Hegel-Studien Band 2 9783787329328, 9783787314676

TEXTE UND DOKUMENTE Fragment aus einer Hegelschen Logik. Mit einem Nachwort zur Entwicklungsgeschichte von Hegels Logik

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Hegel-Studien Band 2
 9783787329328, 9783787314676

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Hegel-Studien Band 2 TEXTE UND DOKUMENTE Fragment aus einer Hegelschen Logik. Mit einem Nachwort zur Entwicklungsgeschichte von Hegels Logik herausgegeben von Otto Pöggeler – Friedhelm Nicolin. Hegel als Professor in Heidelberg. Aus den Akten der philosophischen Fakultät 1816–18 – Zwei Briefe Hegels an den Verleger C. F. Winter. Mitgeteilt und erläutert von Friedhelm Nicolin – Hegel an Baader. Ein unveröffentlichter Brief, eingeleitet und herausgegeben von Hans Grassl ABHANDLUNGEN Gisela Schüler. Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften – Heinz Heimsoeth. Hegels Philosophie der Musik – Ernst Behler. Friedrich Schlegel und Hegel – Jan von der Meulen. Hegels Lehre von Leib, Seele und Geist MISZELLEN Jacob Fleischmann. Une Philosophie politique. Avant-propos d’un «Commentaire de la Philosophie du Droit de Hegel» – Wolfgang Ritzel. Zur Herkunft eines Hegelschen Ausdrucks – Dieter Henrich. Die »wahrhafte Schildkröte«. Zu einer Metapher in Hegels Schrift »Glauben und Wissen« – Paul Honigsheim †. Zur Hegelrenaissance im Vorkriegs-Heidelberg. Erkenntnissoziologische Beobachtungen LITERATURBERICHTE UND KRITIK BIBLIOGRAPHIE

Meiner

HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft HEINZ HEIMSOETH JOSEF DERBOLAV ¦ HANS-GEORG GADAMER LUDWIG LANDGREBE ¦ THEODOR LITT ¦ JOACHIM RITTER

herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER

B a nd 2

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1963, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1467-6 ISBN eBook: 978-3-7873-2932-8 ISSN 0073-1578

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

INHALT

TEXTE UND DOKUMENTE

Fragment aus einer Hegelschen Logik Mit einem Nachwort zur Entwicklungsgeschichte von Hegels Logik herausgegeben von OTTO PöGGELER, Bonn

Bonn Hegel als Professor in Heidelberg. Aus den Akten der philosophischen Fakultät 1816-18

11

FRIEDHELM NICOLIN,

71

Zwei Briefe Hegels an den Verleger C. F. Winter Mitgeteilt und erläutert von FRIEDHELM NICOLIN, Bonn

99

Hegel an Baader Ein unveröffentlichter Brief, eingeleitet und herausgegeben von HANS GRASSL, München

105

ABHANDLUNGEN

Bonn Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften

GISELA SCHüLER,

HEINZ HEIMSOETH,

111

Köln

Hegels Philosophie der Musik

161

Bonn Friedrich Schlegel und Hegel

203

Heidelberg Hegels Lehre von Leib, Seele und Geist

251

ERNST BEHLER,

JAN VAN DER MEULEN,

MISZELLEN

Jerusalem Une Philosophie politique. Avant-propos d'un «Commentaire de la Philosophie du Droit de Hegel»

275

Bonn Zur Herkunft eines Hegelschen Ausdrucks

278

Berlin Die „wahrhafte Schildkröte". Zu einer Metapher in Hegels Schrift „Glauben und Wissen"

281

+, East Lansing, Mich. Zur Hegelrenaissance im Vorkriegs-Heidelberg. Erkenntnissoziologische Beobachtungen

291

JACOB FLEISCHMANN,

WOLFGANG RITZEL,

DIETER HENRICH,

PAUL HONIGSHEIM

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Zur Problematik der Hegelschen Dialektik. Bemerkungen im Anschluß an eine Schrift von W. Flach (RICHARD KRONER, Philadelphia)

303

H.-G. Gadamer; Wahrheit und Methode.

314

(KARL OTTO APEL,

Kiel)

G. Günther: Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Band 1 (OSKAR BECKER, Bonn)

322

M. Clark: Logic and System (A.

325

CHAPELLE,

Freiburg i. Br.)

J. Kruithof: Het uitgangspunt van Hegel's ontologie (R. F. BEERLING, Leiden)

328

W. Albrecht: Hegels Gottesbeweis; D. Henrich: Der ontologische Gottesbeweis (JOSEPH MöLLER, Tübingen)

329

H. Gerdes: Das Christusbild Sören Kierkegaards verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers (CARL G. SCHWEITZER, Bonn)

.

.

334

A. A. Piontkowski: Hegels Lehre über Staat und Recht und seine Strafrechtstheorie (JACOB FLEISCHMANN, Jerusalem)

337

J. Köpper: Dialektik der Gemeinschaft

340

(KLAUS HARTMANN,

Bonn)

G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Mit einer Einführung von Th. Litt (FRIEDHELM NICOLIN, Bonn)

344

R. F. Beerling: De list der rede in de geschiedenisfilosofie van Hegel (KLAUS WEYAND,

Köln)

347

E. Schulin: Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke (ERICH HEINTEL, Wien)

350

Neuere Schriften über Hegels Ästhetik

352

(GIOVANNI VECCHI,

Neue italienische Studien über den jungen Hegel

V. Fazio Allmayer: Ricerche hegeliane

G. Lunati: La libertä

(ENZO TOTA,

P. Henrici: Hegel und Blondel

Hegel - Feuerbach - Marx

Kairo)

(ADRIAN PEPERZAK,

(CARMELO LACORTE,

Roma)

Venray) .

.

360

367

Messina/Saarbrücken)

371

Paris)

374

(HENRI BOUILLARD,

(IRING FETSCHER,

Tübingen)

Kurzreferate und Selbstanzeigen

376

387

BIBLIOGRAPHIE

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1960/61

Dissertationen über Hegel und seine Philosophie. Zusammengestellt von HERMANN BREDENFELD (Münster)

399

424

Mit diesem zweiten Band der Hegel-Studien verbinden wir ein dankbares Gedenken an THEODOR LITT der am 16. Juli 1962 im 82. Lebensjahr verstarb.

Litt hatte sich als Philosoph und Pädagoge von anders bestimmten Anfängen her in wachsendem Maße der Aneignung Hegels zugewandt. In seiner Denkform Hegel verwandt, nahm er in systematischen Schriften zur Geistesphilosophie und Wissenschaftstheorie Grundmotive des Hegelschen Philosophierens auf und suchte sie fortzubilden. Eine abschließende Darstellung fand sein Versuch einer kritischen Erneuerung Hegels dann mit der eigenwilligen Interpretation des Gesamtsystems in seinem bekannten Hegelbuch. Als Mitglied der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft gehörte Theodor Litt auch dem Herausgeberkreis dieses Jahrbuches an. Bleibenden Dank schulden wir ihm vor allem für seinen persönlichen Einsatz und sein richtungweisendes Wort zur Sicherung und Förderung der im Entstehen begriffenen Gesamtausgabe der Werke Hegels.

FRAGMENT AUS EINER HEGELSCHEN LOGIK Mit einem Nachwort zur Entivicklungsgeschichte von Hegels Logik herausgegeben von Otto Pöggeler (Bonn)

Der nachstehend abgedruckte Hegelsche Text ist bisher unveröffentlicht und wird meines Wissens von den früheren Hegelphilologen - wie ROSENZWEIG, HAERING, HOFFMEISTER - niemals erwähnt. Das Manuskript findet sich im Band 4 des Hegelnachlasses der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek (zur Zeit in der Universitätsbibliothek Tübingen aufbewahrt). Es trägt die Zugangsnummer „acc. ms. 1889. 257". Der Band 4 des Hegelnachlasses enthält 14 vierseitige Bogen in Folioformat. Nach Hegels Gewohnheit sind die Seiten nur halb, zum Innenrand hin, beschrieben. Dem Ganzen ist eine Titelseite vorgeordnet. Auf ihr steht (von fremder Hand): „Hegel zur Logik und Metaphysik". Die einzelnen Blätter sind in der oberen rechten Ecke mit den Zahlen 1-28 durchlaufend numeriert. Diese Numerierung - die nicht von Hegel, sondern offenbar von der Bibliothek stammt — verdeckt den wirklichen Zustand des Manuskripts; es ist lückenhaft; die Bogen liegen nicht in der richtigen Reihenfolge; ein Stück Text aus ganz anderem Zusammenhang ist an den Schluß geraten. Das Manuskript beginnt fragmentarisch, mitten in einem Satz. Nach dem ersten Bogen ist eine Lücke: hier ist ein Stück Text verloren gegangen. Der vorletzte Bogen (Blatt 25 und 26) ist falsch eingeordnet; er muß zwischen den vierten und fünften Bogen, also hinter Blatt 8 gestellt werden. Diese Anordnung ergibt sich nicht nur vom Inhalt her, sondern wird auch durch die Papierbeschaffenheit gestützt: Die ersten drei Bogen sind von bläulichem Papier, die Bogen mit den Blättern 7-22 und der falsch liegende Bogen mit den Blättern 25 und 26 sind gelblich getönt und etwas kleiner. Das Papier des Bogens mit den Blättern 23 und 24 ist nochmals ein wenig kleiner. Dieser Bogen, von dem nur zweieinhalb Seiten beschrieben sind, setzt nicht den vor ihm stehenden, auf Blatt 22 abgebrochenen Text fort, sondern bringt eine andere Fassung des Anfangs des Kapitels über das „Erkennen". Ich bezeichne ihn daher als „Anhang". Der letzte Bogen endlich (Blatt 27 und 28), der nochmals von anderem, beschnittenem Papier ist, enthält den Entwurf einer Rezension und scheidet aus dieser Edition aus. Das Manuskript ist relativ sauber geschrieben; doch enthält es viele Streichungen und Verbesserungen. Die Textvarianten werden in dieser Edition nicht vermittelt; im übrigen wird der Text jedoch in Schreibung und Zeichensetzung getreu nach dem Original gegeben. Stillschweigend berichtigt wurden nur offenkundige Schreibfehler, wie „Invidualität" für „Individualität". Unterstrichenes wurde kursiv gesetzt. Im Apparat bedeutet „H" Handschrift. In den Anmerkungen gebe ich jeweils an, wo ein Bogen endet; so hat der Leser Gelegenheit, die Reihenfolge der Bogen auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen.

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OTTO PöGGELER

[...] Daseyn hat. Er ist nicht Trieb, sondern Gesetz.

I. Freyer Mechanismus. Das Gesetz ist für sich die körperlose freye Allgemeinheit, welche das erfüllte und vollständige Wesen eines Dings ausmacht; so daß das Ding das Daseyn des Gesetzes ist, und diß Daseyn zugleich eine Beziehung auf ein anderes freyes Ding ist, welches gleichfalls das Gesetz ist, sich zu dem ersten verhält, und in diesem Verhältnisse für sich ist. Jedes ist der ganze Schluß, Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelnheit. Die Allgemeinheit eines jeden ist eben dieses Ganze zu seyn und diese A.llgemeinheit ist ihre Mitte als Gleichheit des Wesens derselben. Die Besonderheit eines jeden ist seine Bestimmtheit, die Entgegensetzung, von welcher in jedes nur ein Moment fällt, so daß das eine sich als Einzelnheit das andre aber als Allgemeinheit gegen das andere verhält, jenes als die Einzelnheit im Verhältnisse oder als Thätigkeit, dieses als Allgemeinheit im Verhältnisse oder als Passivität. Hiedurch hängt ihr Daseyn zusammen, und ist durch den Gegensatz, der als solcher nicht in dem einen, sondern nur in beyden ganz ist, aufeinander bezogen. Die insich zurükgegangne Besonderheit aber, die Einzelnheit ist das Fürsichseyn eines jeden, wodurch es das Moment hat, ein eignes Ding gegen das andre zu seyn. Die Allgemeinheit ist die unmittelbare Gleichheit des Wesens der beyden Dinge; als Einzelnheit sind beyde ebenso einander gleich, aber die Gleichheit ist ihre Gleichheit, vollkommen von einander verschieden zu seyn. Das vermittelnde, welches ihre Gleichheit und Ungleichheit enthält, oder das, wodurch ihre Ungleichheit selbst ihre Beziehung aufeinander ist, ist die Mitte, die Besonderheit durch welche sie gegeneinander gekehrt sind. Diese Besonderheit ist die Gleichheit und Ungleichheit eines jeden mit sich selbst; - die Gleichheit eines jeden mit sich selbst, d. h. dieselbe schließt das Wesen oder die Allgemeinheit eines jeden mit dessen Einzelnheit zusammen; — die Ungleichheit eines jeden mit sich selbst, d. h. jedes ist durch dieselbe auf ein anderes bezogen; jedes ist durch sie mit sich selbst und mit einem Andern vermittelt. Diß Verhältniß der beyden Dinge, insofern ihre Beziehung die allgemeine Einheit ihres Wesens ist, ist das Streben derselben. Sie sind zunächst, wie sie unmittelbar hier auftreten, in ihrem Daseyn unbestimmt gegeneinander; ihre Bestimmtheit, wodurch sie negativ aufeinander be-

Fragment aus einer Hegelschen Logik

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zogen wären, ist in die Allgemeinheit verhüllt, und jedes hat ein freyes, bleibendes Daseyn gegen das andre. Die Beziehung ist nicht in ihrem Daseyn, sondern nur in ihrem Wesen, ihr Daseyn gegen einander ist die Einzelnheit; die Einzelnheit ist nemlich selbst jene allgemeine unbestimmte Form der Bestimmtheit, in der sie, wie gesagt ist, sich hier zunächst gegeneinander verhalten; ihr allgemeines Verhältniß gegeneinander hat sich noch nicht besondert. Sie sind aber in diesem Widerspruche, daß ihr Wesen, ihr Ansichseyn eins und dasselbe ist, und daß doch zwey getrennte freye Fürsichseyn sind. Dieser Widerspruch ist die Negativität ihres Verhältnisses; aber sie ist insofern nicht ein Aufheben, insofern die Einheit des Wesens beyder, und das einzelne Fürsichseyn derselben im Gleichgewichte sind, oder es nicht die Bestimmtheit, welche schwächer ist, als die' Allgemeinheit, ist, wodurch sie sich aufeinander beziehen. Diß Streben erreicht sein Ende nicht, weil von ihnen sie nach dem allgemeinen Gegensätze überhaupt bestimmt, dasjenige welches das thätige wäre, das strebende, und dasjenige, nach welchem gestrebt wird, gleichgültig und frey von einander sind. Diß Streben aber geht in ein bestimmteres Verhältniß über. Der Widerspruch des Strebens ist nichts anderes als die Negativität, welche die Natur der Einzelnheit ist. ln dem Verhältnisse der gleichgültigen Einzelnheiten, welches so eben betrachtet wurde, sollte die Einheit des Wesens und die freye Einzelnheit im Gleichgewichte seyn, aber in der That hat die freye Einzelnheit das Übergewicht, oder sie ist die Bestimmtheit des Daseyns. Oder von der andern Seite betrachtet; die Allgemeinheit als Daseyn ist das Element, die Bestimmtheit des Verhältnisses, in welcher beyde zu einander sind; nicht die Einzelnheit, diese wäre das negative Verhältniß derselben. Es ist also in der That eine Ungleichheit, nicht ein Gleichgewicht vorhanden. Die Einheit des Wesens beyder ist die Negativität, welche nicht als Daseyn gesetzt ist, aber ebenso sehr als Daseyn gesetzt seyn muß, denn nicht nur ist das Allgemeine, das Element der jetzigen Bestimmungen diß, daß jede ebensosehr als sie Wesen, auch Daseyn ist, sondern das Daseyn als Seyn für anderes ist erst Daseyn als die Beziehung des Dinges in einer Bestimmtheit auf ein anderes. Aber indem die Negativität, oder die Einzelnheit als Beziehung beyder aufeinander wesentlich Daseyn hat, zugleich aber die beyden Dinge noch gleichgültig gegeneinander gesetzt sind, denn diese ihre Bestimmung, gleichgültiges Daseyn zu seyn, ist noch nicht aufgehoben, so fällt die Negativität ausser ihnen, oder diese, indem sie als

1 die] H: das

14

OTTO PöGGELER

Daseyn gesetzt ist, ist selbst ein gleichgültiges Freyes. Im Streben ist das Vermittelnde nicht da, das Setzen der freyen Mitte dieser zwey selbst freyen Dinge ist die Ergäntzung des Schlusses, der als Streben in seinem Daseyn nur ein Urtheil ist. Dieser Schluß ist der eigentliche Mechanismus. Die beyden in Beziehung stehenden Dinge sind nach dem Momente der Allgemeinheit ihres Wesens ein und dasselbe; aber diese Einheit ist als Daseyn, der freye Raum, oder die Gleichgültigkeit derselben gegeneinander. Sie haben an ihnen selber, keinen bestimmten Unterschied gegeneinander, sondern sind gleichgültig gegen diese Beziehung auf anderes, d. h. sie stehen nur im Unterschiede der Grösse zu einander. Ihre Negativität, ihr Werden ist ein anderes als sie; es ist die ebenso freye Mitte, eine aüssere Gewalt, welche sie treibt, oder ein inneres Wesen, welches zwar die Bewegung derselben ist, aber so, daß es zufällig ist, daß diese Dinge es sind, welche es bewegt; es ist ihnen gleicherweise ein gleichgültiges aüsseres Werden. Die gleichgültige Weise ihres Daseyns macht das Wesen ihres Daseyns aus; ihr Fürsichseyn ist nicht das, was sich als solches in dem Daseyn behauptet. Indem die Gleichgültigkeit, und die Grösse die Bestimmung des Daseyns dieser Dinge ist, so sind sie Ganze, welche aus Theilen bestehen; die Theile sind das Fürsichseyn, das Ganze aber ist die Gleichgültigkeit dieser Theile gegen einander, und es ist gleichgültig, daß das Ganze da ist. Das Ganze als solches ist nicht gleichgültig gegen sein Daseyn, so daß es in dem Aufheben dieses seines Daseyns, bliebe und bestehend wäre; sondern das Aufheben des Daseyns ist das Aufheben dieses Ganzen, oder das Aufheben seines gleichgültigen Daseyns, welches Aufheben jedoch seine Theile nicht afficirt. Es bleibt dieses an und für sich bestimmte Ding, indem seine Theile bleiben, aber seine Gestalt, sein zufälliges Seyn als Ganzes hebt sich auf; die Mitte ist die Negativität oder das Werden, und die Bestimmtheit in welcher die Extreme zusammen gegen die Mitte stehen, ist diese Gleichgültigkeit ihres Daseyns. Die Mitte ist in diesem ersten Schlüsse, die noch nicht im Daseyn aber im Begriffe beyde Extreme aufhebende Negativität. Gegeneinander haben diese Extreme keinen Gegensatz oder Bestimmtheit durch sich selbst; der Unterschied ist ihnen gleichgültig; sie stehen im Unterschiede der Grösse gegeneinander, was es ebenso enthält, daß sie auch an Grösse gleich seyn können. Es ist daher völlig unbestimmt, welches von beyden das Extrem der Einzelnheit und welches das Extrem der Allgemeinheit sey. Die Bewegung dieses Schlusses ist, daß in der That, dasjenige, welches als Mitte gesetzt wurde, die Einzelnheit, und somit das eine Extrem des Schlusses ist. Das eine der vorherigen Extreme wird zur Mitte, und die

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Einzelnheit ist es, welche es als solche setzt, denn sie ist es, welche an diß gleichgültige, bestimmungslose Daseyn eine Bestimmung bringt. Sie hebt die Freyheit seines Daseyns auf, und macht es zunächst zu einem passiven; die Gleichgültigkeit seines Daseyns, in Beziehung auf die Einzelnheit gebracht, ist zunächst Passivität. Aber passiv ist es nur in dem Gegensätze dieser Beziehung gegen das^ Einzelnheit. Nach der Einheit aber mit ihm ist es das thätige; es ist das Besondre, durch die von der Einzelnheit an ihm gesetzte Bestimmung, und verhält sich zu dem andern Extreme, als zu einem Allgemeinen. Die Allgemeinheit von diesem ist die Allgemeinheit des gleichgültigen Daseyn, die Passivität, und indem die jetzige Mitte, gemeinschafftlich mit dem allgemeinen Extreme passiv ist, ist sie im Gegensätze gegen [...]® Bestimmtheit des Dings, überhaupt keine Eigenschafft des Dinges, noch in dieses Verhältniß gesetzt worden, und eine solche ist es also auch nicht, die in dem Einswerden sich aufhebt. Das gleichgültige Bestehen allein leidet, das lose Verhältniß der Theile zu einander, das Seyn derselben, als ein aüsserliches (mechanisches) Ganzes, es sey eine Auflösung dieses Ganzen, ein Zerbrechen, oder eine Änderung seiner Gestalt, oder auch nur des gleichgültigen Verhältnisses dieser Dinge zu einander. Durch die Berührung wird der Gegensatz der Aktivität und Passivität, welcher durch die diesen Dingen fremde Einzelnheit gesetzt war, aufgehoben; er verwandelt sich in ihr in einen durch den eignen Unterschied der Dinge selbst gesetzten; die Dinge machen selbst die Vertheilung der an ihnen gesetzten Krafft. Es ist diß die letzte Bewegung, welche als der erfüllte Zweck, an ihr zeigen muß, daß das gesetzte, wenigstens zum theil, vorausgesetzt war. Die Freyheit der Dinge macht, daß die durch die Thätigkeit an ihnen gesetzte Bestimmung nicht ihre eigne ist; ihre eigne ist selbst eine gleichgültige. Die Berührung ist die ihnen nunmehr eigen gewordne negative Einheit. Das Aufheben ihres gleichgültigen Daseyns ihre Berührung, geht in das Erhalten ihres Fürsichseyns über. Als freye Dinge sind sie für sich und heben das Aufheben ihrer Freyheit auf; die vorher fremde, und nunmehr ihnen eigen gewordne negative Einheit ist die für sich seyende Einzelnheit eines jeden. Die Bestimmung dieser Einzelnheit oder ihr Seyn für anderes ist nunmehr ihre eigne Grösse, und die nach der Berührung wirkende Krafft besteht aus der vorhergehenden, ihnen fremden Bewegung, welche die Berührung unter sie ausgetheilt hat, und aus der ihnen - Verderbter Text. Etwas ausgefallen? 3 Folgt gestr.: dassjelbe] Ende des Bogens (Blatt 1 und 2). Die folgenden Seiten fehlen.

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OTTO PöGGELER

selbst eigenen Bestimmung gegen einander. Die austheilende Krafft aber, oder die Bestimmung dieses Daseyns ist die Einzelnheit eines jeden der beyden Dinge. Als Massen sind beyde das gleiche Element, und in dieser Gleichheit liegt die Mittheilbarkeit der Bewegung. Aber ausser dem, daß sie Massen sind, ausser dieser Gemeinschafftlichkeit sind sie Dinge für sich; diese Einzelnheit läßt die Mittheilung nicht zum Einswerden kommen, sondern ist die Elasticität, welche die Gemeinschafft von sich stößt, und jedes in seinem Fürsichseyn erhält. Die vorhin freye, und aüssere Bewegung ist jetzt die eigne, sie ist unter die eigne Freyheit der Dinge gekommen, oder sie [ist] nicht das bestimmende beyder und ihre Mitte. Der Schluß hat eine andre Gestalt angenommen. Das Allgemeine ist itzt die Mitte, das allgemeine als die Einheit aller Momente der Seiten. Sie ist die Gemeinschafftlichkeit der Massen, oder der abstrakten allgemeinen Innerlichkeit derselben; sie ist ebenso die eigne negative Einzelnheit oder das eigne Fürsichseyn dieser beyden Dinge; und sie ist der eigne Unterschied derselben, ihre bestimmte Grösse. Der einfache Punkt der sich auf sich selbst beziehenden und sich selbst bewegenden negativen Einheit, ist allein das Moment, welches ein aüsseres ist. Ursprünglich im Anfänge dieser Reihe der Schlüsse fielen die Dinge und die Selbstbewegung auseinander; ebenso endigt sich dieselbe auch. Die eigne Bewegung welche von den Dingen selbst gesetzt wurde, war nur eine Rückwirkung gegen jene fremde, eine Behauptung ihrer Freyheit und Selbstständigkeit gegen sie. Aber diese mechanische Bewegung hat zum Resultate nicht die Herstellung des ersten Verhältnisses, in welchem sich die Bewegung anfing. Was sich aufgehoben hat, ist überhaupt das freye gleichgültige Daseyn, die Trägheit der Dinge, als die Bestimmtheit, in welcher sie waren. Diese Gleichgültigkeit des Daseyns ist jedoch nicht die Selbstständigkeit des Dinges; die wesentliche Bestimmtheit desselben, und die reine Negativität, das selbstständige Fürsichseyn desselben ist nicht in die Beziehung des Verhältnisses gekommen, noch weniger aufgehoben worden, vielmehr nur diese abstrakte Oberfläche der leeren Gleichgültigkeit, des Seyns als Ganzen ist als Oberfläche in den Proceß getreten. Die Gleichgültigkeit des Daseyns ist in den Proceß getreten; eben dadurch ist sie aufgehoben worden; die Gleichgültigkeit, die ins Verhältniß gesetzt ist, hört auf, Gleichgültigkeit zu seyn. Das Resultat des mechanischen Processes ist, die Selbstständigkeit des Dinges, welche sich in demselben erhält, aber sich zugleich überhaupt als Bestimmtheit gegen ein anderes gesetzt hat. Das Ding ist nicht mehr nur Ganzes, eine Einheit welche gegen ihre Theile gleichgültig ist, sondern als Elasticität, welche

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sich erhält, und sich als negative Einheit darstellt, welche in ihre Gemeinschafft ausgegossen ist. Oder insofern ebenso diese gleichgültige Einheit, das Ganze, zertrümmert wird, so hat sie als solche ebendamit aufgehört. Die gleichgültige Bestimmtheit, die Grösse hat sich als qualitativ, als etwas, das sich summirt, das nicht ein in den gleichgültigen Theilen gesonderter Unterschied ist, sondern das sich zusammenfaßt, und als einfache Bestimmtheit sich verhält. Das Resultat, oder die Wahrheit des mechanischen Processes ist daher das selbstständige Ganze, das nicht mehr ein gleichgültiges Daseyn hat, sondern dessen Daseyn zugleich seine Bestimmtheit ist. Chemischer Proceß. Das Ding tritt in den chemischen Proceß, mit seiner wesentlichen Bestimmtheit, oder seinem allgemeinen Wesen, wodurch es das ist, was es ist, und welches zugleich einfache Besonderheit, und in seinem wesentlichen An-sich-seyn, Seyn für anderes ist. Es sind durch dieses Seyn für anderes unmittelbar zwey solche Dinge gesetzt, und zwar mit entgegengesetzten beziehenden Bestimmungen, so daß ihre Entgegensetzungen die entgegengesetzten von einander sind. Sie sind ferner selbstständige Dinge, als ganze Schlüsse. Indem sie so unmittelbar als selbstständige auftreten, hat ihre Einheit, als das Aufgehobenseyn ihrer selbst, noch kein Daseyn. Sie ist aber ihr Wesen, und hat darum ebensosehr Daseyn als die unwesentlichen Extreme, aber noch ein von ihnen getrenntes Daseyn. Sie ist das Element, die Möglichkeit ihrer Entgegensetzung, aber das Element, in welchem der Gegensatz noch nicht da, sondern verlöscht ist, eine ununterschiedne Einheit derselben. Diese drey Dinge machen die ersten unmittelbaren Momente des Schlusses aus; noch ist der Gegensatz der Extreme zu betrachten. Sie verhalten sich wie Einzelnes und Allgemeines überhaupt zu einander; für sich haben sie keine Bedeutung, sondern allein in der Beziehung. Das eine kann mehr als passives, das andre mehr als aktives betrachtet werden; als Bestimmtheit aber hat in der That jedes die Thätigkeit des Gegensatzes gegen das andre, so wie die Passivität desselben. Im mechanischen Processe waren die Extreme durch den gleichgültigen Unterschied verschieden, und insofern an ihnen selbst, oder weil dieser Unterschied der der Grösse ist, so konnten sie es seyn, denn es ist eben so gleichgültig, daß sie gleiche Grösse hätten. Insofern aber die Extreme im chemischen Processe für sich verschieden sind, d. h. der Unterschied, den sie im Verhältnisse haben, auch ein Unterschied ausser diesem ihrem Gegensätze seyn soll — und er 2

Hegel

OTTO PöGGELER

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muß diß seyn, weil sie zuerst als gleichgültige Dinge auftreten, - so erscheinen sie als freye, gleichgültige Eigenschafften, in der Gestalt sinnlicher Prädikate. Aber durch die Mitte zur Einheit verbunden, hört diese Form freyer Eigenschafften auf, und der eigentlich gesetzte Schluß ist das Aufheben dieses eignen Bestehens derselben. Die Dinge, welche die Extreme ausmachen, verhalten sich darin als Bestimmtheiten gegeneinander. Im chemischen Processe ist nur dieses erste freye Zusammenkommen diejenige Bewegung, welche nicht den Dingen selbst angehört, sondern aüsserlich ist. Sie gehört den Dingen selbst insofern lücht an, als diese zwar nicht mehr die freye Gleichgültigkeit der mechanischen Bewegung haben, aber insofern jede der Bestimmtheiten, welche das Wesen ihres Daseyns ausmachen, nur dem einen der Dinge angehört, nicht die Dinge selbst noch, als Einheiten der beyden daseyenden Bestimmtheiten an ihnen selbst gesetzt sind. Als gairze Schlüsse sind sie zwar selbst Einheiten der entgegengesetzten Bestimmungen, des Einzelnen und Allgemeinen, aber diese haben in ihnen noch kein Daseyn als solches; sie sind noch einseitig dem Daseyn nach, nicht wahrhaffte Ganze der Existenz. Das Setzen der freyen Dinge, deren Daseyn ihre wesentliche Bestimmtheit, in dem gemeinschafftlichen Elemente ist, was allein ihnen nicht selbst nicht angehört. Dieses Element, welches ihr einfaches Wesen ist, vermittelt sie miteinander; es ist ein drittes, durch welches sie verbunden werden.'* Allein indem diese Mitte ebensosehr das einfache Wesen dieser Dinge, ihre unterschiedslose Einheit ist, so fliessen sie in ihm ebenso unmittelbar zusammen, sie berühren sich unmittelbar. In dieser Einheit, welche ihre unmittelbare Beziehung und ihre Vermittlung ist, haben sie nun die Bewegung und Bestimmung derselben an ihnen selbst * Es ist der Gegensatz ihrer eignen Bestimmtheit, welcher die Bewegung setzt, und dessen thätiger negativen Beziehung nur die Unmittelbarkeit der daseyenden Berührung fehlte. Die Dinge der Extreme, indem sie sich nach der Bestimmtheit zueinander als daseyend verhalten, sind zunächst" jedes der einfache Schluß gegen das * Ende des Bogens (Blatt 3 und 4). * Am Rande: ^ unm.[ittelbare]

B

Be.[ziehuitg] * Zum folgenden am Rande: A

e

a /a A

b b \ B

e

B

Fragment aus einer Hegelsdien Logik

19

andere, daß das allgemeine Wesen das Extrem der Irmerlichkeit ist, die Einzelnheit die Mitte, welche jenes allgemeine Wesen mit der daseyenden, nach aussen gekehrten Bestimmtheit, worin sich die beyden Dinge berühren, zusammenschließt. Als Linien diß Verhalten vorgestellt, so würden die allgemeinen Wesen der beyden Dinge am weitesten auseinander fallen; sie sind aber unmittelbar eins, und in unvermittelter Berühnmg. Die Einzelnheit ist das auseinandertretende Fürsichseyn, welches indem die Wesen zusammengeflossen sind, ihre gleichsam reine Metallität, oder Elementarität, zugleich bestimmt, und jeder der beyden wesentlichen Bestimmtheiten, welche ohne abgesonderte eigne Substanz wären, doch an jenem allgemeinen Wesen eine eigne Substantialität erhält. Die Berührung ist das zwar selbst daseyende Ineinanderseyn, Ungetrenntseyn der Wesen, aber auch nur der Wesen; das Ding selbst als solches, hat durch die Einzelnheit, einen besondern Theil jenes gemeinschafftlichen Wesens; das daseyende Wesen ist schlechthin individualisirt, von seiner Bestimmtheit unzertrennt; sie macht sein Daseyn aus. Die unmittelbare Einheit des Wesens, welche in ihrer Berührung gesetzt ist, ist nicht ihre daseyende Einheit. Diese ist dasjenige, was zuerst als die besonders daseyende Mitte der Dinge vorkam. Ihre wesentliche Einheit ist das sich selbst und in beyden gleiche Wesen. Aber diese daseyende Einheit ist die auflösliche, vergängliche; denn es ist die, welche den Unterschied der Bestimmtheit beyder als solchen, daseyend darstellen soll. Die daseyende Einheit ist die Möglichkeit des Daseyns des Unterschiedes. In diesem Elemente setzen die Dinge ihre daseyende Bestimmtheit. Die Schlüsse, die darin Vorkommen,’ sind, daß a) jedes Ding sich durch seine Bestimmtheit mit den andern vermittelt, und sich dadurch die Allgemeinheit des Daseyns, das Seyn für andre gibt, ß) daß jedes, nur bestimmt durchs andre, durch diese Vermittlung des andern, das Daseyn erhält. Jedes ist auf diese Weise die Mitte des andern; indem das irmre Wesen das eine Extrem, das des Fürsichseyns ist, so ist die Einzelnheit, als negative Einheit der Bestimmtheiten beyder Dinge, die bewegende lebendige Mitte, welche mit jedem der fürsichseyenden Wesen® die daseyende Allgemeinheit zusammenschließt. Nachdem die unmittelbare Berührung der Dinge gesetzt ist, und damit das Ineinanderfliessen ihres Wesens, welches zugleich durch die einem

7 Am Rande: E

B

A

Sch.[luß] 8 fürsichseyenden Wesen] H: Fürsichseyenden Wesen [Wesen nachträglich]

20

OTTO PöGGELER

jeden eigenthümliche Bestimmtheit, die mit dem Wesen unzertrennlich eins ist, zugleich auseinandergehalten wird, so ist erst die Einheit des Wesens daseyend gesetzt, aber noch nicht der thätige Unterschied. Aber in der Berührung sind zugleich die entgegengesetzten Bestimmungen auf einander bezogen; die negative Einheit, welche der unmittelbaren Einheit des Wesens entgegengesetzt ist, und welche sich gegen diese, als die thätige gegen die passive verhält. Damit ist die Einheit des Wesens als eine passive Mitte gesetzt; aber als diese passive Mitte ist sie ein anderes daseyendes Ding; denn jene erste Einheit ist Einheit des Wesens, und als daseyend von der Bestimmtheit unzertrennlich; die Einheit, in der Berührung bleibt eine innerliche. Diese passive Mitte, die Möglichkeit des Gegensatzes, hat sich gegenüber, die Mitte als negative Einheit, als Thätigkeit. Diese Thätigkeit ist näher zu betrachten. Die Berührung ist der Anfang des Processes, d. h. es ist in derselben der Schluß des Wesens gesetzt. Der Schluß des Wesens ist, daß a) das Wesen umnittelbar ineinander fliessend gesetzt ist ß) jedes der beyden Dinge getrennt, in seiner Einheit des Wesens und der Bestimmtheit, oder als besondertes Wesen, ist überhaupt durch seine Bestimmtheit mit der Allgemeinheit, dem Daseyn, zusammengeschlossen. Dieses Daseyn hat den bestimmtem Schluß, indem jedes seine Bestimmtheit zugleich an ihm hält, daß jedes als Wesen überhaupt sich durch seine Einzelnheit auf seine Bestimmtheit bezieht. In diesem Schlüsse fängt die Thätigkeit an, die Bestimmtheiten kehren sich offenliegend, gleichsam nicht mehr in die Allgemeinheit, welche itzt, als innres Wesen, zurükgetreten ist, eingehüllt ist. Aber y) diese zwey Schlüsse der beyden einzelnen Dinge sind durch die Unmittelbarkeit der Einheit des Wesens beyder, und durch ihre negative Einheit, Ein Schluß; das Allgemeine ist die Mitte; nicht die beyden Dinge, als solche, sind mehr die Seiten. Die negative Einheit, die unmittelbare Beziehung der Bestimmtheiten ist als solcher, der lebendige Punkt der Bewegung; er ist das Aufheben beyder Bestimmtheiten, aber das Aufheben einer jeden, ist das Setzen der andern; und Aufheben der andern, das heißt, der aufhebenden, ist somit ein Selbsterhalten, aber ein vermitteltes durch das Aufgehobenwerden des andern und das Thun des andern. Das eigne Thun ist ein Aufheben des andern, aber jedes ist als Bestimmtheit nur die Beziehung aufs andre; das eigne Thun ist also ein Aufheben ebensosehr seiner selbst, als des andern und das Andere aufheben heißt, selbst werden. Die negative und positive Bedeutung fallen also hier gänzlich in eins, ebenso wie eignes Thun und Thun des andern gleichfalls ein und dasselbe ist.

Fragment aus einer Hegelschen Logik

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Diß Sich-selbst-erhalten durch Aufheben ist in seinem Daseyn näher betrachtet, a) das Aufheben der Form des Daseyns einer jeden Bestimmtheit: sie war an dem Dinge unmittelbar mit dem Wesen eins, reine Form desselben, ohne Materie, gleichgültig gegen die Aüsserlidikeit; diese Form des Daseyns verschwindet unmittelbar in der Thätigkeit, sie ist itzt negativ, sowohl als activ, wie als passiv, ß) Diese Form des Daseyn wird vertauscht gegen die daseyende Bestimmtheit. Die passive Form, in welcher die Bestimmtheit ist, gehört der passiven Mitte an; in dieser ist sie ohne Unterscheidung, und wird nunmehr ins Daseyn geruffen, sie wird als eigens für sich daseyender Unterschied gesetzt. Der für sich daseyende Unterschied jedoch ist eine verschwindende Materie; sein Daseyn ist nur diese Bewegung des Vergehens, y) Aber diß Vergehen seines freyen Daseyns ist zugleich sein Setzen als aufgehobenes. Es wird ein Prädikat des Dinges, welches das Daseyn der Bestimmtheit als eine blosse Form verliert, und das Daseyn derselben nicht nur als ein freyes setzt, sondern als das seinige. Das Verschwinden des freyen Daseyns des aus der zersetzten Mitte hervorgehenden Unterschiedes, ist sein Werden als Prädikat des Dinges, das vorher an sich den Unterschied, oder ihn als wesentlichen hatte, nun aber als daseyenden. Das Ding, einfache Einheit des allgemeinen Wesens und seines wesentlichen Unterschiedes, durchgegangen durch die negative Einheit, welche beyde Unterschiede in sich faßt, und welche deren passive, nicht daseyende Einheit zersetzte, ist nu[n]mehr die Einheit seines wesentlichen Unterschiedes als wesentlichen und dieses Unterschiedes als daseyenden. Das Product des Processes stellt als daseyend dar, was im ersten Schlüsse, der Berührung, unmittelbar an sich war. Die Thätigkeit ist die Vermittlung der Verschiedenen, die vorher in ihrem Daseyn nur einseitig waren, und sie ist das Setzen des Ansichseyenden, als daseyenden. Der Proceß, die sichselbstsetzende Bewegimg hört auf, durch den zufälligen Unterschied der Grösse der beyden Dinge; dieser gleichgültige Unterschied kommt noch von der Freyheit derselben gegeneinander her, mit der sie in den Proceß treten, um welchen Umstandes willen auch der Anfang der Bewegung nicht ihnen selbst zukommt, noch die passive, zersetzt-werdende Mitte durch die innere Einheit des Wesens dieser Dinge selbst gesetzt ist, sondern als eine aüssere Bedingung hinzutritt. Näher das erlangte Daseyn bestimmt, so war an sich jedes Ding als es in den Proceß tratt, die Einheit seiner selbst und seines andern; denn jedes ist als Bestimmtheit die Beziehung auf das andre; oder in seinem Begriffe liegt das andere. Der Proceß ist die Realisirung dieses Begriffs; es ist wesentlich in dem Dinge, als die Möglichkeit des Processes diß gesetzt, daß es an sich schon das ist, was es als Product wird. Als Produkt hat es

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Daseyn erlangt, nicht nur als Seyn für anderes; das Seyn für anderes als Form, hatte es bereits als Bestimmtheit; sondern Daseyn, als ein Seyn, welches das Andre seiner, nun an ihm selbst hat, und die ganze Beziehung des Seyns für anderes ist.*

Organismus*“ Lebensproceß.** Das Neutrale hat die Bestimmtheit, die seiner wesentlichen, einseitigen entgegengesetzt war, nun als daseyende an ihm. An sich ist es schon, ehe es durch den Proceß dieses Daseyn erlangt hat, selbst dieses Andre; aber auch nur an sich. Weil es nur an sich dieses Andre seiner selbst ist, und hiemit sie nicht als sein Daseyn an ihm hat, ist es ihm aüsserlich, und der Anfang des Processes, das formale Bewegungsmoment ist ihm gleichfalls aüsserlich. Indem aber das Neutrale die Einheit der daseyenden Bestimmungen ist, so ist die ganze reale Beziehung der Entgegengesetzten an ihm selbst, und die Einleitung der Bewegung gehört daher ihm an. Zunächst ist das Neutrale aber eine solche Beziehung derselben, die nur eine Möglichkeit dieser Entgegensetzung ist, - derselben, insofern sie sich im Daseyn auseinander hält und dadurch die Bewegung anfängt; diese belebende Entgegensetzung ist im Neutralen selbst, als solchem, nicht vorhanden. Es sind im Processe zwar zwey neutrale Dinge selbst entstanden; aber diese fallen gleichgültig auseinander, und diese Wiederhohlung des Begriffes der Neutralität, daß es zwey solche Dinge sind, trägt nichts aus. - Die entgegengesetzten Bestimmtheiten, welche den chemischen Proceß belebten, sind in der Neutralität abgestumpft, ihre Begeistung, d. h. die negative, die thätige Beziehung ist verschwunden. Der Gegensatz, wie er itzt auftritt, gewinnt eine gänzlich andere Form. Der Gegensatz aber thut sich hervor, indem der Gegensatz der Bestimmtheiten nicht verschwunden, nicht gar nicht im Neutralen vorhanden ist; er ist nur für das Daseyn verschwunden, er ist latent geworden, d. h. er ist als Inneres, als unmittelbare, wahrhaffte Möglichkeit vorhanden; nach der leeren Möglichkeit wäre er überhaupt anderswo, - es sey in » Ende des Bogens (Blatt 5 und 6). Auf der letzten Seite blieb unten ein Raum von etwa zwei Zeilen frei. Im folgenden verwendet Hegel anderes Papier. Aus dem äußeren Zustand des Manuskripts ist nidit ersiditlidi, ob hier eine weitere Entwicklung des „neutralen Produkts" verloren gegangen ist. 10 Möglicherweise nachträglich geschrieben. 11 Darunter, ausgewischt: Sei Am Rande, ausgewischt: Selbst[erhaltung]

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einem andern Dinge, oder im Vorstellen, im Denken. Er ist aber als latenter, nur abgestumpfter Gegensatz die eigne Möglichkeit des neutralen Dinges. Diese eigne Möglichkeit ist der innwohnende Begriff; nicht ein fremdes Denken, sondern das Latentseyn drückt die unmittelbare Gegenwart des aus’^ dem aüssem Daseyn verschwundenen aus; es ist als nicht daseyende, als rein wesentliche Bestimmung vorhanden; und was in der Neutralität nur eine träge Einheit ist, ist im Wesen, Einheit des wesentlichen Unterschiedes; in der Möglichkeit, d. h. dem Wesen ist der Unterschied als solcher vorhanden; seine Einheit ist die sich bewegende, lebendige. Auf diesen Begriff, nach den Bestimmungen, welche er erhalten, weist also das Daseyn selbst unmittelbar hin; aber er muß zugleich ein eigenes Daseyn haben, welches von diesem seinem Daseyn, das auf ihn hinweist, verschieden ist. Das Neutrale als solches ist das unvollständige, welches den Proceß, seine Quelle, hinter sich hat, der sich aber erhalten und hier als daseyender Begriff, jedoch in einer andern Form, gegenwärtig sein muß. Der chemische Proceß selbst ist nur das verschwindende Übergehen in die Neutralität, und diese ist nur das gleichgültige passive Bestehen. Die Bestimmtheit und der ganze thätige Gegensatz, welcher den Proceß ausmacht, ist als latent im Neutralen, und das Neutrale ist im Processe nur als vergehend. Der Proceß und das Neutrale sind Extreme gegeneinander, deren Mitte ihr allgemeiner, selbst daseyender Begriff ist. Die Ruhe oder daseyende Allgemeinheit, zu welcher der Proceß im Neutralen übergeht, dieser Untergang ist die einseitige Allgemeinheit, die selbst nur eine Bestimmtheit ist; sie ist nicht selbst der wahre Rükgang des Processes in sich, sondern bezeichnet nur diß ihm fehlende Moment. Ihre Mitte, das Innre des Neutralen, worauf es selbst hinweist, die Ruhe des Processes, in welcher er sich erhält ist näher zu bestimmen. Diese Mitte ist zuerst die negative Einheit der rein verschwindenden Bewegung und des trägen Bestehens. Ihre Bestimmtheiten und deren Gegensatz ist wesentlich, absolut. Aber diese Bestimmtheiten sind nicht nur verschwindende, sondern sich erhaltende, und welche durch die Ruhe, in der sie sind, die Krafft ihres Gegensatzes und seiner dadurch gesetzten Bewegung nicht verlieren, nicht als gleichgültiges Daseyn auseinander fallen. Es ist diß nichts anderes als das Wesen selbst, aber das Wesen, insofern es eignes Daseyn hat, und die Erscheinung, der chemische Proceß, und dessen Erlöschen im Producte ihm ebenso als freyes Daseyn gegenübersteht, ohne daß jene Mitte aufhörte, das Wesen dieser Erscheinung 12 aus] H: auf

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zu seyn. Es ist also das freye vom Daseyn unabhängige Daseyn. Seine Momente sind reine Abstractionen; sie sind latent, d. h. sie sind ausser dem passiven Seyn für anderes; und indem ihre Bestimmtheit ihr Seyn für anderes ist, sind sie diß nur als unsinnliche freye Beziehungen, als Wesentlichkeiten, denn aller gleichgültige Unterschied, die Grösse fehlt. Es ist der Charakter des gleichgültigen Daseyns und des Grössen-Unterschiedes, weswegen der Anfang und das Ende des chenüschen Processes aüsserlich ist. Aber der Unterschied, welcher als solcher für sich selbst ist, hat seine Bedingungen an ihm selbst. Das Daseyn, welches dieses Wesen an ihm selbst hat, als ein von dem Daseyn seiner Extreme verschiedenes, eignes, ist ein Seyn für anderes, aber weder die verschwindende, einseitig existirende Abstraction, noch die träge Neutralität, sondern das Seyn für anderes, welches unmittelbar der Allgemeinheit theilhafftig ist, sich in sich bewegend, so daß seine Bewegung nach aussen unmittelbar ein sich selbst erhalten ist. Jenes Verhalten zu einem andern, (Moment des chemischen Processes) ist an ihm selbst eine Ruhe, (Moment des neutralen) aber eine Ruhe, welche einfache Wesentlichkeit ist, und ebendadurch unmittelbares Wiederbeginnen des Processes. Es ist ein immaterielles Daseyn; ein Daseyn, Seyn für anderes, welches das Moment der Gleichgültigkeit und des Verschwindens gleichfalls an ihm haben kann; d. h. seine Extreme sind seine unmittelbare Möglichkeit; es kann dem Mechanismus, dem chemischen Processe unterworfen seyn. Aber sein wirkliches, eigenes Daseyn ist in die Allgemeinheit aufgenommen, von welcher es durchdrungen, weder dem einen noch dem andern anheimfällt, sondern in der Beziehung auf sie frey von ihm bleibt, und sie in sich aufhebt, die sie in sich verwendende Möglichkeit ist, während sie von ihm getragen, für sich isolirt, kein bestehendes Daseyn haben. Diß sein eignes Daseyn ist seine Gestalt. Sie ist dem Gesetze des Mechanismus entnommen, ist Materie, aber die nicht aus Theilen besteht; ihr Ganzes ist weder ihrer Qualität fremde, nicht eine aüssere Form, welche zerstört werden kann, während die wesentliche Eigenschafft dieselbe bleibt, noch ein aus Theilen bestehendes, welche homogen, von der gleichen Eigenschafft sind, ausser ihrer Verbindung noch diese behalten; sondern die Durchdringung der Allgemeinheit, läst dem wesentlichen Unterschiede zugleich seinen freyen Raum, um in dieser immateriellen Substanz seine Unterschiede auszulegen; die Einheit, welche das ganze durchdringt ist nicht die Gleichheit der Theile, sondern ebensosehr ihre negative Einheit. Das Daseyn der Gestalt, als Daseyn, ist der Materie, d. h. ihrer Unbestimmtheit überhaupt nach, ein[e] In-eins-bildung der chemischen Materien, nicht als Neutralität, d. h. als eine sich seiner entgegengesetzten Be-

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stimmtheit preisgebende, auflösende Einheit, sondern eine solche innige Durchdringung derselben, in welcher die negative Einheit so wesentlich wohnt, daß sie nicht der Krafft einer entgegengesetzten Bestimmtheit anheimfällt. Zugleich aber als die Möglichkeit derselben, kann das Organische von seiner Materie preisgeben, ohne sich selbst zu verlieren. Es ist Seyn für anderes, und hat insofern das mechanische und chemische Moment an ihm, und ein mechanisches und dienüsches Verhalten. Diß Verhalten aber ist die Entzweyung seiner in die Extreme, welche aber ebensosehr die Rükkehr in sich selbst oder die Selbsterhaltung ist, wodurch die organische Gestalt als solche nicht in diese niedrigem Processe eingeht, sondern vielmehr nur als ihre Mitte und ihr Wesen ist. Derselbe Inhalt ist somit auf gedoppelte Weise vorhanden. Einmal in der Form des aüsserlichen, selbstlosen Daseyns; das anderemal in der Form des in sich zurückkehrenden; in letzterer sind die Momente in die Allgemeinheit eingehüllt, welche in der erstem frey sind. Beyder Inhalt ist wesentlich derselbe und wie ihr Verhalten gegeneinander an sich beschaffen ist, hat sich gezeigt, nemlich eine Beziehung der Mitte auf ihre Extreme, welche zunächst die Bewegung derselben als solcher ist, d. h. ihren chemischen Proceß setzt, aber als Beziehung darauf denselben in sich aufhebt, und seine Erhaltung und Gestalt hervorbringt, oder der sich in sich reflectirte Proceß ist. Diß Ansichseyn aber ist daseyend, und ist in seinem Daseyn zu betrachten. Sich selbst erhaltendes Daseyn zu seyn, ist der wesentliche Charakter des itzt zu betrachtenden Sein Werden als das Werden des in seinem Seyn für anderes sich in sich selbst reflectirens, ist nicht ein Anderswerden, ein Vergehen in der Einheit mit dem entgegengesetzten; sondern das Werden seiner selbst. Zunächst wird in der Selbsterhaltung das, was ist, d. h. das Produkt des Processes ist das Vorausgesetzte, das, was den Proceß anfängt, ist das, was aus ihm hervorgeht; und zwar ist das Vorausgesetzte nicht nur ein erst an sich seyendes, wie in dem chemischen Processe das Neutrale, in der sogenannten Verwandschafft nur an sich schon eine Einheit ist, sondern es ist dem Daseyn nach vorausgesetzt; und sein Werden ist daher nur eine Darstellung dessen, was es bereits geworden ist. Indem uns das Organische als die Wahrheit des chemischen Processes, oder als seine Mitte wurde, so sind damit die Extreme dieser Mitte, oder

‘3 Ende des Bogens (Blatt 7 und 8). Es folgen Blatt 25 und 26. des ... betrachtenden] H; des itzt zu betrachtendens über gestr.; dieses [aus: des] Processes

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die Entzweyung derselben schon gesetzt. Indem aber das Organische überhaupt der Untergang dieser beyden Seiten, des Processes und des Neutralen ist, so sind sie in ihm zusammengefallen, und indem nur es ihre Wahrheit und ihr Bestand ist, so werden sie wesentlich von ihm gesetzt und ausgeschlossen. Es schließt sie aber ebensosehr aus und setzt sie, als es sie aufhebt; denn es ist das sich in sich selbst bewegende, welches als die Einheit des wesentlichen Unterschiedes, denselben als daseyend setzt. Und zwar ist die erste Form dieses Unterschiedes, die unmittelbare, oder die freye gleichgültige Verschiedenheit. Als Daseyn als solches ist dieses Entzweyen selbst, die Thätigkeit, oder das Werden noch nicht gesetzt; dieses Thun ist an sich; es ist im Wesen. Das Organische ist erst das in sich zurükkehrende und in sich zurükgekehrte. Es hat dieses In-sich-bleiben in seinem Andersseyn, diese Selbsterhaltung noch nicht dargestellt. Erst nachdem das in sich zurükgekehrtseyn sein Daseyn durchlauffen hat, wird dieses zurükgekehrtseyn für es selbst. Für es selbst ist diß, daß die wesentliche Einheit als solche Daseyn gegeben, ihr unmittelbares Daseyn als ein aufgehobenes in sich gesetzt hat. Das erste Leben des Organischen ist daher die Bewegung seines Daseyns, welche blind ist, welche in der einfachen unmittelbaren Einheit mit dem von ihrem Verschiedenen steht, zwar dem Daseyn nach verschieden, und in seinem Verhältnisse zu dem Verschiedenen sich erhaltend, welche aber nicht als theoretische, als wesentliche Einheit selbst da ist, oder daß die allgemeine wesentliche Einheit noch in den Proceß selbst versenkt, noch nicht ihm zuschauend, von ihm zurükgetreten ist, ein aüsserliches, noch nicht ein eigenthümliches inneres Leben hat. Sie gewinnt diß erst, wenn sie sich selbst als solche gegenübersteht, sich selbst Gegenstand ist; alsdenn ist ihr Seyn für anderes oder ihr Daseyn, als solches, sie selbst. Das Organische ist die negative Einheit des Ganzen; seine erste unmittelbare Thätigkeit bezieht sich auf sich selbst und ist die Trennung in sich selbst, welches im Gegensätze die negative Einheit bleibt, und in sich als das Andere, welches die passive Einheit, oder das Ganze als passives Daseyn. Dieses passive Daseyn aber ist ein freyes, gleichgültiges; seine Bestimmtheit ist als Bewegung die selbstlose Bewegung, die sich auf aüsserliche Weise anfängt, und als Ruhe, die ebenso selbstlose Passivität. Die Gleichgültigkeit oder Freyheit dieses Daseyns ist daher an sich ein Aufgehobenseyn desselben. Es ist das Unorganische, welches unabhängig seinem Werden nach, und auch in seinem Daseyn gleichgültig gegen sein Organisches erscheint so wie als zufällig für es, wenn eine Beziehung '5 Es ist. . . erscheint] Zuerst; Es ist die unorganische Natur, welche unabhängig

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auf dasselbe gesetzt wird. Seine selbstlose Freyheit ist an sich das Aufgehobenseyn desselben. Dieses Ansich ist das Organische; diß ist als negative Einheit, das Subject des Unorganischen, seine wesenhaffte Trennung ist das Urtheil in sich selbst und in das Unorganische, welches in der Freyheit seines Daseyns, an sich nur Prädikat des Organischen ist. So nach der ersten Trennung ist dieser erste Schluß vorhanden, daß das Organische und das Unorganische die zwey Extreme ausmachen, welche zunächst ein freyes gleichgültiges Daseyn aufeinander haben, und deren Beziehung als ein willkührliches oder zufälliges erscheint. Das eine derselben ist das Subject, die daseyende negative Einheit; das andre ist das positive passive Wesen, gleichfalls als daseyend. Ihre Mitte hat gleichfalls diese gedoppelten Momente. Sie ist positive einfache unmittelbare Einheit; und negative Einheit. Die Bewegung des Processes ist die Darstellung, oder das Treten ins Daseyn, dieser Mitte als des Ganzen. Das Subject ist dasjenige, welchem die Bewegung zukommt, und das sie aus sich selbst anfängt. Es ist Trieb; es ist, unmittelbar wie es gegen seine unorganische Natur im Verhältniße auftritt, das inhaltslose Selbst, das immaterielle, das sich mit seinem einfachen Wesen noch nicht als eins gesetzt hat, sondern reine Form ist. Es ist Trieb, indem das Andre seiner selbst, nicht nur aüsserlich, als eine freye Gleichgültigkeit da ist, auch nicht nur ursprünglich oder dem Wesen nach eins mit ihm ist, sondern indem es in ihm selbst als ein aufgehobnes da ist. - Die Neutralität ist das Moment des Werdens, worin diß daseyende Aufgehobenseyn des Andern gesetzt wurde. Diß Andre ist auf diese Weise an ihm selbst vorhanden; die Trennung fällt in das Subject selbst; aber diß andre Extrem seiner ist zugleich nur der Form nach in ihm gegenwärtig nicht der Materie nach; es hat ein freyes gleichgültiges Daseyn, welches Moment es noch nicht verlohren hat, welches noch nicht im Subjecte gesetzt ist. Das Andersseyn, oder die Materie ist im Subjecte erst der Form nach; d. h. sie ist nur als ein aufgehobenes, nicht als ein positives; dieser Mangel ist eine Trennung in ihm, aber eine thätige Trennung, ein Hinausgehen, ein Aussersich-[,] Anderswerden, welches eben das Aufheben jenes Mangels ist; ein Anderswerden, welches ein Anderswerden jenes Andersseyns ist.

ihrem Werden nach, und auch in ihrem Daseyn nach gleichgültig gegen die organische erscheint Dann (nur teilweise geändert, darum inkonsequent): Es ist das Unorganische, welche unabhängig ihrem Werden nach, und auch in ihrem Daseyn nach gleichgültig gegen sein Organisches [aus: das Organische] erscheint 1" Momente.] H: Momente;

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Das Subject, wie es sich hier bestimmt hat, ist überhaupt ein Individuum. Es ist ein Einzelnes, das sich selbst als die Einzelnheit setzt und erhält; seine negative Einheit hat an ihr selbst schon ihr Gegentheil, welches zu ihrem Begriffe gehört; es wird in seiner Bewegung und Thätigkeit, nicht ein Anderes, sondern wird nur das was es an sich ist; und diß Werden ist sein eigenes Thun, und was es an sich ist, ist der Form nach schon das Ganze. Aber diß Individuum ist noch nicht ein Selbst.^’’ Sein Trieb ist unmittelbar, und seine unorganische Natur ist noch nicht ein Subject; das Individuum steht auf einer Seite erst in seiner Subjectivität; der Gegensatz ist erst der vom Subject zur unmittelbaren, noch unsubjectivirten unorganischen Natur. Diese ist daher elementarisch, wesenhafft, aufgelöst, ohne den Knoten der negativen Einheit. Das Subject auf der andern Seite, da es sich nicht mit seiner einfachen Wesenheit in Eins gesetzt hat, ist noch nicht in seinen Momenten, durch und durch allgemein. Es ist zwar von untrennbarer Neutralität; aber indem es in der Aneignung seiner unorganischen Natur, durch das In-eins-werden seiner Materie mit seiner Form sich ein gleichgültiges, quantitatives Daseyn gibt, fällt [es] in diesem seinem Daseyn in die Bestimmung des Quantums; da es zugleich Individuum ist, kann die negative Einheit seine Eigenschafft als Quantum nur so in der Individualität erhalten, daß es in allen Theilen, das ganze ungetrennte Individuum ist. Die Allgemeinheit seiner als Individuum ist darum, weil sie die unmittelbare oder erste, noch nicht in sich zurükgegange[ne] individuelle Allgemeinheit ist, formell, noch herrschend über die ganze Quantität des Daseyns. Die Beziehung des Subjects auf seine unorganische Natur, welche elementarisch ist, ist daher selbst einfach, elementarisch. Das Aufheben des Andersseyns ist ein ununterbrochenes, knotenloses Strömen, worin die Willkühr, die Freyheit der Individualität von ihrem allgemeinen Begriffe, noch nicht vorhanden ist. Das Individuum ist die Freyheit von seiner unorganischen Natur, aber es ist noch nicht frey von derselben; die Freyheit ist sein Begriff, aber noch nicht sein Prädikat; es ist daher noch nicht etwas anderes, als dieses sich aufhebende Verhalten zu seiner unorganischen Natur; es bricht dasselbe nicht ab; noch setzt es sich als die blosse Möglichkeit desselben, sondern ist sein einfaches Daseyn. Mit der Bestimmung der Art dieses Verhältnisses, ist die Bewegung des Processes selbst bestimmt. Er ist nichts anderes, als das Daseyn der Einheit, welche im Begriffe des Verhältnisses liegt, eine Einheit, welche die Ende des Bogens (Blatt 25 und 26).

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Einheit der beyden Bestimmtheiten der Extreme gegeneinander ist - ein Aufheben derselben als für sich bestehender, das die Darstellung beyder Bestimmtheiten als Beziehungen ist, das sich Setzen der Mitte. Diese Einheit oder Mitte ist das Product des Processes. Sein Anfang ist das Subject, d. h. das Subject ist der abstracte Begriff desselben, oder derselbe als reine Form. Diese Bestimmtheit, abstrakte Form zu seyn, ist es welche diß Extrem verliert, so wie das andre Extrem, seine Bestimmtheit, formlose, unmittelbare Wesenheit zu seyn. Indem die unorganische Natur ihre Unmittelbarkeit verliert, verliert sie das Moment des Daseyns; das Subject hingegen erhält sich selbst; denn als die ganze Form oder negative Einheit, ist es bereits das Wirkliche; es ist der feste Punkt der Individualität, der die Mitte, die Einheit ist, welche sich selbst und ihr Gegentheil begreifft. Die erste Mitte war diese, daß an sich die unorganische Natur das Wesen des Organischen ist; die zweyte, jetzt gesetzte, Mitte ist diese Einheit, welche das Daseyn jener ersten ist. Das Setzen ist die Thätigkeit des Subjects, welche seine einseitige Bestimmtheit, reine Thätigkeit oder Form zu seyn, so wie die Bestimmtheit des andern Extrems, sein Wesen als reine Materie zu seyn, aufhebt. Das Subject macht sich in diesem Thun zu dem, was es an sich ist; es ist sein Selbsterhaltungsproceß; aber indem sich das Daseyn jenes Ansichseyn itzt gesetzt hat, so ist zugleich ein Anderes geworden. Der Trieb, der die Thätigkeit des Mangels ist, welcher darin bestand, daß die Individualität nur erst immaterielle Form war, ist befriedigt. Das Subject ist somit nicht mehr Trieb; aber als Subjekt bleibt es Thätigkeit; oder vielmehr bleibt seine Thätigkeit; es hat das Prädicat der Thätigkeit verlohren; denn es ist nur thätig im Gegensätze gegen seine gleichgültige unorganische Natur, welcher itzt verschwunden ist. Die negative Einheit, welche dieses sein Ansich mit sich selbst eins gesetzt, ist als die daseyende, gegen anderes gleichgültiges Daseyn gerichtete Thätigkeit verschwunden, und die Thätigkeit ist in das Ansich zurükgegangen. Sie ist daher nicht mehr Thätigkeit des Subjekts als eines solchen, sondern Thätigkeit in ihm. Es ist ein Werden des Subjects gesetzt. Die vorhin gesetzte Thätigkeit war, auf ein anderes als gleichgültiges Ding gerichtet; die itzt ist auf das Subject selbst gerichtet. Diese Richtung ist die andre Seite zu der ersten Riditung. Die erste Richtung war die Thätigkeit nach ihrem Daseyn, nicht sie wie sie an sich ist; nicht wie sie in der Mitte, der Einheit, ist, welche wir zuerst setzten. Die erste Thätigkeit war die negative, das Aufheben des andern; diese zweyte ist die positive, der Vereinung der Materie mit dem Subjecte selbst, oder vielmehr

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die Entwiklung; jene erste war die unmittelbare Selbsterhaltung des Eins des Individuums gegen den Andrang, gegen die Beziehung auf ein anderes, und daher gegen die Gefahr des Verlustes der formellen Selbstständigkeit; die zweyte, die Thätigkeit des Vereinten, ist das Setzen des Unterschiedes in sich selbst, der in der ersten ein aüsserlicher, fremder war. Diese Thätigkeit der Selbsterhaltung ist daher die Hervorbringung seiner selbst als entfalteter Organisation. Die Einheit seiner Form mit der Materie macht, daß das Individuum die Gleichgültigkeit des Daseyns an ihm selbst hat, und daß seine Form itzt Gestalt ist. Die Darstellung seiner, als Gestalt ist daher diese positive Thätigkeit desselben in und auf sich selbst. Dieses Ganze, Einheit seiner als Form oder Subjects, ist auf sich selbst thätig, die Negation seiner Einheit, oder es theilt sich. Diese Extreme, welche es in sich setzt, ist die Form der allgemeinen Materie, und die Form der Lebendigkeit; denn diß sind seine beyden Momente, welche nunmehr nicht mehr getrennt, wie vorher, sondern unter welchen das Ganze als in ihrer Bestimmtheit gesetzt ist. Diese erste unmittelbare Theilung bezeichnet aber diß Verhalten der Extreme nur überhaupt. Das eine Extrem ist das Daseyn des Individuums als allgemeiner Materie überhaupt; von der es jedoch sich zugleich unterscheidet. Es ist seine Angehörigkeit der allgemeinen Schwere. Diese Angehörigkeit ist eine innere, bestimmte Richtung, Beziehung auf dieselbe, welche von dem*® Individuum, das nicht nur allgemeine, sondern besonderte Materie ist, ausgeschlossen wird, und ein eignes Daseyn hat. Aber es bleibt in dieser Absonderung auf dieselbe bezogen; an ihm ist sie nur Prädikat; als eignes Daseyn ist sie ein von ihm freyes, gegen welches es jedoch nicht gleichgültig ist, sondern eben durch diß Moment seines Wesens sich darauf bezieht. Diese Beziehung ist, wie gesagt, das erste unmittelbare Verhältniß, oder das mechanische. Zugleich aber ist das andre Extrem, die Flucht von der allgemeinen Materie, die Befreyung von derselben. Es ist selbst zunächst nur eine Richtung überhaupt, ein Trieb, welcher dem ersten entgegengesetzt, das Streben nach einem Daseyn, das nicht die Sichselbstgleichheit der blinden, rein substantiellen Positivität ist, sondern vielmehr ein Daseyn, das die Sich-selbst-gleichheit der Negativität, der Bewegung ist. Indem diß Moment ebensosehr dem Individuum angehört, so ist es eine Umschränkung seiner selbst, welche sich von diesem Momente, als allgemeiner, elementarischen, aber unstäter Materie, gleichsam dem Processe selbst in Gestalt

18 welche von dem] Zuerst: welche es von demsel-

Dann es una demsel- gestr.

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von Materie, absondert/* als eignes, freyes, dagegen gleichgültiges Daseyn; aber dessen Wesen zugleich diese Materie ist, auf welche es sich als Trieb bezieht. Der Trieb, als diß erste, unmittelbare Verhältnis von gleichgültigen ist zunächst als solches ein proceßloses (raümliches) Streben; das Moment der reinen Vergrösserung der Gestalt, und in Ansehung des Unterschiedes, der beyden verschiedenen Richtungen zur trägen, unbewegten Einheit und zur unruhigen Negativität des Processes. Diese beyden Extreme bleiben Richtungen; sie sind nicht frey, sondern in der Einheit der Individualität festgehalten; und eben diß Festhalten derselben an ihr selbst, ihrer als des Punktes der negativen Einheit, in diesem Unterschiede der Richtungen, die für die organische Materie als solche kein innerer Unterschied, sondern ein gleichgültiger sind, - womit dieses Gestalten eine blosse Bereitung der noch ununterschiedenen allgemeinen organischen Materie, und nach dem Unterschiede an ihr, eine blosse Vermehrung derselben ist; - das Festhalten der negativen Einheit an sich selbst, - in dieser Ausdehnung konstituirt zuerst diese Individualität als daseyende; sie hat sich damit als solche oder als Einzelnheit überhaupt, was sie an sich ist, und welches Ansich eben dieses Werden ihres Daseyns ist, gesetzt. Diß abstrakte Wachsen und seine ebenso noch gleichgültige Theilung in Richtungen ist wesentlich eine Theilung und Ausbildung bestimmterer Verhältnisse und der Processe des Daseyns. Die negative Einheit, welche sich in der Richtung nicht als sie selbst befindet, muß in dem Unterschiede als negative Bestimmung sich zeigen; das blosse Wachsen wäre vielmehr ein Verschwundenseyn der negativen Einheit, und der gleichgültige Unterschied der Richtungen ist ebenso wenig das vollständige Daseyn derselben. Sie tritt nothwendig vielmehr gegen dieses gleichgültige Daseyn auf die Seite, und ist die Hemmung desselben. Das unbestimmte Wachsen als solches wäre nichts anderes, als ein Werden zur unorganischen Natur, ein Verlust der Individualität; das Individuum nimmt sie wohl in sich^® auf und macht sie zur organischen, von der Organität durchdrungenen Materie, aber diß Aufnehmen ist selbst elementarisches Anderswerden, und ohne Individualität, diese ist somit gegen diese Materie gerichtet, und diese ist itzt ihre unorganische Natur. Das Ganze des Schlusses ist das Organische und das Unorganische, und ihre Einheit. Das unorganische ist in diesem Schlüsse zuerst gleichgültig, ein freyes, eigenes Daseyn; und die erste Thätigkeit ist das Aufheben dieser Gleichgültigkeit, so daß die Mitte,

'•

Ende des Bogens (Blatt 9 und 10).

ä# in sich] H; in sich in sich

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welche in jenem Schlüsse nur das innre Wesen ist, itzt ins Daseyn tritt, und das Organische, dadurch, daß es die unorganische Seite, das Extrem des gleichgültigen Daseyns an ihm selbst setzt, selbst das Ganze wird. Das Organische ist auf diese Weise auf sich selbst als seine unorganische Natur gerichtet; es bestimmt diese, oder setzt diese als nicht mehr gleichgültig, als entzweyt; als thätig, ebensowohl diese Extreme gegen einander, als nach aussen, gegen anderes gerichtet. Die negative Einheit setzt ihre unorganische Materie als den Untersdried an ihr habend, sie entzweyt diese in Extreme, und ist dadurch selbst in diese Extreme übergegangen. Jedes dieser Extreme hat nun die ganze Form an ihm, aber sie nicht als sich auf sich selbst beziehend, nicht ihre Entgegensetzungen gegen einander gekehrt, sondern dieselben nach aussen gewendet, eine Richtung, welche jedoch ebensosehr eine Rükkehr in sich ist, oder worin die Unterschiede, als bezogen auf einander, ihre einfache wesentliche Einheit darstellen. Die beyden Extreme sind die ganze Form, aber dieselbe in der Bestimmung nach aussen gerichtet zu seyn. Jedes Extrem ist um seiner Ganzheit willen, selbst das dreyfache, der Proceß nach aussen, der Proceß nach innen gegen das andre Extrem, und der in sich zurükkehrende, sich als einfache Mitte setzende Proceß. Jeder dieser Processe [ist] ein Moment des Ganzen dieses Extrems, oder dieses Extrems als dieses Schlusses; aber jedes dieser Momente ist auch auf sein homogenes Moment im andern Extreme bezogen, ein Moment eines andern Schlusses, dessen Extreme zwey Momente der Extreme des Ganzen sind, wodurch sich zunächst drey solcher Schlüsse zu constituiren scheinen. Vors erste ist jedes Extrem ein Ganzes, oder der vollständige Schluß. Die allgemeine Seite desselben ist das Nach-aussen-gekehrtseyn, das Daseyn, und zwar um dieser Bestimmung des Daseyns willen, gegen die freye unorganische Natur; der Proceß mit derselben. Dieser Proceß war der schon vorgekommene, erste; aber als dieser erste war er das unmittelbare, eigentlich proceßlose Wachsen; das unmittelbare Einsaugen und Verwandeln des aüsserlich-unorganischen in organische Materie. Hier erst ist dieses Geschehen als Proceß gesetzt, durch das Ausser-sich-gehen, in die Extreme, der negativen Einheit, oder durch die Entzweyung, die den Unterschied an ihr selbst hat. Jenes erste Wachsen setzt daher diesen folgenden Schluß voraus; es hat in seiner Folge seinen Grund; die Wirkung ist als Zweck gesetzt. Dieser Proceß nach aussen, ist das Daseyn des Organischen als Organ. Er ist in dieser Sphäre überhaupt, aber nur erst ein unmittelbarer, nur elementarische Berührung und Einströmung, eine Thätigkeit, welche sich

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nicht unterbricht und besondert, sondern continuirlich ist, - welche es weder mit gesonderten Gegenständen, sondern mit Individucilitäts-losen Elementen, - denn die organische Individualität hat sich noch nicht in der Bestimmung freyer Individualität von sich abgetrennt, sondern das freye ist nur erst seine allgemeine Natur, oder das entzweyte individualisirte, von der negativen Einheit beseelte ist erst sein noch in derselben daseyenden negativen Einheit gehaltenes Extrem, sein Organ. Aber diese continuirliche Thätigkeit ist erst vorhanden dadurch daß die negative Einheit selbst in dem Extrem ist. Diese Thätigkeit des Organs überhaupt ist die gedoppelte der beyden Extreme, eine verschiedene, entgegengesetzte, und welche durch diese Entgegensetzung bezogen und selbst nur durch diese Beziehung vorhanden ist. Daß sie dem Organ, selbst einem Ganzen, angehört, dadurch ist sie die nach aussen gegen ihre elementarische Natur gehende Thätigkeit überhaupt; dadurch daß sie entgegengesetzt ist, ist sie bestimmt; diß macht ihre Besonderheit aus. Die Thätigkeit des Organs steigt auf diese Weise von ihrer Allgemeinheit zur Besonderheit herab. Die Einzelnheit oder negative Einheit, welche die Rükkehr des Orgarüschen im Organ in sich selbst ist, ist damit gleichfalls auf eine gedoppelte Weise gesetzt; einmal ist die Bestimmtheit des Organs, die nach aussen gekehrt ist, das Aufheben des gleichgültigen, freyen Daseyns des Unorganischen; diß ist die Individualität des Organischen, gegen seine Aussenwelt, d. h. gegen sein Wesen, als ein freyes Daseyn gesetzt. Das andremal aber wäre diese negative Einheit des besondem Organs, ein eigenes Daseyn desselben, eine Treimung desselben vom Organischen, und ein Zerfallen dieses Ganzen in verschiedene freye Ganze. Aber die Besonderheit des Organische[n], durch welche es thätig gegen sich als Aussenwelt, ist,^' ist, wie wir sahen, eine gedoppelte; einmal die Bestimmtheit des Organs, als Thätigkeit des Organs nach Aussen, zweytens als Bestimmtheit gegen das andre, ihm entgegengesetzte Organ. Jene Thätigkeit des Organs gegen die Aussenwelt ist ein Constituiren seiner als eines verschiedenen von seinem entgegengesetzten Organ, ein Verlassen seines Seyns im Ganzen, ein Herauswenden aus der Innerlichkeit in das Daseyn. Das Zurükkehren aus der aüssern Thätigkeit in sich selbst, und die dadurch gesetzte Individualität, indem sie einerseits das Verschwinden des Gegensatzes des Orgarüschen und des gleichgültigen aüssern Daseyns ist, ist zugleich ebensosehr ein Verschwinden des Gegensatzes dieser innern Trennung der organischen Individualität, des Gegensatzes des einen Organs gegen das andere, und jener Rükgang aus dem 21 Ende des Bogens (Blatt 11 und 12). 3

Hegel

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Daseyn ist daher eine eigne Besonderung des Organs, seine Erhaltung gegen die unorganische Natur, und sosehr eine Rükkehr desselben in das ganze Individuum und eine Constituirung von diesem. Diese Rükkehr ist also Aufhebung des Gegensatzes nach Aussen und nach Innen; aber ein Aufheben, welches den lebendigen Gegensatz der negative[n] Einheit in ihm selbst hat. Die Extreme, welche der Gegensatz des Daseyns constituirte, sind der Proceß des Daseyns nach Aussen; ihre Besonderheit ist zwar die Beziehung eines jeden auf sein entgegengesetztes Extrem; allein diese Beziehung macht nur erst ein Moment, in diesem Ganzen, welches Organ der Beziehung auf die unorgaiüsche Natur ist, aus; die Bestimmung dieses Ganzen ist diese Beziehung nach aussen, imd jene Beziehung auf sein anderes Extrem ist nur seine einfache Besonderheit, die aber seinen Zusammenhang mit dem organischen Ganzen ausmacht. Wie die Beziehung nach aussen, ein eignes Ganzes, ein eignes Organ, ausmacht; so muß audi das andre Moment, die Besonderheit ein solches Ganzes bilden. Die Rükkehr des Organs des Daseyns, welches das Moment der Allgemeinheit als Daseyns ist, in sich ist das Setzen eines organischen Ganzen, welches unmittelbar aus dem Processe der Aüsserlichkeit herkommt, oder welches noch nicht die wahrhaffte ganze Rükkehr in sich ist, sondern die das Bestimmtseyn nur in die Besonderheit erhebt. Es ist die Mitte, des ganzen organischen Schlusses, welche damit gesetzt wird. Diese Mitte, das Eingeweide, hat zur Seite seines Daseyns oder seines Processes, den vorhergehenden, nach Aussen gegen die unorganische Natur gekehrten Proceß, als seinen Gegenstand. Sie ist eben die Rükkehr dieses letztem in sich selbst, oder in das organische Ganze, die Erhaltung, das innre Allgemeine desselben. Zur andern Seite hat dieser Proceß, das entgegengesetzte Eingeweide, oder die Rükkehr des andern Extrems, des andern Processes des Daseyns. Sein Verhalten zu dem aüssem Processe ist das gänzliche Aneignen der unorganischen Natur; es ist die Bereitung der eignen, eigenthümlichen Materie des Lebendigen für dieses selbst. Aber er ist zugleich eine bestimmte Bereitung, oder eine Rükkehr aus dem Aüsserlichen, welche, als Bestimmung wieder ein Hinauskehren zum Aüsserlichen ist; welches Hinauskehren aber als das innerliche nichts anderes ist, als das Bereiten des aüssern Organs, und desselben als eines mit der Individualität, mit der Krafft gegen das Aüsserliche gewaffneten Organs. Dieses Erzeugen ist das Moment der eigentümlichen Individualisirung, zu welcher dieser zweyte Proceß hemntersteigt. Dieser Proceß enthält also nach der Seite seines Daseyns oder seiner Aüsserlichkeit, deren Zurükbringung ins Innreliche er ist, die drey Momente, a) Thätigkeit gegen den aüsserlichen Proceß oder gegen das

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aüssere Organ, dessen verschwindendes Daseyn durch ihn sein Bestehen und Bleiben erhält; ß) eben diß Moment der Innerlichkeit oder der Mitte selbst, und y) das Moment des Aüsserlich-Werdens, oder der Erzeugung des aüsserlichen Organs. Aber diese Beziehung des mittlem Processes oder Eingeweides auf das aüssere Organ ist nicht die einzige; er ist nicht nur die Rükkehr des aüssern Organs in sich, sondern auch die bestimmte Rükkehr, die bestimmte, insofern er dem andern entgegengesetzt ist, insofern die Bestimmung die Form der Einfachheit hat. Dieser Proceß hat insofern, das Verhalten zu dem andern gleichfalls innerlichen Processe, oder zu dem andern Eingeweide. Ihre Mitte ist die thätige Einheit der Individualität; indem sie die Extreme oder die Materie derselben sind, ist ihre Einheit die materielle oder die einfache Substantialität des Ganzen, und die dasselbe in allen seinen Theilen durchdringende allgemeine Krafft. Aber diese einfache Allgemeinheit ist ebensosehr der negative Punkt des Ganzen, der sich von ihm als entwikeltem in Organe besondertem Ganzen unterscheidet. Das Setzen dieses negativen Punktes ist nicht das ursprüngliche erste, von welchem angefangen wurde, sondern dasjenige, welches Resultat des entwikelten Ganzen ist imd dessen vollständiges Daseyn voraussetzt. Aber ebensosehr ist es von jenem ersten nicht verschieden, und es geschieht, daß das Daseyn seiner selbst sich voraussetzt. Denn jenes erste, ursprünglich genannte, hat erst sein Daseyn, als dieser ganze Proceß, als erstes ist es sein lücht daseyender Begriff, der aber, als seine ihm selbstgleiche Thätigkeit in sich tragend, Zweck ist. Als letztes, als zum Daseyn gekommen, ist es der erfüllte Zweck, das existirende, das nur als solches jene Bewegung setzt. Diese Individualität, welche nunmehr als gewordene ist, ist die ganze Individualität überhaupt; sie ist Individuum. Aber ebensosehr, als Resultat des vorher bestehenden Ganzen ist sie zugleich nicht von ihm abgetrennt, und sie könnte nur für sich seyende Einzelnheit seyn, wenn sie von ihm abgetrermt wäre. Sie ist daher zunächst als daseyendes, Moment jenes Daseyns, des Individumns; die daseyende Möglichkeit des ganzen Individuums, d. i. der Trieb der Individualität, als Individuum zu werden. Das Individuum muß wesentlich das werden, was es ist; diß ist sein Charakter. Wie es sich uns dargestellt hat, ist dieses Werden Nothwendigkeit seines Begriffs; erst in diesem seinem Gewordenseyn zum Ganzen ist diese Nothwendigkeit, vorhanden als Begriff, unterschieden von seinem Daseyn; aber der Begriff ist hier selbst als solcher daseyend, weil er das gewordene ist, und zwar ein solches gewordenes, dessen erstes, ursprüngliches, oder der Anfang ein solches ist, das sich selbst voraussetzt. Alles Erste kehrt in

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seiner Totalität in sich selbst zurük, aber diese Totalität, der erfüllte, realisirte Begriff ist zugleich ein anderes; er verhält sich zu dem Ersten, als Realität zum Begriffe. Hier aber, im organischen, ist die Realisirung des Begriffes, Abtrennung seiner Realität von sich selbst; die Realisirung, welche Selbsterhaltung ist, ist zugleich das Aufheben dieses Daseyns, dieser Beziehung auf anderes; denn diese Beziehung ist Abhängigkeit vom andern, ist als Bewegung das Einswerden mit dem Andern, d. i. der Verlust, das Vergehen seiner selbst. In dem Processe der Selbsterhaltimg ist diß da, daß jedes Moment unmittelbar die entgegengesetzte Bedeutung hat, daß, was da ist, ebenso unmittelbar aufgehoben, in sich zurükgegangen ist. So ist das Aussersich-werden, die vollständige Realität, unmittelbar die Erzeugung des Begriffs.*^ Dieser daseyende Begriff, ist a) die Individualität überhaupt; ß) das Besondere, die Individualität, als Organ, als daseyendes Moment, Theil des Ganzen; y) Einzelnheit, als sich selbst wieder gegebener Begriff; Trieb. Als Individualität überhaupt, ist das Individuum unmittelbar ganz geworden; (das vorher daseyende Individuum hat ein anderes Individuum erzeugt, - ein anderes, das von ihm nur in dieser abstracten Bestimmung, der Einzelnheit unterschieden ist. Diß zweyte Individuum ist aber ebensosehr, als es die neue daseyende Einzelnheit ist, auch die Allgemeinheit; es ist das Gemeinschafftliche des Ersten und des Zweyten, oder die Darstellung seiner sich selbst gleichen Natur.Die ganze Individualität, welche geworden ist, ist zunächst die Erhebung des Individuums über den Proceß seines Werdens, oder seines Daseyns, in welchem es sich auf ein ihm ungleiches bezieht. Sie ist seine vollendete Rükkehr in sich selbst, wodurch es bey sich ist, in seinem Andersseyn, welches es als ein ihm fremdes überwunden hat, dadurch daß es zuerst seine unorganische Natur aufhob, d. h. sich gleich setzte, und auch diese unmittelbare Aneignung derselben, das Eingeweide, diese unmittelbare Rükkehr überwand. Die allgemeine Rükkehr zu sich selbst, ist aber ß) eine besonderte; als dieses Besonderte ist sie ein Organ, ein Theil ein Moment des Ganzen; diese Bestimmung ist als ein Besonderes da; aber diese Bestimmung ist auch Bestimmung des Ganzen; das Ganze ist verschieden von sich als einem andern Ganzen; es sind zwey solche sich entgegengesetzte, sich auf-

Ende des Bogens (Blatt 13 und 14), In Hegels Manuskripten gilt die Einklammerung oft als Tilgung; so augenscheinlich auch hier. **

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einander beziehende Ganze da. Die allgemeine Individualität, das erste Resultat, ist der innre Boden, der die Bestimmung nunmehr so an sich setzt, daß sie sich frey in eigens für sich bestehende Individuen entlast. Jene vollendete allgemeine Individualität existirt, als solche nicht, sondern hat nur Daseyn, in entgegengesetzten Geschlechtern, deren allgemeines noch das Innere ist. Diese Besonderheit aber ist zugleich y) vollkommne Einzelnheit. Das Individuum ist als dieses gewordne, das in sich zurükgekehrte, ein solches, welches für sich selbst ist, oder das sich selbst zum Gegenstände hat; sich selbst, nicht insofern es nur sein Andersseyn, sein Entgegengesetztes ist, sondern insofern für dasselbe diß ist, daß diß sein Anderes, sein Entgegengesetztes, worauf es sich bezieht, ist. Das Individuum hat als Geschlecht zuerst sich zum Gegenstand. Seine negative Einheit ist nicht auf ein Anderes gerichtet, sondern diß andre innerhalb ihrer Selbst. Die Mittelbarkeit ist Unmittelbarkeit. Das Individuum ist durch ein anderes mit seiner Allgemeinheit zusammengeschlossen; aber diß Andre, diese Mitte, ist unmittelbar es selbst, und die Allgemeinheit, mit welcher es als einem Extrem zusammengeschlossen wäre, ist diese einfache Beziehung beyder aufeinander. Die allgemeine Natur beyder ist so das Dritte, welches sie aufeinander bezieht, oder es ist sosehr die Mitte, als es Extrem ist. Sosehr ist endlich die negative Einheit ihre Mitte, welche den Unterschied aufhebt, der sie auseinanderhält, und das allgemeine oder die Gattung zum Daseyn bringt, das sie als solche noch nicht hat. Dieser Schluß hat somit ein durchsichtiges Andersseyn zur Mitte, und diese Mitte ist zugleich ebensosehr, als Allgemeinheit, das andre Extrem. Es sind zwey Schlüsse zu unterscheiden. Das allgemeine Individuum, die Gattung, ist als Ein Extrem; die Mitte ist die Bestimmtheit, als daseyende Bestimmtheit, die Besonderheit als Geschlecht; das Extrem ist das Individuum. Das Individuum hat dadurch, daß es Geschlecht ist, die Allgemeinheit an ihm; diß ist seine Erhebung in die Gattung im Daseyn. - Und die Gattung besondert sich als Geschlecht zur Einzelnheit. Das Geschlecht ist die bindende Mitte. Es hat von der Natur des allgemeinen Individuums und des einzelnen Individuums. Die Gattung hat durch das Geschlecht ihr Daseyn überhaupt. Dieser Schluß ist das Wesen des Daseyns der Gattung. Ihre Thätigkeit, ihre sich Selbstdarstellung als daseyende, oder der Proceß ihrer Selbstproduction ist der zweyte Schluß. In jenem ersten ist das Extrem der Einzelnheit, Individualität überhaupt. Aber diese allgemeine Bestimmung, in welcher jener erste Schluß steht, muß sich als Thätigkeit, als Ursache, insofern dieser Begriff hier statt finden kann, darstellen. Die Mitte, das

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Geschlecht, stellt sein Moment^^ der Individualität, nur im individuellen Daseyn dar, und sein Moment der Allgemeinheit an diesem Daseyn zunächst in der oberflächlichen Bestimmung der Gleichheit, und der Zweyheit von Individuen. Die gesetzte negative Einheit hat zu ihren Seiten, daseyende Momente; denn sie ist zu anderem sich verhaltend, ausschliessend, und diß Andre, in der Gestalt freyen Daseyns. Beide Extreme sind daher daseyende Individuen; sie verhalten sich nach den Bestimmungen des Einzelnen und Allgemeinen im Daseyn, zu einander, das eine also als das thätige, das andre als das passive. Ihre Mitte ist ihre gleiche Natur als Gattung, welche aber als solche nur erst das Innre, noch nicht zum Daseyn gekommen ist. Das Moment der negativen Einheit dieser Mitte, das wodurch beyde Extreme gegeneinander begeistet sind, ist der Trieb beyder, die Gleichgültigkeit ihres besondem freyen Daseyns aufzuheben und das Daseyn der Gattung darzustellen. Ihr vorhergehender Proceß gegen die unorganische Natur, erhob sie dazu, diesen Gegenstand als aufgehobenen zu setzen. Ihr jetziger Gegenstand für sie ist das Aufgehobenseyn der Gegenständlichkeit; oder der einfache Punkt der negativen Einheit. Beyde sind für einander dieser einfache unterschiedslose Punkt des Seyns, und ebendarum sind sie für einander unmittelbar sein eignes Selbst. Jedes sieht in dem Andern sich selbst. Jedem ist das Andre ein absolut freyes, absolut für sich bestehendes; und ebenso unmittelbar ist diß Andersseyn des Andern für es aufgehoben und es ist in diesem Andern zu sich zurükgekehrt. Jedes schließt also in dem Andern sich mit sich selbst zusammen, jedes ist durchs andere mit sich selbst vermittelt, und zwar ist jedem diese Vermittlung mit sich selbst im Andern, sein Gegenstand. Diß Verhältniß ist nur erst Zwek. Das organische Individuum hat diesen Zweck, in der einfachen Natur der Beziehung beyder aufeinander. Die Einfachheit der Beziehung ist das theoretische, das wesenhaffte, das hier als solches existirt, das sich aber noch sein Daseyn als Seyn für anderes zu geben hat. Der Zweck ist Trieb, indem in dieser rein wesenhafften Beziehung das Moment des Andersseyn ebensosehr aufzuheben [ist], die Einheit Daseyn bekommen, als auch eben dieses Moment vollkommen frey werden muß. Die Anschauung seiner selbst im Andern ist noch getrübt im Triebe, durch den Schein des freyen Andersseyns; es ist ein blosser Schein, die Gewißheit der Einheit ist die rein wesenhaffte Beziehung. Diese Einheit wird also gesetzt; sie ist die Wahrheit der Beziehung beyder. Moment] H: Momente

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Diese Einheit ist das Daseyn der Gattung; sie war vorher nur das Innre; in zwey Geschlechter getrennt, hatte sie nicht als solche Wirklichkeit. Von ihrer Ursprünglichkeit zu sich selbst zurükgekehrt, mit dem Momente ihres Seyns für Anderes, vereint, ist sie das Daseyende.^* Zunächst ist diß Daseyn, das unmittelbare Daseyn, als Selbsterhaltung derselben; die formelle Wiederhohlung des Individuums; die Rükkehr zu dem Anfang, der zweyseitig war, ein wirkliches Individuum, und das Innre oder die Gattung. Das erste, wie das letzte Individuum ist geschlechtlos, hat zunächst die Gestalt der Gattung; die ins Geschlecht getretenen Individuen aber gehen in der Vereinigung, welche die Verwirklichung der Gattung ist, unter, und die ins Daseyn getretene Gattung ist nach dieser Seite des Seyns oder der Aüsserlichkeit, selbst nur ein neues wirkliches Individuum; und die Innerlichkeit oder das Wesen stellt sich nur als der leere Fortgang in die schlechte Unendlichkeit dar. Die wahre Unendlichkeit, die wesenhaffte Rükkehr aber zu sich selbst, oder das wahre Daseyn der Gattung, ist die sich selbst zurükgegebene Gattung; das erfüllte Allgemeine, das sich zum Gegenstände hat. Das Individuum des Geschlechts hatte im Andern nur seine leere individuelle Einheit, diesen unausgefüllten Punkt zum Gegenstände. Eine dumpfe Einheit, ein einfaches Element, in welchem sonst kein Unterschied ist. Diß höhere Element ist es, welches sich in sich selbst zum Ganzen ausbilden muß.

Das Erkennen. Das Erkennen ist diß unmittelbare in sich selbst-seyn in seinem Andersseyn; nicht nur wie die wesenhaffte Bestimmung, die Beziehung auf das Andre unmittelbar an ihr selbst hat, sondern so daß dem in sich selbst seyenden, es selbst im Andern, welches die Form der Freyheit, des gleichgültigen Daseyns für es hat, Gegenstand ist. Es ist a) der einfache Punkt der reinen in sich zurükgekehrten Individualität, welcher ß) einen Gegenstand hat, der für ihn ist, aber y) der ihm zugleich unter der Form des Wesens ist. Dieser Gegenstand, als einfache Wesenhafftigkeit, und die sich auf sich beziehende negative Einheit der reinen Individualität, sind unmittelbar und ungetrennt dasselbe; die Individualität ist in jenem mit sich selbst verbunden, aber zugleich ist diß ihr ein reiner absoluter Gegenstand; so rein die Einheit der Beziehung ist, so rein ist diese Entgegensetzung des Gegenstandes. **

Ende des Bogens (Blatt 15 und 16).

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Was also die reine Individualität in ihrem Gegenstände anschaut, ist in ihrem eigenen Elemente; es ist einfaches Wesen; es ist Allgemeinheit; das Anschauen in diesem Elemente der Innerlichkeit ist das Denken; aber das darin Angeschaute hat noch die Form der absoluten Entgegensetzung. Der Gegenstand des organischen Processes ist noch in der Form aüsserlichen Daseyns; jener hat dagegen zwar auch die Gestalt des absolutfreyen Daseyns, aber dieses Daseyn ist selbst das allgemeine, wesentliche; das Daseyn im Elemente der Einfachheit. Es ist zuerst die nähere Bestimmung dieses Gegenstandes zu betrachten. Er ist zunächst als Allgemeines, welches die Bestinuntheit an ihm selbst hat, als allgemeine Bestimmtheit, Gattung-, - die Bestimmtheit insofern sie in untrennbarer Einheit mit dem Allgemeinen ist, den gleichen Umfang mit ihm, oder insofern sie die Form der Allgemeinheit hat. Alsdenn aber hat sie nothwendig, weil die Bestimmtheit sonst nicht als Bestimmtheit wäre, - diese als eine solche an ihr, wodurch sie verschieden von einem andern ist, und welche sich als besondere gegen jene als allgemeine verhält. Beyde sind daher verschiedener Inhalt; denn der Inhalt ist die Bestimmtheit, und wie hier beyde zuerst auftreten, im einfachen Elemente der Wesenhafftigkeit erscheinen [sie] nur als seyend, noch nicht als werdend. Die Nothwendigkeit, daß die allgemeine Bestimmtheit auch als besondere sey, ist zwar ein Werden. Aber indem es in diesem einfachen Elemente gesetzt ist, so erhält die Verschiedenheit beyder die Gestalt des freyen Unterschiedes gegeneinander, oder der Verschiedenheit des Inhalts gegeneinander. Dieser Inhalt gehört einestheils dem Allgemeinen, der Gattung selbst an, andemtheils aber ist er die Besonderheit als solche. Jene Seite kann nun nach der Freyheit, in welcher die Bestimmtheit als Inhalt erscheint, ein Theil der Gänzen der Gattung seyn, oder sonst woher aus dem Concreten, dem jenes Allgemeine der Gattung selbst angehört, seyn. Es gehört insofern dem allgemeinen auf eine gleichgültige Weise, das dem daseyenden, wirklichen Allgemeinen zwar wesentlich seyn wird, das aber in der Gattung als Gattung nicht unmittelbar zugleich schon mit gesetzt ist. Die andre Seite, insofern diese zweyte Bestimmtheit rein besonder ist, ist die Bestimmung im Gegensatz gegen die entgegengesetzte, oder in dieser Freyheit, gegen verschiedene Bestimmtheit überhaupt. Das dritte aber ist die Zusammenfassung jenes Allgemeinen und der Besonderheit, in die Form der einfachen Einzelnheit. Diese Einzelnheit ist als Daseyn zwar ein Wirkliches; aber es muß selbst als im Elemente der Wesentlichkeit gesetzt, hier die Gestalt eines Allgemeinen haben. Es ist die Aüsserung des Erkennens, als seines reinsten Daseyns; es ist der

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Nähme der Sprache; ein Heraustreten, die Aüsserung des Erkennens als Daseyn; wie jene zwey ersten Momente, das Allgemeine und die Besonderheit, als das Aufnehmen des noch fremden Inhalts, weil die Bestimmtheit die Form der freyen Gleichgültigkeit hat, erscheint, - nur die Form der Allgemeinheit, nicht der Iirhalt dem Erkeimen anzugehören scheint, d. h. nicht die Gattung nach ihrer daseyenden Bestimmtheit, so gehört hingegen das Moment der Einzelnheit nach seinem Daseyn der Thätigkeit des Erkennens an; es ist ein neues Daseyn der Gattung. Dieses Moment der Einzelnheit ist der Nahmen. Die Definition, welche sich durch diese Momente bestimmt hat, ist die allgemeine Wirklichkeit des Dings; aber eine solche Existenz, welche das Moment der Einzelnheit nicht an ihr selbst hat; sondern diß gehört noch einem andern zu, nemlich dem Erkennen. Die Wirklichkeit ist daher noch nicht an ihr selbst aus dem Denken vollendet, sondern innerhalb desselben befaßt, und von ihm noch nicht frey gelassen. Um dieser Befangenheit, und bestimmter um des Mangels des Moments der Einzelnheit willen ist überhaupt das Werden, die bestimmende Bewegung nicht in ihm selbst, und wie wir sahen, erscheint die Bestimmtheit, welche das Moment der Besonderheit ausmacht, als eine der Bestimmtheit der Allgemeinheit oder der Gattung fremde, zufällige Bestimmtheit. Zunächst ergänzt sich die Definition dadurch, daß die der Besonderheit entsprechende entgegengesetzte Bestimmtheit gesetzt wird. Die Bestimmtheit der Allgemeinheit oder der Gattung, gilt als die allgemeine im Verhältnisse zu jener, und in ihr liegt nicht die unmittelbare Forderung des Setzens ihres Gegensatzes; ihre Bestimmtheit ist die der Form, der Allgemeinheit gegen die Besonderheit überhaupt. In der That ist die Bestimmtheit zugleich nur das, was sie für eine andere ist; ihre Einhüllung in die Allgemeinheit entnimmt sie dieser ihrer Natur nicht, und hebt die Federung dieses Gegensatzes, und des Gesetztseyns des von ihr unterschiedenen nicht auf. Es ist damit eine andere Gattung der ersten gegenüber vorhanden. Aber diese beyden Gattungen haben wieder eine gemeinschafftliche höhere; denn das positive derselben, das nicht gegeneinander bestimmte derselben ist ihre Gleichheit, ihr Allgemeines, gegen welches sie besondere sind. Von neuem aber^® ist wieder diß Allgemeine, oder diese Gattung selbst bestimmt. Denn das Allgemeine hat umnittelbar, als Einheit des Wesens und des Seyns für anderes, auch das Moment der Bestimmtheit an ihm; ohne dieses wäre es nur das leere Wesen. Diese Fortsetzung geht 20 Ende des Bogens (Blatt 17 und 18).

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denn ohne Aufenthalt und Bestimmung in sich selbst, ins unendliche fort; d. h. die wahrhaffte liegt ausser ihm; sie ist ein Jenseits desselben; was sich vorhin auf die positive Weise als Moment der Wirklichkeit darstellte, nemlich der Nähme, diß stellt sich auf die negative Weise dar, als ein fliehendes Jenseits, nach welchem die Fortbestimmung geht, das es aber nicht erreicht. Die Gattung aber muß das ihr wesentliche Moment der Bestimmtheit, auf positive Weise an ihr selbst haben. Sie hat es als Bestimmtheit gegen ein anderes, als Besonderheit gegen eine andere, die sich auf die erstere bezieht und derselben Gattung angehört oder als Art. Die Gattung theilt sich ein. Die sich eintheilende Gattung setzt die Bestimmtheit auf diese Weise als Unterschied an ihr. Diese Bestimmtheit ist zunächst selbst einfach; es ist Eine Bestimmtheit, welche den Unterschied zusammenfaßt. Sie ist der Eintheilungsgrund. Dieser Eintheilungsgrund ist nicht dasselbe, was die Bestimmtheit der Gattung ist, insofern die Gattung nicht selbstständig unabhängig, insofern sie nur die abstracte Eigenschafft einer Wirklichkeit wäre. In diesem Falle gehörte sie dem Wirklichen an, das reicher ist, als dieses sein abstractes Moment; dieses aber ist nur im Zusammenhänge mit jenem an und für sich bestimmten, und dieses An- und für-sich-bestimmte gibt die Bestimmtheit her, welche den Eintheilungsgrund ausmacht; und dieser Eintheilungsgründe könnte es durch den Zusammenhang dieser abstracten Gattung mit den vielfachen Bestimmungen, eben so vielfache geben. In Wahrheit muß die Bestimmtheit, welche dem Allgemeinen als Gattung angehört, den Eintheilungsgrund hergeben. Jene Bestimmtheit ist einerseits das Unterschiedne von einer andern Gattung; insofern kommt sein Seyn zum Unterschiede, oder eigentlich in der Entgegensetzung gegen Anderes zum Vorschein. Auf der andern Seite aber, der Gattung angehörend, ist es in das Allgemeine eingehüllt; es ist das einfache Moment seiner Selbstbestimmung, und indem diese absolute Bestimmung, Gegensatz an ihr selbst ist, ist sie der Eintheilungsgrund. Diese Eintheilung wäre nach ihrer Wahrheit das Setzen der Gattung, des Ganzen in dem reinen Gegensätze; indem aber die Bestimmtheit in dem allgemeine[n] Elemente, noch ohne das Werden an ihr selbst ist, so hat sie die Gestalt der Gleichgültigkeit, der Verschiedenheit überhaupt, welche bis zum unwesentlichen Unterschiede der Grösse gehen kann. Die Art ist die Gattung in dieser freyen Besonderheit, welche nicht eine Besonderheit des Daseyns als solchen, wie das Geschlecht ist, sondern eine allgemeine Besonderheit, eine solche die dem Wesen angehört. Sie setzt daher nicht wie

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der Gegensatz des Geschlechts nur eine Verschiedenheit des Wirklichen bey gleicher allgemeiner Natur, sondern die Bestimmung der Art gehört dieser allgemeinen Natur selbst an, welche nicht wie das Geschlecht die nothwendige Beziehung auf die von ihr verschieden bestimmte Natur hat, sondern gleichgültig dagegen, frey in sich ist. Die Bestimmtheit der Art ist in die Allgemeinheit eingehüllt und hat die sich selbst zureichende Natur des Wesens. Diese Bestimmtheit aber, welche dem Wesen angehört, ist in dieser Einfachheit noch nicht gesetzt, wie sie an sich selbst ist. Als einfache sich auf sich beziehende Negativität ist sie das Moment der Einzelnheit, nicht des Punktes, sondern des in sich sich unterscheidens und gegen anderes Gekehrt-seyns, so jedoch daß sie in dieser Beziehung auf anderes, in dieser Bewegung in sich selbst bleibt, - oder das Moment der Individualität. Die Gattung und die Individualität sind durch die Art zusammengeschlossen; die Gattung steigt durch die Art zur Individualität herab; sie hat nur Wirklichkeit in diesem Momente; aber dieses Moment wodurch ihr Daseyn bezeichnet ist, ist das einfache sich gleiche, und in der Allgemeinheit bleibende Princip ihrer Lebendigkeit; das Allgemeine als negative Einheit, oder als sich selbst belebender und in sich lebender Grund ihres Daseyns. Die Individualität umgekehrt steigt durch die Art zur Gattung auf, oder die Einfachheit des sich bewegenden und ausser sich gehenden Bestimmens, ist eben diß wodurch die Individualität das In-sich-selbst-seyn hat, und unmittelbar Gattung ist. Die Individualität erhält sich selbst, bleibt in sich, weil ihr Daseyn, ihr Seyn-nach-Aussen einfach, in sich zurükgekehrt, oder Art und Ganzes der Gattung ist. Diese Individualität aber ist selbst, der Begriff derselben; sie ist in das Erkennen eingeschlossen, oder sie ist allgemeines Moment, das Erkennen ist noch nicht zum Selbsterzeugen, oder zur Wirklichkeit gekommen, nicht einmal zum Selbsterzeugen in sich selbst, zum eignen Werden gekommen. Was sich auch dadurch kund gibt, daß der Inhalt, sowohl als Bestimmtheit des Ganzen oder der Gattung, wie auch selbst noch der Art, um der Gleichgültigkeit dieser Bestimmung willen, so wie noch mehr die einfache Bestimmtheit, welche den Eintheilungsgrund ausmacht, auch die Bestimmtheit, wie an dem Momente der Individualität erscheint, alle diese Bestimmungen frey gegeneinander, und daher noch zufällig sind, theils ganz, wie die Bestimmung der Gattung, theils aber zum Theil nach der Besonderheit oder nähern Bestimmtheit wie die übrigen. Die Bestimmtheit der Gattung hat ihren Bestimmungsgrund nur in dem Fortgange ins Unendliche, d. h. sie hat gar keinen. Der Eintheilungsgrund liegt in der Gattung, aber insofern sie eine abstracte Gattung ist, gehört er der für sich seyenden Indivi-

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dualität an, ist aus dieser genommen. Die Art ist der Allgemeinheit ihrer Bestimmtheit nach zwar im Eintheilungsgrunde, aber der Besonderheit nach, um der Form der Freyheit der Bestimmtheit, in der sie an ihr ist, auch zufällig. Ebenso ist die Bestimmtheit der Individualität zwar das rein allgemeine, unbestimmte Moment des abstrakten, freyen In-sich-seyns; aber insofern sie das Moment des Daseyns als ein solches an ihr hat, hat sie wieder ihre eigne, gegen die vorhergehenden gleichgültige Bestimmtheit an ihr. Die Weise aber, wie hier die Individualität vorhanden ist, ist nicht die wahre; denn sie ist hier als ruhiges unbewegtes Moment. Oder indem die allgemeine Gattung durch die Art zur Individualität sich absolut bestimmt, so wie umgekehrt die Individualität sich durch dieselbe Mitte zur Gattung erhebt, so ist das Ganze in der That diese Selbstbewegung; dieser Gang in sich selbst, ist nicht ausser diesem ganzen Schlüsse, sondern er ist die Natur seiner Momente.Das Erkermen ist wesentlich, als thätiges, gegen seinen Gegenstand. Das Erkennen war das bewegende dieses ganzen Ganges; als solches hat es sich darzustellen. Als Thätiges ist es gegen einen Gegenstand gerichtet; dieser ist die freye Passivität, oder die in sich gleichgültige Mannichfaltigkeit, indem das Erkennen die negative Einheit ist, ist er die blosse Verbindung verschiedener Bestimmungen, die in der Einheit als einem gleichgültigen Medium ruhen. Das Erkennen tritt hier in das Verhältniß mit einem Gegenstände; in seiner ersten Weise, dem Herabsteigen von der Gattung zur Art und zur Individualität, ist es das noch nicht gesetzte Bewegen; es tritt als solches her, indem es von der Gattung zur Individualität gekommen ist, der absoluten Sichselbstbestimmung, welche indem die Gattung als freyes Extrem

27 Statt der folgenden beiden Sätze zuerst: Die Gattung hat die Selbstbestimmung überhaupt an ihr. Diß muß sich also darstellen. Die Individualität ist das Ganze, als negative Einheit, in der alles, Moment, nichts die Form®* der Freyheit, Gleidigültigkeit hat. Nicht in der Gattung, sondern in der Individualität sind also die Momente, als eigene, immanente Bestimmungen, und an dieser ist es daß sich das Ganze zu entwickeln hat, oder daß das Erkennen sich so darstelle, daß sein Gegenstand eine Einheit in seinen Bestimmungen ist. Analytisches Erkennen. Die Individualität hat als Daseyn zunächst auch die gleichgültige Bestimmung «m sich; sie ist ein Verhalten zu anderem, aber in welchem sie das Zurükgekehrtseyn in sich ist. Ihr Daseyn ist nicht ein ruhendes Aüsseres, sondern das zugleich in sich ist, und nicht ein Verhalten zu anderem, worin ihr Für-sich-seyn verlohren ginge. Sondern es ist eine Aüsserung; ein sich Darstellen, aus sich herausgehen, in der Beziehung auf Anderes, das Thätigkeit, nicht eine ruhende Aüsserlichkeit; ein Erscheinen. Diese Erscheinung aber 28 Ende des Bogens (Blatt 19 und 20).

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gesetzt ist, in ein anderes fällt als sie ist; — oder indem in der That diese beyden Extreme des allgemeinen Ganzen und des einzelnen Ganzen vereint sind, trennt sich dieses Ganze in die Extreme der freyen Bestimmung des Erkennens, welche ebendarum itzt gesetzt ist, als bezogen auf ihr anderes Extrem, weil beyde aus dieser Einheit hervorgehen. In Herabsteigen der Gattung zum individuellen Momente war die Beziehung als Bewegung, aber noch nicht gesetzt. Das andre Extrem, ist Gegenstand des Erkennens, weil dieses als thätig, als sich beziehend auf ein anderes gesetzt ist; es ist nicht mehr die Gattung, welche das Allgemeine, das nicht ausgeschlossene ist; sondern es ist ausschliessend, sich und das Andre frey von einander setzend, als daseyend gegeneinander. Die Thätigkeit des Erkennens besteht nun darin, diese Individualität zur Allgemeinheit zu erheben, aber innerhalb seiner Sphäre, oder es sich gleich zu machen. Analytisches Erkennen. Es befreyt die Individualität von der Aüsserlichkeit ihres Daseyns, und hält an dem gleichen der verschiedenen Individuen fest, welche in das einfache Element des Erkermens aufgenommen, numerische Eins sind. Diese Principien sind an sich reine Producte der Einfachheit des Erkennens, absolut abstrakte Individualitäten. Sie sind gleichgültig gegeneinander; ihre Gräntze der Menge ist eine Zufälligkeit für sie, welche von dem Erkennen gesetzt wird, das ihr Beziehen ist; und ebenso wieder das Beziehen solcher Beziehungen, weldie insofern sie nur Grössen sind, zunächst keinen Gegensatz des Fürsichseyns gegen die Beziehung, oder der Einzelnheit gegen die Allgemeinheit darbieten. Aber indem in der That die Einzelnheit ihr Princip oder Anfang ist, und die Gleichheit oder Allgemeinheit ihre Beziehung, so ist dieser Gegensatz vorhanden, und die Thätigkeit des Erkennens ist, diese beyden Momente zusammen zu schliessen. Der Gegensatz aber tritt auf die Weise an jene Beziehungen, indem die Beziehung als positive Beziehung die Grenzenlosigkeit des individuellen Princips, oder die völlige Unbestimmtheit ihrer selbst durch sich bestimmen, eine immanente Gräntze setzen, oder sich zu individualisiren, wodurch die eigne Einheit beyder Principien würde. Die Summation der Reihen, oder die Ausziehung von Quadratwurzeln, bieten aber Beispiele von den Grenzen, das Incommensurable jener Principien,**

2» Hier bricht der Text, oben auf der ersten Seite von Blatt 22, ab. Der Rest des Bogens ist nicht beschrieben.

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ANHANG®“

Das Erkennen hat wesentlich sidr selbst zum Gegenstände, oder der Gegenstand ist ihm es selbst. Die Bestimmung oder Realisirung seiner selbst, ist daher die Fortbestimmung seines Gegenstandes; weil dieser das Thun und Daseyn des Erkennens ist; es aber als unterschieden von seinem Gegenstände die einfache wesentliche Einheit, oder eben das abstrakte Moment dieser Selbstgleichheit mit sich selbst. Der Gegenstand desselben urunittelbar ist der Ausdruk, den er in der Definition und in der Eintheilung hat. Beydes fällt nicht zusammen, sondern sind zwey unterschiedene Momente; die Bestimmung, welche in der Definition eingehüllt ist in das Allgemeine, und sie, insofern sie sich von anderem unterscheidet. Dieser unmittelbare Gegenstand hat an ihm selbst nicht die individuelle Einheit, weder sie als aüssere Zufälligkeit des Daseyns, noch als das reine Sich-selbst-Bewegen. Die Fortbestimmung des Erkennens ist die Ergäntzung dieses Moments, wodurch der Gegenstand für das Erkennen wird, was er an sich selbst wird, nemlich es selbst, oder das was er an sich ist. Der Gegenstand des Erkennens, wie er nur er an sich ist, ist der obige. Daß er im Elemente des Erkennens ist, oder daß er demselben angehört, nichts anderes ist, als es selbst, — diß gibt sich an seiner Beschaffenheit als Definition kund, als welche er das allgemeine Wesen ist, die Gattung, welche zugleich mit der specifischen Bestimmtheit, in untrennbarer Einheit gesetzt ist. In dieser untrennbaren Einheit, insofern sie als solche Gegenstand ist, ist er Individualität; und das Erkennen ist sich durch diß Moment zwar vollends vollständiger Gegenstand, aber nur unmittelbar, nicht als vermittelnde Bewegung, welche erst das Moment ausmacht, daß es den Gegenstand als sich selbst weiß. Diese Thätigkeit oder Bewegung ist darzustellen. Indem das Erkennen von der Gattung durch die Art zur Individualität herabgestiegen ist, ist diese das von ihm freye, selbstständige Ding, und das Erkennen Trieb, erregte Thätigkeit gegen dasselbe; denn es ist in seinem Begriffe, daß es in seinem Gegenstände sidi selbst realisirt findet; es ist selbst Individualität, in welcher der Widerspruch gesetzt ist, zugleich Allgemeinheit oder Daseyn zu seyn. Sie ist die Individualität, insofern dieser Widerspruch gesetzt ist, oder insofern er Princip der Thätigkeit ist; der Gegenstand aber ist die Individualität insofern sie Gegenstand ist.

s« Blatt 23 und 24. Nur zweieinhalb Seiten dieses Bogens sind besdirieben.

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d. h. insofern sie ruhig in sich versunken, sich als Einzelnheit und als Gleichgültigkeit vieler einzelnen Eigenschafften darstellt. Die Thätigkeit auf diesen Gegenstand scheint im Allgemeinen nur die Herstellung desselben als Definition zu seyn; aber indem sie nur die einfache unmittelbare Einheit der Allgemeinheit und der freyen Bestimmung ist, so wird der Gegenstand durch die Thätigkeit des Erkennens insofern sich anders ergeben, als diese Thätigkeit an ihm selbst, ihn in seinen nothwendigen Bestimmungen darstellt. Das erste dieser Thätigkeit ist das Aufheben seiner Bestimmungen, in welchen er als freye Individualität so gesetzt ist, daß sie gleichgültig gegeneinander sind, und somit der Einheit des Erkennens widersprechen, diese Einheit ihm fehlt. Dieses negative Thun, oder Abstraction ist positiv, insofern es ein Sich-selbst-Setzen des Erkennens, oder ein Werden desselben zum Gegenstände zunächst überhaupt, der aber nicht mehr die Allgemeinheit der Definition, sondern die Bestimmtheit aber die individuelle ist, welche jedoch nicht eine zufällige Einzelnheit sondern eine allgemeine Individualität. Weiter aber bestimmt ist diese Individualität ein Thun, eine gegenständliche Thätigkeit, welche es an ihr selbst ist, der Proceß überhaupt, in seiner früher vorkommenden Entwicklung. Dieser Proceß ist die Mitte, an welcher das Erkennen von der zufällig seyenden Individualität sich zur Allgemeinheit erhebt.

NACHWORT

(I) Für eine Datierung des Manuskripts sind im Text selbst keine Anhaltspunkte zu finden. So müßte auf handschriftliche Indizien zurückgegangen werden. Während wir jedoch - vor allem durch NOHLS Arbeit für Hegels Jugendschriften auf Grund handschriftlicher Indizien eine stichhaltige Chronologie gewonnen haben*, sind di.- Ansätze zu einer Datierung der Jenaer Handschriften (wie ROSENZWEIG sie geniacht hat und dann auch HOFFMEISTER) noch zu unscharf und ungenügend, als daß man sich auf sie stützen könnte. Die Jenaer und Nürnberger Handschriften (zu denen unser Fragment augenscheinlich gehört) müssen noch im ganzen

* Vgl. diesen Band 111 ff.

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datiert werden - was hier natürlich nicht geschehen kann. So bleibt zu fragen, ob unser Fragment von der Weise her, wie es seine Themen behandelt, in die Geschichte der Entwicklung der Hegelschen Logik eingeordnet werden kaim.

Im Fragment werden in einem fortlaufenden Zusammenhang vier Themen behandelt: der freie Mechanismus, der chemische Prozeß, der Lebensprozeß, das Erkennen. Diese Themen werden in Hegels Logik von 1812/16 in den letzten beiden Kapiteln dargestellt. Augenscheinlich gehört unser Fragment zu einem Versuch, eine vollständige Logik auszuarbeiten. Die früheste uns bekannte Hegelsche Darstellung der Logik gehört dem ersten erhaltenen Jenaer System an, das von EHRENBERG-LINK und dann von LASSON herausgegeben worden ist.^ In dieser Darstellung unterscheidet Hegel nodi zwischen Logik und Metaphysik, und zwar macht das „Erkennen" den Übergang von der Logik zur Metaphysik. Mechanismus, Chemismus und Lebensprozeß werden noch nicht behandelt. Unser Fragment ist also später als diese erste erhaltene Logik und Metaphysik; es gehört überhaupt zu keiner Darstellung, in der Logik und Metaphysik noch getrennt sind, da das Erkennen, ähnlich wie in der Nürnberger Logik von 1812/16, in den Schluß des Ganzen hineingenommen ist. Andererseits ist unser Fragment früher anzusetzen als diese dreibändige Wissenschaft der Logik. Dort werden die Themen unseres Fragments in den beiden letzten Kapiteln „Die Objektivität" und „Die Idee" behandelt, jedoch ausführlicher und detaillierter und in einer ganz anderen und sicherlich späteren Ordnung. Wissen wir etwas von dem Weg, auf dem die „Logik und Metaphysik" des ersten erhaltenen Jenaer Systems sich wandelte zur Nürnberger „Logik"? Hegel hat in Jena immer wieder Vorlesungen über Logik und Metaphysik gehalten, entweder gesondert oder innerhalb des ganzen Systems. Und schon in den Jahren 1802-3 wies Hegel in seinen Vorlesungsankündigungen auf ein Buch Logik und Metaphysik oder Systema reflexionis et rationis hin, das bei COTTA in Tübingen erscheinen sollte. In der Tat nannte der COTTA-Verlag in einem Verlagsrundschreiben vom Juni 1802 unter den zu erwartenden Novitäten des Jahres: Hegel, Logik und Metaphysik.^ Aber das Buch erschien nicht. In einem Brief an GOETHE vom 29. September 1804 hoffte Hegel jedoch wieder „eine rein wissen-

* Hegels Erstes System. Hrsg. v. H. Ehrenberg u. H. Link. Heidelberg 1915; Hegel: Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie. Hrsg. v. G. Lasson. Leipzig 1923.

(Phil. Bibi. Bd 58.) 9 Diese Dokumente sollen in Band 3 der Hegel-Studien veröffentlicht werden.

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schaftliche Bearbeitung der Philosophie" „diesen Winter", also im Winter 1804/5, für seine Vorlesungen vollenden zu können. Im Mai 1805 schrieb er an Voß, er werde sein System der Philosophie, die Ernte einer mehrjährigen Vorlesungstätigkeit, „auf den Herbst" darlegen.'* Für das Sommersemester 1805 hatte Hegel angekündigt, über das ganze System der Wissenschaft nach seinem Lehrbuch zu lesen; im Sommersemester 1806 wollte er über Logik nach seinem Lehrbuch lesen. Statt der Logik erschien jedoch 1807 als erster Teil des Systems die Phänomenologie des Geistes. Jedenfalls hat Hegel auch nach dem Scheitern des Plans von 1802/3 an seiner Logik gearbeitet. Die Frage ist, wie lange Hegel die Logik noch von der Metaphysik getrennt hat. Die Realphilosophie I, die HOFFMEISTER auf die Jahre 1803/4 datiert, spricht einfach vom „ersten Teil der Philosophie", der den „Geist als Idee" konstruiere und zur „absoluten Sichselbstgleichheit" gelange.*“ Im Wintersemester 1803/4 wurden Logik und Metaphysik nicht mehr in ihrer Unterschiedenheit angekündigt als „systema reflexionis" und „systema rationis"; vielmehr kündigte Hegel Logik und Metaphysik hier in ihrer ungeschiedenen Einheit an als „idealismum transcendentalem". ROSENKRANZ überliefert aus einer der Jenenser Einleitungen den Satz, der spekulative Philosophie gleich Logik gleich Transzendentalidealismus setzt: „FICHTES Wissenschaftslehre so wie SCHELLINGS Transscendentalidealismus sind beides nichts anders, als Versuche, die Logik oder spekulative Philosophie rein für sich darzustellen."® Für das Sommersemester 1805 kündigte Hegel noch das ganze System nach seinem Lehrbuche an, für das Sommersemester 1806 nur „Logik nach seinem Lehrbuch", Natur- und Geistesphilosophie nach Diktaten. Als Hegel nicht mehr das ganze System, sondern erst einmal nur die Logik herausbringen wollte und gewiß hoffte, das Buch seinen Vorlesungen zugrundelegen zu können, gab er den Titel Logik und Metaphysik auf zugunsten des Titels Logik. Doch diese Publikationshoffnung erfüllte sich in einer anderen Weise, als Hegel gedacht hatte: das, was nur die Einleitung hatte sein sollen — die Wissenschaft der Erfahrung oder Phänomenologie wurde zu einem gan—

< Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. (Phil. Bibi. Bd 235.) 85, 99. 5 Hegel: Jenenser Realphilosophie I. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Leipzig 1932. (Phil. Bibi. Bd 66 b.) 195. - Die Notizen, die Hoffmeister auf dieser Seite in der Anm. 2 wiedergibt, sind gestrichen und stehen nicht, wie Hoffmeister irreführender Weise angibt, über „Der erste Teil der Philosophie", sondern über „III. Philos. des Geistes". « K. Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Leben. Berlin 1844. 188. - Ein Verzeichnis der Jenaer Vorlesungen Hegels bei K. Fischer: Hegel's Leben, Werke und Lehre. 2. Aufl. Heidelberg 1911. Bd 1. 64 f. 4

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zen Buch; die Logik aber erschien nicht. Im Sommersemester 1806 hat Hegel tatsächlich Phänomenologie gelesen und dann die Logik nur noch im Grundriß.^ Die Kollegliste zu dieser Vorlesung trug wieder den traditionellen Titel Logik und Metaphysik, den Hegel dann in seinen Vorlesungsankündigungen bis kurz vor Lebensende beibehalten hat. In der Vorrede zur Phänomenologie und in der Selbstanzeige dieses Buches gebrauchte Hegel jedoch den Titel Logik oder spekulative Philosophie bzw. Logik als spekulative Philosophie.^ Das Angeführte zeigt mit Sicherheit, daß Hegel in den späteren Jenenser Jahren nicht mehr Logik und Metaphysik trennte, sie vielmehr zu einer Einheit verschmolz und so zu einer ganz neuen Konzeption der Logik kam. Die Frage bleibt jedoch, ob Hegel diese neue Konzeption in Jena auch schon hat ausgestalten können. ROSENKRANZ berichtet über die „didaktische Modifikation des Systems", die Hegel in Jena durchführte - ob sie vorwiegend didaktisch war, mag hier dahingestellt bleiben -, und sagt: „Am geringsten ward die Grundgestalt der Logik und Metaphysik verändert."’ ROSENKRANZ stützt sich bei diesem Urteil auf die Kenntnis von Papieren, die uns nicht erhalten sind. Er hat freilich nicht bemerkt, daß Hegel in den späteren Jenenser Jahren zu einer ganz neuen Logikkonzeption kam, da er Logik und Metaphysik nicht mehr trennte wie im ersten erhaltenen System (das von ROSENKRANZ fälschlicher Weise in die Frankfurter Zeit verlegt wird). Jedenfalls sind ROSENKRANZ keine Logikausarbeitungen aus der Jenenser Zeit zu Gesicht gekoirunen, in denen er etwas entscheidend Neues hätte finden können. Hegel selbst sagt überdies, daß er in Jena nicht zur Ausarbeitung seiner Logik gekommen sei. Als NIETHAMMER Hegel den Auftrag verschaffen wollte, eine „Logik für die Lyzeen" auszuarbeiten, sah Hegel sich vor eine schwierige Aufgabe gestellt. „Hätte ich", so schrieb er im Mai 1808 an NIETHAMMER, „ein paar Jahre über meine Logik, wie sie jetzt zu werden anfängt, zu der ich in Jena kaum den Grund gelegt und nicht ausführlich gelesen habe, gelesen, so wüßte ich mir vielleicht eher zu helfen."*’ Warum aber kam Hegel in Jena nicht zu einer befriedigenden Ausarbeitung der Logik? In dem oben herangezogenen Bericht fährt ROSENKRANZ fort, in den Einleitungen zur Logik und Metaphysik sehe man „das größte Bemühen, das Unternehmen überhaupt zu rechtfertigen". ROSENKRANZ berichtet manr K. Fischer: Hegel's Leben, Werke und Lehre. Bd 2. 1252 f. 8 Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister. 6. Aufl. Hamburg 1952. (Phil. Bibi. Bd 114.) 33, XXXVIll. 9 Rosenkranz: Hegel's Leben. 188. 1» Briefe von und an Hegel. Bd 1. 176, 225, 230.

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ches aus Hegels Einleitungen und sagt zusammenfassend von ihnen: „Hegel sah sich genötigt, in den Einleitungen das Bedürfnis der Philosophie, ihre absolute Berechtigung und ihren Zusammenhang mit dem Leben und den positiven Wissenschaften, ansprechend darzustellen."“ Ein Bedürfnis nach Philosophie besteht, wenn der Geist sich mit sich selbst entzweit hat; die Philosophie hat dann dadurch ihre Berechtigung, daß sie in der Entzweiung die Versöhnung erkennt - so entwickelt es Hegel in seiner ersten Jenenser Schrift, der Arbeit über die Differenz des Fichtesdien und Schellingschen Systems}^ In der Einleitung zu einer Jenenser Vorlesung über Logik und Metaphysik^^ hat Hegel derm auch die Epochen des Übergangs als die Zeiten bezeichnet, in denen die Philosophie erscheint, ln einer solchen Epoche reinigt die Philosophie den weltgeschichtlich handelnden Menschen von aller Bestimmtheit durch die vorangegangene Zeit, so daß dieser dann „die noch schlummernde Gestalt einer neuen sittlichen Welt zum Erwachen emporheben" kann - wie ALEXANDER es tat, der aus der Schule des ARISTOTELES kam. Von aller Beschränktheit zu reinigen, ist also Aufgabe des Philosophierens. „Ich werde", so sagte Hegel in seiner Vorlesung, „in dem Collegium über Logik und Metaphysik, das ich Ihnen diesen Winter vorzutragen anbiete, auf diesen Charakter des Philosophierens eine propädeutische Rücksicht nehmen und von dem Endlichen anfangen, um von ihm aus, nämlich insofern es vorher vernichtet wird, zum Unendlichen zu gehen." Hegel weist der Logik die Aufgabe zu, die Formen der Endlichkeit aufzustellen und dialektisch aufzuheben und so hinzuführen zum Absoluten der Metaphysik. „Ich glaube, daß von dieser spekulativen Seite allein die Logik als Einleitung in die Philosophie dienen kann, insofern sie die endlichen Formen als solche fixiert, indem sie die Reflexion vollständig erkennt und aus dem Wege räumt, daß sie der Spekulation keine Hindernisse in den Weg legt und zugleich das Bild des Absoluten gleichsam in einem Widerschein vorhält, damit vertraut macht." Die Vorlesung selbst scheint nicht wesentlich anders gelaufen zu sein als die Logik und Metaphysik, wie sie uns im ersten Jenenser System erhalten ist. (ROSENKRANZ berichtet die Gliederung; freilich sind die Berichte von ROSENKRANZ nicht sehr zuverlässig.) Da diese Vorlesung über Logik und Metaphysik in einem Wintersemester gehalten wurde (wie Hegel in einem schon zitierten Satz selbst sagt), muß sie wohl auf 1801/2 oder auf

n Rosenkranz: Hegel's Leben, 188, 179. 12 Hegel: Erste Druckschriften. Hrsg. v. G. Lasson. Leipzig 1928. (Phil. Bibi. Bd 62.) 12 ff. 13 Rosenkranz: Hegel's Lehen. 189 ff.

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1802/3 datiert werden: nur in diesen beiden Wintersemestern hat Hegel über Logik und Metaphysik gelesen; in den späteren Jenenser Wintersemestern hat er Logik und Metaphysik nur innerhalb des ganzen Systems vorgetragen oder aber mit „vorangegangener Phänomenologie des Geistes". Entscheidend für die spätere Jenenser Zeit ist nun, daß die Aufgabe der Reinigung des Geistes von aller Beschränktheit nicht mehr der Logik, sondern der Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins oder Phänomenologie des Geistes zugewiesen wird. Die Idee einer Phänomenologie als der wahren Einleitung in die Philosophie hat Hegel früh gefaßt, ja eigentlich aus der Gedankenwelt seiner Jugendschriften schon mitgebracht. In der Differenzschrift ist diese Idee klar ausgesprochen, obgleich Hegel sie sich noch nicht zu eigen macht. Wenn der Philosophie, so heißt es dort, eine „Art von Vorhof" gemacht werden solle, dann müsse das „Bedürfnis der Philosophie" als „ihre Voraussetzung" ausgesprochen, die Gestalten dieses Bedürfnisses nach Philosophie müßten gezeichnet werden: „Das Absolute in der Linie seiner Entwicklung, die es bis zur Vollendung seiner selbst produziert, muß zugleich auf jedem Punkt sich hemmen und sich in eine Gestalt organisieren, und in dieser Mannigfaltigkeit erscheint es als sich bildend." Etwa ab 1804 eignete sich Hegel die „Idee" eines solchen „Vorhofs" der Philosophie zu: er begann eine Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins, die schließlich zur Phänomenologie des Geistes wurde.** Dahingestellt bleiben mag hier, ob die Idee einer Wissenschaft der Erfahrung oder Phänomenologie als der wahren Einleitung in die Philosophie erst eine Logik und Metaphysik unmöglich machte, in der die Logik die Rolle der Einleitung in die Philosophie hatte, oder ob die Verschmelzung von Logik und Metaphysik zur einen Logik die Wissenschaft der Erfahrung als Einleitung forderte. Jedenfalls nahm die Wissenschaft der Erfahrung bzw. Phänomenologie Hegels Arbeitskraft so sehr in Anspruch, daß er in den letzten Jenenser Jahren die angekündigte Logik nicht ausarbeiten konnte. Als die Phänomenologie erschienen war - Hegel hatte inzwischen infolge der Kriegszustände die Universität Jena verlassen und in Bamberg eine Stelle als Zeitungsredakteur annehmen müssen -, begann Hegel gleich mit der Arbeit an der Logik. Gegenüber der Logik und Metaphysik, wie er sie um 1802 hatte in Druck geben wollen, ist diese Logik ein ganz neuer An-

Hegel: Erste Drudeschriften. 16,111. Vgl. O. Pöggeler; Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes. In: HegelStudien. 1 (1961). 255-294.

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Satz. So konnte Hegel in Bamberg von seiner Logik („wie sie jetzt zu werden anfängt") sagen, er habe in Jena kaum den Grund zu ihr legen können. Er wußte auch, daß er „so bald nicht fertig sein" würde mit seiner „zukünftigen Logik". Er sorgte sich um die rechten Schaffensmöglichkeiten und glaubte, eine Stelle als Religionslehrer innerhalb des reglementierten Bamberger Seminarunterridits nicht annehmen zu können: „Zugleich theologischen Unterricht zu geben, - und zwar der den Trichtern, durch welche er weiter ans Volk kommen sollte, gemäß ist, - und Logik schreiben, wissen Sie wohl, wäre Weißtüncher und Sdiornsteinfeger zugleich sein, Wiener Tränkchen nehmen und Burgunder dazu trinken; — der ich viele Jahre lang auf dem freien Felsen bei dem Adler nistete und reine Gebirgsluft zu atmen gewohnt war, sollte jetzt lernen, von den Leichnamen verstorbener oder (der modernen) totgeborner Gedanken zehren und in der Bleiluft des leeren Geschwätzes vegetieren. . ."** Hegel hatte zuerst geglaubt, die Arbeit an der Zeitung würde ihm Zeit lassen, seiner wissenschaftlichen Arbeit „fortzuleben", während ein Lehramt ihn mehr einschränken würde.Bald aber empfand er immer stärker, daß die Zeitungsgaleere ihn seinem eigentlichen, wissenschaftlichen Auftrag entfremdete. Das Rektorat am Nürnberger Gymnasium, das Hegel übernahm, brachte keine Befreiung: Hegel tat seine Arbeit pflichtbewußt und zur Befriedigung aller, ohne daß er sie auf die Dauer als seine eigenste Aufgabe hätte annehmen können. Nur „unterbrochen" konnte er an der Logik arbeiten, und so ging es nur „langsam" fort.*® Das erste Buch der Logik erschien 1812, nicht lange nach Hegels Verheiratung, und Hegel schrieb während des Druckes: „Es ist keine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheuratung ein Buch des abstrusesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben. - Aber injuria temporum! Ich bin kein Akademikus; zur gehörigen Form hätte ich noch ein Jahr gebraucht, aber ich brauche Geld, um zu leben." Das zweite Buch erschien 1813; das dritte und letzte, das bis Ostern 1813 hatte vorliegen sollen, erst 1816.*® Auch am Plan einer Logik für die Lyzeen oder Gymnasien, einer „Landlogik", hielt Hegel in Nürnberg fest. Er wollte sich, wie er schon aus Bamberg an NIETHAMMER geschrieben hatte, nur „höchst ungern" diese „einzige Gelegenheit, philosophische Ansichten zur allgemeinen Lehre oder Prüfung zu bringen", entgehen lassen. Als Niethammer Hegel den Plan einer solchen Logik antrug, sah Hegel sich vor die Schwierigkeit gestellt. 1« II 18 1»

Briefe von und an Hegel. Bd 1. 230; 176,181; 144, 196. Ebd. 167. Ebd. 300, 315. Ebd. 393, 425.

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seine spekulative Logik elementarisch darstellen zu sollen, ehe sie spekulativ dargestellt war. Konnte man den Lehrern ein Lehrbuch in die Hände geben, das eine noch ganz unbekannte Logik elementarisch darstellte, das also den Lehrern „so fremd" sein mußte „als den Schülern und das als Kompendium die nötigen, die Einsicht vervollständigenden Entwicklungen" nicht enthalten konnte? Doch Hegel hoffte, der Schwierigkeiten Herr zu werden: „Wenn es gehen könnte", so schrieb er an NIETHAMMER, „daß Sie mir diesen Auftrag auf Jahr und Tag, d. h. lücht auf Calendas graecas aufhöben, so wäre dies etwas, um das ich Sie recht sehr bitten würde. Indes vollendete ich meine ausführlichere und umfassende Logik, und indem ich nachher einen populäreren Auszug aus dem betreffenden Teile machte, - der Auszug läßt sich eher nach Fertigung des Ganzen als vorher machen — so könnte ich miteinander das Lehrbuchartige und die weitere Ausführung desselben zu Tag geben."*“ Auf dem Nürnberger Gymnasium lernte Hegel dann die Schwierigkeiten des Gymnasialunterrichts in Logik näher kennen. Bald kam auch der Plan eines Philosophischen Vorlesebuches auf, und Hegel äußerte 1812, er hätte schon lange im Sinn gehabt, einen „Grundriß zum theoretischen Unterricht der Geometrie und Arithmethik, wie er auf Gymnasien sein soll," zu verfassen.** Aber keins dieser Gymnasialbücher wurde fertig. Hegel richtete bald seinen Blick wieder auf die Universität, und schon 1812 schrieb er über seine Logik: „In Ansehung der Bearbeitung für Gymnasien schwanke ich noch zwischen dieser und der Bearbeitung für die Universität. Ich weiß mich einmal nicht vorbereitend und einleitend zu verhalten, so wenig ich einen Begriff habe, zur Geometrie nur einzuleiten, ohne sie selbst vorzutragen."** In den verschiedenen Auflagen seiner Enzyklopädie hat Hegel eine Bearbeitung seiner Logik für den Universitätsunterricht gegeben. Diese Arbeit und die immer wieder gehaltenen Vorlesungen brachten eine so starke Umformung der Logik mit sich, daß Hegel kurz vor seinem Tode eine Umarbeitung des Werkes von 1812/16 in Angriff nahm, aber nur die Neufassung der Logik des Seins vollenden konnte. Hat Hegel die geplante Gymnasiallogik auch nicht geschrieben, so hat er sich doch für den Nürnberger Gymnasialunterricht viele Niederschriften über Logik gemacht. Diese Ausarbeitungen sind aber keine Entwürfe, die einfach mit Vorarbeiten zur Logik von 1812/16 auf eine Stufe zu stellen wären, denn Hegel wollte den Vortrag der Logik auf dem Gym-

2» Ebd. 176, 228, 272; 176, 229 f. 2‘ Ebd. 285, 398. 22 Ebd. 397.

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nasium in einer ganz bestimmten Weise pflegen: In der „abstrakten" oder „verständigen" Form des Logikunterrichts sollen die fixen logischen Begriffsbestimmungen einfach gelernt werden; diese abstrakte Form des Vortrags ist den Schülern nach Hegels Meinung angemessen. Nur vorsichtig soll das „Dialektische" oder „Negativ-Vernünftige", die Entgegensetzung und Bewegung der fixen Bestimmungen, eingeführt werden. Dieses Dialektische will Hegel aber nicht auslassen, zumal die KANxischen Antinomien als Lehrstoff vorgeschrieben waren. Das „spekulative" oder „positiv-vernünftige", eigentlich philosophische Begreifen ist nach Hegels Auffassung nichts für die Schüler. Hegel fühlte freilich bald den „Pfahl im Fleische", daß er in seinem Unterricht ohne das Spekulative nicht auskommen konnte, dieses aber doch für die Schüler zu schwer war.^® Es war für Hegel überhaupt zweifelhaft, ob der Philosophieunterricht auf Gymnasien sinnvoll sei. Das Gutachten über den Unterricht in Philosophie auf Gymnasien, das er 1822 in Berlin schrieb, zeugt von Resignation. Was die Lehrbücher betrifft, so urteilt der nunmehrige Berliner Ordinarius sehr sarkastisch über die Kompendien, deren jede Messe eines oder mehrere brächte, wie auch darüber, daß die Gymnasiallehrer es sich nicht nehmen ließen, „jeder ein eigenes Lehrbuch zu schreiben". Hegel zog die älteren Lehrbücher den jüngeren vor, weil sie den Inhalt „reichlicher, bestimmter und unvermischter mit heterogenen Ingredienzien" brächten: „Meiner unvorgreiflichen Ansicht nach würde es schon der ganze Zweck und Art dieses Unterrichts mit sich hingen, daß die Lehrer an die alten, im Gairzen der WoLFFSchen Schule angehörigen Lehrbücher zu verweisen wären, und etwa nur die KANxische Kategorientafeln statt der Aristotelischen an dem schicklichen Orte einzuschalten sein würde."®^ Was Hegel selbst nicht zustande gebracht hat — ein Philosophisches Lehrbuch für Gymnasien -, das hat KARL ROSENKRANZ aus den Hegelschen Niederschriften für den Gymnasialunterricht zusammeirzustellen versucht und unter dem Titel Philosophische Propädeutik veröffentlicht. ROSENKRANZ ist dabei freilich sehr eigenwillig mit den Hegelschen Texten umgegangen; seine Edition ist alles andere als zuverlässig. JOH. HOFFMEisxER hat dann die Dokumente aus Hegels Nürnberger Gymnasialtätigkeit als Nürnberger Schriften neu herausgegeben, und zwar teilweise unter

Vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 390, 397; Hegel: Nürnberger Schrifien. Hrsg. Hoffmeister. Leipzig 1938. (Phil. Bibi. Bd 165.) 444 ff; Hegel: Wissenschaft der Logik. Hrsg. v. G. Lassen. Leipzig 1948. Bd 1. (Phil. Bibi. Bd 56.) 39 ff; Briefe von und an Hegel. Bd 1. 428. Hegel: Berliner Schriften. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1956. (Phil. Bibi. Bd 240.) 556, 553 mit Anm. V. J.

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Rückgriff auf noch erhaltene Manuskripte.^® Doch auch diese Edition von 1938 können wir heute nur noch sehr kritisch benutzen: die Aktenstücke und Berichte sind nur unvollständig gesammelt, der Text der Propädeutik selbst zeigt irreführende Konjekturen und Zusammenstellungen. Der Herausgeber hat es versäumt, die Texte zur Logik auf ihre entwicklungsgeschichtlich-chronologische Reihenfolge hin genauer zu untersuchen. Für unsere Zwecke brauchen wir nur festzustellen, daß die Logik, wie Hegel sie in der Propädeutik innerhalb der Enzyklopädie gibt^“, in die ersten Nürnberger Jahre fallen muß, wie Anordnung und Aufgliederung des Inhalts zeigen. Jedenfalls liegt diese Logik vor der Logik für die Mittelklassen (die in das Schuljahr 1810/11 zu gehören scheint; so sagt es jedenfalls eine Bleistiftnotiz im Manuskript, und so datiert auch HOFFMEISTER). Nach ROSENKRANZ sind sogar alle Stücke der Propädeutik in den Jahren zwischen 1808 und 11 entstanden.^^ Für uns wichtig ist vor allem noch ein Text, den ROSENKRANZ als Begriffslehre für die Oberklasse einführt. In der Oberklasse hat Hegel 1808/9 innerhalb des Enzyklopädievortrags die Begriffslehre ausführlich behandelt. HOFFMEISTER setzt über diese Begriffslehre jedoch den Titel Begriffslehre für die Oberklasse 1809/10 und die Mittelklasse 1812/13, weil Hegel in der Mittelklasse 1812/13 innerhalb des Logikvortrags ebenfalls die Begriffslehre ausführlich behandelt hat. In der Begriffslehre tauchen die Themen, mit denen unser Fragment beginnt - Mechanismus, Chemismus, Selbsterhaltung oder Organismus zum erstenmal auf, und zwar innerhalb eines Kapitels über die äußere und die innere Zweckmäßigkeit, die als Weisen der Realisierung des Begriffs verstanden werden. In der sog. Bewußtseinslehre und Logik für die Mittelklasse 1808/9 ist der ganze, wesentlich spekulative Schlußteil der Logik nicht behandelt, so daß auch die genannten Themen fehlen. In der Gymnasialenzyklopädie (die von ROSENKRANZ in sehr fragwürdiger Form überliefert worden ist) wird zwar der Lebensprozeß vom chemischen Prozeß unterschieden, doch der Chemismus selbst so wenig behandelt wie der Mechanismus.^® Doch wird in dieser Enzyklopädie die Zweckmäßigkeit und damit das Thema behandelt, dem in der genannten Begriffslehre die Themen Mechanismus, Chemismus, Selbsterhaltung zugeordnet sind. Entscheidend ist aber, daß das Thema der Zweckmäßigkeit oder Realisierung des Begriffs in der Logik der Gymnasialenzyklopädie überhaupt noch 25 Hegel's philosophische Propädeutik. Hrsg. v. K. Rosenkranz. Berlin 1840. (Hegel's Werke. Bd 18.) - Hegel: Nürnberger Schriften. 2* Hegel: Nürnberger Schriften. 235 ff. 21 Hegel's philosophische Propädeutik. VI; Hegel: Nürnberger Sdiriften. 72, 63. 28 Hegel: Nürnberger Schriften. 256.

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keinen systematischen Ort zugewiesen bekommen hat. Diese Logik teilt sich in die „ontologische Logik", die „subjektive Logik" und die „Ideenlehre".^® Die „ontologische Logik" enthält die Logik des Seins, des Wesens und der Wirklichkeit und damit das, was Hegel später in zwei Teilen, nämlich als Logik des Seins und des Wesens, behandelte. Die „subjektive Logik" umfaßt nur das, was später den ersten Teil der „subjektiven Logik" bildete: die Lehre von Begriff, Urteil und Schluß. Die „Ideenlehre" enthält den dritten Teil der späteren „subjektiven Logik". Als Übergang von der „subjektiven Logik" zur „Ideenlehre" tritt in der Gymnasialenzyklopädie die Lehre vom Zweck auf, ohne daß sie in die Gliederung des Ganzen irgendwie aufgenommen wäre. Also muß sie wohl nachträglich eingefügt worden sein. In der Logik für die Mittelklasse von 1810/11 hat die Lehre vom Zweck dagegen von vornherein einen systematischen Ort; hier ist aber auch die ganze Logik schon so gegliedert wie in der 1812/16 veröffentlichten Logik, also in Logik des Seins, des Wesens und des Begriffs. Die Logik des Begriffs oder subjektive Logik gliedert sich in den Begriff im engeren Sinn (Begriff, Urteil, Schluß), den Zweck oder teleologischen Begriff und die Idee oder den adäquaten Begriff.*“ Im Kapitel über den Zweck werden äußere und innere Zweckmäßigkeit unterschieden. Mechanismus, Chemismus, Selbsterhaltung treten hier nicht auf - vielleicht, weil die Zeit für die Entwicklung dieser Unterabschnitte fehlte, vielleicht aber auch, weil Hegel mit der Einordnung von Mechanismus, Chemismus, Selbsterhaltung nicht zu Rande kam. Die Begriffslehre, die HOFFMEISTER Begriffslehre für die Oberklasse 1809/10 und die Mittelklasse 1812/13 nennt, gibt dem Kapitel über den Zweck die Überschrift „Die Realisierung des Begriffs" und unterscheidet den Schluß der subjektiven (äußeren) Zweckmäßigkeit vom Schluß jener (inneren) Zweckmäßigkeit, in der die Realisierung des Begriffs nicht mehr die äußere Tätigkeit eines Subjekts ist, sondern ein „objektives Tun", „der Prozeß als innerliche Beziehung der Momente des Schlusses ihrer eigenen Natur nach". Die Weisen dieser objektiven Realisierung des Begriffs sind Mechanismus, Chemismus und Selbsterhaltung. Die Entwicklung der inneren Zweckmäßigkeit ist hier also eine Hinführung zu jener Erfüllung, die diese Zweckmäßigkeit in der Selbsterhaltung, dem Lebensprozeß, hat.®*

2* Ebd. 239; vgl. auch 28. s» Ebd. 66 f, 91. 31 Ebd. 226 ff.

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Kann die Entwicklung von Mechanismus, Chemismus und Lebensprozeß, wie das hier veröffentlichte Fragment sie enthält, in den Zusammenhang einer Realisierung des Begriffs eingeordnet werden, wie diese Begriffslehre für die Oberklasse sie gibt? Mechanismus, Chemismus und Lebensprozeß wären dann verschiedene Weisen der Verwirklichung des Zwecks, und zwar nicht nur Weisen der äußeren, sondern der inneren Zweckmäßigkeit. In der Tat kann Hegel in unserm Fragment (S. 15) vom eigentlichen Mechanismus als dem „erfüllten Zweck" sprechen. Der Mechanismus wird eingeführt als „freier Mechanismus", d. h. er wird vom toten Mecharüsmus, der ein Aggregat ohne Seele und Selbstbestimmung ist, abgehoben. „Nur der freie Mechanismus", so heißt es in der Logik von 1812/16, „hat ein Gesetz, die eigene Bestimmung der reinen Individualität oder des für sich seienden Begriffs; es ist als Unterschied an sich selbst unvergängliche Quelle sich selbst entzündender Bewegung, indem es in der Idealität seines Unterschiedes sich nur auf sich bezieht, freie Notwendigkeit."^^ Die Übereinstimmung zwischen unserem Fragment und der genannten Begriffslehre ist also gegeben. Die beiden Texten gemeinsame Weise der Einordnung von Mechanismus, Chemismus und Lebensprozeß weicht überdies stark ab von der Einordnung, wie die Logik von 1812/16 sie gibt. Dort treten Mechanismus und Chemismus unmittelbar, ohne Unterordnung unter die innere Zweckmäßigkeit, als Weisen der Realisierung des Begriffs, der Überführung des Begriffs in die Objektivität, auf. Auf Mechanismus und Chemismus folgt dann die Teleologie, die aber nur als äußere Zweckmäßigkeit entwickelt wird. Das Leben als innere Zweckmäßigkeit tritt als erste Stufe der Idee auf. Eine Übereinstimmung zwischen der Begriffslehre für die Oberklasse und unserem Fragment besteht auch in der Weise, wie das Erkennen dargestellt ist. In der Logik und Metaphysik des ersten erhaltenen Jenenser Systems faßt das Erkennen die vorausgehenden Gestalten, nämlich die Definition und die Einteilung oder Konstruktion, in eins und ist so Beweis. In der Begriffslehre für die Oberklasse und in unserem Fragment gehen dagegen Definition und Einteilung dem Erkennen nicht mehr voraus, sondern sind die ersten beiden Gestalten des Erkennens. Wenn sie abgehandelt sind, folgt die Einteilung in analytisches und synthetisches Erkennen.*® Die Logik von 1812/16 ordnet in wieder anderer Weise Definition und Einteilung zusammen mit dem Lehrsatz dem synthetischen Er-

Hegel; Wissenschaft der Logik. Bd 2. (Phil. Bibi. Bd 57.) 375. Hegel: Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie. 108 ff; Hegel; Nürnberger Schriften. 230 f. 32 33

Fragment aus einer Hegelschen Logik

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kennen unter.®^ Die Enzyklopädie der Nürnberger Propädeutik und die Logik für die Mittelklasse von 1810/11 sprechen zwar kurz vom Erkennen als einer Gestalt der Idee, aber nicht von Definition und Einteilung.®® Ein schon von HOFFMEISTER abgedrucktes Blatt stellt Einteilung und Definition zusammen mit den Grundsätzen des Denkens.®* Unser Fragment zeigt also eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit der Begriffslehre für die Oberklasse, und zwar gerade eine Übereinstimmung in Anordnungen, die sich sonst nirgendwo finden. In einem Punkt scheint die Begriffslehre jedoch von unserem Fragment abzuweichen. Zwar folgt auch in ihr auf Mechanismus und Chemismus die Selbsterhaltung; dann kommt jedoch eine große Zäsur, ein neuer Abschnitt, die Ideenlehre, beginnt, und zwar mit der Idee des Lebens, auf die dann erst die Idee des Erkennens folgt. In der Begriffslehre kommt das Leben also zweimal vor: einmal als die Selbsterhaltung innerhalb der Realisierung des Begriffs, dann als das organische System des Lebens innerhalb der Ideenlehre. Da wir diese Begriffslehre nur in der Überlieferung durch ROSENKRANZ besitzen, ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß ROSENKRANZ Hegelsche Notizen von der Gliederung der späteren Logik her in einer Weise „geordnet" hat, die verrät, daß er den Hegelschen Gedanken-Gang und Denk-Weg nicht sah. Auch in der Gymnasialenzyklopädie und der handschriftlich überlieferten Logik für die Mittelklasse von 1810/11 kommt das Leben als erste Gestalt der Idee vor, aber natürlich nicht auch noch die Selbsterhaltung innerhalb der Realisierung des Begriffs. In der Wissenschaft der Logik von 1812/16 verzichtet Hegel konsequent darauf, innerhalb der Lehre von der Realisierung des Begriffs oder, wie es nun heißt, Objektivität schon die innere Zweckmäßigkeit zu behandeln. Auf Mechanismus und Chemismus folgt dort als dritte Stufe die äußere Zweckmäßigkeit. Die innere Zweckmäßigkeit des Lebens ist als eine Stufe der Idee nun getrennt von der bloßen Realisierung des Begriffs oder Objektivität. Damit wäre unser Fragment in die Geschichte der Entwicklung der Hegelschen Logik eingeordnet: es gehört in die Nähe der Begriffslehre für die Oberklasse, wie sie sich in der Propädeutik findet. Auch ROSEN34 Hegel: Wissenschaft der Logik. Bd 2. 429 ff. 35 Hegel: Nürnberger Schriften. 258, 101. 33 Ebd. 123 ff. - Der nädiste Band dieses Jahrbuchs wird ein weiteres zugehöriges, neu gefundenes Blatt bringen und die Zuordnung dieser Blätter zur Lehre vom Begriff, wie sie die Logik für die Unterklasse von 1809/10 (Hegel: Nürnberger Schriften. 55) gibt, erörtern. - Zur propädeutischen Zusammenstellung der Lehre vom Begriff mit den Denkgesetzen und der Lehre von Definition, Einteilung und Beweis vgl. auch Hegel: Berliner Schriften. 549.

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KRANZ sagt, Hegel habe in der Propädeutik seine frühere Logik und Meta-

physik insofern verändert, als er vom Begriff des Schlusses den Übergang gemacht habe zum Begriff des Zweckes. „Der Zweckbegriff fehlte seiner ursprünglichen Metaphysik als ausdrückliche Kategorie gänzlich. Er nannte ihn jetzt Prozeß, vielleicht um mit diesem Wort dem Aristotelischen Begriff der Entelechie sich zu nähern. So gelang es ihm, den Begriff der Objektivität als die eigene Entgegensetzung der Subjektivität, als Realisation des Begriffs, zu entwickeln."“’ Man darf nur nicht, wie ROSENKRANZ es tut, den Anschein erwecken, als komme Hegel zu dieser Neuerung primär in der Gymnasiallogik. Auch darf diese Logik nicht unmittelbar auf Hegels erste Logik und Metaphysik bezogen werden, da Hegel augenscheinlich schon in den späteren Jenenser Jahren zu der neuen Konzeption der einen Logik übergegangen ist. Es stellt sich auch die Frage, ob Hegel nicht schon in diesen Jahren im Zweckbegriff eine „ausdrückliche Kategorie" der Logik gesehen hat. Der Zweckbegriff hatte schon für den Jenaer Hegel eine große Bedeutung, und zwar eirunal in Beziehung auf die Natur, die, wie Hegel in der Differenzschrift schreibt“®, nach KANT „zweckmäßig ohne Zweckbegriff, notwendig ohne Mechanismus" ist, dann in Beziehung auf das Handeln und den Gedanken der Glückseligkeit und des Guten. In der Phänomenologie erörtert Hegel den Zweckbegriff ausführlich nach beiden Beziehungen hin, ja er begreift die Vernunft als das „zweckmäßige Tun", er will dem Zweckbegriff neue Anerkennung verschaffen und faßt (nachdem er auf ARISTOTELES verwiesen hat) den Zweck als das „Unbewegte, welches selbst bewegend ist", als das Subjekt, das die Wahrheit der Substanz ist.““ Wenn jedoch die Gymnasialenzyklopädie dem Gedanken der Zweckmäßigkeit nicht von vornherein einen systematischen Ort zu geben vermag, so weist das darauf hin, daß dieser Gedanke in der Logik noch keinen festen Platz hatte. Abschließend darf ich vorbehaltlich einer Datierung der Jenenser und Nürnberger Manuskripte Hegels mittels handschriftlicher Indizien und vorbehaltlich einer genaueren Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Logik sagen, daß unser Fragment in jenen Ansatz zur Ausarbeitung einer Logik zu gehören scheint, mit dem Hegel in Bamberg begann und den er dann in Nürnberg, unter mannigfachen Änderungen im einzelnen, zu Ende führte.

38 3»

Rosenkranz: Hegel's Leben. 257. Hegel: Erste Druckschriften. 83. Hegel: Phänomenologie des Geistes.

22.

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(II) Da die hier vorgetragene Auffassung von der Entwicklung der Hegelschen Logik neu ist, könnte es nötig scheinen, daß ich mich mit anderen abweichenden Darstellungen dieser Entwicklung auseinandersetze. Die Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Logik ist freilich früh, schon 1858, untersucht worden.^“ Aber diese Untersuchung und auch z. B. noch die Darstellung von BAILLIE^^ beruhen auf ganz unzureichendem Textmaterial und auf den falschen Datierungen von ROSENKRANZ. Im Zuge der Arbeit an der Edition und der ersten Deutung lange vergessener Hegelscher Texte, wie sie in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts geleistet worden ist, hat dann THEODOR HAERING die Linien der Entwicklung der Hegelschen Logik auszuziehen versucht. Da HAERINGS Thesen zum Teil auch von anderen Forschem übernommen worden sind, darf ich hier in aller Kürze zu ihnen Stellung nehmen. HAERING hat eine Behauptung aufgestellt, die sensationell hätte wirken müssen, wenn die Beschäftigung mit Hegel überhaupt an philologischen Fragen interessiert gewesen wäre: in der Geschichte der Entwicklung der Hegelschen Logik soll es nicht nur die Linie geben, die von der Logik und Metaphysik des ersten erhaltenen Jenenser Systems zur Logik von 1812/16 und so auch zur Logik der Enzyklopädie führt, sondern daneben noch eine andere, die Linie einer psychologistisch abgeleiteten Logik. Diese Linie soll von einem frühen Berner Text über die Phänomenologie und andere, nur zu erschließende Jenenser Texte zur Nürnberger Propädeutik führen.^^ Bedeutungs- oder, wie ich meine, verhängnisvoll ist für HAERING jener Berner Text geworden, den HOFFMEISTER 1931 unter dem Titel Hegels erster Entwurf einer Philosophie des subjektiven Geistes (Bern 1796) in der Zeitschrift Logos veröffentlicht hat. HOFFMEISTER glaubte in diesem Entwurf eine Bestätigung der These zu finden, die JUSTUS SCHWARZ in seiner Dissertation ausgesprochen hatte - der These, „daß Hegels systematisches Philosophieren in einer ,anthropologischen Metaphysik', in einer Vertiefung in den metaphysischen Gehalt der menschlichen Seelenkräfte seinen Ursprung hat"*®. HOFFMEISTER hat später jedoch selbst nachgewiesen, daß der Hegelsche Text nicht der Entwurf einer

A. Sdimid: Entwicklungsgeschichte der Hegel'schen Logik. Ein Hilfsbuch zu einem geschichtlichen Studium derselben mit Berücksichtigung der neuesten Schriften von R. Haym und K. Rosenkranz. Regensburg 1858. 7. B. Baillie: The origin and significance of HegeVs Logic. A general introduction to Hegel's System. London 1901. Th. L. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Bd 2. Leipzig u. Berlin 1938. 69 ff. 3« Krisenjahre der Frühromantik. Bd. 1. 67 f. IST Rosenkranz: Hegels Leben. 223: „Mit Gries... stand Hegel in gemütlichem Umgang; zu den Schlegeln aber hatte er kein näheres Verhältnis, Eine Vorlesung, welche Friedrich Schlegel über Transzendentalphilosophie hielt, kam bald genug wieder zu Ende, wie Hegel selbst... erzählt." 138 Briefe von und an Hegel. Bd 3. 74. >39 Sulpiz Boisseree. Stuttgart 1862. Bd 1. 58.

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l'Europe" durch NAPOLEON bezogen zu haben, von der Dorothea auf ihrer Reise bedrückende Erfahrungen gesanunelt hatte. Eine wissenschaftliche Berührung SCHLEGELS mit Hegel fand dann im Jahre 1815, freilich ohne Ergebnis statt, als SCHLEGEL für die Wiener Allgemeine Literatur Zeitung die Rezension von Hegels Logik übernahm, diesen Band aber über seinem Aufbruch zum Frankfurter Bundestag, wo er drei Jahre als Legationsrat weilte, zurücksandte‘^®. In dieser Frankfurter Zeit finden sich dann die ersten Spuren seiner späteren Hegelkritik im Zusammenhang einer neuen Beurteilung der Philosophie des deutschen Idealismus. Bei dem französischen Bundestagsgesandten Graf REINHARDT, mit dem er seit der Kölner Zeit befreimdet war, hatte SCHLEGEL im Juli 1817 Victor COUSIN kennengelemt, der sich damals auf einer Studienreise in Deutschland aufhielt. SCHLEGEL führte ausführliche Gespräche mit COUSIN und setzte ihm, wie dieser berichtet*®*, in „vorzüglichem Französisch" die Entwicklungstendenzen der neueren deutschen Philosophie auseinander, die nach SCHLEGELS Ansicht unvermeidlich von KANT ZU FICHTE und von diesem zu SCHELLING geführt hätten. Die noch bevorstehende Aufgabe der Philosophie in ihrer „aufsteigenden Linie" *®^ erblickte er in der Ausbildung eines neuen, höheren Spiritualismus auf christlicher Erfahrungsgrundlage, wobei er Hegel, den er lediglich als „subtil" bezeichnete, freilich keine Chance einräumte. Vielmehr sah er in JACOBI, SCHELLING und Franz VON BAADER die Anzeichen auf jene Entwicklung, die er ungefähr seit 1820 als eigene Lebensaufgabe ansehen wird. Im selben Jahr seines Zusammentreffens mit COUSIN bemerkt SCHLEGEL in seinen philosophischen Notizheften*®®: „Nicht die Aufhebung eines Entgegengesetzten oder die Verneinung (nach Hegel) macht das Wesen des Geistes aus, sondern die göttliche Sendung. .. Das Verneinungssystem wäre noch um eine Stufe schlimmer als der Atheismus oder die Ich- und Selbstvergötterung, eine eigentliche Vergötterung des verneinenden Geistes, also in der Tat philosophischer Satanismus." In den ungedruckten Reflexionen über die „zukünftige deutsche Litteratur" von 1823 erscheint Hegel als Ausdruck der „antichristlichen Gegenwirkung und Opposition" gegen die erstrebte christliche Philosophie. Hegel ist für SCHLEGEL „wegen des Einflusses, den er hat, doch nicht zu übersehn.

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Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Hrsg. v. J. Körner. Berlin

1926. 194. *41 In: Revue des deux mondes. 11 (1851), 545 ff. 142 Windischmann. Bd 2. 486. 14S Ebd. 497.

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Nur ist Hegel ein zu schlechter Schriftsteller." Aber er rechnet ihn auf Grund seiner „dialektischen Überspannung" zu den „intellektuellen Spannungen und Dehnungen wie sie einer entscheidenden Krisis voranzugehn pflegen". „Das Positive in dieser Epoche", meint SCHLEGEL in diesem Heft, „stammt aus der frühem her: nämlich die Naturphilosophie, und das symbolische Wissen nebst dem indischen Studium". Ähnlich, wenn auch nicht so eschatologisch, hat er sich in seinen Gesprächen mit RANKE im März 1828 in Wien über Hegel geäußert*“'^. RANKE hatte zunächst den Eindruck, „daß seine [= Schlegels] Entwicklung etwas einseitig, seine Liebe und seine Abneigung vielleicht dem Gegenstand, den sie treffen, nicht ganz angemessen sind". So hatte SCHLEGEL Z. B. „Hegel den letzten aller Menschen genannt". In der weiteren Unterhaltung gewann RANKE jedoch die Meinung, daß SCHLEGEL „eine edle Aufmerksamkeit, ein innerliches Arbeiten, seine Betrachtungen und viele andre preiswürdige Eigenschaften hat". Als RANKE, auf Gmnd dieser Unterhaltungen, von VARNHAGEN VON ENSE auf Hegels Enzyklopädie verwiesen wurde, antwortete er mit Bezugnahme auf SCHLEGELS Urteil zu diesem Werk'^®: „Hegels Enzyklopädie kenne ich wohl ein wenig, auch in der neuen Auflage. Tiefsinn gewiß, obwohl Friedrich SCHLEGEL sagt, nur die Melodie des Tiefsinns; allein auch ebenso gewiß eine Menge falsches, häßliches Zeug. Es zieht mich an und stößt mich ab. Haben Sie Friedrich SCHLEGELS Vorlesungen [Philosophie der Geschichte, Wien 1828]?" VARNHAGEN VON ENSE

L. von Ranke und Varnhagen von Ense; Ungedruckter Briefwechsel. In: Deutsche Revue. 20 (1895), 338 ff. Die geistigen Beziehungen zwischen Ranke und Schlegel müßten noch erforscht werden. Nachdem ein von Ranke geplantes Zusammentreffen mit Schlegel in Augsburg nicht zustande gekommen war, suchte Ranke Schlegel im Verlauf seiner großen Studienreise (1827-1831) auf, deren erste Station Wien war (vgl. Briefe an Friedridi Schlegel. Hrsg. v. H. Finke. 47 f). Wie stark Ranke unter dem Einfluß Schlegels stand, zeigt schon sein Jugendaufsatz von 1818 (vgl. Historische Zeitschrift. 137 [1928], 231), der auch Schlegels Verse An die Deutschen zitiert und ganz im Sinne Schlegels von Österreich Deutschlands und Europas Heil erwartet. Rankes berühmtes, gegen Hegel gerichtetes Diktum: „Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott", findet zahlreiche Parallelen in Schlegels Schriften. „Für den Einzelnen, sobald er nur recht will, sind alle Zeiten gleich", sagt Schlegel 1819 (Schriften und Fragmente. 276; vgl. ferner: A. JV. und F. Schlegel. In Auswahl hrsg. v. O. Walzel. Dt. NationalLitteratur. Bd 143. 319). In ihrer Prinzipienlehre besteht enge Übereinstimmung zwischen Schlegel und Ranke, aber auch in näheren Geschichtsanschauungen, z. B. in dem Gedanken der geistigen Einheit der großen Nationen Westeuropas (vgl. R. Lieske: Tiedcs Abwendung von der Romantik. Berlin 1933. 85; K. Borries: Die Romantik und die Geschichte. Berlin 1925.147), oder in der Kontinuitätslehre, bzw. in der Würdigung Österreichs (R. Stadelmann: Grundformen der Mittelalterauffassung von Herder bis Ranke. In: Deutsche Vierteljahrsschrift f. Literaturwissenschaft u. Geistesgeschichte. 9 [1931], 45-88; vgl. 85). Auch F. Meinecke (Die Entstehung des Historismus. München 1946. 630) wies auf geistige Beziehungen von Ranke zu Schlegel hin. 145 Deutsche Revue. 20 (1895), 345.

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sagte zu diesen Gesprächen^^*: „Friedricdi SCHLEGELS Versündigungen gegen Hegel werden ihm herbe Früchte bringen, es geht eben ein wohlbefrachtetes Schiff in See [= die Rezension von SOLGERS nachgelassenen Schriften]". Damit kommen wir zu den einzigen öffentlichen Stellungnahmen SCHLEGELS zu Hegel, in denen die in den ungedruckten Heften und in den mündlichen Gesprächen anklingende geschichtsphilosophische Kritisierung dieser Philosophie als antichristliche Wendung des Zeitgeistes nun literarischen Ausdruck erhält. Im Jahre 1820 war der fünfte Band von JACOBIS Werken erschienen, die bekanntlich verschiedene leidenschaftliche Beurteilungen erfahren hatten. Dies gab auch SCHLEGEL*^^ „eine erwünschte Veranlassung, die eigentliche Bedeutung der jACOBischen Philosophie, und die Stelle, welche sie im Verhältnisse zu den übrigen vornehmsten Systemen der letzten Epoche der Deutschen Philosophie einnimmt, in wissenschaftlicher Bestimmtheit zu bezeichnen, so wie diese Systeme selbst ingesamt in ihrem gemeinsamen Zusammenhänge zu charakterisieren und zu würdigen, nach dem Standpunkte und Zeitmomente, in der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes, welchem sie angehören". Dieser Standpunkt war für den SCHLEGEL des Jahres 1822 „der eines noch sehr unvollkommenen Überganges von dem früherhin allgemein herrschenden Materialismus und Systeme des Unglaubens zu einer sittlich lebendigen und christlichen Philosophie, nach den Grundsätzen des reinen Spiritualismus, wie dieser von Anfang in der Offenbarung gegeben".

sah diesen Ansatz zu einer neuen philosophischen Epoche vornehmlich in vier Systemen der damaligen Zeit angelegt, natürlich zunächst in ScHELLiNG. Er wendet neben seiner Kritik an der „inneren Offenbarung" gegen JACOBI ein, daß dieser immer sehr ungerecht gegen seine „vornehmsten Mitphilosophen" gewesen sei, mit denen er „fortdauernd in unauflöslichem Hader" lag. So ist der erste Teil dieses Aufsatzes der Verteidigung der positiven Ansätze SCHELLINGS und auch FICHTES gegen die neueren Angriffe JACOBIS gewidmet. „So viel ist wohl jedem einleuchtend", hebt SCHLEGEL das von ihm bei SCHELLING Geschätzte hervor, „wenn ScHELLiNG auch nur den in seiner Schrift gegen JACOBI anerkannten und aufgestellten Satz, daß die Erkeimtnis Gottes eine persönliche sei, daß wir mithin Gott nur soviel erkennen, als wir Umgang und Bekanntschaft mit ihm haben, oder mit andern Worten, daß die Metaphysik eine durchaus empirische Wissenschaft sei, nämlich aus der Empirie des innern Lebens; wenn er, wie gesagt, nur diesen einen Satz in seiner ganzen KonSCHLEGEL

»4« Ebd. 347. 147 Zum folgenden vgl. die oben Anm. 41 erwähnte Studie über Jacobi; s. Schlegel: Neue philosophische Schriften. 278 ff.

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Sequenz hätte Festhalten und weiter fortführen wollen, daß alsdann das Gespinst des Absoluten aus seinem früheren System sofort hätte vor seinen Augen verschwinden müssen". In bezug auf FICHTE bemerkt er, daß JACOBI „FiCHTE'n sein atheistisches Denken, zugegeben, daß es ein solches war, nicht bloß so hart, sondern so ganz persönlich, und als den sittlidien Charakter selbst betreffend" nicht hätte vorwerfen dürfen; weil nämlich JACOBI „doch selbst auf das Innigste überzeugt war, und unzählige Male gezeigt hatte, daß alle rein spekulative Forschung auf ein solches Resultat führe, und während er doch, aufrichtig genommen, sehr wohl inne werden konnte, daß Gewissen, Ehr- und Liebesgefühl, überhaupt ehrliche Menschen-Motive aller Art, jenen großen Denker in der Konsequenz seines spekulativen Irrtums nur allzuoft, eben so gut wie ihn, den Tadler JACOBI selbst, vielfältig irre, und auf eine edle Art an seinem System untreu gemacht haben". In bezug auf JACOBI selbst verwundert sich SCHLEGEL, daß dieser nie deutlich bemerkt habe, „wie nahe er eigentlich dem KANT gewesen". JACOBIS Bestimmung der Vernunft als „Vermögen der unmittelbaren, innern Wahrnehmung des Übersinnlichen" ist für SCHLEGEL „nichts anders als der KANTische Primat der praktischen Vernunft, wodurch diese hinterdrein wieder auf den Thron gelangt, während sie theoretisch erst mit großem Aufsehen herunter geworfen war". Der ganze Unterschied zwischen KANT und JACOBI reduziert sich für SCHLEGEL letztlich darauf, „daß KANT mehr das Objektive, und das praktische Gesetz der Vernunft ins Auge faßt, während JACOBI auf eine an dieser Stelle ganz löbliche Weise die Rechte der Individualität und eben damit auch eines eigentümlichen Genies selbst in moralischen Dingen vertritt und in Schutz nimmt". In diesen vier Systemen KANTS, FICHTES, JACOBIS und SCHELLINGS drükken sich für SCTILEGEL zwei grundsätzliche Weisen des höchsten Wissens aus. Eine Art des Wissens ist die von FICHTE und SCHELLING ausgebildete Spekulation, die in der Darstellung SCHLEGELS „auf die Übereinstimmung des Begriffs oder des Denkens mit sich selbst gerichtet ist, und in ihrer formellen Vollkommenheit die absolute Gewißheit und Notwendigkeit mit sich führt", dabei aber „totes, abstraktes Wissen" ist. Ihr steht für SCHLEGEL ein Wissen gegenüber, das an der Fähigkeit der metaphysischen Spekulation verzweifelt und deshalb, wie KANT und JACOBI, auf den Primat der praktischen Vernunft, bzw. den Glauben rekurriert und dabei von der Voraussetzung ausgeht, „daß die Gottheit, nebst allem was sich auf sie bezieht, ganz den Glauben und der Religion überlassen bleiben, die Philosophie aber durchaus auf die Erkenntnis des Menschen allein sich beschränken soll". In diesen zwei Arten des höchsten Wissens als reine Spekulation, bzw. als reiner Glaube lebt für SCHLEGEL gleichzeitig der klas-

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sische Gegensatz von Glauben und Wissen wieder auf, zwischen dem es, in der Ausprägung dieser vier Systeme, keine Überbrückung gibt. Ferner sind diese vier Systeme in ihrer für SCHLEGEL freilich einseitigen Vollendung die umfassende Manifestation des „zersplitterten" und in Abstraktionen befangenen Bewußtseins nach seinen vier isolierten Grundvermögen. Das abstrakte Bewußtsein ist in SCHLEGELS Augen „eben jenes, welches im Zwiespalt und Gegensatz von Verstand und Willen, von Vernunft und Phantasie befangen ist". So kann für SCHLEGEL auch die Philosophie, die daraus hervorgegangen ist, „selbst nur eine tote, in sich und in ihren eignen Abstraktionen zersplitterte, und im Streit der Systeme befangene und geteilte sein". Diese vier Systeme werden nach ihm „aus einem sehr richtigen Gefühl" als zusammengehörig betrachtet, da in jedem eines der Elementarkräfte des Bewußtseins „mehr oder minder ausschließend wird, wie solches bei den genannten vier großen Systemhäuptern der bisherigen deutschen Philosophie so einleuchtend sichtbar ist". Sie bilden für ihn „einen abgeschlossenen Cyclus". Soll die Philosophie aber ihr Ziel erreichen, so muß für SCHLEGEL zunächst „das vollständige und rechte, lebendige Bewußtsein" wiederhergestellt sein. Dies geschieht aber nach ihm nicht durch die Perfektionierung der spekulativen Methode, noch durch den „salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit", sondern einzig im Rückgang auf das Prinzip der Personalität und die Wirklichkeit des Lebens selbst, worin er, ebenso wie Hegel im absoluten Wissen, die Krönung der gesamten philosophischen Entwicklungsgeschichte erblickt. „Man gelangt nicht zur Erkenntnis des Lebens, als nur durchs Leben selbst", sagt SCHLEGEL*^®, „und dieses ist die subjektive oder vielmehr persönliche Bedingung, welche in aller Philosophie gefordert und vorausgesetzt wird. Die Philosophie als ein positives, und zwar als das Umfassendste und Höchste von allem positiven Wissen, setzt dieses ihr Positives als gegeben voraus. Und auch die eigentümliche Form und Gestaltung, wie des Lebens selbst, so auch der Erkenntnis des Lebens, ist vielmehr eine lebendig organische, und keineswegs jene untergeordnete, und wo sie die Stelle des Höhern einnehmen soll, falsche Methode des toten und abstrakten Wissens." In dieser Erweckung der personalen Erkenntnis als der höchsten philosophischen Wissensform, der das „absolute Wissen" der idealistischen Spekulation untergeordnet ist, erblickte SCHLEGEL „die Bahn, die wir gegenwärtig vor uns sehen, und auch fernerhin immer mehr zu begründen haben". Von diesem Hintergrund aus läßt sich auch seine Kritik an der IM Ebd. 283.

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Hegelschen Philosophie bestimmen. Jener „erste Cyclus der deutschen Philosophie", nämlich die vier genannten Systeme, müßte in seinen Augen „als ganz beschlossen und vollkommen vorübergegangen" angesehen werden. „Ein KANT redivivus", sagt er, „kann uns eben so wenig frommen, als der Dilettantismus mit JACOBI'S Genie". In diesem Zusammenhang greift er auf seine schon 1801, bei seiner ersten Hegellektüre geäußerte Auffassung zurück, nach der Hegel für ihn ein Sproß der FicHXESchen Philosophie ist. Für den SCHLEGEL des Jahres 1822 würde es „eine ganz unnütze Mühe sein, wenn uns jemand etwa einen vollendeter durchgeführten oder auch höher gesteigerten FICHTE vorstellen wollte, indem er aller jener nachteiligen Einflüsse, welche Gewissen, Moralität, oder andere Menschengefühle auf die strenge Konsequenz des Systems manchmal bei jenem Philosophen noch äußerten, sich großmütig abtun, imd uns das atheistische Denken ganz rein darstellen wollte". Da dies nach SCHLEGEL aber nie ganz möglich ist, bleibt dann anstelle „jener edlen Inkonsequenz" FICHTES nur ein „absoluter Stumpfsinn für alles Göttliche bei einem unendlichen Fluß und Zufluß des leeren abstrakten Denkens" übrig*^“. Dies ist sein Urteil über die Hegelsche Philosophie. Mit Bedauern sieht er „einen großen Charakter" in „jenem seltsamen Abgrunde" sich verlieren. Aber die „abstrakten Verzerrungen eines solchen nachgeäfften FICHTE" können für ihn „nur Widerwillen erregen". „Mußten die spekulativen Irrtümer des Zeitalters, damit es seinen vollkommenen Umschwung erhielt, bis zu diesem Extrem durchgeführt und erschöpft werden?", fragt SCHLEGEL. Dazu tritt in seinen Augen noch etwas hinzu. FICHTE hatte, ebenso wie die anderen Repräsentanten der genannten Systeme, eine Sendung. Sie haben damit „den großen Umschwung in dem intellektuellen Gebiet" gegenüber dem Materialismus der Aufklärungsphilosophien herbeigeführt. Aber die Versuche an den Systemen des Absoluten festzuhalten, oder sie zu erneuern, erscheinen SCHLEGEL gegenüber diesen Gründerleistungen des deutschen Idealismus als „vorübergehende Luftmeteore eines vergeblichen Rückfalls in den alten Irrtum, und ein durch und durch falsches und vergebliches Bestreben"'“. Diese Hegelkritik von 1822 erschien in den Wiener Jahrbüchern der Literatur. Sie war also nur einem eingeschränkten Kreis zugänglich. Liest man aber von ihr aus die betreffenden Kapitel der ScHLEGELSchen VorEbd. 288 f. *50 Schlegel hat die historische und politische Wirkungskraft des Hegelianismus, bzw. des Marxismus nicht erkannt. Dagegen haben die Grundzüge seiner Hegelkritik eine weite Verbreitung gefunden, die freilich gesondert erforscht werden müßte. Wir verweisen insbes. auf Donoso Cortes (z. B.: Briefe, parlamentarische Reden und diplo-

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lesungen über die Philosophie des Lebens von 1828 — in der die Kritik der philosophischen Systeme im klassischen Stil ohne Bezeichnung ihrer Autoren erfolgt dann sieht man, wie Schlegels Auseinandersetzung mit der Hegelschen Philosophie den intellektuellen Kreisen Wiens und darüber hinaus dem breiten Leserpublikum dieses Werkes bekannt wurde, denen die Anspielungen auf Hegel noch unmittelbar verständlich sein mußten. Bei der entsdaeidenen Aufgabe der ScHLECELSchen Lebensphilosophie, anstelle der „idealistischen Verirrung" ins Absolute die konkreten Gehalte des Lebens in den vier Etappen der Psychologia universalis, Theologia empirica, Ontologia spiritualis und Cosmologia moralis herauszuarbeiten‘*‘, erscheint Hegel, im Zusammenhang der Idealismuskritik, als das „dritte Stadium der idealistischen Verirrung, die höchste, und gewiß auch die letzte Stufe des wissenschaftlichen Atheismus"'®^. In apokalyptischen Gedankengängen wird Hegels über das Individuelle und Personale hinwegschreitender absoluter Geist - „d. h. der böse Geist der Verneinung und des Widerspruchs" - mit dem „Feind des Menschengeschlechts und König des Abgrunds" in Beziehung gesetzt, wie er für SCHLEGEL, in unvermutetem Zusammentreffen, damals auch von Lord BYRON „auf den Thron gestellt" wurde. Ebenso wie SCHLEGELS frühromantische Ironie Hegel als „unendliche absolute Negativität" erschienen war, wird also Hegels Dialektik von SCHLEGEL als „böser Geist der Verneinung und des Widerspruchs" empfunden; wie SCHLEGELS Denken für Hegel als „hohl", „leer" und „abstrakt" galt, so wird Hegels Denken von SCHLEGEL „tot", „leer" und „abstrakt" bezeichnet; und genau wie SCHLEGELS Philosophie von Hegel als das Böse schlechthin, als Manifestation des Satanischen und Diabolischen hingestellt wurde, wird Hegels Philosophie von SCHLEGEL als satanischer Feind des Menschengeschlechtes und König des Abgrundes gezeichnet. So führt diese Untersuchung über das Verhältnis Friedrich SCHLEGELS zu Hegel zu demselben zugespitzten Gegensatz, wie er sich aus der Analyse der Beurteilung SCHLEGELS durch Hegel ergab. Hierin zeigt sich, daß diese beiden Denker trotz des unzulänglichen Verständnisses, das sie von ihren gegenseitigen Philosophien besaßen, den kaum zu überbieten-

matische Berichte aus den letzten Jahren seines Lebens. Hrsg. v. A. Maier, Köln 1950), der in bezug auf den gesdiichtsphilosophischen Triumph des Bösen (56), die Kritik der absolutistischen Philosophie (76) oder den Zusammenhang von Preußentum und Hegelianismus (158) ganz ähnliche Anschauungen wie Schlegel vertritt. So lautet der Aufbau der Vorlesungen über die Philosophie des Lebens nach den ungedrudcten Entwürfen. iä2 F, Schlegel; Sämmtliche Werke. 2. Original-Ausg. Bd 12. 21 f.

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den Gegensatz, wie er zwischen den Prinzipien ihres Denkens bestand, klar erfaßt hatten. Jeder von ihnen hat den anderen spontan in der extremsten Weise, die überhaupt möglich ist, nämlich in der geschichtsphilosophisch begründeten und apokalyptisch verbrämten Gestalt des Bösen als äußersten Gegensatz seines eigenen Anliegens zur Darstellung gebracht. Damit nehmen sie das vorweg, was uns als das Ergebnis der Betrachtung ihrer wechselseitigen Beziehungen erscheint. Daß sich nämlich in Hegel und SCHLEGEL zwei Denktypen der deutschen Philosophie gegenüberstehen, die - trotz unverkennbarer Gemeinsamkeiten in ihrer Problemstellung und Interessenrichtung - in einem unversöhnlichen und unaufhebbaren Prinzipiengegensatz zueinander stehen, oder — wie schon J.-J. ANSTETT bemerkte*®’: „Wiederum hatten sich die beiden traditionellen Typen der Philosophie affrontiert, die Friedrich SCHLEGEL selbst unterschieden hatte, als er den Aristotelismus und den Platonismus in einen Gegensatz stellte; und die herrschende Philosophie hatte jenem vor diesem den Vorzug gegeben, weil er als Mensch an das appellierte, was das Geschöpf spontan hätte zurückweisen müssen, während Friedrich SCHLEGEL auf die dem Menschen zugleich unmögliche wie notwendige Offenbarung zurückgriff, auf eine Transzendenz, die, ohne sich zu verändern, immanent geworden war."

158 7..J. Anstett: La pensee religieuse de Friedrich Schlegel. Paris 1941. 451. S. 452 f bemerkt Anstett: „Peut-etre que, si F. Sdüegel etait ne plus tard, sa pensee eüt ete moins negligee par les philosophes et plus consideree par l'Eglise. Du moins semble-t-il bien que c'est la direction indiquee par lui plutöt que celle de la Philosophie classique qu'adopta la pensee contemporaine quand eile voulut se regenerer et c'est par cette Orientation qu'elle a renouvele la position et la solution de certains problemes ..." Anstett verweist u. a. auf Simmel, Bergson, Scheler, Blondel.

JAN VAN DER MEULEN (HEIDELBERG)

HEGELS LEHRE VON LEIB,SEELE UND GEIST

Hat die Hegelsche Lehre von Leib und Seele für die gegenwärtige Bewußtseinslage im allgemeinen und das Interesse des forschenden Geistes noch einen echten Sinn, eine befruchtende Bedeutung? Man könnte geneigt sein, diese Frage zu verneinen, wenn man das geringe Interesse feststellt, das Hegels Lehre vom subjektiven Geiste und insbesondere deren erstem, als „Anthropologie" bezeichnetem Teil entgegengebracht wird. Mögen wir so auch selten einer bewußten Anknüpfung an diese Lehren begegnen, so könnte auch hier, wie auf so vielen anderen Gebieten, Hegels Denken gleichsam das Feld abgesteckt haben, auf dem die Fragestellungen der heutigen Untersuchungen auf diesem Gebiete sich bewegen. Dazu wäre nicht einmal eine direkte historische Beeinflussung durch einen der vielen im verborgenen verlaufenden Ströme erforderlich, sondern es könnte sich einfach eine sachliche Konvergenz, eine mit innerer Notwendigkeit sich einspielende Verbundenheit der Problembewältigung ergeben haben, die von einem mit Hegel erstmals vollzogenen Bewußtseinswandel auch bezüglich dieses Gegenstandes ausgehen könnte. Geschichtlich gesehen sind nur wenige große Ereignisse hinsichtlich des Wandels der Leib-Seele-Problematik und ihrer Bewältigung zu verzeichnen. Ein solches wäre zunächst die sämtliche Gedanken der frühen „Physiologen" einschließlich der in diesem Rahmen verstandenen Lehre PLATONS sichtende, kritisierende und in sich aufnehmende Theorie des ARISTOTELES von der Seele als Entelechie des Leibes, wobei allerdings als drittes Prinzip der Nous, der Geist hinzugefügt werden muß. Als nächste entscheidende Geistestat folgte dann schon die ontologische Klärung und Verfestigung des eher aus religiösen Quellen gespeisten PLATONischen, neuplatonischen und AuGUSTiNischen Dualismus durch DESCARTES, der zugleich das mystische Licht der Innerlichkeit des Subjektes zu einem unerschütterlichen Fundament des wahren Erkennens rationalisiert. Eben diese Verfestigung eines sich selbst nicht länger kritisierenden Verstandes aber mußte unweigerlich zu einer nur gegenständlichen, ontischen Explikation jener

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ontologisch gemeinten Klärung führen, wie wir sie in der Lehre von den drei Substanzen vorfinden. Das am Ende doch immer wieder vergebliche Ringen um das Problem des Verhältnisses dieser drei Substanzen in den großen Erben DESCARTES' setzt sich bis in unsere Tage hinein überall fort, wo Leib und Seele ontisch-gegenständlich als Seiende isoliert und entweder dualistisch sekundär miteinander verbunden oder monistisch auf eines von beiden reduziert werden. SPINOZAS Lehre von Leib und Seele als Attributen oder Erscheinungsweisen der dritten unendlichen Substanz überschreitet allerdings die Grenzen dieser dogmatischen Denkweise; sie konnte ihre Wahrheit aber erst finden, nachdem im dritten großen Ereignis dieser Problemgeschichte der Dogmatismus seine unwiderrufliche Zermalmung hatte erfahren müssen. Indem KANT die Erkenntnis sowohl im Bereiche äußerer wie innerer Erfahrung auf Erscheinungen reduzierte und damit seelische wie auch körperliche Totalitäten nur als regulative Prinzipien zuließ, befreite er auch Leib und Seele aus ihrer ontisch-gegenständlichen Fessel und machte damit den Weg für eine freiere und tieferdringende Erfahrung ihrer Bestimmung und Beziehung frei. Die heutigen Denker pflegen aber vielfach zu vergessen, daß der Reichtum ihrer Erkenntnisse im Grunde nur durch die Tat KANTS freigegeben werden konnte; ist dieses Vergessen nicht ein zufälliges, sondern ein wesentliches, so droht das Denken einem neuen Dogmatismus zu verfallen, wie das etwa bei SARTRE in dem im Grunde cartesianischen Dualismus von etre-en-soi und etrepour-soi der Fall ist. Zu einer echten Freigabe neuer Erkenntnisse über Leib, Seele und dazu Geist als drittem Prinzip genügte die KANTische Kritik allerdings noch nicht, da in der Doppelung von Verstand und Sinnlichkeit, sowie äußerem und innerem Sinn ein weiterer voraussetzender Dualismus sich verbirgt, der eine ursprünglich erfahrene Relation jener Prinzipien dadurch verhindert, daß sie das dritte, die Vernunft, nicht zum Zuge kommen läßt. Bleibt KANT bei der verstandesmäßigen Kritik der Vernunft stehen, so ist die sich selbst begreifende Kritik dieser Kritik erst die radikale, die wahre Kritik, deren erste weltgeschichtliche Erscheinung die Philosophie Hegels bedeutete. Für Hegel konnten Leib und Seele, sowie der endliche Geist nur Stufen der Realisierung der als Idee zu sich kommenden Vernunft bedeuten, Selbstbenennungen der Idee im Prozesse ihrer Selbsterhellung. Ja, das Verhältnis von Leib und Seele wird von ihm des öfteren als Beispiel für das Wesen der Idee als Einheit von Begriff und Realität angeführt, wie denn die unmittelbare Idee oder der Begriff des Lebens als die Seele bezeichnet wird, die „den Leib zu seiner Realität" hat (Enzyklopädie § 216 Zus.)'. Damit aber ist grundsätzlich schon der Boden gewonnen, auf dem

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sämtliche fruchtbaren und zukunftweisenden heutigen Lehren von Leib, Seele und Geist sich bewegen. Ist es doch ein entscheidendes Merkmal, daß diese Bestimmungen ihre ontische, gegenständliche Starre im gegenseitigen Bezüge verloren haben, indem sie Gesichtspunkte, sich kristallisierende Erfahrungsinhalte wurden, Relationsmomente des konkreten Lebensganzen, der Existenz oder des Daseins, die sich prinzipiell einer vergegenständlichenden Verfestigung schon deshalb entziehen, weil im Spiel von Leib und Seele die Vergegenständlichung als Entäußerung selbst zu einem Moment geworden ist. Zeigt schon diese aktuelle Konvergenz die Bedeutung von Hegels diesbezüglichen Lehren, so sollte auch die Stellung des bei ihm als „Anthropologie" bezeichneten Abschnittes der Geistesphilosophie zu denken geben. Ist doch „die Seele" als Gegenstand dieses Teiles die erste Stufe des endlichen Geistes in seinem unmittelbaren Verhältnis zur Natur, wodurch sie zwischen dieser und dem „Bewußtsein" als Thema der „Phänomenologie des Geistes" eine hervorragende systematische Stellung einnimmt. Es zeigt sich hierbei, daß das dritte Prinzip im Verhältnis von Leib und Seele, der Geist, in ganz neuem, absolut-kritischem Sinne entscheidend für den Begriff dieses Verhältnisses geworden ist. Die Sphäre des Bewußtseins als des erst erscheinenden, noch nicht für sich gewordenen Geistes kennzeichnet Hegel als die eigentliche Sphäre der KANxischen Philosophie, indem sie „Ich als Beziehung auf ein Jenseitsliegendes, das in seiner abstrakten Bestimmung das Ding-an-sich heißt", betrachte (§ 415). So bleibt diese Sphäre des abstrakten, noch nicht mit seinem Gegensätze als mit sich selbst vermittelten Ich die Sphäre der Zerrissenheit, die wir aber auch als den Boden der bedeutendsten heutigen Lehren von den Aspekten der Leiblichkeit (PLESSNER, SARTRE) betrachten müssen. Da aber im Sinne Hegels dieses abstrakte Ich die noch naturgebundene Seele als seine Voraussetzung und den Geist als seine Wahrheit hat, ist die Zerrissenheit hier nichts Letztgültiges, sondern nur ein, wenn auch wesentliches Moment zwischen unmittelbarer und vermittelter Versöhnung.

Die natürliche Seele Gehen wir nun auf die Sphäre des unmittelbaren Geistes, der Seele als des Naturgeistes (§ 387) näher ein, so sehen wir, daß hier das Moment 1 Aus der Enzyklopädie wird im folgenden stets mit bloßer Angabe der Paragraphen zitiert nach G. fV. F. Hegel's Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Hrsg. v. G. J. P. J. Boiland. Leiden 1906.

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der Leiblichkeit als der Natürlichkeit ganz im Zentrum steht. /,Wir müssen", so sagt Hegel, „von dem noch in der Natur befangenen, auf seine Leiblichkeit bezogenen, noch nicht bei sich selbst seienden, noch nicht freien [d. h. vom „noch außer-sich-seienden"] Geiste anfangen" (ebd. Zus.), der aber als Seele noch erst „die allgemeine Immaterialität der Natur", nur erst „der Schlaf des Geistes" ist (§ 389). Auch in der Entwicklung dieses Naturgeistes sind dann aber drei Stufen zu unterscheiden: aus dem unmittelbaren „Ergossensein" der nur erst „seienden" Seele in ihrer Leiblichkeit kehrt sie als „fühlende" Seele in sich und damit in einen ersten Kampf, eine erste Zerfallenheit mit dieser Leiblichkeit ein, um schließlich als „wirkliche" Seele den „Sieg ... über ihre Leiblichkeit" zu erringen, indem diese „zu einem Zeichen, zur Darstellung der Seele" herabgesetzt wird: „So tritt die Idealität der Seele in ihrer Leiblichkeit hervor, wird diese Realität des Geistes auf eine, selbst aber noch leibliche Weise ideell gesetzt" (§ 387 Zus.). In § 390 wird die „unmittelbare Naturbestimmtheit" der Seele eigentlich erst auf dieser dritten Stufe als „Leiblichkeit" bezeichnet, indem erst hier diese Bestimmtheit als solche „in sie eingebildet" ist. Auf jener ersten Stufe aber „sehen wir die Seele in dem Durchträumen und Ahnen ihres konkreten Naturlebens befangen. Um das Wunderbare dieser in neuerer Zeit allgemein beachteten Seelenphase zu begreifen, müssen wir festhalten, daß die Seele hier noch in unmittelbarer, unterschiedsloser Einheit mit ihrer Objektivität sich befindet" (§ 402 Zus.). Hier wäre am ehesten noch von einer „Weltseele" zu sprechen, in der auch etwa das sogenannte „kollektive Unbewußte" im Sinne JUNGS zur Geltung käme; aber Hegel erklärt ausdrücklich, daß diese „allgemeine Seele" „nicht als Weltseele gleichsam als ein Subjekt fixiert werden" müsse, da sie als bloß allgemeine Substanz „ihre wirkliche Wahrheit nur als Einzelnheit, Subjektivität hat" (§ 391). Als eine solche „individuell bestimmte Weltseele" darf sie dann wohl als „Seele einer Welt" bezeichnet werden, indem sie sich „zu einem nach ihrem individuellen Standpunkt bestimmten Universum" verhält (§ 402 Zus.). Es handelt sich dabei nicht um ein Äußerliches, sondern um „die Totalität der Verhältnisse, in welchen die individuelle menschliche Seele sich befindet", die ihre „wirkliche Lebendigkeit und Subjektivität" ausmadit und mit der sie ebenso fest verwachsen sei, „wie mit dem Baume die Blätter". Denn „auch den stärksten Naturen ist zu ihrem konkreten Selbstgefühl ein gewisser Umfang äußerer Verhältnisse, so zu sagen ein hinreichendes Stück Universum notwendig" (ebd.). Allerdings kann die Seele bei dieser unmittelbaren Verwurzelung nicht stehen bleiben, sondern ihre Selbstverwirklichung impliziert den „Befreiungskampf, welchen die Seele gegen die Unmittelbarkeit ihres substantialen

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Inhalts durchzufechten hat, um ihrer selbst vollkommen mächtig und ihrem Begriff entsprechend zu werden", d. h. als freies, zunächst noch abstraktes Ich, als Bewußtsein, hervorzutreten (ebd.). Interessant ist nun die nähere Bestimmung und Ausführung dieser Stufe der Seele in ihrer noch naturbedingten Unmittelbarkeit. Hier ist die Seele als der „Mikrokosmos" zu bezeichnen, in welchem der „Makrokosmos der gesamten Natur... sich zusammendrängt und dadurch sein Aussereinandersein aufhebt" (§ 391 Zus.). Auf diese Weise lebt sie „das allgemeine planetarische Leben mit, den Unterschied der Klimate, den Wechsel der Jahreszeiten, der Tageszeiten u. dgl." (§ 392). Hier ist aber der „Aberglauben der Völker" ebensosehr abzuweisen, wie etwa die Lehren der Astrologie, die einer Stufe geringerer Freiheit im Siime von größerer Naturgebundenheit entsprechen. Zwar sind alle diese natürlichen Gestalten und Ereignisse nicht ohne Einfluß auf den Menschen, doch werden sie „in der Seele zu blossen Qualitäten herabgesetzt" (§ 391 Zus.). Schon „der animalische Körper gelangt zu noch größerer Selbständigkeit als das bloß physikalisch Individuelle: er hat einen von der Bewegung der Planeten ganz unabhängigen Verlauf seiner Entwicklung, ein nicht von ihnen bestimmtes Maß der Lebensdauer" (§ 392 Zus.). Rein naturbedingt ist nach dieser Sphäre des allgemeinen Naturlebens der Seele auch ihre Besonderung in der geographisch bedingten „Rassenverschiedenheit", die den „Gliederungen des Erdindividuums" entspricht und sich weiter zu den „Lokalgeistern" vertieft und differenziert, die in den Charakteren, Lebensarten und Begabungsdispositionen der einzelnen Völker zum Ausdruck kommen (§§ 393, 394). Es ist wichtig zu bemerken, daß Hegel diese Momente ebensosehr beachtet und teilweise ausführlich erörtert, wie er sie andererseits zu naturbedingten Voraussetzungen des freien Geistes herabsetzt. Das gilt auch für die Seiten der Naturbestimmtheit der Seele in ihrer Einzelheit als individuelles Subjekt, wie etwa die Unterschiede des Naturells, des Temperaments, des Charakters und der Physiognomie, die er als „die Sphäre des Zufälligen" bezeichnet (§ 395 u. Zus.). Nach diesen mehr statischen Momenten der Naturseele werden ihre dynamischen Seiten als „Entwicklungsmomente" erfaßt; zunächst als der „natürliche Verlauf der Lebensalter" in einem eiirzigen Subjekte (§ 396); dann im „Geschlechtsverhältnis", in welchem der „Gegensatz des Individuums gegen sich selbst" sich realisiert, indem „es sich in einem anderen Individuum sucht und findet" (§ 397); schließlich im Verhältnisse von Schlafen und Wachen, in welchem „das Erwachen der Seele", zunächst selber noch ganz „als Naturbestimmtheit und Zustand", „ihrem in sich

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verschlossenen Naturleben" ebenfalls als „einem Zustande, dem Schlaf", gegenübertritt. Diese drei dynamischen Verhältnisse werden von Hegel in einen gekünstelt anmutenden dialektischen Zusammenhang gebracht, der uns hier nicht weiter interessieren kann. Während wir zu den anderen beiden Verhältnissen in „Zusätzen" komponierte ausführliche Erörterungen vorfinden, bleibt dagegen das Geschlechtsverhältnis, das doch sonst als Gattungsprozeß von entscheidender systematischer Bedeutung ist, ohne weiteren Kommentar. Ganz im Gegensatz auch zu der beispielhaften Bedeutung der individuellen Geschlechtsliebe in den Jugendfragmenten, ist sie hier wie in der Rechtsphilosophie nur das Moment abstrakter natürlicher Empfindung, das „erst in der Familie seine geistige und sittliche Bedeutung und Bestimmung" erlangt (§ 397). Mit dem Auftreten der Empfindung aber treten wir nun erst in den für uns interessanten Bereich des Verhältnisses von Leib und Seele ein. Hegel erfaßt sie zunächst als „das Affirmative" des Verhältnisses von Schlafen und Wachen, d. h. als das aufhebende und bewahrende Moment dieser nur in schlechter Lfnendlichkeit alternierenden Gegensätzlichkeit. In ihrem Erwachen findet die Seele die „Inhaltsbestimmungen ihrer schlafenden Natur, welche als in ihrer Substanz an sich in derselben sind, in sich selbst und zwar für sich". „Indem die Seele empfindet, hat sie es mit einer unmittelbaren, seienden, noch nicht durch sie hervorgebrachten, sondern von ihr nur Vorgefundenen, innerlich oder äußerlich gegebenen, also von ihr nur abhängenden Bestimmung zu tun; zugleich ist aber diese Bestimmung in die Allgemeinheit der Seele versenkt, wird dadurch in ihrer Unmittelbarkeit negiert, somit ideell gesetzt" (§ 399 u. Zus.).

Entscheidend ist, daß das bloße „Urteil" der Seele im alternierenden Wechsel von Schlafen und Wachen, von „nur seiender" und „für-sichseiender" Seele, sich in und als Empfindung zu einem „Schluß" aufhebt. Das wahre Erwachen ist empfindendes Erwachen, in welchem die Seele ihr Für-sich-Sein als gegebenes, seiendes Moment findet und bejaht (§§ 398, 399 Zus.). Dennoch aber ist die Empfindung erst „die Form des dumpfen Webens des Geistes in seiner bewußt- und verstandlosen Individualität, in der alle Bestimmtheit noch unmittelbar ist" (§ 400). So ist zwar „alles in der Empfindung", erreicht aber in deren Veränderlichkeit und Flüchtigkeit noch keinen bleibenden substantialen Gehalt, wie denn diese Form noch eine der tierischen und der menschlichen Seele gemeinsame ist (ebd. Zus.). In einem gerade in Bezug auf die Lehre von der Empfindung sehr interessanten, kürzlich von F. NICOLIN veröffentlichten Fragment zur Anthropologie sagt Hegel allerdings ausdrücklich: „Die Empfindung, weil sie leiblich ist, ist insofern animalisch. Aber ein anderes ist die Animalität des

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Tieres, welches nicht Mensch ist, und ein anderes die Animalität des Menschen. Die anthropologische Betrachtung kann deswegen nicht bei der Animalität des Empfindens stehen bleiben, sondern hat dasselbe als Empfinden der Seele zu fassen, und deswegen als zweiseitig zu erkennen. Nämlich es ist vorhin zwischen der bestimmtseienden Seele vmd zwischen der Seele als allgemeiner, für welche jene ist, unterschieden worden. In der Seele tritt diese Unterscheidung erst in dem Empfinden ein, und sie ist es, welche zugleich schon in dieser Sphäre die Seele des Tieres von der geistigen unterscheidet."® So wächst diese geistige Seele mit innerer Notwendigkeit über die Unmittelbarkeit der Empfindung hinaus, die Hegel im gleichen Fragment als den Widerspruch „der Reflexion der Seele in sich und der Äußerlichkeit derselben" bezeichnet*. Für uns, die Beobachtenden, ist in dieser Sphäre der Unmittelbarkeit denn auch schon ein in sich differentes Wechselspiel von Leiblichkeit und Seele gegeben, das auf dieser Stufe als solches noch nicht für die Seele ist. Sind die äußeren Empfindungen zunächst Bestimmungen der Leiblichkeit als Organaffektionen, um dann „im Fürsichsein der Seele innerlich gemacht, erinnert" zu werden, so müssen dagegen die dem Inneren des Geistes entspringenden Empfindungen, „um als gefundene zu sein, um empfunden zu werden, verleiblicht werden", was sich jeweils in einem „besonderen Systeme oder Organe des Leibes" vollzieht (§ 401). Dieses Sich-Verinnerlichen der äußeren Empfindungen bezeichnet Hegel auch als ein Sich-Symbolisieren, während das Sich-Verleiblichen der inneren Empfindungen ein Sich-Entäußern ist, wobei zunächst die im Gegensatz zu den willkürlichen — etwa den Gebärden stehenden unwillkürlichen Verleiblichungen gemeint sind (ebd. Zus.). Ist „das Empfinden überhaupt" „das gesunde Miterleben des individuellen Geistes in seiner Leiblichkeit", so ist diese Verleiblichung der inneren Empfindungen das eigentlich Interessante, das würdig wäre „in einer eigentümlichen Wissenschaft, einer psychischen Physiologie, ausgeführt und abgehandelt zu werden". „Die Eingeweide und Organe werden in der Physiologie als Momente nur des animalischen Organismus betrachtet, aber sie bilden zugleich ein System der Verleiblichung des Geistigen und erhalten hierdurch noch eine ganz andere Deutung" (§ 401). Die große aktuelle Bedeutung der Erörterungen Hegels über diese „Verleiblichung ..., welche sich geistige Bestimmungen, insbesondere als Affekte, geben" (ebd.), wird jedem einleuchten, der etwa mit den heutigen Bemühungen

* Ein Hegelsdies Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet u. hrsg. v. F. Nicolin. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 9—48. Vgl. 40. 8 Ebd. 37.

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der psycho-somatischen Medizin vertraut ist. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, darf hier doch die eigentümliche Auffassung des Körpers als bestimmter und beschränkter Sphäre entäußemder Verleiblichung hervorgehoben werden: „Die Lebendigkeit dieses meines Körpers besteht darin, daß seine Materialität nicht für sich zu sein vermag, mir keinen Widerstand leisten kann, sondern mir unterworfen, von meiner Seele überall durchdrungen und für dieselbe ein Ideelles ist. Durch diese Natur meines Körpers wird die Verleiblichung meiner Empfindungen möglich und notwendig, - werden die Bewegungen meiner Seele unmittelbar zu Bewegungen meiner Körperlichkeit" (§ 401 Zus.). Bemerkt sei noch, daß Hegel auch die spätere Unterscheidung von seelischen und geistigen Empfindungen vorwegnahm, indem er die auf meine Einzelheit bezogenen Empfindungen (wie Zorn, Neid, Scham, Reue) von meinen auf das Allgemeine bezogenen Empfindungen (etwa für das Rechte, Schöne, Wahre) abhebt. Hegel betont noch, daß eine solche Entäußerung nicht nur eine Äußerung, ein „Äußerlichwerden" der inneren Empfindungen vollzieht, sondern zugleich ihr Abstossen, ihre „Wegschaffung" bewirken soll, wie er das insbesondere in Bezug auf das Lachen und Weinen beobachtet, in vollkommenerer Weise aber in der Verlautbarung der Stimme, die als artikulierte Sprache dann die höchste, weil geistige Äußerung und Entäußerung der innerlichen Empfindungen darstellt (ebd.). Auch Lachen und Weinen können sich zwar von Stufe zu Stufe immer mehr von der blossen Natürlichkeit befreien und vergeistigen, wie ersteres im Lächeln zu einer Gebärde wird, nicht aber bedeuten sie für Hegel so tiefgreifende personhafte Phänomene wie für PLESSNER"', der in Lachen und Weinen eine Kapitulation des Menschen als Leib-Seele-Einheit angesichts einer unbeantwortbaren Lage sieht, einen Verlust der Beherrschung im Ganzen, die der Mensch als Person jedoch kraft seiner exzentrischen Position seinem Leibe gegenüber zugleich auffängt, indem er sich ihr gegenüber erhält. Diese ichbedingte exzentrische Positionalität entspricht aber erst der Stufe des Bewußtseiens, des Ich im Sinne Hegels und geht damit, wie wir sehen werden, über das unmittelbare Verhältnis von Seele und Leiblichkeit hinaus.

Die fühlende Seele Zunächst sind wir jedoch mit der erfahrenen inneren Einheit der Empfindungen schon in die Sphäre der fühlenden Seele, die zweite Stufe des * H, Plessner: Lachen und Weinen. Arnhem 1941. 3. Aufl. Bern u. München 1961.

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unmittelbaren Geistes, eingetreten. Die Seele ist ja die in sich einkehrende, „in sich reflektierte" Totalität des Empfindens, oder das in sich Empfinden der „totalen Substantialität, die sie an sich ist" (§ 402). Als „nicht mehr bloß natürliche, sondern innerliche Individualität" kommt in der fühlenden Seele die Innigkeit, das Bei-sich-selbst-, das Für-sich-sein des Geistes als anfängliches Selbstgefühl nunmehr zutage, womit eine entschiedene Distanz zur tierischen Wirklichkeit auftritt. Hegel spricht von der „einfachen Idealität, Subjektivität des Empfindens", in welcher die realen, einzelnen Inhalte zugleich aufgehoben und aufbewahrt sind, wie „in einem bestimmungslosen Schacht", „ohne zu existieren". So wie die Empfindung sich in der Verleiblichung als die Idealität des Körpers bewährte, so ist in dieser innerlichen „Einfachheit der Seele" nunmehr auch die Gestalt der Empfindung und mit ihr die ganze Leiblichkeit aufgehoben, zu einem Innerlichen gemacht worden: „So wenig die Maniügfaltigkeit der vielen Vorstellungen ein Aussereinander und reale Vielheit in dem Ich begründet, so wenig hat das reale Auseinander der Leiblichkeit eine Wahrheit für die fühlende Seele" (§ 403). Hier finden wir das Phänomen der Selbstaufhebung und Selbstdurchdringung der Leiblichkeit, was unter den heutigen Denkern SARTRE als den „Leib als Für-sich-Sein", den gelebten, existierten Leib, PLESSNER und MERLEAU-PONTY als den gehabten Leib bezeichnen. Auch für Hegel ist „diese Einfachheit der Seele zunächst als fühlende, in der die Leiblichkeit enthalten ist, gegen die Vorstellung dieser Leiblichkeit als einer außer der Seele seienden Materialität festzuhalten" (ebd.). Der Inhalt dieser Vorstellung ist „der Leib-für-den-Anderen" als die zweite Dimension der Leiblichkeit im Sinne SARTRES, oder der Körper, der ich als Seiendes unter Seiendem nur bin, im Sinne PLESSNERS.® Die Dualität, die damit auf erster Stufe im Sinne Hegels sich einstellt, liegt schon im Wesen der fühlenden Seele als einer einfachen Idealität ihrer Bestimmungen. Denn als eine solche Individualität ist sie „ausschließend überhaupt und den Unterschied in sich setzend" (§ 404), d. h. ihre reine Innerlichkeit hebt sich von ihrer „Substanz", dem mannigfachen „Inhalt der von Empfindung erfüllten individuellen Seele" ab, indem sie diese von sich ausschließt, zugleich aber als „ihre besondere Welt" in sich einbehält, indem sie, wie Hegel es ausdrückt, „auf implizite Weise in der Idealität des Subjekts eingeschlossen ist" (ebd.). Es ist nicht schwer, hier das Phänomen wiederzuerkennen, das die heutige Seelenforschung in mannigfacher Weise 5 Vgl. hierzu J. van der Meuten; Heidegger und Hegel oder Widerstreit und Widerspruch. 2. Aufl. Meisenheim/Glan 1954. 154 f, 196 f.

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als das Bewußtsein in seinem Verhältnis zum sogenannten Unbewußten versteht. Bei Hegel kann allerdings von Bewußtsein im eigentlichen Sinne noch nicht gesprochen werden, denn es ist hier erst eine innere Differenz der Seele, die noch nicht in Beziehung zu einer Außenwelt gesetzt ist. Wir können die ganze auf diese Weise begründete Sphäre des Seelenlebens die der unbewußten oder nur erst „formalen" Intersubjektivität nennen. Die wahre Intersubjektivität ist ja die Sphäre des allgemeinen Selbstbewußtseins, das in seinem Wechselspiel mit dem Bewußtsein in der „Phänomenologie des Geistes" entfaltet wird. Da die fühlende Individualität noch erst passives Subjekt ist, kann sein eigentliches „Selbst" als ein anderes Subjekt auftreten, das entweder zum gleichen oder zu einem anderen Individuum gehört. Im allgemeinen spricht Hegel hier vom „Genius" des passiven Subjektes und von einem „magischen Verhältnis" der Seele (§ 405 u. Zus.). Bei der ersten Form dieses Verhältnisses kann noch nicht „von einem Verhältnis zweier selbständiger Persönlichkeiten zu einander die Rede sein", im Gegensatz zur zweiten Form, die Hegel als den „magnetischen Somnambulismus" (§ 406) bezeichnet. Das natürliche Träumen, das Leben des Kindes im Mutterleib und „das Verhalten unseres bewußten Lebens zu unserem geheimen inneren Leben" werden als der dreifache Inhalt jener ersten Form bezeichnet. Es fällt dabei auf, daß hier ein Verhältnis, das wir als ein rein physiologisches ansehen würden, mit psychologischen Phänomenen in einen Zusammenhang gebracht wird. Doch geht es auch dabei um ein seelisches Geschehen, um die „ungetrennte Seeleneinheit" von Mutter und Kind, da „das Selbst des Kindes dem Selbste der Mutter noch gar keinen Widerstand entgegenzusetzen vermag, sondern dem unmittelbaren Einwirken der Seele der Mutter völlig geöffnet ist" (§ 405 Zus.), so daß Hegel meint, daß die „inneren Affektionen der Mutter" sich in pathologischen Veränderungen des Foetus verleiblichen können. Interessant im Sinne der heutigen Tiefenpsychologie ist es, daß hier nun das Träumen und das Unbewußte, der „Genius" im engeren Sinne, in einem tiefen Zusammenhang stehen. Im Zustande des Träumens werde die menschliche Seele „nicht bloß von vereinzelten Affektionen erfüllt, sondern sie gelange „zu einem tiefen, mächtigen Gefühle ihrer ganzen individuellen Natur des gesamten Umkreises ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" und zwar „mehr, als in den Zerstreuungen der wachen Seele gewöhnlich der Fall ist" (ebd.). So wäre es nur ein Schritt gewesen zu der Feststellung, daß der Inhalt eines solchen Geschehens der Ausdruck des inneren Genius des Menschen sein müsse. Das sagt Hegel zwar nicht ausdrücklich, wohl aber spricht er auf seine Weise grundlegende Einsichten

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der Tiefenpsychologie aus, wenn er sagt, daß „selbst das wache verständige, in allgemeinen Bestimmungen sich bewegende, Bewußtsein" von seinem Genius „auf eine so übermächtige Weise bestimmt" werde, „daß dabei das Individuum in einem Verhältnis der Unselbständigkeit erscheint, welches mit der Abhängigkeit des Foetus von der Seele der Mutter oder mit der passiven Art verglichen werden kann, wie im Träumen die Seele zur Vorstellung ihrer individuellen Welt gelangt" (ebd.). Ebenso wie das, was man heute das Unbewußte nennt, ist daher der Genius „einerseits ein selbstisches Anderes gegen das Individuum", um andererseits mit ihm „eine ebenso untrennbare Einheit" zu bilden, „wie die Seele mit der Welt ihrer Träume". Mag auch die Formulierung des Zusammenhanges, wie so oft in der Enzyklopädie, nur in formal-dialektischer Weise geschehen, so sind doch die genialen, wenn auch nicht ohne Zusammenhang mit den Intuitionen romantischen Denkens entstandenen, Einsichten Hegels wiederum anzuerkennen. Der magnetische Somnambulismus als zweite Form des magischen Seelenverhältnisses umfaßt sowohl die parapsychologischen Phänomene als auch die Hypnose, „ein Zustand der Passivität. .. wie der des Kindes im Mutterleibe" (§ 406). Interessant ist die Bemerkung Hegels, „daß der Somnambule [das Subjekt der Hypnose] auf diese Weise in ein Verhältnis zu zwei Genien und zweifachem Inhalt zu stehen kommt, zu seinem eigenen und zu dem des Magnetiseurs" (ebd.). Wichtig ist die begreifende Erfassung parapsychologisdrer Phänomene, wie Hellsehen etc.: „Die Seele ist das Allesdurchdringende, nicht bloß in einem besonderen Individuum Existierende", so daß „die Welt noch nicht von mir abgetrennt, noch nicht als ein Äußerliches gesetzt" worden ist. So gehört denn auch der Raum „lüdht der Seele, sondern der äußerlichen Natur an und indem das Äußerliche von der Seele erfaßt wird, hört dasselbe auf, räumlich zu sein, da es, durch die Idealität der Seele verwandelt, weder sich selber noch uns äußerlich bleibt". So ist das Subjekt dann nicht mehr an den Raum gebunden, was aber ebensosehr von der Zeit gilt. Allerdings kann in dieser Hinsicht „im Magnetischen Zustande bloß eine bedingte Erhebung über das Wissen des unmittelbar Gegenwärtigen erfolgen", da nur der denkende Geist die Erhebung zum Ewigen als dem „absolut Gegenwärtigen" zu vollziehen vermag. Aber „der Hellsehende ist in einem konzentrierten Zustande und schaut dies sein eingehülltes, prägnantes, Leben auf konzentrierte Weise an. In der Bestimmtheit dieses Konzentrierten sind auch die Bestimmungen des Raumes und der Zeit. . . enthalten" (ebd.). Es scheint uns das unbestreitbare Verdienst Hegels zu sein, daß er hiermit die Problematik von Raum und Zeit als den Schlüssel

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des Verständnisses audi der parapsychologischen Phänomene aufweist, eine Problematik, die ausschließlich der integrale Idealismus zu lösen vermag. Das gleiche gilt aber für die Hypnose. Ganz sachgerecht unterscheidet Hegel verschiedene Stadien des „schauenden Wissens" von eigenem oder anderem Subjekt, je nach der „Innigkeit und Stärke" der Durchdringung dieses Verhältnisses. Ganz richtig werden auch Suggestion und Hypnotismus als „der eigentliche animalische Magnetismus" in diesen Zusammenhang eingefügt und dem Begriffe vindiziert. Hier vollzieht sich „das Versinken der magnetischen Person in den Zustand ihres eingehüllten, unterschiedslosen Naturlebens", welches zur Vorbedingung „das Selbständigwerden der empfindenden Seele, die Trennung derselben von dem vermittelten, verständigen Bewußtsein" hat (ebd.). Das Gleiche gilt in erhöhtem Maße für die Sphäre der Geisteskrankheit, die Hegel ganz mit Recht als ein wesentliches Moment des Begriffes der Seele überhaupt erfaßt. Das bedeutet freilich keineswegs, daß jede individuelle Seele auch eine Geisteskrankheit durchzumachen hätte, um zur geistigen Freiheit zu erwachen; wohl jedoch, daß diese Grenzzustände notwendig zum integralen Begriffe der Seele in ihrem negativen Momente gehören. Fanden wir in den oben erwähnten Zuständen eine anfängliche dynamische Einheit von Leib und Seele im Sinne eines flüssigen Umschlagens der Momente ineinander als Verleiblichung des Seelischen und unmittelbare Vergeistigung des Leiblichen, so bedeutet die Erkrankung dagegen eine Erstarrung dieses Prozesses. Gerade weil das Moment der Leiblichkeit „noch ungeschieden von der Geistigkeit ist", kann das Subjekt „in einer Besonderheit seines Selbstgefühls beharren" (§ 408). Besteht die leibliche Krankheit „in dem Festwerden eines Organes oder Systems gegen die allgemeine Harmonie des individuellen Lebens", die sich geradezu zu einem „wuchernden Gewächse" steigern kann, so erfolgt „im Seelenleben Krankheit", wenn „der Geist, indem er die Herrschaft über das zu ihm gehörige Seelenhafte verliert, seiner selbst nicht mächtig bleibt, sondern selber zur Form des Seelenhaften herabsinkt..." Das Seelenhafte trennt sich also vom Geiste, in einer „Seelenkrankheit", die mit leiblicher Krankheit nicht bloß zu vergleichen ist, „sondern mehr oder weniger mit derselben verknüpft [ist], weil bei dem Sichlosreißen des Seelenhaften vom Geiste, die dem letzteren sowohl als dem ersteren zur empirischen Existenz notwendige Leiblichkeit sich an diese zwei aussereinandertretenden Seiten verteilt, sonach selber zu etwas in sich Getrenntem, also Krankhaftem wird" (§ 406 Zus.). Die in diesem Satz ausgesprochene Einsicht Hegels scheint uns von grundlegender Bedeutung für das tieferdringende Verständnis sowohl der

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Neurosen als auch insbesondere der Psychosen, die Hegel in seinem Expose allerdings noch nicht klar zu unterscheiden vermag. Jedenfalls werden auch in dieser Hinsicht wichtige Einsichten der heutigen Psychopathologie, wenn auch in eigentümlich embryonal-begrifflicher Weise vorweggenommen. Die weiteren Ausführungen über die Geisteskrankheiten müssen wir uns hier schenken. Beachten wir den Stand der damaligen psychiatrischen Wissenschaft, so enthalten auch die diesbezüglichen Ausführungen Hegels sehr viele überraschende Einsichten von seinem Blickpunkte aus, die wir uns auf unsere Weise anzueignen hätten. Für den „Befreiungskampf", welchen die Seele in ihrer unmittelbaren Leiblichkeit zu führen hat, ist dieser Zustand der „Verrücktheit", der festgefahrenen Zerrissenheit, ein entscheidendes Durchgangsstadium. Er ist nach der zunächst betrachteten Phase der „uiunittelbaren, unterschiedslosen Einheit der Seele mit ihrer Objektivität", d. h. insbesondere mit ihrer Leiblichkeit, die zweite Stufe der Entwicklung der Seele, die dann auf ihrer dritten Stufe „über ihre Naturindividualität, über ihre Leiblichkeit Meister" wird, „diese zu einem ihr gehorchenden Mittel" herabsetzt (§ 402 Zus.). Die Notwendigkeit dieser Entwicklung aber liegt darin, „daß die Seele schon an sich der Widerspruch ist, ein Individuelles, Einzelnes, und doch zugleich mit der allgemeinen Naturseele, mit ihrer Substanz unmittelbar identisch zu sein" (§ 408 Zus.), wie denn der „endliche Geist" überhaupt als der „für sich existierende Widerspruch" (§ 247 Zus.) bezeichnet werden muß. Auf dieser tiefen Einsicht Hegels von der Diskrepanz des Einzelnen und des Allgemeinen könnte die im menschlichen Wesen liegende Notwendigkeit der Geisteskrankheiten eher begründet werden als auf mancher der heutigen nur zulänglich scheinenden Theorien der theoretischen Psychiatrie, wobei allerdings zu bedenken ist, daß die „Verrücktheit" wie das Verbrechen „Extreme" sind, „welche der Menschengeist überhaupt im Verlaufe seiner Entwicklung zu überwinden hat, die jedoch nicht in jedem Menschen als Extreme, sondern nur in der Gestalt von Beschränktheiten, Irrtümern, Torheiten und von nicht verbrecherischer Schuld erscheinen" (§ 408 Zus.). Bleibt in der Geisteskrankheit das, obgleich zum verständigen Bewußtsein gebildete Subjekt „in einer Besonderheit seines Selbstgefühls beharren", indem es in einer „partikularen Verleiblichung" gleichsam erstarrt (§ 408), so bildet dagegen die Gewohnheit den Übergang zur bereits angedeuteten Stufe der „wirklichen Seele", die ihre Leiblichkeit „durchgebildet" und „sich zu eigen gemacht" hat (§§ 409-411). Es ist vielleicht kennzeichnend für jede echte Gestalt philosophischer Forschung, daß dieses Phänomen als ein sehr wesentliches betrachtet wird, da es die Natur im Geiste oder die „zweite Natur" darstellt. Wir brauchen nur an die Bedeutung des

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Eöog (Gewohnheit) für das Aristotelische (Haltung) und in neuer Zeit etwa an die für ihr Denken so grundlegenden Werke von MAINE DE BIRAN und RAVAISSON De l'habitude zu erinnern, um dies bestätigt zu finden. „Die Gewohnheit", so sagt Hegel, „ist mit Recht eine zweite Natur genannt worden, - Natur, denn sie ist ein unmittelbares Sein der Seele, - eine zweite, denn sie ist eine von der Seele gesetzte Unmittelbarkeit, eine Ein- und Durchbildung der Leiblichkeit, die den Gefühlsbestimmungen als solchen und den Vorstellungsbestimmtheiten, als verleiblichten, zukommt" (§ 410). Zur Erreichung dieser „Ein- und Durchbildung" muß die Seele zunächst mit ihrer Verleiblichung in den Empfindungen, Begierden, Trieben, Leidenschaften und deren Befriedigung brechen, sich in ihrem „abstrakten Fürsichsein", in ihrer „für-sich-seienden Allgemeinheit" von dieser besonderen Leiblichkeit abheben, um sie als Ganze durchdringen und in sich aufheben zu können. Dann kann man von der „auf ihre reine Idealität zurückgesetzten Leiblichkeit" sprechen, das Resultat eines „Sicheinbildens des Besonderen oder Leiblichen der Gefühlsbestimmungen in das Sein der Seele", das sich in deren „Wiederholung" als „Übung" vollzieht (§ 410). Mit Recht hebt Hegel die Befreiung von der Unmittelbarkeit der Empfindungen hervor, die der Mensch durch die Gewohnheit gewinnt. Sie ist „der Mechanismus des Selbstgefühls, wie das Gedächtnis der Mechanismus der Intelligenz" (ebd.), dem Hegel in der „Psychologie" ebenfalls eine hervorragende Stelle einräumt. Die Form der Gewohnheit, „alle Arten und Stufen der Tätigkeit des Geistes" umfassend (ebd.), ist gleichsam der erste Ansatz zur „Bemächtigung der Leiblichkeit" und damit „die Bedingung des Freiwerdens der Seele" (ebd. Zus.). In diesem Zusammenhang würdigt Hegel noch einmal ausdrücklich die Bedeutung der Leiblichkeit und ihrer Bewältigung für den sich befreienden, für sich werdenden Geist: „Der Leib ist die Mitte, durch welche ich mit der Außenwelt überhaupt zusammenkomme." Aber „während bei den Tieren der Leib, ihrem Instinkte gehorchend, alles durch die Idee des Tieres Nötigwerdende unmittelbar vollbringt, hat dagegen der Mensch sich durch seine eigene Tätigkeit zum Herrn seines Leibes erst zu machen". Erst durch ständige Übung gelangt die Seele „zu einer stets wachsenden Fähigkeit der unmittelbaren Verleiblichung ihrer innerlichen Bestimmungen", wie etwa beim Schreiben, das so zum Instrument höherer Geistesäußerungen zu werden vermag.

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Die wirkliche Seele So wächst die Seele zur Stufe ihrer Wirklichkeit heran, auf der ihre Leiblichkeit zur durchgebildeten freien Gestalt, zum „Kunstwerk der Seele" in menschlichem, pathognomischem und physiognomischem Ausdruck wird (§ 411). Hier nun ist die Seele vollends über die „unwillkürliche" und damit auch „unfreiwillige Verleiblichung ihrer inneren Empfindungen", die sie noch mit dem Tiere verband, hinausgewachsen, bildet sie die „mit Freiheit geschehenden Verleiblichungen" in sich aus. So wird der Leib zum „Zeichen" der Seele und hebt „das geistdurchdrungene Ansehen seines Leibes" den Menschen so sehr vom rein körperlich doch verwandten Affen ab, „daß zwischen dessen Erscheinung und der eines Vogels eine geringere Verschiedenheit herrscht, als zwischen dem Leibe des Menschen und dem Affen" (ebd. Zus.). Neben diesem „über das Ganze ausgegossenen geistigen Ton" nennt Hegel als spezifisch menschliche Ausdruckserscheinungen „die Bildung der Hand", die er das „absolute Werkzeug", mit ARISTOTELES auch das „Werkzeug der Werkzeuge" nennt; die aufrechte Gestalt als die „absolute Gebärde" des Menschen; den ihm eigentümlichen Gang; die Bildung des Mundes, und - wie heute PLESSNER — Lachen und Weinen. Hegel weist aber auch darauf hin, daß freiwillige Verleiblichungen sowohl durch Gewohnheit imwillkürlich werden, als auch unwillkürliche Verleiblichungen „mit Bewußtsein und Freiheit" erfolgen können, wie etwa „die menschliche Stimme . . . zur Sprache wird" (ebd.). Auch hier herrscht schon ein Wechselverhältnis vor, wie wir das im allgemeinen in der heutigen Anthropologie als ein solches von Sein und Haben, Haben und Sein bezeichnet finden. Wir wiesen aber bereits darauf hin, daß für Hegel dieses Verhältnis sich eigentlich erst in der Sphäre des Bewußtseins realisiert, in der aber das Verhältnis von Leib und Seele sich aufhebt, transponiert. Zu diesem Übergang ist die Entwicklung der Seele gereift, indem sie die Leiblichkeit als die ihrige ganz zu ihrem Momente herabgesetzt hat: „Die Seele, die ihr Sein sich entgegengesetzt, es aufgehoben und als das ihrige bestimmt hat, hat die Bedeutung der Seele, der Unmittelbarkeit des Geistes, verloren" (§ 412). Dieser Reifungsprozeß fand gleichsam zweiseitig statt, indem die Seele einerseits „den zunächst leeren Raum ihrer Innerlichkeit" mit allgemeinem Gehalt erfüllt, andererseits aber die zunächst unmittelbare Leiblichkeit „zum Abbild ihrer Idealität, ihrer Freiheit umgestaltet hat". Dennoch aber ist diese gegenseitige Durchdringung von Leib und Seele keine „absolute", welche ihren Unterschied völlig aufheben könnte. Ein Teil des Leibes entzieht sich der Hineinbildung, bleibt „rein

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organisch", oder, wie die Heutigen sagen würden, nur körperlich, nur gegenständlich. Hier bricht dann aber auch der Riß der Wirklichkeit in Subjektivität und Objektivität auf; denn „indem die Seele zum Gefühl dieser Beschränktheit ihrer Macht gelangt, reflektiert sie sich in sich und wirft die Leiblichkeit als ein ihr Fremdes aus sich hinaus; durdr diese Reflexion-insich vollendet der Geist seine Befreiung von der Form des Seins, gibt er sich die Form des Wesens und wird zum Ich" (ebd. Zus.). Kommt in der Natur „das Allgemeine nur durch Vernichtung des einzelnen Daseins zur höchsten Betätigung seiner Macht", wie auf höchster Stufe in dem das Einzelexemplar opfernden Gattungsprozess des Lebens, so wird dagegen in diesem „höheren Erwachen der Seele zum Ich" das Allgemeine für das Allgemeine in freiem Selbstbezug. Das Ich ist daher „der durch die Naturseele schlagende und ihre Natürlichkeit verzehrende Blitz, im Ich wird daher die Idealität der Natürlichkeit, also das Wesen der Seele, fü» die Seele" (§ 412 Zus.).

Der Geist als Drittes zu Leib und Seele Als Ich ist nun der Keimpunkt des dritten, synthetischen Momentes neben Leib und Seele, des Geistes, aufgetreten. Allerdings nicht etwa als ein neu hinzukonunendes, sondern als die Wahrheit der Seele in ihrem Bezug zur Leiblichkeit. Als diese erste, abstrakte, noch ganz in der Reflexion befangene Stufe des Ich ist der Geist noch ganz endlicher Geist, indem er zunächst als Bewußtsein seine noch unverarbeitete Realität, oder, wie Hegel sagt, „die natürliche Totalität seiner Bestimmungen, als ein Objekt, eine ihm äußere Welt, von sich ausschließt und sich darauf bezieht" (§ 412). Das Ich entäußert sich seiner als Seele noch unbewältigten Leiblichkeit und bezieht sich auf sie als zunächst noch entfremdete Körperlichkeit, ist aber so erst abstraktes, wesensmäßiges Ich, das sich noch zum begriffsmäßigen Ich realisieren muß. Oder, der Geist als das wahre Dritte in der Dualität von Leib und Seele ist zunächst selber noch erst eine einseitige, somit nur erscheinende Form, die sich erst zu ihrer wahren, erfüllten Einheit entwickeln muß.

Kennzeichnend für manche der hervorragendsten neueren Theorien über Leib und Seele ist das Stehenbleiben bei dieser abstrakten, in sich noch haltlosen Stufe des Ich, das sich nicht zu einer wirklich konstitutiven, selbstmächtigen Sphäre zu realisieren vermag. Bei PLESSNER etwa wird die Exzentrizität dieses abstrakten Ich in der Lehre von der „exzentrischen Positionalität" des Menschen verdichtet und gewissermaßen verabsolutiert.

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Auch er unterscheidet „ein Dreifaches": „das Lebendige ist Körper [das Moment des Körper-Seins], im Körper (als Innenleben oder Seele) [das Moment des Leib-Habens] und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus es beides ist [das Moment des Ich]."® Scharf wird die niemals konstitutiv werdende Abstraktheit dieses Dritten formuliert: „Ihm [dem Menschen als Ich] ist der Umschlag vom Sein innerhalb des eigenen Leibes zum Sein außerhalb des Leibes ein unaufhebbarer Doppelaspekt der Existenz, ein wirklicher Bruch seiner Natur, er lebt diesseits und jenseits des Bruches, als Seele und als Körper und als die psychophysisch neutrale Einheit dieser Sphären. Die Einheit überdeckt jedoch nicht den Doppelaspekt, sie läßt ihn nicht aus sich hervorgehen, sie ist nicht das den Gegensatz versöhnende Dritte, das in die entgegengesetzten Sphären überleitet, sie bildet keine selbständige Sphäre. Sie ist der Bruch, der Hiatus, das leere Hindurch der Vermittlung, die für den Lebendigen selber dem absoluten Doppeldiarakter und Doppelaspekt von Körperleib und Seele gleichkommt, in der er ihn erlebt."’ Entscheidend ist in dieser Formulierung der neutrale Charakter jener Einheit, die also ein ne-utrum, ein Keins-vonbeiden sein soll, während sie im Sinne Hegels als Negation der Negation immer zugleich konstitutive Affirmation, Sowohl-als-auch, bedeutet. Sie ist kein konkretes Werden, sondern ein abstraktes Nichts, und von einem so strukturierten Wesen kann mit Recht gesagt werden, daß „seine Existenz wahrhaft auf Nichts gestellt" sei®. So bleibt dem Geiste nur die in der „Mitwelt" realisierte „Wirsphäre", die über eine formelle Intersubjektivität nicht hinauskommt, und geht ihm die eigentümlich-konstitutive Wirklichkeit des versöhnenden Dritten ab.® Auch im Sinne Hegels darf dieses versöhnende Dritte nun keineswegs als ein dogmatisch poniertes Faktum angenommen werden, da es immer ebensosehr ein Sowohl-als-auch wie ein Weder-noch impliziert, was nur als lebendige Entwicklung realisierbar ist. In der „Phänomenologie des Geistes", die der „Anthropologie" folgt, sehen wir das Ich als Bewußtsein und Selbstbewußtsein, in äußerem und in innerem Bezug, auf dem Wege zur Vernüttlung und Versöhnung dieser seiner Seiten, die auf höherer Stufe den Erscheinungsweisen Leib und Seele entsprechen. Insofern die Leiblichkeit von der Seele durchdrungen und aufgehoben worden ist, ist sie zu einem Moment des Ich als Selbstbewußtsein geworden; insofern sie „organisch" bleibt und der Seele Widerstand leistet, wird sie als Körper • H. Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Berlin 7 Ebd. 292. 8 Ebd. 293. » Vgl. ebd. 302 f.

1928. 293.

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zum Objekte entäußert und damit Inhalt des Bewußtseins. Im Gegensatz zur Sphäre der Anthropologie tritt die Leiblichkeit hier daher nicht mehr unmittelbar, sondern nur indirekt, als Moment eines Verhältnisses in Erscheinung, so etwa in eigentümlicher Weise in der entscheidenden Phase des Kampfes zweier Selbstbewußtsein. In diesem Kampf können Anerkennung und Freiheit nur errungen werden, insofern das Selbstbewußtsein sich dem Tode ausliefert und damit seine unmittelbare Natürlichkeit aufs Spiel setzt. Sind die Menschen in ihrer Unmittelbarkeit und Natürlichkeit befangen, so schließt diese sie von einander aus, während sie einander nur in der Freiheit dieses Wagnisses wiederfinden, in der „Freiheit des Einen im Anderen" erst „auf innerliche Weise" vereinigt werden. Ich kann „nicht als Unmittelbares anerkannt werden, sondern nur insofern ich an mir selbst die Unmittelbarkeit aufhebe und dadurch meiner Freiheit Dasein gebe. Aber diese Unmittelbarkeit ist zugleich die Leiblichkeit des Selbstbewußtseins, in welcher es, als in seinem Zeichen und Werkzeug, sein eigenes Selbstgefühl sowie sein Sein für Andere, und seine es mit ihnen vermittelnde Beziehung hat" (§ 431, Vgl. Zus.). Einen analogen Prozess von unmittelbarer und aufgehobener Leiblichkeit hat Hegel in den Jugendfragmenten auch anhand der wahren Liebe geschildert, in der das Moment der Reflexion von Äußerlichkeit und Innerlichkeit, Leib und Seele ebensosehr zur Geltung kommt, wie es andererseits im Läuterungsprozess der Liebe zutiefst überwunden wird.*“ Dieser Läuterungsprozess wird in der Spannung von Bewußtsein und Selbstbewußtsein in der „Phänomenologie des Geistes" entfaltet, die es im Rahmen der Enzyklopädie allerdings nur zur abstrakten Vernunft (§ 437) als versöhnender Mitte bringt, die Realisierung der Vernunft der „Psychologie" und den Lehren vom „objektiven" und „absoluten" Geiste überlassen muß. Im ursprünglichen Werke jenes Namens wurde dieser Läuterungsprozess allerdings in einem universalen Sinne entwickelt, welcher diese Stufen in dem Ringen von Bewußtsein und Selbstbewußtsein, aufgrund der Thematik von Gewißheit und Wahrheit, mit aufnimmt, einer Thematik, die jedoch nichts anderes ist als eine abgeklärte und begrifflich durchdrungene Gestalt der von den Heutigen sosehr in den Vordergrund getragenen Dialektik von Sein und Haben. Beide Begriffe kommen in der Phänomenologie zwar nur an einer, wenn auch entscheidenden Stelle vor, und zwar beim Übergang der „Vernunft" zum daseienden „Geist", wenn erstere als das Bewußtsein bezeichnet wird, das Vernunft hat, während der 1® Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. v. H. Nohl. Tübingen 1907. 378 ff. Vgl. hierzu J. van der Meulen: Hegel. Die gebrochene Mitte. Hamburg 1958. 151 f.

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Geist diese gehabte Vernunft ebensosehr als in ihm wirklich und als seine Welt ist, womit das Bewußtsein zu seiner unmittelbaren Wahrheit kommt”; aber die ganze grundlegende Dialektik von Gewißheit und Wahrheit könnte in eine solche von Haben und Sein übersetzt werden. In der heutigen philosophischen Anthropologie wird diese Thematik allerdings vorwiegend in Bezug auf das Problem der Leiblichkeit entfaltet, das sich nicht auf die Stufe der Unmittelbarkeit beschränkt, sondern die Integralität des Phänomens Mensch durchzieht. Es entsprach wohl einer geschichtlichen Notwendigkeit, daß die Leib-Seele-Prpblematik wieder zentral gestellt wurde, wenn auch in einem ganz anderen Sinne als in der alten dogmatisch-ontologischen Fragestellung, und zwar - ob bewußt oder nicht - in einer durch die KANxische Kritik und die Hegelsche Kritik der Kritik hindurchgegangenen Weise. In scharfsinnigen, Moralistik und Ideologie verneinenden Analysen rückt man dem Menschen auf den Leib vermittels Beobachtungen und Erfahrungen, die fruchtbar bleiben, solange sie sich als solche geben, aber sich selbst zerstören, sobald eine hintergründige Dogmatik sich auswirkt, indem sie nolens volens zur Metaphysik werden. Gilt das schon für die neutralistische Mitte der exzentrischen Positionalität PLESSNERs, so erst recht für die abstrakte Nichtigkeit und Unmöglichkeit einer versöhnenden Mitte im dogmatischen Dualismus von etre-en-soi und poursoi bei SARTRE. Hier muß jeder Läuterungsprozeß des Geistes in einer grenzenlosen und pathologischen Reflexion am Ende versanden, so daß auch erfüllte Liebe unmöglich wird und man den Menschen schließlich nur als „nutzlose Leidenschaft" im Streben nach eben jener als unmöglich dekretierten Versöhnung übrig behält. Daß SARTRE durch diesen metaphysischen Dogmatismus sich auch bei der sonst fruchtbaren Entfaltung von Phänomenen selbst im Wege steht, zeigt sich ganz deutlich dort, wo er die Dreidimensionalität der Leiblichkeit in die Grenzenlosigkeit einer selbstzerstörerischen Reflexion ebenso notwendig versanden lassen muß, wie sonstige Phänomene der Menschlichkeit. Ist der gelebte Leib, den ich existiere, die erste Dimension, und er als Körper im Sein-für-andere die zweite, so bringt die dritte als der Leib, den ich als vom Anderen erkannt selber existiere, keineswegs eine Versöhnung in und mit der Leiblichkeit zustande, sondern gerade den schlecht-unendlichen, grenzenlosen Prozeß von Selbstbehauptung und Selbstverlust, wie die scharfen Analysen des „Blickes" (le regard) sowie die grenzenlose Selbstzerstörung der Liebe zeigen. Dagegen muß das für eine jede Ergründung der menschlichen Leibn Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister. 6. Aufl. Hamburg 1952. (Phil. Bibi. Bd 114.) 315.

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lidikeit entscheidende Phänomen der unendlichen Selbsterfassung des Leibes, wie es sich im Spiele und in der Selbstdarstellung der Kunst offenbart, durchaus abgewertet werden. SARTRE widmet dem nur wenige Zeilen, die in der Behauptung gipfeln, daß diese Selbsterfassung des Leibes nur eine „pure, absolut zufällige Tatsachengegebenheit" sei. Das Dogma dekretiert es so, und also muß es so sein, denn wie könnten an irgendeiner Stelle der Wirklichkeit An-sich-sein vmd Für-sich-sein sich vereinigen, wenn nicht das ganze trügerisch-dogmatische Gebäude in sich zusammensinken soll?'^ So bleibt an der Stelle des verneinten Läuterungsprozesses des Geistes in seiner asketischen Aufhebung der unmittelbaren Leiblichkeit, wie ihn Hegel erfaßt, nur die kümmerliche Wirsphäre des Mitseins, der formalen Intersubjektivität, übrig, wird der Mensch, wenn aucii in negativem Bezug, in seiner Leiblichkeit festgenagelt, es sei denn, der Denker sucht, wie etwa G. MARCEL, seinen letzten Orientierungspunkt nicht in der Philosophie, sondern in der Religion.*® Ebenso wie das Ethos spielt auch die zweite Natur, die Gewohnheit, eine geringe Rolle. Gaiiz anders als bei den idealistischen Denkern, insbesondere Hegel, welche die Natur als die Entäußerung des Geistes im Sinne seiner Voraussetzung nehmen und somit auch die Naturseele als unmittelbaren Geist anerkennen, erscheint bei SARTRE der Mensch in der verzweifelten Einsamkeit einer abstrakten „Freiheit" als Lodr im Sein, als „das Sein, durch welches das Niditsein zur Welt kommt".*■* Die dem Menschen notwendige Geborgenheit der Gewohnheit und des Ethos wäre so eher als eine Verführung des opaquen, jener abstrakten Freiheit feindlichen Seins der Natur zu betrachten denn als heilsame zweite Natur im Geiste, von der Hegel mit Recht sagt, sie sei die Voraussetzung für das Erwachen des Ich. Bei einem Denker wie PLESSNER wird der Mensch zwar in einem notwendigen Zusanunenhang mit den Stufen der organischen Natur bestimmt und seine exzentrisdie Positionalität als Überformung der zentrischen des Tieres angesehen, aber diese Zentralität wird in ihm auf höherer Stufe nicht lebendig, da er über seine konstitutive Gebrochenheit als Körperleib im Körperleib, von Sein im Körper als gehabtem, bewohntem und beherrschtem Leib und Sein als Körper, draußen, im Raum der körperlichen Dinge, von Mittelpunktsituation und Peripheriesituation, grundsätzlich nicht hinauskoirunen kann und darf. ‘2 7. P. Sartre: L'Etre et le Neant. Paris 1943 u. ö. - Das deutsche Zitat nach Sartre: Der Leib. Ein Kapitel aus ,Das Sein und das Nichts'. Übers, v. H. u. A. Wagner. Stuttgart 1956. (Beiträge zur Sexualforschung. 9.) 65. G. Marcel: £tre et Avoir. Paris 1935. Ebd. 52 f, 60.

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solange er Mensch ist und sein will.^® Ist das Dritte nicht die in Selbstläuterung emporwachsende versöhnende Mitte des Geistes als wahres Wesenszentrum, sondern nur „der Bruch, der Hiatus, das leere Hindurch der Vermittlung" beider Momente, so kann das Gleichgewicht menschlichen Seins sich nur in einem unaufhebbaren Umschlagen von Sein in Haben, von Haben in Sein vollziehen^®, das sich an sich schon im Tiere abspielt, ohne aber als solches für es zu sein'’. Entscheidend ist hierbei, daß diese beiden Momente trotz dieses Umschlages und trotz ihrer gegenseitigen „Verschränkung"'® als absolute Bezugspunkte ebenso dogmatisch außereinandergehalten werden, wie An-sich-sein und Für-sich-sein im Sinne SARTRES. Dagegen ist es der Sinn der Hegelschen Analysen von Leib und Seele, daß Ansichsein ebensosehr Fürsichsein, Fürsichsein ebenso Ansichsein ist und jedes Moment, wie Haben und Sein, in sich das andere enthielte und in dieses verschwände. Auch anhand der Analysen PLESSNERS und SARTRES ließe sich dieser, ihren impliziten Dogmatismus zerstörende Vorgang unbestreitbar nachweisen, wonach ihre wesentliche Fruchtbarkeit erst recht hervortreten würde. Kommt die durch die Vordertür ausgewiesene Metaphysik durch die Hintertür wieder herein, so lassen sich die unbewältigten Reste ihrer dogmatischen Stufen eben nur durch radikalere Metaphysik wieder überwinden. In diesem Zusammenhang ist es übrigens interessant, daß diese Denker der Leiblichkeit jeder für sich etwas anderes meinen, wenn sie von „Haben" oder „Sein" sprechen. Das wird von MEREEAU-PONTY in einem bestimmten Fall vorzüglich formuliert, wenn er in einer Anmerkung sagt: „Diese Unterscheidung von Haben und Sein fällt nicht mit der von G. MARCEL . .. zusammen, obwohl sie diese nicht ausschließt. MARCEL nimmt Haben im schwachen Sinne, den es hat, wenn es eine Eigenschaftsrelation bezeichnet (ich habe ein Haus, ich habe einen Hut) und nimmt im allgemeinen Sein im existentiellen Sinne von Sein-in oder Innesein (ich bin mein Körper, ich bin mein Leben). Wir ziehen es vor, den Sprachgebrauch zu berücksichtigen, der dem Terminus Sein den schwächeren Sinn von Sein als Sache oder der Prädikation gibt (der Tisch ist oder er ist groß) und mit dem Wort Haben die Beziehung des Subjektes zum Zweck, in welchen es sich projiziert, bezeichnet (ich habe eine Idee, ich habe Neid, ich habe

>5 Vgl. H. Plessner: Die Stufen des Organischen. 293 f; Lachen und Weinen. 3. Aufl. 1961. 42 ff, 198 ff. Lachen und Weinen. 199. n Die Stufen des Organischen. 159; Lachen und Weinen. 49. 18 Lachen und Weinen. 199.

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Furcht). Daher kommt es, daß unser Haben ungefähr dem ,Sein' MARCELS entspricht und unser Sein seinem ,Haben'."‘“ Könnte es einen deutlicheren Beweis dafür geben, daß diese Momente nur in kritischer Bewußtseinsanalyse und absolut kritischer Logik zu klären sind, beide jedenfalls keine ansichseiende Polarität bezeichnen? Auch in anderem Sinne geben die Ansichten MERLEAU-PONTYS einen Hinweis auf das in der Entwicklung des Bezuges von Leib und Seele bei Hegel Gemeinte, so wenn er sagt: „Die Bestimmungen Seele und Körper müssen relativiert werden: es gibt den Körper als Masse chemischer Komponenten in Interaktion, den Körper als Dialektik des Biologischen und seiner biologischen Umwelt, den Körper als Dialektik des gesellschaftlichen Subjektes und seiner Gruppe, und sogar alle unsere Gewohnheiten sind ein unantastbarer Körper für das Ich eines jeglichen Augenblicks. Jede dieser Stufen ist Seele in Bezug auf den vorhergehenden, Körper in Bezug auf die folgende".^® So aber auch, wenn er im Grunde als Ausgangspunkt der Entwicklung des freien Subjektes in dieser Dialektik von Leib und Seele eine „vorpersonelle Tradition" (tradition prepersonelle), einen „gefangenen oder natürlichen Geist" (esprit captiv ou naturel) poniert, im Sinne eines Systemes von „anonymen Funktionen, das jede bestimmte Fixierung in ein allgemeines Projekt einhüllt". Entscheidend für den Begriff der im Entwurf entfalteten Dialektik von Leib und Seele im Sinne Hegels war ja auch die Anerkennung einer sich der Natur als ihrer Voraussetzung enthebenden „Naturseele", welche die zu entwickelnden Momente erst der Möglichkeit nach enthält; entscheidend auch die Erfassung von Leib und Seele als Erscheinungsweisen des aus dieser unmittelbaren Naturbefangenheit sich zu seiner Wahrheit und Freiheit entfaltenden und läuternden Geistes. Wenn nun das Denken Hegels auch, wie wir zu zeigen versuchten, sämtliche wesentlichen Momente des heutigen wissenschaftlichen Bewußtseins dieser Sphäre entweder als solche bereits entfaltet oder aber wenigstens im Keime enthält, so erhebt sich doch die Frage, ob diese heutigen Ansichten nur einseitige Zuspitzungen und Verstellungen von Momenten dieses großen Zusammenhanges bedeuten, oder aber ob die Wirksamkeit einer tiefergreifenden Problematik in ihnen zum Austrag kommt. Andernorts haben wir zu zeigen versucht, daß in Hegels Denken eine noch unbe-

M. Merleau-Ponty: 2« Ebd. 227. 21 Ebd. 293 f.

Phenomenologie de la perception.

Paris 1945. 203.

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wältigte Problematik zurückgelassen worden ist, welche die Zeiträumlichkeit der Natur und des Geistes in ihrem gegenseitigen Bezug betrifft und zu einer Unterbestimmung der Natur als in ihrer Begrenztheit beschlossener Totalität der Entäußerung des Geistes geführt hat^^. Hegel hat die grundlegende Funktion der Raumzeitlichkeit, welche die eigentliche noch zu bewältigende Neuentdeckung imserer Weltepoche darstellt, in vorzüglicher Weise entwickelt; er hat aber zugleich die Natur zu sehr als ein ruhiges Resultat der Raumzeitlichkeit erfaßt, den Fortriß der Zeiträumlichkeit in ihrem Busen verkannt. Diese Unterbestimmung der Natur muß sich notwendigerweise auch auf die Lehre von der Leiblichkeit als Moment des sich entwickelnden Geistes auswirken. Trotz ihrer Würdigung bleibt ihre vielschichtige Dynamik, von welcher der oben zitierte Text MERLEAU-PONTYS einen Eindruck vermittelt, unterbestimmt. Die Stufen des Verhältnisses von Leib und Seele können auch im Geiste Hegels als Stufen der Konkretion von Räumlichkeit und Zeitlichkeit begriffen werden, aber in der Anthropologie Hegels ist die Problematik dieser Konkretion erst im Keime vorhanden und noch nicht zum eigentlichen Austrag gekommen. Die als mechanische (BERGSON) oder vulgäre (HEIDEGGER) Zeit völlig entäußerte Zeitlichkeit des abstrakten Raumes, in welchem der Körper als Gegenstand sich befindet; die Zeitlichkeit des tönenden und vertönenden anorganischen Körpers sowie der Stimme des höheren Lebewesens; die „animalische Zeit" des Blutkreislaufes; die „natürliche Zeit" der Lebewesen als Vollzug ihrer Endlichkeit; die „freie Zeit" des selbstbewegenden Tieres; die „Gattungszeit" der Fortpflanzung; die in ihren drei Dimensionen sich öffnende Zeit des menschlichen Subjektes; die Zeit als der daseiende Begriff; der Begriff der Zeit als die Idee, sind ebensoviele auch das Körper-Leib-Seele-GeistVerhältnis zutiefst fundierende Momente des Zeitbegriffes Hegels, welcher die hier liegende Problematik bereits umrissen aber noch nicht ausgetragen hat. Wie das menschliche Sein zwischen den äußersten Polen von Räumlichkeit und Zeitlichkeit eingespannt ist, so stehen auch Leib und Seele in ihrem abstrakten Begriffe einander als Konkretisierungen dieser Bestimmungen gegenüber. War es das Verdienst von DESCARTES, sie als solche scharf zu erfassen und zugleich substantiell zu verfestigen, so geht in der ganzen Geschichte des neuzeitlichen Denkens mit der Verflechtung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit auch die sich ständig vertiefende Vermittlung von Leib und Seele einher. Kann jene Verflechtung aber nicht nur als geistige, sondern muß sie ebensosehr als natürliche Entwicklung erfaßt werden, so kann die Lehre von Leib, Seele und Geist sich uns heute nur in 22 ], van der Meulen: Hegel. Die gebrochene Mitte. Hamburg 1958.

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Hege!

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engem Zusammenhang mit den erneut in den Vordergrund getretenen Problemen einer allgemeinen Entwicklung des Lebens ergeben; Probleme aber, die sich nach dem naiv-metaphysischen Stadium der die Grenzen der Einzelwissenschaft überschreitenden Evolutionstheorien des neunzehnten Jahrhunderts nur in radikal-kritischer Besirmung auf das Verhältnis von Logos und Raumzeitlichkeit in Natur und Geist bewältigen lassen®’. So muß auch in Bezug auf das Verhältnis von Leib und Seele der Metaphysik erneut das letzte Wort erteilt werden.

*3 Daß für eine solche Besinnung die Phänomene des Ausdrucks und der Sprache von zentraler Bedeutung sind, habe ich in meinem Vortrag über Begriff und Realität (Heidelberger Hegel-Tage 1962) auf den Fußspuren Heideggers und Gadamers zu zeigen versucht.

UNE PHILOSOPHIE POLITIQUE Avant-propos d'un »Commentaire de la Philosophie du Droit de HegelA

Le but de ce commentaire est extremement simple : faire le lien entre le texte et le lecteur philosophique moderne. Mais pour la Philosophie du Droit, il ne suffit ni d'exposer l'arriere-plan historique des idees exprimees, ni de resumer les «opinions» de l'auteur. II faut dire pourquoi Hegel pense ceci ou cela, car ce livre presente une philosophie politique et non une politique experimentale. Si nous avons entrepris ce travail aujourd'hui, alors que la «pensee» politique a atteint son niveau le plus bas, c'est precisement en raison du caractere philosophique de ce livre. De nos jours, la Philosophie politique - ä quelques rares exceptions pres — est un simple expose des faits ou, pis encore, une oeuvre de propagande : pour ou contre le communisme, pour ou contre l'anticommunisme, etc. L'horizon manque ä ces tentatives. Le merite fundamental de Hegel, c'est qu'il s'efforce de comprendre et d'expliquer la politique ä la lumiere de la philosophie et non de transposer une opinion politique a l'aide de mots empruntes ä la Philosophie. Renon^ons provisoirement ä l'originalite, il n'y a lä aucun mal, et allons ä l'ecole chez un maitre du passe qui avait quelque chose ä dire. Aussi, nous allons surtout commenter les implications philosophiques de ce livre, ce qui n'empechera pas, naturellement, chacun de prendre des positions politiques proprement dites. Dans ce contexte, nous rencontrerons constamment des notions usees et discreditees, mais que, en realite, sont encore plus praticables et plus vivantes que bien des siogans propages par les auteurs et goütes par le public d'aujourd'hui. Mentionnons seulement trois exemples : «dialectique», «universel», «liberte». La «methode» dialectique est particulierement difficile et exige plus d'efforts que les autres «methodes» parce qu'elle est plus rigoureuse. Elle a le merite d'embrasser des aspects que Ton prefere en general negliger. 1 Anmerkung der Herausgeber: Mit diesem Vorabdruck möchten wir Hinweisen auf ein kommendes Buch und sein besonderes Anliegen.

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MISZEU-EN

notamment le point de vue des autres. II est certainement plus facile d'exposer une «idee» sans tenir compte des objections possibles que d'inclure celles-ci dans la pensee issue de cette demarche. Nous ne trouverons certainement pas ces facilites chez Hegel; par consequent, il nous faudra aussi considerer la realite comme eile est. Or, eile est contradictoire. Nous verrons si cette «methode» a ou n'a pas son mot ä dire en matiere de politique. «L'universel concret» est le centre des idees logiques de Hegel, appliquees ici au domaine de l'Etat. Aujourd'hui seulement, nous comprenons vraiment le sens politique de cette notion, ä Tepoque oü la politique purement «locale» est devenue le plus grand des anachronismes. C'est Thistoire elle-meme qui a prouve l'impossibilite des «nationalismes», meme etendus aux «blocs» mondiaux. 11 est particulierement instructif de suivre une pensee qui enseigne pourquoi et comment les choses isolees degenerent et meurent, pourquoi et comment l'universalite humaine se realise de plus en plus et qui montre que l'avenir appartient ä ceux qui defendent la cause de l'universel et non celle des particuliers et des interets particuliers. Quant ä notre troisieme exemple, il est indiscutablement au coeur de la politique hegelienne. Cette politique d'un philosophe consiste ä montrer que l'Etat moderne, l'Etat edifie sur les ruines de la Revolution, est l'ultime forme de la cristallisation historique de la liberte. L'homme s'est revolte parce qu'il a pris conscience de sa liberte essentiellement inalienable, parce qu'il ne veut plus et ne peut plus vivre opprime ou esclave. L'Etat n'a de sens pour lui qu'en tant qu'institution «objective», c'est-ä-dire obligatoire pour tous, dont la raison d'etre est la sauvegarde de la liberte individuelle. L'ancien Etat, qui n'a plus de sens aux yeux de l'homme moderne, peut bien subsister materiellement, il n'est plus qu'un cadre mort soutenu «exterieurement» : il durera aussi longtemps que la violence qu'il peut exercer sur ses citoyens. L'Etat moderne est la liberte, il est ce qui a sens, tel est le contenu politique extremement simple de la philosophie hegelienne du droit. Voilä l'idee qui sera expliquee concretement en detail dans ce qui suit. Cette simple politique de la liberte peut etre instructive de nos jours si nous la comprenons en philosophes, nous refusant aux bavardages sans fin autour de ce mot devenu «slogan». Hegel est le dernier representant de la philosophie politique classique — celle des Grecs — il a encore ose penser que la «chose publique», la politique, est un «but en soi», sans doute le plus grand des honneurs de la vita activa. Pour lui comme pour ARISTOTE, c'est uniquement dans l'Etat que l'on peut transformer la vie en un «bienvivre», en une vie sensee, differente de celle des animaux. Oü en sommes-

Fleisdunann: Une philosophie politique

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nous aujourd'hui de cette conception, alors que la politique s'est transformee en «technique» ? Certainement tres loin. Dans la mesure oü cette liberte, qui a commence d'exister ä l'epoque de Hegel, s'est realisee — dans les pays grands et riches - on n'en parle plus, on n'a plus besoin d'en parier. Et la liberte, c'est-ä-dire la politique en tant que sens et but ä realiser et non en tant que technique, est devenue la propriete exclusive des peuples qui ne l'ont pas encore conquise. Au meine moment, les pays oü la liberte devenait realite quotidienne et banale ont developpe le phenomene du «nihilisme» qui consiste — et en quoi d'autre peut-il consister ? - a avoir la liberte et ne savoir qu'en faire. Les pays «avances» parviennent ainsi a la fin de la periode politique dont la philosophie politique de Hegel marque le debut. Le nihilisme ou la politique du non-sens trouve son expression chez NIETZSCHE. Hegel contre NIETZSCHE, teile est donc la Situation de la philosophie politique de nos jours. La lecture de Hegel peut toujours suggerer quelques idees encore valables . . . Hegel est-il depasse ou non par NIETZSCHE ? C'est deja une autre question. II est difficile de depasser une philosophie oü la notion meme du «depassement» (Aufhebung) est incluse. Nous ne voulons pas aborder cette question dans le present ouvrage. Remarquons seulement qu'il n'y a aucune contradiction ä affirmer que c'est Yhistoire qui a depasse Hegel et cela des l'achevement de son livre et non seulement maintenant, anno 1959. Hegel nous l'apprend par son Image du «hibou de Minerve» : le domaine de la politique est celui du fini. Rien de ce qui est politique ne peut durer eternellement, seule la pensee demeure. La philosophie devient ainsi le juge de la politique. Ce rapport entre philosophie et politique (par quoi commencera notre commentaire) est la veritable articulation de la pensee hegelienne. Nous avons essaye de l'etablir avec grand soin, car nous croyons avoir trouve la la solution du probleme qui nous occupe : comment la philosophie politique peut-elle survivre au moment oü lä politique est moribonde ?

Le commentateur ne pretend pas avoir tout compris dans un texte considere comme extremement difficile. Nous avons procede paragraphe par paragraphe pour que le lecteur puisse suivre le texte original et juger du commentaire. Une discussion des idees de Hegel par ses lecteurs, sur le texte, est le plus bei hommage, la supreme justice qu'on puisse rendre ä ce grand penseur. L'histoire les lui a refuses. Jacob Fleischmann (Jerusalem)

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MiSZEllEN

ZUR HERKUNFT EINES HEGELSCHEN AUSDRUCKS

I. Im vierten Fragment von Volksreligion und Christentum erklärt der junge Hegel, er „glaube .. . nicht in den Fehler derjenigen verfallen zu sein, die andern die Krätze geben, um sie kratzen zu können"’. Im folgenden will er manche ihm anstößigen spezifisch christlichen „Vorstellungsarten" kritisch beleuchten; mit jener Erklärung verwahrt er sich gegen den Vorwurf, er schreibe der drristlichen Religion etwas zu, was ihr nicht wesentlich sei. — In der Abhandlung über das Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie heißt es, „die späteren fünf Tropen der Skeptiker" schlössen „den Begriff eines Endlichen in sich"; sobald sie auf „das Vernünftige" angewandt würden, verkehrten sie es daher „unmittelbar... in ein Endliches". Auch dieses „Alterieren" des Vernünftigen wird auf den bildlichen Ausdruck gebracht, daß jene Tropen „ihm, um es kratzen zu können, die Krätze der Beschränktheit geben"^. - Im „Zweiten Abschitt" seiner „Geschichte der griechischen Philosophie", und zwar in dem Schlußparagraphen „Spätere Tropen", wiederholt Hegel die Kritik und die Wendung: der Skeptizismus mache „das Vernünftige ... zu einem Bestimmten", fasse es mithin „falsch" auf - und widerlege es daraufhin; „oder (also) er gibt dem Unendlichen erst die Krätze, um es kratzen zu können"^. - Endlich gilt die Kritik im § 573 der Enzyklopädie denen, „welche in ihrem Denken und Auffassen der Gedanken nicht über solche Kategorien hinauskommen" wie „Beziehung" und „Zusammensetzung", und, indem sie diese „in die Philosophie, allwo dergleichen nicht vorhanden ist, hineintragen, ihr die Krätze anhängen, um sie kratzen zu können"^. Hat Hegel die Wendung von der Krätze selbst geprägt oder ist er irgendwo auf sie gestoßen? Die vier Stellen geben keinen Hinweis, und alles Suchen in den Werken wie in der Korrespondenz des Philosophen half nicht weiter. Doch führte uns ein Zufall auf den Zusammenhang, in dem LESSING die nämliche Wendung gebracht — und zwar mit Quellenangabe: in

1 Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. v. H. Nohl. Tübingen 1907. 61. Hegel: Werke. Berlin 1832 ff. Bd 16. 101, 105. ® Hegel: Werke. Bd 14. 580. * Hegel: Werke. Bd 7, Abt. 2. 466. *

Ritzel: Herkunft eines Hegelschen Ausdrucks

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den ersten Briefen, die neueste Litteratur betreffend, aus dem Januar 1759, geht „FlI." (wie der Briefschreiber unterzeichnet) mit unfähigen Übersetzern ins Gericht; indem er „einen Ausdruck aus dem Hudibras" borgt, erklärt er, daß der BouNGBROKE-Übersetzer BERGMANN „seinem Autor die Krätze gibt, um ihn reiben zu können. Das ist: er versteht ihn unrecht, und straft ihn in gelehrten Anmerkungen, wegen einer Ungereimtheit, die er selbst in ihn gelegt hat."®. Der Hudibras ist eine Satire auf die Puritaner aus der Feder des „Spötters ohne Gleichen" Samuel BUTLER, ein komisches Heldengedicht nach dem Muster des Don Quijote. Im Ersten Gesang heißt es vom Helden: He could raise scruples dark and nice. And after solve 'em in a trice; As if Divinity had catch'd The itdi, on purpose to be scratch’d; Or, like a mounlerbank, did wound And stab herseif with doubts profound, Only to shew with how small pain The sores of Faith are cur'd again .. .*

Auf Deutsch: „Er konnte dunkle und heikle Fragen auf werfen und sie hernach im Handumdrehen auflösen; als ob die Theologie sich die Krätze geholt hätte in der Absicht, gekratzt zu werden; oder als ob sie sich - wie ein Marktschreier - durch starke Zweifel verletzen und durchbohren würcie, nur um zu zeigen, mit wie wenig Schmerzen die Glaubenswunden zu heilen sind..." II. Hat Hegel die Wendung von der Krätze hiernach, ebenso wie LESSING, aus dem Hudibras geborgt? Es ist zum mindesten unwahrscheinlich; viel mehr spricht dafür, daß er sie von LESSING übernahm. Zunächst gibt es keinerlei Belege dafür, daß Hegel jenes satirische Epos und seinen Verfasser kannte; an keiner Stelle der Schriften und in keinem Briefe wird auf Samuel BUTLER oder auf den Hudibras Bezug genommen. LESSING aber wird oft genug angeführt; schon in jungen Jahren dürfte » G. E. Lessing: Sämtliche Schriften. Hrsg. v. K. Lachmann. 3. durchges. Aufl. besorgt durch F. Muncker. Bd 8. Stuttgart 1892. 10. * S. Butler: Hudibras. London 1795. (A Complete Edition of the Poets of Great Britain. Bd 5.) 513. - Hervorhebung im Zitat von mir!

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Hegel sich gründlich mit ihm beschäftigt haben; am 4. Februar 1795 wird er durch Freund SCHELLING brieflich als „Vertrauter LESSINGS" apostrophiert^ - und in den Fragmenten Volksreligion und Christentum, in denen wir die Wendung zum erstenmal finden, wird mehrfach LESSINGS Nathan zitiert. Viel überzeugender ist aber doch dies, daß die vier Stellen, an denen das Wort von der Krätze bei Hegel begegnet, und die eine, an der LESSING sich seiner bedient, im Satzbau und im Sinn übereinstimmen — und übereinstimmend vom Hudibras abweichen. Daß Hegel in seiner Freude an derbdrastischen Wendungen und an der Etymologie dem Hauptwort „Krätze" das Zeitwort „kratzen" zuordnet, während der bei aller Neigung zu pointierten Formulierungen dezentere LESSING „reiben" sagt, fällt gegenüber jener Übereinstimmung nicht ins Gewicht. — Im Hudibras ist mit der Krätze eine — vermeintliche - Schwäche der „Divinity" gemeint; diese holt sich die Krätze, das will besagen: sie weist selbst auf die Schwäche hin. Sie tut das freilich nur, um gekratzt zu werden, d. h. um alsbald selbst nachzuweisen, daß es sich in der Tat um gar keine Schwäche handelt (der folgende Vergleich - mit dem Marktschreier, der sich zum Scheine verletzt, um sich überraschend zu heilen - macht dies vollends deutlich). Von diesem Ergebnis ist die Gottesgelehrsamkeit von vornherein überzeugt - sie markiert die Schwäche nur, um ihre Widersacher aus dem Feld zu schlagen. Nach LESSING und Hegel aber bedeutet die Krätze, die BOLINGBROKE und dem Unendlichen angehängt werden, eine wirkliche Schwäche - nämlich in den Augen BERGMANNS und des Skeptizismus, die sie jenen anhängen und es mit dem Kratzen oder Reiben nun allerdings auf ein „Strafen" absehen. Auf ein unrechtmäßiges jedoch! Dafür, daß sie den englischen Denker und das Unendliche bzw. Vernünftige zu strafen wagen, werden BERGMANN und der Skeptizismus in den angeführten Zusammenhängen denn auch selbst gestraft. Hier aber zeigt sich ein feiner Unterschied. LESSING empört sich über den liederlichen Übersetzer: „ein BOLINGBROKE fällt unter die Hände seiner [sc. des deutschen Publikums] Knaben; sie schreien Kahlkopf über ihn, die Kahlkinne! Will denn kein Bär hervor kommen, und diese Buben würgen?"® Hegel ist zurückhaltender: weiß er doch, daß der Skeptizismus das Vernünftige nicht aus knabenhafter Frechheit „alteriert", sondern weil er „nicht über solche Kategorien hinauskommen" kann wie „Beziehung", „Zusammensetzung"; und doch bedürfte er, soll das „Geschäft der Kritik" nicht „verloren" sein, der „Idee der Einen und selben 1 Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. 21. 8 Lessing; Sämtliche Schriften. Bd 8. 11.

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Philosophie"®, mit welcher jedenfalls ein „echter Skeptizismus . . . auf's innigste Eins ist"^“. Doch dürfte dieser Unterschied den Schluß nicht fraglich machen, den wir aus der bemerkten Übereinstimmung ziehen: daß Hegel die durch BUTLER geprägte Wendung von der Krätze aus zweiter Hand hat — aus der LESSiNGsd‘ Wolfgang Ritzel (Bonn)

DIE „WAHRHAFTE SCHILDKRÖTE" Zu einer Metapher in Hegels Schrift „Glauben und Wissen"

In Hegels früher Darstellung und Kritik der Lehre von JACOBI, als der subjektiven Seite des Standpunkts der Reflexionsphilosophie, findet sich eine Stelle, die ohne Erläuterung unverständlich bleiben muß. Hier soll versucht werden, diese Erläuterung zu geben. Sie kann vollständig nur gelingen, wenn zugleich ein Problem gelöst wird, das dazu nötigt, Hegels Text in einen weiteren historischen Zusammenhang zu bringen, als der erste Ansdtein vermuten läßt. Dies ist der Zusammenhang, in dem die fragliche Stelle erscheint: In der Würdigung der KANxischen Philosophie, die der Kritik an JACOBI vorausgeht, hat Hegel die Bedeutung der transzendentalen Einbildungskraft hervorgehoben, in der er das eigentlich spekulative Prinzip dieses Systems erblickt, dem KANT nur in der Durchführung nicht hinreichend gefolgt sein soll. JACOBI selbst ist es gewesen, von dem Hegel den Gesichtspunkt dieser Interpretation übernommen hat. Denn in der Schrift Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstände zu bringen hatte JACOBI zeigen wollen, daß nach KANT die Einbildungskraft das eigentlich Produzierende im produktiven Akt der Synthesis sei. Dieser Nachweis dient ihm aber im Gegensatz zu Hegel nicht dazu, der Lehre KANTS ZU bezeugen, daß sie wenigstens einen Grundzug der Wahrheit erfaßt habe. JACOBI findet * Hegel’.Werke. Bd 16. 35. I« Ebd. 84. 11 [Anmerkung der Herausgeber:] Vgl. im Zusammenhang mit diesem Beitrag auch den Brief Hegels an Baader, der in diesem Bande (S. 108 f) erstmals veröffentlicht wird; darin verwendet Hegel den hier behandelten Ausdruck ein weiteres Mal.

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vielmehr, daß sie nur die willkürliche Annahme eines Vermögens sei, in dem das Unmögliche geschieht, daß reine Mannigfaltigkeit aus reiner Einheit ursprünglich hervorgeht. Der Fehler, der es möglich machen soll, solch Unvorstellbares für wirklich auszugeben, stellt nun nach JACOBI „in einem neuen Bilde jenen alten Regressus dar - von der Welt auf einen sie tragenden Elefanten, und vom Elefanten auf eine ihn tragende Schildkröte". Alle Vermögen des Subjekts sollen der Produktion von Mannigfaltigkeit aus der Einheit dienen. Aber jedes von ihnen setzt dazu ein anderes voraus, bis schließlich die Einbildungskraft erreicht ist, die aus nichts mehr erklärt werden kann, auf keinem anderen Vermögen mehr „ruhet". Also ist sie „die wahrhafte Schildkröte, der absolute Grund, das Wesende in allen Wesen".* Hegel zitiert nun dieses Argument JACOBIS und richtet gegen es seine Kritik: JACOBI habe nicht verstanden, daß andere Vermögen nicht auf der Einbildungskraft „aufruhen", sondern daß sie dieselbe Einheit sind, die ihren ursprünglichen Ausdruck in der transzendentalen Einbildungskraft findet. Sie darf nicht „abgetrennt von der Totalität" betrachtet werden.^ Und ebenso wenig habe er begriffen, daß es Sinn hat, die Welt von einem Wesen tragen zu lassen, das auf sich selbst ruht. Ein solches „Wesen" ist die Idee. Nach ihrem Grund und Träger kann nicht gefragt werden, so wenig wie nach dem des „Kubus" des Systems von SPINOZA, der „seine Ruhe und seinen Grund in sich selbst hat, seine eigene Kugel und Schildkröte ist".* Aus der Beziehung auf JACOBI gewinnt die Rede vom Elefanten und von der Schildkröte zwar ihren Zusammenhang, - nicht aber ihre Erklärung. Beide, JACOBI und Hegel, gebrauchen dieses Bild nämlich nicht nur, um einen Gedanken zu vercmschaulichen, sondern auch, um ihn vor einen Hintergrund zu stellen, der als bekannt gelten kann. JACOBI verfolgt dabei die Absicht, auch die KANxische Philosophie einer schon längst geleisteten Kritik zu unterwerfen. Dagegen will Hegel zeigen, diese Kritik sei das Argument eines zu kurz schließenden und von Vorurteilen beherrschten Verstandes. Diese Absichten gehen klar aus den Wendungen hervor, mit denen beide ihre Kritik einleiten: JACOBI kündigt die seine an, indem er auf einen „alten" Regreß verweist, Hegel die seine, indem er JACOBI in den Mund legt, daß jenes Bild ein Bild der „dummen Indier" sei. Damit will er nicht den Erfinder jenes Bildes für dumm erklären, sondern den töricht

1 F. H. Jacobi: Werke. Bd 3. Leipzig 1816. 115 f. Hegel; Werke. Bd 1. Berlin 1832. 85; vgl. 21 ff. s Ebd. 124; vgl. Jacobi; Werke. Bd 3. 11 f. *

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nennen, welcher der indischen Religion und Philosophie nur Fehlschlüsse und Absurditäten unterstellt. Daß dies der Sinn von Hegels persiflierender Rede mit JACOBI ist, kommt außer Zweifel, wenn man darauf achtet, daß den „dummen Indiern" nicht der unendliche Regreß, sondern der Gedanke eines Wesens vorgeworfen wird, das auf sich selbst ruht. Dieser Gedanke definiert aber Hegels eigenen Standpunkt und liegt seiner Kritik an der Reflexionsphilosophie im ganzen zugrunde. Aus jenen beiden Wendungen ergeben sich somit zwei Fragen, auf die ein Kommentar der Stelle von der „wahrhaften Schildkröte" eine Antwort wissen muß: 1. Auf welchen „alten" Regreß verweist JACOBI? 2. Welche Quelle liegt Hegel vor, wenn er den Gedanken von der wahrhaften Schildkröte den „Indiern" zuschreibt? Auch die zweite Frage muß gestellt werden. Denn im Zusammenhang von JACOBIS Text ist von den Indiern nicht die Rede gewesen. Dieser Umstand läßt sich leicht übersehen, wenn man die Herkunft des Bildes aus anderen Quellen kennt. Bemerkt man ihn aber, so ist unmittelbar klar, daß Hegels Kritik aus JACOBI allein nicht hinreichend verständlich gemacht werden kann. 1.

In neueren englischen Veröffentlichungen zur analytischen Erkenntnistheorie findet man häufig die Rede vom Elefanten und der Schildkröte als Bild für den falschen regressus in infinitum. Im gleichen Zusammenhang ist es auch in deutschen Publikationen zu finden^. Man kann es zum ersten Male nachweisen bei John LOCKE, dem Begründer einer genetischen Analyse der Erkenntnis. Die Quelle von LOCKE ist bisher nicht zu ermitteln gewesen. Er gebraucht das Bild zweimal im zweiten Buch seines Essay, und zwar als Mittel, seine Kritik des Begriffs der Substanz, also eine der wichtigsten und folgenreidisten Lehren dieses Buches, überzeugender zu machen. „Substanz" ist ihm der leere Begriff eines „Trägers von Eigensdiaften", ein Wort, dem keine klare und deutliche Idee zugeordnet werden kann. Von ihr läßt sich nur sagen, daß sie Grund der Akzidenzien sei, nicht aber, welche Bestimmung ihr an und für sich und ohne ihre Relation zu den Akzidenzien zukomme. „Hätte der arme indische Philo^ - z. B. Russell in: Zeitschrift f. philosophische Forschung. 7 (1953), 113; Neurath in: Erkenntnis. 4 (1934), 349; vgl. auch C. Lukäcs: Geschichte und Klassenbewußtsein. Berlin 1923. 126. - Den Hinweis auf Lukäcs habe ich von Dr. Hans Thomas erhalten. Ihm danke idi audi für wichtige Hilfe bei der Suche nach Hegels Quellen, Dr. Gisela Schüler für einen Hinweis auf Hegels Locke-Kenntnis.

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soph, der meinte, die Erde bedürfe auch etwas, um sie zu tragen, nur an das Wort Substanz gedacht, so hätte er sich nicht die Mühe zu geben brauchen, einen Elefanten als Träger für sie zu finden, und eine Schildkröte, um seinen Elefanten zu tragen."® „Denn auf weiteres Nachfragen, was der breitrückigen Schildkröte zur Stütze diene, mußte er erwidern: irgend etwas, er wisse nicht was."“ Somit mußte er doch schließlich auf eine Wendung kommen, die dasselbe besagt, wie der Scheinbegriff der Substanz. Hätte er ihn als solchen besessen, so hätte er ihn gleich die Stelle des Elefanten einnehmen lassen können, der doch ebenfalls unsichtbar bleibt. Für LOCKE ist jenes Bild also nicht unnüttelbar Bild für einen infiniten Regreß. Es soll nur zeigen, daß man auf einen unbekannten, das heißt auf einen unvorstellbaren Träger zurückkommen muß, wenn man überhaupt einen Träger von Eigenschaften annimmt. Aber in seinem Bild ist doch der Regreß insofern eingeschlossen, als es zeigt, daß beliebig viele Zwischenglieder die willkürliche Annahme eines unvorstellbaren Trägers nicht überflüssig machen. In LOCKES Nachfolge wurde dieser Sinn des Bildes von der Anwendung, die ihm selbst allein wichtig war, gelöst. Der Schluß von der Welt auf den Elefanten und die Schildkröte sollte nun zeigen, daß man entweder beim gegebenen ersten Glied, oder bei einem Prinzip, das selbst keiner Erklärung bedarf, stehen bleiben muß, wenn man es vermeiden will, sich in den Fehler einer unabschließbaren Reihe von Gründen zu verstricken. Nur die erste Forderung, nicht über das erste Glied hinauszugehen, läßt sich mit den Intentionen vereinen, die LOCKE dazu führten, sich des Bildes zu bedienen. Die zweite ist aber mit der Logik des Regresses ebenso vereinbar: Der letzte „Träger" der Welt muß so gedacht werden, daß er keines anderen Trägers bedarf, wenn anders er überhaupt gedacht werden kann. In den Quellen der englischen Philosophie des 18. Jahrhunderts lassen sich wichtige Beispiele für beide Verwendungen des Bildes finden. SHAFTESBURY will mit ihm darauf hinweisen, daß es sinnlos sei, eine besondere Ursache für das Böse in der Welt anzugeben. Denn es sei nötig, auch diese Ursache zu erklären. Und so komme man schließlich auf den guten Schöpfergott zurück. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit, das Dasein dessen, was nur vermeintlich schlechthin böse ist, aus der schaffenden Güte Gottes zu verstehen.’ HUME läßt seinen Philo das Bild gebrauchen, um zu zeigen, daß es überflüssig ist, für die Verfassung der sichtbaren ® Locke: An essay concerning human understanding. Buch 2, Kap. 13, § 19. Hervorhebung im Zitat von mir. « Ebd., Kap. 23, § 2. 7 Shaftesbury: The Moralists. Teil 1, Abschnitt 2.

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Welt einen Plan in einem göttlichen Geiste zu unterstellen. Auch der kann nämlich ohne eine weitere Ursache nicht verstanden werden. Es wäre also besser, bei dem materiellen Universum stehen zu bleiben. „Erinnern wir uns der Geschichte des indischen Philosophen und seines Elefanten! Nirgends ist sie mehr anwendbar als auf den vorliegenden Fall."® Im Unterschied zu ihnen verwendet HUTCHESON das Bild eher im zweiten Sinn, wenn er mit ihm die Annahme eines ursprünglichen moralischen Sinnes verteidigt. Er „ist ohne Zweifel eine verborgene Eigenschaft". Aber deshalb ist er nicht geheimnisvoller als die vermeintliche Erklärung sittlicher Billigung aus der Psychologie oder Physiologie. „In dem letzteren Falle haben wir Gehirn und elastische Fibern, Lebensgeister und elastische Flüssigkeiten, gleich dem indianischen Elefanten und der Schildkröte erhalten, um die Last der Schwierigkeit zu tragen; aber man gehe nur einen Schritt weiter, so wird man es zu erklären so viel Schwierigkeit finden als zuerst."* So kann also JACOBI mit Recht von einem „alten" Regreß sprechen, weim er das Bild vom Elefanten auf die transzendentale Einbildungskraft anwendet, nachdem es zuvor schon dazu gedient hatte, die Probleme der Substanz, des Ursprungs vom Bösen, des Grundes der Welt und des moralischen Gefühls zu erläutern. Seit John LOCKE ist es aber niemals wieder an einer ähnlich zentralen und weithin bekannt gewordenen Stelle aufgetreten, wie in seinem Essay. Man könnte also vermuten, daß JACOBI es unmittelbar von dort übernommen und deshalb den Regreß einen „alten" genannt hat, wenn es nicht noch näher läge, die Nouveaux Essais von LEIBNIZ als seine primäre Quelle anzunehmen. Hier findet sich (§ 4) das Bild in den Entgegnungen zum Kapitel 23 des Essay von LOCKE. Ein guter Vermittler der empiristischen Philosophie Englands hätte auch KANT sein können. Er hat aber das Bild niemals gebraucht. Nur in der Kritik der Urteilskraft findet sich ein Verweis auf LOCKES Kritik an einem Substanzbegriff, den KANT ebenso wie LEIBNIZ für ungenügend hält.‘® KANT bemerkt, daß die Rede von der Substanz als einem „Träger" der Akzidenzien nur eine „symbolische Hypotypose" sei. Nicht das Bild vom Elefanten also, sondern die Vorstellung von der Substanz selbst, die es nach LOCKE anschaulich machen soll, ist nur das Bild eines Verstandes-

8 Hume: Dialogues concerning religion. Teil 4. (Vgl. die deutsche Ausg. von F. Paulsen. 3. Aufl. Leipzig 1905. 69.) » Hutcheson: An inquiry into the original of our ideas of beauty and virtue. Treat. 2, Sect. 7, 3 (= 4. Ed. London 1738. 272 f.) Kant: Kritik der Urteilskraft. § 59. 257. (Vgl. Kant: Gesammelte Schriften. Hrsg, von der Königl. Preuß. Akademie d. Wissenschaften. Bd 5. Berlin 1913. 352.)

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Begriffes, den LOCKE als solchen nicht zu denken vermochte. So läßt sich KANTS Kritik an LOCKE leicht auf dessen Bild anwenden. Als Quelle in seiner Geschichte kann jedoch auch diese Stelle der Kritik der Urteilskraft nicht dienen. 2.

Zu erklären, wie Hegel den „alten Regreß" bei JACOBI den Indiern zuschreiben konnte, scheint nun nicht mehr schwer zu sein. Es scheint, daß man nur annehmen muß, daß Hegel einer der zitierten Texte in den Sinn kam, als er ein Bild, das ihm schon bekannt war, von JACOBI gebraucht fand. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß damit der wirkliche Sachverhalt schon getroffen ist. Deim Hegel hat nach dem Zeugnis von ROSENKRANZ unter anderen auch LOCKES Werke „weitläufig exzerpiert"". Diese Exzerpte sind verloren. Es läßt sich also nicht ausmachen, ob sie auch die Kapitel der Substanzkritik eingeschlossen haben. Aber es ist wahrscheinlich, daß Hegel dieses Hauptstück LocKEScher Analyse nicht ausgelassen hat. Von der Präsenz dieser Exzerpte zeugt ein längeres Zitat in der Einleitung zu Glauben und Wissen*^. Dennoch läßt sich das Problem, das in der Bemerkung über die „dummen Indier" gelegen ist, auf diese Weise nicht sicher und befriedigend lösen: Eine sichere Lösung wäre nur erreicht, wenn sie die einzig mögliche wäre, weil andere Quellen nicht in Frage kämen. Und befriedigend wäre sie nur dann, wenn mit ihr auch erklärt wäre, wie Hegel dazu gekommen ist, an die Stelle jenes einen „indianischen Weltweisen" von LOCKE das Volk der „dummen Indier" zu setzen. So ist es also notwendig, sich nach anderen Quellen umzusehen. Die Vermutung liegt nahe, sie in der zweiten Phase der Geschichte des Bildes vom Elefanten und der Schildkröte zu suchen, die zugleich mit dem spekulativen Idealismus beginnt und der auch Hegels Bemerkung zugehört. In der Nachfolge KANTS ist dieses Bild nämlich zu neuem Leben gekommen, nun aber in der zweiten Weise des Gebrauchs, der von ihm gemacht

n K. Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844. 14. - Shaftesbury, Hume und Hutdieson gebrauchen das Bild an versiedeten Stellen und in einer Weise, welche die Kenntnis Lockes voraussetzt. Selbst wenn man annimmt, daß Hegel den einen oder anderen dieser Texte gelesen hat, so wäre er durch Jacobi an ihn nidit erinnert worden, wenn er nicht auch Lodee im Sinne gehabt hätte. Eine Lektüre der Leibnizschen Nouveaux Essais in früher Zeit ist nicht belegt und wenig wahrscheinlich. 12 Hegel: Werke. Bd 1. 20.

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werden kann. Es eignet sich nämlich und dient nunmehr zur anschaulichen Darstellung des Gedankens, daß das erste Prinzip des philosophischen Systems, der erste Grundsatz allen Wissens, so beschaffen sein muß, daß es unmöglich ist, noch weiterhin nach seinem Grund oder „Träger" zu fragen. In diesem Sinne haben es MAIMON und FICHTE verwendet. Schon in der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1794 spricht FICHTE davon, daß wir kein festes Wissen haben können, wenn alles Wissen so beschaffen ist wie das Fundament eines Hauses, das auf dem Erdboden gebaut ist. „Dieser ruht auf einem Elefanten, dieser auf einer Schildkröte, diese - wer weiß es auf was, und so ins unendliche fort."‘® FICHTES Sprache an dieser Stelle macht es wahrscheinlich, daß er sich auf LOCKES Text bezieht. Denn der Verweis auf einen Grund der Schildkröte, der ein „ich weiß nicht was" ist, gehört in den besonderen Zusammenhang des Gedankens bei LOCKE. FICHTE weicht von ihm ab, wenn er dem „ich weiß nicht was" einen weiteren Grund unterstellt, setzt ihn aber voraus, indem er mit LOCKE die Reihe über die Schildkröte hinaus zu ihrem unnennbaren Grund fortsetzt. An und für sich ist es überraschend, bei FICHTE eine solche Kenntnis von LOCKE ZU finden. Sie anzunehmen ist aber vor allem deshalb erlaubt, weil PLATNER an einer wichtigen Stelle in der zweiten Auflage seiner Aphorismen auf LOCKES Kritik der Substanz und auf LEiBNizens Bemerkungen dazu verweist.Dieses Buch hat FICHTE bald nach dem Erscheinen (1793) eingehend studiert. Nodi zweimal hat FICHTE das Elefantenbild gebraucht, nun aber, um die Annahme von Dingen an sich zu kritisieren. Dieser Gedanke führt in einen Zirkel. Denn von Dingen an sich ist nur auf Grund gegebener Empfindungen die Rede. Sie müssen für wirklich gehalten werden, weil Empfindungen wirklich sind. Andererseits soll aber die Wirklichkeit der Empfindungen durch Dinge an sich erklärt werden. Das ist nach FICHTES Meinung ein Zirkelargument: „Ihr Erdball ruht auf dem großen Elefanten, und der große Elefant - ruht auf dem Erdbälle."*® Den gleichen Gedanken entwickelt FICHTE in der Bestimmung des Menschen^''. Dieser doppelte Gebrauch des Bildes findet sich ebenso bei Salomon MAIMON, und zwar in den Briefen des Philaletes an Aenesidemus, die dem Versuch einer neuen Logik aus dem Jahre 1794 beigegeben sind. MAIMON 13 7. G. Fichte: Sämmtlidie Werke. Hrsg. v. J. H. Fichte. Berlin 1845 ff. Bd 1. 52. 14 E, Platner: Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Ganz neue Ausarbeitung. T. 1. Leipzig 1793. § 773, Anm. 1; „Lodce II. 23. vergl. Leibn. N. Ess. über diese Stelle." 1* Fichte: Sämmtliche Werke. Bd 1, 483. 1« Ebd. Bd 2. 219.

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kritisiert den Vorstellungsbegriff von REINHOLD, der zu leer ist, um letztgültige Begründung leisten zu können und der es deshalb auch unmöglich macht, sich von der systemwidrigen Annahme der Dinge an sich zu befreien.*^ MAIMON hat das Bild aber zum ersten Male verändert. Er spricht von „ein paar" Elefanten, die auf der großen Schildkröte stehen. Man muß wünschen, daß sich auch diese Veränderung erklären läßt. Als Quelle für Hegel kommt von den beiden idealistischen Autoren allein MAIMON in Frage. FICHTE gibt nämlich keinen Hinweis auf den indischen Ursprung des Bildes. MAIMON erwähnt aber den „Indianer" von John LOCKE. So wäre es also auch möglich, das Problem der Bemerkung Hegels aufzulösen, indem man annimmt, daß ihm der „alte Regreß" durch FICHTE zwar vertraut war, daß er aber von MAIMON erfahren hat, es handele sich bei dem Bild vom Elefanten um ein indisches Philosophem. Diese Lösung befriedigt aber noch weniger als die erste. Hegels MAIMONLektüre ist vermutlich sehr bescheiden gewesen. Der Rückgang auf LOCKE selbst, bei dem das Bild an weit wichtigerer Stelle erscheint, hat mehr Gründe für sich. Es ist sogar denkbar, daß Hegel schon bei früherer FicHTE-Lektüre an LOCKE erinnert wurde. Mit JACOBI wäre dann zu FICHTE und LOCKE der dritte derer getreten, die im Denken der Inder einfache Aporien und Inkonsequenzen finden wollten. Wenn also der Hinweis auf MAIMON auch den auf LOCKE nicht ersetzen kann, so macht er ihn doch um ein Weiteres kraftloser. Denn außer der Frage, wie Hegel statt des „indianischen Weltweisen" von „den Indiern" sprechen konnte, stellt sich nun die zweite, wodurch MAIMON dazu bewogen wurde, statt von dem einen Elefanten von „ein paar Elefanten" zu sprechen. Man muß also nach weiteren Quellen suchen. Die beste Lösung ergäbe sich, wenn MAIMONS Abweichung vom üblichen Bild und Hegels Bemerkung aus einem Text abgeleitet werden könnten. Der Bereich, in dem eine solche Quelle gefunden werden kann, ist nicht sehr groß. Denn nur von wenigen Büchern kann mit Sicherheit gesagt werden, daß sie sowohl von MAIMON als auch von Hegel gelesen wurden. Zu ihnen gehören vor allem die Werke von KANT und REINHOLD, SCHULZES Aenesidem, JACOBIS Briefe über die Lehre des Spinoza und MENDELSSOHNS spätere Schriften. Von ihnen sind KANTS Werke als Quelle für die Geschichte des Bildes bereits ausgeschieden worden. Bei REINHOLD, dem

'I S. Maimon: Versudi einer neuen Logik oder Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus. Berlin 1794. 321; vgl. 371,

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frühen JACOBI und SCHULZE finden sich keine Bemerkungen über Elefanten und die Schildkröte.*® Aber MENDELSSOHN hat das Bild in seinem Jerusalem verwendet, und zwar in einem Zusammenhang, der kaum noch einen Zweifel daran zuläßt, daß er der Anlaß für die Bemerkungen von MAIMON und von Hegel gewesen ist.** MENDELSSOHN wendet sich gegen die, welche sich nicht davor hüten, bei der Beurteilung der Religion unbekannter Völker „alles mit eigenen heimischen Augen zu sehen". So haben die römischen Eroberer Jerusalems die Cherubim auf der Bundeslade für die Götzenbilder der Juden gehalten. „Sie sahen alles mit barbarischen Augen und aus ihrem Gesichtspunkte ... So lachen die Leser noch jetzt über die indianischen Weltweisen, die dieses Weltall von Elefanten tragen lassen, die Elefanten auf eine große Schildkröte stellen, diese von einem ungeheuren Bären halten und den Bären auf einer unermeßlichen Schlange ruhen lassen. Die guten Leute haben wohl an die Frage nicht gedacht: Worauf ruht denn die unermeßliche Schlange?" MENDELSSOHN zeigt dann aus einem Bericht über die indische Kosmologie, daß jene Tiere Sinnbilder für die weltgründenden Mächte der Weisheit, der Stärke und der Beständigkeit sind. Es ist wahrscheinlich, daß MAIMON aus diesem Text seine Kenntnis davon bezog, daß mehrere Elefanten an die Stelle des einen von John LOCKE zu setzen sind. Denn es war für ihn selbstverständlich, daß er an MENDELSSOHNS Reform der jüdischen Gemeinde und an seiner Verteidigung gegen JACOBI und LAVATER Anteil nahm und auch Jerusalem las, das beiden Unternehmen dienen sollte. Kenntnis von dem Regreßargument wird er im übrigen zuerst aus LEIBNIZ erhalten haben, den er ebenso eingehend studiert hat wie auch MENDELSSOHN, für den daneben ein gründliches Studium LOCKES ohnehin angenommen werden muß. Aber auch Hegel hat Jerusalem sehr genau gekannt. Schon in seinen frühesten Manuskripten ist dessen Wirkung deutlich zu erkennen. Es gehört zu den Werken, die Hegel wohl schon im Stift mit Leidenschaft las, die er neben oder gar noch über die KANxischen stellte und unter denen (nach dem wichtigen Zeugnis von LEUTWEIN) die von ROUSSEAU ihm die wichtigsten waren. Sie sollten dem jungen Theologen, der sich auf anderem Wege als seine kantianisierenden Freunde von der Orthodoxie losmachte.

18 Die Vermutung, ein früherer Text Maimons, im besonderen der Versuch über die Transzendentalphilosophie (1790), körme Aufklärung auch für Hegels Bemerkung

geben, läßt sich ebensowenig bestätigen. 1» M. Mendelssohn: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum. Berlin 1783. 84-88. 19 Hegel

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dazu dienen, „gewisser allgemeiner Vorurteile und stillschweigender Voraussetzungen, oder wie Hegel es ausdrückte, Fesseln ledig zu werden".^“ So ist Jerusalem Hegel gewiß wichtiger und vertrauter gewesen als LOCKES Essay. Darüberhinaus sprechen zwei weitere Gründe dafür, daß Hegels Bemerkung aus MENDELSSOHN und nicht aus LOCKE ZU erklären ist.^’ Zum einen ist es MENDELSSOHN, der von „indianischen Weltweisen" zuerst im Plural gesprochen und ihren Gedanken mit der indischen Religion und somit mit „den Indiern" schlechthin in Verbindung gebracht hat. Zum andern aber besteht zwischen Hegels Bemerkung und MENDELSSOHNS Abschnitt die wichtige Übereinstimmung, daß beide eine Kritik der Kritiker des „indianischen Weltweisen" geben. Damit stehen sie allein in der großen Gruppe derer, die ihn zusammen mit ihrem jeweiligen Gegner für „dumm" und seinen Gedanken für fehlerhaft erklären. Zu ihnen gehört auch JACOBI. So dürfen wir armehmen, daß sich Hegel, als er den Vorwurf JACOBIS gegen KANTS Lehre von der Einbildungskraft las, sich der Warnung von MENDELSSOHN erinnerte, der zugleich auch der Antagonist von JACOBI im Streit um SPINOZA gewesen ist. Und wenn er auch die Losung vom „Hen kai Pan" und somit den ersten Gedanken einer „wahrhaften Schildkröte" aus JACOBIS Schrift gegen MENDELSSOHN über SPINOZA genommen hat, so stand er doch in der Tübinger Zeit gegen den Glaubensphilosophen JACOBI, den Bundesgenossen der Orthodoxie seiner Lehrer, und somit auf der Seite von MENDELSSOHN, des Kritikers eines gefesselten Christentums. Auch in den späteren Jahren ist er ihm insoweit gefolgt, als er die Wahrheit des Christentums nicht die Negation der Wahrheit der anderen Weltreligionen sein ließ, sondern sie anerkannte als Stufen der Explikation des spekulativen Gedankens auf dem Wege zu ihr. So ist er, wie vor ihm schon MENDELSSOHN, der mythischen Kosmologie der Inder gerechter geworden als alle die, welche John LOCKE gefolgt sind. Die Schildkröte ist ihr eine Inkarnation Visnus, des Gottes, die Schlange aber, die in MENDELSSOHNS gutem Bericht die Stelle des „letzten Trägers" eingenommen hat, Symbol der Ewigkeit.^® 20 Leutwein an Schwegler. In: Jahrbücher der Gegenwart. 1844, 675-678. Abgedruckt in: Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg, von J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 428 ff. Unser Zitat: 430. 21 Diese Gründe schließen nicht aus, daß Hegel auch Locke und neben Locke Hume oder Fichte oder beide in Erinnerung hatte. Durch die Vermutung, die sie begründen, werden aber alle anderen Annahmen, die ohnehin nicht befriedigend erklären, entbehrlich gemacht. 22 H. V. Clasenapp: Der Hinduismus. München 1922. 229. - Bilderatlas zur Religionsgesdiidrte. Lief. 18-20: Der Hinduismus (bearb. von W. Kirfel). Leipzig 1934. V u. Abb. 4.

Henrich: Die „wahrhafte Schildkröte'

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So ist die Rede von der „wahrhaften Schildkröte", die JACOBI nur in kritischer Absicht geführt hatte und der auch Hegel noch den Anschein des Paradoxen beläßt, nur die Rückführung eines verdorbenen Bildes in den ursprünglichen Zusantmenhang seines Sinnes. Dieter Henridi (Berlin)

ZUR HEGELRENAISSANCE IM VORKRIEGS-HEIDELBERG

Erkenntnissoziologische Beobachtungen

Die Erneuerung des Hegelianismus: so betitelte

1910 seine Heidelberger Akademie-Festrede. Sie erregte Aufsehen und blieb bis in die Gegenwart hinein unvergessen. Doch ist es nicht manchen bewußt, daß es sich hierbei um ein Reagieren auf eine vorhandene Gegebenheit handelt. Letztere aber ist eine Teilerscheinung einer umfassenderen Bewegung, überschneidet sich mit andern Teilerscheinungen innerhalb derselben und erklärt sich weitgehend aus der damaligen Heidelberger Situation, und zwar in zweifacher Weise: Einerseits steht sie in deren Kontinuität, andererseits stellt sie einen partiellen Protest gegen sie dar. Dementsprechend ist eine einleitende Aufreihung der bezeichnendsten Züge des damaligen Heidelberg erforderlich.^ Der Blickpunkt, von dem aus sie, ebenso wie nachher unser Hauptgegenstand, angeschaut werden, ist ausschließlich der erkenntnissoziologische. WINDELBAND

I Zum Gesamtbild des damaligen Heidelberg vgl. insbesondere folgende Arbeiten: Marianne Weber: Max Weber. Heidelberg 1950. Bes. 260-523; H. Driesch: Lebenserinnerungen. München 1951. 128, 141 f, 148 f; L. Curtius; Deutsche und antike Welt. Stuttgart 1958. 239-256; H. Rickert: Wilhelm Windelband. Tübingen 1915; P. Honigsheim u. G. Eisermann: Geschichte der Soziologie. Kap. XII. In: Die Lehre von der Gesellschaft. Hrsg. v. G. Eisermann. Stuttgart 1957. 23-27; Honigsheim: Art. Kant und Neukantianismus, Simmel, Troeltsch, Max Weber in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Stuttgart, Tübingen, Göttingen 1956 ff; Honigsheim: Der Max WeberKreis in Heidelberg. In: Kölner Vierteljahrshefte f. Soziologie. 5 (1926), 270-287; ders.: Wie man in Heidelberg für Simmels Berufung gekämpft hat. In: Buch des Dankes an G. Simmel. Berlin 1958; ders.: Veit Valentin. In: Die Friedens-Warte. 47 (1947), 274-282; W. Mommsen: Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920. Tübingen 1959 (dazu auch Honigsheim in Kölner Zeitschrift f. Soziologie. 13 [1961], H. 2.).

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1. Das liberal-individualistisch-neukantianische Heidelberg

Nur drei charakteristische Erscheinungen des damaligen Heidelberg, die allerdings zu den folgenschwersten gehören, seien genannt; Zum ersten der süddeutsche Neukantianismus. Er knüpft in gewisser Hinsicht an Friedrich Albert LANGE an. Letzterer seinerseits steht innerhalb von kontinuierlichen Reihen, welche von KANT selbst ausgehen und durch mehrere Rinnsale zu LANGE hinleiten. Der Heidelberger Neukantianismus eliminiert aber zum mindesten drei Elemente, die in LANGES Gesamtkonzeption enthalten waren. Es sind: die physiologisch-psychologischen Elemente innerhalb des Gesamtgefüges der Erkenntnislehre, ferner die Auffassung von Religion und Metaphysik als Dichtungen, sowie schließlich die Rolle, welche der Mathematik zugesprochen wird. Die Hauptvertreter des damaligen Heidelberger Neukantianismus sind dann: WINDELBAND, RICKERT, LASK und Max WEBER. Dazu kommen Georg JELLINEK und TROELTSCH. Ersterer steht aber zudem innerhalb einer Kontinuität, die von dem selbständigsten Schellingianer KRAUSE ausgeht. Sie wirkt sich allerdings bei JELLINEK in einer viel weniger folgenschweren Weise aus als bei etlichen Rechtsphilosophen außerhalb der neukantianischen Schule.^ TROELTSCH seinerseits war als Student durch seinen Lehrer RITSCHL mit einer Erkenntnislehre in Kontakt gebracht worden, welche sich gleichfalls bis zu einem gewissen Grade auf KANT berief. Sie war aber von derjenigen der Süddeutschen verschieden. TROELTSCH hatte dann dem Metaphysischen einen größeren Spielraum gewährt als RITSCHL selbst und mehrere Heidelberger. Zum zweiten ist das damalige Heidelberg durch die Rolle des liberalen, d. h. also primär bibelkritisch gesinnten Protestantismus gekennzeichnet. Bezeichnenderweise war nur ein einziges Mitglied der damaligen theologischen Fakultät, Ludwig LEMME, im positiv-protestantischen Sinne gläubig. Schließlich war man auch politisch mehr oder weniger liberal, und zwar mit einem mehr oder minder sozialpolitischen Einschlag. Zu den engsten Freunden von Max WEBER und TROELTSCH gehörte Friedrich NAUMANN, der mehrfach in Heidelberg war. Er charakterisierte die unmittelbar zurückliegende Zeit durch die Worte: „Damals war man liberal, und wenn man

2 Dies z. T. auf Grund persönlicher Gespräche mit G. Jellinek sowie von Papieren, die seine Tochter, Frau Dr. Dora Busch, dem Verf. in dankenswerter Weise zur Verfügung stellte. Vgl. Honigsheim: Georg Jellinek und die internationale Staatengemeinschaft. In: Die Friedens-Warte. 51 (1951), 65-72; ders.; Art. Georg Jellinek. In; Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Erg.-Bd.

Honigsheim: Hegel im Vorkriegs-Heidelberg

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es nicht war, so mußte man schon seine Gründe angeben, weshalb man es nicht war." - Gerade in Heidelberg begann man nun aber damals, nicht mehr „liberal" zu sein.

2. Der Wunsch nach Metaphysik und nach „neuen Bindungen" Gewiß hatte es seit den 80er Jahren auch unter Intellektuellen antibürgerliche, und das heißt fast regelmäßig auch anti-liberale Persönlichkeiten gegeben; sie hatten sogar zum Teil durch Mittelglieder wie SCHOPENHAUER und den ganz späten SCHELLING in unabgerissener Filiation zur Romantik gestanden. Genannt seien nur LAGARDE, ein Verknüpf er von philosophisch-historischer Bibelwissenschaft mit LuTHERhaß und prononziertem Deutschtum, Konstantin FRANTZ, ein Spätschellingianer und konservativer, anti-Bismarckianischer Föderalist, BACHOFEN, ein Hervorheber der mutterrechtlichen Gesellschaften als unwiederbringlich verloren gegangener Kulturen, dann Eduard HAHN und RULAND, schließlich der sogenannte „Rembrandtdeutsche" Julius LANGBEHN mit seiner deutsch-traditionalistischen Bauern- und Handwerkerideologie; ihn ekelte die technischrationalistische Umwelt derart an, daß er in völliger Verschollenheit lebte und starb (1905); erst 1909 wurden seine Gedanken wieder ausgegraben. Im Zusammenhang hiermit ist er damals auch in der Neckarstadt besprochen worden. Sonst aber führen keine Linien von den Genannten in das sich verändernde Heidelberg hinein, mit der einen Ausnahme des GEORGEkreises. Dieses andere Heidelberg bildet die Folie, ohne deren Kenntnis der NeuHegelianismus, aber auch die spätere Abwendung von ihm unverständlich bleiben. Jenem anderen Heidelberg wenden wir uns also nunmehr zu. In Hinsicht auf die politisch-soziale Sphäre scheint auf den ersten Blick den Gestalten, um die es sich handelt, nicht allzuviel gemein zu sein. Tatsächlich ist es aber vorhanden. Suchen wir also zuerst das Gemeinsame herauszukristallisieren. Die gesellschaftlichen Gebilde und unter ihnen nicht zuletzt der Staat beginnen nicht mehr primär oder gar ausschließlich im Sinne von Naturrecht, ökonomischem Liberalismus und extremem Neukantianismus als Summe von Individuen angesehen zu werden; man fängt vielmehr an, sie als hiervon verschieden und als eigenwertbehaftet anzusehen, und Analoges gilt von der Kirche. Letztere war ja bis kurz vorher auch in ihren verschiedenen Varianten fast nur noch entweder ignoriert oder als politischer und kultureller Feind empfunden worden. Jetzt dagegen wünscht man das Individuum aus seiner vermeintlichen „Isoliertheit"

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herausgenommen und in überindividuelle Gebilde eingegliedert zu sehen. Diese ihrerseits aber will man eben nicht als Gebilde verstanden wissen, die aus Individuen zusammengesetzt seien, welch letztere als gewissermaßen zu einander addiert zu gelten hätten. Vielmehr will man die Gebilde in gruppenmetaphysischem Sinne als überindividuelle Ganzheiten verstanden sehen. Das mochte nun nach der Meinung mancher gleichzeitig „neue Bindungen" des Individuums bedeuten. Die aber war man nicht nur in Kauf zu nehmen bereit, man sehnte sich vielmehr geradezu nach ihnen, und die Wortkombination „neue Bindungen" ist später an einigen Stellen direkt zum Schlagwort geworden. Insbesondere empfand man es dabei als unhaltbar, daß das Individuum als solches, unabhängig von Eigenart und Fähigkeit, in autonomer Weise Entscheidungen zu treffen berufen sein sollte. So erklärte Georg LUKACS: „Der ganze Individualismus ist Schwindel; Stefan GEORGE darf eine Persönlichkeit sein, aber nicht jeder Elektrische-Bahn-Schaffner." Diese beiden Namen, LUKACS und GEORGE, sind nun aber gleichzeitig für die Wandlungen innerhalb der religiösen Sphäre symptomatisch. Innerhalb ihrer änderte sich nämlich zunächst einmal die Einstellung vier religiösen Haltungen und hiermit auch den entsprechenden Vergesellschaftungsgebilden gegenüber. Es sind diese: Zum ersten der Katholizismus. Er hatte in Deutschland bis dahin weitgehend ein Ghettodasein gelebt, und gerade in Heidelberg bezeichnete ihn WINDELBAND als die recht eigentliche Kulturgefahr. Nun änderte sich das, und zwar insbesondere auf zweifachem Wege. Einmal durch den GEORGEkreis. Er pries ein Leben der Würde und Geformtheit, wie man es nicht zuletzt im Katholizismus verwirklicht zu sehen glaubte, und Stefan GEORGE, der Führer, war selber ein Katholik. Die Anhänger aber, und nicht zuletzt GUNDOLF, dieser klassische Typus des „Zweiten", glaubten an ihn wie an einen Offenbarer. Zudem vertraten der eben erwähnte LUKACS sowie Ernst BLOCH in jenen Tagen eine Kombination von ökonomischmarxistischen und katholischen Elementen®. Nun war allerdings der damalige Katholizismus des GEORGEtums mittelalterlich-benediktinischer, derjenige der LUKACS und BLOCH gnostisch-dualistischer Natur. Beide wichen also vom Neuthomismus ab, der unter Jesuitischer Führung im Katholizismus zunehmend dominierend geworden war. Das verschlug aber damals

* G. V. Lukacs; Die Seele und die Formen. Berlin 1911; E. Bloch: Geist der Utopie. München 1918. 2. Aufl. 1923; in ähnlichem Sinne ist auch abgefaßt E. Bloch: Thomas Münzer als Theologe der Revolution. München 1922. 2. Aufl. Berlin 1960. Lukacs' späteres, marxistisches System ist entwickelt in: Geschichte und Klassenbewußtsein. Berlin 1922.

Honigsheim: Hegel im Vorkriegs-Heidelberg

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nicht viel; denn abgesehen von GOTHEIN war kaum jemand mit den innerkatholischen Antagonismen vertraut. Zum zweiten trat das Ostchristentum ins Blickfeld. Es war bis dahin höchstens ein übrigens wenig beachtetes Feld der Theologen gewesen. Unter ihnen hatte HARNACK, der in der Vorkriegszeit vielen als Autorität galt, es als erstarrt und wenig beachtenswürdig bezeichnet. Jetzt wurde die Religion DOSTOJEWSKIJS durch russische Studenten bekannt gemacht. Letztere fanden nämlich auf den Wegen über JELUNEKS Seminar, über das Cafe HäBERLEIN und über den Max WEBER-Kreis Zugang zur akademischen Öffentlichkeit, und von ihnen promovierte Fedor STEPUN mit einer philosophischen Dissertation über SOLOVIEW. Zudem behandelte der Halbrusse VON BUBNOFF in seinen Kollegs über Mystik u. a. auch byzantinische und moskowitische Erscheinungen.^ Drittens wird das Judentum aus einer Rasse, deren sich die assimilatorischen Eltern schämen, zu einer religiösen Einstellung, zu der sich die Söhne mit Stolz bekennen. Martin BUBER® wird bekannt und bewundert und mit ihm seine Kündungen von der Ich-Du-Relation nebst der Mystik des ostjüdischen Chassidismus, innerhalb dessen er jene insbesondere verwirklicht zu sehen glaubt. Letzterer ist seitdem und eben gerade deshalb Alfred WEBER zufolge einer der mitbestimmenden Faktoren neuzeitlichen Seins geworden. Schließlich ersteht sogar eine totgesagte protestantische Gläubigkeit aus ihrem Grabe. Typisch hierfür ist die damalige Wiederentdeckung von HAMANN und KIERKEGAARD. Der „Magus des Nordens" hatte einst die Lauge seines Hohnes über die Aufklärung ergossen, dabei auch KANT nicht verschont und, hierin HERDER und JACOBI ähnlich, einen unter den zahlreichen Quellflüssen der Romantik bilden helfen. Ihn aber proklamierte jetzt ein WiNDELBANDSchüler BURSCHELL®, und zwar nicht etwa nur als erforschenswertes Objekt philologisch-historischer Akribie, sondern direkt als gegenwarts-bedeutsame Gestalt. Folgenschwerer aber ist die Wiederentdeckung KIERKEGAARDS. Dieser dänische Orthodoxe hatte seinerzeit sein konzessionsloses „Entweder-Oder" mit Wucht seiner angestammten Staatskirche entgegengeschleudert. Sie ertrug ihn kaum; und tatsächlich

< N. V. Bubnoff: Das Problem der spekulativen Mystik. In: Logos. 8 (1919), 163-178; F. Steppuhn: W. Ssolowjew. Heidelberg, Phil. Diss. v. 1910. * Aus den zahlreichen Schriften von M. Buber sind, als in unserem Zusammeirhang bes. charakteristisch, anzuführen: Zwiesprache. Berlin 1932; Kampf um Israel. Berlin 1932; Die Chassidischen Bücher. Hellerau 1928 u. ö.; Reden über das Judentum. Frankfurt 1923. * F. Burschell: Über Johann Georg Hamann. In: Logos. 4 (1913), 100-109.

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konnte er nur durch Autosuggestion sich glauben machen, er sei Lutheraner. In Wirklichkeit war er ein eigenwilliger Nachfahre der Wiedertäufer. Er war dann weitgehend vergessen worden und nur innerhalb kleinzahliger Gruppen evangelischer Erweckungs- und Gemeinschaftschristen bekannt geblieben. Jetzt aber reihte ihn der schon erwähnte LUKACS in die Gegenwartsproblematik ein’, und dies längst bevor ihn Kulturpessimisten als Vorläufer SPENGLERS und Existenzialisten als ihren Ahnherrn proklamierten. Hier ist nun aber schließlich ein Wort über Hans DRIESCH® am Ort wenn auch mit allem Vorbehalt. Denn er war zwar einerseits zum Unterschied von den Genannten weitgehend a-historisch eingestellt, zudem ein Gegner „neuer Bindungen", von Anfang an der deutschen Siegmöglichkeit im ersten Weltkrieg gegenüber skeptisch und dann prononzierter Bejaher von Republik und Pazifismus; andererseits aber eben doch - und deshalb gehört er schließlich auch hierher - der Ersinner eines neo-vitalistischen Systems. Das Reagieren auf alles Geschilderte war verschiedenartig: BLOCH wurde weitgehend abgelehnt, am meisten von DRIESCH und TROELTSCH. Letzterer anerkannte zwar das Anti-mechanizistische, verwarf aber das A-historische an DRIESCH. Max WEBER lehnte DRIESCH und erst recht BLOCH ab, war andererseits aber einer der wenigen Professoren, die mit Stefan GEORGE in intensivere Berührung kamen, und schätzte LUKACS insbesondere wegen seiner ästhetischen Theorie. Umgekehrt war LASK wegen der „katholisierenden Bestrebungen" von BLOCH und LUKACS sehr besorgt. Den Genannten und einigen sonstigen war somit eigentlich nur die Ablehnung von reinem Autonomismus, von Nur-Empirizismus und von prinzipiell anti-philosophischer Einzelwissenschaftlichkeit gemeinsam. Von dieser negativen Gemeinschaft aus schuf man sich nun aber zwei Organe, die Zeitschrift Logos sowie unformelle Zusammenkünfte mit ähnlich Eingestellten aus Freiburg und Straßburg in Baden-Baden. Die Reaktion auf letzteres nuancierte sich von Spott und Hohn bis zu Max WEBERS Haltung. Er protegierte ja Protestler und Neuerer auch oder vielmehr gerade, wenn er ihr Programm haßte, so wie er Hegel haßte. So auch in diesem Fall,

r Lukacs; Die Seele . . . (s. Anm. 3). 8 H. Driesch: Zwei Vorträge zur Naturphilosophie. Leipzig 1910; ders.; Über die

grundsätzliche Unmöglichkeit einer ,Vereinigung' von universeller Teleologie und Mechanismus. (Sitzungsberidite d. Heidelberger Akademie d. Wissenschaften. Phil.-hist. Kl. 1914, Nr 1.) - Drieschs demokratische und pazifistische Haltung findet sich an folgenden Stellen seiner Schriften: Die sittliche Tat. Leipzig 1927. II, 4; Der Mensch und die Welt. Leipzig 1928. 104 f; Lebenserinnerungen. 155, 285.

Honigsheim: Hegel im Vorkriegs-Heidelberg

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„und wenn es auch ein Hegelklub wäre". Es war nun wirklich kein Hegelklub. Wohl aber stellt alles Geschilderte, wie eingangs betont, die Folie dar, ohne deren Kenntnis das Wiedererwachen des Hegelianismus, das sich von ihr abhebt, unverständlich bleibt.

3.

Der Neu-Hegelianismus

Dieser Neo-Hegelianismus knüpft nicht etwa an eine Heidelberger Hegel-Kontinuität an. Kuno FISCHER war zwar ursprünglich Hegelianer gewesen, dann aber einer der Rufer „zurück zu KANT", dann lange Zeit der „Stadtgötze von Heidelberg", schließlich aber hauptsächlich nur noch ein Objekt von Witzen und Legenden geworden und deshalb für die hier in Frage kommende Generation wenig bedeutsam.® Nun war Hegel allerdings WINDELBAND, JELLINEK und TROELTSCH sehr vertraut und vielfach Objekt ihrer Schriften, Vorlesungen und Übungen; auch gingen aus WINDELBANDS Seminar schon in seiner Straßburger, erst recht aber in seiner Heidelberger Zeit viele philosophie-historische Dissertationen hervor, darunter die damals viel beachtete von O'SULLIVAN Ver-

gleich der Methoden Kants und Hegels auf Grund ihrer Behandlung der Kategorie der Quantität (1908). Trotzdem entsproß der Neo-Hegelianismus in geringem Maße dem offiziellen Heidelberger Universitätsunterricht.

Noch geringfügiger ist die Verknüpftheit mit dem in Berlin wirkenden Althegelianer Adolf LASSON und seinem Sohn Georg LASSON. Die editorischen Arbeiten des letzteren'® fallen großenteils in eine Zeit, als die Heidelberger Hegel-Renaissance schon begonnen hatte. Schließlich handelt es sich beim Neo-Hegelianismus auch nicht um die Auswirkung eines einzelnen Individuums, von dem aus es dann auf andere ausgestrahlt hätte. Vielmehr wurde auf die gleiche Fragestellung mehr als einmal die gleiche Antwort erteilt, und zwar unabhängig voneinander durch mehrere Personen. Und so sind denn nun hier als Autoren zu nennen, die von sich zum Hegelianismus gelangten: Siegfried BEHN“. Er hatte bei WINDELBAND mit

» K. Fischer: Hegels Leben, Werke und Lehre. Heidelberg 1901. 2. Aufl. 1911. Vgl. auch W. Windelband: Kuno Fischer. Heidelberg 1907. I® Vgl. die Details bei F. Nicolin: Die neue Hegel-Gesamtausgabe. In; HegelStudien. 1 (1961), 302 ff. n S. Behn: Die Systembildung des dogmatischen Rationalismus im Lichte von Kants Amphibolien der Reflexionsbegriffe dargestellt. Heidelberg, Phil. Diss. v. 1908; ders.: Über das religiöse Genie. In: Archiv f. Religions-Psychologie. 1 (1914), 45-67.

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einer kantianisierenden Dissertation promoviert, zudem aber stets ein, insbesondere religions-psychologisches Interesse an buddhistischer und franziskanischer Mystik bekundet, sich dann aber seit Frühjahr 1909 als Hegelianer bezeichnet und den ersten Weltkrieg, an dem er auch teilnahm, bejaht. Dann Irene BEHN, Gattin des vorigen. Sie zeigte mystikhistorische Interessen und verfaßte eine Dissertation über Leone Battista Alberti als Kunstphilosoph (1911), die weitgehend mit hegelianischen Begriffen operiert. Drittens Julius EBBINGHAUS*^. Auch er war WiNDELBANOschüler, zudem der Sohn des bekannten empirizistisch eingestellten Psychologen und wurde wegen seiner Verschiedenheit von letzterem durch DRIESCH unter Verwendung Hegelscher Terminologie mit dem Epiteton „Die Idee des Vaters in ihrem Anderssein" belegt. Viertens Hans EHRENBERG*®. Er hatte als Wirtschaftswissenschaftler bei Lujo BRENTANO promoviert, erklärte dabei stets „antiliberal" gewesen zu sein, war eine Zeitlang Leser der konservativen Kreuzzeitung, ging dann zur Philosophie über, und zwar, obwohl er von Hause aus Jude war, zu einem Rechtshegelianismus von prononziert positiv-protestantischem Charakter. Von der gleichen Grundlage aus erwies er sich im ersten Weltkrieg, an dem er teilnahm, als „ganz militärisch gesinnt"*^. Schließlich Franz ROSENZWEIG. Er lebte zwar meist in Freiburg, gehörte aber ganz zu diesem Kreis in Heidelberg, wohin er oft kam. Er war ursprünglich als Historiker Schüler von MEINECKE gewesen, der ihm die Habilitation vorschlug. Er schrieb eine Arbeit, in der er den jungen SCHELLING als Verfasser des sogenannten Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus hinstellte, insbesondere aber das Buch Hegel und der Staat^^. Obwohl er im ersten Weltkrieg dem Sanitätsdienst zugeteilt worden war, meldete er sich doch, aus einer ähnlichen Einstellung heraus wie EHRENBERG, an die Front.*® Dabei erlitt er derartige Rückenmarksverletzungen, daß er für den Rest seines kurzen Lebens völlig gelähmt blieb.

1* 7. Ebbinghaus: Relativer und absoluter Idealismus. (Heidelberg, Phil. Diss. v. 1910.) Leipzig 1910. 13 H. Ehrenberg: Die Eisenhüttentechnik und der deutsche Hüttenarbeiter. Stuttgart 1906. Insbes. Kap. 1; ders.: Die Gesdiidite des Mensdten unserer Zeit. Heidelberg 1911. Vgl. audi Hegels Erstes System. Hrsg. v. H. Ehrenberg u. H. Link. Eingel. v. H. Ehrenberg. Heidelberg 1915. 13 Brieflidie Mitteilung der ihm verwandten Frau Rosenzweig in Kassel 1915 an den Verf. 1* Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Ein handschriftlicher Fund mitgeteilt von F. Rosenzweig. (Sitzungsberichte d. Heidelberger Akademie d. Wissenschaften. Phil.-hist. Kl. 1917, Nr 5.); F. Rosenzweig: Hegel und der Staat. München u. Berlin 1920. IS Briefliche Mitteilung seiner Mutter 1915 an den Verf.

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Man reagierte an der Neckarstadtuniversität auf alles dies recht verschieden. Ablehnend verhielten sich DRIESCH, LASK und Max WEBER. Der erstere war der deutschen nachkantianischen Transzendentalphilosophie sowieso abgeneigt. Der zweitgenannte war der Freund und Protege Max WEBERS; er empfand jene Bestrebungen als Verstöße gegen das Postulat „intellektueller Rechtschaffenheit" - diese Wortkombination im Sinne WEBERS verstanden. Letzterer seinerseits haßte Hegel. Er war ihm der Träger einer Geschichtskonstruktion, die erkenntnistheoretisch nicht fundiert sei, und der Verherrlicher eines Preußenstaates, der eine Bindung des Individuums darstellte, die mit dessen Dignität nicht vereinbar sei. Trotzdem ertrug er die neuen Gegner von seinem Gerechtigkeitsstandpunkt aus. WINDELBAND schließlich vertrat ja einen Neukantianismus, der von seinem Lebensfreund JELLINEK nicht ganz mit Unrecht als Neo-Fichtianismus charakterisiert wurde. Er vermochte denn auch relativ leichter Zugang zu finden und hielt die Akademierede, von der wir ausgingen. Diese Hegelrenaissance hat keinen allzulangen Bestand gehabt. Denn es wandten sich: Siegfried und Irene BEHN zum Katholizismus, den er mit weitergeführten psychologischen Studien verknüpfte, während sie sich mit spanischer Mystik befaßte, zugleich aber auch das Regime des General FRANCO bejahte^’. EBBINGHAUS wandte sich zum Kantianismus, EHRENBERG auf dem Umweg über den späten SCHELLING und unter Einbeziehung ostchristlicher Elemente zum positiven Protestantismus*®, ROSENZWEIG erneut zum Judentum als Religion, der er laut eigener Erklärung vorher entfremdet worden war; er schrieb seinen Stern der Erlösung und wurde Martin BUBERS Mitarbeiter bei der Übersetzung des Alten Testaments**. Die Beantwortung der Frage nach dem Warum dieser Abwanderung hängt nun aber eindeutig mit mehreren anderen Problemen zusammen, auf die abschließend noch kurz einzugehen ist.

■' I. Behn: Spanische Mystik. Düsseldorf 1957. Vgl. audi /■ M. Pentan: Flammendes Spanien. Übers, v. I. Behn. Salzburg o. J.; s. bes. Einführungsteil, 9-58. H. Ehrenberg: Die Heimkehr des Ketzers. Frankfurt 1920; ders.: Evangelisches Laienbüchlein. Tübingen 1922; ders.: Disputation. 3 Bde. München 1923/24; vgl. auch östliches Christentum. Dokumente hrsg. v. H. Ehrenberg u. N. v. Bubnoff. 2 Bde. München 1923-25. - Zur Rolle von Schellings Gedankenwelt in diesem Zusammenhang vgl. Honigsheim: Schelling als Sozialphilosoph und seine Auswirkungen in Deutschland. In: Kölner Zeitschrift f. Soziologie. 6 (1953/54), 260-271; ders.: Schelling und seine Stellung in der Geschichte der Völkerannäherung. In: Die Friedens-Warte. 52 (1954), 244-253. I» f. Rosenzweig: Der Stern der Erlösung. Frankfurt 1921. 2. Aufl. 1930; ders.: Zweistromland. Kleinere Schriften zur Religion und Philosophie. Berlin 1926. Vgl. ferner: Die Schrift zu verdeutschen unternommen v. M. Buber gemeinsam mit F. Rosenzweig. Berlin 1930 ff.

300

4.

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Die Ursachen von Genesis und Ausgang des Heidelberger NeoHegelianismus

Wie ist es zunächst zu erklären, daß sich unter den doch relativ wenigen Gestalten des hier geschilderten nicht-neukantianischen Heidelberg vier Juden befinden, BLOCH, EHRENBERG, LUKACS und ROSENZWEIG? Der europäische Jude hatte, und zwar am unverfälschtesten in Polen und Rußland, relativ unberührt von sonstigen Einflüssen innerhalb einer eigenständigen Kultur gelebt, und letztere hatte seine sämtlichen Seinssphären bestimmt. Mit solcher Grundlage war dann der emanzipierte Jude in die okzidentale Weit des Liberalismus eingetreten, scheinbar als Gleichberechtigter, tatsächlich aber als eben gerade Geduldeter. Drei Verhaltensmöglichkeiten ergaben sich dann. Erstens das Bestreben, sich möglichst zu assimilieren, und dann wurde man ein Großstadtskeptiker; zweitens umgekehrt, das bewußte Betonen des Judentums, gegebenenfalls in Gestalt zionistischer Forderung; drittens aber mochte man sich zwar in der okzidentalen Welt isoliert fühlen, vermochte aber trotzdem den Weg aus dem neuzeitlichen Intellektualismus heraus und in das gläubige Judentum zurück nicht mehr zu finden. Dann aber war ein Spezialfall einer Situation gegeben, deren regelmäßiges Eintreten der Verfasser dieser Zeilen erwiesen hat: Eine vorher prononziert religiöse Gruppe, welche ihren früheren Glauben nicht mehr hat, behält die Sozialethik bei, welche letzterem entstammt. Und so sehnt sich denn ein spezieller Judentyp nach „neuen Bindungen". Das hat später auch der Halbjude Max SCHELER getan. Das taten nun aber, wie oben gezeigt, auch mehrere Nicht-Juden. Letzteres erklärt sich folgendermaßen: Der zuletzt geschilderte Judentyp ist nur ein extremer Fall eines ungleich generelleren Typs. Dieser findet sich regelmäßig in Epochen von Entwurzeltheit und Umbruch. Er will nicht dauernd vor die Verpflichtung gestellt sein, autonom entscheiden zu müssen, und begibt sich in Gebilde, die von ihm in antinominalistischer Weise als Ganzheiten gesehen werden, sei dies der Machtstaat nationaler oder moskowitischer Observanz, sei es die Kirche, sei es schließlich eine Gesellschaft, die im Sinne eines Neuhegelianismus konzipiert ist. Hiermit ist nun aber gleichzeitig angedeutet, warum die Anhängerschaft des letzteren geringerzahlig ist als die der anderen und sich so schnell wieder abwendet zu anderen Gebilden hin: Wie sozusagen alle seine Zeitgenossen ist auch Hegel durch den Kantianismus hindurchgegangen, und es verbleibt selbst im konservativsten Flügel des Rechtshegelianismus, z. B. bei DAUB und MARHEINEKE, ein protestantisches Eie-

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ment der Selbstentscheidung. Demgegenüber repräsentieren nationale und kommunistische Machtstaaten sowie katholische Kirche eine ungleich stärkere Bindung, d. h. eine solche, wie sie jener Menschentyp eben wünscht. Warum geschah dies alles nun aber gerade in Heidelberg? Diese Universität akzeptierte Leute, die aus politischen oder rassischen Gründen anderwärts, insbesondere in ihren Heimatländern unmöglich waren. Darunter befanden sich russische Revolutionäre aller Schattierungen, österreichische Balkan-Slaven und Juden. Zudem war es die Stätte des äußersten Autonomismus. Er wurde insbesondere durch Max WEBER verkündet. Er aber wie übrigens in mehr oder weniger starkem Maße der gesamte Heidelberger Liberalismus - provozierte, andererseits aber tolerierte, seinen Gegenschlag, und Max WEBER mit seinem unerbittlichen Gerechtigkeitsgefühl protegierte geradezu mehr als eine unter jenen „Gestalten vom Gegenpol". Sie aber haben die Independenz, die ihnen der Heidelberger „Liberalismus" gewährte, benutzt, um ihn zu untergraben. Max WEBER selbst hat dann allerdings ihren definitiven Übergang zu Faschismus, Katholizismus, positivem Protestantismus und Judentum nicht mehr erlebt. In einem begrenzten Maße mögen bei diesen letztgenannten Prozessen Hegelianische Elemente in die erwählten Gebilde mit hinübergenommen worden sein. Dem nachzugehen ist hier nicht mehr der Ort. Sollten doch diese Zeilen nichts anderes bringen, als eine Analyse einer Hegel-Renaissance im Vorkriegs-Heidelberg. Paul Honigsheim t (East Lansing, Mich.)

LITERATURBERICHTE UND KRITIK

ZUR PROBLEMATIK DER HEGELSCHEN DIALEKTIK Bemerkungen im Anschluß an eine Schrift von Werner Flach

I. Es sei mir gestattet, meine Erörterung mit einigen halbpersönlidien Bemerkungen zu beginnen, die durch Werner FLACHS Anknüpfung an Gedanken hervorgerufen werden, welche mein Lehrer Heinrich RICKERT vor etwa 50 Jahren geäußert hat, und welche idi vor etwa 40 Jahren einer eingehenden Würdigung und Kritik unterzog*. Als ich aus dem Kriege zurückkehrte, fand ich RICKERT in Freiburg nicht mehr vor, da er inzwischen einem Ruf nach Heidelberg gefolgt war. Wir begannen daher über seine Gedanken zu korrespondieren und wechselten eine Zeitlang Briefe, die sich manchmal zu wahren Abhandlungen ausdehnten. (Leider habe ich diese Briefe zusammen mit all meinem Hab und Gut dadurch eingebüßt, daß sie von den Nazis „konfisziert" und wahrscheinlich vernichtet wurden.) Werner FLACH hat in seiner Schrift Negation und Andersheit sowie bereits vorher in einem Zeitschriftenaufsatz* die RicKERTSchen Thesen sowie meine eigenen gründlich erörtert und seine Stellungnahme in selbständiger Weise dargestellt. Da Fragen der Hegelschen Dialektik dabei zur Erwägung stehen, ist es schwierig, in einem kurzen Bericht Rechenschaft von seinen Überlegungen zu geben und sie zugleich kritisch zu behandeln. Diese Schwierigkeit erhöht sich noch dadurch, daß ich sozusagen den Zeiger meiner Lebensuhr um soviele Jahrzehnte zurücJcstellen und ihn gewissermaßen an dem Punkte sich weiter bewegen lassen muß, wo sich damals mein Denken befand; in der Zwischenzeit habe ich viele andere Wege eingeschlagen und kann mich so leicht nicht wieder dorthin zurückversetzen, wohin mich die scharfsinnigen und wertvollen Arbeiten von Herrn FLACH * Es handelt sich um Rickerts hervorragenden Aufsatz; Das Eine, die Einheit und die Eins. Bemerkungen zur Logik des Zahlbegriffs. In: Logos. 2 (1911/12), 26-78. Später als „2. umgearbeitete Auflage" auch selbständig erschienen: Tübingen 1914. (Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte. 1.) - Meine Erwiderung findet sich in dem Aufsatz: Anschauen und Denken. Kritische Bemerkungen zu Rickerts heterothetischem Denkprinzip. In: Logos. 13 (1924/25), 90-127. * W. Flach; Negation und Andersheit. Ein Beitrag zur Problematik der Letztimplikation. München u. Basel 1959. 79 S. - Ders.: Kroner und der Weg von Kant bis Hegel. Die systematischen Voraussetzungen der Kronerschen Kantkritik. In; Zeitschrift für philosophische Forschung. 12 (1958), 554-579.

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rufen. Dennoch will ich mein Bestes tun, um der Herausforderung zu begegnen, die in den Gedanken des jüngeren Philosophen enthalten ist. Ich habe mich über diese Gedanken gefreut, da sie mit größerem Verständnisse geäußert sind als irgendeine frühere Entgegnung, deren ich mich erinnern kann. Jedoch muß ich auch zugeben, daß ich nicht durchaus sicher bin, ob ich die neuen Gedanken richtig verstehen kann, da dies in meinem Alter keine kleine Aufgabe bedeutet. In bestimmtem Sinne nimmt FLACH Partei für RICKERT in der Streitsache, um die es damals ging. Er verteidigt, was RICKERT das heterothetische oder heterologische Denkprinzip nannte, gegen meine Ausstellungen und lehnt die von mir vorgeschlagene Heautologie ab. Es ist mir, wenn ich seine Schriften lese, beinahe als ob der Geist meines Lehrers wieder zu mir spräche. Freilich, zwischen FLACH und RICKERT besteht ein sehr wesentlicher Unterschied, da FLACH schließlich in Hegelsche Bahnen einlenkt und sich daher mit mir mehr begegnet als RICKERT das getan hätte, der im Kerne ein Kantianer blieb oder bleiben wollte. Zwar kaim ich FLACH darin zustimmen, daß der Aufsatz über das Eine spekulativer ist, als die Kantianer es gewöhnlich zu sein pflegten; dennoch war es RICKERT darum zu tun, das KANTische Denken logisch zu rechtfertigen und grundsätzlich zu verankern, während ich über KANT hinausstrebte. In meiner Kritik der heterologischen These RICKERTS hatte ich gezeigt, daß sie unentrinnbare und unlösliche Widersprüche in sich enthalte, weil sie das Eine und das Andere nicht als ein in sich selbst gegensätzliches Identisches verstehe, sondern vielmehr zähe an der Andersheit des Anderen festhalte. Diese Widersprüche, so führte ich aus, lassen sich nur verstehen und überwinden, wenn man sich klar macht, daß die Reflexion auf das erkennende Denken letzthin ein sich selbst denkendes Denken oder ein Denken des Selbsts sei; das heautologische^, nicht das heterologische Prinzip sei daher das KANTS transzendentale Logik beherrschende; dies hat erst Hegel ganz begriffen, wodurch seine Verwandlung der transzendentalen in eine dialektische Logik entstand. Ich kann das Erkennen des Gegenstandes (die sog. Erfahrung der Dinge) nur dann seiner Möglichkeit nach deduzieren, wenn ich - KANTisch gesprochen - nicht bei der transzendentalen Analytik stehen bleibe, sondern bis zur transzendentalen Dialektik fortschreite und in ihr die eigentliche Methode auch der erkenntnistheoretischen Analyse entdecke - oder wenn ich die transzendentale Deduktion im Lichte der Dialektik sehe und hier ihre letzte Wurzel finde. Im wesentlichen schließt sich FLACH in seinem Aufsatze wie in dem ersten Teil seines Buches dem RiCKERTschen Denken an. Zwar bemängelt er einige RicKERTsche Wendungen; aber er bemüht sich doch, das heterothetische Prinzip gegenüber meinen Einwendungen aufrechtzuerhalten, sogar auch noch im zweiten Teile seiner Schrift, in welchem er die Notwendigkeit des dialektischen Widerspruchs zugibt. Das Eigentümlich-Neue seiner Position ist die Verbindung des KANTisch-RicKERTschen analytischen Denkens mit der Hegelschen Dialektik, worüber ich weiterhin mehr sagen werde. Als ich meinen Aufsatz Anschauen und Denken zwei Jahre vor der Veröffentlichung RICKERT im Manuskript zusandte, weil ich ihn mit meiner kritischen Haltung nicht erst nach der Drucklegung bekannt machen wollte, war er sehr erzürnt und sagte mir bei einem Besuche in Heidelberg: „Wenn Sie diesen Aufsatz veröffentlichen, werde ich mich gezwungen sehen, der Leserwelt zu erklären, daß mein ehemaliger Schüler mich

3 heautos im Griechischen; das Selbst.

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niemals verstanden hat." Ich zögerte daher nodi zwei Jahre, ehe idi mich entsdiloß, midi durch RICKERTS ärgerliche Äußerung nicht zurückschredcen zu lassen, sondern meinen Aufsatz zum Abdrude zu bringen. Ich hatte ein gutes Gewissen, denn meine Kritik war rein sachlich und zeigte, daß ich RICKERTS Gedanken sehr hoch schätzte; auch war ich nicht leichten Sinnes zu meiner Stellungnahme gelangt, sondern vielmehr nach sehr ernsten Erwägungen und inneren Kämpfen. RICKERT gab seine Erklärung tatsächlich niemals ab; doch Ignorierte er meine Einwände und erwähnte, soweit ich mich erinnern kann, niemals mehr meinen Namen. Persönlich aber schien er völlig versöhnt zu sein und fuhr fort, mit mir zu philosophieren. Unser Gedankenkampf spitzte sich mehr und mehr zu der Frage zu, ob die Philosophie - und insbesondere die transzendentale, von KANT ins Leben gerufene - in einem rein erkenntnistheoretischen Pluralismus enden dürfe oder aber in einem metaphysischen Monismus. Rein logisch gewendet ging es um den Primat entweder der Andersheit oder der zum Widerspruche führenden Gegensätzlichkeit; um die Alternative einer transzendentalen Analytik oder einer spekulativen Dialektik. Argumente wurden hin und her geworfen, bis sich endlich die Energie dieses Gespräches erschöpfte. Ich bestand darauf, daß im „Anderen" die Negation des „Einen" impliziert liege, und daß nur das empirisch-vorphilosophische Denken der erfahrbaren Gegenstände von dieser immanenten Negation frei sei, weil es auf sie nicht reflektiere, während das philosophische Denken die Aufgabe habe, diese Reflexion vorzunehmen, und so unweigerlich dazu komme einzusehen, daß das Andere nur das Andere sein könne, insofern es nicht das Eine ist, - wodurch das Eine und das Andere, die RICKERT für die letzten „Momente" des logischen „Modells" hielt, sich als einander gegensätzlich entpuppten und vor dem Forum der analytischen Logik deshalb eine dialektische Synthesis miteinander eingingen. Erst nach manchen Jahren, als ich bereits Professor in Kiel war und RICKERT wieder einmal besuchte, ohne über unsere alte Streitsache zu disputieren, sagte er plötzlich mitten in einem vertraulichen und freundlichen Gespräche zu mir: „KRONER, Sie haben übrigens damals recht gehabt damit, daß sich der dialektische Widerspruch letzthin auch im analytisch-erkenntnistheoretischen Denken nicht vermeiden lasse; aber man begegnet ihm erst im letzten Dorfe, und unser Erkennen befindet sich immer nur auf dem Wege zu diesem letzten Dorfe, es trifft niemals daselbst ein." Diese Worte, die so wie aus der Pistole geschossen kamen, erfüllten mich, ich muß es gestehen, mit einem gewissen Triumphgefühl, obwohl RICKERT ja auch jetzt noch bei seinem alten Standpunkte beharrte. Aber woher wußte er eigentlich, daß der Widerspruch „im letzten Dorfe" nicht mehr zu umgehen sei, wenn er, wie seine Bemerkung es in sich schloß, niemals bis zu diesem Dorfe gewandert war, ja sogar glaubte, nie dahin gelangen zu können? Es war klar, daß eine gewisse Veränderung in seinem Denken Platz gegriffen hatte, daß er doch auf eine gewisse Weise sich mit der spekulativen Dialektik mehr als vorher beschäftigt hatte und wenigstens ihre wenn auch erkenntnistheoretisch nicht relevante Bedeutung eingesehen hatte. Ich ging jedoch in unserem Gespräch auf diesen Punkt nicht ein, um eine neue Auseinandersetzung zu vermeiden. II. Es ist, als ob FLACH, ohne um diese Unterredung zu wissen, ähnliche Wege gegangen sei wie RICKERT, nur daß er in jenem letzten Dorfe wirklich eingetroffen ist 20 Hegel

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und trotzdem wie RICKERT das Prinzip der Heterologie, welches den dialektischen Widerspruch vermeidet, aufrechtzuerhalten sucht, ja mit RiCKERTsdier Zähigkeit verteidigt. Bevor ich jedoch auf diese Sachlage näher eingehe, will ich zuerst in Kürze etwas sagen über das Verhältnis der KANTischen transzendentalen Analytik zur transzendentalen Dialektik, wie sich beide in der Kritik der reinen Vernunft unter dem Obertitel „Transzendentale Logik" zusammenfinden. KANT trennt, wie das RICKERTsche „Modell" es verlangt, tatsächlich „das Eine und das Andere", wenn er Sinnlichkeit und Verstand, Inhalt und Form, Receptivität und Spontaneität, das Aposteriori und das Apriori, das Mannigfaltige und die Einheit einander gegenüberstellt, um zu zeigen, daß und wie diese Seiten oder Momente sich in der Erfahrung des Gegenstandes und in den Gegenständen der Erfahrung vereinigen. Erfahrung, so lehrt er, ist möglich als Synthesis der beiden Seiten oder Faktoren. Nur weil das denkende Ich seine Einheit der gegebenen Mannigfaltigkeit aufprägt, komme ich zu Begriffen und Urteilen, die mit den Gegenständen der Erfahrung übereinstimmen; nur so kann ich zur Wahrheit über die Erscheinungswelt gelangen. Die Gegenstände werden durch diese Synthesis „konstituiert", - sie werden durch sie allererst „Gegenstände". Und mein Denken wird durch ebendiese Synthesis allererst gegenständlich oder objektiv. FLACH betont richtig, daß die Momente nicht wieder, wie RICKERTS Ausdruck „Vorgegenstände" irreführend schließen ließe, selbst als Gegenstände gedacht werden dürfen. Das Moment sei kein Gegenstand, andernfalls bedürfte es selbst neuer Momente ad Infinitum, so daß es nie zur Konstitution des Gegenstandes käme. Auch das „Modell" sei kein Gegenstand, sondern müsse vielmehr als Prinzip verstanden werden, welches das Erkennen beherrscht und begründet. FLACH hat auch darin vollkommen recht, daß sich das philosophische Denken der transzendentalen Analytik wesensmäßig von dem empirischen Denken der Erfahrung unterscheidet: ersteres ist reflexiv, letzteres nicht. Nur die Reflexion führt zur Scheidung von Sinnlichkeit und Verstand, a posteriori und a priori, und so fort, wodurch ein logisches Begreifen des Zusammenhanges zwischen Gegenstand und Erkenntnis zustandekommt. RICKERT neigt dazu, das „Modell" als einen Gegenstand zu verstehen, den er der analytischen Untersuchung ebenso naiv voraussetzt wie der Chemiker den stofflichen Gegenstand, dessen Bestandteile er feststellen will. Mein Freund Sergius HESSEN nannte diesen Standpunkt „transzendentalen Empirismus"; ich fürchte, daß selbst FLACH nicht ganz entfernt von einer solchen Deutung der transzendentalen Analytik ist. Andererseits betont er sehr energisch, daß die Reflexion sich grundsätzlich von aller Empirie unterscheide. Führt aber die Reflexion nicht unumgänglich zu der Einsicht, daß es das Selbst ist, welches auf sich als erkennendes und denkendes reflektiert? KANT jedenfalls hat uns darüber nicht im unklaren gelassen. Die „transzendentale Apperzeption", welche den höchsten Punkt seiner Analytik bezeichnet, ist das Selbst, ohne welches keine Synthesis der Momente, kein Gegenstand und kein gegenständliches Erkennen möglich ist; die transzendentale Analysis aber ist selbst nur möglich, weil dieses Selbst auf sich reflektiert, in sich die gegensätzlichen Seiten entdeckt und durch sie den Gegenstand als Erscheinung vor sich hinstellt. Freilich, wie das Selbst als ein Drittes gegenüber den Momenten diese synthetisch zu vereinigen mag, so daß der Gegenstand nicht bloß als eine Summe oder als ein zweiseitiges Zusammen, sondern als ein eines und dasselbe vor uns tritt, das hat KANT nicht zu völliger Klarheit bringen können. KANT kommt deshalb nicht zur letzten Lösung des Rätsels, weil er in der transzendentalen Analytik ängstlich den Widerspruch zu vermeiden sucht. Er findet jedoch

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(im Unterschiede zu den Kantianern) kein Genüge in der transzendentalen Analytik. Vielmehr vollendet sich die transzendentale Logik erst in der Dialektik. Wie die Einheit der Logik die Zweiheit von Analytik und Dialektik überwölbe bleibt bei KANT dunkel, da er den Faden der erkenntnistheoretischen Untersuchung in der Dialektik fallen läßt und sich einer sdreinbar gänzlich neuen Frage zuwendet, nämlich derjenigen betreffend die Möglichkeit und Wahrheit der alten dogmatischen Metaphysik, worunter KANT die drei Disziplinen der die Unsterblichkeit der Seele demonstrierenden Psychologie, der die Frage der Weltganzheit betreffenden Kosmologie und endlich der das Dasein Gottes erhärtenden Theologie versteht. Diese drei Wissenschaften sind nach KANT rein rational; sie sind nicht auf Erfahrung gegründet, sondern auf Vernunftschlüsse. KANT kritisiert diese Schlüsse und zeigt ihre Irrtümer auf. Während die Analytik die Möglichkeit der Erfahrungswissenschaften erweist, resultiert die Dialektik in dem Ergebnis, daß die rein rationalen Wissenschaften unmöglich sind. So eindrucksvoll und bedeutsam diese transzendentale Dialektik auch ist, ihr innerer Zusammenhang mit der Analytik ist weniger durchsichtig. Selbst wenn die alte „dogmatische" Metaphysik Illusionen zum Opfer gefallen sein sollte, so sind es doch nur die Vemunftschlüsse, an denen KANT ihren Mangel ans Licht stellt, nicht aber die diesen Schlüssen zugrunde liegenden Ideen von Seele, Welt und Gott selbst. KANT ist sich dessen völlig bewußt. Aber er verneint die Möglichkeit, zu irgendeiner positiven Erkenntnis dieser Ideen zu gelangen, weil er diese Erkenntnis mit derjenigen der Erfahrungswissenschaften vergleicht und dann ein leichtes Spiel hat, den Unterschied beider aufzudecken. Was die Erfahrung möglich macht, nämlich die Zweiheit der Momente, das gerade fehlt den metaphysischen Vernunftwissenschaften; in ihnen suchen wir vergebens nach einem a posteriori gegebenen Inhalt. Aber wie sollten wir einen solchen Inhalt von Ideen verlangen, die zugestandenermaßen ihre Bedeutung gerade darin haben, daß sie nicht mehr die sinnlich wahrnehmbaren, die in Zeit und Raum befindlichen Gegenstände erkennen wollen, sondern etwas nur durch Vernunft Erreichbares, nur der Vernunft Zugängliches? KANT sieht nicht, daß die Ideen der Dialektik gar keinen Inhalt von der Art der Erfahrungswissenschaften haben dürfen, gerade weil sie Ideen sind! Es ist unerlaubt, der Erkenntnis der Ideen den Erkenntniswert abzusprechen, weil diese Erkenntnis keine erfahrungswissenschaftliche (im Sinne der empirischen Physik, Chemie oder auch Psychologie) sein kann. Es ist aber auch unerlaubt, den Wert der Ideen wie KANT nur darin zu suchen, daß sie die Erfahrungswelt der Erscheinungen begrenzen und in Richtung auf eine selbst nicht mehr erfahrungswissenschaftlich zugängliche Totalität erweitern. Vielmehr hängen Analytik und Dialektik innerlich und wesensmäßig zusammen, indem erst in der Dialektik die höchste Spitze der transzendentalen Deduktion erreicht wird; oder anders ausgedrückt: indem erst in den Ideen die Möglichkeit der Erfahrung selbst sowie ihrer Gegenstände ihre letzte Begründung, - ihren unbedingten Grund findet. FLACH nennt diesen Grund (nicht sehr glücklich, wie mir scheint) „Letztimplikation". Die transzendentale Deduktion gipfelt in Wahrheit in dem, was KANT das „Ideal der Vernunft" nennt. Daß dieses Ideal nicht wieder ein Gegenstand sein kann, versteht sich von selbst. Wie könnte es der oberste Grund der Möglichkeit der Gegenstände sein, wenn es selbst wieder nur ein Gegenstand wäre? Deshalb ist auch KANTS Vergleich des Ideals mit den berühmten hundert Talern, es sei bei aller Hochachtung vor dem Begründer der Transzendentalphilosophie gesagt, trivial. Natürlich existiert das Ideal der Vernunft nicht ln der Weise, in der die sinn-

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lieh gegebenen Gegenstände existieren! Hegel hatte einen guten Tag, wenn er darauf hinzielend KANT eine Zärtlichkeit für die Dinge dieser Welt vorwarH. KANT begreift das Ideal der Vernunft als die Idee des „Inbegriffs aller Möglichkeit", als den „Urbegriff", der alle positiven Prädikate des Seienden in sich faßt, und der daher „an sich selbst schon ein Sein ausdrückt"®. Und doch soll es unmöglich sein, die Existenz dieses Ideals zu begreifen! Ganz gewiß ist dies unmöglich, aber nicht wegen der Schwädie unserer Vernunft, sondern weil es unsinnig wäre zu fordern, daß von dem Ideale der Vernunft die „Existenz" ausgesagt werden könnte in demselben Sinne, in welchem Sonne und Mond oder irgendein endliches Ding existiert. KANT nennt weiterhin die höchste Idee den „Begriff eines Dinges an sich selbst". „Also", fährt er fort, „ist es ein transzendentales Ideal, welches der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem, was existiert, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollständige materiale Bedingung seiner Möglichkeit ausmacht, auf welche alles Denken der Gegenstände überhaupt ihrem Inhalte nach zurückgeführt werden muß."* Hier sagt KANT unumwunden, daß diese Idee allem, was existiert, zugrunde liegt, woraus doch folgt, daß sie selbst keinen existierenden Gegenstand meinen kann. Aber auch hier wird es noch nicht deutlich, daß die oberste Bedingung aller Erfahrung nicht nur das Materielle, den Inhalt, sondern auch die Form bedinge; wie sonst aber könnte sie oberste Bedingung sein? Erst im Denken dieser höchsten Spitze der transzendentalen Analytik selbst tritt uns die Idee der aller Erfahrung zugrunde liegenden Einheit von Inhalt und Form, von a posteriori und a priori, von Mannigfaltigkeit und Einheit in seiner ganzen Schwere und Unausweichlichkeit entgegen. KANT aber ist zu sehr mit dem Nachweis einer Unmöglichkeit der rationalen Theologie beschäftigt, um Augen für diese Unausweichlichkeit zu haben und ihr seine ganze Aufmerksamkeit und Energie zuzuwenden. Der „Urbegriff" bleibt deshalb im Dunst und Nebel zwischen der möglichen Erfahrungswissenschaft und der unmöglichen Vernunftwissenschaft schweben. Und doch hat KANT das nicht überschätzbare Verdienst, entdeckt zu haben, daß an dieser höchsten Stelle der Transzendentalphilosophie das Denken unvermeidlich dialektisch wird, - daß es die Idee selbst nicht mehr ohne Widerspruch zu erfassen vermag.

111. Der dialektische Widerspruch entsteht aber nicht dadurch, daß wir den transzendenten „Gegenstand" nicht mehr als Gegenstand denken können und denken dürfen, sondern daraus, daß wir die Dualität von Inhalt und Form, von Sein und Begriff, von Realität und Vernunft nicht in der Idee des Unbedingten und Unendlichen als widerspruchlose Einheit, als konkrete Identität zusammenfassen können; oder vorsichtiger gesagt, daß diese Identität selbst in sich den Widerspruch trägt, ohne den kein wie immer erhabenes, über alle Schranken erhobenes oder sich erhebendes Denken die höchste Idee begreifen kann. Hegel versuchte, das Ideal der Vernunft durch den

* Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Bd 15. Berlin 1836. 582. * Kant: Kritik der reinen Vernunft. B 602. * Ebd. B 604.

Wissenschaften.

§ 48; ferner

Werke.

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„konkreten Begriff" zu denken, aber nicht ohne daß er eine Selbstbewegung des Begriffes ins Werk setzte, die sich des Widerspruches als eines Mittels bediente, wodurch die transzendentale Dialektik KANTS in diejenige der spekulativen Logik sich umwandelte. Dieser Versuch, so großartig er ist, ist dennoch nicht frei von bedenklichen Schwächen. Im vollen Sinne des Wortes kann der Begriff niemals konkret werden; er kann die Identität mit der Realität niemals vollziehen. Die „absolute Idee" Hegels, welche diese Versöhnung von Sein und Denken herbeiführen soll, ist selbst nicht konkret, bevor sie sich als Natur und Geist begreift. Aber selbst dann decken sich Begriff und Wirklichkeit nicht. System und Leben bleiben in anstößiger Weise geschieden, so daß sich das Ideal der Vernunft in Wahrheit nicht absolut verwirklicht. Diese Schwäche ermöglichte es den Linkshegelianern, das System seines geistigen Gehalts zu berauben und in sein völliges Gegenteil zu verkehren. Logisch gewandt bedeutet der Mangel der Hegelschen Dialektik, daß der Widerspruch oder die Widersprüche schließlich unaufgehoben bleiben, soviel auch immer das Denken der weniger konkreten Begriffe durch Synthesen auf höherer Stufe die Gegensätze überwindet: das Ideal bleibt zuletzt doch Ideal - etwas, das jenseits alles dialektischen Denkens verharrt. Man könnte folgern, daß daher die gewaltigen Anstrengungen des Begreifens, von denen die dialektische Methode Zeugnis ablegt, doch die Sprödigkeit der realen Welt und des realen Selbsts nicht zu durchdringen vermögen. „Uns bleibt ein Erdenrest, zu tragen peinlich, und wär' er von Asbest, er ist nicht reinlich."’ Hat KANT somit am Ende doch recht, wenn auch nicht dem Wortlaut nach, so doch im Geiste? Ist das Ideal der Vernunft eine durch Vernunft nicht lösbare Aufgabe? Überschreitet das Ideal die der theoretischen Vernunft gezogenen Grenzen, wie es nach KANT in der Tat der Fall ist? Siegt also mit anderen Worten die Andersheit über die Identität? Erweist sich der Widerspruch als dialektisches Mittel der Lösung des höchsten Problems unfähig, so daß er zwar auf weite Strecken die Bewegung des Begriffs weiter zu treiben vermag, aber die absolute Synthesis niemals zu vollziehen vermag? Schwere und gewichtige Fragen! Wahre Schicksalsfragen für die nach letzter Wahrheit, nach dem absoluten Grunde strebende Philosophie! Ich vermute, daß diese Fragen die eigentlich bewegenden Kräfte in dem von mir mit RICKERT geführten Gespräche waren, und daß sie auch heute wiederum das tiefste Anliegen in dem von FLACH unternommenen Versuche einer Verschmelzung von RICKERTS heterothetischem Prinzip mit demjenigen der spekulativen Logik Hegels bilden. FLACH möchte die Hegelsche Dialektik dadurch verbessern, daß er ihren Anfang wie ihr Ende sozusagen aus der Bewegung des Begriffes herausnimmt, um die Absolutheit beider zu retten. Er möchte eine Zone der widerspruchslosen Wahrheit aussparen, aus der sich erst die Widersprüche sekundär entwickeln. Um diese Entwicklung aber aus dem widerspruchsfreien Ursprung begreiflich zu machen und ihre Notwendigkeit in diesem absoluten Grunde zu verankern, glaubt er das heterologische Prinzip aufrecht erhalten zu müssen und zu können. Im Grunde findet sich nicht etwas Gegensätzliches und sich Ausschließendes, sondern eine Zweiheit von „nur-verschiedenen" Momenten: das Eine und das Andere, worin das Andere nicht als das Negative des Einen, sondern als ein Positives verstanden wird. Diese beiden Urmomente sind schlechthin „gesetzt" oder einfach zu setzen, während die Negativität erst durch das vergleichende Reflek-

’ Goethe; Faust. Teil 2, 5. Akt. Chorus mysticus.

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tieren entsteht, das dadurch dem Denken den Antrieb verleiht, der es auf den Weg bringt, bis es am Ende wieder in seinen Ursprung zurückkehrt und dadurch seinen absoluten Halt, seine „im Grunde" wiederspruchslose Wahrheit zurückgewinnt. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Interpretation ebenso kühn wie tiefsinnig ist und daher emsigen und genauen Nachprüfens wert. Es ist klar, daß dadurch das heterologische Prinzip in ein völlig neues Licht gestellt wird. Bei RICKERT war es das Prinzip des empirischen Erkennens; es entsprach der Logik einer Erfahrung, die es mit der Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt zu tun und den Widerspruch schlechthin zu vermeiden hat; es war das von der transzendentalen Analytik KANTS untersuchte und begründete Denken. Bei FLACH aber wird es zum Prinzip eines spekulativen Denkens, welches der dialektischen Selbstbewegung des Begriffs Halt und Geltung verleiht; es wird das Prinzip, welches KANT als Ideal der Vernunft bezeichnet. Auf diese Weise wandelt sich der transzendentale Empirismus in eine Art von metaphysischem Dualismus. Der absolute, unbedingte Grund aller Dinge und aller Begriffe ist nicht mehr ein einziger, wie KANTS „Urbegriff", der „an sich selbst schon ein Sein ausdrückt", sondern stattdessen eine Dualität von Urbegriffen: das Eine und das Andere. Diese beiden Urmomente sind dem Widerspruch entrückt, weil sie dem diskursiven Denken nicht angehören, sondern es begründen. Dieses Denken kann daher in ihnen zur Ruhe, zum Stehen kommen, es kann in ihnen die Lösung aller Widersprüche anerkennen. Sie sind das wahrhafte Absolute, während das diskursiv-dialektische Denken in steter Unruhe sich fortbewegend zwar aus diesem Absoluten entspringt, aber zugleich sein Gegensatz ist und deshalb an und in ihm „zugrundegeht". Auf diese Weise glaubt FLACH den Einwürfen, die ich gegen das heterologische Denken erhoben hatte, zu entgehen. Bei ihm befinden sich nicht die zu Widersprüchen führenden Gegensätze, sondern vielmehr das widerspruchslose Eine und Andere im „letzten Dorfe" RICKERTS, und dieses Dorf ist nicht, wie bei RICKERT, für uns unerreichbar, es ist vielmehr immer schon erreicht, wo immer das Denken einsetzt; es ist sozusagen in aller Dialektik allgegenwärtig und eben deshalb absolut und unbedingt, Gegensatz und Widerspruch seinerseits erst bedingend, aber auch „überfliegend", um diesen KANTischen Ausdruck zu brauchen. FLACH sucht so den „Irrationalismus" der Hegelschen Spekulation* dadurch zu steigern, daß er das Absolute über alle Begrifflichkeit des dialektischen Prozesses hinaushebt und einer reinen Setzung anvertraut, die, wie mir scheint, verwandt ist mit SCHELLINGS „Indifferenz" oder auch mit der „intellektuellen Anschauung", die bereits bei FICHTE eine große Rolle spielt. Das Eigentümliche in FLACHS Konzeption ist jedoch, daß er gerade nicht bei einer Indifferenz, sondern bei einer „reinen Differenz" als dem Letzten und Höchsten anlangt, also in einem metaphysischen Dualismus sein spekulatives Heil begrüßt. Ich vermag ihm auf diesem Heilswege nicht zu folgen. Ich sehe nicht, wie das reine Setzen (oder Anschauen?) der obersten Differenz (ist es die von Sein und Denken?) mit dem dialektischen Denken zusammenhängt. Ich kann auch nicht zugeben, daß dem Denkprozesse ein solcher irrationaler, quasi-empirischer, an sich unbewegter Dualismus zugrunde liegen soll. Wird nicht alles Denken, wenn es aus solchem Grunde hervor-

* - wie ich ihn im zweiten Bande meines Buches Von Kant bis Hegel (1924, 2. Aufl. 1961) erörtert habe.

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quillt, seines logischen Halts beraubt, statt ihn darin zu finden? Ist nicht die spekulative Dialektik dann etwas Zufälliges und Zusätzliches, welches gerade nidit aus seinem Ursprünge begriffen werden kann? Inwiefern hat FLACH ein Recht, sein Absolutes als die unendlidie, widerspruchüberlegene Wahrheit anzusprechen, wenn er nicht zeigen kaim, wie diskursives Denken und intuitive Setzung letzthin verbunden sind? Ich stelle alle diese Fragen in dem vollen Bewußtsein, daß ich möglicherweise den jungen Philosophen mißverstanden habe, so wie mir mein Lehrer früher vorwarf, daß ich ihn mißverstanden hätte. Ich glaube nach wie vor, daß wir im Ideal der Vernunft nicht ein Zweifaches, sondern ein Einfaches, ein Eines vor uns haben; nur diese Einzigkeit ermöglicht den Gedanken der Unbedingtheit, wie bereits PARMENIDES und dann wieder PLOTIN und weiterhin SPINOZA gelehrt haben. Auch KANT zweifelt nicht daran, daß es nur Ein höchstes Ideal geben kann, welches alle Dualismen unter sich hat und sie in sich eint. Wenn aber diese Behauptung von Rechts wegen besteht, dann sehe ich fernerhin nicht, wie das Denken ohne Widerspruch zu diesem höchsten Punkte aufsteigen oder sich in diese tiefste Tiefe hinabsenken kann. Die einfache Anschauung kann uns nicht diese Wahrheit schenken; die intellektuelle Anschauung aber verbindet bereits die gegensätzlichen Seiten von Verstand und Anschauung in einer Weise, die nur mittels eines dialektischen, d. h. widerspruchhaltigen Denkens stattfinden kann. Eine widerspruchlose, reine Differenz kann niemals die Souveränität des Absoluten für sich in Anspruch nehmen. In dieser Hinsicht muß ich KANT völlig beipflichten, v;enn er sagt, daß das Unbedingte „ohne Widerspruch gar nicht gedacht werden könne"®. Und daher bin ich nach wie vor überzeugt, daß Hegel recht hatte, wenn er die dialektische Methode als den einzigen Weg ansah, das Ideal der Vernunft logisch zu verwirklichen. In der Empirie ist der Widerspruch unbedingt zu vermeiden, in der Spekulation ist er schlechterdings unvermeidlich. Wenn wir das heterothetische Prinzip als das spekulativ gültige beanspruchen, dann verlieren wir den Grund unter unseren Füßen; wir verwirken das Recht, überhaupt vom Absoluten zu reden. Wenn wir heterothetisch denken wollen, müssen wir zur Erfahrung des Mannigfaltigen zurückkehren und uns mit ihr begnügen. Sobald wir uns über die Erfahrung erheben, um ihre Bedingungen zu entdecken, befinden wir uns bereits auf dem Boden des gegensätzlichen Denkens, welches letzthin zu jenem „letzten Dorfe" RICKERTS führt. Nicht das Eine und das Andere, sondern das in sich gespaltene und entgegengesetzte Eine gibt den Schlüssel zum Absoluten.

IV. Eine „irrationale" Metaphysik ist nur in Gestalt der spekulativen Dialektik zu erbauen, wenn wir uns nicht wie JACOBI und seinesgleichen mit dem unmittelbaren Schauen oder Glauben abfinden wollen. Nicht die Andersheit, sondern die Gegensätzlichkeit allein kann uns zu dem absolut Einen, dem Letzten, dem Absoluten den Weg öffnen, wenn überhaupt ein Weg zu ihm gangbar ist. Unwillkürlich zahlt sogar FLACH selbst dieser Wahrheit seinen Tribut, weim er gelegentlich das Eine und das Andere ein „Gegensatzpaar" nennt (S. 46 seiner Schrift). Ohne diese Gegensätzlichkeit

* Kant: Kritik der reinen Vernunft. B XX.

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könnte das heterothetische Prinzip (weldies eben kein solches, sondern vielmehr ein antithetisches ist) nie eine spekulative Bedeutung erlangen; aus ihm könnte sich nie dialektisches Denken entwickeln. Wenn das Eine und das Andere keine Gegensätze wären, so könnten wir nie dessen gewiß werden, daß wir es nur mit einem Anderen und nicht mit vielen anderen zu tun haben. Erst der Gegensatz gibt uns diese Gewißheit; er ist, wie Hegel einmal sagt, das eigentlich geistige Prinzip, welches unser Denken begeistet (weshalb auch aus dem Gegensätze allein das sokratische Gespräch, die Ironie und das Paradox entstehen konnten). Andersheit als solche ist kein spekulatives, sondern ein empirisches, die mannigfaltigen Erscheinungen betreffendes Unterscheidungsmerkmal. Sie sind andere und immer wieder andere, so daß auch das Gesetz niemals die ganze Fülle dieser Vielheit beherrschen kann. Die reinen Denkformen dagegen sind beherrschbar gerade, weil sie Gegensatzpaare darstellen, wie das Positive und Negative, das Unmittelbare und Vermittelte, Inhalt und Form, und so weiter. Sein und Nichts stellen deshalb die abstraktesten Gegensätze dar, die das mögliche Bereich des Ganzen des Denkbaren erschöpfen, indem sie es unter sich aufteilen. Der Begriff des Ganzen wird überhaupt nur durch die Gegensätzlichkeit des dialektischen Denkens möglich. Ohne diese würde das Ganze niemals gedanklich als ein Ganzes, sondern nur als ein Endloses, Unerschöpfliches und deshalb Wahrheitloses zu begreifen sein, wie Hegels „schlechte Unendlichkeit". Deshalb und nur deshalb ist das Denken des Ganzen notwendigerweise ein Denken in Gegensätzen, und dieses allein macht es spekulativ, wahrhaft unendlich und wahrhaft lebendig, d. h. sich bewegend. Nur wenn das Andere nicht bloß ein „nur-verschiedenes", sondern vielmehr ein das Eine „Ergänzendes" ist, kann es spekulatives Prinzip oder Prinzip des spekulativen Denkens werden. Daher hat Hegel doch recht, wenn er der Negation eine „bestimmende" und nicht nur eine verneinende und logisch vernichtende Rolle zuspricht. Selbst das Eine und das Andere als Prinzipien betrachtet ergänzen einander, weil das Andere der Gegensatz des Einen ist. Nur das empirische Erkennen erlaubt ein Fortschreiten von einem zu einem neuen und immer wieder neuen anderen; das spekulative Erkennen dagegen, welches auf das empirische reflektiert und sodann auf sich selbst, und welches das Andere daher prinzipiell und nicht bloß empirisch erfaßt, umgreift im Andern als solchen alle die nur-verschiedenen anderen; es ist deshalb nicht durch die schlechte Unendlichkeit des immer Neuen bedroht, sondern erhebt sich über die Sphäre derselben zum unendlichen Begriff. FLACH macht es meiner Hegelinterpretation zum Vorwurf, daß ich den dialektischen Begriff durch eine Potenzierung der Reflexion habe entstehen lassen, als ob eine solche Potenzierung der Reflexion das Denken je über die transzendentale Analytik hinaus- und emporheben könnte. Das spekulative Niveau sei nicht durch solch eine Reflexion auf die Reflexion zu erklimmen, sondern nur durch die in den Ursprung zurückgehende und aus ihm sich entwickelnde Heterologie. Ich berühre hier einen äußerst subtilen Punkt, vielleicht den empfindlichsten und dem Mißverständnisse am meisten ausgesetzten in der Erörterung unserer Differenz, welche eben nicht Nur-Verschiedenes, sondern Gegensätzliches darstellt. Ich gebe zu, daß der Ausdruck „Reflexion der Reflexion" zum wenigsten unzureichend ist, um die Hegelsche Dialektik zu kennzeichnen. Zwar ist es zutreffend, daß Hegel die Reflexion potenziert, indem er die Dialektik in die Analytik hineinführt und schon in ihren Kategorien den Widerspruch des Unbedingten oder des Ideals der Vernunft entdeckt und methodisch benützt. Aber die Hegelsche Dialektik bleibt nicht auf der Stufe der Reflexion stehen. Indem sie auf die in der

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transzendentalen Analytik wirksame Logik reflektiert, behauptet sie zugleich die analytische Reflexion so in sich zurückzubiegen, daß die Kluft zwischen Erfahrungserkennen und demjenigen der transzendentalen Logik dadurch ausgefüllt wird, oder anders und deutlicher ausgesprochen: daß die Spekulation fähig wird, das Denken der Erfahrungsgegenstände auf ihre eigene Ebene emporzuheben, wodurch der Reichtum der empirischen Wissenschaften selbst spekulativ durchdrungen wird. Schon FICHTE war in seiner Ethik viel konkreter als KANT. HESSEN hat das einmal so zum Ausdruck gebracht, daß FICHTE, indem er das Denken höher hinaufhebt, es zugleich tiefer in die unmittelbare Mannigfaltigkeit des erlebten Lebens hinein versenkt. ScHEiLiNG tat dasselbe, als er in seiner Naturphilosophie die Phänomene der Physik, Chemie und Biologie selbst spekulativ deutete; er nannte deshalb seine Naturphilosophie einen „spekulativen Empirismus". Hegel endlich brachte den ganzen Inhalt der Weltgeschichte, der Geschichte der Kunst und der Religion in sein System hinein, ja in der Phänomenologie wollte er sogar die Fülle des unmittelbaren Lebens oder der totalen Erfahrung spekulativ bewältigen, so wie er in der Logik die gesamte Geschichte der Philosophie im Spiegel der Selbstbewegung der reinen Begriffe als eine einzige große Entwicklung zu verstehen vermeinte. FLACH hat also ganz recht, wenn er (in seiner Terminologie) sagt, daß die Spekulation das heterologische mit dem antithetisch-dialektischen Prinzip vereinige, oder daß sie (in meiner Terminologie) Anschauen und Denken zu versöhnen trachte. Bei Hegel entstand aus diesem Bestreben und aus der Zuversicht, daß eine solche Versöhnung möglich sei, die Philosophie des absoluten Geistes und des absoluten Wissens, wie es die Phänomenologie abschließend krönt. Es ist wohl auch richtig, daß keiner der drei großen spekulativen Nachfolger KANTS sich über diesen Anspruch völlig klar war. Aus dem Mangel dieser Klarheit entsprang Hegels Anspruch, aus der Negation die Fülle der Inhalte hervorgehen zu lassen, so daß selbst die absolute Idee den Charakter einer „absoluten Negation", d. h. einer Negation der Negation, annahm, welche zum Positiven der Unmittelbarkeit zurückkehrt und auf diese Weise die Widersprüche der dialektischen Methode aufhebt. FLACH hat recht, daß solch ein Anspruch nur gerechtfertigt werden kann, wenn Anfang und Ende der dialektischen Selbstbewegung dieser Bewegung enthoben sind. Ist er sich aber auch klar darüber, daß er damit den Anspruch der Spekulation wiederum so weit spannt, wie Hegel selbst es getan hat, mit anderen Worten, daß er eine Auferstehung der empirisch-spekulativen Natur- und Geistesphilosophie ins Werk zu setzen hätte, um diese Forderung zu rechtfertigen? Ja er müßte auch den heutigen Existenzialismus zu einer neuen „Phänomenologie des Geistes" erweitern und vertiefen, wenn er ein so hoch gestelltes Programm verwirklichen wollte. Wie aber könnte er es verwirklichen, wenn er die Hegelsche Idee der produktiven Negation nicht ebenfalls wieder zur Anerkennung bringt, d. h. die Dialektik so umbaut, wie er sie gerade nicht umbauen möchte, nämlich durch eine Verschmelzung des heterothetischen und des antithetischen Prinzips? Schärfer formuliert: durch eine Verwandlung des heterothetischen in das anti- und synthetische Prinzip der Hegelschen Dialektik? Und wird nicht damit zugleich die von ihm abgelehnte Heautologie wiederum zur Grundlage gemacht werden? Denn der absolute Geist ist nichts anderes als das zur Absolutheit gesteigerte und dadurch mit sich selbst ausgesöhnte menschliche Selbst! Ist FLACH sich dieser weit gesteckten Ziele bewußt? Aber es ist vielleicht unfair oder, auf gut deutsch, unbillig von mir, den jungen Philosophen, der so mutig und vertrauensvoll seinen Weg begonnen hat, derartig einzuschüchtern und abzu-

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schrecken. FLACH stützt sich, wie er ausdrücklich sagt, auf die Reflexionstheorie seines Lehrers Hans WAGNER^*. Vielleicht ist hier eine Bemühung am Werk, die wirklich berufen ist, das Denken aus der Niederung, in der es heute ein dürftiges Dasein fristet, heraus- und hinanzuführen zu den Gipfeln, die am Horizont verlockend aufragen. Richard Kroner (Philadelphia)

Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1960. 486 S. Buch, das wohl als Lebenswerk angesprochen werden darf, verdient aus mehr als einem Grunde, in einer Zeitschrift besprochen zu werden, die der kritischhermeneutischen Besinnung auf Hegel gewidmet ist. Zunächst schon - gewissermaßen formaliter betrachtet - deshalb, weil in G.s „Grundzügen einer philosophischen Hermeneutik" die Problematik einer kritischen Aneignung der Überlieferung, nicht zuletzt der philosophischen Überlieferung, im Thema steht und mit seltener Eindringlichkeit und umfassender Aufarbeitung der hermeneutischen Tradition selbst abgehandelt wird. Wenn für den Ausländer, zumal für den angelsächsischen Philosophen, ein charakteristischer Zug deutschen Philosophierens mindestens seit DILTHEY darin erscheint, daß man hier nicht Philosophiegeschichte neben systematischer Philosophie betreiben, sondern beides ineinander verweben und dergestalt „geschichtlich-hermeneutisch denken" will, so findet dieser „Trend" deutschen Philosophierens in G.s Werk seinen vorerst repräsentativen Abschluß. Von der humanistischen und theologischen Tradition der Hermeneutik als Kunstlehre über die Entstehung des geisteswissenschaftlichhistorischen Bewußtseins (aus der Auseinandersetzung der Romantik mit der Aufklärung und wiederum Hegels mit der Romantik und der „historischen Schule" mit Hegel) und die daraus entstehende Historismusproblematik DILTHEYS (und NIETZSCHES) bis zur ontologischen Radikalisierung des geschichtlich-hermeneutischen Denkens bei HEIDEGGER reicht der geschichtliche Horizont und die detaillierte Information des Buches. Dabei wird neben der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik im engeren Sinne auch die Interpretationsproblematik der Kunst (im Rahmen einer eingehenden Auseinandersetzung mit der modernen Ästhetik seit KANT) und des Rechtes berücksichtigt. Die Rolle Hegels innerhalb der Tradition geschichtlich-hermeneutischen Denkens bedingt nun sogleich auch die inhaltliche Aktualität des G.schen Buches für die gegenwärtige Auseinandersetzung mit Hegel. Man könnte den Sinn des Titels Wahrheit und Methode etwa folgendermaßen auslegen: Um die konkrete „Wahrheit" der menschlichen Situation als geschichtliche Vermittlung mit der Überlieferung denken zu können, gilt es, die „methodischen Abstraktionen" der neuzeitlichen Wissenschaft im einzelnen und die formal-theoretische Abstraktion allgemeingültiger Wissenschaft als solcher (wie auch die Grundabstraktion formal-allgemeingültiger Ästhetik im Sinne KANTS!) spekulativ rückgängig zu machen. Man bemerkt sofort die Nähe dieser Problematik zu Hegel, zu seinem Versuch, die „äußere Verstandes-Reflexion" der GADAMERS

1# H. Wagner: Philosophie und Reflexion. München u. Basel 1959.

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Wissenschaft bzw. der formalen Logik in die innere, spekulative Reflexion des Geistes auf seine geschichtliche Wesensentfaltung zurückzunehmen und dergestalt konkretspekulativ zu denken. In der Tat bezieht G. die Position Hegels nicht ohne weiteres in seine durchgehende Kritik der neuzeitlichen Geistes-,,Wissenschaft", d. h. ihrer philosophischen Grundlegung im Geiste DESCARTES' und des naturwissenschaftlichen Herrschaftswissens, mit ein; ja, er vermag des öfteren ein erstes phänomenologisches Sich-absetzen von den Voraussetzungen der romantisch-historischen Geisteswissenschaften und zuvor schon von der formalen Ästhetik mit Hilfe Hegels zu bewerkstelligen. So stützt er sich schon bei der „Kritik der Abstraktion des ästhetischen Bewußtseins" auf Hegels Begriff einer substanziellen Bildung und seine kritische Distanzierung einer „Fertigkeit der denkenden Reflexion, sich in Allgemeinheiten zu bewegen, jeden beliebigen Inhalt unter herangetragene Gesichtspunkte zu stellen und ihn so mit Gedanken zu bekleiden" (84). In diesem Sinne darf nicht nur die geistige Überlieferung überhaupt für G. kein bloßer Gegenstand des ästhetischen Bewußtseins und seiner Erlebnisvirtuosität sein: auch das Kunstwerk im engeren Sinn ist für ihn nicht nur Anlaß eines formalen Wohlgefallens ohne verbindliche Wahrheitsrelevanz. Dieser auf KANT zurüdcgehenden „ästhetischen Unterscheidung" der Moderne gegenüber beruft sich G. auf „Hegels bewundernswerte Vorlesungen über Ästhetik": „Hier ist auf eine großartige Weise der Wahrheitsgehalt, der in aller Erfahrung von Kunst liegt, zur Anerkennung gebracht und zugleich mit dem geschichtlichen Bewußtsein vermittelt." (93) „Freilich hat Hegel", wie G. sogleich einschränkt, „die Wahrheit der Kunst nur dadurch anerkennen können, daß er sie im begreifenden Wissen der Philosophie überbot..." (93), und: „sofern die Wahrheit des Begriffs dadurch allmächtig wird und alle Erfahrung in sich aufhebt, desavouiert Hegels Philosophie den Wahrheitsweg zugleich wieder, den sie in der Erfahrung der Kunst erkannt hat." (94) Auch hinsichtlich einer universalen Hermeneutik der Überlieferung, in der nach G. die Ästhetik aufgehen muß (s. 157), erscheint ihm Hegels Konzeption einer geschichtlichen „Integration" des Geistes der seit SCHLEIERMACHER und DILTHEY das Selbstverständnis der die Geisteswissenschaften beherrschenden Aufgabenstellung im Sinne einer „Rekonstruktion" der vergangenen Lebenswelten „grundsätzlich überlegen": Hegel weist „über die ganze Dimension hinaus, in der sich das Problem des Verstehens bei SCHIEIERMACHER stellte". Indem bei ihm „die Philosophie, d. h. die geschichtliche Selbstdurchdringung des Geistes,... die hermeneutische Aufgabe bewältigt...", spricht Hegel gegenüber der „Selbstvergessenheit des historischen Bewußtseins" „eine entschiedene Wahrheit aus, sofern das Wesen des geschichtlichen Geistes nicht in der Restitution des Vergangenen, sondern in der denkenden Vermittlung mit dem gegenwärtigen Leben besteht." (161) Von hier aus erkennt G. im zweiten Teil seines Werkes, der die „Ausweitung der Wahrheitsfrage auf das Verstehen in den Geisteswissenschaften" behandelt, „als Aufgabe ..., mehr Hegel als SCHLEIERMACHER ZU folgen". Das bedeutet aber, daß zunächst „die Geschichte der Hermeneutik ganz neu akzentuiert werden" muß: „Sie hat dann ihre Vollendung nicht mehr im Freiwerden des historischen Verstehens von allen dogmatischen Voreingenommenheiten", wie es DILTHEY vorschwebte (162). Die Grundaporie der ScHLEiERMACHERschen formal-allgemeinen Konzeption des Verstehens (als eines auf abgehobene Objekte anzuwendenden und in diesem Sinne dogmatisch unvoreingenommenen, wissenschaftlich-methodischen Verfahrens) sieht G. bei der Übertragung der romantischen Hermeneutik auf die Probleme der Historik zum Vorschein

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kommen, „sofern das Buch der Geschichte für jede Gegenwart ein im Dunkel abbrechendes Fragment ist. Es fehlt dem universalen Zusammenhang der Geschichte die Abgeschlossenheit, die für den Philologen ein Text besitzt und die für den Historiker etwa eine Lebensgeschichte, aber auch die Geschichte einer vergangenen, vom Schauplatz der Weltgeschichte abgetretenen Nation, ja selbst die Geschichte einer Epoche, die abgeschlossen ist und hinter uns liegt, zu einem fertigen Sinnganzen, einem in sich verstehbaren Text zu machen scheint... Unmöglich kann diese Abgehobenheit des Gegenstandes von seinem Interpreten .. . die eigentlichste Aufgabe des Historikers, die Universalgeschichte, mittragen. Denn die Geschichte ist nicht nur nicht am Ende - wir stehen als die Verstehenden selbst in ihr, als ein bedingtes und endliches Glied einer fortrollenden Kette." (187) Angesichts dieser Sachlage weist G. wiederum darauf hin, „daß Hegels Philosophie der Weltgeschichte, gegen die sich die historische Schule auflehnte, die Bedeutung der Geschichte für das Sein des Geistes und die Erkenntnis der Wahrheit ungleich tiefer erkannt hat als die großen Historiker, die ihre Abhängigkeit von ihm sich nicht eingestehen wollten." (186) Es versteht sich nach dem Referierten, daß G. selbst in DIETHEYS Wiederaufnahme und Umbildung des Hegelschen Begriffs des „objektiven Geistes" - worin immerhin eine Überwindung des auch schon von SCHLEIERMACHER inaugurierten Psychologismus des frühen DILTHEY sich andeutet - keineswegs einen Fortschritt im Sinne einer „philosophischen Hermeneutik" der Geschichte zu erblicken vermag. Wird doch durch diese Umbildung des Hegelschen Begriffs, d. h. durcäi die Ausweitung seiner Gültigkeit auf das, was Hegel als den absoluten Geist vom objektiven unterschied; Kunst, Religion und Philosophie, der unmittelbare Wahrheitsanspruch von Kunst, Religion und Philosophie beseitigt zugunsten ihrer geistes-„wissenschaftlichen" Objektivierung als Ausdrucksformen des Lebens (vgl. hierzu 214 ff). Darin liegt aber für G. das proton pseudos der sogenannten „wissenschaftlichen" (d. h. unter der Suggestion des naturwissenschaftlichen Herrschaftswissens stehenden) Hermeneutik des 19. Jahrhunderts: der Abbruch der echten hermeneutischen Beziehung als einer Gesprächsbeziehung, in der es um das gültige Verständnis der sachlichen Wahrheit geht, zugunsten einer vermeintlich unvoreingenommenen Objektivation des Partners, d. h. eines Textes, eines Kunstwerks, der geschichtlichen Überlieferung im ganzen. Verfolgt man die Auseinandersetzung G.s mit Hegel einerseits, der Position der neuzeitlichen Wissenschaft andererseits im Vorblick auf seinen eigenen Ansatz, so treten vor allem zwei Punkte hervor, in denen Hegel für die neue Konzeption einer „philosophischen Hermeneutik" eine positive Anknüpfungsmöglichkeit bietet. 1. Einmal ist dies der Gesichtspunkt der „Geschichtlichkeit der Erfahrung", in dem nach G. die prinzipielle Überlegenheit des hegelschen Denkens gegenüber einer formalallgemeingültigen Methode des Verstehens besteht, die glaubt, ungeachtet der eigenen Geschichtlichkeit sich ihrem Gegenstand zeitlich „gleichsetzen", d. h. sich auf den Standpunkt einer vergangenen Epoche bzw. Kultur „zurückversetzen" zu können. Auf der Linie der zuerst von Hegel gedachten „Geschichtlichkeit der Erfahrung", welche das Verstehen als ein zur Wahrheit der Kunst, Religion, Philosophie zugehöriges, diese Wahrheit allererst verwirklichendes „Geschehen" charakterisiert, gelangt G. zu dem für ihn zentralen Postulat eines „wirkungsgeschichtlichen Bewußtseins". Die Frage nach der „Wirkungsgeschichte" eines zu verstehenden Textes oder Kunstwerks ist nach G. nicht ein Sonderproblem im Sinne der Arbeiten Hermann GRIMMS über RAFFAEL oder GUNDOLFS über SHAKESPEARE, sondern gehört als ein integrierendes Moment zum Bewußtsein der hermeneutischen Situation, ob der Geisteswissenschaftler dies metho-

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dologisch anerkennt oder nicht: „Der historisdre Objektivismus, indem er sich auf seine kritische Methodik beruft, verdeckt die wirkungsgeschichtliche Verflechtung, in der das historische Bewußtsein selber steckt. Er entzieht zwar der Willkür und Beliebigkeit aktualisierender Anbiederungen mit der Vergangenheit durch die Methode seiner Kritik den Boden, aber er schafft sich selbst damit das gute Gewissen, die unwillkürlichen und nicht beliebigen, sondern alles tragenden Voraussetzungen, die sein eigenes Verstehen leiten, zu verleugnen und damit die Wahrheit zu verfehlen, die bei aller Endlichkeit unseres Verstehens erreichbar wäre." (284 f) Worum es G. hier geht, ist die Rehabilitierung der notwendigen „Vorurteile", d. h. nicht x-beliebiger subjektiver Vormeinungen, sondern desjenigen Vorverständnisses, das durch die eigene Geschichtlichkeit des Interpreten, durch seinen wirkungsgeschichtlich kontrollierbaren Bezug zur Überlieferung, bedingt und legitimiert wird: „Ein wirklich historisches Denken muß die eigene Geschichtlichkeit mitdenken. Nur dann wird es nicht dem Phantom eines historischen Objektes nachjagen, das Gegenstand fortschreitender Forschung ist, sondern wird in dem Objekt das Andere des Eigenen und damit das Eine wie das Andere erkennen lernen." (283) In der wechselseitigen Abhebung und nachfolgenden situationsgemäßen Zusammenschließung des Eigenen und des Anderen und nicht in der Selbstauslöschung besteht nach G. der Vollzug des Verstehens. Auch hier ist eine Anknüpfung an Hegels Dialektik offensichtlich. So etwa wird NIETZSCHES Charakteristik der existenziellen Selbstentfremdung des historischen Bewußtseins (das lernen müsse, sich in wechselnde fremde Horizonte zu versetzen und dadurch den von Mythen umschlossenen Eigenhorizont, in dem allein eine Kultur leben könne, aufzulösen) folgendermaßen dialektisch korrigiert: „In Wahrheit ist der Horizont der Gegenwart in steter Bildung begriffen, sofern wir alle unsere Vorurteile ständig erproben müssen. Zu solcher Erprobung gehört nicht zuletzt die Begegnung mit der Vergangenheit und das Verstehen der Überlieferung, aus der wir kommen. Der Horizont der Gegenwart bildet sich also gar nicht ohne die Vergangenheit. Es gibt so wenig einen Gegenwartshorizont für sich, wie es historische Horizonte gibt, die man zu gewinnen hätte. Vielmehr ist Verstehen immer der Vorgang der Verschmelzung solcher vermeintlich für sich seiender Horizonte." (289) Gewiß gehört zum explizit hermeneutischen Verhalten „der Entwurf eines historischen Horizontes, der sich von dem Gegenwartshorizont unterscheidet". Aber das historische Bewußtsein ist selbst nur „wie eine Überlagerung über einer fortwirkenden Tradition, und daher nimmt es das voneinander Abgehobene sogleich wieder zusammen, um in der Einheit des geschichtlichen Horizontes, den es sich so erwirbt, sich mit sich selbst zu vermitteln". (290) 2. Die Nähe einer dergestalt sich selbst in das Geschehen der Sache gewissermaßen miteinbeziehenden Geschichtshermeneutik zu Hegels Dialektik führt uns zu dem zweiten Grundmotiv, in dem G. mit Hegel übereinzustimmen glaubt. Angesichts des neuzeitlichen (cartesischen) Methodenideals der Wissenschaft - ja in gewisser Hinsicht sogar schon gegenüber ARISTOTELES' Schritt von der Dialektik zur Apodeiktik bedeutet Hegels Dialektik eine Reorientierung am PLATONischen Dialog, d. h. am freieren und universaleren Logos des Gesprächs. Damit einher geht nach G. eine Rüdebindung des subjektiven cogito methodischer Wissenschaft, das beliebige Gegenstände nach formal-allgemeingültigen Prinzipien sich verfügbar macht, in die „Zugehörigkeit zum Sein": „Die Dialektik, dieses Widerfahmis des Logos, war ... für die Griechen nicht eine vom Denken vollführte Bewegung, sondern die von ihm erfahrene Bewegung

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der Sache selbst. Daß eine solche Wendung nach Hegel klingt, besagt keine falsche Modernisierung, sondern bezeugt einen geschichtlichen Zusammenhang. Hegel hat in der von uns gekennzeichneten Situation des neueren Denkens [sc. der Notwendigkeit einer Versöhnung der philosophischen Tradition und der mathematischen Naturwissenschaft] das Vorbild der griechischen Dialektik bewußt aufgegriffen." (436)i Hegel hat die Zugehörigkeit des Denkens zum Sein, die für die Griechen eine Zugehörigkeit des Logos zum Kosmos war, im Hinblick auf die Welt der Geschichte erneuert. Ebendarum geht es auch G.: „Die Geschichte gehört nicht dem Menschen, sondern der Mensch gehört der Geschichte", heißt es in einem Kemsatz seiner philosophischen Hermeneutik. In diesem Satz verrät sich aber auch bereits die Zweideutigkeit der von uns bisher herausgestellten Berufung G.s auf Hegel. Kann der Vollender des neuzeitlichen Idealismus als Mitstreiter bzw. Vorläufer im Kampf gegen das methodische Ideal der neuzeitlichen Wissenschaft und Philosophie, d. h. letztlich gegen den Ausgang des Denkens vom sich wissenden Subjekt als fundamentum inconcussum aller Wahrheit qua Gewißheit in Anspruch genommen werden? In der Tat war unser Referat in diesem Punkt einseitig, und wir haben nunmehr nachzutragen, inwiefern G. sich wiederum von Hegel distanziert, ja in ihm die hybride Übersteigerung des neuzeitlichen Ideals des Sich-wissens betrachtet, gegen das die Interessen der Wissenschaft selbst als empirischer Wissenschaft (auch im Sinne der KANTischen Kritik der endlichen Vernunft) in Schutz zu nehmen sind. Gewissermaßen die Erklärung der paradoxen Zweideutigkeit, in der Hegels „Dialektik" zu G.s Anliegen einer dialektischen „Hermeneutik" sich verhält, findet sich in den folgenden Formulierungen: „Die Totalität der Gedankenbestimmungen zu entfalten, wie es das Anliegen von Hegels Logik war, ist gleichsam der Versuch, im großen Monolog der neuzeitlichen ,Methode' das Sinnkontinuum zu umgreifen, dessen je partikulare Realisierung das Gespräch der Sprechenden leistet. Wenn Hegel sich die Aufgabe stellt, die abstrakten Gedankenbestimmungen zu verflüssigen und zu begeisten, so heißt das, die Logik in die Vollzugsform der Sprache, den Begriff in die Sinnkraft des Wortes, das fragt und antwortet, zurückzuschmelzen - eine noch im Mißlingen großartige Erinnerung an das, was Dialektik eigentlich war und ist. Hegels Dialektik ist ein Monolog des Denkens, der vorgängig leisten möchte, was in jedem echten Gespräch nach und nach reift." (351) G.s Hermeneutik möchte sich auf das wirkliche Gespräch gründen, das wir Menschen immer schon „sind" (HöLDERLIN), indem wir uns geschichtlich mit unserer Vergangenheit, d. h. aber: mit dem „Anspruch" der Überlieferung, „auseinander-setzen" und „zusammenschließen": „Wie die Überlieferung verstanden wird und immer neu zur Sprache kommt, ist ein ebenso echtes Geschehen wie das lebendige Gespräch. Das Besondere ist nur, daß dabei die Produktivität des sprachlichen Weltverhaltens auf einen schon sprachlich vermittelten Gehalt erneute Anwendung findet. Auch das hermeneutische Verhältnis ist ein spekulatives Verhältnis. Aber von der dialektischen Selbstentfaltung des Geistes, wie sie Hegels philosophische Wissenschaft beschreibt, unterscheidet es sich grundsätzlich." (446)

1 Vgl. hierzu H.-C. Gadamer: Hegel und die antike Dialektik. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 173-200.

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Der Untersdiied der Hegelsdien Dialektik von einer hermeneutischen Dialektik im Sinne G.s ist dadurch bedingt, daß G. nicht von der allgemeingUltig sein wollenden theoretischen „Aussage" ausgeht, auch nicht in dem Sinne, daß, wie bei Hegel, die abstraktive Einseitigkeit jeder wissenschaftlichen Aussage im Sinne des „spekulativen Satzes" verflüssigt und schließlich in der Wahrheitstotalität des unendlichen Wissens aufzuheben ist. Zwar erkennt G. an, daß die hermeneutische Auslegung teil hat „an der Diskursivität des menschlichen Geistes ..., der nur im Nacheinander des einen oder des anderen die Einheit der Sache zu denken vermag. Die Auslegung hat daher die dialektische Struktur alles endlich-geschichtlichen Seins, sofern jede Auslegung irgendwo beginnen muß und die Einseitigkeit aufzuheben trachtet, die sie durch ihren Einsatz herbeiführt." (447) Durch die Rede von der dialektischen Struktur alles endlichgeschichtlichen Seins ist aber bereits der entscheidende Gegensatz zu Hegel angedeutet. Die hermeneutische Auslegung hat ihre Basis nach G. nicht in der Ebene eines dialektisch zum Ganzen der theoretischen Wahrheit fortschreitenden Wissens bzw. Sichwissens, sondern in der Ebene der mit dem Ganzen der zukunftsoffenen Situation sich vermittelnden endlichen Sich-Verstehens (d. i. Zu-sein-Verstehens). Sie bewegt sich nicht im Medium der theoretischen „Aussage" des Subjekts der Wissenschaft, sondern der ein Situationsverständnis artikulierenden „Rede" des in der Welt seienden endlichen Menschen. Hierauf beruht es, daß die Hermeneutik nicht das Hegelsche „Problem des Anfangs der Wissenschaft" kennt (447 f). Der Einsatz der Auslegung ist zwar einseitig und auf die Korrektur angewiesen, wie sie sich im „hermeneutischen Zirkel" vollzieht; aber „ihr Einsatz ist nicht beliebig. Er ist überhaupt kein wirklicher Anfang." „Der scheinbar thetische Beginn der Auslegung ist in Wahrheit Antwort", nämlich des Interpreten auf eine Reizfrage, die den jetzt Existierenden im Vernehmen des Anspruchs der Überlieferung trifft und ihn allererst in das hermeneutische Gespräch verwidcelt. Diese These begründet G. durch eine subtile „Dialektik von Frage und Antwort", die „der Dialektik der Auslegung immer schon zuvorgekommen" ist und „das Verstehen als ein Geschehen bestimmt". (447) Hier geht es darum, die Frage, auf die z. B. ein Text eine Antwort darstellt (d. h. nicht unbedingt die vom Autor vermeintlich beantwortete Frage, aber auch nicht ein sogenanntes „ewiges Problem" im Sinn N. HARTMANNS, sondern die faktischgeschichtlich einem Text zugrundeliegende Frage) geschichtlich aufzunehmen, d. h. sie aus der eigenen Situation heraus zu erneuern und sich auf dieser Basis mit der Meinung des Autors auseinanderzusetzen (vgl. 351 ff) .2 Dabei kann niemals die Sache, die überliefert wird, „im Lichte der Ewigkeit" erscheinen: „Jede Aneignung der Überlieferung ist eine geschichtlich andere - was nicht heißt, daß eine jede nur eine getrübte Erfassung derselben wäre; eine jede ist vielmehr die Erfahrung einer ,Ansicht' der Sache selbst." (448; vgl. auch 438.) Was in G.s Hermeneutik letzten Endes an die Stelle von Hegels „Aufhebung" der Überlieferung in der Selbstdurchdringung des Geistes tritt, ist die „Produktivität des Zeitenabstandes" (s. 279 ff). Im Sinne dieser Zurücknahme des geschichtlichen Denkens

2 Auch für seine vortheoretische „Dialektik von Frage und Antwort" findet G. nicht zufällig einen Anknüpfungspunkt in der Hegeltradition, nämlich in Croces Logik und vor allem bei dem von Croce beeinflußten englischen Geschichtsphilosophen Collingwood (vgl. 352).

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aus dem absoluten Integrationsanspruch Hegels in den Integrationsanspruch des endlichen Zeitdaseins ist G. geneigt, die alte Formel, daß man einen Autor besser verstehen muß, als er sich selbst versteht, zugleich als Norm zu bejahen und als Tatsachenbefund auf die bescheidenere Form zu bringen, „daß man anders versteht, wenn man überhaupt versteht" (280). Die bis jetzt angeführten Gesichtspunkte einer Distanzierung Hegels werden dem Kenner der jüngsten Philosophiegesdiichte bereits verraten haben, welches die letzten Voraussetzungen der „philosophischen Hermeneutik" G.s sind, - Voraussetzungen, von denen her er sowohl das romantisch-historische Selbstverständnis der Geisteswissenschaften wie auch die absolute Geschichtsdialektik Hegels als Konsequenzen einer neuzeitlichen Philosophie der autonomen Subjektivität und ihres methodischallgemeingültigen Wissensideals gewissermaßen existenzialanalytisch unterläuft. In der Tat bekennt sich G. zu HEIDEGGERS Philosophie im Sinne der These „Das Sein selbst ist Zeit": „Damit wurde der gesamte Subjektivismus der neueren Philosophie - ja, wie sich bald zeigen sollte, der gesamte Fragehorizont der Metaphysik, die von dem Sein als dem Anwesenden eingenommen ist, gesprengt." (243) G.s Hermeneutik gründet sich auf HEIDEGGERS Begriff des Verstehens, wonach dieses primär kein methodisches Verfahren, sondern „der ursprüngliche Seinscharakter des menschlichen Lebens selber", „die Bewegung der Transzendenz" (246) oder - gemäß der „Kehre" gedacht das Geschehen der Lichtung des Seins ist. (Zur positiven Würdigung der „Kehre" vgl. 243 f.) Sein eigener Ansatz versteht sich als Entfaltung des durch HEIDEGGER gewonnenen neuen Horizontes auf der Linie einer Überwindung der „Aporien des Historismus" (vgl. 246 f). Tatsächlich leistet G. in seinem umfangreichen Werk die bislang ausstehende Bewährung des HEiDEGGERSchen Wortes (Sein und Zeit. 37), daß der Logos seiner Philosophie ein hermeneutischer sei, im stofflichen Medium der traditionellen Hermeneutik. An einer Fülle von Beispielen werden die „Konsequenzen" aufgewiesen, die „HEIDEGGERS grundsätzliche Ableitung der Zirkelstruktur des Verstehens aus der Zeitlichkeit des Daseins für die geisteswissenschaftliche Hermeneutik hat" (250). Dies scheint dem Rezensenten gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt um so bedeutsamer, als damit gewissermaßen die Antwort gegeben wird auf E. BETTIS zweibändige Theoria generale della interpretatione (Milano 1955), die in repräsentativer Form den Standpunkt der traditionellen Hermeneutik zum Ausdruck bringt, sowie insbesondere auf die Abhandlung desselben Autors Zur Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, wo in einer scharfen Polemik die Möglichkeit einer Grundlegung der Hermeneutik im Sinne HEIDEGGERS verworfen wurde.® Aus Raummangel kann sich die vorliegende Besprechung kaum auf eine kritische Diskussion der neuen Grundlegung der Hermeneutik einlassen. Nur soviel sei im Hinblick auf die Grundthese G.s als Bedenken angedeutet: Wird durch den Aufweis der ontologischen Einbettung des geisteswissenschaftlichen Verstehens in das „Geschehen" der Selbstvermittlung des geschichtlichen Daseins mit seiner ihm überlieferten Vergangenheit der Sinn der theoretischen Abstraktion, wie er das Selbstverständnis der Geisles-Wissensdiaften mit dem der Natur-Wissen-

* E. Betti: Zur Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre. In: Festschrift für Ernst Rabel. Bd 2. Hrsg. v. W. Kunkel u. H. J. Wolff. Tübingen 1954. 91 (Anm. 146), 115 (Anm. 47a). Vgl. Gadamer. 246 (Anm. 1), 293 f, 309 f.

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schäften verbindet, völlig aufgehoben? Wird er als Ergebnis einer ungerechtfertigten Übernahme der Subjekt-Objekt-Relation (und d. h. einer Sublimation des Herrschaftswissens!) von der Naturwissenschaft entlarvt? - In dieser Richtung bewegt sich die polemische Stoßkraft des G.schen Buches, und hier liegt zweifellos auch die mögliche Fruchtbarkeit seiner philosophischen Provokation. Indessen scheint mir G. zu weit zu gehen, wenn er die für alle Wissenschaft grundlegende Unterscheidung zwischen „theoretisch" und „dogmatisch" (wie sie z. B. in E. BETTIS Einteilung der Interpretation in „kognitive" Auslegung einerseits, „normative" und „reproduktive" Auslegung andererseits, zum Ausdruck kommt) und damit das Kernproblem des „Historismus" nicht nur für eine spekulativ-philosophische Hermeneutik, sondern auch für ein angemessenes Selbstverständnis der Geisteswissenschaften aufgehoben glaubt. In formaler Anzeige durch die Philosophie läßt sich in der Tat das Problem der „Applikation", z. B. das der Rechtsinterpretation im verantwortlichen Spruch des Richters, im Sinne der Selbstvermittlung des Daseins mit der Tradition in das geschichtliche Verstehen hineinintegrieren (vgl. 290-324). Läßt sich diese Integration aber auch für das Selbstverständnis des Geisteswissenschaftlers, z. B. des Rechtshistorikers, als Regulativ in Anspruch nehmen? Gewiß in dem Sinne, daß der Geisteswissenschaftler, als ein guter Dolmetscher im Gespräch des Menschen mit der Vergangenheit, die Bedeutung der Überlieferung, z. B. des geschichtlich gewordenen Rechts, bis in die gegenwärtige Situation hinein verständlich machen muß (vgl. 292 oben). Aber ist die Leistung des guten Dolmetschers (d. h. im Sinne G.s: eines Geisteswissenschaftlers mit „wirkungsgeschichtlichem Bewußtsein") bereits identisch mit der Leistung des Richters, der seine Interpretation des positiven Rechts durch eine Entscheidung über „recht und unrecht überhaupt" abschließt, die praktisch ins Leben eingreift? Müßte dann nicht z. B. der Historiker zum Politiker werden können? - Die Selbstvermittlung des geschichtlichen Daseins muß diesen Übergang zweifellos bewerkstelligen und der Philosoph hat den existenzial-ontologischen Sirm der Geisteswissenschaften unter dem Regulativ dieses Überganges begreiflich zu machen. Aber für den Geistes-Wissensckaftler bleibt hier doch zwischen dem Tun des Dolmetschers und dem des Richters (zwei Modellen, die G. als kongruent anzusetzen scheint) ein Hiatus, der letzten Endes doch dem Dahingestelltseinlassen des theoretischen „Bewußtseins überhaupt" in seinem Verhältnis zur Lebenspraxis entspricht. Und dieser Hiatus, in dem sich der Ek-sistierende - unerachtet seiner „Zugehörigkeit" zum Sein - über die radikale Weltdistanzierung eines theoretisch-allgemeingültigen „Bewußtseins-überhaupt" vermittelt, scheint mir auch für G.s eigene Leistung (wie schon für die HEIDEGGERS in Sein und Zeit) als Bedingung der Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß G. in seiner „philosophischen Hermeneutik", ähnlich wie der späte HEIDEGGER als Denker der Seinsgeschichte, nicht nur in formaler Anzeige die allgemeine (existenziale) Struktur der hermeneutischen Selbstvermittlung des geschichtlichen Daseins aufweist, sondern auch selbst - im historischen Aufriß des Buches und in zahlreichen Begriffs geschichtlichen Exkursen - eine hermeneutische Selbstvermittlung der Philosophie mit ihrer Tradition leistet (dies letztere rechtfertigt ja wohl allererst den Begriff einer „hermeneutischen" Philosophie?). Im Hinblick auf das ungeklärte Verhältnis zwischen den allgemeingültig sein wollenden Aussagen - einer „philosophischen Hermeneutik"? -, in denen G. die formale Struktur der Selbstvermittlung beschreibt, und denjenigen Aussagen - einer „hermeneutischen Philosophie"? in denen G. die geschichtliche Selbstvermittlung selbst

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leistet, ist es zu bedauern, daß G. sich auf die im Neuhegelianismus unserer Tage (LITT, HEINTEE U. a.) akzentuierte Reflexionsstufenproblematik und damit auf die Frage nach den transzendentalen Bedingungen der Möglidrkeit seines eigenen Philosophierens nicht recht einläßt (vgl. hierzu 324 ff: „Die Grenze der Reflexionsphilosophie"). Es ist dies m. E. - gerade im Hinblick auf Hegel - genauso bedauerlich wie die umgekehrte Tendenz, den Ansatz einer „philosophischen Hermeneutik" von vornherein als „bloß einzelwissenschaftlich" abzulehnen, weil er gewissermaßen eine Reflexionsstufe zu tief angesetzt und daher „logosvergessen" sei. Ein solcher formaler Neuhegelianismus bemerkt nicht, daß das substanzielle Anliegen des Geschichtsdenkers Hegel in dem Programm einer philosophischen Hermeneutik der Situation und wohl nur in ihm - „aufgehoben" ist. Angesichts der hier schwelenden Kontroverse scheint mir die Auseinandersetzung eines Seinsdenkens im Sinne HEIDEGGERS mit dem Phänomen der „Wissenschaft überhaupt" und der ihm zugrundeliegenden Wahrheit der Neuzeit, der Wahrheit eines allgemeingültigen Selbstbewußtseins, allererst bevorzustehen.

Karl Otto Apel (Kiel)

Gotthard Günther: Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Band 1: Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen. Hamburg: Meiner 1959. XXII, 417 S. Der Grundgedanke des vorliegenden Werkes ist, daß es einer neuen formalen Logik bedürfe, um die vom Deutschen Idealismus (bes. Hegel) aufgeworfenen Probleme zu bewältigen. Die heutige Lage der Philosophie beurteilt der Verf. so: Der sachliche Gehalt des Deutschen Idealismus werde nicht mehr ernst genommen. Die aus der Antike stammende formale Logik sei im 19. und 20. Jahrhundert durch den Logikkalkül zwar in ungeahnter Weise weitergebildet worden, habe aber eine eigentlich philosophische Wirksamkeit nicht zu erlangen vermocht. Erschütternd sei der völlige Mangel an gegenseitigem Verständnis der fast ausnahmslos neopositivistisch eingestellten Logistiker (bes. des angloamerikanischen Kulturkreises) und derjenigen europäischen Philosophen, die sich noch ernsthaft um „Metaphysik" bemühen. Alle Erneuerungsversuche der KANTSchen und Hegelschen Philosophie seien gescheitert. Die Folge sei das Heraufkommen der Existenzphilosophie, die für „nihilistisch" erklärt wird, wenn auch wenigstens HEIDEGGER die Qualität eines echten Metaphysikers zuzuerkennen sei.

Den tieferen Grund für diese Vorgänge erblickt der Verf. im Versagen der bisher bekannten, auf ARISTOTELES zurückgehenden formalen Logik mit ihrem fundamentalen Prinzip der „Zweiwertigkeit" (das die Grundsätze der Identität des Denkgegenstands mit sich selbst, des verbotenen Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten in sich vereinigt). Hegel habe diese Logik des „Verstandes" für den eigentlich philosophischen Bereich, den der „Vernunft", abgelehnt, ja schon KANT habe der bloß formalen Logik der Tradition seine „transzendentale" Logik gegenüber gestellt. Und HEIDEGGER habe in unseren Tagen jede formale Logik als Mittel des eigentlich philosophischen Den-

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kens völlig verworfen und sei deshalb einem nihilistischen Irrationalismus verfallen ein Urteil, das freilich unseres Erachtens nicht zutrifft. Der Verf. ist der Meinung, daß dieser Verzicht auf die formale Logik als Grundlage philosophischer Überlegung und die gewissermaßen unbedingte Hinwendung zum Inhaltlichen zugleich den Verzicht auf eine beweisende, wissenschaftlich argumentierende Philosophie bedeute. An der Willkürlichkeit seiner durch keine formale Logik mehr gezügelten Spekulation sei der Deutsche Idealismus trotz seines Tiefsinns und kühnen Gedankenflugs historisch (schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts) gescheitert. Es sei nicht zu verkennen, fährt der Verf. fort, daß die aristotelische Logik wie auch die trotz aller formal-mathematischen Fortschritte ihr im letzten Grunde wesensgleiche heutige Logistik unfähig sei, das durch den Deutschen Idealismus aufgerissene Problemgebiet der Philosophie des Geistes und der Geschichte in seinen eigentlichen Strukturen zu erfassen. Jedoch sei damit nicht gesagt, daß überhaupt keine formale Logik möglich sei, die das leisten könne; sie sei bloß noch nicht entdeckt. Der Verf. macht sich nun anheischig, im zweiten Band seines Werkes die Grundzüge einer solchen wesenhaft neuen formalen Logik zu entwickeln.' Leider ist dieser Band noch nicht erschienen, und der Anspruch des Verf. beruht vorläufig auf einer bloßen „Versicherung", worauf (nach Hegel) in der Philosophie nichts zu geben ist. Indessen scheint es uns schon verdienstvoll, den Versuch zur Konstruktion einer derartigen philosophischen Logik überhaupt gewagt zu haben, selbst wenn er scheitern sollte. Im vorliegenden ersten Band wird der Leser noch weitgehend im Unklaren gelassen über jene neue Logik. Der Verf. sieht vielmehr seine Aufgabe in einer Klarlegung der Notwendigkeit der Reform der philosophischen Logik und im Hinweis auf die prinzipielle, zumeist aber den heutigen Philosophen gar nicht bewußte Enge des logischen Rahmens, der durch das Zweiwertigkeitsprinzip festgelegt ist. In sechs Kapiteln werden nacheinander folgende Fragen behandelt: 1. Das Problem des Du; 2. der Satz vom ausgeschlossenen Dritten; 3. Reflexion und Quantifikation (kalkültheoretische Deutung des Tertium non datur); 4. der Satz vom transzendentalen Grunde in der einfachen Reflexion; 5. der Übergang zur doppelten Reflexion; 6. die Grenzsituation der klassischen Logik. Wir können diese weitausgesponnenen Betrachtungen, die im einzelnen oft sehr interessant, im Großen jedoch vielfach unübersichtlich sind und durch zahlreiche Wiederholungen desselben Gedankens verwirren, nicht ausführlicher darstellen. Nur einiges Wenige, jedoch Wichtige sei herausgehoben. Der Verf. beschäftigt sich (wie schon aus den Kapitelüberschriften hervorgeht) vorzugsweise mit der Theorie der Reflexion, die von Hegel in der Wissenschaft der Logik (Buch 2 des 1. Bandes) und in der Enzyklopädie (§§ 37-78) abgehandelt wird. Im Mittelpunkt steht in immer wiederholten Ansätzen das Problem der doppelten oder „absoluten" Reflexion, der Reflexion auf die Reflexion-in-sich-und-in-anderes. Den Berührungspunkt mit dem LogikkalkUl findet der Verf. in Hegels These, daß das „leere" Subjekt die Negation des „vollen" Objekts sei. Der Verf. identifiziert (oder parallelisiert wenigstens) den Hegelschen Übergang vom Irreflexiven zur (zunächst ein-

' Eine vorläufige Skizze des ersten Teils seiner dreiwertigen Logik (den Kalkül der unzerlegten Aussagen betreffend) hat der Verf. in seinem Aufsatz Die aristotelische Logik des Seins und die nicht-aristotelische Logik der Reflexion gegeben, worauf hiermit verwiesen sei: Zeitschrift für philosophische Forschung. 12 (1958), 360-407; s. bes. 381 ff.

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fachen) Reflexion, also vom Ding zum Ich, mit der Negation von Aussagen im klassischen Aussagenkalkül, also mit dem Übergang von p, q, r ... zu non-p, non-q, non-r ... Die logischen Grundverknüpfungen wie Konjunktion (et), Disjunktion (vel), Implikation („bedingt") usw. werden differenziert, je nachdem sie sich auf die „positiven" Objekte oder die „negativen" Subjekte beziehen, was auf eine Art Spiegelungstransformation der zugehörigen Wahrheitswertetafeln hinausläuft (vgl. 364 ff.). Eine Wiederholung einer solchen Operation, also eine „doppelte Reflexion" würde kalkülmäßig wegen der Zweiwertigkeit der traditionellen aristotelischen Logik zum Ausgangspunkt zurückführen, sehr im Gegensatz zu Hegels Theorie. Darin erblickt der Verf. ein prinzipielles Versagen der traditionellen formalen Logik gegenüber den Problemen des Deutschen Idealismus. Etwas genauer betrachtet wird man sagen müssen, daß Hegel die Konjunktion aus der unmittelbaren Reflexion-in-anderes und der einfachen Reflexion-in-sich bildet und so zur „totalen" oder „doppelten" Reflexion gelangt. Dies ist nach dem Verf. eine Einseitigkeit, ein Mangel an Symmetrie. Neben der Konjunktion hätte die Disjunktion gleichberechtigt zu stehen. Daher wendet sich der Verf. heftig dagegen, daß Hegel mit seiner doppelten Reflexion den Realitätsbegriff darstellen wolle. Das sei nur die Folge der Vernachlässigung der Disjunktion zwischen der Reflexion-in-anderes und der einfachen Reflexion-in-sich. Der so zurückbleibende „Reflexionsrest" oder „Reflexionsüberschuß" sei dann nicht mehr formalisierbar; so erreiche Hegel sein Ziel bei der Deduktion der Realität durch Begehen eines formallogischen Irrtums (316-318). Der Verf. fragt nun weiter (323): Welche Gestalt des Bewußtseins wird durch die Reflexion nicht auf die Reflexion-in-sich-«nd-anderes, sondern auf die Reflexion-insich-oder-anderes dargestellt? Seine Antwort lautet, daß damit das „Du" getroffen sei, die „Para-Subjektivität", die sich von der „Ortho-Subjektivität" des „Ich" grundsätzlich unterscheide und zwar schon in logischer Hinsicht. Das Du sei das Dritte neben Ich und Es, nämlich das prinzipiell unerreichbare Subjekt (324). Der Deutsche Idealismus habe infolge seiner unzureichenden formal-logischen Grundlage das Du-Problem übergangen und sei in das „unendliche Subjekt" ausgewichen; so schon SCHELLING und nach ihm Hegel. Der Verf. sagt wörtlich (326): „Das absolute Subjekt ist nur Ich und kennt kein Du ... Die Theologie ist in diesem Punkte weitergegangen. Die Idee des Teufels beruht auf der Einsicht, daß das absolute Subjekt, um Subjekt zu sein, sich auch gegen ein metaphysisches Du absetzen muß... Nur das beschränkte irdische Bewußtsein er-innert ein Du. Die ins Jenseits hinübergegangenen Seelen aber haben einander vergessen." - Die Trinität von Ich, Du, Es sei ein gewichtiges Zeichen für die Notwendigkeit einer drei- oder mehrwertigen Logik als Fundament einer für die heute auftauchende Problematik zureichenden Metaphysik, urteilt der Verf. Nachdem wir, wie wir hoffen, einen gewissen Einblick in die Denkweise des Verf. in dem vorliegenden ersten Band seines Werks gegeben haben, möchten wir mit einigen Worten der Verteidigung für sein u. E. bemerkenswertes, mutiges Buch schließen. Es ist zu befürchten, daß der Verf. von zwei Seiten aus angegriffen v/erden wird: 1) Von den mathematischen Logikern, die die kühne Umdeutung ihrer elementaren Kalküle ins Metaphysische (bes. die Interpretation der Negation als Reflexion) für phantastisch halten werden.^ 2) Von den Hegel-Kennern, die in ihrer von Hegel selbst 2 Es ist auch zu berücksichtigen, daß der Verf. zwar zunächst den Aussagenkalkül heranzieht, jedoch gelegentlich auch auf den Prädikatenkalkül hinweist mit seinen ver-

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übernommenen prinzipiellen Mathematikfeindschaft (in philosophicis) auf die Überzeugung eingeschworen sind, die metaphysische Logik Hegels sei ein inhaltliches, wenn auch „reines" (abstraktes) Denken, das keinem Kalkül in irgend einer Weise unterworfen werden könne. An diese potentiellen Gegner sei ein Wort der Verteidigung gerichtet. Das spekulative Denken des Deutschen Idealismus, insbes. Hegels, vollzieht sich (wenigstens in der „Logik") in einem eigentümlich abstrakten Raum (wie ja auch Hegel selbst oft betont), und seine Schlüsse beschreiben und verfolgen die Linien gewisser logisch-metaphysischer Strukturen. Diese haben wie alle Strukturen eine formale Seite, sofern sie nicht überhaupt völlig formal sind. Infolgedessen sind sie ein Thema für die heutige ganz abstrakt und formal gewordene Mathematik, die ganz prinzipiell die Wissenschaft von allen Strukturen ist, mögen sie was auch immer - oder auch nichts - bedeuten oder mögen sie in welchem materiellen oder geistigen Medium auch immer verlaufen. Insofern besteht die Problemstellung des Verf. auch gegenüber der metaphysischen spekulativen Logik der „Vernunft" (im Sinne Hegels) durchaus zu Recht. Daß ihm die Lösung seines großen Problems gelang, ist freilich damit noch nicht gesagt; sie liegt jedenfalls noch nicht vor. Es ist aber doch wohl ein fairer Vorschlag, auf den zweiten Band zu warten und sich vorläufig eines abschließenden Urteils zu enthalten. Oskar Bedcer (Bonn)

Malcolm Clark: Logic and System. A Stuciy of the Transition from „Vorstellung" to Thought in the Philosophy of Hegel. 384 S. — Louvain, Phil. Diss. V. 1960. Le Probleme est classique. Pour Hegel, la Logique n'est qu'une partie du Systeme; mais eile le contient tout entier. La paradoxe de cette Identlte de la Non-Identlte et de Tldentite eclate dans les «transitions» du Systeme, celle notamment de la Logique ä la Nature. Or les textes sont ä ce propos singulierement discrets, l'exegese de leur symbolisme toujours delicate. L'originalite de M. CLARK est d'avoir degage une nouvelle voie d'approche du Probleme. A chaque moment du Systeme, releve-t-il, la pensee logique est affrontee ä la Nature comme ä Talterite qui la conditionne et qu'elle pose en son expression medlatrice. Cet Autre de la pensee, c'est la representation (Vorstellung), et en particulier le plus representatif en eile, le langage. D^s lors, la transition de la Logique ä

schiedenen Stufen. Der sog. engere Prädikatenkalkül bezieht sich auf Individuen als (grammatische) Subjekte, der höhere (weitere) Kalkül aber auf die Prädikate, die selbst gramm. Subjekte sind und z. B. quantifiziert werden. Hier entstehen dann Probleme wie das der Unentscheidbarkeit (schon im engeren Kalkül) und der Unvollständigkeit (der Unbeweisbarkeit gewisser wahrer Sätze, nach K. Gödels Forschungen). Endlich kommt es auf dieser logischen Stufe auch zu den bekannten mengentheoretischen Paradoxien. Alle diese in der modernen Logistik auftauchenden Fragen sieht der Verf. vom Standpunkt der Hegelschen Reflexionstheorie aus an und bemüht sich, sie durch seinen Begriff des „Reflexionsüberschusses" zu klären. Das soll im zweiten Band näher ausgeführt werden.

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la Nature et de la Nature a la Logique se revele dans la transition de la pensee ä la representation «et de la representation a la pensee». Le sous-titre de la dissertation doctorale de M. CLARK en signe exactement la premiere partie «Representation et Pensee»; il marque aussi comment, dans une seconde partie, le Systeme s'articule dans l'element de la pensee logique a partir de sa reflexion dans l'element de la representation. Celle-ci revele, en effet, dans sa structure meme le paradoxe de l'Identite de la Logique et de la Nature dans l'Esprit. L'etude du Systeme conduit donc ä celle de la Vorstellung. Un premier chapitre en degage les caract^ristiques en rapport a la pensee qui n'echappe au formalisme abstrait qu'en depassant et passant tout ensemble a cet element synthetique de l'interiorite universalisante et de l'exteriorite spatiotemporelle. Un deuxieme chapitre determine ulterieurement cette description de la representation et du langage en les situant, dans la Philosophie de l'Esprit subjectif, par rapport ä la Nature et ä l'intuition d'une part, ä la pensee de l'Esprit, de l'autre. Un mouvement synthetique se revele en cette dialectique qui est ä la fois Interiorisation de la designation particuliere et exteriorisation de la signification abstraite. Cette Synthese pose et expose cette dualite dans le langage oü la notion trouve son ext^riorite propre dans le mot et oü l'experience de la parole verifie de l'interieur la signification de la notion. La pensee reflechit en soi la realite du mot qu'elle pose et, par la meme, celui-ci se trouve, comme presuppose, naturellement exterieur a l'element logique qu'il mediatise. Logiquement, la dialectique de la representation se revele donc comme reflexion qui pose ce qu'elle presuppose et s'en trouve mediatisee; cette Logique reflexive de l'immediatete niee et de la rationalite en avant de soi, c'est la Logique de l'Essence. D'oü le troisieme chapitre qui articule dans cette sphere logique le mouvement reciproque de l'interiorite et de l'exteriorite, de la Position et de la presupposition, de l'essentiel et de l'inessentiel. Signaions l'equilibre et la force des pages consacrees a la Contradiction oü s'identifie l'Identite et la Difference dont la reflexion reciproque mediatise et fonde (Grund) toute revelation de la Notion et de l'Identite finale du Systeme. M. CLARK souligne le paradoxe de cette Identite speculative qui n'est intelligible qu'en inscrivant en Soi la dÄchirure de la dualite. Le Systeme est Totalite qui se developpe de son commencement a son resultat en passant inversement de son resultat ü son immediatete initiale. Par la, il signe la presence de la Logique dualiste de l'Essence dans celle de la Notion. La pensee de la pensee est ainsi pensee de la reflexion representative; la Logique n'est Logique qu'en etant la Nature qu'elle n'est pas. Le Systeme n'est donc unitaire qu'en soulignant le dualisme qu'il surmonte; CLARK souligne l'equilibre de cette dualite comprise a partir de l'unite et de cette unite comprise a partir de la dualite. La seconde partie de la these met en evidence cette structure du Systeme; la Logique l'enveloppe en s'en differenciant comme sa pure pensee, mais cette abstraction pensee n'est identiquement Logique qu'en se distinguant dans la Totalite systematique concrete. Le quatrieme chapitre - dont le serieux fait regretter la brievete - montre ä travers les oeuvres de Francfort et d'Iena l'elaboration de cette paradoxale unite de l'experience et de la pensee de l'experience. Comment cette dualite de la pensee et de son Autre apparait-elle dans le Systeme definitif et sa forme triadique? Pour elucider cette question, le Chapitre V articule le Systeme et sa triade dans l'element spirituel oü se marque au maximum la Difference et l'Identite de la

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pens4e et de son Autre mediatisant. Cette representation immediatement mediatrice de la pensee de l'Esprit, c'est la Religion: l'Esprit s'y revele ä l'Esprit en s'elevant (Erhebung) jusqu'ä Soi dans et ä partir de la finitude spirituelle qu'il s'identifie. Revelation de la pensee ä la pensee, assomption de la finitude, reconciliation en l'Esprit, telies sont donc les trois spheres de la religion absolue, les Royaumes du Pere, du Fils et de l'Esprit oü la Trinite divine, la creation pecheresse et l'incarnation r^demptrice, la communaute diretienne enfin, representent respectivement la pensee logique, la representation naturelle et la Philosophie en Esprit. Ces regnes de la representation, les elements du Systeme, revelent reflexivement la dualit4 du principe et du terme, Alpha et Omega, du logique et de l'historique, de l'Eternite et de la continuite du temps. CLARK n'entend pas discuter la notion hegelienne de la religion, meme si l'experience religieuse comporte pour lui - il le donne ä entendre - des dimensions dont la dialectique hegelienne ne rend pas compte. II indique cependant le caractere inadequat de plusieurs critiques; le probleme religieux, souligne-t-il notamment, n'est plus pos4 par Hegel en termes de Jenseits, ou de «trans-cendance», des lors que l'ineffabilite, au lieu de se condenser dans un «au-del4», s'inscrit negativement au coeur du coeur dechire de toute chose. Cette dechirure n'est elle-meme que la transcription mediatrice de la dualite existante de l'Identite speculative. Le dernier Syllogisme de l'Encyclopedie ne dit-il pas la division originaire (Sich-Urteileri) de l'Idee? Echappe-t-il lui-meme, comme Identite, a la particularite qui le differencie des Syllogismes mediateurs? Tel est le theme du sixieme diapitre. L'Identite finale, conclut donc M. CLARK, est toujours en accompllssement de Soi. Rien n'est etranger ä la pensee systematique, mais eile ne se revele jamais que dans la reflexion de 1'Autre oü eile se represente. La pensee pense tout le Systeme: il n'y a pas d'au-delä de la Logique, mais celle-ci se d^veloppe necessairement dans une alienation et une reconciliation que signe la Nature et revele l'Esprit. La haute valeur du travail de M. CLARK est Evidente. La rigueur de la pensee et la sürete de l'information ne sont jamais en defaut. M. CLARK est meme assez lucide pour suggerer la seule crltique peut-etre possible de son travail. N'y a-t-il pas, demandet-il, quelque unilateralite ä s'etre concentre sur la seconde cat^gorie de chaque triade: representation entre Intuition et pensee, Essence entre Etre et Notion, religion entre contemplation et philosophie? En effet. Peut-etre la negativlte absolue, cette souffrance qui ne connait pas de guerissure, pourrait-elle inspirer certains prolongements plus abrupts. Certaines conclusions en seraient peut-etre moins equilibr^es, mais leur inquietude en seraitelle moins hegelienne? A. Chapelle (Freiburg i. Br.)

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Jaap Kruithof: Het uitgangspunt van Hegel's ontologie. Brügge: De Tempel 1959. 350 S. Das an aktuellen Problemen orientierte Hegelstudium wird heute in Belgien (ASVELD, GR^GOIRE, DUPRE, DE WAELHENS U. a.) viel eifriger betrieben als in den Niederlanden, wo die alte Hegelorthodoxie zu völliger Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist und von der „zweiten Hegelrenaissance" in gewissen, beschränkten Kreisen zwar Kenntnis genommen wurde, ohne daß dies aber zu intensiver Selbsttätigkeit angeregt oder eine aktive Neuorientierung ausgelöst hätte. Ein junger Gelehrter, der mit einer 350 Seiten starken Doktorarbeit auf die Bühne tritt, darf beanspruchen, als Hegelforscher mit einem Schlag ernst genommen zu werden, und daß KRUITHOF diesen Anspruch erhebt, darüber läßt er seine Leser von Anfang an keinen Augenblick im Zweifel. Bemerkt er doch in seiner Einleitung, daß man immer wieder erfolglos versucht habe, Hegel „festzulegen", daß der große Denker sich den meisten seiner Kommentatoren gegenüber siegreich behauptet und Rache genommen habe an denjenigen, die sich einbildeten, ihn vollständig begriffen und dargestellt zu haben. Der Verf. will sich auf gewisse zentrale Probleme der Hegelschen Ontologie beschränken, um mittels einer persönlichen Interpretation „die vielen Schwierigkeiten, die sich im Laufe der Zeit im Zusammenhang des Verstehens der Hegelschen Philosophie angehäuft haben, aus dem Wege zu räumen" (XLVIII). Im ersten Teil des Buches, der ebenso ausführlich wie instruktiv in die Geschichte des Hegelstudiums, den gegenwärtigen Stand der Hegelforschung in den verschiedenen Ländern und die aktuelle Thematik (Hegels Verhältnis zur Religion, die Linie Hegel-MARx) einführt, behauptet der Verf. außerdem, daß unter denjenigen, die die Entwicklung der modernen Philosophie geprägt haben, Hegel „zweifellos zu den am wenigsten Gekannten gehört", daß seine Werke „nicht oft studiert werden" (in Anbetracht der immensen, vom Verf. selbst angeführten Hegelliteratur der letzten Dezennien eine recht auffallende Bemerkung!) und daß es demzufolge zahlreichen unrichtigen Auslegungen der Hegelschen Philosophie gelungen sei, hartnäckig fortzuwuchern (25-26). Dem allen möchte KRUITHOF durch sein Buch ein Ende bereiten, um den „wahren Hegel" aus dem Schutt zahlreicher Fehlinterpretationen auszugraben und ins Tageslicht zu rücken. Weil jede Bemühung, zum „wahren" Hegel durch Rekonstruktion des „ganzen" Hegel zu kommen, mit dem „Untergang in die Erudition" bestraft zu werden droht (XLVIII), wählt er die Logik als Leitfaden, um anhand davon zu Hegels „eigentlichen Absichten" durchzustoßen, weil es, wie er in diesem Zusammenhang abermals bemerkt, nützlich ist zu versuchen, die Verwirrung aus dem Wege zu schaffen, welche in bezug auf Hegel vorherrscht (270). Ist es dem Verf. nun gelungen, die „eigentlichen Absichten" Hegels auf Grund seiner Analyse der Logik zutage zu fördern und auf diese Weise weiteren Mißverständnissen vorzubeugen? Keineswegs. Was er demonstriert, läuft seiner Absicht und seinen Versprechungen entgegen. Für die von ihm bezeichneten Mißverständnisse und Fehlinterpretationen ist nämlich die Hegelsche Philosophie selbst mitverantwortlich zu machen, und die vom Verf. angewandte Interpretation erleidet in ihrem Verlauf eine merkwürdige und auffallende Veränderung. Nachdem er nämlich, auf der Spur vieler anderer Kommentatoren, angefangen hat, Hegels Philosophie als ein kohärentes System aufzufassen, unterschiebt er dieser (unzureichenden) Auslegung eine zweite, welche die dualistischen Elemente hervorhebt (284). Die vom Verf. versprochene end-

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gültige und unzweideutige Interpretation bleibt demzufolge aus, und jede mögliche Deutung ist entweder einseitig, weil sie bestimmte Gesichtspunkte oder Aspekte unter Vernachlässigung aller anderen heraushebt, oder sie ist ihrem Anspruch nach zwar umfassend und ersdiöpfend, wird aber doppelsinnig, weil dem System eine gewisse monistisch-dualistische Ambiguität eignet, Hegel die gleichen spekulativen Begriffe in mehreren Bedeutungen verwendet, sich zwischen zwei Polen hin- und herbewegt, inkonsequent ist, usw. (265). Die Aufgabe, die er sich gestellt, hat KRUITHOF also nicht lösen können, weil sie an dem Stoff selbst scheitert. Er wird es hoffentlich nicht als Tragödie, sondern als Ansporn empfinden. Denn das Hegelstudium hat noch viel zu erwarten von einem Forscher, der in einer Erstlingsschrift schon so zahlreiche Zeugnisse eines scharfen Verständnisses des spekulativen Philosophierens und eines mutigen Durchdringens in seine Tiefen ablegt wie KRUITHOF in seiner Analyse des Hegelschen Grundwerks, der Logik. Die umstrittene Frage, ob der Inhalt dieser Logik das Wesen Gottes meine, wird vom Verf. dahin beantwortet, daß Hegel eine Fortsetzung in veränderter Form der traditionellen Theologie beabsichtigt und jede „vertikale Transzendenz" zurückgewiesen habe (98). Obgleich sein Hauptziel, die dialektische Versöhnung des Idealismus und des Realismus, Hegel schon früh klar vor Augen gestanden habe, habe er den „objektiven Pol" zu sehr vernachlässigt und sei deshalb sich selbst nicht treu geblieben. „Man kann nicht leugnen, daß Hegel durch seine Auffassung der notwendigen Verbundenheit des Geistes mit dem Sein und durch seine Verteidigung der Immanenz gegen die Transzendenz den Idealismus seiner Zeit bekämpft und vieles zur Enstehung des FEUERBACHschen Atheismus und des MARXsdien Materialismus beigetragen hat. Ebensowenig aber kann geleugnet werden, daß Hegel zu gleicher Zeit Front gemacht hat gegen jede das Absolute mit dem Menschlichen identifizierende Theorie. Hegel bewegt sich zwischen zwei Polen. Er verwirft das Absolute, daß außerhalb des Diesseits bestehen würde, weigert sich jedoch zugleich, das Absolute mit dem Menschen gleichzusetzen." (292) Entsprechende Schlußfolgerungen sind von verschiedenen anderen gegenwärtigen Hegelforschern schon gezogen worden, von HYPPOLITE z. B., der im Verhältnis von Anthropologie und Ontologie die „difficulte maltresse de l'heg^lianisme" erblickt. R. F. Beerling (Leiden)

Wolfgang Albrecht; Hegels Gottesbeweis. Eine Studie zur „Wissenschaft der Logik". Berlin: Duncker und Humblot 1958. 116 S. Dieter Henrich: Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit. Tübingen: Mohr 1960. 274 S. Die Studie von W. ALBRECHT bringt weniger, als der Titel verspricht, zugleich aber mehr, als man nach dem Titel erwarten dürfte. Weniger: es wird nicht das Gesamtproblem der Gottesbeweise in Hegels Schriften ausführlich erörtert. Von daher gesehen handelt es sich weder um eine Weiterführung noch um eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Schrift von OGIERMANN: Hegels Cottesbeweise (Rom 1948).

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OGIERMANN hatte sich - u. E. «lit Recht - mit K. DOMKE (Die Problematik der metaphysischen Gottesbeweise in der Philosophie Hegels, Leipzig 1940) auseinandergesetzt und die Fragestellung der Gottesbeweise bei Hegel neu aufgerollt. Doch bedarf das Problem der Gottesbeweise bei Hegel weiterer Untersuchungen, die im besonderen der doch sehr differenzierten Sicht in den einzelnen Werken nachgehen müßten. Auch dem Zusammenhang zwischen dem Problem der Gottesbeweise und dem der Menschwerdung in Hegels Denken wäre ausführlicher nachzufragen. Es ginge dabei um die innere Beziehung der Hegelschen Gottesbeweise zu dem religionsphilosophischen Denken Hegels überhaupt. AIBRECHTS Untersuchung hat sich ein anderes Ziel gesteckt. Er will den Zusammenhang der Vorlesungen über die Philosophie der Religion mit der Hegelschen Logik erhellen. Und deswegen will er bestimmte Grundfragen der Logik selbst in ihrem inneren Bezug zu dem Problem der Gottesbeweise klären. Er vertritt dabei den Standpunkt, daß Hegels Dialektik auf den Idealismus als wesentliche Voraussetzung angewiesen ist, während sie, davon abgelöst, jeden Sinn verliert (9). In diesem Sinn vollzieht sich in jedem „Gottesbeweis" notwendig eine Aufhebung; Mit dem Ausgangspunkt des menschlichen Denkens wird zugleich auch dieses aufgehoben. Der denkend Handelncfe ist nicht mehr der Mensch, sondern Gott (39). So kann Hegel einerseits den KANTischen Einwand gegen den kosmologischen Gottesbeweis, daß dieser den ontologischen zur Voraussetzung habe, zurückweisen, während er selbst die Kausalität durch die „Aufhebung" ersetzen muß. Hegel deutet sowohl den kosmologischen als auch den ontologischen Beweis vom absoluten Begriff her und läßt die KANTische Position grundsätzlich hinter sich. „Woher hat nun aber Hegel seinen Begriff, das heißt den Begriff, der in Wahrheit nur einer, nämlich der Begriff Gottes bzw. Gott selbst sein kann?" (36). Diese Frage, die selbst wiederum notwendig auf die Aufhebung und das dialektische Denken verweist, nimmt A. zum Ausgangspunkt für seine Erörterungen zur Hegelschen Logik. Wollte man einwenden, daß damit doch das Problem der Gottesbeweise übersprungen sei, dann würde A. darauf verweisen, daß die von ihm behandelten Fragen der Logik geradezu den Kern des Hegelschen Gottesbeweises bilden (110). Es kann zumindest kein Zweifel darüber bestehen, daß dann, wenn die „Gottesbeweise" im Sinne Hegels interpretiert werden (es handelt sich ja dann um eine Darstellung der spekulativen Vernunft und gerade nicht um den Aufstieg des Verstandesdenkens zum absoluten Sein hin), der Zusammenhang mit der Hegelschen Logik entscheidend ist. Dabei wäre das eigentlich „beweisende" Moment eben die Selbstdarstellung der absoluten Vernunft. In diesem Sinn fragt also A. nach dem Beginn der Logik und lehnt die Auffassung ab, daß das Ende der Phänomenologie mit dem Anfang der Logik durch Aufhebung zu verbinden sei. Andererseits ist es sicher, daß, wie Hegel selbst sagt, der Begriff des reinen Seins den Kontakt der Logik mit der Erfahrung darstellt (wobei freilich „Erfahrung" im Sinn der Phänomenologie gedeutet werden muß!). Die Schwierigkeit ist wohl einerseits darin zu sehen, den Anfang der Logik mit der Phänomenologie zu verbinden, doch besteht sie zugleich andererseits darin, den Fortgang der Logik aus dem „leeren" Anfang des Seins zu rechtfertigen. Hier weist nun A. auf die Notwendigkeit des Begriffs hin, der als dialektischer Motor zu bezeichnen sei (67). A. legt nun in einem Kapitel „Die Selbstauslegung des Begriffs im Urteil" dar, wie Hegel für sich in Anspruch nahm, die Logik erstmalig zu begründen. Er verweist hierbei auf den Schritt, der auf dem Boden der herkömmlichen Logik nicht mehr möglich ist: die

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Umwandlung der mit der unbestimmten Vielheit bezeichneten distributiven Allgemeinheit in eine kollektive, welche letztlich zur Einzelheit zurüdczukehren erlaubt (75). Die weiteren Ausführungen des Verf. über die Selbstauslegung des Begriffs im Urteil scheinen zunächst etwas vom Thema wegzuführen. Doch zeigt sich hier tatsächlich eine entscheidende Frage in der Interpretation eines „Gottesbeweises": Ist nämlidi das Urteil bzw. der Schluß, in dem sich eine solche Argumentation darbietet, ein Urteil des Verstandes und darum im Sinne der üblichen Logik zu interpretieren? Oder ist dieses Urteil selbst im Sinne der Hegelschen Logik zu deuten, so daß es nur durch den (im Sinne Hegels) verstandenen absoluten Begriff erst seine eigentliche Wahrheit gewinnen würde? In einem eigenen Kapitel „Die hypostasierte Kopula" zeigt A. auf, daß sich in der Kopula von Anfang bis zum Ende einerseits eine identische Beziehung zwischen den Extremen ausdrückt, daß aber andererseits die Kopula ihre Bedeutung doch zu verändern scheint. A. weist darauf hin, daß sich im Hegelschen Sinn schon aus der Funktion der Kopula die Notwendigkeit der Veränderung herleiten läßt (90). Er rechtfertigt auf diese Weise die Einheit der Differenzierung des Begriffs. Zugleich sieht er in Hegels Logik eine Entwicklung des Seins, das am Beginn der Logik nichts anderes als die hypostasierte reine Unmittelbarkeit sei, die in die Einheit des reinen Wissens zusammengegangene Relation zwischen Gegenstand und Bewußtsein (92). Für die weitere Entwicklung der Hegelschen Logik weist der Verf. einen Zusammenhang mit der Urteilslogik nach, ohne daß sich freilich für alle Details Entsprechungen in der Urteilslogik finden ließen (107). Es ist das Verdienst A.s, die genannte Problematik in der vorliegenden Studie hervorgehoben zu haben. Es geht hier im Grunde nicht um eine Detailfrage, was der Verf. auch mit Recht betont. Die Frage betrifft vielmehr den Sinn des Hegelsdien Denkens und jegliche Stellungnahme dazu. Wenn A. die Auffassung vertritt, daß die Dialektik Hegels eben nur im Idealismus einen Sinn gewinne, so ist dies zweifellos im Hegelschen Sinne richtig. Philosophiegeschichtlidi muß man freilich fragen, wie nun solcher Idealismus zu interpretieren sei. Gibt man die Antwort, daß dieser Idealismus eben ein dialektischer Idealismus ist, so könnte der Zusammenhang von Dialektik und Idealismus leicht als Tautologie erscheinen. Es wäre also doch dem Zusammenhang von Dialektik und Idealismus nachzufragen. Was das Sein als hypostasierte Kopula betrifft, so ist es sicher richtig, daß das Sein zu Beginn der Hegelschen Logik nie einfach nur als leere Bestimmung aufgefaßt werden kann. Vielmehr drückt sich gerade in der Einheit von Sein und Nichts die verborgene Einheit des Begriffs aus. Ist nicht im Hegelschen Denken eben jene verborgene Grundbewegung des Begriffs anzusetzen, ohne die nichts möglich und für die alles möglich ist? Und macht nicht erst auf diese Weise die verborgene, aber notwendig vorauszusetzende Einheit des Begriffs erst diese „Hypostasierung" möglich und notwendig? Setzt man darum die Einheit des absoluten Wissens als verborgene Grundbewegung, d. h. als verborgene Einheit des Begriffs an, so ist auf diese Weise ein Übergang von der Phänomenologie zur Logik ohne weiteres möglich, wobei eben dann doch der Logik ein neuer Anfang zuzuschreiben wäre. Denn diese Einheit des sich zeigenden Wissens soll eben selbst sich noch einmal zur Selbstdarstellung bringen. Ferner dürfte wohl nicht übersehen werden (was freilich über den Rahmen der vorliegenden Studie hinausgeht), daß mit der - sicher im Hegelschen Sinn richtigen Deutung des Verf. die Frage der „Gottesbeweise" selbst wieder verlagert ist. Einmal nämlich ist mit der Selbstdarstellung Gottes in der Hegelschen Logik auch das Problem

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der Hegelschen Trinitätslehre und damit zugleich der Zusammenhang der dialektischen Bewegung mit der Inkarnationslehre berührt. Zum anderen aber zeigt sich die Aporie der Gottesbeweise auch bei Hegel, insofern nämlich die Darstellung der Gottesbeweise im Hegelschen Sinn eben doch die List der Vernunft voraussetzen muß, d. h. eine von der Vernunft selbst bestimmte Aufhebung des Verstandesdenkens in die göttliche Vernunft hinein. Gerade aber da das Verstandesdenken selbst diese Aufhebung nicht leisten kann, kann auch das Verstandesdenken letztlich diese Aufhebung und damit das dialektische Denken nicht entsprechend erklären. Auf diese Frage müßte im Zusammenhang der Erörterung der Gottesbeweise noch ausführlicher eingegangen werden, zumal sich hier auch wiederum das Problem des Zusammenhangs von Logik und Phänomenologie zeigt. Die genannten Fragen verdienen deswegen besondere Beachtung, weil in der Behandlung und Darstellung der Gottesbeweise die philosophischen Voraussetzungen, aus denen ein solcher Beweis entspringt, stets von ausschlaggebender Bedeutung sind. HENRICHS Werk Der ontologische Gottesbeweis geht dieser Problematik nach. H. versucht herauszuarbeiten, wie sich in den verschiedenen Stellungnahmen zum ontologischen Argument das Geschehen philosophischen Denkens selbst ausspricht. Hierbei betont er im besonderen, daß DESCARTES den ontologischen Gottesbeweis vom Begriff des ens necessarium her sieht (16). Damit habe das ontologische Argument bei DESCARTES eine neue Form gefunden. H. unterscheidet also ein erstes ontologisches Argument, das auf ANSELM zurückgeht und gegen das sich GAUNILO, THOMAS und viele Scholastiker wenden. In dieser Sicht wird Gott als das höchste Wesen gedacht. Das zweite ontologische Argument dagegen ruhe auf dem Begriff des ens necessarium, der im wesentlichen auf DESCARTES zurückgehe. Doch habe schon THOMAS diese Problematik gesehen (132). Das ens necessarium wird als immensa potestas (DESCARTES), causa sui (SPINOZA), le veritable etre (MALEBRANCHE) gedacht. H. legt nun ausführlich dar (137-188), daß die Kritik KANTS am ontcdogischen Argument nicht in erster Linie in dem Hinweis zu sehen sei. Sein sei kein reales Prädikat. Das bekannte Beispiel von den hundert Talern gebe darum nicht den echten Sinn der KANTischen Kritik wieder. Entscheidend sei vielmehr KANTS Argumentation gegen den Begriff des ens necessarium, der nicht bestimmbar sei. Andere Einwände seien höchstens als Hilfsargumente zu betrachten. Der Erneuerung der Ontotheologie durch Hegel widmet H. ein eigenes Kapitel (189-219). Er meint, es sei besser, wenn man Hegels Theorie des ontologischen Gottesbeweises darstellen wolle, von einer systematischen Exposition der Grundlinien der Logik abzusehen (193). Die Phänomenologie erscheint ihm als Einleitung in das System untauglich, weil sie mit der Dialektik des absoluten Wissens belastet ist (210). Die Möglichkeit einer solchen Einleitung sieht er darin, daß die Prüfung der Kategorie zu einer Entwicklung der reinen Gedankenbestimmungen aus sich selbst wird (ebd.). Was die Ontotheologie Hegels betrifft, so ist hier der zugrunde liegende Gedanke die Einheit des Seins und des Begriffs in einem aller Subjektivität vorausliegenden und von ihr unabhängigen Sinne entscheidend (211). Der Grundbegriff des notwendigen Wesens wird als causa sui zum Ausdruck für die Einheit des Begriffs (214). Hegels Theorie sieht der Verf. durch drei Momente gekennzeichnet: durch die Idee der Logik, durch den Gegensatz der Gedankenbestimmungen von Sein und Begriff, die sich wie das Bestimmungslose und die Totalität der Beziehungen unterscheiden und schließlich durch die Einheit dieser Beziehungen in der Totalität des Absoluten (216). Die grundlegende Bedeutung freilich hat das ontologische Argument als Anfang der Philosophie,

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der dort geschehen kann, wo die Subjektivität sich entschließt, rein zu denken und so in den Gang der Logik einzutreten (217). H. nimmt zu der Polemik Hegels gegen KANT Stellung. Hegel unterstelle KANT Gedanken, die dieser niemals gedacht habe. Auch verliere Hegel die Gemeinsamkeit der Sache ganz aus dem Blick (203). Die Beziehungen des Hegelschen Denkens zur KANTischen Kritik werden von dem Verfasser ausführlich dargestellt (196-208). Das entscheidende Mißverständnis Hegels gegenüber KANT sieht er darin, daß Hegel KANTS Kritik mit dem üblichen Einwand der Logik identifiziert habe. Der eigentliche Unterschied wird darin gesehen, daß Hegel KANTS These bestreite, der Begriff des notwendigen Wesens sei ein bloßer Name (202). Doch sei für beide Denker der Begriff des notwendigen Wesens das Zentrum des Beweises. KANT kommt von hierher zum Scheitern des Gottesbeweises, Hegel dagegen zu einem neuen Versuch einer Ontotheologie (208). H. stellt die Gemeinsamkeiten von KANT und Hegel eindringlich heraus. Er will mehr die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede betonen. Er selbst läßt kaum einen Zweifel darüber, daß er im Grunde die KANTische Position vertritt (von daher auch die Ablehnung der Phänomenologie als „Einleitung" für das Hegelsche Denken). Der Verf. hat gegenüber den üblichen schematischen Darstellungen ausführlich aufgezeigt, daß gerade der Gedanke des notwendigen Wesens für die Ontotheologie der Neuzeit zentral ist und daß jede Erörterung, die sich auf den Gegensatz von subjektivem Begriff und Existenz beschränkt, eigentlich nur die Position GAUNILOS wiederholt. So wird jeder, der sich in Zukunft mit dem ontologischen Argument befaßt, die vorliegende Arbeit berücksichtigen müssen. Die Problematik selbst ist freilich noch umfassender. Man kann die Frage stellen, ob überhaupt eine Erörterung des ontologischen Arguments, das notwendig ein philosophisches Seinsverständnis zum Ausdruck bringt, ohne ausdrücklichen Rückgriff auf die Philosophie der Antike und des Mittelalters möglich ist. H. hat ln seiner Studie gezeigt, daß die Problematik in der Neuzeit viel komplizierter ist, als sie oft dargestellt wird. Durch einen Rückgriff auf die Philosophie der Antike und des Mittelalters dürfte alles noch komplizierter werden. Denn bis heute ist die Diskussion darüber, was nun eigentlich das ontologische Argument bei ANSELM bedeutet, noch nicht abgeschlossen. Daß ANSELM tatsächlich vom (im Hegelschen Sinn gesprochen) subjektiven Begriff ausgeht, ist sicher. Sicher ist auch, daß ANSELMS Argument in keiner Weise die Hegelsche Logik vorwegnimmt. Die Frage dagegen ist, wie Sein und Denken, bzw. Sein und Idee bei ANSELM bezogen sind und wie dieser Bezug verstanden wird, damit überhaupt so etwas wie ein ontologisches Argument möglich wird. Hier wäre wohl im besondern, wie es GILSON versucht hat, auf den Zusammenhang von Idee und Wahrheit bei ANSELM ZU verweisen. In solcher Sicht wird die Betonung des ens necessarium durch DESCARTES und KANT eben doch nur ein Moment in der Auslegung des Bezugs von Denken und Sein. Es ist in solcher Sicht kein Zufall, daß THOMAS dem Zusammenhang von Wesen, Denken und Sein nachfragt und daß dann später die Hegelsche Logik den Weg vom Sein zur Idee geht. Gerade diese beiden Versuche sind keineswegs dem kartesianisch verstandenen ens necessarium verhaftet, schließen aber auch die Betonung des ens necessarium nicht aus. M. a. W.: der von dem Verfasser mit solcher Eindringlichkeit hervorgehobene zweite Weg ist wohl doch, wie der Verf. selbst schon im Hinblick auf THOMAS feststellt, näher mit dem ersten verbunden (auch DUNS SCOTUS erörtert übrigens ausdrücklich die Problematik des ens necessarium im Zusammenhang mit dem ontologischen Argument). Die Problematik des ens necessarium scheint darin begründet zu sein, daß seit PLATON die abendländische Metaphysik nach dem eigentlichen Sein fragt.

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das als begründender Grund das eigentlich Notwendige ist, das jedoch, gerade weil es das Eigentliche ist, immer in verschiedener Weise gesehen wird. So spielt hier gerade von AUGUSTIN bis zu ANSELM von Canterbury, vom Platonismus her beeinflußt, der Zusammenhang von Idee, Sein und Wahrheit eine entscheidende Rolle. Dieser Zusammenhang wird auch durch das „ens necessarium" DESCARTES nicht „aufgehoben", sondern nur wiederum neu beleuchtet, und zwar gerade von dem Zusammenhang der Idee und Gewißheit bei DESCARTES her. Daß damit eine neue Bestimmung und eine neue Sicht entsteht, ist nicht zu bestreiten, aber diese neue Sicht ist selbst auf der Problematik von Sein und Denken bzw. auf der Auslegungsnotwendigkeit von Sein und Denken, die eben durch DESCARTES in neuer Weise geschieht, bedingt. Die Geschichte des ontologischen Arguments hängt zutiefst mit den verschiedenen Weisen zusammen, wie die abendländische Metaphysik den Zusammenhang von Denken und Sein zum Ausdruck bringt. Das hat Hegel viel eindringlicher gesehen als DESCARTES und KANT. Joseph Möller (Tübingen)

Hayo Ger des: Das Christusbild Sören Kierkegaards verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers. Düsseldorf, Köln: Diederidis 1960. 217 S. Dieses Buch ist von einem Schüler des bekannten Göttinger Theologen Emanuel geschrieben; es zeugt wie die Schriften HIRSCHS selbst von einer heute seltenen genauen Kenntnis der drei miteinander verglichenen Großen des Geistes. Sein Ausgangspunkt ist zwar die spezielle, in der heutigen Theologie - nicht nur der evangelischen - brennende Frage nach der Historizität der neutestamentlichen Quellen, namentlich die Frage nach dem „historischen Jesus" in ihrer Bedeutung für den christlichen Glauben. Seltsamerweise verzichtet der Verf. auf die seit Martin KAHLER angewandte fruchtbare Unterscheidung zwischen „historisch" und „geschichtlich" (149, Anm. 17), offenbar weil KIERKEGAARD sie nicht kannte. Dabei ist schon LUTHER von einer bloß historischen Faktizität („bruta facta") abgerückt. Darüber hinaus konfrontiert der Verf. die theologischen Grundlagen der drei christlichen Denker überhaupt. Dabei wird nach dem anfänglichen Verdikt über SCHLEIERMACHER durch die „dialektische Theologie" (namentlich E. BRUNNERS) und der teilweisen Rehabilitierung durch K. BARTH (in seiner Protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert) auf Grund der objektiven Darstellung durch E. HIRSCH das Positive an SCHLEIERMACHERS Theologie und der Einfluß SCHLEIERMACHERS auf KIERKEGAARD liebevoll herausgearbeitet. In einem, freilich entscheidenden Punkt, so wird mit Recht festgestellt, hat KIERKEGAARD SCHLEIERMACHER im Sinne LUTHERS überboten: im Ernstnehmen des vierten Kreuzeswortes und damit des angefochtenen Christus. Obwohl gewisse Überspitzungen bei KIERKEGAARD zugegeben werden (z. B. 114), so reicht der Verf., auch darin E. HIRSCH folgend, unter den drei miteinander Verglichenen die Palme eindeutig KIERKEGAARD, der LUTHERS Grundhaltung am tiefsten erfaßt und weitergebildet habe (87). Sogar das für KIERKEGAARD charakteristische Wort: „Gott ist die reine Subjektivität,... hat überhaupt kein Sein des Objektiven in sich ..." (aus Papirer XI^ A 54) wird zustimmend zitiert (181, Anm. 59). Damit wird HIRSCH

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wie es heute fast allgemein üblich ist, mindestens in religiös-theologischer Hinsicht, weit über Hegel gestellt, was uns hier besonders interessiert. Welches Bild von Hegel zeichnet nun der Verfasser? - ein merkwürdig in sich widersprechendes: Auf der einen Seite billigt er Hegel, was heute alles andere als selbstverständlich ist, zu: „Auch für Hegel ist der Mittelpunkt der absoluten Religion die geschichtliche Erscheinung Jesu Christi in ihrer strengen Einmaligkeit und Endlichkeit." (11) „So ist bei Hegel die Frage nach der Absolutheit des Christentums von vornherein beantwortet; sein ganzes System ist von daher gedacht. Nimmt man diese heimliche Prämisse weg, so fällt alles ins Bodenlose." (128) „Der absolute Geist, Gott, ist nach Hegel der Dreieinige ..." (47) „Die ganze Philosophie Hegels will somit nichts anderes sein als Christologie, d. h. Darstellung der gott-menschlichen Einheit im Element des Begriffs." (52) Der Verf. hat Hegels Aussage nicht vergessen: „... die Philosophie ist... Theologie" (Werke XII, 354; zitiert 158, Anm. 26). „Die Philosophie hat den Zweck, die Wahrheit zu erkennen, Gott zu erkennen, denn er ist die absolute Wahrheit." (Ebenda 352; zitiert 50) Ja, der Verf. gibt zu, daß Hegel den in der aufgeklärten Theologie zurückgedrängten Begriff des „Testimonium Internum Spiritus sancti" wieder hergestellt hat. „Diese Erneuerung steht ebenbürtig neben SCHLEIERMACHERS Rückgang auf die unmittelbare Erfahrung" (131, Anm. 7). Er hält gewisse Lehren Hegels für die Theologie für „unentbehrlich" (57) und „unaufgebbar" (126). Trotzdem kommen dann dem Verf. schwerwiegende Einwände gegen Hegels Christentum, „das bestimmte Gefühl, daß hier etwas falsch ist". Auf seine Frage: „Woher kommt das?" (53) gibt er dann die üblichen Antworten: Es scheint ihm ausgemacht, 1) daß Hegels Gottesbild, im Unterschiede von dem SCHLEIERMACHERS und KIERKEGAARDS, „auf begrifflichem Wege gewonnen" ist (98); 2) daß Hegel die Philosophie über die Religion stelle (52 f u. ö); 3) daß - nach D. Fr. STRAUSS! - „die spekulative Theologie eine Kluft aufreißt zwischen den Wissenden und den Nichtwissenden" (17, 54); 4) daß sie „unfähig zu entscheidendem Handeln" mache (54); 5) daß - und hierin kulminieren im Grunde alle Einwände - bei Hegel das Subjektive-Individuelle sowohl in Christus wie im einzelnen Gläubigen nicht zu seinem Rechte komme (82, 124 f u. ö.). Ja, „es läßt sich also aus Hegel der Satz ableiten, daß eine bis ins Letzte zu Begriff und Philosophie werdende Christologie den Christus selber tötet" (sic! 55). Es ist hier nicht der Ort, auf diese Einwände, die so oder ähnlich heute von Theologen und Philosophen gemacht zu werden pflegen, im einzelnen einzugehen - das soll an anderer Stelle versucht werden. Es sei nur erlaubt, eine Gegenfrage zu stellen, die sich durch die ausgezeichnete Zitatenauswahl dieses Buches geradezu aufdrängt und auch auf das Verhältnis der drei Denker ein neues Licht wirft. Könnte es nicht Hegels tiefster Intention entsprechen, in dem Testimonium Spiritus sancti (s. o.) den Angelpunkt seiner gesamten Theologie und Philosophie zu sehen? Dann wäre 1) sein ganzes System wahrhaft trinitarisch strukturiert und nicht nur ein Produkt von Hegels logischem Denken. - 2) Dann fiele der Vorwurf, Hegel habe das Erkennen über den Glauben gestellt, in sich zusammen. Denn nach PAULUS gibt es bekanntlich auch ein Erkennen aus der Gewißheit des Glaubens (vgl. z. B. I. Korinther 2,6 ff). - Das Ernstnehmen der Wirklichkeit (nicht nur Denkbarkeit) des Heiligen Geistes jetzt und hier würde das, was KIERKEGAARD „Gleichzeitigkeit" mit Jesus Christus nennt, einschließen; freilich auch, was der Verf. Hegel zum Vorwurf macht, mit PAULUS (vgl. 2. Korinther 5,16) zwischen bloß historischer Faktizität (s. o.) und KIERKEGAARD,

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geschichtlich-übergeschichtlicher Wirklichkeit unterscheiden, ohne das persönliche Leiden Jesu zu verharmlosen. Hegel sagt; „Ebenso wenig ist es das rechte Verhältnis, wenn wir uns Christi nur [!] als einer gewesenen historischen Person erinnern" {Werke IX, 395; zitiert 141, Anm. 36). - 4) Kann man dann Hegel interpretieren, wie es der Verf. S. 57 tut: „Bei ihm ist das Ja zu Christus mit einem Nein zum Weg ans Kreuz verbunden. Seine Christologie ist Osterglaube, bei dem die Passion zur bloßen Erinnerung [!] herabgesunken ist"? Hebt nicht vielmehr rechter Osterglaube Passion und Kreuz auf - und zwar im Hegelschen Sinn des „Aufhebens", so daß das Kreuz erhalten bleibt? - 5) Dann schlösse die Glaubensgewißheit zwar die auch von KIERKEGAARD mit Recht bekämpfte Sicherheit aus (vgl. 117); aber auch das Ausspielen von KIERKEGAARDS bloßer Subjektivität gegen Hegels Objektivität der Lehre und der Kirche fiele dahin. Denn Subjektivität und Objektivität werden bei Hegel bekanntlich vom absoluten, d. h. Heiligen Geist umfaßt und „aufgehoben". Hegel selbst könnte den Satz (124) bejahen: „Versöhnung ist ja bei Hegel nicht [nur] ein verborgen im Gottesverhältnis des Einzelnen geschehener Akt, sondern [audi] . . . ein weltgeschichtlicher Prozeß, ja sie ist der weltgeschichtliche Prozeß, und Rechtfertigung ist dann das Teilhaben des Einzelnen an der im Weltprozeß sich vollziehenden Erlösung durch Vermittlung der Gliedschaft in der Gemeinde" - vorausgesetzt, daß „nur" und „auch" eingefügt würden. - 6) Kurzum: Bei einer Hegel gerechter werdenden Interpretation würden fast alle von KIERKEGAARD her (nicht nur von dem Verf.) gemachten Einwände in sich zusammenfallen, und es würde sich zeigen lassen, daß KIERKEGAARD auch in seiner Christologie, soweit man von einer solchen sprechen kann, Hegel gegenüber keinen Fortschritt bedeutet, bzw. daß Hegel fast alle KiERKEGAARDschen Einwände im voraus widerlegt und seine Wahrheitsmomente systematisch verarbeitet hat. - 7) Auch die spezielle Ausgangsfrage nach dem Verhältnis von Glaube und Geschichte würde von unserer Gesamtschau Hegels aus, was hier nicht ausgeführt werden kann, anders zu beantworten sein, als es der Verf. Hegel zubilligen will: Glaubenserkenntnis und exakte wissenschaftlich-kritische Geschichtsforschung schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. - 8) Ganz unverständlich bleibt uns der Vorwurf des Verfassers, Hegel habe bei seinem Denken eine Glaubens-Prämisse gemacht. Meint denn heute noch ein Theologe allen Ernstes, daß es wissenschaftliches Denken gäbe, das voraussetzungslos sei? (Vgl. dazu P. TILLICH U. a.) Hat Hegel denn nicht recht, wenn er nur eine Wahrheit gelten läßt? Trotz dieser Gegeneinwände bleibt das Buch von H. GERDES eine wesentliche Bereicherung der literarischen Auseinandersetzung um die drei großen Denker. Namentlich sollte sich dadurch die zeitgenössische Theologie, die wiederholt kritisch angesprochen wird, zum Nachdenken anregen lassen. Dann würde sie vielleicht auch K. BARTHS Mahnung, endlich Hegel gründlich zu studieren, und nicht einfach zweiten und dritten Quellen nachzureden, beherzigen. Dann würden wir endlich zu dem wirklichen Hegel zurückfinden, der nicht von FEUERBACH und STRAUSS und ihren Nachfahren „auf den Kopf gestellt" ist.

Carl G. Schweitzer (Bonn)

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A. A. Piontkowski: Hegels Lehre über Staat und Recht und seine Strafrechtstheorie. Übersetzt von Anna Neuland. Vorwort von Prof. Dr. John Lekschas. Berlin: Deutscher Zentralverlag 1960. XXXIV, 432 S. Um das Buch von Prof. PIONTKOWSKI richtig beurteilen zu können, muß man den heutigen Stand der humanistischen Wissenschaften in der Sowjetunion vor Augen haben. Seine „objektive" Wichtigkeit besteht darin, daß der Verfasser die oberflächliche Auffassung, Hegels Philosophie sei „eine aristokratische Reaktion auf die französische Revolution" (428), aufs Schärfste bekämpft. Damit wird eine Annäherung an die Hegelauffassung des jungen MARX bezweckt - leider aber, ohne daß die philosophische Tiefe von MARX erreicht worden wäre. Der Verfasser kann wohl damit entschuldigt werden, daß er kein Fachphilosoph, sondern (vermutlich) ein Rechtsgelehrter ist. Seine Uninteressiertheit an Philosophie hat aber die unangenehme Folge, daß von ihm Hegels Redtisphilosophie als ein „bürgerliches" Handbuch für Strafrecht betrachtet wird, wobei die eigentlich philosophisch-politischen Probleme entweder überhaupt nicht oder aber mit MARX-LENIN-Zitaten und flach-allgemeinen Schlagworten abgefertigt werden. Als weitere Folge ergibt sich daraus, daß das einseitig rechtsformalistische Interesse von P. das Buch ebenso lang als inhaltsarm macht, da die Lebendigkeit der Dialektik fehlt, wenn nicht grob mißverstanden wird. Dieser philosophischen Mängel wegen hat es sich als nötig gezeigt, das Buch mit einem Vorwort auszustatten, in dem die philosophischen Ansichten von P. „ergänzt" werden. Durch diese unsere Kritik werden natürlich Ehrlichkeit und Emst P.s nicht in Frage gestellt, denn ohne Zweifel hat er sein Bestes getan, um Hegel zu verstehen. P. scheint Hegel sehr hoch zu schätzen, und er zeigt sich bereit, die Richtigkeit hegelscher Ansichten anzuerkennen trotz ihrer „mystischen" und „idealistischen" Hülle und auch trotz der bekannten marxistischen Tradition, nach der Hegels Gedanken sorgfältig in zwei Sparten eingeteilt werden - nämlich je nachdem, was Hegel „schon" und was er „noch nicht" begriffen hat. Dieser Schematismus braucht aber den Leser nicht unbedingt zu stören, solange er noch zwischen der Lehre Hegels und der historischen Entwicklung des Hegelianismus unterscheiden kann. Der Aufbau - und schon der Titel - des Buches entspricht leider nicht dem Inhalt. P. verspricht, Hegels Strafrechtstheorie im Rahmen seines Systems und seiner Rechtsphilosophie zu behandeln - was aber, soweit wir es beurteilen können, nicht ausgeführt wird. Daß Hegel ein „Idealist" war, wird nicht aus Hegel selbst, sondern aus MARX-LENIN belegt, - eine These, die zwar von den Vätern des Marxismus aufgestellt, aber niemals bewiesen wurde. Dabei zitiert P. selbst aus Hegel ganz „realistische" Ansichten - z. B.: das wahre Wesen des Menschen sei seine Tat, usw.; dies seien aber zufällige und sporadische Behauptungen, die nicht aus dem „kapitalistischen" und „ausbeuterischen" Geiste des hegelschen Systems entspringen könnten! Diese naivmarxistische Interpretation Hegels ist m. E. deswegen tendenziös, weil ihr gemäß Hegel notwendig geirrt haben muß, damit MARX die Entdeckung der ganzen Wahrheit für sich allein beanspruchen kann. Die Frage, wo Hegel aufhört und wo MARX ZU denken anfängt, ist freilich zu delikat, um im Rahmen dieses „orthodoxen" Buches beantwortet werden zu können. Ebenso delikat ist die Frage nach der Grundtendenz der hegelschen Rechtsphilosophie. Für Hegel selbst ist die Rechtsphilosophie die Darstellung der tatsächlichen Verwirklichung der Freiheit. In seinem Buche will er beweisen (seiner Methode

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nach nicht am Anfang, sondern am Ende der Darstellung), daß allein die Freiheit den Sinn oder die Wahrheit des rechtlichen, moralischen, gesellschaftlichen und staatlichen Lebens ausmachen kann, weil der moderne Mensch keinen äußeren Zwang mehr erträgt. Dem nachrevolutionären Menschen muß Freiheit gegeben werden, da er sonst politisdi nicht zusammengehalten werden kann, sondern revoltieren muß. Der freie Mensch gehorcht nur den Gesetzen, die seine Freiheit fördern und nicht beschränken. Deswegen besteht die Freiheit im Selbstwollen der Freiheit, in einem Willen also, der keine Schranken von außen, sondern nur ein Bestimmen von innen als sein Gesetz anerkennt. Nun wird diese Auffassung - die bis heute noch die beste Definition der Freiheit bietet - von P. als das Prinzip des Bösen beschimpft und abgelehnt. Die Definition, die Freiheit sei „der freie Wille, der den freien Willen will" (Reditsph. § 27), soll nichts sein als eine „idealistische Mystifikation", ein leerer und böswilliger Formalismus, der der kapitalistischen Ausbeutung nichts entgegensetzt. Es ist also kein Wunder, daß in diesem Lichte Hegels energische Ablehnung aller Autorität, Sklaverei, Unterdrückung, Diskriminierung und jeden Gewissenszwanges ganz und gar unverständlich wird und als „Zufall" behandelt werden muß. Nachdem Hegels Begriff der Freiheit abgelehnt ist, wird das Privateigentum als der eigentliche Inhalt der Rechtsphilosophie entlarvt - eine unrichtige und ungerechte Idee von MARX, WOZU P. noch andere beiträgt. Was am Eigentumsbegriff Hegels schon von MARX (gewollt oder ungewollt) mißverstanden wurde, ist, daß Hegel mit dem Worte „Eigentum" (d. h. „Besitz" als allgemein anerkannt) nicht das „Kapital" bezeichnete, sondern vor allem den menschlichen Leib und alles, was zu seiner unmittelbaren Erhaltung gehört. Nach Hegel ist die erste und elementarste Bedingung des freien Lebens, daß ein jeder zuerst und vor allem Recht hat, über seinen eigenen Leib zu verfügen: die Abschaffung der Leibeigenschaft ist der Anfang der Verwirklichung der Freiheit, nicht aber ihr ganzer Inhalt. Diese Idee, 1820 und in Preußen ausgedrüdet, ist weit davon entfernt, „reaktionär" zu sein. Zu diesen vermeintlich „kapitalistischen" Tendenzen, die das Wesen der hegelschen Rechtsphilosophie ausmachen sollen, gesellt sich bei P. wenigstens noch ein Mißverständnis, das seiner Interpretation sehr schadet. Um der hegelschen Methode gerecht werden zu können, muß man die Behandlung des Rechtsproblems im Kapitel „Bürgerliche Gesellschaft" aufsuchen, wo das konkrete Funktionieren des Rechts beschrieben wird. Hegel sagt ja selber (§§ 31 Anm.; 32 Anm.; 33 Anm.; 256 Anm. etc.), daß das „abstrakte Recht" und die „Moralität" nur isolierte, d. h. unwahre Aspekte des Problems sind, die nur um der leichteren Darstellung willen separat behandelt wurden. P. aber isoliert Hegels Beschreibung des abstrakten Rechts und interpretiert sie als die feste Grundlage der Theorie, an welche die anderen Ansichten nur angeklebt sind. Das heißt aber nicht nur, die Dialektik grundsätzlich mißverstehen (was bei MARX selbst noch nicht der Fall war) - die Dialektik wird durch das Zusammenstücken dreier isolierter Elemente mechanistisch-kausal interpretiert -, sondern ist auch eine irrtümliche und irreführende Auslegung von Hegels Rechtsauffassung. Hegel behauptet nämlich überhaupt nicht, daß das abstrakte Recht als abstraktes Recht ewig und notwendig bestehen muß, sondern kritisiert im Gegenteil seine Unzulänglichkeit. Das besagt also, daß es zwar notwendig ist, das Recht des Menschen auf seinen eigenen Leib und unmittelbaren Besitz anzuerkennen, daß aber damit nur der Egoismus und die Habsucht des Menschen anerkannt werde. Mit der Anerkennung dieses Rechts wird das freie, moralische Wesen des Menschen noch nicht befriedigt. Die „Moralität"

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- und sie ist höher und richtiger als das abstrakte Recht - besteht eben darin, daß der Mensch, der nur haben will, noch nicht der Mensch ist, wie er sein soll, und daß dieser Gegensatz auch bewußt wird. Die privatrechtlichen Streitigkeiten machen den Menschen noch nicht wirklidi frei; sie machen aus ihm nur eine abstrakte Rechtsperson, d. h. einen Besitzer. Ein moralisch freies Wesen („Persönlichkeit") ist aber nicht nur Herr seines Besitztums, sondern Herr über sich selbst - anders gesagt: völlig verantwortlich für seine Taten. In den Taten besteht die Freiheit eines „moralischen" Menschen. Hegel findet aber auch die moralische Freiheit noch viel zu abstrakt - und hier kommt die berühmte KANikritik -, da ein moralisch freier Mensch keinen anderen Richter als sein Gewissen über sich selbst anerkennen kann. Ein rein moralischer Konflikt - ein Konflikt zwischen Handlungen, die auf dem individuellen, subjektiven Gewissen beruhen - ist unlösbar, eben weil ein Verbrecher „moralisch" ebenso frei wie ein „guter" Mensch oder wie sein Richter ist. So wird auf der moralischen Ebene eine jede Rechtsübung zur Ungerechtigkeit, da der Kriminelle letzten Endes verurteilt wird, weil er seine Freiheit (Schlechtes zu tun gemäß seinem Gewissen) ausgeübt hat - wie es, moralisch betrachtet, lücht nur sein Recht, sondern sogar seine Pflicht ist. Eine „Gerechtigkeit" also ist nicht anders möglich als in der Form eines Konflikts zwischen der persönlichen Freiheit des Täters und der allgemeinen Freiheit der Gesellschaft. Die Möglichkeit nämlich, eine persönliche Handlung eines Einzelmenschen zu verurteilen, muß auf einem anderen und höheren Prinzip beruhen als die Tat selbst. Auf diesem Niveau hätte P. eigentlich Hegels Straftheorie behandeln und nicht beim abstrakten Recht und der Moralität stehen bleiben sollen. Es wird aber nur die Frage der ökonomischen Werttheorie behandelt (die Umrechnung der qualitativen Tat in quantitative Strafe, eine rechtstechnische Frage dritten Ranges!), ohne logischen Zusammenhang mit dem Thema. Deswegen hat der Verfasser - unglücklicherweise sein Hauptziel verfehlt, und die eigentliche „Sache" mußte durch Prof. LEKSCHAS in dem Vorwort nachträglich hinzugefügt werden. Bei der Erörterung der richtig gestellten Frage könnte es sich zeigen, daß Hegel an eine Gerechtigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt nicht glaubte. Die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten werden ausdrücklich als ein Konflikt („Kollision") bezeichnet, wobei der Verbrecher „Recht" hat, egoistisch zu verfahren (denn eben der Egoismus ist die Grundlage dieser Gesellschaft), und die Gesellschaft hat auch „Recht", ihn zu verurteilen (da der Verbrecher gegen denselben Egoismus gehandelt hat), und so fort ins Unendliche. Das höhere Prinzip der Verurteilung fehlt hier immer noch. Es wäre töricht nach Hegel, „in der Sphäre der Endlichkeit", die eine ökonomische Gesellschaft (kapitalistisch oder nicht) darstellt, die „absolute" Gerechtigkeit zu suchen. Hegel ist sehr mißtrauisch gegenüber den Gerichtshöfen seiner Zeit, gegenüber den Richtern und der Verstandesmechanik des juristischen Denkens überhaupt. Deswegen glaubt er, daß die einzige Stütze der menschlichen Freiheit immer noch die guten Gesetze und die gute Verfassung sind, in denen die Rechte des Menschen durch die Staatsgewalt und nicht durch die egoistische Gesellschaft garantiert werden. Das ist nach Hegels Meinung die hohe „sittliche" Aufgabe des Staates. Der Staat ist also kein „mystischer" Überbau über der Gesellschaft, sondern im Gegenteil ist die Gesellschaft auf den Prinzipien der allgemeinen Freiheit aufgebaut, die sie aus eigenen Kräften nicht hervorbringen kann. Dies Problem aber wurde von P. nicht mehr behandelt. Wohl aus dem Grunde, weil für ihn Hegel ein „Verherrlicher des reaktionären preußischen Staates" war, seine Staatsauffassung eine „Ideologie" und sein Buch ein von der Regierung be-

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zahltes Pamphlet! Die offenbare Tatsache, daß Hegel politische Institutionen beschreibt, die in dem damaligen Preußen noch nicht da waren, wurde ganz einfach „weginterpretiert". MARX wußte wenigstens noch, daß das Jenseits des hegelschen Staates jenseits des Rheins liegt... In dem vor uns liegenden Buche gibt es außerdem noch ein paar störende Mißverständnisse, wie z. B. der Anmerkung zum § 245 der Rechtsphilosophie. Von P. wird diese Stelle aufgefaßt und gebrandmarkt als „zynischer Vorschlag, die Armen der Armut und dem Hungertode zu überlassen" (346). Die Idee Hegels, daß jedes Volk die ihm angemessene Verfassung, d. h. Tradition hat, wird so verstanden, als hätte Hegel „Nation" oder „Staat" gesagt (364). Hegels Ausdruck „die germanische Welt" (d. h. die europäischen Völker) wird als „das deutsche Volk" interpretiert (422 ff), und dann die Folgerung gezogen: „Dadurch, daß Hegel das deutsche Volk als den Träger des absoluten Rechts des Weltgeistes ansah, unterstützte er die Idee von der Messiasrolle des deutschen Volkes, das berufen sei, über die anderen Völker zu herrschen. Damit erwies er sich als ein Vertreter der Theorie der Rassenüberlegenheit der Deutschen gegenüber den anderen Völkern, als Troubadour der verräterischen Eroberungspolitik Preußens. Der deutsche Faschismus hat diese reaktionären Ideen Hegels aufgegriffen und sie zur Rechtfertigung seiner Bestrebungen nach Errichtung der Weltherrschaft benutzt" (423). In diesem Gedanken, der bei Hegel keinerlei Grundlage hat, treffen sich also Ost und West, PIONTKOWSKI aus Moskau und Karl POPPER aus London. In dem Vorwort - wie gesagt - wird eine implizite Kritik der vulgären Hegelauffassung PioNTKOwsKis gegeben. Z. B.: „Diese Kritik [an Hegel] kann sicherlich nicht darin bestehen, die Thesen Hegels in falsche oder richtige einzuteilen." (IX) „Trotz alledem aber ist Hegels Ablehnimg des revolutionären Weges in Deutschland keineswegs mit einem feudal-reaktionären Standpunkt zu identifizieren." (X) „So ist seine [Hegels] durch eine Ständevertretung beschränkte Monarchie dennoch kein feudalabsoluter Staat mehr." (XIII) „Der Staat, den Hegel will, ist ein bürgerlich liberaler. Im Staat soll eine (gesetzliche Ordnung' herrschen" (XIV) usw. Außerdem sind auch die geschichtlichen Verdienste Hegels schon objektiver anerkannt. Prof. LEKSCHAS ist bereit, P.s Buch als eine Diskussionsbasis zu betrachten, was vielleicht mit Hilfe seines Vorworts schon ermöglicht wird. Jacob Fleischmann (Jerusalem)

Joachim Köpper: Dialektik der Gemeinschaft. Frankfurt/M.: Klostermann 1960. 103 S. (Philosophisdie Abhandlungen. Band 18.) Das philosophische Begreifen der Verwicklung von Einzeldasein und Gemeinschaft, das mit KANT und dem Deutschen Idealismus anhebt, gibt den Boden ab, auf dem der Verf. sein Thema durchführt. Die kurze Untersuchung zeichnet eine Entwicklung von KANT über Hegel zu SARTRE, in deren Verlauf das Verhältnis von Einzeldasein und Gemeinschaft sich verschiebt von einem bestimmenden Anteil der Sinnlichkeit und Leiblichkeit zu einem Leben aus dem Geist, in dem das leibliche Erfahren ein SichVersinnlichen des Geistes sein soll.

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Der Verf. beginnt mit einer Interpretation KANTS. Nach KANTS historischer Darstellung einer Herausbildung der Vernunft (in: Mutmaßlicher Anfang... und Idee einer allgemeinen Geschichte ...) wird der Mensch, zunächst wie ein Tier wohlbehütet im Paradies, Vernunft, indem er sich den weltlichen Dingen überliefert. Er wird über Lüsternheit, Hinauszögern des Genusses, Vorausdenken zur Sittsamkeit und zum Wissen um Sittlichkeit geführt. Dies Verhältnis von Geist und Natur stellt der Verf. unter das Motto der „Sünde", in einer Verquickung mit KANTS Lehre vom Ursprung des Bösen, wo die Sünde verstanden ist als ein Sich-Umsehen nach andern Triebfedern als dem moralischen Gesetz (Religion A 41). Das Sidi-Einlassen des Menschen mit der Welt soll jetzt die Sünde sein, aus der der Geist zu sich zurückkommen muß. Die ethisch-religiöse Akzentuierung des eigentlich ganz allgemeinen commerciums von Geist und Natur läßt auch das Zusichkommen des Geistes überhöht als „Erlösung" erscheinen. Der Mensch könne sich nicht allein befreien, die Einstellung in das Reich Gottes könne nicht vom sündigen Menschen ausgehen, sondern sei das überweltliche Wirken des Geistes (28); dies in Gegensatz zu der Auffassung KANTS, daß eine solche „Revolution in der Gesinnung" (Religion A 50) dem Menschen möglich sein muß. Die im einzelnen feinsinnige Analyse der KANTischen Stellen zeigt die Technik des Verf., mit einem -existenziell suggestiven Motto - hier: der „Sünde" - eine allgemeine Problematik wie die von Geist und Welt hintergründig erscheinen zu lassen und die Textbeispiele daraufhin auszudeuten. Auch wird hier unbedenklich KANTS historische Betrachtung systematisch ausgewertet. Der Verf. sieht in KANT eine Stufe im Verständnis der Dialektik der Gemeinschaft, nämlich ein Verständnis, in dem der Bezug auf das Weltliche (in der „Sünde") „noch" instrumental ist für das Zusichkommen des Geistes. Die Interpretation Hegels hält sich an die Bewußtseinsgestalten „Familie", „Verzeihung" und „Herr und Knecht" aus der Phänomenologie. Es geht dem Verf. wiederum um die bei Hegel aufzudeckende Fassung des Verhältnisses von Weltlichkeit und Geist, näher um ein Abwägen der Autarkie des Geistes. In der Ehe sieht er eine mystische Einheit (34), ein Leben aus dem „Sichwissen" des Geistes, ein vollkommenes Einssein und Miteinandersein, das sich Hegel aber verstellt habe, indem er der Zufälligkeit Raum gibt. Der Mann sucht die Frau von der Weltlichkeit her; beide bleiben einander zufällig. Der Mensch weiß sich aus dem Geiste, aber er läßt sich sein eignes Dasein doch nicht aus dem Geiste geben. Auch in der Verzeihung als äußerster Selbstvervollkommnung, in der das Reich Gottes auf die Erde herabkommt, bleibe der Mensch durch die Bindung an die Zufälligkeit und Geistlosigkeit befangen. Die Interpretation des Kapitels über Herr und Knecht bestätigt dasselbe. Es zeigt ein nicht zur Läuterung in sich selbst vorgedrungenes, in der Bündigkeit befangenes Selbstbewußtsein; es begreift sich von der Sinnlichkeit her, obwohl es sich darin doch schon für sich selbst aus dem Sichwissen des Geistes versteht (41). Der Mensch wird durch die Gemeinschaft Selbstbewußtsein, aber dieses wird wieder Extrem. Die beiden Selbstbewußtseine sind schon Gemeinschaft - während sie es bei Hegel erst werden -, verstehen sich aus ihr, aber sie differenzieren sich, sind einander entgegen. Die Entwicklung über Kampf und Angst bewirkt ein Nichtigwerden des Weltlichen, aber das Verfallensein an die Weltlichkeit bleibt. So ist es der Zufall, der den Kampf der Menschen und ihre Angst bestimmt und die Spaltung in höheres und niederes Selbstbewußtsein bedingt. Der Verf. betont zwar (im Gegensatz zu marxistischen Interpreten) die Harmonie der Gemeinschaft von Herr und Knecht - beide fin-

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den darin ihr Glüdc; aber die Harmonie ist nicht endgültig: beide wissen um die Unzulänglichkeit der Gemeinschaft, sie leiden beide an der Zufälligkeit. Hegels Fortschritt besteht für den Verf. darin, daß das weltliche Sichverstehen des Menschen nicht mehr Faktum ist, Konfrontation, die ein Zusichkommen bedingt; der Mensch versteht vielmehr sein Sicherleben als das Zusichkommen und Sichverwirklichen seines geistigen Wesens. Der Geist bestimmt gleichsam aus sich selbst das Dasein der Menschen. Der Bezug des Menschen zur Welt ist schon von seinem Gemeinschaftssein her verstanden. Aber, so schränkt der Verf. ein, der Einzelne hält sich auch als Einzelner fest. Wir übergehen die Deutung der MARXschen Position, die der Verf. unter das Motto des Hasses stellt, in dem der Einzelne die Gemeinschaft erfährt. Die Einordnung KIERKEGAARDS in den Gedankenkreis des Verf. setzt daran an, daß die Bewegung auf ein Eingehen der Existenz in das Sichwissen der Gemeinschaft von der Einzelheit selbst übernommen werden muß. Die beiden Teile von Entweder-Oder wären dann verschiedene Wege, das zu bewerkstelligen. Künstlich erscheint die Deutung, daß Don Juan (im 1. Teil) in seinem Genießen des Augenblicks sich mit der Gemeinschaft verbinde. Im 2. Teil, wo die Dauer im Sichverstehen des Menschen aus der Gemeinschaft (hier in einem greifbaren Sinn als Ehe gemeint) behandelt wird, sieht der Verf. insofern einen Fortschritt über Hegel hinaus, als die Ehe nicht von Zufälligem gezeichnet sei, sondern Sich-Erfüllen des Geistes aus sich selbst darstelle. Nichts mehr wird aus dem Weltlichen her ergriffen: die Ehe ist Sich-Gestalten des Geistes in die Zeit. (Wir würden sagen: bei KIERKEGAARD findet sich das bewußt ergriffene Leben; die Ehe ist aus ihm heraus gestaltet.) Das Ungenügen des Zeitlichen macht sich aber geltend. Das Göttliche wird auf die Erde herabgeholt, aber doch nur so, daß das Ungenügen des sterblichen Lebens in solche Glückseligkeit eingegangen ist. Alles geschieht aus dem Geist, aber die Zeit bedingt die Langeweile. Das Selbstbewußtsein gibt sich an das Geistlose preis (64). SARTRE endlich stellt für den Verf. eine letzte Stufe des Sichverstehens des Menschen als Gemeinschaft dar. Hier liegt für ihn der Versuch, das Sichüberkommen des Geistes von der Sinnlichkeit (Langeweile, Angst) in sich zu „zersetzen" und in das Beisichsein und Sichverstehen des Geistes in der Sinnlichkeit aufzulösen. Die Zersetzung des weltlichen Seins sieht der Verf. bei SARTRE geschehen in der „nausee". Damit ist das Sichverstehen aus der Sinnlichkeit aufgelöst; es verliert - als Sinnloses - seine Macht, wenn es auch nicht getilgt wird. Der Mensch übernimmt die Sinnlosigkeit, aber darin erfüllt sich das Sichbezeugen des Sichwissens des Geistes aus sich selbst (71). Der Mensch wird in der „nausee" frei dazu, sein sinnlich-weltliches Zusichkommen aus seinem Sichwissen zu verstehen. Das Selbstbewußtsein weiß das Stoffliche aus sich ermöglicht, so fremd es sich auch entgegenstellt. Dies ist die eigenartige Lehre, die der Verf. aus L'etre et le neant und dem Roman La nausee entnimmt. Wir können diesem Verständnis der „nausee" und ihrer angeblich so zentralen Rolle bei SARTRE nicht folgen. Zwei Punkte werden unterschieden: einmal findet das Selbstbewußtsein Gemeinschaft versinnlicht vor (Beispiel aus dem Roman vom Hören einer Schallplatte). Das Selbstbewußtsein findet sich als „Andenken" (74). Die Intersubjektivität der Welterfahrung ist hier suggestiv gesteigert. Zum anderen muß es dem Selbstbewußtsein darum gehen, die Stofflichkeit und Leiblichkeit, in der es sich findet, ganz in sich aufzulösen (73). Das versucht es in konkreten Bezügen zum Andern. Das Auflösen ist ein „Verleiblichen": der Andere wüßte unter meinem Blick seine Liebe als verleiblicht.

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seine Liebe (ein Sichwissen in Gemeinschaft) wäre versinnlichte Gemeinschaft. Diese Glückseligkeit der Gemeinschaft muß dem Menschen scheitern. Der Verf. sieht wohl mit Recht bei SARTRE eine Steigerung in der Linie, die er zieht, d. h. in der Richtung auf eine Geist- bzw. Gemeinschaftzentriertheit des Menschen, wenn nicht als Gelingen, so doch, was die Tiefe der Dimension angeht, in der die geistige Gemeinschaft sich zu fühlen gibt. Für ihn ist bei SARTRE der Standpunkt noch radikaler bezogen, daß der Geist Ausgangspunkt für das Verhältnis des Menschen zum Stofflichen ist. Weniger geht der Verf. ein auf die doch schlagende Präsenz von Gemeinschaft in der Erfahrung des Subjekt-Andern im bloßen Blick und auch im nur gedachten Blick, wodurch für SARTRE eine apriorisch-faktische Gemeinschaft hergestellt ist. Trotz allen Scheiterns ist Selbstbewußtsein Sichwissen aus dem Geist, aus der Gemeinschaft. In seinem Tun ist der Mensch zugleich Sichvollziehen der geistigen Einheit der Gemeinschaft. Das heißt, der ethische Standpunkt ist auch von der Position SARTRES aus eröffnet, ein Sichverwirklichen aus dem allgemeinen Wesen, eine KANT verwandte Position (79). Das vorgängige In-der-Gemeinschaft-Stehen eröffnet die Verantwortung anderen Menschen gegenüber. Aus dem Geist geschieht ein Ineinsgehen von zwischenmenschlichem Verhalten und Verhalten zur Menschheit, die bei Hegel als Familie und als Staat - in Widerstreit erschienen. Die Menschheit als ganze ist in der ethischen Reflexion ergriffen. Mit der so gedeuteten Position SARTRES gibt sich der Verf. jedoch nicht zufrieden. Es muß für ihn noch eine Steigerung, eine Lösung von der Stofflichkeit geben. In dem Abschnitt „Die weltliche Mystik" gibt er einen Hinweis, wie er sich diese Möglichkeit denkt. Er fordert ein Ungenügen an der „nausee", eine „nausee" an der „nausee" (84). Dadurch werde die Bindung an das weltliche Sicherfahren zersetzt. Das Genießen verliert die Macht über das Sichverstehen des Menschen; er wird frei dazu, sich für sich selbst rein aus dem Irmestehen im Reiche des Geistes zu erfüllen. Das Weltliche wird nur noch vom Geist her offenbart. Der Geist ist selbständig, das Weltliche ist Versinnlichung. Der Mensch ist ln seinem weltlichen Sicherleben das mystische Sichverstehen aus der Einheit des Geistes; er versteht sich aus dem Reiche Gottes, seine Vereinzelung ist ihm Erscheinen der ungeteilten Gemeinschaft der Menschen (86). Diesen abschließenden Gedankengang nennt der Verf. selbst mystisch. Man ist versucht zu sagen, daß es sich hier um eine Verführung des Denkens durch eine Konzeption von Geist und Gemeinschaft handelt. Es ist bemerkenswert, daß der Verf. Geist und Gemeinschaft identifiziert. Die im Deutschen Idealismus immer gesehene Spannung zwischen individuellem Geist, geistiger Gemeinschaft und absolutem Geist scheint nivelliert. Die Opposition von individuellem Geist und individuellem Geist ist ein Letztes, nicht nur ein zu überwindendes Gekettetsein an die Sinnlichkeit oder ein zu überholendes zufälliges Sich-Begegnen in der Welt. Das Faktische, ln dem der Mensch steckt - seine Einzelheit und sein weltliches Gegenüber - gelten aber dem Verf. als Defekt des Geistes, bis er sich zur Geisteinheit = Gemeinschaft erhoben hat (vgl. das Sünde-Motiv). Nur als gleichsam in umgekehrter Richtung vom Geist her legitimiert soll Faktizität sein dürfen. Im Sichverstehen aus dieser Einheit soll sich der Status des Faktischen wandeln zur Versinnlichung des Geistes. Damit ist die Faktizität unterschätzt und die Einheit des Geistes zu etwas Selbständigem, zu einer Art Hypostase geworden, einer Hypostase, die nicht nur Schlußpunkt des spekulativen Denkens, sondern existenziell bestimmend sein soll. Der Verf. sucht, so scheint es, eine Synthese von KANTS Scheidung in intelliglbel und empirisch, die uns den Geist als

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Gemeinschaft nur als Forderung und Idee erleben läßt, von Hegels Verlegung der Einheit des Geistes ins spekulative Denken, und einer existenzialistischen Faktizität des Geistes als konkreter Gemeinschaft. Geist wäre ihm das Prinzip, in dem ethische Idealität und Konkretion der Gemeinschaft gleichermaßen gegründet sind. Das Faktische ist ethisierend nachgeordnet, gleichzeitig aber Spiegel, Versinnlichung, in der der Geist sich anschaut. Der Zusammenfall der Denkmotive ergibt ein Mystisches, den konkreten Geist „für sich". Wir Andern, die wir uns nicht so aus der Hypostase lebend verstehen, werden uns weiterhin betrachten als in einem commercium mit der Welt und mit ewig „Andere" bleibenden Andern stehend, unaufhebbar faktisch und individuell. SARTRE erscheint uns nach wie vor als der äußerste Versuch, Faktizität und Gemeinschaft zu verbinden. Klaus Hartmann (Bonn)

G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Mit einer Einführung von Theodor Litt. Stuttgart: Reclam (1961). 612 S. (Universal-Bibliothek. Nr 4881-85 b.) Diese neue Ausgabe von Hegels Geschichtsphilosophie in Reclams UniversalBibliothek übernimmt den Text, den 1907, also zur Zeit des wieder einsetzenden Hegelstudiums, der junge Friedrich BRUNSTXD im gleichen Rahmen herausgab. Mit Recht legte BRUNSTäD damals die 2. Auflage der geschichtsphilosophischen Vorlesungen zugrunde, die 1840 erschien, bearbeitet von Karl HEGEL, dem Sohn des Philosophen; dieser hatte, unter Benutzung von Originalmanuskripten seines Vaters, den Text der von E. GANS besorgten Erstedition (1837) wesentlich erweitert und ihm eine authentischere Fassung verliehen. BRUNSTäDS Vorbemerkung zur Textgestaltung sowie eine von ihm verfaßte Kurzbiographie Hegels sind der jetzigen Ausgabe noch beigegeben. Neu ist die einführende Abhandlung über „Hegels Geschichtsphilosophie" von Theodor LITT (3-33). Wir haben hier die letzte Hegelarbeit des 1962 Verstorbenen vor uns.i In ihr bewährt sich noch einmal die meisterliche Art, mit der gerade LITT es vermochte, ein weit über die Bezirke der Universität und der Fachwissenschaft hinaus reichendes Publikum an Grund- und Zeitfragen philosophisch-pädagogischen Denkens heranzuführen. LITT geht davon aus, daß im Gesamtsystem der Hegelschen Enzyklopädie die Darstellung der Geschichtsphilosophie nur wenige Paragraphen umfaßt, daß aber „der Puls des geschichtlichen Denkens" auch in denjenigen Teilen von Hegels System

* Frühere Arbeiten sind: Hegel und die Aufgaben deutscher Jugend. In: Jugendführer und Jugendprobleme. Festschrift zu G. Kerschensteiners 70. Geburtstag. Leipzig u. Berlin 1924. 50-59; Strukturpsychologisches bei Hegel. In: Ganzheit und Struktur. Festschrift zum 60. Geburtstag Felix Kruegers. H. 2. München 1934. 41-50; Goethe und Hegel. In: Studium generale. 2 (1949), 413—427; Hegels Begriff des „Geistes" und das Problem der Tradition. In: Studium generale. 4 (1951), 311-321; Hegel. Versuch einer kritischen Erneuerung. Heidelberg 1953, 2. Aufl. 1961.

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schlägt, in denen von der Geschichte nicht eigentlich die Rede ist. Weit hinter Hegel zurückgreifend, zeigt LITT auf, wie die neuzeitliche Philosophie von ihren Anfängen her dem naturwissenschaftlichen Denken verhaftet war. Ihre Zuspitzung fand die unhistorische Weltauffassung in der Aufklärung, die aber zugleich einen „Rückstoß", einen „Umschlag" in Gang brachte, der mit Männern wie Vico und HERDER dem geschichtlichen Bewußtsein zum Durchbruch verhalf. Über diese Denker des 18. Jahrhunderts hinausgehend war es dann Hegel, der versuchte, „für die geschichtliche Weltansicht nicht nur durch Vorführung anschaulicher Bilder zu werben, sondern ihr das Fundament einer durchgeschmiedeten Begrifflichkeit unterzulegen" (10). Die Schwierigkeit, auf so begrenztem Raum in die Geschichtsphilosophie als ein Teilgebiet der Hegelschen Philosophie einzuführen, ohne je und je auf das System Bezug nehmen oder dieses voraussetzen zu können, sucht LITT ZU meistern, indem er das Begrifflich-Grundsätzliche heraushebt und darin den Geist des Ganzen aufleuchten läßt, der auch dieses Teilgebiet durchwaltet. Er zeigt, daß „Hegel die Geschichte als den Gesamtprozeß interpretiert, in dessen Vollzug das Allgemeine sich durch Eingehen in die Besonderung realisiert, das Besondere sich durch Erhebung ins Allgemeine idealisiert" (18), und entfaltet die „Logik der geschichtlichen Weltansicht" (10) mit der für sie charakteristischen „Verschränkung" des Allgemeinen und Besonderen, indem er sie abhebt gegen die subsumierende „Verstandes"logik des naturwissenschaftlichen Denkens. Von hier aus erläutert LITT die im Geschichtsprozeß tätige Potenz, die Hegel „Geist" bzw. „Weltgeist" nennt. In „Freiheit" vollendet sich der Geist, dieweil er als beseelende Mitte in die Fülle und Folge der geschichtlichen Besonderungen eingeht und eben damit diese besonderen Gestalten und Geschehnisse in das sinnerfüllte Ganze seines Weges einbegreift. Mit der weiteren Durchklärung von Hegels leitenden begrifflichen Bestimmungen gelangt LITT dann an den Punkt, an dem „wir den Systemgeist über die geschichtliche Gestaltbesonderung triumphieren sehen" und der darum nach LITTS Überzeugung „berechtigten Widerspruch auf sich gezogen hat" (21). Hegels denkendes Begreifen der Geschichte bescheidet sich nicht damit, ein faktisch Vorgefundenes verstehend nachzuvollziehen, sondern es will die Notwendigkeit sichtbar machen, „mit der an dieser bestimmten Stelle der geschichtlichen Welt gerade dieser bestimmte Mensch auftreten, diese bestimmte Tat geschehen, dieses bestimmte Werk entstehen" muß (23). Diese selbstverständlich nicht kausal zu verstehende, sondern logische Notwendigkeit ist für den Geist nichts Undurchschaubares, Fremdes und somit seine Freiheit Beschränkendes, sondern er erkennt in ihr seine eigene Notwendigkeit, das Prinzip seiner eigenen Selbstentfaltung. Im Durchschauen der Notwendigkeit gelangen Freiheit und Notwendigkeit zur Deckung. LITT entwickelt, daß dieses Zusichselbstkommen und Sichwissen des Geistes, diese Deckung von Freiheit und Notwendigkeit nach Hegels eigener Lehre „erst am Abschluß des durch die Weltgeschichte zurückzulegenden Weges", d. h. nachdem die Taten der Geschichte getan sind, voll realisiert sein kann - daß aber Hegel andererseits das so bestimmte „Verhältnis zwischen zu tätigender und zu denkender Geschichte" (26) vom Abschluß des großen Dramas her in Abstufungen auf jede einzelne Phase innerhalb des Gesamtgeschehens überträgt. Jede Epoche muß den Ertrag ihrer Taten „in Gedankenform zusammenfassen"; aber erst, wenn es mit ihr zu Ende geht, verspürt sie das Bedürfnis, sich selbst zu begreifen. In dieser Bestimmung des Verhältnisses von Tat und Einsicht sieht LITT Folgerungen enthalten, die sich letztlich zu der erschreckenden Alternative ausbilden: „Entweder wissenloses Tun oder tatenloses Wissen!" (28) Die Willensmotivationen, die das

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Handeln der weltgeschichtlichen Akteure leiten, fallen inhaltlich ganz und gar nicht zusammen mit den Absichten, die „der weltgestaltende Logos" verfolgt. Der Weltgeist gaukelt den handelnden Individuen ihre Willensziele vor, um seine eigene Planung zu realisieren; er bedient sich der Individuen als „Mittel". So deutet LITT die Hegelsche Lehre von der ,List der Vernunft', in der er die „Achillesferse" von Hegels geschichtsphilosophischer Gesamtkonzeption erblickt. „Je tiefer wir in den Geist des Systems eindringen, um so deutlicher wird es uns, daß die behauptete Koinzidenz von Freiheit und Notwendigkeit eine Selbsttäuschung ist." (30) LITT schließt mit einem Ausblick auf die Umgestaltung von Hegels Geschichtstheorie durch MARX. In dieser Umgestaltung werde die Selbsttäuschung der Hegelschen These, „daß der weltgeschichtliche Prozeß fortschreitend Freiheit und Notwendigkeit zur Deckung bringe", aus einem bloßen Fehlgehen des theoretischen Denkens „zur wirkenden Kraft in eben der Geschichte, die durch sie verzeichnet wird" (32). Die Ausführungen dieser gedrängten Abhandlung stehen ganz auf dem Boden von LITTS großem Hegelbuch. Neben der wissenschaftstheoretischen Uminterpretation der Hegelschen Logik stellt in diesem Buche die Kritik an der Theorie des Weltgeistes den wohl schärfsten korrigierenden Eingriff dar, den LITT für notwendig hält, um Hegels Denken unserer Zeit fruchtbar zu machen. Es geht ihm dabei um die Wiederherstellung des Individuums, um Bewahrung und Bewährung der menschlichen Freiheit, die er bei Hegel zutiefst bedroht sieht. - Bekanntlich ist dieser „Versuch einer kritischen Erneuerung" Hegels nicht ohne Einwendungen geblieben. R. KRONER hält die Zurückweisung, die das in Hegels Geschichtstheorie bestimmte Verhältnis von Individuum und Weltgeist durch LITT erfährt, für eine geradezu „tödliche Operation" am ganzen System.^ B. LIEBRUCKS hat LITT entgegengehalten, man möchte „dem Grundanliegen der Geschichtsphilosophie Hegels vielleicht doch nicht gerecht geworden sein", wenn man „in dem Ungeheuer deus absconditus der Geschichte nicht jene Dialektik sieht, die es zugleich zum geoffenbarten Gott der Liebe macht"; einen Weg, die Hegelsche Konzeption der Geschichte „an ihrer Ursprungsstelle" zu ergreifen, sieht LIEBRUCKS nur in der Möglichkeit, „in dem Weltgeist den Gott der Liebe zu begreifen" Nicht uninteressant ist es übrigens, von hier aus noch einmal zurückzublicken auf F. BRUNSTXD, dessen frühere Einleitung in diesem Reclam-Text durch die Abhandlung LITTS ersetzt worden ist; für BRUNSTäD ist der Weltgeist „der in der Welt und ihrer Ordnung angelegte Schöpfungswille Gottes".'* Die hier angeführten Autoren gehen von Grundüberzeugungen aus, die LITT nicht teilt. Die damit aufgerissene Problematik der Hegeldeutung können wir im Rahmen dieser Anzeige nicht erörtern. Was LITT selbst angeht, so hat er deutlich ausgesprochen, daß und warum er glaubt, in der Aneignung Hegels zugleich über ihn hinausgehen zu müssen. Es bleibt eindrucksvoll, wie LITT sich auch mit seiner forsch zugreifenden

* Richard Kroner: Hegel heute. In; Hegel-Studien. 1 (1961), 135-153; vgl. 146 f. Siehe auch R. Kroner: Vom Sinn der Ceschidite. In; Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Düsseldorf 1960. 194-206. 3 Bruno Liebrucks: Zur Theorie des Weltgeistes in Theodor Litts Hegelbuch. In; Kant-Studien. 46 (1954/55), 230-267. Unser Zitat; 252. * Brunstäds „Vorrede zu Hegels Philosophie der Geschichte" ist, in der völlig veränderten 2. Fassung von 1924, jetzt abgedruckt in Friedrich Brunstäd: Gesammelte Aufsätze und kleinere Schriften. Hrsg, von E. Gerstenmaier und C. G. Schweitzer. Berlin 1957. 48-68. Vgl. besonders; 66.

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Kritik immer wieder ganz in die Nähe Hegels zu stellen, ja sich aus dessen eigensten Intentionen zu begründen weiß. Aber auch dort, wo er sich offensichtlich weiter von ihm entfernt, fordert er den Leser ein in das Spannungsfeld der Hegelschen Denkbemühung und bringt damit „die Sache" zur Geltung. Friedhelm Nicolin (Bonn)

R. F. Beerling: De list der rede in de geschiedenisfilosofie van Hegel. Arnhem: van Loghum Slaterus. 1959. 180 S. Die Auseinandersetzung mit dem Denken Hegels, die BEERLING in dem früheren Aufsatz Hegel en de machn begonnen hatte, wird mit diesem Buche fortgeführt. Es behandelt ein zentrales Thema der Hegelschen Geschichtsphilosophie: das Verhältnis von List der Vernunft und Gang der Weltgeschichte. Die Untersuchung gliedert sich in drei große Abschnitte; 1. Das „einzige Apriori", 2. Bedeutung des Bösen in der Geschichtsphilosophie und 3. List der Vernunft. 1. Die einzige Voraussetzung, die Hegel bei seiner Geschichtsbetrachtung mitbringt, ist die Überzeugung, daß es in der Geschichte allzeit vernünftig zugegangen ist, d. h. daß die Geschichte von der absoluten Vernunft beherrscht und geleitet wird. Dies involviert zugleich, daß das Geschehene sich dem Begriff einfügen wird. Schon in dieser Grundkonzeption Hegels sieht BEERLING einen folgenschweren Zirkel; zum Beweis, daß die absolute Vernunft die Welt regiere, verweise die Vernunft auf sich selbst. Da die Idee der sich selbst realisierende Begriff, das eigentlich Wirkliche und dadurch wieder das Vernünftige selbst ist, sagt Hegel nach BEERLING eigentlich nichts anderes als; „die Vernunft ist, weil sie davon überzeugt ist, daß sie ist". BEERLING zeigt, daß so in letzter Konsequenz das Gespräch der Vernunft mit der Geschichte zum bloßen Monolog wird; er erinnert in diesem Zusammenhang auch an den Vorwurf ScHELLiNGs, daß Hegel die Idee als eine Art handelnder Person in die Geschichte einführe. Da nach Hegel in der Geschichte nichts wirklich ist außer der Idee, ist seine Denkhaltung auch da, wo er sich ganz in den konkreten empirisch-historischen Stoff versenkt, nicht die eines Realisten im naiven Sinne. BEERLING sucht Hegels Grundansicht unter der Bezeichnung eines „idealistischen Realismus" zu fassen. Der Autor weist weiter auf Hegels Anliegen hin, die Endlichkeit mit der Unendlichheit, d. h. die Idee mit der Welt zu versöhnen. Damit wird seine Geschichtsphilosophie zur Theodizee, deren Kriterien von der im historischen Prozeß erkennbaren Herrschaft der Vernunft her gewonnen werden, und in der Gott nicht mehr anthropomorph als Person vorgestellt, sondern als Idee gedacht und der Fortschrittsgedanke in die Ebene der göttlichen Vorsehung gehoben wird. Hegel versucht, die großen Kulturbereiche nach biologischen Analogien (vgl. besonders seine Theorie der Kreisläufe) zu begreifen; für die germanische Welt jedoch schränkt er deren Geltung ein. BEERLING sieht hierin Spannungen und Doppeldeutig-

1 In: R. F. Beerling: Kratos. Studies over macht. Antwerpen, Amsterdam: Standaard 1956.

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keiten, die nicht ganz aufgelöst worden sind; allerdings geht sein Vorwurf, Hegels Philosophie sei „unverkennbar biologistisch orientiert", zu weit. 2. Von dem Problem der Theodizee ausgehend untersucht BEERLING die Rolle des Übels in der Geschichtsphilosophie Hegels, wobei er dessen Ansichten mit denen seiner Vorgänger vergleicht und auf die Antworten seiner Nachfolger einen kurzen Blick wirft. Da die Geschichte Geschichte Gottes ist, kann das Böse hinsichtlich der Schöpfung nicht als ein kontingentes Prinzip erklärt werden, sondern als Gottes eigenes Anderssein, in dem er zu sich selbst kommt. Das Böse ist dem göttlichen „Spiel" inhärent und wird als Negatives gegen sich selbst „ausgespielt". In der These, daß Gott und Welt zusammenfallen, sucht Hegel den LEiBNizschen Dualismus Gott - Welt zu überwinden und zu zeigen, daß die Welt, so wie sie ist, die einzig mögliche ist, da sie durch die dialektische Selbstauslegung des absoluten geistigen Prinzips gefordert wird. BEERLING weist darauf hin, daß sich bei Hegel zwar eine gewisse Trauer über das Übel und die Vergänglichkeit in der Geschichte zeigt, die er aber durch die Forderung überwindet, daß das Leben die Anstrengung des Begriffs auf sich nehmen muß. Unter Einbeziehung der ethischen Gedanken Hegels und durch Analyse des Gewissens zeigt BEERLING, daß für Hegel das Böse in der Verabsolutierung des Besonderen gegenüber dem Absoluten besteht. Verantwortet sich das formale, gleichsam noch schwebende Gewissen nicht gegenüber der Wirklichkeit, sondern bleibt auf sich selbst stehen, so verfällt es in Schuld, da es die Besonderheit zum Wesentlichen gegenüber der Allgemeinheit macht. Damit vollzieht sich nach BEERLING bei Hegel der Übergang von der moralischen zur ontologischen Interpretation von Gut und Böse. Mit Bezug auf die Hegelsche Religionsphilosophie zeigt BEERLING, daß das Ansich der philosophisch-terminologische Repräsentant des religiösen Paradiesmythos ist. Wie die Herr-Knecht-Dialektik verweist das Problem von Gut und Böse auf eine Philosophie der Arbeit, denn der Mensch als Geist kommt nicht zu sich durch meditierende Weltflucht, sondern durch Konfrontation mit der Wirklichkeit und durch Arbeit an ihr. So ist die Versöhnung des Menschen Versöhnung mit sich, mit der Welt und mit Gott. 3. Im dritten und eigentlichen Hauptteil des Buches liegt das thematische Schwergewicht der Ausführungen BEERLINGS. Gegenüber der bekannten Hegelschen These, daß die List der Vernunft sich gleichsam hinter dem Rücken der Menschen befriedigt und die Individuen wie Marionetten benutzt, um ihre Ziele zu erreichen, betont BEERLING, daß die Täuschung sich auch auf die Idee selbst bezieht. Die absolute Vernunft verhält sich nicht allein gegenüber dem Prozeß als List, sondern ist als der „sich selbst täuschende Gott" selber darin verfangen. Hier ergibt sich eine ganze Reihe schwer lösbarer Probleme. Eine große interpretatorische Schwierigkeit liegt auch darin, daß nach Hegel noch ein unantastbarer innerlich-menschlicher Bereich von Sittlichkeit, Moralität und Religiosität existiert, auf den die Geschichte keinen Anspruch hat, da er nicht der Kategorie des Mittels untergeordnet werden kann, der aber auch seinerseits keine Wirkung auf die Geschichte auszuüben vermag. Dieser Gedanke steht im Widerspruch zur Interpretation des Menschen als eines bloßen Mittels. Hegel versucht, die sich hier durchkreuzenden Motive des bewußtlosen Werkzeugs und der vernünftig-idealistischen Freiheit zu verbinden. Da in der Geschichte nichts ohne Leidenschaft geschieht, muß es eine bindende Mitte geben, in der Freiheit als Durchschauen der List der Vernunft und Leidenschaft „konkurrieren" können. In dieser „Mitte" zwischen Wissen und Unwissenheit stehen die weltgeschichtlichen Individuen, in denen das Allgemeine als

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bewußtes Motiv wirkt. Zugleich zeigt sich darin aber auch die doppeldeutige Stellung dieser Person gegenüber der List der Vernunft, da sie sowohl deren Objekt (Benutzung ihrer Leidenschaft), als deren Subjekt (Vollstrecker der Idee) sind. Die wirklichen Subjekte des zunehmenden Freiheitsbewußtseins sind aber auch die weltgeschichtlichen Individuen noch nicht, sondern dies sind die Philosophen, die in der Freiheit als Geist und im Geist als Freiheit das Wesen aller Wirklichkeit erkennen und dieses Prinzip formulieren, denn als Eingeweihte in die Geheimnisse des absoluten Geistes kennen sie Bedeutung und Ziel der Geschichte. Philosophie als „sich denkende Idee" oder „sich wissende Vernunft" ist als Bewegung vollbracht, „indem sie am Schluß ihren eigenen Begriff erfaßt, d. i. nur auf ihr Wissen zurücksieht". BEERLINC geht hier darauf ein, daß für Hegel dieser Prozeß der Selbstbewußtwerdung folgerichtig in seiner Philosophie zum Abschluß gekommen ist, indem alle früheren Philosophien im absoluten Idealismus aufgehoben sind. Dies verhinderte aber nicht, wie Nie. HARTMANN aufzeigte, daß sich Hegels Dialektik nach seinem Tode gegen ihn selber wandte und seine Philosophie wieder als bloßes Mittel im Gange der Weltgeschichte erwies. Leider müssen mancherlei Einzelheiten der Ausführungen BEERLINGS hier übergangen werden. Zusammenfassend läßt sich sagen: BEERLING versucht zu zeigen, daß Hegel als letzter Denker des europäischen Idealismus glaubte, den Sinn der Geschichte als einen in sich abgerundeten Prozeß erkennen zu können. Dabei spricht er nicht über das Absolute, sondern dieses kommt in seiner Philosophie selbst zum Sprechen. Hinter diesem Anspruch steht ein großer Optimismus, der aber durch den tragisch-realistischen Anblick der historischen Wirklichkeit überschattet wird. Um beide zu versöhnen führt Hegel die List der Vernunft ein, deren starke theologische Verflechtungen BEERLING freizulegen versucht; er weist auf die vielfachen Spannungen und Mehrdeutigkeiten in ihrer Anwendung auf die Geschichtsphilosophie Hegels hin und betont, daß es die große Täuschung Hegels war zu glauben, daß die Idee im protestantischen Christentum mit der Welt versöhnt sei. Leider hat BEERLING durch die besonders bei religionsphilosophischen Fragen öfters von der zentralen Themastellung abschweifenden Exkurse und durch vermeidbare Wiederholungen die eigentliche Absicht seiner Darlegungen zuweilen verdeckt. Diese Mängel werden aber weitgehend ausgeglichen durch zahlreiche kritische Beobachtungen zu Einzelfragen und die im ganzen klare Art der Darstellung. Abgesehen von der speziellen Fragestellung der Untersuchung empfiehlt sich das Buch als eine kommentierende Einführung in Hegels Geschichtsphilosophie unter dem besonderen Aspekt ihrer Beziehungen zur Religionsphilosophie und Theologie. Klaus Weyand (Köln)

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Ernst Schulin: Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1958. X, 325 S. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 2.) Gegenüberstellung der weltgeschichtlichen Erfassung des Orients bei Hegel und RANKE stellt sich nicht die „Aufgabe, zu entscheiden, was für uns von ihren Auffassungen über den Orient noch gültig und rücht mehr gültig ist", sondern will lediglich versuchen, „die Voraussetzungen für eine gerechtere und genauere Beurteilung zu schaffen, als sie bisher möglich war" (289). Dieser adäquaten Beurteilung der beiden Denker stand nach SCHULIN bisher entgegen: bei Hegel das, was man „seine gewaltsame philosophische Konstruktion" narmte, bei RANKE die mangelnde Kenntnis des Gesamtumfangs seiner diesbezüglichen Äußerungen. Bei einer Besprechung in den Hegel-Studien müssen natürlich die Betrachtungen über Hegel im Vordergrund stehen, doch ergeben sich gerade auch aus der Gegenüberstellung von Hegel und RANKE und einigen, anhangsweise beigefügten, Betrachtungen über BURCKHARDT interessante, auch philosophisch bedeutsame Aspekte. Das Buch ist dem Andenken von H. H. SCHAEDER gewidmet. Es beruht auf einer genauen Kenntnis der Quellen und bringt in dieser Hinsicht in den Teilen über RANKE neues Material. Zwischen einer kurzen Einleitung über HERDER und den schon genannten Schlußbetrachtungen über BURCKHARDT stehen die beiden ungefähr gleichstarken Hauptartikel über Hegel und RANKE, die jeweils zunächst in historischer Abfolge die Gedankengänge der beiden Persönlichkeiten zum Thema entwickeln und dann in einer abschließenden Partie kritisch würdigen. Für das Denken des deutschen Historismus über die weltgeschichtliche Erscheinung des Orients sind nach ScaiuuN Hegel und RANKE die maßgebenden Repräsentanten. Die Einleitung zeichnet in kurzen Strichen die Voraussetzungen ihrer diesbezüglichen Leistung in England, Frankreich (VOLTAIRE) und insbesondere bei HERDER und der Romantik im Gegensatz zur bisherigen Geschichtsschreibung. Freilich vermochte schon „die Generation HöLDERLINS Christentum und aufklärerischen Humanismus nicht mehr so naiv und unbefangen zu vereinigen wie HERDER". (8) Außerdem trennte sie von ihm das Erlebnis der französischen Revolution und ihre Folgen, ln zusammenfassender Übersicht charakterisiert SCHULIN die Entwicklung, die er in seinem Buche zeichnet, folgendermaßen: „Es wird sich zeigen, daß der Orient, der so bedeutend für den entstehenden Historismus war, notwendigerweise in der universal-historischen Betrachtung mehr und mehr zurückgedrängt wird, teils wegen der vom unbefangenen Kosmopolitismus des 18. Jahrhunderts stark unterschiedenen Zeitansichten des 19. Jahrhunderts, teils wegen der kritischen Verfeinerung der historischen Methoden und der steigenden Bedeutung und ,Empirisierung' des Entwicklungsgedankens. Hegel widmet sich dem Orient mit aller Intensität, aber schon RANKE denkt fast europazentrisch, und später wird Burckhardt ihn aus der wesentlichen Geschichtstradition ausscheiden." (2 f) Daß in der so gezeichneten Entwicklung selber ein Problem des europäischen Historismus - insbesondere auch im Zusammenhang mit den weltgeschichtlichen Veränderungen der Gegenwart - liegt, diese Tatsache ist nicht mehr Gegenstand des Buches, obwohl sich auch in dieser Richtung manche Andeutungen finden. SCHULIN geht auch bei Hegel an seine Aufgabe als Historiker der genauen und differenzierten Methodik der Gegenwart heran. Bewußt läßt er Hegels „allgemeines weltgeschichtliches System" (125) zurücktreten. Trotzdem weiß er, daß mit dieser EinScHULiNs

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Stellung ein gewisses Dilemma verbunden ist, das Gefahren mit sich bringt, „denen schon URS VON BALTHASAR nicht ganz entgangen und denen Friedrich HEER (in seiner schwülstigen Einleitung zu dem Fischer-Auswahlband Hegel, 1955) völlig erlegen ist" (125). Tatsächlich kennzeichnet dieses Dilemma am besten die philosophische Problematik, die dem Thema SCHULINS zugrunde liegt. Gerade nämlich das, was Hegel besonders auszeichnet, daß bei ihm „Weltgeschichte und Darstellung der Weltgeschichte eins geworden" sind, dadurch daß Hegel seine differenzierte systematische Begrifflichkeit bis in die Faktizität der Historie vorgetrieben hat - mußte den „gewöhnlichen Historiker" betroffen machen, obwohl auf der anderen Seite jede besonnene Würdigung anerkennen konnte, mit welcher einmaligen phänomenologischen Kraft Hegel im Begreifen der Eigentümlichkeiten der Vergangenheit begabt war. SCHULIN rühmt in dieser Hinsicht weiterhin „die völlig gelöste und offene, weite Bereitschaft, alles Denkbare zu denken und zu begreifen" (125) und „das unmittelbare Interesse an allem faktisch Vorhandenen, die Freude am empirischen Material" (126). Sehr schön zeigt SCHULIN an dem Beispiel der Rezension über v. HUMBOLDTS Bhagavadgita-Abhandlung die Eigenart Hegels, die gerade mit systematischer Begrifflichkeit jedes Detail der historischen Individualität verbindet und auf diese Weise HUMBOLDTS in gewissem Sinne übergeschichtliche, „an humanitären Bildungswerten" orientierte, Interpretation distanziert. Mit Recht betont SCHULIN in diesem Zusammenhang, daß Hegel „keinen Sinn für Weisheit, sondern nur für Wissenschaft" (132) hatte. Wir können heute noch viel besser begreifen, warum für Hegel die abstrakte Weisheit, die weder auf die Geschichte noch auf die individuelle Bewährung bezogen ist, banal geworden war. SCHULIN sieht auch hier die entscheidenden Zusammenhänge mit Hegels, zuletzt theologisch fundierten, Gedanken von der Vernünftigkeit alles Wirklichen: „Für Hegel war der tiefere Sinn dieser Behandlung des geschichtlich Individuellen seit der Phänomenologie des Geistes die philosophische Überwindung durch die philosophische Rechtfertigung. Sein verstehendes Durchdringen nennt er immer wieder: Rechtfertigen ... Rechtfertigung ist aber für Hegel zugleich Gericht; sie gibt jeder Individualität zwar eine Stufe in der Vernunft, aber nur eine Stufe. So nennt Hegel die Weltgeschichte gern das Weltgericht, und so ist für Hegel das Problem jeder historischen Individualität zugleich ein gegenwärtiges, ein immer gegenwärtiges Problem, das es von der höchsten Stufe der Vernunft zu überwinden galt. ,Indem wir es mit der Idee des Geistes zu tun haben und in der Weltgeschichte alles nur als seine Erscheinung betrachten, so beschäftigen wir uns, wenn wir Vergangenheit, wie groß sie auch immer sei, durchlaufen, nur mit Geeenwärtigem. Die Philosophie hat es mit dem Gegenwärtigen, Wirklichen zu tun. Die Momente, die der Geist hinter sich zu haben scheint, hat er auch in seiner gegenwärtigen Tiefe. Wie er in der Geschichte seine Momente durchlaufen hat, so hat er sie in der Gegenwart zu durchlaufen - in dem Begriffe von sich.' " (134 f) Es wäre interessant, von diesen und ähnlichen Gedankengängen Hegels her und im Zusammenhang mit den neu auf gebrochenen Problemen der „Geschichtlichkeit" einmal das Problem des Historismus neu zu durchdenken, und zwar unabhängig von der absoluten Dialektik Hegels. Man könnte in dieser Hinsicht für viele aktuelle philosophische und theologische Erörterungen manches lernen; insbesondere im Zusammenhang des gegenwärtig viel behandelten Problems von Geschichte und Heilsgeschichte wären Hegels grundsätzliche Gedankengänge theologisch neu zu durchdenken. Wir stehen in diesen Fragen immer noch unter Aspekten, die dem Niveau des Hegelschen Anspruches und der Differenziertheit seiner Begrifflichkeit nicht völlig gerecht werden.

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ScHULiNs Darstellung

und die Schlußbemerkungen über BURCKHARDT bieten auch in diesen Hinsichten manchen Fingerzeig. Wenn RANKE bei aller Zurückhaltung vor dem „philosophischen Konstruieren" seine Geschichtsforschung unter die Überschrift der „Erkenntnis des gottgewollten Weges der Weltgeschichte" (272) stellt, dann ist es fraglich, ob - auch rein geschichtstheoretisch - ein solches Vorhaben ohne explizite Geschichtsphilosophie durchgeführt werden kann. SCHULIN bietet folgende Versöhnungsformel an: „Konnten wir Hegel als den Geschichtsphilosophen bezeichnen, der am tiefsten ln die empirische Geschichte vorgestoßen ist, so ist RANKE der Universalhistoriker, für den die Weltgeschichte am unmittelbarsten in der Darstellung der empirischen geschichtlichen Bewegung besteht." (274) Trotzdem bleibt hier vieles offen. Vor allem eben das in der „Unmittelbarkeit" der Darstellung wirkliche, aber nicht explizit gemachte Verständnis. RANKES unvermittelt bleibende Bindung an die Werte des abendländischen Christentums mußte in der Weiterentwicklung für die Historie deshalb so gefährlich werden, weil mit dem Traditionsbruch auf diese Unvermitteltheit der nicht explizit gemachten Bindung die bloße Leere und das Leiden an der Zeit folgen mußten. SCHULIN zeigt diese Konsequenz selber schon an Jakob BURCKHARDT. Seitdem ist der Geschichtsschreiber auf sein individuelles moralisierendes oder ästhetisierendes Räsonieren zurückgeworfen, an die Stelle der Hegelschen „Vernunft" in der Geschichte tritt das psychologisch-soziologische Durchschauen und Entlarven im Sinne SCHOPENHAUERS und NIETZSCHES, während die Weltgeschichte davon unabhängig und zum Teil unter Berufung auf das Erbe Hegels ihre eigenen Wege geht. Vielleicht ist es eine nicht unwesentliche Tragik des Abendlandes, daß es gerade in der Zeit, in der die weltgeschichtliche Entwicklung, insbesondere auch des Orients, alle ihre bisherigen Maßstäbe über den Haufen geworfen hat (298), nicht in der Lage ist, das zu vermitteln, was im Grunde Hegel, RANKE und BURCKHARDT als die gemeinsame und tragende Substanz unserer Tradition (186) gesehen und, jeder auf seine Art, gelebt haben. Erich Heintel (Wien) RANKES

NEUERE SCHRIFTEN ÜBER HEGELS ÄSTHETIK Hegel steht heute wieder im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, und seine Vorlesungen über die Ästhetik üben keine geringere Anziehung aus als die anderen Teile seines Werkes. Aus vielfachen Gründen hat sich das wissenschaftliche Interesse diesen Vorlesungen zugewandt. Ein Anlaß, sich mit ihnen zu beschäftigen, war etwa in den romanischen Ländern, aus deren Blickpunkt der Referent berichtet, die französische Gesamtübersetzung von S. jANKfLEViTCH (Paris 1944). Auch die Verbreitung des sogenannten Sozialistischen Realismus und eine gewisse Sättigung des ästhetischen Formalismus sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Um einen wenn audi nicht vollständigen, so doch repräsentativen Überblick über die neuere Literatur zu Hegels Ästhetik zu geben, soll über folgende Arbeiten vergleichend und kritisch berichtet werden:

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Bernard Teyssedre: L'esthetique de Hegel. Paris: Presses universitaires de France 1958. 104 S. (Initiation philosophique. Collection dirigee par J. Lacroix.) R. Alberto Pierola: Hegel y la estetica. In: Cuadernos de Filosofia. Universidad nacional de Tucuman. 10 (1956). F. Puglisi; Uestetica di Hegel e i suoi presupposti teoretici. Padova: Cedam 1953. Georg Lukäcs: Hegels Ästhetik. In: Beiträge zur Geschichte der Ästhetik. Berlin 1954. 97—134; auch in: G. IV. F. Hegel: Ästhetik. (Hrsg. v. F. Bassenge.) Berlin 1955. 9—48. Jacques Taminiaux: La pensee esthetique du jeune Hegel. In: Revue philosophique de Louvain. 56 (1958), 222—250. Christa Dulckeit — v. Arnim: Hegels Kunstphilosophie. In: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft. 67 (1958), 285-304. Die Bücher von TEYSSEDRE, PIEROLA, PUGLISI sind in neulateinischen Ländern (Frankreich, Argentinien, Italien) entstanden. Sie weichen, grundsätzlich gesehen, nicht von den üblidien Deutungen ab, die sich auf BENARD einerseits und CROCE andererseits zurückführen lassen. Diese Bezüge bleiben unabhängig von den philosophischen Standorten und den verschiedenen Absichten der Autoren, auch von der unterschiedlichen Verteilung des Stoffes in ihren Arbeiten. TEYSSIDRE gibt nur einen Teil der Hegelschen Ästhetik wieder, um in Hegels Gedanken einzuführen. PUGLISI stellt das ganze Werk dar, um sein Prinzip zu kritisieren. PIEROLA läßt zwar einige Teile der Ästhetik beiseite, versucht aber doch eine Synthese der wichtigsten Begriffe, indem er an die Auseinandersetzung zwischen BOSANQUET und CROCE anknüpft. Da die drei genannten Autoren die in ihren Ländern hergebrachten Auffassungen ohne Widerspruch übernehmen, stimmen sie wenigstens in bezug auf zwei Punkte überein: 1. klagen sie alle das System an, die Ursache unannehmbarer Folgen zu sein; 2. sind sie der unbedingten Überzeugung, nach Hegels Ansicht müsse die Kunst sterben, ohne daß eine Hoffnung auf ihre Auferstehung bliebe. Die Schrift von B. TEYSSEDRE ist ein Beispiel für jene Methode, die in Hegels Ästhetik Edelsteine sucht. „Die Vorlesungen über die Ästhetik", so sagt der Verfasser im Vorwort, „sind nicht so sehr ein ,Werk' als vielmehr eine Zusammenstellung von Texten und Skizzen, die von 1819 bis 1829 fortwährend erweitert und durch Bemerkungen der Schüler vervollständigt worden sind..." Der rechte Weg, zurückzugewinnen, was es an Lebendigem ln den Vorlesungen gibt, besteht darin, die historischen und systematischen Schemata zu zerbrechen, ja überhaupt jeden Hinweis auf Hegels dialektische Terminologie sorgfältig zu vermeiden (Vf). TEYSsiuREs Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel, welche über die Ästhetik, die Kunst im Verhältnis zur Natur, die Kunst und die menschlichen Absichten, Kunst und Geschichte sowie über Geschichte der Kunst handeln. Der Verfasser bleibt dem Geiste Hegels treu, wo er von dem Verhältnis zwischen Methode und System (10), von den Kennzeichen der Erscheinung (21) und davon spricht, daß die Kunst nicht als Mittel,

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sondern als Selbstzweck betrachtet werden muß (42,35). Er betont sehr richtig, daß man in bezug auf Hegels Denken nicht von einem urmützen Zirkel sprechen kann. Damit die Gesdiichte nicht unnütz oder nur kontingent sei, „muß das Ende sowohl der Anfang als auch etwas anderes als der Anfang sein; der Begriff muß er selbst bleiben, obwohl er zu anderem wird; darin gerade gründet die Hegelsche Entsprechung zwischen Methode und System, Zeit und Ewigkeit" (52). Wie man sieht, erscheint das System, das verbannt worden war, in der einen oder anderen Weise wieder, und bisher richtig. Indessen läuft TEYSSIDRE Gefahr, den Unerfahrenen auf falsche Wege zu leiten, wenn er die Synthese des Entgegengesetzten, des Sinnbildlichen und Gedanklichen, bezeichnet als „unification de termes qui en eile se suppriment et se depassent" (37). Hegel selbst sagt: „Man muß sich aber nicht vorstellen, als ob der Begriff und die Realität in der Idee gleichsam wie zwei chemische Körper, wie Säure und Kali neutralisiert, abgestumpft würden, sich so vereinigten, daß jedes seine Qualität verlöre. Nein . .{Hegel: Die Idee und das Ideal, ed. Lasson, 155.) Ist das System einmal aufgetreten, so bleiben die Klassifikationen nicht aus. Auf S. 54 finden wir ein richtiggehendes Schema, worin aber der romantischen Kunst nur Musik und Malerei entsprechen, während die Poesie ausgeschlossen bleibt, well TEYSSIDRE sie für zweideutig hält. Daß die Religion dort beginnen soll, wo die Kunst endet (52), erscheint dem Verfasser als zu schematisch gedacht; er hätte unterscheiden müssen zwischen der Religion als solcher und der Religion, wie sie sich in der Geschichte entwickelt. Und wenn er bemerkt, nach Hegels Theorie des Erhabenen müsse die christliche Mystik eines ANGELUS SILESIUS dem Zeitalter des PERICLES vorausgehen (71), so verwechselt er wohl die chronologische Geschichte mit der Entwiddung der Momente des Geistes. Die kurze Schrift von TEYSSäDRE kann als eine Ergänzung zu der Auswahl aus Hegels Ästhetik betrachtet werden, die KHOEXDSS - ohne Einleitung und Kommentar herausgegeben hat (Paris 1954). Diese Auswahl folgt den Prinzipien BENARDS. Aus polemischen Absichten ist das Buch von F. PUGLISI geschrieben. Der Verfasser, ein Gegner des Idealismus, gibt die einzelnen Teile von Hegels Ästhetik in gedrängter Zusammenfassung wieder, um dann die Grundlagen des ganzen Werkes zu kritisieren und deren schlimme und lächerliche Folgen herauszustellen. Er biete die Hegelsche Ästhetik dar, so erklärt er selbst, und beschränke sich darauf, hier und dort die dunklen Stellen und die Widersprüche hervorzuheben; die Entscheidung bleibe dem Leser überlassen (116). PUGLISI kritisiert von außen und bleibt mit seiner Kritik auch außen. Das Buch ist voller Ungereimtheiten. Die romantische Ironie und der philosophische Sinn des Humors werden mit der Ironie des Ciorno von PARINI (65) und mit dem Humor MANZONIS (82) verwechselt. Hegels Ästhetik soll ein Friedhof sein, auf dessen Kreuzen man die Namen der Verfasser des Orlando Furioso, des Ciorno und des Don Quichote, die Namen von ARISTOPHANES, DANTE, BOCCACCIO, SHAKESPEARE lesen könne (132, 82, 101). PARMENIDES, ZENON, HERAKLIT werden aufgerufen in der Absicht, um zu erklären, daß die Idee zu totaler Starrheit verurteilt ist (72), daß der Augenblick der Schönheit niemals kommen kann, daß die Dialektik unmöglich ist (79), daß es sinnlos ist, von einer symbolischen, klassischen, romantischen Kunst zu sprechen (90). Mit wenigen Hinweisen auf Phänomenologie und Enzyklopädie glaubt der Verfasser das Problem des Entstehens der Ästhetik lösen zu können; er befürwortet jene Auffassung des Griechentums, die Hegel schon seit der Frankfurter Zeit überwunden hatte (112). Hegel sei nicht einmal imstande gewesen, den Gesang einer Nachtigall von dem Schrei eines Esels zu unterscheiden (78). Wenn CROCE die künstlerische Technik entwertet habe und zur Ausschaltung der literarischen Gattungen gelangt sei, so habe er damit nur

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die in Hegels Ästhetik enthaltenen Voraussetzungen zu ihren letzten Folgen geführt. Katastrophale Urteile dieser Art wechseln in PUGLISIS Buch ab mit Belehrungen, die der Verfasser Hegel über das erteilt, was Kunst wirklich ist. Und wiederum wird das System als die eigentliche Quelle des Verderbens für Hegel bezeidmet. R. A. PiEROiA hat der Hegelschen Ästhetik anhand der französischen Übersetzung von JANKELEVITCH ein ernstes Studium gewidmet, wenn er sich auch in seiner Arbeit auf einige wichtige Teile von Hegels Vorlesungen beschränkt. Dieser Arbeit ging eine Monographie PIEROIAS voraus, die in „Universidad n. 7" (Unlversldad Nacional del Litoral) erschien und die sich auf die unvollkommene Übersetzung der Ästhetik durch H. GINER DE LOS RIOS (Madrid 1908) stützte. PiEROLAs Buch kann als eine interessante Spiegelung des italienischen Idealismus im Denken Südamerikas betrachtet werden. Der Verfasser gesteht zu, daß CROCE BOSANQUET etwas zu hart behandelt habe, insofern nämlich auch BOSANQUET Leistungen und Verdienste aufzuweisen habe. Dennoch gibt PIEROLA dem Philosophen von Neapel die Siegespalme. Es scheint ihm, daß CROCE dem Hegelschen Text genauer folgt, - was nach meiner Meinung nicht stimmt. Gerade daß PIEROLA dem Standpunkt CROCES SO unbedingt zustimmt, belastet manchmal seine Auffassung und Deutung mit Vorurteilen. Mit Recht lenkt PIEROLA die Aufmerksamkeit auf die Begriffe Kreis - Zyklus Totalität und auf § 13 der Enzyklopädie (hier folgt er dem Weg GLöCKNERS) sowie auf den Unterschied zwischen Kunst, Religion und Philosophie. Er untersucht sehr genau das Verhältnis zwischen Kunst und Moral, ferner Hegels Verhältnis zu seinen Vorgängern und zu den Romantikern. In kurzen Zügen zeichnet er den Gang des Hegelschen Werkes nach und hebt das Wichtigste hervor. Sein aufmerksames Hinsehen auf den Text nähert ihn zuweilen der wahren Seele des Werkes. Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft wird gut herausgearbeitet. Der Gedanke, daß „für Hegel außer dem Ideal noch das Göttliche im Mittelpunkt der Kunstvorstellungen steht" (71), wird zu Recht betont, freilich dann nicht zu einem fruchtbaren Ergebnis geführt; der Verfasser beachtet wohl nicht, daß das Göttliche „als reiner Geist in sich nur Gegenstand der denkenden Erkenntnis" ist (Die Idee und das Ideal, 248), daß aber damit keineswegs dem Göttlichen jede Möglichkeit genommen ist, in der Weise der Kunst erfaßt zu werden. Ich kann dies hier nur andeuten. PIEROLA schließt sein Buch, nachdem er uns die öde Ansicht einer Welt ohne Kunst gezeigt hat, mit folgenden Worten: „Was ist die Wahrheit? Es ist unmöglich, sie auf die rein logische Ebene zu beschränken, wie Hegel es tut... Wir können der Zukunft mit Optimismus entgegenschauen... Die Kunst ist nicht ein Moment, das sich gezeigt hat, um nicht mehr wiederzukehren, sondern ein Moment im Leben des Geistes, das für immer errungen worden ist." (99) Das aber scheint mir keine Kritik zu sein, da Hegel selbst sich ebenso geäußert hat! Wir wenden uns den Schriften von G. LUKACS und J. TAMINIAUX ZU. In ihnen geht es vor allem um zwei Fragen: 1. Weist die Entstehung von Hegels Ästhetik Kontinuität auf, so daß das Werk des reifen Alters als organische Fortführung der jugendlichen Versuche erscheint, oder herrscht in der Entwicklung ein Bruch, eine Lücke? 2. Soll und kann man dieses Werk erläutern, indem man auf politische oder religiöse Motive zurückgreift, oder muß man sich auf die Totalität des Hegelschen Denkens stützen? Die beiden Schriften sind nicht nur wegen ihrer Antworten auf diese Fragen interessant, sondern auch, weil in ihnen zwei grundverschiedene Richtungen sich Ausdruck geben: der dialektische Materialismus und die Löwener Schule. LUKACS konstatiert.

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daß Hegels Ästhetik „den Gipfelpunkt des bürgerlichen Denkens" darstellt; er sieht in ihr eine kritische enzyklopädische Zusammenfassung der Strömungen, die - in wachsender Hinwendung zu einem objektiven Idealismus - von KANT über SCHILLER und GOETHE bis zu SCHELLING und SOLGER reichen. Der Verfasser verfolgt die verschiedenen Phasen der Entwicklung in den Jugendwerken Hegels und bringt die Wandlungen in Zusammenhang mit den republikanischen Bestrebungen des jungen Hegel, mit seiner Stellung zur Französischen Revolution, seiner Lektüre der Klassiker der Wirtschaft (STEUART, Adam SMITH) und dem Studium des englischen Wirtschaftslebens. Die frühe Periode bis ungefähr 1800, in der Hegel hofft, die französische Revolution werde das klassische Altertum erneuern, ist durch die Ablehnung der christlichen und modernen Kunst gekennzeichnet. Nach Abschluß der Französischen Revolution vollzieht H. eine Wendung; seine Einstellung zum Christentum und seiner Kultur ändert sich, insofern die Antike nicht mehr als zu erneuerndes Ideal gesehen wird. In der Jenaer Zeit faßt H. die griechische Kunst als eine endgültig vergangene Etappe des Geistes, doch gilt sie ihm immer noch allein als die wahre Kunst; die ästhetischen Probleme des Mittelalters und der modernen Zeit werden nicht behandelt. Dieselbe Auffassung finden wir noch in der ersten Ausgabe der Enzyklopädie (1817). Erst in der zweiten Ausgabe dieses Werkes (1827) erscheint die grundsätzliche Gliederung der Kunst in drei Perioden: die symbolische, die klassische, die romantische. Die Hauptwendung im Ausbau der Ästhetik findet in Heidelberg und während der ersten Berliner Jahre statt. LUKACS ist davon überzeugt, daß die wichtigsten Dokumente zu Hegels Ästhetik verlorengegangen sind und daher die Frage der entscheidenden Phase in der Ausbildung der Hegelschen Ästhetik offen bleibt. Die Bedeutung und Wirkung dieser Vorlesungen Hegels ist vielfältig. Vor allem wird die Philosophie der Kunstgeschichte gefördert: Hegel erfaßt den genauen Sinn der Kunstgattungen und die Hauptmerkmale einiger geschichtlich-gesellschaftlicher Phasen, um ganze Stil- und Kunstepochen zu deuten. Die Wichtigkeit des Inhalts und sein Verhältnis zur Form hervorgehoben zu haben ist ein weiteres hohes Verdienst von Hegels Ästhetik. Die Klassiker des Marxismus schätzten dieses Werk, das, wie LUKACS wiederholt betont, die erste - und die letzte - systematische und geschichtliche Synthese der Kunstphilosophie ist, die von der bürgerlichen Philosophie erreicht werden konnte. Für die Geschichte der Entwicklung der dialektischen Methode stellt es ein grundlegendes Dokument dar. Aber Hegels Philosophie verliert sich nach LUKACS in einen religiösen Mystizismus, die geistige Natur der Objektivität, zu der er gelangt, ist als unsinnig abzulehnen. Zwischen Methode und System herrscht so ein unheilbarer Widerspruch, weshalb es Hegel auch nicht gelingt, konkret und folgerichtig die Rolle festzulegen, welche die Ästhetik im Feld der philosophischen Wissenschaften spielt. Das sind aber leichte und verzeihliche Sünden, wenn man bedenkt, daß keine vormarxistische Philosophie es weiter bringen konnte. - In den weiteren Darlegungen des Artikels versucht LUKACS ZU beweisen, daß der dialektische Materialismus die Verwirklichung und Überwindung der Hegelschen Position ist. Hören wir nun die andere Stimme. TAMINIAUX verknüpft das Problem der Ausbildung von Hegels Ästhetik mit der Frage nach dem Verhältnis dieser Anfänge zu den Grundthesen der Reifezeit, die in den Vorlesungen über Ästhetik und in den betr. Kapiteln der Enzyklopädie dargelegt sind. Er fragt, ob man die Entstehung der Ästhetik rein aus der Geschichte der ästhetischen Ideen erklären könne. TAMINIAUX zeichnet ganz kurz die Versuche, in der Kunst Natur und Geist zu versöhnen, indem er von DESCARTES ZU LEIBNIZ, KANT, FICHTE und SCHELLING führt. Entspringt aus dieser

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ideellen Entwicklungslinie der Keim von Hegels Jugendwerken? Der Verfasser beantwortet diese Frage mit nein und behauptet zudem, daß zwischen Hegels jugendlichen Versuchen und dem Werk seiner Reifezeit kein Bruch liegt. In Stuttgart und Tübingen setzt Hegel die alten Dichter den modernen entgegen. Die Entgegensetzung geschieht zugunsten der ersteren. Kunst und Religion gehören in diesen Jahren für Hegel zusammen. Er legt an beide den gleichen Maßstab an, um ihre Echtheit zu prüfen. An einem Fragment aus der Berner Zeit zeigt der Verfasser, daß es gleichermaßen einseitig ist, am Denken Hegels ausschließlich die politische oder die religiöse Dimension zu betonen; bestimmende Kategorie ist vielmehr die Totalität des Geistes. In Hegels Frankfurter Niederschriften ist Griechenland nicht mehr die unbedingte Norm. Auch das Christentum zeigt Schönheit und antwortet „ä sa maniere" auf unser echtes Bedürfnis nach dem Absoluten. Mit der Entstehung der Dialektik kommt auch der Gedanke auf, daß die Kunst dem Absoluten nicht adäquat, nur dessen sinnliche Erscheinung ist. Seit Frankfurt wird eine Kunstdialektik möglich. Die beiden Texte dieser Zeit, die dem östlichen Geiste und dem Mittelalter gewidmet sind, leiten die Überlegung auf Zeitalter, die dem klassischen vorhergehen oder nachfolgen. Die zukünftige Gliederung der Ästhetik zeichnet sich hier schon ab. Den drei Kunstformen aus den Vorlesungen entsprechen hier Judentum, griechischer Polytheismus und Christentum. Der Wert der griechischen Kunst wird relativiert; im Christentum zeigt sich eine Schönheit, die sich der Aufhebung der Objektivität nähert. Der Gegensatz wird hier zwischen Judentum und Griechenland gesetzt. Die Hinweise auf die christliche Liebe, auf Maria Magdalena, auf das Letzte Abendmahl, auf den Unterschied zwischen jüdischem, heidnischem und christlichem Glauben, zeigen ein neues Interesse, das sich in der Ästhetik der Reifezeit befestigt und ausbreitet. Es gibt also eine tatsächliche Entstehung der Hegelschen Ästhetik, die mit der Reihenfolge KANT-FICHTE-SCHELLING nicht zusammenhängt. Nicht nur las Hegel sehr spät die Kritik der Urteilskraft; seine ersten ästhetischen Anschauungen sind überhaupt nicht von KANT abzuleiten, denn Hegel will von vornherein die Grenzen der Subjektivität überschreiten. Auch FICHTES und SCHEUINGS Gedanken bleiben ihm fremd, denn er sieht die Kunst in ihrem Verhältnis zur Geschichte, stellt die ästhetische Anschauung nicht über Religion und Philosophie. Zwischen Hegels Jugendarbeiten und dem Werk seines reifen Alters besteht nur der Unterschied, der einen Versuch von einer vollbrachten Arbeit trennt; aber es besteht zwischen ihnen kein Bruch. Betrachten wir die beiden vorstehend referierten Stellungen kritisch, so müssen wir LUKACS zustimmen, der in Hegel eine Zusammenkunft der ihm voraufgehenden ästhetischen Ideen und Strömungen sieht - wenn man auch hinzufügen sollte, daß es sich hier mehr um eine Aneignung und theoretische Überwindung als um eine enzyklopädische Zusammenfassung handelt. Die Kritiken, die TAMINIAUX, der sich hier auf den Standpunkt Hegels stellt, gegen KANT, FICHTE und SCHELLING richtet, sind zutreffend; aber neben dieser „pars destruens" darf die „pars construens" nicht vergessen werden. Nur so versteht man Hegels „Identität im Unterschied" und ihren geschichtlichdialektischen Sinn. Die Beziehung zwischen dem Hegelschen Gedanken und GOETHE, SCHILLER, HöLDERLIN, SOLGER, SCETELLING ist sehr eng und hilft die Ästhetik zu verstehen. Wenn TAMINIAUX bestreitet, daß diese Vorlesungen ein Ideengedicht seien, so lesen wir aus seiner Stellungnahme eine, wenn auch nicht ausdrücklich erklärte, Abweisung der Behauptung von Victor BASCH. Die Entstehung der Ästhetik ist sicher nicht ausschließlich, aber doch auch ideell zu fassen, und wir sehen hier nicht not-

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wendig einen Gegensatz zur tatsächlichen Entwicklung von Hegels Jugenddenken. Wir stimmen aber mit dem französischen Autor ganz überein, insofern er jede einseitig politische oder religiöse Auffassung Hegels zurüdcweist und demgegenüber die Totalität betont. Die Untersuchung von TAMINIAUX, die auf den Sammlungen von NOHL und HOFFMEISTER fußt, ist sehr interessant, solange sie sich mit den ästhetischen Jugendfragmenten befaßt, dagegen nicht in gleichem Maße, wenn sie zu anderen Bereichen übergeht. Wir folgen daher hier dem Verfasser nicht weiter. Als Beispiel einer religiösen Auffassung der Hegelschen Ästhetik sei der Aufsatz von Christa DULCKEIT-V. ARNIM angeführt. Das Bedürfnis einer neuen Metaphysik, die den Krisenzustand der gegenwärtigen Philosophie zu überwinden vermag, drängt die Verfasserin zu der Kunstphilosophie Hegels, die Gott, den Menschen und die Welt miteinander verbindet. Die Verf. vertraut einem neuen historischen Denken, das - im Gegensatz zum dialektischen Materialismus - die wahre Erbschaft des Idealismus übernehmen soll. Hegels Kunstphilosophie erscheint, geschichtlich betrachtet, als Antithese zur säkularisierten Kunstauffassung und formalistischen Ästhetik der Aufklärung. Nach Hegel unterscheiden sich die verschiedenen Epochen der Kunst voneinander nicht nur durch die inhaltliche Entfaltung der Idee, sondern gerade auch durch die größere oder geringere Vollkommenheit der Übereinstimmung von Idee und Dasein. Der Gang der Idee Gottes durch die Zeiten unterwirft sich auch die Entwidclung der Kunst. So ist die Kunst immer auch ein Abbild der Religion oder Irreligion ihrer Zeit; ihre höchste Vollendung kann sie nur als Ausdruck des religiösen Bewußtseins finden. Vollkommenheit oder Unvollkommenheit eines Kunstwerks sind immer auch Vollendung oder Mangel in der Entwidclung der Idee. Von diesem Standpunkt aus überblickt die Verf. die drei Kunstformen: symbolische, klassische und romantische Kunst. Was die einzelnen Künste betrifft, so bemerkt die Verf. sehr richtig, „daß jede der entwicklungsgesthichtlichen Stufen durch eine sie im besonderen Maße charakterisierende Kunstart geprägt wird" (298), obgleich jede Kunstart auch eine eigene geschichtliche Entwicklung hat, die durch alle Epochen hindurchführt. Die höchste Kunstform, die Dichtung, vermag zwar den Inhalt des neuzeitlichen, vollendeten Selbstbewußtseins noch zum Ausdruck zu bringen, aber sie sprengt auch schon die Begrenztheit des Kunstideals. Sie ist die Brücke zur Philosophie. „Es steht außer Zweifel, daß Hegel folgerichtig zu einer solchen Auflösung der Kunst im strengen begrifflichen Sinn gelangen mußte." (301) Ob „ein Wiedererstehen der ins Innerliche ,vergehenden' romantischen Kunst" möglich wäre, ob eine erneute Hinwendung von der Subjektivität der reinen Gläubigkeit zum Konkretobjektiven einer überkonfessionellen Geistreligion der Zukunft „auch der Kunst wieder neue und überraschende Möglichkeiten eröffnen würde, muß heute noch eine offene Frage bleiben". Die christliche Idee Gottes scheint, so meint die Verf., „eine solche Objektivation ihrer Wahrheit in einer neuen Gestalt des Lebens aus dem Geist der Dreieinigkeit zu fordern" (302). In der Subjektivität liegt für Hegel die „Quelle des weiteren Fortschreitens und des Verderbens". Hegel unterscheidet zwischen schlechter und substantieller Subjektivität. Die substantielle oder absolute Subjektivität wäre heute besser als Person zu bezeichnen. Die Wesenheit wird aufgenommen in die Person: indem Hegel so denkt, stellt er sich „in die Reihe christlicher Philosophen von AUGUSTIN über THOMAS, Meister EcacEHARD und den CUSANER" (303). In der Geschichte der Kunst zeigt Hegel „die Einheit der sichtbaren und der unsichtbaren Bilderwelt" (303). Wenn er eine Epoche

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einseitig durch ein bestimmtes Prinzip bestimmt sieht, kann man ihm vorwerfen, er konstruiere. In der Tat hat das geschichtliche Bewußtsein im Idealismus seine letzte Tiefe noch nicht erreicht. Der Historismus hat hier weiter geführt. Die Gefahr ist jetzt, im Relativismus zu versinken. „Die Verbindung des neuen historischen Denkens mit einer neuen Metaphysik ist uns aufgegeben." (304) Diese Schrift beweist eine sichere und tiefe Kenntnis von Hegels Ästhetik. Der Hinweis auf den Geist der Dreieinigkeit und auf JOACHIM VON FIORE, die Weise, in der Hegel unter die Kirchenväter gezählt wird, zeigen, daß die Verf. vorwiegend von religiösen Interessen bewegt ist. Wir müssen ihren Ausführungen gegenüber freilich Vorbehalte machen. Die Verf., die Hegel unter die Philosophen der christlichen Überlieferung rechnet, hätte auf die Frage Transzendenz-Immanenz eingehen müssen. Man kann Hegel auch nicht einfach im modernen und im christlichen Sinn einen Philosophen der Person nennen. Nicht, daß Hegel den unendlichen Wert der Person nicht entdeckt hätte! Er löst jedoch die Frage nach der Person als einzelner nicht. Doch lassen wir diese Fragen beiseite und wenden uns dem zu, worauf sich diese Deutung der Hegelschen Ästhetik eigentlich stützt; der Auffassung der Kunst als Ausdruck des religiösen Bewußtseins. Die Verf. sieht Hegels Ästhetik als Gegenbewegung gegen die Verweltlichung der Kunst an, die in der Aufklärung geschah. Gewiß hat sie recht; doch ist Hegels Kunstphilosophie nicht nur gegen die Vergangenheit gerichtet. Hegel kämpft auf zwei Fronten; nicht weniger als gegen die Aufklärung kämpft er gegen die Vergöttlichung der Kunst, wie die Romantiker sie verkündeten. Aufklärung und Romantik haben in Hegels Ästhetik tiefe Spuren hinterlassen, doch ist sie die Überwindung von beiden. Meine kritischen Bemerkungen konnte ich hier nicht immer so rechtfertigen, wie es eigentlich erforderlich gewesen wäre; für die Begründung meiner Stellungnahme und die ausgeführte Darlegung meiner eigenen Position darf ich daher am Schluß verweisen auf mein Buch L'Estetica di Hegel, Milano 1956. [Nadztrag.] Eines der wichtigsten Zeugnisse für die Aufmerksamkeit, die Hegels Ästhetik heute in Italien findet, ist der Vorlesungszyklus, den der vor kurzem verstorbene Prof. C. Antoni an der Universität Rom 1957/58 gehalten hat. Der allgemeine Teil dieser Vorlesungen ist nun veröffentlicht worden:

C. Antoni: L'Estetica di Hegel. In: Giornale critico cJella filosofia italiana. 14 (1960). Der Verfasser war vermöge seiner Kenntnis der deutschen Sprache und seiner früheren Hegelstudien bestens befähigt, den Text der Hegelschen Vorlesungen gedanklich zu durchdringen. So mußte seine Arbeit zu guten Ergebnissen führen, die jedoch teilweise dadurch beeinträchtigt werden, daß der Verfasser sich dem Einfluß CROCES nicht ganz entziehen konnte. C. ANTONI bezeichnet die Hegelsche Ästhetik als „mystische Ästhetik", als „Theologie der Kunst", als eine klassische historisch gegen die Romantik gerichtete Ästhetik des Inhalts, die als solche aber die Form nicht entwerte. Die Schönheit wird als vollkommene Einheit von Inhalt und Form bezeichnet, die Kunst als autonom. ANTONI hält Hegels Vorlesungen für keine bloße dialektische Vereinfachung, sondern für eine wahrhafte Entwicklung des Hegelschen Historismus. Andererseits glaubt er bei Hegel die These vom Sterben der Kunst belegt zu sehen, und zwar in dem System als

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ganzen, das in dieser Hinsicht - nach Meinung ANTONIS - der Hegelschen Ästhetik widerspricht. ANTONI behauptet sogar, daß für Hegel der Gedanke und das Sinnliche die einzigen selbständigen Wahrheiten seien und insofern die Kunst nicht einmal existiere. Der innere Widerspruch der Gedanken ANTONIS tritt deutlich hervor. Er sucht ihn zu erklären, indem er die Schuld daran - auf Grund eines angeblichen zwischen Mystizismus und Rationalismus, zwischen Geistigem und Sinnlichem schwankenden Dualismus - irgendwie Hegel selbst zuschreibt. Der Einfluß CROCES tritt nochmals deutlich hervor, wenn der Verf. die Hegelsche Philosophie der Kunst in eine Theorie der Anschauung (eines Allgemeinen) aufzulösen versucht, welche den Wert des objektiven Elementes zu Gunsten der Subjektivität immer mehr, bis zu seiner Vernichtung, vermindert. ANTONI besteht auf der Behauptung, daß der Inhalt der Kunst nicht die Idee und das Absolute ist, sondern das ethische und religiöse Leben. Es existiert für ihn, wie schon für CROCE, in Hegels Begriff des Ästhetischen nur die logische Idee. Giovanni Vecchi (Kairo)

NEUE ITALIENISCHE STUDIEN ÜBER DEN JUNGEN HEGEL Auch in Italien zeigen die Nachkriegsjahre ein erneutes Interesse für den jungen Hegel. Schon vor dem Kriege hatten G. DELEA VOLPEI und E. DE' NEGRI^ - fast gleichzeitig mit HAERING^ in Deutschland - die ersten Schriften Hegels zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung gemacht. Aber vor allem seit 1940 scheinen dort wie in anderen Ländern - die Ursprünge und die Entwicklung dieser Philosophie zu dem großen System des modernen ARISTOTELES ein beliebtes Thema zu sein'*. Die folgende Besprechung betrifft von den neuesten Studien nur die von Carmelo LACORTE, Arturo MASSOLO und Antonio NEGRI.

* G. Deila Volpe: Hegel romantico e mistico (1793-1800). Firenze 1929. 2 E. De' Negri: La nascita della dialettica hegeliana. Firenze 1930. ® Th. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk, Bd 1. Leipzig 1929. * In chronologischer Folge; S. Vanni Rovighi: La concezione hegeliana della storia. Milano 1942. E. De' Negri: Interpretazione di Hegel. Firenze 1943. C. Luporini: Un frammento politico giovanile di G. F. Hegel. In: Societä. 1 (1945), 61-114; audi in: Filosofi vecchi e nuovi. Firenze 1947. 49 ff. E. De' Negri: I principi di Hegel. Introduzione, traduzione e commento. Firenze 1949. S. Vanni Rovighi: Hegel critico di Kant. In: Rivista di filosofia neoscolastica. 42 (1950), 289-312. C. Lacorte: Studi sugli scritti giovanili di Hegel. In: Rassegna di filosofia. 5 (1956), 5-25, 117-135, 227-251. Antonio Negri: Stato e diritto nel giovane Hegel. Studio sulla genesi illuministica della filosofia giuridica e politica di Hegel. Padova: C. E. D. A. M. 1958. 287 S. (Pubblicazioni della Facoltä di giurisprudenza dell'Universitä di Padova. 25.) Carmelo Lacorte: II primo Hegel. Firenze: Sansoni [1959]. 362 S. (Pubblicazioni dell'Istituto di Filosofia dell'Universitä di Roma. 7.) Arturo Massolo: Prime ricerche di Hegel. Urbino 1959. 107 S. (Pubblicazioni dell'Universitä di Urbino. Serie di Lettere e Filosofia. Vol. 10.)

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Carmelo LACORTE, dem wir die durchaus beste Übersicht über die Literatur zum jungen Hegel verdanken®, fängt sein Buch II primo Hegel mit einer Zusammenfassung fast aller bisher bestehenden Interpretationen des Entwicklungsganges Hegels an, worin er jedesmal Methode und Tendenz des betreffenden Interpreten klar aufweist und schon einigermaßen kritisiert. Nach LACORTE haben fast alle Kommentatoren aus der Vielheit biographischer Fakten und philosophischer Einflüsse, die auf Hegel eingewirkt haben, nur einen ihrer Meinung nach bedeutenden Teil ausgewählt: dadurch sind ihre Interpretationen fast alle einseitig. Dies gilt ganz besonders für die Zeit der frühesten Bildung Hegels: sein Gymnasialstudium in Stuttgart und die Ausbildung an der Universität Tübingen (1777-93). Deshalb versucht LACORTE ohne die Wichtigkeit dieser Jahre zu übertreiben - mit endloser Geduld „das ganze Material von Dokumenten und Texten, insofern sie nicht verloren sind, zu untersuchen, und die Theorien und Ideen, welche lebten in dem Milieu der ersten philosophischen Erfahrung Hegels, in ihrer exakten Physiognomie darzustellen" (5). In der Tat hat LACORTE damit, seiner Hoffnung gemäß, eine sehr nützliche Arbeit geleistet, weil „eine ausführliche Rekonstruktion der kulturellen Welt, worin die ersten, aber am wenigsten im Einzelnen untersuchten Bildungsstufen Hegels sich abspielen", notwendig ist, um seine Originalität den kulturellen Voraussetzungen gegenüber aufzuweisen (6). LACORTE hat sich diese Arbeit nicht leicht gemacht: fast alles, was von Hegelspezialisten als Einfluß oder Abhängigkeit Hegels von seiner Umwelt angesehen worden ist, wird neu untersucht, auch wenn das Resultat dieser oft viel Mühe und Geduld erfordernden Arbeit durchaus negativ ausfällt. Die Sach- und Literaturkenntnis des Verfassers ist erstaunlich, und zweifellos haben wir in diesem Buch die beste und vollständigste Studie über die Hintergründe der Stuttgarter und Tübinger Periode Hegels. Die Fragmente von Hegel selbst sind fast alle analysiert, und von der widitigern Literatur vermissen wir nur RITTER«, ROQUES^, Vanni ROVIGHI* und einige Studien in englischer Sprache, wie KAUFMANN», KNOX'® und KRONER*I. Leider kommt die Untersuchung nicht weiter als 1793, aber wer hätte den Mut, für die Schriften der Berner, Frankfurter und Jenaer Zeit, in denen eine viel größere Beeinflussung Hegels in Frage kommt, dasselbe zu tun?

V. Fazio Allmayer: Ricerdie hegeliane. Con prefazione di G. Saitta. Firenze 1959. N. Merker: Filosofia e realtä nel giovane Hegel: dal „Frammento sulVamore" del 1797 alla „Differenza" del 1801. In: Societä. 15 (1959), 462-493. R. Carotti: Interpreti italiani di Hegel del dopoguerra. In: Societä 15 (1959), 111-157. S. Vanni Rovighi: Osservazioni Sulla cronologia dei primi scritti di Hegel. In: II Pensiero. 5 (1960), 157-175. F. Chiereghin: VInfluenza dello spinozismo nella formazione della filosofia hegeliana. Padova 1961. ® Vgl. den in Anm. 4 zitierten Artikel in Rassegna di filosofia, 1956. • 7. Ritter: Hegel und die französische Revolution. Köln 1957. 7 P. H. Roques: Hegel, sa vie et ses Oeuvres. Paris 1912. « S. Anm. 4. » W. Kaufmann: Hegel's early antitheological phase. In: The Philosophical Review. 63 (1954), 3-18. *® T. M. Knox: Hegel's attitude to Kant's Ethics. In: Kantstudien. 49 (1957/58), 70-81. 11 R. Kroner: Introduction. In: G. W. F. Hegel: Early theological Writings. Translated by T. M. Knox. Chicago-Illinois 1948.

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Zu LACORTES Behandlung der Stuttgarter Zeit möchten wir folgendes bemerken. Mit großer Genauigkeit und Vorsicht gibt er uns alle bekannten biographischen Tatsadien, von denen man viele Details nur sehr selten oder niemals in den bestehenden Lebensbeschreibungen Hegels findet, und eine Wiedergabe fast aller erhalten gebliebenen Texte: des Tagebuches, der fünf Aufsätze und der vielen Exzerpte. Zumal an den Exzerpten zeigt LACORTE auf, wie sehr Hegel sich auf dem Gymnasium schon mit einem großen Teil der damaligen Kultur vertraut gemacht hat: mittels SCHRöKH, MEINERS, GARVE, FEDER U. a. sind ihm Ideen von KANT, SPINOZA, ROUSSEAU, MONTESQUIEU, GIBBON, VOLTAIRE und FERGUSON schon bekannt geworden (110). - Dieser erste Teil wird durch eine thematische Gesamtdarstellung der wichtigeren Ideen des Gymnasiasten abgeschlossen. Vielleicht hat LACORTE darin etwas zusehr den Inhalt einiger Exzerpte (meistens buchstäblicher Kopien) mit Hegels eigenen Auffassungen identifiziert. In Bezug auf die Tübinger Periode möchten wir einige kritische Fragen stellen. Erstens ist es grundsätzlich die Frage, ob eine restlose Ausführung von LACORTES Anliegen überhaupt möglich ist. Wo sind die Grenzen derartiger Erklärungen „per dependentiam" ? Wo textuelle Kontakte nicht nachweisbar sind (und für die Tübinger Schriften ist das ja in den meisten Fällen unmöglich), ist es manchmal sehr schwierig, eine wirkliche Abhängigkeit der Ideen zu beweisen. Man sollte ja nicht nur zeigen, daß ein anderer Philosoph, etwa SCHILLER, schon eher dieselben Gedanken ausgesprochen hat, sondern auch, daß nur er sie hatte, oder jedenfalls, daß Hegel sie nicht von einem anderen Autoren empfangen oder sie selbst aus dem gleichen geistigen Klima der Zeit geschöpft hat. - Und wie kann man, zweitens, wissen, welche Vorgänger Hegels man untersuchen soll? LACORTE hat sich, teils weil diese Lektüre von ROSENKRANZ bezeugt ist, teils weil die Kommentatoren sie behaupten, teils weil die Fragmente selbst sie nahelegen, eingehend mit Schriften von STORR, SEMLER, einigen Pietisten, LESSING, KANT, HöLDERLIN, SCTIELLING, REINHOLD, FICHTE, SCHILLER, HERDER, ROUSSEAU, JACOBI, MENDELSSOHN beschäftigt, und er hat sich nicht mit oberflächlichen Übereinstimmungen zufrieden gegeben. Aber warum hat er dann SHAFTESBURY, LEIBNIZ, LOCKE, HUME, die Hegel nach dem Zeugnis ROSENKRANZ' las, PLATON, den er selbst zitiert'^, GOETHE, in dem KAUFMANN eine wichtige Quelle Hegels sieht, oder auch die theologischen Bücher, wie die Dogmatik von SARTORIUS, die Hegel im Stift hat studieren müssen, und weiter EPIKTET, LONGINUS usf. außer acht gelassen? Immerhin muß man zugeben, daß LACORTE seine Auswahl aus dem vielen möglichen Material und seine Vergleichungen zwischen den Quellen und den Tübinger Fragmenten mit Vorsicht und Sachverständnis durchgeführt hat. Nur möchte man wünschen, daß die Hegeltexte selbst, die erst am Ende des Buches (295-315) kurz besprochen werden, an den Stellen, wo es darum ging, die „Einflüsse" zu beweisen, etwas mehr herangezogen wären. Jetzt spricht LACORTE meistens aus seiner eigenen Kenntnis und seinem Verständnis der Schriften Hegels heraus, ohne sie ausdrücklich zu zitieren, was die Kontrolle natürlich sehr erschwert. Unter den Einzeldarstellungen, die das Buch enthält, ist die über den von DILTHEY und anderen behaupteten „Kantianismus" des Tübinger Hegel eine der vollständigsten. Nicht weniger als 55 Seiten (180-235) schreibt LACORTE über KANT, FICHTE und REINHOLD, insoweit Hegel sie gekannt haben kann. Zumal KANTS Schriften werden untersucht und verglichen mit den Ideen Hegels. Obwohl ROSENKRANZ behauptet, daß Vgl. Hegels Theologische Jugendschriften. Hrsg. v. H. Nohl (abgekürzt: Nohl), 27.

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Hegel im Stift KANT studiert hat (aber ROSENKRANZ hat sich mehrmals in der Chronologie geirrt), weist LACORTE nach, daß „ein systematisches Studium von KANT in diesen Jahren absolut zu verneinen ist" (135). Die Ergebnisse seiner Untersuchung sind in sehr guten und nuancierten Konklusionen zusammengefaßt (191, 193, 200, 204, vor allem 225 f): die KANTischen Ausdrücke und Ideen erhalten bei Hegel eine eigene, nicht-kritizistische Bedeutung, und Hegel war jedenfalls in Tübingen kein „Kantianer". Vielleicht betont LACORTE noch zu wenig, daß diese Tatsache u. a. in Hegels gebrechlicher Kenntnis der Philosophie KANTS (225) und der theoretischen Spekulationen überhaupt begründet ist. Wir bezweifeln z. B., ob Hegel die historischen Schriften KANTS (203) und REINHOLDS Briefe über die KANTische Philosophie (210) ausreichend gekannt hat.i® Weniger überzeugend ist LACORTES Nachweis des Einflusses, den SCHILLER in Tübingen auf Hegel ausgeübt hat (253-263). Nur ein einziger, nicht ganz sicherer, literarischer Kontakt („was es heißen könne sich Gott zu nähern") in Hegels Brief vom 30.8.1795 wäre ein Anklang an SCHILLERS Philosophische Briefe: „Nähert ihr euch dem Gott, den ihr mainet", einige ähnliche Ideen und eine Anzahl gefühlsmäßiger Wörter sollen die Abhängigkeit beweisen. Aber waren diese Wörter und Ideen zu dieser Zeit nicht mehr oder weniger allgemein geläufig, und finden wir sie (mindestens zum Teil) nicht auch bei ROUSSEAU, HöLDERLIN, HERDER und JACOBI? Die Schwäche der von LACORTE angewandten Methode ist hier spürbar. Diese kritischen Bemerkungen können aber keineswegs unserer Anerkennung für diese sehr gewissenhafte und äußerst genaue Arbeit Abbruch tun. Arturo MASSOLO hat in einer kleinen Arbeit über die Prime Ricerdie di Hegel nicht die geistige Umwelt Hegels, sondern gerade seine Schriften zum Thema einer gut lesbaren Darstellung gemacht. Durch zusammenfassende Bemerkungen und einen verbindenden Kommentar führt er die italienischen Leser in das Chaos der Hegelfragmente von 1793 bis 1800 ein. MASSOLO gibt einige interessante Teilinterpretationen und geschickte Zusammenfassungen, aber man vermißt eine Gesamtdarstellung der Entwicklung Hegels und deren Bedeutung. Der fragmentarische Charakter und die öfters fehlenden Beweise machen eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Verfasser fast unmöglich. Wir beschränken uns deshalb auf einige ebenso fragmentarische Bemerkungen. Die wenigen Seiten über das „Tübinger Fragment", mit dem die Arbeit anfängt, geben eine gute Charakteristik des „Ideals des Jugendalters", das, nach Hegels Selbstzeugnis in einem Brief vom 2.11.1800, der Anfang seiner philosophischen Entwicklung war: eine Sehnsucht, den totalen Menschen im Schoße eines freien und schönen Volkes wiederherzustellen, die ihre Inspiration der griechischen Welt und der französischen Revolution entnommen hat (11-13). Sehr richtig weist MASSOLO auf die zwei konstitutiven Elemente des Volksgeistes hin: die Religion und die politische Verfassung. Er übertreibt aber Hegels Polemik gegen die aufklärerische, „allgemeine, identische Vernunft als zeitlosen Ausdruck der wahrhaften, menschlichen Natur" im Namen einer „historischen Anschauung der menschlichen Welt", die er schon im Stift gehabt haben soll (13—14).

Näheres zu diesem Thema in A. Peperzak: Le jeune Hegel et la du monde. La Haye 1960.

Vision morale

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Die Darstellung des Berner Briefwechsels zwischen Hegel und SCHELLING hebt in schöner, etwas dramatisierter Weise die Hintergründe und wesentlichen Fragen, die Hegel bewegten, hervor. Zu wenig wird aber auch hier deutlich, was Hegel selbst in einem Brief vom 30.8.1795 an SCHELLING schreibt: „Ich bin hier nur ein Lehrling." Wenn Hegel seinem Freund eingesteht, daß er mit den neuesten spekulativen Versuchen nicht sehr bekannt ist, weil er sich mehr für die praktischen Probleme interessiert, und wenn er SCHELLING als ihm hierin überlegen anerkennt, dann ist dies die einfache Beschreibung der wirklichen Lage und kein „Sarkasmus" (25). Wiederholt spricht MASSOLO von einem Antikantianismus Hegels in der Berner Zeit in Verbindung mit seiner angeblichen Polemik gegen die Metahistorizität der Vernunft. MASSOLO meint, daß Hegel in Bern die erste und die dritte Kritik studiert hat, aber vermag es nicht zu beweisen. Die von HOFFMEISTER herausgegebenen „Materialien"!^, die er heranzieht, sind, wie HOFFMEISTER und LACORTE gut gesehen und bewiesen haben, nichts anderes als Notizen aus der Tübinger Zeit, wofür nicht KANT sondern ABEL und andere das Material geliefert haben. Die Historizität der Vernunft, die MASSOLO schon in den Berner Schriften liest, wird nirgends bewiesen. Vor dem Jahre 1800 scheint nur ein einziger Text sie auszusprechen: „Wir können aber bald gewahr werden, daß wir unser Mitleiden sparen dürfen, indem wir bei den Griechen nicht diejenigen Bedürfnisse antreffen, die unsere jetzige praktische Vernunft hat, - der man überhaupt wirklich sehr viel aufzubürden weiß" (NOHL 219 f). MASSOLO versteht diesen Satz in derselben Weise wie HYPPOLITE in seiner Introduction ä la philosophie de l’histoire de Hegel (27), nämlich als die Formulierung einer Geschichte der praktischen Vernunft selbst (51). In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine sarkastische Anspielung auf die pseudo-kantische Theologie von STORR C. S., die der ewig gleichen Vernunft praktische Bedürfnisse andichtet, die sie nicht hat *5. MASSOLOS Darstellung der Frankfurter Fragmente enthält interessante Gesichtspunkte; die meisten Fragmente sind aber zu verworren, um MASSOLOS Interpretationen hier im einzelnen diskutieren zu können. Nur fällt auf, daß er sich vor allem mit den einzelnen Bruchstücken einläßt, und den übergroßen Teil von „Geist des Christentums und sein Schicksal" auf bloß neun Seiten zusammenfaßt. Abschließend faßt MASSOLO die Entwicklung Hegels bis 1800 mit Recht in dem bekannten Satz, den dieser am Ende der Frankfurter Periode an SCHELLING schreibt, zusammen: „In meiner wissenschaftlichen Bildung, die von untergeordnetem [MASSOLO übersetzt: condizionati anstatt: subordinati oder inferiori] Bedürfnissen der Menschen anfing, mußte ich zur Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln." Denselben Text hat Antonio NEGRI als Leitspruch seiner Studie über Stato e diritto nel giovane Hegel vorangestellt. In seiner Einleitung erklärt der Verfasser den Untertitel seines Buches: „Untersuchung über die Entstehung der Rechts- und Staatsphilosophie Hegels aus [der Problematik] der Aufklärung". Eine gute Übersicht und vorläufige Kritik der verschiedenen Hegelinterpretationen wird mit der Formulierung

!< Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 195-217. 15 Vgl. Peperzak: Le jeune Hegel. 113. Die gleiche Interpretation wie Hyppolite gibt auch A. Negri: Stato e diritto . . . 148, 150.

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von NEGRIS „interpretativer Hypothese" abgeschlossen; Die juridische und politische Philosophie hat die zentrale Stelle im Denken Hegels; sie zeichnet sich durch zwei Charakteristika aus: 1. eine systematische Entfaltung der dialektischen Methode, und 2. eine große Aufmerksamkeit auf die historische Objektivität. Ihr Ausgangspunkt liegt in dem Problem der Aufklärung: Wie soll man die Antinomie von Individualität und Rationalität „aufheben" und „vermitteln"? Die dialektische Lösung dieser Antinomie, die sich in Hegels Jugendschriften entwickelt, ist „der Spiegel der problematischen Kontinuität von der Aufklärung zum Romantizismus" (10-11). Für den Beweis dieser Hypothese stellt NEGRI folgende methodische Prinzipien auf: Er will jedes ideologische Apriori vermeiden, „eine streng historische Interpretation" geben und mehr als je die juridische und politische Thematik betonen (15). Leider hat der Verfasser uns nicht davon überzeugen köimen, daß die von ihm hervorgehobene Antinomie das Hauptproblem Hegels war, und daß gerade hier seine Verbindung mit der Aufklärung liegt. Zwar gibt NEGRI im ersten Kapitel seines Buches einen schönen Überblick über die verschiedenen Strömungen der Rechts- und Staatsphilosophie der damaligen Zeit, worin er deutlich macht, daß fast alle Denker dieser Epoche sich um eine Lösung für die von der Aufklärung nicht vereinigten Gegensatzpaare „Rationalität und Individualität, Recht und Geschichte, Moralität und Sitte, Philosophie und Geschichte" (56) bemüht haben. Auch wollen wir nicht leugnen, daß Hegel in verschiedenen Meditationen, zumal in Frankfurt, implizit oder auch explizit Individualität und allgemeine Vernunft zu versöhnen sucht, aber wir verneinen, daß dieses Problem das explizite Leitmotiv seiner Jugendschriften war. Vor allem die Individualität ist nur sehr selten Hauptthema seiner Reflexion, sondern die grundsätzliche Entgegensetzung dieses sich anbahnenden Denkens ist vielmehr: das schöne und freie Volk gegenüber dem unfreien, geknechteten Volk, oder - wie ASVELD es ausgezeichnet formuliert hat, und wie auch NEGRI selbst es S. 258 seines Buches sagt -: Freiheit und Entfremdung. Und das nicht nur auf juridischem und politischem Plan, sondern auch als eine, allerdings im besonderen Sinne zu verstehende, religiöse Wirklichkeit!®. Im Einzelnen möchten wir noch folgendes gegen NEGRI anführen. Die Tübinger Periode wird von NEGRI unter das Motto „Freiheit und Liebe" gestellt, das allerdings nicht als solches bei Hegel vorkommt. In der Liebe habe Hegel einen „nicht irrationalen, sondern überindividuellen" Begriff entdeckt, der „die menschliche und soziale Totalität umfaßt" und der „ein neues Verständnis des Menschen ermöglicht, das seine Integration in der Gemeinschaft als wesentlich betrachtet" (101). Den Beweis dieser Behauptung meint NEGRI in den „Materialien" {Dokumente 195-217) zu finden, die, wie wir sahen, keine genuinen Gedanken Hegels enthalten, und in Hegels Abschrift eines Briefes von ROUSSEAU an D'ALEMBERT {Dokumente 174 f). - Warum bringt NEGRI hier kein einziges Zitat aus den Schriften Hegels? In einem Fragment (NOHL 18) handelt Hegel über die Liebe als „Vermittlung" (wenn wir dieses anachronistische Wort hier schon gebrauchen dürfen) von Vernunft und Sinnlichkeit (nicht Individualität), und beiläufig bemerkt er, daß „die Liebe in andern Menschen sich selbst findet, oder vielmehr sich selbst vergessend - sich aus seiner Existenz heraussetzt, gleichsam in andern lebt, empfindet und tätig ist", aber das

!® Vgl. P. Asveld: La pensee religieuse du jeune Hegel. Liberte et Alienation. Louvain 1953.

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genügt nicht, um diese Parenthese zum Hauptthema der Tübinger Zeit zu erklären. Im allgemeinen zieht auch NEGRI leider sehr selten die Hegeltexte selbst heran. Es ist erstaunlich, wieviel Literatur der Verfasser kennt und gelesen hat (seine Literaturhinweise in den Anmerkungen sind sehr reich), aber manchmal scheint er sich mehr auf die Kommentare als auf die Texte Hegels zu stützen. NEGRIS Ausführung über die Idee der Entfremdung, wie sie in den Berner Fragmenten in Erscheinung tritt, weist den gleichen Mangel der Methode auf: Auch hier wird der Begriff der Entfremdung von vornherein definiert im Lichte der Antinomie von Rationalität (oder, wie NEGRI auch sagt, Totalität) und Individualität: „Alles, was den Menschen aus der Totalität seiner historischen Erfahrung, aus der Einheit von Vernunft und Gefühl [warum nicht: Sinnlichkeit?], von Theorie und Praxis, loslöst, ist Entfremdung; das Gleiche gilt auch für jede Theorie des Staates, die die völlige Integration von Individualität und Gemeinschaft ausschließt oder in abstracto eine Verteilung der Rollen und der Rechte unter den Bürgern bestimmt, oder zwischen bürgerlichen und religiösen Pflichten unterscheidet" u.s.w. (127 f). Der Sachverständige wird sich fragen, wo Hegel diesen Begriff der Entfremdung in seinen Jugendschriften verwendet. Man sollte doch vielmehr von den eigenen Meditationen Hegels über den Verlust der politischen und religiösen Freiheit ausgehen, die vor allem in NOHL 70 f und 219 ff zu finden sind. Auf diese Weise würde deutlich werden, daß Freiheit und Unfreiheit sich nicht zuerst auf die Problematik von Allgemeinheit und Individualität, sondern auf die Probleme von Herrschaft und Knechtschaft, Positivität und Freiheit, und - seit Frankfurt - von Subjekt und Objekt, Transzendenz und Immanenz, Natur und Freiheit beziehen. In seiner Analyse von NOHL 219-229 konstruiert NEGRI - wahrscheinlich unter dem Einfluß von LUKACSI’, den er mehrmals lobend erwähnt - einen Gegensatz zwischen Arbeit als „Inhalt des öffentlichen Lebens" einerseits, und Eigentum und Reichtum als „Inhalt des privaten Lebens" andererseits (153). Hegel selbst sagt aber nur, daß im Privatleben Erwerb und Unterhalt die höchsten Zwecke sind, indem „jeder für sich arbeitet"; die Arbeit ist noch gar nicht eine „fundamentale Kategorie"; die „große Tätigkeit", wodurch das Individuum am Ganzen des Staates teilnimmt, ist nur die militärische und politische „Tugend" im Sinne MONTESQUIEUS. Daß NEGRI sich, im Gegensatz zu seinen methodologischen Absichten, nicht ganz von ideologischen Voraussetzungen freigehalten hat, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß er wiederholt über Hegels angeblichen „Jakobinischen Gedanken" und „Erfahrung" (163, 184, 208, 211, 219 u. ö.), seine „Thermidorianische Ideologie" (177) und „kräftige Jakobinische Kultur" (244) spricht. Noch am Ende der Frankfurter Zeit sei Hegel ein Jakobiner, und sogar das von LASSON herausgegebene Fragment über „Freiheit und Schicksal"i8 sei ein Zeugnis seines „Jakobinischen Glaubens" (263-265). Und dennoch schreibt Hegel dort; „Als Besondres gegen Besondres ist die Natur in ihrem wirklichen Leben, der einzige Angriff oder Widerlegung des schlechtem Lebens, und eine solche kann nicht Gegenstand einer absichtlichen Tätigkeit sein" (LASSON 140). Viel besser hat LACORTE in seinem Buch (175-180), sowohl gegen HAYM** als gegen LUKACS, die relative Bedeutung der französischen Revolution für Hegel wie für seine Zeitgenossen gezeigt. Vgl. G. Lukäcs; Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie. Zürich u. Wien 1948. 18 Hegel; Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. Hrsg. v. G. Lasson. 2. Aufl. Leipzig 1923. 138-141. 18 Vgl. R. Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857.

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Sehr deutlich zeigt sich NEGRIS Apriori in seiner Auslegung von Eleusis. Wie er in diesem Gedicht Jakobinische Ideale und politische Interessen finden kann (184-186), ist uns schleierhaft. Dasselbe gilt für die Interpretation des „Systemfragments" von 1800 (253 ff). Auch hier versteht NEGRI das „Leben", das in diesem Text ja offensichtlich eine vitalistische und religiöse Bedeutung hat, in einem ökonomischen Sinne, und liest dann die Entfremdung des ökonomischen Mechanismus und die Möglichkeit einer Wiedereroberung des Homo oeconomicus hinein (253-257). Diese und andere tendenziöse, unzutreffende Interpretationen werden verständlich, wenn man entdeckt, daß NEGRI ZU beweisen beabsichtigt, daß Hegels Philosophie vor 1800, trotz einiger „irrationalen", „metaphysischen", „mystischen", „mythologischen", „utopistischen", „religiösen", „theologischen", „reaktionären" Elemente, - doch in der Hauptsache „positiv", „historisch", „soziologisch", „phänomenologisch" und „humanistisch" ist (250 ff). Viele Interpretationen wären noch zu widerlegen, z. B. die der Liebe in den Frankfurter Texten, die nach NEGRI (im Anschluß an HAERING) kein Gefühl, sondern ein Strukturaltypus der Geistigkeit ist (226), obwohl er selbst auf der nächsten Seite ein Fragment zitiert, das die Liebe folgendermaßen beschreibt: „Das Lebendige fühlt das Lebendige", und: „Weil die Liebe ein Gefühl des Lebendigen ist... ". - Ferner auch die Auslegung des Begriffs des Schicksals, das NEGRI nicht, wie Hegel selbst, als „feindliches Leben" (Verbrechen oder Schuld der Unschuld), sondern als „die Objektivation der Tätigkeit" überhaupt (242-243) zu verstehen scheint. Nur einen Topos der Hegelinterpretation, der auch hier wieder sehr häufig verwendet wird, möchten wir noch streifen: die sogenannte „gute PositivItät", einen Begriff, der nirgends in den Jugendschriften Hegels vorkommt, („Positivität" deutet immer auf etwas Schlechtes oder Minderwertiges, weil die Freiheit Vernichtendes, hin), den aber HAERING - vielleicht aus theologischen Motiven - und nach ihm HYPPOLITE und NIEL in die Gedanken Hegels eingeführt haben. Mit ASVELD möchten wir Vorschlägen, diesen Begriff nicht mehr zu verwenden, weil er nur Verwirrung verursachen kann und sehr leicht zu falschen Interpretationen führt^o. Im Allgemeinen scheint es uns sehr viel besser, das Denken Hegels im engsten Anschluß an den eigenen Modus seiner Terminologie und seines Denkens darzustellen. Adrian Peperzak O. F. M. (Venray, Niederlande)

Vito Fazio Allmayer: Ricerche hegeliane. Con prefazione cii Giuseppe Saitta. Firenze: Sansoni 1959. XVI, 323 S. In diesem ein Jahr nach dem Tode des Verfassers erschienenen Buch sind einige Artikel, Vorlesungen und Aufsätze gesammelt, die schon in der Zeit zwischen 1912 und 1953 veröffentlicht wurden. FAZIO hat den Entwurf des Bandes selbst noch sehen und eine kurze Einleitung schreiben köimen, in der er betont, daß das Buch nicht etwa als eine „Hegelmonographie" zu betrachten ist, sondern als „die Vertiefung einiger

2® Vgl. Haering. Bd 1. 362; Hyppolite: Introduction ä la philosophie de l'histoire de Hegel. Paris 1948. 33 ff; H. Niel: De la mediation dans la philosophie de Hegel. Paris 1945. 36, 42; Asveld: La pensee religieuse . . . 183 f; Peperzak: Le jeune Hegel. 79, 200-206.

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Punkte, die wesentlich sind für die fruchtbare Diskussion mit dem großen Philosophen, dessen Lehre allem wahren zeitgenössischen Denken zugrundeliegt" (4).' Diese Worte schon charakterisieren die Arbeit als eine solche, die sich auf der philosophisdien und systematischen Ebene, nicht auf der historischen und philologischen, entwickelt. Außerdem wird der Sinn des im Buchtitel auftretenden Terminus „hegelianisch" deutlich. Er meint nicht nur den Bezug auf das Denken Hegels, sondern zugleich auf die hermeneutische Arbeit und die theoretische Entwicklung des Hegelianismus und des italienischen Neu-Idealismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Gegenstand der Diskussion sind also außer Hegel seine italienischen Interpreten und Reformer, von Bertrando SPAVENTA bis auf Benedetto CROCE und Giovanni GENTIEE. Der Verfasser selbst war Schüler von GENTILE. Gemäß den Regeln, wie sie für die idealistische Geschichtsschreibung typisch sind, ist das Interesse der Untersuchung darauf gerichtet, sowohl in der Philosophie Hegels wie in den Lehren seiner italienischen Nachfolger die gültig gebliebenen und die „aufgehobenen" Auffassungen, das „Lebendige" und das „Tote" deutlich zu machen, d. h. die Kontinuität einer - nach FAZIOS Auffassung - zu bejahenden und rekonstruierbaren idealistischen Philosophie von einem einheitlichen Gesichtspunkt (nämlich der von FAZIO vertretenen Philosophie GENTILES) aus darzustellen - jenseits der Kontingenz der einzelnen Positionen verschiedener Denker. Dieses theoretische (und zugleich persönliche) Interesse des Autors, die Hegelsche Lehre neu zu durchdenken und neu zu erarbeiten, bestimmt vor allem die Wahl des Materials; SPAVENTA wird nur kurz erwähnt, insofern die Koinzidenz seiner Hegelkritik mit der Grundlage der Gentilischen Philosophie illustriert werden kann. (Freilich wird dabei ausdrücklich angemerkt, daß „man deshalb nicht annehmen dürfe, die Reform der Hegelschen Dialektik finde sich schon bei SPAVENTA"; vgl. 39.) GENTILES zentrale Idee seiner Reform der Hegelschen Dialektik wird dargestellt und voll gebilligt; von Hegel werden einige Kernlehren diskutiert, die der Enzyklopädie und der Philosophie des Rechts entnommen sind und deren Bedeutung in Bezug auf die aktualistische Reform der Dialektik betrachtet wird. Eine Reform, „die - wie wir sagen können - von Hegel selbst gefordert ist" (32)! FAZIO beabsichtigt deshalb, ihre Notwendigkeit als sozusagen ante litteram in Hegels Philosophie gegenwärtig aufzuzeigen. Gegenstand des Interesses ist also vor allem das Thema der Gentilischen Reform und besonders das, was FAZIO als ihren genuinen und dauernden Sinn ansieht. In der Tat ist auch das Denken GENTILES seinerseits verschieden interpretiert worden; um Ordnung in die Interpretationen und Polemiken zu bringen, hat man auch

* Der erste Aufsatz ist - unter dem Titel; La filosofia contemporanea in Italia. II compito della filosofia italiana - im Dezember 1912 in La Voce erschienen. Der zweite Beitrag war zuerst veröffentlicht worden in; Giornale critico della filosofia italiana, 1947, Fase. l/2. Die dann folgende Vorlesungsreihe über L'introduzione all'Enciclopedia delle scienze filosofidie aus dem akademischen Jahr 1952/53 erschien zuerst 1959 (Pisa, Libreria Goliardica). Der letzte Teil des Bandes, erstmals veröffentlicht 1920 (Messina, Principato), war von Fazio schon 1914 begonnen worden (vgl. Giornale critico della filosofia Italiana, 1958, S. 439). 2 Vgl. dazu vor allem die ausgezeichnete Arbeit von E. Garin: Cronache di filosofia italiana. Bari; Laterza 1955; über Fazio siehe bes. 327 ff und 462 ff. - Fase. 4/1958 des Giornale critico della filosofia italiana enthält mehrere Fazio gewidmete Aufsätze und eine Bibliographie seiner Werke.

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innerhalb des Aktualismus eine „Rechte" und eine „Linke" unterscheiden wollen. Wenn man bedenkt, daß FAZIO von Anfang an bis zu seinen letzten Schriften ein Gentilianer gewesen ist, dann sind die Voraussetzungen dieses Buches offensichtlich zu suchen in den 40 Jahren italienischen Geisteslebens, vom Anfang des Jahrhunderts bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges, die charakterisiert werden vor allem durch die Verbreitung der neu-idealistischen Lehren (nicht nur in Kreisen von Philosophen) durch die Diskussion zwischen GENTILE und CROCE und den Schülern und Kritikern beider Denker. Die meisten haben dann auf verschiedene Weise Abstand gewonnen von diesen philosophischen Lehren, haben sie aufgegeben, „überwunden" und sind in andere philosophische Lager übergegangen. Es handelt sich hier um implizite Voraussetzungen, die jedoch für das Verständnis des Buches wesentlich sind. Übrigens wird man ebensowenig eine Rekonstruktion jener geistigen Welt* erwarten dürfen wie den Versuch, die dargestellten Lehren Hegels auf andere Telle des Hegelschen Systems oder auf die Kultur der Hegelzeit zu beziehen. Wie Giuseppe SAITTA (der den gleichen philosophischen Glauben hat wie FAZIO) in dem bewegten Vorwort zum Buche des Freundes sagt, versteht FAZIO die Geschichte der Philosophie nicht als „Sammlung historischen Materials", die geradezu „die Geschichte negiert": er lehnt „jene zur Gelehrsamkeit degradierte Philosophie" ab, „die die forma mentis so vieler gegenwärtiger Philosophiehistoriker ist" (XI ff). FAZIO hat diese Haltung von Hegel übernommen: „Man muß unterscheiden zwischen den Philosophen, die zur Entwicklung des Denkens einen Beitrag geleistet haben, und den anderen, die diesen Prozeß nicht wiederbelebt haben. Man darf sich nicht von einer Haltung der Gelehrsamkeit beherrschen lassen." (109) Und das Kriterium wird nun auf Hegel angewandt: wenn man an der aktualistischen Identifikation von Geschichte der Philosophie und Philosophie festhält, dann handelt es sich darum, zu zeigen, wie und in welchem Sinne das System Hegels „nicht ein totes Denken ist, sondern ein neues Denken, insofern es im Leben des Geistes dauernd wieder erlebt und lebendig gemacht wird"; daß man Geschichte macht, wenn man Philosophie betreibt, d. h. wenn man in Bezug auf Hegel - „den Geist des Systems von Hegel in der Aktualität des Geistes wiederauferstehen läßt" (111), und wenn man - ln Bezug auf die Nachfolger Hegels den Idealismus, „der sonst sich zum Mystizismus verflüchtigt oder zum Naturalismus absinkt", wieder „auf die konkreten Probleme des Lebens und der Geschichte" bringt (19). Die beiden ersten Aufsätze, über SPAVENTA und über GENTILE, haben zum Thema die Rekonstruktion eines einheitlichen Itinerariums, das von der italienischen philosophischen Kultur seit 1861 durchlaufen worden ist. In diesem Jahr vollzog sich die politische Einheit der Nation, und in bedeutsamer Koinzidenz damit - wie FAZIO es sieht - kündigt sich mit dem Beginn der Universitätsvorlesungen von SPAVENTA das „geistige Italien" an (5). Im Zentrum der Studien von SPAVENTA stehen die Beziehungen der italienischen Philosophie zur europäischen. Dieses Thema wurde für ihn besonders konkret und aktuell in dem Neudurchdenken der Hegelschen Philosophie und sprach sich aus in der neuen Lektüre der Logik, die SPAVENTA SO interpretierte, „daß er den ganzen Hegel von seiner Kontingenz befreite" (7). Damit umriß SPAVENTA ein Programm, das sich im Aktualismus von GENTILE realisieren sollte, er eröffnete den Weg zu jener Reform der Dialektik, die das Hegelsche Denken wieder neu belebte, indem er das System von den toten Schlacken befreite, von denen es in den Formulierungen Hegels voll zu sein scheint, „des Geistes, der so sehr umfassend und deshalb voller Unvollkommenheiten war" (12). Die offenbarste Unvollkommenheit im System von

24 Hegel

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Hegel ist, für FAZIO wie auch für GENTHE, der unvermittelte Dualismus von Phänomenologie und Logik, von Natur und Geist, von Geschichte und Idee: „Wir fragen: warum sind die Kategorien des phänomenologischen Prozesses nicht die der Logik? Wenn dieser Unterschied zu Recht besteht, dann gibt es zwei Entwicklungen: die Entwicklung des Seins von sich zu sich, die Logik, und die Entwicklung der Existenz von sich zu sich, die Phänomenologie des Geistes. Aber dann ist der Prozeß des Geistes nicht der der Welt, der Gottes: der Mensch ist von Gott geschaffen, und er kommt nicht dazu, Gott wiederzuschaffen, indem er sich schafft. Und warum endet der Prozeß des Seins im Prozeß der Natur, des Nicht-Seins? Dann ist der Prozeß der Phänomenologie - es sei noch einmal gesagt - nicht der wirkliche Prozeß der Welt! Unsere Aufgabe ist die Negation einer Logik und einer Naturphilosophie außerhalb der Phänomenologie." (13 ff) Das Verständnis für diese Aufgabe bedeutet die Annäherung an die „Auffassung der Logik als Geschichte" und die Arbeit an jener „Neugestaltung der Phänomenologie des Geistes, in der, nach Überwindung der Darstellung des individuellen Bewußtseins in seinem Bezug zu dem materialen Objekt und nach Erweis der Identität von Bewußtsein und Selbstbewußtsein vom ersten Akt des Geistes an, man das menschliche Bewußtsein darstellt als Akt, der die menschliche Geschichte, die menschliche Welt mitschafft, folglich als Geschichte und Logik zugleich" (18 ff). Das ist nämlich das Itinerarium der Reform der Hegelschen Dialektik, was wesentlich den Aktualismus GENTILES ausmacht, das FAZIO zusammenfassend als „die Entdeckung des Dialektisierens" definiert, als der einzigen Kategorie, in der das „Denken" besteht, so wie es in der Philosophie von GENTILE bestimmt wird (32). Der Anspruch FAZIOS und des Aktualismus wird klar und präzise, wenn er - unter dem Titel der Verschmelzung von Logik und Phänomenologie - nicht so sehr das Interesse ausdrückt, den verschiedenen Momenten der phänomenologischen Bewegung kategoriale Würde zu verleihen (das impliziert für diese Reformer die Gefahr willkürlicher Identifizierung der Produkte der zeitlichen Geschichte mit den notwendigen Stufen und Gestalten der Entwicklung des Lebens des Geistes), als vielmehr die Überzeugung, man müsse die Hegelsche Logik so arrangieren, daß sie „die Tatsache ausdrückt, daß das Denken niemals bei einer Bestimmung bleiben kann," weil das Denken „Unruhe" ist, „dialektisches Denken, und nicht den dialektischen Bestimmungen gleichzusetzen, die von Mal zu Mal fixiert werden" (30). Diese Forderung ist nach FAZIO in der Philosophie Hegels gegenwärtig, aber auch verraten. Diese Philosophie ist noch „lebendig und grundlegend für die Entwicklung des modernen Denkens" (267), zugleich aber in ihren verschiedenen Teilen mehr oder weniger der Korrektur bedürftig, je nachdem wie weit sie sich von dem Sinn der aktualistischen Reform entfernt. Die Neubearbeitung betrifft vor allem die Logik, in der Hegel die Forderung der Einzigkeit des Denkaktes, der Einzigkeit der Kategorie, des Dialektisierens (verstanden als reine „Unruhe"), einer Auffassung der Logik als der „Darstellung einer Vielheit von Kategorien, deren einzige Rechtfertigung sich in der Geschichte der Philosophie findet, die sie nacheinander präsentiert hat," opfert (30). Das Gleiche gilt von der Ästhetik: FAZIO kritisiert Hegels „falsche Darstellung des Begriffs der Kunst". Der Fehler liegt wiederum in der veralteten (FAZIO sagt auch „aristotelischen") Unterscheidung einer Vielzahl „absoluter Formen" Innerhalb der Aktivität des Geistes, der ein und dasselbe Denken ist; während doch die Unterscheidungen, „Kunst und Religion, Kunst und praktische Tätigkeit, Wille, als Momente jener einzigen Aktivität, nämlich des Denkens, existieren" (320 ff). Entschieden ver-

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wandt mit der aktualistisdien Auffassung erscheint dagegen FAZIO die Hegelsche Lehre von der Freiheit, die er unter Bezug auf einige Teile der Philosophie des Rechts darlegt. Indem Hegel sich - nur „in der Ethik, wo der Gedanke sich ein Sein gibt und das Sein Denken ist" (266 ff), „wo die Identität von Denken und Wollen sich zeigt," entschiedener von den im System immer wieder auftauchenden Antithesen von Realem und Idealem, Sein und Denken freimacht, gelangt er in die Nähe des Begriffs der Einzigkeit des Aktes: „Die Freiheit ist nicht - wie man gemeinhin glaubt - eine der Eigentümlichkeiten des Geistes, vielmehr existieren alle Eigentümlichkeiten des Geistes für die Freiheit, sind Mittel in Bezug auf die Freiheit, die Selbstzweck ist, und streben nur nach ihr und bringen nur sie hervor." (261) Mit der Feststellung, daß das Wesen des Geistes die Freiheit ist, daß „die Freiheit das einzige Wahrhafte des Geistes sei", bildet Hegel den Begriff des Ansichseins des Geistes als Selbstbewußtsein, - des Seins, das in sich die Einheit hat, als des Denkens, das sich ein Sein gibt, des Geistes, der seinen Inhalt umgestaltet und mit dieser Umgestaltung dartut, daß er der seine ist (262 ff). Die Ergebnisse dieser Ricerche hängen - wie man sieht - eng zusammen mit den theoretischen Voraussetzimgen des Verfassers; das Buch ist also vor allem wertvoll als ein Dokument, ein typisches Beispiel der italienischen neuidealistischen Geschichtsschreibung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung besteht also vor allem darin, daß es ein ehrlicher und klarer Ausdruck der Interessen und der Grenzen, der Problematik und der Gewißheiten jener geistigen Welt ist.s

Carmelo Lacorte (Roma)

Giancarlo Lunati: La Liberia. Saggi su Kant, Hegel e Croce. Napoli: Giannini 1959. 156 S. Der Verfasser ist von einer doppelten Absicht geleitet: 1) das Sich-Behaupten des Freiheitsbegriffs über den Zusammenbruch der verschiedenen Systeme der modernen Philosophie hinaus festzuhalten - gleichsam als roten Faden der philosophischen Forschung von KANT durch Hegel hindurch zu CROCE; 2) die Gültigkeit der „konstatierenden" Methode aufzuzeigen, die - nach LUNATI - KANT und CROCE eigen war, im Gegensatz zur „deduktivistischen" von Hegel. I. Die Freiheit bei Kant (11-71). Nach der einführenden Bemerkung, KANTS beständige Sorge sei darauf gerichtet gewesen, der Philosophie Systemhaftigkeit zu verleihen und gleichzeitig den „ex lege"-Charakter der Freiheit zu retten, untersucht der Verfasser die besonders der Erarbeitung des Freiheitsbegriffs gewidmeten Schriften KANTS - von Träume eines Geistersehers (1766) bis zu den Kritiken. Noch auf der Stufe der Kritik der reinen Vernunft sei die Freiheit nur ein negativer Begriff, insofern sie allein als das „Ex lege" gegenüber der von bestimmten Gesetzen geleiteten Welt der Natur, als das Unbestimmbare für den Verstand (welcher einzig Erkenntnis vermittelt) angesehen werde. In der Kritik der praktischen Vernunft bemühe sich

3 Die vorstehende Rezension wurde aus dem Italienischen übersetzt von Karlo Oedingen (Köln).

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KANT um einen positiven Begriff der Freiheit. „Der Übergang vom Negativen zum Positiven ist durch das Moralgesetz gegeben, welches das Gesetz des freien Willens ist." (57) Aus der Feststellung, daß für KANT zwischen dem freien Willen und dem dem Moralgesetz unterworfenen Willen kein Unterschied bestehe, folgert LUNATI, daß der Mensch, insofern er das Böse will, nach KANTS Auffassung nicht frei sein könne. Den Ursprung dieser Schwierigkeiten sieht der Verf. in der Tatsache, daß es KANT nicht gelungen sei, sich der „metaphysischen Hypostasierung des Begriffs des ,Guten'" (66) zu entziehen. LUNATI vertritt die Ansicht, „die Behauptung der Freiheit in der KANTSchen Spekulation stelle die Eröffnung zu einer Linie neuen Denkens dar - einer Linie, die bei KANT unentwickelt bleibt" (69). Denn die Kategorien bei KANT lassen keinen Ansatz auf eine Systematik der geistigen Welt, der Welt der Freiheit hin zu. Die Freiheit bei Hegel (73-104). Im Unterschied zu KANT, für welchen man mit dem Übergang von der Natur zum Geist vom Reich der Notwendigkeit (für deren Erkenntnis die Kategorien gelten) zum Reich der Freiheit (in dem die Kategorien keine Anwendung mehr finden) übergeht, ist für Hegel die gesamte Wirklichkeit, sei sie natürlich oder geistig, Kategorien unterworfen. Gerade deshalb (weil die ganze Entwicklung für Hegel sich einer strengen kategorialen Struktur gemäß vollzieht) hält LUNATI es für unmöglich, in dessen System „den absoluten Grund der Autonomie des Willens zu fassen" (87). Auch im Hinblick auf die Kategorien finde sich ein wesentlicher Unterschied zwischen KANT und Hegel: während der erste sich darauf beschränke, im Erkenntnisvorgang das Vorhandensein der Kategorien festzustellen, beabsichtige Hegel, „deren Grund aufzudecken", indem er die Unmittelbarkeit (Konstatierung) aufhebe und alles in einer höheren Vermittlung auflöse. Da der geistigen Entwicklung ein solch eisernes Prinzip wie die Dialektik zugrunde liegt, „hat sie notwendige und unabdingbare Gesetze" (95). In der Analyse von Hegels Darstellung des Freiheitsprinzips (s. Enzyklopädie §§ 503-512) gelangt LUNATI ZU der Überzeugung, daß dieses Prinzip dieselbe spekulative Kraft besitze wie der KANTsche Freiheitsbegriff. Man denke an den § 503: „Der subjektive Wille ist insofern moralisch frei, als diese Bestimmungen innerlich als die seinigen gesetzt und von ihm gewollt werden." Doch habe sich diese Freiheit bei Hegel noch einer weiteren Dialektisierung zu unterziehen, um zu der für ihn höchsten Form der Freiheit, der Selbstbetrachtung des Geistes, zu gelangen. Im Gegensatz zu KANT, der praktische und theoretische Tätigkeit unterscheide, ordne Hegel die praktische Tätigkeit der theoretisdien unter, so daß die erste in der zweiten aufgelöst werde. Der Verfasser schließt mit der Behauptung: „KANTS Freiheitsbegriff stellt, im Bereich der modernen Erkenntnistheorie, ein endgültiges Ergebnis dar, während wir die logisch-erschöpfende Hegelsche Sicht für die Frucht eines müßigen Umschlagens in deren Entwicklung zu halten neigen." (103) Freiheit und Vitalität bei Croce (105-153). Nach LUNATI war es nicht die Absicht des späten CROCE (dem der Jahre 1938-1952), mit seinem Beharren auf der Kategorie der Vitalität den früheren vertrauensvollen Rationalismus zugunsten einer positiven Betrachtung des geschichtlichen Irrationalen, des Unvorhersehbaren und moralisch wie theoretisch nicht zu Rechtfertigenden preiszugeben; dagegen habe er einerseits der geistigen Spontaneität die angemessene Bedeutung zukommen lassen, andererseits betonen wollen, „daß die die Geschichte bewegenden Kräfte, gemäß der ihnen eigentümlichen Logik und gemäß der sie leitenden Kategorien, in ihrem authentischen Ausdruck gesehen und studiert werden müssen" (114). Da die CROCEsche Logik konstatierend wie clie KANTS (und nicht deduktivistisch wie jene von Hegel) sei, habe das Problem vom Grunde des Denkens für CROCE keinen Sinn. Die Vitalität sei nicht

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zu verwediseln mit einer Art erstem Wirklichkeitsgrund; doch sei sie das Ergebnis einer Weltanalyse, die nach konstatierenden Kriterien verläuft. Hegel gegenüber habe CROCE „eine echte und eigentliche methodologische Umwälzung" (129) in dem Sinne bewirkt, daß er den Deduktivismus Hegels durch die konstatierende Methode ersetzt habe. Die Vitalität bei CROCE erscheine als materieller Träger für die anderen Formen. Da der Philosoph in Wirklichkeit aber jede ,reductio ad unum' vermeiden wolle, schreibe er der Vitalität nicht mehr Bedeutung als den andern Formen zu. Sie stelle das ökonomische dar, welches als grundlegende Komponente des Lebens gelte. Auf zwei Pfeilern ruht - nach LUNATI - CROCES Philosophie: der konstatierenden Methode und der Vitalität (Freiheit). Einigen Forschern schien die Kategorie der Vitalität einen neuen K*rs in CROCES Philosophie zu bezeichnen. Dagegen schließt der Verf.: „Die Gedanken über die Vitalität sind die letzte Verteidigung der Freiheit und der Spontaneität des Geistes." (145) II. Von den drei Essays am meisten durchdacht ist der über KANT, fast durchweg negativ erscheint jener über Hegel, bar jeder kritischen Schärfe und bestimmt von der Begeisterung des Schülers der über CROCE. Das Bändchen ist aus folgenden Gedanken heraus geschrieben: KANT stellt die Probleme, läßt sie jedoch ungelöst; Hegel überträgt sie ins Metaphysische, CROCE schließlich löst sie. Nicht auf seine Kosten kommt vor allem Hegel, der auch bezüglich des Freiheitsbegriffs wesentlich problematischer ist, als LUNATI annimmt. Folgendes vernachlässigt der Autor zu unterstreichen: 1) Während bei KANT die Freiheit moralische Autonomie (gleichsam die eines antiken Weisen oder christlichen Pietisten) ist, wird sie bei Hegel (zum ersten Mal in der Geschichte des Denkens!) mit der Arbeit, mit der Praxis verknüpft (beinahe erscheint sie als die Freiheit des modernen Arbeiters). Indem der Mensch bei Hegel durch seine Arbeit einen Gegenstand bildet, bildet er sich selbst als freien Menschen, gewinnt er das Bewußtsein der Freiheit. In diesem Sinne lassen sich starke Einflüsse von Hegel auf MARX feststellen. 2) Während bei KANT die Freiheit ein Zug ist, welcher dem Menschen unabhängig von seinem Sein in der Gesellschaft eignet, ist für Hegel höhere Freiheit die des gesellschaftlichen Menschen. 3) Hegel hat den Freiheitsbegriff auf die Ebene der Weltgeschichte übertragen- mit seinen Worten: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit." Was CROCE angeht, so wäre LUNATI die Frage zu stellen, wo jemals CROCE den Weltgeist mit seinen vier Formen in der Erfahrung konstatiert habe. Der Geist in der Philosophie CROCES hat noch die Gestalt des absoluten Geistes von Hegel und im Grunde die des Gottes der Theologie; die CROCEsche Tetrade läßt sich ebensowenig konstatieren wie die dialektische Triade Hegels. Die konstatierende Methode gehört einer anderen Tradition des Denkens an, etwa der von ARISTOTELES, GALILEI, MARX (S. DELLA VOLPE: Logica come scienza positiva), sicher nicht aber der idealistischen, zu welcher CROCE zählt. Ferner ist es auch unrichtig, CROCE eine „methodologische Umwälzung" gegenüber Hegel zuzuschreiben, sondern vielmehr nur eine ... terminologische, die nicht so sehr die Bestimmung der Kategorien als deren Namen betrifft. Zur „Vitalität" ist zu sagen, daß sie einen Versuch von seiten des späten CROCE darstellt, den Tetradismus der Formen des Geistes zu überwinden. Diesen Vereinheitlichungsversuch hat CROCE nicht bis zum Schluß geführt; denn wenn er einerseits die Formen nicht durch eine Form ersetzt hat (was eine Wiederholung Hegels gewesen wäre), so hatte er doch andererseits nicht den Mut, dif Bewegung auf die Materie zurückzuführen. LUNATI ist der Meinung, daß „Vitalität und Freiheit" beim späten CROCE identisch sind. Dagegen scheint CROCE zum Panmoralismus oder - wie wir meinen - zum irrationalistischen Panvitalismus zu

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neigen, je nachdem, ob er die Vitalität (amoralische und irrationale Krafti) auf die Freiheit (moralische Kraft) oder die Freiheit auf die Vitalität zurückführt. Im Hinblick auf die Freiheit des Individuums bei CROCE kann man nicht mit LUNATI übereinstimmen: die Freiheit in der CROCESchen Philosophie betrifft noch weniger als bei Hegel den Einzelnen, das Individuum, sondern vielmehr den Weltgeist. Zur Bestätigung ein Zitat aus Storia come pensiero e come azione (1938): „Dieses geschichtliche Gefüge, welches nicht das Werk der Individuen ist, ist das Werk des allgemeinen Geistes, von dem die Individuen Äußerungen und Werkzeuge sind." Dies klingt eindeutig nach Hegels Philosophie (besonders der Geschichtsphilosophie), deren Gefangener CROCE bis zum Ende seines Denkens bleiben wird.

Enzo Tota (Messina/Saarbrücken)

Peter Henrici: Hegel und Blondel. Eine Untersuchung über Form unci Sinn der Dialektik in der „Phänomenologie des Geistes" und der ersten „Action". Pulladt: Verl. Berchmanskolleg 1958. XIX, 206 S. (Pullacher philosophische Forschungen. Band 3.) On a remarque depuis longtemps que UAction de BLONDEL (celle de 1893) offrait, par son dessein, sa matiere et son mouvement, une curieuse analogie avec la Phenomenologie de l'Esprit de Hegel. Lorsque, frappe de cette ressemblance, le P. FESSARD en parla ä BLONDEL, celui-ci repondit que Victor DELBOS la lui avait dejä signalee d^s la premiere lecture de sa these. Partant de cette Impression generale, on pouvait envisager d'etablir une comparaison systematique des deux ouvrages, en vue de degager de facpon precise les ressemblances et les differences de leurs dialectiques, ä la fois quant i la forme et quant au sens. C'est le resultat d'une teile etude que nous offre le P. Pierre HENRICI. S'interessant lui-meme au probleme du rapport entre la Philosophie et la r^velation chretienne, probleme Capital aussi bien pour Hegel que pour BLONDEL, il a Oriente sa recherche vers l'eclaircissement de ce rapport. Pour situer les deux ouvrages, il retrace brievement la genese de leur problematique. Quelques prelevements sur les ecrits de jeunesse de Hegel, quelques temoignages de BLONDEL sur ses premi^res reflexions, lui permettent de montrer comment chacun d'eux s'est pose le probleme de la religion positive, et comment chacun s'est donne pour täche de reconcilier le necessaire et le contingent, l'universel et le singulier, dans une « Philosophie du concret » qui serait un « panlogisme » (9-29). Apres ces indications preliminaires, l'auteur aborde la partie essentielle de son travail, une comparaison minutieuse de la dialectique h^gelieime et de la dialectique blondelienne, faisant ressortir ä la fois la concordance et la discordance de leur structure, de leurs presupposes et de leurs conclusions (33-164). Pour limiter une besogne trop vaste, il a concentre son attention sur trois points : la connaissance sensible, la conscience de soi, la rencontre avec l'Absolu (sans negliger toutefois de mentionner ce qui les relie). 11 est difficile et il serait vain de resumer cette analyse, precisement

* Croce: „Die Vitalität hat ihre Gründe, die die Vernunft nicht kennt" (vgl. Pascal!).

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parce qu'elle vaut en tant qu'analyse, attentive au detail des textes, fouillant les replis des pensees, decomposant et recomposant leur mouvement. On ne peut que relever en termes sommaires le caractere general de chacune des deux dialectiques. Celle de Hegel a pour principe une limitation du regard ä l'aspect formel. C'est pourquoi les termes opposes passent Tun dans l'autre ; le second supprime le premier. La dialectique de BLONDEL a pour principe une maniere de voir existentielle, c'est-ä-dire attentive au fait, attentive au donne considere comme existant. C'est pourquoi les termes opposes ne passent pas Tun dans l'autre ; le second ne supprime pas le premier, mais fait apparaitre la presence effective d'un troisieme element. La difference des deux dialectiques quant ä leurs presupposes et ä leur structure entralne in^vitablement la divergence des derniers r^sultats. Chez Hegel, l'Absolu et le fini contingent passent l'un dans l'autre : on a une philosophie pantheiste. Chez BLONDEL, ils restent distincts : on a une philosophie theiste. Apres cette longue analyse, le P. HENRICI repond ä la question qu'il posait au debut de son etude : quel est le rapport des deux systemes ä la revelation chretienne ? Celleci, dit-ll, a pour contenu des mysteres, pour moyen de connaissance le temoignage ; et ses mysteres sont pour une part des verites historiques. Or, le Systeme hegelien ne peut rien admettre de tout cela; la philosophie blondelienne au contraire y est ouverte. Le premier est donc ferme a la revelation chretienne ; la seconde y est ouverte, plus encore, eile l'attend et y conduit (165-179). Pour achever son enquete par une contre-epreuve, l'auteur se demande dans quelle mesure l'une ou l'autre dialectique d^pendrait au fond de premisses theologiques. La dialectique de BLONDEL, repond-il, est purement philosophique, et c'est justement cela qui lui permet d'etre authentique ancilla theologiae. La dialectique de Hegel, au contraire, etend au monde profane une doctrine thdologique issue d'une fausse interpretation de la Bible ; c'est pourquoi eile est incompatible avec la revelation chretienne. Aucune interpretation de Hegel, aucune Interpretation de BLONDEL n'ayant jusqu'ä present recueilli tous les suffrages, nul ne s'etonnera que l'etude du P. HENRICI, combinant les deux, offre matiere k discussion. Nous avons indique ailleurs les principales questions qu'elle nous semble poser. (Voir Ardiives de Philosophie, 1960, 310-312.) Henri Bouillard (Paris)

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HEGEL -FEUERBACH - MARX

Klaus Erich Bockmühl: Leiblichkeit und Gesellschaft. Studien zur Religionskritik und Anthropologie im Frühwerk von Ludwig Feuerbach und Karl Marx. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht (1961). 285 S. Gerd Dicke: Der Identitätsgedanke bei Feuerbach und Marx. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag (1960). 210 S. (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NordrheinWestfalen. Band 15.) Manfred Friedrich: Philosophie und Ökonomie beim jungen Marx. Berlin: Duncker u. Humblot (1960). 202 S. (Frankfurter wirtsdiafts- und sozialwissenschaftliche Studien. Heft 8.) I. Feuerbach und Hegel Meist wird FEUERBACH heute nur noch als „Zwischenglied" zwischen Hegel und seinem bedeutendsten Schüler Karl MARX behandelt. Er gilt als derjenige, der MARX wie ENGELS den Bruch mit dem deutschen Idealismus am eindrudcvollsten vorexerziert hat und dadurch deren eigner Denkentwicklung vorwärtshalf. Endlich kennt man auch die Kritik, die MARX und ENGELS in der Heiligen Familie an FEUERBACH geübt haben, die Zurückweisung seines „undialektischen" Naturalismus und seiner mangelnden Bezogenheit auf politisch-soziale Praxis. Das ist sicher alles ganz richtig, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Aus diesem Grunde sind die beiden Arbeiten von BOCKMüHL und DICKE besonders zu begrüßen, weil beide ein - durchaus unterschiedlich akzentuiertes - reicheres Bild von der Philosophie FEUERBACHS entwerfen. Während BOCKMüHL genetisch verfährt und uns in seinen beiden FEUERBACH gewidmeten Kapiteln jeweils verfolgen läßt, wie FEUERBACH sich allmählich von einem spekulativen zu seinem eigentümlichen naturalistischen Standpunkt entwickelt, überblickt DICKE das Gesamtwerk FEUERBACHS systematisch und hebt den von Hegel übernommenen und mannigfaltig variierten Zentralgedanken der „Identität" (des Geistes mit sich bei Hegel, des natürlichen Menschen mit der Natur bzw. des Gattungswesens mit der Gattung bei FEUERBACH) besonders hervor. Daß die Entwicklung FEUERBACHS dabei stark in den Hintergrund getreten ist, wenngleich hier und da auf sie Bezug genommen wird, beeinträchtigt den Wert mancher Aussagen. Dafür hat die Arbeit von DICKE den Vorzug, daß sie - auf Grund des thematisch leitenden Gedankens - die Verwandtschaft der Denkstrukturen sehr viel eindringlicher zum Bewußtsein bringt. BOCKMüHL macht die Entwicklung FEUERBACHS durch detaillierte Belege deutlich und berichtet zunächst von der „Wandlung des Vernunftbegriffs", der anfangs ganz hegelisch gefaßt und von etwa 1839 (in der Kritik der Hegelsdien Philosophie) an sich in ein bloßes Organ zur Ordnung von Sinnesdaten und einen nüchternen commonsense-Verstand verwandelt hat. Dennoch war damit die Entwicklung FEUERBACHS noch nicht abgeschlossen, und die folgenden Jahre (1839-1843) erscheinen als eine Periode

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philosophischer Unentschiedenheit und des Schwankens zwischen spekulativen „Resten" und dem neu angenommenen naturalistischen Prinzip. Ehe es zur Distanzierung von Hegel kam, verteidigte FEUERBACH jedodr 1835 nodi eirunal seinen Lehrer gegen den kritischen Angriff BACHMANNS*. Merkwürdigerweise finden sich aber bei BACHMANN bereits einige der Argumente, mit denen der spätere Anti-Hegelianer FEUERBACH selbst operieren wird. So betont BACHMANN das Eigenrecht der Natur, der Welt der Pflanzen und Tiere, die ihr Sein „in sich selbst" hätten und nicht auf das Gedachtwerden angewiesen seien, sowie die Leiblichkeit des Menschen. Das Motiv seiner Kritik ist freilich im Unterschied zur späteren Kritik FEUERBACHS primär theologisch bestimmt. Seine abschließende Verurteilung lautet, daß „die Quintessenz des Hegelianismus eine neue Gnosis und die Mysterien des absoluten Wissens" sei (BOCKMüHL 18).* Wie weit 1835 FEUERBACH noch von seinem späteren Standpunkt entfernt war, geht aus einer Äußerung in seiner Anti-Kritik hervor, daß es „töricht wäre, die Abhängigkeit des Menschen von seiner Leiblichkeit zur Abhängigkeit des Geistes zu machen" (19). In diesem Zusammenhang zitiert BOCKMüHL auch eine längere Passage aus FEUERBACHS Leibniz (1836); „Dem Materialisten ist nun aber auf seiner Stufe natürlich nur das Sinnliche, Materiale das Begreifliche, und nur weil es dieses, ist es ihm das Reale. Indem er den Geist an sich verneint, bejaht er weiügstens seinen Geist, eine Art des Denkens, der Vernunft. Und diese Bejahung ist eine Notwendigkeit. Der Geist kaim sich nicht selbst negieren und aufgeben.. ."* In einer Fußnote gibt FEUERBACH ein Zitat aus der Hegelschen Logik an: „Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus."^ Daß FEUERBACH hier noch ganz im Geiste des orthodoxen Hegelianismus schreibt, ist unverkennbar. Ähnlich indirekt wie der Einfluß BACHMANNS auf die Entwicklung FEUERBAC:HS scheint auch der F. DORGUTHS gewesen zu sein, dessen expliziten Materialismus FEUERBACH noch 1838 ablehnte und in einer geplanten Rezension widerlegen wollte. Mit seiner Distanzierung von Hegel war aber für FEUERBACH - wie bereits angedeutet - der Abschluß seiner Entwicklung noch nicht erreicht. Auch ist der Äußerung von F. ENGELS, FEUERBACH habe mit seinem Wesen des Christentums den „Materialismus ohne Umschweife wieder auf den Thron gesetzt", nur unter Vorbehalt zuzustimmen. ENGELS urteilt hier „aus dem Blickpunkt einer späteren Zusammenschau" (28). Eine entscheidende Schlüsselstellung beim Obergang vom Standpunkt einer spekulativen Dialektik zu FEUERBACHS späterer Position nimmt der Begriff der „Gattung" ein. Ursprünglich hat er noch ausgesprochen „Hegelsche" Züge, auf die DICKE mit Recht besonders hinweist. Ober die Vermittlung von D. F. STRAUSS ist hier sogar die

> C. F. Bachmann: Über Hegel's System und die Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestaltung der Philosophie. Leipzig 1833; ferner: Anti-Hegel. Jena 1835. Hierbei handelt es sich nicht, wie eine Fußnote Bockmühls vermuten läßt, um zwei Auflagen des gleichen Werkes; der Anti-Hegel ist vielmehr die Antwort auf ein von K. Rosenkranz gegen Bachmanns erste Arbeit verfaßtes „Sendschreiben" (1834). 2 Der erst in jüngster Zeit wieder gegen Marx erhobene Vorwurf (vgl. E. Vögelin: Wissenschaft, Politik und Gnosis. München 1959) hat also eine höchst ehrwürdige Tradition! 2 L. Feuerbach: Sämmtliche Werke. Hrsg. v. W. Bolin u. F. Jodl. Stuttgart 1903-1911. Bd 4. 161 f. 4 Hegel: Wissenschaft der Logik. Hrsg. v. G. Lasson. Bd 1. Leipzig 1932. (Phil. Bibi. Bd 56.) 145.

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„Genealogie" im einzelnen belegbar. BOCKMüHL zitiert eine Passage aus dem Leben Jesu, die den Anstoß zur Umbildung des Hegelschen Geistbegriffs in den FEUERBACHschen (und MARXsdien) Gattungsbegriff gegeben haben dürfte: „In einem Individuum, einem Gottmenschen, gedacht, widersprechen sich die Eigenschaften und Funktionen, welche die Kirchenlehre Christo zuschreibt, in der Idee der Gattung stimmen sie zusammen. Die Menschheit ist die Vereinigung der beiden Naturen, der menschgewordene Gott, der zur Endlichkeit entäußerte unendliche, und der seiner Unendlichkeit sich erinnernde endliche Geist."5 Hier geht STRAüSS schon insofern über Hegel hinaus, als er die „Idee der Gattung" unmittelbar mit der Menschheit gleichsetzt. Hier hat sowohl die FEUERBACHsche Religionskritik (die Prädikate Gottes sind die einem transzendenten Subjekt angedichteten Eigenschaften der sich entwickelnden Menschheit) als auch seine Auffassung vom Wesen des Menschen und vom Verhältnis des Einzelnen zur „Gattung" ihren Ausgangspunkt. Es kann leicht gezeigt werden, wie die „Menschheit" als qualitativ der Summe der in ihr umfaßten Einzelnen überlegene alle Eigenschaften in Anspruch nehmen kann, die bislang Gott zugeschrieben wurden. Der Einzelne ist böse, die Menschheit gut; der Einzelne endlich und fehlbar, die Menschheit „konkrete Unendlichkeit" und unfehlbar, usw. Daß die Sünde in einem „Abweichen", in einem Sidi-Unterscheiden von der Gattung erblickt wird, ist eine Auffassung, die gleichfalls auf Hegel zurückgeführt werden könnte. War bei Hegel das Böse „die Entfremdung von Gott, insofern das Einzelne nach seiner Freiheit sich von dem Allgemeinen trennt und in der Ausschließung von demselben absolut für sich zu sein strebt"®, so braucht man nur den Gottesbegriff durch den der „Gattung" zu ersetzen, um die STRAUss'sche wie FEUERBACHsche Konzeption zu erhalten. Daß dieser Ansatz auch in die Lehre von MARX noch hineingewirkt hat, liegt auf der Hand. DICKE, der offenbar die zitierte STRAUss-Stelle nicht kennt, weist bei der Behandlung des FEUERBACHSchen Gattungsbegriffs lediglich auf Hegels „Volk" hin. In der Tat erscheint auch eine derartige direkte Ableitung möglich. So erinnert z. B. auch eine Formel wie die von DICKE zitierte: der Gott des Christentums sei „die Anschauung von der unmittelbaren Einheit der Gattung und der Individualität, des allgemeinen und einzelnen Wesens", an folgende der Sache nach ganz gleichbedeutende Stelle bei Hegel: „Der Mensch muß nicht bloß von diesem [Geist des Volkes] wissen, sondern darin auch von sich selbst und sich das ausdrückliche Bewußtsein seiner Einheit mit dem allgemeinen Geist geben, die ursprünglich vorhanden ist. Der wirkliche Geist dieses Bewußtseins, der Mittelpunkt dieses Wissens, ist die Religion."^ DICKE zeigt, daß bei FEUERBACH (wie lange?) die Vollendung der Freiheit und Sittlichkeit auch nach seiner Abkehr von Hegel im Staat erblickt wird. Neben einer bereits bewußt naturalistischen Auffassung vom Einzelnen steht eine idealistische Konzeption von der Gemeinschaft, in der dieser Einzelne seine Erfüllung finden soll. Eine Inkonsequenz, die erst MARX beseitigen sollte. In seinem Bemühen, FEUERBACHS Hegelnähe deutlich zu machen, weist DICKE auch darauf hin, daß FEUERBACH zunächst die Verwirklichung der Gattung in der Zeit (Geschichte und Zukunft!) sucht. Die künftige Weiterentwicklung der Menschheit im Diesseits wird als ein realistischer Ersatz für eine jenseitige D. F. Strauß: Das Leben Jesu. Bd 2. Tübingen 1836. 734 f. Hegel; Werke. Bd 18. Berlin 1840. 76. t Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1955. (Phil. Bibi. Bd 171 a.) 125. ® ®

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Zukunft deklariert: „An die Stelle des Jenseits über unserem Grabe im Himmel müssen wir das Jenseits über unserem Grabe auf Erden, die geschichtliche Zukunft der Menschheit setzen."® FEUERBACH ist also keineswegs der ganz und gar ungeschichtliche Denker oder gar ein saturierter „Bourgeois", der die bestehende politische Wirklichkeit als endgültig akzeptierte, aber „Materialismus und Geschichte fallen bei ihm, wie MARX sehr prägnant formulierte, ganz auseinander" (DICKE 73). Während aber DICKE die Verwirklichung der Gattung im Raum gleichberechtigt neben die in der Zeit stellt, betont BOCKMüHL den mehr und mehr sich herausbildenden Primat des Raumes. Die gleichen Tatsachen werden von den beiden Autoren hier etwas abweichend akzentuiert. Nur darin sind sie sich wieder ganz einig, daß Feuerbach am „Versuch einer Umkehrung" Hegels (DICKE 73) bzw. am Versuch der Verbindung einer von Hegel herkommenden Auffassung der Gesellschaftlichkeit des Menschen und der sich vordrängenden „Prävalenz der Sinnlichkeit" in seinem Menschenbild (BOCKMüHL) gescheitert ist. Die „Dialektik von Sinnlichkeit und Sozialität" endet in einer Aporie. In dem Versuch, die ihn störenden Reste des „Idealismus" im Gattungsbegriff zu eliminieren und die Gattung zu „konkretisieren", langt FEUERBACH schließlich bei der kleinstmöglichen Gemeinschaft, der von „Ich und Du", Mann und Frau an. Erst hier fallen ja konkrete Sinnlichkeit und Sozialität zusammen. Das sinnlich anschauliche Du wird „als Deputierter der Menschheit" und „Repräsentant der Gattung"* zum Nachfolger des „objektiven Geistes" und der „Menschheit". Ego und alter Ego ergänzen einander zur gewünschten Vollkommenheit. Ich spiegelt sich im Du und empfängt sich durch sein Gegenüber, erfährt von ihm seine Bestätigung und sein Glück. Von hier aus gelangt FEUERBACH zu seiner „schwülstigen Liebesreligion" (ENGELS). In seinem Hauptwerk hat J. P. SARTRE realistischer sehend das notwendige Scheitern des Versuchs, in der Liebe von zwei Personen eine vollständig befriedigende „absolute" Anerkennung, Rechtfertigung und Daseinsgrundlage zu finden, nachgewiesen. Sie kommt nach ihm aus dem undialektischen Gegensatz von Masochismus und Sadismus nicht heraus. MARX glaubte an dieser Stelle FEUERBACH dadurch überbieten und widerlegen zu können, daß er die sozialen Voraussetzungen für eine wirkliche Ergänzung und Bereicherung des Einzelnen durch die Mitmenschen als Resultat eines notwendigen Umwälzungsprozesses der Gesellschaft nachwies. Erst in dieser neuen Gesellschaft wäre dann auch die „Liebe" das, was FEUERBACH von ihr behauptet.*# Wenn jedoch DICKE zeigt, daß die „Liebe" bei 8 Feuerbach: Vorlesungen über das Wesen der Religion. Leipzig 1908. 167. # Feuerbach: Das Wesen des Christenthums. 2. Aufl. Leipzig 1843. 235. 1# Offenbar ist allen drei Autoren eine der bezeichnendsten Schilderungen der unentfremdeten menschlichen Gesellschaft durch den jungen Marx unbekannt, die sich in den Exzerptheften findet. Dort heißt es u. a.: „Gesetzt wir hätten als Menschen produziert: Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den andren doppelt bejaht. Ich hätte 1) in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegenständliche, sinnlich anschaubare und daher über allen Zweifel erhabene Macht zu wissen 3)für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines eignen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen." (MEGA. Abt. 1, Bd 3. 546 f.) Die Voraussetzung für eine sich frei entfaltende Liebe unter den Menschen liegt also für Marx in einer bestimmten Gestaltung der „Produktionsweise", wie sie zugleich mehr und mehr durch die Entwickelung der Produktivkräfte selbst gefordert wird.

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FEUERBACH als Vermittlung der „Einheit von Denken und Sein" an die Stelle des dialektischen Geistbegriffes tritt, dann hat FEUERBACH im Grunde nur den Weg wieder rückgängig gemacht, den einst der junge Hegel (in seinen damals unbekannten Frühschriften) gegangen war. Während BOCKMüHL FEUERBACHS Ablehnung einer (nach Auffassung der evangelischen Theologie unchristlichen) Lehre von der Unsterblichkeit der Seele als berechtigt registriert, gilt DICKE die FEUERBACHSche Todes-Konzeption als ein „Beweis dafür, daß er von vornherein die Hegelsche Identitätsphilosophie ersetzen will - durch eine andere Identität" (82). Diese Identität, deren letzte Realisation im Tode erlangt wird, erscheint einmal als die des Einzelnen mit der Gattung, der in der Erinnerung der Nachwelt eine „qualitative Unsterblichkeit" genießt, dann wieder als die des Menschen mit der Natur.” BOCKMüHL würde sagen, daß von 1843 an der Gattungsbegriff überhaupt verschwindet und ein immer einseitiger naturalistisches und materialistisches Welt- und Menschenbild verkündet wird. Da BOCKMüHL in der Betonung der Leiblichkeit des Menschen eine gewisse Berechtigung der FEUERBACHschen Hegelund Religionskritik anerkennt, steht bei ihm diese Seite seiner Anthropologie im Vordergrund, während DICKE nicht immer deutlich macht, wie Hegelsche Ansätze („Gattung", „Geschichte") durch den Zug zur „Prävalenz der Sinnlichkeit" zurüdegedrängt werden. Daß endlich FEUERBACH keineswegs mit bloßer „Kontemplation" sich begnügte, sondern - genau wie später MARX - auf „Praxis" drängte, drückt BOCKMüHL durch die Formel „Humanismus" (d. h. praktische Menschenliebe) im Thema aus, während DICKE zahlreiche Belege bringt, die den Abstand von FEUERBACH und MARX - wenigstens in der allgemeinen Intention auf Praxis - verringern. Die Religion wird als „Hemmschuh der Entwicklung" (84) deklariert und ein ethisches Ideal (!) gefordert, daß zur „Veränderung" aufruft. Der Glaube an Wunder müsse verschwinden, damit die „Selbsttätigkeit" des Menschen beginnen könne. „Wenn wir nicht mehr ein besseres Leben glauben, sondern wollen, aber nicht vereinzelt (!), sondern mit vereinten Kräften wollen, so werden wir auch ein besseres Leben schaffen.'''^ Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß die Formulierungen bereits Ausdruck einer Rückwirkung MARxscher Schriften auf FEUERBACH darstellen, handelt es sich doch - was DICKE hier nicht vermerkt - um Vorlesungen, die FEUERBACH 1848/49 in Heidelberg gehalten hat. Endlich taucht auch bei FEUERBACH schon die These von der Notwendigkeit der „Aufhebung der Philosophie" auf, die von MARX dann in bewußter Ausein-

An dieser wie an anderen Feuerbach-Stellen tritt eine frappierende Übereinstimmung mit dem (F. vermutlich unbekannt gebliebenen) gleichzeitigen französischen Denker A. Comte zutage. Auch Comte verstand die reale Unsterblichkeit als ein Aufbewahrtsein in der Erinnerung der Menschheit: „In dieser weiten sozialen Ausbreitung wird ein jeder die normale Befriedigung jenes Strebens nach ewigem Leben finden, das er anfangs nur mit Hilfe von Illusionen zufriedenstellen konnte, die jetzt mit unserem geistigen Entwicklungsstand unvereinbar geworden sind. Da das Individuum sein Leben nur durch die Gattung (espece) zu verlängern vermag, wird es so dazu geführt, sich möglichst vollständig in sie einzugliedern, indem es sich zutiefst mit deren nicht allein gegenwärtiger, sondern auch vergangener und zukünftiger Existenz verbindet..." Rede über den Geist des Positivismus [1844]. Hrsg. v. I. Fetscher. Hamburg 1956. (Phil. Bibi. Bd 244.) 157. 12 Feuerbach: Vorlesungen über das Wesen der Religion. 170.

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andersetzung mit den Linkshegelianern und den „Praktikern" dialektisch mit ihrer „Verwirklichung" vermittelt wurde.is „Was der Denker vor dem Bewußtsein hat, das hat der praktische Mensch in seinem Triebe. Der praktische Trieb in der Menschheit ist aber der politische, der Trieb nach aktiver Teilnahme an den Staatsangelegenheiten, der Trieb zur Aufhebung der politischen Hierarchie, der Unvernunft des Volkes, des politischen Katholizismus." i“* DICKE sieht in diesem Zitat die unmittelbare Nähe zu MARX, mit Recht schränkt er aber in der Folge seine eigne Aussage wieder ein, indem er betont, daß „Praxis" bei FEUERBACH auftaucht, „wenn er den Menschen vom Geiste her faßt, dann aber eben fast als geistige Arbeit im Sinne Hegels"** (92). Die zitierte Äußerung von FEUERBACH, die aus dem Jahre 1842 stammt, stimmt aber auch inhaltlich gut mit Hegels eignen Auffassungen zusammen, wie er sie z. B. in § 552 der Enzyklopädie ausgedrückt hat: „Konsequenterweise ist die katholische Religion so laut als diejenige gepriesen worden und wird noch oft gepriesen, bei welcher allein die Festigkeit der Regierungen gesichert sei, - in der Tat solcher Regierungen, welche mit Institutionen Zusammenhängen, die sich auf die Unfreiheit des rechtlich und sittlich frei sein sollenden Geistes, d. h. auf Institutionen des Unrechts und einen Zustand sittlicher Verdorbenheit und Barbarei gründen." Im gleichen Paragraphen verurteilt Hegel übrigens auch - ganz im Geiste des Sensualisten FEUERBACH - die Mönchsgelübde als mit der Sittlichkeit des Staates unvereinbar. Während Hegel jedoch lediglich die Reformation zur Voraussetzung der Stiftung dauerhafter freier Gemeinwesen machte, wird für FEUERBACH der Atheismus die Vorbedingung für die „Wiedergeburt der Menschheit, die einzige Bedingung einer sozusagen neuen Menschheit und neuen Zeit. Ohne sie sind [nach seiner Überzeugung] alle politischen und sozialen Reformen eitel und nichtig."** MARX wird beiden insofern prinzipiell widersprechen, als für ihn nicht die geistige Haltung Vorbedingung der politisch-sozialen Gestaltung des Lebens, sondern umgekehrt „das gesellschaftliche Sein" Voraussetzung und Entstehungsgrund der geistigen Haltungen ist. In dieser Hinsicht stellt FEUERBACH kein Bindeglied zwischen Hegel und MARX dar, sondern steht noch eindeutig auf der Seite des großen Idealisten. Mit diesem Überblick ist der Reichtum der anregenden Erkenntnisse keineswegs erschöpft, den die mit FEUERBACH sich beschäftigenden Kapitel der Arbeiten von BOCKMüHL und DICKE vermitteln. Während an der Dissertation BOCKMüHLS vor allem die Unvoreingenommenheit besticht, mit der der evangelische Theologe (Barthianer) dem Religionskritiker FEUERBACH begegnet und dessen Argumente jedenfalls partiell als Korrekturen an einer verfehlten theologischen Konzeption gelten läßt, zeichnet sich DICKES Doktorarbeit besonders durch die Entfaltung eines gut zusammengestellten Materials zur Stützung seiner These von der durch den Identitätsgedanken bestimmten systematischen Tendenz FEUERBACHS aus. Künftige Arbeiten werden hier anknüpfen

*ä Vgl. hierzu die Interpretation der Feuerbach-Thesen von Ernst Bloch in: Prinzip Hoffnung. Berlin 1954. Bd 1. 270—312; und - z. T. im Anschluß an Bloch - M. Friedrich 177 f. ** Feuerbach: Sämmtliche Werke. Hrsg. v. Bolin u. Jodl. Bd 2. 219. ** Daß Dicke unter dem Eindruck der marxistischen Literatur und zahlreicher MarxInterpreten (zu denen ich mich selbst rechnen muß) an dieser Stelle die „Arbeit" bei Hegel nur als „geistige" verstanden wissen will, werden wir weiter unten noch im Anschluß an Bockmühl korrigieren. *« Feuerbach: Vorlesungen über das Wesen der Religion. 129.

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können, sollten jedodi jeweils mit einer ausführlidieren Hegeldeutung einsetzen und sich auf die Herauspräparierung einzelner Zusammenhänge konzentrieren (etwa: Volksgeist, Gattung, Menschheit, Ich-Du; Geist, Natur usw.).

II. Hegel und Marx Das Verhältnis von MARX zu Hegels Philosophie wird von den drei Arbeiten von verschiedenen Seiten her beleuchtet: Während BOCKMüHL Religionskritik und Anthropologie des jungen MARX in den Mittelpunkt stellt, benützt DICKE den „Identitätsgedanken" als Verbindungsglied, und FRIEDRICH versucht, die „Aufhebung der Philosophie" (Hegels) durch ihren dialektischen Übergang in umwälzende Praxis als das entscheidend Neue bei MARX in den Griff zu bekommen. BOCKMüHLS interessante Deutung der „ersten Religionskritik des jungen MARX" im verloren geglaubten Anhang zur Dissertation!’ können wir in diesem Zusammenhang übergehen. Es sei nur noch sein abschließendes Urteil über MARxens Atheismus erwähnt, weil es ähnlich wie das Urteil über FEUERBACH die Position des Verfassers beleuchtet und zeigt, daß die dialektische Theologie MARX sehr ernst nehmen kann, ohne sich selbst aufgeben zu müssen: MARX, so heißt es, „mußte gegen ein Zerrbild des Christentums ankämpfen - gegen eine Erscheinung, die freilich seine Kritik verdiente. Die Kritik beweist zugleich, daß dies Zerrbild Realität hatte und hat. Deshalb gibt es keinen Grund, die Kritik des jungen MARX an der Gestalt der Theologie abzuweisen - da diese doch die Gestalt Christi tragen soll." (156) Ihren Höhepunkt erreicht BOCKMüHLS Arbeit in den beiden letzten Kapiteln, die den „realen Humanismus" und die „Anthropologie" MARxens zum Thema haben. Die Darstellung setzt ein mit MARxens Aufsatz in der Rheinischen Zeitung Debatten über das Holzdiebstahlgesetz, in dem er noch im Namen eines dem Hegelschen Begriff der konkreten Sittlichkeit gerecht werdenden Staatsbegriffs dessen Degradierung zum Handlanger partikularer (Eigentümer-) Interessen anprangert. Das Proletariat erscheint hier noch nicht als mögliches Subjekt der Veränderung, sondern lediglich als Objekt sittlich gebotener Fürsorge und rechtlichen Denkens. Von hier geht es weiter zur Kritik an der vorherrschenden Gesinnung des egoistischen Privateigentümers überhaupt, in der sich MARX noch mit FEUERBACH eins weiß, nur daß dieser (in gewisser Weise noch in der Nachfolge Hegels und der Aufklärung) jene neuen Menschen glaubt durch Erziehung erzeugen zu können, während MARX die Verwandlung der Menschen und der Sozialstruktur zu einem sich dialektisch wechselseitig bedingenden Akt macht. BOCKMüHL betont, daß es MARX vor allem darauf ankomme, den individuellen Menschen zu ändern und spricht in diesem Zusammenhang sogar von „individueller Praxis" (166), womit m. E. das Zitat aus der Judenfrage nicht richtig interpretiert wird. Dieses Zitat heißt vollständig (B. verkürzt es, ohne die Kürzung deutlich zu machen!): „Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, (erst wenn der Mensch seine ,forces propres' als gesellschaftliche

!’ Differenz der demokritischen und epikureisdien Philosophie nebst einem Anhang. Nicht geciruckt, Jena 1841.

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Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt,) erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht."*8 Gewiß geht es darum, daß jeder einzelne individuelle Mensch „Gattungswesen" wird, sich von seinem partikularen, bornierten, egoistischen Wesen befreit, aber diese Umwandlung vollzieht sich gerade nicht durch „individuelle Praxis", sondern durch eine gemeinsame (nur gemeinsam überhaupt denkbare) Aktion. Der eingeklammerte, von BOCKMüHL weggelassene, Teil des Zitates gibt darüber deutlidien Aufschluß. „Der Mensch", von dem hier geredet wird, ist nicht mehr ein Einzelner, sondern ein elliptischer Ausdrude für die assoziierte Menschheit, die allein imstande sein kann, die „forces propres" eines jeden zu organisieren und sich unterzuordnen, während sie ihr - d. h. allen Einzelnen, Isolierten - bislang in politischer Gestalt als Staat fremd und feindlich gegenüberstanden. Würde man der Deutung BOCKMüHLS folgen, dann hätte MARX hier nichts anderes gesagt als der von ihm wenig später so herb kritisierte (gleichzeitig schreibende) Max STIRNER. In seiner Methode der Hegelkritik erweist sich nach BOCKMüHL MARX als abhängig von FEUERBACH. Dessen „Widerlegungsschema" besteht bekanntlich in der Wiederherstellung des in der spekulativen Philosophie angeblich „auf den Kopf gestellten" Verhältnisses von Subjekt und Prädikat. Zu solcher Umkehr aber habe namentlich ScHELLiNG selbst die Hand geboten, indem er seinem Denken in zweideutigen Formeln ihren höchsten Ausdruck gab! „Das Absolute ist die Natur" z. B. sei ein Satz, den man bereits rein grammatikalisch auch im Sinne FEUERBACHS begreifen könne: Subjekt und Prädikatsnomen sind vertauschbar. Dieses Verfahren hat FEUERBACH lange vor den „vorläufigen Thesen", in denen es an Hegel versucht wird, auf SCHELLING angewandt. „Die Voraussetzung für diese Umkehrung ist die Ambivalenz der Gleichungen, die der Identitätsphilosophie zugrunde liegen. FEUERBACH zerstört die Grundlage der Identitätsphilosophie. Er tut das, indem er die Kopula dieser Sätze betont. Er schenkt der Identitätsphilosophie den Glauben, daß es sich bei ihr, wenn sie so abgekürzt redet, tatsächlich nur um Seinsweisen eines einzigen Subjekts handle, um ein Verhältnis von Subjekt und Prädikat... und nicht um die Beziehung des Subjekts zum Objekt, zum selbständigen Objekt, eine Beziehung, die ein normales verbum finitum verlangt." (171) Wo immer von Objekten geredet wird, muß daher FEUERBACH zunächst nachweisen, daß es sich dabei nur um „Schein-Objekte" handelt: „Hegel hat die Objekte nur gedacht als Prädikate des... Gedankens." Die Umkehrung der Bedeutung des ScHELLiNGschen Satzes „Das Absolute ist die Natur" erfolgt mit Hilfe des Arguments, daß „absolut" keinen neuen Tatbestand konstituiert. In den Thesen entscheidet dann die sinnliche Anschauung als das „sonnenklare, unmittelbare Gewisse" darüber, welches der beiden Worte Nomen und welches Prädikat ist (ebd.). Endlich erscheint das Prädikat „absolut", da es keine neue Bestimmung beibringt, als entbehrlich: „Das Subjekt ist mit sich selbst identisch, das Prädikat kann wegfallen." (172) Die von MARX übernommene pEUERBACHsche Hegelkritik beruht nach BOCKMüHL auf dem „Trick, daß Hegel als reiner Identitätsphilosoph gefaßt wird" (174). Nur dadurch, daß er den Unterschied zwischen der „dialektisch vermittelten Identität" Hegels und der unmittelbaren Identität SCHELLINGS übersehe, habe FEUERBACH sich die Möglichkeit verschafft, auf Hegel das an SCHELLING gewonnene Schema der Umkehr von Subjekt und Prädikat zu übertragen. Wie bei FEUERBACH die Analyse des

18 MEGA. Abt. 1, Bd 1. 571.

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Christentums und der Hegelschen Philosophie, so glichen sich auch die „Therapie", die er an SCHELLING und Hegel durchführe. „Dialektik kann FEUERBACH nur als dialektische Identität (SCHELLING) und diese nur als ,Tautologie', ,Sophisma', den ,verschrobenen Ausdruck' jener einfachen Identität begreifen, die er selbst vorträgt." (174, Anm. 41)*9 Die Differenz von SCHELLING und Hegel führt BOCKMüHL letztlich auf unterschiedliche theologische Konzeptionen zurück: Während für Hegel Christus nicht nur Prädikat, sondern durch die Schöpfung wirkliches Objekt geworden sei, gebe es für SCHELLING im Grunde nur „den Verkehr Gottes mit sich selbst". Hegels eigentliche Kategorie sei daher auch nicht die der Identität, sondern die der Versöhnung (Vereinigung der getrennt sich Gegenüberstehenden durch ein Drittes) .2» Auch wenn in diesem Zusammenhang die ScHELLiNGauffassung BOCKMüHLS ZU korrigieren wäre, hat er sicher insofern recht, als die pEUERBACHSche und die von ihm z. T. abhängige MARXsche Konzeption der dialektischen Identität Hegel gegenüber verfehlt ist. Der Satz FEUERBACHS, Hegel habe „die Objekte nur gedacht als Prädikate des sich selbst denkenden Gedankens", ist der Schlüssel zur Aufdeckung jenes „Tricks", der den „Ernst der Negativität", die Realität der Differenz, kurz den Realitätsgehalt der Hegelschen Dialektik escamotiert. Das gründliche Studium der Hegelschen Werke durch MARX führte dann immer wieder zu der verwunderten Erkenntnis, daß sie hier und da höchst anschauliche und gegenständlich-konkrete Momente enthielten. MARX habe FEUERBACH völlig zu Recht einen „umgekehrten SCHELLING" genannt, sei ihm dann aber im Prinzip seiner Hegelkritik weithin gefolgt. Diese Kritik verfehle daher nur dort ihren Gegenstand nicht, wo Hegel wie z. B. in seiner Rechtsphilosophie selbst von der Höhe der eignen Einsicht zur bloßen Identitätsphilosophie zurückfalle (186). Im ganzen erscheint jedoch BOCKMüHL die „Kritik MARxens an Hegel als unzulänglich, weil sie auf der Kritik FEUERBACHS an der reinen Identitätsphilosophie beruht" (193). Damit sei er auch genötigt gewesen, die „Arbeit" bei Hegel als „abstrakt geistige" zu verstehen selbst dort, wo ganz offensichtlich von der die Natur umgestaltenden Tätigkeit (in der Phänomenologie des Geistes) die Rede war. „Die Umkehrung Hegels ist... für MARX nur da möglich, wo Hegel der Identitätsphilosophie und der Scheindialektik zuneigt [etwa in der Ableitung der Vermittlerrolle der Ständeversammlung oder der Souveränität des Monarchen], wo er in der Durchführung seines Systems in das SubjektPrädikatsverhältnis seiner eigenen romantischen Jugendphilosophie zurückfällt." (197) Der Gedanke, daß die sich durch die Jahrzehnte hinziehenden Mißdeutungen Hegels durch „orthodoxe" Marxisten letztlich in FEUERBACHS schiefer Hegelkritik ihre Wurzel haben, erscheint mir außerordentlich fruchtbar und sollte im Detail verifiziert werden. Durch BOCKMüHLS Interpretation wird die gesamte MARxliteratur um einen wesentlichen neuen Gesichtspunkt bereichert. Das ScHELLiNG-pEUERBACHsche Schema

*9 Im Zusammenhang mit dieser verkürzten, auf den vorhegelschen Schelling reduzierten, Hegelauffassung Feuerbachs spielt auch dessen Betonung der Rolle Spinozas als Vorläufer der spekulativen Philosophie des deutschen Idealismus eine wichtige Rolle. Die Marxisten sind ihm darin bis in die Gegenwart hinein gefolgt. Vgl. Thalheimer-Deborin: Spinozas Stellung in der Vorgeschichte des dialektischen Materialismus. Wien u. Berlin 1928. (Marxistische Bibliothek. Bd 13.) 99 Sorgfältiger Detailanalyse würde vermutlich der Nachweis nicht schwer fallen, daß es bei Marx sowohl ein Analogon zur Hegelschen Versöhnung als auch zur Feuerbachschen „Subjekt-Prädikat" Relation und zu einer auf unmittelbares „Einssein" hinauslaufenden undialektisch gefaßten Identität gibt.

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der „Identität" von Subjekt und Prädikat erscheint hier auch als Schlüssel zum Verständnis der Beziehung zwischen assoziierten Produzenten und von ihnen produzierter Gesellschaft in der klassenlosen Zukunftsgesellschaft von MARX (203, Anm. 107). Gegenüber diesem neuen Gesichtspunkt bei BOCKMüHL erscheinen die beiden anderen Arbeiten als relativ „traditionell". DICKE gewinnt zwar durch die gleichzeitige Beziehung von MARX auf FEUERBACH und Hegel mehr Plastizität als viele ähnliche Darstellungen, aber obgleich auch er eine gewisse Verkürzung in der MARXschen Hegelauffassung feststellt, ist für ihn die Verwandtschaft letztlich entscheidend. FEUERBACH und MARX werden als Vollender der Philosophie des deutschen Idealismus und als - vielleicht ungewollte - Wegbereiter „der heute im Kommunismus praktizierten Unterdrückung des Eiiuelmenschen im angeblichen Interesse des Kollektivs" (205) hingestellt. Während BOCKMüHL Hegel im betonten Unterschied zu ScHELLiNG bescheinigt, daß er kein Pantheist sei, konstatiert DICKE den Verlust der „wirklichen Transzendenz" bereits bei Hegel, so daß sich die „Umkehrung" bei FEUERBACH und MARX als eine jedenfalls mögliche Konsequenz ergibt. FEUERBACHS gesellschaftliche Menschheit und MARXENS klassenlose Gesellschaft erscheinen als „Weiterentwicklung keimhaft" im deutschen Idealismus angelegter „Ansätze" (ebd.). Wo BOCKMüHL die Distinktionen zu vertiefen versucht, riskiert DICKE, sie zu verwischen. Die Arbeit von FRIEDRICH erscheint mir am wenigsten „kontrovers". Sie gibt eine gute, gründliche Zusammenfassung des Standes der zeitgenössischen MARxforschung, wobei sie über die im Westen allzu einseitig herausgestellten Pariser Manuskripte (1844) hinaus auch die Deutsche Ideologie (1846) interpretiert. Der Zusammenhang des philosophisch-anthropologischen Ausgangspunktes mit der „Kritik der politischen Ökonomie" wird deutlich herausgearbeitet, der radikale Bruch mit aller Philosophie betont, der „historische Materialismus" in seiner tiefsten von MARX selbst herrührenden Intention verstanden. Pate gestanden haben vor allem die Arbeiten von H. MARCUSE, E. LEWALTER, E. BLOCH, K. LöWITH, H. POPITZ, J. HABERMAS. Jeder Gedankenschritt wird gründlich belegt und exakt geprüft. Durch ein ausführliches Eingehen auf die jeweiligen historischen Umstände gewinnt zwar die Darstellung an Anschaulichkeit, aber zumeist halten diese Ausführungen, die heute für viele Bekanntes wiederholen, den Fortschritt des Gedankengangs nur auf. Dieser zielt auf das Verständnis der „umfassenden Theorie der gesellschaftlichen Praxis, die sich selbst als ein Moment in der von ihr reflektierten Praxis begreift" (26), d. h. auf MARxens „Kritik der politischen Ökonomie", die vom Proletariat angeeignet zur Aufhebung der bürgerlichen Ökonomie führen muß. Auch FRIEDRICH verteidigt - wie BOCKMüHL - Hegel gegen die MARXsche Kritik, aber während er für die merkwürdige Tatsache, daß MARxens Kritik der Rechtsphilosophie gerade jene realitätsgesättigten §§ 242 ff ausläßt und erst mit §§ 261 ff beginnt, keine plausible Erklärung hat, würde sich von BOCKMüHL her dieser Umstand leicht insofern verstehen lassen, als MARX auf die genannten Paragraphen die von FEUERBACH übernommene Methode nicht hätte anwenden können und sie daher umgehen mußte. Nicht ganz überzeugend ist FRIEDRICHS These, MARX „interpretiere, was er Hegel gerade vorwerfe, eine vorgefaßte logische Idee in die gesellschaftlichen Erscheinungen hinein" (65). Die Methode der MARxschen Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie ist aber - wenigstens an den von FRIEDRICH herangezogenen Stellen - eine Konfrontation dessen, was in ihr selbst als Begriff des sittlichen Gemeinwesens angesetzt wird, mit den von Hegel als angeblichen Verwirklichungen des freien sittlichen Gemeinwesens in seinen verschiedenen Momenten angegebenen Erscheinungen. Es ist kein von außen herbeigebrachtes „metaphysisches

25 Hegel

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Ideal", sondern die die Hegelsdie Staatsphilosophie selbst leitende Sinnintention, welche als immanenter Maßstab seiner Kritik angenommen wird. Im übrigen ist freilich für MARX diese Inkonsequenz Hegels nur eine Spiegelung der notwendigen Inkonsequenz der bürgerlich beschränkten Demokratie selbst. FRIEDRICH belegt seine Deutung durch den Satz aus der Kritik des Hegelsdien Staatsredits: „Hegel ist nicht zu tadeln, weil er das Wesen des modernen Staates schildert, wie es ist, sondern weil er das, was ist, für das Wesen des Staates ausglbt."2i Hier, meint FRIEDRICH, enthülle sich der „spätere Materialist MARX als ein Denker, dessen Idealismus noch den Hegels weit übertrifft" (67 f). Dabei hätten schon der nächste Satz bei MARX die erwünschte Aufklärung vermittelt: „Daß das Vernünftige wirklich ist, beweist sich eben im Widerspruch der unvernünftigen Wirklichkeit, die an allen Ecken das Gegenteil von dem ist, was sie aussagt, und das Gegenteil von dem aussagt, was sie ist." Das heißt, daß man die Wirklichkeit nicht am Maßstab präkonzipierter absoluter Ideen messen, sondern den Selbstwiderspruch zwischen dem Seienden (Werdenden) und seiner Selbstaussage bewußt machen soll. Der moderne bürgerlich-demokratische Staat ist genötigt, sich als vernünftige Herrschaft des Allgemeinen zu deklarieren, und doch außerstande, diesem seinem Begriffe gemäß sich zu verwirklichen, das Allgemeine anders als bloß formell zu Worte kommen zu lassen. Gewiß, dieser Widerspruch könnte auch dadurch gelöst werden, daß auf den Begriff des demokratischen Gemeinwesens überhaupt Verzicht getan und die Minderheitsherrschaft offen auf den Thron erhoben würde, aber dieser offene Zynismus wäre schon deshalb unrealistisch, weil die Völker, welche einmal von der Frucht der demokratischen Freiheit gekostet haben, nicht mehr ohne weiteres auf diese Speise verzichten. Bleibt also nur noch der andere Weg zur Beseitigung des Gegensatzes der Wirklichkeit zu „ihrem Begriff" übrig: die Anpassung der unvernünftigen Wirklichkeit an ihren vernünftigen Begriff, die Vollendung des repräsentativen Ständestaates zum demokratischen Gemeinwesen. Das ist gewiß hegelisch gedacht, aber ich vermag darin keinen „über Hegel hinausgehenden Idealismus" zu finden. Gewiß ist der Weg von hier zum „historischen Materialismus", der nicht von dem ausgeht, was die Menschen sagen, sondern von dem, was sie tun, weit; aber zunächst einmal mußte der Widerspruch zwischen Selbstaussage und Wirklichkeit, den Hegel durch eine Kette von undialektischen Identifikationen verdeckt hatte, wieder aufgewiesen werden, ehe es möglich wurde, ihn aus einem Widerspruch in der sozialen Wirklichkeit selbst abzuleiten. Die Arbeit FRIEDRICHS läuft in einer Kritik am Marxismus aus, die besonders auf den empirisch unbegründeten Totalitätsanspruch der proletarischen Revolution sich gründet. Iring Fetscher (Tübingen)

21 Marx, Engels; Werke. Bd 1. Berlin 1957. 266.

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KURZREFERATE UND SELBST ANZEIGEN

Richard Kroner: Von Kant bis Hegel. 2. Aufl. Zwei Bände in einem Band. Tübingen: Mohr (Siebeck) 1961. XXV, 612, XI, 526 S. Unter den vielen mehr oder weniger berechtigten Neuauflagen von Büchern der vergangenen Jahrzehnte, die heute dank des fotomechanischen Druckverfahrens angeboten werden, zählt diese gewiß zu den wichtigen und besonders begrüßenswerten. Die beiden 1921-24 erschienenen Bände waren seit dem Kriege in den Bibliotheken ebenso schwer greifbar wie auf dem Antiquariatsmarkt. Die Neuausgabe faßt sie handlich zu einem Bande zusammen. Es erübrigt sich, auf dieses KRONERSche Werk und seine Bedeutung im Rahmen der Hegelforschung des 20. Jahrhunderts, auf die von ihm ausgegangenen Anregungen für die Philosophiegeschlchtsschreibimg und auf die Einwände, die seine Grundthese im weiteren Fortschreiten der Erforschung des deutschen Idealismus gefunden hat, hier nochmals näher einzugehen. Hingewiesen sei darauf, daß es kurz vor dem Wiedererscheinen neuerlich zum Gegenstand thematischer Auseinandersetzung gemacht worden war (W. FLACH: Kroner und der Weg von Kant bis Hegel. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 1958; dazu KRONERS Diskussionsbeitrag Zur Problematik der Hegelsdien Dialektik, ln diesem Bande S. 303 ff). Der Neuausgabe seines Buches stellt KRONER den Schlußteil des Aufsatzes voran, den er unter dem Titel Hegel heute in Band 1 (1961) der Hegel-Studien veröffentlicht hatte (vgl. dort 149 ff). KRONER sagt, er sei heute noch der Überzeugung, „daß die Entwicklung von KANT bis Hegel einer inneren, sachlichen, logischen Notwendigkeit folgte" und daß die Hegelsche Metaphysik „den Schlußstein aller abendländischen Bemühung um die Erkenntnis des Absoluten" bilde. Andererseits betont KRONER, daß „von jeher die Art, wie Hegel das Verhältnis von Religion und Metaphysik begreift", für ihn unannehmbar gewesen sei. Zur Begründung dieser seiner kritischen Distanzierung, die hier leider nur in wenigen knappen Sätzen ausgesprochen wird, verweist KRONER auf seine neueren, ln englischer Sprache erschienenen religionsphilosophischen Schriften (vgl. dazu auch diesen Band S. 410). F. N.

C. A. van den Berg van Eysinga: Hegel. Bewerkt door Henri A. Ett. 2. druk. Den Haag: Kruseman o. J. [I960]. 158 S. (Helden van den geest. 3.) Die jetzt als Taschenbuch vorliegende Untersuchung erschien erstmals 1931. Der Hrsg, hat den Text im ganzen durchgesehen und die Überschrift des letzten Kapitels gegenüber der alten Buchausgabe umgeändert. Der Verf. entwirft eine Lebensgeschichte Hegels und gibt in großen Zügen eine Übersicht über Hegels Werke und sein Verhältnis zu vorausgegangenen und zeitgenössischen Denkern. Ursprünglich als Hinführung zu Hegels Werk gedacht, kann das Buch diesen Zweck heute nur mit Einschränkungen erfüllen, da die teilweise zu stark in den Vordergrund tretenden politischen und philosophiegeschichtlichen Ansichten des Verf. heute nur noch unter dem

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historischen Aspekt der Auseinandersetzung um Hegels Philosophie in den Niederlanden, insbesondere im Streit mit BOLLAND, interessant sind. Abgesehen von diesem Einwand ist die Neuauflage des Buches zu begrüßen, da sie Gelegenheit bietet, die holländischen Bemühungen um die Aneignung Hegels zu studieren. K. W.

T. I. Oiserman: Die Philosophie Hegels. (Aus dem Russischen übers, v. U. Kuhirt.) Berlin: Dietz 1959. 64 S. O., Inhaber des Lehrstuhls für ausländische Philosophie an der Moskauer Universität, scheidet streng zwischen dem konservativen System und der fortschrittlichen Methode Hegels (47). Doch enthält auch das System fortschrittliche Ideen (46), wie überhaupt Hegel nicht als Exponent des Feudalismus zu gelten hat; er hat vielmehr zur Vorbereitung der deutschen bürgerlichen Revolution beigetragen (14), weil er im rückständigen Deutschland seiner Zeit die englischen und französischen Errungenschaften eingeführt hat (16). Andererseits ist bei der Dialektik Hegels der ,rationelle Kern' aus der ,mystischen Hülle' des Idealismus zu schälen (55), was O. recht geschickt an der Logik vorführt (23-39). Ein Schlußkapitel behandelt den dekadenten Abfall der bürgerlichen Philosophien vom Vernunftdenken Hegels (57 ff), dessen wirklicher Erbe der Dialektische und Historische Materialismus sei (64). Jörg Splett (Köln)

P. Touilleux: Introduction aux systemes de Marx et Hegel. Tournai; Desclee 1960. 184 S. Dieses kleine Buch hat nur eine winzige Bedeutung, sei es innerhalb der Hegelund MARX-Literatur, sei es innerhalb der gegenwärtigen philosophischen Problematik. Die Untersuchung besteht aus drei gleichmäßigen Abschiütten: Hegel, FEUERBACH, MARX, deren jeder in drei Kapitel aufgeteilt ist: kurze Lebensbeschreibung, das Denken von ..., Anmerkungen zur Philosophie ... Wollen wir TOUILLEUX'S Darstellungen ganz und gar begreifen, so müssen wir die nicht-philosophische Zusammenfassung (163 ff) durchlesen, die „Forces et faiblesses du marxlsme" und „Pastorale et marxisme" betitelt worden ist. Als nicht-philosophisch bezeichne ich die Zusammenfassung, weil der Verfasser sich hier um Politik, um „Pastorale", d. h. Seelsorge ln Wirklichkeit kümmert. Lesen wir ein paar Zeilen daraus: „La force prlncipale du marxisme vient de ce qu'il est l'ideologie d'une classe montante" (163); „Hegel et MARX. MARX surtout, ont interprete les ideaux de cette classe montante parce qu'il sont eux-memes l'incarnation . . . Cet ideal de classe eclate dans le but que Hegel assigne ä l'homme" (165). Ganz präzis, fast epigraphisch, Hegel vom Standpunkt des Herrn LA PALICE aus gesehen. Nun das Wichtigste: „On comprend que, si dans son fond le marxisme est la dictature de l'lntelligentia, le communisme reussisse historiquement dans les pays sousdeveloppes, oü une intelligentia se developpe en prenant appui sur l'etranger, dans un desert sociologique oü rien ne peut lul faire contrepoids"; auf der andern Seite aber: „En face du fait marxiste, il semble qu'il faille tenir compte simultanement

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de la doctrine qui a son pouvoir de seduction propre, de la reaction passionnee declenchee par l'injustice sociale et par la frustration qui en resulte, de la contagion sociologique d'un grand mouvement mondial..." (173); so daß der Verfasser am Ende bestätigen kann: „Critiquement menee, l'etude des systemes de MARX et Hegel est plus profitable que dangereuse. Si ä l'etat virulent, cette culture peut provoquer l'infection, attenue par une serieuse critique, eile vaccine" (177) - selbstverständlich die Kritik von TOUILLEUX. Um diese Ziele zu erreichen, um die Hegelschen und FEUERBACHschen Gesichtspunkte abzuhandeln, die die von MARX vorbereiten (9), betrachtet der Verfasser nicht die Systeme im allgemeinen, sondern lediglich die Anthropologie, die Dialektik und die Religion, d. h. der Reihe nach den Begriff des Menschen und der Realität und die Gotteslehre im Denken dieser Philosophen. Soweit die Argumentations-Kette, der kein wichtiges Resultat folgt - nur sozusagen „opiniones receptae". Zum Beispiel: „C'est encore la pauvrete du point du depart [!] qui rend difficilement comprehensible la dialectique de Hegel, meme dans son sens restreint, oü cependant eile paraJt largement acceptable" (47); die Dialektik stricto sensu wäre also die in der Phänomenologie des Geistes aufgestellte Dialektik des menschlichen Tuns (29 ff), im Gegensatz dazu bezieht sich die „verallgemeinerte" Dialektik auf die Realität, auf die Wirklichkeit, wo sie sich in Identität, Negation, Synthese ausbildet (34-35). Hiernach bleibt es noch, nach dem Sinn der Dialektik, nach der Dialektik selbst zu fragen. Noch ein Beispiel - ohne weitere Bemerkungen: „Pour MARX, le rapport de l'homme ä la femme est un rapport de nature entre deux etres de besoins intentionellement tournes l'un vers l'autre, et sa conception de la famille s'en tient lä. On pourrait souligner la pauvrete de l'analyse qui reduit tout au biologique [!]." (141) Was nun? Die Untersuchung ist für den Philosophen und Historiker nicht von Interesse. Vielleicht zielt das Buch auf das Wohlverhalten, auf die Seelsorge, es kann sein, doch wissen wir nicht, ob es heute noch lohnt, sich zu diesem Zweck mit Hegel und MARX auseinanderzusetzen. Die Zeit, meinen wir, ist vorüber. Livio Sichirollo (Urbino)

Robert Heiß: Die Dialektik bei Hegel und Marx. Bremen: AngelsachsenVerl. 1961. 24 S. Die Broschüre gibt einen Vortrag wieder, der 1960 in Bremen gehalten wurde. Ausgehend von der „einfachen Definition", in Hegels Händen sei „die dialektische Methode das Werkzeug, die Welt zu begreifen”, fragt der Verfasser, woher die Dialektik von MARX komme, und ob er wirklich die Hegelsche Methode nur umgedreht habe. Er versucht, die Antwort auf dem Wege über eine Schilderung Hegels zu geben. Hinter dem loyalen „Bürger" Hegel verberge sich eine dämonische Persönlichkeit, die die dunklen Seiten der Welt sehe. Unter den Schülern Hegels aber sei MARX der einzige, „der die andere, die dunkle Welt Hegels und den dämonischen Hegel erfaßt" habe. MARX habe Hegels Dialektik nicht einfach „umgestülpt", sondern ausgemünzt und umgemünzt und ins Revolutionäre gewendet. „Aus einer Beschreibung, die Hegel gibt, macht er eine Anklage, als Richter stellt er den Schuldigen fest und nennt die Strafe."

O. P.

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Idee und Wirklichkeit einer Universität. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. In Zusammenarbeit mit W. Müller-Lauter u. M. Theunissen hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Mit 8 Bildtafeln. Berlin: De Gruyter 1960. XXXIV, 540 S. Diese ausgezeichnete Dokumentensammlung bildet den ersten Band eines zweibändigen Gedenkwerkes zur 150-Jahrfeier der Universität Berlin. Da neben der Wiedergabe der Denkschriften und Gutachten zu der geplanten Neugründung aus dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts (J. J. ENGEI, SCHMALZ, HUFELAND, FICHTE, SCHLEIERMACHER, HUMBOLDT) die „Anfänge" (bis ca. 1840) besonders ausführlich belegt sind, ersteht in diesem Bande ein lebendiges Bild der Universität Hegels. Das Hegel selbst gewidmete Kapitel (299-336) steht unter dem Motto der Worte aus seiner berühmten Antrittsrede von 1818: „... auf hiesiger Universität, der Universität des Mittelpunktes, muß auch der Mittelpunkt aller Geistesbildung und aller Wissenschaft und Wahrheit, die Philosophie, ihre Stelle und vorzügliche Pflege finden." Die Dokumente dieses Abschnitts beginnen mit dem Schreiben des Senats von 1816 an das Ministerium, in dem für den Lehrstuhl der spekulativen Philosophie an oberster Stelle (vor SCHELLING) Hegel vorgeschlagen wird. „Da nicht zu verkennen ist, daß das alte Gebäude der Wissenschaft, namentlich die bisherige Logik, ganz erschüttert und in sich zusammengesunken, daraus aber ein Zustand der Gärung und Verwirrung hervorgegangen ist, so wird ein Philosoph, der ein ganz neues gediegenes System des Wissens aufgeführt hat, wie Herr Hegel, auf die Erregung und Ausbildung des echten wissenschaftlichen Denkens unserer studierenden Jugend sehr vorteilhaft wirken können. Diese Vorzüge sind so überwiegend, daß man ihretwegen über manches andere hinwegsehen muß." Es folgen die Berufungsschreiben und Hegels diesbezügliche Korrespondenz, dann die erwähnte Antrittsrede und eine Reihe interessanter Zeugnisse von Kollegen und Schülern, von Freunden und Gegnern, aus denen Hegels Wirksamkeit in Berlin sichtbar wird. Auszüge aus GANS' Bericht über die Gründung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, aus Hegels Rede bei Abgabe des Rektorats (1830) und den Schilderungen von Henrik STEFFENS über die Universität zu Beginn der dreißiger Jahre runden das Bild. „Hegels Berufung auf den Lehrstuhl FICHTES", SO sagt der Herausgeber in seiner Einleitung, „ist nicht nur für die Berliner Universität, sondern auch im Gesamtzusammenhang der deutschen Geistesgeschichte von hoher Bedeutung"; sein Tod im Jahre 1831 „beendet eine Epoche an der Berliner Universität". Auch'der zweite Band der Gedenkschrift, der unter dem Titel Studium Berolinense steht, enthält einen Beitrag über Hegels von Berlin ausgehende Wirkung - Ulrich SCHEUNER: Hegel und die deutsche Staatslehre des 19. und 20. Jahrhunderts (vgl. das Referat in diesem Band S. 419 f). F. N.

Hegel-Jahrbuch 1961. Hrsg, von Wilhelm R. Beyer im Auftrag der HegelGesellschaft e. V. Halbbd 1. 2. München; Dobbeck 1961. 127, 132 S. Der erste Halbband dieses Jahrbuches bringt fünf Vorträge, die 1960 auf einem Kongreß der Hegel-Gesellschaft in Wien gehalten wurden. Der Vortrag von M. Rossi

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(Messina): Drei Momente der Hegelsdien Dialektik: Ihre Entstehung, ihre Formulierung, ihre Auflösung (11-23), ist auch auf italienisch erschienen, der Vortrag von P. G. FESSARD (Paris): Attitüde ambivalente de Hegel en face de Vhistoire (25-60) auch in der französischen Zeitsdirift Ardiives de Philosophie: s. die Referate in diesem Band S. 419 u. 404 f. C. J. GULIAN (Bukarest) entwickelt unter dem Thema Les idees de Hegel sur le sens de Vhistoire et ses lois (61-72), daß H. zwar noch keine wissenschaftliche Analyse des Ganges der Geschichte habe geben können (dafür habe es des dialektischen Materialismus bedurft) und manchen Fehldeutungen und Kompromissen verfallen sei, daß ihm aber doch das historische Verdienst bleibe, auf den Sinn in der Geschichte und die Gesetze der Geschichte hingewiesen zu haben. I. DUBSKY (Prag) geht in seinen Bemerkungen zum Problem der Zeit bei Hegel und Heidegger (73-84) davon aus, daß HEIDEGGER in Sein und Zeit H.s Zeitauffassung ln die Zeitauffassung der Metaphysik überhaupt verrechnet, um diese im ganzen in Frage zu stellen. Parallel zu diesem Versuch einer Destruktion der westlichen Metaphysik laufe die Destruktion der euklidischen Geometrie und der NEwroNschen Physik in der modernen Geometrie und Physik. Doch erkenne HEIDEGGER diese Parallelität nicht an; nach seiner Auffassung denke die Wissenschaft nicht. DUBSKY fragt, ob nicht H.s Denken den Leitfaden abgebe für den Versuch, die Trennung zwischen dem „humanistischen" Denken (wie HEIDEGGER es versuche) und den Wissenschaften zu überwinden. W. R. BEYER behandelt in seinem Vortrag Hegel in Österreich (85-115) H.s Wiener Aufenthalt von 1824, den Kampf der Oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung gegen H.i, GRILLPARZERS H.bild und das wesentlich negative Bild, das Austromarxismus und Wiener Kreis von H. hatten (ausführlich wird die Polemik als falsch zurückgewiesen, die POPPER gegen H. gerichtet hat). Der zweite Halbband bringt drei weitere Wiener Vorträge. A. MASsoLo/Pisa (Das Problem der Geschichte beim jungen Hegel, 9-19) tritt der Auffassung entgegen, H. sei in seinen Frankfurter Aufzeichnungen ein Mystiker. Diese Niederschriften zeigten vielmehr die Geburt der H.schen Philosophie. H.s Ausgangspunkt sei nicht der Anschluß an ein philosophisches System oder der Kampf gegen es, sondern das Begreifen der revolutionären Wirklichkeit der Zeit. „Die Genesis der eigenen Philosophie ist bei H. die Entdeckung, daß die philosophischen Systeme in Wahrheit nichts anderes sind als der begriffliche Ausdruck einer geschichtlichen Wirklichkeit." In seiner KANxkritik zeige H., „wie situationsbedingte Bedürfnisse einer Zeit als bedingungslose Bedürfnisse der Vernunft hingestellt werden" (12 f).

* Beyer macht einige interessante Bemerkungen über das Verhältnis zwischen H. und dieser Literaturzeitung. U. a. verweist er darauf, daß dort 1807 eine Rezension der Phänomenologie des Geistes erschien: „Wir haben den einwandfreien Nachweis gefunden, daß die ,Phänomenologie' noch im Jahre ihres Erscheinens ganz eingehend in einem zuständigen Fachblatt besprochen, also beachtet worden war." (92) Dieses Finderglücks hätte es freilich nicht bedurft, denn H. selbst nimmt in einem Brief an Niethammer auf diese Rezension Bezug, und von daher kennt denn auch der HegelLeser diese Besprechung. Wenn Beyer überdies behauptet, diese Rezension sei dem H.herausgeber Hoffmeister ganz entgangen, so stimmt das nicht, denn Hoffmeister hat in den Anmerkungen zu dem genannten Brief diese „ätzende Rezension" genau nachgewiesen (vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. 185, 475 f).

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H. ZELENv/Prag (Hegels Logik und die Integrationstendenzen in der gegenwärtigen Grundlagenforschung, 20-33) versucht einen Kontakt herzustellen zwischen dem unidealistisch interpretierten H.schen Denken und den Integrationsbestrebungen in der mathematischen Grundlagenforschung (BERNAYS, GONSETH, BETH) sowie den Versuchen der allgemeinen Systemtheorie, Begriffe einzuführen, die der klassischen Physik fremd sind. „Da H. die empirische und materialistische Wissenschaftlichkeit der klassischen Physik geringschätzte - was mit seinem heute toten absolut-idealistischen Standpunkt zusammenhängt - ist in seiner allgemeinen Systemtheorie die Erforschung derjenigen Systeme unberechtigt verdrängt, die einzelne auf LEIBNIZ zurückgreifende Logiker und folgend die ganze symbolische Logik in ihren Entwicklungsphasen um 1900 glänzend ausgearbeitet hatten. Dafür enthält H.s Logik lebendige Ideen zur Erforschung derjenigen Typen von Systemen, die jetzt in das Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit geraten sind." (27) P. SANDOR/Budapest (Der Einfluß Hegels auf die ungarische Philosophie, 34-38) gibt einen kurzen Überblick über die Wirkung, die H. in Ungarn ausübte, die freilich nicht groß war und in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückging. „Ein grundlegender Umschwung trat erst nach der Befreiung Ungarns 1945 ein. Die Akademie der Wissenschaften gibt der Reihe nach H.s Werke in ungarischer Sprache heraus (die Ästhetik, die Wissenschaft der Logik, die Geschichte der Philosophie usw.). An den Universitäten und Hochschulen steht die H.sche Philosophie im Zentrum des Interesses und des Unterrichts. Natürlich sind wir nicht ,Hegelianer', sondern Marxisten-Leninisten. Aber wir wissen, als gute, geschulte und schaffende Marxisten können wir ohne gründliche Kenntnis der gesamten H.schen Philosophie nicht arbeiten." (38) Außer diesen Kongreß-Referaten bringt der zweite Halbband noch drei weitere Arbeiten. G. SriEHLER/Berlin (Die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten bei Hegel und Marx, 39-51) sucht anhand einiger Beispiele seine These zu rechtfertigen, daß H.s geniale Ideen „in wissenschaftlicher Gestalt im Marxismus lebendig sind und heute wie in Zukunft dem philosophischen Denken wertvolle Impulse zu geben vermögen" (50). R. A .V. VAN HAERSOLTE/Wassenaar (Der liberale Hegelianer B. M. Telders, 52-60) berichtet über den niederländischen Juristen und Rechtsphilosophen, der 1945 in einem deutschen Konzentrationslager starb. „TELDERS hatte sein Leben gegeben im Kampfe für die Demokratie, und war doch ein Adept jenes Philosophen, dessen Name für viele mit dem Schreckensbild eines Staatsabsolutismus verbunden ist." (56) H. H. HoLz/Zürieh behandelt in einer umfangreichen Arbeit (Die Selbstinterpretation des Seins, formale Untersuchungen zu einer aufschließenden Metapher, 61-124) die Spiegelmetapher, kommt dabei allerdings nur kurz (111-113) auf H. zu sprechen. Unter der Rubrik „Aus Forschung und Lehre" bringt der erste Halbband einen Hinweis auf Hegel als Nürnberger Lokal-Schulrat und seine diesbezügliche amtliche Tätigkeit, der zweite den Abdruck eines Briefes von H. an NIETHAMMER V. 21. 4.1808 (Erstdruck: Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte. 27 [1958], 82-88; dazu: HegelStudien. 1 [1961], 354). O. P.

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Studies in Hegel. New Orleans: Tulane University 1960. 187 S. (Tulane Studies in Philosophy. Vol. 9.) The best of these essays is that on Hegel as Panentheist by R. C. WHITTEMORE. It displays a true understanding of HegeTs religion and theology. The author sees that Hegel is no atheist (as KOJ^VE has maintained) and no mystical humanist (as PEPERZAK has argued recently in a valuable study) but a deeply religious man who was one of the first of those now called Modernists. The other essays are not in the same dass. Mr BRINKLEY on Time in Hegel's Phenomenology seems to derive his work from English and French translations and not to be acquainted with, or not to understand, Hegel's German. Mr FEIBEEMAN on Hegel Revisited writes in a way reminiscent of Mr FINDLAY'S book on Hegel. The author seems to have had some initial attraction to Hegel and then under some other influence (probably PEIRCE in Mr FEIBLEMAN'S case) to have cast him aside; and now, finding Hegel (perhaps under existentialist influence) becoming almost respectable again, he looks once more into Hegel's works here and there and finds that after all and despite all his errors Hegel is a "giant" in philosophy. Unfortunately Mr FEIBEEMAN has revisited only the lobby; he has not examined the house from ground floor to attics. For example, he accuses Hegel, in the Philosophy of Nature, of ignoring scientific facts or setting them aside. He forgets that Hegel was most careful to say that the philosophy of nature had to rest on empirical Science as its condition; and this is why he can express surprise that Hegel did not accept an evolutionary doctrine in Science. He never seems to ask himself what prevented Hegel from doing so. The longest essay is that on Hegel’s Theory of Alienation and its Historie Force, by Mr M. FRANKEIN who is a professor of law. There is much here about SAVIGNY, MARX, and WEBER, but the language of the essay is nebulous and the reviewer has not been able to find his way through the clouds. The other essays are: Are There Infallible Explanations? by P. G. MORRISON; Substance, Subject and Dialectic, by A. J. RECK (which shows signs of being part of a useful book on the concept of substance); The Philosophy of Merleau-Ponty, by E. G. BAEEARD. Although these essays do not dig much below the surface, Hegelian students will welcome their publication as a sign that Hegelian studies are reviving in the United States. T. M. Knox (St. Andrews)

Hegel bei den Slaven. Hrsg, von Dmitrij Tschizewskij. 2., verb. Aufl. Homburg v. d. Höhe; Gentner 1961. 487 S. Diese zweite Ausgabe ist im wesentlichen ein fotomechanischer Nachdruck der ersten, die 1934 erschienen ist. Unverändert übernommen worden sind die Beiträge: „Die Polen und die Philosophie Hegels" (W. KüHNE), „Hegel in Rußland" (D. TSCHIZEWSKIJ), „Hegel bei den Cechen" (F. FAJFR), „Hegel bei den Jugoslaven" (K. ATANASIjEvic). ln P. TEECAROVS Beitrag „Hegel bei den Bulgaren" sind einige Kürzungen vor-

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genommen worden. Den Beitrag „Hegel bei den Slovaken" hat der Herausgeber neu geschrieben; in der ersten Ausgabe stammte er von A. PRAZAK. Am Schluß des Bandes (475-485) fügt der Herausgeber Nachträge zu den einzelnen Kapiteln an; sie bringen einige Ergänzungen, meistens Hinweise auf neuere Literatur. Im Vorwort zu dieser zweiten Ausgabe kann TSCHIZEWSKIJ feststellen; „Als ich die Vorbereitung der ersten Ausgabe dieses Werkes 1929 übernahm und den Sammelband im Jahre 1934 herausgab, hoffte ich, daß das Buch eine Reihe konkreter Untersuchungen von slavischen Philosophie- und Kulturhistorikem hervorrufen würde. Dies ist leider nicht geschehen... Die Hauptlinien unserer Darstellungen sind weder von einigen speziellen Arbeiten, auf die im Nachtrag zu dieser Ausgabe hingewiesen wird, noch von den wenigen Besprechungen oder einzelnen Darstellungen der Philosophiegeschichte bei den Slaven angezweifelt worden." O. P.

Schwäbische Kunde aus drei Jahrhunderten. Herausgegeben und erläutert von Emil Staiger. Tübingen: Wunderlich 1958. 383 S. Dieser Anthologie liegt der Gedanke zugrunde, „ein Buch herauszugeben, das weiten Kreisen eine Ahnung von der Fülle und Dichte des schwäbischen Geistes vermitteln würde". Hegel ist in der Auswahl vertreten mit einigen Abschnitten aus jenen frühen Fragmenten, denen H. NOHL den Titel „Der Geist des Christentums und sein Schicksal" gegeben hat: Taufe Christi, Maria Magdalena, Die Schönheit der Seele, Das Schicksal Jesu (dies die Überschriften des Herausgebers). Es ist von eigenem Reiz, diesen Texten inmitten von Stücken wiederzubegegnen, die alle auch „von Wert und Ehre deutscher Prosa zeugen" sollen (Geleitwort, S. 10). Hier bewährt sich eine Erfahrung, die dem Hegel-Leser - sogar von den späten Werken her - geläufig ist: daß Hegels Darstellung sich aus mühsam spröder Gedankenfügung immer wieder zu Partien von eigentümlich sprachgestalterischer Kraft und Schönheit erhebt. Im übrigen wird der an Hegel Interessierte sich die ganze Anthologie mit besonderem Gewinn zueignen: findet er doch hier den Philosophen, der „das Schwäbische" ln Wesensart und Denkform nie verleugnet hat, hineingestellt in eine ununterbrochene Folge großer Gestalten des Schwabentums. Die Reihe hebt an mit dem von Hegel so hochgeschätzten Johannes KEPLER, führt (mit Männern wie BENGEL, OETINGER, HöLDERLIN, ScHELLiNG, ViscHER, STRAUSS, ZELLER) Vorläufer, Weggefährten und Nachfahren Hegels auf und reicht herüber bis zu Theodor HAERING, dem bekannten Hegelforscher unserer Tage. F. N.

Kurt Wolf: Die Religionsphilosophie des jungen Hegel. München 1960: (Uni-Druck). VII, 218 S. - München, Phil. Diss. v. 1959. Diese Arbeit verfolgt im wesentlichen zwei Ziele: einmal will sie den spezifisch religionsphilosophischen Ansatz des Hegelschen Systems in seiner Frühperiode herausarbeiten, zum andern ist sie bestrebt, das Verhältnis des jungen Hegel zum Christentum historisch-systematisch darzustellen und kritisch zu würdigen. Besonderer

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Nachdruck wird, was den ersten Punkt betrifft, darauf gelegt, daß SCHELLING seinem Jugendfreund Hegel im Briefwechsel während dessen Berner Zelt das „absolute Ich" des FICHTE der Wissenschaftslehre von 1794 als auf spinozistische Weise mit Gott gleichzusetzen interpretiert und der junge Hegel diese Konzeption als Leitidee seiner Philosophie übernimmt. Zum zweiten Punkt werden die besonderen Formen von Religiosität und Religion, die Hegel positiv wertend zum Maßstab religionsphilosophischen Urteils erhebt, seinem Verständnis und seiner Kritik des Christentums gegenübergestellt. K. Wolf (Bonn)

Wilhelm Seeberger: Hegel oder die Entwicklung des Geistes zur Freiheit. Stuttgart: Klett 1961. 639 S. Die vorliegende Arbeit ist aus drei Gründen entstanden, die, näher besehen, lediglich unterschiedliche Aspekte ein und desselben Grundproblems sind. Angesichts der weltweiten und weltgeschichtlichen Auswirkungen der Hegelschen Philosophie, die, ob man es wahrhaben will oder nicht, nachgerade zu einem Politikum erster Ordnung geworden ist, wird es immer dringender, das Werk Hegels in seiner lebendigen Ganzheit zu erschließen und die Mauer von Vorurteilen zu durchbrechen, die man um dieses Werk errichtet hat. Das System Hegels, nach Vorwurf wie in der Konsequenz der Durchführung das ausgebildetste aller bisherigen Systeme, wurde bislang nicht wahrhaftig erschlossen; dies ergibt sich aus der beinahe unübersehbar gewordenen und ständig wachsenden Hegel-Literatur, in der die notorische Widersprüchlichkeit der Interpretation und Kritik offen zutage tritt. Diese Widersprüchlichkeit ist vor allem darauf zurückzuführen, daß, von wenigen verdienstlichen Ausnahmen abgesehen, irrigerweise immer wieder versucht wurde, das Hegelsche System vom Standpunkt des grundsätzlich inkompetenten Rationalismus aus oder, seltener, intuitivmystisch zu interpretieren, und daß zumeist völlig übersehen wurde, daß Hegels Sprache die Sprache des konkreten, spekulativen Denkens ist. Zum andern ist die Frage nach dem Wesen der Freiheit und der Möglichkeit ihrer Verwirklichung in unserer von ideologischen Gegensätzen zerrissenen Welt zur vordringlichsten geworden. Wenn die Freiheit das höchste Gut des Menschen ist, dann muß alles menschliche und vorab das politische Handeln sich zwangsläufig nach dem ausrichten, was unter Freiheit verstanden wird. Dem steht nun aber die Tatsache gegenüber, daß repräsentative Denker der Gegenwart die Möglichkeit einer genauen begrifflichen Definition der Freiheit kategorisch verneinen und daß von politisch maßgebender Seite immer häufiger eine verbindliche „Ideologie der Freiheit" gefordert wird, was ein Widersinn in sich selbst ist. Weiß die westliche Welt, die den Kampf um den Bestand ihrer gesellschaftlichen und politischen Ordnung im Zeichen der Freiheit führt, aber nicht, was Freiheit in ihrer Wahrheit ist, dann ist ihr Schicksal besiegelt. - Hegel ist es als erstem gelungen, nicht nur das Wesen der Freiheit in logisch schlüssiger Form zu begründen, sondern auch den Weg aufzuzeichnen, auf dem allein sie im einzelnen Menschen, im Staat und in der Gesellschaft verwirklicht werden kann.

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LITERATURBERICHTE UND KRITIK

Wie notwendig schließlich eine grundsätzliche Klärung des Problems der Entwicklung des menschlichen Geistes ist, die die unabdingbare Voraussetzung der Verwirklichung der Freiheit bildet, liegt angesichts der Ratlosigkeit, die in dieser Frage herrscht, auf der Hand. Würde, wie ein naturwissenschaftlich orientiertes Denken heute noch annehmen zu müssen glaubt, die Geisteskraft des Menschen von unbekannten Vererbungsfaktoren bestimmt, so wäre nicht nur die Freiheit, sondern auch die Gleichheit und das sog. natürliche Recht des Menschen eine Fiktion. Es darf daher als eine der bedeutendsten Leistungen Hegels angesehen werden, in logisch zwingender Form nachgewiesen zu haben, daß die menschliche Geisteskraft ein Produkt der Entwicklung des Geistes ist, die weder vom bloßen Zufall noch von der bloßen Vererbung abhängt. Von hier aus ergibt sich uns die Notwendigkeit einer systematischen Darstellung der Hegelschen Lehre vom subjektiven Geist. - Die Philosophie Hegels ist mehr als ein Anliegen einer Spezialwissenschaft. Jedenfalls kann das Wissen, daß die individuelle Geisteskraft und die Freiheit der Einzelnen wie der Völker in erster Linie von deren geistiger Entwicklung abhängen und daß es eine Gesetzlichkeit des Seins gibt, die erkannt werden muß, um in Freiheit erfüllt werden zu können, nicht das Privileg Einzelner sein, soll mit der Demokratie Ernst gemacht werden. Aus dieser Motivation entfaltet das Buch seinen Gedankengang in folgenden Kapiteln; 1) Die Freiheit - ein Problem; 2) Hegel - gleichfalls ein Problem? 3) Der Begriff des Geistes im System Hegels; 4) Der subjektive Geist; 5) Die Entwicklungsstufen und Momente des subjektiven Geistes; 6) Die Entwicklung des Geistes und die Freiheit. W. Seeberger (Zürich)

Joachim Köpper: Transzendentales und dialektisches Denken. Köln: Kölner Universitäts-Verlag 1961. 194 S. (Kantstudien. Ergänzungshefte. 80.) Die Arbeit untersucht das Verhältnis des transzendentalen und des dialektischen Denkens. Sie bestimmt dabei transzendentales Denken als ein Denken, das die Realität allein aus dem Insichreflektiertsein der Vernunft versteht. Im 1. Teil des Buches wird das transzendentale Denken näher erörtert. Auf kurze Betrachtungen über das transzendentale Denken ANSELMS und Meister ECKHARTS folgt als der Hauptinhalt dieses Teils die Erörterung der Philosophie KANTS. Dabei wird die Kritik des - sich im Deutschen Idealismus, wie auch in der Philosophie der Gegenwart ausprägenden - dialektischen Denkens am kantischen Transzendentalismus schon miterörtert. Der 2. - kürzere - Teil befaßt sich mit der Auslegung des dialektischen Denkens selbst. Dieses Denken wird als eine Fortentwicklung des KANTischen Transzendentalismus bestimmt, in der es darum gehe, das sinnliche Sichgeben der Welt und das sinnliche Sicherfahren des Menschen, das KANT noch nicht eigentlich in die Transzendentalphilosophie hineingenommen habe, auch dem Sichwissen der Vernunft oder des Begriffes zuzueignen. Diese Ausführungen suchen dann weiter zu zeigen, daß in dieser Aneignung des sinnlichen Bestehens an den Begriff notwendig ein Unbegriffenes in den Begriff selbst eingehen müsse und der Begriff sich so, obwohl in eine Fortentwicklung seines Zusichkommens im menschlichen Selbstbewußtsein über KANT hinaus eingetreten, auch gegen sich selbst kehren müsse.

Kurzreferate und Selbstanzeigen

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Die Auflösung dieser Schwierigkeit, so legen es die abschließenden Erörterungen dar, müsse von einem Denken erwartet werden, das das dialektische Begreifen in ein transzendentales Begreifen zurücknimmt. J. Köpper (Saarbrücken)

Nicolao Merker: Le origini della logica hegeliana. (Hegel a Jena.) Milano: Feltrinelli 1961. 496 S. Das vorliegende Werk behandelt die Entstehungsgeschichte der Hegelschen Logik von den ersten Anfängen in der Jenaer Zeit bis zur phänomenologischen Krise. Der erste Teil des Buches befaßt sich mit den allgemeinen Formulierungen, zu denen sich Hegel 1801, also im ersten Jahre seiner Tätigkeit an der Universität Jena, auf philosophischem und hauptsächlich logischem Gebiete durchgerungen hat; der zweite Teil ist jenen Hegelschen Frühschriften gewidmet, die im Kritischen Journal der Philosophie von Hegel und SCHELLING erschienen und die Grundsätze der logischen Gedanken Hegels im Klima der lebhaften Polemik gegen die Reflexionsphilosophie zur Reife und zum Durchbruch brachten; der dritte Teil unterzieht endlich die eigentliche Jenenser Logik und Metaphysik einer eingehenden Analyse, wobei sowohl ihre spekulativen Implizierungen als auch die wesentlichen in ihr enthaltenen vorphänomenologischen Ansätze ins Licht gerückt werden. Die Dokumente zur Jenaer Entstehungsgeschichte der Logik sind somit dem Leser vollständig vorgeführt. Darüber hinaus enthält das Buch aber auch eine historischkritische Stellungnahme zur Hegelschen Logikarbeit jener verhältnismäßig noch wenig durchforschten Jahre. Die Untersuchung über die Entstehung der Logik behält nicht nur den Hegel der Reifejahre und, wo es notwendig erscheint, die Frankfurter Ausgangspunkte stets im Auge, sondern wendet auch erstmalig auf die Jenaer Logik die wesentlichsten Resultate jener logischen Kritik an, die hauptsächlich TRENDELENBURG und der junge MARX an der spekulativen Dialektik Hegels übten. Aus der Untersuchung ergeben sich sowohl die grundsätzlichen Verbindungen als die ganz eigentümlichen Verschiedenheiten, die zwischen der Jenaer Logik und der Logikarbeit des reifen Hegel bestehen; andererseits erhellt aber auch, daß in der Jenaer Zeit sich schon jene schwerwiegenden idealistisch-metaphysischen Hypostasierungsprozesse vorbereiten, die dann im System der Reifejahre zur vollen Entfaltung gelangen. Die Erforschung der Jenenser Logik unter diesem Gesichtswinkel verhilft schließlich auch zu neuen Einsichten in die Kontroverspunkte der gesamten Hegelschen Logik. In Jena unternimmt Hegel den ersten großen Versuch, sich über die Wirklichkeit Rechenschaft zu geben, sie mit begrifflicher Strenge zu deuten, zu vermitteln und zu rechtfertigen. Bewährung oder Versagen dieses Versuches und Bewährung oder Versagen der gesamten Philosophie Hegels sind folglich auf das engste miteinander verbunden. N. Merker (Messina)

BIBLIOGRAPHIE

Abhandlungen zur Hegelforschung 1960161

Die in Band 1 begonnene Beriditerstattung über Hegel-Aufsätze aus Zeitschriften und Sammelbänden sowie über besondere Hegel-Kapitel aus Büchern mit weitergreifenden Themen wird hiermit für die Jahre 1960 und 1961 fortgesetzt. (Bei einigen Abhandlungen, die nicht im Original eingesehen werden konnten, müssen wir uns auf die Angabe des Titels beschränken.) Für freundliche Hilfe bei der Abfassung der Referate haben wir zu danken: Jacob Fleischmann (Jerusalem), Istvan Meszaros (St. Andrews), Enzo Tota (Messina/Saarbrücken). Außerdem sei allen Autoren gedankt, die durch Übersendung von Sonderdrucken ihrer Arbeiten unsere Berichterstattung erleichterten. Im Hinblick auf die angestrebte Vollständigkeit erbitten wir auch weiterhin die Hilfe der Autoren durch Einsendung von Sonderdrucken oder Mitteilung von bibliographischen Hinweisen (Anschrift HegelArchiv, Bonn, Erste Fährgasse 7).

Hegels Leitfaden der Entdeckung der Kategorien. - In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim. 14 (1960), 102-106. ALBRECHT, WOEFGANG:

Verf. rechtfertigt die Vorstellung, das Sein der H.schen Logik folge in seiner Entwicklung Gesetzen, die der Urteilslogik entstammen. Das Sein enthält in sich Allgemeinheit und Einzelheit und gleicht (wie auch das Urteil) in seiner Entwicklung diese beiden Momente einander an. H. enthielt seinen Lesern den wahren Leitfaden der Seinsentwicklung vor, „weil seine Urteilslehre Voraussetzungen enthält, deren metaphysische Relevanz mit der Möglichkeit, die Seinsentwicklung ohne jeden Leitfaden zu verfolgen, steht und fällt".

L'Estetica di Hegel [Hegels Ästhetik]. - In: Giornale critico della filosofia italiana. Firenze. 39 (1960), 1-22. ANTONI, CARLO:

Dieser Text aus dem Nachlaß von C. Antoni faßt den allgemeinen Teil der Vorlesung zusammen, die dieser hervorragende italienische Philosoph 1957/58 an der Universität Rom gehalten hat. Die Aktualität der Ästhetik H.s liegt nach Antoni darin, daß sie einen tiefen und lebendigen Zusammenhang zwischen der ethisch-religiösen Geschichte und der Kunstgeschichte verfechte. In Italien habe H.s Ästhetik in diesem Sinn direkt über De Sanctis und indirekt über Croce gewirkt. - Die Studie gliedert sich in folgende Abschnitte: 1. Das Schöne der Natur und der Kunst, 2. Die Ästhetik als philosophische Wissenschaft, 3. Das Ende der Kunst, 4. Die Wahrheit der Kunst, 5. Der konkrete Begriff, 6. Der Künstler, 7. Objektivität und Subjektivität der Kunst.

400

BIBUOGRAPHIE

Hegel und der deutsche Nationalitätsgedanke. [Hebr.] - In: Keshet. Tel-Aviv. 3 (1960), Nr 9. AVINERI, SHLOMO:

Gegenüber den Fehlinterpretationen von Popper, Heller, Carritt usw. muß man (mit Eric Weil) behaupten, daß H. noch ein „vornationalistischer Denker" war. Wohl auf Grund christlich-konservativer Ideen hat er sogar die ersten Erscheinungsformen des deutschen Nationalismus energisch bekämpft. Seine Ablehnung der Volkssouveränität und seine starke Betonung der Bestimmung des Staates könnten - aber nur „malgre lui" - nichtdemokratische Tendenzen stützen.

Bemerkungen über den Begriff des Krieges in Hegels politischer Lehre. [Hebr.] - In: Ovanim. [Jahrbuch des B. Katzenelson Instituts, Kezar-Saba.] Tel-Aviv 1960. 1-15. AVINERI, SHLOMO:

Bei H. handelt es sich nicht um die philosophische Rechtfertigung des Krieges. Er hat zwar gewisse sittliche Momente in einem berechtigten und gerecht geführten Krieg gesehen, aber die konkret-empirischen Kriege haben nach ihm dieses Erfordernis nicht erfüllt. Obwohl er Kants Idee vom „ewigen Frieden" zurückgewiesen hat, ist H. mit dieser Auffassung von der „Idealität" des Krieges doch in der Nähe Kants geblieben. Vgl. den folgenden Titel.

The problem of war in Hegel's thought. - In: Journal of the history of ideas. New York. 22 (1961), 463—474. AVINERI, SHLOMO:

Inhaltlich übereinstimmende englische Fassung des vorigen Aufsatzes.

Hegels Stellung zur Emanzipation der Juden. [Hebr.] - In: Zion. Jerusalem. 25 (1960), 134-136. AVINERI, SHLOMO:

H. hat, im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, zwischen seiner unfreundlichen Meinung über die jüdische Religion und seiner Stellung zur bürgerlichen und rechtlichen Lage der Juden unterscheiden können. In den §§ 209 und 270 der Rechtsphilosophie hat er sich für die völlige Emanzipation ausgesprochen. Zum erstenmal wurden Juden in eine Burschenschaft 1818 in Heidelberg aufgenommen - wohl unter dem Einfluß von H.s akademischer Tätigkeit. F. W. Carove, der jahrzehntelang für die Emanzipation der Juden kämpfte, war ein treuer H.schüler.

Dialektik der Natur und Geschichte. - In: Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Hrsg, von J. Derbolav und F. Nicolin. Düsseldorf 1960. 91-104. BARION, JAKOB:

Barion fragt nach dem echten sachlichen Gehalt der heute viel gebrauchten Worte „Dialektik" und „dialektisch". Unter den historischen Ausprägungen dialektischen Denkens, die er von hier aus mustert, ist von zentraler Bedeutung die H.sche Philosophie. Für H. ist Dialektik einerseits „Prinzip alles wissenschaftlichen Erkennens", der Weg des Denkens, auf dem der Philosoph zum „lebendigen Wesen der Sache" gelangt und sich des Gegenstandes als einer Einheit entgegengesetzter Bestimmungen bewußt wird - anderseits ebenso objektive Dialektik, Dialektik des Inhalts, „der fortbewegende Gang der Sache selber". Im Anschluß an H. und unter ständigem Rückbezug auf ihn stellt Barion die Übernahme und Umgestaltung der Dialektik durch die Begründer des Marxismus dar.

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1960/61

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Hegel in der Philosophie der Bewegung von St. Louis. - In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim. 14 (1960), 285-291. BAUMGAERTEL, GERHARD:

Baumgaertel berichtet über eine interessante deutsch-amerikanische Bewegung, die Mitte des 19. Jahrhunderts in St. Louis gegründet wurde. Ihre geistige Basis war der deutsche Idealismus, besonders die Philosophie H.s. In H.s Dialektik bot sich dem Bemühen, eine umfassende philosophische Grundlage für Politik, Jurisprudenz, Religion, Kunst und Wissenschaft zu finden, eine leicht zu handhabende, auf alle praktischen Bedürfnisse anwendbare Formel an. Die Bewegung war nur von kurzer Dauer, entfaltete aber eine beachtliche, in alle Lebensbereiche des jungen Staates einwirkende Aktivität.

R. F.: Hegel en Marx. - In: Wijsgerig perspectief op maatschappij en wetenschap. Amsterdam. 1 (1961), 105-114. BEERLING,

Verf. fordert eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Marxismus und um dieser Auseinandersetzung willen eine Besinnung auf den Gegensatz zwischen Marx und H. Der Abstand zwischen diesen Denkern sei nicht so groß wie oft angenommen. Marx habe seine Auffasung vom Kommunismus unter Zuhilfenahme der H.schen Begriffe konstruiert. Der realistische Gehalt des H.schen Idealismus und das idealistische Pathos des Marxschen Materialismus seien gleicherweise bemerkenswert.

Die Konkretisierung. Um den eigentlichen Ernst des Hegelschen Denkens - ein Entwurf. - In: Theologie und Glaube. Paderborn. 50 (1960), 280-289. BERGENTHAL,

FERDINAND:

Verf. geht davon aus, daß H. mit dem, was er „Konkretisierung" nennt, dem DenkRaum von Platon, Augustinus, Thomas, Goethe, der philosophia perennis zugehört. Das Wesen des Menschen wird von ihm als Fragen nach der Wahrheit definiert; diesem Fragen könne als Antwort allein die Konkretisierung der Wahrheit, d. h. letztlidi das Erscheinen des menschgewordenen Logos genügen. Gegenüber dieser einzig genügenden Antwort aber bleibe H.s höchste Konkretisierung des sich im Begriffe ereignenden Zu-sich-selbst-Kommens des Geistes unzureichend und selbst nur Frage, die der endgültigen Antwort harrt.

R.: Aktuelle juridische Hegeliana. - In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Neuwied/Berlin. 47 (1961), 227-243. BEYER, WILHELM

Davon ausgehend, daß nicht nur die H.sche Philosophie ein Politikum höchsten Grades ist, sondern jeder philosophie-geschichtlichen Beschäftigung mit ihr ein politischer Wert innewohnt, berichtet Beyer über H.-Deutungen von E. Weil, A. A. Piontkowski, J. Ritter, A. Negri, M. Rossi. An den verschiedenen Auslegungen soll das Phänomen der Deutbarkelt H.s in seiner Vielschichtigkeit zum Bewußtsein gebracht werden.

R.: Hegel als praktischer Verwaltungsbeamter (LokalSchulrat in Nürnberg). - In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Berlin. 9 (1961), 747-766. BEYER, WILHELM

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Hegel

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BIBLIOGRAPHIE

Beyer lenkt den Blick auf die bisher wenig beachtete Tatsache, daß H. in den Jahren 1813-16 neben seinem Amt als Gymnasialrektor und -professor in Nürnberg auch die Funktion eines „Lokal-Schulrats" ausübte. Ausgehend von dem zusammenfassenden Urteil, daß die Akten „einen durchaus lebensnahen, sachkundigen und gewissenhaften, aber keineswegs pedantischen oder weltfremden Schulfachmann" belegen, handelt Verf. über Beginn und Ende dieser Tätigkeit H.s, über seine Stellung zu Etatfragen und zu der fortdauernd angekündigten, aber nicht verwirklichten Reform des Schulwesens. Abschließend geht Verf. auf das Problem einer „Pädagogik" H.s ein. BLOCH, ERNST:

Naturrecht und menschliche Würde. Frankfurt a. M. 1961.

140-151: Der Schwur auf den Styx, der zweideutige Kosmos in H.s Reditsphilosophie. - Dieses Kapitel stellt H. in die Geschichte der naturrechtlichen Tendenzen hinein, die Verf. in seinem Buch entfaltet. Nach der Antigone-Interpretation in H.s Phänomenologie hat der staatlich denkende Geist die Wahrheit seines „Alle in Eins bindenden Eids nur in der bewußtlosen Substanz aller, in den Wässern der Vergessenheit"; Antigone vertritt diese Substanz und ihr „Naturrecht" gegenüber Kreon. Die Rechtsphilosophie saugte das Naturrecht auf in die Staatswissenschaft. Doch erhielten sich einerseits naturrechtliche Reste, andererseits blieb die Weise, wie H. in der Rechtsund Staatsphilosophie Wirklichkeit und Vernunft ineins fallen lassen wollte, zweideutig.

L'ontologie dans l'„Encyklopädie" de Hegel. - In: Revue de metaphysique et de moral. Paris. 65 (1960), 449-462. BRUNET, CHRISTIAN:

„Pan-logisme, Raison comme negativite, Historicite, telles sont les trois perspectives hegeliennes sur l'Etre." Der Verf. greift H.s „idealistische" Auffassung an, daß das Sein als Absolutes Subjektivität sei, die Kategorien die Vernünftigkeit des Wirklichen und die Wirklichkeit des Vernünftigen seien. „L'etre reste devant nous, total, immense et nous n'y decouvrons que les signes que nous y avons mis, les categories que notre negativite a decoupees en lui."

A,: LOS origenes hegelianos y la esencia del marxismo. - In: Sapientia. La Plata. A. 16. Nr 60 u. 61 (1961). CASAUBIN, JUAN

La critica di Marx alla filosofia hegeliana del diritto publico [Marx' Kritik der Hegelsdren Rechtsphilosophie]. - In: Rivista intemazionale di filosofia del diritto. Milano. 38 (1961), 281—308. CERRONI, UMBERTO:

Verf. stellt fest, daß die bedeutendsten methodischen Elemente der Kritik der H.schen Rechtsphilosophie von Marx die Kritik des H.schen Apriorismus und die Formulierung der Instanz einer wissenschaftlichen Vermittlung des Besonderen sind, und analysiert dann die wichtigsten inhaltlichen Momente der Kritik: 1. Staat und bürgerliche Gesellschaft, 2. Das Problem der Souveränität, 3. Die Stände und das Volk.

Meaning and Language in Hegel's Philosophy. - In: Revue philosophique de Louvain. Louvain. 58 (1960), 557—578. CLARK, MALCOLM:

Clark versucht das Problem der Sprache hinsichtlich der Dialektik von Wort und Gedanke mit dem H.schen Prinzip der spekulativen Identität von Identität und Nicht-

Abhandlungen zur Hegel-Forsdmng 1960/61

403

identität in 5 Abschnitten zu durchdenken. Das Zugleich der Identität und Differenz von Denken und Sprechen im philosophischen Wort (philosophical meaning) in der (Sprach)philosophie H.s nachzuweisen ist Thema der Abhandlung, wobei der Verf. sich auf den Standpunkt zu stellen sucht, den H. eingenommen hätte, wenn er heute diese Fragen angegangen wäre. CoNTRi, SiRO: La coscienza infelice nella filosofia hegeliana [Das

unglückliche Bewußtsein in der hegelschen Philosophie]. — In: Theorein. Palermo. 2 (1961), 42-65. Verf. hält H.s Auffassung des unglücklichen Bewußtseins als christlichen Bewußtseins für künstlich. Daß nach H. das Bewußtsein in unwandelbares, denkendes Wesen und wandelbares, soziales Wesen auseinanderfalle, führe zu einer Scheidung zwischen mystischem und sozialem Leben. Das christliche Bewußtsein aber habe nie ganz mit der menschlichen Gesellschaft, deren lebendiges Wesen die Arbeit sei, gebrochen, wie H. glaubte, vielmehr habe es die Arbeit geheiligt.

CoTTiER, MARIE-MARTIN: Hegel, la theologie et l'histoire. A propos de

l'Actualite historique du R. P. G. Fessard, S. J. — In: Revue thomiste. Paris. 61 (1961), 88-108. Verf. erstattet Bericht über das 1960 erschienene Werk von Fessard und belegt seine Darstellung mit ausführlichen Zitaten. Fessard versuche, bestimmte Grenzen der thomistischen Philosophie aufzuweisen und die Grundzüge eines neuen, verschiedene Strömungen versöhnenden Denkens zu zeichnen. Weitgehend inspiriert von der H.schen Philosophie, erblicke er die Achse dieses neuen Denkens in der Dimension des Historischen. Ref. bewertet den Versuch Fessards als interessanten, doch nicht überzeugenden Ansatz.

La liberta come valore in Hegel e in Rosmini [Die Freiheit als Wert bei Hegel und Rosmini]. - In: Atti del XII congresso internazionale di filosofia. Vol. 12. Firenze 1961.115—120. CRISTALDI, GIUSEPPE:

Vgl. hierzu Hegel-Studien. 1 (1961), 342.

Identite et difference: Heidegger et Hegel. - In: Revue internationale de philosophie. Bruxelles. 52 (1960), 221-237. DE WAELHENS, ALPHONSE:

Der Aufsatz ist ein Referat von Heideggers Werk Identität und Differenz (1957), das Verf. zum Anlaß nimmt. Verwandtes und Unterscheidendes bei Hegel und Heidegger nachzuweisen.

Esquisse du probleme contemporain de la raison. - In: La crise de la raison dans la pensee contemporaine. Paris 1960. (Recherches de philosophie. 5.) 61-116. DUBARLE, DOMINIQUE:

97-101: Hegel. - Diese Behandlung H.s ist eingefügt in das Kapitel „Les determinants du probleme actuel de la raison", in dem ein erster, historischer Abschnitt unter

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BIBLIOGRAPHIE

dem Gesichtspunkt „L'apport conceptuel de la philosophie moderne" die Philosophien von Descartes, Spinoza^ Kant, H. und Marx durchmustert.

Die ontologischen Grundlagen der Hegelschen Menschenlehre. - In: Philosophisches Jahrbuch. München 1960. 68 (1959), 140-158. DULCKEIT-V. ARNIM, CHRISTA:

Der Aufsatz versucht, H.s Lehre vom Menschen im einzelnen zu interpretieren und zugleich ihre Stelle in der Geistesgeschichte zu bestimmen. H. habe die seit Descartes geltende Auffassung, daß der Mensch in Leib und Seele zerfalle, aufgehoben und die Lehre von der leib-seelischen Einheit des Menschen neu begründet. Mit der Anschauung, daß die Seele als Substanz und Grundlage aller Besonderung das Formprinzip der Menschennatur sei, greife H. über die vorausgehende materialistische Philosophie zurück auf die Tradition der Antike und des Mittelalters, besonders auf Aristoteles.

Hegel and some Contemporary philosophies. - In: Philosophy and phenomenological research. Buffalo, N. Y. 20 (1959/60), 352-364. EARLE, WILLIAM:

Verf. vergleicht einige der H.schen Grundansichten mit dem modernen Positivismus und Existenzialismus, in denen die Philosophie zu einem Nichts verkümmert sei. Verf. zeigt, daß rechtverstanden H. auch heute noch die Grundlage für die Philosophie und die Bewältigung der Welt darstelle.

II „bifrontismo" di Hegel e la Sinistra Hegeliana. A proposito dell'antologia di Karl Löwith [Das Doppelgesicht Hegels und die Hegelsche Linke. Zur Anthologie der Linkshegelianer von K. Löwith]. — In: Pensiero critico. Milano. 1961, April—Sept. 69—96. FERGNANI, FRANCO:

Verf. sieht die von Löwith herausgegebene Auswahl von Texten der H.schen Linken (ital., Bari 1960) als einen Beitrag zur Antwort auf die Frage, ob die Spaltung dei H.schen Schule ihren Ursprung in dem ambivalenten (theologisch-metaphysischen und geschichtlich-empirischen) Charakter der Philosophie H.s habe. Dann geht der Ref. aut einige in der Anthologie vertretene Autoren ein: Rüge, Feuerbach, Marx, Kierkegaard. Bei Rüge trete in der H.deutung der Unterschied zwischen „reaktionärem" System und „revolutionärer" Methode auf, der nach seiner endgültigen Bestimmung durch Engels großen Erfolg bei den marxistischen H.interpreten gehabt habe, der aber heute von M. Rossi energisch bestritten werde. Feuerbach interpretiere die H.sche Philosophie als eine neue Theologie. Ungenügend findet der Ref. Löwiths Marx-Auswahl, insofern die Schriften, die Marx' Auseinandersetzung mit den Junghegelianern enthalten, fehlen. Sehr kritisch beurteilt der Ref. die Tatsache, daß D. F. Strauß ausgeschlossen und andererseits Kierkegaard in einer Auswahl der „H.schen Linken" vertreten ist.

Attitüde ambivalente de Hegel en face de Fhistoire. - In: Archives de philosophie. Paris. 24 (1961), 207-241. FESSARD, GASTON:

Aus der ambivalenten Haltung H.s zu Zeit und Geschichte resultiert die innere Disharmonie seiner Philosophie, die sich in der ungelösten Spannung zwischen absolu-

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1960/61

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tem Wissen und geschichtlichem Denken zeigt. Diese Ambivalenz läßt sich aufweisen einerseits in dem Zusammenhang von Phänomenologie und System, andererseits in dem Verhältnis zwischen enzyklopädischem System und Geschichte. Die zweideutige Haltung H.s zur Geschichte läßt Probleme offen, die Denker des 19. Jahrhunderts wie Marx und Kierkegaard auf ihre Weise zu lösen versuchten.

Das Verhältnis des Marxismus zu Hegel. - In: Marxismus-Studien. Folge 3. Hrsg. v. I. Fetscher. 66-169. FETSCHER, IRING:

Etwas überarbeitete Fassung eines in „Aus Politik und Zeitgeschichte" (Jg. 1958) erschienenen Aufsatzes; vgl. Hegel-Studien. 1 (1961), 343.

Hegel et le marxisme. - In: Archives de philosophie. Paris. 23 (1960), 522-572. FETSCHER, IRING:

Fortsetzung der französischen Fassung des vorigen Aufsatzes; der erste Teil dieser Übersetzung erschien in Jg. 22 (1959) der gleichen Zeitschrift.

N.: L'actualite de Hegel. - In: Archives de philosophie. Paris. 24 (1961), 480-496. FINDLAY, J.

Verf. will zeigen, welchen Gewinn der heutige Leser aus der mühsamen Lektüre von H.s Philosophie ziehen kann, und behandelt zu diesem Zwecke einige Grundideen H.s. Ausgehend von der dialektischen Methode, erläutert er die ersten Kategorien aus Hegels Lehre vom „Wesen": Unmittelbarkeit, Identität, Unterschied, Widerspruch; weiter das Verhältnis der formalen Logik zur Vemunftlogik, die absolute Idee oder den absoluten Geist, die Bedeutung der Naturphilosophie.

Hegel's theory of the will. - In: Studies in philosophy. Jerusalem 1960. (Scripta Hierosolymitcma. 6.) 268-315. FLEISCHMANN, JACOB:

Mit diesen Untersuchungen über die Freiheit als Wesen des Willens und ihre Realisierung in Recht und Staat gibt Fleischmann eine Interpretation der §§ 4-33 von H.s Rechtsphilosophie, §§ 468-487 der Enzyklopädie und größerer Partien aus dem 3. Buch der Wissenschaft der Logik (ed. Lasson, Teil 2, 429-493). Der Gedankengang wird in folgenden Abschnitten entfaltet: 1. Theorie und Praxis, 2. Menschliche Freiheit, 3. Die Realisierung der Freiheit, 4. „Natürlicher" Wille, 5. Der Staat als das konkrete Allgemeine, 6. Die Dialektiken des sozialen Lebens, 7. Objekt und Methode der Rechtswissenschaft. FRANCHINI, RAFFAELO:

Le origini della dialettica [Die Ursprünge der

Dialektik]. Napoli 1961. 249-309: Hegel. - Wenn dieses Kapitel ausdrücklich der Dialektik H.s gewidmet ist, so muß darüber hinaus angemerkt werden, daß das ganze Werk Franchinis aus dem Geist der H.schen Philosophie geschrieben ist.

Hegel und die Heidelberger Romantik. Vortrag, geh. anläßlich der 575-Jahrfeier der Universität Heidelberg. - In: RupertoCarola. Heidelberg. Jg. 13. Bd 30 (1961), 97-103. GADAMER, HANS-GEORG:

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BIBLIOGRAPHIE

In den beiden Jahren, die H. in Heidelberg verbradite, wurde für ihn der Einfluß Creuzers besonders bedeutsam. An Görres' Mythengesdiidite der asiatischen Welt hätte H. kaum Geschmack finden können, aber in der Brechung durch Creuzers methodischen Geist kam ihm die Entdeckung dieser Welt nahe. Unter der Anregung durch Creuzers Symbolik durchbrach H. die Schillersche und Schlegelsche Entgegensetzung „klassisch"-„romantisch" zugunsten des Dreitakts „symbolisch, klassisch, romantisch". Creuzer hat H. ferner für ein intensives Studium des Neuplatonismus gewonnen. H. schätzte jedoch mehr noch als Plotin den Proklos, dessen triadisches Schema er auf die Geschichte anwandte. GLASENAPP, HELMUTH VON:

Das IndienbiH deutsdier Denker. Stuttgart

1960. 39-60: Hegel. Mit ausführlichen Zitaten belegt Verf., daß H. eine sehr beschränkte Vorstellung von Indien besessen und darüber hinaus die ihm bekannten Fakten unzulänglich und teils falsch bewertet habe. Seine Kenntnis von Indien habe H. kritiklos aus (großenteils tendenziösen) englischen Berichten gewonnen. Die verschiedenen Aspekte des indischen Lebens habe er dann in das Schema seiner Geschichtsdialektik eingeordnet.

M.: The self-movement of the notion in Hegel's philosophy. [Hebr., mit engl. Zusammenfassung.] - In: lyyvm. Jerusalem. 12 (1961), 83-116. GROLL,

R. O.: Das nationale philosophische Erbe. Über die progressive Grundlinie in der deutschen Philosophie. Berlin 1960. GROPP,

Diese Übersicht über die Arbeiten zur Umwertung der deutschen Philosophiegeschichte, wie sie von den Philosophen der „DDR" geleistet worden sind, gibt auch eine Darstellung des Streites um die Bedeutung H.s (78 ff). Scharf wird der Revisionismus von Lukäcs, Bloch und Harich angegriffen: Bloch und seine Anhänger hätten „lügenhafte Behauptungen" (119) über den Materialismus ausgestreut und mit ihrem Rückgang auf H. der Konterrevolution von 1956 vorgearbeitet.

Que es dialectica? [Was ist Dialektik?] In: Mito. Revista bimestral de cultura. Bogota. A. 6. Nr 33 (1960), 100-118. GUTI^RREZ GIRARDOT, RAFAEL:

Verf. setzt sich am Beispiel des Abschnittes „Die sinnliche Gewißheit" der Phänomenologie des Geistes in der Form eines laufenden Kommentars mit der Auslegungsmethode Jean Hyppolites in dessen Genese et structure de la Phenomenologie de l’Esprit de Hegel (1946) und Findlays in seinem Hegel: A Re-examination (1960) auseinander und betont ihnen gegenüber, daß der philosophiegeschichtliche Rückgriff auf die Quellen H.s den Blick für die „Erfahrungsgehalte" des H.schen Denkens versperre. Dialektik sei nicht allein das Selbstverständnis der Philosophie, sondern (mit Adorno) die „Arbeit des Begriffes", die dem Tätigen an der Sache selbst zum Worte verhilft.

einem Universitätsgutachten.] - In: Forschen und Wirken. Festsdirift zur 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin 18101960. Bd 1: Beiträge zur wissenschaftlichen und politischen Entwicklung der Universität. Berlin 1960. [Anhang: Abbildungen. 9.] HEGEL: [AUS

Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1960/61

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Faksimile-Abdrudc der letzten Seite eines bisher unveröffentlichten Gutachtens von H. über Dr. Ritter (und Dr. Stiedenroth) aus den Akten der Philosophischen Fakultät zu Berlin. Das Original befindet sich im Archiv der Humboldt-Universität. Dieses Votum H.s hat Hoffmeister (vgl. Hegel: Berliner Sdhriften. Hamburg 1956. 629 f) nicht Vorgelegen.

Hegel und die Griedien. - In: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für H.-G. Gadamer. Tübingen 1960. 43-57. HEIDEGGER, MARTIN:

Es handelt sich um die etwas erweiterte deutsche Fassung eines zunächst französisch erschienenen Vortrages: vgl. Hegel-Studien. 1 (1961), 345 f.

HEIDEGGER, MARTIN:

Hegel y los griegos. - In: Eco. Bogota. 2 (1960),

Nr 1. Vgl. den vorigen Titel!

Die Hegel-Ausgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft. - In: Kant-Studien. 51 (1959/60), 506-511. HEIMSOETH,

HEINZ:

Vorabdruck eines Vorwortes zur neuen H.-Gesamtausgabe. „Die Aufgabe, das Lebenswerk H.s in einer vollständigen und zugleich historisch-kritischen Fassung nach einheitlichem Plan vorzulegen, ist unserem Zeitalter gestellt seit ... Wilhelm Dilthey." Die neue Ausgabe wird editionsgeschichtlich begründet und nach Anlage, Aufbau und Grundsätzen der Tcxtgestaltung vorgestellt.

Politik und Moral in Hegels Geschichtsphilosophie. In: Heimsoeth: Studien zur Philosophiegeschichte. Köln 1961. (Kantstudien. Ergänzungshefte. 82.) 22-42. HEIMSOETH, HEINZ:

Der den 14 Beiträgen dieses Sammelbandes zur Geschichte der neueren Philosophie eingereihte Aufsatz erschien zuerst in: Blätter für Deutsche Philosophie, 8 (1934/35), und wurde auch ins Spanische übersetzt. Er stellt heraus, wie H. Politik und Moral dialektisch aufeinander bezieht: „Es gibt keine wirkliche konkrete Sittlichkeit ohne den Boden, die Lebensluft, den Aufgabenkreis des Staates; unmöglich ist es für den Menschen, seiner moralischen Bestimmung in der Ablösung seines Innern vom Staatlich-Weltlichen gerecht zu werden. Und es gibt wiederum keine Politik, die nicht ein gestaltendes oder zerlösendes - Weben an der Substanz sittlichen Lebens und damit an der konkreten Existenz moralischer Personen wäre."

Karl Marx als Schüler Hegels. — In: Universitätstag 1961. Veröffentlichung der freien Universität Berlin. Marxismus-Leninismus. Geschichte und Gestalt. Berlin 1961. 5-19. HENRICH, DIETER:

Marx hält an H.s Prinzip der Einheit von Begriff und Wirklichkeit fest, erhebt jedoch den Einwand, die nur theoretische Form der H.schen Philosophie könne diesem Priiucip nicht genüge tun. Auf diese von H. her bestimmte Problemstellung müßte sich eine Kritik an Marx richten; den jungen gegen den späten Marx auszuspielen ist nicht

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BIBLIOGRAPHIE

möglich, da Marx in seiner Entwicklung nur konsequent entfaltet hat, womit er begonnen hat.

HüBSCHER, ARTHUR:

Von Hegel zu Heidegger. Gestalten und Probleme.

Stuttgart 1961. 7-30; Hegel. - Das Buch vereinigt zwölf Vorträge, die der Verf. 1959/60 im Bayerischen Rundfunk gehalten hat. Die Reihe beginnt mit einer populär-einführenden Darstellung der Hauptprobleme und -gedanken von H.s Philosophie.

Vermittlung und Grenze. Zur Gesdiichte der hegelschen Dialektik. - In: Merkur. Stuttgart. 14 (1960), 201-225. JüNGER, FRIEDRICH GEORG:

Verf. teilt kritische Bemerkungen zu H.s Dialektik mit; Das Vermitteln werde in ihr zu einem Funktionieren, das die Unmittelbarkeit der Dinge und die Gegenständlichkeit der Grenze aufhebe. „Im Vermitteln H.s liegt eine Begier, die nicht von sich läßt, die dazu getrieben wird, das Unvermittelte überall aufzusuchen und ihm zuzusetzen . . . Vor unseren Augen entfaltet sich das großartige und erbärmliche Schauspiel des planetarischen Vermittelns. Wer sich dagegen auflehnt, geht zugrunde . . ."

Die Kritik Hegels an der Staatsauffassung Karl Ludwig V. Hallers. - In: Festgabe Max Obrecht. Hrsg, vom Solothurnischen Juristenverein. Solothurn 1961. 26-43. KäMPFER, WALTER:

Verf. entwickelt die Kritik, die H. gegen Hallers Restauration der Staatswissenschaften gerichtet hat. Ergibt sich diese Kritik auch folgerichtig aus H.s System, so ist sie doch insofern nicht befriedigend, als H. nur einzelne Punkte aus Hallers Werk herausgreift, um es als gedankenlos und inkonsequent zu brandmarken. Der Versuch, einen möglichen Konkurrenten auszuschalten, sowie H.s alter Zorn auf die Berner Oligarchie mögen die Schärfe der Kritik mitbestimmt haben.

Hegels Rechtsphilosophie. — In: Kaufmann, Gesammelte Schriften. Bd 3: Rechtsidee und Recht. Göttingen 1960. 285-296. KAUFMANN,

ERICH:

Erweiterte Fassung eines Vortrags, den Verf. 1931 zur Hegel-Feier der Universität Berlin gehalten hat. - Verf. geht aus von den staatstheoretischen Besinnungen des jungen H. und zeigt, aus welchen Quellen H. der positive Sinn und Begriff des Staates erwachsen ist. Die große historische Leistung H.s sieht Verf. darin, daß er zwischen dem Reiche des subjektiven und dem des absoluten Geistes das Reich des objektiven Geistes entdeckt hat. Darüber hinaus habe H. die drei Reiche als Stufen des Einen Geistes erkannt und damit dem Staat und der Sphäre des objektiven Geistes eine tiefe „geistige und sittliche Begründung" gegeben. Besonderen Wert legt Verf. weiterhin auf den Hinweis, daß H. einen neuen Zugang zu den Institutionen der sittlichen Welt und deren dialektisch gegliedertem Zusammenhang eröffnet habe.

Hegel. Hegelianismus. - In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd 4. Freiburg i. Br. 1960. 56-59. KERN, WALTER:

Der Artikel Hegel orientiert über H.s Leben und Werke, H.s dialektisches System und H.s System als Religionsphilosophie; es folgt eine Kritik und eine Würdigung vor

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allem der theologischen Bedeutung H.s. Unter dem Stichwort Hegelianismus gibt Kern einen Überblick über die an H. sich anschließenden philosophischen Strömungen innerhalb und außerhalb Deutschlands. Literaturangaben!

Die philosophische Entwicklung Karl Leonhard Reinholds nach 1800. — In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim. 15 (1961), 79-101, 250-277. KLEMMT, ALFRED:

Im Rahmen der ersten Hälfte seines Aufsatzes stellt der Verf. H.s Verhältnis zu Bardili und die Kritik der Differenzschiih an Reinholds Bardilismus dar. Im zweiten Teil berichtet er über die falsche Auffassung H.s durch Reinhold und zitiert hier aus der 1828 erschienenen Schrift über Religion, Glauben und Wissen von Eduard Duboc; „H. sagte mir unter anderem, die oft erneuerte Veränderung Reinholds in seinen spekulativen Ansichten habe ihm zwar immer große Achtung für dessen Wahrheitsliebe, aber zugleich eine geringere Meinung von seinem spekulativen Geist eingeflößt; indessen wäre er von dieser Meinung zurückgekommen, seitdem er die Beständigkeit Reinholds in seiner letzten Ansicht wahrgenommen. Er bat mich, dieses an Reinhold gelegentlich zu schreiben und die Versicherung seiner Hochachtung für ihn zu bezeugen."

M.: TWO Conceptions of Philosophy. - In: Philosophy. London. 36 (1961), 289-308. KNOX, T.

The autor opposes the Hegelian conception to that of Contemporary linguistic philosophy. In this latter trend "theological and scientific dogmatism" get on very well with each other, making extremely topical H.s remark according to which Biblical theology and empiricist, anti-metaphysical philosophy are at one in attacking philosophy proper. It is pointed out that one cannot enter into the spirit of a philosophical Work without considering it in its personal and historical setting. Linguistic philosophers "have neglected the subject, and, in particular, the role of the philosopher in philosophy". The philosopher's work is described, in the Hegelian spirit, as the reflection of a given specific experience and its function as "an attempt to rise higher" to aim at a self-transcendence. But, "since man's self-transcendence can never be complete, preoccupation with history and individuality is inescapable".

Sartres Verständnis der Lehre Hegels von der Gemeinschaft. — In: Kant-Studien. Köln. 52 (1960/61), 159-172. KöPPER, JOACHIM:

Nach Sartre begreift H. das Selbstbewußtsein als Gemeinschaft, doch geht H. unzulänglicher Weise aus von einem gegebenen Sein des Menschen, da er sich an der gegenständlichen Erkenntnis orientiert. Demgegenüber Köpper: Es gibt nicht, wie Sartre in seiner H.interpretation voraussetzt, „ein für sich bestehendes - obgleich sich als solches entziehendes - Sichwissen und ein ihm fremdes Sein, in dem das Sichwissen sich denn so findet, daß es doch auch nicht in diesem Sichfinden ist". H. begreift zurecht die Weltlichkeit als Sicherscheinen des Selbstbewußtseins, obwohl ihm die Fremdheit zwischen Selbstbewußtsein und Weltlichkeit noch nicht zureichend aufgegangen ist.

Vom Sinn der Geschichte. - In: Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Hrsg, von J. Derbolav und F. Nicolin, Düsseldorf 1960. 194-206. KRONER, RICHARD:

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BIBLIOGRAPHIE

Kroner will nicht zugeben, daß die Antinomie von Absolutheit und Relativierung, Universalität und Individualisierung des Sinns durdi den Perspektivismus, wie Litt ihn vertritt, voll und ganz gelöst werde. H.s Phänomenologie zeige den einzig möglichen Weg einer Versöhnung des allgemeinen mit dem individuellen Sinn; doch tue H. Unrecht, wenn er den Glauben in den Begriff, in ein absolutes Wissen, aufheben wolle. Der Glaube, der das Wahre und Ganze, den universalen Sinn der Geschichte als ein Drama verstehe, sei der Dialektik überlegen.

KRONER, RICHARD:

Speculation anci Revelation in Modern Philosophy.

Philadelphia 1961. 274-301: Speculative Dialectic. - Dieses 12. und letzte Kapitel in dem dritten Band des Werkes Speculation and Revelation in the History of Philosophy handelt über H. Kroner entwickelt die Grundzüge der H.schen Philosophie und bestimmt die abschließende Stellung, die H. in der abendländischen Geistesgeschichte einnimmt. (Kioner übernimmt dabei zum Teil wörtlich Ausführungen aus seinem Werk Von Kant bis H.) Der Schlußabschnitt über H.s Versuch, die religiöse Erfahrung in die Sprache des Begriffs zu übersetzen, mündet in die Frage: „Is the nonspeculative language of revelation which does distinguish between good and evil, creation and fall, fall and incamation, and between God and man perhaps more to the point than speculative dialectic?" - Ein Epilog erinnert vor allem an Kierkegaards Angriff auf H.

Hegel en de marxisten. - In: Wijsgerig perspectief op maatschappij en wetenschap. Amsterdam. 1 (1961), 115-123. KRUITHOF, JAAP:

Lenin hat die Wichtigkeit von H.s Dialektik für den Marxismus betont. Die Diskussion über H., die sich nach 1920 ln Rußland abspielte, fand 1931 durch Stalin ein Ende: H. wurde fortan als idealistischer, reaktionärer Denker abgetan. Die Diskussion um H.s Bedeutung für den Marxismus, wie sie nach dem 2. Weltkrieg besonders an Arbeiten von Lukäcs und Bloch anknüpfte, wurde 1956 durch staatliche Eingriffe abgebrochen. So herrscht unter den Marxisten keine Einheit in der Bewertung H.s, die Diskussion wird nicht wissenschaftlich-kritisch, sondern von aktuellen politischphilosophischen Problemen her geführt.

KUHN, HELMUT:

Wesen und Wirken des Kunstwerks. München 1960.

Diese Schrift behandelt das Schicksal der Kunst im Zeitalter des Historismus. H. gelte als Vater des Historismus, als „Professor der Professoren". „In der Tat gilt fast ausnahmslos, daß wir, wo immer wir einem Wort der deutschen historischen Geisteswissenschaften tiefer nachdenken, auf H. stoßen, und zwar auf H. als den Lehrer des totalen Werdens." (17 f) Die Ästhetik des deutschen Idealismus, die sich in H. vollende, habe das Kunstwerk wieder als Organon der Metaphysik gefaßt, aber „auch die Wahrheit ihres eigenen Gedankens dadurch kompromittiert, daß sie ihn zur Vorstellung einer hellenisierenden Kunstreligion übersteigerte" (101 f).

Hegel, Husserl and reason to-day. - In: The modern sdioolman. Saint Louis, Miss. 37 (1959/60), 171-195. LADRIERE, JEAN:

Verf. sieht in der Abwendung der positiven Wissenschaften von der Geistesphilosophie die Gefahr des Nihilismus. Diese heutige „Krisis der Vernunft" glaubt er durch einen Rückgriff auf die Philosophie H.s, die als letztes geschlossenes System

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sowohl die Empirie als auch die Geisteswelt umgriff, überwinden zu können. Er schlägt eine Brücke von H. zu Husserl, in dessen Philosophie der „Lebenswelt" er eine echte Möglichkeit erblickt, durch eine Erweiterung des Rationalismus auch die positiven Wissenschaften in einer neuen Philosophie des Geistes umgreifen zu können.

Das Problem der Dialektik. - In: MarxismusStudien. Folge 3. Tübingen 1960. 1-65. LANDGREBE,

LUDWIG:

Die Arbeit sudit die Entwicklung der Dialektik von H. zu Marx und ihrer Degeneration bei Engels nachzuzeidmen und Einsicht in das Problem zu erwecken, das den Antrieb zu dieser Entwicklung gab. - In H.s Jugendschriften ist „Dialektik" das liebend-antwortende Begreifen dessen, daß die christliche Offenbarung es ermöglichte, ein Leben in Freiheit zu führen. H.s späteres „System" erweckt jedoch den Anschein, als könnte das Denken rein aus sich und für jeden nachvollziehbar entfalten, was nach der Erfahrung des jungen H. dem Menschen geschichtlich als Möglichkeit angeboten ist. Die im System verborgene Herzmitte der H.schen Philosophie - daß eine nicht weiter beweisbare geschichtliche Offenbarung den Menschen ihr Sein entgegenträgt hat Marx nicht gesehen; doch hat er den Anspruch der Dialektik, die Geschichte begreifen zu können, festgehalten, so daß die Dialektik im Marxismus verkehrt werden konnte zum Mittel der l.egitimierung totalitärer Herrschaft.

Scholastische Urteilslehre und Hegelsche Seinsdialektik. - In: Scholastik. Freiburg i. Br. 36 (1961), 550-565. LOTZ, JOHANNES BAPT.:

Der Beitrag setzt sich auseinander mit G. Siewerth, der in seinem Buch Das Sdticksal der Metaphysik von Thomas zu Heidegger (Einsiedeln 1959) behauptet, Lotz nehme in der Schrift Das Urteil und das Sein die Position von H.s apriorischer Logik ein. Lotz sucht im einzelnen zu zeigen, daß dies nicht der Fall ist.

Die politische Theorie der hegelschen Rechten. - In: Archiv für Philosophie. Stuttgart. 10 (1960), 175-227. LüBBE, HERMANN:

Die Rechtshegelianer, eine machtvolle Schule, werden heute in den Philosophiegeschichten - wenn überhaupt genannt - fälschlich als konservativ abgetan. Freilich war der Kompromiß, den sie im Religiösen suchten, unhaltbar, weil es dort keine Kompromisse gibt. Im Politischen aber, wo das Entweder-Oder nicht herrscht, war ihr Versuch der Vermittlung und des Ausgleichs eine mögliche Position. Lübbe stellt die politischen Auffassungen der einzelnen Rechtshegelianer dar und zeigt, daß in der jüngeren deutschen Philosophie - wenn man vom. Marxism.us und einigen Ansätzen absieht - nur die H.sche Rechte eine echte politische Theorie hervorgebracht hat.

R. S.: A Problem of Hegel's Aesthetics. - In: Renaissance and modern studies. Nottingham. 4 (1960), 82—118. LUCAS,

The Problem here analysed is H.s doctrine that "the day of art is past", and it is considered by the author as the most important one in the Hegelian aesthetics. He believes that H. has formulated in thls principle an antithesis that cuts right across the traditlonal Opposition between classical and romantic. "Classlcal" would be in this sense synonymous with "Creative" ages of art and "romantic" with the "prosaic" ones. On this account "the classlcal ideal, which otherwise appears irrelevant to H.s

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BIBLIOGRAPHIE

description of the Contemporary scene . . . recovers its focal position ... as the paradigm expression in art of that marriage of outer and inner reality which is the goal of Hegelian philosophy".

R. 5.: Autonomous Art and Art History. - In: The British journal of aesthetics. London. 1 (1961), 86-99. LUCAS,

R. S. Lucas is looking at reasons, while considering the scope of art-history, why H.s approach to the subject should have lost its appeal. As the main reason, the increasingly autonomous development of art is indicated, a development leading to l'art pour l'art, to exclusively stylistic preoccupations, and to their natural equivalent in thcory: "Autonomous art-history". As representative of the extreme opposite pole to H. Wölfflin's principle ("art has its own history and its own life") is criticised on the lines of Arnold Hauser's Philosophy of Art History.

Dialektik und Ideologie in der Philosophie Hegels. Ein Beitrag zur Phänomenologie des Ideologischen. - In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Neuwied/Berlin. 47 (1961), 133—146. LUDZ,

PETER CHRISTIAN:

Verf. stellt sich die Aufgabe, die Beziehungen von H.s Bewußtseinslehre und Dialektik zur Ideologienlehre aufzuweisen. Versteht man Ideologien als durch materielle Interessen hindurchgegangene und durch sie gebrochene Ideen, so lassen sich H.s Weiterentwicklung des Kantischen „Bewußtseins überhaupt" zu seinem mit konkretem historischen Material angefüllten Bewußtsein, weiter die dialektischen Begriffe der Entfremdung, Verdinglichung und der Vermittlung als aufgehobener Entfremdung unschwer mit dem Komplex des Ideologischen verbinden. Besonders in der Phänomenologie des Geistes erkennt Verf. enge Relationen zum Ideologiebegriff der Aufklärung und Marxens.

La philosophie morale. Examen historique et critique des grands systemes. Paris 1960. MARITAIN, JACQUES:

159-262: L'idealisme hegelien. - In dieser kritischen Geschichte der Moralphilosophie widmet der Verf. innerhalb des zweiten Teils, „Les grandes illusions" (nachkantische Dialektik und Positivismus), drei Kapitel dem H.schen Idealismus. Im ersten behandelt er die methodisch-systematischen Grundlagen von H.s Philosophie. Das zweite Kapitel führt in das eigentliche Thema des Buches hinein. Es baut auf H.s Begriff der Person auf und legt seine Auffassung der Sittlichkeit dar; nach H. erfülle sich die menschliche Freiheit und Person nur durch die Hingabe an die Ordnungen der Sittlichkeit, deren höchste der Staat ist. Das dritte Kapitel setzt sich mit H.s Religionsphilosophie auseinander.

Heidegger und die Tradition. Eine problemgeschichtliche Einführung in die Grundbestimmungen des Seins. Stuttgart 1961. MARX, WERNER:

52-80: Der Sinn von Sein, Wesen und Begriff bei H.; 86-90; Sein, Wesen und das Wesen des Menschen bei H. - Um deutlich zu machen, inwiefern Heidegger sich von der traditionellen Seinslehre entfernt, geht der Verf. auf Aristoteles und H. zurück. Nach Aristoteles ist die Seinsfrage die Frage nach dem Wesen; dieses aber ist ewig, notwendig, selbig und intelligibel. Während Aristoteles Sein und Wesen innerhalb der

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Frage nach der Verfassung des Seienden denkt, geht es H. um die Entwicklung des Seins selbst. Sein erweist sich ihm als ein Wahrheitsgeschehen, das aristotelisch als teleologischer Prozeß gefaßt wird. Doch denkt H. das Sein nicht als reine Intelligibilität und Selbigkeit, sondern als Wahrheit (Licht) und Selbigkeit, die die Unwahrheit (Finsternis) und den Widerspruch in sich tragen. Darin, daß die Wahrheit immer wieder zu ihrem Anfang und d. h. zur Unwahrheit zurückkehren muß, liegt ein Motiv, das zur nicht mehr metaphysischen Problematik Heideggers führt.

La storia della filosofia e il suo significato [Die Geschichte der Philosophie und ihre Bedeutung]. — In: Belfagor. MessinaFirenze. 16 (1961), 154-162. MASSOLO, ARTURO:

Verf. ist Marxist von H.scher Herkunft. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte der Philosophie ist für ihn nur mit H. zu beantworten. Nur dadurch, daß die Geschichte der Philosophie nicht mehr als Propädeutik, sondern als Teil des Systems gefaßt wurde, sei sie überhaupt ermöglicht worden. Deshalb ist es nach Meinung des Verf. hier unerläßlich, zu H. zurückzukehren.

B.: A critique on Hegel's criticism of Spinoza's god. - In: Kant-Studien. 51 (1959/60), 294-314. MCMINN, J.

In dieser Untersuchung über das Verhältnis der beiden Philosophen zeigt sich, daß trotz entgegengesetzter Methode und kategorialer Unterschiede bei Spinoza und H. im Zentrum der Philosophie das gleiche metaphysische Objekt steht, nämlich Gott als Substanz und Geist. Der Verf. kommt zu dem Ergebnis, daß ungeachtet gewisser Unterschiede Spinoza und H. in der Philosophie des absoluten Geistes übereinstimmen.

Hegel et lo scetticismo [Hegel und der Skeptizismus]. — In: Societä. Milano. 16 (1960), 545-583. MERKER, NICOLAO:

Dieser Auszug aus dem inzwischen erschienenen Buch Origini della logica hegeliana (Milano 1961) behandelt H.s Jenaer Aufsatz über den Skeptizismus, der aus zwei Gründen höchsten Interesses wert sei: 1) H. sehe in dem echten (griechischen) Skeptizismus einen notwendigen Übergang zu seinem Begriff der Philosophie als spekulativer Vernunft. 2) H.s Aufsatz sei nicht nur für seine Jenaer Zeit, sondern auch im Rahmen seines Gesamtsystems bedeutsam, insofern sich darin bereits Stellungnahmen zeigten, die in der Phänomenologie, der Logik, der Enzyklopädie und in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie aufrechterhalten blieben.

[Rezension von] MARIO Rossi: Marx e la dialettica hegeliana. 1: Hegel e lo stato. Roma 1960. - In: Societä. Milano. 17 (1961), 778-793. MERKER, NICOLAO:

In dieser ausführlichen Rezension hebt der Referent hervor, der wichtigste Beitrag von Rossis H.-Buch sei es, daß er die „radikale Verschiedenheit" der Dialektik H. s (als Dialektik der spekulativen Sanktionierung des Daseienden, d. h. des „Wirklichen", und der „beständigen Ablehnung" jeder „deontologischen Perspektive") von Marx' Dialektik der praktischen und revolutionären Umformung der Welt gezeigt habe. Der Ref. steht zwar einigen Thesen von Rossi zurückhaltend gegenüber, unterstreicht

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BIBLIOGRAPHIE

aber die „philologische Sorgfalt", die „Vollständigkeit in Darstellung und Analyse der H.schen Texte" sowie die „Einbeziehung alter und neuer H.literatur", wodurch dieses Buch für jeden Forscher der modernen Philosophie von großem Nutzen sei.

Hegel; „Cur Deus homo?" — In: Atti del XII congresso intemazionale di filosofia. Vol. 12. Firenze 1961. 319-326. MERLAN, PH.:

Coincidentia oppositorum. Gesammelte Studien zur Philosophiegeschichte. Hrsg, von Karlfried Gründer. Witten 1961. (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft. 19.) METZKE,

ERWIN;

241-263: Nicolaus von Cues und H. Ein Beitrag zum Problem der philosophischen Theologie. (Zuerst erschienen in; Festschrift für Heinz Heimsoeth, Kant-Studien 48 [1956].) - Obwohl H. den Cusaner an keiner Stelle erwähnt, ist „niemand dem Denken des Nicolaus von Cues so nahegekommen wie H.". Es ist daher kein Zufall, „daß sich auf dem durch H.s Philosophie bereiteten Boden im 19. Jahrhundert ein neues Verständnis der cusanischen Philosophie angebahnt hat, auch wenn der von der literarischen Einflußfrage unabhängige innere Sachbezug lange kaum bemerkt worden ist". Der Aufsatz möchte „wenigstens einige Schritte in die philosophischen Zusammenhänge" hineinführen. 320-337: Georg Wilhelm Friedrich H. 1770-1831. (Erstdruck in; Die großen Deutschen. Hrsg, von H. Heimpel, Th. Heuss, B. Reifenberg. Bd 3. Berlin 1956.) - Metzke wendet sich gegen das bestürzend dürftige H.bild, das gerade im deutschen Bildungsbewußtsein noch weithin herrscht, und versucht in der diesem biographischen Essai auferlegten Kürze herauszuarbeiten, daß „alle jene Vorwürfe des willkürlichen Spekulierens, der Verachtung der Tatsachen und der dogmatischen Systemkonstruktion" unhaltbar sind. „H.s Philosophie ist nicht aus bloßen Begriffen herausgesponnen, sondern sie ist erwachsen aus dem langen und geduldigen Bemühen, die konkreten Gehalte der Weltwirklichkeit zu erschließen." Im Nachwort würdigt der Hrsg, auch den Beitrag, den E. Metzke (t 1956) zur H.forschung geleistet hat (367 ff).

Logique de l'essence et logique de Tentendement chez Hegel. — In: Revue de metaphysique et de morale. Paris. 66 (1961), 159-183. MOULOUD, NO6L:

In der Sicht H.s besteht eine Entsprechung zwischen der Logik des Wesens und der Logik des Verstandes: der Verstand, der mit objektivierten Allgemeinheiten die Mannigfaltigkeit des gegebenen Sinnlichen zu beherrschen sucht, hat einen Bezug zum Wesen, das von den Phänomenen abgetrennt ist. Bei diesem Bezug setzt die Untersuchung an: „Nous chercherons comment les formes, les lois que l'entendement introduit dans la Science developpent la relation initiale de l'essence au phenomene, comment la dialectique meme des moments de l'essence imprime sa marque sur les determinations que peut atteindre l'entendement." Kann H. den Gebrauch der Verstandeskategorien in der Wissenschaft rechtfertigen, so muß er doch den Versuch abweisen, in einer Metaphysik der „Dinge an sich" das Absolute durch Verstandeskategorien zu fassen. Verf. setzt H.s Lehre in einen Bezug zu heutigem dialektischem Denken und zur Phänomenologie Husserls.

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La similitudine nella poesia drammatica secondo Hegel [Das Gleichnis in der dramatischen Poesie nach Hegel]. — In; Rivista di estetica. Torino. 1960, 105-112. NEGRI, ANTIMO:

Der Verf. bemerkt, daß nach H. das Gleichnis das Produkt der „Ruhe der Reflexion" ist, die erst in der dramatischen Dichtung die Überwindung und die Objektivierung der Leidenschaft der handelnden Personen, d. h. die Umformung des Pathos in Eidos ermöglicht.

Tre studi italiani sul giovane Hegel [Drei italienische Studien über den jungen Hegel]. - In: Giornale critico della filosofia italiana. Firenze. 15 (1961), 93—113. NEGRI, ANTIMO:

Der Aufsatz ist eine Auseinandersetzung mit den H.-Büchern von A. Massolo (Prime ricerdte di H.) , C. Lacorte {II primo H.) und Antonio Negri (Stato e diritto nel giovane H.). - Vgl. zu diesen Büchern auch die zusammenfassende Besprechung in diesem Band, S. 359 ff.

Hegels Arbeiten zur Theorie des subjektiven Geistes. - In: Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Hrsg, von J. Derbolav und F. Nicolin. Düsseldorf 1960. 356-374. NICOLIN, FRIEDHELM;

Im Hinblidc auf eine noch fehlende zusammenfassende Darstellung von H.s Theorie des subjektiven Geistes werden hier die Arbeiten, die H. diesem Thema gewidmet hat, kurz vergegenwärtigt. Es zeigt sich, daß H. dem Problemkreis des subjektiven Geistes nicht weniger aufmerksam zugewandt war als dem objektiven Geist, wenn er auch nicht wie bei diesem zu einer abgerundeten Darlegung gekommen ist. Im einzelnen werden behandelt: 1) Jugendexzerpte und die sog. „Materialien zu einer Philosophie des subjektiven Geistes"; 2) die Geistesphilosophie der Jenaer Systementwürfe; 3) die Phänomenologie und deren Eingliederung in die enzyklopädische Geisteslehre der Nürnberger Propädeutik; 4) die Enzyklopädie; 5) die Vorlesungen über Geistesphilosophie; 6) das Fragment eines geplanten H.schen Buches über den subjektiven Geist (vgl. Hegel-Studien, Bd 1, 9-48); 7) H.s Aneignung der aristotelischen Geisteslehre.

Von Hegel bis Droysen. Wandlungen der deutschen Geschichtsauffassung. - In; Der Monat. Berlin. 13 (1960/61), H. 145, 59-68. NITSCHE, ROLAND:

Verf. will an einigen Gestalten von H. bis Droysen den Weg aufweisen, der von der weltbürgerlich-geschichtlichen Würdigung der Vergangenheit zur nationalistischpolitischen Geschichtsschreibung führte. In dem Maße, als im 19. Jh. die deutsche Nation zum einzigen Horizont des Lebens wurde, nationalisierten sich auch die Aspekte der Wissenschaft. Den Initiator dieser geistigen Entwicklung sieht Verf. in H., der durch seine Lehre von den Volksgeistern und vom Staate die epochale Wendung vom Weltbürgerlichen zum Nationalen philosophisch begründet habe.

Hegelianische Dialektik heute. - In: Scholastik. Freiburg i. Br. 35 (1960), 1-26. OGIERMANN, HELMUT:

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BIBLIOGRAPHIE

Der Verf. fragt, wo H.sche Dialektik heute noch lebendig sei, und verweist auf den dialektischen Materialismus, auf Adorno, mit Einschränkungen auf Sartre und Heidegger. „H.s ursprüngliche Intention lebt nicht mehr fort; sie hat sich, so will es einem Vorkommen, philosophiegeschichtlich selbst gerichtet, der allzu bemühten Hegelrenaissance im ersten Drittel unseres Jahrhunderts zum Trotz."

Storia e metafisica in Kant, Hegel e Jaspers [Geschichte und Metaphysik bei Kant, Hegel und Jaspers]. - In: Rivista di filosofia neo-scolastica. Milano. 52 (1960), 46-72. PELLEGRINO, UBALDO:

Was H. betrifft, so vertritt der Verf. die Auffassung, er habe eine Metaphysik der Geschichte begründet, die nichts anderes sei, als eine säkularisierte christliche Theologie. H. w'ende das Kantsche Prinzip der apriorischen Synthese auf die ganze Wirklichkeit an. Die wahre Geschichtsauffassung sei für H. diejenige, die Gott von der Geschichte besitze.

A.; De jonge Hegel en de oorsprong van het denken. - In: Tijdschrift voor philosophie. Leuven. 23 (1961), 591-652. PEPERZAK,

Verf. behandelt H.s Jugendschriften unter dem Gesichtspunkt der Frage nach den Ursprüngen des späteren H.schen Systems: In Tübingen kreisen H.s Gedanken um das Ideal einer freien und glücklichen Nation, deren Prototyp die Griechen sind; in Bern spielt H. Jesus gegen die Positivität der Kirchen aus, entwickelt politisch-ethisch eine Philosophie der Entfremdung und sucht die Antithesen von Herrschaft und Knechtschaft, Natur und Freiheit, Gott und Mensch durch die Glorifizierung eines Ievolutionären und heroischen Sollens zu lösen; das Neue an H.s Frankfurter Fragmenten ist eine implizite „Logik", die sich in der Analyse geschichtlicher Phänomene zeigt und es H. gestattet, das Ideal seiner Jugend in ein System zu verwandeln. Durch eine existenzielle Psychoanalyse sucht der Verf. jenes Apriori zu enthüllen, das den verschiedenen Ausprägungen des H.schen Denkens zugrundeliegt: H.s Denken wurzele in der Sehnsucht nach irdischer Erlösung, nach Verbindung mit dem mütterlichen Universum. Die Kritik des Verf. setzt daran an, daß H. kein wahrhaft Transzendentes kennt, die Tragik des Lebens durch menschliche Kraft innerhalb dieser Welt zu lösen sucht.

PöGGELER, OTTO: Das Hegelwerk Hermann Glöckners. - In: Philo-

sophische Rundschau. Tübingen. 8 (1960), 28-52. Der von Glöckner herausgegebenen „Jubiläumsausgabe" fehle, so wird hier dargelegt, ein Vorwort, das ein kritisches Bewußtsein davon vermittle, wie diese Ausgabe H. sowohl zugänglich mache als auch verschließe. Das Corpus philosophiae Hegelianae, das sie im Anschluß an die Ausgabe der H.schüler darbiete, sei nicht eigentlich das Corpus der H.schen Schriften, sondern das von den Hegelianern aus dem ihnen hinterlassenen Erbe nach ihren Zielen und gemäß ihrem Verständnis mit größerer oder geringerer Texttreue zusammengestellte. In seiner H.monographie werde Glöckner ein Opfer seiner eigenen Ausgabe, da er zwar das Denken des jungen H. (bis zur Phänomenologie) vermittle, aber die Arbeit des Systematikers - also den eigentlichen Inhalt des „Corpus philosophiae Hegelianae" - nicht zu neuer Lebendigkeit aufzuschließen vermöge.

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Person und Eigentum. Zu Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts" § 34-§ 81. - In: Pädagogische Rundschau. Ratingen. 15 (1961), 10-20. RITTER, JOACHIM:

Die Arbeit gibt ein Referat wieder, das im Oktober 1960 vor der MarxismusKommission der Evangelischen Studiengemeinschaft gehalten wurde. - Während Freiheit nach naturrechtlicher Auffassung „an sich" zur Natur des Menschen gehört, kommt sie nach H. geschichtlich zu ihrer Verwirklichung: Das Recht aller Menschen auf Freiheit ist „unabdingbar an die moderne Gesellschaft und an ihre rationelle Herrschaft über die Natur gebunden". Das Eigentum, das auf Sachen beschränkte Verhältnis der Personen, ist für H. die Bedingung der Möglichkeit der Verwirklichung der geistig-sittlichen Freiheit.

Hegels Methode gemessen an der Methode des Aristoteles. - In: Archiv für Philosophie. Stuttgart. 10 (1960), 3-23. ROEDER VON DIERSBURG, EGENOLF:

Der Verf. vergleicht einige Lehrstücke H.s (über die Schlußfiguren, die induktiven Verfahren, die Analogie) mit der andersartigen Auffassung des Aristoteles und sieht sich so vor das Problem gestellt: „Ob die ... in der Dialektik fremdartigen syllogistischen Strukturen den dialektischen Prozeß nicht etwa, statt ihn zu stützen, vielmehr entscheidend schwächen; wie die Transfusion einer fremden Blutgruppe den Organismus, den sie stützen sollte, vielmehr bis zur Vernichtung schädigt."

Der Einfluß Hegels auf das Schulwesen des 19. Jahrhunderts. - In: Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Hrsg, von J. Derbolav und F. Nicolin. Düsseldorf 1960. 434-450. ROESSLER, WILHELM:

„Mit dem Wirksamwerden der H.schen Lehre im Erziehungsfeld beginnt ein neuer, noch nicht genügend erforschter Abschnitt in der Geschichte des modernen Erziehungswesens." Roeßler weist diese Wirkung H.s, „die... weniger von den gedruckten Werken als vielmehr von der lebendigen Aufnahme und Überlieferung der Lehre durch seine Schüler und Anhänger ausging", besonders an den kulturpolitischen Bemühungen Joh. Schulzes und an der Erziehungslehre von Deinhardt und Rosenkranz auf. Thematisch behandelt er „Die Erziehung zur und durch die Geschichte", „Die Erziehung zur Freiheit durch Allgemein-, Volks- und Selbstbildung" und „Die ,Aufhebung' der Gegensätze alter und neuer Erziehungsbestrebungen". Ein kritischer Rückblick soll zeigen, daß mit einer „Schwerpunktsverlagerung von der Humanitätszur Staatsschule" die Schulerziehung in eine bereits überwundene Phase zurückfällt.

Die Religionskritik von Karl Marx im Blickpunkt der Hegelschen Religionsphilosophie. - In: Neue Zeitschrift für systematische Theologie. Berlin. 2 (1960), 44-64. ROHRMOSER, GüNTER:

Die Religion ist nach Marx Ausdrude der Selbstentfremdung, in die der Mensch als produzierendes Gesellsdiaftswesen hineingeraten ist und die durch die Revolution beseitigt werden soll. Das faktische Ausbleiben dieser Revolution bzw. ihr Auftreten dort, wo sie nicht geplant war, „ist also keineswegs gleichgültig für die Beurteilung der von Marx postulierten Notwendigkeit, die Religion aufzuheben". Die Entfremdung gehört, wie H. herausgestellt hat, zum selbstbewußten Sein des Men-

27

Hegel

418 sehen. H. hat dem Postulat, sprochen wie söhnt bei sich

BIBLIOGRAPHIE

gezeigt, daß das endliche Sein sich nicht selbst versöhnen kann. Er hat die Entfremdung gesellschaftlich zu beseitigen, ebenso entschieden widerdem Anspruch religiöser Innerlichkeit, in einer entfremdeten Welt verselbst sein zu können.

Zur Vorgeschichte der Jugendschriften Hegels. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim. 14 (1960), 182-208. ROHRMOSER, GüNTER:

H.s Jugendschriften sind von Dilthey und denen, die ihm folgen, nach dem theologischen, von Lukäcs und J. Ritter nach dem politischen Aspekt gedeutet worden. Aufgabe der Forschung ist es, beiden Aspekten gerecht zu werden. In diesem Sinne versucht Rohrmoser, eine Erkenntnishypothese zu präzisieren, die zuerst von R. Schneider (Sdrellings und H.s schwäbische Ceistesahnen, 1938) erarbeitet worden ist: H. verdanke Wesentliches in seinem theologischen Gedankengut schwäbischen Denkern wie Moser, Bengel und Oetinger. Rohrmoser will aber nicht mehr das revolutionäre Element übersehen, das immer schon in der württembergischen Theologie angelegt gewesen sei.

Sdiiller et Hegel. La reconciliation esthetique. - In: Archives de philosophie. Paris. 23 (1960), 186-206. ROHRMOSER, GüNTER:

Übersetzung des Aufsatzes Zum Problem der ästhetischen Versöhnung. Schiller und Hegel. Vgl. dazu Hegel-Studien. 1 (1961), 351.

Rossi, MARIO: La crisi del primo hegelismo tedesco e gli esordi filosofici di Marx e di Engels [Die Krise des ersten deutschen Hegelianismus und die philosophischen Anfänge von Marx und Engels]. - In: Rivista storica del socialismo. Milano. 3 (1960), 131-168 und 4 (1961), 437-488. Es handelt sich um die Fortsetzung einer Studie, über deren ersten Teil bereits berichtet wurde (vgl. Hegel-Studien, Bd 1, 351 f). - Der zweite Teil behandelt die Dritte Periode: Atheismus und Radikalismus (1840-44). Fast alle Gestalten der Krise des ersten Hegelianismus (Trendelenburg, der späte Schelling, Weisse, J. U. Wirth, I. H. Fichte, Chalybäus, Ulrici, Strauß, B. und E. Bauer, Rüge, Engels, Feuerbach und der junge Marx) werden kurz dargestellt. Die Jahre 1840-44 gelten für Rossi als „eine der intensivsten Perioden des kulturellen Lebens des neueren Deutschland". - Der dritte Teil legt die „philosophischen Anfänge" von Marx und Engels bis zur Auflösung der H.schen Linken (Veröffentlichung der Deutsch-französischen Jahrbücher) dar. Rossi hebt die unterschiedliche Jugendentwicklung von Marx und Engels hervor. Engels' Verhältnis zur klassischen ftftlosophie sei vor seinem Übergang zum historischen Materialismus mehr Assimilation als kritische Abrechnung gewesen; „deshalb blieb er sein ganzes Leben mehr Hegelianer als Marx". Aber sein für die Beobachtung der Wirklichkeit aufgeschlossener Geist habe ihm sofort den Einfluß des ökonomischen und produktiven Lebens auf den Verlauf der Geschichte richtig einschätzen lassen, so daß Engels Marx ein System lebendiger ökonomischer Bemerkungen geboten habe, die dieser „nie aus Büchern hätte lernen können". Was Marx betrifft, unterstreicht Rossi besonders die Bedeutung der unnachsichtigen Auseinandersetzung mit der H.schen Dialektik und deren kritische Ablehnung. Nachdem Verf. den Einfluß von Feuerbach (Vorläufige Thesen), Trendelenburg (Logische Untersuchungen)

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419

und Rüge {Die H.sdie Rechtsphilosophie und die Politik unserer Zeit) untersucht hat, kommt er zu dem Schluß, daß Marx' H.kritik eine „ganz neue und originelle Errungenschaft" sei.

Rossi, MARIO: Sulla dialettica hegeliana [Hegels Dialektik]. - ln: Rivista critica di storia della filosofia. Firenze. 15 (1960), 405-413. Rossi skizziert kurz den Weg der Entstehung, Formulierung und Auflösung der H.schen Dialektik. Während H. bis zur Berner Zeit die von Rousseau über Kant abgeleitete Dialektik der Entäußerung und Zurücknahme der politischen Freiheit des Menschen übernehme, formuliere er später (in Frankfurt), unter dem Einfluß der organizistischen Tendenzen der nachkantschen Philosophie, seine endgültige Dialektik als eine Dialektik des Ganzen, des Absoluten. Solche Dialektik aber, die als Form des Systems kein eigenes Leben besitze, kann nach Ansicht Rossis nicht als „revolutionäre" Methode von dem „reaktionären" System getrennt werden, wie man es von den Linkshegelianern bis zu den heutigen „humanistischen" H.interpreten (Hyppolite, Kojeve, Lukäcs) vergebens versucht habe. Die H.sche Dialektik des Ganzen sei Produkt einer Weltanschauung, die in eine bloß theoretische Betrachtung der Wirklichkeit eingeschlossen bleibe und dem Menschen sein Elementarrecht verweigere, in die Praxis einzugreifen, um sie zu verändern. Dieses Recht komme erst in der von Marx erarbeiteten Dialektik zur Geltung.

Die zentrale Bedeutung der Liebe für das Werden des Hegelschen Systems. - In: Erkenntnis und Verantwortung. Festschrift für Theodor Litt. Hrsg, von J. Derbolav und F. Nicolin. Düsseldorf 1960. 346-355. RüFNER, VINZENZ:

In H.s Gedanken über die Liebe, wie sie sich insbesondere in den „theologischen Jugendschriften" darstellen, sieht der Verf. den Schlüssel zum Verständnis der H.schen Dialektik. Das Grundschema der Liebe - Vereinigung, Trennung, Wiedervereinigung - forme die Grundzüge der späteren Dialektik vor. Verf. glaubt im Johaimesevangelium, in der augustlnischen Liebeslehre, in der deutschen Mystik, im Pietismus und bei den Schwabenvätern Quellen möglicher Einflüsse auf die Ausbildung dieses H.schen Gedankengutes erkennen zu können.

Prime ricerche di Hegel [Hegels erste Untersuchungen]. - In: Societä. Milano. 16 (1960), 76—97. SALVUCCI, PASQUALE:

Der .Aufsatz wurde in Anlehnung an das Buch Prime ricerche di H. von A. Massolo (Urbino 1959) geschrieben. In Übereinstimmung mit Massolo lehnt Salvucci es ab, daß man den Jenaer (revolutionären) H. dem reifen (reaktionären) entgegenstellt. Bei dem Systematiker H. finde man dieselben revolutionären Thesen, die dem jungen H. eigentümlich seien. Die Philosophie des reifen wie des jungen H. werde von den Bedürfnissen der Zeit bestimmt. Verf. unterstreicht schließlich, daß Massolos H.-Interpretation „tief die Bedeutung von H.s ,Reallsmus', sein begeistertes Interesse für die historisch-politische Wirklichkeit seiner Zeit hervorhebt".

Hegel und die deutsche Staatslehre des 19. und 20. Jahrhunderts. - In: Studium Berolinense. Aufsätze und Beiträge zu ProScHEUNER, ULRICH:

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BIBLIOGRAPHIE

blemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Hrsg, von H. Leussink, E. Neumann und G. Kotowski. Berlin 1960. 129-151. In der Entwicklung der Lehre vom Staat zwischen 1830 und 1930 sei das Erbe H.s nur ein Moment unter anderen; der Verf. aber meint, daß dieses Erbe prägend genug sei, um einen Überblick über die Staatslehre dieser Periode an H. orientieren zu können. Die Darstellung arbeitet zunächst den Stand der Staatslehre am Ausgang des 18. Jahrhunderts heraus, die durch die idealistische Philosophie, besonders durch H. die entscheidende Wandlung und Vertiefung erfahren hat. Zweitens behandelt er die philosophischen Grundlagen der deutschen Staatslehre vor dem Aufkommen der positivistischen Rechtsmethodik, drittens H.s Einfluß auf die revolutionäre Gesellschaftskritik und zum Schluß die Stellung der Historie und Soziologie in der philosophischen Erörterung der Grundfragen des Staates.

ScHLAWE, FRITZ: Die junghegelische Publizistik. - In: Die Welt als Geschichte. Eine Zeitschrift für Universalgeschichte. Stuttgart. 20 (1960), 30-50. Die Darstellung vermittelt einen detaillierten Überblick über die Publizistik des 19. Jahrhunderts, soweit in ihr die Auswirkungen der H.schen Philosophie faßbar sind; sie gibt damit zugleich eine Skizze der Geschichte der junghegelischen Bewegung. In der Mitte der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erlosch die junghegelische Publizistik.

Hegels Philosophie der Sprache. - In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Berlin. 9 (1961), 1479—1486. SCHMIDT, FRANZ:

Verf. referiert die Auffassung von der Sprache, wie H. sie in der Enzyklopädie, der Logik, der Phänomenologie und den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgesdiichte entwickelt: H. habe die Sprache in den subjektiven Geist verwiesen, ihr eine eigentliche Geschichte abgesprochen und sie somit nicht, wie Herder, als Ausdruck eines Volksgeistes begriffen.

Die Vorbereitung von Hegels „Phänomenologie des Geistes" in seiner „Jenenser Logik". - In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Meisenheim. 14 (1960), 16-39. SCHMITZ, HERMANN:

Verf. übernimmt Th. Haerings These, die Phänomenologie sei „nicht langsam und organisch gereift, sondern sowohl der Konzeption als auch der Ausführung nach ganz plötzlich entstanden". Diese „fast unbegreifliche Tatsache" soll aus der Entstehungsweise der Phänomenologie verständlich gemacht werden; „H. hatte sich in seinen Jenaer Niederschriften auf kategorialanalytischem, erkenntnistheoretischem und logischem Gebiet gewisse dialektische Zusammenhänge erarbeitet, deren formales Gerüst er dann minutiös in die Phänomenologie übernahm, indem er sich weitgehend darauf beschränkte, den Inhalt seiner schon vorliegenden Gedankenreihen . . . gleichsam ,umzutaufen' und dadurch für die geistesphilosophischen Themen des neuen Werkes brauchbar zu machen." Dies sucht Verf. in einem Vergleich des Phänomenologie-Kapitels „Das geistige Tierreich" und des Kapitels über das Erkennen aus der frühen Jenaer Logik zu zeigen.

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Livio: Hegel e i Greci. Note sulla genesi e sull' evoluzione della Philosophie der Weltgeschichte. - In: Studi Urbinati. Urbino. Nuova Serie B. 35 (1961), Nr 1/2. SicHiROLLO,

Diese Arbeit soll eine Untersuchung vorbereiten, die zeigt, wie die Figuren der H.schen Philosophie der Weltgesdiidtte in den verschiedenen Phasen von H.s Auseinandersetzung mit der Antike Gestalt gewinnen. Der Verf. trägt aus H.s Stuttgarter, Tübinger, Berner, Frankfurter, Jenaer, Nürnberger und Berliner Zeit das Material zum Thema zusammen und gibt erste interpretatorische Hinweise.

Der Triumph der Verzweiflung. - In: Häresien der Zeit. Ein Buch zur Unterscheidung der Geister. Hrsg, von A. Böhm. Freiburg, Basel, Wien 1961. 81—133. SiEWERTH, GUSTAV:

98-109: H.s Dialektik der Verzweiflung. - Die abendländische Gesdiichte enthüllt sich in ihrer Wahrheit nur dem, dem sich ihre religiösen Wurzeln nicht verschleiern: sie stürzt durch die Säkularisation des Christlichen in den „Triumph der Verzweiflung". H.s Denken - das für unsere Zeit „repräsentativste" - rechtfertigt die Verzweiflung als die Not des Absoluten selbst, das sich aus seiner Einheit in die Vielheit und Besonderheit entäußern und so als der absolute Widerspruch es selbst sein muß. In H.s Versuch, die moderne Gesellschaft, die auf Befriedigung der Bedürfnisse, Eigennutz und schrankenlosen Erwerbstrieb gestellt ist, mit der sittlichen Totalität des Staates zu einigen, tritt die Dialektik der Verzweiflung, wie sie heute Ost und West beherrscht, „in schärfster Weise zutage".

Martin Heidegger und die Frage nach Gott. - In: Hochland. München. 53 (1961), 516-526. SiEWERTH, GUSTAV:

Siewerth bemerkt kritisch zu Heideggers H.-Vortrag Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, daß erst die christlich-theologisch aufgehellte Metaphysik Gott als den sich selbst begründenden Grund ansetze und daß erst seit dem späten Mittelalter in einem Absturz des Denkens, der in H. ende, die Ontotheologie zum Wesen der Philosophie werde.

B.: Hegels Naturphilosophie. - In: Physikalische Blätter. Mosbach. 17 (1961), 437 f. STEVERDING,

Im gleichen Jahrgang der Zeitschrift (197 f) waren eiiüge Stellen aus H.s Naturphilosophie abgedruckt worden - „offenbar zu dem Zwecke, durch deren Absurdität philosophisch ungeschulte Leser zu erheitern", wie Verf. dieser Stellungnahme dazu bemerkt. Steverding äußert die Überzeugung, „daß das historische Mißverständnis zwischen Naturwissenschaften und der H.schen Philosophie einer Revision bedarf". Er verweist auf den Gegensatz zwischen H.s universaler Verflechtung der Kategorien und der methodischen Abstraktion und Isolierung in der Physik. Die Redaktion der Zeitschrift bemerkt hierzu (438), Philosophen wie Schelling und H. seien „durch die Absurdität und Verworrenheit ihrer Definitionen für (philosophisch ungeschulte) Leser Grund der Erheiterung - aber noch mehr der Verwunderung. Diese Heiterkeit und dieses Staunen mag uns bewahren, verwandte Gegenwartserscheinungen ernst zu nehmen."

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BIBUOGRAPHIE

Hegel und die Grundgesetze der Dialektik. - In: Forschen und Wirken. Festschrift zur 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin 1810-1960. Bd 1: Beiträge zur wissenschaftlichen und politischen Entwicklung der Universität. Berlin 1960. 117-131. STIEHLER, GOTTFRIED:

Mit den Klassikern des Marxismus sieht Verf. das größte Verdienst des H.schen Denkens in der Ausarbeitung der dialektischen Methode, welche die vorwärtstreibenden Kräfte seiner Philosophie verkörpere. Er ist zwar der Meinung, daß die Dialektik H.s durch ihren idealistischen Charakter entstellt sei, hält aber das Studium ihrer Grundgesetze für äußerst fruchtbar. Im einzelnen behandelt er das dialektische Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität, die Kategorien Identität, Unterschied, Gegensatz, Widerspruch und das Gesetz der Negation der Negation. Während H. seine Dialektik letzten Endes zugunsten einer Metaphysik preisgegeben habe, werde im Marxismus mit dem revolutionären Charakter der Dialektik wirklich ernst gemacht.

SwiEZAwsKi, STEFAN: Hegel und die mittelalterliche Philosophie. - In:

Archiv für Philosophie. Stuttgart. 10 (1960), 24-78. Verf. madit H. den Vorwurf, daß er sich, trotz seiner Forderung nach unmittelbarem Quellenstudium, bei seiner Darstellung der mittelalterlichen Gedankenwelt lediglich auf sekundäre Bearbeitungen und unzulängliche Auszüge der mittelalterlichen Philosophie stütze; räumt dabei allerdings ein, daß die unzureichende Quellenkenntnis der mittelalterlichen Geisteswelt in dem Stand der philosophiehistorischen Forschung seiner Zeit begründet sei. Darüber hinaus wirft er H. eine christentumsfeindliche Haltung vor, die ihn zu falscher oder verzerrter Bewertung der mittelalterlich-christlichen Philosophie verleitet habe.

SzoNDi, PETER: Versudi über das Tragische. Frankfurt a. M. 1961. Der erste Teil dieses Versuchs referiert die Philosophie des Tragischen, die von Schelling bis zu Simmel und Scheler reicht. H., dem und dessen Schule diese Studie „Erkenntnisse verdankt, ohne die sie nicht hätte geschrieben werden können", wird ausführlich berücksichtigt (20-28).

F. A.: Ragione e fede in Socrate, Cartesio ed Hegel. - In: Educare. Messina. 12 (1961), 50-61. TEDESCHI,

Hegel a Stuttgart (Essai sur la formation esthetic^jue de Hegel d'apres des documents inedits en franqais, reunis en collaboration avec Arnim Raith). - In: Revue philosophique de la France et de l'etranger. Paris. 85 (1960), 197-227. TEYSSEDRE, BERNARD:

Der Artikel will die Arbeiten aus H.s Gymnasialzeit, die bisher in französischer Sprache nicht vorliegen, präsentieren. Er geht die von Rosenkranz und Hoffmeister veröffentlichten Berichte und Dokumente Stück für Stück durch und erläutert sie unter besonderer Berücksichtigung des ästhetischen Gedankens. Verf. betont den großen Lerneifer und das außerordentliche Sachinteresse des Gymnasiasten, die sich in diesen Texten (Tagebuchnotizen, Exzerpten, Übersetzungen, Marginalien, Präparationen, Kommentaren, Deklamationen) dokumentieren.

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Kritische Hauptpunkte in den ersten Abschnitten von Hegels „Phänomenologie des Geistes". - In: Festschrift H. J. De Vleeschauwer. Pretoria 1960. (Communications of the University of South Africa. C. Supplement 1.) 84-95. THYSSEN,

JOHANNES:

Verf. interpretiert die beiden ersten Abschnitte der Phänomenologie des Geistes und hebt dabei im Sinne einer systematischen Kritik an H. in seinen Ausführungen über die sinnliche Gewißheit das Problem des Occasionellen, in dem Kapitel über die Wahrnehmung das Problem von Einheit und Vielheit heraus.

TUCKER,

R. C.: Philosophy and Myth in Karl Marx. Cambridge 1961.

45-56: History as God's self-realization. 57-69: The dialectic of aggrandizement. These two chapters mainly analyse the Hegelian problem of alienation and conclude that "H.s world-self is a neurotic personality", that "solipsism... is for H. the philosophical goal and ideal", that his own youthful inner drama is reflected in the proposed form of transcendence, and that the dialectic is „the psydiodynamics of Hegelian spirit in its quest to know itself as the Absolute". The outcome of his "dialectic of aggrandizement" is said to be a radical transvaluation of moral values, in the direction of exempting from evaluation the actions that contribute to the movement of world history. On these grounds Tucker deems the Hegelian "doctrine of the historical beneficence of moral evil" the direct precursor of that of Nietzsche.

J. O. [ED.]: The Concise Encyclopaedia of Western Philosophy and Philosophers. London 1960. URMSON,

157-161: [Heget] - H. is defended against the Charge concerning his allegedly arrogant claims for his own System, on the grounds that „the view of the history of philosophy on which these Claims are based has been almost universally accepted". As Principal merit of H.s philosophy, beyond its achievements in the history of philosophy, the historical approadi to art, religion and literature is mentioned. It is also pointed out that many of the insights of existentialism are anticipated in the Phenomenologie. His use of „necessity" is called "the central confusion" of the Hegelian philosophy, and he is criticised as forefather of "the art of pseudodemonstration". At the same time it is emphasised that "the history of philosophy since his death could be represented as a series of revolts against him and his followers".

Osservazioni sulla cronologia dei primi scritti di Hegel [Beobachtungen zur Chronologie der ersten Schriften Hegels]. — In: II Pensiero. Milano-Varese. 5 (1960), 157-175. VANNI ROVIGHI, SOFIA:

Aufgrund einer vergleichenden inhaltlichen Analyse der ersten Schriften H.s {Volksreligion und Christentum, Das Leben Jesu und Die Positivität der christlichen Religion) zieht die Verf. die Schlußfolgerung, daß Volksreligion und Christentum nicht, wie Nohl meinte, die erste Arbeit H.s, sondern die dritte gewesen sei (d. h. sie wäre nach Die Positivität... geschrieben). Das erste Fragment von Volksreligion und Christentum scheint der Verfasserin „das erste wirklich persönliche Werk H.s" zu sein. - Vgl. dazu auch in diesem Band S. 139, Anm.

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BIBLIOGRAPHIE

Dissertationen über Hegel und seine Philosophie (Deutschland, Österreich, Schweiz) Zusammengestellt von Hermann Bredenfeld (Münster)

Das folgende Verzeichnis möchte für das Hegel-Studium ein bibliographisches Hilfsmittel vorlegen, nach dem oft verlangt wird. Gerade in Dissertationen werden vielfach wichtige Einzelfragen behandelt. Es ist aber andererseits kaum möglich, jedenfalls mit mühsamer Sucharbeit verbunden, sich aus den vorhandenen Bibliographien von Hochschulschriften einen thematischen Überblick über die einschlägigen Arbeiten zu verschaffen. Ebendies soll das hier dargebotene Verzeichnis von Doktor-Arbeiten über Hegel und die Hegelsche Philosophie erleichtern. Unsere Zusammenstellung hat ihren beabsichtigten Schwerpunkt in den deutschsprachigen Dissertationen. Indessen wäre es nicht tunlich gewesen, sich streng auf Arbeiten in deutscher Sprache zu beschränken. Lateinisch geschriebene Dissertationen des 19. Jahrhunderts wären dann ganz weggefallen. Für die Schweiz hätte die Ausklammerung der französisch sprechenden Hochschulen eine sachlich nicht gerechtfertigte Begrenzung ergeben. Andererseits hätten sehr vereinzelte deutschsprachige Doktorarbeiten aus anderen Ländern berücksichtigt werden müssen. Aus diesen Gründen haben wir die im Titel bezeichnete Abgrenzung bevorzugt und die Dissertationen der drei Länder Deutschland, Österreich und Schweiz zusammengefaßt.i Der Zeitraum, auf den das Verzeichnis sich erstreckt, ist durch die vorliegenden Bibliographien bestimmt: Jahresverzeichnis der deutschen Hochschulschriften ab 1885, der schweizerischen ab 1898, Verzeichnis der philosophischen Dissertationen in Wien und Innsbruck ab 1872; für einzelne deutsche Universitäten - Berlin, Bonn, Breslau, Halle - Einzelverzeichnisse ab 1810. (Alle in Frage kommenden und von uns benutzten Werke sind genau nachgewiesen bei Totok-Weizel: Handbudi der bibliographisdien Nachschlagewerke, 2. Aufl. Frankfurt 1959. 97-99.) Die Titel sind chronologisch nach Jahren geordnet. Das Verzeichnis eröffnet damit zugleich einen Blick auf die Wirkungsgeschichte Hegels und die Geschichte des Hegelstudiums an den Universitäten. Innerhalb eines jeden Jahres sind die Arbeiten alphabetisch nach Verfassernamen aufgeführt. Das am Schluß angefügte Register ermöglicht das schnelle Auffinden bestimmter Arbeiten vom Verfasser her. Um den praktischen Wert unserer Zusammenstellung zu erhöhen, haben wir Buchhandelsausgaben und Abdrucke in Zeitschriften, soweit sie vorliegen und ermittelt werden konnten, bei den entsprechenden Titeln angegeben. Auf eine eventuelle Bearbeitung oder Erweiterung des Textes, Änderung des Titels u. ä. ist dabei nach Möglichkeit jeweils hingewiesen. Die Abkürzungen [HS] und [MS] besagen, daß die betr. Arbeit nicht gedruckt, sondern nur handschriftlich bzw. maschinenschriftlich vorliegt. 1 Es ist vorgesehen, entsprechende Übersichten aus anderen für das Hegelstudium wichtigen Ländern zu veröffentlichen. (D. Hrsg.)

Dissertationen über Hegel

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1842 DRIESEN, LUDOVICUS: In welchem Verhältnis steht nach konsequenter Entwickelung das religiöse Princip zu Hegels Philosophie des Rechts (cf. namentlich § 227 und 270 Anmerkung) und wie ist dies Verhältnis zu beurtheilen? 29 S. Halle-Wittenberg, Phil. 1842.

1846 WERTHER, KARL-ALBERT : De notione materiae qua ratione ab Herbarto et Hegelio constituta sit. Halle-Wittenberg, Phil. 1846.

1852 BORN, THEODORUS: Quaestiones ex Hegelii philosophia oriundae. 33 S. Halle-Wittenberg, Phil. 1852. - Auch: Halae 1852.

1873 WEBER, THEODOR: Entwidclung von Schleiermachers Ansicht über das Verhältnis der Rechtslehre zur - philosophischen und christlichen - Sittenlehre, verglichen mit den Anschauungen von Kant und Hegel. 212 S. Halle-Wittenberg, Phil. 1873.

1874 SOHR, MAXIMILIAN: Trendelenburg und die dialectische Methode Hegels. Ein kritischer Versuch. 62 S. Halle-Wittenberg, Phil. 1874.

1875 GRöBLER, PAUL: Über den Begriff der Religion bei Kant, Schleiermacher und Hegel. 94 S. Halle-Wittenberg, Phil. 1875.

1876 STOMMEL, KUNO: Die Differenz Kants und Hegels in Bezug auf die Erklärung von Antinomien. 29 S. Halle-Wittenberg, Phil. 1876.

1887 WERNER, JOHANNES: Hegels Offenbarungsbegriff. Ein religionsphilosophischer Versuch. 38 S. [Teildruck]. Jena, Phil. 1887. - Vollständig: Leipzig 1887. 90 S.

BIBLIOGRAPHIE

426

1893 Vergleichende Untersuchung der Staatsidee Kants und Hegels. 68 S. Erlangen, Phil. 1893. SoDEUR,

GOTTLIEB:

1895 Das Verhältnis des einheitlichen Wesens der Religion zur historischen Mannigfaltigkeit der Religionen bei Schleiermacher und Hegel. 62 S. Erlangen, Phil. 1895. - Auch unter dem Titel: Religion und Religionen bei Schleiermacher und Hegel. Erlangen 1896. VowiNCKEL,

ERNST:

1898 Die Grundgedanken der HegeTschen Logik und Dialektik und Trendelenburgs Kritik derselben. [HS]. Wien, Phil. 1898. WYNEKEN, GUSTAV ADOLPH: Hegels Kritik Kants. 44 S. Greifswald, Phil. 1898. Auch unter dem Titel: Hegels Kritik Kants. Zur Einleitung in die Hegelsche Philosophie. Greifswald 1898. DILLES,

LUDWIG:

1902 Unter welchen philosophischen Voraussetzungen hat sich bei Hegel die Wertschätzung des Staates entwickelt und wie ist diese zu beurteilen? 85 S. Jena, Phil. 1902. FICKLER,

WILHELM:

1903 DUNLOP, FRANK W.:

Hauptmomente in Hegels Begriff der Persönlichkeit. 81 S. Jena,

Phil. 1903. 1904 Die Religionsphilosophie Hegels, in ihrer Genesis dargestellt und in ihrer Bedeutung für die Gegenwart gewürdigt. IV, 126 S. Leipzig, Phil. 1904. - Auch: Berlin 1904. OTT, EMIL:

1905 Hegels Ansichten über Erziehung im Zusammenhänge mit seiner Philosophie dargestellt. 80 S. Leipzig, Phil. 1905. ZIEGLER, LEOPOLD: Das Grundproblem des nadikantischen Rationalismus mit besonderer Berücksichtigung Hegels. 127 S. Jena, Phil. 1905. - Auch: Leipzig 1905. ENTNER, PAUL:

Dissertationen über Hegel

427

1906 ASCHKENASY, HIRSCH: Hegels Einfluß auf die Religionsphilosophie in Deutschland. 32 S. [Teildruck]. Berlin, Phil. 1906. - Vollständig: Berlin 1907. 82 S. (Philosophische Abhandlungen. 1.) HADUCH, HERMANN: Hegels Lehren über das Verhältnis von Religion und Philosophie. 32 S. [Teildruck]. Bonn, Phil. 1906. - Vollständig: Halle 1906. 82 S. (Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte. 24.) RUBINSTEIN, MOSES: Die logischen Grundlagen des Hegelschen Systems und das Ende der Geschichte. 73 S. Freiburg i. Br., Phil. 1906.

1907 DREYER, HANS: Der Begriff Geist in der deutschen Philosophie von Kant bis Hegel. 106 S. Halle, Phil. 1907. - Auch: Berlin 1908. (Kant-Studien. Ergänzungshefte. 7.)

Hegels Socialphilosophie. Die Lehre vom objektiven Geist. 41 S. Heidelberg, Phil. 1907. - Vollständig: Tübingen 1910. VII, 83 S. MAYER-MOREAU, KARL:

1908 Das Problem der Gravitation in Schellings und Hegels Jenaer Zeit. IV, 43 S. [Teildruck]. Heidelberg, Phil. 1908. - Vollständig unter dem Titel: Kepler und Newton und das Problem der Gravitation in der Kantischen, Schellingschen und Hegelschen Naturphilosophie. Heidelberg 1908. 121 S. CLOSS, OTTO:

Vergleich der Methoden Kants und Hegels auf Grund ihrer Behandlung der Kategorie der Quantität. VI, 129 S. Heidelberg, Phil. 1908. Auch: Berlin 1908. (Kant-Studien. Ergänzungshefte. 8.) O'SuLLivAN,

JOHN MARCUS:

Hegel über das Auftreten der christlichen Religion in der Weltgeschichte. Ein Beitrag zur Geschichte der Religionsphilosophie. 48 S. [Teildruck]. Erlangen, Phil. 1908. - Vollständig: Tübingen 1909. 67 S. REESE, HEINRICH:

1909 Untersuchungen zu Hegels Geschichtstheorie 1. (Einleitung: Aufgabe und Methode der Hegel-Forschung.) 46 S. [Teildruck]. Berlin, Phil. 1909. DITTMANN, FRIEDRICH: Der Begriff des Volksgeistes bei Hegel. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Begriffs der Entwicklung im 19. Jahrhundert. 108 S. Leipzig, Phil. 1909. - Auch: Leipzig 1909. (Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte. 10.) BRUNSTäD, FRITZ:

EBER, HEINRICH: Hegels Ethik in ihrer Entwickelung bis zur Phänomenologie. 180 S. Straßburg, Phil. 1909.

Über das Verhältnis Hartmanns zu Hegel und Schopenhauer. 72 S. Münster, Phil. 1909. - Auch in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. 134 (1909), Ergänzungsheft, 1-69. GRUBICH, JOHANNES:

428

BIBLIOGRAPHIE

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1910 LEWKOWITZ, ALBERT;

Hegels Ästhetik im Verhältnis zu Schiller. 76 S. Breslau, Phil.

1910. - Auch: Leipzig 1910. WAGNER, RICHARD; Hegels Rechts- und Staatslehre im Verhältnis zum Naturrecht und zur historischen Rechtsschule. [HS]. Wien, Phil. 1910.

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Dissertationen über Hegel

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Schneider, Robert 1936 Schnyder, Walter 1922 Schorr, Karl-Eberhard 1947 Schulin, Emst 1958 Schulz, Ruth-Eva 1954 Schüßler, Ingrid 1953 Schwartländer, Hans 1953 Schwarz, Justus 1931 Seidl, Franz-Johann 1953 Seldmann, Isidor 1927 Simon, Ernst 1924 Simon, Josef 1958 Sistig, Peter 1943 Sodeur, Gottlieb 1893 Sohr, Maximilian 1874 Specht, Ernst Konrad 1952 Steininger, Wilhelm 1958 Steinkrüger, August 1927 Stich, Herta 1936 Stommel, Kuno 1876 Sulz, Eugen 1909 Süsser, Hans 1950 Szmulewicz, Fischel Laib 1936

Thomas, Johannes 1920 Trescher, Hildegard 1918 Trott zu Solz, Adam von 1932 Tschizewskij, Dmitrij 1935 Unger, Wolfgang 1957 Vincenz, Stanislav 1914 Vowinckel, Ernst 1895 Wacker, Herbert 1932 Wagner, Ludwig 1924 Wagner, Richard 1910 Walentik, Leonhard 1960 Weber, Theodor 1873 Wege, Liselotte 1932 Wegner, Michael 1958 Weißkirchen, Fritz 1951 Wenke, Hans 1926 Werner, Johannes 1887 Werther, Karl-Albert 1846 Wilcocks, Reymond William 1917 Wolf, Kurt 1960 Wyneken, Gustav Adolph 1898

Zelinger, Elfriede 1937 Ziegler, Leopold 1905 Zimmermann, Gurt 1913 Zumfeld, Heinz 1952

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