Hegels "Lehre vom Wesen" 9783110474565, 9783110474299

"The Doctrine of Essence" is among the most difficult texts in Hegelian philosophy. Typically, attention focus

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German Pages 202 Year 2016

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Hegels "Lehre vom Wesen"
 9783110474565, 9783110474299

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff
Hegels Begriff der Reflexion als Kritik am traditionellen Wesens- und Reflexionsbegriff
Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion
Hegels sizilianische Verteidigung. Die Beziehung der Wesenslogik zu Metaphysik, Skeptizismus und Transzendentalphilosophie
Identität und Unterschied als Reflexionsbestimmungen des Wesens
Die Realität des Grundes. Zur Logik des Grundes in der Wesenslogik
„Das Wesen muß erscheinen“. Die Erscheinung in Hegels Wissenschaft der Logik
Hegel und die negative Theologie
Die Logik der Wirklichkeit: eine Entwicklung vom Absoluten bis zur Wechselwirkung
Das Wesen im Begriff. Über den Zusammenhang von objektiver und subjektiver Logik in der Passage „Vom Begriff im allgemeinen“
Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx
Zu den Autorinnen und Autoren
Siglenverzeichnis
Personenverzeichnis

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Hegels „Lehre vom Wesen“

Hegel-Jahrbuch Sonderband

Herausgegeben von Andreas Arndt, Myriam Gerhard und Jure Zovko

Band 8

Hegels „Lehre vom Wesen“

Herausgegeben von Andreas Arndt, Günter Kruck

Gefördert durch die Katholische Akademie Rabanus Maurus im Haus am Dom in Frankfurt am Main und durch die Diözese Limburg.

ISBN 978-3-11-047429-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047456-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047432-9 ISSN 2199-8167 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Veit Friemert, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Hegels „Lehre vom Wesen“, 1813 als zweites Buch des ersten Bandes (Die objektive Logik) der Wissenschaft der Logik, gehört zu den schwierigsten Texten nicht nur der Hegelschen Philosophie, sondern der philosophischen Tradition überhaupt. Dies liegt vor allem an der Schwierigkeit des gedanklichen Nachvollzugs der Hegelschen Darlegungen, beginnt aber auch schon bei der Bestimmung des Themas. Während das erste Buch des ersten Bandes („Lehre vom Sein“) ebenso wie der zweite Band („Die subjektive Logik oder die Lehre vom Begriff“) eindeutig, wenn auch kritisch, auf traditionelle Theoriebestände Bezug nehmen – die Ontologie und ihre Kritik durch Kant in der „Lehre vom Sein“, die Urteils- und Schlusslehre in der „Lehre vom Begriff“ – betrachtet die „Lehre vom Wesen“ nach Hegels Auskunft in der Enzyklopädie „vornehmlich die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaften überhaupt; – als Erzeugnisse des reflectirenden Verstandes“.1 Hegel selbst sagt im Zusammenhang mit dieser wenig eindeutigen Erklärung, die „Lehre vom Wesen“ sei „der schwerste“ Teil seiner Logik.2 Die „Lehre vom Wesen“ ist aber nicht nur einer der schwierigsten, sondern auch einer der umstrittensten Texte Hegels, denn in dem Kapitel über die Reflexionsbestimmungen entwickelt Hegel den Begriff des Widerspruchs, der zu einem der Hauptpunkte der Kritik an seiner Wissenschaft der Logik wurde, sofern er als Einwand gegen die Gültigkeit des Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch verstanden wurde.3 Die Diskussionen über die „Lehre vom Wesen“ haben sich daher zumeist auf Hegels Reflexionstheorie konzentriert, zumal auch Karl Marx den Hegelschen Begriff des Widerspruchs für sich fruchtbar zu machen versuchte. Aus Anlass der 200jährigen Wiederkehr des Erscheinens der „Lehre vom Wesen“ fand am 6. und 7. Dezember 2013 an der Katholischen Akademie Rabanus Maurus in Frankfurt am Main in Kooperation mit der Internationalen HegelGesellschaft e. V. eine Fachtagung unter dem Titel „Logik, Erkenntnistheorie und Metaphysik im Wandel. 200 Jahre G.  W.  F. Hegels Wesenslogik“ statt. Ziel war es, die „Lehre vom Wesen“ in allen ihren Teilen sowie ihre Rezeption durch Karl Marx zu erschließen. Aus den dort gehaltenen Vorträgen ist der vorliegende Band hervorgegangen; sie wurden für die Publikation ergänzt durch die Aufsätze von Christian Iber und Thomas Hanke, die den Kommentar vervollständigen.

1 GW 20, 145 (§ 114). 2 Ebd. 3 Vgl. zuerst Eduard von Hartmann, Über die dialektische Methode. Historisch-kritische Untersuchungen, Bad Sachsa ²1910, 41.

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 Vorwort

Die Herausgeber danken der Katholischen Akademie Rabanus Maurus dafür, dass sie die Tagung in ihr Programm aufgenommen und großzügig finanziert hat; besonders danken möchten wir auch für einen namhaften Druckkostenzuschuss durch die Katholische Akademie Rabanus Maurus und die Diözese Limburg, der die Publikation dieses Bandes erst ermöglicht hat. Berlin und Frankfurt am Main, im Januar 2016 Andreas Arndt und Günter Kruck

Inhalt Vorwort 

 5

Anton Friedrich Koch Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff  Christian Iber Hegels Begriff der Reflexion als Kritik am traditionellen Wesens- und Reflexionsbegriff  Günter Kruck Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion 

 9

 21

 35

Klaus Vieweg Hegels sizilianische Verteidigung. Die Beziehung der Wesenslogik zu Metaphysik, Skeptizismus und Transzendentalphilosophie 

 49

Friedrike Schick Identität und Unterschied als Reflexionsbestimmungen des Wesens  Claudia Wirsing Die Realität des Grundes. Zur Logik des Grundes in der Wesenslogik 

 81

Dietmar H. Heidemann „Das Wesen muß erscheinen“. Die Erscheinung in Hegels Wissenschaft der Logik  Jens Halfwassen Hegel und die negative Theologie 

 95

 109

Holger Hagen Die Logik der Wirklichkeit: eine Entwicklung vom Absoluten bis zur Wechselwirkung 

 129

 61

8 

 Inhalt

Thomas Hanke Das Wesen im Begriff. Über den Zusammenhang von objektiver und subjektiver Logik in der Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ 

 159

Andreas Arndt Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx  Zu den Autorinnen und Autoren  Siglenverzeichnis  Personenverzeichnis 

 199  201

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Anton Friedrich Koch

Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff 1 Unmittelbares und Verneinung in der Seinslogik Um uns die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff deutlich zu machen, fangen wir mit etwas Handfestem an, zum Beispiel einer mechanischen Kaffeemühle. Wir geben (in Gedanken) Kaffeebohnen ein und fangen an zu leiern, und unten in einem Kästchen sammelt sich das Kaffeemehl. Nehmen wir an, das Mehl ist uns zu grobkörnig und die Mühle ist nicht verstellbar. Also geben wir es noch einmal ein und mahlen es ein zweites Mal, damit es feiner wird. Das können wir einige Male machen, bis das Mehl entweder fein genug ist oder uns die Geduld ausgeht oder bis der Grenznutzen weiteren Mahlens gegen Null tendiert und die Ausgabe sich von der Eingabe kaum noch – oder gar nicht mehr – unterscheidet. Wenn sie sich tatsächlich gar nicht mehr unterschiede, hätten wir einen Fixpunkt des sukzessiven Mahlprozesses erreicht. Das Beispiel der Kaffeemühle veranschaulicht den logischen Prozess, zunächst den des Seins. Natürlich gibt es Disanalogien, auf die noch hingewiesen werden muß. Aber achten wir zunächst auf die Analogien. Die Kaffeebohnen sind das ursprüngliche Mahlgut, das wir beim Kolonialwarenhändler gekauft haben und das dem Mahlprozess als erste und unmittelbare Eingabe vorgegeben ist. Ihm entspricht in der Wissenschaft der Logik (fortan: WdL) das einfache, unmittelbare Sein. Die Mühle mussten wir ebenfalls besorgen, im Haushaltswarenladen, und ihrem Betrieb entspricht in Hegels Logik die Operation der Negation, die Verneinung, die Dieter Henrich vor vielen Jahren zu Recht als Hegels logische Grundoperation bezeichnet hat. Dem Kaffeemehl entspricht dann das Ergebnis des Verneinens, und dieses Ergebnis können wir, wenn wir wollen, noch einmal verneinen und noch einmal usw. usf. Aber nun zu den Disanalogien. Ich nenne vier. Erstens: Die Kaffeemühle bleibt über die Folge der Mahlvorgänge hinweg konstant. Es gibt ein bisschen Verschleiß, das Mahlwerk stumpft mit der Zeit ein wenig ab; aber der Verschleiß gehört nicht zur Funktionsweise der Mühle, sondern beeinträchtigt diese. Die ideale Kaffeemühle, jedenfalls vom Standpunkt des Verbrauchers, wäre unverwüstlich. Ebenso unverwüstlich und konstant ist auch die aussagenlogische Negation. Wir haben einen Satz „p“ und verneinen ihn: „~p“. Wir verneinen

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dieses Resultat noch einmal und erhalten eine doppelte Verneinung, die dem Ausgangssatz „p“ äquivalent ist; wir verneinen abermals usf. und werden im Grunde immer nur zwischen „p“ und „~p“ hin und her geworfen. Nach einer Verneinung kommt nichts Neues mehr zustande. Hingegen wandelt sich in der Hegel’schen Logik die Operation der Negation systematisch mit dem, was in sie eingegeben und von ihr ausgegeben wird. In der Aussagenlogik vertauscht die Negation nur die Wahrheitswerte von Aussageinhalten; aber die verneinten Inhalte bleiben weiterhin denkbar und können erwogen und irrtümlich für wahr gehalten werden. Die logischen Inhalte oder Denkbestimmungen jedoch sind zunächst ganz einfache, vorpropositionale Gedankeninhalte; sie können nicht im aussagenlogischen Sinn falsch sein. Sie zu verneinen, heißt fürs Erste vielmehr, sie zu vernichten. Daher ist das Negieren am Anfang der Hegel’schen Logik (sofern es denn überhaupt von Erfolg gekrönt ist), Vernichten der Eingabe und ipso facto Erzeugen einer Ausgabe; später dann Veränderung der Eingabe hin zur Ausgabe und wechselseitige Bestimmung von Ein- und Ausgabe; dann auch Aufhebung, Idealisierung, Repulsion, Ausschluss (usw. usf.). Schon aus diesem Grund übrigens ist die WdL nicht formalisierbar. Ihre Grundoperation passt sich dem neuen Operandum jeweils zu geschmeidig an, es gibt keine feste, konstante Form, durch die das anfängliche unmittelbare Sein gleichsam hindurchgeleiert werden könnte. Die Negation ist hier, anders als in der formalen Aussagen- und Prädikatenlogik, plastisch und wandelbar. Deswegen führt zweimaliges Verneinen hier nicht einfach zum Ausgangspunkt zurück, während in der Aussagenlogik „~~p“ mit „p“ äquivalent ist. Eine zweite Disanalogie liegt darin, dass die erste und unmittelbare Eingabe in den Negationsprozess keine Vielheit von wohlbestimmten Einzeldingen  – analog den vielen Kaffeebohnen  – ist, sondern eine unbestimmte Singularität namens „Sein“. In der Phänomenologie des Geistes beginnen wir, weil wir dem endlichen Bewusstsein bei dem Erheben seiner Wahrheitsansprüche zusehen wollen, mit der Mannigfaltigkeit von vielen unmittelbaren Einzelheiten in Raum und Zeit. In der WdL aber ist von Raum und Zeit abstrahiert; das Unmittelbare, mit dem sie anhebt, ist das einfache, unbestimmte, singuläre, reine Sein – eine einzige, dicke, alternativlose Kaffeebohne, wenn man so will. Eine dritte Disanalogie besteht darin, dass sich das Kaffeemehl nicht von selbst wieder in die Mühle eingibt bzw. dass es seine Neueingabe nicht von sich aus verlangt. Sondern wir geben, wenn wir wollen, das Mehl neu ein, weil es uns etwa noch zu grob ist, oder aus reinem Spaß an der Freude. Eine Ausgabe der Negationsoperation in der WdL verlangt hingegen in der Regel von sich aus, erneut in die Negation eingegeben zu werden, weil sie nämlich widerspruchsvoll ist und der Widerspruch verneint werden muss. Anders als der Dialetheismus (Graham Priest etwa) behauptet, gibt es keine wahren Widersprüche, sondern



Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff 

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allenfalls in gewissem Sinn zutreffende; doch das, worauf sie zutreffen, ist dann ontologisch instabil, kein gediegenes Sein, sondern ein flüchtiges Werden oder ein kernloser Schein oder ein dunkler, brodelnder Grund oder etwas dergleichen. Weil es beim Widerspruch nicht bleiben kann, erweist dieser sich als Motor der logischen Fortbewegung, der zur Neueingabe von erreichten Resultaten in die Negationsmühle zwingt. Dadurch wird der logische Negationsprozess am Laufen gehalten, entweder bis ein widerspruchsvoller Fixpunkt erreicht wird, also eine unbehebbare Antinmomie  – dann wäre die WdL bis auf weiteres gescheitert – oder ein widerspruchsfreies Resultat, das nicht mehr verneint zu werden braucht. Am besten wäre es, wenn dieses Resultat gleichzeitig ein Fixpunkt wäre, so dass seine abermalige Verneinung nichts Neues mehr ergäbe. Wenn das ohne Antinomie möglich sein sollte (was aber schwer vorstellbar ist), wäre es der finale Triumph der WdL. Zuletzt eine vierte Disanalogie. An einem gewissen Punkt der seinslogischen Entwicklung, spätestens beim Anderen seiner selbst (vielleicht auch schon beim in-sich-seienden Etwas) erweist sich die Operation der Negation als zirkulär oder regressartig in folgendem Sinn: Sie operiert grundsätzlich nur an solchem, an dem sie bereits operiert hat. Das wäre so, als ob das Mahlgut unserer Kaffeemühle immer schon vorgemahlen wäre von eben dieser Mühle. Wir hätten dann die Bohnen nicht im Kolonialwarenladen zu kaufen brauchen, sondern sie wären schon vorgemahlen in der Mühle mitgeliefert worden, und die Mühle wäre beim Kauf bereits in Betrieb gewesen (stellen wir uns eine elektrische Kaffeemühle mit Batteriebetrieb vor, die im Kreislauf von Eingabe und Ausgabe weitermahlt, während wir sie aus dem Laden nach Hause tragen). Natürlich hätte eine solche Mühle etwas Wundersames, weil keiner ihrer Mahlgänge der erste gewesen wäre. Die Mühle und ihr endogenes Mahlgut wären ebenso ewig wie die natürlichen Arten in der aristotelischen Metaphysik: Der Mensch zeugt (und gebiert) einen Menschen, und das von Ewigkeit her. Ebenso mahlt diese Mühle ihren Kaffee von Ewigkeit her, und in diesem Sinn ist die Negation, und zwar schon innerhalb der Seinslogik, zirkulär oder selbstbezüglich, wenn auch dabei außerdem noch bezogen auf etwas Anderes, das zu ihr gehört und ihr doch vorgegeben ist, das Sein. Aber diese Zirkularität schon der seinslogischen Negation ist eine Entdeckung, die wir innerhalb der Seinslogik machen. Ganz zu Beginn des Unternehmens mussten Hegel und wir als die zuständigen Hintergrundtheoretiker in äußerer Reflexion für das erste Unmittelbare sorgen, also doch zunächst in den Kolonialwarenladen gehen: damit wir hinterher entdecken konnten, dass dies nicht nötig gewesen wäre. Am Anfang konnten wir das noch nicht wissen. Gehen wir also noch einmal zurück auf „Anfang“ und lassen uns Zeit. Wir stehen im großen Laden der Welt, betrachten die bunte Szenerie des Mannigfaltigen und

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abstrahieren von all ihren kategorialen und empirischen Bestimmungen, weil wir rein denken oder wenigstens dem reinen Denken zusehen wollen. Etwas anders gesagt: Wir abstrahieren von allen Unterschieden zwischen möglichen Wahrheitsansprüchen, die wir erheben könnten, und postulieren als unbestimmtes und neutrales Residuum einen gemeinsamen minimalen Kern aller möglichen Wahrheitsansprüche, den wir mit Wittgenstein die Eine logische Konstante nennen können oder mit Hegel einfacher das reine Sein. Das war unser Einkauf beim Kolonialwarenhändler; mit dem reinen Sein also ziehen wir aus dem Laden von dannen. Jetzt müssen wir noch die Mühle besorgen, im Haushaltswarenladen. Haushaltswarenläden gibt es viele, am Main und auch am Nile. Wir betreten den erstbesten: die gewöhnliche Aussagenlogik. Aus ihr holen wir uns als die alternativlose einstellige Wahrheitsoperation die Negation. Zu Hause müssen wir sie noch ein wenig umbauen, weil wir keine Aussagen (oder Propositionen) verneinen wollen, sondern fürs Erste das reine Sein, das eine Art Hybridbildung zwischen Propositionen und Gegenständen darstellt. Ich nenne solche Hybridbildungen Ur-Sachverhalte. Das reine Sein ist unser vorerst einziger und alternativloser Ursachverhalt. Ihn also geben wir nun in die Verneinungsmühle ein, und die Mühle liefert uns ächzend das Werden, eine Mischung von Sein und Negativität; ächzend, weil sich das Sein per definitionem nicht effektiv verneinen und vernichten lässt, sondern am Ende wie ein Stehaufmännchen wieder da ist. Wie und warum genau das so ist, tut im gegenwärtigen Zusammenhang nichts zur Sache, denn ich will nicht über das Sein und das Werden sprechen, sondern über die Mittelstellung des Wesens. Ich erwähne daher nur kurz, ohne Argument, dass das Werden, weil es inkohärent ist, sofort noch einmal in die Verneinungsmühle einzugeben ist, woraufhin diese im zweiten Mahlgang das Dasein liefert, das beinahe genauso aussieht wie das reine Sein, aber de facto schon bestimmt ist, nämlich als das ruhige Negativ des explosiven Werdens. Als Nächstes machen wir dann die erwähnte Entdeckung des In-sich-Seins des Daseins. Auch das berühre ich nur ganz kurz. Das Werden ist der logische Urknall, mit dem die Evolution des logischen Raumes beginnt. Dessen erster halbwegs ruhiger und stabiler Zustand ist das Dasein. Dem reinen Denken, dem wir in der WdL zusehen, muss das Dasein als ein Erstes und Unmittelbares vorkommen, denn der logische Urknall des Werdens liegt vernichtet und zusammengesunken, jedenfalls unkenntlich, hinter ihm. Daher müssen wir in unserer äußeren Reflexion (unserer Hintergrundtheorie) das Werden zu der Grenze zwischen der logischen Historie und der logischen Prähistorie in der Evolutionsgeschichte des logischen Raumes erklären: Das reine Sein (und auch das reine Nichts) liegen jenseits dieser Grenze und können vom Denken nicht erfasst, sondern nur ange-



Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff 

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zielt, nur „gemeint“ werden. Und eben deswegen müssen wir nun sagen, dass die Mühle der Verneinung immer schon am Laufen gewesen ist. Das unmittelbare Mahlgut tritt auf in Gestalt des Daseins, näher betrachtet in Gestalt des Daseienden oder Etwas, das „in sich“ ist, weil es – durch den Mahlprozess der Negativität hindurch – ewig aus sich selber herkommt. Das zu mahlende Mahlgut ist nun also das Dasein und das gemahlene Mehl ist ebenfalls das Dasein. Im Mahlprozess bzw. in der Verneinung bricht der Unterschied am Dasein jeweils kurz auf (als die Differenz von Realität und Negation, sagt Hegel), wird aber sogleich wieder aufgehoben in dem in-sich-seienden Etwas. Die Kaffeemühle und das Mahlgut, die Verneinung und das Unmittelbare, sind eben nur im Doppelpack zu haben, und die Mühle läuft immer schon, wenn man sie kauft. Im Nachhinein müssen wir unser Bild von zwei Einkäufen in zwei Läden korrigieren. Es war ein Doppeleinkauf in ein und demselben Laden: eine laufende Kaffeemühle mit immer schon vorgemahlenem Mahlgut. Dieser Eindruck verstärkt sich sofort noch im weiteren Verlauf der Logik des Daseins, wenn Hegel von dem Gedanken des Etwas zu dem des Anderen und dann dem des Anderen seiner selbst übergeht. Irgendwie ist das unmittelbare Sein zwar am Kreislauf des Mahlens (d. h. des Verneinens) beteiligt; aber man weiß und sieht schon gar nicht mehr recht, wie genau. Das ist der charakteristische Stand des Unmittelbaren und der Vermittlung (des Seins und der Negation) in der Seinslogik.

2 Die Wesenslogik als Mittleres Dieser Stand ändert sich beim Übergang in die Wesenslogik. Unmittelbar vorher, am Ende der Seinslogik, kommen wir bei dem stehenden Selbstwiderspruch des ewigen Seins an, den wir nicht mehr dadurch auflösen können, dass wir ihn als Werden interpretieren. Er vergeht nicht; er ist. Das Sein versinkt in absoluter Indifferenz (wie Hegel sich ausdrückt). Der Dialetheismus  – zur Erinnerung  – ist die These, vertreten und getauft von Graham Priest, dass es wahre Widersprüche gibt. Tatsächlich kommt es im Verlauf der WdL immer wieder zu Situationen, in denen ein Widerspruch sich als Inhalt des reinen Denkens unausweichlich aufdrängt. Aber das sind dann jeweils logische Grenzsituationen, bei denen es nicht bleiben kann. Immer muß dann irgendetwas unternommen werden, um den Widerspruch zu beheben, als wie vorläufig auch immer sich die Behebungsmaßnahme dann erweisen mag. Eine typisch seinslogische Maßnahme war es, den Widerspruch als Ausdruck eines Werdens oder Umschlagens zu deuten. In dem Augenblick, wenn der Torwart den

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Ball fängt oder, noch präziser, wenn der Ball mit der Handschuhoberfläche des Torwarts zusammentrifft, berührt er sie noch nicht und auch schon. Das Nichtwiderspruchsprinzip gilt für das Sein, das Der-Fall-Sein: Es kann nicht der Fall sein, dass der Torwart den Ball berührt und zugleich auch nicht berührt. Und doch gibt es diesen Augenblick des Werdens oder Umschlagens, in dem beide Seiten der Kontradiktion zutreffen. Also diagnostizieren wir hier kein Sein, sondern ein flüchtiges Werden und lassen dieses Werden als einen infinitesimalen Grenzfall gelten, in dem das Nichtwiderspruchsprinzip außer Kraft gesetzt – nicht ist, sondern vorübergehend – wird. Dieser Schachzug ist uns beim Übergang von der Seins- zur Wesenslogik aber verwehrt, weil der Endwiderspruch der Seinslogik sich a) wie das Andere seiner selbst schon selber verneint und weil er b) im Kontrast zum Anderen seiner selbst kein Fall von Veränderung, also nicht vorübergehend oder infinitesimal, sondern vielmehr ewig ist. Dennoch will das reine Denken weiter- und aus dem seinslogischen Endwiderspruch freikommen. Da nicht mehr auf Werden erkannt werden kann, erkennen wir in unserer Hintergrundlogik nun auf reinen, absoluten Schein. Im absoluten Schein tritt sich das Denken gleichsam selber in den Weg, sieht nur noch sich selber und dringt nicht mehr durch zu seinem Gegenstand. Das Rundumfenster, das dem Denken den Blick auf den Gegenstand ermöglichen sollte, wird zum Rundumspiegel. Das Denken kreist inkonsistent in sich, reflektiert nur sich selbst an den Spiegelwänden und ist vom intendierten Sein abgeschnitten. Es muss seinen Wahrheitsanspruch preisgeben, unmittelbar auf das gediegene Sein bezogen zu sein, aber es erhebt nun den bescheideneren Wahrheitsanspruch, dass hinter dem Spiegel und vorerst noch verborgen der wahre Gegenstand wartet. Zwar hat sich das unmittelbare Sein als Schein, als leere zirkuläre Negation, leere Reflexion erwiesen; aber in diesem Nichtigen ist es immerhin aufgehoben und ist seine Gültigkeit durchgestrichen. Das Sein ward Schein und ipso facto Zeichen, griechisch sêma – ein Zeichen für das noch völlig unbekannte Negativ des Seins oder Scheins, das wir vorweg schon einmal das Wesen nennen können, obwohl wir es noch gar nicht kennen. Hier, am Anfang der Wesenslogik, stehen wir also, nebenbei gesagt, auch am Anfang der philosophischen Semantik, was Hegel aber nicht näher ausführt, weil zu seiner Zeit noch niemand auf den Gedanken verfallen war, die Erste Philosophie könnte reine, apriorische Semantik sein. (Der frühe Wittgenstein, Dummett und Tugendhat haben es später, Freges neue Logik vor Augen, mit diesem Gedanken versucht und sind alle insofern gescheitert, als die Erste Philosophie jedenfalls nicht ausschließlich Semantik sein kann.) Der absolute Schein, dem wir in dieser Weise zu Beginn der Wesenslogik begegnen, ist zirkuläre und zugleich reine, nicht mit Unmittelbarkeit kontaminierte Negativität. Auch das Andere seiner selbst war zirkuläre Negativität, aber



Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff 

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nicht rein, sondern mit unmittelbarem Sein behaftet. Denken wir an die wundersame Kaffeemühle, die immer schon in Betrieb ist und immer schon etwas mahlt  – immer schon Etwas (großgeschrieben) mahlt, und dies in der Weise, dass das mit sich identische Etwas, das frisch gemahlen aus der Mühle kommt, aus dem Anderen seiner selbst hervorgeht. Jetzt im Falle des Scheins entpuppen sich das zu mahlende Mahlgut und das gemahlene Ergebnis als durch und durch nichtig. Die Mühle läuft ohne Unmittelbares, also ganz im Leerlauf, und liefert doch ein Resultat, eben den Schein. Statt des mit sich identischen Etwas liefert die Verneinungsoperation nun die leere Reflexionsbestimmung der Identität rein für sich, ohne ein unmittelbares Etwas, an dem sie aufträte. Und an die Stelle des Anderen seiner selbst tritt die Reflexionsbestimmung der Nichtidentität, d. h. des Unterschiedes, rein für sich und ohne Beimischung von Unmittelbarkeit. Beim Übergang vom Sein zum Wesen musste wie auch früher schon des Öfteren in der Seinslogik ein Grenzfall gefunden werden, für den wir den Di­aletheismus behaupten dürfen, d. h. für den wir behaupten dürfen, dass ein wahrer oder doch irgendwie zutreffender Widerspruch vorliegt, also eine Situation, in der ein Satz der Form „p und ~p“ wahr ist. Wenn diese Konjunktion wahr ist, müssen beide Konjunkte wahr sein. Wenn aber das eine von ihnen wahr ist, zum Beispiel „p“, ist das andere, „~p“, falsch. Und ebenso umgekehrt. Also ist ein Widerspruch, wenn er in einer Grenzfallsituation einmal zutrifft, zugleich auch in seinen beiden Teilen unzutreffend. Mit einem Wort: Ein wahrer Widerspruch ist ipso facto auch ein falscher. Der erste Grenzfall eines wahren Widerspruchs war in der WdL der des Werdens. Da dieser Widerspruch als solcher zugleich falsch war, musste das Werden zugunsten seines Negativs, des Daseins, verschwinden. Der neue Grenzfall am Übergang vom Sein zum Wesen ist der Schein. Auch hier müssen Wahrheit und Falschheit wieder beide im Spiel sein. Und so kennen wir es auch von den gewöhnlichen Fällen, in denen uns etwas der Fall zu sein scheint, was in Wahrheit nicht der Fall ist. Nehmen wir eine weiße Wand, die im Blaulicht blau aussieht. Darin, dass sie uns blau zu sein scheint, sind wir unfehlbar; das kann nicht falsch sein. Aber wenn wir nun meinen, die Wand sei wirklich blau, so glauben wir etwas Falsches und wurden vom bloßen Schein getäuscht. Anders als das Werden aber will der Schein nicht verschwinden, selbst dann nicht, wenn wir ihn durchschauen. Auch wenn wir wissen, dass die betreffende Wand weiß ist, sieht sie im Blaulicht weiterhin blau aus. Ähnlich ist es bei dem absoluten Schein zu Beginn der Wesenslogik. Das Denken tritt sich, wie gesagt, selbst in den Weg, sein Fenster nach draußen wird zum Spiegel, und es reflektiert sich leer in sich selbst. Auch wenn es im nächsten Schritt sich in voraussetzender Reflexion ein Wesen voraussetzt, von dem es abhängig sei, so erreicht es dieses Wesen damit aber keineswegs; seine Reflexion

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in sich bleibt dem unbekannten und vorausgesetzten Wesen äußerlich. Im weiteren Fortgang der Wesenslogik wird diese voraussetzende und dann äußere Reflexion freilich doch noch zur bestimmenden Reflexion, d. h. einer Reflexion, die ihren Gegenstand erreicht und bestimmt, und diese bestimmende Reflexion ist ein wahres Wunderding und ein Zauberkniff. Ich werde gleich etwas zu ihr sagen, weil sie für die Wesenslogik im Methodischen so zentral ist. Aber zuvor noch ein Wort über unsere Kaffeemühle und das Kaffeemehl, das sie immer schon mahlt. Auch in dieser Rücksicht gibt es Neues und Wundersames zu vermelden. Die WdL ist das Versprechen einer streng voraussetzungslosen Theorie. Daher musste an ihrem Anfang ein Gedankeninhalt gefunden werden, der vollkommen neutral und alternativlos ist und in jedem beliebigen Gedanken mitgedacht wird, den also auch der wildeste Skeptiker nicht in Abrede stellen kann. Dieses schlechthin Unwegdenkbare war das reine Sein. Mit ihm zu beginnen, war die minimale, denkbar schwächste Voraussetzung, aber eine Voraussetzung für das reine Denken eben doch noch, nämlich etwas Unmittelbares, dem Denken Gegebenes. In der Seinslogik war insofern das Ideal der strengen Voraussetzungslosigkeit noch nicht vollständig verwirklicht, sondern wir mussten für das reine Denken aus unserer Hintergrundtheorie das unmittelbare Sein und die Operation der Negation mitbringen, und sei es auch im Doppelpack auf einen Schlag. Sonst wäre das reine Denken nicht in Gang gekommen. Diese beiden theoretischen Investitionen mochten so alternativlos sein, wie nur irgend möglich; dennoch waren es Investitionen, Vorgaben, äußere Mitbringsel. Eine von ihnen sind wir nun im Nachhinein, nämlich im Übergang zur Wesenslogik, losgeworden. Was wir als Unmittelbares mitbrachten, hat sich als Erzeugnis der Operation der Negation erwiesen. Es ist keine Investition mehr, sondern ein Profit, ein Produkt der Theoriebildung. Das ergibt ein neues Bild unserer Kaffeemühle. Wir brauchen kein Mahlgut zu kaufen, weder separat beim Kolonialwarenhändler noch auch vorgemahlen, immer schon, in der laufenden Mühle; sondern die Mühle läuft leer und erzeugt im Leerlauf ihr Mahlgut: den nichtigen Schein, der sich in der Folge einteilen lässt in die Reflexionsbestimmungen der Identität und des Unterschiedes und hinter dem das Wesen als seine wahre Quelle der Entdeckung harrt. Die Operation der Negation erweist sich so in ihrer Zirkularität als generativ und autark. Sie sorgt für sich selber und gibt sich ein Operandum, an dem sie operieren, das sie negieren kann. Nun zu dem anderen, schon angekündigten Punkt: dem Wunder der bestimmenden Reflexion. Auch sie ist, wie die gerade betrachtete autarke Negation, ein Charakteristikum des Wesens und verdient auch daher unsere besondere Aufmerksamkeit (da ja die Mittelstellung des Wesens unser Thema ist). Wir müssen ein wenig weiter ausholen, um sie angemessen würdigen zu können.



Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff 

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In der Seinslogik kam das reine Denken mit seinem Gegenstand, dem Sein in den Gestalten wechselnder logischer Ursachverhalte, zusammen. Die sogenannten Qualia in der heutigen Philosophie des Mentalen sind dafür ein lehrreiches Beispiel. Man stellt sich unter den Qualia so etwas vor wie die Hume’schen Sinneseindrücke, und in jedem dieser Eindrücke geht das empfindende Subjekt völlig auf, verliert sich in ihm in einer völligen Subjekt-Objekt-Indifferenz, aus der Hume denn auch weder die Objektivität noch die Subjektivität, weder die Sub­ stanz und ihre Kausalität noch das Selbst wiederherzustellen vermochte. Wenn man mit Qualia anfängt und Empirist bleibt, gibt es nachher keine Substanz, keine Ursache, kein Selbst mehr. Im ersten Abschnitt der Seinslogik haben wir natürlich nicht mit vielen sinnlichen Qualia, sondern mit dem einen und einzigen logischen Quale zu tun, dem bestimmten Dasein oder der Qualität als solcher, in der alle relevanten Differenzen (von Substanz und Akzidens, Subjekt und Objekt) noch ganz unkennntlich sind. Das reine Denken des Daseins bzw. der Qualität ist versenkt in seinen Gegenstand und ganz eins mit ihm. Im ersten Abschnitt der Wesenslogik hingegen haben wir statt dessen den Schein. Nur mit ihm ist das reine Denken nunmehr eins. Aber der Schein ist gerade nicht der intendierte Gegenstand des Denkens; dieser ist vielmehr das unbekannte Wesen hinter der Spiegelfassade des Scheins. Ganz von ferne noch beginnt sich hier die Subjekt-Objekt-Dualität abzuzeichnen. Das Denken ist in inkonsistenten Schein verwickelt, der in seiner Haltlosigkeit aus sich hinausweist auf das Wesen, das er nicht ist (sondern als dessen bloßes Scheinen in sich er sich erweisen wird). Das Denken setzt sich dieses unbekannte Wesen als seinen intendierten, aber noch unerreichten Gegenstand voraus, setzt ihn als nicht gesetzt, als unabhängig von seinem Setzen bestehend, und wird in Beziehung auf ihn zur äußeren Reflexion. Wie aber soll die äußere Reflexion ihr Vorausgesetztes je erreichen und es je bestimmen können? Die Wesenslogik insgesamt ist die Theorie darüber, wie es geht. Im ersten Abschnitt bleibt sie ganz auf der Seite des Scheins, der Reflexion des Denkens in sich. Die Reflexion in anderes, die dabei natürlich auch vorkommt, bewegt sich hier ebenfalls in der Binnensphäre des Scheins: Dem Denken steht nicht die Sache, sondern der einen Reflexionsbestimmung, Identität, steht die korrelative Reflexionsbestimmung, Unterschied, gegenüber; die Sache, das eigentlich Reale oder wie immer man es nennen will, ist ganz aus dem Blick geraten. Die Binnenreflexion des Scheins ist bislang nur setzend, noch nicht voraussetzend, noch nicht äußerlich in Beziehung auf ein Vorausgesetztes und erst recht noch nicht bestimmend. Doch die wohlartikulierte Binnensphäre des Scheins spitzt sich zu zum Gegensatz und weiter zum Widerspruch und geht schließlich in der Reflexionsbestimmung des Widerspruchs zu Grunde (wie Hegel sich ausdrückt); sie verliert dabei erstens ihre interne Gliederung und sinkt zweitens in den unbe-

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kannten, abgründigen Fundus, der bisher nur ein Vorausgesetztes war. Das reine Denken kommt nun also, zu Grunde gehend, in eben jenem Grund an, der die Inkonsistenz des Widerspruchs auffängt und ins Produktive wendet, indem er in der Folge die Existenz aus sich freisetzt. Der zweite Abschnitt der Wesenslogik untersucht dann die freigesetzte Existenz in ihrem Verhältnis zur Essenz, zunächst als Verhältnis von Ding und Eigenschaften, dann von erscheinender und wesentlicher Welt und schließlich als das gesetzte und wesentliche Verhältnis: von Ganzem und Teilen, Kraft und Äußerung, Innerem und Äußerem. Hier nun ist die Reflexion, die das Denken vorantreibt, voraussetzend und versucht, ihr Anderes zu erreichen, zu dem sie im Verhältnis steht. Am Ende erreicht sie es tatsächlich und wird ipso facto bestimmend, nämlich in der „Einheit des Wesens und der Existenz oder des Inneren und des Äußeren“ (Enzyklopädie § 142), die im dritten Abschnitt der Wesenslogik unter der Überschrift „Wirklichkeit“ behandelt wird. Bestimmend wird die vormals äußere Reflexion, sobald sie ihren Gegenstand endlich nicht mehr nur anzielt, sondern wirklich erreicht. Was es damit auf sich hat und inwiefern dieses Erreichen und Bestimmen höchst wundersam ist, möchte ich nicht an Hegel, sondern an Kant erläutern (den Hegel in diesem Punkt weit unter Wert zu interpretieren und kritisieren beliebt). Kants kopernikanische Wende besteht nach meiner Überzeugung nicht darin, dass er lehrte, wir richteten die Objekte nach unseren Verstandesbegriffen aus. Vielmehr beweist er in der transzendentalen Deduktion umgekehrt, dass unsere Verstandesbegriffe objektiv gültig sind, was ja heißen muss, dass die Objekte selber sich ohne unser Zutun immer schon nach ihnen gerichtet haben. Unsere subjektiven Verstandesbegriffe sind immer schon ihre objektiven kategorialen Bestimmungen. Freilich können wir, wie Hume gezeigt hat, die kategorialen Bestimmungen nicht rezeptiv erkennen; sie werden uns nicht gegeben. Also können wir sie überhaupt nicht erkennen, hatte Hume geschlossen. Kant aber ist weniger defätistisch. Was wir nicht rezeptiv von den Dingen empfangen, müssen wir spontan auf die Dinge projizieren, aber nicht als etwas den Dingen Fremdes, sondern als deren eigene kategoriale Struktur. Unsere spontane Projektion der Logik auf die Dinge ist insofern eine konservative, keine erfinderische oder revisionäre Projektion. Mein Lieblingsbeispiel für eine konservative Projektion ist das Lesen. Ein Nichtleser und eine Leserin stehen vor einer Inschrift, und beide sehen dasselbe. Aber die Leserin projiziert spontan und unwillkürlich einen sprachlichen Sinn in das, was sie sieht, der Nichtleser nicht. So projizieren Sprecher spontan und unwillkürlich eine kategoriale Struktur in die Dinge, rein indem sie über die Dinge reden; Nichtsprecher tun das nicht. Was die Leserin in den Text projiziert, ist objektiv in ihm vorhanden: Sie liest genau das, was dort geschrieben steht. Ebenso projizieren auch Sprecher genau die kategoriale Struktur in die Dinge, die



Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff 

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objektiv in ihnen liegt, die man aber nicht rezeptiv in sinnlicher Wahrnehmung an ihnen erkennen kann. Wie genau Kant beweist, dass die konservative Projektion der Logik auf die Welt möglich und verlässlich ist, braucht uns hier nicht zu interessieren. Raum und Zeit spielen eine zentrale Rolle im Beweis: Was in die Existenz tritt, tritt in Raum und Zeit, die ihrerseits notwendig kategorial vorstrukturiert sind. Aber wie gesagt, das ist ein anderes Thema. Worauf es gegenwärtig ankommt, ist folgendes: Kants konservative Projektion ist ein Beispiel (vielleicht das Beispiel par excellence) der bestimmenden Reflexion. Die bestimmende Reflexion bleibt ganz bei sich und erreicht dennoch ihr vorausgesetztes Anderes, das insofern aufhört, vorausgesetztes Anderes zu sein, und sich mit der Reflexion zu derjenigen Einheit zusammenschließt, die Hegel die Wirklichkeit nennt. Die wesenslogische Negation, um zu ihr zurückzukehren, hat kein erstes Unmittelbares, an dem sie operiert, sondern zehrt in Autarkie sich gleichsam selber auf und verwandelt sich dabei in Wirklichkeit. Das entspricht einer leerlaufenden Kaffeemühle, die dennoch eine Ausgabe liefert, weil sie sich allmählich selber mahlend verzehrt und neu ausgibt. So entsteht aus reiner Negativität substantielles Sein. Wir kaufen eine Kaffeemühle ohne Kaffee, setzen sie in Gang und am Ende haben wir Kaffeemehl und keine Mühle mehr oder vielmehr eine Mühle aus lauter Kaffeemehl. Dieses faktische Sich-selbst-Zermahlen und Sichselbst-Ermahlen der Mühle, das Sich-selbst-Verzehren und Sich-neu-aus-sich selbst-Aufbauen der Negation ist in der Begriffslogik dann eigens gesetzt. Die Mittelstellung des Wesens zwischen Sein und Begriff besteht also eben darin, dass im Wesen auch noch die Unmittelbarkeit der Vermittlungsoperation als solcher abgebaut und in reine Selbstvermittlung umgeformt wird. Mit anderen Worten, am Ende der Wesenslogik ist der Schein der Gegebenheit und Undurchsichtigkeit der Negation abgearbeitet und durchschaut. Im Übergang zur Begriffslogik erweist sich die Negation als nicht nur autark oder autonom, sondern auch als absolut, nämlich als ganz und gar durch sich selbst vermittelt. Die Mühle „er-mahlt“ nicht nur ihr Mahlgut, sondern „er-mahlt“ auch sich selbst. Nicht nur der Gang zum Kolonialwarenhändler, sondern auch der zum Haushaltswarenhändler war in gewissem Sinn überflüssig. Dies ist nun, gemessen am Programm einer streng voraussetzungslosen Theorie, wirklich ein hocherfreuliches Ergebnis. Denn es erweist sich ja nun auch die zweite Investition, die wir anfangs tätigen mussten, als theoretischer Profit, und das Versprechen der Voraussetzungslosigkeit wird damit zur Gänze eingelöst. Wir gingen aus von beliebigen Wahrheitsansprüchen bzw. von der Aussage als dem sprachlichen Ort der Wahrheitsansprüche und taten so, als verstünden wir, was Wahrheitsansprüche sind. Durch Abstraktion schufen wir den gemeinsamen Kern aller Aussagen und machten ihn zum singulären logischen

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Ursachverhalt, genannt das reine Sein. Wir wussten aber gar nicht, was wir da in die Hand genommen hatten. Das Wenige, was wir wussten, reichte gerade nur aus, um fortzufahren, nämlich die allersimpelste Wahrheitsoperation, die Negation, ins Spiel zu bringen. Kurz, unser Vorverständnis der voraussetzungslosen Theorie begann bei der Aussage und bei der aussagenlogischen Negation und führte uns in die WdL hinein. Jetzt, in der Begriffslogik, hat sich die Richtung des Verstehens umgekehrt. Das, was Hegel den Begriff nennt, entspricht der sich selbst ermahlenden Kaffeemühle, und dieser Begriff liefert uns das Verständnis der logischen Grundoperation, aus der wir am Ende auch die aussagenlogische Negation verstehen müssen. Im Begriff sind Gesetztsein und An-und-für-sich-Sein, wie Hegel erklärt, identisch geworden. Das Stadium der Reflexion und des Setzens, welches das wesenslogische Stadium war, ist überwunden. Der Begriff oder der Logos, d. h. das Prinzip der Propositionalität, ist diejenige Relation, die zwischen sich und sich besteht, oder diejenige Operation, die sich zur Eingabe und zur Ausgabe hat, eben die Kaffeemühle, die sich selbst ermahlt und zermahlt. Nun ist das Denken wieder ganz bei seinem Gegenstand, der es selber ist, nachdem es in der Wesenslogik vom Gegenstand zunächst völlig getrennt und bei sich nur als bei dem absoluten Schein war, daraufhin sich seinen Gegenstand nur voraussetzte und äußerlich auf ihn reflektierte und zuletzt ihn in einer konservativen Projektion bestimmte. Diese bestimmende Reflexion war schon beinahe das Mitsich-Zusammengehen des Denkens mit sich als seinem Gegenstand; aber erst im Begriff ist dieses Zusammengehen nun gesetzt und zugleich das Programm der voraussetzungslosen Theorie vollständig eingelöst. Das unmittelbare Sein des Anfangs verstehen wir jetzt als die äußerste Schwundstufe des in sich wohlartikulierten Begriffs, und die Negation, die wir aus der Aussagenlogik übernehmen und dem Sein anpassen mussten, verstehen wir ebenfalls aus dem und als den Begriff, als seine interne Artikulation nämlich. Es gibt den dummen Spruch von der Sünde ohne Reue; aber etwas ganz Ähnliches soll hier nun tatsächlich erreicht sein: eine Negation ohne harte Antinomie. Wir brauchen die Negation, wie schon Parmenides sah, als Prinzip der Bestimmung, der Gliederung, der Vielheit und der Prozessualität. Aber der Preis der Negation ist die harte Antinomie; deswegen verbannte Parmenides sie aus dem logischen Raum. Im Begriff aber verspricht uns Hegel die durchsichtige und freie Negation: nur noch Gliederung ohne Antinomie. Se non è vero, è ben trovato.

Christian Iber

Hegels Begriff der Reflexion als Kritik am traditionellen Wesens- und Reflexionsbegriff In meinem Beitrag1 möchte ich das Spezifische von Hegels Reflexionsbegriff in fünf Schritten beleuchten. In einem ersten Schritt wird eine Skizze des Reflexionsbegriffs in Hegels Wesenslogik entworfen. In einem zweiten Schritt wird Hegels Begriff der Reflexion als objektive logische Struktur im Kontrast zur subjektiven Reflexion des Bewusstseins und des Verstandes dargestellt, womit zugleich der ontologische, reflexionsunabhängige Wesensbegriff einer Kritik unterzogen wird. Aus Hegels neuem Konzept der Reflexion ergibt sich drittens eine radikale Umdeutung des fehlerhaften Zirkels in der traditionellen Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins. In einem vierten Schritt wird ein Blick auf Hegels früheren Reflexionsbegriff als trennendes Verstandesdenken geworfen, von dem sich Hegels späterer Reflexionsbegriff abhebt. Schließlich wird fünftens Hegels Reflexionslogik als Kritik der ontologischen Fundierung der Reflexion bei Schelling vorgestellt. Hegels Reflexionsbegriff erweist sich dadurch als Kritik der traditionellen ontologischen Metaphysik und als Fundierung einer Metaphysik absoluter Relationalität, die die bloße Relativität des modernen Verstandesdenkens überwindet.

1 S  kizze des Reflexionsbegriffs in Hegels Wesenslogik Das Wesen ist der Nachfolgerbegriff des Seins. Indem das Sein am Ende der Seinslogik in der Kategorie der absoluten Indifferenz an die Grenze der Explikation seiner Bestimmungen (Qualität, Quantität und Maß) kommt und damit zugleich an die Grenze seiner Selbstexplikation stößt, macht es eine neue univer-

1 Bei der vorliegenden Abhandlung handelt es sich um eine überarbeitete Fassung eines Abschnitts meiner Dissertation: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York 1990, 131–141. Der Artikel ist auch auf Portugiesisch erschienen: Christian Iber, „O conceito de reflexão de Hegel como crítica aos conceitos de essência e de reflexão tradicionais“, in: Revista Opinião Filosófica, Porto Alegre, v. 05; n°. 01 (2014), 7–23.

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sale Erklärungsform von Bestimmungen notwendig, die den Mangel der Erklärungsform des Seins überwindet. Das Wesen ist das Erklärungsprinzip solcher Bestimmungen, die sich wechselseitig auseinander erklären. Die Wesenslogik untersucht diese Bestimmungen deshalb als zweistellige Relationsbegriffe (Identität-Unterschied, Positives-Negatives. Grund-Begründetes, Ding-Eigenschaft, Ganzes-Teile, Inneres-Äußeres, Ursache-Wirkung etc.). Aufgabe des ersten Kapitels der Wesenslogik ist es einen Wesensbegriff zu entwickeln, der aus sich selbst heraus entwicklungsfähig ist. Erst als Reflexion ist das Wesen das „An-und-Fürsichseyn“ (GW 11, 242) oder eine für sich autonome logische Struktur, der die Bewegungsweise der „Selbstbewegung“ (GW  11, 249) zugeschrieben wird. Die Reflexion ist der Titel des dritten Abschnitts C des ersten Kapitels der Wesenslogik. Das erste Kapitel der Wesenslogik ist der Versuch, sich mit Argumenten auf den Standpunkt der absoluten Reflexion als einer objektiven logischen Struktur zu stellen. Die absolute Reflexion stellt die unhintergehbare Erklärungsform alles Wirklichen dar, die die Erklärungsform des Seins, die nur für regionale Bereiche der Wirklichkeit (Qualität, Quantität und Maß) zuständig ist, überwindet. Die Reflexion ist die Zirkelbewegung von Nichts zu Nichts, welche dadurch zu sich zurückkehrt (vgl. GW 11, 249). In dieser Kreisbewegung steckenzubleiben, wäre jedoch der „Kollaps“2 des gesamten logischen Prozesses. Doch enthält sie in ihr selbst die Notwendigkeit ihrer Fortbestimmung, denn sie ist als eine Bewegung zu verstehen, die sich als Bewegung selbst aufhebt und so Bestimmtheit konstituiert. Es ist das ihr selbst eigene Bewegungsgesetz, von sich selbst zu abstrahieren und sich selbst als ein Sein vorauszusetzen. Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit eine Erweiterung des Reflexionsbegriffs. In einem Vorspann zu Abschnitt „C. Die Reflexion“ des ersten Kapitels der Wesenslogik gibt Hegel – wie üblich – einen Überblick über die zu erwartende logische Entwicklung. Die Reflexion entfaltet sich als „setzende“, „äußerliche“ und „bestimmende Reflexion“: „Diese reine absolute Reflexion, welche die Bewegung von Nichts zu Nichts ist, bestimmt sich selbst weiter. Sie ist erstlich setzende Reflexion; sie macht zweytens den Anfang von dem vorausgesetzten Unmittelbaren, und ist so äusserliche Reflexion. Drittens aber hebt sie diese Voraussetzung auf, und indem sie in dem Aufheben der Voraussetzung zugleich voraussetzend ist, ist sie bestimmende Reflexion.“ (GW 11, 250)

2 Vgl. Dieter Henrich, „Hegels Logik der Reflexion“, in: D. Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 1971, 116; ebenso Dieter Henrich, „Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung“, in: Hegel-Studien, Beiheft 18, Bonn 1978, 270; und im Anschluss an Henrich: Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 1978, 325 f.



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Wie sich in der Durchführung der Reflexionslogik zeigt, ist dieser Dreischritt tatsächlich in groben Zügen richtig, doch wird er in eine wesentlich komplexere Entwicklung eingebaut: 1. Als setzende Reflexion (Abschnitt C.1) entwickelt sich die Reflexion zur Einheit von Setzen und Voraussetzen. 2. Die Verdoppelung der Reflexion – dies, dass sich die Reflexion im Aufheben ihrer selbst selbst voraussetzt – bildet nicht nur die Voraussetzung für den Übergang zur bestimmenden Reflexion, sondern ist konstitutive Bedingung schon für die äußere Reflexion (Abschnitt C. 2). Schon im Abschnitt über die setzende Reflexion kommt es also zur Selbstaufhebung und zur Verdoppelung der Reflexion. 3. Erst die Identifikation der Reflexion und ihrer Voraussetzung, die selbst ein Fall von Reflexion ist, durch die Reflexion selbst, führt zur bestimmenden Reflexion (Abschnitt C. 3). Diese Mangelhaftigkeit der Vorankündigung ist insofern nicht gravierend, als Hegel auf solche Überblicke keinen gesteigerten Wert legt: An mehreren Stellen der Logik hat er sie als äußerliche Reflexion und nicht zur Sache gehörig abgetan (vgl. GW 11, 25 f.).3

2 Reflexion als objektive logische Struktur Traditionell wird Reflexion als Tätigkeit des Bewusstseins, des reflektierenden Verstandes oder als mentale Tätigkeit eines vorausgesetzten Subjekts gefasst. Hegels Reflexionsbegriff dagegen deckt sich weder mit der Reflexion des Bewusstseins noch mit der des Verstandes. Seine Darstellung gilt dem Begriff der Reflexion als solchem: „Es ist aber hier nicht, weder von der Reflexion des Bewußtseyns, noch von der bestimmtern Reflexion des Verstandes, die das Besondere und Allgemeine zu ihren Bestimmungen hat, sondern von der Reflexion überhaupt die Rede.“ (GW 11, 254)

3 Zur Logik von setzender, äußerer und bestimmter Reflexion, vgl. Christian Iber 1990, a. a. O. (Anm. 1), 142–218. Vgl. auch Gerhard M. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels Wissenschaft der Logik. Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Stuttgart/Bad Cannstatt 1994, 123–131.

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Dieses Programm ergibt sich aus der systematischen Stellung und der Natur von Hegels Wissenschaft der Logik: Die Logik ist Darstellung des „reinen Denkens“ (GW 11, 30), das sich vom „Gegensatze des Bewußtseyns“ (GW 11, 31) frei gemacht hat. Die Kategorien treten hier nicht mehr als Eigenschaften des Bewusstseins oder als Funktionen des Selbstbewusstseins auf wie bei Kant und Fichte, sondern bilden die „Momente des objektiven Denkens“.4 Der Begriff des Logischen ist für Hegel das „Element“ (GW 11, 30), in welchem die Denkbestimmungen an und für sich betrachtet werden. Als solche bilden sie eine eigene Dimension von Wirklichkeit, die sowohl von der weltlichen Realität als auch von der Realität des subjektiven Bewusstseins unterschieden ist, doch so, dass in ihnen zugleich alle Wirklichkeit, sei es die des subjektiven Bewusstseins oder die der objektiven Welt, in ihren Formverhältnissen vorgebildet ist. Das Logische ist daher „die allgemeine Weise, in der alle besonderen aufgehoben und eingehüllt sind.“ (GW 12, 237) Hegel entwickelt in der Wissenschaft der Logik erstmals einen Reflexionsbegriff, der die immanente Bewegung des objektiven Denkens darstellt und so die ‚eigene Reflexion des Begriffs‘ bezeichnet. Damit setzt die Logik einen radikalen „Bedeutungswandel von Reflexion“5 voraus. Was ist das spezifisch Neue des Reflexionsbegriffs in Hegels Logik? Das Neue an Hegels Reflexionsbegriffs ist durch drei Momente gekennzeichnet: 1. Die Reflexion tritt als eine gegenüber dem Bewusstsein verselbständigte „objektive logische Struktur“6 auf. 2. Mit der Ablösung der Reflexion vom reflektierenden Subjekt wird diese zur objektiven Bewegung der Denkbestimmungen. Die Entwicklung der Denkbestimmungen durch ihre eigene Reflexion erfolgt ohne Rückbezug auf ein denkendes Subjekt. 3. Die Darstellung der Kategorienbewegung in der Wissenschaft der Logik beruht auf der logischen Bewegung der „absoluten Reflexion“, welche sich als systematische Einheit von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion darstellt.7

4 Walter Jaeschke, „Äußerliche und immanente Reflexion“, in: Hegel-Studien 13 (1978), 86. 5 Ebd., 95. 6 Alexander Schubert, Der Strukturgedanke in Hegels „Wissenschaft der Logik“, Königstein 1985, 66. 7 Vgl. ebd. 69. Die meisten Interpretationen der Logik der Reflexion fassen Reflexion bei Hegel vornehmlich im traditionellen subjektiven Sinn als Darstellung des Verhältnisses des Ich zu sich selbst und zu seinem Gegenstand. Nach Henrich entfaltet die Reflexion die Grundstruktur des Ich = Ich (Henrich, „Hegels Logik der Reflexion“, a. a. O., Anm. 2, 134). Wetzel sieht die Reflexion als Akt der Selbsterzeugung und Selbstvergegenständlichung des subjektiven Denkens an. Er spricht daher von sich setzender und sich voraussetzender Reflexion (Manfred Wetzel, Reflexion und Bestimmtheit in Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 1971, 50–60). Ebenso sieht Reisinger in Hegels Begriff der Reflexion die reflexive Struktur des Ich (Peter Reisinger, „Reflexion und Ichbegriff“, in: Hegel-Studien 6 (1971), 231–265). Vgl. in diesem Sinne auch Robert Pippin, Hegel’s Idealism: The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989, 201. Allein Schubert bildet



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Hegels Begriff der Reflexion beruht also auf der Abstraktion vom Bewusstsein. Die Ablösung des Reflexionsbegriffs vom reflektierenden Subjekt erlaubt es Hegel den Begriff der Reflexion mit dem des Absoluten zu identifizieren. Voraussetzung dafür ist, dass der mentale Akt ‚Reflexion‘ auf den logischen Sinn der „Reflexion überhaupt“ zurückgeführt ist. Hegels Begriff der Reflexion (und nebenbei bemerkt auch der der Subjektivität) ist emphatisch antisubjektivistisch und antipsychologisch. Der Begriff der „Reflexion überhaupt“ impliziert weiterhin die Entdeckung einer sich in allen Kategorien durchhaltenden logischen Struktur, die die Funktion des Denkens als solchem ist. Es ist dies nach Hegel der Gedanken der selbstbezüglichen Negativität. Allgemein ist daher der logische Begriff der Reflexion als Verhältnis von Selbstbeziehung und Negation bestimmt. Die Entdeckung des die interne Bewegung der Kategorien allein tragenden Gedankens der „Reflexion überhaupt“ führt zu einer generellen Ausweitung des elementaren Begriffs der logischen Reflexion. Nachdem die Fundierung des logischen Prozesses in der Wissenschaft der Logik in unserer äußeren Reflexion entfällt und alle Kategorien in ihrer eigenen Reflexion betrachtet werden, die gesamte Bewegung des Begriffs also auf die Bewegungsweise der Reflexion überhaupt zurückgeführt ist, gewinnt der Reflexionsbegriff generelle Bedeutung für die Logik, so dass er als solcher gerechtfertigt werden muss. Der Anfang der Wesenslogik ist nun der Ort, an dem der Reflexionsbegriff als solcher zur Darstellung kommt. In einem ersten Schritt wird gezeigt, dass die Reflexion als Grund der logisch-kategorialen Bestimmtheit dem Begriff des Wesens nicht äußerlich ist. Damit wird zugleich der Begriff des Wesens der traditionellen Ontologie überwunden, der zufolge das Wesen das substantielle, reflexionsunabhängige wahre Sein ist. In einem zweiten Schritt wird der Reflexionsbegriff als formales Objekt entfaltet. Die Logik entwickelt die Formverhältnisse des Begriffs der Reflexion als solchen. In einer solchen Betrachtung versammelt sich nach Hegels Auffassung die innere Logizität alles dessen, was mit der „Reflexion überhaupt“ zusammenhängt. Es wird also die bestimmende logische Struktur der kategorialen Bewegung als solcher untersucht.8

hier eine Ausnahme. Er fasst Hegels Reflexionsbegriff als „objektive logische Struktur“ (Alexander Schubert, Der Strukturgedanke in Hegels Wissenschaft der Logik, a. a. O., Anm. 6, 66). Wenige neuere Interpretationen folgen dieser Einsicht. Vgl. Stephen Houlgate, „Essence, Reflexion and Immediacy in Hegel’s Science of Logic“, in: A Companion to Hegel, hg. v. Stephen Houlgate u. Michael Baur, Oxford 2011, 142. 8 Bei der spekulativ-dialektischen Darstellung des Reflexionsbegriffs verwendet Hegel formale Begriffe wie z. B. Setzen und Voraussetzen, Negativität und Unmittelbarkeit usw. Sie sollen die Gedankenschrittfolge der formalen Verhältnisse, in denen sich der Reflexionsbegriff entwickelt, erklären. Sie müssen sich selbst aus dem logischen Bereich rechtfertigen, auf den sie angewen-

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In den seinslogischen Kategorien ist die im Reflexionsbegriff gedachte Vermittlung nur an sich, noch nicht gesetzt. Erst in der Wesenslogik wird die eigene Reflexion des Begriffs als Reflexion thematisch. Die hier zum Thema gemachte „Reflexion überhaupt“ hat nun keineswegs „logisch-ontologischen Sinn“ und „substantiale“ Bedeutung, wie Jaeschke meint.9 Im Gegenteil: Erst nach der Aufhebung aller positiven Bestimmtheitsverhältnisse der ontologischen Kategorien des Seins in die absolute Negativität des Wesens tritt die Reflexion für sich hervor. Der spezifische Hegelsche Begriff der Reflexion konstituiert sich also im Rahmen eines ontologiekritischen Begriffs des Wesens als absoluter Negativität. Die „Reflexion“ steht deshalb im Zentrum der Wissenschaft der Logik, weil sie als Bewegung von Nichts zu Nichts die zentrale Funktion des Kategoriensystems darstellt. Sie ist die reine Bewegungsform des Denkens als solchem. In der Logik der Reflexion wird also die Bewegungsweise der Reflexion als solcher und damit der Gesamtzusammenhang der Logik thematisch gemacht. Die Reflexion ist die systematische Konstitution der Denkbestimmungen als Denkbestimmungen, die Bewegung des Übergehens der Denkbestimmungen ineinander und schließlich die Herstellung ihres systematischen Zusammenhangs untereinander. Ihre logische Struktur bezeichnet Hegel als selbstbezügliche Negativität. Was im spekulativ-dialektischen Reflexionsbegriff also zur Debatte steht, ist demnach durchaus die Reflexion des Bewusstseins, die Beziehung eines reflektierenden Subjekts auf einen Gegenstand und auf sich selbst, aber als reines Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung im Rahmen von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion. Das traditionell zugrunde gelegte Verständnis von Reflexion tritt dabei nur insofern in den Blick, als es kritisch auf den Prozess der absoluten Reflexion zurückgeführt wird (vgl. die „Anmerkung“ zur äußeren Reflexion GW 11, 254 f.).

det werden. Hegels Kunst der formalen Begriffsbildung zeigt sich auch an den eigenartigen formalen sprachlichen Mitteln, mit denen er die Sequenz der Begriffe aufbaut. Er will mit den einfachsten und formalsten sprachlichen Mitteln der Darstellung auskommen. Nur so scheint ihm gewährleistet, ohne weitere inhaltliche Daten oder Prämissen von außen hereinzubringen, den logischen Zusammenhang der Denkbestimmung durchsichtig zu machen. Auch wenn Hegel in die eigentliche logische Darstellung öfter außerlogische Begriffe und Beispiele anführt, haben diese nur erläuternden, nicht argumentativen Charakter. 9 W. Jaeschke, „Äußerliche und immanente Reflexion“, a. a. O. (Anm. 4), 111 u. 116.



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3 H  egels Umdeutung des fehlerhaften Zirkels der traditionellen Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins In der Tradition der Reflexionsphilosophie ist Reflexion immer als Funktion des Selbstbewusstseins, als wissende Selbstbeziehung des Ich oder des Subjekts begriffen worden. Hegel begreift sie als objektive Bewegungsform des reinen Denkens. Mit diesem Kunstgriff gelingt Hegel, womit Fichte sich sein Leben lang abgemüht hatte, die Überwindung der Aporien der klassischen Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins. Nach dieser kommt die wissende Selbstbeziehung des Subjekts dadurch zustande, dass dieses sich durch Rückwendung auf sich selbst zum Gegenstand seiner selbst macht.10 Da nun aber das Subjekt, auf das sich die Reflexion zwecks Selbstvergewisserung zurückwendet, bereits ein sich wissendes Ich sein muss, um sich auf sich zurückwenden zu können, gerät diese Theorie in den fehlerhaften Zirkel, in einer petitio principii das sich wissende Ich vorauszusetzen, das durch die Reflexion allererst zustande kommen soll. Kant hat diesen fehlerhaften Zirkel benannt11, Fichte hat ihn mit Hilfe der Theorie der absoluten Tathandlung des Ich zu überwinden versucht12, Hegel hat ihn in die prozessuale Zirkularität des Wesens spekulativ-dialektisch aufgehoben. Hegel nimmt den „verzweifelten Zirkel“13 Kants einfach positiv und denkt ihn zugleich radikal um. Günther spricht in diesem Zusammenhang von einer „unglaublich kühnen Wendung seines Denkens“14: „Sonderbar ist der Gedanke – wenn es anders ein Gedanke genannt werden kann, – daß Ich mich des Ich schon bedienen müsse, um von Ich zu urtheilen; das Ich, das sich des Selbstbewußtseyns als eines Mittels bedient, um zu urtheilen, diß ist wohl ein x, von dem man, so wie vom Verhältnisse solchen Bedienens, nicht den geringsten Begriff haben kann. Aber lächerlich ist es wohl, diese Natur des Selbstbewußtseyns, daß Ich sich selbst denkt, daß Ich nicht gedacht werden kann, ohne daß es Ich ist, welches denkt, – eine Unbequemlichkeit und als etwas fehlerhaftes, einen Cirkel zu nennen; – ein Verhältniß, wodurch sich im unmittelbaren empirischen Selbstbewußtseyn, die absolute, ewige Natur desselben

10 Vgl. Dieter Henrich, „Fichtes ursprüngliche Einsicht“, in: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, hg. v. D. Henrich u. Hans Wagner, Frankfurt am Main 1966, 192. 11 Kant, KrV B 404, A 346. 12 Johann Gottlieb Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), in: Fichtes Werke, hg. v. Immanuel Hermann Fichte, Bd. 1, Berlin 1971, 458 f. 13 Gotthard Günter, Grundzüge einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik, Hamburg 1978, 128. 14 Ebd., 129

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und des Begriffes offenbart, deßwegen offenbart, weil das Selbstbewußtseyn eben der daseyende, also empirisch wahrnehmbare, reine Begriff, die absolute Beziehung auf sich selbst ist, welche als trennendes Urtheil sich zum Gegenstande macht und allein diß ist, sich dadurch zum Cirkel zu machen.“ (GW 12, 194)

Ironisch bemerkt Hegel: „Ein Stein hat jene Unbequemlichkeit nicht“ (GW 12, 194). Hegel begreift das Selbstbewusstsein als die zirkuläre Bewegung des Denkens seiner selbst, indem er den Reflexionszirkel zugleich radikal uminterpretiert. Der Mangel der Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins gründet ihm zufolge nicht darin, das Selbstbewusstsein als Zirkel zu begreifen, sondern in dem Bemühen es mittels Reflexion zu begründen, aber zugleich als unbedingtes zugrundeliegendes Subjekt vorauszusetzen und so für seine Begründung durch Reflexion in einem fehlerhaften Zirkel bereits in Anspruch zu nehmen. Nach Hegel gehört die Zirkularität zum Wesen des Denkens als solchem und daher auch zur Natur des Ich. Seine Kritik richtet sich daher auch nicht gegen die Zirkularität als solche, sondern nur gegen die Fehlerhaftigkeit des Zirkels, „wie sie sich in der traditionellen Konzeption einstellt, indem diese das Subjekt als eine absolute Voraussetzung fixiert und es eben nicht in die Bewegtheit des Ganzen integriert“.15 Hegel löst das zugrundeliegende Subjekt in die zirkuläre Bewegung des Denkens auf. Er entreißt die Reflexion dem ihr vermeintlich zugrunde liegenden Subjekt und fasst sie als objektive Bewegungsform des Denkens auf, in welcher sich das Subjekt allererst konstituiert, statt Konstitutionsbedingung zu sein. Hegels Reflexionsbegriff hebt somit den falschen Zirkel der traditionellen Reflexionsphilosophie in einem doppelten Sinne auf: Er beseitigt seine Fehlerhaftigkeit, indem er ihn als prozessuale Zirkularität, als Bewegung von Nichts zu Nichts begreift. Dabei zeigt sich, dass jener falsche Zirkel der Reflexionsphilosophie seine Fehlerhaftigkeit keineswegs der Zirkularität als solcher verdankt, sondern im Gegenteil der Tatsache, dass die Zirkularität nicht als Prozess begriffen wird, indem die Momente des zirkulären Reflexionsprozesses gegeneinander fixiert und verselbständigt werden. Die „absolute Reflexion“ ist eine substratlose Bewegung und bedarf keines zugrundeliegenden Subjekts wie in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie. Die in sich gegenläufige Bewegung der Reflexion, die in der Seinslogik ansetzt und in der Wesenslogik zur Darstellung kommt, ist also, weit entfernt ein absolutes Ich Fichtescher Machart zu sein, die Bewegung, die „das Subjekt in den Zusammenhang der Denkbestimmungen auflöst“16 und damit als

15 A. Schubert, Der Strukturgedanke in Hegels Wissenschaft der Logik, a. a. O. (Anm. 6), 71. 16 Michael Theunissen, Sein und Schein, a. a. O. (Anm. 2), 52.



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Subjekt allererst konstituiert. Die Voraussetzung eines absoluten Subjekts als Konstitutionsbedingung aller Bewegung in der traditionellen Metaphysik und Transzendentalphilosophie wird somit als Schein entlarvt. Hegel setzt mit seiner Theorie der Reflexion die Einsicht Fichtes in die Tat um, dass die Schwierigkeiten der Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins auf dem Subjekt-Objekt-Modell des Bewusstseins beruhen. Fichte konnte jedoch zu einer endgültigen Überwindung der Reflexionstheorie nicht kommen17, weil er seine Theorie der absoluten Tathandlung, die er zu ihrer Überwindung konzipiert, ebenfalls nur im Rahmen des vorausgesetzten, unaufgehobenen Gegensatzes von Ich und Nicht-Ich formuliert. Wie Henrich zeigt, scheitert Fichte letztlich daran, dass er am Grundbegriff des „Ich“ als identifizierender Selbstbeziehung festgehalten hat, „weil er daran glaubte, auf die Abhängigkeit des Selbst allein von sich und auf seine Beschreibung als autosuffiziente Tätigkeit keinesfalls verzichten zu können“.18 Hegel geht es darum, die Reflexionstheorie aus den Aporien des unreflektiert vorausgesetzten Gegensatzes von Ich und Nicht-Ich zu befreien, indem er ihn auf die absolute Reflexion zurückführt und als äußere Reflexion rekonstruiert. Die Auflösung der Aporien der Reflexionsphilosophie besteht nach Hegel also darin, dass das Absolute weder als subjektives Subjekt-Objekt wie beim frühen Fichte noch als objektives Subjekt-Objekt wie beim naturphilosophischen Schelling begriffen wird, sondern als absolute Reflexion, die Subjekt und Objekt als negative Momente der selbstbezüglichen Negativität im Rahmen der äußeren Reflexion konstituiert.

4 H  egels Reflexionsbegriff in seinen früheren Konzeptionen der Logik Jaeschke hat eine „Skizze der systematischen Geschichte des Reflexionsbegriffs in Hegels Logik-Entwürfen“19 gegeben, die den in Hegels Begriff der Reflexion in der Wissenschaft der Logik enthaltenen Bruch mit seinen früheren Konzeptionen der Reflexion zur Darstellung bringt. Der Begriff der absoluten Reflexion in der

17 Vgl. Dieter Henrich, „Fichtes ursprüngliche Einsicht“, a. a. O. (Anm. 10). 18 Dieter Henrich, „Selbstbewusstsein. Kritische Einleitung in eine Theorie“, in: Hermeneutik und Dialektik. Festschrift für Hans-Georg Gadamer, Bd. 1, hg.  v. R. Bubner, K. Cramer und R. Wiehl, Tübingen 1970, 280 f. 19 W. Jaeschke, „Äußerliche und immanente Reflexion“, a. a. O. (Anm. 4), 85.

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Logik steht am Ende eines fundamentalen Bedeutungswandels des Reflexionsbegriffs gegenüber Hegels früheren Logik-Entwürfen. Zunächst übernimmt Hegel den Begriff der Reflexion aus der Tradition und stellt ihm kontrastierend den Begriff der Spekulation als Einheit von Reflexion und Anschauung gegenüber.20 Erst in der Wissenschaft der Logik wird die Reflexion als absolute frei von jeder Anschauung zur Bewegungsform des spekulativ-dialektischen Denkens selbst. Mit dem Begriff der absoluten Reflexion hat sich Hegel weit von demjenigen Sinn der Reflexion entfernt, wonach Reflexion wesentlich auf trennendes Verstandesdenken bezogen ist. Nach Hegels früher Konzeption von Logik und Dialektik21 tritt die Reflexion als auf die Endlichkeit der Verstandesbestimmungen fixiertes Denken auf. Die Logik hatte nach dieser Konzeption die Aufgabe, die endlichen Verstandesbestimmungen systematisch aufzustellen und in ihrem Geltungsanspruch zu vernichten, damit die Wahrheit als das Absolute an ihr selbst zum Vorschein kommen kann. Begriff und Form des Absoluten mussten einem endlichen Verstandesdenken allererst abgerungen werden. Das Absolute selbst war nur einer die bloße trennende Reflexion transzendierenden „transzendentalen Anschauung“22 begreiflich. So war die Reflexion untergeordnetes, aber zugleich notwendiges Moment der spekulativen Erkenntnis des Absoluten, welche auf diese Weise „eine Art Synthese aus Reflexion und Anschauung“23 bildete. Die Reflexion war Vehikel einer Logik, die nur als unabdingbare, systematische Einleitung in die eigentliche Philosophie des Absoluten, die Metaphysik, diente. Später hat Hegel die Trennung von Logik und Metaphysik aufgehoben. Die spekulativ-dialektische Logik ist an sich selbst schon die eigentliche Metaphysik. Diese neue Systemkonzeption hat Konsequenzen für den Reflexionsbegriff. In der Wissenschaft der Logik umfasst der Begriff der Reflexion nicht nur die Trennung und Fixierung endlicher Korrelate einerseits und die Aufhebung dieser Trennung und Fixierung andererseits, sondern auch noch diejenige reine Relation,

20 Vgl. Klaus Düsing, „Spekulation und Reflexion“, in: Hegel-Studien 5 (1969), 95–128. Zur Analyse der Entwicklung des Reflexionsbegriffs in Hegels Denken, vgl. Soon-Jeon Kang, Reflexion und Widerspruch. Eine entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchung des Hegelschen Begriffs des Widerspruchs, Bonn 1999. 21 Vgl. Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1976, 75 ff. 22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801), in: GW 4, 27 ff. 23 Thomas Kesselring, Die Produktivität der Antinomie. Hegels Dialektik im Lichte der genetischen Erkenntnistheorie und der formalen Logik, Frankfurt am Main 1984, 70.



Hegels Begriff der Reflexion 

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in die alle Bestimmtheit zurück- und aus der alle Bestimmtheit hervorgeht. Erst der Begriff der absoluten Reflexion macht verständlich, inwiefern die endlichen Relate Momente eines absoluten Vermittlungszusammenhangs sind, welcher selbst als Beziehung von Beziehung und Bezogenen zu begreifen ist. Mit dem Begriff der absoluten Reflexion als „reine[r] Beziehung, ohne Bezogene“ (GW 11, 292) wird auch der Begriff einer transzendentalen Anschauung, auf die die Reflexion als ihren vereinheitlichenden Grund angewiesen ist, hinfällig. Damit setzt sich Hegel in einen scharfen Gegensatz zu Schellings Theorie des Absoluten in der Identitätsphilosophie.

5 H  egels Kritik der ontologischen Fundierung der Reflexion bei Schelling Schelling geht in der Identitätsphilosophie von einem prärelationalen, ontologisch fundierten Absoluten aus, der absoluten Identität, die über aller Relationalität liegt. Das Absolute ist nicht Produkt und Resultat der Selbstaufhebung der Opposition von Subjekt und Objekt. Mit dieser Annahme wäre für Schelling erstens der Gegensatz von Subjekt und Objekt der Ausgangspunkt und zweitens würde das Absolute von einer Negation abhängig, von der Negation der Differenz. Das Sein des Absoluten kann sich jedoch nicht auf ein Nicht-Sein gründen, sonst höbe sich das Absolute selbst auf. Das Absolute Schellings ist kein Produkt des „synthetisierenden Denkens“, kein „bloßes Gedankending“, sondern reine „Position“.24 Das Absolute ist nur einfaches Eins, „keine Duplicität, nichts Zwiefaches“25 und als solches nur der intellektuellen Anschauung zugänglich. Die Reflexion ist Trennung; sie erzeugt das Widerspiel von einem Reflektierenden und einem Reflektierten. In der Welt der Reflexion erscheint als getrennt, was in der absoluten Identität ewig Eins ist. Unterscheiden ist auch für Schelling negieren. Jedes der beiden Korrelate ist das Nichtsein des anderen. Was sie an Sein haben, haben sie durch das Nichtsein ihres Korrelats. Sie sind zwei „relative Negationen“26, die ihres „Seins“ beraubt sind. Und „Sein“ kann nicht das Produkt der Beziehung eines Nichtseienden auf

24 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, „System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (1804)“, in: F. W. J. Schelling, Sämmtliche Werke, hg. v. K.F.A. Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856–1861, Abt. I, Bd. 6, 163. 25 Ebd. 26 Ebd., 185.

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ein anderes Nichtseiendes sein. Wenn Sein ist, so ist es nicht aus Reflexion. Diese wird „in aller Ewigkeit in diesem Cirkel begriffen sein werden, innerhalb dessen ein Nichts durch die Relation zu einem anderen Nichts Realität bekommt“.27 Aber aus diesem Zirkel des Nichts kann nach Schelling kein Sein entstehen. Nun ist aber Sein, also kann es nicht in Reflexion fundiert sein. Daraus ergibt sich für Schelling die weitergehende Folgerung: Das Sein, das nicht aus der Reflexion stammen kann, ist zugleich das Sein der Reflexion. Die Reflexion, die sich nicht auf das Sein gründete, wäre nicht. “Diese Einsicht in die Abhängigkeit der Reflexion vom Sein, das nicht Reflexion ist, bringt jene zuerst auf den allein ihr angemessenen Begriff“.28 Manfred Frank bezeichnet die ontologische Fundierung der Reflexion bei Schelling in Anlehnung an Sartre als „ontologischen Beweis der Reflexion“.29 Der späte Schelling wirft Hegels Logik vor, sie leide an „einem unendlichen Mangel an Sein“.30 Der Minimalkonsens zwischen Schelling und Hegel besteht darin, dass das Absolute die immanente Selbstnegation der endlichen Relate erfordert. Während aber nach Hegel das Absolute mit der Selbstnegation der Relate zusammenfällt, ist nach Schelling das Absolute etwas, dessen Sein zur Selbstnegation des Endlichen hinzukommen muss. Nach Hegel bedeutet die Selbstnegation der Relate nicht, wie dies Frank annimmt, dass im Absoluten alle Relationalität entfällt. Für ihn ist Relationalität nicht wie für Schelling nur das Seinsgesetz des Endlichen. Im Gegenteil: Mit der Selbstnegation der endlichen Relate hebt sich für Hegel die faktische Verstandeskorrelation fixer Relate einerseits und fixer Relationen andererseits in ein in sich bewegtes System absoluter Relationalität auf und ist nunmehr aus diesem zu interpretieren. Hegels Begriff der absoluten Reflexion als reiner Beziehung ohne Bezogene, als absoluter Relationalität, ist Kritik des verstandesmäßigen Denkens, in welchem die realen Momente fixe Relate in ebenso fixen Relationen bilden. Sein Begriff des Absoluten ergibt sich aus einer Trans-

27 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, „Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie (1802)“, in: F. W. J. Schelling, Sämmtliche Werke, a. a. O. (Anm. 24), Abt. 1, Bd. 4, 358. 28 Manfred Frank, Der unendliche Mangel an Sein, Frankfurt am Main 1975, 121. 29 Ebd., 111. Zu Schellings Kritik an der Reflexion vgl. insbesondere dessen „Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft“, in: F.  W.  J. Schelling, Sämmtliche Werke, a. a. O. (Anm. 24), Abt. 1, Bd. 21–343: „Die bloße Reflexion also ist eine Geisteskrankheit des Menschen“ (ebd., 13). 30 F.  W.  J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hg. v. Horst Fuhrmans, Torino 1972, 439. Eine systematische Skizze von Schellings Gegenposition zu Hegel entwirft Manfred Frank in: „Identität der Identität und der Nichtidentität. Schellings Weg zum ‚absoluten Identitätssystem‘“, in: Hegel und die Moderne. Zweiter Teil. Hegel-Jahrbuch 2013, Berlin 2013, 233–253.



Hegels Begriff der Reflexion 

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formation der ontologisch fundierten Verstandesrelativität in absolute Relationalität, der kein Sein zugrunde liegt. Der Begriff der Relation fällt also bei Hegel im Absoluten nicht völlig weg wie bei Schelling, er nimmt nur einen anderen Sinn an: Das ontologisch fundierte fixe Relationssystem des Verstandes wird zu einem in sich bewegten Relationssystem der Vernunft, das die fixen Verstandesbestimmungen verflüssigt und in einen systematischen Zusammenhang bringt, indem es sie als Bestimmungen konstituiert, statt sie als unmittelbar gegebene zu nehmen.31 Während sich nach Hegel das Absolute als absolute Relationalität aus der Selbstnegation der endlichen Relate ergibt, ist nach Schelling der Gedanke des Absoluten an ein aller Relationalität enthobenes Sein gebunden. Während bei Hegel das Absolute sein Sein in der Sichselbstgleichheit der absoluten Negativität hat, hat es bei Schelling sein Sein jenseits aller Negativität. Mit dieser ontologischen Fundierung des Absoluten wiederholt Schelling nach Hegel aber bloß die Abstraktionen des ontologisch fundierten Verstandes, der allen Bestimmungen ein seiendes Substrat, letztlich das absolut seiende Substrat zugrunde legt. Fassen wir zusammen: Mit dem Begriff der absoluten Reflexion als einer objektiven logischen Struktur beansprucht Hegel die unhintergehbare Erklärungsform alles Wirklichen entwickelt zu haben. Die Wesenslogik überwindet die Erklärungsform des Seins, die nur für regionale Bereiche der Wirklichkeit (Qualität, Quantität und Maß) zuständig ist, indem sie die relationalen Kategorien thematisiert (Identität-Unterschied, Positives-Negatives, Grund-Begründetes, GanzesTeile, Ding-Eigenschaft, Inneres-Äußeres, Ursache-Wirkung etc.), durch die das Wirkliche erklärt wird. Dies ist das Projekt der Wesenslogik. Dabei unterzieht sie mangelhafte Erklärungsformen einer fundamentalen Kritik. Insofern ist die

31 Diese Gegenkonzeption zur Schellings Theorie des Absoluten hat Hegel bereits in der Phänomenologie des Geistes formuliert: „Die Gedanken werden flüssig, indem das reine Denken, diese innere Unmittelbarkeit, sich als Moment erkennt oder indem die reine Gewißheit seiner selbst von sich abstrahirt; – nicht sich wegläßt, auf die Seite setzt, sondern das Fixe ihres Sichselbstsetzens aufgibt, sowohl das Fixe des reinen Conkreten, welches Ich selbst im Gegensatze gegen unterschiedenen Inhalt ist, – als das Fixe von Unterschiedenen, die im Elemente des reinen Denkens gesetzt an jener Unbedingtheit des Ich Antheil haben. Durch diese Bewegung werden die reinen Gedanken Begriffe, und sind erst, was sie in Wahrheit sind, Selbstbewegungen, Kreise, das, was ihre Substanz ist, geistige Wesenheiten.“ (GW 9, 28) Unschwer ist hier Hegels damaliger Fichteanismus zu erkennen. Die Verflüssigung der fixen Gedanken im Reflexionszusammenhang des reinen Denkens, die den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich aufhebt, dependiert noch von einem zugrundeliegenden unbedingten Ich. Was Hegel hier die Unbedingtheit des Ich nennt, bezeichnet er später als absolute Reflexion.

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Wesenslogik Kritik der Kategorien Verstandesmetaphysik und der Wissenschaften überhaupt (vgl. Enz. § 114 Anm., GW 20, 145). Wie die moderne Subjektphilosophie über einen nur unzureichenden Reflexionsbegriff verfügt, so hat die traditionelle Ontologie nach Hegel einen defizitären Wesensbegriff. Die traditionelle Ontologie fasst das Wesen als substantielles, reflexionsunabhängiges wahres Sein und die moderne Subjektphilosophie die Reflexion als nur subjektive Denktätigkeit. Indem Hegel das Wesen selbst als Reflexion fasst, entontologisiert er den Wesensbegriff und entsubjektiviert er den Reflexionsbegriff. Hegels Reflexionsbegriff stellt einen radikalen „epistemologischen Bruch“32 innerhalb des traditionellen Reflexionsbegriffs dar. Er ist jedoch seinerseits nicht in einem ontologisch fundierten Absoluten verankert wie bei Schelling, sondern selbst das Absolute. Das Wesen als Reflexion ist als die in ihrer Negativität das Sein auflösende Struktur fundamentale Kritik aller traditionellen Ontologie, namentlich des platonischen Wesensbegriffs und des Seienden als Seienden des Aristoteles. Obgleich Hegel sich bisweilen affirmativ auf Platons Ideenlehre und Aristoteles` Nousphilosophie bezieht, ist seine Philosophie als Produkt des modernen Reflexionszeitalters nicht Restauration der antiken Ontologie, wie dies immer wieder behauptet wird, sondern deren Reformulierung im Rahmen einer kritischen Selbstreflexion der modernen Reflexionsphilosophie. Nach Hegel ist der Begriff der absoluten Reflexion die Beziehung als solche, die reine, substratlose Beziehung. Die Beziehung, die nur als reine Beziehung ist, impliziert stets einen Rückbezug. Sie ist nur als Reflexion denkbar, die sich zugleich als Beziehung von Beziehung und Bezogenen konstituiert, als in sich bewegtes System absoluter Relationalität. Dieser Gedanke der absoluten Vermittlung als einer wechselseitigen Bestimmtheit von Relation und Relaten in einer absoluten Relation – nach Schubert der Gedanke „des logischen Strukturzusammenhangs überhaupt“33  – begründet Hegels Wesenslogik als eine Metaphysik absoluter Relationalität, die die bloße Relativität des modernen Verstandesdenkens überwindet.

32 A. Schubert, Der Strukturgedanke in Hegels Wissenschaft der Logik, a. a. O. (Anm. 6), 75. 33 Ebd., 118.

Günter Kruck

Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion Bevor man in einem Beitrag das Thema ‚Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion‘ behandeln kann, ist es notwendig, den ersten Satz des zweiten Buches der Logik als der Lehre vom Wesen verständlich zu machen. Wenn Hegel nämlich die Wesenslogik als Logik der Reflexion in ihrer näheren Bestimmung zu begreifen versucht, dann setzt dies voraus, dass verstanden wird, wie sich Seins- und Wesenslogik überhaupt und grundsätzlich zueinander verhalten, wie dies durch den ersten Satz des zweiten Buches der Logik auch angezeigt wird. Dieser Satz lautet: „Die Wahrheit des Seyns ist das Wesen.“ (GW 11, 241) Erst also wenn erklärt ist, wie der erste Satz und damit der Anspruch der Wesenslogik im Verhältnis zu der ihr vorausgehenden Seinslogik im Allgemeinen zu verstehen ist, kann der sich daran anschließende erste Abschnitt des zweiten Buches, der die Überschrift „Das Wesen als Reflexion in ihm selbst“ trägt, im Besonderen erläutert werden. Hegel selbst schreibt zur Erläuterung des Satzes „Die Wahrheit des Seyns ist das Wesen“ (GW 11, 241) unmittelbar im Anschluss dazu das Folgende: „Das Seyn ist das Unmittelbare. Indem das Wissen das Wahre erkennen will, was das Seyn an und für sich ist, so bleibt es nicht beym Unmittelbaren und dessen Bestimmung stehen, sondern dringt durch dasselbe hindurch, mit der Voraussetzung, daß hinter diesem Seyn noch etwas anderes ist, als das Seyn selbst, daß dieser Hintergrund die Wahrheit des Seyns ausmacht.“ (GW 11, 241)

Geht es um das Erkennen eines unmittelbar Gegebenen im Sinne des Seins in seiner Wahrheit, dann muss dieses Erkennen, um seinem Anspruch als Wissen gerecht zu werden, hinter das ‚An-sich‘ des Erkannten kommen, um dessen ‚Fürsich-Sein‘ zu erkennen; umgekehrt formuliert: Erst wenn das ‚An- und Für-sichSein‘ des Unmittelbaren, sein Wesen, gewusst wird, ist es in seiner Wahrheit (des Seins als dieses Unmittelbare) auch erkannt. Auf die Frage, warum denn das Unmittelbare in seinem Sein in seiner Bestimmung nicht das Wahre ist, kann an dieser Stelle der Wesenslogik nur vermutend geantwortet werden, dass sein ‚An-sich‘ auch Schein sein könnte bzw. schon die Unmittelbarkeit in der Behauptung als Unmittelbarkeit doch Erkenntnis seiner wesentlichen Bestimmungen und damit Wissen ist. Wenn Hegel diese Selbstverständigung über das Wahre als wahre Bestimmung des Unmittelbaren mit dem Begriff ‚der Voraussetzung‘ in Verbindung bringt, dann ist er offensichtlich der Ansicht, dass dieser Weg vom Unmittelba-

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ren zu seinem Hintergrund kein nur möglicher, sondern ein notwendiger ist, um die Bestimmung des Unmittelbaren als wahr zu erweisen. Die Bestimmung des Unmittelbaren bedarf also der Rechtfertigung, wenn sie als Bestimmung dieses Unmittelbaren behauptet wird. Würde diese Vergewisserung hinsichtlich der Bestimmung des Unmittelbaren fehlen, könnte man sich nicht sicher sein, es mit seiner Bestimmung wirklich (im Sinne seiner Wahrheit) auch erkannt zu haben. Der Rückgang vom Unmittelbaren und seiner Bestimmung zum hinter ihm liegenden Wesen ist also ein notwendiger zum Ausweis der Rechtfertigung der am Sein unmittelbar erkannten Bestimmungen. In der Wesenslogik verbinden sich daher nach Hegels Willen damit offenbar Erkenntnistheorie und Ontologie wechselseitig. Aus der Sicht der Ontologie ist das Sein das Unmittelbare, das als unmittelbar Vorausgesetztes erkannt zu werden beansprucht. Dieser Anspruch der Erkenntnis als Wissen von etwas als etwas kann aber nur eingelöst werden, wenn er nicht ‚naiv‘ der Unmittelbarkeit des Gegebenen folgt, sondern ‚erkenntniskritisch‘ nach der Notwendigkeit des Wesens hinter der vielleicht trügerischen seienden Unmittelbarkeit gefragt wird, die als Vorausgesetztes so in ihrer Bestimmung auch ihrem eigenen Anspruch nach nur wirklich aufgefasst und ausgewiesen wird. Als bloß vorausgesetzte Unmittelbarkeit des seiend Gegebenen bleibt sie zugleich allerdings die Voraussetzung der Wesenserkenntnis. Beide sind so in der Bestimmung der unmittelbaren Sache auf diese bezogen und durch die Unterscheidung von (unmittelbarer) Erhebung (Wahrnehmung) dieser Bestimmung und ihrer (vermittelten, wesentlichen, an und für sich seienden) Rechtfertigung voneinander unabhängig bzw. aufeinander bezogen. Wie also die Ontologie in der Erkenntnis von etwas als etwas nur durch die erkenntniskritische Rückerinnerung an das ‚Allgemeine im Konkreten‘ oder ‚das Wahre‘ hinter dem vorausgesetzt Erkannten ihrem eigenen Anspruch gerecht wird, so bedarf die Erkenntnistheorie als Wissen eines Gegenstandes oder des Unmittelbaren, von dem sie weiß. Hat diese Wechselseitigkeit in der Bestimmung von Ontologie und Erkenntnistheorie durchaus auch heute noch Nachfolger gefunden – man denke nur an ihre spezifische Fassung z. B. bei Robert Brandom oder John McDowell –, so ist für Hegel genau aus diesem Zueinander einerseits die Kritik von zeitgenössischen Philosophien zu ersehen, andererseits seine produktive Verarbeitung als eigene Konzeptualisierung für speziell die Wesenslogik an diesem Punkt zu verstehen. Die Untersuchung der Bedingungen der Gültigkeit von Erkenntnis im Sinne der Kantischen Reflexionsphilosophie wird auf der einen Seite von Hegel radikalisiert, insofern diese auf etwas in der Erkenntnis seiner Wahrheit angewandt werden. Damit wird zugleich die methodische Trennung der Sache von der Untersuchung der Bedingungen zur Erkenntnis der Sache aufgehoben. Die Erkenntnis-



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theorie leistet mit ihrer Reflexion dabei aber nicht nur einen Beitrag zur Erkenntnis der Sache und nicht prinzipiell getrennt von ihr wie Kant meint, ohne die Erkenntnistheorie kann die Sache in ihrer Wahrheit überhaupt nicht erkannt werden. Sie selbst ist dabei der Erkenntnistheorie zugleich vorausgesetzt. Die Ontologie kritisiert Hegel auf der anderen Seite dahingehend, dass das unmittelbar Vorausgesetzte an sich nur erkannt werden kann, wenn die Unmittelbarkeit in der Voraussetzung kritisch hinterfragt und ihre Bestimmungen als reflektiert zur Sache gehörig ausgewiesen sind. Was also von der Sache behauptet wird, ist nicht nur schon in der Behauptung der Unmittelbarkeit – in ihrem eigenen Ausgangspunkt also  – Erkenntnis. Diese Erkenntnis kann zudem von der Wahrheit der Sache meilenweit entfernt sein. Um diesen Schein aufzulösen bzw. das unmittelbar Erkannte auch als Erkanntes aufzufassen, dass das, was unmittelbar zur Sache wahrgenommen und behauptet wird, auch wirklich zu ihr gehört, dazu bedarf es der kritischen Reflexion auf die ‚ontologisch‘ unmittelbaren Voraussetzungen, durch die die Sache dann erst wirklich erkannt ist. Es muss also nach Hegel sowohl der Schein der unmittelbaren ontologischen Voraussetzungen kritisch hinterfragt werden als auch der Schein der ‚bloß‘ erkenntniskritischen Bedingungen zur Erkenntnis von etwas aufgelöst werden, um das ‚An- und Für-Sich-Sein‘ einer Sache zu erkennen. Dieses Programm als Programm der Wesenslogik im wechselseitigen Verweis von Erkenntnistheorie und Ontologie verbindet sich für Hegel noch mit einer dritten Wissenschaftsdisziplin: Hat man sich erst einmal entschlossen, von dem konkreten Dasein von etwas und der reflektierten Erkenntnis dieser konkreten Sache zu abstrahieren und das Programm grundsätzlich ‚wissenschaftstheoretisch‘ in der beschriebenen Weise an- und auszulegen, dann bleibt als Gegenstand der wissenschaftstheoretischen Betrachtung nur „die bestimmungslose einfache Einheit“ (GW  11, 241) zurück. Wird von allem konkreten Dasein zugunsten der Abstraktion von allem ‚Bestimmten‘ bzw. ‚Endlichen‘ abgesehen und ‚die reflektierte Erkenntnis‘ grundsätzlich als Bedingung der Erkenntnis der unmittelbaren Sache ausgegeben, dann ist die Sache selbst zum bestimmungslosen und einfachen Gegenstand mutiert: Bestimmungslos, weil keine konkreten Bestimmungen mehr festgehalten werden und nur noch das Unmittelbare des Seins als Voraussetzung zählt, einfach, weil die Vielfältigkeit an Bestimmungen als reflektierte (Wesens-)Auskunft über eine Sache hinweggenommen wird. Die Sache, die im grundsätzlich wissenschaftstheoretischen Verhältnis von Erkenntnistheorie und Ontologie übrig bleibt, ist damit ‚eine‘ diesen Wissenschaften selbst vorausgesetzte als der ‚Inbegriff‘ von dem diese überhaupt sprechen, die allerdings Resultat der Abstraktion von Bestimmungen ist. Als Inbegriff kann die so vorausgesetzte Sache auch als „Inbegriff aller Realitäten“ (GW  11, 242) gegenüber allen konkreten Bestimmungen angesprochen

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werden: Wird von jeder konkreten Bestimmung und reflektierten Auskunft über sie abgesehen, dann ist die vorausgesetzte eine durch Ontologie und Erkenntnistheorie ‚in-begriffene‘, d.  h. nur unter diesen Voraussetzungen begreifbare Sache als Voraussetzung jedes Bestimmungswissens im Sinne von ‚Realitäten‘ bestimmt. Die Sache der Ontologie und Erkenntnistheorie ist die Sache der Bestimmung von Dingen, d. h. deren Begreifen im Sinne ihrer vollständigen Bestimmung als grundsätzlich allgemeine mit beiden Wissenschaften verbundene Aufgabe und der besonderen individuell-dinglichen Konkretisierung dieser Vorgabe. In beiderlei Hinsicht, d.  h. sowohl bei der generellen Aufgabenzuschreibung für beide Wissenschaften als auch der Ausführung dieser Bestimmungszuschreibung im Einzelnen dient der ‚Inbegriff aller Realitäten‘ zur Bezeichnung einer Sache in individuo als entweder die vorausgesetzte (abstrakt allgemeine) Sache der beiden Wissenschaften generell mit ‚allen Realitäten‘ der ihnen möglichen Bestimmungen gemeint ist oder in ihrer Anwendung das je Einzelne als zu bestimmende vorausgesetzte Sache mit ihrem ‚Inbegriff‘ eben ihrer (jeweilig individuellen) Realitäten. Mit dieser Bestimmung als Voraussetzung von Erkenntnistheorie und Ontologie hat man ‚wissenschaftstheoretisch‘ zusätzlich die Metaphysik oder die spekulative Theologie bzw. die Religionsphilosophie ins Boot der Wissenschaften geholt als Konsequenz des vorgetragenen Bestimmungsverhältnisses zum Gegenstand: Die bestimmungslos und einfach vorausgesetzte Sache zur Bestimmung von etwas als etwas im Sinne der genannten Wissenschaften der Ontologie und Erkenntnistheorie in der beschriebenen doppelten Fassung, die sich jeder Bestimmung entzieht und Resultat der Abstraktion von jeder Bestimmung ist, ist als philosophischer Gottesbegriff zu lesen. Denn Gott, der sich jedem unmittelbaren erkenntnistheoretischen Zugriff entzieht und damit einfach, denn es gibt nicht zwei ‚gleichen Typs‘, und aufgrund des zuerst Genannten für sich zugleich bestimmungslos ist, ist als Voraussetzung für die seins- und erkenntnismäßige Bestimmung im Sinne der Erfüllung der doppelten Aufgabe der Ontologie und der Erkenntnistheorie zu denken. Gott ist dabei allgemein als ‚Inbegriff der Realitäten‘ jeder Erkenntnis vorausgesetzt und damit zugleich in jeder konkreten Bestimmung als Entfaltung genau dieses Gedankens im Sinne der konkreten Erfüllung der allgemeinen Aufgabe von Ontologie und Erkenntnistheorie präsent. Denn es gibt nichts, was ohne Gott gedacht werden könnte. Genau an dieser Stelle aber wird deutlich, dass der generelle Anspruch der Einheit von Ontologie, Erkenntnistheorie und Metaphysik aufgrund des Unterschieds der Bestimmungen zu einer Kritik der Metaphysik mit dem skizzierten Gottesgedanken führt, die für Hegel die Folie zur Beschreibung der Aufgabe der Wesenslogik abgibt.



Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion 

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Vergleicht man nämlich den so bestimmten Gottesgedanken nochmals mit dem Gedanken der Sache, die Gegenstand der Ontologie und Erkenntnistheorie ist, dann fällt der Unterschied ins Auge, der zur Kritik des entsprechenden Gottesgedankens und in diesem Zuge der mit ihm verbundenen Metaphysik führt. Beim Gottesgedanken als ,Inbegriff aller Realitäten‘, der jeder konkreten Realität vorausgesetzt werden muss und keine damit ohne ihn gedacht werden kann, dem insofern auch die Bestimmung der Singularität zu eigen ist, besteht im Verhältnis zum Gegenstand der Ontologie und Erkenntnistheorie doch ein erheblicher Unterschied in der Sache. Denn die Sache der beiden letztgenannten Wissenschaften ist es gerade nicht, dass prinzipiell ausgeschlossen wird, zur Erkenntnis der Wahrheit ‚An und Fürsich‘ vorzustoßen. Im Gegenteil ergab ja gerade die Beschreibung ihres wechselseitigen Verhältnisses, dass das vorausgesetzte Unmittelbare in seiner Bestimmung nur wahr sein kann, wenn diese ‚für sich‘ ausgewiesen wird. Kann also keine Bestimmung als Bestimmung ohne reflektierte Auskunft des Ausweises der Bestimmung für ein Unmittelbares gelten und ist es das Geschäft von Ontologie und Erkenntnistheorie, genau dies im Allgemeinen und im Besonderen zu exerzieren, dann ist dies das größte Kontrastprogramm zu einer Metaphysik mit dem vorgestellten Gottesgedanken, der sich prinzipiell genau dieser Vorgehensweise entzieht und schlicht vorausgesetzt werden muss. Auch wenn es scheinbar Berührungen in der Bestimmung gibt, insofern die (allgemeine) Sache als Voraussetzung der Ontologie und Erkenntnistheorie, die sich zugleich als Bestimmung jeder Sache im Einzelnen zeigt, dem Gottesgedanken entspricht, ist die Sache der beiden Wissenschaften nicht ein bloßes allgemeines Jenseits als Voraussetzung und auch keine zwangsläufige Anwendung dieser Voraussetzung auf das Einzelne. Denn das Allgemeine von Ontologie und Erkenntnistheorie im Sinne ihrer Vermittlung zur Beschreibung ‚einer Sache‘ als allgemeine Aussage über beide Wissenschaften, die diese im Einzelnen zugleich exekutieren, behauptet nicht eine von ihnen ‚unabhängige und unzugängliche Entität‘  – weder im Allgemeinen noch in ihrer Anwendung auf Besonderes  –, sondern gerade das Gegenteil: Die Erkenntnis einer Sache durch Ontologie und Erkenntnistheorie ist nicht als Negation von Bestimmungen, sondern nur als Prüfung der zunächst unmittelbar bloß festgehaltenen Bestimmungen im Allgemeinen und Besonderen denkbar. Mit dieser impliziten Kritik des dargelegten Gottesgedankens der Metaphysik aufgrund der Beschreibung der Aufgabe von Ontologie und Erkenntnistheorie wird aber zugleich die Metaphysik, wenn sie sich denn auf diesen Gottesgedanken beruft, kritisiert. Ein Unterfangen, das Bestimmungswissen zu generieren beansprucht, indem eine reflektierte Auskunft über die an einer Sache unmittelbar festgehaltenen Bestimmungen angestrebt wird, ist nicht mit einer Metaphysik

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kompatibel, die ihren Gegenstand negierend bloß aus diesem Zusammenhang heraushalten will, um seine Singularität nicht anzutasten.1 Das von Hegel angestrebte Bestimmungswissen ist vor allem in einer ersten Annäherung nach der Kritik des Gottesgedankens der Metaphysik dadurch gefasst, dass es als Negation der Negation gekennzeichnet ist: War der Gottesgedanke durch die Negation des Unmittelbaren bestimmt, dann unterscheidet sich das Unternehmen der Ontologie und Erkenntnistheorie durch genau die Negation dieser ‚abstrakten‘ Negation des Unmittelbaren. Bestimmt kann eine Sache im Sinne der beiden Wissenschaften nur ausgegeben werden, wenn nicht einfach nur vom Unmittelbaren abstrahiert wird, sondern die Abstraktion vom Unmittelbaren als Negation negiert wird, da die reflektierte Bestimmung des Unmittelbaren im Rahmen des Bestimmungswissens angestrebt wird. Zeigt sich das Bestimmungswissen so gerade als das Gegenteil des Wissens der Metaphysik, so bedeutet dies für die zu wissende oder bestimmende Sache, dass die an ihr unmittelbar festgestellten Bestimmungen für sie ausgewiesen werden müssen, wenn sie als grundsätzliche Einsichten überhaupt und für jedes Einzelne im Rahmen der Ontologie und der Erkenntnistheorie festgehalten werden wollen. Auch wenn damit die Absicht als Absicht der beiden genannten Wissenschaften gegen die Metaphysik benannt ist, ist der eingangs zitierte erste Satz der Wesenslogik, „Die Wahrheit des Seyns ist das Wesen.“ (GW  11, 241), noch nicht erläutert. Die Auskunft als reflektierte Bestimmung eines an sich ersten Unmittelbaren als Sache des Bestimmungswissens, dass etwas damit also dann an und für sich bestimmt bzw. zu bestimmen ist, um in seiner Wahrheit gefasst zu sein, ist nicht gleichbedeutend mit dem Satz, dass die Wahrheit des Seins das Wesen ist. Denn Sein und Wesen stehen sich in dem genannten Satz noch gegenüber und die Bestimmung des Wesens als nicht äußerliche bzw. fremde, sondern immanente Negativität gemäß dem geschilderten Anspruch eines reflektierten Bestimmungswissens wirkt angesichts der Herkunft dieser Einsicht aus dem Unmittelbaren wie eine bloße Versicherung. Es bleibt eine unvermittelte Spannung zwischen zwei Erkenntnissen, dass einerseits der Anspruch einer reflektierten Einsicht über die Bestimmungen einer Sache zur Sache wesentlich hinzugehören muss, ande-

1 Wenn es denn nach diesen Überlegungen um die Restitution der Metaphysik bei Hegel geht, wie Hegel selbst dies prominent im Rahmen der Logik angekündigt hat, dann um eine Metaphysik, die mit anderen Gottesbestimmungen operiert, wie sie hier vorgestellt wurden. Man vgl. hierzu Hegels Vorreden zur ersten und zweiten Ausgabe der Logik von 1812 und 1831 bzw. die Abhandlungen im Rahmen der Einleitung zur Wissenschaft der Logik unter der Überschrift „Allgemeiner Begriff der Logik“.



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rerseits diese Auskunft doch vom Unmittelbaren auszugehen hat und zwischen beiden Gedanken nicht einsichtig ist, wie eine reflektierte Auskunft – es sei denn vom Unmittelbaren her – begründet werden kann und wie überhaupt vom Unmittelbaren zur Reflexion oder vom Sein zum Wesen fortzukommen ist. Entweder scheint man damit beim Unmittelbaren stehen bleiben zu müssen – wenn es um seine Erkenntnis geht – oder man setzt auf die Reflexion zur Sache beim Versuch, sich über Zufälligkeiten oder Notwendigkeiten ihrer Bestimmungen zu orientieren, weiß sich damit aber zugleich getrennt von ihr. In diesem Sinn beinhaltet Hegels Zitat „Die Negativität des Wesens ist die Reflexion, und die Bestimmungen [sind] reflectirte, durch das Wesen selbst gesetzte und in ihm als aufgehoben bleibende“ (GW 11, 243) die Behauptung einer Verbindung von Wesen und Reflexion als wechselseitig sich bestimmende, die einerseits für sich begründungsbedürftig ist, die andererseits aber auch mit der Unmittelbarkeit des Seins vermittelt werden muss. Die Wesenslogik als Logik der Reflexion gemäß dem Titel des Beitrages zu bestimmen, beschreibt also eine Aufgabe, die für sich und im Blick auf ihre Herkunft vom Sein her auch und gerade nach dem bisher bereits Dargelegten weiterhin erklärungsbedürftig ist.2

1 Z  ur ersten Bestimmung des Wesens – das Wesentliche, das Unwesentliche und der Schein Was damit gleichgültig seiner Bewertung nach dieser ersten Annäherung am Beginn der Wesenslogik als Programm von Hegel mit den geschilderten drei bzw. zwei Wissenschaften vorgestellt ist, harrt seinem eigenen kurz geschilderten Anspruch gemäß also noch der Ausführung. Genau diese Ausführung als Erweis der Wahrheit des Wesens auch im Verhältnis zum Sein hängt in einem ersten Schritt daran, dass gezeigt werden kann, dass ‚das Wesen als Reflexion in ihm selbst‘ zu begreifen ist. Denn nur wenn das Wesen an ihm selbst durch die Reflexion zu begreifen ist, hinter der bloß vorausgesetzten Sache des Seins die Not-

2 Auf diesem Hintergrund hat denn auch Hegels Einstieg in die Wesenslogik ganz unterschiedliche Reaktionen und Beurteilungen erfahren: Während etwa Gerhard M. Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘. Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, diesen Text als überflüssig einstuft, sieht Christa Hackenesch, Die Logik der Andersheit. Eine Untersuchung zu Hegels Begriff der Reflexion, Frankfurt am Main 1987, in dem hier zu kommentierenden Abschnitt gerade das Zentrum der Wesenslogik.

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wendigkeit ihrer reflektierten Erkenntnis steht, die als solche das Sein der Sache erklärt, ist die Wahrheit des Seins im Sinne des Wesens eingelöst. Wie löst nun Hegel im ersten Schritt den Anspruch ein, die Reflexion als internes Bestimmungsmoment des Wesens auszuweisen und damit das Wesen in ihm selbst zu bestimmen bzw. als bestimmt vorzustellen und es in diesem Zusammenhang als Wahrheit des Seins auszuweisen? Setzt man an dem bereits erwähnten ersten Zitat der Wesenslogik als ihrem Einstieg nochmals an, dann ist mit dem Satz „Die Wahrheit des Seyns ist das Wesen.“ (GW 11, 241) eine Gegenüberstellung verbunden: Unmittelbar erschließt sich das Wesen nur als anderes zum Sein. Das Wesen verhält sich so nach Hegel in der Weise der bestimmten Negation zum Sein. Was das Wesen also ist, ist gerade nicht das, was mit Sein gemeint ist. Mit dieser Reflexion ist das äußerliche Verhältnis von Sein und Wesen bezeichnet, wobei das Sein damit dem Wesen vorausgeht und ihm vorausgesetzt ist. Diese Voraussetzung ist nun aber gerade eine, die sich unter der bereits betrachteten wissenschaftstheoretischen Hinsicht nicht halten lässt: Das Sein als Voraussetzung des Wesens ohne das Wesen als Reflexion zu denken, die zur Sache des Seins gehört, behauptet ein Sein der Sache das nicht seinem Wesen nach, d. h. als es selbst erkannt und damit reflektiert in seiner Erkenntnis ausgewiesen ist. Die Reflexion als konstitutiver Bestandteil des Seins der Sache ist so auf die Sache verwiesen, deren begründete Einsicht sie ja vermitteln will. Ergab sich daraus die Wechselseitigkeit von Ontologie und Erkenntnistheorie, so zeigt sich mit dieser Einsicht und der schlichten Gegenüberstellung von Sein und Wesen, dass die ‚reflektierte eine‘ Sache die bloß vorgängig vorausgesetzte Sache der ‚reinen‘ Unmittelbarkeit des Seins als Schein oder Unwesen entlarvt. Das ‚bloße‘ Sein ist gegenüber dem Wesen das Unwesentliche oder der Schein, weil die Sache nicht ohne ihre begründete und reflektierte Erkenntnis und damit in ihrer Wahrheit einfach nur unmittelbar zu haben ist und die Erkenntnis der Sache so an diese als unmittelbare zurückgebunden bleibt. Der Schein oder das Unwesentliche lässt sich deshalb nicht vom Wesen trennen und ihm ‚nur‘ gegenübersetzen. Gerade als Unwesentliches oder als Schein ist das Sein auf das Wesen bezogen und so mit ihm eins. Der Schein als ‚Rest‘ des Seins im Sinne seiner Voraussetzung für das Wesen, das vom Wesen erkannt wird, ist so die ‚erste‘ unmittelbare Reflexion als Bestimmung des Wesens in ihm selbst. Wenn ‚Wesen‘ wesentliche Erkenntnis einer Sache bedeutet, dann ist damit zugleich die unmittelbare Sache gemeint, die aber gerade als so erkannte Sache nicht mehr das ist, was sie ursprünglich war, ‚bloße‘ einfache und vorausgesetzte Unmittelbarkeit. Für das Wesen als Reflexion verstanden, gehört diese einfache Unmittelbarkeit zu ihm, die Sache verliert damit aber die Bestimmung der bloßen Voraussetzung für das Wesen, insofern es um die Erkenntnis der Sache geht, die



Hegels Wesenslogik als Logik der Reflexion 

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es ohne diese Erkenntnis unabhängig von ihr und für sich auch nur im Denken der Reflexion als gedachte Voraussetzung gibt. Der Schein ist damit der Ausweis der Sache, dass es mit dem Unterschied von Sein und Wesen nichts ist bzw. der Unterschied ein Unterschied im Wesen als Reflexion ist, weil das Sein als Gegenüber zum Wesen nur im Erkennen in seiner Wahrheit ist. Das Erkennen vermittelt also die Unmittelbarkeit des Seins, das so selbst zum Schein und damit zum Moment des Wesens selbst wird, insofern das Sein selbst oder die Sache von sich her mit dem Anspruch versehen auftritt, unmittelbar bestimmt zu sein. Es gibt insofern kein ‚reines‘ Sein, denn schon mit seiner Behauptung ist es als unmittelbares erkannt und damit als solches ein bloßer Schein im Sinne seiner (Wesens-)Erkenntnis. Der erste oder primäre Unterschied von Sein und Wesen wird also zum Unterschied im Wesen im Sinne der Selbsterkenntnis der Sache als erkannter und nur im Denken vorausgesetzter Sache. Mit diesem näher zu bestimmenden Unterschied ist im Wesen damit  – bezeichnet als immanente Negativität – der Motor für die Wesenslogik benannt, dessen Fortbestimmung die weitere Entwicklung der Wesenslogik in ihren konkreten Bestimmungen antreibt. Hegel nennt diesen Unterschied deshalb auch ‚unendliche Bestimmtheit‘, weil es um den internen und dauerhaften Abgleich des Bestimmungswissens geht, bei dem das Sein des unmittelbar Gewussten als zugleich mit seiner eigenen Voraussetzung im Denken gewusst wird und das Erkannte auf seine Sachhaltigkeit hin, d. h. auf seine Angemessenheit als Wissen einer Sache geprüft wird. In Hegels Terminologie bedeutet dies im Blick auf das vorausgesetzte Sein: Das Unwesentliche am Sein war – wie soeben gezeigt – mit der Erkenntnis verbunden, dass die bloße Voraussetzung des Seins Schein ist, weil ohne das Erkennen oder Wissen dieses Sein ‚Nichts‘ ist. Der Schein als Rest des Seins aus der Perspektive seiner Erkenntnis, aus der Sicht des Wesens also, ist dabei ‚das unmittelbare Nichtdasein‘ des Seins. Weil es mit dem Sein ohne seine Erkenntnis eben ‚Nichts‘ ist, ist ‚das unmittelbare Nichtdasein‘ des Seins seine Bestimmung. Diese Bestimmung des Seins aus der Sicht seiner sich aufhebenden Voraussetzung aufgrund seiner beanspruchten Erkenntnis ist eine Erkenntnis, die schon zum Wesen als dessen ‚Moment‘ gehört. Als Negation des Seins ist der Schein Moment des Wesens, das dieses Moment ‚an sich‘ hat: Als Nichtsein des bloßen Seins ohne Erkenntnis (erste Negation) ist das Sein nicht ‚Nichts‘ (zweite Negation), sondern gerade erkannt als Wesen. Das Wesen ist so aus dem Sein herkommend als dessen Negation und für sich damit als Negation der Negation bestimmt; als das, was die Sache ‚an- und für sich‘ eigentlich immer schon und gerade in ihrer unmittelbaren Voraussetzung ist.

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Fürs Erste ist damit im Wesen ein Unterschied als erste und zweite Negation ausgehend vom Sein gemacht, der als Unterschied zugleich nicht ist, weil sich der Unterschied des Seins zum Wesen als nichtig herausgestellt hat, insofern es nur um die Erkenntnis der Sache geht. Das Wesen ist deshalb durch die Logik der Reflexion bestimmt, weil es aufgrund des Nichtseins des Seins, das zugleich nicht ‚Nichts‘ ist, bestimmt ist. Mit diesem ersten Ausgang vom Sein und dem zweiten Rückbezug auf das Sein ist das Wesen mit der ‚Zurückbeugung‘, der Reflexion, als Bestimmung versehen. Genau so ist das Wesen unmittelbar es selbst als immanente Negativität, in deren Bestimmungszusammenhang das Andere (das Sein) eben Schein ist.

2 Z  ur zweiten Bestimmung des Wesens– die Reflexion Wie passt zu diesem Wesen und seiner Bestimmung nach der grundsätzlichen wissenschaftstheoretischen Überlegung zur Wesenslogik nun die von Hegel eingeführte Unterscheidung von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion als Erläuterung zur Reflexion, nachdem mit dem ‚Wesentlichen und Unwesentlichen‘ bzw. dem ‚Schein‘ die ersten Überlegungen des Wesens im Verhältnis zum Sein dargelegt sind? Selbst wenn man konzediert, dass Hegels abstrakte Reflexion zum Wesen und seiner Bestimmung einen ‚Anfangspunkt‘ für die Wesenslogik setzt, der in seiner Bestimmungslosigkeit als unendliche Bestimmtheit unterstellt und von Hegel so ausgegeben wird, scheint die nähere Bestimmung der drei Reflexionsformen doch dieser immanenten Bestimmung eher äußerlich zu sein und die gewünschte Denkbewegung nicht in Gang setzen zu können. Selbst wenn man nämlich genauerhin die immanente Negativität des Wesens als sein Verhältnis zum Sein und erste Bestimmung des Wesens abgeleitet sieht, stellt sich die Frage, ob dazu die Unterscheidung von setzender, äußerer und bestimmender Reflexion nicht eine äußerliche Bestimmung zum Wesen ist, die gerade ‚die selbstbezügliche Negativität‘ als eben äußerliche an ihr selbst nicht näher bestimmt bzw. bestimmen kann, es sei denn als Gegensatz zu ihrer eigenen Bestimmung, für die es in der Bestimmung der ‚selbstbezüglichen Negativität‘ aber keinen Grund oder Anhaltspunkt zu geben scheint. Wiederholt damit die setzende, äußere und bestimmende Reflexion nicht im Sinne eines äußeren Verhältnisses zur Reflexion des Wesens, was gerade im Verhältnis von Sein und Wesen als überwunden geglaubt wurde?



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Fällt man durch eine solche Reflexion also nicht auf eine Stufe zurück, die man im Blick auf die Bestimmung der Reflexion des Wesens gerade nicht mehr intendiert? Hegel muss also zeigen, wie bzw. welche Gedanken die setzende, äußere und die bestimmende Reflexion dem Wesen als Reflexion hinzufügen und wie damit von der ‚leeren‘ Selbstbezüglichkeit weiter fortgeschritten bzw. diese entfaltet werden kann, so dass Hegels Anspruch der unendlichen Bestimmtheit des Wesens tatsächlich eingelöst ist bzw. die Sache des Prozesses der Denkbewegung der Wesenslogik in Gang kommt, ohne dass die genannten Reflexionen sich zu dem erreichten Ausgangspunkt äußerlich verhalten, sondern in ihm als seine Bestimmungen enthalten sind. Der spezielle Gedanke der setzenden Reflexion besteht nach Hegel zunächst darin, das Resultat der Reflexion im Ausgang von der Seins- zur Wesenslogik noch einmal in den Blick zu nehmen: Mit dieser Reflexion wird für das Wesen nämlich festgehalten und daran erinnert, dass die einfache Gleichheit des Wesens mit sich in seiner Unmittelbarkeit die Gleichheit des Negativen mit sich ist. Das Wesen für sich genommen – als immanente Negativität bestimmt – ist Ergebnis der zweifachen Negation, der Negation des Seins als erkannte Unmittelbarkeit und seines aber zugleich festgehaltenen nicht ‚Nichtseins‘ im Wesen im Sinne der wahren Erkenntnis des Seins, das weiterhin der Bezugspunkt der Verständigung über es bleibt. Damit ist die Unmittelbarkeit des Wesens eben eine Gleichheit des Negativen mit sich und der Erinnerung der Herkunft seiner Bestimmung aus dem Sein. Das Wesen ist so vom Sein her erstens gesetzt. Diese Reflexion nennt Hegel deshalb insgesamt ‚setzende Reflexion‘, weil es eben eine im Ausgang vom Sein gesetzte Reflexion des Wesens ist, das dadurch ‚zum Sein‘ im Sinne seiner ‚Unmittelbarkeit‘ zurückkehrt und so zu ihm in ein bestimmtes abhängiges, aber auch selbstständiges Verhältnis tritt. Es ist zunächst kein Anderes vorhanden als nur die ‚aufgehobene‘ (zweite) Unmittelbarkeit des Seins. – In der Diktion Hegels: „Die Reflexion also findet ein Unmittelbares vor, über das sie hinausgeht, und aus dem sie die Rückkehr ist.“ (GW 11, 252) Diese Rückkehr bedeutet für das Wesen selbst als gewordenes oder gesetztes Wesen, dass es sich zweitens setzt, indem seine Bestimmung der immanenten Negativität von keinem anderen mehr abhängig ist. Die Herkunft aus dem Sein ist nicht einmal mehr Schein, weil die Negation der Unmittelbarkeit des Seins als erkanntes nichts mehr von dieser Unmittelbarkeit (als zweite Negation) hat. Dafür verwendet Hegel den Terminus ‚selbstbezügliche Negativität‘. Mit dem gesetzten Wesen vom Sein her und seiner Bestimmung, die als Setzung der immanenten Negativität von nichts mehr abhängig ist, ist das Wesen drittens Vorausgesetztes: Als Negation der Negation gesetzt ist das Wesen unmit-

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telbar es selbst, sich setzend, mit Blick auf seine so festgehaltene Bestimmung in der Differenziertheit seiner Entwicklung ist das Wesen die Voraussetzung für die Erkenntnis des Unmittelbaren überhaupt. Nur weil und insofern die Erkenntnistheorie die ihr vorausgesetzte Ontologie und speziell mit ihr die Dinge der Erkenntnis erkennt und diese Erkenntnis an ihnen selbst prüft und ausweist, ist die Erkenntnistheorie Voraussetzung für die Ontologie. Es ist nur, was als erkannt gelten kann, das ist die Voraussetzung für das unmittelbare Sein überhaupt und damit für alle Dinge. Mit dieser Voraussetzung ist die Reflexion im Verhältnis zu dieser Voraussetzung des Wesens äußere Reflexion. Als Reflexion im Unterschied zu seinem Wesen und Erinnerung an seine Gegenüberstellung zu dem, woher es seine Bestimmung erhalten hat, ist die Reflexion ‚bloße‘ äußere Reflexion. Für Hegel sind daher im Rahmen der ‚äußeren Reflexion’ zwei Momente zu unterscheiden: Das eine Mal die Reflexion als Reflexion ihrer Voraussetzung, die für die Reflexion unmittelbare Voraussetzung im Sinne ihrer eigenen Bestimmung und ihres Wesens ist, das andere Mal die Reflexion der negativen Einheit als inhaltliche Bestimmung der Reflexion mit der erneuerten Unmittelbarkeit des Seins. Beide sind insofern aufeinander bezogen, als die Reflexion als äußerliche einerseits, wenn auf ihr Wesen reflektiert wird, sie mit ihrer inhaltlichen Bestimmung verbunden ist, die inhaltliche Bestimmung der Reflexion andererseits ihren Ausgangspunkt als ‚äußere‘ im Verhältnis zum Sein als ihm bzw. ihrem eigenen Wesen gegenüber hat. ‚Die Reflexion‘ ist also als äußerliche zum Sein Teil der Selbsterkenntnis des Seins und so seine Wesenserkenntnis und sie ist zugleich eine diesem Sein nachfolgende oder eben äußere Reflexion im Wissen um die Erkenntnis dieses Seins. Beide Momente sind aber Momente der Reflexion, die dadurch die bestimmende Reflexion nach Hegel ist. Hegel selbst drückt dies so aus: „Es sind also an der Reflexionsbestimmung zwey Seiten, die zunächst sich unterscheiden. Erstlich ist sie das Gesetztseyn, die Negation als solche; zweytens ist sie die Reflexion in sich. Nach dem Gesetztseyn ist sie die Negation als Negation; diß ist somit bereits ihre Einheit mit sich selbst. Aber sie ist diß nur erst an sich; oder sie ist das Unmittelbare als sich an ihm aufhebend, als das Andere seiner selbst. – Insofern ist die Reflexion in sich bleibendes Bestimmen. Das Wesen geht darin nicht ausser sich; die Unterschiede sind schlechthin gesetzt, in das Wesen zurückgenommen. Aber nach der andern Seite sind sie nicht gesetzte, sondern in sich selbst reflectirt; die Negation als Negation, ist in Gleichheit mit ihr selbst, nicht in ihr Anderes, nicht in ihr Nichtseyn reflectirt.“ (GW 11, 257)

Was nach Hegel also als Bestimmung der Reflexion im Sinne der Negation des Seins als gesetzte und des Seins als Erkanntsein durch die Reflexion im Sinne der



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immanenten Negativität der Reflexion für sie gesetzt ist, ist eben die Einsicht der Einheit von Gesetztsein, äußerer Reflexion, der Negation des Seins und setzender Reflexion als das Erkennen des Unterschieds zwischen Sein und Reflexion durch die Reflexion. Mit dieser Einsicht kann also gesagt werden, wodurch die Reflexion bestimmt ist, was Hegel selbst unter der Bezeichnung ‚bestimmende Reflexion‘ fasst: Die Reflexion ist einerseits bestimmt, insofern eine Auskunft über das unmittelbar erkannte Andere der Reflexion vorliegt, die Reflexion selbst dadurch durch das Andere gesetzt erscheint. Die Reflexion ist andererseits bestimmt, insofern sie den Unterschied zum Anderen als nur erkannten begreifen kann und sie damit wesentlich in der Erkenntnis auf sich selbst bezogen oder angewiesen ist. Reflexion ist also, wenn beides zusammengenommen wird, die Beziehung auf ihr Anderssein als ihr selbst zugehörig, weil der äußerliche Bezug auf den Reflexionsgegenstand als von der Reflexion selbst gesetzter Gegenstand gewusst wird. Die Reflexion verhält sich daher bestimmend, wenn sie in der ‚Anwendung ihres Wesens‘ so verfährt wie es ihrer Bestimmung entspricht, die im Zusammenhang von Sein und Wesen, von Ontologie und Erkenntnistheorie erhoben wurde. Mit dieser Bestimmung der Reflexion liegt eine Bestimmung für diesen Gegenstand vor, die nach Hegel den Motor für die weitere Entwicklung der Wesenslogik als erkenntnistheoretisches Begreifen der ontologischen Voraussetzungen abgibt: Die Erkenntnistheorie stellt damit in der Bestimmtheit der Reflexion als äußerlicher einerseits Mittel zum Begreifen der Ontologie wie z. B. den ‚Satz der Identität‘, ‚des Unterschieds‘ und ‚des Widerspruchs‘ bereit. Die Reflexion verhält sich dabei als negative zum Gegenstand, insofern sie diesem gegenüber als das Andere seiner und funktional auf bzw. für ihn ausgerichtet oder zugerüstet erscheint. Die Erkenntnistheorie weiß allerdings auch andererseits darum, dass jenseits der bereitgestellten Mittel der Gegenstand nicht ohne die Reflexion zu haben ist. Die Reflexion ist damit die Voraussetzung für das adäquate Bestimmen des Gegenstandes und für sich so bestimmt. Was z. B. ein Grund ist, muss ‚an diesem Gegenstand‘ selbst festgestellt werden. Der Grund verhält sich damit nicht als etwas Anderes zu seiner Erklärung, sondern sie wird als Definition seiner selbst gewusst, wenn im Rahmen der Erkenntnistheorie von Gründen für ontologische Zusammenhänge geredet wird. Die Wesenslogik nimmt daher in ihren Reflexionsbestimmungen auf ontologische Kategorien der Seinslogik Bezug, greift diese auf und präzisiert sie als unmittelbare Bestimmungen zum Begreifen einer Sache, insofern sie den Anspruch dieser Kategorien an ihnen selbst unter der Prämisse ihrer Anwen-

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dung, Angemessenheit und Stringenz prüft. Damit ist die Wesenslogik auf die Seinslogik als das Andere ihrer wie die Reflexion bezogen, sie weiß sich aber auch als Erklärung des in der Seinslogik Behaupteten und damit als eigentliche Erkenntnis der Gegenstände der Seinslogik zur Erkenntnis einer Sache. In diesem Sinn verhält sich also die Wesenslogik zur Seinslogik wie ‚das durch anderes Gesetztsein‘ zur ‚Reflexion-in-sich‘ im Rahmen der beschriebenen Reflexionsbestimmungen. Was das nun erkenntnistheoretisch bedeutet, was dies also als Erkenntnis zur Erkenntnis einer Sache logisch heißt, wird durch die folgenden Wesenheiten oder Reflexionsbestimmungen angegeben.

Klaus Vieweg

Hegels sizilianische Verteidigung Die Beziehung der Wesenslogik zu Metaphysik, Skeptizismus und Transzendentalphilosophie Ähnlich Odysseus versuchte Hegel in seiner Wissenschaft der Logik aus einer Zwickmühle zu entfliehen, bekanntlich bleibt dies beim Schachspiel ein aussichtsloses Unterfangen, denn gleich welchen Zug, welche Alternative man wählt, es folgt der Untergang auf dem Fuße. Obschon eine klassische Eröffnung im königlichen Spiel auf 64 Feldern ausgerechnet den Namen Sizilianische Verteidigung trägt, war die sizilianische Odyssee bekanntlich kein Schachspiel. Dem antiken Helden gelang es nämlich der monströsen Zwickmühle zu entwischen, den an beiden Seiten der Meerenge von Messina lauernden Ungeheuern Skylla und Charybdis zu entkommen. Hegels Logik, besonders auch die Wesenslogik, gleicht in manchem dem tollkühnen Unternehmen des Odysseus, das Erkennen in der Logik soll laut eigener Auskunft weder dem allverschlingenden Sog der Skylla namens Unmittelbarkeit noch den Charybdis-Fangarmen der gefräßigen Vermittlung anheimfallen (Enz § 75).1 Zwei gleich große Übel sind zu vermeiden, weder einseitige bloße Unmittelbarkeit noch einseitige Mittelbarkeit. Ähnlich wie damals in Messina wird es auch bei dieser Konzeption sehr eng und diffizil, auch hier herrscht eine stürmische, wütende Brandung und es finden sich viele tödliche Strudel und glitschige Fangarme. Mit den zwei gleich gefährlichen Monstern taucht ein erstes Motiv meines Titels auf, die Struktur der pyrrhonischen Isosthenia, der Antinomie. Nicht zufällig verglich Fichte die Skeptiker mit Seeungeheuern und Goethe den Zweifel mit dem Teufel, im Sinne der Zwei-heit, des Zwiespältigen, dubitare, dubio, diabolo – das Wort Zweifel kommt von zwei Fällen, das Zwei-Fällige, Reflexion im engeren Sinn verweist ebenso auf diese Zweier-Struktur. En passant: Die Wesenslogik bildet den zweiten Teil der Wissenschaft der Logik, den Hegel als den schwersten und gefährlichsten ansah. Dazu später mehr, jetzt vorweg die Kernthese, zu der hier nur ganz wenige Facetten in den Blick genommen werden: „Der ganze zweite Theil der Logik, die Lehre vom Wesen, ist Abhandlung der wesentlichen sich setzenden Einheit der Unmittelbarkeit und Vermittlung.“ (Enz, §  65) Die beiden Untiere  – Unmittelbarkeit und Vermittlung – sollen gebändigt und domestiziert werden, erstens wären sie als wesent-

1 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), GW 20.

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liche Einheit zu denken, in „unzertrennlicher Verbindung“ (Enz §  12)  – Nichts zwischen Himmel und Erde was nicht diese Symbiose erfüllt, und zweitens soll diese Identität als sich setzende Einheit verstanden werden. Kann eine solche Zähmung zweier Widerspenstiger gelingen? Welche Rolle spielt dabei das Skeptizismus-Gespenst? Welche relevanten Bezüge bestehen zwischen Wesenslogik, Metaphysik und Transzendentalphilosophie? Dazu einige erste Annäherungen:

1 Wesen versteht Hegel in durchaus kritischer Absicht nicht als tote, leere Bestimmungslosigkeit, keineswegs als ein absolut Unmittelbares unter Exklusion des Vermittelten, unter Ausschluss jeglicher Bestimmtheit. Die Protagonisten des unmittelbaren Wissens versichern, dass dieses Unmittelbare letztendlich doch isoliert genommen, unter Ausschließung der Vermittlung die Wahrheit zum Inhalt hätte, propagieren damit das Entweder-Oder und fallen so in den metaphysischen Verstand zurück. Hegel zufolge schließt jedoch die Unmittelbarkeit des Wissens nicht nur die Vermittlung nicht aus, sondern sie sind so verknüpft, daß unmittelbares Wissen sogar als Resultat des Vermittelten angesehen werden kann und muss, so wie auch umgekehrt die Logik des unmittelbaren Seins in der Logik des Vermitteltseins mündet. Ein Lehrstück hierfür bietet bekanntlich schon der Phänomenologie-Abschnitt Sinnliche Gewißheit, die als unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden auftritt, sich aber ‚zugleich als vermittelt‘ erweist, der Unterschied von Unmittelbarem und Mittelbarem ist – so Hegel – an der sinnlichen Gewißheit selbst. Der gewöhnlich abstrakte Verstand hingegen, welcher jeweils eine der Seiten für sich als absolut ansieht, erschleicht damit den Mythos der Unvereinbarkeit oder verlangt einen Jacobischen Todessprung in den Glauben, beides zeitigt desaströse Resultate für die Philosophie, die Bankrotterklärung des Denkens. Das scheinbar die Unmittelbarkeit darstellende Sein führt jedoch durch seine eigene, ihm immanente Negativität, seine eigene Dynamik zu seiner Aufhebung. Das Wesen kann nicht als tote, vollständig leere, bloße Bestimmungslosigkeit gelten, keineswegs als ein völlig unbestimmtes Wesen, als das Inhaltsleere, Maßlose vom Typ ‚Inbegriff aller Realitäten‘ (GW  11, 289), dem dann Prädikate einfach beigelegt werden. Das reine, unmittelbare Sein vermag eben nicht der Vermitteltheit zu entwischen, aber im Unterschied zum Verfahren des Prädizierens in Gestalt des bloßen, unbegründeten Beilegens oder Zusprechens von Prädikaten, klagt Hegel zu Recht die logisch stringente Ableitung dieser Bestimmtheiten ein, verlangt wird der Beweis im klaren logischen Sinne des Wortes. Ein



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tiefes Verdienst von Fichte liege in der Forderung, die Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit abzuleiten, nicht einfach aufzunehmen oder aufzuzählen, in Fichtes Forderung einer Deduktion der Kategorien. Bei diesem geläufigen Anspruch soll etwas verweilt werden, im speziellen Hinblick auf das Problem Unmittelbares und Mittelbares. Schon das reine Sein als absolute, reine Unmittelbarkeit, so Hegels These, erweist sich als vermittelt, alle logischen Stufen und Formen müssen als Formen dieser Einheit angesehen werden können. Die hierfür erforderliche Argumentation liefert die Begriffslogik mit dem Abschnitt Der besondere Begriff mit der Ableitung der Besonderheit. Metaphorisch zugespitzt handelt es sich um ein logisches Urgestein, um einen Kerngedanken des Hegelschen Idealismus schlechthin. Auch sei es weiterhin gestattet, anhand der Argumentation in den § 5 und 6 Rechtsphilosophie, diesen Topos als einen durchgängigen zu skizzieren. Die Rechtfertigung dieser knappen Wiederholung liegt darin, dass aus meiner Sicht die entscheidende Thematik Besonderheit bei Hegel bislang recht stiefmütterlich traktiert wurde, zumeist wird nur auf das Verhältnis von Allgemeinheit und Einzelheit rekurriert. Aus der allerersten Stufe der Selbstbestimmung des Allgemeinen resultiert allerdings das Besondere, das Allgemeine ist zuerst selbst das Besondere. Die unmittelbare, abstrakte Allgemeinheit, diese anfängliche Unbestimmtheit des Begriffs macht eben seine Bestimmtheit aus. Dass er Besonderes ist, diese absolute Negativität ist zunächst seine einzige, alleinige Bestimmtheit  – in Umkehrung von Spinoza: omnis negatio est determinatio. Vollständig leer – so fügt Hegel an – ist diese absolute, reine Abstraktion eben in strengem Sinne gerade nicht. Auch sie ist vom horror vacui befallen, sie hat ‚die Bestimmtheit der Unbestimmtheit‘. Diese Bestimmtheit, nämlich unbestimmt zu sein, bleibt die unhintergehbare Minimalausstattung von Anfang an, das absolute Minimum als alleinige, einzige Bestimmtheit, keineswegs als totale Leerheit oder tote Bestimmungslosigkeit, zunächst eben als radikal unterbestimmte Bestimmtheit. Dies wird dem Allgemeinen nicht einfach beigelegt, nicht einfach zugeschrieben, sondern ist Resultat des logischen Vollzugs. Die §§ 5 und 6 Rechtsphilosophie belegen die logische Fundierung der praktischen Philosophie, sie enthalten die vorher angerissene Argumentationsstruktur. Der Wille enthält erstens die reine Unbestimmtheit, die reine Reflexion des Ich in sich, die absolute Abstraktion. Dies isoliert bzw. vom Standpunkt der Vorstellung aus als die Freiheit schlechthin genommen, gilt Hegel als negative Freiheit, die Freiheit des Verstandes, die scheinbare Freiheit der Leere. Im § 6 erfolgt der für Hegels Zentralgedanken entscheidende Schritt und zwar in äußerst präziser terminologischer Fassung, welche das Bestimmen als Setzen und Besonderung akzentuiert. Das Ich ist ebensosehr oder zugleich Bestimmen als Setzen eines Inhalts, eines Setzens seiner selbst, womit das absolute Moment der Endlichkeit

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und Besonderung des Ich resultiert. Dies impliziert einerseits die Identität mit dem ersten Argumentationsschritt, beide stellen die Negativität dar, andererseits repräsentiert das zweite Moment das Aufheben der ersten abstrakten Negativität. Daran schließt sich die entscheidende Stelle an: Zitat „Wie das Besondere überhaupt im Allgemeinen, so ist deswegen dieß zweyte Moment im ersten schon enthalten und nur ein Setzen dessen, was das erste an sich schon ist“ (RPh § 6)2 – es handelt sich um das Ergebnis einer streng logischen Ableitung, welche die Täuschung einer im ersten Moment präsenten wahrhaften Unendlichkeit offenlegt, der Begriff als konkrete Allgemeinheit wird mit dem ersten Moment nicht zureichend, sondern nur einseitig erfaßt, im Sinne einer notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung. Weil, so Hegels Pointe, das erste Moment „die Abstraction von aller Bestimmtheit ist, ist es selbst nicht ohne Bestimmtheit“ – das „ohne“ wird von Hegel bewußt kursiviert  – „als ein abstractes, einseitiges zu seyn, macht seine Bestimmheit, Mangelhaftigkeit und Endlichkeit aus.“ (RPh § 6) Mit dem Gedanken der immanenten Negativität wird der Grundpfeiler spekulativen Denkens formuliert. Die logische Form der Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit haben wir in der Einzelheit, als Allgemeinheit, welche zum Gegensatz das Besondere hat, das aber durch seine Reflexion in sich mit dem Allgemeinen ausgeglichen sei. Diese dritte logische Stufe beschreibt Hegel dann im §  7 als das Innerste der Spekulation, welcher der Logik als der rein spekulativen Philosophie angehöre – der Gedanke der Unendlichkeit als sich auf sich beziehender Negativität.

2 Die Wesenslogik gilt als Resultat der Logik des Seins, das Wesen als die Wahrheit des Seins. Somit muss die Logik des Wesens den Gedanken der Unmittelbarkeit, der Unbestimmtheit notwendig mit dem Gedanken der Bestimmtheit, der Mittelbarkeit des Verstandes konfrontieren, beide in Beziehung bringen. Allerdings erreicht die Sphäre des Wesens eine ‚noch unvollkommene Verknüpfung der Unmittelbarkeit und Vermittlung‘, gewissermaßen nur die Essenz als die unabdingbare Kraft des Unterscheidens und Besonderns, noch nicht die eigentlich Quintessenz, das begreifende Denken. Nach Auskunft ihres Verfassers beinhaltet die Wesenslogik als der schwerste Teil der Logik vornehmlich die Kategorien der Metaphysik und der Wissenschaf-

2 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, GW 14, 1.



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ten als Erzeugnissen des reflektierenden Verstandes – dazu werden wir Genaueres noch hören – eines Verstandes, der a) die Unterscheidungen als selbständige fixiert, der seine Legitimation darin hat, das Konkrete in die abstrakten Bestimmtheit zu differenzieren und der b) zugleich deren Relativität setzt, beides aber nur als ein Neben- oder Nacheinander verknüpft, durch das groß geschriebene Auch, durch die Festschreibung einer starren, letztlich unauflöslichen Zweiheit – Gott als Wesen unzähliger Namen, Gott ohne alle besonderen, ihm unangemessenen Eigenschaften, Substanz und ihre zwei oder unendlichen Attribute. Somit kann nur eine Verstandesidentität, keine spekulative Einheit des Begriffs konstituiert werden. In diesem Zug der Selbstbestimmung vollzieht sich keine genuine Selbstbestimmung, insofern der Gegenstand nicht als frei aus sich selbst bestimmend verstanden wird, dem Unendlichen wird das Gegebene, Vorgefundene, werden die Resultate der Vorstellung letztlich nur beigelegt oder zugeschrieben, was wir bittweise annehmen sollen, eine trockene Versicherung. Die traditionelle Metaphysik, die in der Wesenslogik ihre Aufhebung, Umformung und Weiterbildung erfährt, sieht zwar zu Recht die Denkbestimmungen als Grundbestimmungen der Dinge an  – Hegels Logik als System der reinen Denkbestimmungen ist darin genuin Metaphysik – aber gerade die neuzeitliche Metaphysik sammelt diese abstrakten Bestimmungen aus den Vorstellungen auf, von denen besonders die Modernen höchst befangen sind, da sie entscheidende Inhalte darstellen. Die Vorstellung reiht z. B. einfache Prädikate aneinander  – Gott als Schöpfer, Allweiser, Allmächtiger  – die aber außereinander verharren müssen. Der Verstand folgt diesem Procedere, behauptet jedoch die Notwendigkeit der Beziehungen der isolierten Bestimmungen der Vorstellung (Enz § 20). Bei beiden  – Vorstellung und Verstand – sind die Besonderungen als gegeben, als unmittelbar vorgefunden angenommen, das Finden soll das Gelten sein, Hegel spricht von „fertig gegebenen Tatbeständen“ wie etwa Welt oder Gott. Es erfolgt erstens die Zuschreibung von solchen  – wie Hegel ironisch anmerkt ‚vortrefflichen‘ bzw. höchsten und letzten Prädikaten wie ‚Dasein‘, daß Gott ist, keinesfalls was er ist. (Enz §§  73, 28, 29) Gott wie Welt wird das Dasein als Prädikat zugemessen. Zweitens muss eine willkürliche Sammlung oder eine schlechte Unendlichkeit des Prädizierens in Kauf genommen werden  – Substanz mit zwei oder unendlich vielen Attributen – und drittens wird in isosthenisch-antinomischen Fällen der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch bemüht, das Entweder-Oder implizierend. Unentrinnbar gerät dies Verfahren in die fünf fürchterlichen Fangarme des pyrrhonischen Monsters namens 5 Tropen des Agrippa, u.  a. in den Tropus des unendlichen Progressus und in den Tropus der Relativität. Gegen die einseitige Positivität solcherart Metaphysik, verbunden mit dem Insistieren auf die Geltung der logischen Formen von Satz und Urteil – erweisen sich die pyrrhonischen Tropen auch hier als die Hauptwaffen gegen jeglichen Dogmatismus

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mit seiner Exklusion der gleichgültigen Gegenthesen, gegen den auf Isolation insistierenden Verstand. Die skeptische Methode der Transzendentalphilosophie steht für Hegel in dieser pyrrhonischen Tradition. Nicht zufällig wird am Beginn der Wesenslogik dieser Bezug explizit hergestellt  – mit den Termini Phänomen (phainomenon) des Skeptizismus und Erscheinung im transzendentalen Idealismus kommt der Gedanke der Vermittlung, der Zweiheit radikal ins Spiel, beide – phainomenon und Erscheinung – stellen kein Ding, kein gleichgültiges unmittelbares Sein dar, sie sind nur in ihrer Bestimmung und Beziehung auf das Subjekt, abstrakt gesagt: auf ein Ich. Damit vollzieht sich die notwendige Umkehrung des Seins in das Erscheinende, der Weg aus dem Extrem des Myth of the Given in das andere Extrem des Myth of the Construction, dazu ein knapper und vereinfachender Exkurs: Über den skeptischen Suspens, den Behauptungsverzicht, findet sich bei Sextus Empiricus folgende neuralgische Stelle: „daß ich von keinem der Dinge, die ich sagen werde, mit Sicherheit behaupte, daß es sich in jedem Falle so verhalte, wie ich sage, sondern, daß ich über jedes einzelne nur nach dem, was mir jetzt erscheint erzählend berichte.“3 Hier sind wichtige pyrrhonische Stichworte verbunden: 1) das Ich und das Einzeln-Besondere, 2) das Hier und Jetzt, der Augenblick, 3) das Erscheinende und 4) das erzählende Berichten dieses Erschienenen, eines eigenen Erlebnisses. In der ersten deutschen Fassung dieser Passage übersetzt Niethammer wie folgt: „Die Skeptische Schule hat zu ihrem Kriterium die Erscheinung, worunter sie eigentlich die Vorstellung der Erscheinung verstehen.“4 Erscheinung und Vorstellung gehören zum unverzichtbaren Vokabular dieser Skepsis. Der Pyrrhonist fragt nach dem über das Erscheinende Ausgesagte, wobei Erscheinungen als Sachverhalte in der Form „einer erlebnismäßigen Vorstellung“5 gelten. Es geht dem Pyrrhoneer um die ‚Mitteilung eines menschlichen Erlebnisses‘ – etwas, „was dem Erlebenden erscheint“.6 Mit dieser Strategie will der Pyrrhoniker die Voreiligkeit des Urteilens vermeiden und sich zugleich dem Anspruch auf die Geltung von Wissens, wie er in der Metaphysik gestellt wird, entziehen. Es handelt sich um ein temporäres Dahingestellt-Sein-Lassen, keinesfalls um einen prinzipiellen Ausschluß von Wissen – der Skeptiker räumt ein, daß er vielleicht künftig durchaus Wissen erlangen könne. Er teilt seine Erlebnisse in Form der Erzählung seiner Vorstellungen mit. Jeder Behauptung müsse so die Wendung

3 Sextus Empiricus, Pyrrhonische Hypotyposen, (PH, I, 4), Frankfurt am Main 1985, 93. 4 Ebd., 209. 5 Sextus Empiricus, Pyrrhonische Hypotyposen, (PH, I, 19), a. a. O. (Anm. 4), 98. 6 Ebd., 141, (PH, I, 203) – alle Hervorhebungen in den Anmerkungen 3 bis 7 vom Autor.



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‚wie es mir gerade hier und jetzt erscheint‘ voraufgeschickt werden. Erscheinendes (phainomenon), Vorstellung (phantasia), Negativität und pure Subjektivität verschmelzen in diesem Konzept. Was erscheint – so Sextus in seiner Schrift Gegen die Dogmatiker ist ‚individuell und momentan‘, eine solche negative Position will bloß partikulare Subjektivität und Scheinen bleiben7. Das Kriterium des Skeptizismus – so Hegels grundlegende Einsicht – bildet das Erscheinende, worunter (in Übereinstimmung mit Sextus) das Subjektive zu verstehen ist – phainesthai und phantasia.8 Darin liegt der Gedanke der Subjektivität als Unabhängigkeit von jeglichem Gegebenen, die Unvoreingenommenheit – die Subjektivität und Negativität als freie Seite der Philosophie, vorgeführt von Platons Parmenides bis zu Kants skeptischer Methode, welche der Transzendentalphilosophie allein wesentlich eigen ist. Nach Friedrich Schlegels treffender Beschreibung sucht der Skeptiker das subjektive Element der Philosophie rein darzustellen, was allerdings mit dem Verlust an Objektivität erkauft wird – die Erscheinung versteht Sextus als meine Vorstellung, das phainomenon als pure Subjektivität (frei von jeglicher Objektivität), als bloß subjektive Vorstellung, phantasia, imaginatio, als mein inneres Bild. Das spezielle Verdienst dieser einseitigen Position liegt darin, dass sie den Gedanken der Differenz, der Nicht-Identität von Denken und Sein, in paradigmatischer Form ausspricht. Die überkommene Metaphysik verharrt in den angedeuteten Schwierigkeiten, im Dogmatismus des Gegebenen, der Skeptizismus in Gestalt des Pyrrhonismus und seine moderne Schwester, die Transzendentalphilosophie, repräsentieren laut Hegel die genannte freie subjektive Seite, die zweite Philosophie. Das für das Philosophieren unverzichtbare solipsistische-konstruktionistische Moment illustriert Hegel mit zwei charakteristischen Stellen: In der Enzyklopädie ist vom freien Ausfahren des Schiffes namens Denken die Rede, nichts mehr bleibt unter uns oder über uns, wir sind wie auf Odysseus‘ Floß in der Einsamkeit mit uns alleine. Noch eindrücklicher kommt dies in der Berliner Antrittsrede zum Ausdruck: das Denken ist einsam bei sich selbst, wirft sich in einen uferlosen Ozean, alle Stützpunkte sind verschwunden, das Ich wird in diesem Alleinsein vom Grauen der Ungewißheit heimgesucht, nur der eine Stern, der innere Polarstern des Geistes leuchtet. Das Denken als Subjekt – so Enz § 20 – ist Denkendes, der einfache Ausdruck des existierenden Subjekts als dem Denkenden ist Ich. Insofern Ich zugleich in allen meinen Empfindungen, Vorstellungen etc. bin, ist der Gedanke allenthal-

7 Hegel, „Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie. Darstellung seiner verschiedenen Modifikationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten“, in: GW 2, 223–224. 8 Ebd., 204 f.

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ben gegenwärtig und durchzieht als Kategorie alle diese Bestimmungen. Was in diese Einheit der Ich-Identität gesetzt wird, ist von derselben infiziert oder kontaminiert, die reine Apperzeption als die ‚Tätigkeit des Vermeinigens‘. Es handelt sich um den ‚freien Act des Denkens‘, eines Denkens, das sich „seinen Gegenstand selbst erzeugt und gibt.“ (Enz §  17). Eine unabdingbare Dimension der Logik als Selbstbestimmung des Denkens besteht in der Fortbestimmung dieses Selbst, des Gedankens der Subjektivität, des Freien – der Begriff ist das Freie. Im Denken des Denkens geht es ebensosehr um die Sache an sich selbst wie um den reinen Gedanken, Hegel versucht das herkulische Unternehmen der Überwindung des Konzeptionen des Gegebenseins und des Konstruktiven – die Sache der Logik ist die Logik der Sache und vice versa, entgegen der eklatanten Mißdeutung von Marx, der eine Art metaphysizierenden Empirismus in Gestalt des Materialismus reanimiert. Im absoluten Idealismus hingegen wird das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anerkannt, weder das angeblich Unmittelbare noch das bloß Mittelbare. Die Idealität des Endlichen gilt als Hauptprinzip der Philosophie schlechthin. Das unmittelbare oder äußerliche Objekt hat – so Hegel – keine wahrhafte Realität, ist ein bloß scheinbar Selbständiges (Enz § 426). Skeptizismus und transzendentaler Idealismus attackieren laut Hegel mit Erfolg den Mythos des Gegebenen, den dogmatischen Realismus wie den Dogmatismus vom Typ angeborener Ideen oder flackernder Neuronen. In diesem Sinne bezeichnet Hegel den Skeptizismus als eine durch alle Formen des Erkennens durchgeführte negative Wissenschaft, welche die Nichtigkeit bloßer Voraussetzungen und trockner Versicherungen zeigt. (Enz §  78) Die Wendung „Es ist“ erlaubten sich beide skeptischen Unternehmungen nicht mehr so unbefangen zu formulieren. Mit seiner Konzeption des erscheinenden Wesens, einem Kernmoment der Wesenslogik, versucht Hegel die Herausforderungen des Skeptizismus und der Transzendentalphilosophie anzunehmen und dabei auch ein neues Verständnis von Existenz und Wirklichkeit zu konstituieren. Sowohl im Pyrrhonismus als auch im transzendentalen Idealismus werde Hegel zufolge jedoch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, das Erscheinende soll gar keine Grundlage eines Seins haben, etwa werde das Ding an sich als tatsächlich Leeres-Jenseitiges, als leerer Name, als caput mortuum postuliert und von der Erkenntnis ausgenommen, eine überzogene Zärtlichkeit gegenüber den Dingen, die sich nicht widersprechen sollen, werde vertreten – das Endliche gilt als ein sich nicht Widersprechendes. Das Erscheinende hat jedoch die mannigfaltigen Bestimmungen des Vorgefundenen, den ganzen differenten Reichtum der Welt zum Inhalt. Die Translatio vom Sein zur Erscheinung bringt a) den Gewinn der Vernichtung der Legende vom absolut seienden Unmittelbaren, den Gedanken der vermittelten, reflektierten Unmittelbarkeit, allerdings ebenso b) die Nicht-Überwindung des Paradigmas



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der Gegebenheit, insofern der Inhalt eben nicht durch ihn selbst gesetzt ist und eine neue absolute Unmittelbarkeit geschaffen wird, somit die Einheit von Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit nicht zureichend gewonnen wird. Die Phänomene des Pyrrhonikers verbleiben als das, was mir unmittelbar erscheint und dass ich dann berichte, auch bei Kant werde Hegel zufolge diese Unmittelbarkeit nicht völlig überwunden, insofern der Inhalt der Erfahrung und Wahrnehmung noch als Gegebener gilt, dass Wie und Inwiefern der Selbstbestimmung des Denkens vermag nicht abgeleitet zu werden. Bei Fichte aus dem Jahre 1794 sei der berüchtigte „Anstoß“ unmittelbar im Ich enthalten, die Negativität jedoch ein bloßes Hinzukommen, nicht im strengem Sinne immanent, die Negativität des Identischen nicht immanent gedacht. Dies wäre natürlich an anderer Stelle weiter zu belegen. In der Wesenslogik sieht Hegel bei Fichte den subjektiven Idealismus als Konstruktionismus am konsequentesten ausgearbeitet, er spricht vom systematischen Idealismus der Subjektivität. Jeglicher Inhalt gilt zurecht als Meiniger im Sinne der Ichheiten, dieses Prinzip kann die Philosophie nicht mehr fallen lassen, gegen alle Variationen des Realismus und Materialismus, die bis heute virulent sind. Bei Fichte verbindet sich dies mit der Behauptung der Exklusivität dieser Form gegen jegliche Objektivität, gegen das äußerliche Dasein des Inhaltes, damit die positive Leistung des reflektierenden, unterscheidenden Verstandes, etwa der Erfahrung, herabstufend. Hieran wird deutlich, welchen steinigen Weg Hegel zwischen Skylla und Charybdis versucht, wie die Dualismen überschritten werden könnten, der Dualismus von Dogmatismus und Skeptizismus in der dritten Philosophie, die weder Dogmatismus noch Skeptizismus und also beides zugleich ist; der Dualismus von Seins-Realismus und subjektivem Idealismus, vom Myth of the Given und Myth of the Construction im spekulativem begreifenden Denken des absoluten Idealismus.

3 Skeptizismus und Idealismus, Isosthenik und Antinomik vermögen die Nichtigkeit alles Endlichen aufzuweisen, das angeblich Feste des Verstandes wird in Zweifel gezogen. Die Reflexion setzt die isolierten Bestimmungen ins Verhältnis, beläßt sie aber doch in ihrem isolierten Gelten, sowohl als auch. Hegel geht es nun darum, die Sphäre der Reflexion als Sphäre des gesetzten Widerspruchs zu verstehen, das immanente, logisch notwendige Hinausgehen über die Verstandesbestimmungen nachzuweisen, die Negation als Selbstaufhebung des Endlichen. Zum verborgenen Instrumentarium zählt in diesem Kontext die Argumen-

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tationsstrategie gegen den 3. Tropus des Agrippa, dem Herzstück, der höchsten Stufe allen Verstandes, dem Theorem der Isosthenie, die nicht von außen bzw. mit anderen Argumenten attackiert werden darf, sondern eben nur immanent, durch das Umkehren des Spiesses  – hier in Gestalt der Applikation des Relativitätstropus auf diesen selbst, somit ist der Satz „Alles Wissen ist relativ“ selbst in die Relativität gefallen – der Verstand verkennt sich selbst. Der Skeptizismus repräsentiert so das durch den Verstand für sich abgesonderte und in wissenschaftlichen Begriffen festgehaltene Dialektische mit dem Resultat der bloßen Negation. Hegel zufolge geht das wahrhaft Dialektische immanent über die Reflexion hinaus, zum eignen dynamischen Sichaufheben der einseitigen Unmittelbarkeit und Vermittlung. Bekanntlich formuliert Enz § 82 die Kernbestimmungen des begreifenden, spekulativen Denkens als höchster Stufe, welche vom verständigen und dialektischen Moment des Logischen unterschieden wird, was dem allgegenwärtigen Klischee von Hegel als Dialektiker diametral entgegensteht. Auch dieses Feld kann hier nur ganz kurz angesprochen werden, allerdings mit dem nach Hegels Auskunft härtesten Übergang, dem von der Notwendigkeit zur Freiheit, vom Wirklichen in den Begriff (GW 11, 254 ff.) Ein entscheidender Terminus ist hier bekanntlich die Selbständigkeit als unterbestimmte Bestimmung von Freiheit. Als auf die Spitze des fürsichseienden Eins getrieben, wäre dies die abstrakte, formelle Selbständigkeit, die in konkreten Formen etwa in der Rechtsphilosophie als abstrakte Freiheit, die Willkür, die reine Pflicht, das Böse, auftritt. Aber die Selbständigkeit bleibt nicht in dieser Einseitigkeit, sie weist ebenfalls die Struktur des vorhin beschriebenen Verhältnisses von Allgemeinheit und Besonderheit auf, speziell bezüglich des fundamentalen Übergangs vom Allgemeinen zum Besonderen. Sie gilt als die unendlich negative Beziehung auf sich, eine Selbständigkeit, welche „das von sich Abstoßen in unterschiedene Selbständige ist, als dieses Abstoßen identisch mit sich, und diese bei sich bleibende Wechselbeziehung nur mit sich“ (Enz § 158) In dieser Art des Denkens von Notwendigkeit wird die Struktur der Freiheit schon grundsätzlich erfüllt, der Übergang zur Begriffslogik angezeigt – das Zusammengehen des Begriffs mit sich selbst in seinem Anderen. Hegel spricht schon hier dezidiert von Befreiung, vom Begriff als dem Freien, vom Begriff als der freien Vermittlung mit sich, wobei als für sich existierend diese Befreiung ‚Ich‘ heißt (Enz § 159), worin wiederum der Rekurs auf Skepsis und Idealismus aufscheint. Auch hier erweist sich die Wissenschaft der Logik als Theorie der Selbstbestimmung des Begriffs, als logische Theorie der Freiheit, welche die geläufige Antinomie von Notwendigkeit und Freiheit zu überschreiten vermag. Hegel illustriert dies u.  a. mit dem existierenden Unrecht als einer Besonderheit des Rechts, worin die Erscheinung des Rechts in den Schein übergeht. Die Wahrheit dieses Scheins zeigt sich als seine Nichtigkeit, worin sich die Macht des Wesens, sich ausdrückend im Tatbestand



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der Strafe, welche vom Verbrecher als fremde, ihn unterwerfende Gewalt und Einschränkung seiner Freiheit verstanden wird, Das Freie kommt bei der Strafe an den Verbrecher mit dem Schein eines Anderen. Dabei stellt die Strafe nur die Manifestation seines eigenen Tuns dar, die Folge und das Gesetz seines eigenen Willens, welches in seiner Handlung selbst liegt, die notwendige Herstellung der Vollständigkeit seiner eigenen Handlung, die Strafe als das vernünftige in seiner Tat als Untat. Die genannte ‚Härte‘ des Übergangs zur Begriffslogik muss natürlich noch gründlich erschlossen werden, das konnte hier nicht die Aufgabe sein. Ein Kernmoment bildet hierbei vermutlich die Kategorie der Zufälligkeit, die im Praktischen das Moment der Willkür darstellt. Hinsichtlich des Übergangs in das Reich des Begriffs als dem Reich von Subjektivität und Freiheit geht es auch um die Aufklärung der Rede von der absoluten Zufälligkeit der Unterschiedenen und der Wandlung von Zufälligkeit zur Freiheit und um das Einzelne als mit sich identischer Bestimmtheit, eben nicht als ein vollständig leeres Nichts – die Aufhebung der Logik des Wesens in der ‚unendlichen Freiheit des begreifenden Denkens‘. * * * Der gute Odysseus, der alleine durch die sizilianische Meerenge segeln musste, entkam nur mit knapper Not den beiden Ungeheuern durch das Klammern an einen Feigenbaum. Diese Lösung der vermeintlichen Zwickmühle von einseitiger Unmittelbarkeit und einseitiger Vermittlung hin zum Verständnis des scheinbaren Paradoxons der vermittelten Unmittelbarkeit, der Bestimmtheit der Unbestimmtheit stand Hegel nicht zur Verfügung. Einige wenige Facetten des Problemfeldes sollten hier zur Sprache gebracht werden, orientiert an der gestellten Thematik Skeptizismus, Metaphysik und Transzendentalphilosophie. Jedenfalls bleibt die Klärung des Übergangs von der Wesens- zur Begriffslogik eine der großen und wohl noch nicht zureichend gelösten Herausforderungen bei der Interpretation der Wesenslogik. Der logische Code der Beziehung von Allgemeinen und Besonderen, die eben keine Schachzwickmühle darstellt, sondern Hegels spannende Variante der sizilianischen Verteidigung und sein eigentümliches Verständnis von Freiheit könnte das Fundament für die Aufklärung des Problems bilden. Jedenfalls besteht Hegels Projekt in der Überwindung der einseitigen Positionen des Konstruktivismus (des subjektiven Idealismus) und des Realismus, im Versuch der Verbindung beider Konzeptionen in einer ‚dritten‘ Philosophie. Die Logik des Wesens bildet den wichtigen ‚mittleren‘ Schritt auf diesem Weg.

Friedrike Schick

Identität und Unterschied als Reflexionsbestimmungen des Wesens1 Zusammen mit dem Widerspruch als Drittem im Bunde werden die Kategorien der Identität und des Unterschieds von Hegel als Bestimmungen des Wesens eingeführt. Nun versteht es sich nicht von selbst, weshalb Identität und Unterschied in einer Wissenschaft des Logischen gerade an diesem systematischen Ort zu stehen kommen, oder was genau es heißt, sie als Bestimmungen des Wesens zu denken. Zugleich gibt Hegel den dreien auch den gemeinsamen Titel der Reflexionsbestimmung.2 Damit lässt sich der Ausgangsfrage ein schärferes Profil geben: Nicht von ungefähr erinnert der Ausdruck „Reflexionsbestimmung“ ja an Kants Unterscheidung zwischen Reflexionsbegriffen und Kategorien. Kant unterscheidet Reflexionsbegriffe von Kategorien dadurch, „daß durch jene nicht der Gegenstand nach demjenigen, was seinen Begriff ausmacht (Größe, Realität), sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird.“3 Für die „Einerleiheit“ und „Verschiedenheit“ – den Kantischen Gegenstücken zu Hegels Identität und Unterschied – gilt: Die Einerleiheit ist das Gemeinsame vieler Vorstellungen, das sie unter einen Begriff zu fassen erlaubt, und die Verschiedenheit ist das, was die vielen Vorstellungen neben dem darin Gemeinsamen voneinander unterscheidet. Als Reflexionsbegriffe gehören Einerleiheit und Verschiedenheit, mit Kant gedacht, nicht selbst zu den Begriffsformen objektiver Urteile, also nicht zu den Bestimmungsdimensionen, in denen ein Gegenstand bestimmt sein muss, um ein bestimmter Erfahrungsgegenstand sein zu können. Vielmehr handelt es sich bei Reflexionsbestimmungen allgemein gesprochen um universale, transkategoriale Formen von Beziehungen, in denen je schon gegebene Vorstellungen zueinander stehen.4

1 Der folgende Beitrag ist im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojekts „Pluralität und Wahrheitsansprüche in den Religionen bei Schleiermacher, Hegel und Schelling“ entstanden. Der DFG sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 2 Das zweite Kapitel des ersten Abschnitts der Wesenslogik, in dem Identität, Unterschied und Widerspruch behandelt werden, trägt die Überschrift „Die Wesenheiten oder die Reflexionsbestimmungen“. 3 Kant, KrV, B 325. 4 Vgl. Kant, KrV, B 317. – Wie sich diese Beziehungsformen konkretisieren, hängt für Kant wesentlich davon ab, in Bezug auf welches Vorstellungsvermögen sie zum Einsatz kommen. So

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Hegels Theorie der Reflexionsbestimmungen scheint demgegenüber in ganz anderen Bahnen zu verlaufen: Zum einen ist sie als systematische Fortführung einer Entwicklungstheorie dessen konzipiert, was es heißt, bestimmt zu sein, einer Theorie, die in Gestalt von Qualität und Quantität durchaus mit Kategorien in Kants Sinn befasst gewesen ist, ehe sie zum Wesen und darin zu den Reflexionsbestimmungen voranschreitet. Zum anderen setzt Hegels Theorie von Identität und Unterschied auch nicht unmittelbar mit Einerleiheit und Verschiedenheit ein, sondern leitet diese aus einem vorangehenden Begriff absoluter Identität und absoluten Unterschieds ab. Um die damit eröffneten Fragen einer Antwort zuzuführen, wird der folgende Beitrag in vier Schritten vorgehen: In einem ersten, einleitenden Schritt wird, wenn auch sehr abgekürzt und teils thesenhaft, die logische Herkunft und das Anfangsprofil des Wesens umrissen, um der Theorie von Identität und Unterschied den Boden zu bereiten.5 In einem zweiten Schritt werden Identität und Unterschied als solche oder als absolute verfolgt – mit besonderem Augenmerk auf die Hauptthese, der gemäß Identität und Unterschied jeweils als das Ganze von Identität und Unterschied, also als Momente ihrer selbst und ihres Anderen zu begreifen seien. Ein dritter Schritt verfolgt die Einführung und Profilierung der Verschiedenheit als Gleichheit und Ungleichheit. Mit diesem Schritt betritt die Theorie von Identität und Unterschied in Hegels Logik explizit das vertraute Terrain der Einerleiheit und Verschiedenheit in Kants Sinn. Ein vierter und letzter Schritt verfolgt die Entwicklung des Unterschieds in seiner letzten Unterform, dem Gegensatz. Scheint – so die in diesem Zusammenhang zu begründende These – mit der Verschiedenheit die Orientierung auf Wesensfragen verlassen, stellt der Übergang zum Gegensatz und stellen dessen Bestimmungen den implizit fortlaufenden Zusammenhang zum Leitthema der Wesenslogik wieder explizit her. Der gedankliche Nachvollzug zu Identität und Unterschied bleibt dabei im Wesentlichen auf den Haupttext der Wissenschaft der Logik begrenzt. Dass damit Hegels Anmerkungen zu den Grundsätzen der traditionellen Logik ausgeblendet

bildet das Hauptthema des Kapitels zur „Amphibolie der Reflexionsbegriffe“ der von Kant unternommene Beweis, dass Reflexionsbegriffe auf den Unterschied zwischen raum-zeitlichen und reinen Verstandesgegenständen differentiell reagieren. Auf dieses Thema und die daraus folgende Kritik an Leibniz’ Monadologie wird im Rahmen dieses Beitrags nicht eingegangen. Für unser Thema unmittelbar relevant hingegen ist Kants allgemeinerer Befund, dass Identität und Unterschied keine objektstufigen Bestimmungstypen darstellen, sondern in Bezug auf gegebene Vorstellungen höherstufige Beziehungsformen. 5 Vgl. dazu den Beitrag von Günter Kruck im vorliegenden Band.



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bleiben, ist hier um der möglichst direkten Rekonstruktion der gedanklichen Hauptlinie willen in Kauf genommen.6

1 D  er Kontext der Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied: das Wesen Woran gedacht ist, wenn es um das Wesen geht, wird in Hegels einleitenden Erläuterungen zur Wesenslogik so umrissen: „Indem das Wissen das Wahre erkennen will, was das Seyn an und für sich ist, so bleibt es nicht beym Unmittelbaren und dessen Bestimmungen stehen, sondern dringt durch dasselbe hindurch, mit der Voraussetzung, daß hinter diesem Seyn noch etwas anderes ist, als das Seyn selbst, daß dieser Hintergrund die Wahrheit des Seyns ausmacht.“7

Wo es im Erkennen eines Gegenstands um dessen Wesen zu tun ist, bezieht sich das Erkennen offenbar auf einen Gegenstand zurück, der in unmittelbarer Weise schon bekannt und anfangscharakterisiert ist. Erkenntnistheoretisch gewendet, liegt in diesem Zurückkommen der erste und elementare Sinn von „Reflexion“. Dabei geht es nicht darum, vorausgesetzten qualitativen und quantitativen Bestimmungen weitere ihresgleichen hinzuzufügen, sondern um einen Wechsel der Bestimmungsebene, der einem verbuchten Ungenügen der ersten Bestimmungsebene Rechnung tragen soll. Was es mit diesem Ebenenwechsel auf sich hat, lässt sich mit einer Unterscheidung näher profilieren, die Hegel, grob gesprochen, zwischen einer fehlgehenden und einer treffenden Ansicht vom Wesen vornimmt, wobei sich die zweite auch direkt aus der Einsicht in den Irrtum der ersten ergibt. Die erste Ansicht fasst das Wesen als Abstraktionsprodukt. Das Wesen einer Sache wäre ihr zufolge das, was von der Sache nach Abzug aller anderen, außerwesentlichen Bestimmungen übrigbleibt. Zu den Grundannahmen dieser Auffassung gehört die Voraussetzung, dass sich das Wesen in Gestalt eines gegebenen Elements der vorausgesetzten unmittelbaren oder vor-wesentlichen Präsentation des Gegenstands vorfinden lässt. Ebendarum erscheint dann als das passende Verfahren zum Auffinden des Wesens die Selektion zwischen solchen gegebenen

6 Zur Auseinandersetzung Hegels mit der in den logischen Grundsätzen artikulierten Auffassung von Identität, Unterschied und Widerspruch, vgl. Michael Wolff, Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels, Königstein/Taunus 1981. 7 Hegel, GW 11, 241, Z. 4–8.

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Elementen. Wo dies Verfahren in Reinform angestrengt wird, ist die unmittelbare Folge für den Gang des Erkennens ein Bestimmungszirkel. Denn die Selektion braucht ein Kriterium, und das einzig passgenaue Kriterium wäre schon das Wesen der Sache selbst. Die Abstraktionsübung legt also genau das frei, was man zuvor als konstitutiv für die Sache vorausgesetzt hat. Dem epistemischen Zirkel entspricht ein sachlicher oder inhaltlicher Mangel – ein Mangel, den Hegel im Vorspann zur Wesenslogik zur Sprache bringt, und zwar gleich anhand des konsequent zu Ende gedachten Abstraktionsverfahrens. Zu Ende gedacht, wird nicht eine Qualität im Unterschied zu anderen Qualitäten, auch nicht das quantitative Bestimmtsein auf Kosten der Qualität als das Wesen übrigbehalten, sondern gleich das Sein überhaupt – die selber bestimmungslose Grundlage allen Bestimmtseins. Zu dieser Fassung des Wesens bemerkt Hegel: „Das Seyn wird hiernach als Wesen bestimmt, als ein solches Seyn, an dem alles bestimmte und Endliche negirt ist. So ist es die bestimmungslose einfache Einheit, von der das Bestimmte auf eine äusserliche Weise hinweggenommen worden“.8 Ein solches Wesen ist ein Mängelwesen. Den Namen „Wesen“ hat es immer nur relativ zu einer subjektiven Warte, die nicht in der Sache begründet ist. Weil dieses Wesen nur durch das Absehen von Bestimmungen zustande gekommen ist, bleiben die Bestimmungen, von denen abgesehen wurde, mit gleichem Recht das logisch koordinierte Gegenüber des behaupteten Wesens, und zwar unkritisiert genau so, wie sie sich vor einem solchen Rückgang ins Wesen präsentiert haben. Der Gegenstand – also dasjenige, dessen Wesen das Wesen sein sollte – fällt damit auseinander in zwei einander entgegengesetzte Ansichten, von denen die eine unmittelbar als die wahre behauptet wird, während sie zugleich doch nur eine von zwei gleich gültigen Bestimmtheiten ist, nicht das Wesen des Ganzen. Das Unterscheidende der zweiten, zutreffenden Ansicht vom Wesen lässt sich abstrakt direkt im Anschluss an die Kritik der ersten formulieren: Das Wesen ergibt sich nicht durch Weglassen von Bestimmtheit, sondern durch Schlüsse aus dieser. Das entspricht dem Weg des Werdens des Wesens in der Seinslogik. Was ein Seiendes zu dem bestimmten Seienden macht, das es ist, das waren in der Seinslogik zunächst seine qualitativen und quantitativen Bestimmungen. Im Bezug auf Qualität und Quantität selbst wurde gezeigt, dass sie zusammengehören, und zwar nicht nur darin, dass quantitative Bestimmungen qualitative voraussetzen und umgekehrt qualitative Bestimmungen und qualitativ bestimmte Etwas quantitativer Bestimmung (dem Zählen, Graduieren, Messen) zugänglich sind, sondern auch darin, dass Qualitätsunterschiede Funktionen quantitativer Veränderung sind, und das auf eine Weise, die quantitätslogisch, d. h. mit den

8 Hegel, GW 11, 241, Z. 28–31.



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Gesetzen von Einheit und Anzahl, allein nicht erklärbar ist. Dieser Zusammenhang verwies darauf, dass die qualitativ und quantitativ bestimmten Etwas offenbar eine Natur haben, die in Qualität, Quantität und Maß zum Ausdruck kommt, ohne in Termini dieser drei Kategorien schon hinreichend bestimmt zu sein.9 Hegel charakterisiert diese richtige Anfangsansicht vom Wesen durch die begriffliche Kombination des Anundfürsichseins. Dass das Wesen Ansichsein ist, schwebt auch bei der ersten Ansicht vom Wesen vor: Das Wesen ist das Sein der Sache vor der Bestimmtheit, vor aller Modifikation, das Wesen als das, was bleibt, indem die Sache sich einmal so, dann wieder anders darstellt; das, was konstant sein muß, damit sie überhaupt einmal so und einmal anders beschaffen sein kann. Was die erste Ansicht jedoch vergisst, ist die zugehörige zweite Seite, die des Fürsichseins. Das Wesen hat die Bestimmtheit, das Nähere, die mannigfaltigen Bestimmungen nicht außer sich: „es selbst ist diese Negativität, das sich Aufheben des Andersseyns und der Bestimmtheit“.10 Das richtig verstandene Wesen hat das Negieren der mannigfaltigen Bestimmtheit nicht als einen willkürlichen subjektiven Akt hinter sich. Vielmehr hat das Wesen das, was zufolge der einseitigen ersten Wesenskonzeption bloß auf die Rechnung des Subjekts geht, zu seinem eigenen Charakter. Es selber ist das, was beim Holzweg nur das Subjekt tut.11 Das Fürsichsein drückt, so gesehen, die Sachgerechtigkeit oder Immanenz des Wesens aus: Der Standpunkt des Wesens ist nicht: Wenn wir einmal diesen oder jenen Aspekt zum führenden unserer Betrachtung der Sache machen, dann kommen andere Bestimmungen nur noch untergeordnet vor, sondern: Die mannigfaltigen qualitativen und quantitativen Bestimmungen der Sache zeigen an ihnen selbst, dass sie sich nicht gleichgültig zueinander verhalten, und das Worin ihres Zusammenhangs – das ist das Wesen. Dass es die Einheit der Bestim-

9 Vgl. das dritte Kapitel des Abschnitts zum Maß („Das Werden des Wesens“): Hegel, GW  11, 224–232. 10 Hegel, GW 11, 242 / Z. 20 f. 11 Das ist nicht mit der Aussage zu verwechseln, das Subjekt sei im Erkenntnisgang vom Tun suspendiert. Weder Sein noch Wesen avancieren zu einer Art Ersatzsubjekt, das leistet, was nach gewöhnlicher Ansicht erkennende Subjekte tun. Mit einer solchen Tätigkeitsübertragung wäre ja nichts gewonnen, denn die Kritik des abstraktiv gewonnenen Wesens war nicht, dass das Erkenntnissubjekt tätig wird, sondern dass es sich auf eine Weise betätigt, die ihm nur seine Vorurteile als objektiven Charakter der Sache zurückspiegelt. Sollte sich die Sache selber genau so betätigen, wäre der Mangel nur verlagert, nicht überwunden. Gemeint ist vielmehr: dass die Bestimmungsformen selber jeweils den logischen Grund für den Fortschritt zu neuen Bestimmungsformen enthalten.

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mungen selber ist, dies drückt das Fürsichsein als komplementäre Seite zum Ansichsein aus.12 In der Charakterisierung des Wesens als Anundfürsichsein steckt aber noch etwas mehr, nämlich ein Grund zum Fortgang der Bestimmung des Wesens selbst: Als Resultat der Seinslogik ist das Wesen zunächst einmal das unbestimmte Wesen: Es enthält die Bestimmtheiten des Seins an sich, aber nicht, wie sie an ihm gesetzt sind. Erkenntnistheoretisch gewendet, entspricht das dem Desiderat, das sich einstellt, nachdem die Natur der Sache in Umrissen erschlossen worden ist. Auf dieser Basis stellt sich sogleich die Frage: Wenn das die Natur der Sache ist, wie gehören dann die Bestimmungen, in denen wir sie schon kennen, zu jener? Dass die schon vorgefundenen Bestimmungen irgendwie von dieser Natur ausgehen oder sie zur Grundlage haben, ist durch die Erschließung des Wesens schon klar; aber wie sie dann zu ihr gehören, ist in der Rückführung auf das Wesen noch nicht mitartikuliert. Diesen Zusammenhang drückt Hegel aus als negative Beziehung des Wesens auf sich selbst.13 Es unterscheidet sich von sich selbst, d. h. es legt sich in zwei Darstellungen auseinander: die eine, in der es die Unterschiede der Sache bloß enthält, in der sie also nur erst implizit sind, und die andere, in der sie als Unterschiede des Wesens entwickelt, expliziert sind. Diese Unterscheidung markiert den Duktus der Wesenslogik als ganzer: Sie rekonstruiert den Fortgang vom Wesen im Stand des Ansichseins zum Wesen im Stand des Anundfürsichseins. Dass das Wesen die Reflexion der Sache, deren Wesen sie ist, in sich ist, bildet den Ausgangspunkt, dessen Erklärung der erste Abschnitt der Wesenslogik dient. Dass sich das Wesen als solche gehaltvolle Reflexion der Sache aber auch erst bewährt, indem es wirklich als Sach- und Erklärungsgrund der Phänomene fungiert und an diesem Maßstab seine weitere Entwicklung erfährt, verfolgen der zweite und der dritte Abschnitt der Wesenslogik. In diese Grobskizze lässt sich nun die Position der Reflexionsbestimmungen einzeichnen. Sie gehören offenbar in die Explikation des ersten Gedankens, dass das Wesen die Reflexion der Sache in sich ist, und näher dahin, was für Bestimmungen es schon haben muss, um ebendies zu sein. Der eben schon angezeigte

12 Dass sich das Wesen zur Sphäre unmittelbarer Bestimmtheit dann nicht mehr seinslogisch verhalten kann, also nicht wie etwas sich zu etwas anderem verhält, betonen zu Recht Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität, Berlin und New York 1990, 65 und Klaus J. Schmidt, G. W. F. Hegel: ‚Wissenschaft der Logik – Die Lehre vom Wesen‘, Paderborn 1997, 23. 13 Vgl. Hegel, GW 11, 242, Z. 26 f.



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zweite Sinn von Reflexion in sich wird sich erst jenseits des Rahmens dieses Beitrags voll entfalten: dass das Wesen als Grund der Erscheinung gedacht werden muss.

2 Identität und absoluter Unterschied „Das Wesen ist die einfache Unmittelbarkeit als aufgehobene Unmittelbarkeit. Seine Negativität ist sein Seyn; es ist sich selbst gleich in seiner absoluten Negativität, durch die das Andersseyn und die Beziehung auf Anderes schlechthin an sich selbst in die reine Sichselbstgleichheit verschwunden ist. Das Wesen ist also einfache Identität mit sich.“14

Am Ende dieser Eingangspassage zum Unterkapitel „Die Identität“ spricht Hegel den Zusammenhang zwischen Wesen und Identität auf die denkbar einfachste Weise aus: Das Wesen ist einfache Identität mit sich. Identität fungiert hier offenbar nicht prädikativ (der Satz lautet nicht: „Das Wesen ist mit sich identisch.“), sondern explikativ. Einfache Identität mit sich – das ist es, was das Wesen ist. In den Bahnen der oben skizzierten Begründung und Einführung des Wesens im Gang der Wissenschaft der Logik lässt sich diese Aussage auch gut nachvollziehen – war doch das Wesen dort schon gefasst als dasjenige, worin der Gegenstand in seinen unmittelbar vorgefundenen qualitativen, quantitativen und Maßbestimmungen einer oder mit sich identisch bleibt. Zugleich spricht die Eingangspassage das Worin oder Wodurch dieser einfachen Identität aus. Sie besteht durch absolute Negativität. Absolut ist diese, insofern sie nicht darin besteht, dass etwas durch etwas anderes oder relativ zu etwas anderem negiert würde, sondern darin, dass dasselbe, was sich im ersten  – seinslogischen  – Zugang als ein solches beziehungsweises, relatives Negieren darstellte, als ein Selbstverhältnis herausgestellt hat. Es wäre also noch zu unspezifisch, absolute Negativität nur dadurch zu charakterisieren, dass ihr Gegenstand eine Negation, sie selbst also Negation einer Negation ist. Erstens ist die negierte Negation schon als spezifische Negationsform zu denken, nämlich ebendie der relativen Negation. Zweitens aber liegt das Spezifische darin, dass sich die Form der relativen Negation ihrerseits nicht relativ zu einer vorausgesetzten anderen Negationsform oder vorausgesetzten Identität, sondern an sich selber, aus Gründen, die in ihr selber liegen, aufgehoben hat. Absolut statt relativ ist die Negativität an dieser Stelle also erst einmal darin, dass sie die Selbstaufhebung der relativen Negation ist.

14 Hegel, GW 11, 260, Z. 21–25.

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Nun geht es aber nicht mehr darum, die logische Vorgeschichte der wesentlichen Identität alias der absoluten Negativität zu wiederholen, sondern zu bestimmen, wie sich diese Herkunft in der wesentlichen Identität selber geltend macht: was sie selber ist, wenn sie denn das gültige Resultat ihrer logischen Vorgeschichte ist. In diese Richtung gehören  – noch innerhalb des Unterkapitels zur Identität  – zwei wesentliche Bestimmungsschritte. Die erste weiterführende Bestimmung lautet: Die wesentliche Identität ist selbst der absolute Unterschied; die zweite lautet: Identität ist aber ebenso die Bestimmung der Identität gegen den Unterschied. Das Resultat lautet dann: Die Identität „ist das Ganze, aber als Reflexion setzt sie sich als ihr eigenes Moment, als Gesetztseyn, aus welchem sie die Rückkehr in sich ist. So als ihr Moment ist sie erst die Identität als solche als Bestimmung der einfachen Gleichheit mit sich selbst, gegen den absoluten Unterschied.“15 Was ist das Argument für den ersten Schritt? Warum kann man es nicht dabei belassen, dass die einfache Identität ebendies ist: einfache Identität, und die Unterschiede, die sich an derselben Sache vorfinden, eben auf einem anderen Blatt stehen? Zu diesem Antrag ist in den Bahnen des bisher entwickelten Gedankengangs zu sagen: Man kann die wesentliche Identität gar nicht als solche erläutern, ohne sie als Sich-Rückgängig-Machen eines Unterscheidens zu beschreiben. Darin liegt gerade ihr charakteristischer Unterschied zur abstrakten Identität – eine Unterscheidung, die das genaue Pendant zur oben angesprochenen Unterscheidung zwischen der irrigen und der treffenden Ansicht vom Wesen bildet. Gewiss: Wesentliche und abstrakte Identität kommen darin überein, Negation von Negation zu sein. Beide beziehen sich negativ auf den Unterschied. Aber die zweite ist das von der Negation der Negation getrennte Resultat derselben, während die erste sie zu ihrem eigenen Charakter hat. Dass etwas mit sich identisch ist, wäre im Sinn der abstrakten Identität verstanden, wenn es als ein Sachverhalt verstanden würde, der einfach neben und unabhängig von den Bestimmungen besteht, den das Etwas hat: Identität als das, was immer bleibt, wenn von dem, wie etwas ist, abgesehen wird. Wesentliche Identität dagegen heißt: Die Mannigfaltigkeit dessen, wie etwas ist, bildet selbst kein einfaches So-und-auch-Anders-Sein: Die Beziehung zwischen den Bestimmungen ist keine des Andersseins, oder, genauer gesagt, sie so zu fassen, ist selbst die abstraktere, die bestimmungsbedürftige – wenn auch epistemisch erste – Version ihres Bestimmtseins. Darin liegt freilich auch, dass die wesentliche Identität nicht mit jeder beliebigen Form des Unterschieds zusammenfällt,

15 Hegel, GW 11, 262, Z. 12–15.



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sondern nur mit dem Unterschied, dessen Pole die eine identische Sache ausmachen: dem absoluten Unterschied. Was spricht dann aber wiederum dagegen, den Befund der Identität von wesentlicher Identität und absolutem Unterschied als abschließend zu quittieren? Warum setzt sich Identität noch einmal in einem zweiten Sinn als Moment ihrer vom Unterschied ab? Hegels Argument lautet: Die Identität „ist das Ganze, aber als Reflexion setzt sie sich als eigenes Moment, als Gesetztseyn, aus welchem sie die Rückkehr in sich ist.“16 In der Linie des bisher Entwickelten lässt sich dieses Argument so rekapitulieren: Wenn einfache Identität mit sich relative Identität – beziehungsweise Identität zwischen auch Unterschiedenen – schlichtweg ersetzt hätte, dann wäre sie selbst überhaupt nicht mehr von abstrakter Identität zu unterscheiden. Nach der anderen Seite betrachtet, wäre der absolute Unterschied damit zum rein formellen herabgestimmt – zu einem Unterschied dem Namen, aber nicht mehr der Sache nach. Wesentliche Identität ist unterscheidende, gehaltvolle Identität, nicht Wiederholung desselben. Darin liegt, dass sich die beiden zusammengehörigen Seiten wesentlicher Identität: einfache Identität und Unterschied, auch voneinander unterscheiden lassen müssen. Darüber hinaus zeichnet sich schon ab, dass wesentliche Identität damit auch ein Verhältnis von Identität und Unterschied enthalten muss, in dem diese im Kantischen Sinne als Reflexionsbegriffe fungieren: d. h. als an vorfindlichen Bestimmungen und Gegenständen ansetzende Vergleichsbeziehung. Auf dasselbe Ergebnis läuft Hegels Bestimmung des absoluten Unterschieds zu. Vom Unterschied als sich auf sich beziehendem soll spiegelbildlich gelten, was von der Identität galt: Er ist er selbst im Unterschied zur, gegen die Identität und zugleich das Ganze von Unterschied und Identität, also zugleich das ganze Verhältnis und ein Moment davon. Das zweistufige Argument dafür lautet: Erstens: Der Unterschied bezieht sich auf sich selbst. Er unterscheidet sich also von sich selbst. Er ist also das Andere seiner selbst. Das Andere des Unterschieds ist aber die Identität.17 Zweitens: Aber der Unterschied ist nicht die Identität. Die zwei schließen einander aus. Selbstbezüglichkeit des Unterschieds ist ohne Unterscheidung im Unterschied zur Identität nicht zu denken. Und so ergibt sich für den Unterschied dasselbe wie im ersten Schritt für die Identität: Er ist das Ganze von Identität und Unterschied, enthält also sich selbst als sein Moment oder ist Moment seiner selbst.

16 Hegel, GW 11, 262, Z. 12 f. 17 Vgl. Hegel, GW 11, 266, Z. 19–22.

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3 V  erschiedenheit – die Zerfallsform wesentlicher Identität „Die Identität zerfällt an ihr selbst in Verschiedenheit, weil sie als absoluter Unterschied in sich selbst, sich als das Negative ihrer setzt und diese ihre Momente, sie selbst und das Negative ihrer, Reflexionen in sich, identisch mit sich sind; oder eben weil sie ihr Negiren unmittelbar selbst aufhebt, und in ihrer Bestimmung in sich reflectirt ist. Das Unterschiedne besteht als gegeneinander gleichgültig verschiedenes, weil es identisch mit sich ist, weil die Identität seinen Boden und Element ausmacht; oder das Verschiedene ist das, was es ist, eben nur in seinem Gegentheile, der Identität.“18

Das Argument für diesen Befund des Zerfallens besteht also im Verweis darauf, dass Identität und Unterschied als die Momente des absoluten Unterschieds, der seinerseits nichts anderes als die Explikation der wesentlichen Identität ist, „Reflexionen-in-sich“ und als solche identisch mit sich sind. Kann man an dieser Stelle nicht einwenden, dass Identität und Unterschiede als Momente im Unterschied zur übergreifenden Bestimmung doch gerade dadurch charakterisiert sein müssten, dass jedes von ihnen einfach zu nehmen sei, also so, dass die Identität nichts vom Unterschied enthält, der Unterschied nichts von Identität? Die Identität in Reinform auf der einen Seite – der Unterschied in Reinform auf der anderen? So hätten sie nichts davon an sich, identisch mit sich zu sein als Rückkehr aus einer Unterscheidung von sich; sie würden sich, sozusagen, erst gar nicht verlassen und wären einfach ein jedes, was es ist und nicht das andere. Nur eines übersieht der mögliche Einwand: Auch als einander Gegenüberstellte, als Koordinierte, verhalten sich Identität und Unterschied nicht nach Art der qualitativen Unterscheidung, des einfachen Andersseins, und zwar darum nicht, weil sie keine einfachen, sondern Reflexions-Bestimmungen sind. Unterschied ist etwas anderes als Identität – aber nicht nur. Identität enthält, was eine einfache oder qualitative Bestimmung als Außenbeziehung zu einer anderen hat, schon in sich. Selbst die nicht-wesentliche, die abstrakte Identität – die des „A = A“ – enthält in der Stellendopplung ganz formell dies: eine Unterscheidung zu sein, die keine ist: Negation der Negation. Ebenso ist der Unterschied nicht davon zu trennen, dass er Reflexion in sich ist, d. h. den Unterschied zum Unterschied zu enthalten: was unterschieden wird, also das zu Unterscheidende, ist in der Unterscheidung selbst als identisch vorausgesetzt.

18 Hegel, GW 11, 267, Z. 9–16.



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Also bestätigt sich Hegels erster Befund: Identität und Unterschied sind Reflexionen in sich, auch als Momente des ganzen Verhältnisses. Doch was hat das mit einem Zerfallen der Identität in Verschiedenheit zu tun? Hegel argumentiert so: Gerade indem Identität und Unterschied in sich reflektiert sind, sind sie – erst einmal – gegeneinander gleichgültig, nicht bestimmt gegeneinander. Er fasst also den Sachverhalt des Insichreflektierens zunächst unter Abstraktion davon, worin jeweils die Reflexion in sich besteht. Dass ein jedes der beiden in sich reflektiert ist, emanzipiert es davon, das jeweils Andere zu brauchen, um sein zu können, was es ist. Die Internalisierung gibt das Argument der Vergleichgültigung von Identität und Unterschied gegeneinander her – aber nur das Dass, nicht das Worin. So, auf dem Boden oder aus der Warte dieser Abstraktion, gewinnen Identität und Unterschied das Ansehen, gleichgültig gegeneinander, nicht im Gegensatz, nicht als Moment bestimmt zu sein. Unterschieden bleiben sie wohl, aber so, dass ihr Unterschied voneinander ihnen äußerlich zu sein scheint. Das Ganze von Identität und Unterschied auf dem Stand dieser Ansicht ist die Verschiedenheit. Sie ist, diesem Stand entsprechend, doppelt charakterisiert: einmal dadurch, dass der Unterschied zwischen Identität und Unterschied gleichgültig geworden ist; zum andern aber dadurch, dass sich der Sachverhalt, dass sie Momente einer Reflexion in sich sind, in ihr fortschreibt, nun aber nicht mehr als ihr eigenes, intrinsisches Verhältnis, sondern in Form eines Dritten, auf das sie sich beziehen – einer „Reflexion an sich“19. Dieser Doppelcharakter ist gemeint, wenn Hegel schreibt, in der Verschiedenheit sei sich „die Reflexion äusserlich geworden“20. Vollständig in äusserliche und Reflexion an sich auseinandergelegt liegt die Verschiedenheit in Gestalt der Vergleichsbeziehung vor, in der Identität und Unterschied als Gleichheit und Ungleichheit auftreten: Zwei Gegenstände werden miteinander verglichen und zeigen sich im Vergleich in einer Hinsicht als gleich, in einer anderen Hinsicht als ungleich. Gleichheit und Ungleichheit sind auf dasselbe bezogen  – die beiden verglichenen Gegenstände, das Substrat des Vergleichs; und Gleichheit und Ungleichheit sind auf verschiedenes bezogen – die beiden Vergleichshinsichten. Was ist daran äußerlich zu nennen? Zunächst einmal ist darin der Umstand festgehalten, dass das Gleich- und das Ungleichsein für die verglichenen Gegenstände sekundäre Beziehungen sind, das heißt solche, die für die Bestimmung dessen, was der eine von ihnen ist und was der andere, nichts leisten, sondern dieses Bestimmtsein fix und fertig voraussetzen:

19 Hegel, GW 11, 268, Z. 7. 20 Hegel, GW 11, 267, Z. 32.

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 Friedrike Schick „Ob Etwas einem andern Etwas gleich ist oder nicht, geht weder das eine noch das andere an; jedes derselben ist nur auf sich bezogen; ist an und für sich selbst, was es ist; die Identität oder Nichtidentität als Gleichheit oder Ungleichheit ist die Rücksicht eines Dritten, die ausser ihnen fällt.“21

Jenes Dritte ist (hier zunächst) das Subjekt des Vergleichs, das den Vergleich anstellt, also die beiden Gegenstände in den beiden Hinsichten aufeinander bezieht. So gefasst, verhalten sich Identität und Unterschied wirklich gleichgültig gegeneinander: Die Gleichheit in der einen Hinsicht bestimmt oder definiert nicht die Ungleichheit in der anderen. Sie berühren einander nicht, gehen einander nichts an. Die einzige Beziehung, die sie zueinander haben, ist die des Bezogenwerdens durch das vergleichende Subjekt. Im Hintergrund läuft eine übergreifende, aber abstrakte Reflexion in sich mit: die Voraussetzung, dass der Vergleich sich nach beiden Hinsichten auf dieselben zwei Verschiedenen bezieht. Doch Gleichheit und Ungleichheit bilden einen wesentlichen Zusammenhang. Das gilt es nun mit Hegel zu zeigen. Wenn der Vergleichstätigkeit des Subjekts an den Gegenständen weiter nichts entspricht als dies, dass ein jeder von ihnen sowohl auf die eine als auch auf die andere Hinsicht anspricht, es mit den Hinsichten selber aber keine weitere Bewandtnis hat als ebendies – dann wird ein schlechter Vergleich daraus. Gleichheit und Ungleichheit selber bilden nämlich die zwei Seiten eines Vergleichs, und dieser eine Vergleich ist unter der eben gemachten Annahme auseinandergefallen in zwei Vergleiche, die an der Sache nur noch in der äußerlichen Weise zusammenhängen, dass sie zufällig an denselben zwei Gegenständen durchgeführt werden. Weil ein Vergleich aber die beiden Seiten der Gleichheit und der Ungleichheit hat, sind die zwei Vergleiche auch nur halbe, unvollständige Versionen eines Vergleichs. Das Argument setzt freilich voraus, dass Gleichheit und Ungleichheit in der Tat die beiden zusammengehörenden Seiten eines Vergleichs bilden. Worin liegt das Argument für diese Voraussetzung? Hegel fasst es wie folgt: „Gerade was den Widerspruch und die Auflösung von ihnen abhalten soll, daß nemlich Etwas einem Andern in einer Rücksicht gleich, in einer andern aber ungleich sey; – diß Auseinanderhalten der Gleichheit und Ungleichheit ist ihre Zerstörung. Denn beyde sind Bestimmungen des Unterschiedes; sie sind Beziehungen aufeinander, das eine, zu seyn, was das andere nicht ist; gleich ist nicht ungleich, und ungleich ist nicht gleich; und beyde haben

21 Hegel, GW 11, 268, Z. 25–28.



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wesentlich diese Beziehung, und ausser ihr keine Bedeutung; als Bestimmungen des Unterschiedes ist jedes das, was ist, als unterschieden von seinem andern.“22

Hegel wirft also den Umstand in die Waagschale, dass Gleichheit und Ungleichheit Reflexionsbestimmungen, korrelative Begriffe sind, in denen jede Seite das negative Gegenstück der anderen bildet. Dem Hin- und Hergehen des vergleichenden Subjekts entspricht diese Korrelation im Begriff der Gleichheit und der Ungleichheit. Auch hier kann man dem Argument einen gewissen Zweifel entgegensetzen: Gewiss, so ließe sich versuchsweise einwenden, sind Gleichheit und Ungleichheit korrelative Begriffe; man kann auch einräumen, dass Gleichheit vor dem Hintergrund der Ungleichheit zum Tragen kommt und umgekehrt – aber weshalb sollten sie darum nicht durch Vergleichshinsichten auseinandergehalten sein? Wenn ich recht sehe, geht es an dieser Stelle nicht darum, Vergleichshinsichten zu verabschieden, sondern spezifischer darum, ein Desiderat des Zusammenhangs solcher Hinsichten aufzuzeigen. Am folgenden Beispiel lässt sich der diagnostizierte Mangel gut illustrieren: Manchmal wird der Mensch vom Tier durch das Denken unterschieden. Der Mensch denkt, das Tier tut das nicht. Von diesem Unterschied abgesehen, gibt es andere Hinsichten, in denen Menschen Tieren gleichen: Beide sind Lebewesen – sie wachsen, sie ernähren sich, sie pflanzen sich fort, sie bewegen sich, sie empfinden usw. Dass das Tier etwas nicht an sich hat, sagt nun aber gar nichts über das Tier aus. Man könnte viele Bestimmungen finden, die nicht auf Tiere zutreffen, ohne dem Tier irgendwie näher gekommen zu sein. Dass Menschen denken, macht es noch nicht interessant, Tiere ausgerechnet aus dieser Warte zu thematisieren. Wenn das so ist, kann man aber auch nicht mehr sagen, das Denken sei der Unterschied des Menschen vom Tier. Der Vergleich als Vergleich leidet hier daran, dass er nur einen Unterschied ohne Identität enthält. Umgekehrt: Dass Menschen Lebewesen sind und Tiere auch, gibt für die Bestimmung des einen wie des anderen nichts her, solange Mensch und Tier allein aus dem Gesichtspunkt „Lebewesen überhaupt“ betrachtet werden. Die Identität ohne Unterschied, die Gleichheit ohne Ungleichheit spiegelt beide nur als abstract particulars desselben zurück  – sie zusammenzusehen geht dann zurück in: zweimal das Gleiche sehen. Allgemein formuliert: Nehmen wir einen Fall an, in dem für zwei Vergleichsgegenstände ein Befund der Gleichheit verbucht wurde, bei dem gänzlich unbestimmt bleibe, ob die Verglichenen sich, abgesehen von ihrer Gleichheit, voneinander unterscheiden. Nennen wir F die Bestimmung, in

22 Hegel, GW 11, 269, Z. 9–17.

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der die beiden einander nach Voraussetzung gleich sind. Als F’s sind sie einander nur gleich, das eine, was das andere ist – ein F ist das eine so gut wie das andere. Ein F zu sein, heißt dann aber bezogen auf diesen Fall nicht mehr: ein bestimmtes F zu sein. Ob ein Fall von Gleichheit vorliegt oder ein Fall der Dieselbigkeit, ist von diesem eingeschränkten Bestimmungsstand aus nicht mehr zu entscheiden. Der Vergleich ist auch noch nicht dadurch vollendet, dass man die Hinsicht der Ungleichheit und die Hinsicht der Gleichheit nur nebeneinander verbucht. Wenn die eine Hinsicht mit der anderen nichts zu tun hat oder wenn man sie (wie im obigen Beispiel) behandelt, als hätten sie nichts miteinander zu tun, fällt jede der beiden Hälften darauf zurück, nur die Hälfte eines Vergleichs zu sein, der nicht durchgeführt ist. Dass das Gleiche das Gleiche des Ungleichen ist, das Ungleiche das Ungleiche des Gleichen, heißt also nicht, dass das, was sich gleicht, in irgendeiner anderen, gleichgültig verschiedenen Hinsicht ungleich sein muss und das, was sich ungleich ist, in irgendeiner anderen Hinsicht gleich, sondern verlangt für die Gleichheit des Ungleichen und für die Ungleichheit des Gleichen die Identität der Vergleichshinsicht. Das ist der springende Punkt für den Übergang der Verschiedenheit in den Gegensatz. Ungleich im Gleichen sein, ist schon die Kurzformel für das Ausbilden von Alternativen. Näher besehen bestimmt sich der Übergang von der Verschiedenheit in den Gegensatz so: Die Gleichheit und die Ungleichheit sind nach dem Vorigen intrinsisch – als das, was sie sind – wesentlich aufeinander bezogen. Die Gleichheit ist die Gleichheit des Ungleichen, die Ungleichheit die Ungleichheit des Gleichen. Das eine setzt das andere jeweils als seinen Rahmen voraus, innerhalb dessen es erst definit wird. Die Beziehung der Gleichheit auf die Ungleichheit und umgekehrt fällt, wie wir gesehen haben, auf dem Boden der Verschiedenheit zunächst in die Tätigkeit des Vergleichenden. Das Subjekt des Vergleichs stellt die beiden Gegenstände zum Zweck des Vergleichens zusammen, hält die Gleichheit fest, daneben die Ungleichheit und fügt beides zu einem komplexen Sachverhalt zusammen. Aber es ist mehr im Spiel als nur die äußere Reflexionstätigkeit des mit den Gegenständen befassten Subjekts. Oder vielmehr: Diese zusammenstellende und vergleichende subjektive Tätigkeit braucht schon ein Korrelat in der objektiven Bestimmungskonstellation selbst. Gleichheit und Ungleichheit sind also schon an ihnen selbst auf ein Drittes bezogen, das die Grundlage ihrer Beziehung bildet: nämlich die objektive Einheit in Gestalt der Vergleichsgegenstände. Diese bilden von Anfang an das identische Substrat sowohl der Gleichheit als auch der Ungleichheit. Das Gleiche ist das Gleiche – nicht von sich, sondern von etwas anderem, und ebenso ist das Unglei-



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che das Ungleiche nicht seiner selbst, sondern von etwas anderem, nämlich eben der verglichenen Gegenstände. Nun zeitigt die Analyse der Gleichheit und der Ungleichheit auch Konsequenzen für die Auffassung der Vergleichsobjekte selbst. Eingangs waren sie eingeführt in der logischen Fassung der „an sich seienden Reflexion“. Das heisst: Ein jedes von ihnen ist oder gilt als mit sich identisch, eine abgeschlossene Einheit von Bestimmtsein oder Entität für sich, unabhängig von dem Bezug auf das andere. Doch hat sich inzwischen gezeigt, dass Verschiedenheit bestimmte Verschiedenheit sein muss, um ihren Begriff angemessen zu erfüllen. Das heißt: Soll ein Vergleich in vollem Sinn möglich sein, muss den beiden Vergleichsgegenständen eine inhaltliche Bestimmung entsprechen, die die – Gleichheit und Ungleichheit umfassende – eine Hinsicht bildet, in der sich der Unterschied von Gleich und Ungleich bewegt und die diese beiden erst Glieder eines Verhältnisses sein lässt. Das Ensemble der Vergleichsgegenstände zeigt sich, nicht nur als das gegen den Vergleich gleichgültig vorausgesetzte Substrat zu fungieren, sondern nun auch als der einige Beziehungsgrund der beiden Seiten des Vergleichs, der Gleichheit und der Ungleichheit. Damit stellt sich zusammengefasst die Gesamtkonstellation der Verschiedenheit neu dar. Eingangs war sie gedacht als Beieinander einer Reflexion an sich – d. h. der zugrundeliegenden Identität eines jeden der verglichenen Gegenstände  – und einer äußeren Reflexion oder einem Gesetztsein  – d.  h. der vergleichsweisen Bestimmungen Gleichheit und Ungleichheit, die jeder der verglichenen Gegenstände erst durch seine Beziehung auf den je anderen bekommt. Nun aber, am Ende der Analyse der Verschiedenheit, hat sich gezeigt, dass das Gesetztsein selbst auf die Identität der Verglichenen verweist und umgekehrt. In diesem letzten Resultat identifiziert Hegel den Übergang von der Unterkategorie der Verschiedenheit zu der des Gegensatzes: „Die Verschiedenheit, deren gleichgültige Seiten eben so sehr schlechthin nur Momente als Einer negativen Einheit sind, ist der Gegensatz.“23 Überlegen wir, ob oder inwiefern das letzte Resultat wirklich die logische Form des Gegensatzes umreißt. Was ist, zunächst, ein Verhältnis des Gegensatzes zwischen zwei gegebenen Bestimmungen? Die Grundlage  – aber auch nur die Grundlage  – des Gegensatzes bildet die Verschiedenheit, einfach oder im Eingangsverständnis genommen: Die eine Bestimmung, nennen wir sie A, muss eine andere Bestimmung als die zweite, B, sein. Aber das allein ergibt keinen Gegensatz, wie ein Blick auf die Negation zeigt, die mit der Unbestimmtheit der Rede

23 Hegel, GW 11, 270, Z. 16–18.

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von einer anderen Bestimmung im Spiel ist. Relativ zu Bestimmung A ist von allen anderen Bestimmungen zu sagen, dass sie nicht A sind. Das ist ein negativ unendliches Urteil über jede dieser anderen Bestimmungen, es identifiziert nicht eine einzelne Bestimmung als solche, sondern verweist auf einen losen, in sich zufolge dieser relativen Kennzeichnung undifferenzierten unbestimmten Umraum von A. Anders im Gegensatzverhältnis: Insofern A ein Gegenteil hat, handelt es sich bei diesem um eine distinkte einzelne Bestimmung, zu der es spezifisch und wesentlich gehört, die Negation von A zu sein, also Nicht-A-Sein zu seiner eigenen Bestimmung zu haben. Wo also zwei Bestimmungen A und B einander entgegengesetzt sind, ist eine als die bestimmte Negation der anderen gedacht, und dies als wechselseitiges Verhältnis.24 Was hat diese Eingangsbeschreibung des Gegensatzes mit dem Resultat der Analyse der Verschiedenheit zu tun, also mit der Fortbestimmung der Verschiedenheit zur „Verschiedenheit, deren gleichgültige Seiten eben so sehr schlechthin nur Momente als Einer negativen Einheit sind“? – Der Unterschied zwischen der Verschiedenheit nach ihrer Eingangsfassung auf der einen Seite und dem Gegensatz auf der anderen fällt zusammen mit der spezifischen Differenz der näher bestimmten Verschiedenheit: Gleichheit und Ungleichheit nicht irgendwie nebeneinander am Selben vorkommend, sondern Ungleichheit in dem, worin sich die Verschiedenen gleichen, oder Gleichheit, die Gleichheit in den Bestimmungen ist, durch die sich die Verschiedenen voneinander unterscheiden. Der Unterschied zwischen den beteiligten Bestimmungen ist dann der zwischen zwei  – selbständig als Bestimmung fungierenden  – Versionen einer einzigen Bestimmung, oder bildet eine Bestimmungsalternative, deren sich kontinuierendes bestimmendes Element jene einzige Bestimmung bildet.

4 D  er Gegensatz – der Unterschied auf dem Rückweg zur wesentlichen Identität In diesem Abschnitt sind fünf Bestimmungsschritte zu unterscheiden: 1. Der allgemeine Umriss des Gegensatzverhältnisses führt zur begrifflichen Identifikation seiner Pole als des Positiven und des Negativen. – Die folgen-

24 Vgl. dazu die instruktive Erläuterung, die Michael Wolff zu Hegels Begriff der Negativität (im Unterschied zu Negation überhaupt) gibt, in: ders., Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels, Königstein/Taunus 1981, 106–109.



2. 3.

4.

5.

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den vier Schritte setzen näher auseinander, was vom Positiven, vom Negativen und von beider Verhältnis gilt, nämlich: Das Positive und das Negative sind, was sie sind, in negativer Wechselbestimmung. Das Positive und das Negative sind aber auch jeweils selbständige Bestimmungen, die sich gleichgültig dagegen verhalten, welche von ihnen als das Positive bzw. das Negative gesetzt wird. Die Einheit der negativen Wechselbestimmung und des je eigenen Bestimmtseins muss darin liegen, dass der Inhalt der Verhältnisbestimmung den Polen des Verhältnisses schon als eigene Bestimmung einbeschrieben ist. So kann die Rollenverteilung nicht nur willkürlich sein; vielmehr muss sich die eine von beiden Bestimmungen schon an sich selber zur positiven qualifizieren und die andere entsprechend zur an ihr selbst negativen. Das heißt nicht, dass sie – im Stil nur einfacher Bestimmungen – außer Beziehung auf das je andere wären, sondern umgekehrt: dass die ausschließende Beziehung auf das je andere die Bestimmung eines jeden der beiden ausmacht.

Ad 1: Wie ist der Unterschied nun, auf der Stufe des Gegensatzes, bestimmt? „Er ist die Einheit der Identität und der Verschiedenheit; seine Momente sind in Einer Identität verschiedene; so sind sie entgegengesetzte.“25 – Inwiefern ist damit der Unterschied der Pole des Gegensatzes adäquat als das Positive und das Negative gefasst, und welcher Bestimmungsfortschritt ist darin angezeigt? Wichtig dafür ist eine rückblickende Bemerkung, die Hegel zum Begriffspaar Gleichheit/Ungleichheit macht: Gleichheit und Ungleichheit verhalten sich zunächst einmal oder einfach genommen nicht nur gleichgültig gegeneinander, sondern auch gleichgültig gegen das Anundfürsichsein überhaupt.26 Anundfürsichsein war nichts anderes als der allgemeine Begriff des Wesens; also scheinen wir mit Gleichheit und Ungleichheit die Ebene des Wesens, kaum betreten, in einer Weise schon wieder verlassen zu haben. An die Stelle der wesentlichen Identität und des wesentlichen Unterschieds traten partikularisierte mannigfache Vergleichsbeziehungen, die ein und dieselbe Sache mit vielen anderen möglichen Vergleichsobjekten unterhält – ein Fragmentieren und Spiegeln der einen Sache im Verhältnis vieler anderer. Dass wir aber die Ebene des Wesens nicht einfach zugunsten von etwas ganz anderem verlassen haben, hat die immanente Kritik der bloßen Verschiedenheit ergeben, also von Vergleichsverhältnissen und Vergleichsauffassungen, die wirklich ohne Beziehungsgrund zwischen Gleich-

25 Hegel, GW 11, 272, Z. 18–20. 26 Vgl. Hegel, GW 11, 272, Z. 23–25.

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heit und Ungleichheit zu denken sind oder auszukommen meinen. Verletzt wird in solchen Fällen nicht ein der Form des Vergleichs externer Maßstab, sondern eine Einheitsbedingung, die dem Vergleich selbst eigen ist. Der Gegensatz kann nun als eine erste Form des Unterschieds verstanden werden, in der diese Einheitsbedingung explizit erfüllt wird  – unter gleichzeitiger Konservierung der Seite der Verschiedenheit, damit also auch der Gleichgültigkeit der Pole des Bestimmungsverhältnisses gegen ihr Verhältnis. Die Pole des Gegensatzes sind „das in sich reflectirte Gesetztsein“27; und da der Gegensatz die erste Form ist, die die Einheitsbedingung in sich realisiert, wird diese Reflexion entsprechend die Form der Unmittelbarkeit haben. Das heißt, dass dieselbe Bestimmung, die von der einen Seite her gesehen eine Verhältnisbestimmung ist, sich von der anderen Seite her gesehen als je intrinsische Bestimmung eines jeden der beiden Pole darstellt. Dies ist schon der Steckbrief des Begriffspaars des Positiven und des Negativen, und damit ist die Entwicklung ihres Begriffs in den Bestimmungsschritten 2 bis 5 schon vorgezeichnet. Ad 2: Das Positive und das Negative verhalten sich als entgegengesetzte zueinander. Was ist damit ihre elementare Bestimmung? Sie sind wechselseitig negativ durch einander definiert. Das Positive ist das Negative des Negativen, das Negative das Negative des Positiven. Beide sind „Gesetzte“, also durch die Beziehung auf das je andere bestimmt. Ad 3: Positiv bzw. negativ zu sein, beinhaltet aber ebenso eine erste Reflexion der als positiv bzw. negativ charakterisierten Bestimmung. Der reine Zirkel negativer Wechselbestimmung allein wäre ja die reine Wechselreiterei statt einer Bestimmung. Also sind zwei Bestimmungen unterstellt, die im Verhältnis der Entgegensetzung zueinander stehen, aber eine primäre je eigene Bestimmtheit aufweisen, in denen der Gegensatz fundiert ist. Das in sich reflektierte Gesetztsein gabelt sich an dieser Stelle in eine vorausgesetzte Reflexion in sich und die Entgegensetzung als Verhältnisbestimmung. Mit dieser Gabelung geht einher, dass die bestimmte Rollenverteilung im Gegensatz beliebig ist, die unterstellten Bestimmungen also ihre Rollen des Positiven und des Negativen miteinander tauschen können. Die Rollenverteilung entscheidet sich hier einfach daran, welche der beiden Bestimmungen als die unmittelbare – nicht relativ, nicht erst durch Negation bestimmte – genommen wird. Da beide auf diesem Stand ebenso gut unmittelbare wie vermittelte Bestimmungen sind, ist dies eine Sache der

27 Hegel, GW 11, 272, Z. 29 f.; Hervorhebung vom Verf.



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Wahl. Entgegensetzung ist eben ein symmetrisches Verhältnis zwischen je schon Bestimmten – so lässt sich dieser Stand resümieren. Ad 4: Der vierte Schritt scheint nun geradewegs in die Gegenrichtung zu führen: Er fasst sich nämlich in der These zusammen, dass sich die Charaktere des Positiven und des Negativen doch eindeutig und nicht-austauschbar der einen bzw. der anderen Bestimmung anschließen: „Aber das Positive und Negative ist […] nicht nur ein gesetztes, noch bloß ein gleichgültiges, sondern ihr Gesetztseyn oder die Beziehung auf das andere in einer Einheit, die nicht sie selbst sind, ist in jedes zurückgenommen. Jedes ist an ihm selbst positiv und negativ“28 .

Was ist das Argument dafür? Eben haben wir aus dem Gegensatzverhältnis auf ein vorausgesetztes Bestimmtsein seiner beiden Pole zurückgeschlossen, in dem das Verhältnis erst sein Fundament bekommt. Wie ist es aber näher zu denken, dass das Bestimmtsein gerade eine Entgegensetzung fundiert? Jedenfalls so, dass im Bestimmtsein beider Seiten eine Bestimmung auftritt, die an sich der Abwandlung ins Positive und ins Negative fähig ist. Diese sich in beiden Polen kontinuierende Bestimmung steht als solche der Positivität wie der Negativität als deren Drittes, als ihr Neutrum gegenüber.29 Doch ist darüber nicht zu vergessen, dass sie selber der Abwandlung ins Positive und ins Negative fähig sein muss. Was das heißt, lässt sich durch einen abgrenzenden Vergleich näher herausarbeiten. Man könnte ja zunächst meinen, das, was ich eben die Abwandlung ins Positive und ins Negative genannt habe, sei einfach die Anwesenheit bzw. Abwesenheit jener Bestimmung, also ihre Position bzw. Negation im Urteil. Aber die schiere Abwesenheit einer Bestimmung allein gibt noch keine eigene Bestimmung und damit auch noch kein Gegensatzverhältnis her. Sie ist ja auch von der einfachen Negation nicht zu unterscheiden, die von allen Bestimmungen gilt, die nicht diese eine sind, während die Pole eines Gegensatzes ein Bestimmungspaar bilden. Daraus folgt, dass das Positive und das Negative als wirkliche Bestimmungsvarianten der dem Gegensatzverhältnis zugrunde liegenden identischen Bestimmung zu denken sind. Das wiederum bedeutet, dass die Charaktere des Positiven und des Negativen tatsächlich in die einander entgegengesetzten Bestimmungen gehören und nicht nur in eine sekundäre Verhältnisbe-

28 Hegel, GW 11, 274, Z. 18–21. 29 Im Feld der Zahlen ist dies beispielsweise der absolute Wert oder der Betrag im Unterschied zu den entsprechenden positiven und negativen Zahlen.

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stimmung. – So erst wird die Form des in sich reflektierten Gesetztseins eingelöst und ergeben sich einander ausschließende selbständige Bestimmungen. Ad 5: Nach dem vorigen Schritt stellen sich das Positive und das Negative je schon an sich selber als positiv bzw. negativ dar, Positivität und Negativität als intrinsisch zukommende Charaktere, insofern nicht als „gesetzte“, d. h. nicht als relative Bestimmungen, die ein jedes von beiden dank der Beziehung auf sein Gegenteil hat. Im letzten Schritt macht Hegel darauf aufmerksam, dass die einfache Umwidmung von Positivität und Negativität zu intrinsischen Charakteren der beteiligten Bestimmungen das Gegensatzverhältnis auflöst. Nach Voraussetzung ist auf beiden Seiten des Gegensatzes eine sich kontinuierende Bestimmung zu denken. Wenn ihre positive Version schlechterdings nicht relativ sein soll, dann ist sie auch nicht mehr das Gegenteil der negativen, sondern geht zurück in das einfache Sein jener Bestimmung. Das Gleiche gilt für die negative Version. Wenn sie nicht relativ sein soll, geht sie zurück in das einfache Nicht-Sein jener Bestimmung. Hier also liegt eine Bestimmungskonstellation vor, in der sich verhältnisweises Bestimmtsein und absolutes Bestimmtsein dem Inhalt nach decken: So resultiert der Widerspruch der „selbständigen Reflexionsbestimmungen“30. Er aber gehört nicht mehr dem Unterschied als solchem zu, sondern der nächsten, hier nicht mehr behandelten Form der Reflexionsbestimmung – dem Widerspruch. Auf die Ausgangsfrage zurückgewendet, wie Identität und Unterschied als Bestimmungen des Wesens und alle drei als Nachfolger von Qualität und Quantität zu verstehen sind, lassen sich abschließend drei Ergebnisse festhalten. Erstens zeichnet sich in der logischen Nachfolgebeziehung zwischen Wesen und Sein die spezifische Pointe der Seinslogik ab, die in der Kantischen Behandlung der Kategorien nicht explizit wird – auch nicht deren Thema bildet –, nämlich dass und wie seinslogische Bestimmungen an ihnen selber zu erkennen geben, dass sie nicht die Abschlussform denkenden Bestimmens und objektiven Bestimmtseins darstellen können. Zweitens ist für das Verständnis der Hegelschen Theorie von Identität und Unterschied der Ausgangspunkt bei der wesentlichen Identität zentral – einer Identität, in der sich die Sache als ein einfaches Selbstverhältnis präsentiert, das sich schließlich drittens als gar nicht so einfache Konstellation von Reflexion in sich und Reflexion in anderes entpuppt.

30 Hegel, GW 11, 279, Z. 7 f.

Claudia Wirsing

Die Realität des Grundes Zur Logik des Grundes in der Wesenslogik Die Geschichte der Hegel-Rezeption ist immer eine der Hegel-Kritik gewesen: Diese Einsicht ist alles andere als überraschend, denn natürlich weiß jeder irgendwie mit Hegel Beschäftigte, dass es die links-, aber auch die rechtshegelianische Hegelkritik des 19. Jahrhunderts (Feuerbach, Marx, Trendelenburg, Nietzsche) gewesen ist, welche die Fundamente gerade der großen Wirksamkeit Hegels für das 20. Jahrhundert gelegt hatte. Die dabei besondere Vermischung von Kritik und Bewunderung, Abkehr und Anschluss an Hegel zieht sich noch bis in die Ironisierung seines Denkens hinein, wie sie beispielsweise auf exemplarische und großartige Weise in den Flüchtlingsgesprächen Bertolt Brechts zu finden ist. Hier kommt sogar die Wissenschaft der Logik zur Sprache: „Sein Buch Die große Logik habe ich einmal gelesen, wie ich Rheumatismus hatte und mich selbst nicht bewegen konnte. Es ist eines der größten humoristischen Werke der Weltliteratur. Es behandelt die Lebensweise der Begriffe, dieser schlüpfrigen, unstabilen, verantwortungslosen Existenz; wie sie einander beschimpfen und mit dem Messer bekämpfen und sich dann zusammen zum Abendessen setzen, als sei nichts gewesen. Sie treten sozusagen paarweise auf, jeder ist mit seinem Gegensatz verheiratet, und ihre Geschäfte erledigen sie als Paare, d. h. sie unterschreiben Kontrakte als Paar, führen Prozesse als Paar, veranstalten Überfälle und Einbrüche als Paar, schreiben Bücher und machen eidliche Aussagen als Paar, und zwar als völlig verstrittenes, in jeder Sache uneiniges Paar! Was die Ordnung behauptet, bestreitet sofort, in einem Atem womöglich, die Unordnung, ihre unzertrennliche Partnerin. Sie können weder ohne einander leben noch miteinander. […] Den Witz einer Sache hat er die Dialektik genannt. Wie alle großen Humoristen hat er alles mit todernstem Gesicht vorgebracht.“1

Überraschender als dieser ironisch-kritische Befund eines Dichters ist es jedoch, wenn man auch in den Kommentaren und Untersuchungen wichtiger Hegelforscher unserer Gegenwart auf relativ scharfe Kritik an Hegel stößt. Dieter Henrichs wichtige Studie „Hegels Logik der Reflexion“ von 1971, in mehreren Überarbeitungsstufen immer wieder veröffentlicht, bringt in diesem Zusammenhang ein Problem zur Sprache, welches für die hier behandelte Fragestellung wesentlich

1 Bertolt Brecht, „Flüchtlingsgespräche“, in: Werke, hg. v. W. Hecht, Bd. 18, Prosa 3, Frankfurt am Main 1995, 195–329; hier: 263.

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 Claudia Wirsing

ist. Henrich kommt nämlich auf die Verständnisschwierigkeiten des Hegelschen Werkes zu sprechen und führt diese partiell auf den Umstand zurück, „daß Hegel selber an keiner Stelle seines Werkes anders als beiläufig über das von ihm verwendete Verfahren gehandelt hat. Das System gibt sich den Anschein der Einsichtigkeit für alle, die sich nur überhaupt auf es einlassen […]. […]  [N]irgends, wo die Gelegenheit dazu gegeben war, hat Hegel einen besonderen Gedankenfortschritt auch nur in der Form einer Skizze vollständig charakterisiert. […] Man wird deshalb vermuten müssen, daß Hegel zwar ein Verfahren, das selber eigentlich eine Sequenz von Verfahren ist, gebrauchte und beherrschte, daß er aber keinen ausgearbeiteten Begriff von ihnen und dem Gesetz ihrer Abfolge und den besonderen Bedingungen ihrer Anwendung besaß. […] Vieles spricht auch dafür, daß er selbst bei großer methodischer Anstrengung die Mittel nicht gefunden hätte, sich über die logische Praxis seines Grundwerkes zu verständigen.“2

Offensichtlich wirft Henrich Hegel hier nicht nur einfach vor, bestimmte methodische Züge seines Vorgehens ungenügend zu explizieren, also grob gesagt unklar zu formulieren. Der Vorwurf erweitert sich auf eine bestimmte Begründungspraxis: Hegel habe es nicht verstanden, bestimmte Bedingungen und Gründe seiner Methode einsichtig zu machen, die es erst erlauben würden, überhaupt Maßstäbe an der Hand zu haben, um die Methode auf sichere Füße zu stellen und vom eigentlichen inhaltlichen Vorgehen sauber zu unterscheiden. Natürlich weiß auch Henrich, dass es selbst wiederum zu Hegels philosophischem Programm gehört, dass die „Idee […] keine Methode kennen [kann], die ihrer Selbstentfaltung abstrakt gegenüberstünde, so daß sich ihr Prozeß kraft einer Art von ‚Anwendung‘ der Methode vollzöge“3. Der Vorwurf ungenügender Begründung bleibt jedoch, selbst wenn man dies konzediert, bestehen. Vor der Folie dieser Kritik kommt dem „Grund“-Kapitel in der Wesenslogik eine besondere Bedeutung zu. Denn hier versucht Hegel nicht nur zu erklären, wie das Wesen als Grund zu denken ist, sondern auch zu zeigen, was es kategorial überhaupt heißt, ein Grund für etwas zu sein. Die dort angestellten Überlegungen geben damit zumindest Hegels eigene Folie dafür ab, die Bedingungen von Begründungsleistungen überhaupt zu explizieren, und somit möglicherweise auch das eigene Vorgehen im Licht dieser Explikationen näher zu begreifen. Selbst wenn also Hegel, wie Henrich behauptet, sein Verfahren selbst nicht zu begründen vermochte, so denkt er doch wenigstens darüber nach, so meine Behauptung, was es heißt zu begründen.

2 Dieter Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 41988, 101 bzw. 104. 3 Ebd., 102.



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Ich will im Folgenden in drei Schritten vorgehen: 1. will ich den „Grund“ im Zusammenhang der Reflexionsbestimmungen verorten, indem ich skizziere, wie der Grund die Wahrheit des Reflexionsverhältnisses überhaupt sein kann. Damit ist die Frage verbunden, was das Wesen als Grund bedeutet. 2. will ich den Grund im Zusammenspiel der Reflexionsformen verorten, indem ich zeige, wie sich diese selbst in ihm genauer als Momente eines Zusammenhangs ausprägen. Damit ist das Problem verbunden, welche Momente dem Sein von Gründen überhaupt zukommen. Die Reflexionsformen zeigen sich dabei als Formen des Begründens: reflexionslogische Zusammenhänge sind in Wahrheit Zusammenhänge, in denen sich die Dimensionen des Begründens verwirklichen. 3. will ich abschließend Überlegungen darüber anstellen, was Hegels Überlegungen über die Gründe des Grundes bedeuten – und damit für eine theoretisch fundierte Praxis des Gebens und Nehmens von Gründen.

1 D  er Grund im Rahmen der Reflexionsbestimmungen4 Der Grund als reflexionslogische Bestimmung stellt gewissermaßen eine Schneise innerhalb der Wesenslogik dar.5 Mit ihm ist die Erörterung der reinen Reflexionsbestimmungen abgeschlossen, d. h. der wesenslogischen Bestimmungen, deren Sein einzig in der negativ-dialektischen Relationalität liegt und die ohne Bezug auf vorausgesetzte substrathafte und unmittelbare Relata auskommen. Mit den nächsten Schritten nach dem Grund, den Kategorien der Existenz und des Dings, erfolgt dann nämlich vollends die „Wiederherstellung der Unmittelbarkeit oder

4 Vgl. zur Funktion der Reflexionsbestimmungen im logischen Raum des Grundes ausführlicher Claudia Wirsing „Grund und Begründung. Die normative Funktion des Unterschieds in Hegels Wesenslogik“, in: 200 Jahre Wissenschaft der Logik, hg. v. Anton Friedrich Koch u. a., Hamburg 2014, 155–177. Der vorliegende Artikel nimmt diese Überlegungen zum Grund im Rahmen der Reflexionsbestimmungen im ersten Abschnitt auf, und versucht diese im zweiten und dritten Abschnitt in Bezug auf die Reflexionsformen und im Rahmen einer theoretisch fundierten Begründungspraxis weiterzuentwickeln. 5 Zum Grund in Hegels Wesenslogik vgl. Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin und New York 1990, 485–498; Peter Rohs, Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der Hegelschen Wesenslogik, Bonn 1969; Günter Kruck, „Die Logik des Grundes und die bedingte Unbedingtheit der Existenz“, in: G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik, hg. v. A. F. Koch und F. Schick, Berlin 2002 (= Klassiker Auslegen, Bd. 27), 119–140.

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des Seyns“ (GW 20, 152, § 122) im Rahmen des Wesens. D. h. die absolute Negativität vollzieht sich von nun an an Seiendem und stellt das Selbstverhältnis seinshafter Unmittelbarkeit dar. Die zweite Hälfte der Wesenslogik nach dem Grund führt also schrittweise die Logik des Seins (Unmittelbarkeit) und des Wesens (Relativität) zusammen, damit die Begriffslogik beide wiederum aufhebend integrieren kann. Die Wesenslogik als Mittelteil der Logik insgesamt vollstreckt so ihr zentrales Prinzip der Negativität auch an sich selbst: Ihr erster Teil ist durch ein „Nicht-mehr-nur“ des Seins, ihr zweiter Teil durch ein „Noch-Nicht“ des Begriffs gekennzeichnet. Ihre Funktion ist es, Übergang zu sein, indem in ihr zuerst die Defizite des Seins aufgearbeitet und danach diese Aufarbeitung vor dem bereits aufscheinenden Hintergrund des Begriffs als ebenso defizitär erscheint. Ein wichtiger sprachlicher Unterschied bei Hegel, der einen wesentlichen Unterschied in den logischen Sachen kennzeichnet, ist die von Michael Theunissen herausgearbeitete Differenz von „dasselbe sein“ und „nichts anderes als“sein6. Wenn etwas bei Hegel „nichts anderes als“ etwas anderes ist, dann ist es nämlich nicht einfach dasselbe wie dieses: Es ist in Wahrheit dieses andere Etwas, sodass die Relation beider die Wahrheit über das eine wie das andere bedeutet. In dieser Hinsicht sind die Reflexionsbestimmungen überhaupt, das heißt die Logik ihrer Form, nichts anderes als der Grund: Der Grund ist die Wahrheit über das, was Reflexionsbestimmungen logisch darstellen, und damit die Wahrheit über das Wesen, wie es sich in der reinen reflexionslogischen Relationalität von reflektierten Bestimmungen ausprägt. Der Grund ist damit also „nichts anderes als“ das wahre Verhältnis von Identität und Unterschied. Günter Kruck hat diesen Aspekt in seinem Kommentarartikel zum Grund-Kapitel der Logik prägnant und umfassend herausgearbeitet. Das leibnizsche „Prinzip des zureichenden Grundes“, in seiner Wahrheit verstanden, bringt die reine reflexionslogische Einsicht zum Ausdruck, dass für jedes bestimmte Etwas prinzipiell ein Bestimmungsgrund angebbar sein muss, der festlegt, weshalb dieses erste Etwas so ist und nicht anders.7 In der Kategorie des Grundes kommt das Wesen dergestalt zu seiner Wahrheit, dass der Grund nicht nur eine, nämlich die letzte der Reflexionsbestimmungen ist, sondern er ist „die wesentliche Bestimmtheit“8 überhaupt. In der Kategorie des Grundes artikuliert sich nämlich die Wahrheit darüber, wie sich Bestimmungen überhaupt im Verhältnis der Wesentlichkeit wahrhaft aufeinander beziehen.

6 Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 21994, 364; vgl. Iber, Metaphysik absoluter Relationalität, a. a. O. (Anm. 5), 86. 7 Vgl. Kruck, „Die Logik des Grundes“, a. a. O. (Anm. 5), 123. 8 Ebd., 125.



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Die bis zu diesem Punkt erarbeitete Form reflektierter Bestimmungen im Verhältnis von Identität und Unterschied, wie sie sich letztlich im „Widerspruch“ formuliert findet, erhält somit erst im „Grund“ ihren eigentlichen, wahren Sinn. Denn im Widerspruch als letzte Stufe der Erörterung der Reflexionsbestimmungen von Identität und Unterschied beschreibt Hegel, dass reflektierte Bestimmungen durch ein widersprüchliches Sowohl-als-Auch gekennzeichnet sind: Jede Bestimmung ist das, was sie auf bestimmte Weise ist, indem sie für sich, d. h. gegen ein Anderes abgesetzt ist; zugleich aber ist dieses Fürsichsein einzig dadurch erreicht, dieses Andere an sich haben: „Das Negative soll ebenso selbständig, die negative Beziehung auf sich, für sich seyn, aber zugleich als negatives schlechthin diese seine Beziehung auf sich, sein Positives, nur im Anderen haben.“ (GW  20, 151, §  120) Die reflektierte Form des Bestimmungswissens im Wesen beschreibt so den Umstand, dass jede Bestimmung ihr Bestimmtsein nur im negativen Bezug auf ein Anderes hat, das sie deshalb zur gleichen Zeit aus sich ausschließt und in sich einschließt, ohne eine von diesem negativen Fremdbezug völlig freie Substanz der Selbstidentität wie im seinslogischen Bestimmungen zu haben. Damit ist die Form selbstbezüglicher Negativität als Struktur reflexionslogischen Bestimmtseins erreicht: Der negative Bezug von Etwas auf sein Gegenteil ist an sich selbst negiert, weil das Gegensätzliche zum eigenen Inhalt der Identität wird. Negativität findet sich also dort aufgehoben, wo so sie selbst zu einem Bestandteil von Identität wird. Günter Kruck hat das in ein einleuchtendes Beispiel gesetzt: „Der Baum ist als Baum nur etwas, weil seine Identität dadurch fixiert werden kann, daß er nicht Blume ist, daß er also durch das Nicht-BlumeSein bestimmt ist. Indem aber diese Bestimmheit die Bestimmtheit des Baumes ausmacht, ist dieses Gesetztsein (das Sein-durch-anderes) ebenso sehr verschwunden; es ist nämlich zur Bestimmtheit des Baumes selbst geworden.“9 Die Wahrheit dieses Widerspruchs ist das Verhältnis des Grundes: Bestimmungen, die sich in dieser reflektierten, rein relationalen Weise bestimmend aufeinander beziehen, treten in das Verhältnis ein, füreinander den wesenhaften Grund ihres Bestimmtseins darzustellen. Gerade in ihrem Unterschied sind so beide Bestimmungen identisch, weil sie ihre Identität nur im Unterschied zueinander besitzen. Jedes Widerspruchsverhältnis ist also in Wahrheit ein Begründungsverhältnis, insofern das, was sich widerspricht in der negativen Bezugnahme auf sein Anderes (welches sowohl aussgeschlossen wird, um es selbst sein zu können, als auch darin gleichermaßen eingeschlossen ist), zugleich begründet. Freilich, und das ist entscheidend, braucht es vom Bestimmungswissen zum Grundwissen einen weiteren Schritt, der darin besteht, die konstitutive normgebende Kraft

9 Ebd., 126.

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der Relationalität überhaupt im wesenslogischen Verhältnis als eine sich direktional verengende zu verstehen. Denn wo im bloßen Bestimmungswissen „die Bestimmtheit von etwas im Rekurs auf irgendeinen Unterschied von anderem erhoben werden kann“10, da fordert die Beziehung von Grund und Begründetem, dass beide stärker in ihrer jeweiligen individuellen Substanz aneinander gebunden sind. Der bloße Unterschied von Etwas zu irgendeinem Anderen enthält noch nicht die Notwendigkeit, dass dieses Andere auch Grund oder Begründetes für dieses Etwas sein kann. Hegel gebraucht hier die starke Formulierung, dieses Andere müsse „sein Anderes“ bzw. „sein Entgegengesetztes“ sein: „Als sich auf sich beziehender Unterschied ist er gleichfalls schon als das mit sich identische ausgesprochen, und das Entgegengesetzte ist überhaupt dasjenige, welches das Eine und sein Anderes, sich und sein Entgegengesetztes, in sich selbst enthält. Das In-sich-seyn des Wesens, so bestimmt, ist der Grund.“ (GW  20, 151, §  120) Jeder Unterschied generiert zwar ein Bestimmungsverhältnis, ein bloßes Bestimmungsverhältnis aber noch kein Begründungsverhältnis im engeren Sinne, denn nicht jeder Unterschied begründet einen Begründungszusammenhang. Dass der Baum nicht Blume ist, bedeutet noch nicht, dass diese Begriffe sich einander auch begründen müssen, nur weil sie sich voneinander unterscheiden. Erst dort, wo etwas sich widerspricht, d.h der Unterschied ein bestimmender und somit normsetzender ist, entsteht eine Begründung von Etwas in Bezug auf sein Entgegengesetztes, durch welches es begründet wird. In diesem Sinne stehen Widerspruchsverhältnisse zugleich immer auch in Begründungsverhältnissen. Das Wesen ist mithin dort Grund, wo es die gesamte Form eines Verhältnisses beschreibt, in der zwei Bestimmtheiten reflexionslogisch sich in ihrem Unterschied durch das jeweils Andere konstituieren: aber so, dass sie in die Relation füreinander wirklich wesentlicher Reflexionselemente treten, die den substantiellen Kern ihres Bestimmtseins ausmachen – eben als Grund und Begründetes. Grund und Begründetes konstituieren sich in ihrem Unterschied derart durch den jeweils anderen, dass sie unmittelbar aufeinander durchsichtig sind, vom einen auf das Andere sogar unmittelbar geschlossen werden kann, weil sie füreinander ihr Anderes – und nicht nur irgendein Anderes – sind. Als „absoluter Grund“ ist mithin bei Hegel eben die Gesamtformation dieses reflexionslogischen Verhältnisses des Grundes bezeichnet: Grund ist in diesem Sinne nicht bloß der eine Pol im Verhältnis von Grund – Begründetem, sondern die gesamte Struktur. Möglich ist dies begrifflich deshalb, weil beide Pole gemäß der bereits erörterten Form wesenslogisch-reflektierter Bestimmungen sowieso jeweils ein Element des Verhältnisses und zugleich auch das Ganze des Verhältnisses sind, d. h. „das

10 Ebd., 125.



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Ganze und sein eignes Moment“ (GW  11, 266): indem „jedes so für sich ist, als es nicht das Andere ist“ (GW 20, 149, § 119), und sie sich so jeweils gegeneinander an sich haben. Dieses Zugleichsein von Moment und Ganzem bildet erst die volle Identität des Grundverhältnisses aus: Der Grund ist deshalb „das Wesen als Totalität gesetzt“ (GW 20, 152, § 121), weil in ihm der ganze Zusammenhang von Selbstbezug und Unterschied, Einheit und Gegensatz als Momente einer Bestimmung erscheint. Im Grund wird das Verhältnis der Reflexion vollends zur Form des Insichseins des Wesens. Als „Wahrheit“ der reinen Reflexionsbestimmungen, d. h. als ihre Vollendung, überschreitet der Grund diese zugleich, weil er in seiner Einheit die Unmittelbarkeit des Seins wieder herstellt. Identität und Unterschied bilden nicht mehr nur bloß eine negative Beziehung. Der Grund ist vielmehr in ihrer Einheit das mit sich identische Wesen, dessen Unmittelbarkeit eben in der Negativität des reflexionslogischen Unterschieds besteht. Begründetsein heißt folglich, dass „Etwas […] sein Seyn in einem andern hat“ (GW 20, 152, §  121), nämlich das Begründete im Grund. Der reflexionslogische Unterschied von Begründetem und Grund aber ist zugleich die Identität beider als absoluter Grund: Die Einheit des absoluten Grundes ist der Unterschied zwischen sich und dem Begründeten als Unterschied seiner von sich selbst. Der identische Unterschied von Grund und Begründetem ist der absolute Grund und damit das Wesen als Grund: als sich von sich selbst unterscheidendes und in diesem Unterschied sich mit sich vermittelndes Verhältnis wesenslogischer Bestimmtheit überhaupt. Fichtes Unterscheidung von „Unterscheidungsgrund“ und „Beziehungsgrund“ aus der Grundlage wird von Hegel aufgenommen und zusammengeführt11: Grund ist das, was sich im Unterscheiden von Grund und Begründetem auf sich selbst bezieht. Der Grund ist im Begründeten ganz bei sich und gewinnt sich überhaupt erst, weil er Grund nur darin sein kann, ein Begründetes hervorzubringen.

11 Das antithetisch-synthetische Verfahren leistet bei Fichte die Ausdifferenzierung des Systems und stellt den widersprüchlichen Motor dar, durch den die Dialektik ihre Dynamik erhält. Während das antithetische Verfahren versucht aufgrund eines „Unterscheidungsgrundes“ das Entgegengesetzte im Gleichen aufzusuchen (zwei Gleiche sind in mindestens einem Merkmal unterschieden), sucht das synthetische Verfahren aufgrund eines „Beziehungsgrundes“ das Gleiche im Entgegengesetzten auf (zwei Entgegengesetzte sind in mindestens einem Merkmal gleich). Johann Gottlieb Fichte, Grundlagen der gesammten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer 1794/95, hg. v. R. Lauth und H. Jacob, Bd. I, 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, 249–451, hier 272.

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2 Der Grund im Rahmen der Reflexionsformen Damit sind wir aber quasi auch schon zum Resultat des Wesens als Grund vorgesprungen. Um aber den ganzen Inhalt der Kategorie des Grundes zu verstehen, ist es wie immer bei Hegel wesentlich, aufzuzeigen, welche Stadien seiner dialektischen Entfaltung in ihm zusammenfinden: Denn diese bleiben als Momente seines logischen Profils im Ergebnis in irgendeiner Weise enthalten. Für die Kategorie des Grundes hat das, wie ich zu zeigen versuche, in gewisser Hinsicht eine besonders wichtige Bedeutung. Die Entwicklungsmomente des Grundes (formeller Grund, realer Grund, bestimmter Grund) sind zumindest in bestimmten Hinsichten den Reflexionsformen zugeordnet, wie sie Hegel zu Beginn der Wesenslogik entwirft: setzende Reflexion, äußere Reflexion, bestimmende Reflexion. Ich will diesen Zusammenhang und damit die auseinandertretenden und sich vereinigenden Momente des Grundes im Folgenden kurz skizzieren.

2.1 Der „formelle Grund“ und die „setzende Reflexion“ Das Wesen als Grund wird von Hegel unter der philosophisch „klassischen“ Perspektive der Substanz, d. h.: des Zu-Grunde-liegenden, betrachtet. Als Grund der reflexionslogischen Bestimmtheiten, d.  h. der sich wechselseitig durch Negation bestimmenden Bestimmungen, ist das Wesen im klassisch-metaphysischen Denken das, worin diese gegensätzlichen Bestimmungen als ihr Gemeinsames gründen. Die Dimension des „formellen Grundes“ betont diese hier als Ausgangspunkt gesetzte Identitätsperspektive: Die Formalität des Grundes besteht deshalb darin, dass beide Seiten (Grund – Begründetes) als Pole jeweils zugleich das Ganze sind, das je Andere mit an sich haben, und deshalb im Ganzen des Grundes als identisch erscheinen. Denn das „Begründete und der Grund sind ein und derselbe Inhalt“ (TWA 8, 248, § 121, Z). Deshalb ist der „Unterschied zwischen beiden […] der bloße Formunterschied der einfachen Beziehung auf sich“ (ebd.): Grund ist die „Reflexion-in-sich, die eben so sehr Reflexion-in-Anderes und umgekehrt ist.“ (GW 20, 152, § 121) Was als Grund unterschieden vom Begründeten ist, ist zugleich die Einheit beider als „absoluter Grund“. Das entspricht der gängigen Vorstellung vom „Grund“, wie sie sich um 1800 bspw. in Schellings Identitätsphilosophie oder im Begriff des „Seyns“ beim frühen Hölderlin („Urteil und Seyn“) findet: Das in der Wirklichkeit Verschiedene gründet in einer vorgängigen letzten Einheit, welche die Wahrheit über das in der Erscheinung Gegensätzliche und Verschiedene darstellt. Unterschieden bzw. gegensätzlich können die Bestimmungen der Wirklichkeit inklusive der Subjekt-



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Objekt-Trennung nur deshalb sein, weil sie in ihrem Grunde in einer Identität ruhen, welche ihr Aufeinander-Bezogensein im Raum des Realen überhaupt erst möglich macht. Damit aber, so Hegel, wird das Wesen als Grund auf den abstrakten Punkt der Einheit der Reflexionsbestimmungen beschränkt. Da aber die Bestimmtheit der gegensätzlichen Bestimmungen wesentlich durch deren Unterschiedenheit konstituiert ist, fällt dem Grund als bloßer Identität die reine Bestimmungslosigkeit zu: Im Wesen als Einheitsgrund ruhen die Bestimmungen in reiner bestimmungsloser Potentialität. Damit jedoch ist zwischen dem Wesensgrund und den reflexionslogischen Bestimmtheiten ein scheinbar abstrakter Gegensatz entstanden: Wesen ist das, wo die Reflexion aufhört, weil an der absoluten Einheit des Grundes alles Bestimmtwerden sich verliert. Um diese Abstraktion an sich selbst aufzubrechen, zeigt Hegel, wie das vom Wesen als Grund derart ausgeschlossene Reflexionsverhältnis gerade im Ausschluss zuhilfe genommen werden muss. D. h. das Wesen als bloßer Einheitsgrund ist gerade dort von der negativ-reflexiven Bestimmtheit kennzeichnet, wo es diese sich gegenübersetzt. Die argumentative Strategie um dies einsichtig zu machen ist bei Hegel allgegenwärtig und bspw. in seiner Kritik des kantischen „Ding an sich“ prominent: „Die negative Bestimmung, welche diese abstracte Identität als Gegenstand erhält, ist gleichfalls unter den Kantischen Kategorien aufgeführt, und ebenso etwas ganz bekanntes wie jene leere Identität.“ (GW 20, 81, § 44) So wie das Ding an sich gerade in der Benennung als Unbestimmbares doch bestimmt wird und sich so selbst widerspricht, so ist die bestimmungslose Einheit des Wesensgrundes gerade dadurch bestimmt, die Bestimmtheit überhaupt aus sich auszuschließen. Der Einheitsgrund hat derart die Reflexionsbestimmtheit, der es abstrakt gegenübersteht, zugleich an sich selbst: Er ist von der Reflexion abhängig, weil er im Verhältnis reflexionslogischer Bestimmtheit dadurch bestimmt ist, die Reflexion auszuschließen. Prägnant gesagt: Der Grund unterscheidet sich vom Unterschied, wodurch er den Unterschied wieder an sich hat, den er ausschließt. Damit aber verwirklicht er die für Hegel wesentliche Form selbstbezüglicher Negativität, die gerade die reflexionslogische Bestimmtheit kennzeichnet: eben weil er das Nicht-Sein der Reflexion (Ausschluss der Bestimmtheit gegenüber dem Grund) wiederum negiert, indem er selbst reflexionslogisch bestimmt ist. Der abstrakte Einheitsgrund des Wesens ist so nichts anderes als die selbstbezügliche Negativität reflexionslogischer Bestimmtheit, der er gegenübergestellt ist. Auf beiden Seiten (Grund – Bestimmtheit durch Negation) steht sich so in Wahrheit dieselbe Struktur selbstbezüglicher Negativität gegenüber, wodurch sich ihr Unterschied ebenso aufhebt, wie er sich im Aufheben als in sich unterschiedener konstituiert. Damit ist für das Wesen als Grund begriffslogisch bewiesen, was vorhin bereits als Resultat festgesetzt worden war. Zum einen ist es die Einheit von Grund

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und Begründetem: d. h. der Grund ist das Ganze des Verhältnisses von GrundBegründeten-Bestimmungsverhältnissen. Zum anderen aber ist der Grund auch ein Moment innerhalb des Verhältnisses von Grund – Begründetem: indem er als Gegensatz dem durch ihn Begründeten gegenübersteht. Die Form des Grundes ist so die, ein Element von dem zu sein, was er zugleich als Ganzes begründet und umfasst. Eben diese Gedankenbewegung des formellen Grundes gründet wiederum in der Reflexionsform der setzenden Reflexion, deren Bestimmungen auf den Grund angewendet werden und sich in ihm wiederholen. Zum einen wird der Grund als Unmittelbares, Anderes zur Reflexion, d. h. ihrer Logik des Bestimmtwerdens, vorausgesetzt. Er steht ihrer negativ-selbstbezüglichen Differentialität als unmittelbare Einheit abstrakt gegenüber. Zum anderen aber ist diese unmittelbare Einheit des Grundes nichts anderes als die Logik negativer Bestimmtheit, weshalb die Voraussetzung wiederum in der Setzung, d.  h. dem Bestimmtsein durch Unterschied aufgehoben wird.

2.2 Der „reale Grund“ und die „äußere Reflexion“ Sowohl bezüglich der Reflexionsformen als auch der Momente des Grundes bezeichnet Hegel mit dem Zusatz „real“ eine bestimmte Art von Äußerlichkeit: ein Verhältnis, in welchem sich zwei Bestimmungen als äußerliche, andere gegeneinander gegenüberstehen. Dementsprechend ist die Dimension des „realen“ Grundes dadurch gekennzeichnet, dass sich die Momente von Grund und Begründetem gegeneinander emanzipieren, d. h. das Moment ihres Unterschieds in den Vordergrund rückt. Grund und Begründetes sind im Wesen als Grund nur deshalb eins, weil sie gegeneinander, d. h. als Andere zueinander bestimmt sind. Diesem Differenzmoment entspricht die Struktur der äußeren Reflexion, den Setzungs-, d.  h. Vermittlungscharakter der vorausgesetzten unmittelbaren Einheit verschwinden zu lassen: In der äußeren Reflexion erscheinen Unmittelbarkeit und Vermittlung, Grund und Bestimmtheit, Einheit und Differenz als Andere gegeneinander. Erst dieser Charakter ihrer „Realität“ ermöglicht es, die Inhalte erzeugende Kraft des Unterschieds in der logischen Bewegung wirklich freizusetzen.



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2.3 D  er „vollständige Grund“ und die „bestimmende Reflexion“ Im „vollständigen Grund“ werden die vorhergehenden Dimensionen in einen möglichst vollständigen Begriff dessen, was es heißt, Grund zu sein zusammengeführt. Günter Kruck fasst dies erneut prägnant zusammen: Der Grund ist nur Grund, „wenn er im Grund und im Begründeten als ein unmittelbar identischer Inhalt auftritt und dabei zugleich der Unterschied […] zwischen beiden […]  nicht überspielt wird“12. Gemäß der bestimmenden Reflexion begründen sich die Einheit und der Unterschied der Momente des Grundes, ihr Ganzes und ihr Gegensätzlichkeit gegeneinander, wechselseitig: Die Einheit von Grund  – Begründetem im „absoluten Grund“ als ihr Zusammenhang ist nur in und vermittels ihres Unterschieds; ihr Unterschied als Pole eines Gegensatzes ist nur in und vermittels ihrer Einheit, mit der sie das je Andere an sich haben. So zeigt sich nun am Ende das entwickelte Resultat der Kategorie des Grundes: Der Grund des Grundes ist es, im Unterschied von Grund und Begründetem zwei Seiten desselben Inhalts zu setzen, die zugleich nur als innerer Unterschied gegensätzlicher Bestimmungen zusammengehen.

3 Realität und Grund Gerade die Hartnäckigkeit dieses inneren Unterschieds von Grund und Begründetem jedoch ist es, der es dem Wesen als Grund nicht erlaubt, sich zur absoluten Allgemeinheit, d. h. Einheit des Begriffs zu schließen. Es scheint mir entscheidend für Hegels Kategorie des Grundes zu sein, dass sie eine wesentliche Einsicht der gegenwärtigen Diskussion um die Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen bereits beinhaltet, die gerade im Vergleich zum „höheren“ Verhältnis der Kausalität in der Wesenslogik klar hervortritt. Dieser Aspekt könnte als Rückkehr des Aspekts der Realität in den vollständigen Grund beschrieben werden. Die Bedingungen, die sich der Grund selbst voraussetzt und die im „vollständigen Grund“ als seine inhaltlichen Bestimmungen genannt sind, machen zwar den ganzen Begriff seiner logischen Funktion aus: aber sie entbehren gerade der strengen Art von Notwendigkeit, die im Kausalverhältnis zwischen Ursache und Wirkung erreicht wird. Man könnte dies durch eine Ambivalenz genauer erläutern, die jeden Grund seiner Form nach kennzeichnet: Jeder Grund ist ein zurei-

12 Kruck, „Die Logik des Grundes“, a. a. O. (Anm. 5), 137.

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chender – und kein Grund kann zugleich ein zureichender sein. Dass „Grund-Sein“ und „zureichender Grund-Sein“ synonym sind und sich zugleich widersprechen, betont Hegel selbst gleich zu Anfang des Grund-Kapitels in der Enzyklopädie: „Darüber ist indes zu bemerken, daß, wenn von einem zureichenden Grund gesprochen wird, dies Prädikat entweder müßig oder von der Art ist, daß durch dasselbe über die Kategorie des Grundes als solchen hinausgeschritten wird.“ (TWA 8, 250, §  121, Z) In jeden Grund für ein Begründetes nämlich bleibt eine Hinsicht eingetragen, die ihn als prinzipiell ungenügenden, weil nicht absolutnotwendigen kennzeichnet: Etwas kann nicht auf solche Weise so vollständig und eindeutig durch etwas Anderes begründet werden, wie es faktisch vollständig und eindeutig von etwas Anderem verursacht werden kann. Die Äußerlichkeit von Hinsichten oder Kontexten ist der Faktor, der als prinzipiell externe, d.  h. im Hegelschen Sinn „reale“ Dimension in die reflexionslogische Identität von Grund und Begründetem hineinragt: „[E]s lassen sich deshalb für einen und denselben Inhalt verschiedene Gründe angeben, […] weil […] der Grund noch keinen an und für sich bestimmten Inhalt hat und somit nicht selbsttätig und hervorbringend ist.“ (TWA 8, 250 bzw. 249, § 121, Z) Die vollständige Bestimmtheit des Inhalts von Gründen, als die Hinsicht nach der sie auf das Begründete bezogen sind, liegt nicht gänzlich in der logischen Form des Grundes selbst. Im Wesen als Grund findet sich die Reflexionsbestimmtheit von GrundBegründeten-Relationen wiederum gegründet in einem prinzipiell Anderen zum Logischen überhaupt: nämlich in den Dimensionen der Situationalität von empirischer Wirklichkeit. Gründe erhalten die Rechtfertigung ihres Inhalts zum Teil einzig durch den jeweiligen realen Kontext ihres Gebrauchs: Sie sind Gründe oder sogar gute Gründe nur im Kontext bestimmter Aspekte, Hinsichten, Interessen und Funktionen, die sie in einer konkreten realen Situation erhalten. Eben hierin gründet die mögliche Verschiedenheit von Gründen für einen Inhalt, ja die Gegensätzlichkeit möglicher Gründe und möglicher Begründeter in Bezug auf denselben Inhalt: weil ihr jeweiliger realer Kontext ein anderer ist. Die Welt ist eine von Alternativen innerhalb aller Begründungsverhältnisse aufgrund von deren Kontextualitätsbedingung. Nur so ist die selbst wiederum rationale, d. h. begründbare Differenz von „Geltung“ und „Gültigkeit“ von Gründen13 zu verstehen: Das logische Verhältnis der Gültigkeit von Gründen, nämlich ein intrinsisch guter Grund für etwas zu sein, muss in seiner Wechelwirkung mit dem dazu äußerlichen Aspekt ihrer sozialen Geltung, die auch von Faktoren wie dem jeweils historisch geltenden normativen Horizont abhängt, begriffen werden. Mit anderen

13 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Band 1. Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Frankfurt am Main 41987, 53.



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Worten: Gründe mögen in einem bestimmten normativen historischen Kontext als gute Gründe gelten, ohne vor dem strengen Auge der Vernunft, nämlich rein vom zu Begründenden aus, als gute Gründe gültig zu sein. Eben in dieser Differenz gründen alle Formen von Gesellschafts- und Zeitkritik als immanente Möglichkeit der Kategorie des Grundes selbst. Auch der je verschiedene „Sinn von Begründung“, wie ihn Jürgen Habermas bereits in der Theorie des kommunikativen Handelns für verschiedene Formen der Aussage (deskriptive, normative, evaluative, expressive, explikative) entwickelt hat14, benötigt logisch eine wirksam bleibende „reale“ Verschiedenheit des Grundes vom Begründeten. Denn nur so ist es möglich, den realen Kontext des Gebrauchs von Gründen als wesentlichen Faktor ihrer logischen Form zu begreifen: Ein Grund ist von anderer Art und wird anders gebraucht, je nachdem ob ich bspw. eine deskriptive Aussage oder ein ethisches Verhalten begründen will. Wenn es bei Hegel beinahe resignativ heißt: „Ein Grund kann daher für alles gefunden und angegeben werden“ (GW  20, 152 f., § 122), so ist damit positiv die Realität des Wesens als Grund bezeichnet: die Abhängigkeit der wesenslogischen Einheit des Grundes von einem ÄußerenRealen. Dieses ragt als Offenheit der Hinsichten und Kontexte in die absolute Einheit des Grundes hinein und verbietet ihr, bereits in ihrer bloßen logischen Form zugleich alle Maßstäbe dafür selbst zu erzeugen, einen Grund oder einen guten Grund als solchen bestimmen zu können.

14 Ebd., 67.

Dietmar H. Heidemann

„Das Wesen muß erscheinen“ Die Erscheinung in Hegels Wissenschaft der Logik

1 Einleitung Wer sich mit dem Erscheinungsbegriff der Wissenschaft der Logik befasst, sollte sich zunächst darüber im klaren sein, dass im Hegelschen Werk mindestens zwei systematisch grundlegende Erscheinungsbegriffe zu unterscheiden sind, der epistemische und der ontologische. Systematischer Ort des epistemischen Erscheinungsbegriffs ist die Phänomenologie des Geistes, genauer gesagt die Phänomenologie des Geistes als „Darstellung des erscheinenden Wissens“ (GW 9, 55). Diese Darstellung ist ‚auftretende Wissenschaft‘ und zeichnet sich durch zwei Eigenschaften aus: Zum einen ist sie „Erscheinung“, das heißt ein neben anderem Wissen auftretendes Wissen. Zum anderen ist sie als auftretende Wissenschaft noch nicht „in ihrer Wahrheit ausgeführt und ausgebreitet“ (GW 9, 55) und hat daher den Charakter der Vorläufigkeit. Es liegt in der Natur der auftretenden Wissenschaft selbst, meint Hegel, dass sie sich zur Wahrheit läutere, indem sie sich gegen ihren „Schein“ oder den Erscheinungscharakter des Wissens wendet und sich so von ihm befreit. Dies ist insofern metaepistemologisch zu verstehen, als es der „Darstellung des erscheinenden Wissens“ weniger um eine semantische oder wahrnehmungstheoretische Analyse von Erscheinungsausdrücken oder sinnlichen Phänomenen für ein Bewusstsein geht, als um die Darstellung der auftretenden Wissenschaft selbst als erscheinenden Wissens. Der zweite Erscheinungsbegriff im Hegelschen Werk, der ontologische, ist nicht Gegenstand der allererst auftretenden, sondern der nun ausgeführten Wissenschaft, der Wissenschaft der Logik. Ontologisch ist dieser Erscheinungsbegriff insofern die Erscheinung als zum Wesen zugehörig zu denken ist und das Wesen die Fortbestimmung des Seins ist. Zu Beginn des zweiten Abschnitts der Wesenslogik: „Die Erscheinung“ bringt Hegel dies durch den programmatischen Satz zum Ausdruck: „Das Wesen muß erscheinen.“ (GW 11, 323). In der „Lehre vom Sein“ hat sich das Sein als das „unbestimmt Unmittelbare“ erwiesen, insofern es „frei von der Bestimmtheit gegen das Wesen“ (GW 21, 68) ist. Daraus folgt für Hegel bereits, dass die „Lehre vom Wesen“, als systematische Fortbestimmung der „Lehre vom Sein“, das Wesen nicht als bestimmungsloses Unmittelbares darzustellen vermag. Denn das „Wesen kommt aus dem Sein her; es ist insofern nicht unmittelbar an und für sich, sondern ein Resultat jener Bewegung“ (GW 11,

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244), das heißt des Bestimmens des Seins zum Wesen. Das „Wesen“ ist daher für Hegel die „Wahrheit des Seins“ (GW 11, 241), denn damit überhaupt etwas werden und sein kann, darf das Sein nicht bestimmungslos, also nicht Nichts sein, es muss eben zum Wesen bestimmt werden. Es ist diese Einsicht, die der „Lehre vom Wesen“ insgesamt zugrunde liegt. Schließlich haben die Analysen des Seins ja gezeigt, dass das „Wissen“, das das Sein zum Gegenstand hat, sich nicht mit der Bestimmung der Unmittelbarkeit zufrieden geben kann, sondern der Annahme folgt, „daß hinter diesem Sein noch etwas anderes ist als das Sein selbst“, was sich als seine „Wahrheit“ erweist (GW 11, 241).1 Allerdings zeigen die Erörterungen, dass das traditionelle Verständnis des Wesens, etwa als zugrundeliegende ousia oder Essenz der Dinge, die sich in der Erscheinung offenbart, ein unangemessenes Verständnis ist, das heißt nicht den Begriff des Wesens und damit der Erscheinung selbst trifft. Auch wenn der epistemische und ontologische Erscheinungsbegriffs darin übereinkommen, bloße Momente im Übergang vom Schein bzw. der Erscheinung hin zur Wahrheit des Wissens bzw. des Seins zu sein, und sich dabei weitere logisch-strukturelle Gemeinsamkeiten erkennen lassen, zielt doch der ontologische auf etwas ganz anderes ab als der epistemische Erscheinungsbegriff. Denn im Abschnitt „Die Erscheinung“ der Wesenslogik befasst sich Hegel nicht mit der Erscheinung für ein Bewusstsein, sondern mit dem klassischen ontologischen Problem des wesentlichen Seins eines Dinges. Dabei geht es um die Frage, mit welchen Kategorien überhaupt die Existenz eines konkreten Dinges erfasst wird, und zwar so dass ein kohärentes Begriffsrepertoire zur Verfügung steht, das es erlaubt, alle aus dem konkreten Sein dieses Dinges resultierenden bzw. in ihm implizierten Bestimmungen darzulegen und das Ding als das zu erfassen, was es ist. Die, wenn man so möchte, Grundkategorien, mit denen Hegel dabei operiert, sind die des Wesens und der Erscheinung. Zwar hält Hegel am klassischen ontologischen Paradigma, dass jedem Ding ein Wesen zukommt, durch das sich dessen konkrete Existenz als Erscheinung manifestiert, fest; insofern erscheint das Wesen. Doch stellt sich sowohl der Begriff des Wesens selbst als auch derjenige der Erscheinung in ihren jeweiligen Bestimmungen sowie in ihrer Beziehung zueinander als weitaus komplexer heraus als von der philosophischen Tradition gesehen wurde. Die Position, auf die sich Hegel bei der Darstellung seiner eigenen Theorie in diesem Abschnitt vorrangig bezieht, ist diejenige Kants. Die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich im transzendentalen Idealismus versteht er

1 Vgl. zur These „Die Wahrheit des Seins ist das Wesen“: Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 1980, 301 f.



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als Paradigma einer verfehlten Konzeption der Reflexionsbegriffe des Wesens und der Erscheinung. In den Hegelschen Darlegungen klingt darüber hinaus die Ontologie Platons an, wie sie mit den Ideen des Seins, der Identität, der Verschiedenheit, des Etwas etc. schon in die Seinslogik eingegangen ist. Darauf weist Hegel ausdrücklich hin.2 Jenseits solcher historischer Bezüge besteht das von ihm anvisierte Argumentationsziel in dem Nachweis, dass der Begriff des Wesens intrinsisch reflexiv ist, so dass das Denken des Wesens notwendig auf den Begriff der Erscheinung führt, mit dem das unmittelbare Sein aus der bestimmungslosen Sphäre der „Negativität und Innerlichkeit“ (GW 11, 323) heraustritt. Die Reflexion des Wesens zeigt sich hierbei zum einen an der Beziehung des Wesens auf das Sein, aus dem es herkommt, sowie zum anderen auf die Erscheinung, von der es unterschieden ist, als die es sich aber zeigt. Insofern nicht gedacht wird, als was das Wesen reflektiert wird, zum Beispiel in der Gestalt konkreter Eigenschaften in der Erscheinung, ist die „Reflexion lediglich das Scheinen des Wesens in ihm selbst“. Erst indem das Wesen zu einem konkret Existierenden bestimmt wird, legt es seinen „Schein“ ab und „erscheint“ (GW 11, 323). „Wesen“ und „Erscheinung“ sind damit Relationsbegriffe, die in ihrer jeweiligen Eigenbedeutung wechselseitig aufeinander bezogen sind. Vermittelt, das heißt aufeinander bezogen werden sie zunächst dadurch, dass das „Wesen“ nicht lediglich als das „unmittelbar mit sich identische Wesen“ (GW 11, 323) begriffen werden kann, sondern „Grund“ der Erscheinung ist. Würde das Wesen über sein eigenes unmittelbares Sein nicht hinauskommen, so würde es auch nicht zur „Erscheinung“ heraustreten und folglich ein Ding nicht als das existieren, was es seinem Wesen nach ist. Erst indem das Wesen zum Grund der Erscheinung und gemäß seinen Bestimmungen reflektiert wird, bezieht es sich auf die Erscheinung als seine „Wahrheit“ (GW 11, 323). In ihrem Bezogensein bleiben sie jedoch einander nicht äußerlich, das heiß als Welt der Wesen gegenüber der Welt der Erscheinungen. Wesen und Erscheinung „stehen schlechthin in Beziehung aufeinander“ (GW 11, 324), dergestalt, dass „das Erscheinende […] das Wesentliche [zeigt], und dieses ist in seiner Erscheinung.“ (GW 11, 324). Die klassische ontologische Fragestellung nach dem Wesen der erscheinenden Dinge wird von Hegel also nicht als verfehlt abgewiesen, sondern unter Beibehaltung ihrer Grundbegriffe, „Wesen“

2 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 114. Am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Einteilung des Abschnitts „Die Erscheinung“ in der Enzyklopädie (1830) deutlich von derjenigen der Wissenschaft der Logik abweicht. In der Enzyklopädie behandelt Hegel die „Existenz“ bereits in Abschnitt „A“ des Wesens. Deren Stelle nimmt im Kapitel „B. Die Erscheinung“ der Enzyklopädie „a. Die Welt der Erscheinung. § 132“ ein, gefolgt von „b. Inhalt und Form. § 133“ und „c. Das Verhältnis. § 135“. Damit erhält dieser Teil der Wesenslogik in der Enzyklopädie eine andere Gestalt als in der großen Logik.

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und „Erscheinung“, auf der Basis eines alternativen kategorialen Rahmens neu präsentiert. Dabei wird der Begriff des Wesens nicht im Ausgang vom bereits reichhaltigen Gedanken einer phänomenalen Erscheinung erschlossen, sondern anhand der Analyse des Begriffs der „Existenz“ expliziert, so wie er einem Ding, das existiert, zukommt. Der fundamentale Zusammenhang zwischen dem Wesen auf der einen und der Erscheinung auf der anderen Seite lässt sich auf den verschiedenen Argumentationsstufen, so möchte ich vorschlagen, anhand des Begriffspaars explanansexplanandum, das heißt des Wesens als explanans und der Erscheinung als explanandum explizieren. Das Begriffspaar explanans-explanandum entstammt wissenschaftstheoretischen Kontexten und hat keine primär ontologische Bedeutung. Durch seine Verwendung unterstelle ich der Wesenslogik jedoch keine wissenschaftstheoretischen Absichten, dergestalt etwa dass es Hegel bloß um die Erklärung von Begründungszusammenhängen gehe. Die Begriffe explanans und explanandum erlauben es aber, auf den unterschiedlichen Stufen der Argumentation die jeweiligen Begründungsinstanzen zu identifizieren und die relevanten ontologischen Beziehungen offenzulegen.3 Im Folgenden werde ich also unter Rückgriff auf das explanans-explanandum-Schema diese Instanzen und Beziehungen in den für die „Erscheinung“ konstitutiven Momenten erstens der Existenz, zweitens der Erscheinung selbst, sowie drittens des wesentlichen Verhältnisses aufzuweisen versuchen. Im Fazit resümiere ich meine Überlegungen.

2 Die Existenz Unter Rückgriff auf die Argumentationen des vorangehenden Kapitels, „Der Grund“, gelangt Hegel in der Wesenslogik über den von ihm so bezeichneten „Satz des Grundes“: „Alles was ist, hat einen Grund“ zum „Satz der Existenz“: „Alles, was ist, existiert.“ (GW  11, 324). Im Kapitel „Der Grund“ gibt Hegel den „Satz des Grundes“, der historischen Vorlage Leibniz’ etwas getreuer, wieder mit „Alles hat einen zureichenden Grund.“ (GW 11, 293). Was Hegel schon dort „im allgemeinen“ sagt, nämlich dass man „nicht bei dem unmittelbaren Dasein oder bei der Bestimmtheit überhaupt“ bleiben könne, sondern dass das Existierende „als Gesetztes zu betrachten sei“ (GW  11, 293), wird nun noch einmal reformuliert anhand der Behauptung, dass alles Existierende einen Grund hat.

3 Zum explanans-explanandum-Schema siehe Terry Pinkard, Hegel’s Dialectic. The Explanation of Possibility, Philadelphia 1988, Kapitel 3.



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Wenn Hegel im „Satz der Existenz“ Sein und Existenz unterscheidet, so handelt es sich hierbei nicht um die Differenzierung zweier Arten des Daseins, sondern um den Unterschied zwischen dem allgemeinen, auf das „unmittelbare[] Sein“ abhebenden Gedanken, dass etwas unmittelbar ist, und dem „aus dem Wesen“ hervorgegangenen Sein eines konkreten Etwas, das nicht unmittelbar vorhanden ist, sondern als etwas Konkretes existiert (GW  11, 324).4 Analog zum „Satz des Grundes“ ist gemäß dem „Satz der Existenz“ folglich „Existenz“ der „Grund“ oder die Bedingung für alles, was ist; und insofern also hat die Existenz die Funktion des explanans. Dass alles, was ist, existiert, ist demnach keine Tautologie, sondern eine Schlussfolgerung aus den vorangegangenen Argumentationen. Dies gilt ebenso für die dieser Einsicht auf den ersten Blick widerstreitende Aussage, dass das Existierende zugleich auch keinen Grund hat und unbedingt ist, da sich zuvor ergab, dass Existenz die aus der „Vermittlung“ von „Grund und Bedingung“ „hervorgegangene Unmittelbarkeit“ sei (GW 11, 324). Hegel kommt an dieser Stelle auf den zuvor entwickelten Gedanken zurück, wonach der Grund die Einheit von Identität und Unterschied ist, so dass der Grund sich von sich selbst unterscheidet: Der Grund hat als das von ihm Unterschiedene das durch ihn Begründete. In dieser Hinsicht ist er als Begründendes selbst Identität. Insofern er begründet, hebt er sich jedoch selbst auf, da durch den Grund zu etwas anderem, dem Begründeten, übergegangen wird. Das, was der Grund begründet, indem zum Begründeten übergegangen und er selbst dadurch negiert wird, ist die Existenz. In diesem Sinne hebt der Grund sich selbst zur Existenz auf. Diese abstrakten Überlegungen lassen sich durchaus konkret nachvollziehen. Denn für jedes Begründungsverhältnis gilt, dass durch den Grund etwas hervorgebracht wird, das Begründete, und dadurch zugleich ein von ihm Unterschiedenes in Existenz gesetzt wird. Auf den hier eigentlich namhaft zu machenden Unterschied zwischen Grund und Ursache kommt es Hegel nicht an. An dieser Stelle geht es allein um das Begründete, das sich als solches nicht ohne den Grund denken lässt, der insofern nicht einfach verschwindet, sondern als im Begründeten bzw. der Existenz aufgehoben zu denken ist. In der Enzyklopädie (§ 123) bezeichnet Hegel die „Existenz“ daher auch als die „unmittelbare Einheit

4 In der „Lehre vom Sein“ entwickelt Hegel Stufen von Seinsweisen: Sein-Dasein-Fürsichsein, die sich in diesem Zusammenhang auf dem Reflexionsniveau des Wesens in einer strukturanalogen Argumentation wiedererkennen lassen. In der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik nimmt Hegel dabei in der „Lehre vom Sein“ die Grundbestimmungen der reinen Ontologie (Seiendes, Identität, Verschiedenheit, etc.) aus Platons Sophistes auf und modifiziert sie für seine Zwecke. Vgl. Klaus Düsing, „Ontologie und Dialektik bei Plato und Hegel“, in: Hegel-Studien 15 (1980), 95–150.

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der Reflexion-in-sich und der Reflexion-in-Anderes“, weil alles Existierende sowohl Begründendes als auch Begründetes sei. Die durch „Grund“ und „Begründetes“ vermittelte Existenz ist insofern eine „hervorgegangene Unmittelbarkeit“ (GW  11, 324), als die „existierende Welt“ zunächst Beziehungen von Grund und Begründetem aufweist, wobei jeder Grund selbst begründet ist und jedes Begründete selbst Grund sein kann und es nicht darauf ankommt, wie das Existierende beschaffen ist. Der, so Hegel, „reflektierende Verstand macht es sich zum Geschäft, diese allseitigen Beziehungen zu ermitteln und zu verfolgen“ (Enz § 123, Zusatz). Diese Bemerkung über das endliche Erkennen erklärt, warum im Argumentationsgang nun die Sprache auf die „Beweise von der Existenz Gottes“ im allgemeinen und Kants Kritik, ‚Sein‘ sei kein reales Prädikat, im besonderen kommt (GW  11, 324). Hegel spielt explizit an auf die Kantische Kritik des ontologischen Gottesbeweises und wendet gegen diese ein, dass Kant diesen Beweis als „Vermittlung“ in „Form des Schlusses“ durch „beweisende Reflexion“ missverstehe (GW 11, 325). Den konkreten Hintergrund bildet an dieser Stelle Kants Behauptung der „Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Dasein Gottes“ (KrV A 592; B 620) in der Kritik der reinen Vernunft. Kant zufolge wird im ontologischen Argument Gott „Existenz“ als perfectio zugeschrieben und dann auf die Unmöglichkeit seines Nichtseins geschlossen. Der Kern der Kantischen Kritik lautet: „Sein ist offenbar kein reales Prädikat“ und daher kann die Aussage ‚Gott existiert‘ aufgehoben werden, ohne dass sich dadurch der Gehalt des Begriffes „Gott“ ändert (KrV A 598 f./; B 626 f.).5 Hegel gibt den Kantischen Einwand der Sache nach zutreffend wieder, auch dass Kant selbst „unter Existenz das bestimmte Dasein versteht“ (GW 11, 324), also einen Begriff, der lediglich empirische Bedeutung hat. Dieser Begriff der Existenz oder des Daseins sei jedoch eine nur endliche, „abstrakte[] Identität“, die Hegel seinen eigenen Analysen nicht zugrunde legt; Kant operiere daher mit einem Begriff von Existenz, von dem „hier nicht die Rede“ ist (GW 11, 325). Der dem ontologischen Argument zugrundeliegende „Grund des Daseins“ sei nur „Grund für die Erkenntnis“, um den es Hegel eben nicht geht. Dies trifft ebenso auf den „Grund“ von der „Zufälligkeit der Welt“ (GW 11, 325) zu, womit Hegel auf den kosmologischen Gottesbeweis und seine Kritik bei Kant anspielen dürfte. Dieser Beweis schließt nach Kant wie folgt: „Wenn etwas existiert, so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun existiere zum mindesten ich selbst: also existiert ein absolut notwendiges Wesen.“ (KrV A 604 / B 632). Auch hier bedeutet „Existenz“

5 So argumentiert Kant bereits im Gottesbeweis in Der einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763), wobei es ihm in der Kritik der reinen Vernunft vorwiegend im den Begriff Gottes als Vernunftidee geht.



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lediglich das durch kontingent Existierendes Vermittelte. Die Existenz Gottes oder des Absoluten dürfe jedoch, wie Hegel meint, nicht in dieser Weise als ein durch kontingent Existierendes Vermitteltes aufgefasst werden. Wie Hegel in offensichtlich kritischer Anspielung auf Jacobi am „Wesen Gottes“ als „Abgrund für die endliche Vernunft“ darlegt, muss das Wesen als Existenz begriffen werden: „Das Wesen ist die Existenz; es ist nicht von seiner Existenz unterschieden. – Das Wesen ist in die Existenz übergegangen, insofern das Wesen als Grund sich von sich als dem Begründeten nicht mehr unterscheidet oder jener Grund sich aufgehoben hat. Aber diese Negation ist ebenso wesentlich seine Position oder schlechthin positive Kontinuität mit sich selbst; die Existenz ist die Reflexion des Grundes in sich; seine in seiner Negation zustande gekommene Identität mit sich selbst, also die Vermittlung, die sich mit sich identisch gesetzt hat und dadurch Unmittelbarkeit ist“ (GW 11, 326).

Die Reflexion der Existenz in sich, als Begründendes, sowie in anderes, als Begründetes, legt die interne Vermittlung der Existenz offen, durch die sie Wesen (explanans) oder Grund ist. Existenz als solche zu denken, bedeutet, sie als Zugrundliegendes zu konzipieren, das sich auf etwas bezieht, das explanandum, dem es zugrundeliegt, ohne von diesem verschieden zu sein. In dieser Struktur spiegelt sich die einheitliche Grundbeziehung wider, wie sie im Wesen als Grund und seiner Beziehung zur Erscheinung, der es zugrundeliegt, angelegt ist. Daher besteht die Bedeutung der Existenz für Hegel nicht einfach im unmittelbaren, bestimmungslosen Sein. Vielmehr ist „Existenz negative Einheit“ (GW  11, 326) von Grund und Begründetem, dem Wesen und der Erscheinung. Was derart als Einheit gedacht wird, ist ein „Existierendes“, das heißt ein „Ding“ (GW 11, 326). Es ist damit zunächst das „Ding“, das den Begriff des Wesens als Grund zu erfüllen scheint, denn das, was ist, existiert, sofern es „Ding“ ist. Für Hegel besteht die Aufgabe nun darin, den Begriff des Dinges so zu analysieren, dass aus ihm verständlich wird, inwiefern ein „Ding“ wesentlicher Grund der Existenz von etwas ist und damit erklärt werden kann, wieso das Wesen Grund der Erscheinung ist. Diese Aufgabe verfolgt zunächst der erste Unterabschnitt (A) des ExistenzKapitels. Das Wesen als ein zugrundeliegendes Ding bzw. Ding an sich verstehen zu wollen, dem Eigenschaften und Wechselwirkung zugeschrieben werden, ist jedoch ebenso unzulänglich wie der Versuch des zweiten Unterabschnitts (B), das Ding als bestehend aus Materien zu beschreiben. Wie sich im dritten Unterabschnitt (C) ergibt, löst sich das so verstandene Ding auf und wird zur Erscheinung aufgehoben.

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3 Die Erscheinung Die dem Begriff der Erscheinung in der Wesenslogik zukommende Funktion lässt sich anhand von Hegels grundsätzlicher Argumentationslinie erhellen, derzufolge die Existenz des Einzeldings nicht auf der theoretischen Basis eines reinen Realismus begriffen werden kann. Diese These liegt schon der „Sinnlichen Gewißheit“ der Phänomenologie des Geistes zugrunde. Zunächst behauptet das Bewusstsein das unmittelbare „Sein von äußeren Dingen“ als „absolute Wahrheit“ (GW 9, 69), doch erweist sich dieser direkte Realismus des unmittelbaren Fürwahrhaltens im nachhinein als inkohärent, wie dann im Wahrnehmungs-Kapitel der Phänomenologie die Erörterung des Verhältnisses von Ding und Eigenschaft weiter zeigt. Die Kritik der realistischen Ding-Ontologie in der Phänomenologie hat in der Diskussion des Erscheinungsbegriffs ihre wesenslogische Entsprechung. Es macht daher durchaus Sinn, in den Hegelschen Analysen des gesamten Abschnitts „Die Erscheinung“ den Versuch zu erblicken, die Unzulänglichkeit einer rein realistischen Beschreibung der Existenz eines Dinges zu verdeutlichen. Die Seinslogik nimmt dabei bereits die Erkenntnis vorweg, dass das unmittelbare Sein allein Existenz nicht begreifbar macht. Erst die Reflexion des Seins im Wesen eröffnet den Weg zu einem begrifflich adäquaten Verständnis des konkret Existierenden. Das heißt, dass das Wesen eines Dinges die strukturelle Grundlage dafür abgibt, als was ein Ding erscheint. Da hiermit die Unmittelbarkeit der Existenz nicht mehr besteht, weil Existenz ja auf das Wesen zurückgeführt wird, hat sich damit auch die Theorieoption eines Realismus des unmittelbaren Daseins als nicht gangbar erwiesen.6 „Existenz“ muss nun als „reflektierte Unmittelbarkeit“, also als vermitteltes Unmittelbares, und das heißt für Hegel als „Erscheinung“ begriffen werden, so dass das „Wesen“ unmittelbar an der „Erscheinung“ vorhanden ist. In diesem Sinne definiert Hegel die „Erscheinung“ als „wesentliche Existenz“ (GW 11, 341), als ein Existierendes also, das nicht einfach unmittelbar da ist, sondern einen Grund seines Daseins impliziert. Es sollte klar sein, dass die Bedeutung von „Erscheinung“ in diesem Zusammenhang nicht mit der epistemischen Erscheinung des subjektiven Fürwahrhaltens assoziiert werden darf. Hegel verwendet „Erscheinung“ weiterhin in rein

6 Nach Pinkards (T. Pinkards, Hegel’s Dialectic, a. a. O. (Anm. 3), 60–66) Interpretation, lässt sich der gesamte Abschnitt „Die Erscheinung“ als Argumentation gegen den Realismus (Kants) lesen. Zu Hegels Kritik des Realismus siehe Dietmar H. Heidemann, Der Begriff des Skeptizismus. Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung, Berlin und New York, 280–290.



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ontologischer Bedeutung. Denn es bedarf keiner äußeren Reflexion, um etwas als Erscheinung zu bestimmen. Die äußere Reflexion geht davon aus, dass die Erscheinung die unwahre Existenz des eigentlich wirklichen Dinges bedeutet, dem das unmittelbare, wahre Sein zukommt. Dies ist nach Hegel gerade nicht der Fall, da die Erscheinung sich als reflektierte Existenz und damit selbst als wesentliche, wahre Existenz erweist. Hegel vertritt also nicht die Auffassung, dass die Erscheinung Erscheinung ist, weil ihr ein wahrhaft existierendes Wesen zugrundeliegt, sondern die Erscheinung selbst existiert als Wesentliches. Das Wesen, das zunächst von der Existenz als Erscheinung getrennt gedacht wird, scheint in ihm selbst. Hegel formuliert dies auf enigmatische Weise wie folgt: „es ist die abstrakte Reflexion, die reine Bewegung von nichts zu nichts zu sich selbst zurück“ (GW 11, 341). Dieser nur schwer zu verstehende Satz ist weniger rätselhaft als er auf den ersten Blick zu sein scheint. Denn das existierende, wenn auch noch nicht erscheinende Wesen ist Reflexion und als solches selbst etwas in sich Reflektiertes. Da es sich dabei aber nicht auf eine Erscheinung als Referent der Reflexion bezieht, bezieht es sich „von nichts durch nichts zu sich selbst zurück“. Daher sagt Hegel auch: „Das Wesen scheint zunächst in ihm selbst“ (GW  11, 341). Wird diese rein abstrakte Reflexionsstruktur schließlich durch die Erscheinung als erfüllt gedacht, scheint das Wesen nicht mehr, sondern es erscheint als reflektierte Existenz. Es ist dieser ontologische Erscheinungsbegriff als wesentliche Existenz, den Hegel in drei Unterabschnitten näher untersucht: (A) Das „Gesetzt der Erscheinung“ (explanans) als das im „Wechsel der Erscheinung (explanandum) sich Gleichbleibende“; (B) die Erscheinung selbst als die „erscheinende Welt“ (explanandum) im Gegensatz zu ihrem „Wesentlichen“ als der „an sich seienden Welt“ (explanans); (C) die Erscheinung (explanandum) in ihrem Rückgang in das „Ansichsein“ (explanans) als ihren Grund. Hegel implementiert also auch hier das etablierte ontologische Grundmodell der wesenslogischen Reflexionsstruktur. Deutlich wird die vor allem an der Relation zwischen an sich seiender und erscheinender Welt. Demzufolge begründet eine wesentliche Substruktur, das explanans, die Existenz des konkreten, erscheinenden Daseins, das explanandum, wobei die Relata, wesentliche und erscheinende Welt, für sich jeweils nicht genügen, um reflektiertes Sein zu erfassen. Die Welt der Erscheinung erweist sich als, wenn auch reflektiertes, so doch flüchtiges Dasein, das seine Reflexion in einem Anderen, der wesentlichen Welt, als ihre Grundlage fordert. Aber ebenso büßt die wesentliche Welt ihre Selbständigkeit ein, denn sie existiert gleichfalls nur als in einem Anderen, der erscheinenden Welt, Reflektiertes und nicht unmittelbar. Mit der so erzielten Identität beider Welten erreicht Hegel zwar, dass die eine durch die andere bestimmt ist, unabhängig von einander aber keine von beiden ihr Bestehen hat. Denn dann wären sie die nur „formlose Totalität der Mannigfaltigkeit“ (GW 11,

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352). Dies aber ist nun nicht mehr der Fall, da wesentliche und erscheinende Welt als in der identischen Einheit Unterschiedene das „wesentliche Verhältnis“ konstituieren. Das wesentliche Verhältnis ist es, mit dessen Hilfe abschließend der Versuch unternommen wird, die Beziehung zwischen Wesen und Erscheinung auf den Begriff zu bringen.

4 Das wesentliche Verhältnis Hegel eröffnet die Wesenslogik mit der Generalthese, dass die Wahrheit des Seins das Wesen ist. Wie wir gesehen haben, ergaben die Analysen des Kapitels: „Die Erscheinung“, dass die Wahrheit der Existenz als konkretes Sein die Erscheinung darstellt. Nun genügt sich die Erscheinung jedoch nicht, so dass die Wahrheit der Erscheinung nicht in der Erscheinung selbst liegen kann. Dies ist auch tatsächlich der Fall, denn zu Beginn des dritten Kapitels: „Das wesentliche Verhältnis“ heißt es: „Die Wahrheit der Erscheinung ist das wesentliche Verhältnis.“ (GW 11, 353). Was Hegel meint, geht aus der enzyklopädischen Logik deutlicher hervor als aus der Wissenschaft der Logik: Das „wesentliche Verhältnis [ist] die bestimmte, ganz allgemeine Weise des Erscheinens. Alles, was existiert, steht im Verhältnis, und dies Verhältnis ist das Wahrhafte jeder Existenz.“ (§ 135, Zusatz). Auf der Grundlage der bisher erzielten Ergebnisse unternimmt Hegel im weiteren einen neuen Anlauf, das sich im Wesen bewahrheitende Sein zu erfassen. Dieser erneute Ansatz lässt sich einerseits vom Standpunkt des Gesamtprogramms der Wissenschaft der Logik sowie andererseits von innerhalb der erreichten Analysestufe her verstehen. Vom Standpunkt des Gesamtprogramms aus betrachtet, ist die Wesenslogik die „Sphäre der Vermittlung“ des Begriffs, das heißt des „Begriffs als Sein“ und des „Begriffs als Begriff“. Als „System der Reflexionsbestimmungen“ stellt sie dar, wie das Sein in sich geht, um so das Wesen als seinen Grund zu bestimmen, mit dessen Hilfe es dann zunächst begrifflich expliziert wird (GW  21, 45f). Der Begriff des Wesens leistet jedoch nicht das, was die Logik insgesamt verfolgt, nämlich die vollständige Explikation des Seins im Begriff des Begriffs und damit in Anlehnung an die Struktur des Selbstbewusstseins „daß das an und für sich Seiende gewußter Begriff, der Begriff als solcher aber das an und für sich Seiende ist“ (GW 21, 33). Denn durch den Begriff des Wesens wird das unmittelbare Sein als ein dem Wesen gegenüber selbst noch „Äußer[es]“ (GW 21, 46) zum Ausdruck gebracht, so dass die angestrebte logische, ‚selbstbewusste‘ Einheit des Begriffs damit noch nicht erzielt ist. Dies haben die bisherigen Analysen auch bestätigt. Immer wieder musste



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Hegel in seinen Betrachtungen neu ansetzen, weil sich ergab, dass Wesen und Existenz (Erscheinung) nicht als eine solche Einheit begriffen wurden und weiterer Vermittlung bedurften. – Andererseits aber, vom internen Standpunkt des Abschnitts „Die Erscheinung“ aus betrachtet, zeigt sich konkreter, dass mit dem Erfordernis, das Wesen als entwickelte Begriffsexplikation des Seins einzuführen, die Existenz des Dinges nicht darin aufgeht, unmittelbar Existierendes zu sein. Die Explikation der Existenz eines Einzeldinges bedarf eines ontologischen Konzepts, das die dazu erforderlichen Elemente (Ding, Eigenschaften, usw.) so integriert, dass Existenz als Einheit von Wesen und Erscheinung begreifbar wird. Dabei hat sich die Dualität von explanans (Wesen, Grund, Gesetz, etc.) und explanandum (Ding, Qualitäten, Eigenschaften, Erscheinung etc.) als unhintergehbar erwiesen. Es ist nun die Aufgabe des wesentlichen Verhältnisses, auf dem erreichten Niveau von wesentlicher und unwesentlicher Welt die Beziehung von explanans und explanandum so zu analysieren, dass die Beziehung der Relata das konkrete Dasein des Einzeldinges als wesentliche Existenz begreifbar macht. Hegel legt Wert darauf, dass dem „Inhalt“ des wesentlichen Verhältnisses, die „seiende Unmittelbarkeit“ auf der einen und die „reflektierte Unmittelbarkeit“ auf der anderen Seite, „unmittelbare Selbständigkeit“ zukommt. Der Inhalt ist aber ebenso ein „relativer“, weil er darin besteht, zugleich in sein „Anderes“ reflektiert zu sein und darin eine Einheit zu bilden (GW 11, 353). Damit ergibt sich eine vielversprechende Perspektive. Man könnte versucht sein, das Verhältnis als das gegenüber dem Sein (Existenz) und Wesen „wahrhafte dritte“ zu deuten, als die vollständige begriffliche Vereinigung beider, die als Ziel der Entwicklung reiner Gedankenbestimmungen der Logik definiert ist. Zwar enthält das wesentliche Verhältnis die „Vereinigung beider“, aber nur als immer noch „selbständige Totalitäten“ (GW 11, 354), nicht als wahre Einheit des Begriffs. In der Beziehung selbständiger Relata besteht Hegel zufolge überhaupt die „Form des Verhältnisses“ (GW 11, 353). Genaugenommen macht sich das Verhältnis damit von dieser Beziehung abhängig. Dem ungeachtet ist es selbst ebenso wie seine Relata ein Unmittelbares, noch nicht Reflektiertes und damit noch nicht diejenige Einheit, die der logischen Einheit des Begriffs entspricht. Man kann daher sagen, dass im wesentlichen Verhältnis eine unwesentliche Einheit gedacht wird. Da Hegel beansprucht, hiermit die wesenslogische, reflektierte Beschreibung eines realen Sachverhalts zu liefern, ist allerdings die Frage, wie sich das wesentliche Verhältnis konkret darstellt. Hegel zufolge sind es drei spezifische Arten des Verhältnisses, die das wesentliche Verhältnisse ausmachen: Erstens das Verhältnis des Ganzen und der Teile, zweitens das Verhältnis der Kraft und ihrer Äußerung sowie drittens das Verhältnis des Äußeren und Inneren. Jede dieser drei Arten des Verhältnisses ist insofern an sich unvollkommen. Denn am Ende des Analysedurchgangs zeigt sich, dass sich das wesentliche Verhältnis

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auflöst zugunsten der „Substanz“7, durch deren Begriff die gesuchte „absolute Einheit der unmittelbaren und reflektierten Existenz“ und damit die „Wirklichkeit“ erfasst zu werden scheint. Das heißt im wesentlichen Verhältnis wird die Erscheinung schließlich als identisch mit dem Wesen bestimmt, so dass das Existierende nicht mehr im Modus der Erscheinung, die das Wesen als ihren Grund unterscheidet, sondern als wahre wesentliche Existenz Wirklichkeit ist. Damit ist zugleich die Dualität von Wesen und Erscheinung bzw. von explanans und explanandum als Erklärungsschema aufgehoben.

5 Fazit Ohne hier einen eingehenden Vergleich des Hegelschen Erscheinungsbegriffs der Logik mit einschlägigen alternativen Erscheinungsbegriffen der Tradition angestellt zu haben, dürfte offenkundig sein, dass sich der ontologische Erscheinungsbegriff in grundlegender Weise von denjenigen der Geschichte der Philosophie unterscheidet. Dafür gibt es mehrere Gründe, von denen ich zwei hervorheben möchte: Während die Tradition in der Regel im Begriff des Wesens die subsistierende Natur oder Essenz von etwas erblickt, fasst Hegel das Wesen als den lediglich relativ stabilen Grund oder Kern von etwas auf, der sogar multiplen ontologischen Modifikationen unterliegt. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Erscheinungsbegriff, der, wie gesehen, mit dem Wesensbegriffs auf den unterschiedlichen Niveaus der ontologischen Entwicklung zuletzt eine Einheit eingeht. Den Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung beizubehalten, sie aber zugleich als eins zu denken, ist dabei Hegels systematische Innovation. Der zweite Grund, den ich anführen möchte, liegt in der Natur der Hegelschen Ontologie. Denn für die ontologische Variabilität des Wesens und der Erscheinung kann Hegel nur im Rahmen seiner spezifischen dialektischen Logik bzw. Ontologie argumentieren, die ihm das begriffliche Rüstzeug an die Hand gibt, traditionell fixe ontologische Bestimmungen zu dissoziieren und zu prozessualisieren,

7 Im Hintergrund steht an dieser Stelle der von Dieter Henrich („Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung“, in: Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, hg.  v. D. Henrich, Bonn 1978, 204, vgl. 204–218) als „Grundsatz von Hegels System“ bezeichnete Satz der „Vorrede“ der Phänomenologie des Geistes (Hegel, GW 9, 18) „das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“. Vgl. Dietmar H. Heidemann, „Substance, Subject, System. The justification of science and the history of self-consciousness in Hegel’s Phenomenology of Spirit“, in: Hegel’s Phenomenology of Spirit. A Critical Guide, hg. v. Dean Moyar u. Michael Quante, Cambridge 2008, 1–20.



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so dass es überhaupt möglich ist, die wesenslogische Entwicklung der „Erscheinung“ von der Existenz, Erscheinung selbst und dem wesentlichen Verhältnis zur „Wirklichkeit“ zu durchlaufen. Auch dies ist eine systematische Innovation.8

8 Eine stark erweiterte Fassung dieses Beitrags erscheint in einem von Michael Quante und Anton Friedrich Koch herausgegebenen Kommentarband zur Wissenschaft der Logik (Hamburg 2016).

Jens Halfwassen

Hegel und die negative Theologie1 1 Hegel und die negative Theologie Hegels absolute Metaphysik erhebt den Anspruch auf unüberbietbare systematische Vollendung und abschließende, vollständige Vernunfterkenntnis des Absoluten. Sie erhebt diesen Anspruch ganz ausdrücklich auch in historischer Hinsicht, Hegels geschichtlichem Selbstverständnis als Vollender der Philosophie gemäß.2 Die gesamte Geschichte der Metaphysik soll mit dem vollständigen Bestand ihrer spekulativ relevanten Einsichten in Hegels absoluter Metaphysik positiv aufgehoben sein. Hegels Bestimmung des Absoluten als absolute Subjektivität,3 wie sie systematisch in seiner „Logik des Begriffs“ vollzogen wird, soll also nicht nur die vollendete und systematisch abschließende Bestimmung des Absoluten darstellen, sondern sie soll darüber hinaus die zentralen Gedanken über das Absolute in sich integrieren können, welche die Geschichte der Metaphysik von Parmenides bis zu Fichte und Schelling hervorgebracht hat. Hegels Logik versteht sich also als vollständige positive Erkenntnis des Absoluten in doppelter, nämlich systematischer und historischer Abschlssform; sie intendiert eine als Einheit von Logik, Ontologie und Prinzipientheorie zu verstehende philosophische Theologie, die alle vorhergehende philosophische Theologie in sich integriert. Angesichts dieses Anspruchs gewinnt die Frage besondere Brisanz, wie Hegel sich mit dem Absoluten der negativen Theologie auseinandersetzt. Denn negative Theologie oder auch negative Henologie bestimmt von Platon über Plotin und Proklos bis zu Nikolaus von Kues und darüber hinaus gerade die platonische und neuplatonische Tradition einer Metaphysik des Absoluten, von der

1 Der Beitrag ist zuvor als Kap. XVIII erschienen in Jens Halfwassen, Auf den Spuren des Einen. Studien zur Metaphysik und ihrer Geschichte, Tübingen 2015 (Collegium Metaphysicum 14); der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages Mohr Siebeck. 2 Vgl. dazu Klaus Düsing, Hegel und die Geschichte der Philosophie. Ontologie und Dialektik in Antike und Neuzeit, Darmstadt 1983; sowie ders., Aufhebung der Tradition im dialektischen Denken. Untersuchungen zu Hegels Logik, Ethik und Ästhetik, München 2012. 3 Dazu ist grundlegend Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1995.

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Hegel selbst seit seinen philosophischen Anfängen zutiefst beeinflusst wurde.4 Die negative Theologie erwächst dabei ursprünglich, d. h. im antiken Platonismus nicht aus einer kritischen Beschränkung der Erkenntnismöglichkeiten der menschlichen Vernunft, sondern ihr zentrales Anliegen ist die Transzendenz des Absoluten.5 Wird Transzendenz radikal und konsequent gedacht, wie historisch zuerst von Platon, dann besagt sie nicht, dass die Bestimmung des Absoluten für unsere Vernunft unerkennbar oder unerreichbar sei, sondern vielmehr, dass das Absolute in seiner Transzendenz an sich selbst jenseits aller Bestimmungen liegt. Da Denken und Erkennen immer auf die Bestimmtheit des Zu-Denkenden und Zu-Erkennenden angewiesen sind, entzieht sich das Absolute in seiner Transzendenz nicht nur menschlicher Erkenntnis, sondern jeder Vernunft, auch einer göttlichen und unendlichen. Negative Theologie spricht so verstanden die prinzipielle Inkommensurabilität und Disproportionalität des transzendenten, überseienden und übervernünftigen Absoluten zum Denken überhaupt und in der Totalität seiner Bestimmungen und Erkenntnismöglichkeiten aus. Dieser prinzipiellen Inkommensurabilität gemäß kann sich ein Denken des Absoluten dann nur noch so vollziehen, dass es das Absolute in seiner absoluten Transzendenz aus allen Bestimmungen des Denkens negierend ausgrenzt, also vom Absoluten nichts mehr positiv aussagt, sondern nur alle Bestimmungen des Denkens verneint, die gemäß dem ontologischen Anspruch der Metaphysik zugleich Bestimmungen des

4 Siehe dazu Jens Halfwassen, „Die Bedeutung des spätantiken Platonismus für Hegels Denkentwicklung in Frankfurt und Jena“, in: Hegel-Studien 33 (1998), 85–131; und ders., Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Hamburg 2005. 5 Zu Ursprung und Struktur der negativen Theologie und zur Transzendenz des Absoluten: Vgl. Jens Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, München und Leipzig 2006; ders., Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a. a. O. (Anm. 3), bes. 257–273, 299– 320, 414–431; ders., Plotin und der Neuplatonismus, München 2004, bes. 43–58, 86–97, 156–163; Werner Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt am Main 1979, 339–366; ders., Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt am Main 1985, 130 ff., 286 ff., 342 ff.; ders., Selbsterkenntnis und Erfahrung der Einheit. Plotins Enneade V 3, Frankfurt am Main 1991, 129 ff., 149 ff., 218 f., 222 ff., 250 ff.; Joseph Hochstaffl, Negative Theologie. Ein Versuch zur Vermittlung des patristischen Begriffs, München 1976; Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 2001, 316–357. – Zur Geschichte des Begriffs „Transzendenz“ vgl. Jens Halfwassen, „Transzendenz, Transzendieren“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, hg.  v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Basel und Stuttgart 1999, 1442–1447.



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Seins sind. Für die negative Theologie steht das Absolute darum jenseits des Seins und jenseits des Denkens. Negative Theologie erhebt damit einen prinzipiellen Einspruch gegen jede positive Vernunfterkenntnis des Absoluten, erst recht gegen eine philosophische Theologie wie diejenige Hegels, die das Absolute nicht nur als ein irgendwie positiv Erkennbares, sondern als den sich selbst begreifenden absoluten Begriff und die sich selbst denkende absolute Idee begreift, deren absolute Selbsterkenntnis von unserem dialektischen Denken in systematischer Vollständigkeit, ohne jeden Transzendenz-Überschuss mitvollzogen werden kann. Der Hegelsche Anspruch auf vollständige und erschöpfende Erkenntnis des Absoluten steht somit in dem größten denkbaren Gegensatz zu der Transzendenz des Absoluten über alle Erkenntnis, von der die negative Theologie spricht. Sie bilden allerdings nicht nur einen scharfen Gegensatz, sondern teilen zugleich ein zentrales Anliegen. Mit der negativen Theologie teilt Hegel nämlich die Einsicht, dass keine denkbare Bestimmung in ihrer von anderen Bestimmungen abgrenzbaren und insofern endlichen Besonderheit als solche das Absolute erfassen kann, sondern dass es einer systematisch vollzogenen Entgrenzung des Denkens bedarf, die sich durch die Negation aller besonderen Inhalte vollziehen muss.6 Insofern beansprucht Hegels dialektische Vernunfterkenntnis des Absoluten in seiner alle besonderen Bestimmungen übergreifenden und übersteigenden Unendlichkeit, die negative Theologie als ein konstitutives Moment in sich aufgenommen zu haben, und zwar als dasjenige Moment der entgrenzenden Negativität, ohne welche das Absolute in seiner wahrhaften Unendlichkeit verfehlt und verendlicht würde. Weil Hegels vollständige Vernunfterkenntnis des Absoluten dieses nicht zu einem Inhalt neben anderen verendlichen soll, muss Hegel die negative Theologie in sein eigenes positives Begreifen des Absoluten integrieren können. Die Frage, ob diese Integration Hegel gelingt oder nicht, und das bedeutet genauer, ob und inwieweit er das eigene Anliegen der negativen Theologie aufzunehmen und zu bewahren vermag, ist darum von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob Hegels Vorhaben, das Absolute in seiner wahren Unendlichkeit vollständig positiv zu begreifen, ohne es zu verendlichen, selber gelungen ist.

6 Vgl. zu Struktur und Entwicklungsgeschichte der dialektischen Methode Hegels: Rainer Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen, Hamburg 2001.

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2 N  egative Theologie als Ausdruck absoluter Transzendenz Der Begriff des Absoluten stammt von Platon, und er führt schon Platon zur Grundlegung einer negativen Theologie. Platon prägt im Liniengleichnis der Politeia den Begriff des ἀνυπόθετον, das griechische Äquivalent zum lateinischen absolutum. Das ἀνυπόθετον ist dasjenige, was alles denkende Erkennen des Seienden als dessen ursprünglichste, nicht weiter hintergehbare und selber durch nichts mehr begründbare Voraussetzung ermöglicht und begründet: der absolute, weil „voraussetzungslose“ oder „un-bedingte Ursprung“, der „Urgrund des Ganzen“, die ἀνυπόθετος ἀρχή als ἀρχὴ τοῦ παντός (510 B, 511 B). Philosophisches Denken bestimmt Platon als die Untersuchung der in jedem Begriffsgebrauch implizierten und insofern auch als gültig angenommenen Voraussetzungen (ὑποθέσεις).7 Da Platon sich die These des Parmenides von der Einheit von Denken und Sein zu eigen macht,8 sind die Bedingungen der Denkbarkeit des Seienden für ihn zugleich die Voraussetzungen seines Seins, also seine logischen und ontologischen Prinzipien. Diese Voraussetzungen als solche zu thematisieren und auf ihren Zusammenhang hin zu untersuchen, ist Aufgabe der Dialektik, die für Platon also Prinzipienwissenschaft ist.9 Sie enthüllt den Fundierungszusammenhang der grundlegenden Bestimmungen unseres Denkens, die für Platon an sich selbst seiende Ideen sind. Dieser Zusammenhang der grundlegenden und allgemeinsten Ideen ist nun Platon zufolge in seiner Einheit nur dann einsehbar, wenn er nicht in der Wechselbeziehung allgemeinster Gegensatzverhältnisse wie Ruhe und Bewegung oder Identität und Andersheit aufgeht, sondern an einem Un-bedingten hängt, das an sich selbst keine Beziehung zu einer weiteren, es selbst erst ermöglichenden Bestimmung mehr impliziert: Dieses ἀνυπόθετον ist das Eine, das jede denkbare Bestimmung als solche erst ermöglicht, ohne selbst von irgendeiner anderen Bestimmung ermöglicht zu sein.10 Anders als Grundbestimmungen wie Ruhe und Bewegung, Identität und Andersheit oder Sein und Nichtsein steht allein das Eine nicht mehr in einem Gegensatzverhältnis – denn auch das Viele, das scheinbare Gegenteil des Einen,

7 Vgl. Platon, Phaidon 101 DE; Politeia 511 B ff. 8 Vgl. Parmenides, Fr. 3 Diels-Kranz; Platon, Politeia 477 A. 9 Vgl. Platon, Politeia 511 B ff., 532 A ff., 533 C ff. 10 Vgl. dazu Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen, a. a. O. (Anm. 4), 230 ff.; Hans Joachim Krämer, „Über den Zusammenhang von Prinzipienlehre und Dialektik bei Platon“, in: Das Problem der ungeschriebenen Lehre Platons. Beiträge zum Verständnis der Platonischen Prinzipienphilosophie, hg. v. Jürgen Wippern, Darmstadt 1972, 394–448.



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denken wir notwendig immer schon als Einheit, nämlich als geeinte Vielheit oder als einheitliches Ganzes aus vielen elementaren Einheiten.11 Denn Einheit ist die grundlegende Bedingung von Denkbarkeit überhaupt, also auch der Denkbestimmung der Vielheit. Daraus schließt Platon, dass das wahrhaft und schlechthin Ursprüngliche das Eine ist, das wir in allem Denken immer schon voraussetzen müssen, über das wir im Denken aber niemals hinausgreifen können, weil mit der Aufhebung des Einen das Denken selbst aufgehoben wäre.12 Soll nun das Eine selbst in seiner Absolutheit gedacht werden, so zeigt sich eine Schwierigkeit, die zur Ausbildung einer negativen Theologie oder Henologie zwingt. Denn das Denken bewegt sich immer schon im Zusammenhang seiner allgemeinsten Bestimmungen und insofern in einer Vielheit. Also kann das Eine selbst als das Prinzip der Einheit dieses Zusammenhangs, das selber nicht mehr durch ihn bedingt ist, überhaupt nur noch so gedacht werden, dass Es selbst durch Verneinungen aus diesem Zusammenhang herausgenommen wird. Platon führt das in der ersten Hypothesis seines Spätdialogs Parmenides vor.13 Wird das Eine selbst nur in sich selbst betrachtet, dann weist es als reine Einheit jedwede Bestimmung von sich ab; das Eine selbst steht strikt jenseits aller Bestimmungen, weil jede denkbare Bestimmung es in die Vielheit hineinziehen würde. Man kann darum nichts von ihm aussagen, noch nicht einmal, dass es ist oder dass es Eines ist (141 E), weil es damit bereits eine Zweiheit wäre; die duale Struktur der Prädikation verfehlt prinzipiell die reine Einfachheit des Absoluten. Platon spricht ihm darum nach allen anderen Fundamentalbestimmungen auch Sein, Einssein, Erkennbarkeit und Sagbarkeit ab. Das Absolute ist so verstanden „das Nichts alles dessen, dessen Ursprung Es ist, und zwar in der Weise, daß Es – da nichts von Ihm ausgesagt werden kann, weder Sein noch Wesen noch Leben – das all diesem Transzendente ist“,14 so formuliert Plotin den Sachverhalt durchaus im Sinne Platons, der ja gesagt hatte, das Absolute sei „jenseits des Seins“ (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας).15 Plotin hebt eigens hervor, dass die auf das jenseitige Eine bezogene Verneinung als Transzendenzaussage zu verstehen ist, also nicht bedeutet, dass

11 Vgl. Platon, Parmenides 157 B ff., bes. 157 E – 158 B. 12 Vgl. Platon, Parmenides 165 E ff., 166 C. 13 Vgl. Platon, Parmenides 137 C  – 142 A; Speusipp, Testimonium Platonicum 50 Gaiser; dazu Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen, a. a. O. (Anm. 4), 282 ff., 298–405. 14 Plotin, Enneade III 8, 10, 28–31: ἤ ἐστι μὲν τὸ μηδὲν τούτων ὧν ἐστιν ἀρχή, τοιοῦτο μέντοι, οἷον, μηδενὸς αὐτοῦ κατηγορεῖσθαι δυναμένου, μὴ ὄντος, μὴ οὐσίας, μὴ ζωῆς, τὸ ὑπὲρ πάντα αὐτῶν (Corr. cod. A: ταῦτα) εἶναι. 15 Platon, Politeia 509 B; dazu Hans Joachim Krämer, „ΕΠΕΚΕΙΝΑ ΤΗΣ ΟΥΣΙΑΣ“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 51 (1969), 1–30; ders., Arete bei Platon und Aristoteles. Zum Wesen und zur Geschichte der platonischen Ontologie, Heidelberg 1959, 541 ff.

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dem Absoluten fehlt, was ihm abgesprochen wird, sondern die Transzendenz über das Verneinte meint. Plotin schreibt: „So wie der, welcher die intelligible Wirklichkeit schauen will, keine Vorstellung von etwas Sinnenfälligem in sich haben darf, um das zu erschauen, was jenseits des Sinnenfälligen ist, so wird auch der, welcher das schauen will, was jenseits des Intelligiblen ist, Es nur schauen, wenn er alle Denkbarkeit wegnimmt.“16

Der Sinn der Negation ist also die Aufhebung der Denkbarkeit in das Jenseits der absoluten Transzendenz. In einer eigenen Methodenreflexion unterscheidet auch Proklos die als Transzendenzaussagen verstandenen Verneinungen der negativen Theologie methodisch von anderen Weisen der Verneinung und bestimmt die verschiedenen möglichen Bedeutungen der Negation durch ihr je verschiedenes Verhältnis zu positiven Aussagen:17 Während sich Affirmationen immer auf das Sein, d. h. auf Ideen beziehen, kann das Nichtsein, das die Verneinung aussagt, entweder den Mangel an Sein oder die Andersheit im Bereich des Seins selber oder aber die Transzendenz, das Jenseits des Seins meinen. Bedeutet die Verneinung einen Seinsmangel, so bezieht sie sich auf Unterseiendes, auf Veränderliches und Vergängliches, das hinter der Wesensfülle der Ideen, des wahrhaft Seienden, zurückbleibt, oder gar auf gänzlich Nichtiges wie die Materie und ist dann als privative Negation der entsprechenden Affirmation in ihrem semantischen Gehalt unterlegen. Bedeutet die Negation dagegen die Verschiedenheit eines Seienden von anderem Seienden, also z. B. der Ruhe von der Bewegung, so bezieht sie sich auf wahrhaft Seiendes, also auf Ideen, und ist dann als relationale oder andersheitliche Negation einer positiven Aussage an semantischem Gehalt gleichrangig, weil sie wie diese ein Ideenverhältnis ausdrückt. Bedeutet sie aber das Übersein der Transzendenz, so bezieht sie sich auf das positiv unsagbare Absolute und ist als transzendierende Negation allen positiven Aussagen überlegen; sie intendiert dann die positiv unaussagbare Überfülle des Einen selbst, indem sie dieses aus allem Sein herausnimmt. Die so verstandene Negation spricht dem Absoluten ab, worüber es erhaben ist, was aber in ihm gründet. Die negative Transzendenzbe-

16 Plotin, Enneade V 5, 6, 17–20: „ἀλλ᾽ ὥσπερ τὴν νοητὴν φύσιν βουλόμενος ἰδεῖν οὐδεμίαν φαντασίαν αἰσθητοῦ ἔχων θεάσεται ὅ ἐστιν ἐπέκεινα τοῦ αἰσθητοῦ, οὕτω καὶ ὁ θεάσασθαι θέλων τὸ ἐπέκεινα τοῦ νοητοῦ τὸ νοητὸν πᾶν ἀφεὶς θεάσεται.“ 17 Vgl. Proklos, In Parm. 1072, 19–1074, 21 Cousin und In Parm. VII 44, 13–46, 18 Klibansky und Steel, 503, 37  ff.; vgl. auch Theol. Plat. II 5, 38, 13  ff. und II 10, 63, 8  ff. Saffrey-Westerink; In Rempubl. II 375, 5 ff. Kroll; dazu Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a. a. O. (Anm. 3), 319 f., 416 ff.



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hauptung steht darum für Proklos über dem Gegensatz von Bejahung und Verneinung (im Sinne der privativen oder relationalen Negation), während Affirmation und privative Negation einen kontradiktorischen, Affirmation und relationale Negation einen konträren Gegensatz bilden. Ferner haben privative und relationale Negationen kategoriale Bedeutung, sie bestimmen also das, von dem sie ausgesagt werden, wenigstens in dem, was es nicht ist, während transzendierende Negationen in rein semantischer oder endeiktischer Bedeutung zurückgehalten sind und daher keinen eigentlichen Aussagecharakter mehr haben; sie bestimmen nicht das Absolute in dem, was es ist oder nicht ist, sondern weisen das Denken vielmehr über alle Bestimmtheit hinaus auf die reine Transzendenz jenseits von Sein und Nichtsein.18

3 D  ie Selbstaufhebung der negativen Theologie bei Hegel Hegels Auseinandersetzung mit der negativen Theologie ist von zentraler Bedeutung für sein Vorhaben, den Begriff, die denkende Selbstbeziehung der Subjektivität, selbst als die Wahrheit des Absoluten zu begreifen. Sie findet sich freilich nicht in der „Logik des Begriffs“ selbst, sondern unmittelbar davor am Ende der Wesenslogik in dem Kapitel „Das Absolute“. (GW  11, 370 ff) Die Kategorie des Absoluten ist für Hegel die höchste Kategorie des Wesens, das sich in ihr vollendet. Das Wesen vollendet sich im Absoluten in der Weise, dass im Absoluten alle Bestimmungen des Seins und des Wesens, denen noch Endlichkeit anhaftet  – und dies sind für Hegel alle dem Absoluten systematisch vorangehenden Bestimmungen überhaupt –, aufgehoben werden in die unendliche und absolute Einheit des Absoluten. Die Vollendung des Wesens im Absoluten erfolgt also in Gestalt einer negativen Theologie, die Hegel in diesem Kapitel selbst entwickelt. Damit nimmt er die negative Theologie des Platonismus auf und gesteht zu, dass der negativ-theologische Leitgedanke vom Absoluten als bestimmungsloser absoluter Einheit der höchste Gedanke vom Absoluten ist, bevor dieses als absoluter, sich selbst begreifender Begriff und somit als absolute Subjektivität gedacht werden kann. Dies entspricht Hegels Hochschätzung der Henologie von Plotin und Proklos,19 mit der er Spinozas Lehre von der Einen, absoluten und

18 Vgl. Proklos, Theol. Plat. II 5, 39, 6 Saffrey-Westerink; In Parm. 1110, 6 Cousin; ebenso Plotin, Enneade V 5, 6, 25. 32; VI 7, 38, 4–5; VI 9, 5, 38 ff.; V 3, 11, 24–25. 19 Auf sie ist deutlich angespielt (Hegel, GW 11, 378). Hegel hatte in seiner Frankfurter Zeit sel-

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unendlichen Substanz als ihr vermeintliches neuzeitliches Pendant in Verbindung bringt20 – beide Positionen sind für Hegel darin vergleichbar, dass sie das Absolute als absolute Einheit denken, die absoluter Grund aller Bestimmungen ist, selbst aber von diesen Bestimmungen abgehoben wird und insofern an sich selbst unbestimmbar ist. Den systematisch entscheidenden Übergang vom negativ-theologischen Begriff des Absoluten als absoluter Einheit jenseits aller Bestimmungen zum positiv-theologischen Begriff des Absoluten als absoluter Subjektivität entwickelt Hegel in der Figur einer Selbstaufhebung der negativen Theologie. Diese vollzieht sich in dem Kapitel „Das Absolute“ in dem Dreischritt von „Auslegung des Absoluten“, „Attribut“ und „Modus“.21 Sie soll die in der negativen Theologie vollzogene Entgrenzung des Absoluten durch seine Befreiung von allen Bestimmungen der Endlichkeit bewahren, zugleich aber über die Negativität der rein negativen Theologie hinausführen zum Gedanken eines sich auf sich selbst beziehenden Absoluten, das eben in seiner absoluten Selbstbeziehung der sich selbst begreifende Begriff ist. Hegel beansprucht damit, die negative Theologie in aller Konsequenz aufzunehmen und bis zu ihrer immanenten Selbstaufhebung durchzuführen. Hegel fasst das Absolute als die einfache Einheit des Seins und des Wesens. In ihr sind alle Kategorien des Seins und des Wesens „aufgelöst“, weil sie „in der einfachen gediegenen Identität des Absoluten“ ununterscheidbar sind, so dass sie nicht mehr vom Absoluten als dessen Bestimmungen prädiziert werden können: sie müssen ihm vielmehr abgesprochen werden. (GW  11, 370–371) Alle Bestimmungen sind  – wie Hegel mit einer ihm wohlvertrauten Wendung der Valentinianischen Gnosis sagt – in dem „Abgrund“22 der absoluten Einheit versenkt worden. So kann Hegel sagen: „Aber das Absolute selbst ist die absolute Identität; dies ist seine Bestimmung, indem alle Mannigfaltigkeit der ansichseien-

ber eine Variante der negativen Theologie vertreten, die sich freilich eher am Mittelplatonismus orientierte als an Plotin oder Proklos, siehe dazu Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a. a. O. (Anm. 3), 46 ff., 62 ff.; ders., „Die Bedeutung des spätantiken Platonismus für Hegels Denkentwicklung in Frankfurt und Jena“, a. a. O. (Anm. 3), 90 ff., 104 ff. 20 Vgl. dazu André Doz, La Logique de Hegel et les problèmes traditionnelles de l’ontologie, Paris 1987, 131 ff. 21 Vgl. zum Folgenden Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a. a. O. (Anm. 3), 307–320; ferner Klaus Düsing, „Vernunfteinheit und unvordenkliches Daßsein. Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel“, in: ders., Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 181–207, bes. 192 ff. 22 Hegel, GW 11, 372. Vgl. dazu GW 17, 228 f.; ferner TWA 19, 429, 527; TWA 17, 238.



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den und der erscheinenden Welt oder der innerlichen und äußerlichen Totalität in ihm aufgehoben ist.“ (GW 11, 371) Deshalb ist auch die Bestimmung des Absoluten als absolute Identität eine Bestimmung, die selber keine Bestimmung ist, sondern recht verstanden die Negation aller Bestimmtheit bedeutet: „Insofern fällt das Bestimmen dessen, was das Absolute sei, negativ aus und das Absolute selbst erscheint nur als die Negation aller Prädikate und als das Leere.“ (GW 11, 370) Wie Platon und die Neuplatoniker geht Hegel also davon aus, dass die reine Einheit jedwede Bestimmung von sich abweist. Diese negative Auslegung des Absoluten durch die Versenkung aller Bestimmungen im Abgrund seiner Bestimmungslosigkeit aber bleibt ein dem Absoluten selbst äußerliches Tun, indem sie die vielfältigen Bestimmungen des Seins und des Wesens nur aufnimmt, um sie im Abgrund des Absoluten zu versenken: „Sie ist das Jenseits der mannigfaltigen Unterschiede und Bestimmungen und deren Bewegung, welches dem Absoluten im Rücken liegt.“ (GW 11, 371) Die Auslegung des Absoluten hat aber insofern eine positive Seite, als sie die Bestimmungen, die sie durch Negation vom Absoluten fernhält, eben dadurch auf das Absolute bezieht, in dessen Abgrund sie zugrunde – und d. h. in ihren Grund zurück – gehen. Die Bestimmungen, die in der Bestimmungslosigkeit des Absoluten versenkt werden, sind von ihnen selbst her auf das Absolute bezogen, das ihr Grund und Abgrund zugleich ist, denn das Absolute als ihre „indifferente Identität“ (GW 11, 375) hat sich aus dem vorausgehenden Ganzen der Seins- und Wesensbestimmungen mit immanenter Notwendigkeit ergeben. Diese Positivität betrifft aber nicht das Absolute selbst, den Abgrund aller Bestimmtheit, sondern nur die in ihm versenkten Bestimmungen, „daß sie nämlich das Absolute zu ihrem Abgrund, aber auch zu ihrem Grunde haben oder daß das, was ihnen, dem Schein, ein Bestehen gibt, das Absolute selbst ist.“ (GW 11, 372) Indem die positive Auslegung die Bestimmungen des Seins und des Wesens, die im Abgrund der absoluten Einheit versenkt werden, zunächst in ihrer Vielheit und Unterschiedenheit betrachtet, um sie daraufhin dem Absoluten selbst abzusprechen, hält sie jene Bestimmungen und das in ihnen gedachte Endliche vor seinem „Verschwinden“ auf und denkt es als „Ausdruck und Abbild des Absoluten“. (GW 11, 372) Das Abbild ist durchsichtig auf das Urbild hin, das in ihm erscheint. Der Schein des Absoluten aber ist gerade kein Bild, in dem etwas erscheint, sondern was in ihm scheint, ist vielmehr der alle Bestimmtheit und darum auch alles Erscheinen verzehrende Abgrund des bestimmungslosen Absoluten: das Endliche kann sich darum gegen die Bestimmungslosigkeit des Absoluten nicht halten, sondern es „endigt in gänzliches Verschwinden […] es ist ein Medium, das von dem, was durch es scheint, absorbiert wird.“ (GW 11, 372) Damit aber ist für Hegel der entscheidende Wendepunkt erreicht, an dem über die Negativität der nur negativen Theologie hinausgegangen werden muss.

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Der Gang der negativen Theologie von den Bestimmungen als Schein zu der sie verzehrenden Bestimmungslosigkeit des Absoluten erscheint zunächst als ein Tun, das dem Absoluten selbst äußerlich bleibt. Die absolute Indifferenz ist nur das Ziel, auf das die negative Dialektik mit ihrem Verneinen aller Bestimmungen zugeht, sie ist aber nicht selbst der Ausgangspunkt dieser verneinenden Bewegung; dieser ist vielmehr das Endliche in der Mannigfaltigkeit und Unterschiedenheit seiner Bestimmungen, die verneint werden. Die Bewegung der negativen Theologie erscheint so als Weg vom Endlichen zum Absoluten und Unendlichen. Ein Absolutes, „bei welchem nur angekommen wird“, ist aber für Hegel einseitig und darum gar nicht das wahrhaft Absolute oder  – wie Hegel hier sagt  – „das Absolut-Absolute“. (GW 11, 372) – Hegel setzt dabei voraus, dass das Absolute allumfassend sein, also Totalitätscharakter haben muss, weil es sonst nicht wahrhaft unendlich wäre. Wahrhaft unendlich ist das Absolute nämlich nur dann, wenn sich ihm nichts als ein Anderes entgegensetzen lässt, an dem es seine Grenze fände und durch das es so verendlicht würde. Das Absolute ist darum für Hegel nicht das Eine selbst wie für den Platonismus, sondern das All-Eine. Unter der Voraussetzung der All-Einheit des Absoluten kann aber die Negation aller Prädikate ihm selber nicht äußerlich sein. Und zwar ist die positive Auslegung, die das Endliche in seinen Bestimmungen vor seinem Verschwinden im Abgrund des Absoluten aufhält und als Schein oder als Bild des Absoluten denkt, ein Scheinen des Absoluten in sich selbst, „denn das wahrhaft Positive, was sie und der ausgelegte Inhalt enthält, ist das Absolute selbst“. (GW 11, 372) Denn als Schein des Absoluten ist der Inhalt der endlichen Bestimmungen auf den Abgrund der absoluten Einheit hin durchsichtig, gegen die er für sich selbst keinen Unterschied behalten kann, weil er alles, was er ist, nur dem Absoluten verdankt. Wenn somit die Positivität des Endlichen in der Vielheit und Unterschiedenheit seiner Bestimmungen nur ein Scheinen des Absoluten in sich selbst ist, dann ist notwendig auch die Aufhebung dieser Positivität und das Versenken der positiven Bestimmungen im bestimmungslosen Abgrund der absoluten Einheit die eigene Tätigkeit des Absoluten selbst, „das bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt“. (GW 11, 372) Durch diese Tätigkeit entzweit sich das Absolute in sich selbst und bestimmt eben dadurch sich selbst. Denn die Entgegensetzung des Absoluten der negativen Theologie, der indifferenten absoluten Einheit, gegen die positiven Bestimmungen des Endlichen, die in ihrem Abgrund versenkt werden, vollzieht sich nun in Wahrheit im Absoluten selber und als dessen eigenes absolutes Tun. Und dabei ist die absolute Indifferenz als der Abgrund, in dem alle Bestimmungen untergehen, „durch die Reflexion so gesetzt gegen die Entgegensetzung und Mannigfaltigkeit“ des Endlichen, „oder es ist nur das Negative der Reflexion und des Bestimmens überhaupt“; damit aber ist das nur negativ bestimmte Absolute „das Absolute



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in einer Bestimmtheit, oder es ist Attribut“. (GW  11, 372)  – Hegel setzt hierbei seine Methode der bestimmten Negation voraus: Durch die Entgegensetzung der vielfältigen Bestimmungen des Endlichen gegen das Absolute wird dieses selber bestimmt, d. h. es wird durch die Negation mit bestimmter Bedeutung erfüllt. Die Aufhebung aller Bestimmungen im Abgrund der „indifferenten Identität“ (GW 11, 375) erfüllt diese selber mit negativer Bestimmtheit, nämlich die Aufhebung der Bestimmungen des Endlichen zu sein. Diese Entgegensetzung zwischen den endlichen Bestimmungen des Mannigfaltigen und der sie aufhebenden indifferenten Identität „erscheint als der formellste Widerspruch“; (GW 11, 370) dieser Widerspruch aber ist die dem Absoluten selbst immanente Negativität, durch die es sich mit Bestimmtheit erfüllt. Im absoluten Attribut wird das Absolute nun gedacht als die indifferente absolute Identität und als Bestimmtheit, die aber in der absoluten Identität wieder aufgelöst wird, da sie sich gegen diese nicht halten kann. Das Absolute nimmt also seine Entzweiung in sich zugleich wieder zurück in die indifferente Einheit, die aber eben dadurch bestimmt wird, dass sie die Selbstentzweiung des Absoluten und die in dieser der indifferenten absoluten Identität entgegengesetzten Bestimmungen des Mannigfaltigen als aufgehobene in sich enthält: „Aber weil die absolute Identität nur diese Bedeutung hat, nicht nur daß alle Bestimmungen aufgehoben sind, sondern daß sie auch die Reflexion ist, die sich selbst aufgehoben hat, so sind an ihr alle Bestimmungen gesetzt als aufgehobene.“ (GW 11, 373) Im Attribut werden somit zwei Momente gedacht: „erstlich das Absolute in der einfachen Identität mit sich“; das zweite Moment ist „das Negative als Negatives, die dem Absoluten äußerliche Reflexion“, also das Setzen und Aufheben der Bestimmungen des Endlichen und Mannigfaltigen, das der absoluten Indifferenz äußerlich ist. (GW 11, 374) Dieses zweite Moment ist aber „ein an sich selbst Nichtiges, ein äußerlicher Schein“, der sich durch die Auslegung des Absoluten durch das Attribut ergibt, der sich aber durch sich selbst wieder aufhebt; denn indem diese Auslegung „das Endliche in seiner Schranke nicht als ein an und für sich Seiendes nimmt, sondern sein Bestehen in das Absolute auflöst […] versenkt [sie] dasselbe und ihr unterscheidendes Tun in das einfache Absolute“. Damit aber ist das Absolute immer noch das Absolute der negativen Theologie und die Reflexion „nicht aus ihrer Äußerlichkeit heraus und zum wahrhaften Absoluten gekommen“. (GW 11, 374) Das zweite im absoluten Attribut gedachte Moment, das Negative als Negatives, muss nun als der Modus des Absoluten gedacht werden – d. h. als seine „bloße Art und Weise zu sein“ (GW 11, 374) –, den das Absolute selbst setzt. Indem es nun die eigene Bestimmung des Absoluten ist, „sich als Modus zu setzen, so ist er das Außersichsein des Absoluten, […] sein Übergegangensein ins Entgegengesetzte ohne Rückkehr in sich: die totalitätslose Mannigfaltigkeit der Form und

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Inhaltsbestimmungen.“ (GW 11, 374) Der Modus ist so der Hervorgang der absoluten Einheit in die Vielheit; diese aber ist selbst nur der Schein des Absoluten, den dieses selber setzt und in dem nur das Absolute selbst scheint, so dass es in ihm zugleich in sich selbst zurückkehrt. Indem aber im Schein des Absoluten nur dieses selbst scheint, hebt es die Negativität der Entgegensetzung zwischen der bestimmungslosen indifferenten Einheit und ihrem Außersichsein in der „totalitätslosen Mannigfaltigkeit“ der Bestimmungen des Endlichen auf und ist so als „sich auf sich beziehende Negativität, als Scheinen, das als Scheinen gesetzt ist“, (GW 11, 375) d. h. aber als Negation der Negativität allererst positive Identität mit sich. Diese Identität des Absoluten mit sich ist nicht mehr die bloß negativ bestimmte „erste indifferente Identität“, (GW 11, 375) sondern positive, selbsttätige Beziehung des Absoluten auf sich selbst. Der gesamte Vorgang der Auslegung des Absoluten in sich selbst, in Attribut und Modus ist somit das eigene Tun des Absoluten als die „reflektierende Bewegung selbst, als welche das Absolute nur wahrhaft die absolute Identität ist“. (GW 11, 375) Die vom Absoluten selbst vollzogene Bewegung seiner Auslegung ist damit ein Bestimmen, „aber nicht wodurch es ein Anderes würde, sondern nur dessen, was es schon ist, die durchsichtige Äußerlichkeit, welche das Zeigen seiner selbst ist, eine Bewegung aus sich heraus, aber so, daß dieses Sein-nach-Außen ebensosehr die Innerlichkeit selbst ist.“ (GW  11, 375) Das positive Wesen des Absoluten besteht daher darin, „sich zu manifestieren“: (GW 11, 375) es ist reines Sich-Zeigen, das aus seiner eigenen Mächtigkeit alle Bestimmungen des Endlichen setzt und aufhebt, in denen es sich als die Macht (δύναμις) zeigt, diese Bestimmungen zu setzen und wieder aufzuheben; es manifestiert sich als die Macht des Setzens und Aufhebens aller Bestimmungen nicht in einem Anderen, sondern nur in sich selbst und für sich selbst „als absolutes sich für sich selbst Manifestieren“. (GW 11, 375) Die damit erreichte positive Selbstbestimmung des Absoluten wird nun von Hegel in der weiteren Kategorienentwicklung in immer komplexere und inhaltsreichere Bestimmungen weiter entfaltet, und zwar zunächst zum Substantialitätsverhältnis, in dem das um die Modalbestimmungen bereicherte Absolute als die absolute Macht gedacht wird, die im Setzen und Aufheben ihrer Akzidentien in sich Negativität entwickelt, sich in sich selbst unterscheidet, was für das Selbstbewusstsein konstitutiv ist.23 Diese sich in immanenter Negativität in sich selbst unterscheidende und zugleich in sich einige absolute Macht entfaltet sich schließlich zu einem Totalitätsverhältnis, in dem sich das Absolute als absolute, in sich selbst relationale Totalität nur auf sich selbst bezieht, womit für Hegel die

23 Vgl. dazu und zum Folgenden Rüdiger Bubner, „Hegels Logik des Begriffs“, in: ders., Zur Sache der Dialektik, Stuttgart 1980, 70–123, spez. 82 ff.



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intellektuelle Selbstbeziehung des Begriffs erreicht ist, die ihrerseits ihre höchste Entfaltung in der absoluten Idee als der höchsten Kategorie und vollendeten positiven Bestimmung des Absoluten hat.

4 All-Einheit und absolute Transzendenz Was Hegel vorführt, ist die Selbstaufhebung einer konsequent vollzogenen negativen Theologie in positive Selbstbeziehung und Selbstbestimmung. Der verborgene Gott der negativen Theologie, das bestimmungslose Eine, die absolute Indifferenz, erweist sich selbst als Sich-Zeigen, als freie Manifestation seiner selbst, also als Deus revelatus bzw. Deus revelans. Die Frage ist nun, was Hegels Argumentation leistet und ob sie geeignet ist, das eigene Anliegen der negativen Theologie, die reine Transzendenz des Absoluten, positiv aufzuheben, also zugleich zu bewahren und in die Positivität der Selbstbestimmung des Absoluten zu überführen. Zunächst ist festzuhalten, dass Hegels Überwindung der negativen Theologie sich auf deren begriffliches Verfahren wirklich einlässt und insofern immanent erfolgt, die negative Theologie also nicht bloß von außen kritisiert. Gleichwohl gelingt diese Überwindung nicht voraussetzungslos und sie kommt auch nicht mit den Voraussetzungen aus, die die negative Theologie selber schon macht, sondern die Überwindung gelingt nur durch drei ganz spezifische Voraussetzungen, die Hegel ins Spiel bringt und die mit den eigenen Voraussetzungen der negativen Theologie unvereinbar sind. Hegel setzt in seiner Argumentation erstens, wie erwähnt, seinen eigenen Grundgedanken voraus, das Absolute müsse als die allumfassende Einheit der Totalität gedacht werden, der nichts äußerlich sein kann; für die Gültigkeit seiner Argumentation sind ferner zweitens die Methode der bestimmten Negation und drittens die positive Bedeutung der Negation der Negation als absolute Affirmation konstitutiv. Alle drei Voraussetzungen sind für Hegels Selbstaufhebung der negativen Theologie unverzichtbar. Und alle drei sind unvereinbar mit der reinen Transzendenz des Absoluten in der negativen Theologie Platons und der Neuplatoniker. Für Platon und die Neuplatoniker nämlich ist das Absolute nicht All-Einheit, sondern absolute Transzendenz, nicht allumfassend, sondern jenseits von allem (ἐπέκεινα πάντων).24 Das Eine selbst hat gerade keinen Totalitätscharakter wie

24 Plotin, Enneade V 1, 6, 13; V 3, 13, 2; V 4, 2, 39–40; vgl. auch V 5, 6, 8–11; I 7, 1, 19 ff.; III 8, 9, 53 f.; 10, 30 f.; VI 8, 1, 9; VI 7, 37, 30; V 5, 12, 48–50. Dazu Gerhard Huber, Das Sein und das Abso-

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das Absolute Hegels und Spinozas. Darum kann es auch nicht mit seinen Prinzipiaten in die gemeinsame Sphäre einer beide, das Absolute und seine Prinzipiate, umfassenden Totalität gefasst werden, die erst das wahrhaft Absolute wäre. Absolute Transzendenz wird überhaupt nur dann gedacht, wenn das Transzendente mit dem, was es transzendiert, nicht mehr in eine gemeinsame höhere Einheit zusammengefasst werden kann. Absolute oder reine Transzendenz meint gerade kein graduelles Höhersein innerhalb eines Übersteigendes und Überstiegenes gemeinsam umfassenden All-Ganzen, sondern das Jenseits dieses allumfassenden Ganzen,25 eine radikale Jenseitigkeit, die selbst nicht mehr zu einem Diesseits werden kann, indem man ein größeres Ganzes in den Blick nimmt, das diese und jene Seite umfasst, sondern das, was „aus jeder Ganzheit herausgenommen ist und sie transzendiert“.26 Deshalb wird das jenseitige Eine dadurch, dass ihm alle Bestimmungen des Seins und des Denkens abgesprochen werden, auch nicht beschränkt, so dass ihm das Sein in der Vielheit seiner Bestimmungen gegenüberstünde als das Andere seiner, an dem das Eine selber seine Grenze fände.27 Eine solche Entgegensetzung des Prinzips und seiner Prinzipiate lässt sich nämlich nur innerhalb eines beide umfassenden Totalitätshorizonts vornehmen, das Eine ist aber durch seine Transzendenz aus jedem Totalitätshorizont herausgenommen. Kraft seiner Transzendenz ist das Absolute jeder Beziehung zu seinen Prinzipiaten entnommen, kann ihnen also auch nicht entgegengesetzt werden.28 Hegels Aufweis der Einseitigkeit des Absoluten der negativen Theologie, bei dem nur angekommen wird, und das darum um die andere Seite, von der ausgegangen wird, ergänzt werden muss, verfehlt somit prinzipiell die reine Transzendenz des Absoluten, um die es der negativen Theologie Platons und des Platonismus ganz wesentlich zu tun ist.

lute. Studien zur Geschichte der ontologischen Problematik in der spätantiken Philosophie, Basel 1955, 58 ff.; Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen, a. a. O. (Anm. 4), 65 ff., 81–97; ders., Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a. a. O. (Anm. 3), 266 ff., 282 ff. 25 Vgl. z. B. Proklos, Theol. Plat. II 5, 39, 9 ff. Saffrey-Westerink; In Parm. 1070, 28 ff., 1107, 32 ff. Cousin; Damaskios, De principiis II, 2, 1 ff. Westerink. 26 Proklos, In Parm. 1107, 32–33 Cousin. 27 Vgl. z. B. Plotin, Enneade V 5, 11, 1–4. 28 Für Platon, Plotin und Proklos ist das Eine selbst in seiner reinen Transzendenz an sich selbst darum nicht einmal Prinzip, sondern Prinzip, Ursprung oder Urgrund ist es nur in einem uneigentlichen Sinne von seinen Prinzipiaten aus gesehen und für diese: Speusipp, Test. Plat. 50 Gaiser; Plotin, Enneade VI 9, 3, 49 ff.; VI 8, 8, 9; Proklos, In Parm. 1115, 36–1116, 12. 1123, 37. 1124, 12 ff. Cousin; Theol. Plat. II 5, 39, 20 ff. Saffrey-Westerink. Dazu Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen, a. a. O. (Anm. 4), 107 ff., 282 ff.



Hegel und die negative Theologie 

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Hegel bestimmt ferner die Bedeutung der auf das Absolute bezogenen Negationen prinzipiell anders als Plotin und Proklos. Was Hegel zufolge in den Negationen der negativen Theologie gedacht wird, ist die Bestimmungslosigkeit des Absoluten, diese aber gerade nicht als positiv unsagbare Überfülle und Tran­ szendenz über alle Bestimmtheit verstanden, sondern – ganz im Gegenteil – „als das Leere“. (GW 11, 370) Die Negation wird damit ihrer Bedeutung als Transzendenzaussage entkleidet und  – mindestens tendenziell  – privativ genommen. Zwar unterscheidet auch Hegel verschiedene Bedeutungen der Negation, unter denen Andersheit und Privation vorkommen, nicht aber die transzendierende Negation.29 So versteht Hegel die in der Verneinung vollzogene Aufhebung von Bestimmtheit einfach als Unbestimmtheit und nicht als Transzendenz. Die Bestimmung der Unbestimmtheit, in der die negative Theologie überwunden wird, erfolgt dann durch die Methode der bestimmten Negation, und diese fasst das Verhältnis zwischen einer positiven Bestimmtheit und der sie aufhebenden Negation durchgehend als wechselseitige Andersheit auf, das Nichtsein als das vom Sein Verschiedene, das eben durch seine Verschiedenheit selber ein Bestimmtes ist. Die negative Transzendenzaussage, die das Nichtsein des Absoluten nicht als Verschiedenheit innerhalb eines die Entgegensetzung von Sein und Nichtsein umfassenden Totalitätshorizonts auffasst, sondern als das Übersein der Transzendenz, jenseits des Gegensatzes von Sein und Nichtsein, bleibt völlig außerhalb von Hegels Horizont. Solche transzendierende Negation ist aber die einzige Bedeutung der Verneinung, in der Plotin und Proklos die auf das Eine selbst bezogenen Negationen verstanden wissen wollen.30 Drittens bleiben Plotins ἔκστασις und Proklos’ ὑπεραπόφασις bei Hegel unberücksichtigt.31 Die Selbstaufhebung der negativen Theologie in die Positivität der Selbstbeziehung des Absoluten kommt bei Hegel durch eine Negation der Negation zustande. Die Entgegensetzung zwischen dem Absoluten und den Bestimmungen der Vielheit bildet als „Widerspruch“ zwischen Bestimmungslosigkeit und Bestimmtheit eine Negation, die sich selbst negiert, weil die Bestimmungen selber nur der Schein des Absoluten sind, so dass sie sich als dem Absoluten entgegengesetzte nicht halten können; diese Negation der Negativität des Unterschieds von bestimmungslosem Absoluten und Bestimmungen ist für Hegel selber absolute Affirmation. Dagegen vollzieht der Neuplatonismus eine Negation der Negation (ὑπεραπόφασις) ganz anderer Art. Weil das Eine selbst alle

29 Vgl. dazu Dieter Henrich, „Formen der Negation in Hegels Logik“, in: Hegel-Jahrbuch (1974), 245–256; ders., Hegel im Kontext, Berlin 2010, 145 ff. 30 Vgl. z. B. Proklos, Theol. Plat. II 10, 63, 13–20 Saffrey-Westerink; ebenso Plotin, Enneade V 5, 6. 31 Vgl. Plotin, Enneade VI 9, 11, 23; Proklos, In Parm. 1172, 35 Cousin.

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Denkbarkeit und Sagbarkeit transzendiert, darum bleiben ihm auch die Negationen unangemessen, insofern in ihnen immer noch etwas gedacht wird, wenn auch nicht das Eine selbst, sondern nur das, jenseits dessen das Eine ist. Darum müssen Proklos zufolge auch die Negationen selber wieder verneint werden.32 Diese Verneinung aller Verneinungen und des Verneinens selbst ist aber keine Affirmation, sondern die Selbstaufhebung des die Verneinungen vollziehenden Denkens selber. Indem die Negationen alle denkbaren Bestimmungen, also allen Gehalt des Denkens, aufheben, muss sich auch das Denken selber, das sich in ihrem Vollzug allen Inhalt wegnimmt, als Denken aufheben, indem es nach allen Denkinhalten zuletzt auch den reinen Denkvollzug des Verneinens selber verneint. Diese Selbstaufhebung des verneinenden Denkens ist als ein Akt des Transzendierens der Selbstüberstieg des Denkens auf das Jenseits allen Denkens hin: die unterschiedslose Einung mit dem Absoluten in der ἔκστασις, in der das Denken aus sich selbst herausgetreten ist, sich selbst als Denken also verlassen hat. Das absolute Eine Plotins und Proklos’, aber auch schon Platons, ist gar kein Absolutes, bei dem das verneinende Denken ankommt, wie Hegel meint, sondern reine Transzendenz, zu der das Denken gar nicht kommt, solange es Denken bleibt und nicht sich selbst in der ἔκστασις transzendiert.33

5 D  as Absolute als negativer Selbstbezug: Eriugena und Cusanus Hegels Auseinandersetzung mit der negativen Theologie bleibt somit der philosophisch stärksten Version negativer Theologie bei Plotin und Proklos prinzipiell unangemessen, denn sie verfehlt vollkommen das, worum es der Platonischen und neuplatonischen negativen Theologie eigentlich geht: die reine Transzendenz des Absoluten. Gleichwohl gibt es innerhalb der neuplatonischen Tradition der negativen Theologie selber Überlegungen, die Hegel entgegenkommen und zentrale Aspekte seiner Selbstaufhebung der negativen Theologie vorwegnehmen.

32 Vgl. Proklos, In Parm. VII 70, 5–76, 7 Klibansky / 518, 72–521, 69 Steel; Theol. Plat. II 10, 63, 20 ff. Saffrey-Westerink. Dazu Beierwaltes, Proklos, a. a. O. (Anm. 4), 361–366. Zu Hegels Umdeutung der Proklischen Negation der Negation Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus, a. a. O. (Anm. 3), 425–431. – Vorbereitet ist die Negation der Negation bei Platon, Parmenides 142 A und bei Plotin, Enneade V 3, 14; V 5, 6; VI 8, 8. 33 Vgl. Plotin, Enneade VI 9, 11; vgl. auch Proklos, Theol. Plat. II 11.



Hegel und die negative Theologie 

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Den für Hegel entscheidenden Gedanken, dass die in der negativen Auslegung des Absoluten vollzogene Wegnahme aller Bestimmungen dem Absoluten selbst nicht äußerlich bleiben könne, sondern dessen eigenes absolutes Tun sei, formuliert zuerst Johannes Eriugena. Eriugena denkt die Verneinung aller Bestimmungen als die Tätigkeit des überseienden Absoluten selbst, in der sich das unbestimmbare Eine selbst bestimmt, und zwar in der Weise, dass es die von ihm selbst verneinten Bestimmungen schöpferisch aus sich hervorbringt und in ihnen erscheint. Als die Negation allen Seins und aller Bestimmungen ist das Absolute überseiendes, transzendentes Nichts (nihil per superessentialitatem, per excellentiam).34 Das überseiende Nichts des bestimmungslosen Einen aber bringt gerade aus seiner eigenen Nichtigkeit alle Wirklichkeit hervor, in der es erscheint, ohne seine Transzendenz aufzuheben, so dass die Wirklichkeit „das Erscheinen des Nichterscheinenden, die Offenbarung des Verborgenen, die Bejahung des Verneinten“35 ist – dies entspricht ganz Hegels „Schein des Absoluten“. Eriugena beschreibt auch den Hervorgang des Seins aus dem Übersein des Absoluten als dessen eigenes Tun: „Die göttliche Gutheit (d. h. das überseiende Eine), die angemessenermaßen Nichts genannt wird, weil sie jenseits von allem ist, was ist und nicht ist, und in keinem Sein gefunden wird, steigt aus der Negation allen Seins in die Affirmation des ganzen Alls des Seins von sich selbst her in sich selbst herab, gleichsam aus dem Nichts in Etwas, aus der Nicht-Seiendheit in die Seiendheit, aus der Formlosigkeit in die unzählbaren Formen und Gestalten.“36

Der Abstieg aus dem Nichts des Überseins ins Sein vollzieht sich also im Absoluten selbst als dessen eigene Tätigkeit, als eine Schöpfung aus dem Nichts, die Eriugena als die Selbsterschaffung Gottes aus der überseienden Nichtigkeit seiner Transzendenz denkt. Wie Hegel fasst Eriugena den Hervorgang der Bestimmtheit aus dem bestimmungslosen Absoluten als die Selbstbestimmung des Unbestimmten, in der es sich in sich selbst und für sich selbst manifestiert und dabei zuletzt sich selbst erkennt und weiß. Anders als Hegel hält Eriugena dabei aber

34 Vgl. Johannes Eriugena, Periphyseon I 80, 35 ff., 84, 5 ff. Sheldon-Williams; IV 5, 758 B; V 21, 897 D. 35 Johannes Eriugena, Periphyseon III 4, 58, 12 f. Sheldon-Williams; vgl. dazu Werner Beierwaltes, Eriugena. Grundzüge seines Denkens, Frankfurt am Main 1994, 120 ff., auch 129 ff., 287 ff. 36 Johannes Eriugena, Periphyseon III, 168, 10 ff. Sheldon-Williams: „Divina igitur bonitas, quae propterea nihilum dicitur, quoniam ultra omnia, quae sunt et quae non sunt, in nulla essentia invenitur, ex negatione omnium essentiarum in affirmationem totius universitatis essentiae a se ipsa in se ipsam descendit, veluti ex nihilo in aliquid, ex inessentialitate in essentialitatem, ex informitate in formas innumerabiles et species.“ Vgl. dazu Beierwaltes, Denken des Einen, a. a. O. (Anm. 4), 358 ff.

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die Transzendenz des Absoluten über alle Bestimmtheit und die transzendierende Bedeutung der auf das Absolute bezogenen Negationen ausdrücklich fest: das Eine bleibt jenseits von allem, auch wenn es in allem erscheint, das Übersein hebt sich nicht in die Positivität des Seins auf, sondern bleibt deren transzendenter Grund.37 Das Selbstbewusstsein des Absoluten ist darum für Eriugena auch kein Wissen, sondern ein alles Wissen übersteigendes Nichtwissen, weil das Absolute kein Was oder Etwas ist, das positiv gewusst werden könnte; es weiß sich selbst nur als das überseiende Nichts der Transzendenz, das alles Seiende und Denkbare zugleich setzt und aufhebt.38 Einen Hegels Selbstaufhebung der negativen Theologie verwandten Gedanken vollzieht auch Nikolaus von Kues in seiner Spekulation über das Non-aliud.39 Das Nichtandere weist als das absolut Erste, das allen Bestimmungen unseres Denkens als das sie allererst ermöglichende Prinzip vorangeht, alle denkbaren Bestimmungen von sich ab, weil jede Bestimmung selbst etwas anderes als das Nichtandere ist, und zwar deshalb, weil sie eben kraft ihrer Bestimmtheit Anderes von sich ausschließt. Insofern ist das Nichtandere das Absolute der negativen Theologie. Diese Negativität des Abhaltens aller Bestimmungen ist aber das eigene Wesen des Nichtanderen, das sich eben dadurch, dass es alle Bestimmungen von sich abhält, selbst bestimmt: das Nichtandere ist nichts anderes als das Nichtandere (non-aliud est non-aliud quam non-aliud).40 Cusanus sieht darin den höchsten Ausdruck der Trinität, in der sich das Absolute negativ auf sich selbst bezieht. Indem es sich kraft seiner ihm selbst immanenten Negativität, durch die es alle Bestimmungen von sich abhält, selbst bestimmt, bestimmt das Nichtandere in sich selbst zugleich alles andere. Denn jede Bestimmung und jedes bestimmte Etwas ist das, was es jeweils ist, nur dadurch, dass es nichts anderes ist als es selbst, also eben durch das Nichtandere und dessen negative Selbstbestimmung. Das Nichtandere ist also der bestimmende Grund alles Bestimmten, dem dieses seine Bestimmtheit verdankt. Und es ist dieser bestimmende Grund aller

37 Vgl. Johannes Eriugena, Periphyseon I 14; IV 5; dazu Beierwaltes, Denken des Einen, a. a. O. (Anm. 4), 343 ff.; ders., Eriugena, a. a. O. (Anm. 34), 121 ff., 184 ff., bes. 188 ff. 38 Vgl. Johannes Eriugena, Periphyseon II, 142, 27 ff., 144, 1 ff., 160, 21 ff. Sheldon-Williams; dazu Beierwaltes, Eriugena, a. a. O. (Anm. 34), 193 ff. 39 Vgl. dazu Werner Beierwaltes, Platonismus im Christentum, Frankfurt am Main 2014, 130–171; Dirk Cürsgen, Die Logik der Unendlichkeit. Die Philosophie des Absoluten im Spätwerk des Nikolaus von Kues, Frankfurt am Main 2007, 91–126; Max Rohstock, Der negative Selbstbezug des Absoluten. Untersuchungen zu Nicolaus Cusanus’ Konzept des Nicht-Anderen, Berlin/Boston 2014; mit dem Nachweis, dass Cusanus durch Eriugena zur Selbstanwendung der negativen Theologie im Gedanken des non-aliud angeregt wurde. 40 Nikolaus von Kues, De li non-aliud, cap. 1 nr. 4; cap. 5 nr. 18.



Hegel und die negative Theologie 

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Bestimmtheit gerade kraft seiner negativen Selbstbestimmung. Es ist Cusanus zufolge darum der „absolute Begriff“ (conceptus absolutus), der alle Begriffe in sich umfasst, aber ohne dadurch selbst einen bestimmten Inhalt zu besitzen.41 Darum zeigt sich das Nichtandere in allen Bestimmungen und ist zugleich über jede Bestimmung hinaus; die Bestimmungen, in denen sich das Nichtandere zeigt, sind nicht bloß als seine Prinzipiate nach ihm, sondern sie sind kraft seiner Selbstbestimmung in ihm selbst.42 Im Gedanken des Nichtanderen erweist sich das Absolute als Sich-Zeigen, das in jeder Bestimmung erscheint und zugleich mehr ist als jede Bestimmung, auch mehr als das Ganze aller Bestimmungen. Denn das Nichtandere ist das Sich-Zeigen eines Verborgenen, das in allem Sich-Zeigen ewig verborgen bleibt, eben weil es die Einheit von Sich-Zeigen und Verborgenheit ist.43 Anders als Hegel hält also auch Cusanus die Transzendenz des Absoluten ausdrücklich fest. Das Nichtandere ist keine Durchgangsbestimmung, die in einer höheren positiven Bestimmung wie dem Begriff oder der Idee aufgehoben werden könnte, es ist selber überhaupt keine Bestimmung, sondern bezeichnet den unbestimmbaren Grund aller Bestimmtheit; es ist für Cusanus ein nicht mehr überbietbares aenigma, das das Denken dialektisch in der Schwebe hält.

6 Résumee Hegels Anspruch, das Absolute der negativen Theologie in seiner eigenen Konzeption des Absoluten als Subjektivität positiv aufheben zu können, scheitert also, und zwar gleich doppelt: Weder führt nämlich die negative Theologie in der Konsequenz ihres eigenen Vollzugs zwingend zu ihrer Selbstaufhebung in positive Selbstbeziehung und Selbstbestimmung, wie sich im Blick auf Plotin und Proklos zeigt. Noch folgt aus der von Hegel vorgeführten Figur dialektischer Selbstaufhebung als solcher schon die absolute Positivität des sich selbst bestimmenden Begriffs, wie sich bei Eriugena und Cusanus zeigt. Der Grund für dieses Scheitern ist Hegels Leitgedanke der absoluten Totalität, der eine radikale Tran­ szendenz gar nicht erst in den Blick kommen lässt. Den Horizont des Denkens auf sie hin zu öffnen, ist aber gerade der Sinn von negativer Theologie.

41 Nikolaus von Kues, De li non-aliud, cap. 20. nr. 94; vgl. auch Idiota de sapientia II nr. 34 und dazu Kurt Flasch, Nikolaus von Kues – Geschichte einer Entwicklung, Frankfurt am Main 1998, 259 ff. 42 Vgl. z. B. Nikolaus von Kues, De li non-aliud, cap. 5 nr. 15. 43 Vgl. vor allem Nikolaus von Kues, De li non aliud, cap. 3–4.

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Gleichwohl kommt Hegel der genuinen Form negativer Theologie nirgendwo so nahe wie in seiner Auslegung des Absoluten am Ende der Wesenslogik. Vor allem die innere Affinität des Hegelschen Gedankens zu Eriugenas und Cusanus’ Selbstanwendung der negativen Theologie hat philosophische Gründe und Konsequenzen, die ich hier nur andeuten kann. Wenn die Aufhebung des negativtheologisch gedachten transzendenten Absoluten in die selbstbezügliche AllEinheit der absoluten Subjektivität scheitert, man Hegels spekulative Theologie des All-Einen und die negative Theologie des jenseitigen Einen aber nicht einfach als alternative Formen, das Absolute zu denken, gegeneinander setzen will, dann legt sich eine andere Aufhebung nahe als jene, die Hegel versucht. Das transzendente Absolute der negativen Theologie ist offenbar kein Durchgangsgedanke, der sich in der autarken Selbstbeziehung der absoluten Subjektivität erfüllt, sondern ein Übergangsgedanke, der das Denken sich ekstatisch selbst transzendieren lässt. Die erfüllte Selbstbeziehung der Subjektivität aber entwickelt Hegel aus der Selbstanwendung der negativen Theologie, aus dem Setzen und Aufheben der Bestimmungen, in denen das bestimmungslose Absolute scheint, ohne zu erscheinen. Der Umweg des sich begreifenden Begriffs zu sich selbst über das Absolute der negativen Theologie ist für Hegel alternativlos, um die Subjektivität vor jeder Vergegenständlichung zu bewahren. Wenn das Absolute der negativen Theologie aber nicht als Moment selbstbezüglicher Negativität in die Selbstbeziehung des Begriffs eingehen kann, dann bleibt, so scheint mir, nur ein Ausweg: Das Absolute muss als transzendent bleibender Grund und Ursprung des sich begreifenden Begriffs gedacht werden. Zumal Eriugenas Weiterführung und Selbstanwendung der negativen Theologie scheint mir das Potential zu haben, Hegels Begriffs-Theologie in die negative Theologie zu integrieren. Der sich begreifende Begriff, die sich auf sich beziehende Subjektivität, ist dann nicht selbst das Absolute. Er ist in seiner Übergegenständlichkeit aber der Schein des Absoluten, in dem dieses so scheint, dass es sich zeigt, indem es seine Verborgenheit, seine Transzendenz zeigt. Und dieser Schein des Absoluten ist der Grund der Welt, sowohl der ansichseienden als auch der erscheinenden. Das Sich-Wissen des Denkens ist dann kein absolutes Wissen als Selbsterkenntnis des Absoluten wie bei Hegel, sondern es ist das Wissen um die eigene Übergegenständlichkeit und um den sich darin bekundenden Transzendenzbezug: um die ekstatische Verfassung des Denkens selbst. Das Sich-Wissen des Denkens ist also keine systematisch in sich abgeschlossene Vernunft-Wissenschaft in Hegels Sinn, sondern Philo-Sophie im Sinne Platons: Sich-Wissen im liebenden Hinausgehen über sich. In genau dieser Richtung haben auch der späte Fichte und der späte Schelling Hegels Metaphysik der Subjektivität zu überbieten versucht.

Holger Hagen

Die Logik der Wirklichkeit: eine Entwicklung vom Absoluten bis zur Wechselwirkung 1 Einleitung Die Hegel’sche Philosophie scheint ihrem fragwürdigen Ruf, den sie in manchen Kreisen genießt, wieder einmal gerecht zu werden: Die „Wirklichkeit“ wird von ihr innerhalb der „Wissenschaft der Logik“ behandelt und soll als dritter Abschnitt des Buches zur Wesenslogik aus den vorangehenden Abschnitten zum „Wesen“ und der „Erscheinung“ als deren Konsequenz hervorgehen. Von dem üblichen Verständnis dieser Begriffe ausgehend kann es scheinen, als solle hier die uns empirisch bekannte Welt aus Gedanken hergeleitet werden. Da wir uns diese Gedanken jedoch über die Welt machen, um dieselbe zu erklären, erscheint das ganze Unterfangen als ein eklatanter Widerspruch – und eine Philosophie, die das nicht erkennt, scheint zu einer näheren Befassung mit sich nicht gerade einzuladen. Dass man trotzdem bei der Sache bleiben sollte, liegt daran, dass sich dieselbe etwas anders verhält, als es zunächst den Anschein hat. Irritiert einen mit Hegel noch nicht vertrauten Leser das Unterfangen, die Wirklichkeit aus und innerhalb der Logik abzuleiten, und erscheint ihm dasselbe vielleicht als ein ‚absoluter Idealismus‘, ja geradezu als ‚Metaphysik‘, so wird sich zeigen, dass er damit in gewisser Weise Recht hat – allerdings in einem ganz anderen als dem von ihm vermeinten Sinne. Für das Verständnis des Hegelschen Gedankengangs ist zunächst zu vergegenwärtigen, dass wir im Alltag in unterschiedlichen Bedeutungen von der ‚Wirklichkeit‘ sprechen. Wenn man zum Beispiel sagt ‚Das denkt er sich so, in Wirklichkeit aber verhält es sich ganz anders‘, dann setzt man einem für bloß subjektiv erachteten Wissen die erkannte Objektivität entgegen. Es ist diese Redeweise, die der eingangs zitierten Auffassung vorschwebt. Wenn man dagegen beispielsweise davon spricht, dass jemand eine ‚wirkliche Politikerin‘ sei, dann ist von einem Unterschied in dem Erkenntnisobjekt selbst die Rede. Unterschieden wird hier eine Politikerin, die zwar als solche auftritt, im Grunde aber keine ist, von einer anderen, bei welcher der Eindruck, den sie macht, mit dem, was sie wesentlich ist, zusammenfällt. Mit der ‚Wirklichkeit‘ ist hier also eine Übereinstimmung von Wesen und Erscheinung angesprochen. Bei genauer Analyse zeigt sich, dass

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diese Bedeutung auch in der zuerst betrachteten Redeweise unterstellt ist: Diese schlägt den Schein dem Erkenntnissubjekt und das Wesen dem jenem korrespondierenden Objekt zu. Die Bedeutung des epistemischen Verhältnisses von Subjekt und Objekt liegt damit aber nicht in der ‚Wirklichkeit‘ selbst, sondern nur im Kontext unserer Rede von ihr. Sie selbst erweist sich dagegen als allgemeinere, nämlich logische Kategorie.1 Diese Differenzierung lässt allerdings in ihrer Konsequenz auch die zweite Vorannahme fraglich erscheinen, der zufolge bei den logischen Kategorien schlicht von unseren Gedanken die Rede sei. Wenn wir etwas als Ursache oder Wirkung von etwas anderem betrachten, so ist dies freilich unsere Tätigkeit: ein Wissen und Erkennen des Subjekts, das auf seine Sachhaltigkeit hin zu befragen ist. Aber indem wir dies tun: danach fragen, inwieweit diese Gedanken objektiv sind, d. h. die Sache treffen, von der sie handeln, gehen wir von der Gewissheit aus, das der von uns gedachte Inhalt nur als der Inhalt des der Form nach außer uns bestehenden Gegenstands selbst zu denken ist  – so dass umgekehrt sein Inhalt bei uns in der Form des Denkens gefasst ist. Wenn man etwas als Möglichkeit, Substanz, Ursache eines anderen nicht nur behauptet, sondern wirklich erkennt, so weiß man, dass dies nicht nur in unserem Bewusstsein, sondern ebenso in dem Erkenntnisobjekt selbst liegt. Das logische Denken und Erkennen reproduziert in subjektiver Form die Logik seines Gegenstands. Es hat den Gegenstand nicht buchstäblich im Kopf, sondern das Allgemeine oder Ideelle an ihm denkend erfasst. Insofern geht das eingangs imaginierte Verständnis drittens in der Ansicht fehl, wonach Hegel als ein Vertreter eines Idealismus im Gegensatz zum Realismus anzusehen sei. Denn die Opposition, sich entweder der Realität oder dem Ideellen zu widmen, wird aufgehoben, indem dieses als deren Allgemeines gewusst wird.2 Wenn Hegel daher gelegentlich von seiner Philosophie als „absolute[m] Idealismus“3 spricht, so ist hierbei zunächst eine Abgrenzung zu

1 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass es bei Hegel allerdings einen systematischen Ort gibt, an dem seiner Auffassung nach die Logik in die äußere Realität im Sinne der Natur übergeht. Derselbe fällt allerdings nicht in die Wesenslogik, sondern bildet – konsequenter Weise – das Ende der gesamten Logik, so dass die diesbezügliche Argumentation auch im Zusammenhang mit dieser Stelle zu diskutieren wäre. 2 „Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie ist daher ohne Bedeutung“ (Hegel, GW 21, 142). 3 Hegel, TWA 8, §  45 Zus., 123 (vgl. z.  B. ebd. §  160 Zus., 307); zum Stichwort ‚Idealismus‘ in Bezug auf Hegel siehe Andreas Arndt, „Idealismus“, in: Hegel-Lexikon, hg.  v. Paul Cobben, Darmstadt 2006, 262–264.



Die Logik der Wirklichkeit 

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dem so genannten „subjektiven Idealismus“4 intendiert, der die logischen oder ideellen Bestimmungen mit ihrer Form in unserem Denken identifiziert und sie grundsätzlich allein dem erkennenden Subjekt zuschlägt. Hegel vertritt demgegenüber nun freilich nicht die Position, dass das Ideelle nur objektiv, ausschließlich dem erkannten Gegenstand selbst zu eigen wäre – er erfasst es vielmehr als eine die Relata Subjekt und Objekt, Geist und Natur durchziehende allgemeine Form, die insofern absolut ist.5 Die Wissenschaft namens Logik hat nun dieses absolut Allgemeine als solches, das Ideelle als rein Ideelles zum Gegenstand.6 Die Abstraktion, welche diese Wissenschaft vollzieht, bezieht sich daher nicht, wie die sogenannte formale Logik meint, auf den Inhalt oder Gegenstand schlechthin – wodurch es denn auch das Kuriosum eines inhaltslosen Denkens zu erkennen gälte. Abgesehen wird vielmehr davon, mit welcher Sache es das Denken zu tun hat: Es geht der Wissenschaft der Logik um den „Gang der Sache selbst“7 im Allgemeinen. Wenn in diesem Rahmen nun also die ‚Wirklichkeit‘ thematisch wird, so ist damit aus diesem Grund das erkennende Subjekt als solches ebenso wenig angesprochen wie die ihm gegenüberstehende Realität: Sein Denken kommt, wie Erdmann es ausdrückt, in der „Wissenschaft der Logik“ nur als „psychologischer Reflex“8 der Logik der Sache vor.9 Zu verhandeln ist nicht die Form, sondern allein

4 Hegel, TWA 8, § 45 Zus., 123. 5 Vgl. Hegel, GW 21, 34. Mit dieser Darlegung ist freilich noch nicht geklärt, inwiefern Hegel den Gegenstand der Wissenschaft namens Logik selbst als „Denken“ (Hegel, GW 21, 27), „Vernunft“ oder „Darstellung Gottes“ (beide Stellen: Hegel, GW 21, 34) bezeichnet. 6 Hierin liegt ein deutlicher Hinweis darauf, was Hegel meint, wenn er die wahren Momente der Metaphysik in seiner Logik bewahrt sieht (vgl. z. B. Hegel, GW 21, 48 f.). „Wenn also die Wissenschaft der Logik das Denken […] betrachtet […], so ist der Inhalt überhaupt die übersinnliche Welt und die Beschäftigung mit derselben das Verweilen in dieser Welt. Die Mathematik hat es mit den Abstraktionen der Zahl und des Raumes zu tun, diese sind aber noch ein Sinnliches, obschon das abstrakt Sinnliche und Daseinslose. Der Gedanke nimmt auch Abschied von diesem letzten Sinnlichen […]. Insofern die Logik diesen Boden hat, haben wir würdiger von ihr zu denken, als man gewöhnlich zu tun pflegt“ (Hegel, TWA 8, § 19 Zus. 2, 69 f.). Ob oder inwieweit Hegel darüber hinaus weitere Momente der „vormaligen Metaphysik“ übernimmt und fortdenkt – etwa in Gestalt eines Monismus des Geistes –, kann in diesem Rahmen nicht diskutiert werden. Im Folgenden fasse ich Hegels Position nur in dem Sinne, dass sie mit Realismus und Materialismus insofern zusammenfällt, als sie über diese Gegensätze hinaus ist. 7 Hegel, GW 21, 38. 8 Johann E. Erdmann, Die Entwicklung der deutschen Spekulation seit Kant (= Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie, Bd. 3, Abt. 2), Leipzig 1853, § 48, 755. Hervorhebung von mir. 9 Es deutet sich hier an, dass Hegels Neufassung der Logik nicht nur das herkömmliche formale Verständnis dieser Wissenschaft revidiert, sondern ebenso ihr Verhältnis zu den Disziplinen

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der Inhalt, den das Denken hat, wenn es – in unserem Fall – um die Wirklichkeit geht. Da die logische Sache in der ihr eigentümlichen Allgemeinheit nicht das Moment der Äußerlichkeit an sich hat, erfasst das Denken in diesem Inhalt keinen ihm äußerlich und somit empirisch gegenübertretenden, sondern einen rein ideellen Gegenstand10  – so dass Denknotwendigkeit11 und Objektivität in dieser Sphäre vollständig zusammen fallen.12 Was Hegel über die Wirklichkeit in dem besagten Sinne an Erkenntnissen vorzutragen hat, soll nun im folgenden Nachvollzug seines Gedankengangs entwickelt werden. Angesichts des begrenzten Rahmens dieses Beitrags können dabei selbstverständlich bei weitem nicht alle in diesem Abschnitt vorgestellten begrifflichen Differenzierungen oder gar Argumentationsschritte thematisiert, geschweige denn erläutert werden; die Darstellung kann hier nur auf einen  – allerdings inhaltlichen und argumentativen – Überblick zielen. Wenngleich die Betrachtung weiterführender Diskussionen daher zugunsten einer Erläuterung der Hegelschen Argumentation selbst zurückgestellt werden muss, soll mit den Exkursen zur ‚logischen‘ oder Denkmöglichkeit, zur Substanz in der ‚Verstandesmetaphysik‘ sowie zur Kausalität im Empirismus zumindest angedeutet werden, inwiefern Hegel mit seiner Logik der Wirklichkeit über die ihm historisch vorausgesetzten – aber auch heute noch in modifizierten Formen präsenten – Positionen hinausgeht.

Ontologie, Epistemologie und Psychologie berührt: siehe dazu Holger Hagen, „Das Logische und die ‚Natur‘ unseres Geistes“, in: 200 Jahre Wissenschaft der Logik, (Dt. Jahrbuch Philosophie 5), hg. v. Claudia Wirsing, Anton Friedrich Koch, Klaus Vieweg und Friedrike Schick, Hamburg 2014, 361–378. 10 In diesem Sinne kann die Wissenschaft namens Logik auch so charakterisiert werden: Sie „enthält den Gedanken, insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist“ (Hegel, GW 11, 21). 11 Über die Wirklichkeit – wie auch die anderen logischen Kategorien – kann man schließlich sagen, dass es sich um „eine notwendige Denkbestimmung handelt“, die „wir denken müssen, sofern wir überhaupt denken“ (Ralf Beuthan, „‚Wirkliche Freiheit‘  – Hegels wesenslogischer Freiheitsbegriff“, in: 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a. a. O. (Anm. 9), 189–206, hier 190). 12 Das ist bei Naturgegenständen und geistig-gesellschaftlichen Phänomenen nicht der Fall. Was z. B. eine Sache in diesen Sphären alles notwendig machen mag – und daher als ihre logische Konsequenz zu erschließen ist –, ist deswegen nicht schon ihre (äußerliche) Realität.



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2 Zur Wirklichkeit im Allgemeinen Hatte sich zum Ende der Seins- und zu Beginn der Wesenslogik gezeigt, dass das unmittelbare Sein nur der Schein ist, von dem sein Wesen zu unterscheiden ist, so erwies sich im Folgenden, dass der durch diese Identität Entgegengesetzter eintretende Widerspruch nur zu lösen war, indem das Wesen sich als Grund von seinem unmittelbaren Dasein unterschied – wodurch dieses, aus ihm hervorgehend, sich als Existenz bestimmte. Das Wesen trat aus seinem unmittelbaren Dasein hinaus und in „Erscheinung“ – welche dem zweiten Abschnitt der Wesenslogik seinen Titel gab. War der Schein dem Wesen, der ihm nun gegenüberstand, als seine Erscheinung zu eigen, so fielen doch diese Eigenschaften und das Ding, dem sie angehörten, wiederum auseinander: Das Wesen musste sich als Kraft in seiner Erscheinung äußern. Indem es sich so aber schließlich zum Inneren des Äußeren entwickelte, trat der in diesen Formen identische Inhalt hervor – und damit die Formalität der Unterscheidung beider Seiten. Die hiermit nun erreichte Einheit von Wesen und Erscheinung ist – wie sich bereits in der Analyse unseres Redens von ihr andeutete – die Wirklichkeit.13 Kann man schon insofern sagen, dass Hegel die Wirklichkeit in ihrer Entwicklung aus den vorangehenden Kategorien auf ihren Begriff gebracht hat – die aus dem Verhältnis von Wesen und Erscheinung sich ergebende Einheit beider zu sein –, so ist dies allerdings erst ihr abstrakter Begriff, der nun weiter zu entwickeln ist. Ich werde mich bei dieser Entwicklung im Folgenden eher an der Darstellung der ‚großen‘ als der ‚kleinen Logik‘ orientieren, insofern ich im ersten Punkt auf den Begriff der Wirklichkeit als den des Absoluten eingehen, im zweiten dann die formellen Momente derselben darstellen und erst im dritten auf Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung als die Entwicklungsstufen des absoluten Verhältnisses zu sprechen kommen möchte.  – Was dabei die Darstellung des Absoluten betrifft, so werde ich diese sehr knapp halten und auf jene Bestimmungen reduzieren, die m.  E. systematisch unabdingbar sind.14 Um mögliche Miss-

13 Das Zusammenfallen von Inneren und Äußeren könnte dahingehend missverstanden werden, dass hier eine tautologische Erklärungsweise charakterisiert werden soll. Während eine Tautologie in diesem Sinne jedoch eine dem jeweiligen Gegenstand an sich äußere, nur subjektive Verdopplung seiner Form darstellt – so dass dem Inhalt nach das Explanandum zugleich als Explanans fungiert –, geht es hier darum, dass Wesen und Erscheinung selbst sich zu einer solchen inhaltlichen Identität entwickelt haben, dass sich beide wechselseitig enthalten, so dass auf dieser Grundlage nur noch ein formeller Unterschied zwischen den beiden Seiten des Gegenstands besteht. 14 Dass in der enzyklopädischen Fassung der Logik das Kapitel zum Absoluten wegfällt, ist von verschiedenen Seiten dadurch erklärt worden, dass sich das Absolute als solches für Hegel in

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verständnisse zu vermeiden, sei übrigens darauf hingewiesen, dass es an dieser Stelle der Logik allein um die Bestimmung der logischen Kategorie des Absoluten geht – und nicht etwa darum, inwieweit das Ideelle im Verhältnis zu Natur und Geist als Absolutes angesehen werden kann.15

3 Die Wirklichkeit als das Absolute 3.1 Das Absolute Indem das Äußere nur die Äußerung des Inneren ist und das Innere nur die innerliche Form des Äußeren, fallen beide zusammen: Das Wesen ist in der Erscheinung und die Erscheinung im Wesen enthalten. Damit tritt nicht nur die Identität beider Seiten im Inhalt hervor, sondern die komplementären Bewegungen des Äußerlich- und Innerlich-Werdens erscheinen damit auch als seine Bewegungen.

der weiteren theoretischen Entwicklung als „kategorial überflüssiger Begriff gezeigt“ habe (Gabriella Baptist, „Wirklichkeit und Geschichte. Wandlungen eines logischen Kapitels in Hegels Enzyklopädien“, in: Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. Von der „Wissenschaft der Logik“ zur Philosophie des absoluten Geistes, hg. v. Hans-Christian Lucas, Burkhard Tuschling und Ulrich Vogel, Stuttgart/Bad Cannstatt 2004, 111–132, hier 115). Wenngleich der Aufbau der logischen Wirklichkeit in diesem Rahmen nicht ausführlich diskutiert werden kann, seien kurz die der hier vorgenommenen Gliederung zugrundeliegenden Überlegungen angedeutet: Einmal abgesehen davon, dass es sich bei dem Absoluten nicht um ein „Hyper-Wesen“ oder „Super-Sein“ (beide Stellen: ebd.) handelt, scheint der Eindruck, dass es bei diesem Kapitel um überflüssige oder zumindest nur „metatheoretisch-strukturelle Betrachtungen über den […] Gang der Logik“ (Gerhard Martin Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“. Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Stuttgart/ Bad Cannstatt 1994, 407) gehe, auf der Grundlage zu entstehen, dass sich die in ihm behandelten allgemeinen und insofern abstrakten Bestimmungen an den im Weiteren entwickelten konkreten Formen wiederfinden. Insofern es sich damit jedoch m. E. 1. um Bestimmungen der logischen Wirklichkeit selbst handelt, die 2. konkret-allgemeiner Art sind, befasse ich mich hier auch auf der Ebene ihrer Allgemeinheit mit ihnen. 15 Wenn Hegel beispielsweise davon spricht, dass die „logischen Bestimmungen überhaupt […] als Definitionen des Absoluten […] angesehen werden“ (Hegel, GW  20, §  85, 121) könnten, ist nicht von der logischen Kategorie des Absoluten die Rede – dies würde deren spezifische Bestimmung auflösen und ließe sich damit ebenso gut bzw. schlecht von den anderen Kategorien der Logik behaupten –, sondern um ‚das Absolute‘ als kosmologische oder – je nach Interpretation – philosophisch-theologische Bestimmung. Von der in diesem Sinne gemachten Behauptung, es handele sich bei den logischen Kategorien um „die metaphysischen Definitionen Gottes“ (ebd.) ist an dieser Stelle folglich abzusehen.



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Die Relata erweisen sich als Momente eines und desselben, das beide durchdringt und daher absolut ist. Es ist das, was sich nicht mehr an Anderem relativiert, sondern einer solchen Relativität enthoben ist – das Absolute. Mit dieser Kategorie ist nun gerade nicht das Verhältnis zu Anderem negiert: In solcher Abtrennung wäre das, wovon es getrennt wurde, außer ihm und es daher nach wie vor in einem äußerlichen Verhältnis. Der Relativität ist die Wirklichkeit eben dadurch enthoben, dass sie in beiden Seiten der Relation besteht. – So ist das Wesen insofern Absolutes, als es nicht mehr auf das die Erscheinung als ihm Äußeres bezogen ist, sondern sie selbst enthält.

3.2 Das Attribut oder das relativ Absolute Diesem absoluten Wesen gegenüber erscheint die Seite der Erscheinung zunächst nach wie vor als ein Relatives  – sogar in höherer Weise. Denn relativierte sich zuvor, wenn man so will, die Relativität der Erscheinung durch die Relativität des Wesens, so wird dasselbe nun zu einem absolut Relativen. Indem das Relative in diesem Verhältnis aber eine Erscheinung ist, welche das Wesen selbst enthält, so ist es nichts als eine andere Form desselben: Seinem Inhalt nach ist es das Absolute selbst. Das Verhältnis von Wesen und Erscheinung bzw. Innerem und Äußerem, aus dem sich das Absolute entwickelt hat, geht also in der mit ihm erreichten Identität nicht unter, sondern bleibt in ihr erhalten: Auch wenn beide vom Standpunkt des Absoluten gleich, nämlich gleichermaßen seine Momente sind, so bleiben sie doch als Unterscheidung des Absoluten in sich bewahrt. Während das Wesen nunmehr die Form der Identität des Absoluten mit sich ist – es ist das „AbsolutAbsolute“16 –, unterscheidet es sich als Erscheinung von sich selbst – und ist in dieser „Formbestimmung“17 als „Attribut“18 des Absoluten das „relativ Absolute“19. Diese Unterscheidung des Absoluten kann dabei allerdings keine äußere Reflexion mehr, sondern muss dessen „eigene Auslegung“ sein: Denn ein Wesen, das die Erscheinung selbst enthält, muss auch ein „Zeigen dessen, was es ist“20, sein.

16 Hegel, GW 11, 373. 17 Ebd., 373. 18 Ebd., 372. 19 Ebd., 373. 20 Beide Stellen: Ebd., 370.

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3.3 Der Modus oder das Selbstverhältnis des Absoluten So sehr das Absolute sich als Relativ-Absolutes von sich selbst als dem AbsolutAbsoluten unterscheiden muss, so wenig kann es andererseits bei seiner relativen Gestalt stehen bleiben: Ist in der „Auslegung“ des Absoluten „durch das Attribut“21 die „Aeußerung des Wirklichen […] das Wirkliche selbst“22, so ist der Formunterschied zugleich wieder zu negieren und die übergreifende Identität beider Seiten herzustellen: Das Attribut erweist sich als bloßer Modus des Absoluten.23 Wurde oben darauf hingewiesen, dass es hier nur um die logische Kategorien geht und nicht um das Verhältnis der Sphäre des Ideellen zu jenen von Natur und Geist, so kann es nach den gegebenen Ausführungen doch scheinen, als sei beim Absoluten von einer Kategorie die Rede, die in der Logik ‚endlicher‘ Gegenstände nicht vorkommt.  – Dieser Schein trügt allerdings: Indem z.  B. die sich durch einen Vertrag unbefriedigt findende Rechtsperson den Übergang macht, nicht ihr privates Interesse, sondern das Recht dazu vom Anderen oder vor Gericht erlangen zu wollen, anerkennt das Rechtssubjekt – zwar nicht unbedingt in seinem Bewusstsein, aber jedenfalls in seiner Tat –, dass das Recht im Verhältnis zu ihm absolut gilt und sein Interesse nur relativ zu diesem Geltung erlangen kann. Sein Privatinteresse gilt nur, indem es selbst als berechtigt, d.  h. als eine besondere Form des Rechts auftritt. Das Recht selbst kann daher auch in der Betätigung dieses besonderen Willens und der Befriedigung seines Interesses nicht auf- und untergehen – es ist in seiner Logik „unaufhebbar“ –, sondern muss sich durch ihn erhalten: In dieser Relation erweist sich also das „Recht […] als Absolutes“24 gegenüber dem bloß besonderen Willen. Insofern das Wesen als Absolut-Absolutes nicht mehr in einem Verhältnis zu einem Anderen steht, in dem es erscheint und sich damit zugleich verliert,

21 Beide Stellen: Ebd., 374. 22 Hegel, GW 20, § 142, 164. 23 Mit Bezug auf das Erkennen könnte die Pointe des Fortschritts des Absoluten gegenüber den vorangehenden Kategorien also folgendermaßen zusammenfasst werden: „Reflexion – schlicht verstanden als Nachdenken über etwas –, hat die Identität ihrer Sache zum Ziel; ihren Weg beschreibt sie aber – bislang, d. h. in den Kategorien der Wesenslogik – als Rückführung der Sache auf eine andere. Dieser Hiatus zwischen Ziel und Weg der Reflexion ist nur so zu überwinden, dass sich das Andere der Sache im zweiten Schritt als mit ihr identisch erweist“ (Günter Kruck u. Friedrike Schick, „Reflexion und Absolutes. Ein immanenter Kommentar zur Kategorie ‚das Absolute‘ in Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Theologie und Philosophie 69/1 (1994), 90–99, hier 99). 24 Beide Stellen: Hegel, TWA 7, § 97 Zus., 186. Hervorhebung von mir.



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sondern sich in seinem Relatum selbst darstellt, so ist es an dieser Stelle bereits in einem – noch ganz abstrakten Sinne – absolutes Verhältnis: Es verhält sich in seiner von ihm unterschiedenen Form zu sich selbst – und nur indem es sich so zu sich selbst verhält und diese Reflexionsbewegung vollzieht, ist es das Absolute. Es ist so als Manifestation entwickelt, d. h. das Absolute ist „in seiner Aeußerlichkeit es selbst, und […] nur in ihr, nemlich nur als sich von sich unterscheidende und bestimmende Bewegung, es selbst“25. Indem es sich manifestiert, tritt nun die „eigentliche Wirklichkeit“26 vor uns.27

4 D  ie eigentliche Wirklichkeit und ihre formellen Momente Insofern die Unterscheidung des Absoluten von und in sich selbst formellen Charakter hat, ergeben sich besondere Modi bzw. Modalitäten28  – die „formellen Momente“29 der Wirklichkeit. Nur auf derart formelle Weise können sich die Differenzen von Wesen und Erscheinung, Innerem und Äußerem etc. angesichts der mit der Wirklichkeit erreichten Identität dieser Oppositionen noch darstellen. Von diesen Modalitätskategorien ist die unmittelbare jene, in welcher sich

25 Hegel, GW 11, 381. 26 Ebd., 369. Hervorhebung ausgelassen. 27 Die folgenden Bestimmungen der Wirklichkeit können freilich als nähere Entwicklung der Kategorie des Absoluten betrachtet werden. Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, wie es sich in diesen weiter entwickelt und daher auch über seine Bestimmung als Absolutes hinausgeht. 28 Dieses Resultat der Entwicklung der Wirklichkeit impliziert eine erwähnenswerte Kritik an der „kritischen“ Fassung der ‚Modalitätskategorien‘: Kant vertritt die Position, dass sich dieselben grundsätzlich von anderen Kategorien unterschieden, insofern die Beantwortung der Frage, ob ein Gegenstand „bloß möglich, oder auch wirklich, oder […] gar auch notwendig sei“, „die Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren“ könne – durch diese Kategorien ließe sich allein dessen „Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken“ (alle Stellen: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, (PhB 37a), Hamburg 1990, B 266). Nach Hegels Analyse hat die kritische Position zwar in der Formalität dieser Kategorien ein gewisses fundamentum in re – sie verwechselt dieselbe jedoch mit derjenigen Äußerlichkeit, die ihrer bloß subjektiven Reflexion eigentümlich ist. Will man diese Formen als ‚Modalitäten‘ bezeichnen, so ist bei diesem Namen nicht an „eine bloße Art und Weise für ein Anderes“, nämlich das erkennende Subjekt zu denken, nicht an eine „unzureichende Abstraction“, die „nur dem subjectiven Denken angehörig“ (alle Stellen: Hegel, GW 20, § 143 Anm., 165) ist: Es ist vielmehr der „wirkliche“ Gegenstand selbst, der sich formell als Wirklichkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit usw. erweist und sich in diesen seinen Formen begrifflich entwickelt. 29 Hegel, GW 11, 369.

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die Wirklichkeit in einfacher Übereinstimmung mit sich selbst befindet: die Möglichkeit.

4.1 Die innere Wirklichkeit 4.1.1 Die Möglichkeit Die Wirklichkeit ist als Möglichkeit in der „Bestimmung der Identität mit sich“30: Was in jener ist, das ist auch in dieser. „Was wirklich ist, ist möglich.“31 Aber dies ist nur eine Möglichkeit, neben der andere stehen: Alle Erscheinungen der Wirklichkeit fallen ins „Reich der Möglichkeit“  – und in ihr zusammen, denn ihre Fixierung ist nur in unserer Reflexion und nicht die der Möglichkeit selbst. Das wirkliche Wesen oder das Innere der Wirklichkeit enthält die erscheinende Welt oder das Äußere, aber als in ihren Unterschieden aufgehoben. Die Möglichkeit ist daher zunächst nur durch die Form der „Identität überhaupt“32 von der Wirklichkeit unterschieden, weshalb Hegel von ihr in dieser Bestimmung als einer „formellen Möglichkeit“33 spricht. Insofern die konkreten Differenzen der Wirklichkeit in der Möglichkeit nicht differenziert sind, ist die Möglichkeit als abstrakt zu charakterisieren.

4.1.2 Exkurs: Die ‚logische‘ oder ‚Denkmöglichkeit‘ Diese beiden Momente  – Identität und Abstraktheit  – sind es, an welche die Auffassung der Möglichkeit als sogenannte ‚logische‘ oder ‚Denkmöglichkeit‘ anknüpft, die auch in unserem Alltagswissen gelegentlich vorkommt, wenngleich sie nur in der Philosophie bzw. Logik als solche reflektiert wird. Ist die Möglichkeit die Wirklichkeit, die ‚noch‘ nicht ist, so ist dieser Auffassung zufolge möglich, was – nach dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch – keinen Widerspruch in sich schließt, sondern mit sich identisch ist. Die Möglichkeit wird in dieser Betrachtung nicht als Form der Wirklichkeit erkannt, sondern von dieser durch Abstraktion getrennt. Während die Möglichkeit die Identität der Wirklichkeit ist, wird sie in dieser Fassung als Identität überhaupt missverstanden. Identität und

30 Ebd., 382. 31 Ebd., 381. 32 Hegel, GW 20, § 143, 164. 33 Hegel, GW 11, 382.



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Abstraktheit der Möglichkeit werden so damit verwechselt, dass die Möglichkeit die abstrakte Identität sei – ausgesprochen übrigens nicht als ihr Wesen, sondern unter unbestimmter Unterstellung desselben als ihr Kriterium.34 Da nun jeder Inhalt in diese Form gesetzt werden kann, so ist allerdings alles möglich und die Form der Möglichkeit nur eine leere Verdopplung. Dass der tautologische Charakter dieser Reflexion höchst unbefriedigend ist, bemerkt auch das Alltagsbewusstsein in gewisser Weise. Denn gerade bei praktischen Fragen fallen sogleich die zuvor ausgeblendeten wirklichen Bestimmungen der Sache oder ihres Zusammenhangs wieder ein. „Alles ist möglich“, sagt daher ein deutsches Sprichwort, „aber es regnet kein Geld.“ Das eben für mögliche Erklärte scheint in Anbetracht dieser Differenzierung nun wiederum ganz unmöglich.  – Und noch mehr: Da sich alle Erscheinung differenziert betrachten lässt, so genügt nach dieser Seite eigentlich keine dem Kriterium der Identität, das in seiner schlechten Abstraktheit der Differenz vollständig entgegengesetzt wird.35 Alles, kann man daher ebenso sagen, ist unmöglich.36

34 ‚Möglich ist etwas, wenn…‘: Nicht die Möglichkeit wird hier genau genommen bestimmt, sondern ein Kriterium dafür gegeben, unter welchen Bedingungen sie vorliegt – und damit festgestellt werden kann. 35 Die Bezeichnung dieser vermeintlichen Möglichkeit als ‚Denkmöglichkeit‘ ist dabei insofern aufschlussreich, als sie darin der Möglichkeit, wie sie in der Wirklichkeit ist, entgegengesetzt wird: Eine solche Möglichkeit existiert in der Tat nur für ein Denken – ein solches nämlich, das sich in schlechten Abstraktionen bewegt. Die Rede von der ‚logischen Möglichkeit‘ läuft auf dieselbe Opposition hinaus – nur dass sie zudem die Logik überhaupt als bloß unserem Denken angehörig auffasst. 36 Das abstrakte Denken der Möglichkeit bemerkt selbst einen gewissen Mangel – der ihm allerdings als Einseitigkeit der Kategorie erscheint: So zieht Leibniz den Schluss, zusätzlich die Kompossibilität einzuführen: „Compossibile quod cum alio non implicat contradictionem“ (Gottfried W. Leibniz, Textes inédits, hg. v. Gaston Grua, Paris 1948, 325). Die Möglichkeit wird so von sich selbst unterschieden, um fassbar zu machen, was erfasst sein soll und doch nicht erfasst werden kann. Wird die possibilitas mit abstrakter Identität identifiziert, so kann das zu ihr gehörige Moment der Differenz, insofern ihm Rechnung getragen werden soll, nur als Konkretion ihres Gegenstands figurieren: Thema ist nicht mehr die logische Kategorie selbst, sondern die Möglichkeit von etwas (logisch) Bestimmten, nämlich des Zusammenbestehens von Verschiedenem („quod cum alio“). Dieser Gedanke allerdings wird seinerseits zu einer eigenen, zweiten Kategorie erklärt, die konsequenter Weise wiederum der – das Problem erst generierenden – abstrakten Identität („non implicat contradictionem“) unterworfen wird.

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4.1.3 Die Unmöglichkeit oder der Widerspruch der Möglichkeit Im Unterschied zu den dem abstrakten Denken über diese Kategorie eigenen Widersprüchen liegt allerdings auch ein solcher in der Möglichkeit selbst. Steht sie nämlich als abstrakte Form der Identität der „concreten Einheit des Wirklichen gegenüber“37, so enthält sie zwar diesen Inhalt und ist so derselbe als identischer – insofern dessen Differenzierung damit jedoch aufgehoben ist, so ist sie dieser zugleich auch nicht. Für sich ist die Möglichkeit unwirklich und das in ihr als wirklich bestimmte Wesen unwesentlich: Die Möglichkeit selbst erweist sich so als „die Unmöglichkeit“38. Was sie enthält, das kann nicht bei ihr als bloßer Möglichkeit, als welche sie sich nun ausweist, bleiben, sondern das bedarf der Verwirklichung. Die Möglichkeit verweist daher selbst auf die Wirklichkeit als von ihr unterschiedene Form ihres Inhalts und ist so „das Sollen der Totalität der Form“39. Während die Kraft noch sollizitiert werden musste, manifestiert sich das Wesen als Absolutes selbst: Die verschiedenen Momente seines Inhalts muss es hervor- und auseinandertreten lassen.40

4.2 Die äußere Wirklichkeit 4.2.1 Die Realität oder die Tatsachen Gehen wir nun zur Wirklichkeit über und betrachten dieselbe zunächst ebenso für sich, d. h. im Unterschied zur Möglichkeit. Während diese das Moment des Wesens, der Identität und des Inneren der Wirklichkeit ist, so ist jene das des Scheins, der Differenz und des Äußeren. Es ist hervorzuheben, dass die ‚Wirklichkeit‘, auch

37 Hegel, GW 20, § 143, 165. 38 Hegel, GW 11, 383. Wenn die Möglichkeit hier als ‚unwirklich‘ bestimmt ist, so ist das nicht so zu verstehen, als ob sie noch nicht zur Verwirklichung übergegangen sei. Dass eine Verwirklichung stattfinden muss, wäre an dieser Stelle nur eine äußere Voraussetzung. Von der „Wirklichkeit“ ist hier vielmehr in dem obigen Sinne der unmittelbaren Identität von Wesen und Erscheinung, von Innerem und Äußerem die Rede. Als deren erstes besonderes Formmoment hat sich uns die Möglichkeit ergeben – und nun sind wir an der Stelle, wo dasselbe (als Form der Identität) in Widerspruch mit sich (seinem wirklichen Inhalt) gerät und über sich hinaustreibt. 39 Hegel, GW 11, 382. 40 Zur Betonung dieses Aspekts kann man die Möglichkeit übrigens auch als das Vermögen bezeichnen, da dieser Ausdruck den immanenten Übergang zur Wirklichkeit deutlicher enthält. Indem das Wesen die Erscheinung bereits einschließt, vermag es, sich zu verwirklichen.



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wenn Hegel an verschiedenen Stellen ohne nähere Bestimmung von ihr spricht, nun in einer zweiten Bedeutung auftritt. Redeten wir von ihr zunächst im Sinne der übergreifenden Identität von Wesen und Erscheinung, so meint dieses Wort nun ihr zweites Formmoment im Besonderen, d. h. die Wirklichkeit im Unterschied zur Möglichkeit. War die Möglichkeit die innere, so ist die ‚Wirklichkeit‘ in diesem Sinne die äußere Wirklichkeit. Zur Unterscheidung könnte man hier auch von der ‚Realität‘ sprechen; aber auch dieser Ausdruck ist mehrdeutig. Um Missverständnisse zu vermeiden, ließe sich  – in Anschluss an Kuno Fischer und sein „System der Logik und Metaphysik“41 – vielleicht am besten von ‚Tatsächlichkeit‘ oder ‚Faktizität‘ sprechen. Als Moment der Wirklichkeit oder des Absoluten enthält die Erscheinung selbst das Wesen. Dieser wirkliche Inhalt ist in der äußeren Wirklichkeit genauso wie in der Möglichkeit enthalten – nun aber in der Form der Differenz und des Äußeren. Wie in der Möglichkeit alle wirklichen Erscheinungen unterschiedslos zusammenfielen, so fallen sie in der von Hegel zunächst ebenso als formell charakterisierten Wirklichkeit42 identitätslos auseinander. Ist hier das eine Wirkliche, so fällt diesem eine andere Wirklichkeit von außen zu, und ist hier die andere, so umgekehrt; beide treffen äußerlich mit einander zusammen. Die formelle Wirklichkeit ist daher durch Akzidenz und Kontingenz gekennzeichnet, d. h. das Zufällige in seinen unterschiedlichen Formen.

4.2.2 Die Zufälligkeit Indem das Wirkliche sich als Zufälliges erweist, ist es eigentlich selbst zugleich ein bloß Mögliches: Es kann so oder anders sein, als es wirklich ist. Hat das Wirkliche einerseits in der Form der Differenz keine Identität, keinen Grund und kein Inneres, so sind diese in ihm als Differenz, Existenz und Äußeres andererseits doch unterstellt. Die von der Möglichkeit unterschiedene Wirklichkeit hat mit jener ihren eigenen Grund außer sich. Ist das äußere Wirkliche daher das jeweils Zufällige, so ist die bloße Möglichkeit als das diesem äußerlich Zugrundeliegende „der bloße Zufall selbst“43, wie Hegel argumentiert. Die Zufälligkeit ist also nicht nur als die unwesentliche und unbegründete Wirklichkeit zu fassen, sondern näher als äußere Wirklichkeit, die eine bloße

41 Vgl. Kuno Fischer, System der Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre, Heidelberg 1865, § 133, 382; sowie § 134, 385 f. 42 Vgl. Hegel, GW 11, 383. 43 Hegel, GW 20, § 144, 166.

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Möglichkeit ist oder ihren Grund außer sich hat. Erschien die formelle Wirklichkeit zunächst der bloßen Möglichkeit nur entgegengesetzt, so hat sich nun gezeigt, dass sie die unmittelbare Form der Verwirklichung der Möglichkeit selbst ist.44 Eine Verwirklichung, die allerdings insofern noch ganz formal ist, als der Inhalt beliebig scheint. Die Zufälligkeit als formelle Einheit von Wirklichkeit und Möglichkeit ist daher zwar bereits eine Form der Notwendigkeit – aber noch in einer ganz „formellen“45 Weise.46 Ist die Wirklichkeit jedoch „in-sich“47 bestimmt und hat in Möglichkeit und äußerer Wirklichkeit oder Zufälligkeit nur ihre Formen oder ihre „Aeußerlichkeit“48, so kommt nicht nur, ob „etwas zufällig und möglich ist, […] auf den Inhalt an“49, wie Hegel sagt; es muss sich dann auch die ihr unangemessene Formalität dieser Kategorien aufheben. Diese Aufhebung beginnt mit der Kategorie der Bedingung.

4.2.3 Die Bedingung oder der Widerspruch der Realität Ist die äußere Wirklichkeit eine zufällige Verwirklichung der Möglichkeit, dann ist diese auch in jener Form noch eine bloße Möglichkeit. Denn wenngleich sie sich die Form der Wirklichkeit gegeben hat, kann sie sich ebenso sehr als andere Möglichkeit zeigen und sich anders verwirklichen. Die Möglichkeit ist daher nicht nur verwirklicht, sondern ebenso sehr nicht verwirklicht – sie bleibt zugleich eine

44 Dies kommt auch in der Rede von den ‚Tatsachen‘ bzw. Fakten zum Ausdruck. – Komplementär lässt sich übrigens auch folgende Überlegung anstellen: Springen wir nicht von der bloßen Möglichkeit zur bloßen Wirklichkeit, sondern verfolgen wir stattdessen die Verwirklichung der Möglichkeit selbst, so erschließen sich dieselben Bestimmungen von der anderen Seite. Indem sich die Möglichkeit zunächst in ein äußeres Wirkliches umsetzt, so ist auch eine andere Verwirklichung möglich. Einerseits ist so die Möglichkeit als in die Form der Wirklichkeit verwandelt bestimmt und das Wirkliche als verwandelte Form der Möglichkeit. Zugleich ist aber diese Einheit beider negiert, indem das Mögliche ebenso sehr nicht realisiert und das Wirkliche nicht umgesetzte Möglichkeit ist. 45 Hegel, GW 11, 385 46 Hegel schließt in seiner Fassung der Notwendigkeit als Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit an Kant an, der allerdings in der Kategorientafel bei der Gruppe der Modalitätskategorien anstelle der Wirklichkeit das „Dasein“ (I. Kant, KrV, a. a. O. (Anm. 28), B 106) aufführt und seinen Hinweis auf die „Verbindung“ (ebd., B 110) dieser Kategorien im Weiteren so ausführt, dass „Notwendigkeit nichts anderes als die Existenz, die durch die Möglichkeit selbst gegeben ist“ (ebd., B 111), sei. 47 Hegel, GW 20, § 145, 166. 48 Ebd., § 145, 166. 49 Ebd., § 145, 166.



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bloße Möglichkeit. Da sie selbst indes ein Wirkliches ist, so ist sie die Möglichkeit eines anderen Wirklichen: Sie ist dessen „Bedingung“50. Da nun auch das Bedingte selbst ein äußeres Wirkliches und zugleich bloß Mögliches ist, ist es wiederum Bedingung, nun allerdings für ein Drittes usw. usf. Es ergibt sich ein progressus ad infinitum, der umgekehrt ein ebensolcher regressus ist. Diese Entwicklung verläuft sich jedoch der Sache nach nicht im Unendlichen, sondern als perennierende Forderung der Verwirklichung der Möglichkeit darauf hinaus, dass Möglichkeit und Wirklichkeit nicht nur partiell identisch – und damit auch partiell verschieden – sind, sondern dass die Möglichkeit gänzlich in der Wirklichkeit enthalten ist. Indem die Wirklichkeit dann aber nicht mehr anders sein kann, als sie ist, hebt sich die äußere Wirklichkeit, d. h. die Zufälligkeit auf und wird Notwendigkeit.51 Nun nicht mehr im nur formellen, sondern im realen Sinn.52

4.3 Die Einheit von innerer und äußerer Wirklichkeit 4.3.1 Die Sache und ihre Notwendigkeit Die Möglichkeit hat sich erst dann bewährt, wenn sie sich in die Form der Wirklichkeit übersetzt hat. Sie muss sich daher nicht nur überhaupt die Form der – und das heißt dann: irgendeiner  – Wirklichkeit geben, sondern aller Wirklichkeit, die in ihr enthalten ist. Indem nun die Möglichkeit selbst schon äußere Wirklichkeit ist oder die äußere Wirklichkeit selbst die Möglichkeit, so hat sie ihre reale Gestalt zunächst darin, das „Ganze von Bedingungen“53 zu sein: Hierin ist sie die „reale Möglichkeit“54. Sie ist nicht mehr die Möglichkeit eines Wirklichen, sondern der ihr innerlichen Wirklichkeit; sie ist nicht mehr einfach Möglichkeit von etwas anderem, sondern von der Wirklichkeit, die ihren eigenen Inhalt ausmacht. Die Bedingungen sind so Bedingungen „einer andern“55, im Unterschied zu ihnen nämlich nicht mehr nur formell bestimmte Wirklichkeit: Aus ihnen geht

50 Ebd., § 146, 167. 51 Dies die bereits von Aristoteles erkannte negative Fassung des Begriffs der Notwendigkeit (vgl. Aristoteles, Met. V 5, 1015a33–1015b9), die philosophiegeschichtlich maßgeblich geworden ist. 52 Vgl. Hegel, GW 11, 388. 53 Ebd., 386. 54 Ebd., 386. 55 Hegel, GW 20, § 147, 167.

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die Sache hervor.56 In ihr erst ist der Inhalt der Möglichkeit verwirklicht  – und damit zugleich die „Totalität der Form“57, nämlich die Einheit von Möglichkeit und äußerer Wirklichkeit, erreicht. „Wenn alle Bedingungen einer Sache vollständig vorhanden sind, so tritt sie in Wirklichkeit“58, sagt Hegel, d. h. sie „muß […] wirklich werden“59. Das scheint zunächst vielleicht deswegen merkwürdig, weil die Bedingungen eine Sache doch gemeinhin nur möglich und noch nicht notwendig zu machen scheinen. Wir haben jedoch gesehen, dass die Möglichkeit als bloße Möglichkeit zugleich unmöglich ist. Dieses Argument gilt nun genauso für ihre unmittelbare formelle wie ihre reale Gestalt. Bedingungen, aus denen keine Wirklichkeit hervorgeht, sind als Bedingungen nicht minder unwirklich und unmöglich als jene unmittelbare Möglichkeit; sie sind dann keine wirklichen Bedingungen  – und damit im Wesentlichen überhaupt keine. Was daher real möglich ist, das ist auch notwendig.60 Hieraus lässt sich in epistemischer Hinsicht ein Schluss für die Fragestellung von Wissenschaft ziehen. Fragt sie, wie es nicht selten geschieht, nur danach, wie etwas möglich ist, oder worin seine Bedingungen bestehen – oder umgekehrt: was durch es ermöglicht wird bzw. wofür es Bedingung ist –, dann ist das ein Fragen, das auf die Sache nur ganz formal zugeht. Es lässt sich nicht auf ihren wirklichen Inhalt ein, sondern hält einzelne Momente ihrer Wirklichkeit für sich fest. Soll es um ihre Erkenntnis gehen, so gälte es vielmehr, ihren Inhalt zu betrachten. Insofern der, wie sich zeigte, nur in der Gesamtbewegung von Möglichkeit und äußerer Wirklichkeit zum Tragen kommt, fragt die Wissenschaft – auf der Stufe der Logik, auf der wir uns befinden – nach der der Sache eigenen Notwendigkeit.

56 Die Bezeichnung der hier entwickelten Stufe von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit als „real“ deutet an dieser Stelle auf den Zusammenhang mit der Sache (lateinisch: ‚res‘) hin. (Dass ‚res‘ auch ‚Ding‘ meint und von der ‚Realität‘ in verschiedenen Bedeutungen die Rede sein kann, spielt hierbei keine Rolle.) 57 Hegel, GW 11, 388; vgl. Hegel, GW 20, § 147, 167. 58 Hegel, GW 11, 387. 59 Hegel, GW 20, § 147, 167. 60 Aus dieser der logischen Kategorie der Bedingung eigenen Dialektik von Möglichkeit und Notwendigkeit erklärt sich die Doppeldeutigkeit des Wortes ‚bedingen‘, das mittlerweile vorrangig ‚verursachen‘ und ‚bewirken‘ meint, aber daneben immer noch den Sinn von ‚zur Bedingung haben‘ oder ‚eine Bedingung erfordern‘ hat.



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4.3.2 Relative und absolute Notwendigkeit oder der Widerspruch der Sache Aus der Totalität der Bedingungen wird notwendig wirklich, was als reale Möglichkeit bereits in ihnen liegt. Hegel betont nun allerdings, dass das, „was nothwendig ist, […] durch ein Anderes“61 ist: Als äußerliche Wirklichkeiten sind die Bedingungen diesem Inhalt gegenüber zugleich gleichgültig. Indem die Sache vermittels ihrer zerstreuten Bedingungen nichts anderes als sich selbst realisiert, hebt sich diese Vermittlung jedoch im Resultat auf. In der resultierenden Unmittelbarkeit erscheint die Sache folglich als rein durch sich selbst begründet: „es ist, weil es ist“62, heißt Hegels Kurzfassung hiervon. Die Äußerlichkeit der Wirklichkeit wird also insofern aufgehoben, als aus den Bedingungen die in ihnen an sich enthaltene Sache selbst hervorgeht – nicht aber insofern, als diese damit nach wie vor aus ihr Äußerlichem hervorgeht. Die Notwendigkeit bzw. die Sache selbst erweist sich damit – auf der Entwicklungsstufe der Wirklichkeit – als ein zugleich inneres und äußeres Verhältnis: Sie ist nicht nur eine Relation zu den vermittelnden Bedingungen, sondern ebenso reine Relation zu oder in sich selbst. – Sie ist der Widerspruch äußerlicher Vermittlung durch sich selbst.

5 Die Wirklichkeit als absolutes Verhältnis Widerspricht es der Absolutheit der Notwendigkeit, durch die Bedingungen relativiert zu werden, so muss sie sich dahingehend entwickeln, dass sie sich als absolute Notwendigkeit der sie relativierenden äußeren Wirklichkeit – ihren Bedingungen – gegenüber bewährt. So stellt sich das oben bereits abstrakt festgehaltene Selbstverhältnis des Absoluten aus der eigentlichen „Wirklichkeit“ und deren Äußerlichkeit wieder her – nun entwickelt als absolutes Verhältnis. Es stellt sich als der Prozess dar, „in welchem das Verhältniß sich […] zur absoluten Identität aufhebt“63. Hierbei durchschreitet das Absolute mehrere Stufen, deren erste die Substantialität ist.

61 Hegel, GW 20, § 149, 169. 62 Hegel, GW 11, 391. 63 Hegel, GW 20, § 150, 169.

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5.1 Substantialität 5.1.1 Die Substanz und ihre Akzidenzen Betrachten wir das Substantialitätsverhältnis zunächst von unserem unmittelbaren Bewusstsein desselben her, so zeichnet sich die äußere Wirklichkeit der Sache als Umkreis der Akzidenzen durch ihren fortwährenden Wechsel aus, während der inneren Wirklichkeit als Substanz ein „Beharren“64 zukommt. Das Verhältnis beider Seiten scheint von diesem Standpunkt aus zunächst ein der Sache äußerliches zu sein: Wie einerseits ein „Wechsel der Accidenzen“65 an ihr zu erkennen ist, so andererseits auch eine „substantielle Identität“66. Ist das Erkennen aber objektiv, die Sache selbst also Substanz, dann muss auch sie selbst sich von ihren Akzidenzen unterscheiden. Das impliziert, dass der Wechsel derselben nicht nur an ihr vonstattengehen kann – dann wäre sie bloßes Substrat. Er muss vielmehr durch sie geschehen. Als innere und äußere Wirklichkeit haben beide Seiten des Substantialitätsverhältnisses denselben Inhalt: Die Substanz ist die „Totalität des Ganzen, und begreift die Accidentalität in sich, und die Accidentalität ist die ganze Substanz selbst“67. Indem die Sache zunächst in bestimmter akzidenteller Form verwirklicht ist, so ist in diesem Fall der innere „Reichtum alles Inhalts“68 nicht adäquat realisiert; dass „die Sache gerade diese wirkliche Gestalt zufällig angenommen hat, zeigt sich, indem diese durch eine andere Gestaltung substituiert wird“69. Die Substanz der Sache macht sich geltend in der fortlaufenden Negation und Substitution ihrer akzidentellen Wirklichkeitsformen. Auf diese Weise, indem sie ihre Bedingungen als bloß akzidentell negiert – alle ihre Fälle gewissermaßen zu bloßen Unfällen (accidents) herabsetzt – und sie in sich als ihre „Möglichkeit […] zurükführt“70, macht sich die substantielle Sache als das Unbedingte geltend. Das Substantialitätsverhältnis erweist sich damit als die unmittelbare Form, in der sich die Sache als das absolut Notwendige gegenüber der in ihren Bedingungen liegenden Relativität bewährt: durch deren Negation. Die Akzidenzen verfallen daher und nur die Substanz bleibt bestehen; sie verfallen nicht neben

64 Hegel, GW 11, 396. 65 Ebd., 395. Hervorhebung ausgelassen. 66 Hegel, GW 20, § 150, 170. 67 Hegel, GW 11, 395. 68 Hegel, GW 20, § 151, 170. 69 Friedrike Schick, Hegels Wissenschaft der Logik: Metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen, Freiburg (Breisgau) und München 1994, 160. 70 Hegel, GW 11, 395.



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derselben, sondern sie verfallen ihr; sie fallen nicht fort  – das hieße die Substantialität, wie Hegel es Spinoza vorwirft, abstrakt zu denken71  –, sondern ihr anheim. Die Substanz ist daher die Sache, die sich ihren Bedingungen gegenüber nicht nur als Totalität und wahre Wirklichkeit all ihres Inhalts zeigt, sondern als die in Form von (Er-)Setzung und Negation sowohl „schaffende […] als zerstörende Macht“72 – als die „absolute Macht“73 über die zufällige Wirklichkeit. Damit nimmt die äußere Wirklichkeit nach Hegels Analyse zugleich die Bestimmung der Manifestation des substantiellen Absoluten in sich auf: Erreichte der wirkliche Inhalt in der Sache seine adäquate Form, so schlägt nun umgekehrt die Form der Substanz in den Inhalt um: Er besteht nur noch als „Moment, das allein diesem Prozess“ – d. h. dem der Substantialität – „angehört“74.

5.1.2 Exkurs: Substanz als Kategorie der „vormaligen Metaphysik“ Hegel hat die Substanz bekanntlich insbesondere mit Bezug auf die Philosophie Spinozas diskutiert. Ich möchte an dieser Stelle allerdings die Diskussion, ob Hegel damit Spinoza gerecht wird oder nicht, nicht aufnehmen. Vielmehr folge ich Hegels Darstellung, um daran deutlich zu machen, dass damit nicht nur eine bestimmte Philosophie, sondern zugleich ein allgemeiner Typus von Theoriebildung angesprochen ist. Die Art und Weise, in der logischen Form der Substantialität zu denken, welche Hegel Spinoza vorwirft, verweist nämlich auf die von ihm unter dem Titel der „Verstandesmetaphysik“75 dargelegten und kritisierten „Stellung des Gedankens zur Objektivität“76 überhaupt: Es offenbart einen charakteristischen Zug dieser Denkweise. Wenn Spinoza die „Substanz“ als die „absolute Einheit des Denkens und […] der Ausdehnung“77 „definiert“78, dann ist in diesem Zusammenhang der Logik

71 Siehe dazu den folgenden Exkurs. 72 Hegel, GW 11, 395. 73 Ebd., 395. 74 Hegel, GW 20, § 151, 170. Hervorhebung von mir. 75 Hegel, GW 20, § 378, 379. In Bezug auf die Philosophiegeschichte handele es sich dabei zwar um eine „vormalige“ Position – nämlich historisch vor der empiristischen und v. a. transzendentalphilosophischen Wende zum erkennenden Subjekt  –, aber „für sich“ sei diese Position als „die bloße Verstandes-Ansicht“ der Metaphysik „immer vorhanden“ (alle Stellen: Hegel, GW 20, § 27, 70). 76 Hegel, GW 20, 69 (Überschrift). 77 Hegel, GW 11, 376. Zweite Hervorhebung im Zitat von mir. 78 Hegel, TWA 10, § 151 Zus., 296.

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zunächst darauf hinzuweisen, dass er von ihr nicht einfach als logischer Kategorie handelt. Dieselbe erfährt zwar eine Definition, aber eine solche, in die besondere Gegenstände eingehen, nämlich Denken und Ausdehnung. Insofern Spinoza damit, alles in der Welt auf das Absolut-Allgemeine als seine Substanz theoretisch zurückzuführen beansprucht, fungiert sie hier vielmehr als eine Bestimmung der speziellen Metaphysik, namentlich der Kosmologie bzw. rationellen Theologie. Der Widerspruch besteht nun nach Hegels Einsicht zunächst darin, dass damit logische und reallogische, rein ideelle und reale Gegenstände und Bestimmungen sachfremder Weise identisch gesetzt werden. Schon im Vergleich zur „Fülle der Vorstellung“ der besonderen Gegenstände zeigt sich, dass das rein Ideelle demgegenüber ein „beschränkter Inhalt“79 ist, der als solcher jene nicht erklären kann. – Umgekehrt gilt freilich genauso, dass das Logische in der ihm eigentümlichen Abstraktheit nicht durch die weitaus konkreteren natürlichen oder geistigen Bestimmungen erfasst werden kann. Obgleich nun also die Phänomene des Denkens und der Ausdehnung in ihrer Substanz erfasst werden sollen, muss daher von ihren Erscheinungen abstrahiert werden. Weder die besonderen Phänomene noch auch andererseits die logische Kategorie wird denkend erschlossen, sondern jene vermittels Abstraktion mit dieser „von außen her“80 verknüpft. So wird dann z. B. alles als Denken oder Ausdehnung gefasst, ohne zu zeigen, „wie die unendliche Vielheit sich nothwendig nur auf den Gegensatz und zwar diesen bestimmten, des Denkens und der Ausdehnung, reducirt“81. Angesichts dieser Methodik ist es schließlich auch nur konsequent, dass ein derart Denkender überhaupt nicht dazu übergeht, „nachzuweisen, wie er […] zur Zurückführung desselben auf die substantielle Einheit gelangt“82. Ist die substantielle Einheit allein durch subjektive Abstraktion zustande gekommen, so sind die besonderen Erscheinungen im Gang der Theoriebildung verloren gegangen und damit in der Folge nicht mehr in ihrer vermeintlichen Substanz enthalten. Diese erweist sich so als das reine Negativum aller Bestimmung. – Nicht nur also, dass sie zum Prädikat der Welt und diese zu dem Ihrigen gerät: In der kosmologisch-theologischen Betrachtung verändern sich auch ihre logischen Bestimmungen selbst. Während die Substanz sich bei rein logischer Betrachtung als „Reichtum alles Inhalts offenbart“83, gerät sie bei Spinoza zum

79 Hegel, GW 20, § 29, 71. 80 Ebd., § 29, 71. 81 Hegel, GW 11, 377. 82 Hegel, TWA 8, § 151 Zus., 296. 83 Hegel, GW 20, § 151, 170.



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„finstere[n], gestaltlose[n] Abgrund, der allen bestimmten Inhalt als von Haus aus nichtig in sich verschlingt“84.85 Hegel weist hier also darauf hin, dass und wie zwischen den logischen Kategorien und ihrem Vorkommen in der „vormaligen Metaphysik“ zu unterscheiden ist, die sie mit reellen Bestimmungen verwechselt und auf Gegenstände äußerlich in ‚Anwendung‘ bringt, denen sie selbst – in dieser Art und Weise – sachfremd sind. Hegels Leistung besteht zu dieser Seite darin, die Kategorien selbst von ihrer Erscheinung in einem Denken unterschieden zu haben, das ‚Metaphysik‘ in dem Sinne ist, dass es das Wesen der Dinge hinter oder jenseits ihrer Erscheinungen sucht. Hiergegen beharrt seine Philosophie darauf, dass das Wesen erscheinen muss und daher auch aus seiner Erscheinung erschlossen werden kann. Indem er die logischen Kategorien konsequent von der Sphäre der besonderen oder – in diesem Sinne – reellen Gegenstände trennt – und das heißt: sowohl von der Natur als auch von unserem Denken –, kann er die ihnen als solchen eigentümlichen Bestimmungen erfassen und der ihnen selbst eigenen Entwicklung folgen.86

84 Hegel, TWA 8, § 151 Zus., 297. 85 Damit angesichts der knappen Darstellung an dieser Stelle kein falscher Eindruck betreffs des Verhältnisses Hegels zu Spinoza entsteht, sei darauf hingewiesen, dass Hegel die Philosophie Spinozas ungeachtet seiner Kritik an ihr sehr geschätzt hat, wie beispielsweise seine Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie zeigen (vgl. Hegel, TWA 20, 157–197). – Die Behauptung allerdings, dass der „Standpunkt des Spinozismus […] der wesentliche Anfang alles Philosophierens“ sei, insofern in der „einen Substanz […] alles, was man für wahr gehalten hat, untergegangen ist“ (alle Stellen: Hegel, TWA 20, 165), scheint mir problematisch. Wenngleich die „Befreiung des Geistes“ (ebd.) von einem Verhaftetsein an Wahrnehmung und Empirie einerseits und von der Verpflichtung auf bloß aus Tradition und äußerer Autorität Fürwahrgehaltenes andererseits zweifellos ein substantieller Fortschritt hin zu einem Denken ist, das sich ganz auf die Sache einlässt, so ist jedoch zu fragen, ob die Affirmation der spinozistischen Fassung der Substanz nicht gerade „die abstrakte Allgemeinheit, die als solche indifferent gegen alle Bestimmung und Unterscheidung ist“ zum, „grundlegenden Element auch des begreifenden Denkens“ (beide Stellen: Klaus Erich Kaehler, „Hegels Kritik der Substanz-Metaphysik als Vollendung des Prinzips neuzeitlicher Philosophie“, in: Metaphysik und Metaphysikkritik in der Klassischen Deutschen Philosophie, (Hegel-Studien Beiheft 57), hg. v. Myriam Gerhard, Annette Sell, Lu De Vos, Hamburg 2012, 133–160, hier 145) erklärt. Das schiene mir – im Unterschied zu Kaehler – insofern bedenklich, als es bei einem solchen Allgemeinen um ein Prinzip geht, das jeden „Fortgang“ (ebd.) zum Konkreten und dessen Begreifen ausschließt. 86 Eine solche Vermischung findet sich beispielsweise auch noch in Kants transzendentalphilosophischer Fassung der Substanz, insofern diese Kategorie ohne das „Schema“ der Beharrlichkeit in der Zeit nicht auskommen können soll. Vgl. I. Kant, KrV, a. a. O. (Anm. 28), B 183 und B 187 f.

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5.1.3 Der Widerspruch der Substantialität Während für das abstrakte Denken aus der Substanz der Sache nach nichts hervorgehen kann, da sie bei ihm nur durch subjektive Abstraktion zustande gekommen ist, so dass ihr alle besondere „Form […] nur als äußere“87 wieder beigebracht werden kann, zeigt sich in Hegels Analyse der Substantialität, dass sie nur eine Stufe der Wirklichkeit ist, die wie die anderen über sich hinausweist. Da sie nicht einfach der Abgrund der Akzidenzen ist, sondern deren Inhalt in sich fasst und Macht über sie ist, kann sie nicht dabei stehen bleiben, nur in deren Verfall Bestand zu haben  – denn das heißt für sie selbst nichts anderes, als in ihrem Bestehen unmittelbar schon im Verfall begriffen zu sein.88 Indem die Akzidenzen der Substanz anheimgefallen sind, kann und muss sie sich als Macht über dieselben nicht nur negativ, sondern auch positiv betätigen: Sie löst den Widerspruch, ihre eigenen Bedingungen zu negieren,89 indem sie sich eine äußere Wirklichkeit gibt, in welcher sie selbst als das Unbedingte zugleich bewahrt bleibt. Die Substanz unterscheidet sich so als Substanz von sich selbst und hört damit auf, bloße Substanz zu sein: Sie wird zur Ursache, welcher ihre Wirkung gegenübersteht.

5.2 Kausalität 5.2.1 Ursache und Wirkung Die Ursache ist zunächst insofern Ursache, als sie sich gegen die äußere Wirklichkeit, das Reich der Tatsachen, verwahrt und so das Unbedingte und der Ursprung im Sinne der ursprünglichen Sache ist. Andererseits ist sie allerdings auch inso-

87 Hegel, TWA 8, § 151 Zus., 297. 88 Die Substanz ist im Substantialitätsverhältnis nicht nur aktiv, sondern, insofern sie zugleich die „Totalität der Akzidenzen“ (Hegel, GW  11, 396) ist, ebenso sehr passiv (vgl. Hegel, GW  12, 12) – nicht nur Macht, sondern ebenso auch Ohnmacht. Mit diesem Gedanken nimmt Hegel im Rahmen seiner theoretischen Neufassung der Substantialität in gewisser Weise Spinozas Unterscheidung zwischen der Natura naturans und der Natura naturata (vgl. Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt, (PhB 92 = Sämtliche Werke 2), hg. v. Wolfgang Bartuschat, Hamburg 2007, I Teil, Lehrsatz 29 Anmerkung, 63 f.) wieder auf. 89 Vgl. Christian Iber, „Übergang zum Begriff. Rekonstruktion und Überführung von Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung in die Verhältnisweise des Begriffs“, in: Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen ‚Subjektiven Logik‘, hg. v. Anton Friedrich Koch, Alexander Oberauer, Konrad Utz, Paderborn 2003, 49–66, hier 53. Der Übergang von der Substanz zur Kausalität lässt sich als Widerspruch und Forderung ihrer Manifestation fassen (vgl. ebd., 54).



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fern Ursache, als sie nicht bei sich als bloßer, negativer Macht über die äußere Wirklichkeit verharrt, sondern sich als diese verwirklicht, indem sie in eine sekundäre Sache übergeht, die damit mehr als eine bloße Tatsache ist: Während die Akzidenzen an der Substanz zugrundegehen, unterscheidet diese sich nun von sich als Ursache und geht damit aus sich als Wirkung hervor.90 Die äußere Wirklichkeit, insofern sie akzidentell ist, ist damit nicht mehr nur negiert, sondern positiv bestimmt als Umkreis der Bedingungen für diese kausale Wirksamkeit.91 Die Wirkung dagegen ist zwar ebenso eine Äußerung der Ursache, also eine Wirklichkeit, die eine „Gesetzte“92 ist, fällt aber nicht der Zufälligkeit anheim, sondern enthält als die in diesem Verhältnis inhaltlich identisch bestimmte Sache selbst deren Notwendigkeit: Sie ist selbst die unbedingte Sache. „Die Substanz hat daher erst als Ursache Wirklichkeit“ – und zwar „nur in ihrer Wirkung“93.

5.2.2 Exkurs: Kausalität als Kategorie des Empirismus Hegel hat darauf hingewiesen, dass die Kausalität eine bevorzugte Kategorie der von ihm als ‚verständig‘ gekennzeichneten Denkweise ist: „Sosehr der Verstand sich gegen die Substantialität zu sträuben pflegt, so geläufig ist ihm dagegen die Kausalität, d. h. das Verhältnis von Ursache und Wirkung“94. Bedenkt man, dass Hegel auch die „vormalige Metaphysik“ als „bloße Verstandes-Ansicht“95 charakterisiert, so muss allerdings der Hinweis auf die Zurückweisung der Substanzkategorie verwundern: Kritisiert er doch in diesem Zusammenhang, wie oben skizziert, die ‚verständige‘ Verwendung derselben.  – Unter dem „Verstand“ versteht Hegel an der zitierten Stelle also scheinbar nicht die damit angesprochene Denkweise im Allgemeinen, sondern im Besonderen eine Position, die sich kritisch gegen das Substanzdenken der Metaphysik richtet und an ihre Stelle die Kategorie der Kausalität setzen will. Angesprochen ist hiermit in erster Linie die vom Empirismus ausgehende Theoriebildung, insofern diese sich nicht nur gegenüber

90 Die zweite Sache ist also zunächst nichts als die Wirkung. 91 Bereits Platon differenziert zwischen der Verursachung und ihren Bedingungen: Platon, Phaid., 99a–99b. Auch die ‚Logik von Port-Royal‘ führt im Kontext der Kausalität die conditio sine qua non ein: Vgl. Antoine Arnauld u. Pierre Nicole, Die Logik oder die Kunst des Denkens, Darmstadt 1994, 231. 92 Hegel, GW 20, § 153, 171. 93 Beide Stellen: Hegel, GW 11, 397. 94 Hegel, TWA 8, § 153 Zus., 299. 95 Beide Stellen: Hegel, GW 20, § 27, 70.

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dem Denken skeptisch zeigt und ihren „festen Halt“96 an der Erfahrung – oder vielmehr eigentlich der Wahrnehmung – gewinnen will, sondern im Zuge dessen auch Kategorien wie Wesen und Substanz als ‚metaphysisch‘ zurückweist und stattdessen nach dem Ursprung der empirischen Phänomene97 fragt. Um die Art dieses Kausalitätsdenken und damit Hegels Kritik daran nachvollziehbar zu machen, ist es näher in seinem empiristischen Kontext zu betrachten. Von der empiristischen Verschiebung der Fragestellung des Erkennens vom theoretischen Wesen zum empirischen Ursprung her erscheinen die Kategorien der Kausalität als naheliegend, da doch die Ursache nichts als die logisch ursprüngliche Sache ist und die Wirkung aus ihr hervorgeht. Fragt man z.  B. nach dem „Ursprung […] des Wassers? und man antwortet: Es kommt aus den Bergen heraus oder vom Regen“98, so liegt die Erkenntnis, dass der „Regen z. B. […] Ursache der Feuchtigkeit“ und diese „seine Wirkung ist“99, nahe. Es gilt von daher für den Empirismus – aber genauso für den aus ihm hervorgegangen Materialismus und die hieran anknüpfenden Positionen und Weltanschauungen  –, dass, wenn „es sich darum handelt, einen Inhalt als notwendig aufzufassen, […] es vornehmlich das Kausalitätsverhältnis [ist], worauf denselben zurückzuführen die Verstandesreflexion sich zur Angelegenheit macht“100. Dieser Gegensatz der Kausalität zur Substantialität ist allerdings nach der Hegelschen Darstellung dieser Kategorien insofern eigentümlich, als die Ursache nichts anderes als eine Substanz ist, welche sich als absolute Macht betätigt und sich selbst aus sich selbst in anderer Form setzt. Dass dem Empirismus beide Kategorien als vollkommen entgegengesetzt erscheinen, liegt zunächst nur daran, dass er das Substantialitätsverhältnis allein so auffasst, wie es in der „vormaligen Metaphysik“ erscheint: Von der Frage nach einer Substanz jenseits der Akzidenzen ist allerdings die Frage nach der Ursache grundlegend unterschieden – nicht aber von dem Gedanken der Substantialität an sich. Der Mangel des Empirismus besteht nach dieser Seite darin, dass er sowohl die logischen Kategorien – insbesondere des Wesens und der Substanz – als auch die Metaphysik und das Denken überhaupt nur so aufnimmt, wie er sie in der

96 Ebd., § 38, 75 f. 97 Vgl. Hegel, TWA 20, 203 f.; sowie ebd. 290 f.; siehe z. B. John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, (PhB 75), Hamburg 1981, 22 f. und 107 f.; oder auch ders., Zwei Abhandlungen über die Regierung, hg. v. Walter Euchner, Frankfurt am Main 1977, 200 f.; ebenso bspw. David Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I: Über den Verstand, (PhB 646a), Hamburg 2013, 11–18. 98 Hegel, TWA 20, 291. 99 Beide Stellen: Hegel, GW 11, 399. 100 Hegel, TWA 8, § 153 Zus., 299.



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„vormaligen Metaphysik“ erfährt – nur empirisch also –, und bei dieser Fassung derselben stehen bleibt: Hierdurch nämlich muss er dem in diesen Formen erzeugten falschen Schein verhaftet bleiben. Dabei kommt selbstverständlich auch der Empirismus, insofern er an der Wissenschaft festhält, nicht umhin, seine Gegenstände zu denken, d. h. das Allgemeine, Ideelle oder Reallogische in ihnen zu erfassen. Insofern bleibt er selbst keineswegs bei der sinnlichen Erfahrung des Physischen stehen, sondern geht mit dem Denken der logischen Verhältnisse desselben über diese hinaus  – so dass er, wie Hegel bemerkt, „selbst Metaphysik enthält und treibt, und jene Kategorien und deren Verbindungen auf eine völlig unkritische und bewußtlose Weise gebraucht“101. Allerdings lässt Hegel an dieser Stelle offen, in welchem Sinne der Empirismus eigentlich Metaphysik ist: Soll damit besagt sein, dass er entgegen seinem Selbstbewusstsein selbst vom Ideellen seiner Gegenstände handelt oder dass er seinerseits nach Art der „Verstandesmetaphysik“ das Wesen der Erscheinungen hinter denselben sucht? Vertiefen wir zur Beantwortung dieser Frage unsere Analyse des empiristischen Kausalitätsdenkens. Indem der Empirismus unabhängig vom jeweiligen Gegenstand ein epistemisches Kriterium für das Denken in Kausalitätskategorien hat, richtet er sich so wenig wie die Verstandesmetaphysik nach den logischen Kategorien, die seinen Gegenständen selbst eigentümlich sind.102 Es ist daher nicht verwunderlich, dass, wie Hegel es formuliert, eine „unstatthafte Anwendung des Causalitätsverhältnisses auf Verhältnisse des physisch-organischen und des geistigen Lebens zu bemerken“103 ist. Die Unangemessenheit des Kausalitätsdenkens in Bezug auf diesen Gegenstandsbereich liegt darin begründet, dass sowohl der Organismus als auch der Geist „die Ursache nicht zu ihrer Wirkung kommen läßt, das heißt, sie als Ursache aufhebt“104. Was in solchen Fällen als Ursache identifiziert wird, das ist bei näherer Betrachtung von ganz „anderem Inhalte als die Wirkung“105, als welche das lebendige, geistige oder gesellschaftliche Geschehen dann vorstellig gemacht wird. So wirkt beispielsweise der von einem akustischen Ereignis

101 Hegel, GW 20, § 38 Anm., 76. Hervorhebung von mir. 102 „Die üblichen Erklärungsansprüche des (‚mechanisch-chemischen‘) Physikalismus verhalten sich dazu in dem Sinn totalitär, als sie ohne weiteren Nachweis die prinzipielle Reduzierbarkeit aller Erklärungen auf Erklärungen nach Art der causa efficiens behaupten (bzw. sich wünschen)“ (Pirmin Stekeler-Weithofer, „Teleologie als Organisationsprinzip“, in: Gestalten des Bewusstseins: genealogisches Denken im Kontext Hegels, (Hegel Studien Beiheft 52), hg. v. Birgit Sandkaulen, Hamburg 2009, 102–134, hier 109). 103 Hegel, GW 11, 400. 104 Ebd., 400. 105 Ebd., 400.

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ausgehende Schall mechanisch auf das Trommelfell, und dieses gibt die Wirkung über Hammer, Amboss und Steigbügel an die Cochlea weiter; aber schon dieser mechanische Prozess dient der Umwandlung der Druckschwankungen in eine Form, in welcher sie sich je nach Frequenz unterschiedlich in der lymphartigen Flüssigkeit der Cochlea ausbreiten, so dass es zu einer dementsprechend differenzierten Erregung der Haarzellen kommt. Es findet, wie dieses Beispiel zeigt, also zwar durchaus eine Einwirkung auf das Lebewesen statt, aber diese wird – schon in dieser biologischen Sphäre – den Zwecken desselben untergeordnet und ihnen gemäß umgewandelt. Kommt die äußere Ursache im Lebewesen oder Geist somit nicht mehr als solche in ihrer Wirkung zur Geltung, dann hebt sich in diesem Gegenstandsbereich auch „das Verhältniß der Causalität auf“106, wie Hegel sagt. Indem nun Kausalität unabhängig von den Erscheinungen gesucht wird, so reetabliert sich damit auf empiristischer Grundlage eine Denkweise, die in Formen wie der Kausalität nach dem Wesen ihrer Gegenstände fragt, indem sie von deren Erscheinungen abstrahiert. Es zeigt sich so, dass die abstrakte Negation der Verstandesmetaphysik dialektischer Weise wieder in eine Form von deren eigener Denkweise umschlägt.  – Der Rahmen derselben wurde damit offenbar nicht wirklich verlassen. Betrachtet man schließlich die Konsequenzen, die der an den Empirismus anschließende Materialismus  – beispielsweise in D’Holbachs „System der Natur“ – zieht, so wird offensichtlich, dass diese epistemisch-methodisch begründete Metaphysik in der ihr eigenen Form auch die speziellen Abteilungen der Verstandesmetaphysik reproduzieren kann: An die Stelle der theoretischen Reduktion des Alls der natürlichen und geistigen Dinge auf die absolute Substanz tritt dann die Reduktion desselben auf die Natur als endlose Kausalkette oder -kreislauf.107 Durch die Verabsolutierung der Natur zeichnet sich hier eine Kosmologie und Apotheose der Natur unter materialistischen Vorzeichen ab – eine „Hypostasierung einer physikalistischen […] Hinterwelt“108 jenseits der wirklichen Erscheinungen.

106 Ebd., 401. 107 „Die Dinge […], deren Gesamtheit die Natur ausmacht und die selbst Wirkungen bestimmter Verbindungen oder Ursachen sind, werden ihrerseits zu Ursachen“ (Paul Thiry D’Holbach, System der Natur. Oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt, Berlin 1960, 19). „Das ist der beständige Gang der Natur; das ist der ewige Kreislauf, den alles Existierende beschreiben muss. Auf diese Weise lässt die Bewegung, die Teile des Universums, die einen durch die anderen, nach und nach entstehen, erhält sie einige Zeit und zerstört sie, während die Summe des Existierenden immer die gleiche bleibt“ (ebd., 38). 108 Pirmin Stekeler-Weithofer, Philosophie des Selbstbewusstseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie, Frankfurt am Main 2005, 26.



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Auch im Falle des Empirismus und Materialismus verändert sich die logische Kategorie selbst im Rahmen der philosophischen Denkweise, die sich ihrer bedient. Sollen die empirischen Erscheinungen unter Abstraktion von ihrem Inhalt auf ihre Ursachen zurückgeführt werden, so können sie aus diesen abstrakten Ursachen nicht wieder hervorgehen. Das abstrakte Denken nimmt der Ursache die ihr eigene ‚Produktivität‘ und hat es daher eigentlich nur noch dem Schein seines eigenen Dafürhaltens nach mit dieser Kategorie zu tun: In Wahrheit ist sie in seinem Denken von der verstandesmetaphysischen Substanz nicht mehr zu unterscheiden, insofern auch in ihr die Konkretion der Erscheinung unter- und verlorengeht. Die „Spinozistische Substanz und der französische Materialismus sind“ daher, wie Hegel anmerkt, „parallel“109. Fällt die abstrakt gedachte Kausalität daher gewissermaßen hinter dem Rücken des Empirismus wieder auf die abstrakte Substantialität zurück, so gerät ihm die Kausalität dennoch in Folge seiner eigenen Maßstäbe zu einem Problem. Wird das Kriterium der Erfahrung bzw. Wahrnehmung angelegt, kann sich die Ursache zunächst kaum vom empirischen Ursprung unterscheiden. In der Wahrnehmung erkennen wir keine Notwendigkeiten, sondern nur äußerliche, nämlich räumliche und zeitliche Eigenschaften und Verhältnisse  – also allenfalls den Ursprung, nicht aber die Ursache von etwas.110 Die Kausalität wird vom Empirismus und dem von ihm ausgehenden Materialismus folglich tendenziell mit einem äußerlichen Verhältnis dieser Art verwechselt.111 Durch dieses Quidproquo mit zeitlichen und räumlichen Verhältnissen werden Bestimmungen aus der Sphäre der Natur in die Betrachtung der logischen Kategorien eingeschleppt.112 Diese Differenz kommt dem Empirismus  – man denke an Hume  – schließlich darin zum Bewusstsein, dass er erkennt, dass die Kausalität dem epistemischen Kriterium nicht entspricht, dessentwegen er sie bevorzugt. Dass die logi-

109 Hegel, TWA 20, 122; vgl. Hegel, TWA 20, 289 f. 110 „Humes Bestimmung nimmt Kausalität nur […] in der […] Gestalt, in der sie sich der Erfahrung – geordneter, verglichener Wahrnehmung – darbietet. […] Von ihr bleibt nur die äußerliche Verknüpfung“ (F. Schick, Hegels Wissenschaft der Logik, a. a. O. (Anm. 69), 167). 111 Es ergibt sich hier übrigens die Kehrseite des oben angeführten Grundes dafür, warum dem Empirismus Ursache und Substanz als vollkommen verschieden erscheinen: Er fasst nicht nur die Substanz im Sinne der Verstandesmetaphysik auf, sondern er missversteht auch die Kausalität von der Wahrnehmung her. 112 D’Holbach fasst die Kausalität z.  B. mit Bezug auf die Bewegung von Körpern, also das räumliche Verhalten von mechanischen Massen: „Eine Ursache ist ein Ding, das ein anderes in Bewegung setzt oder das irgendeine Veränderung in ihm hervorruft. Die Wirkung ist die Veränderung, die ein Körper in einem anderen vermittelst der Bewegung hervorruft“ (P. T. D’Holbach, System der Natur, a. a. O. (Anm. 107), 19).

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sche Kategorie vom Standpunkt der Wahrnehmung äußerer Verhältnisse nicht zu halten ist, kann für Hume nur heißen, dass sie jenseits der Sache selbst allein dem erkennenden Subjekt angehörig sein kann und in ihm ihren Grund haben muss.113 Mit diesem Übergang in eine moderne Position des Skeptizismus werden schließlich Bestimmungen des subjektiven Geistes in die Logik der Kausalität eingebracht – oder diese wird vielmehr letzten Endes umgekehrt gänzlich in die subjektiv-geistige Sphäre aufgelöst. Hegels Leistung in Bezug auf das auch heute noch verbreitete empiristische Kausalitätsdenken besteht zunächst darin, dessen theoretische Defizite erkannt und dargestellt zu haben. Darüber hinaus hat er aber auch die logischen Kategorien von den Reichen der Natur und des subjektiven Geistes geschieden, in die sie durch eine Epistemologie geraten sind, die getrennt vom Gegenstand nach der rechten Methodik des Erkennens fragt. Hegel befreit so das Denken über Kausalität von äußerlichen Gesichtspunkten, verortet es wieder in der ihm eigenen Sphäre und setzt sich mit Gehalt und Wahrheit dieser Kategorien selbst auseinander. Dabei zeigt seine Entwicklung ihres Begriffs, dass bei der Kausalität in der Tat nicht stehen geblieben werden kann, insofern diese selbst über sich hinausweist.

5.2.3 Die Gegenwirkung oder der Widerspruch der Kausalität Auch in der Kausalität reproduziert sich die von der Substanz negierte Äußerlichkeit in gewisser Weise. Indem die Ursache sich in ihrem Wirken äußert und in die Wirkung übergeht, so ist sie einerseits in dieser zwar bewahrt  – jedoch „erlischt“114 sie mit dem Wirken auch in derselben. Ist die Ursache nur Ursache, indem sie wirkt, so macht die Wirkung sie erst zu einer solchen. Damit ist dieselbe aber nicht nur ihre Äußerung, sondern zugleich ihre Voraussetzung – und somit ihr äußerliche, eigene, ebenso substantielle Wirklichkeit. Die Ursache überträgt ihre Wirkung daher auf die diesem Verhältnis vorausgesetzte zweite Sache oder Substanz und wirkt nur in ihr. Diese erleidet so zwar zunächst diese Einwirkung –

113 Vgl. Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur, a. a. O. (Anm. 97), 196–222. Warum das erkennende Subjekt die logische Kategorie der Notwendigkeit und insbesondere die der Kausalität sich angelegen sein lassen sollte, wenn sie zur Erkenntnis der Sache selbst nicht beiträgt, ist dann freilich nicht mehr absehbar. Der Position muss in ihrem Versuch, auf diese Frage eine Antwort zu finden, eine Art Naturalisierung der subjektivierten Kategorien naheliegen. 114 Hegel, GW 11, 398.



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indem sie aber selbst Substanz ist, muss sie sich ebenso als Ursache äußern und jener ihr eigenes Wirken entgegensetzen: die Gegenwirkung. Es gilt somit das Prinzip ‚actio est reactio‘  – allerdings nicht im Sinne des sogenannten dritten newtonschen Axioms, das von der Wirkung und Gegenwirkung von Massen – also abstrakten Gegenständen der Natur – handelt, sondern in dem logisch-kategorialen Sinne, dass die Ursache sich zugleich als Wirkung ihrer Wirkung und die Wirkung sich als Ursache ihrer Ursache erweist. – Indem jede Seite der Kausalität jedoch die andere setzt und voraussetzt, wird diese zur Wechselwirkung.

5.3 Die Wechselwirkung – der Übergang zum Begriff115 Da sich Ursache und Wirkung in der Wechselwirkung zwar unterscheiden, beide aber zugleich identisch und auswechselbar sind, so ist ihr Unterschied nur noch formell und ihre Äußerlichkeit selbst nur noch Schein: Wesentlich fallen beide Seiten in eins zusammen. Indem so das ‚Andere‘, durch das die Sache vermittelt war, nichts anderes als die Sache geworden ist – und die Notwendigkeit nur noch relativ im Verhältnis zum Absoluten selbst ist –, hebt sich der Widerspruch der Notwendigkeit auf. Sie verwandelt sich von der äußeren zur inneren Notwendigkeit. Insofern allerdings dort, wo das, was sein muss, nicht von außen, sondern von innen kommt, von einer Not eigentlich nicht mehr die Rede sein kann, so wird die innere Notwendigkeit als – logische – Freiheit kenntlich. Indem so Beziehung auf sich und Beziehung auf Anderes identisch geworden sind oder Bestimmendes und Bestimmtes in eins fallen, verlassen wir mit der Kategorie der Selbstbestimmung die Substanz und überhaupt die Sphäre der Wesenslogik und sehen vor uns eine neue erscheinen: Mit der „Vollendung der Substanz“ in der Wechselwirkung verwandelt sie sich in ein „Höheres“, nämlich das logische „Subject“116 – wir betreten die Sphäre der Begriffslogik. Wenngleich es damit nach wie vor nicht um unser Erkennen als solches geht,117 so zeigt

115 An dieser Stelle soll der Übergang zum Begriff nur angedeutet werden, da er in dem Beitrag von Thomas Hanke in diesem Band ausführlich Thema ist – diesbezüglich und für weitere den Begriff betreffende Fragen sei daher dessen Lektüre empfohlen. 116 Alle Stellen: Hegel, GW 12, 14. 117 „In der Persönlichkeit tritt das Begriffliche explizit hervor und setzt sich eigens. Doch an sich vorhanden ist es schon in der vorpersonalen Realität“ (Friedrich Anton Koch, „Subjektivität und Objektivität. Die Unterscheidung des Begriffs“, in: 200 Jahre Wissenschaft der Logik, a. a. O. (Anm. 9), 209–221, hier 213).

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 Holger Hagen

Hegel durch diesen Übergang in Bezug auf dasselbe doch, dass ein Denken, das nicht im Abstrakten verweilt, sondern sich auf die Sache selbst einlässt, durch den Nachvollzug der ihren Kategorien eigenen Dialektik zum Begreifen derselben kommt.

Thomas Hanke

Das Wesen im Begriff Über den Zusammenhang von objektiver und subjektiver Logik in der Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ Nachdem Hegel in den Jahren 1812/13 den ersten Teil der Wissenschaft der Logik – die objektive Logik, bestehend aus den beiden Büchern über die Seins- und die Wesenslogik  – veröffentlicht hat, bringt er 1816 ihren zweiten Teil auf den Markt: die subjektive Logik oder Lehre vom Begriff. Auf den Vorbericht folgt ein Abschnitt, der mit „Vom Begriff im allgemeinen“ überschrieben ist. Er will in die Thematik dieses Teils der Logik einführen, zu ihrer Lektüre einladen. Das gelingt in gefälliger Weise, nicht zuletzt durch die vielen Anspielungen auf Kant. Wer nur ein bisschen mit der Kritik der reinen Vernunft vertraut ist, wird sich sofort in Hegels Text wiederfinden  – und sich so, zumindest für den ersten Moment, bestens abgeholt und vorbereitet fühlen für das, was in der subjektiven Logik folgen wird. Das ist die eine Seite. Aber es gibt auch die andere: „Vom Begriff im allgemeinen“ ist die Einleitung zur subjektiven Logik, aber damit ist sie zugleich gedacht als Verbindungs- und Gelenkstelle, als Passage zwischen objektiver und subjektiver Logik. Sie verdankt sich dem bisher zurückgelegten Weg. Sie ist Auseinandersetzung mit Kant und der Kritik der reinen Vernunft im Rahmen des Gesamtprojekts der Wissenschaft der Logik. In meinem Kommentar möchte ich auf beide Seiten gebührende Rücksicht nehmen. Er soll dazu da sein, den Erstkontakt mit dieser Stelle zu erleichtern.1

1 Meine Hoffnung ist, dass ein solcher Kommentar mit der Konzentration auf den genannten Textabschnitt, auf seine Funktion und seinen Stil, eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Untersuchungen zum Anfang der subjektiven Logik darstellt. Explizit auf „Vom Begriff im allgemeinen“ wird eingegangen bei Klaus Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1976, 228–243; Friedrike Schick, Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen, Freiburg/München 1994, 55–59, 193  f., 208; Klaus Düsing, Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel, Stuttgart/Bad Canstatt 2002, 170–173; Christian Iber, „Hegels Konzeption des Begriffs“, in: Klassiker auslegen: Wissenschaft der Logik, hg. v. Anton Friedrich Koch u. Friedrike Schick, Berlin 2002, 181–201, 182–189; Walter Jaeschke, „Die Unendlichkeit der Subjektivität“, in: Das Endliche und das Unendliche in Hegels Denken. Hegel-Kongreß in Padua und Montegrotto Terme 2001, hg. v. Francesca Menegoni u. Luca Illetterati, Stuttgart 2003, 103–116, 105 f.; Andreas Arndt, „Die Subjektivität des Begriffs“, in: Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, hg. v. Andreas Arndt,

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 Thomas Hanke

„Vom Begriff im allgemeinen“ kann in vier Abschnitte eingeteilt werden. Der erste (GW  12, 11–16, bis Zeile 22) handelt rückblickend von der „immanente[n] Deduction“ (GW  12, 16) des Begriffs aus dem Substantialitätsverhältnis der Wesenslogik. In diesem Zusammenhang wird nochmals Spinoza als entscheidender Pate aufgerufen. Den zweiten Teil (GW  12, 16–19, bis Zeile 11) nennt Hegel „eine Bemerkung, die für das Auffassen der hier entwickelten Begriffe dienen kann, und es erleichtern mag, sich darein zu finden“ (GW 12, 17). Dies leistet sie in Auseinandersetzung mit Kants transzendentaler Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. An diese erste „Bemerkung“ schließen sich „einige weitere Bemerkungen“ (GW 12, 19) an, zwei, um genau zu sein, die sich mit Folgeproblemen der Kant-Lektüre befassen (GW 12, 19–23, bis Zeile 28, und GW 12, 23–28). Ich werde mich in diesem Kommentar auf die ersten beiden Abschnitte beschränken.

1 D  ie objektive Logik als Enthüllung der Substanz und Genesis des Begriffs 1.1 Kritik der Unmittelbarkeit Einfach so in die subjektive Logik einzusteigen, wäre falsch. So hebt die Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ an. Denn das „einfach so“ ist schlechthin fragwürdig. Hegel beginnt seine subjektive Logik daher mit einer Kritik der Unmittelbarkeit. „Was die Natur des Begriffes sey“ (GW 12, 11), das könne nicht „unmittelbar angegeben“ (ebd.), nicht einfach so dekretiert werden. Die subjektive Logik ist, anders als beispielsweise die Geometrie, keine Wissenschaft, in der Axiome an den Anfang gestellt werden und sich dann alles weitere per Ableitung aus ihnen ergibt. Hier klingt bereits an, was Hegel an dem sonst so geschätzten Spinoza irritiert. Hegel würde sagen, dass die geometrische Methode  – entgegen ihrer Absicht, die ja gerade auf größtmögliche Klarheit zielt – die Sache der Logik verunklart. Sie verunklart, indem sie Klarheit nur vortäuscht. Die Wissenschaft der subjektiven Logik hingegen darf nicht mit „Axiomen, unabgeleiteten und unableit-

Christian Iber, Günter Kruck, Berlin 2006, 11–23, 13–19; Anton Friedrich Koch, „Hegel: Die Einheit des Begriffs“, in: Einheit und Vielheit als metaphysisches Problem, hg. v. Johannes Brachtendorf u. Stephan Herzberg, Tübingen 2011, 177–198, 182 f.; Michael Quante, Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel, Berlin 2011, 165–168; Anton Friedrich Koch, „Subjektivität und Objektivität. Die Unterscheidung des Begriffs“, in: Hegel  – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, hg.  v. Anton Friedrich Koch, Friedrike Schick, Klaus Vieweg u. Claudia Wirsing, Hamburg 2014, 209–221, 213 f.



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baren Erkenntnißbestimmungen“ (ebd.) anfangen. Sonst wäre der Zusammenhang mit dem Rest der Welt ja nur ein behaupteter, der am Ende wieder der Überprüfung und Bestätigung seitens einer anderen Instanz bedürfte. Geometrie ist zwar in sich stimmig. Aber ob ein Schuhkarton rechteckig geschnitten ist, dafür bedarf es des Augenmaßes oder im Zweifelsfall ausgefeilter Messinstrumente. Der Zusammenhang von Geometrie und Welt liegt außerhalb jener Wissenschaft. In der Logik geht es statt um Behauptungen samt der Angewiesenheit auf nachträgliche äußere Bestätigung um selbständige Begründung. Diese ist es, die unter dem Namen „Begriff“ firmiert. Hegel will den Begriff als „absolute Grundlage“ (ebd.) erweisen – bzw. er beansprucht, wie er bald zugeben wird, dass er dies im Gang der objektiven Logik bereits getan hat. Als solch eine absolute Grundlage soll der Begriff durchaus mehr sein „als eine subjective Voraussetzung“ (ebd.). Letztere wäre zwar schon ein Schritt über das Behaupten eines Axioms hinaus, denn sie wäre die Anerkenntnis des Umstands, dass Axiome eben Behauptungen sind. Aber die Anerkenntnis dessen, dass Willkür zum Zuge kam, ist noch keine Wissenschaft. Es ist Begründen gefordert statt Behaupten und auch statt Kon­ statieren. Hegel formuliert die Herausforderung, die sich daraus ergibt, mit den Worten, der Begriff müsse „sich zur Grundlage gemacht“ (ebd.) haben. Axiome erscheinen zwar als voraussetzungslos, aber sie sind es nicht. Denn sie sind von anderen zu Axiomen gemacht worden. Der Begriff soll von nichts und niemandem zu dem gemacht worden sein, was er ist, außer von ihm selbst. Er soll von nichts und niemandem abhängig sein, alles andere vielmehr soll von ihm abhängen und ohne ihn nicht in einen letztgültigen Zusammenhang gebracht werden können. Das ist das Programm. Hegel meint, dass er genau dieses Programm bereits in der objektiven Logik verfolgt und umgesetzt hat. Der Begriff war implizit schon in ihr tätig: „Seyn und Wesen sind insofern die Momente seines Werdens; er aber ist ihre Grundlage und Wahrheit, als die Identität, in welcher sie untergegangen und enthalten sind. […] Die objective Logik, welche das Seyn und Wesen betrachtet, macht daher eigentlich die genetische Exposition des Begriffes aus“ (GW 12, 11).

Ohne Sein und Wesen ist der Begriff nicht zu haben. Die subjektive Logik ist nichts, was einfach nur abgehoben über der objektiven Logik schweben würde. Andersherum ist hier freilich auch schon angedeutet: wenn die Logik des Seins und die Logik des Wesens ihr eigenes Niveau nicht verfehlen wollen, dann müssen sie sich im Nachhinein als offen für die und getragen von der Logik des Begriffs erweisen können. Die gesamte objektive Logik wird als „genetische Exposition des Begriffes“ angesprochen, welcher wiederum die „Grundlage und Wahrheit“ der gesamten

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 Thomas Hanke

objektiven Logik sein soll. Diese wechselseitige Beziehung und Durchdringung kennzeichnet mithin das Großprojekt der Wissenschaft der Logik. Innerhalb ihrer sind speziell der dritte Abschnitt der Wesenslogik, der von der Problematik des Absoluten bzw. der spinozistischen Substanz ausgeht, angesprochen, und noch spezieller dessen drittes Kapitel, in dem, wie Hegel nun sagt, die „dialektische Bewegung der Substanz durch die Causalität und Wechselwirkung hindurch“ und somit „die unmittelbare Genesis des Begriffes“ (ebd.) erfolgt ist. Was war das Problem, das Hegel bei Spinoza festzustellen meinte? Ein Aspekt ist oben schon erwähnt worden: das Axiomatische seines Vorgehens. Die Substanz wird von Spinoza, so sieht es Hegel, einfach so an den Anfang der Ethik gestellt. Aufgabe der Logik ist es hingegen, dieser Setzung auf den Grund zu gehen. Das Werden des Begriffs ist nichts anderes als die Begründung der Sub­ stanz. Im Begriff drückt sich aus, was die Substanz eigentlich meint: „sie ist das an sich, was er als manifestirtes ist“ (ebd.).

1.2 Rekapitulation des absoluten Verhältnisses Nach diesen einleitenden Bemerkungen bietet Hegel eine Zusammenfassung der am Ende der Wesenslogik geleisteten Begründung der Substanz.2 Er tut dies, indem er den Ausgangspunkt benennt – die Substanz als „das Absolute“ (GW 12, 12) – und dann die „Bewegung der Substantialität“ (ebd.) nachzeichnet. Unter Substanz versteht Hegel die grundlegende Kategorie der Wirklichkeit. Sie ist „das an- und für sich-seyende Wirkliche“ (ebd.). In ihr ist alles inbegriffen, alles enthalten: alles Wirkliche, alles Mögliche. An sich betrachtet ist die Substanz diese „einfache Identität“ (ebd.) von allem. Zugleich zeichnet sich damit die Struktur des Für sich ab: die Substanz ist völlig auf sich selbst bezogen. Sie ist „absolute Macht“ (ebd.), die alles zusammenhält, und „schlechthin auf sich beziehende Negativität“ (ebd.), weil sie nichts von sich ausschließt. Diese Bestimmung der Substanz ist der Ausgangspunkt. Nun muss die Bewegung in Gang kommen. Das geschieht durch genauere Analyse. Denn in der Identität zeichnet sich ein Spalt ab. Wird die Wirklichkeit so verstanden, dass in der

2 Ich folge hier dieser Zusammenfassung, ohne eine Konfrontation mit dem Text der entsprechenden Kapitel in der Wesenslogik vorzunehmen. Vgl. dazu den Beitrag von Holger Hagen in diesem Band sowie Christian Iber, „Übergang zum Begriff. Rekonstruktion der Überführung von Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung in die Verhältnisweise des Begriffs“, in: Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen „Subjektiven Logik“, hg. v. Anton Friedrich Koch, Alexander Oberauer u. Konrad Utz, Paderborn 2003, 49–66.



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beschriebenen Weise alles in der einen Substanz inbegriffen ist, dann kommen in dieses Gedankengebäude die Motive von Aktivität und Passivität hinein, von Zusammenhalten und Zusammengehaltenwerden. Die behauptete Identität der Substanz ist komplexer, als bisher gedacht. Die sich auf sich beziehende Negativität bezieht sich gar nicht einfach nur auf sich, sondern indem sie das machtvoll tut, ist ein Anderes vorausgesetzt, welches diese Macht erleidet. Hegel treibt diesen Spalt so weit in die Identität der Substanz hinein, dass er von einer „passiven Substanz“ (ebd.) spricht, die der „active[n] Substanz“ (ebd.) als Material zur Verfügung steht. Somit ist die vermeintlich statische Substanz in Bewegung geraten. Im nächsten Schritt muss nun mit den beiden Spaltprodukten der aktiven und passiven Substanz umgegangen werden. Wie können sie noch anders beschrieben werden? Sie liegen ja nicht nur vor. Die aktive Substanz setzt die passive voraus. Aber sie tut das, indem sie sich zugleich auf sie bezieht. Sie übt ihre Aktivität an ihr aus. Sie wirkt auf sie ein. Das Verhältnis von aktiver und passiver Substanz ist das Verhältnis von Ursache und Wirkung: Kausalität. Auch das Kausalitätsverhältnis kann noch einmal weiter aufgeklärt werden. Denn es ist ja wiederum nicht statisch. Kausalität verändert. Und zwar verändert sie sowohl dasjenige, auf das eingewirkt wird, als auch das, was sich als einwirkende Macht präsentiert. Die erste Seite dürfte naheliegen: „die Ursache wirkt auf die passive Substanz, sie verändert deren Bestimmung“ (GW  12, 13). Die Macht macht etwas mit dem Ohnmächtigen. Sie überträgt sich auf es. Die Wirkung ist nicht nur Wirkung als ein fest umrissenes, abgeschlossenes Produkt, sondern sie wird selbst „zur Ursache, Macht und Thätigkeit“ (ebd.). So steht Ursächlichkeit plötzlich auf beiden Seiten, die passive Substanz erweist sich als identisch mit der aktiven Substanz. Deshalb kann auch von der letzteren gesagt werden, dass sie sich im Kausalitätsverhältnis verändert. Sie überträgt ihre Macht in die passive Substanz, welche zunächst als „ihr anderes“ (ebd.) vorausgesetzt werden musste. Im Vollzug dieses Übertragens aber stellt sich heraus, dass dieses Andere keine fremdes Gegenüber mehr ist, sondern ebenfalls Aktivität und Ursache. Auch aus Perspektive der aktiven Substanz ist zu sagen: sie ist identisch mit der passiven. Aus der Kausalität, die ein Gefälle von der Ursache zur Wirkung zu besagen scheint, ist mithin ein gleichberechtigtes Verhältnis geworden: die Wechselwirkung. Mit diesen Operationen hat Hegel ein reicheres Verständnis der Substanz gewonnen. Ausgangspunkt war ein statisches Substanzkonzept. Dieses ist zerbrochen. Aber Hegel begnügt sich nicht mit dem Aufsammeln der Einzelteile. Der Spalt, der sich in der statischen Substanz aufgetan hat, erweist sich als heilsam. Denn er erlaubt, im Durchgang durch die Kategorie der Kausalität hin zur Wechselwirkung, eine Reformulierung der Substanz als komplexer Struktur. Sie bleibt nicht gespalten in aktive und passive Substanz(en). Von diesen gilt nämlich:

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„Nach beyden Seiten […], des identischen sowohl als des negativen Beziehens der andern auf sie, wird jede das Gegentheil ihrer selbst; diß Gegentheil aber wird jede [so], daß die andere, also auch jede, identisch mit sich selbst bleibt. – Aber beydes, das identische und das negative Beziehen, ist ein und dasselbe; die Substanz ist nur in ihrem Gegentheil identisch mit sich selbst, und diß macht die absolute Identität der als zwey gesetzten Substanzen aus“ (GW 12, 13).

Nochmals sei gesagt: dieses Ergebnis sieht Hegel mit dem Ende der Wesenslogik als erreicht an. Die Wechselwirkung restituiert die Substanz als sinnvolles, als unverzichtbares Grundkonzept zur Beschreibung der Wirklichkeit. Deswegen spricht er hier, zu Beginn der subjektiven Logik, auch von der errungenen „Vollendung der Substanz“ (GW 12, 14). Allerdings ist es mit diesem Rückblick noch nicht getan. Die Vollendung der Substanz bedeutet noch nicht das Ende der logischen Ausfaltung. Mit ihr ist vielmehr „ein höheres“ (ebd.) erreicht, für das es neue Worte braucht. Wenn die Substanz vollendet ist, d. h. wenn man begriffen hat, was Substanz in ihrer Komplexität wirklich meint, dann ist man laut Hegel bereit und fähig, nun vom „Begriff“ und vom „Subject“ (ebd.) zu handeln.

1.3 V  erteidigung Spinozas gegen Jacobi – und Gewinn eines neuen Freiheitsbegriffs Eigentlich könnte nun gleich der nächste Schritt gegangen werden. Aber Hegel fügt ein retardierendes Element ein. Er sieht sich veranlasst, abermals Stellung zu Spinoza  – und auch zu Jacobi  – zu beziehen. Hegel war bereits in der Wesenslogik, am Ende des Kapitels über „Das Absolute“, explizit auf Spinoza eingegangen (vgl. GW 11, 376–378) – also an der Stelle, an der er die Grenzen des statischen Substanzbegriffs benannt hatte. Nun, in der Passage „Vom Begriff im allgemeinen“, erfolgt der Spinoza-Einschub indes im Anschluss an die Restitution des Substanzbegriffs durch die Bewegung der Wechselwirkung. Schon diese Wanderung Spinozas vom Anfang zum Ende der wesenslogischen Herleitung des Begriffs mag stutzig machen. Deshalb wird es nötig sein, ein besonderes Augenmerk darauf zu verwenden, was genau Hegel mit Spinoza im Endeffekt vorhat und wovon bzw. von wem er Abstand nehmen will. Unter Spinozismus bzw. unter dem „System des Spinoza“ (GW  12, 14) versteht man für gewöhnlich jene „Philosophie, welche sich auf den Standpunkt der Substanz stellt und darauf stehen bleibt“ (ebd.). So hat es auch Hegel im Kapitel über „Das Absolute“ in der Wesenslogik getan. Er hat sich dort sozusagen an den allgemeinen Sprachgebrauch angepasst, ein Vorurteil aufgegriffen: Spinozismus als starres, statisches System. Damit ist auch sein „Mangel“ (ebd.) benannt.



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Für Hegel ist besagter Standpunkt jedoch der Ausgangpunkt für eine Bewegung geworden, wie sie in 1.2 rekapituliert worden ist. Auf diese Weise wird deutlich, dass Spinoza nicht einfach nur falsch liegt, sondern dass er vielmehr die entscheidende letzte Etappe auf dem Weg zum Begriff in Gang bringt. Das möchte Hegel unmissverständlich festhalten: „Aus dem Zusammenhange, in welchem hier das Spinozistische System vorkommt, geht von selbst der wahre Standpunkt desselben und der Frage, ob es wahr oder falsch sey, hervor“ (ebd.). Hegel möchte Spinoza von dem Vorurteil, das gegen ihn herrscht und das er zunächst selbst perpetuiert hat, befreien. Im Zusammenhang seiner Logik soll sowohl der Sinn des Spinozismus als auch der Sinn der Frage nach dessen Wahrheit und Falschheit erhellen. Fangen wir mit dem zweiten Punkt an. Denn mit ihm kommt eine dritte Person ins Spiel, die das Problemfeld vorgibt, und das ist Jacobi. Jacobi ist allseits gerühmt worden, dass er wie niemand anderes verstanden habe, den Geist des Spinozismus zu fesseln.3 Spinoza habe ein in sich völlig konsequentes System vertreten, das sich nicht widerlegen lasse. Es laufe freilich auch auf einen rationalistischen Fatalismus hinaus. Dem widerspreche jedoch die Freiheit, die wir in uns verspüren und die wir in unserem Handeln in Anspruch nehmen. Wenn wir uns als Personen ernst nähmen, dann müssten wir dem Spinozismus trotz all seiner Stringenz abschwören und ihm gegenüber das Feld der Nicht-Philosophie, des Lebens etablieren. Beides zusammen gehe nicht, wir müssten uns entscheiden: entweder – oder.4 In diesem Sinne hat Jacobi die Frage nach Wahrheit und Falschheit des Spinozismus vermessen. Ihn hat Hegel vor Augen, wenn er sagt: „Ferner muß die Widerlegung [von Spinozas System; T. H.] nicht von aussen kommen, d. h. nicht von Annahmen ausgehen, welche ausser jenem Systeme liegen, denen es nicht entspricht. Es braucht jene Annahmen nur nicht anzuerkennen; der Mangel ist nur für den ein Mangel, welcher von den auf sie gegründeten Bedürfnissen und Foderungen ausgeht. Insofern ist gesagt worden, daß wer die Freyheit und Selbstständigkeit des selbstbewußten

3 Diese Formulierung findet sich in Schellings Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kritizismus. Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Historisch-Kritische Ausgabe, hg. im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Stuttgart/Bad Cannstatt 1976 ff., Band 3, 82. 4 Für prägnante Stellen, die sich insbesondere in der 1. und 2. Auflage der Spinoza-Briefe finden, vgl. Friedrich Heinrich Jacobi, Werke. Gesamtausgabe, Band 1, hg. v. Klaus Hammacher u. Walter Jaeschke, Hamburg/Stuttgart/Bad Cannstatt 1998, 16–30, 120–125, 259–263. – Hegel, GW 12 verweist in den Anmerkungen darüber hinaus auf Schellings Philosophische Briefe sowie Fichtes Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, die jeweils mit einem unüberbrückbaren Gegensatz von Kritizismus bzw. Idealismus auf der einen, Dogmatismus bzw. Spinozismus auf der anderen Seite operieren. Vgl. Hegel, GW 12, 339.

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Subjects nicht für sich als entschieden voraussetze, für den könne keine Widerlegung des Spinozismus Statt finden“ (GW 12, 14 f.).

Wer im Spinozismus nur ein isoliertes, statisches System erblickt, wird sich ihm in der Tat entgegensetzen wollen. Doch dann besteht die Gefahr, dass es keine gemeinsame Basis mehr für eine Diskussion gibt. Ich muss mich entscheiden bzw. habe mich schon entweder so oder so entschieden, und das war es. Das bedeutete aber, dass das „entgegengesetzte selbst ein einseitiges“ (GW  12, 14) wäre. Hier offenbart sich also „der wahre Standpunkt […] der Frage, ob es [sc. das spinozistische System; T. H.] wahr oder falsch sei“. Die vermeintlichen Freunde der Freiheit verkrampfen in ihrer Frontstellung gegen Spinoza. Sie meinen, den Feind durchschaut zu haben, und unterwerfen sich zugleich von fern seinem Diktat. Was ist nun Hegels Alternative zu dem von Jacobi vermessenen Szenario? Was ist der „wahre Standpunkt“ des spinozistischen Systems? Laut Hegel erkenne ich ihn, wenn ich nicht stehenbleibe beim stehenbleibenden Spinozismus. Wenn ich das Vorurteil aufgebe, er sei statisch und unverbesserlich. Wenn ich mich ihm nicht einfach nur entgegensetze, also nicht nur ein äußerliches Verhältnis zu ihm aufbaue, sondern ihn anerkenne als notwendige Basis für die weitere Diskussion. Er ist „ein nothwendiger Standpunkt, auf welchen das Absolute sich stellt“ (ebd.), und „insofern ist das System vollkommen wahr“ (ebd.). Und gegen Jacobis Vorschlag, Widerlegen durch Widersprechen zu ersetzen, sieht Hegel die „einzige Widerlegung des Spinozismus […] darin […], daß sein Standpunkt zuerst als wesentlich und nothwendig anerkannt werde, daß aber zweytens dieser Standpunkt aus sich selbst auf den höhern gehoben werde“ (GW 12, 15). Als wesentlich und notwendig anerkennen, das heißt: ich brauche die monistische Perspektive, die Spinoza gebahnt hat, wenn ich nicht aus dem logischen Prozess aussteigen möchte; ich brauche die Eine Substanz als grundlegende Kategorie der Einen Wirklichkeit, wenn ich nicht nur zusammenhanglose Einzelteile vor mir haben will. Widerlegt werden muss, dass das eine statische Konzeption ist. Aus sich selbst heraus muss das geschehen, das heißt: durch nichts anderes als die selbstkritische Analyse des Substanzbegriffs. Und genau das ist es, was Hegel am Ende der Wesenslogik vollzogen und was er soeben in der Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ wiederholt hat: den Spalt in der absoluten Identität zu entdecken, der zum absoluten Verhältnis der Wechselwirkung führt. Das ist in Hegels Augen die Widerlegung eines falsch verstandenen Spinoza gewesen, und es ist Ehre für den wahren Spinoza.5 Und wiederum ist es ein Beleg für die Präsenz des Wesens im Begriff. Hegel fasst sein Vorgehen zusammen:

5 Meine Bewertung von Hegels Stellung zu Spinoza ist offensichtlich eine freundlichere als diejenige bei Birgit Sandkaulen. „Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die



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„Die im letzten Buch enthaltene Exposition der Substanz, welche zum Begriffe überführt, ist daher die einzige und wahrhafte Widerlegung des Spinozismus. Sie ist die Enthüllung der Substanz, und diese ist die Genesis des Begriffs, deren Hauptmomente oben zusammengestellt worden“ (GW 12, 15).

Der Weg von der vermeintlich statischen Substanz zu ihrer Wahrheit lässt sich auch beschreiben als Umgestaltung von Notwendigkeit in Freiheit. Auch das erklärt sich vor der Kontrastfolie Jacobis. Denn genau die starre, fatalistische Notwendigkeit Spinozas sowie Jacobis eigenes Postulat einer lebendigen Freiheit, der wir uns als Personen gewiss sind, waren es ja, die als unvereinbar schroff entgegengesetzt wurden. Wenn Hegel konsequent sein möchte, dann muss er also auch diesen Gegensatz verwinden und den Begriff der Freiheit auf dem der Notwendigkeit als seiner wesentlichen Basis aufsatteln. Das tut er mit wenigen Sätzen und einigen plakativen Formulierungen, was die Gefahr mit sich bringt, sie eben als plakative abzuhaken. Es steckt in ihnen jedoch einige Brisanz. Denn hier wird kein Freiheitsbegriff vorausgesetzt, über den alle angeblich schon einig wären. Der Freiheitsbegriff wird vielmehr an dieser Stelle erst generiert. Und er hat nichts mit dem zu tun, was Jacobi Freiheit nannte und was wir auch heute noch umgangssprachlich darunter verstehen, nämlich nach Belieben das eine zu wählen und das andere zu lassen. Die Notwendigkeit der als statisch verstandenen Substanz nennt Hegel eine „innre“ (ebd.). Das war ja die Minimalbestimmung von Substanz, dass sie alles in sich enthält, also kein Außen, kein Anderes zulässt. Mit Hilfe der weiteren wesenslogischen Operationen ist deutlich geworden, dass die Eine Substanz nicht ohne Ausdifferenzierung, nicht ohne Einbezug des Anderen zu denken ist.

Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische ‚Widerlegung‘ der Spinozanischen Metaphysik“, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007), 235–275. Sandkaulen kritisiert Hegels Verwendung von zwei verschiedenen „Versionen“ des Substanzbegriffs scharf und erblickt darin eine Inkonsistenz (und nicht eine Entwicklung), die den gesamten Übergang von der objektiven zur subjektiven Logik infiziere. Hegel mache sich, in der Logik und andernorts, eines bloß strategischen Einsatzes Spinozas schuldig. Mein Eindruck ist allerdings, dass Sandkaulen nicht minder strategisch verfährt, indem ihre Kritik an Hegel nur vordergründig Spinoza, in Wirklichkeit aber Jacobi verteidigen soll. – Dass es sich um zwei Versionen des Substanzbegriffs handelt, ist natürlich unbestritten. Vgl. dazu auch Christian Iber, „Hegels Konzeption des Begriffs“, in: Hegels Wissenschaft der Logik (a. a. O., Anm. 1), 182. Iber benennt die Schwierigkeiten in Hegels Vorgehen, deutet es jedoch insgesamt als „immanente und konstruktive Kritik an Spinoza“ (ebd., 183). Hegels ursprüngliche Einsicht  – wenn auch nicht sein Erfolg im Zusammenhang des Systems  – wird ebenfalls positiv bewertet bei Andreas Arndt, „‚Enthüllung der Substanz‘. Hegels Begriff und Spinozas dritte Erkenntnisart“, in: Affektenlehre und amor Dei intellectualis. Die Rezeption Spinozas im Deutschen Idealismus, in der Frühromantik und in der Gegenwart, hg. v. Violetta Waibel, Hamburg 2012, 231–242.

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Die „Einheit der Substanz“ darf nicht einfach so vorausgesetzt, sondern sie muss unter Einbezug des Anderen, in der Wechselwirkung, errungen werden; „indem sie durch das Moment der absoluten Negativität sich setzt, wird sie manifestirte oder gesetzte Identität, und damit die Freyheit, welche die Identität des Begriffs ist“ (ebd.). Das Wort „Freiheit“ meint hier also gewiss nicht Wahlfreiheit. Es wird eher im Sinne einer Nicht-Verschlossenheit, einer Offenheit für Anderes verwendet. „Freiheit“ bezeichnet an dieser Stelle die Struktur erfolgter und erfolgreicher Wechselwirkung.6 „Freiheit“ ist das Synonym für die komplexe Identität des Einen mit Anderem als mit sich selbst. Beide Pole sind gleichberechtigt und benötigen einander gleichermaßen. Insofern ist Notwendigkeit in diesem Begriff der Freiheit nach wie vor basal. Freiheit ist nicht durch einen äußerlichen Gegensatz zur Notwendigkeit bestimmt worden. Das ist also Hegels logischer Begriff der Freiheit, oder auch der „Begriff des Begriffes“ (GW 12, 16), wie er kurz darauf sagen wird. Die plakativen Formeln von der „zum Begriffe befreyte[n] Substanz“ (ebd.) oder davon, dass sich im „Begriffe […] das Reich der Freyheit eröffnet“ (GW 12, 15) habe, wollen das unterstreichen. Isoliert betrachtet, ohne die Herleitung, wären sie vollkommen irreführend. Die Freiheit des Begriffs und somit die subjektive Logik wie einen Deus ex machina der objektiven Logik überzustülpen, wäre das Gegenteil von dem, was Hegel will.

1.4 Die Zwei-Einheit von Allgemeinem und Einzelnem Wenn der Begriff die Struktur besitzt und manifest macht, die in der Wechselwirkung erreicht worden ist, dann ist er zugleich absolutes Bestimmen und absolutes Bestimmtsein. Beide Seiten gehören notwendig zusammen. Hegel nennt sie das Allgemeine und das Einzelne. Der Begriff ist das Allgemeine, weil er sich nur auf sich selbst bezieht, weil er von nichts anderem abhängt, weil er die Negation von jedem ihm Äußerlichen ist. Und der Begriff ist zugleich das Einzelne, weil er mit diesem negativen Ausschließen alles Äußerlichen das andere als ihm zugehörig affirmiert hat. Allgemeines und Einzelnes beschreiben nicht zwei voneinander getrennte Ebenen. Es liegt nicht auf einer unteren Ebene eine wirre Mannigfaltigkeit von Einzelteilen vor, auf die eine in ihrer Begründung unabhängige Schablone des Allgemeinen gepresst wird. Was umgangssprachlich „als vollkommener Gegensatz erscheint“ (GW 12, 16), erweist sich im Übergang von der Wesens- zur Begriffslogik als eine „Zweyheit“, die zugleich Identität ist. Ohne

6 Dasselbe gilt für Hegels Verwendung des spinozistischen Begriffs der causa sui. Vgl. Hegel, GW 12, 16.



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Allgemeines kein Einzelnes, ohne Einzelnes kein Allgemeines: „indem das eine begriffen und ausgesprochen wird, [ist] darin das andere unmittelbar begriffen und ausgesprochen“ (ebd.). Hegel beschränkt sich auf wenige Zeilen zu diesem offensichtlich nicht unwichtigen Thema. Interessant ist, dass er hier auf die Kategorie des Besonderen verzichtet. Er hatte sie zusammen mit Allgemeinem und Einzelnem auf der letzten Seite der Wesenslogik eingeführt (vgl. GW 11, 409); und alle drei werden im Subjektivitätsabschnitt der Begriffslogik ausführlich zum Einsatz kommen. In der Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ nennt er nur die beiden Aspekte, die er für seinen nächsten Schritt braucht.

2 B  egriff, Subjekt, Individuum: Hegels Ausein­ andersetzung mit Kants transzendentaler Deduktion der reinen Verstandesbegriffe 2.1 Der Zeitgeist als Feind der Philosophie Nach den bisherigen Ausführungen scheint Hegel recht zufrieden zu sein. Das „so eben vorgetragene“ sei „als der Begriff des Begriffes zu betrachten“ (GW 12, 16). Der Rückblick auf die Wesenslogik und die gestraffte, leicht variierende Rekapitulation der Durchdringung des Substanzbegriffs waren erfolgreich. Denn der Begriff des Begriffes kann nicht anders gewonnen werden: nicht von außen angefügt, nicht von oben aufgepfropft. Vielmehr kann „in der Wissenschaft des Begriffes […] dessen Inhalt und Bestimmung allein durch die immanente Deduction bewährt werden, welche seine Genesis enthält, und welche bereits hinter uns liegt“ (ebd.). So weit, so gut. Allerdings wird man spätestens hier anmerken mögen, dass diese Rede vom Begriff von der üblichen durchaus abweicht. Wie man umgangssprachlich das Wort Begriff verwende, „was man sonst unter Begriff verstehe“ (ebd.), so weiß auch Hegel, ist doch etwas ziemlich anderes. Schlimmer noch: es ist nicht nur die Alltagssprache, es ist auch die Philosophie seiner Zeit, die den Begriff des Begriffs völlig verfehlt. Hegel quittiert das mit der ihm eigenen Süffisanz. Es sei üblich geworden, „auf den Begriff alle üble Nachrede zu häuffen, ihn, der das höchste des Denkens ist, verächtlich zu machen und dagegen für den höchsten sowohl scientifischen als moralischen Gipfel das Unbegreifliche und das Nicht-Begreiffen anzusehen“ (GW  12, 17). So lachhaft dieser Umstand für Hegel auch sein mag, so zwingt er ihn doch dazu, sich weiter über den Begriff zu erklären. Das kleine Stück,

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das voller Zufriedenheit mit dem Rückblick auf die wesenslogische Deduktion begann, mündet in ein neues Feld, auf dem die Auseinandersetzung um den Begriff nun fortgesetzt werden muss.

2.2 Das Argument aus dem Subjekt Hegel beginnt mit Understatement: „Ich beschränke mich hier auf eine Bemerkung, die für das Auffassen der hier entwickelten Begriffe dienen kann, und es erleichtern mag, sich darein zu finden“ (ebd.). Das klingt fast gelangweilt und steht in keinem Verhältnis zu der Kraft, die Hegel in die folgenden Seiten investieren wird. Aber der Reihe nach: zunächst einmal zeigt dieses nonchalante Vorgehen ein klares Gefälle an. Denn eine Hilfe zum „Auffassen“ ist ja eigentlich etwas, das man nicht unbedingt braucht. Sie ist eine Zugabe, ein illustrierendes Werk der Übergebühr. Entscheidend war die wesenslogische Deduktion der Begriffsstruktur. Allerdings, so hat ja der vorherige kurze Abschnitt gezeigt, muss Hegel wohl zugeben, dass man die folgende Hilfe zum „Auffassen“ angesichts der philosophischen Prägung seiner Gegenwart doch mehr oder weniger braucht. Der Fortgang der Logik bleibt  – zumindest in dieser einladend-einleitenden Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ – von der Zeitdiagnose nicht unberührt. Weil man ihm sonst nicht glauben würde, so scheint Hegel zu befürchten. Und ganz ehrlich: unwahrscheinlich dürfte es nicht sein, dass sich auch heutige Leserinnen und Leser etwas mehr als das Bisherige wünschen, um nachvollziehen zu können, dass die „Vollendung der Substanz“ zugleich „das Subjekt“ sei. Wir stehen an dieser Stelle also vor einer doppelten Herausforderung. Erstens ist die unverzichtbare Herkunft der subjektiven aus der objektiven Logik nicht aus den Augen zu verlieren. Die folgenden Seiten sind und bleiben damit überschrieben, eine illustrative „Bemerkung“ zu sein. Und das ist gut so, denn es verhindert, wenn jetzt gleich erstmals ausführlich vom Subjekt die Rede sein wird, in eine allzu subjektivistische Lesart der subjektiven Logik zu verfallen. Zweitens jedoch, so wird deutlich werden, würde man dieser „Bemerkung“ Unrecht tun, wenn man sie aufgrund ihrer Überschrift nicht ernstnähme. In ihr wird nämlich, ausgehend von Kants transzendentaler Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, eine Argumentation entwickelt, die auf den ersten Blick durchaus selbständig daherzukommen scheint. Und nur weil sie das tut, kann sie die immanente Deduktion aus der Wesenslogik auch wirklich stützen. Dass Hegel zuvor überhaupt das Wort „Deduktion“ verwendet, dürfte kein Zufall sein. Er präludiert damit die kommende Verbindung von Substanz und Subjekt, den



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Zusammenhang, den er zwischen Spinoza und Kant stiften möchte.7 In der Art und Weise, wie er es tut, ist jedoch auch schon eine Differenz zu Kant erkennbar. Für diesen waren das Auffinden der Kategorien im Leitfadenkapitel der Kritik der reinen Vernunft und der nachträgliche Ausweis der Berechtigung der Kategorienanwendung in der transzendentalen Deduktion zwei verschiedene Sachen. Hegel hingegen ist der Überzeugung, dass das Auffinden der Kategorien und ihre Rechtfertigung ein und dasselbe seien. Zumindest sagt der Text, der hier kommentiert wird, genau das: was bisher im Ausgang von Spinoza (zumindest von Hegels Spinoza) gezeigt worden ist, ist dasselbe, was nun im Ausgang von Kant (zumindest von Hegels Kant) gezeigt werden wird. Er sagt uns, das nebenbei, auch etwas über den Begriff der Deduktion selbst. Darunter verstehen wir heutzutage eine exakte, unwiderlegliche Herleitung. Wenn Hegel mit Blick auf die Schritte am Ende der Wesenslogik von Deduktion spricht, so ist diese Redeweise der heutigen ziemlich ähnlich. Hegel glaubt daran, dass er den Begriff des Begriffs exakt und unwiderleglich aus dem Substantialitätsverhältnis hergeleitet hat. Mit Blick auf die nun folgende konkrete Auseinandersetzung mit Kant sieht es derweil so aus, dass Hegel dessen Sprachgebrauch, Deduktion als eine nachträgliche Rechtfertigung zu verstehen, nahe kommt. Denn das möchte er jetzt leisten: für die, die es noch nicht verstanden haben sollten, eine nachträgliche Rechtfertigung des bisherigen Vorgehens liefern. Bei genauerem Zusehen lässt sich allerdings der kantische – und damit der klassische – Deduktionsbegriff auf das gesamte Projekt „Vom Begriff im allgemeinen“ ausdehnen. Wie Dieter Henrich ausgeführt hat, bedeutete „Deduktion“ bis einschließlich Kant das Belegen eines Rechtsanspruchs mittels der Darstellung seiner Genese.8 Und die „Genesis des Begriffs“ darstellen, genau das war es ja, was Hegel mit der Rekapitulation des Endes der Wesenslogik zu Beginn der Begriffslogik beabsichtigt hatte. Bereits die ersten Sätze seiner „Bemerkung“ machen deutlich, wie Hegel Motive aus Kants Kritik der reinen Vernunft und solche aus seiner eigenen Wissenschaft der Logik, aus der transzendentalen Logik der ersten und der objektiven Logik der zweiten, ineinanderflicht.9 Er setzt die Kenntnis beider voraus, wenn er schreibt:

7 Keinesfalls will er beide gegeneinander ausspielen, so bei Birgit Sandkaulen, „Ontologie der Substanz“, a. a. O. (Anm. 5), 237. 8 Vgl. Dieter Henrich, „Kant’s Notion of a Deduction and the methodological background of the first Critique“, in: Kant’s Transcendental Deductions, ed. by Eckart Förster, Stanford/California 1989, 29–46. 9 Eine frühere, kürzere Version des in diesem Abschnitt Folgenden, eingebettet in eine aktuelle Debatte, erscheint an anderer Stelle. Vgl. Thomas Hanke, „Eine soziale Theorie des Selbstbewusstseins in der Wissenschaft der Logik? Hegels Antwort auf Kant (nach Brandom)  – und verschiedene Rückfragen“, in: Hegels Antwort auf Kant. Akten des 30. Internationalen Hegel-Kongresses der Hegel-Gesellschaft, hg. v. Andreas Arndt u. a. (bislang unveröffentlicht).

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„Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frey ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtseyn. Ich habe wohl Begriffe, das heißt, bestimmte Begriffe; aber Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Daseyn gekommen ist“ (GW 12, 17).

In diesem Satz steckt dreierlei: nochmals die Unterscheidung von der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes „Begriff“ und der von Hegel etablierten; in der Formulierung „das reine Selbstbewußtseyn“ das Aufrufen der kantischen Position; und schließlich verweist Hegel hier weit zurück auf die Logik des Daseins, genauer auf die Kategorie des „Etwas“, bei der zum ersten Mal eine solche Struktur angedeutet und vorgebildet worden ist, wie sie nun beim Ich bzw. beim Begriff vollends offenbar wird. Das ist bereits in der ersten Auflage der Seinslogik präsent (vgl. GW 11, 65 f.). In der Neuauflage von 1831, den Zielpunkt nun noch besser vor Augen, wird Hegel deutlicher: „Das Etwas ist die erste Negation der Negation, als einfache seyende Beziehung auf sich. Daseyn, Leben, Denken u.s.f. bestimmt sich wesentlich zum Daseyenden, Lebendigen, Denkenden (Ich) u.s.f. […] – Das Negative des Negativen ist als Etwas nur der Anfang des Subjects, – das Insichseyn nur erst ganz unbestimmt. Es bestimmt sich fernerhin zunächst als Fürsichseyendes und sofort bis es erst im Begriff die concrete Intensität des Subjects erhält. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit mit sich zu Grunde“ (GW 21, 103).

Ausgehend von der Logik des Daseins führt ein Weg zum „Begriff im allgemeinen“ – über die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit, über das Fürsichsein, über die Reflexionsbestimmungen des Wesens und schließlich, wie gesehen, das Substantialitätsverhältnis.10 Und hier zu Beginn der subjektiven Logik trifft dieser Weg auf Kant mit seiner Lehre vom Selbstbewusstsein, der sozusagen von der anderen Seite aus aufgebrochen war. Kant bestimmt das Ich als Tätigkeit des Denkens, als ursprünglich-synthetische, d. h. synthetisierende Einheit des Selbstbewusstseins.11 Es ist der erklärtermaßen „höchste Punkt“ (KrV B 134) der Transzendentalphilosophie, die Bedin-

10 Dieser Zusammenhang zwischen Seins-, Wesens- und Begriffslogik wird sehr schön dargelegt bei Rolf-Peter Horstmann, „Hegel über Unendlichkeit, Substanz, Subjekt. Eine Fallstudie zur Rolle der Logik in Hegels System“, in: Das Endliche und das Unendliche (a. a. O., Anm. 1), 83–102. Der Begriff selbstbezüglicher Subjektivität wird „von denen der Unendlichkeit und der Substantialität getragen“ (92); „Selbstbeziehung ist für Hegel nicht primär an den Vollzug von Leistungen der [bewussten; T. H.] Selbstdifferenzierung und der Selbstidentifikation gebunden, sondern ist bereits ein notwendiges Ingredienz des Gedankens von Gegenständlichkeit überhaupt“ (95). 11 Die Kritik der reinen Vernunft wird im Folgenden unter Angabe der Originalpaginierung zitiert nach Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen, später Deutschen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902 ff.



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gung der Möglichkeit dafür, dass es zusammenhängende Erkenntnis und damit Wissenschaft geben könne. Der Grund dafür ist folgender: „[D]ie mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesammt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesammt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d.  i. als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung nothwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden“ (KrV B 132 f.).

Nur weil in einem, rein formalen und in dieser Form persistenten Ich die vielen Eindrücke zusammenkommen bzw. von ihm nach Regeln zusammengesetzt werden, gibt es Wissen. Das Ich bzw. das Selbstbewusstsein ist nach Kant also wesentlich Anderes-in-Beziehung-Setzen. Es ist aber streng unterschieden von der isolierten Selbstbeziehung einer Introspektion, die er mit dem Namen „innerer Sinn“ umschreibt und die am besten mit „Selbsterkenntnis“ wiederzugeben wäre (vgl. KrV B 152–159 und B 406–413). Diese ist nämlich auf empirische Eindrücke angewiesen und setzt ihrerseits das transzendentale Selbstbewusstsein voraus. Wie verhält sich Hegel dazu? Er hat seine Logik als Aufdeckung absoluter Relationalität entfaltet. Nun kommt er im „Begriff“ ebenfalls auf ihrem höchsten Niveau an. Während Kant das „Ich denke“ in der transzendentalen Deduktion treffend, aber ad hoc einführt, ist diese Aktion bei Hegel von langer Hand vorbereitet. Und zwar ist sie in einer Weise vorbereitet, die einerseits Kants Bestimmung des Selbstbewusstseins aufgreifen kann, andererseits die Trennung von Anderesin-Beziehung-Setzen und Selbstbeziehung von Anfang an unterläuft. Ich, der reine Begriff, ist in höchster Weise In-Beziehung-Setzen als Selbstbeziehung. Daher kann Hegel im Ich die Einheit von formaler Funktion und ontologischer Bestimmtheit auffinden. Es ist nicht nur Denken, das auf Objekte geht, sondern es ist auch reelles Etwas (wobei es offensichtlich viel zu wenig wäre, es dabei zu belassen, in ihm nichts anderes als reelles Etwas zu sehen). Aber genau so – jetzt plötzlich im Verein mit dem umgangssprachlichen Gebrauch  – ist uns das Ich oder das Selbstbewusstsein „etwas Bekanntes, d. i. der Vorstellung geläuffiges“ (GW 12, 17). Deshalb kann es hier zur Illustration herangezogen werden, als Erklärung der Logik des Begriffs für den Mann und die Frau auf der Straße (zumindest für diejenigen unter ihnen, die die Kritik der reinen Vernunft gelesen haben). Als Kant affirmierend und als Kant korrigierend sind demnach die folgenden beiden Punkte zu verstehen: „Ich aber ist diese erstlich reine sich auf sich beziehende Einheit, und diß nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahirt, und in die Freyheit

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der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht. So ist es Allgemeinheit; Einheit, welche nur durch jenes negative Verhalten, welches als das Abstrahiren erscheint, Einheit mit sich ist, und dadurch alles Bestimmtseyn in sich aufgelöst enthält. Zweytens ist Ich eben so unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität Einzelnheit, absolutes Bestimmtseyn, welches sich anderem gegenüberstellt, und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit“ (GW 12, 17).

Also: was Hegel bei Kant als richtige Einsicht anerkennt und was er übernimmt, ist, dass erst die „Einheit des Bewußtseyns“ „Beziehung“ stiftet und so „objective Gültigkeit“ (GW 12, 18) erzeugt. Das sind Zitate aus der transzendentalen Deduktion (vgl. KrV B 137), die Hegel unter höchstem Lob für Kant anführt.12 Und er macht deutlich: um diese Objektivität kraft Subjektivität, auf die Kant aus war, um die geht es auch ihm. Um diese Funktion der Subjektivität, ihre Abstraktionsleistung, ihr „negative[s] Verhalten“.13 Um die Ermöglichung zusammenhängender Fremdbeziehung durch die Beziehung auf sich selbst. Das ist die affirmierende Seite. Die korrigierende Seite besteht darin, dass Hegel anders als Kant nicht allgemeine, formale Subjektivität und konkrete, individuelle Personalität trennen möchte. Allgemeinheit und Einzelnheit zusammen machen für ihn das Interessante am Ich aus. Eben weil sich Fremdbezug und Selbstbezug wechselseitig benötigen. Es gehört zum Ich, nicht nur umgangssprachlich, dass es „Einzelnheit, absolutes Bestimmtseyn, welches sich anderem gegenüberstellt, und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit“ ist. Logik ist nicht nur transzendental. Hegel greift hier das Problem auf, an dem Kant und noch mehr Fichte laboriert haben: wie ist das Verhältnis von transzendentalem Ich und empirischem, endlichem Ich zu fassen und zu beschreiben? Es ist ja immer ein endliches Ich, ein Individuum, das die transzendental-logische Struktur des „Ich denke“ in Anspruch nimmt. Auch wenn Hegel nicht zum Frontalangriff übergeht, sondern galant verschweigt, dass hier ein Dissens besteht, so ist er doch der Auffassung, dass Kant diese zweite Seite unterbewertet habe; dass er transzendentales Ich und einzelnes Ich nebeneinander stehengelassen habe; dass er kontraintuitiv die logische Struktur des „Ich denke“ von mir als einzelner Person abgelöst habe.

12 Die Deduktion habe „von jeher für eines der schwersten Stücke der Kantischen Philosophie gegolten“ (Hegel, GW 12, 18), die in ihr ausgesprochene Rolle der Einheit des Selbstbewusstseins gehöre aber auch „zu den tiefsten und richtigsten Einsichten, die sich in der Kritik der Vernunft finden“ (Hegel, GW 12, 17). 13 Zur Unterstreichung dieses  – durch ein „nur“ extra hervorgehobenen  – „negative[n] Verhalten[s]“ vgl. auch die luziden Ausführungen bei Jaeschke, Unendlichkeit der Subjektivität, a. a. O. (Anm. 1), 105 f.



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Für Hegel indes ist das besagte Problem an dieser Stelle bereits hinreichend bearbeitet und behoben, nämlich mittels der wesenslogischen Auseinanderlegung des Substanzbegriffs. Die notwendige Wechselwirkung von Einem und anderem, der Bezug und die Beziehungsfähigkeit von Allgemeinem und Einzelnem ist bereits ausgewiesen worden. Das ist der Grund, warum Hegel an der hier besprochenen Stelle das Individuum mit nur einem Satz in die Diskussion der transzendentalen Deduktion einführen kann. Die Einheit und die Struktur der Substanz werden so auf die Einheit und die Struktur des Ich bzw. des Subjekts abgebildet. Wir haben hier also kein neues Argument vor uns, sondern nur eine Anwendung des Bisherigen. Andersherum wird uns in der Tat eine hilfreiche „Bemerkung, die für das Auffassen der hier entwickelten Begriffe dienen kann, und es erleichtern mag, sich darein zu finden“, geboten. Hegel nutzt geschickt Kants Subjektbegriff, indem er ihn erweitert. Er gibt sich so, als würde er die Intention der transzendentalen Deduktion, Selbstbeziehung zugunsten des Fremdbezugs zu thematisieren, weiterverfolgen und präzisieren. Denn das „Subjekt“, von dem er ab jetzt redet, zeichnet sich dadurch aus, dass ihm in Gestalt der individuellen Person der Bezug auf Fremdes nicht fremd, sondern eigen ist. Der nächste Gedankenschritt besteht darin, dass dieses „Subjekt“ für struktur­ identisch mit dem „Begriff“ erklärt wird: „Jene absolute Allgemeinheit, die eben so unmittelbar absolute Vereinzelung ist, […] macht ebenso die Natur des Ich, als des Begriffes aus“ (GW  12, 17). Nach wie vor soll dafür Kant der Gewährsmann sein. Es geht noch einmal um die Objektivität kraft Subjektivität, die in der transzendentalen Deduktion ausgewiesen wird. Was dort gerechtfertigt wird, ist ja der Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe als Kategorien für die Beschreibung von Gegenständen.14 Die Kategorien stiften Ordnung. Sie regeln die Erkenntnis. Ohne sie kein Wissen und keine Wissenschaft. So begreifen wir. Und da die Begriffe ihre Rechtfertigung aus der Einheit des Selbstbewusstseins erhalten, sieht Hegel sich in die Lage versetzt, diese Einsicht Kants ebenfalls zusammenzufassen und das Begreifen im „Begriff“ zu substantivieren. Daher also dieser Name. Hegel schließt seine Kant-Wiedergabe und übersetzt sie in seine eigene Logik wie folgt: „Nach dieser Darstellung ist die Einheit des Begriffs dasjenige, wodurch etwas nicht blosse Gefühlsbestimmung, Anschauung oder auch blosse Vorstellung, sondern Object ist, welche objective Einheit, die Einheit des Ich mit sich selbst ist. – Das Begreiffen eines Gegenstandes besteht in der That in nichts anderem, als daß Ich denselben sich zu eigen macht, ihn

14 Allerdings übernimmt Hegel nur das erste Beweisziel der transzendentalen Deduktion: dass die Kategorien a priori in der Tätigkeit des Verstandes gründen; er unterschlägt das zweite: dass sie nur im Hinblick auf gegebene sinnliche Anschauungen Erkenntnis konstituieren können (vgl. Kant, KrV, B 144 f.).

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durchdringt, und ihn in seine eigene Form, d.  i. in die Allgemeinheit, welche unmittelbar Bestimmtheit, oder Bestimmtheit, welche unmittelbar Allgemeinheit ist, bringt“ (GW 12, 18).

Der Bezug auf einen fremden Gegenstand verbleibt nicht im Subjektivismus. Seine objektive Bestimmung erhält der Gegenstand, indem er unter Begriffe gebracht wird, d.  h. indem er der Einheit des Selbstbewusstseins zugeordnet wird. Das Subjekt eignet sich etwas an, das ihm zuvor fremd war. Soweit ist die Beschreibung des Erkenntnisprozesses kantisch. Die hegelsche Zutat besteht darin, dessen Struktur, die Struktur des Begreifens, mit der oben dargelegten Struktur des Selbstbewusstseins, des Subjekts, zu identifizieren. Subjekt war bestimmt worden als allgemeine transzendentale Funktion und zugleich als ihr Anderes, als einzelnes Individuum im Wechselspiel mit Anderem. Beides gehört zusammen. Und so gehört auch beim Begreifen beides zusammen: der Bezug auf Anderes, das im Prozess des Begreifens in die allgemeine Einheit des Selbstbewusstseins überführt wird. Im Begreifen eines Gegenstandes affirmiert das Subjekt seine eigene Struktur. Und umgekehrt ist das Begreifen – oder eben der „Begriff“  – die Zielvorgabe, auf die hin sich Subjektivität realisiert, indem sie nämlich Objektivität erzeugt. So kommt Hegel zu dem Schluss: „Diese Objectivität hat der Gegenstand somit im Begriffe, und dieser ist die Einheit des Selbstbewußtseyns, in die er aufgenommen worden; seine Objectivität oder der Begriff ist daher selbst nichts anderes, als die Natur des Selbstbewußtseyns; hat keine andere Momente oder Bestimmungen, als das Ich selbst“ (GW 12, 18 f.).

Das war die „Bemerkung“ zum leichteren „Auffassen“, welche die immanente Deduktion des Begriffs des Begriffes aus der Wesenslogik durch die Diskussion von Kants transzendentaler Deduktion flankieren sollte. Hegel übernimmt den Anspruch der kantischen Philosophie, Objektivität kraft Subjektivität zu erzeugen und zu rechtfertigen. Deshalb spricht er von der Strukturidentität von „Begriff“ und „Subjekt“. Auch hier bleibt freilich ein wesenslogisches Argument wirksam, das Hegel über Kant hinaus in die Lage versetzt, allgemeine transzendentale Funktion und einzelne Individualität im Subjekt zusammenzudenken. Dass dieses Beharren auf dem Individuum keinen Rückfall in einen Dualismus mit separater Seelensubstanz bedeutet, liegt auf der Hand.15

15 Hegel stellt das mit einem scharfen Satz klar (vgl. Hegel, GW 12, 19). Es schließen sich dann die beiden eingangs erwähnten weiteren Bemerkungen an. Zunächst wendet sich Hegel gegen die Vermischung von Logik und Realphilosophie. Er bezichtigt Kant, in dieser Angelegenheit inkonsequent gewesen zu sein, womit er dazu beigetragen habe, die Logik bzw. den Begriff als etwas Leeres zu missdeuten, dem der Reichtum der sinnlich erfahrbaren Welt gegenüberstehe. Dann



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3 Wesentliche Subjektivität Zum Beschluss dieses Kommentars möchte ich zwei systematische Perspektiven benennen, die sich auf der Basis des behandelten Textes ergeben. Sie haben jeweils mit der Frage nach dem Wesen im Begriff zu tun. Zunächst drängt sich durch Hegels soeben nachvollzogene Auseinandersetzung mit Kants transzendentaler Deduktion eine subjektphilosophische Frage auf. Sodann ist nochmals anzuschauen, welchen Beitrag die Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ für die Entwicklung der Wissenschaft der Logik und darüber hinaus für das Verhältnis von Logik und Realphilosophie leistet. (1) Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer sich aus den Quellen der klassischen deutschen Philosophie speisenden Konzeption von Subjektivität ist häufig anhand des sogenannten Iterations- oder Zirkeleinwands diskutiert worden.16 Der Zirkel in der Erklärung des Selbstbewusstseins soll darin bestehen, dass das Subjekt, das sich auf sich selbst bezieht, bereits eine Vertrautheit mit sich selbst voraussetzen muss, um zu erkennen, dass es sich dabei tatsächlich auf sich selbst und nicht auf anderes bezieht – also voraussetzen muss, was durch den Akt der Selbstbeziehung doch erst zustande kommen sollte. Durch diesen Voraussetzungszirkel schlage die Erklärung von Selbstbewusstsein fehl. In der Literatur der vergangen Jahrzehnte variieren freilich die Zuschreibungen, welche der Klassiker dem Zirkel verfallen seien und welche ihn aufgedeckt hätten: Kant oder Fichte? Schelling, Hölderlin, die Frühromantiker? Meines Erachtens leistet Hegel in dieser Debatte einen hilfreichen Beitrag, und zwar gerade durch die Verschränkung von wesenslogischer Herleitung und Kant-Fortschreibung. Die notwendige wechselseitige Implikation von Selbst- und Fremdbezug im Substantialitätsverhältnis und damit im Subjektbegriff unterläuft von vornherein den Zirkeleinwand. Denn das Problem wird anders gestellt: es geht nicht um einen vermeintlich privilegierten Selbstbezug des Subjekts, der dann als nachträglich gegenüber der Voraussetzung seiner selbst entlarvt wird. Hegels Vorschlag ist, dass das Subjekt als substantielle Einheit des gleichbe-

wärmt Hegel den üblichen Vorwurf gegen Kant auf, dass dieser mit der Rede von der Nicht-Erkennbarkeit der „Dinge an sich“ den Weg zur Wahrheit verbaut habe. Ziel der Logik sei hingegen genau diese: absolute Wahrheit, die freilich nicht abstrakt sei, sondern gerade das Inhaltsreichste und Konkreteste. 16 Vgl. dazu den Überblick über verschiedene Versionen dieses Einwands bei Klaus Düsing, Selbstbewußtseinsmodelle. Moderne Kritiken und systematische Entwürfe zur konkreten Subjektivität, München 1997, 97–120. Speziell für unsere Thematik vgl. Christian Iber, „In Zirkeln ums Selbstbewußtsein. Bemerkungen zu Hegels Theorie der Subjektivität“, in: Hegel-Studien 35 (2000), 51–75.

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rechtigten Wechselspiels von Selbst- und Fremdbezug strukturell nichts anderes ist als Wirklichkeit überhaupt. Subjektphilosophisch zum Tragen kommt diese wesenslogische Auffassung erstens, indem Kants strikte Trennung von allgemeinem Subjekt und individueller Person in eben jene Einheit überführt wird. Zweitens behält Hegel Kants Perspektive bei, Subjektivität auf Objektivität hin zu finalisieren. Auch nach der Einführung des Subjektbegriffs geht es nicht um isolierte Introspektion, sondern ums Begreifen, um den Begriff. Nur deshalb kommt das Subjekt in der Logik vor – bei Hegel wie bei Kant. (2) Auf diese Weise werden wir vom Subjekt weg- und auf den weiteren Verlauf der Logik hingewiesen. Wie erwähnt dient Hegel die Diskussion der transzendentalen Deduktion lediglich zur Illustration. Die Einheit des Selbstbewusstseins ist ein Beispiel dafür, was die Einheit des Begriffes sei. Ein treffendes, das ist festzuhalten, aber zunächst einmal nur ein Beispiel. Anton Friedrich Koch unterscheidet „zwischen dem Begriff im logischen Raum und dem Begriff als logischem Raum“17. Was nun zu folgen hat, ist die Explikation eben dieses Raumes. Die Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ speist die dazu notwendigen wesenslogischen Voraussetzungen in die Logik des Begriffs ein. Und sie hat mit Subjektivität und Objektivität bereits die beiden Pole gekennzeichnet, die die innere Spannung der folgenden Diskussion ausmachen werden. Über die Entwicklung innerhalb der Logik hinaus baut „Vom Begriff im allgemeinen“ allerdings auch eine Brücke in die Realphilosophie. Das Beispiel des Subjekts lag als das Phänomen nahe, das es ist. Mit seiner Einbindung in die Logik wird der Takt vorgegeben für die Interpretation der Zusammenhänge, in denen es sonst noch auftritt. Dies sind vor allem soziale Zusammenhänge: Räume des Konflikts und der wechselseitigen Anerkennung. Die Logik  – genauer: die wesenslogische Herleitung des Begriffs in der illustrierenden Verschränkung mit dem Phänomen des Subjekts  – reklamiert auch für sie die oben ausgewiesene Struktur. Einer reduktiven Deutung des Subjekts, die in ihm lediglich das Produkt gesellschaftlicher Prozesse erblickt, widerspricht die Passage „Vom Begriff im allgemeinen“. Sie hat gezeigt, dass das Subjekt sich auf Anderes bezieht, indem es sich auf sich selbst bezieht, und umgekehrt. Diese Struktur ist nicht realphilosophisch induziert. Vielmehr gilt in entgegengesetzter Richtung: gerade mit ihrer Hilfe, d. h. als Folge der Logik, werden realphilosophische Anerkennungsverhältnisse verständlich.18

17 Koch, Subjektivität und Objektivität, a. a. O. (Anm. 1), 213. 18 Diese können  – so würde ich vorläufig behaupten  – tatsächlich ganz der Realphilosophie überlassen bleiben. Einen anderen Vorschlag, nämlich den der intersubjektiven Erweiterung der



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In diesem Kommentar stand das Wesen im Begriff im Mittelpunkt des Interesses. Damit habe ich – noch einmal die Punkte (1) und (2) zusammengenommen – zwei Absichten verfolgt. Ich bin der Auffassung, dass das Wesen im Begriff eine subjektivistische Verdrehung der Begriffslogik verhindert. Und ich halte es für ein wichtiges Korrektiv auch im Hinblick auf Lesarten der Realphilosophie, die ausschließlich intersubjektivistisch agieren. Mit der teilweise so leichtfüßigen Passage „Vom Begriff im allgemeinen“ befinden wir uns tatsächlich an einem Dreh- und Angelpunkt von Hegels System.

Logik des Begriffs, macht Petra Braitling, Hegels Subjektivitätsbegriff. Eine Analyse unter Berücksichtigung intersubjektiver Aspekte, Würzburg 1991.

Andreas Arndt

Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx 1 Über Marx’ Rezeption und Deutung der Hegelschen Lehre vom Wesen – das zweite Buch der Objektiven Logik, des ersten Bandes der Wissenschaft der Logik, – lässt sich nicht sprechen, ohne zuvor einige Worte über Marx’ Verhältnis zu Hegels Logik überhaupt zu verlieren. Dass Marx Hegels Logik studiert hatte und im Rahmen der Ausarbeitung seiner Kritik der politischen Ökonomie immer wieder in wechselnden Kontexten auf sie zurückkam, ist bekannt und bedarf an dieser Stelle keiner neuen Belege.1 Weniger bekannt ist, dass dies in der Rezeption der Marxschen Theorie nicht immer interessiert hat. Die Theoretiker der II. Internationale hielten Marx’ Bezugnahmen auf Hegel eher für Erinnerungen an seine Studentenzeit, sahen sie in der überwiegenden Mehrheit aber keineswegs als aufschlussreich für seine Theorie an.2 Dass Marx Hegel mehr verdankt, als nur einige Arabesken im Kapital, behauptete energisch und folgenreich erst der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin, als er am Beginn des Ersten Weltkrieges, 1914/15, im Schweizer Exil in der Berner Bibliothek selbst Hegels Wissenschaft der Logik las.3 So paradox es auf den ersten Blick erscheinen mag: Dadurch, dass die Ergebnisse dieser Lektüre in seine weitere publizistische Tätigkeit einflossen sowie dadurch, dass Lenins dabei entstandenen Notizen zu Hegel zwischen 1925 und 1930 auch veröffentlicht wurden, wurde Lenin zum Begründer des Hegelmarxismus im 20. Jahrhundert,4 der damit in seinem Ursprung kein „westlicher“ Marxismus ist; dieser Schein ent-

1 Vgl. dazu Andreas Arndt, Karl Marx, Versuch über den Zusammenhang seiner Theorie, Berlin 2012, 216–255 (5. Kapitel). 2 Vgl. dazu Andreas Arndt, „Lenins Konzeption materialistischer Dialektik 1914/15  – I.: Die materialistische Lektüre der ‚Logik‘ Hegels“ und „Exkurs: Anmerkungen zur Verfallsgeschichte der Theorie materialistischer Dialektik in der II. Internationale“, in: Lenin – Politik und Philosophie. Zur Entwicklung einer Konzeption materialistischer Dialektik, Bochum 1982, 329–439 und 597–609. 3 Vgl. Andreas Arndt, „Lenin liest Hegel“, in: Hegel in der neueren Philosophie, Hegel Studien, Beiheft 55, hg. v. Thomas Wyrwich, Hamburg 2011, 275–290. 4 Vgl. Kevin Anderson, Lenin, Hegel and Western Marxism, Champaign (Illinois) 1995.

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stand nur dadurch, dass der sowjetische Hegelmarxismus von Stalin gewaltsam zum Schweigen gebracht wurde. Auf Lenin ist hier auch deshalb zu verweisen, weil er ein Forschungsprogramm vorgab, dass dann unter dem Titel einer „Logik des Kapitals“ vielfach aufgenommen wurde und auch heute noch aktuell ist.5 In seinen Notizen zur Darstellung der Logik in Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften heißt es: „Wenn Marx auch keine ‚Logik‘ […] hinterlassen hat, so hat er doch die Logik des ‚Kapitals‘ hinterlassen […]. Im ‚Kapital‘ werden auf eine Wissenschaft Logik, Dialektik und Erkenntnistheorie […] des Materialismus angewendet, der alles Wertvolle von Hegel übernommen und […] weiterentwickelt hat.“6 An anderer Stelle, innerhalb der Exzerpte zur Wissenschaft der Logik, heißt es, Marx habe „die Dialektik Hegels in ihrer rationellen Form auf die politische Ökonomie angewendet.“7 Hieraus zieht Lenin dann die berühmte und viel zitierte Folgerung: „Man kann das ‚Kapital‘ von Marx und besonders das I. Kapitel nicht vollständig begreifen, ohne die ganze Logik von Hegel durchstudiert und begriffen zu haben. Folglich hat nach einem halben Jahrhundert nicht ein Marxist Marx begriffen!!“8 Lenin, so ist daraus zu entnehmen, war sich der Differenz zwischen einer allgemeinen Theorie der Logik, wie sie in Hegels Wissenschaft der Logik vorliegt, und einer speziellen Logik im Kapital durchaus bewusst – er spricht von einer (besonderen) Wissenschaft, auf welche Marx die Hegelsche Logik angewendet habe. In der Verfolgung des Programms, eine „Logik“ des Kapital aus dem Marxschen Buch und den dazu gehörigen Manuskripten zu extrapolieren, wurde diese Differenz nicht immer beachtet. Zahlreiche Interpreten haben versucht, das Kapital als eine Art Gegenentwurf zur Kategorienlehre der Hegelschen Wissenschaft der Logik zu interpretieren und daraus eine zur Hegelschen dialektischen Methode alternative materialistische Dialektik zu extrahieren. Letzteres, die Suche nach einer solchen Dialektik, kann sich durchaus auf prominente Äußerungen von Marx stützen. Einschlägig ist hier vor allem das Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes des Kapital (1872), in dem Marx sich zu Klarstellungen

5 Vgl. z.  B. Perry Anderson, Considerations on Western Marxism, London 1976 [dt. Über den westlichen Marxismus, Frankfurt am Main 1978]; Jan Hoff, Marx global, Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965, Berlin 2009; Ingo Elbe, Marx im Westen, Die neue Marx Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965, Berlin 2010. 6 Wladimir Iljitsch Lenin, „Plan der Dialektik (Logik) Hegels [Inhaltsanzeige der kleinen Logik (Enzyklopädie)]“, in: Lenin, Werke, Band 38, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus, Berlin 1973, 316. 7 W. I. Lenin, „Konspekt zu Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘“, in: Lenin, Werke, Band 38, a. a. O. (Anm. 6), 168. 8 Ebd., 170.



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hinsichtlich des Verhältnisses seiner Methode zur Hegelschen Dialektik veranlasst sah. „Die deutschen Recensenten“, so heißt es dort, „schreien natürlich über Hegel’sche Sophistik“.9 Ein anonymer russischer Rezensent im St. Petersburger „V’stnik Evropy“ (Europäischer Bote) dagegen – es handelte sich um den Ökonomen Illarion I. Kaufman – nannte Marx’ „Forschungsmethode streng realistisch, die Darstellungsmethode aber unglücklicher Weise deutsch-dialektisch“.10 Marx entgegnete, indem er anhand ausführlicher Zitate zu zeigen versuchte, gerade die gelobte streng realistische Methode sei seine, Marx’ dialektische Methode. Im Anschluss daran bekennt er sich als Schüler Hegels, obwohl seine Methode „der Grundlage nach“ das „direkte[ ] Gegenteil“ der Hegelschen sei: „Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegel´s Händen untergeht, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.“11 Offenbar wollte Marx selbst, wie aus seinen Briefen hervorgeht, seine Sicht auf die Hegelsche Dialektik auch einem größeren Publikum darlegen: „Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbogen das Rationelle an der Methode, die H[egel] entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen“12. Marx schrieb dies 1858 an Engels und bekräftigte sein Vorhaben noch zehn Jahre später: „Wenn ich die ökonomische Last abgeschüttelt, werde ich eine ‚Dialektik‘ schreiben“13, aber auch dies blieb bloße Ankündigung. Zweifellos haben diese Ankündigungen die Versuche zu einer Rekonstruktion der ungeschriebenen Lehre Marx’ beflügelt. Marx redet hier nicht von der dialektischen Methode des Kapital, sondern von einer dialektischen Methode überhaupt, die bei ihm der Grundlage nach das gerade Gegenteil der Hegelschen sei, und diese „umgestülpte“ Dialektik sei im Kapital zur Anwendung gekommen. Im Umkehrschluss lässt sich daraus durchaus folgern, die dialektische Darstellung im Kapital verweise auf eine Alternative zur Hegelschen Dialektik, wie sie in dem Abschnitt über die absolute Idee als absolute Methode am Ende der Wissenschaft der Logik dargelegt wird. Dies geht daraus hervor, dass Marx im bereits zitierten Nachwort zur zweiten Auflage des Kapital sich direkt von Hegels Konzeption der

9 Karl Marx, „Nachwort“, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Gesamtausgabe (MEGA), Zweite Abteilung, Band 6, Berlin 1987, 707. 10 Ebd., 707. 11 Ebd., 709. 12 „Marx an Engels“, 16.1.1858, (Brief 116), in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke (MEW), Band 29, Berlin 1967, 260. 13 „Marx an Dietzgen“, 9.5.1868, (Brief 9), in: MEW 32, Berlin 1965, 547.

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Idee absetzt: „Für Hegel ist der Denkproceß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“14 Marx sieht offenbar in der Hegelschen logischen Idee eine Verselbständigung des Denkens, und zwar eine solche Verselbständigung, die auf einer Abstraktion von realen Zusammenhängen beruht. Damit erkennt Marx zwar an, dass Hegels Philosophie bis in die scheinbar abstraktesten Bestimmungen hinein empirisch gesättigt und nicht das Ergebnis einer bodenlosen Spekulation sei; zugleich übergeht er aber auch die Frage nach dem Status einer eigenen Reflexion begrifflichkategorialer Zusammenhänge, wie sie Hegel auf der Ebene der Wissenschaft der Logik vornimmt. Mit anderen Worten: Marx selbst, und nicht erst die sogenannte ‚Kapitallogik‘,15 verschleift die Differenz zwischen der Thematisierung eines kategorialen Zusammenhangs auf der Ebene der Wissenschaft der Logik und der internen Logik eines bestimmten Gegenstandes auf der Ebene der Realphilosophie bzw. einer besonderen Wissenschaft – z. B. der Wissenschaft der Kritik der politischen Ökonomie.16 Bereits der junge Marx erhob 1843 den Vorwurf, Hegel selbst habe die Differenz von Logik und Realphilosophie dadurch übersprungen, dass er die „Sache der Logik“ über „die Logik der Sache“ gestellt habe.17 Das bedeutet für Marx jedoch auch, dass die Logik auf der Ebene der Hegelschen Wissenschaft der Logik als Mystifizierung realer Verhältnisse anzusehen sei: „Eben weil Hegel von den Prädicaten, der allgemeinen Bestimmung statt von dem reellen Ens (ύποκείμενον, Subjekt) ausgeht und doch ein Träger dieser Bestimmung da sein muß, wird die mystische Idee dieser Träger. Es ist dieß der Dualismus, daß Hegel das Allgemeine nicht als das wirkliche Wesen des Wirklich Endlichen, d. i. Existirenden, Bestimmten betrachtet oder das wirkliche Ens nicht als das wahre Subjekt des Unendlichen.“18 Marx möchte, so scheint es, die Sache der Logik von der Logik der Sache aus entwickeln und so das in der Logik „mit sich fertig gewordene[ ] Denken[ ]“19 aufbrechen. Die „Kapitallogik“ als der Versuch, aus

14 Karl Marx, „Nachwort“, a. a. O. (Anm. 9), 709. 15 Vgl. Wolfgang Fritz Haug, „Kapitallogik“, in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Band 7/I, hg. v. W. F. Haug, Frigga Haug und Peter Jehle, Hamburg 2008, 348–357. 16 Diese Differenz betont auch Sahra Wagenknecht in: Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx oder das Problem einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftsmethode, Bonn 1997. 17 Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, in: MEGA, Erste Abteilung, Band 2, Berlin 1982, 18. 18 Ebd., 25. 19 Ebd., 15.



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dem Kapital eine Alternative zur Hegelschen Dialektik auf dem Niveau der Wissenschaft der Logik herauszudestillieren, folgt genau diesem Programm. Sowohl Marx als auch seine Adepten gehen jedoch weitgehend über die für ein solches Unternehmen zentrale Frage hinweg, ob das Verhältnis von Logik und Realphilosophie bzw. besonderer Wissenschaft nicht grundsätzlich durch eine Differenz zwischen der systematischen Abfolge der Kategorien als Denkbestimmungen überhaupt und der spezifischen Logik eines spezifischen Gegenstandes bestimmt ist. Auch für Hegel ist ja die kategoriale Struktur realphilosophischer Sachverhalte etwas Anderes als die Abfolge der Kategorien in der Wissenschaft der Logik, und es ist, so möchte ich behaupten, völlig unmöglich, z. B. aus den Grundlinien der Philosophie des Rechts die Kategorien der Wissenschaft der Logik und ihre Abfolge zu extrapolieren. Völlig unerörtert bleibt sowohl bei Marx als auch bei vielen seiner Nachfolger, ob das Projekt einer systematischen Explikation von Denkbestimmungen als solchen, wie es Hegel in seiner Logik unternimmt, nicht auch legitimiert werden kann, wenn es, was m. E. bei Hegel der Fall ist, die Differenz von Logik und Realphilosophie bzw. besonderer Wissenschaft mitreflektiert. Darüber zu befinden, ist jedoch hier nicht der Ort.20

2 In dem bereits erwähnten Brief aus dem Jahre 1858 an Engels, in dem er ein paar Druckbogen über Hegels Logik in Aussicht stellt, schreibt Marx in Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie: „In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, daß ich bei mere accident […] Hegels ‚Logik‘ wieder durchgeblättert hatte“. Ferdinand Freiligrath hatte ihm einige, ursprünglich Bakunin gehörige, Bände der Freundesvereinsausgabe der Werke Hegels geschenkt.21 Welche das waren, lässt sich nicht mit Sicherheit ermitteln. Sicher ist jedoch, dass Marx mit Hegels Logik schon lange vertraut war und dass er im Besitz eines (heute verschollenen), von ihm auch mit Notizen versehenen Exemplars der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik war, die Leopold von Henning im Rahmen der Freundesvereinsausgabe herausgegeben hatte.22 Ein Exzerpt der Seinslogik, ent-

20 Vgl. Andreas Arndt, „Wer denkt absolut?“, in: Revista Eletronica Estudos Hegelianos 16 (2012), 22–33. 21 „Marx an Engels“, a. a. O. (Anm. 12), 260. 22 Vgl. Die Bibliotheken von Karl Marx und Friedrich Engels. Annotiertes Verzeichnis des ermittelten Bestandes, in: Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA), Vierte Abteilung, Band 32, bearb. von H.-P. Harstick, u. a., Berlin 1999, 321 (Nr. 553).

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standen zwischen 1861 und 1863 während der Niederschrift des zweiten Gesamtentwurfs des Kapital – der übrigens, im Unterschied zum ersten Gesamtentwurf, den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie von 1857–1858, weitgehend frei von ausdrücklichen Verweise auf Hegel ist  – dieses Exzerpt bezieht sich auf die Seinslogik in der Fassung der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften und geht über eine Vergegenwärtigung der Gliederung nicht hinaus.23 Es belegt hauptsächlich, dass Marx sich auch in dieser Phase empirischer Forschung und des Verzichts auf ein „Kokettieren“ mit der Hegelschen Dialektik sich ernsthaft mit Hegel beschäftigte. Die Beschäftigung mit Hegels Logik reicht zurück bis in die Studentenjahre. Dabei war Marx jedoch nicht von Anfang an Hegelianer, im Gegenteil. Er ließ sich zunächst nicht davon hinreißen, dass Hegels Philosophie die intellektuelle Szene in Berlin beherrschte, vielmehr war er durchaus anti-hegelianisch eingestellt. Als Marx im Oktober 1836 nach Berlin kam, hatte er „Fragmente der Hegelschen Philosophie gelesen, deren groteske Felsenmelodie mir nicht behagte“, wie er dem Vater rückblickend schrieb.24 Um Hegel zu entgehen, den er im Umkreis des junghegelianischen „Doktorclubs“ inzwischen studiert hatte, verfasste Marx einen umfangreichen Dialog mit dem Titel Kleanthes, oder vom Ausgangspunkt und notwendigen Fortgang der Philosophie, aber, so Marx: „Mein letzter Satz war der Anfang des Hegelschen Systems, und diese Arbeit, wozu ich mit Naturwissenschaft, Schelling, Geschichte einigermaßen mich bekannt gemacht, die mir unendliches Kopfbrechen verursacht und so geschrieben ist (da sie eigentlich eine neue Logik sein sollte), daß ich jetzt selbst mich kaum wieder hineindenken kann, dies mein liebstes Kind, beim Mondschein gehegt, trägt mich wie eine falsche Sirene dem Feind in den Arm“.25 Marx wurde Hegelianer wider Willen: „immer fester kettete ich mich an die jetzige Weltphilosophie, der ich zu entrinnen gedacht“.26 Tatsächlich spielt die logische Problematik für den Studenten der Jurisprudenz, der aber mindestens mit gleichem Eifer Philosophie hörte, von Anfang an eine zentrale Rolle. Logik hatte er übrigens im Sommersemester 1838 bei Hegels Jenaer Schüler und Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, Georg Andreas Gabler gehört.27 Von Gabler ist, jedenfalls aus seinen spärlichen gedruckten Schriften,

23 Vgl. Joseph O’Malley und Fred E. Schrader, „Marx’s Précis of Hegel’s Doctrine of Being in the Minor Logic”, in: International Review of Social History 24 (1977), 423–431. 24 Karl Marx, „Brief an den Vater“, 10.11.1837, in: MEW, Ergänzungsband 1, Berlin 1968, 8. 25 Ebd., 9. 26 Ebd., 10. 27 Vgl. Karl Marx und Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe, hg. v. D. Rjazanov bzw. V. Adoratskij (MEGA1), Bd. 1, 2, Berlin 1929, 248.



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keine besondere Interpretation der Logik seines Lehrers bekannt, die auf Marx gewirkt haben könnte. Das Projekt einer neuen Logik, das Marx in dem „Kleanthes“ verfolgte, schloss er offenbar künftig an Hegels Logik an. Die Fortdauer und die Gegenstände seiner Beschäftigungen lässt sich aus einigen Briefen an Marx erschließen, wobei wir jedoch nicht wissen, wie intensiv und ggf. mit welchen Ergebnissen Marx das Projekt verfolgt hat. Am 11.12.1839 schreibt Bauer über die Mitteilung von Marx’ „logischen Lucubrationen“: „Mach doch nur […] daß Du mit dem lumpigen Examen fertig wirst und Dich ganz ungehindert Deinen logischen Arbeiten hingeben kannst, besonders wenn Du einmal das Wesen ganz vom frischen bearbeiten könntest! Die Aenderungen in der Encyclopädie, auf die ich früher öfter zurückkam, scheinen mir auch durchaus noch keine Verbesserungen zu seyn.“28 Ob Marx’ eigenes Interesse besonders der Hegelschen Wesenslogik galt oder ob Bruno Bauer ihn auf dieses Buch der Logik hinzulenken versuchte, ist nicht ganz klar. Offenbar beschäftigte sich Marx, wie aus demselben Brief Bauers hervorgeht, im Rahmen seiner logischen Studien besonders mit dem Problem der Entgegensetzung, d. h. mit dem, was Hegel in den Reflexionsbestimmungen behandelt. Bauer weist Marx hierbei auf den Schlussabschnitt der Wissenschaft der Logik über die absolute Idee als absolute Methode hin, in dem ja die Reflexionsbestimmungen und namentlich der Begriff des Widerspruchs eine entscheidende Rolle spielen: „Was Du von den logischen Energien des Gegenübertretens etc. sagst, so scheint mir, daß sie Hegel doch ganz bestimmt an ihrer Stelle im Abschnitt von der Methode entwickelt habe.“29 Das besondere Interesse an der Wesenslogik ergab sich ohne Zweifel aus den aktuellen Diskussionen über Hegels dialektische Methode,30 die durch Friedrich Adolf Trendelenburgs Logische Untersuchungen – 1840 in erster Auflage erschienen – befeuert wurden. Marx sollte (oder wollte) offenbar im Zuge seiner Studien zur Logik Trendelenburgs Hegelkritik einer Metakritik unterziehen. In einem Brief Bruno Bauers vom 31.3.1841 heißt es im Blick auf Marx’ geplante Dissertation: „Trendelenburg wird natürlich eines der ersten Opfer seyn, welches Du der beleidigten Philosophie darbringst“.31 Und wenig später erinnert Friedrich Köppen Marx an Schopenhauers Hegel-Kritik, „damit Du bei Gelegenheit Trendelenburgs auch des pp. Schopenhauer in Ehren gedenkst.“32

28 „Bruno Bauer an Marx“, 11.12.1839, in: MEGA, Dritte Abteilung, Band 1, Berlin 1975, 336. 29 Ebd., 336. 30 Vgl. Bernd Burkhardt, Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘ im Spannungsverhältnis der Kritik, Historische und systematische Untersuchungen zur Diskussion um Funktion und Leistungsfähigkeit von Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘ bis 1831, Hildesheim 1993. 31 „Bruno Bauer an Marx“, 31.3.1841, in: MEGA, Dritte Abteilung, Band 1, Berlin 1975, 354. 32 Ebd., 361.

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Leider wissen wir nichts Näheres über diese geplante Kritik, die dadurch besonders aufschlussreich sein könnte, dass Trendelenburg eine Auffassung des späteren Marx durchaus teilt, nämlich dass die Verselbständigung des Logischen im reinen Denken erschlichen sei: die Selbstbewegung des Begriffs beruhe vielmehr auf einer vorgängigen Anschauung, von der Hegel abstrahiere, ohne die er aber keine logische Bestimmung aus einer anderen entwickeln könne. Weil auch die Negativität, „welche den Gegensatz erzeugen will“,33 auf einer Anschauung beruhe, bezeichne die Negativität letztlich auch keinen logischen Sachverhalt, sondern einen realen. Hegel, so Trendelenburgs Vorwurf, verwechsle den Widerspruch auf der begrifflichen Ebene mit dem realen Gegensatz. In der Realität aber, so Trendelenburg, hätten die Dinge im Unterschied zum Begriff „eine Breite des Daseins […], die es zuläßt, daß Widersprechendes nach einander oder neben einander sei“.34 Dass das Logische auf Anschauung beruhe und der Widerspruch als realer Widerspruch zu denken sei, gilt auch für Marx, kaum aber, dass Negativität keine logische Bedeutung habe. Wie weit Übereinstimmung und Widerspruch zwischen Trendelenburg und Marx hier im Einzelnen reichen, lässt sich jedoch nur schwer abschätzen. Um so mehr ist zu bedauern, dass von Marx’ logischen Studien nichts überliefert ist, die immerhin – wie aus einem Brief Moses Hess’ an Auerbach vom September 1841 hervorgeht  – auch in Logik-Vorlesungen an der Bonner Universität, wo Marx zu habilitieren gedachte, münden sollten.35 Diese Pläne zerschlugen sich, als Bruno Bauer dort die venia legendi entzogen wurde.

3 Ich möchte mich nun der Frage zuwenden, welche besondere Rolle Hegels Lehre vom Wesen für Marx spielt. Ein Echo der frühen logischen Studien, die sich offenbar sehr stark auf Gegensatzbeziehungen und damit auch auf die Reflexionslogik zu Beginn der Wesenslogik richteten, findet sich in dem Kreuznacher Manuskript Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843). Für Marx gibt es dort in der erscheinenden Wirklichkeit Gegensatzbeziehungen, die sich nicht in eine Selbstbeziehung des Begriffs überführen lassen: „Wirkliche Extreme können nicht mit einander vermittelt werden, eben weil sie wirkliche Extreme

33 Friedrich Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Erster Band, Leipzig 1870, 105. 34 Friedrich Adolf Trendelenburg, Erläuterungen zu den Elementen der aristotelischen Logik, Zunächst für den Unterricht an Gymnasien, Berlin 1861, 17 f. 35 Vgl. MEGA¹, 1/2, 261.



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sind. Aber sie bedürfen auch keiner Vermittelung, denn sie sind entgegengesezten Wesens. Sie haben nichts mit einander gemein, sie verlangen einander nicht, sie ergänzen einander nicht. Das eine hat nicht in seinem eigenen Schoos die Sehnsucht, das Bedürfniß, die Anticipation des andern“.36 Im Zusammenhang mit der zitierten Stelle heißt es wenig später in Bezug auf Hegels Theorie des Vernunftschlusses: „Das Weitere hierüber gehört in die Kritik der hegel’schen Logik.“37 Die Selbstvermittlung des Begriffs überspringt nach Marx das Verhältnis wirklicher Extreme, indem die Extreme mit dem medius terminus letztlich identisch gesetzt werden: „Die Extreme, im Unterschiede von dieser Mitte, sind nur als ein Gesetztseyn, dem keine eigenthümliche Bestimmtheit gegen die Mitte mehr zukommt.“38 Dem hält Marx entgegen: das „Begreifen besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffes überall wieder zu erkennen, sondern die eigenthümliche Logik des eigenthümlichen Gegenstandes zu fassen.“39 Wie diese eigentümliche Logik zur Einspruchsinstanz gegen die Wissenschaft der Logik werden könnte, darüber erfahren wir allerdings nichts. Marx’ Interesse an dem Problem der Gegensatzbeziehungen bleibt auch dann bestehen, als bei ihm um 1844 kurzzeitig – unter dem Einfluss von Moses Hess dem mainstream der junghegelianischen Theoriebildungsprozesse folgend – die Wissenschaft der Logik zugunsten der Phänomenologie des Geistes in den Hintergrund rückt. In den Pariser Manuskripten (1844) entwickelt er das „Verhältnis des Privateigentums“, „Arbeit, Kapital und die Beziehung beider“, nach der Entwicklung des Widerspruches in der Wesenslogik: Diremtion einer Einheit in den Gegensatz; „Gegensatz jedes gegen sich selbst“ und schließlich „Feindlicher wechselseitiger Gegensatz“.40 Im Zuge der Ausarbeitung der Kritik der politischen Ökonomie seit den 50erJahren des 19. Jahrhunderts bezieht Marx sich dann wiederum auf Hegels Wissenschaft der Logik, die er jetzt positiv heranzieht, gerade um die „eigentümliche Logik eines eigentümlichen Gegenstandes“ zu klären; Hegels Dialektik ist jetzt nicht mehr (oder jedenfalls nicht mehr nur) das „Geld des Geistes“, wie er es

36 Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, in: MEGA 1/2, a. a. O. (Anm. 17), 97. 37 Ebd., 98. 38 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Zweiter Band, Die subjektive Logik (1816), hg. v. Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke (Gesammelte Werke, Bd. 12), Hamburg 1981, 124. 39 Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, in: MEGA 1/2, a. a. O. (Anm. 17), 101. 40 Karl Marx, „Das Verhältnis des Privateigentums“, in: MEW Ergänzungsband 1, a.  a.  O. (Anm. 24), 529.

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1843 formuliert hatte, sondern gilt Marx als „das letzte Wort aller Philosophie“.41 Dabei ist jedoch, wie Marx 1858 in einem Brief an Engels betont, „durch Kritik eine Wissenschaft erst auf den Punkt [zu] bringen, um sie dialektisch darstellen zu können,“ und nicht „ein abstraktes, fertiges System der Logik auf Ahnungen eben eines solchen Systems anzuwenden“.42 Die Wissenschaft der Kritik der politischen Ökonomie meint Marx zu diesem Zeitpunkt durch seine Ableitung der Geldform in dem ersten Heft der Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie („Das Kapitel vom Geld“) auf diesen Punkt gebracht zu haben. Indem zwei Waren, die als Produkte in ihrer natürlichen Existenz völlig verschieden sind, miteinander getauscht werden, werden sie einander in einem Dritten gleichgesetzt, das von ihrem Produktsein unterschieden ist, d. h., sie werden sich selbst ungleich gesetzt. „Dieß Dritte von beiden verschieden, da es ein Verhältnis ausdrückt, existirt zunächst im Kopfe, in der Vorstellung, wie Verhältnisse überhaupt nur gedacht werden können, wenn sie fixiert werden sollen, im Unterschied von den Subjekten, die sich verhalten“.43 Diese Passage erklärt, weshalb Marx sich wiederum der Wissenschaft der Logik zuwendet: er hat es mit Verhältnissen zu tun, die (im Unterschied zu dem Verhalten der Subjekte) nicht einfach empirisch zu beobachten, sondern nur gedanklich darzustellen sind. Gerade Hegels Wesenslogik, welche die Thematisierung von Entitäten in der traditionellen Metaphysik durch eine „Metaphysik absoluter Relationalität“44 ersetzt, kann für dieses Vorhaben Denkmittel bereitstellen. Marx beschreibt dann auch das Geldverhältnis in Anlehnung an die immanente Entwicklung der Denkbestimmungen bei Hegel, wobei er sich direkt an den Reflexionsbestimmungen in der Wesenslogik orientiert. Diese Orientierung wird deutlich, wenn Marx die Entwicklung zum Geld mit der immanenten Entwicklung der Reflexionsbestimmungen (Identität, Unterschied, Gegensatz, Widerspruch) auseinander parallelisiert. „Das Product wird zur Waare; die Waare wird zum Tauschwerth; der Tauschwerth der Waare ist ihre immanente Geldeigenschaft; diese ihre Geldeigenschaft löst sich von ihr als Geld los, gewinnt eine allgemeine, von allen besondren Waaren […] gesonderte sociale Existenz“.45 Diese „doppelte verschiedne Existenz muß zum Unterschied, der Unterschied zum Gegensatz und Widerspruch fortgehn“.46 Zugleich macht Marx

41 „Marx an Lassalle“, 31.5.1858 (Brief 18), in: MEW 29, a. a. O. (Anm. 12), 561. 42 „Marx an Engels“, 1.2.1858 (Brief 123), in: Ebd., 275. 43 Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: MEGA II, 1.1, Berlin 1976, 77 f. 44 Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin und New York 1990. 45 Karl Marx, Grundrisse, in: MEGA II, 1.1, a.a.O (Anm. 43), 81. 46 Ebd., 81.



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hier einen Vorbehalt, weil er diese Entwicklung nicht bloß als immanente Entwicklung von Begriffen verstanden wissen will: „Es wird später nöthig sein […], die idealistische Manier der Darstellung zu corrigiren, die den Schein hervorbringt, als handle es sich nur um Begriffsbestimmungen und die Dialektik dieser Begriffe“.47 Festzuhalten ist aber: Es handelt sich nicht nur um Begriffsbestimmungen, sondern auch um die Dialektik realer Verhältnisse. Anders gesagt: Im Unterschied zu der Auffassung von 1843, wonach die Logik der Sache und die Sache der Logik zwei verschiedene Welten waren, ist jetzt die Struktur der Logik zugleich auch Struktur der Sache. Das wird im weiteren Verlauf der Grundrisse vor allem auch beim Kapitalverhältnis selbst deutlich, denn das Kapital, so betont Marx, ist nicht Sache, sondern Verhältnis,48 genauer: prozessierendes Verhältnis: „Das Capital ist kein einfaches Verhältniß, sondern ein Process, in dessen verschiednen Momenten es immer Capital ist.“49 Marx thematisiert es als Bewegung der Zirkulation. Eine als Kapital fungierende Geldsumme G wird verwendet, um Waren zu kaufen, die wiederum verkauft werden, um am Ende mehr Geld zu haben, als vorher (G–W–W–G‘): Das Kapital hat sich verwertet. Wie dies möglich ist, die Produktion des Mehrwerts, die sich zwischen W–W abspielt, ist hier noch nicht zu klären. Wichtig ist, dass das Kapital der ganze Prozess ist und nicht nur Geld, auch wenn im Resultat nur das Geld zurückbleibt. Marx bezeichnet dieses Resultat als das „einfach Negative“: die Waren werden getauscht und konsumiert, das Geld bleibt als „einfaches Residuum“ zurück.50 Dieses Negative ist aber zugleich das „positiv Negative“, die Negation der gegensätzlichen Selbständigkeit des Tauschwerts im Geld, denn das Resultat ist vermittelt durch den Tauschwert der Waren. Somit ist der Tauschwert, drittens, „Voraussetzung und zugleich Resultat der Zirkulation“:51 er hat sich mit sich selbst vermittelt. Mit dieser auf den ersten Blick rein begrifflichen Konstruktion betrachtet Marx den Tauschwert nicht mehr als Wertgröße, quantitativ, sondern qualitativ, unter dem Gesichtspunkt seiner Formbestimmtheit in der Zirkulation und als deren Resultat. Marx orientiert sich, wie gezeigt, an den Reflexionsbestimmungen der Wesenslogik, um grundlegende Verhältnisse der kapitalistischen Produktionsweise zu thematisieren, aber mit dem prozessierenden Verhältnis kommt offenbar die dialektische Methode als solche ins Spiel, wie sie Hegel zum Schluss der

47 Ebd., 85. 48 Vgl. ebd., 180. 49 Ebd., 180. 50 Ebd., 186. 51 Ebd., 186.

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Wissenschaft der Logik unter dem Titel der absoluten Idee als absoluter Methode entwickelt. Auch in der Explikation dieser Methode spielen die Reflexionsbestimmungen eine herausragende Rolle, denn es geht um die Methode des Sich-SelbstErfassens des Begriffs, und für Hegel ist dabei „das Denken des Widerspruchs, das wesentliche Moment des Begriffes.“52 Der Unterschied zur Reflexionslogik besteht darin, dass dort der Zusammenhang der Reflexionsbestimmungen als reiner Denkbestimmungen thematisiert wird, während in der absoluten Idee als Methode der Selbsterfassung des Begriffs die Selbstbewegung des Begriffs mit Hilfe der und in den Reflexionsbestimmungen gedacht wird; sie werden dort gleichsam in actu vorgeführt. Indem Marx die dialektische Methode – die er ja, wie erinnert, für das letzte Wort aller Philosophie hält – zum Bezugspunkt macht, wird sie ihm mit Hegel zugleich zur „Form der Selbstbewegung ihres Inhalts“. Für Hegel ist dies der Begriff als solcher, für Marx zugleich der Begriff realer Verhältnisse. Dabei fällt jedoch die Selbstbewegung des Hegelschen Begriffs nicht einfach mit der realen Bewegung im Marxschen Verständnis zusammen. Marx betont um 1858 immer wieder, dass die Dialektik „Grenzen“ habe. Diese Grenze besteht darin, dass die absolute Selbstbezüglichkeit, die dem Hegelschen Begriff zukommt, Realprozessen nicht zukommt, auch wenn Marx das Kapital (bzw. den Wert) grundsätzlich als selbstbezüglich thematisiert. Die Dialektik hebe, so Marx, den realen Unterschied nicht auf.53 Die Selbstbezüglichkeit des Werts etwa findet ihre Grenze darin, dass die Verwertung des Werts nicht aus der Zirkulation selbst entspringen kann, sondern durch den kapitalistischen Produktionsprozess vermittelt ist. Hier tritt aber nur jene Differenz ein, von der ich schon eingangs sprach. Auch für Hegel gibt es ja unterhalb der Schwelle der Selbstbewegung des Begriffs im reinen Denken keine absolute Selbstbezüglichkeit, weshalb die realphilosophischen Strukturen und Verhältnisse nicht einfach in denen der Wissenschaft der Logik 1:1 aufgehen, auch wenn sie nur in den durch die Wissenschaft der Logik entwickelten Kategorien zu begreifen sind. Die von Marx aufgezeigten Grenzen der Dialektik sind daher in der Sache, auch wenn Marx dies gelegentlich anders zu verstehen scheint, gar keine Hegel-Kritik, sondern bringen nur die dem Hegelschen System immanente Differenz von Logik und Realphilosophie zum Ausdruck. Der „Wertformanalyse“ im ersten Kapitel des Kapital wird oft ein besonderer Bezug zur Hegelschen Wesenslogik unterstellt.54 Dies ist in dem Sinne

52 G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O. (Anm. 38), 246. 53 Karl Marx, „Grundrisse“, in: MEGA II, 1.1, a. a. O. (Anm. 43), 43. 54 Vgl. Christian Iber, Grundzüge der Marx’schen Kapitalismustheorie, Berlin 2005, 54.



Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx 

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richtig, dass Marx hier die Entwicklung von Widersprüchen beschreibt und dabei dem Verhältnis zweier Waren auch ausdrücklich eine Reflexionsbestimmung zuschreibt,55 die darin besteht, dass eine Ware zum „Werthspiegel“ der anderen wird.56 Die Wertformanalyse befasst sich mit dem Tauschverhältnis zweier Waren, die als Gegenstände zunächst das Produkt einer bestimmten, konkret-nützlichen Arbeit sind, nämlich Gebrauchswerte, die im Verhältnis zu menschlichen Bedürfnissen, gleich welcher Art (konsumtive oder produktive) stehen. Sie sind zugleich oder „haben“ auch Tauschwert, was jedoch nicht mit ihrer dinglichen Existenz als Gebrauchswert zusammenfällt. Ihr Tauschwertsein kommt nur dadurch zur Erscheinung, dass zwei Waren, die qualitativ unterschiedliche Gebrauchswerte sind, quantitativ einander gleichgesetzt werden, und zwar nicht nach ihren natürlichen Maßen (die auch inkommensurabel sein könnten), sondern hinsichtlich ihres Werts. Bereits die einfache, einzelne oder zufällige Wertform, das Austauschverhältnis zweier beliebiger Waren, macht deutlich, worum es hier geht: „x Waare A = y Waare B oder: x Waare A ist y Waare B werth.“57 Marx interessiert sich dabei für die Formbestimmtheit dieses „Wertausdrucks“, nicht für seine quantitative Bestimmtheit. Woran er sich dabei orientiert, erhellt aus einer Anmerkung in der Erstauflage des Kapital: „Es ist kaum verwunderlich, daß die Oekonomen, ganz unter dem Einfluß stofflicher Interessen, den Formgehalt des relativen Werthausdrucks übersehn haben, wenn vor Hegel die Logiker von Profession sogar den Forminhalt der Urtheils- und Schlußparadigmen übersahen“.58 Tatsächlich handelt es sich ja bei dem Wertausdruck formal gesehen um ein Urteil, in dem – verteilt auf die Rollen von Subjekt und Prädikat – Waren aufeinander bzw. auf Geld (als allgemeine Ware) bezogen werden: W–W bzw. W–G oder G–W. Diese ‚Urteile‘ werden dann als Elemente eines Schlusses weiter entwickelt: G–W–G‘ usw. Es ist hier nicht der Ort, dies näher zu entwickeln. * * *

55 Die Struktur der Reflexionsbestimmung nimmt Marx nicht nur in der ersten, sondern auch den folgenden Auflagen des Kapital in Anspruch. Vgl. für die erste Auflage: Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Hamburg 1867, MEGA II/5, Berlin 1983, 34; vgl. für die veränderte Auflage: Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Hamburg 1890, MEGA II/10, Berlin 1991, 58. 56 Karl Marx, Das Kapital (1890), MEGA II/10, a. a. O. (Anm. 55), 54. 57 Ebd., 49. 58 Karl Marx, Das Kapital (1867), MEGA II/5, a. a. O. (Anm. 55), 32.

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 Andreas Arndt

Festzuhalten bleibt: Für Marx ist die Wesenslogik ein zentraler Referenztext, sofern er bemüht ist, das Kapitalverhältnis als in sich widersprüchlich zu rekonstruieren. Dabei geht es ihm jedoch nicht um den Begriff des Widerspruchs als solchen, wie er in der Reflexionslogik entwickelt wird, sondern um die Funktion des Widerspruchs im Begreifen realer Verhältnisse. Dieses Begreifen orientiert sich dann vor allem an der Hegelschen Darlegung der Methode in der Wissenschaft der Logik und ist nicht spezifisch auf die Wesenslogik bezogen, auch wenn es ohne das in der Wesenslogik Geleistete nicht denkbar wäre. In seinem Bezug auf die Wissenschaft der Logik verhält sich Marx, auch wenn er damit eine grundlegende Kritik verbinden möchte, die sich vor allem gegen die Verselbständigung des Logischen richtet, nicht anders als Hegel in seiner Realphilosophie, wenn er die logischen Kategorien ins Spiel bringt. Eine Alternative zu Hegel ist darin nicht zu erkennen. Marx’ Umgang mit Hegels Logik könnte also auch, gegen Marx’ Intentionen, ein Argument dafür liefern, dass der systematische Zusammenhang reiner Denkbestimmungen, wie Hegel ihn entwickelt, nicht von vornherein eine idealistische Mystifikation darstellt, sondern Voraussetzung und Mittel der Erkenntnis empirischer Verhältnisse ist. Marx und Hegel, so scheint es, sind sich weniger entgegengesetzt, als gewöhnlich angenommen wird.

Zu den Autorinnen und Autoren Andreas Arndt (1949), Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, zugleich Projekt- und Arbeitsstellenleiter des Akademienvorhabens „Friedrich Schleiermacher in Berlin 1808–1834“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. – Präsident der Internationalen Hegel-Gesellschaft seit 1992; Mitherausgeber des Hegel-Jahrbuchs und der Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe. Mitglied des Internationalen Beirats des Forschungszentrums für Klassische Deutsche Philosophie an der RuhrUniversität Bochum und der Marx-Engels Gesamtausgabe. – Letzte Buchveröffentlichungen: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant (mit Walter Jaeschke, München 2012); Friedrich Schleiermacher als Philosoph (Berlin und Boston 2013), Geschichte und Freiheitsbewusstsein (Berlin 2015). Christian Iber (geb. 1957). Studium in Heidelberg und Berlin in den Fächern Philosophie, Geschichte und Politik. Wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin im Arbeitsbereich von Michael Theunissen; Privatdozent am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin; Gastprofessuren und Vertretungen in Prag, Berlin, Jena, Magdeburg und Fortaleza (Brasilien); seit 2011 Professor für Philosophie an der Pontifícia Universidade Católica von Rio Grande do Sul in Porto Alegre (Brasilien). Letzte Veröffentlichungen: Introdução à filosofia moderna e contemporânea: orientação sobre seus métodos [Einführung in die moderne und zeitgenössische Philosophie. Orientierung über ihre Methoden] (2012)., Elementos da Teoria Marxiana do Capitalismo. Um comentário sobre o livro I de O Capital de Karl Marx [Grundzüge der Marxschen Kapitismustheorie. Ein Kommentar des 1. Buches des Kapital von Karl Marx] (2013), Christian Iber, Nicole Barbosa: Hölderlin. O fragmento Juízo e Ser e alguns poemas [Hölderlin. Das Fragment Urteil und Sein und einige Gedichte] (2014), Lógica formal, teoria da ciência contemporânea frente à lógica hegeliana. Aproximações e críticas. [Kritik der formalen Logik und der modernen Wissenschaftstheorie im Geist der Hegelschen Logik] ( 2015). Holger Hagen studierte Politologie, Pädagogik und Germanistik in Bremen sowie Philosophie in Hannover, Oldenburg und Tübingen, wo er mit einer Dissertation zur Kognitiven Neurowissenschaft und Philosophie des Geistes mit Bezug auf Hegel promoviert wurde. Der Autor forscht und lehrt zu philosophischen, sozialwissenschaftlichen und gesundheitsbezogenen Themen an verschiedenen Universitäten und Hochschulen. Aufsätze unter anderem zur Stellung der Logik im

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 Zu den Autorinnen und Autoren

System der Wissenschaften, Wissenssoziologie, Kognitiver Neurowissenschaft, Gesundheitsschutz und Stressprävention. Buchveröffentlichung: Körper, Selbst, Identität. Die verdinglichende Selbstreflexion des modernen Subjekts: Von Descartes bis zur Kognitiven Neurowissenschaft (2015). Jens Halfwassen, geb. 1958, seit 1999 Ordinarius für Philosophie an der Universität Heidelberg. Studium der Philosophie, Geschichte, Altertumswissenschaften und Pädagogik, Promotion 1989 und Habilitation 1995 in Köln, Gründungsmitglied der Academia Platonica Septima Monasteriensis 1999, Ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften seit 2012, Ehrendoktor der Universität Athen 2014, Fellow des Collegium Budapest, des Marsilius-Kollegs Heidelberg und des Heidelberger Centrums für Transkulturelle Studien. Wichtigste Buchveröffentlichungen: Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin (1992); Geist und Selbstbewußtsein. Studien zu Plotin und Numenios (1994); Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999); Plotin und der Neuplatonismus (2004); Auf den Spuren des Einen. Studien zur Metaphysik und ihrer Geschichte (2015). Thomas Hanke, geb. 1978 in Hannover, Studium der Philosophie und kath. Theologie in Frankfurt am Main und Rom, 2011 Promotion an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 2011 Habilitationsprojekt an der GoetheUniversität Frankfurt am Main, diverse Lehraufträge für Philosophie, seit 2014 Dozent für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen. Letzte Buchveröffentlichungen: Bewusste Religion. Eine Konstellationsskizze zum jungen Hegel, Regensburg 2012; als Herausgeber zusammen mit Thomas M. Schmidt: Der Frankfurter Hegel in seinem Kontext, Frankfurt am Main 2015. Dietmar H Heidemann, Studium in Köln und Edinburgh, Promotion 1997, wissenschaftlicher Assistent 1997–2005 in Köln, Habilitation 2005 in Köln, 2006 Professor für Philosophie an der Hofstra University, New York, seit 2009 Professor für Philosophie an der Universität Luxemburg. Publikationen: Der Begriff des Skeptizismus. Seine systematischen Formen, die pyrrhonische Skepsis und Hegels Herausforderung (2007), Kant und das Problem des metaphysischen Idealismus (1998). Herausgeber des Kant Yearbook (2009 ff). Anton Friedrich Koch, seit 2009 Professor für Philosophie an der Universität Heidelberg; geboren 1952 in Gießen, Promotion 1980 in Heidelberg, Habilitation 1989 in München, von 1993 bis 1996 Professor für Geschichte der Philosophie in Halle, von 1996 bis 2009 Professor für Philosophie in Tübingen, seit 2008 Mit-



Zu den Autorinnen und Autoren 

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glied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Neuere Buchpublikationen: Versuch über Wahrheit und Zeit, Paderborn 2006; Wahrheit, Zeit und Freiheit, Paderborn 2006 und Münster 22013; Die Evolution des logischen Raumes. Aufsätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik, Tübingen 2014. Günter Kruck, geb. 1960, seit 2010 außerplanmäßiger Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg Universität in Mainz im Seminar für Dogmatik und Fundamentaltheologie. Studienleiter für Philosophie und Theologie an der Katholischen Akademie Rabanus Maurus im Haus am Dom in Frankfurt. Buchveröffentlichungen u. a.: Das absolute Geheimnis vor der Wahrheitsfrage. Über den Sinn und die Bedeutung der Rede von Gott (2002). Herausgeber u. a.: Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss (2006); Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie (2009) jeweils zus. mit A. Arndt und C. Iber; zus. mit B. Dörflinger: Über den Nutzen von Illusionen. Die regulativen Ideen in Kants theoretischer Philosophie (2011); zus. mit A. Arndt und J. Zovko: Gebrochene Schönheit. Hegels Ästhetik – Kontexte und Rezeptionen (2014). Friedrike Schick, geb. 1960, seit 2007 außerplanmäßige Professorin am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen. Buchveröffentlichungen: Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen? (1994); Sache und Notwendigkeit. Studien zum Verhältnis von empirischer und begrifflicher Allgemeinheit (2005). Herausgeberin u.  a.: G.  W.  F. Hegel. Die Wissenschaft der Logik (2002), zusammen mit Anton Friedrich Koch; Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik (2014), zusammen mit Anton Friedrich Koch, Klaus Vieweg und Claudia Wirsing. Klaus Vieweg, Professor am Institut für Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Forschungsschwerpunkte: Deutscher Idealismus, besonders Hegel; Geschichte und Theorie des Skeptizismus; praktische Philosophie.  – Fellowships/Gastprofessuren: Pisa, Seattle, Tübingen, Erlangen, Bochum, Prag, Wien, Siena, Medellin, Tokyo, Kyoto, Mexico City, Neapel, Shanghai, Turin. – Wichtigste Buchpublikationen: Das Denken der Freiheit. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, München 2012; Hegels Phänomenologie des Geistes (Hg. K. Vieweg/W. Welsch), Frankfurt a. M. 2008; Skepsis und Freiheit, München 2007; Genius loci, Darmstadt 2014, Philosophie des Remis. Der junge Hegel und das Gespenst des Skepticismus, München 1999; Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik (Hg. A. Koch/F. Schick/K. Vieweg/C. Wirsing), Hamburg 2014; Shandean Humour in English and German Literature and Philosophy (Hg. K. Vieweg/J. Vigus/K. Wheeler), Oxford 2013; Das Ende der Kunst als Anfang freier Kunst (Hg. K. Vieweg/F. Iannelli/F. Vercellone), München 2015, Il pensiero della libertá, Pisa 2007; Das Interesse des

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 Zu den Autorinnen und Autoren

Denkens – Hegel aus heutiger Sicht (Hg. W. Welsch/K. Vieweg), München 2003; Inventions of the Imagination (Hg. R. T. Gray/K. Vieweg et al.) Seattle 2011; Natur und Geist (Hg. Ch. Tewes/K. Vieweg), Berlin 2011; L’Assoluto e il Divino. La Teologia Christiana di Hegel (Hg. T. Pierini/G. Sans, P. Valenza/K. Vieweg), Roma 2010; Bildung und Freiheit. Ein vergessener Zusammenhang (Hg. K. Vieweg/M. Winkler) Paderborn 2012; Hegels Jenaer Naturphilosophie (Hg. K. Vieweg), München 1998; La idea de la Libertad. Contribuciones a la Filosofiá Practica de Hegel, Mexico City 2009; Friedrich Schlegel und Friedrich Nietzsche. Transzendentalpoesie oder Dichtkunst mit Begriffen (Hg. K. Vieweg), Paderborn 2009. Claudia Wirsing, geb. 1986, seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Philosophie der Technischen Universität Braunschweig. Buchveröffentlichungen: Auf Nietzsches Balkon II. Philosophische Beiträge aus der Villa Silberblick (2012); Der Ausnahmezustand als Regel. Eine Bilanz der Kritischen Theorie (2013), zusammen mit Rüdiger Schmidt-Grépály und Jan Urbich; Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik (2014), zusammen mit Anton Friedrich Koch, Friedrike Schick und Klaus Vieweg.

Siglenverzeichnis GW Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, Hamburg 1968 ff. TWA Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in zwanzig Bänden. Theorie-Werkausgabe, Frankfurt am Main 1970

Personenverzeichnis Agrippa 53, 58 Anderson, Kevin 181 Anderson, Perry 182 Aristoteles 143 Arnauld, Antoine 150 Arndt, Andreas 130, 159, 167, 171, 181, 185 Auerbach, Berthold 188 Baptist, Gabriella 134 Bauer, Bruno 187 f. Baur, Michael 25 Beierwaltes, Werner, 110, 124–126 Beuthan, Ralf 132 Brachtendorf, Johannes 160 Braitling, Petra 179 Brandom, Robert 36 Brecht, Bert 81 Bubner, Rüdiger 29, 120 Burkhardt, Bernd 187 Cobben, Paul 130 Cramer, Konrad 29 Damaskios 122 Doz, André 116 Dummet, Michael 14 Düsing, Klaus 30, 99, 109, 116, 159, 177 Elbe, Ingo 182 Engels, Friedrich 183, 185, 190 Erdmann, Johann Eduard 131 Feuerbach, Ludwig 81 Fichte, Johann Gottlieb 27–29, 49, 51, 57, 87, 109, 128, 165, 177 Fischer, Kuno 141 Flasch, Kurt 127 Förster, Eckart 171 Frank, Manfred 32 Frege, Gottlob 14 Gabler, Georg Andreas 186 Gerhard, Myriam 149 Gründer, Karlfried 110

Günter, Gotthard 27 Habermas, Jürgen 92 Hackenesch, Christa 41 Hagen, Holger 132, 162 Halfwassen, Jens 109 f., 112–114, 116, 122, 124 Hanke, Thomas 158, 171 Haug, Frigga 184 Haug, Wolfgang Fritz 184 Heidemann, Dietmar 102, 106 Henning, Leopold von 185 Henrich, Dieter 22, 24, 27, 29, 81 f., 106, 123, 171 Herzberg, Stephan 160 Hess, Moses 188 f. Hochstaffl , Joseph 110 Hoff, Jan 182 Holbach Paul Thiry de 154 f. Hölderlin, Friedrich 177 Horstmann, Rolf-Peter 172 Houlgate, Stephen 25 Huber, Gerhard 121 f. Hume, David 18, 152, 155 f. Iber, Christian 21, 23, 66, 150, 159 f., 162, 167, 177, 190, 192 Illiterati, Luca 159 Jacobi, Friedrich Heinrich 100, 164–167 Jaeschke, Walter 24, 26, 29, 159, 174 Jehle, Peter 184 Johannes Scottus Eriugena 125–128 Jüngel, Eberhard 110 Kaehler, Erich 149 Kant, Immanuel 18 f., 27, 55, 57, 61 f., 96, 100, 137, 142, 149, 159 f., 169–178 Kaufmann, Illarion 183 Kesselring, Thomas 30 Koch, Anton Friedrich 83, 107, 132, 150, 158–160, 162, 178 Krämer, Hans Joachim 113 Kruck, Günter 62, 83–85, 91, 136, 160

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 Personenverzeichnis

Leibniz, Gottfried Wilhelm 62, 84, 98, 139 Lenin, Wladimir Iljitsch 181 f. Locke, John 152 Lucas, Hans-Christian 134 Marx, Karl 81, 181–194 McDowell, John 36 Menegioni, Francesca 159 Moyar, Dean 106 Newton, Isaac 157 Nicole, Pierre 151 Niethammer, Friedrich Immanuel 54 Nietzsche, Friedrich 81 Nikolaus von Kues 109, 126–128 O’Malley, Joseph 186 Oberauer, Alexander 150, 162 Parmenides 109, 112 Pinkard, Terry 98, 102 Pippin, Robert 24 Platon 34, 55, 99, 109 f., 112 f., 115, 117 f., 121 f., 124, 128, 151 Plotin 109, 113–116, 121–124, 127 Priest, Graham 13 Proklos 109, 114–116, 122–124, 127 Pyrrhon 53 f., 56, 57 Quante, Michael 106  f., 160 Reisinger, Peter 24 Ritter, Joachim 110 Rohs, Peter 83 Rohstock, Max 126 Sandkaulen, Birgit 153, 166 f., 171 Sartre, Jean-Paul 32 Schäfer, Rainer 111

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 31–33, 109, 128, 165, 177 Schick, Friedrike 83, 132, 136, 146, 155, 159 f. Schlegel, Friedrich 55 Schmidt, Klaus J. 66 Schopenhauer, Arthur 187 Schrader, Fred E. 186 Schubert, Alexander 24 f., 28, 34 Sell, Annette 149 Sextus Empiricus 54 f. Speusippos 113, 122 Spinoza, Baruch de 115, 122, 147–150, 155, 160, 162, 164–168, 171 Stalin, Josef Wissarianowitsch 182 Stekeler-Weithofer, Pirmin 153 f. Theunissen, Michael 22, 28, 84, 96 Trendelenburg, Friedrich Adolf 81, 187 f. Tugendhat, Ernst 14 Tuschling, Burkhard 134 Utz, Konrad 150, 162 Valentinos 116 Vieweg, Klaus 132, 160 Vogel, Ulrich 134 Voss, Ludovicus de 149 Wagenknecht, Sarah 184 Wagner, Hans 27 Waibel, Violetta 167 Wetzel, Manfred 24 Wiehl, Reiner 29 Wippern, Jürgen 112 Wirsing, Claudia 83, 132, 160 Wittgenstein, Ludwig 12, 14 Wolff, Michael 63, 76 Wölfle, Gerhard 23, 41, 134 Wyrwich, Thomas 181