Eingriff in das Recht der Stämme die Verfügung des Königs hinsichtlich seines Nachfolgers bedeutete. Anders jedoch dachte man in seiner Familie, und das Vorgehen Absaloms wie Adonjas läßt sich geradezu als Gegenzug 83 84

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Vgl. /. Bright, Geschichte Israels, 1966, S. 197. G. von Rad, S. 179 im Anschluß an H.Schmidt, Die Geschichtsschreibung im AT, 1911, S. 22. G. Fohrer, ZAW 71,1959, S. 19.

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gegen das Zögern des Vaters erklären. Schließlich werden die Skrupel, die David in dieser Hinsicht offensichtlich bis zuletzt hatte, ihm von Nathan und Bathseba ausgeredet. Denn bezeichnenderweise lautet das Hauptargument, mit dem sie David zum Eingreifen zugunsten Salomos bewegen, so, als hätten die Stämme ihr Recht an ihn abgetreten: «Auf dich, mein Herr König, sind die Augen ganz Israels gerichtet, daß du ihnen kundtust, wer sich auf den Thron meines Herrn Königs nach ihm setzen soll» (1. Kon l, 20). Erst auf dieses Argument hin, das der Verfasser sicher mit Absicht Vertretern der Hofpartei in den Mund legt, handelt David. Der Erzähler aber zeigt, was bei solchem dynastischen Denken herauskommt. Nicht ein bewährter Charismatiker gelangt auf den Thron, sondern ein Unbekannter, von dem nichts zu sagen ist, als daß er einer auf Ehebruch begründeten Ehe entstammt, ja vielleicht selbst das im Ehebruch gezeugte Kind ist (vgl. S. 31 f). Und er wird der Ehebrecherin, die zur «Herrin» avanciert ist, ihren Thron zu seiner Rechten stellen (1. Kon 2, 19). So gesehen, stellt die ThFE ein politisches Werk dar, und auf sie ist der Satz von E. Schwartz, den von Rad an zwei Stellen seines Aufsatzes zitiert hat, durchaus anzuwenden: «Die echte, aus der Zeit geborene Geschichtsschreibung wächst immer und überall aus dem politischen Leben, welcher Art und Form es sein möge, heraus.»86 Nur darf man nicht, wie von Rad getan hat, die Voraussetzung für das Entstehen der ThFE vorwiegend in der äußeren Größe des Staatswesens sehen.87 Das führt in die Irre. Es ist doch auffallend, wie in der ThFE jeder Hinweis auf die Größe des Reiches fehlt, dafür aber seine inneren Schwierigkeiten hervorgehoben werden. Nein, wenn man nach einer politischen Voraussetzung der ThFE sucht, so liegt diese in erster Linie in dem politischen Interesse, das die freien Bürger hinsichtlich ihrer Mitwirse E. Schwartz, Ges. Sehr. 1,1938, S. 56. 87 G. von Rad schreibt: «Nur ein Staat, der selbst Geschichte macht, kann Geschichte schreiben. Das kleine Reich Saüls bot weder in machtpolitischer noch in kultureller Hinsicht die Voraussetzung dazu, denn die Geschichtsschreibung ist eine der anspruchsvollsten Früchte menschlichkultureller Betätigung. Sie bedarf, um wachsen und reifen zu können, einer breiten staatlichen Basis und einer politikgesättigten Atmosphäre. Das kleine Reich Sauls, mehr noch auf der Schwelle stehend zwischen einem sakralen Stämmebund und einem wirklichen Staatswesen, bot in keiner Hinsicht einen zureichenden Nährboden für sie. Aber Davids Reich nach der Vereinigung von Nord und Süd, ein Staat von mächtiger Expansionskraft, außenpolitisch gefestigt durch mehrere siegreiche Kriege, innenpolitisch noch voller Probleme — das waren Voraussetzungen, unter denen Geschichtsschreibung wohl entstehen konnte» (S. 176).

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kung an der Gestaltung des Staates beseelt. Sie ist von dem Bewußtsein getragen um das Recht der Mitsprache bei der Besetzung des Thrones, ein Bewußtsein, das während der Regierung Salomos so lebendig war, daß es sofort nach seinem Tod zu entsprechendem Handeln trieb. Indem in imponierender Offenheit gezeigt wird, wohin es führt, wenn dieses Recht mißachtet und die Besetzung des Thrones zu einer Angelegenheit allein der Königsfamilie gemacht wird, wird mit dem Mittel geschichtlicher Darstellung dieses Recht lebendig gehalten. Läßt sich die Deutung zugunsten der davidischen Dynastie nicht aufrechthalten, so auch nicht die These, daß es sich in der ThFE um ein gescbicbtstbeologisches Werk handle, von dem Glauben bestimmt, daß Jahwe hinter der dargestellten Geschichte stehe und sie dem von ihm gesteckten Ziele zuführe. Alle Stellen, die als Argumente für diese Auffassung herangezogen wurden, erwiesen sich uns als spätere Zutaten bzw. Überarbeitungen. Daß man dies nicht erkannt hat, mußte zu einem Fehlurteil über die Geschichtstheologie des alten Geschichtswerkes führen. So wie die Dinge im Alten Testament nun einmal liegen, lassen sich theologische und historische Untersuchungen nicht ohne vorausgehende literarkritische Arbeit durchführen. Sie stehen sonst auf unsicherem Grund oder beruhen auf falschen Voraussetzungen. Es ist eigentlich erstaunlich, wie lange man bei der ThFE diesen in der übrigen alttestamentlichen Literatur allgemein praktizierten Grundsatz vernachlässigt hat.88 Handelt es sich also um eine rein profane Darstellung, und hat E. Meyer schließlich doch schärfer gesehen als die, die dem Werk eine theologische Aussage abgewinnen wollten? Man wird diese Frage doch nicht ohne Einschränkung bejahen können. Für die israelitische Religion ist die wesensmäßige Verbindung von Glauben und Ethos bezeichnend. Darum hat es seine tiefere, über das Politische hinausreichende Bedeutung, wenn mit großer Kühnheit gerade das Ethos der Zeit sichtbar gemacht wird. Einer glanzvollen Epoche und ihrer führenden Schicht wird der Spiegel vorgehalten und die Frage gestellt: Wie steht es mit der Devise: «So tut man 88

Eine scharfsinnige literarkritische Analyse, die mir erst zugänglich wurde, als mir die eigenen Beobachtungen schon feststanden, hat St. A. Cook in AJSLL,XVI, 1899/1900,8. 145-177, vorgelegt. Seine Ergebnisse treffen z. T. mit den meinen zusammen. Cook hat aber seine Analyse eng verkoppelt mit seiner besonderen Anschauung von der chronologischen Entwicklung des Königtums Davids. Es war deshalb für Budde verhältnismäßig leicht, ihn unter ebensolcher Vermischung literarischer und historischer Gesichtspunkte zu widerlegen, so daß Cooks Arbeit kaum Beachtung fand.

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nicht in Israel», die Israels Ethos bestimmen sollte? Das politische Leben läßt sich nach alttestamentlicher Anschauung eben nicht isolieren von Religion und Ethos. Weit entfernt von dem optimistischen Menschenbild der Weisheit, die zur Zeit Salomos ihren Einzug in Israel gehalten hat, wird hier die tiefe Verderbtheit des ganz in weltliche Geschäfte aller Art verstrickten Menschen aufgezeigt. Ist es ein Grundzug der israelitischen Religion, daß es keine Frömmigkeit ohne Ethos gibt, so macht dieses Werk deutlich, wie «unfromm» Israel geworden ist. Es ist sehr bemerkenswert, daß es in der salomonischen Glanzzeit geschrieben werden konnte: Es gab eben Kreise, die sich durch den äußeren Glanz nicht blenden ließen, sondern die tiefen Schäden sahen, die mit der neuen Zeit verbunden waren, und die es wagten, diese Schäden offen beim Namen zu nennen. Manches liest sich wie eine Illustration des Wortes des zeitlich nahestehenden Jahwisten: «Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf» (Gen 8, 21). ]. A. Soggin hat in seinem Aufsatz «Der Beitrag des Königtums zur israelitischen Religion»89 mit Recht darauf hingewiesen, daß die beschleunigte, durch einen äußeren Notstand bedingte Einführung des Königtums mit all dem, was es einschloß, zu «einer traumatischen Wirkung» führte, «die breite Schichten der Bevölkerung erfaßte».90 Die allgemeine Skepsis der Institution und ihren Vertretern gegenüber wehe uns aus den prophetischen Büchern, aus dem Deuteronomium und dem deuteronomistischen Geschichtswerk entgegen. Man muß dieser Aufzählung unbedingt die ThFE hinzufügen, die zu den kritischsten Stimmen gegen das davidische Königtum gerechnet werden muß. Sie ist hervorgewachsen aus einer tiefen Erschütterung, die der an dem angestammten politischen Recht und an dem altisraelitischen Ethos hängende Verfasser angesichts des sich verabsolutierenden, sich über Recht und Ethos des Volkes hinwegsetzenden Königtums empfand. Wo solches Geschehen möglich ist, wie er es beschreibt, da ist Israels Geschick gewiß nicht in den rechten Händen. Wer sich zur Aufgabe gesetzt hatte, dies deutlich zu machen, der wollte nicht nur darstellen, wie es gewesen ist. Damit werden wir auf die Frage geführt, wie die ThFE als Geschichtischreibung zu beurteilen ist. Fast einstimmig hat man in der Forschung ihre wirklichkeitstreue und lebensnahe Schilderung hervorgehoben. «Der Verfasser ist sicher ein Augenzeuge der Geschehnisse und 89

J. A. Soggin, in: Studies in the Religion of Ancient Israel, VTS XXIII, 1972, S. 9-26. ^ J. A. Soggin, aaOS. 10.

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ein Angehöriger des Königshofes gewesen.»91 Aber so pauschal kann man nicht urteilen. Die Augenzeugenschaft des Verfassers muß doch sehr eingeschränkt werden, denn es gibt viele Geschehnisse in der ThFE - und sie sind gerade die entscheidenden -, die ihrer Natur nach keinen Augenzeugen kennen. So spricht gewiß in Kapitel 11 und in Kapitel 13 kein Augenzeuge, weil Verführungen nicht vor solchen zu geschehen pflegen. Auch was zwischen Nathan und Bathseba (l.Kön 1) wirklich gesprochen wurde, wußte niemand. Der Verfasser hat es sich vom Ergebnis her zurechtgelegt. Man sollte also hinsichtlich der Augenzeugenschaft viel vorsichtiger formulieren, als dies im allgemeinen geschieht. Man kann überhaupt ein solches Werk des israelitischen Altertums nicht mit den Maßstäben messen, die man an die Arbeit eines modernen Historikers anlegt. Schon die Beobachtung, daß mehr als die Hälfte des Werkes aus Zwiegesprächen und Reden besteht, macht deutlich, daß es sich hier nicht einfach um Mitteilung von Tatsachen handeln kann, denn jene Reden und Zwiegespräche müssen als freie Schöpfungen des Autors angesehen werden. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Frage der Form, sondern auch des Inhalts, denn beide lassen sich auf dieser Stufe nicht trennen. Aber auch wenn man von Einzelheiten absieht und sich den Gesamtinhalt der ThFE vergegenwärtigt, wird einem ihre Wirklichkeitstreue zweifelhaft. Denn der Verfasser trifft eine Auswahl aus der Geschichte der Zeit, die man nicht einfach mit dem Hinweis auf sein begrenztes Thema erklären kann, sondern die man im Zusammenhang mit seiner Tendenz sehen muß. Von dem König David weiß er nur zu berichten, daß er in eine fremde Ehe eingebrochen ist und den betrogenen Ehemann ermorden ließ; daß er allzu nachsichtig gegen seine Söhne war; daß er vor einem von ihnen, der ihn des Thrones berauben wollte, fliehen mußte; daß er auf der Flucht die hinterlistigen Maßnahmen traf, die jenen Aufstand zum Scheitern brachten, und daß er dann doch leidenschaftlich um den Sohn, der dem Vater nach dem Leben trachtete, trauerte. Nach einem weiteren Kampf um den Thron endlich wieder König in Jerusalem, setzt er, altersschwach, gedrängt und getäuscht von einem intriganten Höfling und der Lieblingsfrau, den Sohn aus jener auf Ehebruch beruhenden Ehe zum Mitregenten und Nachfolger ein. Diese Darstellung ist so negativ oder mindestens distanziert zu den Hauptpersonen eingestellt, daß sie das geschichtliche Faktum 01

Sellin-Fobrer, Einleitung in das AT, "1969, S. 24l, die hier für viele ähnliche Urteile stehe.

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des davidischen Großreiches eher verschleiert oder zum Rätsel macht: Wie konnte unter solchen Umständen und mit solchen Menschen überhaupt ein Großreich entstehen und Bestand gewinnen? Der Verfasser hat nicht nur seine Darstellung «ganz an der Frage der Thronfolge orientiert und stellt schon deswegen... die führenden Personen und die individuellen Antriebe ihres Handelns derart in den Vordergrund, daß darüber das Interesse an der Motivierung des Verhaltens der Massen zu kurz kommt»,92 sondern er ist auch hinsichtlich der «individuellen Antriebe» der von ihm dargestellten Personen von einer Einseitigkeit, die fast an Zynismus grenzt. Edle Motive finden sich nirgends. Sollten sie der Zeit völlig gefehlt haben? Die Frage macht deutlich, daß wir dem Bild, das vor uns entrollt wird, nicht zu sehr trauen sollten. Gewiß haben andere zeitgenössische Kreise die Dinge anders gesehen als unser Autor. Wenn man sich die offenbare Einseitigkeit und Lückenhaftigkeit seiner Darstellung vergegenwärtigt, fühlt man sich an einen Satz von C. H. Carr erinnert, den er in bezug auf unser Bild vom Griechenland des 5. Jahrhunderts v.Chr. - «alles in allem die Vorstellung einer kleinen Gruppe von Athenern» - formuliert hat, der aber auch für andere Bereiche gilt: «Unser Bild ist schon vor uns für uns ausgewählt und bestimmt worden, nicht so sehr durch den Zufall als durch Leute, die bewußt oder unbewußt von einer ganz bestimmten Sicht durchdrungen waren und die Tatsachen, die diese Sicht stützten, des Auf Schreibens wert fanden.»93 Der Verfasser der ThFE steht der Geschichte, die er erzählen will, nicht distanziert gegenüber, sondern bezieht eine ganz bestimmte engagierte Position. Von ihm gilt, was man von den großen antiken Meistern der Historiographie gesagt hat: «Die Geschichte ist ihnen nicht bloßer Stoff, an dem sie mehr oder weniger interessiert und beteiligt sind; sie haben sie zu einem Teil ihrer Seele gemacht und sind willens, dies ihr Erlebnis dem Leser zu vermitteln. Sie wollen nicht oder nicht in erster Linie belehren - denn solche Vorgänge sind nie absolut rein und eindeutig -, sondern die Geschichte so formen, daß der Leser die Erschütterung, die ihnen zuteil geworden, auch seinerseits erlebt.»94 Unser Autor vermittelt die Erschütterung, die er angesichts des absoluten, dynastisch denkenden Königtums empfunden hat, in einer Weise, daß man auch heute noch von dieser Erschütterung ergriffen wird. Es war deshalb ein ganz abwegiger Gedanke, den Verfasser am Hofe in Jerusalem zu suchen. Da ist die Vermutung von B.Duhm schon ein82

A. AU, Kl. Sehr. II, S. 56. «s C. H. Carr, Was ist Geschichte?, 1963, S. 14. 94 E. Howald, Vom Geist antiker Geschichtsschreibung, 1944, S. 8.

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leuchtender, «daß die herrliche Schrift II Sam 10-20 I Reg l 2 aus den intimen Überlieferungen der Familie Abjathar hervorgegangen ist»,95 obwohl sie sich nicht beweisen läßt. Aber jedenfalls hat Duhm richtig empfunden, daß der Verfasser der ThFE nicht unter den Anhängern Salomos gesucht werden kann.96 Erst eine gründliche und konsequente Überarbeitung zugunsten der Davididen hat das Werk in Jerusalem aufnähme- und hoffähig gemacht und geschichtstheologische Motive eingebracht. Daß diese Überarbeitung überaus geschickt vorgenommen wurde, zeigt sich unter anderem daran, daß sie in diesem Jahrhundert viele Forscher bei der Bestimmung der Tendenz der ThFE in die Irre geführt hat. Freilich spielt bei der herrschenden Auffassung auch eine große Rolle, daß man der Michal-Szene 6, 16.20-23 und der Nathan-Weissagung Kapitel 7 entscheidendes Gewicht für die Deutung zuerkannte, weil die ThFE mit ihnen «verzahnt» sei und in ihnen «Einsatz und Absprung unseres Geschichtsschreibers» (von Rad S. 13) vorliege. Diese Hypothese ist von Rost nur schwach begründet worden, alle Späteren, die sie übernahmen und zum Teil weitreichende Schlüsse aus ihr zogen, haben sich, soweit ich sehe, um eine stärkere Begründung nicht bemüht, obwohl inzwischen starke Bedenken gegen Rosts Hypothese erhoben worden waren. Schon 1928 hat O.Eissfeldt in seiner Besprechung des Rostschen Werkes die entscheidenden Einwände formuliert, die bis heute nicht widerlegt sind: «Die Herausnahme von 2. Sam 6, l6.20b-23 und ihre Zuweisung an den Verfasser der Thronfolgegeschichte ist ein einfacher Machtspruch. Statt der Argumentation (S. 105), daß diese Verse in eine Heiligtums-Legende nicht paßten, wäre zu sagen gewesen, daß die Erzählung, mag ihr dem Stoffe nach immerhin ein zugrundeliegen, eben keine Heiligtums-Legende ist. Zudem ist es gar nicht an dem, daß in jenen Versen auf der Mitteilung von Michals Unfruchtbarkeit und ihrer Unfähigkeit, die Mutter des Thronfolgers zu werden, irgendwelcher Nachdruck läge. Vielmehr wird dieser Gedanke nicht einmal angedeutet. Damit bricht nicht nur die These zusammen, daß der Verfasser der eigentlichen Thronfolge-Geschichte die bis dahin selbständige Lade-Erzählung benutzt habe, um in sie den Anfang seiner eigenen Darstellung einzuschieben, sondern auch die an9

« B. Duhm, Jeremia, KHC XI, 1901, S. 3. Noth führt die ThFE auf Kreise in Jerusalem zurück, die zwar das Davidsreich grundsätzlich bejahten, aber Bedenken gegen den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse hatten (vgl. oben S. 13, Anm. 16). Jedoch kann man sich nur schwer vorstellen, daß diese Kreise in dem vom Hof beherrschten Jerusalem ihrer Stimmung in einem solchen Werk Ausdruck geben konnten.

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dere, daß er dann eine ihm vorliegende Nathan-Weissagung als positives Gegenstück habe folgen lassen; ebenso wird der auch sonst bestreitbaren Datierung dieser beiden Unterquellen (Zeit Davids oder Salomos) ein Hauptargument entzogen.»97 Tatsächlich erweisen sich Nathan-Weissagung und ThFE als gegensätzlich. Statt die dynastische Thronfolge, die die NathanWeissagung auf göttliche Setzung gründet, zu bejahen, führt sie die ThFE geradezu ad absurdum. In ihr liegt eine Entmythisierung des davidisch-salomonischen Königtums vor, die nicht nur gegen ein sakrales Königtum im Sinne des Alten Orients gerichtet ist, sondern die auch ein Verständnis des Jerusalemer Königtums im Sinne der Nathan-Verheißung ausschließt. Die ThFE vermag uns deutlich'zu machen, wie das Jerusalemer Königtum von Menschen der ersten und zweiten Generation auch erlebt werden konnte, und bewahrt uns damit vor einer Überbewertung und Glorifizierung des äußeren und inneren Zustandes, der mit dem davidisch-salomonischen Königtum erreicht worden war. Daß die kritische Einstellung des Verfassers zu diesem Königtum nicht nur individuell bedingt war, sondern einer breiten Strömung entsprach, sollte sich nach dem Tode Salomos zeigen, als die Nordstämme ihr Recht an der Besetzung des Thrones in Erinnerung brachten und sich nicht bereit zeigten, die Herrschaft eines Davididen anzuerkennen, ohne daß dieser sich vertraglich band und gewisse Rechte der Stämme anerkannte. Aber das Denken in absoluten Kategorien hatte sich in Jerusalem schon derart verfestigt, daß Rehabeam, von seiner jüngeren Umgebung aufgestachelt, sich zu keinerlei Konzessionen bereitfand. Damit unterschätzte er die kritische Einstellung gegenüber dem Jerusalemer Königtum, die schon in den ersten Regierungsjähren Salomos ihren Ausdruck in der ThFE gefunden hatte und gewiß durch diese am Leben erhalten und verbreitet wurde. Das absolute Königtum entsprach so wenig den israelitischen Traditionen der Nomaden- und Richterzeit und dem von ihnen geprägten politischen Bewußtsein der freien Bürger der Nordstämme, daß diese eher bereit waren, die Auflösung des von David zusammengefügten Großreiches hinzunehmen, als dieses Königtum weiter zu er97

O. Eißfeldf, Noch einmal: Text-, Stil- und Literarkritik in den Samuelisbüchern, OLZ XXXI, 1928, S. 804f. — Im übrigen wird der Anfang der ThFE von verschiedenen Forschern verschieden bestimmt — Kap. 9 oder 10 oder 13 (vgl. z.B. Eißfeldt, Einleitung, »1964, S. 184). M. E. spricht alles für den Beginn in Kap. 10, weil dann die Geschlossenheit des Werkes evident wird: es reicht von der Vorgeschichte der Geburt Salomos bis zu seiner (und seiner Mutter) Thronerhebung.

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tragen. In dieses politische Denken (und Handeln) Israels ist die ThFE einzuordnen. Großartige schriftstellerische Leistung eines Einzelnen, die sie darstellt, ist sie zugleich Ausdruck eines weitverbreiteten Unbehagens. Wir dürfen deshalb annehmen, daß sie ein starkes Echo fand, das es unmöglich machte, sie zu unterdrücken. So ist sie uns, wenn auch mit Überarbeitungen, die sie auch für Jerusalem annehmbar machten, erhalten geblieben. Freilich war auch so ihre kritische Tendenz spürbar genug, weshalb sie vom Chronisten in sein Werk nicht aufgenommen wurde. Nach einer noch immer beachtenswerten These von K. Budde wäre sie - wie andere Stücke der Geschichtsbücher (z. B. Ri 17-21) - von dem deuteronomistischen Redaktor, dem sie anstößig erschien, ausgeschieden und von späterer Hand wieder eingefügt worden.98 Hätte Budde recht, so wäre damit bewiesen, daß auch Dtr sich ihrer kritischen Einstellung zu David und seinem Haus bewußt war. Doch kann auf jene These Buddes hier nicht näher eingegangen werden. Stellt die ThFE das älteste Zeugnis der israelitischen Geschichtsschreibung dar, wie allgemein angenommen wird, so bedeutet dies: Am Anfang dieser Geschichtsschreibung steht nicht eine theologische Reflexion, die den tieferen Zusammenhängen nachdenkt und in ihnen göttliche Lenkung am Werk sieht, sondern die Auseinandersetzung mit einer politischen Entwicklung, die nicht im Einklang stand mit alt-israelitischen Vorstellungen von dem Verhältnis zwischen politischer Führung und Volk. Dieser Gegensatz bestimmte bewußt oder unbewußt die Auswahl der Fakten und ihre literarische Gestaltung. Nicht Objektivität und Neutralität, die Ideale neuerer Geschichtsschreibung, sondern das Eintreten für eine bestimmte Vorstellung von dem, was sein soll, ist ihr Gestaltungsprinzip. Darum muß diese Vorstellung immer als Hintergrund mitgedacht werden, will man den Verfasser in seiner Aussage verstehen. In der Bindung an altisraelitische politische Vorstellungen und altisraelitisches Ethos liegt die Stärke dieses Werkes und zugleich seine Grenze als «Geschichtsschreibung». In den berichteten Einzelheiten wird man sie nur mit Vorsicht als Geschichtsquelle heranziehen dürfen. Als Ganzes genommen ist sie jedoch insofern ein hervorragendes Geschichtszeugnis, als sie allein durch ihre Existenz eine kritische zeitgenössische Einstellung zum davidisch-salomonischen Königtum als sicheres historisches Faktum erweist. 98

K. Budde, Samuel, KHC VIII, 1902, S. XI. - Für Ri 17-21 hat M.Noth, Überlieferungsgeschichtlkhe Studien I, 1943, S. 54 Budde zugestimmt: «Ri 17—21 hat anerkanntermaßen nicht mit zum Werke von Dtr gehört, sondern ist später eingefügt worden.» Hinsichtlich der ThFE äußert sich Noth nicht zu Buddes These.

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Prophetisches Wort und Geschichte in den Königsbüchern Zu einer These Gerhard von Rads I.

A. H. J. Gunneweg, dem dieser Beitrag in herzlicher Verbundenheit gewidmet ist, hat in seiner Hermeneutik »Vom Verstehen des Alten Testaments«, 1977, kurz die verschiedenen Versuche dargestellt, die heilsgeschichtliche Konzeptionen entwickelten bis hin zur These »Offenbarung als Geschichte«, und hat über sie geurteilt: »Bei näherem, nüchternem Zusehen zeigt sich aber, daß das begeisterte und begeisternde System der Hoffnungstheologie und auch die Geschichtstheologie überhaupt auf sehr schmaler und nicht tragfähiger exegetischer Basis steht. Davon daß >die neuere alttestamentliche Theologie gezeigt< habe, daß Gott sich >auf die Weise der Verheißung und in der Verheißungsgeschichte< offenbare (Moltmann), kann keine Rede sein« (167). Einen wichtigen Anstoß zu den verschiedenen Konzeptionen über den Zusammenhang von Wort Gottes (Weissagung oder Verheißung) und Geschichte gab G. von Rad. Er hat in Teil B seiner »DeuteronomiumStudien« (2. Auflage, 1948) »die deuteronomistische Geschichtstheologie in den Königsbüchern« (S. 52 — 64) dargestellt. Dabei sah er in den dtr, das Deuteronomium als Maßstab zugrundelegenden Beurteilungen vergangener Zeiten und Könige die »Frage nach dem Gehorsam« als das »eine grundlegende Element der dtr. Geschichtsschreibung« (S. 54). Neben diesem »subjektiven Koeffizienten« steht aber nach v. Rad »noch ein anderer, ein objektiver«, der die Frage »nach dem Wie des göttlichen Handelns in der Geschichte« beantwortet. Es bestehe nämlich »ein Korrespondenzverhältnis von Jahwes Wort und der Geschichte in dem Sinne, daß Jahwes einmal gesprochenes Wort (hier denkt von Rad an die »schweren Drohungen und Flüche« Dtn 28,15 ff, für den Fall des Ungehorsams)1 kraft der ihm eigenen Mächtigkeit unter allen Umständen in der Geschichte zu seinem Ziele kommt« (S. 55). Noch wesentlich deutlicher lasse sich diese Vorstellung rekonstruieren an jenem »System von prophetischen Weissagungen und genau vermerkten Erfüllungen, das über das Werk des Dtr. ausgebreitet ist« (S. 55). Von Rad hat diese prophetischen Weissagungen und Erfüllungsvermerke zusammengestellt und sie dahin gedeutet, daß mit ihnen »eigentlich Vgl. G. von Rad, Theologie des Alten Testaments I, 1957, 338; 8. Aufl. 1982, 352.

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eine Geschichte des schöpferischen Wortes Jahwes« (S. 64) dargestellt werden sollte. »Was ihn (sc. Dtr) fesselte, das war sozusagen das Funktionieren des / göttlichen Wortes in der Geschichte«. Und: »Nur dieses JahweWort ist es also, das dem Phänomen der Geschichte Zusammenhang und Zielstrebigkeit gibt, das die vielgestaltigen Einzelphänomene zu einem ganzen zusammenschließt. So zeigt Dtr in beispielhaft gültiger Weise, was Heilsgeschichte im AT ist: nämlich ein Geschichtsablauf, der durch fortgesetzt hineingegebenes richtendes und rettendes Jahwe-Wort gestaltet und auf eine Erfüllung hin bewegt wird« (S. 64). In seiner »Theologie des Alten Testaments« sieht von Rad aufgrund jener Stellen noch prononcierter bei Dtr »ein gesteigertes Interesse an dem instrumentalen Wie der göttlichen Geschichtslenkung« 2 am Werk. Während es der älteren Geschichtsschreibung (von Rad denkt hier besonders an die Thronfolgeerzählung 2 Sam 9 — 20; l Kon 1—2) um das Daß der göttlichen Geschichtslenkung ging, hat sich bei Dtr der »Gegenstand des theologischen Interesses verschoben! Das Daß der Geschichtslenkung steht für Dtr außer allem Zweifel; aber daß Jahwe durch sein Wort die Geschichte lenkt, das wird dem Leser geradezu eingehämmert«. 3 Die Interpretation von Rads, die, auf das Ganze AT übertragen, in den Sätzen zusammengefaßt werden konnte: »Das AT ist ein Geschichtsbuch. Es stellt eine von Gottes Wort gewirkte Geschichte dar« 4 , hat eine breite Aufnahme gefunden und zu weitreichenden theologischen Folgerungen geführt. 5 / 6 Hinsichtlich dessen, was von Rad in den »Deuteronomium-Studien« als den »subjektiven Koeffizienten« der dtr Geschichtsschreibung bezeichnete, muß / man ihm zustimmen: Die »Frage nach dem Gehorsam«, der gemessen wird an den Forderungen des Deuteronomiums, ist zweifellos ein wichtiges Element der dtr Geschichtsschreibung, besonders bei dem prophetischen und nomistischen Dtr (DtrP und DtrN). Aber kann man auch von einem »objektiven Koeffizienten« in dem von von Rad gezeichne2 3

4

5 (>

A.a.O. 1957, 340; 1982, 354. Ebd. G. von Rad, EvTh 12 (1952/53) 17 (= C. Westermann (Hg.), Probleme alttestamentlicher Hermeneutik, TB 11, I960, 11). Vgl. A. H. J. Gunneweg, Vom Verstehen des Alten Testaments (ATD.E 5), 1977, 153 ff. Im verwandten Sinne, wenn auch etwas vergröbert, hat W. Dietrich, Prophetic und Geschichte (FRLANT 108), 107 f. den Tatbestand in Kon formuliert, wenn er davon spricht, daß es DtrP, dem die meisten Ankündigungen und Erfüllungsvermerke zuzuschreiben sind, um die Rolle ging, »die seiner Meinung nach die Prophetic in der Geschichte Israels spielte. Diese Geschichte ist für ihn nichts anderes gewesen als das Wirkungsfeld zukunftsmächtigen Prophetenwortes. Kein wichtiges Ereignis ... tritt aufgrund irgendwelcher außenpolitischer, soziologischer, personal bedingter oder ähnlicher Konstellationen dieser Art ein, sondern weil Jahwe es durch einen Propheten hat ankündigen und festmachen lassen«.

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ten Sinne sprechen? Was die »schweren Drohungen und Flüche« von Dtn 28,15 ff. angeht, so wird von den Dtr nirgendwo in Kon ein Ereignis ausdrücklich als Auswirkung jener Flüche gedeutet.7 Aber auch hinsichtlich der prophetischen Weissagungen mit ihren genau vermerkten Erfüllungen erheben sich Zweifel, ob sie von dem Dtr im Sinne eines »objektiven Koeffizienten« gemeint waren, als Aussagen über das »instrumentale Wie der Geschichtslenkung« oder ob es in diesen Worten nicht doch um etwas anderes geht. II.

Um diese Frage zu beantworten, sollen im folgenden die in Betracht kommenden Stellen im einzelnen analysiert werden. Dabei folge ich im wesentlichen der Zusammenstellung von Rads in seinen DeuteronomiumStudien. 1. In 2 Sam 7,13 wird gesagt, daß nicht David (V. 5 — 7), sondern sein Nachfolger ein Haus für den Namen Jahwes bauen soll bzw. wird, und in l Kon 8,20 verkündet Salomo, daß er nun als Nachfolger Davids das Haus für den Namen Jahwes gebaut hat. Ob man hier von Weissagung und Erfüllung oder eher von Anordnung und Ausführung sprechen soll, mag offen bleiben. Die Funktion der Worte, zu denen man in 2 Sam 7 die Verse 5b—7,8aoc,8 in l Kon 8 die Verse 17 — 19 hinzunehmen muß, scheint jedenfalls die zu sein, eine Antwort zu geben auf die Frage, warum erst Salomo und nicht schon David den Tempel gebaut habe, eine Frage, die mehrfach behandelt und an einzelnen Stellen verschieden beantwortet wird (vgl. l Kon 5,17 und l Chr 22,8; 28,3). Die Antwort in 2 Sam 7 und l Kon 8 betont: David hatte schon die Absicht gehabt, einen Tempel zu bauen, und diese Absicht hatte Jäh we gutgeheißen, ihre Verwirklichung aber erst für den Nachfolger Davids angeordnet. Das Hauptanliegen ist also nicht, das Funktionieren des Gotteswortes zu erweisen, sondern zu zeigen, daß die Verzögerung des Tempelbaus nicht auf menschliche Nachlässigkeit, sondern auf Gottes Anordnung zurückgeht. Auf diese Weise wird David entschuldigt. 2. In l Kon 11,29 ff. verkündigt der Prophet Ahia in einem mit »So spricht Jahwe« eingeleiteten Wort: Weil Salomo Abgötterei getrieben hat, wird Jahwe / zehn Stämme von seinem Reich losreißen und das Königtum über sie Jerobeam übertragen. Korrespondierend dazu wird in 12,15 die Weigerung Rehabeams, auf die Bedingungen der Norstämme einzugehen, von der die nordisraelitische Tradition zu erzählen wußte, in einem Zusatz 7

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2 Kon 22,19, wo man allenfalls den »Fluch« auf Dtn 28,15 ff. beziehen könnte, ist nachdtr (vgl. E. Würthwein, ATD 11/2, 451 f.). Vgl. zu dieser »Tempelbauschicht« R. Bickert, in: Textgemäß, FS E. Würthwein, 1979, 17.

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von DtrP auf eine Fügung Jahwes zurückgeführt, damit so sein Wort erfüllt werde, das er durch Ahia zu Jerobeam gesprochen hatte. Das Anliegen dieser Worte ist es, die Gründe für den Verlust der Nordreichstämme und für den Übergang der Herrschaft über sie an Jerobeam darzulegen. Die Korrespondenz von Weissagung und Erfüllung ist natürlich nicht zu leugnen; aber damit soll nicht in erster Linie das Funktionieren des Gotteswortes in der Geschichte plausibel gemacht werden, sondern es sollen die politischen Ereignisse, die ein Problem für das israelitischjüdische Geschichtsdenken bildeten, von Gott her mit menschlicher Schuld, die in typisch deuteronomistischen Worten formuliert wird, 9 begründet und damit gedeutet werden.1" 3. In der spätdtr Erweiterung l Kon 13,2a*.b.3 wird der Altar von Bethel durch den Gottesmann aus Juda im Namen Jahwes bedroht: Ein Sproß des Davidhauses, dessen Namen Josia ausdrücklich vermerkt wird, wird durch Verbrennen von Menschengebein den Altar kultisch verunreinigen, d. h. zur Darbietung von Opfern untauglich machen, und damit dem dortigen Kult ein Ende bereiten. Entsprechend wird 2 Kon 23,16 berichtet, daß Josia Menschengebeine aus den Gräbern nehmen und auf dem Altar verbrennen ließ und ihn so verunreinigte »gemäß dem Wort Jahwes, welches der Gottesmann ausgerufen hatte«. Auch hier steht nicht die selbsttätige Wirkmächtigkeit des Jahwewortes im Vordergrund des Interesses, sondern es geht darum, das Vorgehen Josias durch ein vaticinium ex eventu zu legitimieren: die ihm zugeschriebene — historisch unwahrscheinliche — Entweihung des trotz aller Diskriminierungen doch altehrwürdigen Heiligtums von Bethel hatte die Billigung Jahwes, ja war geradezu Vollzug seines Willens. Das prophetische Wort dient auch hier dazu, ein bestimmtes Vorgehen zu rechtfertigen und nicht dazu, eine Geschichtstheologie von dem geschichtsschöpferischen Gotteswort zu belegen. 4. Besonders wichtig für unsere Frage und deshalb ausführlich zu behandeln sind die sogenannten dynastischen Orakel gegen die Nordreichkönige Jerobeam / (l Kon 14,7 ff. - Erfüllung in 15,29), Bascha (16,1 ff. Erfüllung in 16,11 f.) und Ahab (21,21 f.24 - Erfüllung in 2 Kon 10.17.11) Sie zerfallen jeweils in zwei Teile: ein begründendes Scheltwort und ein 9

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Z. B.: Salomo hat Jahwe verlassen und fremde Götter verehrt (V. 33a DtrP); verallgemeinert: »Er wandelte nicht auf Jahwes Wegen, um das zu tun, was recht ist in seinen Augen wie sein Vater David« (33b DtrN). Den gleichen Sinn hat l Kon 11,1—11 (DtrN): Die Schuld Salomos wird breit dargelegt (V. 1—10) und daran in einem Jahwewort die Bedrohung mit dem Verlust der zehn Stämme angeschlossen (V. 11*). G. von Rad, Deuteronomium-Studien, 57, sieht fälschlich die Erfüllung in l Kon 21,27 — 29, einem jungen Zusatz (vgl. E. Würthwein, ATD 11/2, 252 f.).

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Drohwort. Kontingente Ereignisse, die Ausrottung der drei Dynastien, werden nicht nur angekündigt, sondern auch begründet, und diese Begründung ist jeweils von besonderem Gewicht. Die Drohworte wie die Begründungen sind in den drei Fällen weithin gleich formuliert. So lautet die Unheilsankündigung gegen Jerobeam in 14,10 f.: »Darum bringe ich Unheil über das Haus Jerobeams und rotte von Jerobeam aus, was an die Wand pißt, Unmündige und Mündige in Israel, und fege hinter Jerobeams Haus her aus, wie man den Kot ganz und gar ausfegt. Wer von Jerobeam in der Stadt stirbt, den werden die Hunde fressen, und wer auf dem Felde stirbt, den werden die Vögel des Himmels fressen, denn Jahwe hat es gesprochen.« Entsprechend, nur mit kleinen Abwandlungen, lauten die Drohungen gegen Bascha (l 6,3 f.) und gegen Ahab (21,21 f.24). Die Begründung geht bei Jerobeam und Bascha aus von der — durch DtrP berichteten — jeweiligen Einsetzung durch Jahwe. Ihr zum Trotz haben beide Könige gegen Jahwe gesündigt, Jerobeam, indem er die Gußbilder von Bethel und Dan aufstellte, Bascha, indem er in der »Sünde Jerobeams« wandelte. Die Begründung gibt eine Antwort auf die spätere Geschlechter bewegende Frage: Warum gab es im Nordreich nicht eine »ewige« Dynastie wie die davidische in Juda? Warum wurden Ansätze zu einer Dynastie durch greuliche Mordtaten zunichte gemacht? Die Antwort der Dtr kannte keinen politischen, soziologischen oder ähnlichen Grund, sondern nur einen religiösen: die Sünde Jerobeams. Selbst bei Ahab, wo die Begründung mit dem vorausgehenden Verbrechen an Nabot so nahe gelegen hätte, wird nur allgemein auf kultische Sünden verwiesen: >»Wegen< des Zornes, zu dem du (Jahwe) gereizt hast, und weil du Israel zur Sünde verleitet hast« (l Kon 21,22b). Keine der genannten Königsfamilien, die in diesen prophetischen Orakeln angesprochen werden, kommt ohne Grund, d. h. ohne kultische Verschuldung, zum Erlöschen. Das zu zeigen, ist die Hauptfunktion der dynastischen Orakel, die freilich in anachronistischer Weise argumentieren, indem sie jüngere Forderungen als schon in alter Zeit gültig voraussetzen. Die Begründung für das jeweilige Erlöschen ist wichtig, nicht, daß Jahwe die Geschichte lenkt. Das war für Israel selbstverständlich. Daß er sie aber nach einer bestimmten Norm lenkt und nicht willkürlich, darum geht es DtrP (und Dtr N). Dementsprechend müssen die, die den Sturz vollziehen, als Werkzeuge Jahwes / legitimiert werden. Das ist der Sinn der Erfüllungsvermerke. Ohne sie hätten wir lediglich Berichte über die grausame Ausrottung aus uns nicht genau durchschaubaren, wahrscheinlich machtpolitischen, Gründen (was sie in Wirklichkeit gewesen sein dürften). Es ist noch kurz einzugehen auf zwei historische Folgerungen, die man aus den dynastischen Orakeln hat ziehen wollen:

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a) Von Rad hat aufgrund der Formulierungen in den Drohworten geurteilt: »Daß diese Zitierungen quellenmäßig meist auf wirkliche Prophetenworte zurückgehen, wird man nicht zu bezweifeln brauchen. Dafür spricht die so undeuteronomische, bildergesättigte Redeweise und der Parallelismus membrorum, in dem diese Logien noch teilweise erhalten sind.« 12 Aber daß er dreimal die gleiche Unheilsweissagung gegen drei verschiedene Könige zitiert, zeige, daß diese Quellen für unseren Dtr »nicht sehr reichlich« geflossen sein können. — Angesichts der engen Verknüpfung der genannten Unheilsweissagung mit der vorangehenden rein dtr Begründung wird man jedoch schließen dürfen, daß auch jene eine dtr Schöpfung darstellt, wobei sich freilich DtrP vorliegenden Materials oder umlaufender Redewendungen bedient haben wird.13 Man kann den Dtr durchaus zutrauen, daß sie auch plastisch zu reden verstanden, wo es ihnen angebracht schien. Auf die Art des Auftretens älterer Propheten läßt sich aus den behandelten Stellen kein historischer Schluß ziehen. Was immer die Männer Ahia, Jehu ben Hanani oder Ella waren, in diesen Worten sind sie lediglich Sprecher dtr Kreise. b) A. Alt hat auf die behandelten Stellen die These aufgebaut, das Königtum Israels sei — im Unterschied zu dem Judas — grundsätzlich ein charismatisches gewesen in dem Sinne, daß die jeweilige Herrschaft auf einer von einem Propheten vermittelten Designation durch Jahwe und einer Akklamation durch das Volk beruhte, die nur für den jeweiligen Throninhaber Gültigkeit besaßen14. Die These läßt sich nicht aufrechterhalten und ist heute / weithin aufgegeben. Aus den jetzt als dtr erkannten Stellen lassen sich keine historische Schlüsse ziehen, ja diese Stellen selber rechnen nicht mit einem individuellen charismatischen Königtum, wie es Alt definierte. So gibt DtrN Jerobeam die gleiche Chance einer »beständigen« Dynastie wie David, freilich nur unter der Bedingung des Gehorsams: »Wenn du auf alles hörst, was ich dir befehle, und auf meinen Wegen wandelst und tust, was recht ist in meinen Augen, indem du meine Satzungen und Befehle hältst, wie mein Knecht David getan hat, dann will ich mit dir sein, und dir ein beständiges Haus bauen, wie ich es dem David gebaut habe« (l Kon 11,38). Das zeigt jedenfalls, daß man in diesen 12 13

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G. von Rad, Deuteronomium-Studien, 58. W. Dietrich, a.a.O., 64 ff., hat den Sprachgebrauch von DtrP untersucht und auf aus den sonstigen alttestamentlichen Schriften übernommene Wendungen hingewiesen. Doch darf man kaum nur mit einer so engen Abhängigkeit rechnen; vgl. H. N. Wallace, The Prophetic Oracles Against the Israelite Dynasties, Biblica 67 (1986) 36: »Thus while we can admit that the Dtr editor has composed the oracles against the Israelite dynasties, some older material has been incorporated. However, this is not necessarily evidence for an older prophetic source« (gegen Gray). A. Alt, Das Königtum in den Reichen Israel und Juda, VT 1 (1951) 2-22 (= Ders., Kl. Sehr. II, 116-134).

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dtr Kreisen nicht grundsätzlich die Möglichkeit einer Dynastie von Dauer für das Nordreich ausschließen wollte. Daß man im Nordreich nicht von dem Prinzip eines charismatischen Königtums im Sinne Alts ausging, erweist sich auch daran, daß auf Jerobeam und Bascha ganz selbstverständlich ihre Söhne auf dem Thron folgten. Erst recht ist das bei Omri und Jehu der Fall. Es findet sich bei ihnen keinerlei Hinweis darauf, daß damit ein Grundprinzip des Nordreichkönigtums verletzt würde. Die Dynastiewechsel im Nordreich erfolgten aufgrund der besonderen Verhältnisse dieses im Vergleich zu Juda viel umfangreicheren und komplexeren Reiches, wobei insbesondere die Vielzahl der Stämme und daraus sich ergebende Stammesrivalitäten und Kontroversen in politischen Fragen eine Rolle gespielt haben dürften. Zusammenfassend läßt sich zu den dynastischen Orakeln sagen: Es handelt sich um dtr Schöpfungen. Der Prophet und sein Wort ist in diesen Stellen nicht Instrument der Geschichtslenkung, sondern der Geschichtsdeutung, nicht historische, sondern literarische Figur, durch die diese Dtr den Sinn des Geschehens offenlegen wollen. Überliefert ist eine Reihe von Usurpationen des Königsthrones und Ausrottung aller, die dem Königsgeschlecht zuzurechnen waren, eventuell Ansprüche geltend machen und ihre Anhänger gegen den neuen König ins Feld führen oder auch nur Blutrache üben konnten. Aufgegeben war den Dtr, dieses Geschehen mit Jahwes Willen, der für sie selbstverständlich in der Geschichte des Nordreiches am Werk war, in Einklang zu bringen. Sie taten dies, wie wir gesehen haben, auf zwei Weisen: Sie begründeten einerseits die Beseitigung der Königsfamilie mit dem Ungehorsam des betreffenden Königs und legitimierten damit andererseits das Vorgehen des neuen Königs. Es handelt sich jeweils um die Deutung eines kontingenten Ereignisses, nicht um ein Prinzip der Geschichte. Eine Theologie des schöpferischen Gotteswortes im Sinne von Rads läßt sich damit aus den dynastischen Prophetenorakeln nicht erheben. Wie in den behandelten Worten der Thronwechsel begründet wird, so kann in 2 Kon 10,30 in einem direkt an Jehu gerichteten, nicht durch einen Prophe-/ten vermittelten Jahwewort Jehu die Thronfolge bis ins vierte Glied zugesagt werden, weil er ganz nach Jahwes Willen am Haus Ahabs gehandelt habe. Hier wird einmal durch ein — wahrscheinlich DtrN zuzuschreibendes — Jahwewort die Dynastie über ein paar Generationen hinweg begründet, weil auch das einer Begründung bedürftig empfunden wurde. 5. Als ferneren Beleg für eine Auffassung zieht G. von Rad Jos 6,26 und l Kon 16,34 heran. In Jos 6,26 läßt Josua seine Leute schwören: »Wer Jericho wieder aufbaut, der sei verflucht; um den Preis seines Erstgeborenen wird er den Grundstein legen und um den Preis seines Jüngsten ihre Tore einsetzen«. In l Kon 16,34 findet, in einem Nachtrag angefügt, der Fluch mit dem Tod der beiden Kinder Hiels eine so private

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Erfüllung, daß es gewiß übertrieben wäre, von einem »heilsgeschichtlichen Geschichtslauf« zu sprechen. Bei dem Bezugswort Jos 6,26 handelt es sich überhaupt nicht um ein durch einen Propheten vermitteltes Jahwewort, sondern um eine Verfluchung, die Josua ausspricht und durch einen Eid beschwören läßt. Es liegt also schon in formaler Hinsicht keine »Weissagung« vor. Der Fluch ist, wie auch sonst in der Antike, als wirksames Wort gedacht, als »selbsthandelnd gedachtes Wirkwort« 15 . l Kon 16,34 zeigt, daß dieses Fluchwort wirksam geworden ist. Als Zeugnis für eine besondere Geschichtstheologie können die beiden Worte nicht angeführt werden. 6. l Kon 22,17.34—36: In eine ältere Kriegserzählung, die von dem Tod eines Nordreichkönigs handelt (22,2b —4.29 —37), ist eine Prophetenerzählung eingestellt (22,5 —28a), in der jener Ausgang des Kampfes als von einem Propheten vorausgeschaut dargestellt wird. Der Prophet Micha wird vor einer kriegerischen Unternehmung des Königs von Israel (nach den Hofpropheten, die den Sieg verkündigten) befragt, ob man den Feldzug wagen soll oder nicht. Nach der Ermahnung zur Wahrheit spricht er von einer Vision, die ihm zuteil wurde: »Ich habe ganz Israel gesehen, zerstreut >auf< den Bergen wie Schafe, die keinen Hirten haben«. Dazu empfangt er die Deutung: »Und Jahwe sprach: Diese haben keinen Herrn, Ein jeder kehre zurück zu seinem Haus in Frieden!« (V. 17) Das Unternehmen wird also schlecht ausgehen, der Tod des Königs, von dem die alte Kriegserzählung handelte, wird als prophetisch vorausgesehen dargestellt. Dabei ist das prophetische Wort wie der gesamte Kontext V. 5 —28a von der Gottesbefragung der Jahwekriege her zu verstehen. Es wird »die / typische Frage des Jahwekrieges gestellt: Aufbruch zum Kampf oder nicht« 16 . Es handelt sich also auch hier nicht um ein prophetisches Wort, das die Zukunft gestaltet, sondern um eine Vorausschau, die Micha nach dem Kanon Dtn 18,21 f. als echten Propheten gegenüber den falschen Hofpropheten mit ihrer Heilsverkündigung erweist. Auch diese Stelle darf nicht herangezogen werden zur Konstruktion einer heilsgeschichtlichen Wort-Gottes-Theologie. Es geht vielmehr um die Frage des echten und falschen Propheten, wobei das Problem von der Gottesbefragung der Jahwekriege her entfaltet wird. 22,17 ist wahrscheinlich nachdtr (ATD 11/2, 253 ff.), während V. 34-36 zu einer älteren Sage gehört. 15 16

F. Horst, 3. Aufl. RGG V, 1649. C. Westermann, Forschung am Alten Testament II (TB 55), 1974, 181.

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7. 2 Kön 1,6—16.17: Elija kündigt einem israelitischen König (die Identifizierung mit Ahasja ist wahrscheinlich sekundär) an, daß er nicht mehr genesen wird, weil er anläßlich seiner Erkrankung zu einem anderen Gott als Jahwe zur Befragung gesandt hat. Und der König »starb nach dem Worte Jahwes, welches Elija gesprochen hatte« (V. 17). Es liegt hier eine typische Gottesbefragung im Krankheitsfall vor wie z. B. in l Kön 14. Weil in diesem Falle aber der König sich an einen fremden Gott wendet und damit das erste Gebot verletzt, wird er sterben. Neben dem Drohwort, das dem König den Tod ansagt, darf die Begründung nicht übersehen werden, auf die mit dem typischen Wort pb »darum« verwiesen wird. Denn in dieser Begründung liegt der eigentliche Kern der Erzählung. Der König stirbt nicht, weil ihm Elija den Tod angesagt hat, sondern weil er sich gegen Jahwes Gebot vergangen hat. Dies deutlich zu machen, ist hier Elija eingesetzt. Auch liegt der Vorgang sozusagen im privaten Bereich — jedem anderen Israeliten hätte nach der Moral der Erzählung dasselbe geschehen müssen — , nicht im Bereich einer Heilsgeschichte. Die pädagogische Abzweckung, die Warnung vor Hinwendung zu anderen Göttern, ist ganz deutlich. Diese ganze Erzählung dürfte nachdtr sein17 (vgl. ATD 11/2, 266 ff.). 8. In 2 Kön 21,10 ff. (DtrP, erweitert durch DtrN) läßt Jahwe durch seine Knechte, die Propheten, Unheil über Jerusalem und Juda ankündigen, weil König Manasse Greuel getan und Juda durch seine Götzenbilder verführt hat. Ein Erfüllungsvermerk findet sich in 24,2. An die ältere Notiz, wonach Nebukadnezzar 18 chaldäische und andere Streifscharen gegen Juda losließ, wird erläuternd angefügt, daß sie gesandt waren, um Juda zu vernichten »gemäß dem Wort Jahwes, das er durch seine Knechte, die Propheten, / gesprochen hatte« (24,2). Auch hier ist es wichtig, in 2 Kön 21 das Drohwort nicht von der Begründung zu trennen; man darf es nicht absolut setzen und daraus eine Theologie von dem schöpferischen Wort Jahwes rekonstruieren. Worauf es den verschiedenen Deuteronomisten, die in 21,2 ff. am Werk waren, ankam, war dies: zu zeigen, daß der Untergang Jerusalems und Judas durch die Sünden Manasses, die deshalb — am Deuteronomium orientiert — immer breiter ausgemalt wurden, verursacht war. Diese Sünden konnten, wie ein Hinweis in 2 Kön 23,26 f. besagt, auch durch die frommen Reformen, von denen in 23,1 ff. berichtet wird, nicht wiedergutgemacht werden. Jahwes Zorn über sie blieb bestehen und führte zur Verwerfung Judas wie Jerusalems. Daß darin ein gerechtes Gericht lag und es deshalb zu akzeptieren war, ohne an Jahwe zu zweifeln, das sollte gezeigt werden. Zugespitzt gesagt: Nicht die Worte 17

18

A. Rofe, Beer-Sheva I, 1973, 231 bezeichnet sie als »epigonic legenda«, die spät zu datieren sei. Das von MT überlieferte Wort »Jahwe« ist sekundär (ATD 11/2 2. St.).

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der Propheten, sondern die Sünden Manasses haben den Untergang bewirkt. Diesen Zusammenhang offenzulegen, ist hier die Funktion der Propheten. 19 9. In 2 Kon 22,15 ff. läßt Jahwe die Prophetin Hulda, die anläßlich des Fundes des Gesetzbuches befragt wird, verkündigen, daß er Unheil bringe über diesen Ort und alle seine Bewohner ... »dafür, daß sie mich verlassen und ändern Göttern geräuchert haben, um mich zu reizen mit allen Werken ihrer Hände. Mein Zorn ist entbrannt gegen diesen Ort und wird nicht erlöschen!« Schon der Umfang der einzelnen Bestandteile — kurzes Drohwort und längere Begründung — zeigt, worauf der dtr Verfasser (DtrP) den Ton legt: auf die Feststellung der Schuld. Weil sie so groß ist, kommt es zum Untergang; Jahwe agiert damit nicht als willkürlicher Gott, sondern reagiert mit seinem Zorn auf die Verletzung eines Hauptgebotes. Auch hier führt es zu einer Mißdeutung, wenn man nur das drohende Gotteswort beachtet und nicht seine Begründung, die DtrP besonders wichtig war, weil er damit auf die brennende Theodizeefrage antwortete, wie Jahwe es zum Untergang Judas kommen lassen konnte. Ein ausdrücklicher Erfüllungsvermerk fehlt 20 — es bedurfte eines solchen nicht, da das Unheil vor aller / Augen lag, ja, das Hulda in den Mund gelegte Wort ist von dem Erlebnis der Katastrophe her formuliert. 10. 2 Kon 22,18 —20a: Die Prophetin Hulda vermittelt eine Verheißung Jahwes an König Josia: Weil er sich selbst gedemütigt und Buße vor Jahwe getan hat, wird er zu seinen Vätern versammelt und im Frieden in seinem Grab beigesetzt werden, so daß er nicht das Unheil erleben muß, das Jahwe über Jerusalem bringen wird. Es liegt ein nachdtr Zusatz vor (ATD 11/2, 451 f.), der dem vorzeitigen Tod des frommen Königs Josia, von dem in der dtr Abschlußformel 23,29 f. berichtet wird, eine positive Deutung gibt. Josia hat zwar einen gewaltsamen Tod erleiden müssen, bei dem er wenigstens nach Jerusalem überführt und »in seinem Grab« beigesetzt werden konnte. Es ist ihm aber auf diese Weise erspart worden, den Untergang Jerusalems mitzuerleben und einem Geschick ausgeliefert zu werden, wie es dem letzten König Zedekia bestimmt war. Man kann diese Stelle also nicht dem dtr Weissagungs-Erfüllungs-Schema 19



Auf die Frage, wie es sich geschichtlich mit Manasse verhält, braucht hier nicht eingegangen zu werden (vgl. ATD 11/2, 440 ff.). Wohl aus diesem Grunde hat von Rad in seiner Aufstellung 22,15—17 nicht berücksichtigt. Es ist zu vermuten, daß die Erfüllung nur dort ausdrücklich vermerkt wurde, wo sie — von den Dtr aus gesehen — in der Vergangenheit eingetreten war. Für ihre Gegenwart bedurfte es einer solchen Feststellung nicht. Das gilt auch für die Drohworte an Manasse, die ja mit dem in 2 Kon 24,2 Berichteten keineswegs »erfüllt« waren. — Zu 2 Kon 22,18 — 20 vgl. die folgenden Ausführungen.

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zuordnen. In 23,29 f. fehlt auch ein Rückverweis (Erfüllungsvermerk) auf das Wort in 22,18 —20a, ein Indiz dafür, daß beide Stellen nicht gleicher Herkunft sind, sondern daß 23,29 f. selbständig im Text stand, bevor die Deutung 22,18 —20a eingesetzt wurde.

III. Aus der Einzelanalyse ergibt sich: Nur ein Teil der Stellen, die von Rad in seinen Deuteronomium-Studien aufführt, kommen als Belege für die dtr Auffassung vom Verhältnis des vom Propheten verkündigten Wortes zur Geschichte in Frage. Es sind neben l Kon 11,29 ff. die dynastischen Orakel an Jerobeam L, Bascha und Ahab, die das persönliche Schicksal der genannten Könige bzw. ihrer Familien betreffen; ferner das Drohwort an Manasse sowie die Unheilsweissagung der Prophetin Hulda, die jeweils für ganz Juda Unheil verkünden. Läßt sich diesen Stellen entnehmen, daß die prophetischen Worte als geschichtsschöpferisch gedacht sind, als Instrument der Geschichtslenkung Jahwes und daß die Geschichte von den Deuteronomisten als Heilsgeschichte aufgefaßt wird, als »Geschichtslauf, der durch fortgesetzt hineingegebenes richtendes und rettendes Jahwe-Wort gestaltet und auf eine Erfüllung hin bewegt wird«?21 Gegen solche Auffassung spricht zunächst, daß kein Geschichts/ö«/" von den Worten umfaßt wird: Es sind einzelne — nicht fortgesetzt hineingegebene — Worte, die singuläre Ereignisse betreffen; von einem Geschichtslauf im kontinuierlichen Sinne kann keine Rede sein22 (auch nicht davon, daß / kein Ereignis eintritt, es sei denn von einem Propheten angekündigt23. Die angekündigten Ereignisse sind durchweg unheilvoll, der Begriff //«'/fgeschichte24 ist unangebracht; ebenso ist es irreführend, von einem Verheißungs-Erfüllungsschema zu sprechen, wie das weniger bei von Rad als bei seinen Nachfolgern geschieht. Mit Ausnahme von 2 Kon 10,30 liegen keine Verheißungen, sondern nur Drohworte vor. Die Propheten werden also von den Deuteronomisten nur bei unheilvollen Ereignissen eingesetzt, die sie nun nicht nur ansagen, sondern begründen. Diese enge Verbindung von Begründung und Ankündigung ist charakteristisch und aufschlußreich. Die Prophetenworte weisen damit nicht nur in die künftige Geschichte, sondern ebenso stark in die Vergangenheit, durch die die jeweilige Zukunft bestimmt wird. Beide Aspekte dürfen nicht auseinandergerissen werden. Läßt man die Begründung unberücksichtigt, wie sich das bei von Rad andeutet, so verfehlt man die eigentliche Intention der dtr Geschichtsschau. Daß die Geschichte von 21 22 23 24

G. von Rad, Deuteronomium-Studien, 64. Vgl. auch Gunneweg, a.a.O., 169. Gegen W. Dietrich, vgl. Anm. 4. Zu von Rads Begriff der »Heilsgeschichte« vgl. M. Oeming, Gesamtbiblische Theologien der Gegenwart, 1985, 67, der ihn als »vage, unpräzis, unklar« bezeichnet.

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Jahwe gelenkt wird, das ist ihre eine Voraussetzung. Sie findet ihren Ausdruck in der Ankündigung zukünftiger Ereignisse (die ja für die Dtr bereits in der Vergangenheit eingetreten sind). Aber das dtr Interesse konzentriert sich nun nicht auf die Frage nach dem instrumentalen Wie der Geschichtslenkung — so die Auffassung von Rads — , sondern auf die Frage, nach welchem Maßstab Jahwe handelt (wobei er sich verschiedener Instrumente, z. B. Usurpatoren und fremder Eroberer, bedienen kann). Daß Jahwe mit gutem Grund und nicht willkürlich in der (Unheils-) Geschichte am Werk war, das wollten die Dtr gerade an Ereignissen deutlich machen, die nicht ohne weiteres für die religiöse und nationale Betrachtung als Taten des Gottes Israels einsichtig waren, sondern Zweifel an seiner Macht und Gerechtigkeit erweckten. Es geht um die Frage nach dem Sinn der Geschichte, nicht um die nach dem instrumentalen Wie der Geschichtslenkung. Die Generationen der Dtr, die das Ausgeliefertsein an die Geschichte, die Geschichtlichkeit der Existenz, schmerzlich am eigenen Leib erfahren hatten, wurden verständlicherweise am stärksten von der Frage nach dem Sinn der Geschichte umgetrieben, wie das von jeder Generation gilt, die Ähnliches erlebt hat. Die Antwort wird in den behandelten Prophetenworten in den Begründungen — mit dem Aufweis menschlicher Schuld — gegeben, die ihrerseits an den beiden / ersten Geboten (DtrP) bzw. am deuteronomistischen Gesetz (DtrN) orientiert sind. Der hermeneutische Schlüssel für das Geschichtsverständnis dieser dtr Kreise ist also nicht das geschichtsschöpferische Gotteswort, sondern das Gebot bzw. Gesetz, als dessen Vorkämpfer die Propheten sogar gelegentlich verstanden werden (2 Kon 17,13 ff., DtrN). Historisch gesehen sind die Propheten in den in Frage kommenden Texten literarische Gestalten. Dieses Urteil mindert jedoch nicht die theologische Bedeutung der ihnen zugeschriebenen Logien. Denn in ihnen bringen diese Dtr ihre Überzeugung von dem schon immer herrschenden, geradezu gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen menschlicher Haltung und geschichtlichem Geschehen, zwischen Ungehorsam und gottgesandtem Unheil, zum Ausdruck. Sie wollten damit nicht allein ältere geschichtliche Ereignisse deuten, sondern vor allem ihrer Gegenwart dazu verhelfen, die unglücklichen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit im Glauben zu bewältigen und darauf hinzuwirken, daß man aus der Geschichte lerne und nicht länger im Ungehorsam verharre, dessen Folgen vor Augen lagen. In dieser praktischen Zielsetzung, nicht in der Vermittlung dogmatischer Lehren liegt ihre eigentliche Intention.25 Daß diese verstanden wurde, zeigt die Entstehung des Judentums in seiner spezifischen Struktur. 25

Viele dtr Texte, zu denen die behandelten gehören, erinnern schon an die Charakterisierung des klassischen Judentums durch G. Stemberger (Das klassische Judentum, Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit, 1979, 11): »Judentum ist ja primär nicht eine Religion des Glaubens, sondern des Tuns; Rechthandeln ist wesentlicher als Rechtglauben, auch wenn sich die beiden Bereiche in der Wirklichkeit nicht so klar trennen lassen.«

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Prophetisches Wort und Geschichte in den Königsbüchern

Insofern es in den Prophetenworten um den »Gehorsam« geht, sind sie unter von Rads »subjektiven Koeffizienten« einzureihen. Die Vorstellung von einem »objektiven Koeffizienten« läßt sich jedoch an dtr Texten der Königsbücher nicht verifizieren. Die aus ihr entwickelte These, daß »eigentlich eine Geschichte des schöpferischen Wortes Jahwes« dargestellt werden solle, entbehrt also der exegetischen Grundlage und ist aufzugeben. Beruhte sie vielleicht auf Einflüssen der systematischen Theologie ihrer Zeit?

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DIE ERZÄHLUNG VOM GOTTESMANN AUS JUDA IN BETHEL 1 ZUR KOMPOSITION VON l KON 13

Eine eingehende Analyse des gesamten Kapitels l K o n l 3 , die seinem komplexen Charakter gerecht wird, liegt bisher nicht vor. Zwar bemerkte R. Kittel schon 1900 in seinem Kommentar: "Die Erzählung ist überhaupt nicht ganz einheitlich, also wohl aus verschiedenen Elementen zusammengeflossen". Aber resignierend fügt er hinzu: "Sie streng zu scheiden, ist nicht mehr möglich"1. Erst in neuerer Zeit hat Gray 2 einige Argumente gegen die Annahme einer ursprünglichen Einheit von l Kon 13 vorgebracht. Er weist einerseits hin auf die Diskrepanz zwischen V. 1-6 und 7-32: dort ein prophetischer Protest gegen Jerobeams anmaßendes Amtieren beim Opfer in Bethel, hier die Erzählung von dem Unglücksfall des Propheten aus Juda in der Gegend von Bethel. Außerdem rechnet Gray in V. 11-32 mit späteren Erweiterungen durch V. 14 und 21-25. Aber das sind lediglich Ansätze zu einer Analyse, nur beiläufig und ohne zureichende Begründung vorgetragen, auch zu sehr mit der Frage nach dem historischen Gehalt verknüpft. Klopfenstein 3 hat denn auch gegenüber Gray die ursprüngliche Einheitlichkeit der Erzählung betont, insbesondere die Zusammengehörigkeit der beiden Teile (1-10 und 11-32) hervorgehoben: Der zweite Teil sei ohne den ersten überhaupt nicht zu verstehen, und V. 6 sei auf eine Fortsetzung hin angelegt. "Man wird kaum leugnen können, daß die Erzählung 1. Könige 13 durchaus den Eindruck innerer Geschlossenheit macht" 4 . Auch Noth verteidigt in seinem Kommentar gegenüber Gray die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von 1-10 und 11-32. Beide Teile seien in Stil und Anschauungsweise einander so ähnlich, "daß ihre ursprüngliche Zusammengehörigkeit sich als sehr wahrscheinlich geradezu aufdrängt" 5 . Allerdings charakterisiert Noth einige Zeilen zuvor die Hauptszene (1-10) als "ziemlich kurz" berichtet, das Nachspiel (11-32) als "sehr ausführlich" dargestellt, was nicht gerade für sehr ähnlichen Stil spricht. Lediglich in dem von Noth eingehend analysierten Anfang der Erzählung 13, 1-6 sei "von mehreren Händen ziemlich stark eingegriffen worden. Von 7 läuft sie dann ohne wesentliche Anstöße bis 32 weiter"6. Diese Auskünfte (abgesehen von den Ansätzen Noths in 13, 1-6) halten einer näheren Prüfung nicht stand. Klopfenstein, der so sehr die Einheitlichkeit betont, spricht selber von "der komplexen Traditions-, Gattungs- und

R. Kittel, Die Bücher der Könige, HK 1,5, 1900, S. 113. J. Gray, I & II Kings, The Old Testament Library, 1964, S. 293f; Kittel weist lediglich darauf hin, daß ein Vergleich von V. 11 mit V. 25 und 29 zeige, "daß der Profet von v. 11 im weitern Verlauf der Erzählung nicht als in Betel wohnend gedacht ist und nicht dort begraben wird". M .A. Klopfenstein, 1. Könige 13, Parrhesia. Festschrift K. Barth, 1966, S. 639-672. Klopfenstein, aaO, S. 648. M. Noth, Könige, BK XI, 1968, S. 292. Noth, aaO, S. 293.

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Die Erzählung vom Gottesmann aus Juda in Bethel

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Formgeschichte unserer Erzählung"7 — zweifellos mit Recht. Angesichts dieser Komplexität aber sollte man nicht kapitulieren, wie das zu Kittels Zeiten noch berechtigt gewesen sein mag, sondern mit unseren verfeinerten Methoden den Versuch machen, die komplexe Vorgeschichte der heutigen Textgestalt aufzuhellen. Dies erscheint auch um des exegetischen Verständnisses willen geboten. K. Barth8 hat eine eindrucksvolle Gesamtauffassung vorgetragen, wonach l Kon 13 ein Beispiel"von Gottes "erwählendem" und "verwerfendem" Handeln bildet. Eine eingehende Untersuchung d,er Vorgeschichte wird auch eine Antwort auf die Frage ermöglichen, ob damit das zentrale Anliegen des Gesamtkapitels getroffen ist.

I.

l Kon 13 läßt sich in zwei Teile zerlegen: 1-10 und 11-31 (32) oder, um mit Noth zu sprechen, in eine "ziemlich kurz berichtete Hauptszene im Heiligtum von Bethel und ein sehr ausführlich dargestelltes Nachspiel bei der Rückkehr des aus Juda gekommenen Gottesmannes"9. Diese Teilung wird hier zur Vereinfachung der Untersuchung zugrundegelegt, ohne daß damit über die Frage der Zusammengehörigkeit, die von Gray einerseits und von Klopfenstein/Noth andererseits verschieden beurteilt wird, präjudiziert werden soll. Der erste Teil setzt — wie immer man den Anschluß an Kap. 12 bestimmt (vgl. dazu unten S. 184) — damit ein, daß der König (Jerobeam? ) ein Fest für die Israeliten veranstaltet und dabei priesterliche Funktionen ausübt, indem er den Altar besteigt und das Opfer in Brand setzt. Darin wird offenbar eine Amtsanmaßung gesehen (vgl. u.a. Montgomery, Gray, Klopfenstein). Ein überraschend (wehinne) auftauchender Gottesmann aus Juda bedroht aber nicht, wie zu erwarten wäre, den auf diese Weise sich vergehenden König, sondern den Altar: Der Davidide Josia wird ihn entweihen, indem er die Höhenpriester auf ihm schlachten und Menschengebeine auf ihm verbrennen wird 10 . Gleichzeitig gibt er ein prophetisches Zeichen, das zeigen soll, daß Jahwe hinter seinem Wort steht: Der Altar wird zerrissen, die (heilige) Fettasche verschüttet werden. Auf dieses Drohwort reagiert der König, indem er vom Altar aus mit einer entsprechenden Handbewegung in Richtung des Gottesmannes den Befehl gibt, diesen zu verhaften. Da "verdorrt" seine Hand, er kann sie nicht mehr zurückziehen. Und nun tritt das angekündigte Zeichen ein: Während der König mit der ausgestreckten Hand auf dem Altar steht, zerbirst dieser unter ihm. Ohne jede Bezugnahme auf diesen Zwischenfall bittet der König den Gottesmann um sein Eintreten bei Jahwe, damit seine Hand wieder heil werde. Dieser entspricht der Bitte, die Hand wird wie vorher. Darauf lädt der völlig umgestimmte König den Gottesmann in das "Haus", um ihn zu bewirten und ihm ein Geschenk zu überreichen. Aber der Gottesmann lehnt ab: Jahwe hat ihm verboten, an "diesem Ort" zu essen und zu trinken. Ja, er darf nicht einmal auf demselben Weg nach Juda zurück, auf dem er gekommen ist. "So ging er auf einem anderen Wege und kehrte nicht auf dem Wege zurück, auf dem er nach Bethel gekommen war" (V. 10). Schon diese Inhaltsangabe macht deutlich, daß der erste Teil mit seinen Spannungen und Rissen komplexer Natur ist. Die Analyse setzt vielleicht am besten bei der Szene ein, die nicht in sachgebundenem Zusammenhang mit der Bedrohung des Altars steht, sondern den Eindruck einer selbständigen, in sich selber sinnhaften Legende macht: Der gegen den Gottesmann eingreifende König wird mit einer Lähmung der Hand bestraft und muß nun jenen um Fürsprache bei Jahwe bitten. Damit ist die Überlegenheit des Gottesmannes über den König in doppelter Hinsicht erwiesen: Der König kann ihm nicht nur nichts anhaben, sondern ist auch noch abhängig von seinem fürbittenden Eintreten bei Jahwe. Dies zu zeigen, ist die 7 8 9 10

Klopfenstein, aaO, S. 651. K. Barth, KD /2, 19594, S. 434-453; gesondert in BSt 10, 1955 (mit einem Vorwort von H.-J. Kraus). Noth, aaO, S. 291. Lies in 13,2 mit LXX, S, Vulg. den Singular jiirop statt jii^pü (gegen Noth).

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Die Erzählung vom Gottesmann aus Juda in Bethel

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eigentliche Tendenz dieser Erzählung. Sie stellt eine typische, den Gottesmann verherrlichende Personallegende dar, der man nicht gerecht wird, wenn man sie mit Noth als "Wunderzeichen" auffaßt wie das "Zerreißen" des Altars11. Dazu hat sie zuviel Eigengewicht, weist nicht über sich hinaus, sondern ist in sich selber sinnhaft.' Man vergißt über diesem spektakulären Ereignis ganz das Drohwort gegen den Altar, das nach dem jetzigen Zusammenhang Anlaß für das Eingreifen des Königs ist, zumal auch im ganzen Kap. 13 nicht mehr auf es Bezug genommen wird bis auf V. 32, und auch dort ist fraglich, ob seine Erwähnung zum ursprünglichen Bestand gehört. Die Legende von der Überlegenheit des Gottesmannes über den König könnte mit V. 6 abgeschlossen sein. Die Fortsetzung, wonach der König zu einem Mahl einlädt, kommt überraschend 12 und stellt vielleicht schon eine Erweiterung im Hinblick auf die Fortführung im zweiten Teil dar, ein Bindeglied zwischen den beiden Teilen. Darauf ist später zurückzukommen. Auf jeden Fall liegt in V. 9b.lO eine Wucherung vor, die aus einem Mißverständnis von V. 17 erwachsen ist. Darauf hat schon A.B. Ehrlich13 hingewiesen. Es ist sinnvoll, daß der Gottesmann die Einladung des Königs mit der Begründung ablehnt, Jahwe habe ihm verboten, in Bethel zu essen und zu trinken. Dagegen ist der Hinweis, daß er auf einem anderen Weg zurückkehren müsse, nicht nur in diesem Zusammenhang sinnlos, sondern auch sinnwidrig, weil damit für eine eventuelle Verfolgung vom Gottesmann selber ein wichtiger Hinweis gegeben worden wäre. Die Ausleger haben denn auch diesem Teil der Begründung keinen rechten Sinn abgewinnen können 14 . Dagegen ist es völlig sachgemäß, wenn in V. 17 der Gottesmann gegenüber der Einladung des Nabi, nach Bethel zurückzukehren, sich darauf beruft, daß ihm nicht nur Essen und Trinken, sondern auch die Rückkehr (nach Bethel) verboten sei. Der Einschub 9b,10 beruht auf einem Mißverständnis dieser Worte. Auch der der besprochenen Szene vorausgehende Bestand des ersten Teils ist nicht einheitlich. Er besteht nach der Einleitung aus einem Drohwort gegen den Altar von Bethel (V. 2) und der Ankündigung eines Zeichens, das zeigen soll, daß hinter dem Wort des Gottesmannes Jahwe steht (V. 3) und dessen aisbaldiges Eintreffen denn auch in V. 5 berichtet wird. Die Ankündigung des Zeichens ist jedoch dem Drohwort sekundär zugefügt worden. Das zeigt die Fortführung der Erzählung in V. 3 mit dem in später Zeit üblichen Perfektum mit uwim-copulativum (Aramaismus) 15 und mit der in solchen Zusätzen gern verwendeten losen Formel "an jenem Tage"16 sowie schließlich die störende Unterbrechung des Zusammenhangs von V. 4 und 6, die zu dem grotesken Bild des Königs auf dem berstenden Altar führt. Auch Noth sieht in V. 3 einen Zusatz, Subjekt ist nach ihm jedoch Josia, und wenatan sei futurisch gemeint; V. 5 schreibt er einem noch Späteren zu, der V. 3 fälschlich auf den Gottesmann bezogen habe. Doch scheint V. 5 von Anfang an zu V. 3 zu gehören, dessen Subjekt der Gottesmann ist. Daß für wenatän in 3a "sich nur eine futurische Bedeutung rechtfertigen" lasse17, ist nicht einzusehen. Spätere Zusätze verraten sich oft durch den Gebrauch des Perfektum mit u>ou)-copulativum anstelle des Imperfektum consecutivum. In V. 3 und 5 liegt also ein Zusatz vor, der jünger ist als V. 2. 11

Noth, aaO, S. 293: "das 'Verdorren' der Hand des Königs wird zwar nicht wie das 'Zerreißen' des Altars expressis verbis als 'Wunderzeichen'charakterisiert, ist aber de facto ein solches". 12 Die Behauptung von Klopfenstein, aaO, S. 648, daß V. 6 so sehr auf eine Fortsetzung hin angelegt sei und V.,7 so natürlich an das Vorangehende anschließe, "daß es willkürlich scheint, hier eine künstliche Naht statuieren zu wollen", überzeugt nicht. 13 A.B. Ehrlich, Randglossen zur hebräischen Bibel, Bd. 7, 1914 (1968), S. 24Sf. 14 Vgl. zB Noth, aaO, S. 298: "Das Verbot jeden Kontaktes geht so weit, daß der Gottesmann für die (sofortige) Rückkehr einen anderen Weg als seinen Hinweg nehmen sollte (9b); er war als ein Unbekannter und Unerkannter gekommen und sollte auf seinem Rückweg nicht als ein nun schon Bekannter wiedererkannt werden". 15 Gesenius-Kautzsch, Hebräische Grammatik, 190928, § 112ff; B. Stade, ZAW 5, 1885, S. 291ff = Ausgewählte Akademische Reden und Abhandlungen, 19072, S. 194ff. 199. 16 P.A. Munch, The Expression bajjdm hähü\ is it an Eschatological Terminus Technicus? , ANVAO II, 1936, No. 2, S. 25ff. 11 Noth, aaO, S. 293; vgl. auch Textanm. d.S. 290.

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Die Erzählung vom Gottesmann aus Juda in Bethel

Aber auch V. 2 kann in der heutigen Form nicht als ursprünglich gelten. Das zeigt die Spannung zu der Einleitung: Der König maßt sich priesterliche Funktionen an, aber bedroht wird der Altar, den Josia entweihen wird. Der Akzent wird also vom König auf den Altar verlagert, als ob diesen die Schuld treffe, liegt aber in V. 4 wieder auf dem König. Die Nennung Josias zeigt, daß V. 2 frühestens aus dessen Zeit stammt. Die Annahme liegt nahe, daß hier ein ursprünglich dem König geltendes Drohwort verdrängt wurde durch ein solches gegen den Altar von Bethel, das mit Rücksicht auf die dem Josia in 2 K o n 2 3 , l 5 f f zugeschriebene Maßnahme gegen Bethel formuliert ist18. Die dem ersten Teil von l Kon 13 zugrundeliegende Erzählung läßt sich nach allem etwa so rekonstruieren: Während ein israelitischer König1 in Bethel opfert, kommt ein Gottesmann aus Juda und bedroht den König. Dieser will sich des Gottesmannes bemächtigen (und dadurch das Eintreffen des - Drohwortes verhindern), wird aber durch dessen Wunder geschlagen: Der Gottesmann erweist sich dem König überlegen. Wie viele andere stellt auch diese Legende Gottesmann bzw. Prophet und König einander gegenüber. Später — nach Josia — hat man das Drohwort in ein solches gegen das verhaßte Bethel verwandelt, noch später es mit einer Zeichenhandlung verbunden. Diese Umwandlung entspricht dem Verlauf der Geschichte: Nach dem Untergang des nordisraelitischen Königtums war ein Drohwort gegen einen König nicht mehr aktuell, dagegen hat Bethel noch eine längere Zeit eine Rolle gespielt. Diese Verdrängung des ursprünglichen Drohwortes gegen den König durch ein solches gegen Bethel ist den selben Kreisen zuzuschreiben, die von Josias Maßnahmen gegen Bethel berichteten. Daß das Wort gegen den Altar nur an ein Eingreifen eines äußeren Feindes (so Noth), also sozusagen unabhängig von der Beurteilung Bethels als Stätte eines falschen Jahwekultes, denke, scheint mir unwahrscheinlich. Ebenso Noths Textherstellung, wonach die Drohung ursprünglich lautete: "Altar, Altar! So hat Jahwe gesprochen: Menschengebeine wird man auf dir verbrennen", also ganz unabhängig von Josias Eingreifen gewesen wäre. Diese Textherstellung hängt eng zusammen mit Noths These, der sich auch KlopfenStein angeschlossen hat, wonach es in Israel von früh an Kreise gegeben habe, "die zwar die politische Lösung des Staates Israel von der judäischen Dynastie Davids billigten, nicht hingegen die Trennung von dem Jerusalemer Ladeheiligturh und die kultische Verselbständigung des Staates Israel"20. Gegen diese Auffassung hat J. Debus21 gewichtige Argumente beigebracht. Mit Recht weist er darauf hin, daß sich für das Nordreich nach der Trennung von den Davididen ganz von selbst die Frage nach dem kultischen Mittelpunkt stellte. Es ergab sich für Jerobeam die Aufgabe, für ein neues zentrales Heiligtum zu sorgen, um auch in kultischer Hinsicht die Selbständigkeit des Reiches Israel zu wahren, denn wie im ganzen Alten Orient bedingen sich auch hier politische und religiöse Unabhängigkeit gegenseitig. "Mehr dürfen wir in diesen kultischen Maßnahmen Jerobeams nicht sehen; sie sind die selbstverständlichen Folgen des politischen Schismas"22. Durchaus zutreffend betont Debus auch, daß in 1 2 , 2 6 - 3 1 die kultischen Maßnahmen Jerobeams parteiisch vom Jerusalemer Standpunkt aus dargestellt werden. Unser Bild von den Vorgängen ist durch diesen weitgehend geprägt. Eine historische Betrachtung darf sich diese Jerusalemer Schau der Dinge nicht unkritisch zu eigen machen, wie dies weitgehend geschieht. Man sollte nicht vergessen, daß, von der israelitischen Tradition aus gesehen, die Neuerung durchaus auf Seiten Jerusalems lag und daß auch der Ausbau des dortigen Jahwekultes durch David und Salomo eine akute, offiziell geförderte "Kanaanisierung" darstellte. Es lo

19

20 21 22

Es handelt sich also um ein vaticinium ex eventu, so mit Recht zuletzt wieder J. Lindblom, Prophecy in Ancient Israel, 1962, S. 49. Daß die Gottesmann-König-Legende ursprünglich selbständig war und erst nachträglich mit Jerobeam verbunden wurde, während sie zuvor nur von einem König handelte, darf als sicher gelten. Vgl. dazu Noth, aaO, S. 292, dessen hypothetischer Rekonstruktion des Anfangs: "Es fand ein Fest statt für die Israeliten, und der König stieg in Bethel auf den Altar hinauf, um das Opfer anzuzünden", man sich durchaus anschließen kann. Noth, aaO, S. 294 unter Verweis auf OTS 8, 1950, S. 33ff = Gesammelte Studien, S. 177ff. J. Debus, Die Sünde Jerobeams, FRLANT 93, 1967, S. 40ff. Ders., aaO, S. 41.

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scheint mir nach der obigen Rekonstruktion sicher, daß die ursprüngliche Legende nichts mit einer Gegnerschaft gegen Bethel zu tun hatte. Sie war, wie wir gesehen haben, als Auseinandersetzung zwischen König und Gottesmann in sich geschlossen und bedurfte keiner Fortsetzung.

II.

Der zweite Teil des Kapitels (V. 11-31) ist voller Ungereimtheiten. Ein in Bethel23 wohnender Prophet erfährt von seinen Söhnen oder Jüngern 2 4 , was der Gottesmann getan und was er zu dem König gesagt hat. Der alte Prophet will den Gottesmann nicht unbewirtet ziehen lassen. Er folgt ihm auf einem Esel, holt ihn unter einer Terebinthe ein und bittet ihn zu einer Mahlzeit in sein Haus. Wie früher gegenüber dem König lehnt jetzt der Gottesmann gegenüber dem Nabi die Einladung ab mit der Begründung, es sei ihm durch ein Jahwewort verboten, an diesem Ort (= Bethel) zu essen und zu trinken und an ihn zurückzukehren, nachdem er ihn verlassen habe. Nun gibt sich der Prophet als Prophetengenosse zu erkennen, dem ebenfalls durch ein Jahwewort 25 geboten worden sei, den Gottesmann zurückzubringen und zu bewirten. Eine Bemerkung in V. 18b stellt fest, daß er dabei gelogen habe. Der Gottesmann fällt auf die Lüge herein, kehrt um und läßt sich bewirten. Während der gemeinsamen Mahlzeit erhält der alte Prophet nun ein wirkliches Gotteswort: Weil der Gottesmann aus Juda Jahwes Mund widerstanden und sein Gebot nicht gehalten hat, soll er nicht in das Grab seiner Väter kommen. Wir erfahren nicht, wie der Gottesmann auf dieses Drohwort, das ja zugleich den Nabi als Lügner entlarvt, reagiert. Jedenfalls zeigt er sich nicht erschüttert, sondern beendet in Ruhe die Mahlzeit. Er sattelt seinen Esel26 und verläßt den Ort. Bald darauf fällt ihn ein Löwe an und tötet ihn, rührt aber den Leichnam und den Esel nicht an, sondern bleibt ruhig neben beiden stehen. Die Kunde davon dringt zu dem alten Propheten, und dieser, der letztlich an dem Tode schuldig ist und der ausdrücklich diesen Tod als Strafe für den Ungehorsam des Gottesmannes bezeichnet, macht sich auf, bringt den Leichnam zurück und sorgt für ein würdiges Begräbnis mit der dazu gehörenden Totenklage. Ja, er läßt den Gottesmann in seinem eigenen Grab bestatten und bestimmt, daß er selber nach seinem Tode in dem selben Grab auf der selben Bank 27 , also in direkter Berührung mit dem Gottesmann, beigesetzt werde. Diese Erzählung klingt geradezu zynisch: Der Nabi aus Bethel verführt den Gottesmann durch eine Lüge zum Ungehorsam und bringt ihm dadurch den Tod. Dann aber gibt er sich höchst pietätvoll, stellt sein eigenes Grab für die Bestattung zur Verfügung und sorgt dafür, daß er, der mittelbare Mörder, im Tode mit seinem Opfer vereint wird. Sieht man den Sachverhalt so, ohne fromme Retuschierung, wie sie in den Auslegungen beliebt ist, so muß man dem Urteil Greßmanns zustimmen: "Diese Legende ist, religiös und sittlich betrachtet, minderwertig"28. Aber das widerspruchsvolle Bild des alten Propheten, der erst lügt, indem er sich auf ein nichterhaltenes Gotteswort beruft und dann eines echten Gotteswortes gewürdigt wird, der zweimal die Schuld 23

Gemeint ist wahrscheinlich die Ortschaft Bethel, ca. l km von dem Heiligtum entfernt; vgl. Noth, aaO, S. 299. 24 So faßt J. Fichtner, Das erste Buch von den Königen, Die Botschaft des Alten Testaments 12, I, 1964, S. 207 die Bezeichnung "Söhne" auf, was nach dem Sprachgebrauch möglich ist. 25 Das Gotteswort wird in V. 18 als durch "einen Boten" (= Engel? ) vermittelt bezeichnet. Auf diese Vermittlung darf nicht zuviel Gewicht gelegt werden, entscheidend ist, daß es sich um ein Jahwewort handelt; vgl. auch Fichtner, aaO, S. 207, Anm. 41. 2 * Den Wortlaut kann man auch so verstehen, daß ihm der Nabi, der ihm so übel mitgespielt hat, einen Esel sattelt. Das würde die Spannung zwischen den verschiedenen Aussagen noch deutlicher spürbar machen. 27 Vgl. Noth, aaO, S. 304. 20 H. Greßmann, SAT II, l, 192l 2 , S. 247.

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des Gottesmannes mit scharfen Worten herausstellt und doch im Tod mit dem versagenden Gottesmann vereint sein will, zeigt, daß hier etwas nicht stimmt. Besonders auffallend ist, daß die Reaktion des Gottesmannes auf das ihn bedrohende Jahwewort, durch das doch auch der Prophet in seiner bösen Absicht entlarvt'wird, mit keinem Wort Erwähnung findet. Man könnte mit Noth sagen: "Der Gottesmann konnte dieses Jahwewort nur schweigend hinnehmen" 29 , obwohl dies nicht ausdrücklich im Text steht. Aber die Fortsetzung klingt — auch bei Noth — etwas grotesk: "Er verließ das Haus seines Gastgebers, nicht ohne die Mahlzeit, zu der er eingeladen war, noch beendet zu haben, wie in 23a noch ausdrücklich bemerkt wird" 30 . Hier liegt zweifellos eine Spannung vor, und ihre Lösung ist auf literarkritischem Wege zu suchen: 13,20-22 stellt eine sekundäre Erweiterung dar, die nachtraglich der Legende einen ganz neuen Tenor gegeben hat. Dafür spricht, ganz unabhängig von den vorgetragenen Beobachtungen, daß V. 23 ausgezeichnet an V. 19 anschließt, während die Aufeinanderfolge von V. 22 und 23 einen Gottesmann zeichnet, dem die Mahlzeit wichtiger ist als das Jahwewort. Auch die Wendung wäjehi debar jahwe in V. 20, die sich sonst in l Kon 13 nicht findet (stattdessen immer bidebar jahwe), ist verdächtig. Mit den Versen 20-22 stehen in sachlichem Zusammenhang und müssen deshalb als der ursprünglilichen Legende fremd angesehen werden: in V. 18 der von vielen Auslegern als Glosse'beurteilte Schluß "er log ihm aber vor" und in 26aß.b die ebenfalls angefochtene Charakterisierung des Gottesmannes und die Beurteilung seines Todes als Strafe für seinen Ungehorsam, die ja auch zu dem tatsächlichen Verhalten des Propheten in Widerspruch steht. Denn für einen von Gott Geschlagenen setzt man sich nicht so ein, wie dies der Prophet tut. Sprechen Widersprüchlichkeit und Sprachgebrauch für die Ausscheidung von V. 20-22 auf literarkritischem Wege — nach dem Sinn der Zufügung wird natürlich noch zu fragen sein —, so liegt der Fall bei der Berufung des Gottesmannes auf ein Jahwewort, das ihm verbietet, in Bethel zu essen und zu trinken und dorthin zurückzukehren, etwas komplizierter. Im Sprachgebrauch heben sich die Verse 16-18 (bzw. 79a) nicht so von der Umgebung ab, wie das bei 20-22 zu beobachten war. Insbesondere begegnet hier das charakteristische bidebär jahwe. Trotzdem erheben sich Bedenken gegen die Urpsrünglichkeit. Die Verse 79a wirken wie ein Anhängsel an die Gottesmann-Königslegende. Wollte diese die Überlegenheit des mit Wunderkraft ausgestatteten Gottesmannes über den König zeichnen, so hatte sie ihren Höhepunkt in V. 6: Der König muß um seine Heilung bitten, und der Gottesmann gewährt sie ihm. Das Nachfolgende konnte diesen Eindruck nur herabmindern. Daß die Verse 7-9a eine Verbindung zu der zweiten Erzählung (lIff) herstellen, spricht nicht für deren Ursprünglichkeit; denn die erste Legende dürfte in ihrem Urbestand selbständig gewesen sein (vgl. oben S. 184). Die Verbindung ist also als sekundär zu betrachten. Noths These, "daß vermutlich das Auftreten des Gottesmannes aus Juda in Bethel iiberlieferungsgeschichtlich von vornherein mit dem Prophetengrab bei Bethel zusammenhängt, die Hauptszene also doch von Anfang an auf das Nachspiel hin angelegt gewesen ist"31, ist nach der oben vorgetragenen Analyse des ersten Teils ganz unwahrscheinlich. Überlieferungsgeschichtlich gesehen dürften sowohl 7-9a wie 16-18 sekundär sein32.

23 30 31 32

Noth, aaO, S. 301. Noth, aaO, S. 301. Noth, aaO, S. 292. Auch am Anfang des zweiten Teils ist mit Rücksicht auf die Verschmelzung der zwei Teile geändert worden. In V. lib sind die Sätze "die Worte, die er zum König gesagt hatte, und sie erzählten sie ihrem Vater" schon von Eißfeldt als Zusatz erkannt worden.

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""

Daraus ergibt sich, daß der zweite Teil ursprünglich folgenden Inhalt hatte: Ein Prophet in Bethel bewirtet einen Gottesmann aus Juda. Ak dieser auf dem Heimweg unter wundersamen Begleitumständen von einem Löwen getötet wird 33 , sorgt der Prophet für ein ehrenvolles Begräbnis in seiner eigenen Grabstätte und bestimmt, daß er selber nach seinem Tode mit dem Gottesmann aus Juda vereint wird. Wenn auch die dafür gebräuchliche Schlußformel fehlt (vielleicht weggebrochen ist), so dürfte es sich hier doch um die Ätiologie eines Grabmals handeln, dessen Existenz in 2 Kon 23,17f vorausgesetzt wird und das gleichsam ein Symbol der Gemeinschaft zwischen den Propheten Israels und Judas bildet. Über diese Legende ist eine spätere Reflexion geraten, und dieser sind alle die Ungereimtheiten zuzuschreiben, die wir oben beobachtet haben. Vom judäischen Standpunkt aus war anstößig, daß der Gottesmann aus Juda sein Grab in dem Bereich des so fragwürdigen Bethel gefunden hatte. Wie konnte das geschehen? Man führte es auf eine Schuld des Gottesmannes zurück, der dem ihm gegebenen Auftrag nicht bis zum letzten treu war und dem lügenhaften Propheten, zu dem der fürsorgliche Alte von Bethel nun wird, zum Opfer fiel. Ein Ausgleich mit der alten ätiologischen Legende ist nicht erfolgt. Man hat zumindest bei den Versen 20-22 und 26a0.b den Eindruck, daß die reflektierenden Zusätze in das schon feste, vielleicht schon schriftlich vorliegende Gefüge der ursprünglichen Legende eingearbeitet wurden.

III. Nach der Analyse soll im folgenden in einer Synthete der Versuch gemacht werden, die Entstehung der jetzigen Gestalt der Erzählung l Kon 13 zu rekonstruieren. 1. Ab älteste Schicht ergaben sich uns zwei selbständige Einzelerzählungen: a) die GottesmannKönigslegende; b) die Grabtradition von Gottesmann und Prophet. Beide Einzelerzählungen handelten von einem Gottesmann aus Juda und haben sich deshalb gegenseitig angezogen. 2. In einer zweiten Stufe wurden beide Erzählungen miteinander verbunden durch die Verse 7-9a, die in V. 16-18 aufgenommen werden. Was der Gottesmann dem König verweigert, gewährt er dem alten Propheten, indem er dessen Berufung auf ein Gotteswort anerkennt, ihn also als echten Nabi gelten läßt. Der Nabi aus Bethel wird also vom judäischen Gottesmann als gemeinschaftsfähig gewertet, der König nicht. Diese Tendenz weist auf nordisraelitische Prophetenkreise, denen daran lag, von entsprechenden Kreisen Judas anerkannt zu werden. Einen Beweis dafür, daß es von Anfang an in Nordisrael Kreise gab, die Bethel als Kultstätte ablehnten, darf man freilich darin nicht sehen. Eine Wendung gegen Bethel ist auf dieser Stufe in der Erzählung noch nicht vorhanden. 3. In einer dritten, schon späten Stufe wird über das Verhältnis der beiden Gottesworte - des an den Gottesmann ergangenen und des Wortes, auf das sich der alte Prophet beruft - reflektiert, wobei noch ein Anstoß an der Bestattung des Judäers in Bethel mit im Spiel ist (vgl. qben S. 187). Der Gottesmann hätte sich an das ihm direkt übermittelte Gotteswort halten müssen und sich nicht dem Anspruch des Propheten beugen dürfen. Sein Tod wird als Strafe verstanden. Durch diesen reflektierenden und lehrhaften - ein Prophet hat sich nur an das ihm direkt zuteil gewordene Wort zu halten - Zug erhält die alte, positiv gemeinte Grabtradition jenen gebrochenen und widersprüchlichen Charakter, der Gottesmann wie Prophet in einem Zwielicht erscheinen läßt und der Erzählung, vom religiösen und sittlichen Standpunkt gesehen, Das Wunder besteht darin, daß der Löwe zwar den Propheten tötet, aber den "heiligen" Mann nicht verzehrt; vgl. Lindblom, Prophecy in Ancient Israel, 1962, S. 62: "Prophets as 'men of God' were sacrosanct . . . The story of the disobedient prophet from Judah in I Kings xiii shows that even the wild beasts respected the prophets".

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einen so wenig befriedigenden Charakter verleiht. Im Hintergrund stehen das schwierige Problem, welche von zwei vorliegenden Offenbarungen die wahre ist, und die Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Prophetengruppen, um die wir zB aus dem Buche Jeremia wissen ( J e r l 4 , l 3 f t . ; 2 3 , 9 f f ; 2 7 - 2 9 )34 . Diese Erweiterung ist auf judäische Kreise zurückzuführen. Eine Bedrohung von Bethel ist jedoch auch auf dieser Stufe noch nicht vorhanden. 4. Diese erscheint nun in der vierten und jüngsten Schicht. Aus dem als ursprünglich anzunehmenden Drohwort gegen den König wird ein solches gegen den Altar von Bethel, später erweitert durch ein nur zu diesem Drohwort passendes Zeichen, das, so gut es ging, in das ältere Wunder an dem König eingearbeitet wurde, aber den Erzählungsablauf unterbrechen mußte. Im weiteren Verlauf von Kap. 13 ist diese gegen das Heiligtum von Bethel gerichtete Bearbeitung nicht wirksam geworden; höchstens V. 32 könnte man auf sie zurückführen, doch kann es sich hier auch um einen Zusatz handeln, der eingefügt wurde, weil man eine Bezugnahme vermißte. Daß diese jüngste Stufe nachjosianisch ist, bedarf keines Beweises. Sie setzt das voraus, was man, zu Recht oder Unrecht, vom Handeln Josias in Bethel erzählte. Es ist ihr auch durchaus zuzutrauen, daß sie Josia ausdrücklich nannte. Noth wendet sich zwar gegen eine solche späte Ansetzung des Drohwortes gegen Bethel: nur in der israelitischen Königszeit habe dieses eine solche Rolle gespielt, die das gegen seinen Altar gesprochene Drohwort verständlich mache 35 . Aber dieser Einwand erledigt sich durch einen Blick auf 2 K o n 2 3 , 1 6 , wo in später Zeit — kurz vor dem Exil oder gar im Exil — das Heiligtum von Bethel also so bedeutsam erscheint, daß man es von Josia selbst zerstören läßt. Wie immer es sich geschichtlich mit Bethel in dieser Zeit verhalten haben mag 36 , die Animosität gegen es ist immer noch lebendig und erklärt genugsam ein solches Drohwort.

IV.

• Eine schärfer zusehende Analyse, wie sie im Vorstehenden versucht wurde, macht deutlich, daß in l Kon 13 ein viel komplexeres Gebilde vorliegt — literar- und überlieferungsgeschichtlich gesehen — als man bisher annahm. Diese Analyse läßt den Weg erkennen, auf dem aus zwei ursprünglich selbständigen Einzel34

35 36

Vgl. auch Lindblom, aaO, S. 63f; 'The object of this story was to give this lesson: when a revelation that you have received is contradicted by the revelation of another prophet, you have to obey the divine voice that you have heard yourself. The revelation of another may be untrustworthy. It is not prudent to rely on it." Noth, aaO, S. 294. Gegenüber der Annahme Noths, daß Bethel nach dem Untergang des Nordreiches keine Rolle mehr gespielt habe, erscheint mir die Anschauung Dummermuths, Zur deuteronomischen Kuhtheologie, ZAW 70, 1958, S. 96f der historischen Wirklichkeit bedeutend näherzukommen: "Nur wenn auch nach dem Jahre 722 der Norden kultisch so aktiv war, daß er als Jerusalems Konkurrent empfunden werden konnte, ist die breite Schilderung des späteren Vorgehens des Königs Josia gegen Bethel und die samarischen >6amoiAWohnens< Jahwes >inmitten der Israeliten< an die Bedingung des Gehorsams gegenüber den göttlichen Geboten seitens Salomos (und natürlich dann seiner Nachfolger), in losem Anschluß an die dem David gegebene Zusage von 2 S 7,13 ff.« Die Bindung der Verheißung an den Gehorsam ist typisch spätdtr. 5) I Reg 12,22 — 24: »Da geschah das Wort >Jahwes< an den Gottesmann Schemaja folgendermaßen: Sprich zu Rehabeam ... und zu dem ganzen Haus Juda und Benjamin und zu dem Rest des Volkes: So spricht Jahwe: Zieht nicht hinauf und führt nicht Krieg mit euren Brüdern.« — Die WEF gehört zu dem jungen Abschnitt 12,21 —24, der mit der Nennung von Benjamin neben Juda »eher das Bild der nachexilischen Gemeinde vor Augen« hat.35 Der Gottesmann Schemaja begegnet sonst nur in der Chronik (II Chr 12,5.7). 6) I Reg 13,20: »Während sie zu Tische saßen, erging das Wort Jahwes an den Propheten, der ihn zurückgeholt hatte.« — Der Vers gehört zur Erweiterung durch einen späten DtrN.

32 33

34 35

in den Samuelbüchern, in: Textgemäß. FS E. Würthwein, hg. v. A. H. J. Gunneweg und O. Kaiser, 1979, 9-27 (20), beide DtrP. R. Rendtorff, Das Alte Testament. Eine Einführung, 1983, 183. Donner, Geschichte 209. Vgl. auch T. Veijola, Die ewige Dynastie. David und die Eintstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung, AASEB 193, 1975, 68 ff., und Bickert, Geschichte 18 f. Vgl. Veijola, Dynastie 111 ff., und Bickert, Geschichte 13 f. M. Noth, Könige. Teilband 1: I Kon 1-16, BK IX/1, 1968, 279.

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7) I Reg 16,1 f.: »Und es erging das Wort Jahwes an Jehu wider Bascha folgendermaßen: Weil ich dich aus dem Staub erhoben habe ..., du aber auf dem Weg Jerobeams gewandelt bist ...« — Das Wort gehört einem DtrP, der dem Haus Baschas Unheil wegen kultischer Vergehen ansagt. [8) I Reg 18,31 erwähnt Jakob, an den das Wort Jahwes ergangen war: Israel soll dein Name sein.] Keine dieser Stellen ist alt. Sollten allein die in den Elija-Erzählungen begegnenden Vorkommen dem 9. oder 8. Jh. angehören? Die Übersicht zeigt vielmehr, daß alle mit der WEF eingeleiteten Abschnitte in einen älteren Kontext eingesetzt sind. Diese Einschübe sind dtr Händen zuzuschreiben, die damit schwierige Fragen der Geschichte Israels/Judas zu beantworten suchten: 1) Warum das Königtum Sauls scheiterte (I Sam 15,1 ff.); 2) warum der Bau des Tempels nicht durch David, sondern erst durch Salomo in Angriff genommen wurde (II Sam 7,4 ff.); 3) warum zur Zeit Davids eine Pest wütete (II Sam 24,16), die wegen ihrer Schwere wohl lange in Erinnerung geblieben war; 4) warum die von Jäh we an David gegebene Zusage eines dauernden Wohnens Jahwes in Israel sich nicht erfüllte (weil die Bedingung des Gehorsams nicht erfüllt wurde) (I Reg 6,11 f.); 5) warum Juda den Abfall Israels hinnahm, ohne sich dagegen mit seinen Streitkräften zu wehren (I Reg 12,22 — 24); 6) warum der Gottesmann aus Juda seine Grabstätte in dem wegen seines illegitimen Kultes zu meidenden Betel fand (I Reg 13,20); 7) warum der von Jahwe eingesetzte König Bascha samt seiner Dynastie ausgerottet wurde (I Reg 16,1). In allen diesen Fällen liegt der Grund entweder in einer Schuld, die bestraft wird (Fall l, 3, 4, 6 und 7), oder in einer Anweisung Jahwes (Fall 2 und 5). Diese Deutungen sind von dtr Gedanken bestimmt. Es genügt nicht, nur auf die Terminologie zu achten, auch der Inhalt ist für die Zuweisung von Bedeutung. Auch die Vorkommen der WEF in Elijaerzählungen außerhalb der oben untersuchten Anekdoten weisen nicht auf ein höheres Alter. I Reg. 18,31 ist abhängig von Gen 32,28 und 35,10. Bei beiden Stellen handelt es sich nach C. Westermann36 um spätere Zusätze, Gen 35 von P oder R stammend. — I Reg 21,17 leitet einen typisch dtr (mehrschichtigen) Passus ein. Die Anschauung, daß er von Anfang an zu der in sich geschlossenen Naboterzählung 21,1 — 16 gehört haben müsse,37 ist ein Postulat, das dtr 36

37

BK 1/2, 631 und 673. P. Mommer, Samuel. Geschichte und Überlieferung, WMANT 65, 1991, 158 Anm. 123.

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Denken folgt: Jahwe kann kein Verbrechen ungestraft lassen. Eben darum hat ein Dtr Elija mit seiner Anklage und Drohung auftreten lassen und damit der nordisraelitischen sozialkritischen Erzählung V. l —16 einen versöhnlichen Abschluß zugefügt, den man vermißte. Weisen alle diese Stellen in Sam/Reg auf jüngere dtr Herkunft der WEF hin, so spricht auch der theologische Charakter gegen die Ansetzung schon vor den Schriftpropheten. Zimmerli hat schon beobachtet: »Inhaltlich ist an dieser Formulierung (sc. der WEF) zu erkennen, daß sie von einem schon sehr durchgebildeten Wissen um das >Wort Jahwes< herkommt — soll man von einer in den Prophetenkreisen herausgebildeten prophetischen Wort-Theologie< reden? Es ist nicht vom unmittelbaren Betroffensein durch den Zuspruch des persönlichen Gottes geredet, sondern >das Wort< als eine beinahe objektive Größe mit eigener Einschlagskraft verstanden.«38 Man würde wohl heute aus diesen richtigen Beobachtungen Zimmeriis auf Herkunft aus einem jüngeren theologischen Kreis schließen.39 Was die Vorkommen der WF.F bei Jeremia betrifft, so ist nach neueren Untersuchungen nicht wahrscheinlich, daß ihr Gebrauch auf Jeremia selber zurückgeht. S. Herrmann, der sich zum Alter der WEF m. W. nicht äußert, jedoch mit einem starken dtr Einfluß im Jeremiabuch rechnet, bemerkt zu ihrem Vorkommen: Nach der Beobachtung von P. K. D. Neumann 40 , »daß die WEF erstmalig im Jeremiabuch am Anfang literarischer Einheiten verwendet ist«, liege der Schluß nahe, daß »die Formel nicht aus der Feder Jeremias stammt, sondern eine von der Redaktion bevorzugte Wendung ist«, auch an den Stellen in Jer l —25, »an denen die Formel in Verbindung mit ^K benutzt wird.« 41 Zu dem Vorkommen der WEF in Jer l bemerkt Herrmann: »Ihr Charakter als Element literarischer Gliederung ist immer in Rechnung zu stellen. Das warnt den Exegeten davor, sie inhaltlich übermäßig zu gewichten.«42 Der letzte Satz könnte sich — distanzierend — auf Neumanns von Herrmann angeführte Meinung beziehen, wonach die Funktion der Wendung darin besteht, »ein die konkrete Situation veränderndes Jahwewort zu eröffnen«, das »als eine dynamische Kraft wirkt, die als plötzliches Ereignis in einen Geschehenszusammenhang 38 39

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41 42

Zimmerli, BK XIII/1, 89. Zimmerli weist in diesem Zusammenhang auf Grethers Ausführungen unter dem Stichwort »Dabar als Hypostase« hin. Dieser bemerkt: »So stellt sich schon bei einer der ältesten Redensarten, in denen der dabar Jahwes erwähnt ist (gemeint ist die WEF), die Frage, ob hier schon Anfänge einer Hypostasierung des dabar-Begriffs zu beobachten sind« (O. Grether, Name und Wort Gottes im Alten Testament, BZAW 64, 1934, 151). Vgl. P. K. D. Neumann, Das Wort, das geschehen ist... Zum Problem der Wortempfangsterminologie in Jer I-XXV, VT 23, 1973, 171-217 (hier 181). S. Herrmann, Jeremia, BK XII/1, 1. Lfg., 1986, 44. Herrmann, BK XII/1, 55.

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eingreift und ihm eine andere, unvorhergesehene Richtung gibt.«43 In der Tat bedeutet Neumanns Deutung eine Überinterpretation der Formel, auch wenn er sie einem Kompositor zuschreibt. Alles in allem weisen die angeführten Beobachtungen auf die Zeit nach Jeremia als die Zeit der WEF hin und ihre Verwendung in inhaltlich dtr Texten auf Herkunft aus dtr Kreisen. Man wird die Texte, in denen sie begegnet, auch weiterhin als dtr bearbeitet auffassen dürfen. Das bedeutet, daß die bisher behandelte Komposition (17,2—16; 18,1.2a.l7aba.41 —45) auf einen DtrP zurückzuführen ist. In dieser (ersten) dtr Komposition stand also noch nicht 17,17 — 24 — ein Text, der nach allgemeiner Übereinstimmung als späterer Einsatz angesehen wird; aber sie enthielt auch noch nicht die Obadja-Szene (18,2b—16) und die Erzählung von der Opferprobe (18,17bß — 40*), denn beides wird in der interpretierenden Einleitung in 18,1* noch nicht eingeschlossen. Nun wurde schon früher die Obadja-Szene als sekundäre Erweiterung erkannt (z. B. von H. Gunkel, G. Fohrer, S. Herrmann u. a.); ebenso wurde gesehen, daß die Verse 19—20 eine Überleitung zu V. 21—39 bilden. Insofern ist unsere Auffassung von dem späteren Zuwachs dieser Szenen nicht neu. Der entscheidende Unterschied zu den meisten Untersuchungen der letzten Jahre besteht darin, daß wir die oben zunächst behandelte Komposition sprachlich wie theologisch als (unter Verwendung älteren Materials) dtr gestaltet und damit wesentlich jünger als bisher angenommen beurteilen müssen. Die nach unserer Darlegung noch nicht in ihr enthaltenen Stücke sind in einem noch späteren — dtr oder nachdtr — Stadium eingefügt worden. Es kann also keine Rede davon sein, »daß die Überlieferungseinheit l Kon 17,1 — 19,18.19 — 21 der dtr Redaktion bereits vorlag« und dies gar »über jeden Zweifel erhaben« sein soll, wie zuletzt Hentschel behauptet, wobei er sich darauf berufen kann, daß auch Steck und viele andere der Meinung sind, »die Ausbildung der Elijaüberlieferung dürfte am Ende des 9. Jahrhunderts im wesentlichen zum Abschluß gekommen sein«.44 In Wirklichkeit ist der kleine Komplex, wie wir ihn bisher analysiert haben, als erst von jüngeren dtr Händen gestaltet anzusehen und sind die übrigen Stücke als später eingesetzt zu beurteilen. IV.

Man kann nun fragen: Hat DtrP schon eine zusammenhängende Einheit vorgefunden? Oder mit anderen Worten: Gab es bereits eine vordtr Dürrekomposition, in der die Einzelerzählungen, deren ursprüngliche Selbstän43 44

Neumann, Wort 176. Steck, Überlieferung 134; Hentschel, Elijaerzählungen 45.

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digkeit noch greifbar ist, in einen Zusammenhang gebracht waren? Die Frage dürfte, mit aller Vorsicht, zu bejahen sein. Einen Hinweis auf eine vordtr Dürererzählung kann man in der die erste Anekdote mit der zweiten verbindenden Bemerkung sehen, daß das Wasser des Kerit versiegte, weil kein Regen im Land fiel (17,7), und in der Bitte Elijas um Wasser in 17,10bß — llaba. Elija hätte sich also deshalb nach Sarepta in die Küstenregion begeben, weil es im Ostjordanland kein Wasser mehr gab, und dort zuerst um Wasser, dann Brot gebeten. Das Dürremotiv, das den zwei ersten Erzählungen in ihrem selbständigen Stadium noch fehlte, wäre dann von 18,41 —45 aus, wo es das Hauptmotiv bildet, in jene Erzählungen übertragen worden, wodurch diese zu einem Vorspann zu der Szene 18,41 ff. wurden. Es ist also als möglich oder wahrscheinlich anzusehen, daß die Bildung einer vordtr Dürreerzählung von 18,41 ff. ausging. Nach einer kurzen, heute durch den späten Vers 17,1 verdrängten (s.u.) Einleitung »Es herrschte einmal eine große Dürre« erzählte diese vordtr Komposition davon, wie Elija während der Dürre am Kerit wunderbar ernährt wurde und wie er, als auch im ostjordanischen Bachtal das Wasser versiegte, in das Küstengebiet wanderte, dort eine Witwe mit ihrem Haus ernährte und schließlich zu Ahab aufbrach, um den Regen herbeizubringen. Schon auf dieser Stufe hätten die alten Einzelerzählungen insofern eine gewisse Umdeutung erfahren, als sie zu Gliedern in einem Ereigniszusammenhang, der durch die drei Mal gebrauchte einfache Wendung »Und er ging« (17,5b.lOaa; 18,2a) gebildet war, gemacht wurden. 45 Aber auch auf dieser Stufe ist wie bei den selbständigen Einzelerzählungen von Elija noch als einem Wundertäter bzw. Wundermann die Rede. Er wird wunderbar ernährt, schafft armen Menschen Nahrung durch sein dynamisches Wort und hilft schließlich dem ganzen Land aus der Dürrekatastrophe, die auf dieser Stufe nicht als Strafe, sondern als Unglück verstanden ist. Elija wird also als Wohltäter des ganzen Landes gerühmt, der auch da zu helfen vermag, wo die im Alten Orient hoch eingeschätzte Macht des Königs am Ende ist. Während die Phönizier die Beendigung der Dürre einem Bittgang des tyrischen Königs Ittobaal zuschrieben46, haben die Israeliten sie auf den machtbegabten Menschen Elija zurückgeführt. Demgegenüber hat die Aneignung des Stoffes durch DtrP, die mit dem Begriff »Bearbeitung« oder »Redaktion« fast zu wenig gewürdigt ist, weil sie eine Neuinterpretation darstellt, eine religiöse Vertiefung und 45

46

Ich halte also mit Smend, Wort Jahwes 532 ff. = 145 ff. für möglich, daß DtrP ein vordtr Bestand von I Reg 17—18 als schriftstellerische Einheit vorlag, bestimme allerdings ihren Umfang und Sinn anders als Smend. Zu der vordtr (und ersten dtr) Komposition haben nämlich alle Stellen nicht gehört, die eine Spannung zwischen Ahab bzw. Isebel einerseits und Elija andererseits erkennen lassen. Josephus, Jüdische Altertümer VIII 13,2, der sich auf Menander bezieht.

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Theologisierung zur Folge gehabt. Sie wollte Elija nicht nur als Wundertäter verstanden wissen, sondern als einen Propheten, der von Jahwe auf Schritt und Tritt geleitet und versorgt wurde. In dieser Ausprägung hat DtrP die Elijaerzählungen in die Königsbücher eingestellt. Wenn sie viel mehr Jahweerzählungen als Elijaerzählungen sind, dann ist dies seiner Interpretation zu verdanken. 47 In ihrem Sinn ist allerdings diese Komposition heute entscheidend verwandelt dadurch, daß in einem späten Stadium 17,1 vorangesetzt wurde. Denn durch die dort Elija in den Mund gelegten Worte wird die Dürre aus einem Unglück, aus dem Elija heraushilft (l 8,41 ff.), zu einer Strafe, die durch Elija nicht nur angekündigt, sondern auch bewirkt wird. Das Elijabild dieses Verses ist allerdings ganz anders als das der alten DürreKomposition und das von DtrP. Elija erscheint in 17,1 als mit Ahab verfeindet. Er wird nicht vom »Wort Jahwes« geleitet, wie das bei DtrP der Fall war, sondern verfügt selber über das Wort, das die Dürre bewirkt und beendet. Freilich ist Elija ein »im Dienst Jahwes stehender« Prophet. Aber auch dieser Ausdruck weist in ein jüngeres Stadium. Die Wendung »im Dienst Jahwes stehen« begegnet noch in I Reg 18,15 und II Reg 3,14; 5,16. Sie ist dort einer nachdtr Prophetenschicht zuzuweisen. Alle diese Beobachtungen zusammengenommen sprechen für nachdtr Herkunft von 17,1. Das Drohwort Elijas steht in Zusammenhang mit 16,31 b.32.33, wo Ahab Baalsdienst, Errichtung eines Tempels für Baal und Anfertigung einer Aschera nachgesagt werden. Diese Vorwürfe gehen auf DtrN zurück. 17,1 ist also nach ihnen zu datieren. Während wir in der von DtrP gestalteten Komposition eine dtr Interpretation älterer Tradition vor uns haben, liegt in 18,21—39 eine Lehr-Erzählung vor, die selber aus dtn/dtr Denken und Glauben heraus erwachsen ist. Ihr geht es darum, daß Jahwe als alleiniger Gott erkannt werde (18,37.39) und daß es gilt, ihm allein nachzufolgen. Die Analogie zu dtn/dtr Motiven liegt auf der Hand (vgl. Dm 4,35.39; 6,14; 7,9; 8,19; 11,28; 13,3; 28,14).48 Für die eingangs aufgeworfene Frage nach der Entstehung der Königsbücher sind die Ergebnisse unserer Untersuchung insofern von Bedeutung, als sie zeigen, daß die dort kurz skizzierte Auffassung M. Noths den beobachteten textlichen Verhältnissen nicht gerecht wird. Der Elija-Zyklus konnte nicht von dem Dtr, der die schematische Chronologie verfaßte, in sein Werk aufgenommen werden, weil er ihm noch nicht in fester Form vorlag. Er ist vielmehr erst das Produkt der Arbeit eines DtrP, von dem er in dem oben gezeigten Umfang unter Verwendung älteren 47 48

Vgl. auch Verf., ATD 11/2, 1984. Vgl. Verf., Die Opferprobe Elias I Reg 18,21-39, in: Prophet und Prophetenbuch. FS O. Kaiser, hg. v. V. Fritz, K.-F. Pohlmann, H.-C. Schmitt, BZAW 185, 1989, 277-284.

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Stoffes komponiert und in den Rahmen der Königsbücher eingestellt wurde. Später ist dieser Zyklus noch von verschiedenen Händen erweitert worden. Die Entstehung der Königsbücher erweist sich also als ein komplizierterer Vorgang, als M. Noth in seinem seinerzeit durch seine Einfachheit so beeindruckenden Entwurf annahm, in dem freilich mancherlei Fragen, auch die nach dem Kerygma des Werkes, ungelöst blieben. Für den von uns untersuchten Text erscheint mir in dieser Hinsicht die Beobachtung sehr wichtig, daß der interpretierende Redaktor DtrP das helfende Handeln in Notzeiten von dem Menschen Elija weg auf Jahwe selber verlegt. Wollte er damit nicht auch seinen in Nöten lebenden Zeitgenossen eine entscheidende Botschaft verkünden? Angesichts der neueren Strömungen in der alttestamentlichen Wissenschaft, die für den abgeschlossenen, den »kanonischen« Text als den »gültigen« und damit allein zur Exegese aufgegebenen Text plädieren, und angesichts dessen, daß dieser Endtext auch Ausgangspunkt für die Verkündigung in Predigt und Unterricht ist, mag es als antiquiert erscheinen, sich um die Vorformen dieses Textes zu bemühen und verschiedene Stufen — hier Tradition und theologische Redaktion — herauszuarbeiten. Aber diese Gegenüberstellung ist besonders hilfreich, den Sinn des Endtextes, das, worauf es ihm ankommt und was er verkündigen will, genauer zu erkennen. Gerade bei so wirkmächtigen Gestalten der Tradition wie einem Elija, von dem man Taten erzählt hat, die denen eines Zauberers, eines Wundermannes, wie ihn die meisten Völker kennen, gleichen, liegt die Gefahr nahe, sie — besonders im Unterricht — als reine Wundertaten zu interpretieren und sie einfach als Wundergeschichten nachzuerzählen, ohne zu beachten, daß sie in der Redaktion zu Beispielen für Gottes hilfreiches Handeln an einem und durch einen Menschen geworden sind, Ausdruck des Glaubens an Gottes hilfreiches Handeln in der Welt.49

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Kine erste Fassung dieses Aufsatzes war A. H. J. Gunnewcg zu seinem 60. Geburtstag am 17. 5. 1982 gewidmet.

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Die Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel Otto Eißfeldt zum 75. Geburtstag

I

Mehrere Beobachtungen führen zu dem Schluß, daß wir es in der Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel1 mit einer ursprünglich eigenständigen Tradition zu tun haben, die erst sekundär mit der - aufgelockerten und als Rahmen benützten - Erzählung darüber, wie der Prophet Elia den Regen hemmte und wieder herbeiführte, verwoben wurde. So wird z. B. das Thema der Dürre in der zentralen Karmelszene überhaupt nicht berührt, ja Elia geht mit dem während einer Dürre so kostbaren und lebenswichtigen Wasser recht verschwenderisch um. Er kann sich auch in 1. Kon 18, 22 als den einzigen übrig gebliebenen Jahwepropheten bezeichnen, während kurz zuvor, in V. 13, von hundert geretteten Propheten berichtet wird. Alt und Fohrer haben mit Recht aus solchen Spannungen und Widersprüchen die ursprüngliche Eigenständigkeit der Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel gefolgert2. Die 1

An Kommentaren seien genannt: J.BENZINGER (Kurz. Hand-Corn, z. AT. hrsg. von K.MARTI, A IX) 1899. R.KITTEL (Göttg. Handkom. z. AT. hrsg. von W.NoWACK) 1900. H. GRESSMANN (Die Schriften des AT in Auswahl, II, 1) »1921. A.SANDA (Exeget. Handb. z. AT hrsg. von J.NIK.EL) 1911. O.EISSFELDT (Die Hl. Schrift d. AT hrsg. von KAUTZSCH-BERTHOLET) 41922. S. LANDERSDORFER (Die Hl. Schrift des AT hrsg. von FELDMANN und HERKENNE, III, 2) 1927. MONTGOMERY-GEHMAN (Int. Grit. Com.) 1951. N.H.SNAITH (Interpreter's Bible III) 1954. R. DE VAUX (Jerusalem Bibel) 31958. - Einzelstudien: H.GUNKEL, Ellas, Jahve und Baal, 1906. A.ALT, Das Gottesurteil auf dem Karmel (Festschr. Georg Beer, 1935, S. 1-18 = Kl. Schri., II, S. 135-149). G.FOHRER, Elia (Abh. z. Theol. d. A. u. NT, 31) 1957. O. EISSFELDT, Der Gott Karmel (SAB) 1953. K. GALLING, Der Gott Karmel und die Ächtung der fremden Götter (Geschichte und AT, Festschr. A.Alt, 1953, S. 105-125). H.H.RowLEY, Elijah on Mount Carmel, BJRL43, I960, S. 190-219. D. R. AP-THOMAS, Elijah on Mount Carmel, PEQ 92, 1960, S. 146-155. 2 ALT, II, S.135f.; FOHRER, Elia, S.36f.- EISSFELDT, Gott Karmel, S.32F., räumt zwar ein, daß dem Erzählungskomplex 17, 1-19, 18 eine Reihe selbständiger Einzelerzählungen zugrunde liege, aber jene Einzelerzählungen seien so zu einem größeren Ganzen vereinigt und miteinander verzahnt, daß keine, auch 18, 19-40 und

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Die Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel

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innere Geschlossenheit der Karmelszene darf als weiterer Grund für diese These geltend gemacht werden (s. u. S. 154). Fraglich ist mir jedoch, ob von den genannten Forschern auch der ursprüngliche Bestand richtig abgegrenzt wurde. Auch scheinen sie mir der Frage, wie die Gattung zu bestimmen sei und welche Folgerungen sich aus dieser für die Interpretation ergeben, der Frage also, die für das Verständnis entscheidend ist, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Wir beschäftigen uns zunächst mit der Abgrenzung der ursprünglichen Tradition. a) Die Erzählung setzt ein mit dem Befehl des Propheten an König Ahab, das ganze Volk auf dem Karmel zu versammeln - wozu, wird nicht gesagt (1. Kon 18, 19f.). Alt und Fohrer, die diese Verse zu der ursprünglichen Einheit zählen, gewinnen damit den Ansatz dafür, das Ganze als eine »Haupt- und Staatsaktion« zu beurteilen1. Aber ist die Gestalt des Königs Ahab wirklich in der Karmelszene verankert? Von V. 21 ab ist nicht mehr von ihm die Rede bis zu V. 41, der, auch nach Alt und Fohrer, mit der Karmelszene nichts zu tun hat. Dürfte von dem König geschwiegen werden, wenn er mit dem Geschehen auf dem Karmel so verbunden wäre, daß sein Ausgang »ihn zur Errichtung eines israelitischen Verwaltungsbezirks verpflichtet« (FOHRER, S. 71)? Ein Wort darüber, wie gerade er, der den Baalsdienst in Samaria eingeführt hatte2, sich verhält, als alles Volk, vom Gotteswunder berührt, niederfallt und Jahwe als den Gott anerkennt, wäre zumindest zu erwarten gewesen. Der Erzähler hätte sich kaum die Gelegenheit entgehen lassen, an dem Höhepunkt des Wirkens Elias König und Prophet einander gegenüberzustellen. Ahab hat offenbar ursprünglich nichts mit der Zusammenkunft auf dem Karmel zu tun, und damit entfällt auch die wichtigste Voraussetzung, in ihr eine »Hauptund Staatsaktion« zu sehen (s. u. S. 141 ff.). V. 19 und 20 dienen der Verknüpfung der Karmelszene mit der Begegnung Elia-Ahab, die in V. 41 fortgesetzt wird. b) Für das Verständnis der Erzählung ist es noch von Bedeutung, die Frage nach dem ursprünglichen Textbestand in den V. 30 b bis 32 a zu 19,1—18, herausgebrochen werden könne, »ohne nicht nur das Ganze, sondern auch sich selbst zu beeinträchtigen«. Wenn sich jedoch die ursprünglichen Einzelerzählungen aus dem späteren Erzählungskranz herausschälen lassen, so ist es eine legitime Aufgabe, sie nach ihrem ursprünglichen Sinn zu befragen. Die von EISSFELDT gestellte Aufgabe, den Komplex »als eine höhere literarische Einheit aufzufassen«, soll damit nicht geleugnet werden. Das eine schließt das andere nicht aus. — Vgl. auch ALT, III, S. 276. 1 ALT, II, S. 147; FOHRER, S. 71 f. 2 Vgl. dazu ALT, Der Stadtstaat Samaria (Kl. Schri. III, S. 274ff.).

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klären. Sie lauten: »Da stellte er (Elia) den zerstörten Jahwealtar wieder her. (31) Elia nahm zwölf Steine nach der Zahl der Stämme der Söhne Jakobs, zu dem das Wort Jahwes geschehen war: du sollst Israel heißen. (52) Und er erbaute mit den Steinen einen Altar im Namen Jahwes.« Zunächst dürfen, so die allgemeine Ansicht, in V. 31 die Worte »zwölf« und »nach der Zahl usw.« bis zum Ende des Verses als nachträgliche Erweiterung betrachtet werden. V. 31 b lehnt sich an Gen 35, 10 an1. Der übrig bleibende Text spricht einmal von der Wiederherstellung des Altars, dann von seiner Neuerrichtung. Seine Problematik hat schon R.KITTEL betont: »Der MT, wie er heute lautet, kann unmöglich aus einheitlicher Conception stammen, da 30 b und 32 a sich widersprechen; ist der alte Altar hergestellt, so bedarf es keines neu erbauten.« 2 Man rechnet deshalb an dieser Stelle allgemein mit einer Erweiterung. Eine beliebte Abhilfe ist die Streichung des ganzen V. 31 und von 32 a. Es handle sich um eine »dogmatische Glosse«, die zugesetzt wurde, als man an dem Altar außerhalb Jerusalems vom deuteronomischen Standpunkt aus Anstoß nahm. »Daher soll Elia einen neuen Altar errichtet haben, der nur für den Zweck des Gottesurteils bestimmt und von kurzfristigem Bestand war.«3 Indessen ist auch die umgekehrte Erklärung des Textbestandes möglich, und sie erscheint mir als die wahrscheinlichere. Ich entwickle sie im Anschluß an MONTGOMERY. Dieser vermutet, daß die fraglichen Verse frühe variierende Vorstellungen über den Altar enthalten. »The one (V. 30 b) was of an altar of YHWH's rebuilt, after presumed destruction by Jezebel's fanaticism (cf. 19, 10); however not a single tradition points to any such occupation of Carmel, and a striking point of the story is that Elijah chose Baal's own ground to defy him. The other line of narrative (V. 32 a) makes Elijah build a new altar, and so the original sequence may have been: (V. 31) And Elijah took stones, (V. 32) and he built the stones into an altar in the name of YHWH, the final phrase >in YHWH's name< (omitted by some Gr. texts) phrasing the benediction of the new altar.« 4 In der Tat sieht der Text von V. 30 b »er stellte den zerstörten Jahwealtar wieder her« eher nach einer »dogmatischen Glosse« aus als der andere. Daß selbst Elia, der Eiferer für den wahren Jahweglauben, außerhalb Jerusalems einen neuen Altar erbaut haben soll, das mußte den vom Deuteronomium bestimmten Theologen Kopfzerbrechen bereiten, und 1

H.JUNKER, TThZ 69, 1960, S. 68ff. sucht die V. 30b-52a in ihrer Gesamtheit durch eine mir nicht wahrscheinliche Exegese zu halten. 2 Kommentar, S. 148. 8 FOHRER, S. 15, Anm. 22, ähnlich die meisten Kommentare. 4 MONTGOMERY, Com., S. 304.

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darum wurde die Neueinrichtung in eine JFiecferherstellung verwandelt und damit Elia halb entschuldigt. Das Motiv von den »zerstörten Jahwealtären« (vgl. 19, 10. 14) war bekannt und wurde hier eingetragen. c) Wo Hegt der Abschluß der ursprünglichen Einheit? Gehört V. 40 - die Tötung der Baalspropheten - dazu oder nicht? Die Frage, um die es in der Karmelszene geht, ist die, wer der wahre Gott ist. Sie ist mit V. 59 entschieden, und die Entscheidung wird mit dem wiederholten Bekenntnisruf: Jahwe ist Gott, Jahwe ist Gott! festgehalten. Dieser Ruf paßt so ausgezeichnet als Abschluß der streng auf das Thema konzentrierten Erzählung, daß man in V. 40 doch wohl einen Zusatz sehen muß, der bei der Komposition von Kapitel 17-18 hereinkam. Wenn GALLING bemerkt : »Der rigorose Akt bedarf für ihn (sc. den Erzähler) keiner Rechtfertigung, zumal er zweifellos in ihm das Komplement zu der Behandlung der Jahwepropheten durch Jsebel (1. Kon 18, 13) sah«1, so weist auch das auf späteren Einsatz, denn dieses »Komplement« konnte erst bei der Zusammenarbeitung der Karmelszene mit V. 15 gebildet werden. d) Daß der ursprüngliche Text einige sonstige Änderungen erfahren hat, ist wahrscheinlich. So mag das Gebet Elias erweitert worden sein, auch wenn es nicht sicher gelingen will, Ursprüngliches und später Hinzugekommenes zu trennen. Auch mit einigen deuteronomischen und anderen späteren Wendungen, auf die Fohrer2 hingewiesen hat, mag gerechnet werden. Indessen ändern alle diese Bearbeitungsspuren nichts an dem ursprünglichen Sinn und können hier auf sich beruhen bleiben. Fassen wir zusammen: die ursprüngliche Erzählung setzt - wohl nach einer kurzen Situationsangabe, die bei der redaktionellen Zusammenarbeitung in Wegfall gekommen ist — ein mit der Aufforderung Elias an das Volk, sich zwischen Jahwe und Baal zu entscheiden, und sie schließt mit dem Ruf des Volkes: Jahwe ist Gott. Am Anfang ein verstocktes Schweigen (V. 21b), am Ende ein freudiges Bekenntnis des von der Gotteswirklichkeit überwältigten Volkes (V. 39). Auch diese innere Geschlossenheit darf als Beweis dafür gewertet werden, daß wir es ursprünglich mit einer selbständigen, in sich gerundeten Einheit zu tun haben. II

Welcher Gattung ist diese ursprüngliche Einheit zuzuweisen ? Dies ist die für die Interpretation zentrale Frage, und bevor sie nicht zureichend beantwortet ist, kann die andere nach dem Sinn des Erzählten und sei1 4

GALLING, in: Geschichte und AT, S. 122. Elia, S. 47.

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nem geschichtlichen Gehalt nicht sachgemäß gestellt und beantwortet werden. Im Mittelpunkt steht der Selbsterweis Jahwes in Herrlichkeit an dem von Elia auf dem Karmel errichteten Altar. Ort und Altar haben damit eine sonderliche Auszeichnung erhalten. Derartiges, ist die Meinung der Erzählung, ist nicht auf die Stunde des wunderbaren Eingreifens beschränkt, der Ort bleibt ausgezeichnet, ausgesondert, »heilige Stätte«. Das eben ist der Sinn dieser Verse: von dem zu erzählen, was diesen Ort zu einer Stätte der Jahweverehrung macht. Mit anderen Worten, wir haben es mit der Kultlegende des Jahweheiligtums vom Karmel zu tun1. Dieses Jahweheiligtum wird bestanden haben, bis 734 v. Chr. Tiglatpileser III. das Karmelgebiet samt der israelitischen Küstenebene von Israel loslöste und die assyrische Provinz Du'ru (Dor) errichtete. Aus der Geschichte des Heiligtums erfahren wir nur in 2. Kon 2, 25; 4, 23-25, daß Elisa, der Nachfolger Elias, mit ihm besonders verbunden war und vornehmlich an Neumond und Sabbath dort aufgesucht wurde. Mit ALT darf man daraus auf die dauernde Anwesenheit »einer im Dienste Jahwes stehenden Nabi-Gruppe bei dem. dortigen Heiligtum« schließen2. Ihr wird auch die Ausgestaltung und Tradierung der Kultlegende zuzuschreiben sein. Die These, daß wir es in der Erzählung vom Gottesurteil auf dem Karmel mit einer Kultlegende zu tun haben, ist nicht ganz neu. Schon ALT hat »die nächste Aufgabe« dieser Erzählung darin erblickt, der »Verehrung Jahwes auf dem Karmel als zur Legitimation zu die3 nen« . Aber er hat an dieser Gattungsbestimmung nicht konsequent festgehalten, sondern zugleich in unserer Erzählung eine Art Bericht über eine »Haupt- und Staatsaktion« gesehen, was der Gattung der Kultlegende nicht gerecht wird. Fohrer hat schließlich aus dieser Erzählung eine Fülle geschichtlicher Einsichten gewinnen wollen wie sie der beste Geschichtsbericht nicht reicher geben könnte. Wir werden auf diese geschichtliche Frage noch zurückkommen müssen. III

Es gilt nun, aus der Erkenntnis der Gattung »Kultlegende« die Folgerungen zu ziehen. Zunächst kann von ihr aus das »AVunder« in 1. Kon 18 1

Zu den Kultlegenden der Jahweheiligtümer vgl. CARL A. KELLER, Über einige alttestamentliche Heiligtumslegenden, ZAW NF 26, 1955, S. 141 ff.; und NF 27, 1956, S. 85ff. 2 ALT, II, S. 148, Anm. l; vgl. auch EISSFELDT, Gott Karmel, S. 141, Anm. 1. 8 ALT, II, S. 148.

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sachgemäß gewürdigt werden. Die Erzählung ist in diesem Punkte so knapp wie möglich: »Da fiel das Feuer Jahwes herab und verzehrte das Opfer und die Holzscheite1 und leckte das Wasser im Graben auf« (V. 38). Die meisten Exegeten haben sich viele Mühe gegeben, die Realität dieses Geschehens zu erweisen. Mehr der Kuriosität halber sei die Auslegung erwähnt, die das Feuer einer Veranstaltung Elias zuschreibt: er habe nicht Wasser, sondern leicht entflammbares Erdöl ausgegossen, das durch die Sonnenstrahlen entzündet wurde2. Kennett meint sogar, Elia habe durch Aufstellung eines Metall Spiegel s, der wie ein Brennglas wirkte, noch nachgeholfen3. So rettet man das reale Geschehen um den Preis eines frommen oder vielmehr unfrommen Betrugs. Rationalisierend klingt auch die Erklärung, die N. H. SNAITH in »Interpreter's Bible« vorgetragen hat. Er meint, es könne sich um einen Gewittersturm gehandelt haben, der in dem halbtropischen Gebiet mit ungeheurer Heftigkeit die Trockenperiode beende. Aber er will damit das wunderbare Element nicht beseitigen. »The real point of the incident is that the lightning, if indead it was actually lightning, came at that particular time apparently in direct response to Elijah's acted (water pouring) and spoken prayer. The Hebrew conviction was that whenever the thunder and the lightning come, they are sent by God, but that there are special occasions such as this one when he sends them for a particular purpose. The miracle consists in this coincidence gemeinschaftsmäßige Verhaltensweise 4 " ' -^ Bötfirr · beginnen, stehen sachlich und stilistisch hart nebeneinander. Tatsächlich hinkt v. 5 nach: Der Feldzug ist beschlossen, bevor überhaupt an eine Gottesbefragung gedacht wird. Noch auffälliger ist, daß dieser Gottesbescheid, der mit den diametral entgegengesetzten Antworten der 400 Hofpropheten und des Micha ben Jimla die Beteiligten in Ratlosigkeit und Schwanken versetzen müßte, an dem beschlossenen Unternehmen nichts ändert. Der »fromme« Josaphat (vgl. I Reg 22 43), der die Befragung angeregt und durch die — doch wohl mißtrauische — Frage nach einem anderen Propheten weitergeführt hat, nimmt zu dem zwiespältigen Ergebnis überhaupt nicht Stellung. Die Befragung ist eine Episode, die ohne Einfluß auf den Gang der Dinge ist. Die Verse 29ff. nehmen mit keinem Wort Bezug auf sie. Dies ist um so befremdender, als in den Versen 5-28 Micha mit seinem Unheilswort ganz den sachlichen Mittelpunkt zu bilden scheint. Mit v. 29 verschwindet er aber völlig aus der Erzählung. Was ist aus H. S. GERMAN, The Books of Kings, 1951, S. 336, vergleicht die Erzählung mit Kap. 18, beurteilt sie aber als »superior in its historical verisimilitude«.

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ihm geworden, kam er wieder aus dem Gefängnis ? Sollte eine Erzählung, die ganz an ihm interessiert ist, wie das gewöhnlich für den gesamten Komplex 2b-37 vorausgesetzt wird, nicht ein Wort darüber gesagt haben ? Oder sollen die Tatsachen für sich allein sprechen und dem Leser begreiflich machen: Sein Wort hat sich so handgreiflich erfüllt, daß es stilwidrig wäre, dies noch besonders zu betonen, während anderseits sein persönliches Schicksal, gemessen an seinem Auftrag, das wahre Wort Jahwes zu verkündigen, so belanglos ist, daß man kein Wort mehr darüber erwarten darf? Man darf immerhin darauf hinweisen, daß das sonst nicht die Haltung solcher Prophetenerzählungen ist, sondern daß gern ausdrücklich das Eintreffen des Prophetenwortes und damit die Legitimierung des Propheten ausgesprochen wird. Nicht einmal der deuteronomistische Geschichtsschreiber, bei dem das Schema von Weissagung und Erfüllung eine so große Rolle spielt6, hat hier die günstige Gelegenheit zu einem ausdrücklichen Hinweis wahrgenommen, wie er das sonst tut. II.

Nimmt man unter Ausscheidung von 5-28 die Verse 2b-4. 29-37 als eine ursprüngliche und in sich geschlossene Einheit, so erhebt sich die Frage nach ihrem Sinn, die von der nach ihrer Gattung nicht getrennt werden kann. Der Inhalt läßt sich in Kürze so umschreiben: Der König von Israel fordert Josaphat von Juda zur Beteiligung an einem Feldzug auf. Dieser erklärt sich bereit, und so ziehen beide Könige gegen Ramoth in Gilead. Um sich zu schützen, verkleidet sich der israelitische König vor dem Kampf, weist aber Josaphat ausdrücklich an, in seinen königlichen Gewändern in das Treffen zu ziehen. Josaphat fügt sich widerspruchslos, obwohl die Maßnahme ihn gefährden muß, weil sich jetzt natürlich der feindliche Angriff auf ihn konzentrieren wird. Aber das Schicksal ereilt den Listigen. Josaphat entzieht sich der Verfolgung, indem er sich zu erkennen gibt, während der israelitische König durch einen reinen Zufall getroffen wird. Als er sich infolge seiner Verwundung aus dem Kampf zurückziehen will, erweist sich das als unmöglich, weil die Kampflage es nicht zuläßt. So verblutet er und stirbt am Abend, womit der Feldzug entschieden und beendet ist. Was ist der Sinn dieser Erzählung? Haben wir es mit einem geschichtlichen Bericht zu tun, dessen Thema etwa gar das tapfere Ende des Königs Ahab bildet? Dies erscheint aus zwei Gründen ausgeschlossen: Erstens wird in dieser ganzen Einheit (2b-4. 29-37) der Name des Königs überhaupt nicht genannt, sondern immer nur von dem »König von Israel« gesprochen. Zwar legt der Zusammenhang nahe, 6

G. VON RAD, Deuteronomium-Studien, 19482, S. 55ff. (= Gesammelte Studien zum Alten Testament, 1958. S. 192ff.).

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daß der Redaktor an den König Ahab gedacht hat, denn diese Erzählung ist ja in den Komplex über Ahab eingestellt. Aber nun ergibt sich — und dies ist das zweite Argument, das gegen die historische Zuverlässigkeit spricht —, daß König Ahab wohl überhaupt nicht den Schlachtentod gestorben ist. Denn in v. 40 heißt es von ihm: »Dann legte sich Ahab zu seinen Vätern«, welche Formel bei einem gewaltsamen Tod nicht gebraucht wird. Auf diesen Widerspruch hat schon G. KÖLSCHER hingewiesen7. Aber auch der ganze Tenor der Erzählung spricht dagegen, daß hier ein historischer Bericht vorliegt. Das Hauptmotiv ist vielmehr dies, daß der, der sich durch eine List retten will, zugrunde geht, während der durch die List gefährdete Waffengefährte mit dem Leben davonkommt. Es liegt hier also das Motiv von dem betrogenen Betrüger vor. Zwar ist oft behauptet worden, daß diese Erzählung Ahabs Tapferkeit und Standhaftigkeit bis zum Tode hervorhebe, ihn also in einem ganz anderen, nämlich günstigen, Lichte zeige als die Eliaerzählung und das Urteil des Deuteronomisten8. Ich glaube, daß hier ein Mißverständnis vorliegt. Denn der König bleibt ja nicht freiwillig im Kampf, sondern nur deshalb, weil sich in dem Schlachtgetümmel sein Befehl an den Wagenlenker, ihn aus den Schlachtreihen herauszuführen, nicht verwirklichen läßt. Weiter übersieht diese positive Beurteilung, daß sich der König gegen seinen Waffengefährten ganz unloyal verhält, denn er mußte ja voraussehen, daß seine List diesen gefährden würde. Auch charakterisiert ihn diese List eher als feig denn als tapfer. So wird der König von Israel in dieser Erzählung nicht positiv, sondern eher gehässig dargestellt. Das zeigt aber, daß hier nicht ein Stück einer Ahabbiographie vorliegt, die womöglich auf seine Umgebung zurückzuführen wäre, sondern daß hier aus feindlicher Stimmung gegen die Könige von Israel erzählt wird. Man kann sich gut vorstellen, daß diese Erzählung in Juda entstanden ist als eine Reminiszenz an die Zeit, da die judäischen Könige Vasallen der israelitischen Könige waren und sich ihrem Befehl beugen mußten9. Von dieser Erkenntnis aus wird auch deutlich, wie sich die alte Erzählung das Zustandekommen des gemeinsamen Feldzuges gedacht hat. Der Besuch Josaphats war kein Freundschaftsbesuch, sondern eine Hoffahrt, wie sie den Vasallen im Alten Orient häufig vorgeschrieben war10. Ebenso ist die Waffenhilfe nicht freiwillig, sondern 7

G. KÖLSCHER, in: Eucharisterion, Festschrift H. Gunkel, I 1923. S. 185. Vgl. z. B. O. EISSFELDT a. a. O. S. 540. 9 Vgl. schon G. KÖLSCHER a. a. O. S. 191: »Die Darstellung ist dem Ahab entschieden unfreundlich, verrät übrigens schon hier den Standpunkt des judäischen Erzählers, der auch meist verkannt wird«. 10 Vgl. z. B. K. BALTZER, Das Bundesformular, 1960, S. 24. 8

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entspricht wiederum entsprechenden Forderungen in den Vasallenverträgen11. Ein Vasallenverhältnis macht es auch verständlich, daß sich Josaphat widerspruchslos dem ihn gefährdenden Befehl des Königs von Israel beugt. So hat sich in dieser Erzählung die richtige Erinnerung an das Vasallenverhältnis Judas zu Israel und der daraus resultierende Haß gegen die Könige von Israel verbunden mit dem märchenhaften Motiv von dem »betrogenen Betrüger«. Gewiß hat man diese Dinge über den König von Israel mit großer Schadenfreude erzählt. Alle diese Beobachtungen deuten darauf hin, daß wir es gattungsmäßig mit einer Sage mit märchenhaftem Einschlag zu tun haben. Historische Schlüsse darf man aus ihr nur hinsichtlich des allgemeinen Hintergrundes ziehen. Es ist wohl kein Zufall, daß der König von Israel nie mit Namen genannt ist. Was erzählt wird, ist nicht für einen bestimmten König allein bezeichnend, sondern für den Typ »König von Israel«, wie er vom judäischen Standpunkt aus gesehen wird.

III. Die eigentliche Michaerzählung (s-28), die in die bisher behandelte Sage eingebaut ist, ist wiederum in sich nicht einheitlich. Zunächst wird die Befragung der 400 Hofpropheten berichtet (s-e), dann die Befragung des einen, Micha ben Jimla (7-9.13-17): Die einen sagen einhellig Erfolg an, ohne Bezugnahme auf eine göttliche Eingebung, der andere verkündet — fast indirekt — das Scheitern des Unternehmens, indem er eine Vision schildert, in der er das, was künftig geschehen wird, voraussieht. Die Verkündigung des einen ist also in einem Offenbarungsvorgang begründet, während über die der anderen in dieser Hinsicht nichts verlautet (über den sekundären Charakter von v. 11, wo Zedekia seine Weissagung mit »So spricht Jahwe« einleitet, s. u.). Rein erzählerisch sind damit die Fronten skizziert und charakterisiert: Der (zunächst) nicht weiter abgeleiteten Heilsverkündigung der 400 anonymen Propheten steht die Unheilsverkündigung des Visionärs Micha ben Jimla gegenüber. Aber nun folgt überraschenderweise in 19-23 die Schilderung einer zweiten Vision Michas, die ohne allen Zusammenhang mit der ersten ist. Ihr Gegenstand ist nicht etwa eine Offenbarung über die Zukunft, wie das bei Visionen — auch bei der ersten Vision Michas — oft der Fall ist (vgl. Am 7 iff. 8 iff. 9 i Jes 6 Jer 423ff. l uff. l isff. u. ö.), sondern sie liefert die Erklärung dafür, daß die — falsche — Verkündigung der 400 Propheten so ist, wie sie ist. Diese Vision setzt sich 11

So fordert z. B. der Vertrag Esarhaddons mit Ramataia von Urakazabanu in Zeile 229—236 die Waffenhilfe des Vasallen. D. J. WISEMAN, The Vassal Treaties of Esarhaddon, 1958, S. 46.

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also mit der Heilsverkündigung auseinander und polemisiert gegen sie. Sie hat das Problem der Heilspropheten zum Thema und reflektiert darüber. Diese zweite Vision ist in diesem Zusammenhang aus formalen und inhaltlichen Gründen als sekundär zu betrachten. Formal: Das unvermittelte Nebeneinander zweier so verschiedener Visionen, bei dem die zweite nichts mit der ersten zu tun hat, ist ungewöhnlich. Inhaltlich befremdend aber ist, daß sie nicht die eigene, sondern eine fremde Verkündigung erklärt, freilich in negativer Weise. Für den sekundären Charakter dieser Verse sprechen auch die Beobachtungen, die P. VOLZ hinsichtlich des »Geistes« in den Versen 19-23 gemacht hat: »Noch personhafter (sc. als 'die Ruh* in v. 24) ist die Gestalt der Ruh in den Versen 19-23, die freilich ein Gemisch von volkstümlichem Glauben und schriftstellerischer Reflexion bilden. Die Verse sind offenkundig eine Geschichte für sich; die innere Verschiedenheit zwischen v. 19-23 und dem übrigen Kapitel tritt dem Leser sofort entgegen. Nach v. 24 kommt das falsche Weissagen davon her, daß einer die Ruh Jahwes nicht hat, in v. 19-22 davon, daß er eine Ruh scheker in sich hat. Der Gebrauch von hä-rüh in v. 19-22 unterscheidet sich von dem der Ruh Jahwes in v. 24. Die Anknüpfung in v. 19 ist schlecht«12. Die zweifellos sekundäre Erweiterung 19-22 konzentriert sich auf den Begriff des Geistes, der vorher noch nicht erwähnt wurde, wohl aber in v. 24 auftaucht. In diesem Vers erfahren wir, daß Zedekia (und damit wohl auch seine Prophetengenossen) seine Verkündigung auf den Geist Jahwes zurückführt. Denn Zedekia versteht die der seinen entgegengesetzte Verkündigung des Micha so, als wolle dieser damit behaupten, der Geist Jahwes sei von den Propheten auf ihn, Micha, übergegangen. Hier ist also ein Prophetentum gezeichnet, für das nach seinem eigenen Verständnis der Besitz des Geistes konstitutiv war. Micha bestreitet diese Anschauung nicht. Denn v. 25 als Antwort auf v. 24 soll doch wohl so verstanden werden: Bei wem der Geist wirklich ist, das wirst du am Tage des Unheils, da du dich vor Angst verstecken wirst, selber inne werden. Der wahre Prophet, der wirkliche Geistbesitzer, wird also am Eintreffen seines Wortes erkannt. Die Verse 24. 25 setzen nun freilich voraus, daß das kommende Unheil viel umfassender ist, als das in v. 17 verkündete. Dort ist direkt 12

P. VOLZ, Der Geist Gottes und die verwandten Erscheinungen im AT und im anS9hließenden Judentum, 1910, S. 20. —· VOLZ lehnt es mit Recht ab, unter der Ruh, die ein Diener Jahwes unter den anderen Dienern ist, einen Euphemismus für 'Satan' zu sehen, bzw. geradezu hassxtan zu lesen: »Der Ruh-Engel wird erst zum Lügengcist, er ist es nicht seinem Wesen nach; er wirkt scheker, nicht er ist scheker« (ebd.). — VOLZ ist auch zuzustimmen in der Beurteilung von dem sekundären Charakter von v. 23, »als Brücke zwischen v. 19-22 und dem übrigen Bestand«: »hier 'legt' Jahwe eine Ruh der Lüge in den Mund aller dieser Nabis; die Ruh ist also weniger selbständig und weniger pcrsonhaft« (ebd.).

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nur der König betroffen, das Volk lediglich mittelbar: Der König wird fallen und »mit dem Tod des Führers hat der Krieg ein Ende«13. In v. 25 aber ist vorausgesetzt, daß der Krieg nach Samarien getragen wird, wo man den Leiter der Hofpropheten sich denken muß, und daß die Bewohner der Stadt in ihren Häusern aufgespürt und verfolgt werden. Aus dieser Diskrepanz ist zu schließen, daß auch die Verse 24. 25 der ursprünglichen Version fremd sind. In diesen Versen tritt Zedekia ben Kena'ana als Gegenspieler Michas auf. Wie steht es überhaupt mit ihm? Das erstemal tritt er in den Versen 10-12 in Erscheinung. Aber auch hier erheben sich Bedenken gegen die Ursprünglichkeit, worauf schon F. SCHWALLY hingewiesen hat. Nachdem in v. 6 bereits alle 400 Nebiim dem König zu dem Feldzug geraten haben und nun nach Micha geschickt wird, tritt — wie um die Zwischenzeit auszufüllen — Zedekia auf den Plan. Die Könige sitzen dabei auf dem großen Platz (Tenne) vor dem Stadttor. Dahin haben sie sich aber nicht zur Anhörung des einen Mannes Micha begeben, wie es jetzt scheint, sondern dieser Platz ist notwendig für das Auftreten der 400. SCHWALLY hat recht: »Die Einleitung v. 10 ist nicht sowohl eine specielle Einführung jener Episode, als vielmehr eine allgemeine zur vorhergehenden Scene (v. 5ff.), die natürlich viel zu spät kommt. Nach dem Zusammenhang muß £idqia einer von den 400 Profeten (v. e) gewesen sein. Also hat er auch schon seinen Spruch gesagt und tritt hier zum zweiten Male auf. Man sollte erwarten, daß dies im Text gesagt wäre. Noch viel mehr springt der Umstand in die Augen, daß es v. 12 heißt: 'und alle Profeten profezeiten so', als ob der Verfasser gar nicht von v. e. 7 wisse. Deshalb ist v. 12 nicht eine Fortsetzung, sondern eine Parallele zu v. 6. 7«14. Damit dürften auch die Verse 10-12. 24. 20 eine sekundäre Erweiterung des ursprünglichen Bestandes darstellen.

IV. So lassen sich in der Michaerzählung (s-28) mehrere Schichten feststellen: 1. Die älteste Schicht umfaßt 5-9. i3-i? (is ?). 26-28: Den 400 Heilspropheten des Königshofes wird der eine individuelle Unheilsprophet gegenübergestellt, der vom König ins Gefängnis gelegt wird bis zu dessen Rückkehr. Offenbar soll dann, wenn sich sein Wort als falsch erwiesen hat, über sein Schicksal entschieden werden. Hier gilt, wie es scheint, der in Dtn 18 22 formulierte Kanon: »Wenn ein Prophet im Namen Jahwes redet, und der Spruch sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, so ist das ein solches Wort, das Jäh we nicht gesprochen hat. In 13 14

EISSFELDT a. a. O. S. 541. F. SCHWALLY, ZAW 12 (1892), S. 161.

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Vermessenheit hat es der Prophet gesprochen.« G. VON RAD stellt dazu die Frage: »Konnte man in einem Ernstfall die Frage der Legitimität des Propheten so lange in der Schwebe lassen, bis es sich herausgestellt hatte, daß seine Botschaft eingetroffen war?«15. Nun, hier in I Reg 22 bleibt sie tatsächlich hinsichtlich des Unheilspropheten bis zum Erweis des Richtig oder Falsch in der Schwebe. Für den Zweck, für den die Befragung gedacht war, verliert sie damit jedoch alle Bedeutung. Hier liegt also eine wirklichkeitsfremde Konstruktion vor, die von der Befragung, wie sie in alter Zeit beim Heiligen Krieg geübt wurde und der dort für das jeweilige Unternehmen entscheidende Bedeutung zukam, weit entfernt ist. 2. In der zweiten Schicht (10-12. 24. 25) wird Zedekia ben Kena'ana eingeführt und damit Gelegenheit gegeben, das ekstatische Gebaren der Heilspropheten zu charakterisieren. Sie stehen unter einem Leiter, der, im Besitz des Geistes, das Stich wort für ihre Verkündigung gibt, das nun von allen aufgenommen wird. Eine individuelle Botschaft wird von ihnen nicht verkündet. Zugleich wird aus v. 24 deutlich, daß sie sich bei ihrer Tätigkeit auf den Besitz des Geistes berufen. Das soll natürlich nicht nur für diese Gelegenheit gelten, sondern diese Nebiim überhaupt charakterisieren. 3. Mit dieser Berufung auf den Geistbesitz setzt sich nun die dritte Schicht auseinander (19-22; zu v. 23 s. o. S. 250 Anm. 12). Die Leitfrage ist, wie es mit dem Geistbesitz der Heilspropheten steht. Sie wird in einer unerhört kühnen Weise beantwortet: Ja, sie haben den Geist, aber er ist in ihrem Munde zu einem Lügengeist geworden. Und dies mit Jahwes Willen. Er will vernichten und bedient sich dazu des Mittels der Verblendung. Das sind Aussagen, die an die Grenze des für den Jahweglauben Erträglichen gehen. Sie offenbaren die außerordentliche Schwere des Problems der Heüspropheten, das auf Israel gelastet hat und das ja immer wieder verhandelt wurde, besonders in der Spätzeit: bei Jeremia (239-32 28f. u. ö.), bei Ezechiel (1221—1323) und nach dem Untergang des Staates in den Klageliedern (2 14 4 13). V.

So haben verschiedene Hände an der Michaerzählung gearbeitet und Heils- und Unheilspropheten in ihren verschiedenen Aspekten einander gegenübergestellt: Als scharenweise auftretende Hofpropheten und einzelnen Seher, als Ekstatiker des Geistes und Visionär. Schließlich hat der wahre Prophet auch Einblick in den Rat Jahwes (19-22). Hier wird, erzählerisch ausgestaltet, ein Kriterium genannt, das auch in Jer 23 22 begegnet und das an Jes 6 Am 3 7 Ez Iff. erinnert. Man wird nach allem nicht sagen können, daß in I Reg 22 5-28 eine 15

G. VON RAD, Das fünfte Buch Mose, 1964, S. 89.

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eigentliche Prophetenerzählung vorliegt, sondern in erzählerische Form gekleidete Auseinandersetzungen über das Problem des wahren und falschen Propheten, die das Ringen um die dafür geltenden Kriterien offenbar machen. Auch hier kann nur der allgemeine Hintergrund — das Auftreten so verschiedenartiger und in ihrer Verkündigung entgegengesetzter Nebiim und das damit gestellte Problem — als historisch gelten, nicht jedoch die Einzelheiten. Die dabei sichtbar werdenden Fronten — Besitz des Geistes auf der einen Seite, Einweihung in das göttliche Geheimnis durch eine Vision auf der anderen — weisen auf typische Auseinandersetzungen hin. Wenn, wie wir oben sahen, die Berufung auf den Geist in der letzten Schicht geradezu ad absurdum geführt wird, wird man sich daran erinnern, »daß die großen vorexilischen Propheten der Ruh so gut wie ablehnend gegenüberstehen und vor allem in ihren Selbstaussagen über ihren prophetischen Besitz und ihre prophetischen Äußerungen, soviel wir sehen, die Ruh nirgends erwähnen«16. Doch kann in diesem Zusammenhang, wo es uns um die Komposition von I Reg 22 2b-37 geht, diese weitere Problematik nur angedeutet werden. VI.

Diese in die Form einer Erzählung gekleideten Auseinandersetzungen sind in die Sage von dem Feldzug des Königs von Israel gegen Ramoth, seine List und seinen Tod eingestellt worden und haben dieser einen neuen Sinn gegeben. Nun erscheint die List der Verkleidung als ein — vergeblicher — Versuch, sich dem angekündigten Unheil zu entziehen. Freilich ist er so töricht und naiv, daß man ihn nur aus der Bindung an ein vorgegebenes, ursprünglich ganz anders gemeintes Motiv verstehen kann. Von der Michaerzählung (5-23) her ist überraschenderweise nicht in den Bestand der Sage (2b-4. 29-37) eingegriffen worden. Es wäre ein Leichtes gewesen, einen Hinweis auf das — nun erfüllte — Unheilswort des Micha ben Jimla zu bringen und dadurch die Michaerzählung und die Sage stärker miteinander zu verbinden. Daß dies nicht geschah, scheint mir ein weiteres Argument dafür zu sein, daß in den Versen 5-28 nicht eine eigentliche Prophetenerzählung vorliegt, sondern daß diese Verse ganz um das unbewältigte Problem des Gegenüber von Heils- und Unheilspropheten kreisen und um eine Antwort auf die Frage nach den Kriterien des wahren Propheten ringen. Nicht Micha als Person ist von Interesse, sondern als Typ des wahren Propheten. An ihm wird deutlich gemacht: Die wahre Prophetie findet sich bei dem einzelnen Visionär, nicht bei der Masse der Geistbesessenen, ja zuletzt bei dem, der in Jahwes Beratung hinein14

P. VOLZ a. a. O. S. 62ff. Vgl. auch S. MOWINCKEL, »The Spirit« and the »Word« in the Pre-exilic Reforming Prophets, JBL 63 (1934), S. 199—227.

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blicken darf, woraus ihm die Einsicht erwächst, daß der Geist, auf den sich seine Gegner berufen, mit Jahwes Willen und Billigung ein Lügengeist ist. Ein erregendes Ringen um das Problem der wahren und falschen Prophetic entfaltet sich in diesen den Gegensatz immer schärfer formulierenden Aussagen vor unseren Augen17.

17

Die stark psychologisch gefärbte Behandlung von I Reg 22 durch G. QUELL, Wahre und falsche Propheten, 1952, S. 71—85, geht von so anderen Voraussetzungen aus, daß ich an dieser Stelle auf die Auseinandersetzung mit ihr verzichten muß.

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Die Josianische Reform und das Deuteronomium 1 Ernst Kasemann zum 70. Geburtstag Das Verhältnis zwischen der Josianischen Reform, wie sie in 2Kön 22 f berichtet wird, und dem Deuteronomium erscheint für den unbefangenen Betrachter zunächst ganz unproblematisch. Das, was im Deuteronomium gefordert wird, wird von Josia durchgeführt: die Kultzentralisation (Dtn 12 u. ö.) in den Reformen 2Kön 23, 4-15; die Forderung der zentralen Passafeier (Dtn 16, Iff) in 2Kön 25, 21-23; die Gesetze gegen Wahrsager, Zeichendeuter, Bilder und Götzen (Dtn 18, 10 f) in 2Kön 23, 24. Daneben scheinen allgemeinere Beobachtungen einen engen Zusammenhang zwischen dem Deuteronomium und dem Geschehen unter König Josia nahezulegen. Wenn Josia mit allen Anzeichen der Bestürzung über den Inhalt des ihm übergebenen Gesetzbuches in den Ruf ausbricht: »Groß ist Jahwes Grimm,-der jetzt über uns entbrannt ist, weil unsere Väter nicht auf die Worte dieses Buches gehört haben« (2Kön 22, 13), so scheint diese Erregung ausgelöst durch die Flüche, die er in Dtn 27 f für den Fall des Ungehorsams gelesen hat. Und wenn dieses Buch immer wieder »Buch des Gesetzes« (2Kön 22, 8. 11; 23, 24) oder »Buch des Bundes« (2Kön 23, 2. 3. 21) genannt wird, so stimmt das überein mit entsprechenden Bezeichnungen im Deuteronomium (Dtn 28, 58. 61; 29, 20; 30, 10 bzw. 28, 69; 29, 8. 20). Diese Entsprechungen sind so offenkundig, daß über sie allgemeines Einverständmis besteht. Aber wie sind sie zu deuten? Schon einige Kirchenväter haben das Buch, das nach 2Kön 22 f im Tempel gefunden und von Josia seiner Reform zugrunde gelegt wurde, mit dem Deuteronomium identifiziert. Weitreichende Folgerungen haben sie, ihrer ganzen Fragestellung entsprechend, kaum daraus gezogen. Das geschah erst in der Neuzeit, und insofern ist es nicht richtig, die beiläufige Identifizie-

1

Überarbeitete Fassung eines Vertrags, gehalten am 27. Mai 1976 in Marburg anläßlich einer Tagung der Fachgruppe Altes Testament in der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie.

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rung des Gesetzbuches Josias durch die Kirchenväter mit jener gleichzusetzen, die de Wette in der nach ihm benannten Hypothese vorgenommen hat. Denn ihm und erst recht seinen Nachfolgern, unter denen an erster Stelle Wellhausen zu nennen ist, ging es nicht um die begrenzte Frage, ob und wie das in 2Kön 22 f erwähnte Gesetzbuch identifiziert werden könnte. Die Beantwortung dieser Frage sollte vielmehr den festen Punkt für die Lösung des literarhistorischen Problems des Alters des Pentateuchs, insbesondere des Gesetzes, liefern. Der sonst beim Prinzip der negativen Kritik beharrende de Wette durchbrach hier dieses Prinzip — offenbar deshalb, weil er bei der ihn leitenden literarhistorischen Frage nach der relativen Einordnung der einzelnen alttestamentlichen Schriften schließlich doch nicht eines chronologischen Fixpunktes entbehren konnte. Die Frage nach dem Alter des Pentateuchs wird von ihm dahingehend beantwortet, daß vor Josia vom Pentateuch überhaupt nichts belegt sei. Erst zur Zeit Josias taucht ein Gesetzbuch auf, das aufgrund der eingangs genannten Korrespondenzstellen mit dem Deuteronomium zu identifizieren ist: Das Deuteronomium entstammt also dem Jahrhundert vor dem Untergang Jerusalems und des Staates Juda. Voraussetzung für diese Datierung ist natürlich die historische Zuverlässigkeit des Berichtes in 2Kön 22 f. Hier ist der sonst skeptische de Wette sehr zuversichtlich: »Es hieße die Zweifelsucht zu weit treiben, wenn wir diese so treffenden Hinweisungen auf unseren Pentateuch nicht anerkennen wollten. Indessen, da nicht nur alle auf das Buch S.B.Mose passen, sondern auch der Haupteindruck, den das gefundene Buch macht, auf den schauerlichen Inhalt des 5.B.Mose und auf dessen ganze Tendenz und Anlage deutet: so glaube ich annehmen zu müssen, daß dieses, wo nicht allein gefunden wurde, so doch vorzüglich in Sprache kam und Sensation erregte.« 2 Dazu sei an eine Bemerkung von R. Smend erinnert, die die Haltung de Weites gut charakterisiert: »Es ist nicht ohne Ironie, daß eines der wenigen Beispiele der Durchbrechung des Prinzips des negativen Kritik bei de Wette, nämlich die Verbindung des Deuteronomiums mit dem König Josia, seine bekannteste und wirksamste Tat gewesen ist.«3 Die gleiche Zuversicht hinsichtlich 2Kön 22 f bestimmte die späteren Vertreter der Hypothese de Wettes. Wellhausen hat ihr klassischen Ausdruck gegeben: »In allen Kreisen, wo überhaupt auf Anerkennung wissenschaftlicher Resultate zu rechnen ist, wird anerkannt, daß es [sc. * W.M.L. DE WETTE, Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament I, 1806, 175 f. » R. SMEND, ThZ 14, 1958, (107-119) 108 Anm. 2.

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das Deuteronomium] in der Zeit verfaßt ist, in der es entdeckt und der Reform des Königs Josia zu Grunde gelegt wurde: diese letztere wurde etwa eine Generation vor der Zerstörung Jerusalems durch die Chaldäer durchgeführt.« 4 So wurde, wie Hans Schmidt 1923 formuliert hat, die de Wettesche Hypothese »die eigentlich tragende Säule des kunstvollen Baus..., den die alttestamentliche Wissenschaft der letzten Generation, den besonders Julius Wellhausen errichtet hat« 6. Die entscheidende Frage, die hinsichtlich der de Wetteschen Hypothese (und dann auch hinsichtlich der auf ihr basierenden literar- und religionsgeschichtlichen Sicht des Alten Testaments) zu stellen ist, ist die nach der Berechtigung ihrer Beurteilung von 2Kön 22 f: Dürfen beide Kapitel unkritisch als historisch zuverlässige Quelle betrachtet und damit als zeitlicher Fixpunkt für die Datierung des Deuteronomiums herangezogen werden? Gegen die Bejahung dieser Frage bestehen, wie zu zeigen sein wird, schwerwiegende Bedenken. Es ist auffällig, daß diese Frage in dem bekannten »Kampf um das Deuteronomium« 6 der zwanziger Jahre eine relativ geringe Rolle spielte. Kölscher, der den Hauptanteil an der Bestreitung der de Wetteschen Hypothese trug, indem er die Identität des in 2Kön 22 f erwähnten Gesetzbuches mit dem von ihm erst um 500 v. Chr. datierten Deuteronomium bestritt, dachte nicht daran, den geschichtlichen Wert von 2Kön 22f - abgesehen von späteren Erweiterungen, die die Abschaffung der Höhen betreffen - zu bezweifeln. Im Gegenteil! In seiner vor allem literarkritisch orientierten Untersuchung »Das Buch der Könige, seine Quellen und seine Redaktion« urteilt er, daß der Bericht 2Kön 22 f »in seinem wesentlichen Bestände von vorzüglichem geschichtlichem Wert ist. Das zeigen die unerfindlichen Einzelheiten, die genaue Datierung des Ereignisses, all die genauen Namen der königlichen Beamten, der Prophetin und ihres Ehemannes, des Stadthauptmanns und des Eunuchen, und alle die merkwürdigen Kulteinrichtungen, die Josia beseitigt, wie die Bocksgeisterhöhe, die Sonnenrosse und der Sonnenwagen. Wenn hier nicht eine geradezu authentische Geschichtsüberlieferung vorliegt, so gäbe es überhaupt keine.«7 So konnte H.Greßmann gegen F.Horsts Versuch, mit Hilfe einer etwas unglücklichen Quellenscheidung die ge4

J.WELLHAUSEN, Prolegomena zur Geschichte Israels, S.Ausgabe 1886, 9. * HANS SCHMIDT, ThBl 2, 1923, (223-226) 223. • Unter diesem Titel hat W.BAUMGARTNER, ThR NF l, 1929, 7-25 einen Überblick über die damalige Diskussion gegeben. 7 G. KÖLSCHER, Eucharisterion. Festschr. f. H.Gunkel, I, 1923, (158-213) 208 f.

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schichtliche Glaubwürdigkeit von 2Kön 22 f anzufechten, Hölschers Hochschätzung des Reformberichtes ins Feld fuhren, also einen Kritiker der de Wetteschen Hypothese gegen den anderen ausspielen8. Aber die Gründe, die Kölscher für seine Beurteilung von 2Kön 22 f als authentische Geschichtsüberlieferung anführt, sind keineswegs überzeugend. Gerade die Details und die genauen Angaben über die beteiligten Personen, die fast alle auch an sonstigen Stellen des Alten Testaments auftreten (vgl. S. 402), müssen Mißtrauen erregen. Könnten sie nicht deshalb so genau sein, weil sie erst den Anschein der Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit erwecken wollen?Man wird jedenfalls an das Verfahren der Chronik erinnert, der es an Einzelangaben nicht mangelt, wo sie solche für angebracht hält. Auch gibt bei Hölschers Lösung zu denken, daß auch in seinem für ursprünglich gehaltenen Bericht viele Motive stehenbleiben, die sich am besten aus der Bekanntschaft mit dem Deuteronomium erklären, z. B. der Bundesschluß in 2Kön 23, 3. So will Hölschers Annahme einer Reform Josias aufgrund eines vom Deuteronomium völlig zu trennenden Gesetzbuches, das damals durch eine Mystifikation der Priester dem König zugespielt wurde, aber nicht mehr zu identifizieren ist, ebensowenig befriedigen wie die unkritische Wertung von 2Kön 22 fund die darauf basierende Datierung des Deuteronomiums, wie sie seit de Wette herrschend sind. Angesichts dieser Forschungslage sieht es die vorliegende Studie als ihre Hauptaufgabe an, den geschichtlichen Wert des Berichtes 2Kön 22 f anhand einer eingehenden Analyse zu prüfen 9 . Ihm gegenüber erhebt sich die Frage, ob er tatsächlich geschichtlich vertrauenswürdige Information gibt, ja geradezu »eine amtliche Denkschrift« zugrunde liegen hat10, wenn 1. von der Auffindung eines Buches erzählt wird, aufgrund dessen eine Verpflichtung eingegangen wurde, alle Worte dieses »Bundesbuches« zu halten; 2. von der Befragung der Prophetin Hulda ausführlich gesprochen wird, die zwar Unheil für Juda ansagt, aber irgendwie Josia doch in seinem Willen bestärkt, das in dem Buch Geforderte zu verwirklichen; 3. von einer einmaligen zentralen Passafeier berichtet wird, wie sie seit der Richterzeit nicht mehr begangen und die jetzt in Jerusalem gefeiert wurde (23, 21-23); • H.GRESSMANN, Josia und das Deuteronomium (ZAW 42, 1924, 313-546); F.HORST, Die Kultusreform des Josia (ZDMG 77, 1923, 220-238). • Da der Bericht der Chronik nach allgemeiner neuerer Überzeugung eine Konstruktion des Chronisten von seinen theologischen Anschauungen aus darstellt, kann sie hier außer Betracht bleiben. 10 M.NOTH, Überlieferungsgeschichtliche Studien I, 1943, 86.

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4. die Abschaffung der Höhen und die Zentralisation des Kultes in Jerusalem samt zwangsweiser Überführung der Höhenpriester dorthin behauptet wird (23, 8a. 9. 13f); 5. von einem Übergreifen Josias nach Bethel und der Zerstörung des dortigen Altars die Rede ist, wodurch Josia seinen Anspruch auf das ganze Israel einschließlich des Territoriums des Nordstaates Israel untermauert und gefestigt haben soll11. Dies sind nur die Hauptfragen, zu denen m. E. 2Kön 22 f Anlaß gibt. Man kann die Fragen auch anders wenden: Steckt etwa eine andere Absicht als die historischer Information dahinter? Etwa eine propagandistische oder kerygmatische ? Oder kommen mehrere Ziele zusammen ? Wir wollen versuchen, die Fragen nicht thematisch, sondern in einem exegetischen Durchgang zu erhellen. Wir gehen bei unserer Untersuchung von der seit Oestreichers »Das deuteronomische Grundgesetz« (1925) weithin anerkannten These aus, daß der Text über die Reform sich aus zwei Teilen zusammensetzt, die sich stilistisch und gattungsmäßig unterscheiden. Der erste enthält den Bericht über ein neu gefundenes Buch und die sich daran anschließenden Ereignisse (im folgenden: Fund- und Bundbericht): die Bestürzung des Königs und die dadurch veranlaßte Befragung der Prophetin Hulda; die Verpflichtung auf die Worte des Gesetz- oder Bundesbuches; die Feier eines Passa gemäß den Vorschriften, die sich in »diesem Bundesbuch« finden (25, 21—25); die Beseitigung des Totengeisterkultes, der Wahrsager usw. im Lande Juda und in Jerusalem, »um die Worte des Gesetzes aufzurichten, die in dem von Hilkia im Tempel gefundenen Buch geschrieben sind« (23, 24). In all dem steht das Buch »des Gesetzes« oder »des Bundes« im Mittelpunkt. Alle Aktionen werden durchgeführt, weil sie in ihm befohlen sind. Es ist Kanon und causa alles Handelns. Von diesem Fund- und Bundbericht hebt sich ein zweiter Teil ab, in dem das Buch überhaupt nicht erwähnt wird: der Katalog der Reformen in 25, 4-15 (im folgenden: Reformbericht). Beide Teile sind wiederum in sich nicht einheitlich und mannigfach erweitert, wie sich außerdem noch spätere Zutaten finden, z.B. in 23, 16-2012. 11

So S.HERRMANN, Geschichte Israels, 1973, 329. OBSTREICHER hat seine gute Textbeobachtung seinerzeit mit so vielen unhaltbaren Thesen belastet, daß sie zunächst nicht die verdiente Beachtung fand. Sie hat sich jedoch in neuerer Zeit weithin durchgesetzt; vgl. A.ALT, Kleine Schriften II, 1953, 252S; R.MEYER, Festschr. f. F.Baumgärtel, 1959, (114-123) 114; A.JEPSEN, ebd. (97-108) 97; J.GRAY, I. II. Kings, 1970", 714f. - Herr Dr. W. DIETRICH, Göttingen, hat mir dankenswerterweise nach meinem Vortrag 12

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/. Der Fund- und Bundbericht 1. Der Fund des Gesetzbuches Der Fund- und Bundbericht setzt ein mit dem Auftrag Josias an den Sekretär Schafan, sich zu dem Hohenpriester Hilkia zu begeben, damit dieser das in den Tempel Jahwes gebrachte Silber »fertig mache«, »und zwar in dem Sinne der durch Einschmelzung ermöglichten Herstellung von Barren«13. Der Befehl lautet weiter nach dem jetzigen Wortlaut des MT, daß das Silber den Werkführern übergeben werden sollte und diese es wiederum den am Tempel beschäftigten Arbeitern auf Treu und Glauben aushändigen sollten, und zwar ohne Abrechnung. Daß dieser Befehl ausgeführt wurde, wird nicht gleich erzählt, sondern in dem Bericht, den Schafan dem König erstattet, summarisch nachgeholt mit den Worten: »Deine Knechte haben das im Tempel gefundene Geld eingeschmolzen und es den Aufsicht führenden (oder: eingesetzten) Werkführern des Jahwetempels übergeben.« (V. 9) Man versteht den Einsatz zum Fund- und Bundbericht nicht ohne 2Kön 12, 10-17. Einige Verse in Kap. 22 sind sogar wörtlich von dort übernommen. Dazu gehören, wie schon Stade gesehen hat, 22, 6f, »eine unnöthige und zwecklose Detaillierung, von späterer Hand auf Grund von 12, 13 bis 16 vorgenommen«14. Vor allem aber knüpft in der Sache 2Kön 22 an einen Brauch an, den der Oberpriester Jojada eingeführt haben soll: Er stellte einen Opferstock auf, in den die für Tempelreparaturen bestimmten Laiengaben gelegt werden sollten und der jeweils, wenn er voll war, unter Aufsicht eines königlichen Beamten zu leeren war (2Köii 12,10-17). Diese Angaben stoßen sich mit den unmittelbar vorher gemachten (12, 5-9). Dort wird, nachdem ein entsprechender Versuch an der Nachlässigkeit der Priester gescheitert ist, von König Joasch bestimmt, daß die Priester vom Volk kein Geld mehr einnehmen sollten, aber auch die Ausbesserung des Tempels nicht zu übernehmen hatten. Nach 12, 10-17 hätten sie doch wieder durch die »Schwellenhüter«15 die Laiendie Korrekturen eines Aufsatzes »Josia und das Gesetzbuch (II. Reg XXII)« zur Verfügung gestellt, der in VT 27, 1977 erscheinen wird. Zur Forschungslage vgl. dort den Abschnitt »I. Zur Geschichte der Forschung«. 13 O.EISSFELDT, Kleine Schriften II, 1963, 109. 14 B. STADE, Akademische Reden und Abhandlungen, 19072, 196. " Nach 2Kön 25, 18 (= Jer 52, 24) sind die »Schwellenhüter« »höhere Tempelbeamte und nicht einfache Pförtner, mit denen 2Chr 34, 9 sie zu verwechseln scheint« (R. DE VAUX, Das Alte Testament und seine Lebensordnungen II, 1962, 216). Sollten gerade sie zur Entgegennahme der Laiengaben herangezogen worden sein?

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gaben zu vereinnahmen und in den Opferstock zu legen. Der widersprüchliche Bericht, in dem V. 17 wegen seiner Verwandtschaft mit der Bestimmung über die Priesteranteile in Lev 7, 7—10 noch besonders verdächtig ist16, erscheint historisch sehr zweifelhaft; insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, daß von der Zeit Salomos bis zur Zerstörung im Jahre 587 hinsichtlich des Tempels »die Krone konsequent daran festhielt, als der einzige Donator zu gelten«17. Auf einen Annalenbericht o.a. kann 12, 10-17 nicht zurückgeführt werden18, und daß sich 2Kön 22 in der Sache und teilweise im Wortlaut ganz an diese Verse anschließt, erweckt auch gegenüber dem Fundbericht Zweifel an seinem historischen Wert. Es scheint, daß der aus 2Kön 12, 10-17 entnommene angebliche Brauch, der sonst nirgends belegt ist, in 2Kön 22, 4 ff nur eine Anknüpfung bilden soll, um den Priester Hilkia und den Sekretär Schafan zusammenzubringen und bei dieser Gelegenheit das Gesetzbuch an Schafan und über dessen Vermittlung an den König gelangen zu lassen. Aber war das Gesetzbuch, das von Hilkia gefunden wurde, so bedeutsam und einschneidend, wie es im folgenden dargestellt wird, dann durfte Hilkia nicht auf irgendeine Gelegenheit warten, bis er es an den König gelangen lassen konnte, sondern mußte schnell handeln. Und wozu bedarf er der Vermittlung des Sekretärs Schafan? Gehört Hilkia als der offenbar oberste Priester des Tempels nicht selber auch zu den vom König eingesetzten und ihm verantwortlichen hohen Beamten? Aber hat Hilkia überhaupt ein Interesse an dem Buch? Nach V. 8 übergibt er es gewissermaßen beiläufig und jedenfalls ohne Erregung über seinen Inhalt an Schafan, wie dieser es ebenso beiläufig, jedenfalls ohne Anzeichen innerer Beteiligung, an den König weitergibt (V. 10). Erst 18

R.RENDTORFF, Studien zur Geschichte des Opfers im alten Israel, 1967, 54. K. GALLING, ZDPV 68, 1949-51, (134-142) 137. - In der Anordnung, daß mit den Handwerkern nicht abgerechnet werdensolle, sieht GALLING eine »wohlüberlegte Rechtsmaßnahme« (ebd. 136), was allerdings keine befriedigende Interpretation darstellt. 1§ Da ich darauf hier nicht näher eingehen kann, muß ich vorläufig auf den in Vorbereitung befindlichen Kommentar zu »Könige« im ATD verweisen. — A. JEPSEN, der wohl II 12 den »Annalen«, aber II 22 R11 = Dtr zuweist, erklärt die sprachlichen Berührungen so: »R11 hat sich bei der Formulierung seines Berichtes an II 12 gehalten, das er ja im Werk des R1 vorfand und so dem Bericht zugleich etwas von der Farbe des älteren Werkes mitgegeben. Dabei ist für die Beurteilung der Geschichtlichkeit des Kapitels schon hier festzustellen, daß diese Beziehungen zu II 12 ja das wesentliche der Erzählung gar nicht berühren, sondern nur der Ausschmückung und der Veranschaulichung dienen.« (Die Quellen des Königsbuches, 1953, 82f) Immerhin ist festzuhalten, daß das in 2Kön 22 Erzählte auch von JEPSEN nicht für geschichtlich gehalten wird. 17

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als Josia »die Worte des Gesetzbuches« hört, tun sie ihre bekannte Wirkung, daß er in höchster Erregung seine Kleider zerreißt. Der Bericht läuft also ganz auf Josia zu, er ist der einzige, von dem berichtet wird, daß er die wahre, epochale Bedeutung des Buches erfaßt19. Man wird diesen Versen nicht historisch entnehmen wollen, daß der König erkannte, welche Stunde gekommen war, der Priester und Sekretär dagegen nicht. Vielmehr stellt der Bericht die Sache so dar. Er ist bewußt literarisch gestaltet und will den König ganz besonders herausheben. Dieser literarische Charakter des Berichts ist zunächst einmal festzuhalten. Erst im Zusammenhang mit anderen Beobachtungen kann er seine volle Bedeutung gewinnen. Aber deutlich ist schon jetzt dies, daß es sich nicht um protokollartige historische Information handelt, sondern um bewußte Gestaltung, die den König in den Vordergrund schiebt20.

2. Die Befragung der Prophetin Hulda

Der König benennt in V. 12 eine Gesandtschaft, die die Prophetin Hulda wegen des Gesetzbuches befragen soll. Ihr gehören, außer den schon genannten Hilkia und Schafan, Achikam, der Sohn des Schafan, Achbor, der Sohn des Micha, und der Minister Asaja (Vatername fehlt auffälligerweise) an. In der Anführung dieser Namen hat man ein starkes Argument für die geschichtliche Zuverlässigkeit dieses Berichtes gesehen. Es ist aber zu beachten, daß die hier genannten Personen auch an anderer Stelle des Alten Testaments auftauchen; so wird Achbor in Jer 26, 22; 36, 12 erwähnt, Achikam in Jer 26, 24; 39, 14; 40, 5 - 43, 6 als Vater des Gedalja. Schafan wird in Jer 26, 24; 29, 3; 36, 12 u. ö. erwähnt. Allein Asaja wird nur hier und in der von unserem Beleg abhängigen Chronikstelle genannt. Die Nennung von Namen kann als solche noch nicht für größere geschichtliche Glaubwürdigkeit angeführt werden, sonst wären die Berichte der Chronik vielfach glaubwürdiger als die der 19

Das gilt auch dann, wenn V. 11 schon zu der Huldaszene zu rechnen wäre, wie DIETRICH in seinem Aufsatz (s. Anm. 12) vorschlägt. Denn auch dann ist Josia— da sich die Huldaszene als Einschub eines zweiten Dtr erweisen wird — derjenige, der mit dem Aufruf zur Volksversammlung in 23, l die Konsequenzen aus dem ihm vorgelegten Buch zieht. *° N.LOHFINK, Die Bundesurkunde des Königs Josias (Bib. 44, 1963, 261-288. 461-498), 277 hält es für gut denkbar, daß die kleine, ganz auf den Ruhm des Königs abgestellte Erzählung im Auftrag des Königs selbst verfaßt wurde, um dann entweder im königlichen Archiv oder im Jahwetempel für ihren Helden Zeugnis abzulegen. Davon kann wohl kaum die Rede sein.

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älteren Quellen. Die Angabe von Namen kann auch ein Indiz dafür sein, daß man einem Bericht größere Glaubwürdigkeit verschaffen will, die man ohne solche Namen anzweifeln könnte. V. 13 formuliert zunächst lose den Auftrag, nämlich Jähwe für den König und für das Volk wegen der Worte dieses gefundenen Buches zu befragen. Wie diese Befragung zu denken ist, bleibt undeutlich. Meist vermutet man, daß gefragt wird, was angesichts dieser Worte zu tun sei. Man kann aber das Befragen auch im Sinne einer Fürbitte verstehen. Begründet wird die Notwendigkeit der Befragung mit Folgendem: »Groß ist der Zorn Jahwes, der gegen uns entbrannt ist, weil unsere Väter nicht gehört haben auf die Worte dieses Buches, indem sie taten gemäß allem, was 'in ihm* geschrieben ist.« (V. 13b) Auch an dieser Stelle bleibt völlig im dunkeln, was in dem Buch stand und, weil es nicht getan wurde, den Zorn Jahwes so erregte. Eigentlich kann man die Josia in den Mund gelegte Aussage nicht verstehen, ohne daß einem der Inhalt des Buches gegenwärtig ist. D.h. der Erzähler setzt bei semen Hörern voraus, daß sie wissen, um was für ein Buch es sich handelte und was es forderte. Diese Beobachtung spricht gegen die Annahme von Noth,daß der Erzählung eine Denkschrift zugrunde liege. Denn eine solche wäre für eine spätere Zeit aufgezeichnet und müßte demgemäß so abgefaßt sein, daß sie dieser Zeit verständlich ist. Das ist aber bei derart vagen Formulierungen nicht gegeben. Daß angesichts der Ausdrücke »Buch des Gesetzes« etc. und der sonstigen Korrespondenzen an das Deuteronomium gedacht ist, ist klar. Die Gesandtschaft begibt sich — nach eigener Wahl unter den möglichen Personen (zumindest lägen in dieser Zeit auch Jeremia und Uria [Jer 26, 20-23] nahe) - zur Prophetin Hulda. Über diese werden einige besondere Details mitgeteilt: Sie ist verheiratet mit einem gewissen Schallum, dessen Vater und Großvater genannt werden und dessen Beruf, Kleiderverwalter, angegeben wird. Außerdem wird gesagt, daß sie in der Neustadt Jerusalems wohnt. Weshalb wird der Erzähler in diesen völlig nebensächlichen Zügen plötzlich so ausführlich? Will er die Prophetin Hulda durch diese Züge als historische Gestalt herausstellen? — »Und sie sprachen mit ihr« (V. 14b). Man erführe gern, was sie mit ihr gesprochen haben. Haben sie gefragt, was zu tun sei?Oder haben sie sie um Fürbitte angegangen? Auch hier fällt die vage Formulierung auf, die weder bei einem Annalenbericht noch bei einer Familientradition (Jepsen: aus der Familie Schafan) zu erwarten wäre. Der Bericht ist vielmehr rein dtr. Richtig dürfte sein, daß das Schema Ankündigung — Eintreffen eines Gotteswortes bei solchen Befragungen maßgebend ist, d.h. »nicht die Befragung steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern das Funktionieren

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des Propheten wertes, das in die Geschichte eingreift«21. Auf dieses Prophetenwort werden wir nachher noch zurückzukommen haben. Zunächst ist aber daraufhinzuweisen, daß Dtr Josia bei seiner Beauftragung diejenige Schilderung der Gegenwart aussprechen läßt, die ganz seiner, des Verfassers, Gegenwart angemessen ist: »Groß ist der Grimm Jahwes, der über uns entbrannt ist« usw. (V. 13b). Hier ist offensichtlich die Deutung der Katastrophe nach ihrem Eintritt vorgetragen, nicht die Inhaltsangabe eines Buches. Durch Josia spricht Dtr. Aber so hoch dieser König für Dtr steht, ihm ist nicht gegeben zu wissen, was die Zukunft bringen wird. Das ist Sache des Propheten. Hulda gibt nicht Anweisung, was der König und sein Volk tun sollen, sondern sie sagt an, was Jahwe tun wird und warum er es tun wird. Dieser wird alles Unglück über diesen Ort und seine Bewohner bringen, alle Worte des Buches, das der König von Juda gelesen hat, »zur Strafe dafür, daß sie mich verlassen haben und anderen Göttern geopfert haben, um mich zu erzürnen mit allem Machwerk ihrer Hände« (V. 17) 22 . Die Schwierigkeit besteht, wie man weiß, darin, daß der ersten Antwort (V. 15—17) eine zweite (V. 18—20) folgt, in der Josia wegen seiner ausführlich beschriebenen Demütigung zugesagt wird, daß er in Frieden in das Grab zu seinen Vätern kommen wird und nicht das ganze Unheil ansehen muß, das Jahwe über diesen Ort bringt (V. 20). Man hat bekanntlich dieses zweite Wort, das sich in dem gewaltsamen Tod Josias nicht so erfüllt hat, wie man es erwarten würde, als Argument dafür angeführt, daß das dtr Geschichtswerk in einem älteren Teil vor dem Tod des Josia geschrieben sein müsse. Nun hat jedoch schon Jepsen Bedenken dagegen geltend gemacht, »daß V. 20 als nicht erfüllte Weissagung zum ältesten Bestand gehören müsse«. »Die Begründung für V. 20 steht in V. 19. Dieser aber erinnert sehr stark an chronistische Gedankengänge : wenn ein König sich demütigt, so wird die Drohung zurückgenommen oder sein Schicksal gewendet. Auch der Ausdruck jj