Philosophische Schriften. Band 2 9783787336036

Der zweite Band der Philosophischen Schriften enthält mit der Topik und den Sophistischen Widerlegungen zwei Texte, die

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Philosophische Schriften. Band 2
 9783787336036

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Philosophische Bibliothek

Band 1 Porphyrios: Einführung in die Kategorien des ­Aristoteles · Kategorien · Hermeneutik · Erste Analytik · Zweite Analytik Band 2 Topik · Sophistische Widerlegungen Band 3 Nikomachische Ethik Band 4 Politik Band 5 Metaphysik Band 6 Physik · Über die Seele

Ziel der Sophistischen Widerlegungen ist die Aufdeckung und ­Widerlegung logischer Trugschlüsse. Der äußeren Form nach geht es in dem Text um die Kritik an der Sophistik; der S ­ ache nach bildet er jedoch den Schlussstein des Organons – die Bei­bringung von Kriterien für die sichere Bestimmung und ­Aussonderung logischer Fehler.

Band 2

Aristoteles   Philosophische Schriften  ·  Band 2

Die Topik handelt von der Bildung der Begriffe und entwickelt damit die aristotelische Dialektik. Diese erste logische Schrift des Aristoteles bleibt ein unverzichtbarer Baustein zwischen seiner Analytik und der Apodiktik und ist somit essentieller Bestandteil der aristotelischen Logik.

Aristoteles Philosophische Schriften

ISBN 978-3-7873-3597-8

722

Meiner

A R ISTOT ELES PH I LOSOPH ISC H E SC H R I F T EN inhalts ü b ersicht

1 einf ü hru ng in die k ate g orien

(porph y rios) k ate g orien her m ene u ti k erste analy ti k z w eite analy ti k

2 topi k sophistische w i derle gu ng en

3 ni ko m achische ethi k

4 politi k

5 m etaph y si k

6 ph y si k ü ber die seele

F ELI X M EI N ER V ER L AG

ARISTOTELES

PHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN in sechs Bänden

Band 2

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

ARISTOTELES

Topik Topik, neuntes Buch oder Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse Übersetzt von hans günter zekl

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 722

Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über http://portal.dnb.de. ISBN gesamt print: 978-3-7873-3550-3 ISBN einzeln print: 978-3-7873-3597-8 ISBN gesamt eBook: 978-3-7873-3594-7 ISBN einzeln eBook: 978-3-7873-3603-6

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INHALT

Topik

1. Buch 9 2. Buch 35 3. Buch 59 4. Buch 75 5. Buch 101 6. Buch 139 7. Buch 179 8. Buch 191 9. Buch  225

Zu diesem Band 291

ARISTOTELES

Topik

ERSTES BUCH

Kapitel 1. Vorhaben der Untersuchung (ist): Ein Verfahren finden, von dem aus wir werden Schlüsse ziehen können über jede aufgegebene Streitfrage aus einleuchtenden (Annahmen) und selbst, wenn wir Rede stehen müssen, nichts Widersprüchliches zu sagen. – Erstens ist nun also zu sagen, was ist ein Schluß und welches sind die Unterschiede darin, damit der Schluß im Untersuchungsgespräch ergriffen wird; den suchen wir nämlich im Sinne der vorgenommenen Untersuchung. Es ist denn also Schluß: Eine Herleitung, in der, bestimmte (Aussagen) gesetzt, etwas von dem Angesetzten Verschiedenes aus Notwendigkeit aufgrund des Angesetzten eintritt. Ein (wissenschaftlicher) Beweis ist es dann, wenn aus wahren und unmittelbaren (Annahmen) der Schluß erfolgt, oder aus solchen, die von bestimmten wahren Erstannahmen aus den Ausgangspunkt der Erkenntnis darüber genommen haben. Der Schluß im Untersuchungsgespräch dagegen ist der, welcher aus einleuchtenden (Annahmen) zum Schlußergebnis kommt. Es sind aber wahre und unmittelbare (Annahmen) solche, die nicht über andere vermittelt, sondern durch sich selbst die Gewähr besitzen, – man darf nämlich bei den wissenschaftlichen Anfangsgründen nicht nach dem »aufgrund wovon?« suchen, sondern (muß annehmen), daß jede der Anfangsannahmen selbst für sich selbst beglaubigt ist –; einleuchtend dagegen (sind Annahmen), die allen oder den meisten oder den Klugen so erscheinen, und bei diesen (letzteren) wieder entweder allen oder den meisten oder den angesehensten und namhaftesten. Spitzfindig dagegen ist der Schluß, der aus anscheinend Einleuchtendem, das es in Wirklichkeit aber nicht ist, (erfolgt), und der, welcher aus Einleuchtendem oder anscheinend Einleuchtendem nur scheinbar zusammenkommt; – denn nicht alles, was einleuchtend erscheint, ist auch einleuchtend. Keine der sogenannten einleuchtenden Annahmen nämlich

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trägt ihr Erscheinungsbild völlig auf der Oberfläche, wie das bei den Anfangsannahmen der spitzfindigen Streitreden sich so ergibt: Bei denen nämlich ist sogleich und allermeist sogar Leuten, die nur ein weniges zusammensehen können, die Wurzel der Falschheit klar. Der erste der genannten Schlüsse der Streitrede soll nun also auch »Schluß« genannt werden, der andere ist wohl ein spitzfindiges Schließen, aber kein wirklicher Schluß, da er doch zu schließen nur scheint, es in Wirklichkeit aber nicht tut. Weiter aber (gibt es noch) neben all den genannten Schlüssen die aus den Eigenheiten bei bestimmten Wissensgebieten erfolgenden Trugschlüsse, wie es denn bei der Vermessungslehre und den ihr verwandten (Wissensgebieten) eintritt, daß es sich so verhält. Denn diese Weise scheint sich von den genannten Schlüssen zu unterscheiden: Weder aus wahren und unmittelbaren (Annahmen) zieht der Zeichner falscher Figuren seine Schlüsse noch aus einleuchtenden. Denn (was er macht) fällt nicht unter die (oben genannte) Begriffsbestimmung: Weder nimmt er (etwas), das allen einleuchtet, noch was den meisten, noch was den Fachleuten, und auch bei diesen weder, was allen noch den meisten noch den namhaftesten (einleuchtet), sondern aus Annahmen, die dem Wissensgebiet zwar eigentümlich sind, aber nicht wahr, macht er seinen Schluß. Nämlich entweder indem er die Halbkreise nicht so umschreibt, wie das sein muß, oder indem er bestimmte Geraden nicht so legt, wie sie wohl gezogen werden sollten, macht er den Trugschluß. Formen der Schlüsse nun also, um es im Umriß zu erfassen, sollen die genannten sein. Allgemein zu sprechen über alle die genannten, und die danach noch vorzutragen sein werden, (dazu) soll insoweit von uns Bestimmung getroffen sein, weil wir nämlich über keinen davon den genauen Vortrag zu geben die Absicht haben, sondern sie (nur), wie weit (es) im Umriß (geht), durchgehen wollen, indem wir es für völlig hinreichend halten, gemäß dem vorliegenden Verfahren das Einzelne davon irgendwie zur Erkenntnis bringen zu können.



Erstes Buch ∙ Kapitel 3 11

Kapitel 2. Anschließend an das Gesagte wäre zu reden darüber, zu wievielen (Anwendungen) und zu welchen diese Anstrengung nützlich ist. Sie ist es also zu dreierlei: Zur Übung, zu den Unterredungen und zu den Wissensgebieten im Bereich der Philosophie. Daß sie nun also zur Übung nützlich ist, ist aus der Sache selbst klar: Im Besitze eines wegbereitenden Verfahrens werden wir leichter die Untersuchung über die gestellte Aufgabe anpacken können. Zu den Unterredungen (ist sie nützlich), weil wir, nachdem wir die Meinungen der vielen (Leute) aufgezählt haben, nicht von fremden, sondern von uns eigenen Ansichten aus mit denen umgehen werden, wobei wir alles, was sie unserem Eindruck nach nicht gut sagen, in eine andere Richtung bringen. In den Wissensgebieten im Bereich der Philosophie (ist sie nützlich), weil wir mit der Fähigkeit, nach beiden Seiten hin Zweifel zu erheben, in jedem Einzelfalle leichter durchschauen werden, (was) wahr (ist) und (was) falsch. Darüber hinaus (ist sie) aber (auch nützlich) für die Erstannahmen bezüglich der Gegenstände jedes Wissensgebiets; denn aus den der je vorgenommenen Wissenschaft eigentümlichen Anfangssätzen ist es unmöglich, etwas über sie selbst zu sagen, da eben doch die Anfangsannahmen die ersten von allem sind, stattdessen ist es notwendig, mittels der über ein jedes einleuchtenden Annahmen darüber die Untersuchung durchzuführen. Das ist aber Eigentümlichkeit – oder doch besonders verwandt – der Unterredungskunst: Indem sie nämlich herausfragend ist, hat sie einen Zugang zu den Anfängen aller Wissensgebiete. Kapitel 3. Wir werden über das wegbereitende Verfahren vollkommen verfügen, wenn wir es ähnlich handhaben können, wie (es) bei der Rede- und der Heilkunst und den derartigen Anwendungswissenschaften (ist); das ist, aus den (gegebenen) Möglichkeiten zu machen, was wir uns vorgenommen haben. Denn weder kann ja zwar der Redner auf jeden Fall überzeugen noch der Arzt heilen, aber wenn er von seinen Möglichkeiten nichts ausläßt, so werden wir doch sagen, daß er sein Fach hinreichend beherrscht.

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Kapitel 4. Als erstes ist nun zu betrachten, woraus dies Verfahren hervorgeht. Wenn wir erfassen könnten, auf wieviele (Gesichtspunkte) und was für welche die Erklärungsreden (gehen) und woher (sie kommen) und wie wir darüber sichere Verfügung gewinnen können, dann hätten wir das Vorhaben wohl hinreichend geleistet. Es ist aber das, wovon die Reden (je ausgehen) und worüber die Schlüsse (gemacht werden), der Zahl nach das gleiche und (der Sache nach) dasselbe: Die Reden gehen aus von vorgelegten Fragen; worauf die Schlüsse gehen, das sind die gestellten Aufgaben. Jede Frage und jede Aufgabe bezeichnet entweder eine Eigentümlichkeit oder eine Gattung oder ein (nur) nebenbei Zutreffendes; nämlich den Unterschied muß man, als gattungsbildend, zusammen mit der Gattung anordnen. Da aber nun vom Eigentümlichen ein Teil das »was-es-sein-sollte« bezeichnet, der andere dies aber nicht bezeichnet, so sei das Eigentümliche in die beiden gerade genannten Teile auseinandergenommen, und es sei das das »was-es-sein-sollte« Bezeichnende einerseits Begriffsbestimmung genannt, das restliche sei, entsprechend der allgemein dazu gegebenen Benennung, als Eigentümlichkeit angesprochen. Klar ist nun aus dem Gesagten: Gemäß der jetzt vorgenommenen Einteilung ergibt sich, daß es insgesamt vier sind, entweder Begriffsbestimmung oder eigentümlich oder Gattung oder nebenbei zutreffend. Niemand aber soll uns so verstehen, als wollten wir sagen, daß ein jedes davon, für sich ausgesagt, schon eine vorgelegte Frage oder gestellte Aufgabe sei, sondern (es ist so gemeint): Davon kommen die Aufgaben und Fragen her. Es unterscheiden sich gestellte Aufgabe und vorgelegte Frage durch die Vorgehensweise; wenn nämlich so gesprochen ist: Nicht wahr, »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig«, das ist die Begriffsbestimmung von »Mensch«? Und: Nicht wahr, »Lebewesen« ist die Gattung von »Mensch«? – dann ist das eine vorgelegte Frage. Wenn dagegen (so vorgegangen wird): Ist »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig« die Begriffsbestimmung von »Mensch« oder nicht? [und: Ist »Lebwesen« die Gattung von »Mensch« oder nicht?] – dann ist



Erstes Buch ∙ Kapitel 5 13

es eine gestellte Aufgabe. Entsprechend auch bei allem anderen. Daher denn also einsehbarer Weise die Aufgaben gleich an Zahl sind wie die Fragen: Von jeder Frage aus wird man doch eine Aufgabe herstellen können, indem man in der Vorgehensweise umstellt. Kapitel 5. Zu sagen ist nun: Was ist Begriffsbestimmung, was eigentümlich, was Gattung, was nebenbei zutreffend. Es ist also Begriffsbestimmung eine Rede, die das »was-es-seinsollte« bezeichnet; dabei wird entweder eine Rede für ein Wort abgegeben oder eine Rede für eine Rede; es geht nämlich auch, Dinge dem Begriffe nach zu bestimmen, die mittels einer Rede bezeichnet werden. Wer da auch immer wie auch immer mit einem (bloßen) Wort die Wiedergabe macht – klar, daß die nicht die Begriffsbestimmung der Sache geben, da denn doch jede Begriffsbestimmung eine Rede ist. Als auf die Bestimmung hinführend muß man allerdings auch solches setzen, z. B.: »Das Schöne ist das Anständige«. Entsprechend auch (bei der Frage): »Sind Wahrnehmung und Wissen das gleiche oder etwas verschiedenes?« Denn auch bei den Begriffsbestimmungen geht ja der meiste Aufwand darum, ob (das je) das gleiche ist oder verschieden. Im einfachen Sinne zur Bestimmung führend sei denn also alles genannt, was unter das gleiche Verfahren fällt wie die Begriffsbestimmungen. Daß alles jetzt Angeführte derart ist, ist aus der Sache klar; sind wir nämlich in der Lage, darüber das Gespräch zu führen, daß (etwas) das gleiche (ist wie etwas anderes) oder daß (es) verschieden (davon ist), so werden wir mit dem gleichen Verfahren auch auf gutem Wege sein, die Begriffsbestimmungen anzupacken; indem wir nämlich zeigen können, daß (es im Einzelfall) nicht das gleiche ist, werden wir die Begriffsbestimmung aufgehoben haben. Allerdings hat das jetzt Gesagte keine Umkehrentsprechung: es reicht zum Aufstellen einer Begriffserklärung nämlich nicht aus zu zeigen, daß (es je) das gleiche ist; dagegen zum Niederreißen (einer uns vorgelegten Begriffsbestimmung) ist der Nachweis stark genug, daß dies nicht das gleiche ist.

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Eigentümlich ist, was zwar nicht das »was-es-sein-sollte« bezeichnet, doch dem (in Frage stehenden) Gegenstand allein zukommt und es wechselweise voneinander ausgesagt wird. Z. B. ist es Eigentümlichkeit des Menschen, der Schriftkunst fähig zu sein: Wenn er denn Mensch ist, so ist er der Schriftkunstfähig, und wenn er der Schriftkunst fähig ist, so ist er ein Mensch. Niemand nennt ja etwas »eigentümlich«, was auch einem anderen zutreffen mag, z. B. das Schlafen (als) dem Menschen (eigentümlich), auch dann nicht, wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt nur diesem allein zukommen sollte. Wenn denn also auch etwas derartiges »eigentümlich« genannt werden sollte, so wird es nicht schlechterdings so, sondern nur zu einer bestimmten Zeit und in Beziehung auf etwas »eigentümlich« genannt werden: »Zur Rechten sein« – das ist zu bestimmter Zeit zwar eigentümlich, und »zweifüßig« mag in Beziehung auf etwas »eigentümlich« genannt werden, z. B. dem Menschen im Verhältnis zu Pferd und Hund; daß dagegen von dem, was auch einem anderen zukommen kann, nichts in Umkehrung ausgesagt werden kann, ist klar; es ist nämlich nicht notwendig, wenn etwas schläft, daß das ein Mensch sei. Gattung ist das, was über mehrere (Gegenstände), die der Art nach verschieden sind, in dem Bereich »was ist es?« ausgesagt wird. Mit »in dem Was-ist-es-Bezug ausgesagt werden« soll solches gemeint sein, was dann passend vorzubringen ist, wenn man gefragt wurde: »Was ist das Vorliegende?« Wie es denn bei »Mensch« passend ist, wenn man gefragt wird: »Was ist es?«, dann zu sagen: »Ein Lebewesen«. Gattungsbezogen (sind) auch (Aufgaben wie:) »Ist dies eine in der gleichen Gattung wie dies andere oder in einer davon verschiedenen?« Denn auch derartiges (Fragen) fällt unter das gleiche Verfahren wie das Angeben von Gattung. Wenn wir nämlich im Untersuchungsgespräch festgestellt haben, »Lebewesen« ist Gattung von »Mensch«, entsprechend auch von »Rind«, so werden wir im Gespräch gezeigt haben, daß die unter der gleichen Gattung stehen; wenn wir dagegen zeigen können, daß (dies) Gattung des einen zwar ist, des anderen aber nicht ist, dann



Erstes Buch ∙ Kapitel 6 15

werden wir im Gespräch gezeigt haben, daß diese nicht in der gleichen Gattung sind. Nebenbei zutreffend ist, was nichts davon ist, weder Begriffsbestimmung noch eigentümlich noch Gattung, aber doch dem Gegenstande zutrifft, und was jedem beliebigen Einenund-demselben zukommen und nicht zukommen kann; z. B. »sitzen« – das mag auf irgendein mit sich Selbiges zutreffen, es kann aber auch nicht zutreffen; ähnlich auch mit »weiß«: Es hindert nichts, daß derselbe Gegenstand zu einer Zeit einmal weiß ist, ein andermal nicht weiß. – Es ist von den Begriffsbestimmungen von »nebenbei zutreffend« die zweite die bessere. Hat man nämlich die erste angegeben, so ist es notwendig, wenn einer das verstehen können soll, vorher schon zu wissen: Was ist Begriffsbestimmung, eigentümlich und Gattung? Die zweite dagegen ist für sich ausreichend, um zur Kenntnis zu bringen, was das Gemeinte an sich selbst ist. – Es sollen zum nebenbei Zutreffenden auch die Vergleiche untereinander gesetzt sein, die irgendwie vom nebenbei Zutreffenden aus erfolgen, z. B.: »Ist das sittlich Gute vorzuziehen oder das Nutzbringende?« Und: »Ist die Lebensführung gemäß der sittlichen Leistung angenehmer oder die nach dem Genuß?« – und wenn anderes in ähnlicher Weise wie dies behandelt werden sollte. Bei allem derartigen geht die Untersuchung doch darum, welchem von beiden das Ausgesagte in höherem Maße zutrifft. – Klar ist aus der Sache, daß nichts das nebenbei Zutreffende daran hindert, gelegentlich auch in irgendeiner Beziehung eigentümlich zu werden; z. B. »sitzen«, das doch nebenbei zutreffend ist: Wenn es einer allein ist, der da sitzt, dann ist es ihm eigentümlich; ist es aber nicht einer allein, der da sitzt, dann ist es (den Sitzenden) eigentümlich gegenüber den Nicht-Sitzenden. Daher denn nichts hindert, daß in bestimmter Beziehung und zu bestimmter Zeit das nebenbei Zutreffende auch eigentümlich werden kann. Schlechthin eigentümlich wird es dagegen nicht sein. Kapitel 6. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß die Feststellungen zu eigentümlich, Gattung und nebenbei zutreffend alle auch für die Begriffsbestimmungen passend ausgesagt

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werden. Wenn wir nämlich gezeigt haben, daß (dies und das) dem unter die Begriffsbestimmung gestellten Gegenstand nicht zukommt, sowie auch bei eigentümlich, oder daß das in der Begriffsbestimmung Angegebene tatsächlich nicht die Gattung ist, oder daß etwas von dem in der erklärenden Rede Vorgebrachten (dem Gegenstand) nicht zukommt, was denn auch über das nebenbei Zutreffende gesagt werden könnte, so werden wir die Begriffsbestimmung aufgehoben haben; sodaß denn gemäß der weiter vorn abgegebenen Erklärung alles Aufgezählte in gewisser Weise zur Begriffsbestimmung beitragend ist. Jedoch darf man deswegen nicht nach einem gemeinsamen Verfahren für sie alle suchen. Denn das ist weder leicht zu finden, und wenn es denn gefunden werden könnte, dann wäre es im Hinblick auf die vorliegende Anstrengung durchaus undurchsichtig und schwer anwendbar. Wenn dagegen für jede der abgegrenzten Gattungen für sich ein Verfahren aufgezeigt ist, so läßt sich wohl leichter aus den für ein jedes eigentümlichen (Gesichtspunkten) der Durchgang des Vorgenommenen machen. Daher denn also nur im Umriß, wie früher gesagt ist, die Einteilung vorzunehmen ist, von dem übrigen ist das einem jeden am meisten Eigentümliche anzufügen, indem man es als »zur Bestimmung beitragend« oder »gattungsbezogen« anspricht. Es ist ja das Vorgetragene schon in etwa an ein jedes so angefügt. Kapitel 7. Zuerst von allem muß über »dasselbe« die Begriffsbestimmung getroffen werden: In wievielen Bedeutungen wird es ausgesagt? Es scheint wohl richtig, (die Bestimmung) »dasselbe«, im Umriß genommen, dreifach einzuteilen: Entweder der Zahl nach oder der Art oder der Gattung nach pflegen wir (etwas als) dasselbe anzusprechen. Der Zahl nach: Wovon es mehrere Bezeichnungen gibt, der Gegenstand aber immer einer ist, z. B. »Kleidung« und »Gewand«; der Art nach: Was, als eine Mehrzahl, der Erscheinungsform nach ununterscheidbar ist, wie Mensch mit Mensch und Pferd mit Pferd; von dergleichen sagt man ja, daß es der Art nach dasselbe ist – alles, was unter der gleichen Art steht. Entsprechend auch der Gattung nach dasselbe: Alles, was unter die gleiche Gattung



Erstes Buch ∙ Kapitel 8 17

fällt, z. B. Pferd mit Mensch. – Nun scheint dagegen wohl aus dem gleichen Brunnen entnommenes Wasser, das man »das gleiche« nennt, irgendeinen Unterschied über die genannten Weisen hinaus zu enthalten; indessen aber auch so etwas soll an gleicher Stelle eingeordnet sein wie die Dinge, die man irgendwie gemäß einer einzigen Art aussagt; alles derartige ist nämlich offenbar verwandt und ähnlich untereinander. Alles Wasser wird ja mit allem der Art nach gleich genannt, weil es eine bestimmte Gleichartigkeit hat; das Wasser aus dem gleichen Brunnen unterscheidet sich in nichts anderem davon, als daß hier nur die Gleichartigkeit stärker ausgeprägt ist; daher trennen wir es nicht von dem, was irgendwie gemäß einer einzigen Art ausgesagt wird. – In größter Übereinstimmung unter allen scheint das der Zahl nach eine als dasselbe ausgesagt zu werden. Doch auch das wird gewöhnlich in mehrfacher Bedeutung vorgebracht; im eigentlichsten und unmittelbaren Sinne: Wenn der Bezeichnung oder Begriffsbestimmung das »dasselbe« beigelegt wird, wie etwa »Kleid« dem Gewand und »Lebewesen, zu Lande, zweifüßig« dem Menschen. Zweitens, wenn (»dasselbe«) der Eigentümlichkeit (beigelegt wird), wie etwa »des Wissens fähig« dem Menschen und »von Natur aus nach oben getragen« dem Feuer. Drittens, wenn (das) vom nebenbei Zutreffenden (ausgeht), z. B. »sitzend« oder »gebildet« dem Sokrates. All das will ein der Zahl nach eines bezeichnen. – Daß das soeben Gesagte stimmt, mag man am besten begreifen aus (dem Vorgehen) derer, die Anreden vertauschen; denn oft, wenn wir Anweisung geben, einen der da Sitzenden mit Namen zu rufen, und wenn der, dem gegenüber wir die Anweisung machen, uns einmal nicht versteht, dann ändern wir nun, in der Annahme, daß er es von einem nebenbei Zutreffenden aus besser versteht, und wir fordern ihn auf, den da Sitzenden oder sich Unterhaltenden zu uns zu rufen; klar doch, daß wir meinen, mittels des Namens und auch über das nebenbei Zutreffende den gleichen zu bezeichnen. Kapitel 8. Also sei »dasselbe«, wie gesagt, dreifach eingeteilt. Dafür, daß die Reden aus dem früher Aufgezählten (hervorgehen) und durch es und auf es hin (sich entwickeln), ist ein

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Beleg der mittels der Heranführung: Wenn nämlich einer eine jede der gestellten Fragen oder vorgelegten Aufgaben durchmustern wollte, so stellte sich ihm heraus, daß sie sich entweder von der Begriffsbestimmung aus oder vom Eigentümlichen aus oder von der Gattung oder vom nebenbei Zutreffenden aus ergeben haben. Ein anderer Beleg ist der durch Schluß: Alles, was über etwas ausgesagt wird, muß entweder mit dem Gegenstand in der Aussage vertauscht werden können, oder (das geht) nicht. Und wenn es wechselweise ausgesagt wird, so ist es wohl Begriffsbestimmung oder Eigentümlichkeit – wenn es nämlich das »was-es-sein-sollte« bezeichnet, dann Begriffsbestimmung, wenn es das nicht bezeichnet, dann eigentümlich, – das war doch eigentümlich: Was zwar in der Aussage vertauscht werden kann, doch nicht das »was-es-sein-sollte« bezeichnet – wenn es dagegen nicht wechselweise mit dem Gegenstand ausgesagt wird, dann gehört es entweder zu in der Begriffsbestimmung ausgesagten (Bestimmungen) oder nicht; und wenn es zu den in der Begriffsbestimmung ausgesagten (Bestimmungen) gehört, dann ist es ja wohl Gattung oder Unterschied, wenn doch Begriffsbestimmung erfolgt aus Gattung und Unterschieden. Gehört es dagegen nicht zu den in der Begriffsbestimmung ausgesagten (Bestimmungen), so ist klar: Es ist wohl nur nebenbei zutreffend – nebenbei zutreffend war doch so bestimmt: Was weder Begriffsbestimmung noch eigentümlich noch Gattung ist, aber dem Gegenstand doch zukommt. Kapitel 9. Danach nun also müssen bestimmt werden die Gattungen der Aussageformen, in denen die genannten vier vorkommen. Es sind dies der Zahl nach zehn: Was-es-ist, Sound-so-viel, So-und-so-beschaffen, Im-Verhältnis-zu ..., Anirgendeiner-Stelle, Zu-der-und-der-Zeit, Lage, Haben, Tun, Erleiden. Stets wird ein nebenbei Zutreffendes, eine Gattung, eine Eigentümlichkeit und die Begriffsbestimmung in einer dieser Aussageformen sich vorfinden; denn alle dadurch gestellten Fragen bezeichnen entweder ein Was-ist-es oder ein Irgendwieviel oder Irgendwiebeschaffen oder irgendeine der anderen Grundformen von Aussage. Klar ist aus dem: Wer das



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»was-es-ist« angibt, bezeichnet einmal ein seiendes Wesen, ein andermal ein So-und-so-viel, ein andermal ein So-undso-beschaffen, ein andermal eine der übrigen Aussageformen. Wenn denn also ein Mensch vor Augen steht und er sagt, das vor Augen Stehende sei »Mensch« oder »Lebewesen«, spricht er aus, was es ist, und weist hin auf »seiendes Wesen«; wenn dagegen weiße Farbe vor Augen steht und er sagt, das vor Augen Stehende sei »weiß« oder »Farbe«, spricht er aus, was es ist und weist hin auf ein So-und-so-beschaffen; entsprechend auch, wenn eine Größe von einer Elle vor Augen steht und er sagt, das vor Augen Stehende sei »einellig« [oder] »Größe«, spricht er aus, was es ist, und weist hin auf ein So-und-so-viel. Entsprechend auch bei den übrigen (Fällen): Ein jedes derartige, mag es selbst von sich selbst ausgesagt werden oder die (entsprechende) Gattung von ihm, weist hin auf das, was es ist; wenn (es) dagegen über ein anderes (ausgesagt wird), dann deutet es nicht hin auf das, was es ist, sondern auf So-undso-viel oder So-und-so-beschaffen oder auf eine der übrigen Grundaussagen. Also: Worüber die Reden (gehen) und woraus (sie herkommen), das ist dies und so viel. Wie wir sie aber erhalten und wodurch wir guten Weg finden, ist danach vorzutragen. Kapitel 10. Erstens sei nun also bestimmt: Was ist eine Unterredungsfrage, was eine im Untersuchungsgespräch gestellte Aufgabe? Man soll ja nicht jede vorgelegte Frage und jede gestellte Aufgabe für gesprächsgeeignet setzen, niemand dürfte ja wohl, der wenigstens Verstand hat, etwas als Frage vorlegen, was keinem so erscheint, und auch nicht etwas zur Aufgabe machen, was allen klar ist oder (doch) den meisten; letzteres bedeutet nämlich keine Zweifelsentscheidung, ersteres würde wohl niemand setzen. Es ist denn also eine Untersuchungsfrage: Das Fragen (nach etwas, das) einleuchtend (ist), entweder allen oder den meisten oder den Klugen, und bei diesen wieder entweder allen oder den meisten oder den namhaftesten, (also) nicht widersinnig. Man wird ja doch wohl das setzen, was den Klugen so erscheint, wenn es den Meinungen der großen Masse nicht entgegensteht.

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Fragen des Untersuchungsgesprächs sind auch (Gegenstände), die dem Einleuchtenden ähnlich sind, und Dinge, die dem einleuchtend Erscheinenden entgegengesetzt sind – die werden dann über einen Einspruch zur Frage gemacht –, und alles, was es an Meinungen im Bereich der Vorgefundenen Künste und Wissenschaften so gibt. (Beispiel:) Wenn denn einleuchtend ist, daß ein und dasselbe Wissen auf Gegensätzliches sich bezieht, so erscheint ja wohl auch einleuchtend, daß das gleiche Wahrnehmungsvermögen auf Gegensätzliches geht; und (wenn es einleuchtend ist), daß es nur eine einzige Schriftkunde gibt, so auch eine einzige Flötenkunst; wenn (es) dagegen (einleuchtend erscheint), daß es eine Mehrzahl von Schriftkunden gäbe, so auch mehrere Flötenkünste; alles das scheint ja ähnlich und verwandt miteinander zu sein. Entsprechend auch erscheinen die dem Einleuchtenden entgegengesetzten (Annahmen), die man über einen Einspruch zur Frage macht, einleuchtend: Ist es nämlich einleuchtend, daß man den Freunden Gutes tun soll, so ist es auch einleuchtend, daß man ihnen nichts Böses tun soll. Der Gegensatz dazu ist: Man soll den Freunden Böses tun, über Verneinung dann aber: Man soll ihnen nicht Böses tun. Entsprechend auch, wenn man den Freunden Gutes tun soll, so ist dies bei Feinden nicht verlangt; auch das läuft über die Verneinung des Gegenteils; das Gegenteil (dazu) ist doch: Man soll seinen Feinden Gutes tun. Ebenso auch mit allem übrigen. Einleuchtend wird auch bei der Nebeneinanderstellung erscheinen: Das Gegenteil, vom Gegenteil (ausgesagt), z. B.: Soll man den Freunden Gutes tun, so soll man auch den Feinden Böses (tun). Es möchte wohl gegenteilig erscheinen das »den Freunden Gutes tun« dem »den Feinden Böses«; ob sich das aber in Wahrheit so verhält oder nicht, wird in den Ausführungen über Gegensätze vorgetragen werden. – Klar ist auch: Alles, was es an Meinungen im Bereich von Künsten und Wissenschaften gibt, taugt zur Frage im Untersuchungsgespräch; man wird ja wohl das ansetzen, was Leuten, die darin ausgewiesen sind, so erscheint, z. B. worum es in der Heilkunde geht, wie der Arzt (es beurteilt), worum es in der



Erstes Buch ∙ Kapitel 11 21

Vermessungslehre geht, wie der landvermessende Fachmann (es ansieht). Entsprechend auch bei allem übrigen. Kapitel 11. Aufgabe in einem Untersuchungsgespräch ist ein Untersuchungsgegenstand, der abzielt auf Wahl oder Vermeidung oder auf Wahrheit und Erkenntnis, entweder selbst (als Gegenstand) oder als mithelfend zu einem anderen derartigen, worüber bei den Klugen entweder gar keine Meinungsbildung da ist oder sie gegenteiliger Auffassung sind im Verhältnis zur großen Menge oder beide Seiten je untereinander uneins sind. Einige von den Untersuchungsaufgaben auf Wissen hin zu lösen ist nützlich fürs Wählen oder Vermeiden, z. B.: Ist Lust anstrebenswert oder nicht? Einige dagegen (nützlich) nur zu wissen allein, z. B.: Ist das Weltall ewigwährend oder nicht? Wieder andere (sind), für sich genommen, (nützlich) für keines der beiden, sie sind aber mithelfend für einige derartige (Aufgaben); vieles wollen wir ja als dieses selbst für sich selbst nicht erkennen, wohl aber um anderer (Dinge) willen, um durch diese ein anderes zur Erkenntnis zu bringen. – Es gibt auch Aufgaben, bei denen es zu gegenteiligen Schlüssen kommt – die haben dann den Zweifel an sich, ob es sich so verhält oder nicht so, weil eben die Reden über beide (Möglichkeiten) überzeugend sind –, und solche über Gegenstände, zu denen wir nicht Rede stehen können, wo sie doch schwerwiegend sind, indem wir meinen, es sei schwierig, das »weshalb« anzugeben, z. B.: Ist das Weltall ewigwährend oder nicht? Denn derlei Dinge mag man ja wohl untersuchen. Aufgaben und Fragen seien also, wie es vorgetragen ist, bestimmt. Behauptung ist dagegen eine widersinnige Annahme eines der namhaften Männer im Bereiche der Philosophie, z. B.: »Es geht nicht zu widersprechen«, wie Antisthenes behauptete oder: »Alles ist in Bewegung«, nach Heraklit, oder: »Eines das Seiende«, wie Melissos sagt; – denn den ersten besten, der da Gegenteiliges zur geläufigen Meinung darlegt, ernstzunehmen, wäre ja einfältig. Oder (Behauptung ist auch zu Gegenständen), über die wir erklärende Rede haben, die geläufiger Meinung entgegengesetzt ist, z. B.: »Nicht alles Seiende ist entweder entstanden oder immerwährend«, wie die

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22 Topik

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Sophisten sagen; (Begründung:) Ein Gebildeter »sei« (auch) schriftkundig, weder als einer, der das geworden ist, noch als einer, der (es) auf immer ist. Wenn das auch jemandem nicht einleuchtet, so könnte es das doch wohl, weil es eine Begründung hat. – Es ist nun auch die Behauptung eine vorgelegte Aufgabe, aber nicht (umgekehrt) jede Aufgabe eine Behauptung, da denn einige der Aufgaben derart sind, (daß sie Gegenstände betreffen,) über die wir weder die noch die andere Meinung haben. Daß auch die Behauptung eine Aufgabe ist, ist klar; notwendig gilt doch nach dem Gesagten: Entweder ist die große Masse mit den Klugen über die Behauptung uneins, oder es sind beide Seiten je unter sich (uneins), da doch die Behauptung eine widersinnige Annahme ist. Gegenwärtig werden aber so ziemlich alle Aufgaben im Untersuchungsgespräch »Behauptungen« genannt. Es soll jedoch keinen Unterschied machen, wie immer man das nennt; wir wollten ja keine neuen Worte bilden, als wir das so auseinandergenommen haben, sondern (taten das nur), damit uns nicht verborgen bleibt, welches die Unterschiede dabei eben sind. Man darf aber nicht jede Aufgabe und jede Behauptung zur Prüfung zulassen, sondern nur solche, wo die Zweifelsfrage auf etwas zielt, das der Erklärung bedarf, und nicht wo Zurechtweisung ausreicht oder bloßes Hinsehen. Leute, die da zweifelnd in Frage stellen: »Soll man die Götter ehren und die Eltern lieben oder nicht?«, verdienen Zurechtweisung, undsolche, die da fragen: »Ist Schnee weiß oder nicht?«, sollten einfach hinschauen. Also (soll man) auch nicht (Aufgaben zulassen), bei denen der Nachweis auf der Hand liegt, auch nicht (solche), wo er zu fern liegt; das erste bietet keine Schwierigkeit, das zweite mehr Schwierigkeit, als zu Übungszwecken gut ist. Kapitel 12. Nachdem das bestimmt ist, muß eingeteilt werden, wieviele Formen von Rede im Untersuchungsgespräch es gibt. Es ist eine die Heranführung, die andere der Schluß. Schluß – was das ist, ist früher gesagt. Heranführung ist der Aufstieg vom Einzelnen zum Allgemeinen, z. B.: Wenn wirkungsvollster Steuermann der ist, der seine Sache versteht,



Erstes Buch ∙ Kapitel 14 23

und so beim Wagenlenker auch (usf.), dann ist auch überhaupt in jedem Belange, wer seine Sache versteht, der vorzüglichste. Dabei ist die Heranführung überzeugender, durchsichtiger, über Wahrnehmung leichter erkennbar und der großen Masse der Leute gemeinsam; der Schluß ist zwingender und gegenüber spitzfindigen Streitkünstlern wirksamer. Kapitel 13. Die Gattungen, um die die Reden (kreisen) und von denen (sie herkommen), seien so bestimmt, wie es früher gesagt ist. Die Werkzeuge dagegen, mittels derer wir guten Weg finden zu Schlüssen [und Heranführungen], sind vier: Eines (ist) das Erfassen von Fragen, das zweite das Einteilenkönnen, in wievielfacher Bedeutung ein jedes (Wort) ausgesagt wird, das dritte das Auffinden der Unterschiede, das vierte die Prüfung der Ähnlichkeit. – Es sind nun in gewisser Weise die drei (Letztgenannten) davon auch vorzulegende Fragen; es geht nämlich, daß man gemäß einem jeden von ihnen eine Frage macht, z. B.: »Vorzuziehen ist das Sittliche oder das Lustbringende oder das Nutzbringende«, und: »Sinnliches Wahrnehmungsvermögen unterscheidet sich von Wissen dadurch, daß man nach Verlust des einen dies wiedergewinnen kann, beim anderen aber ist das unmöglich«, und: »Das Heilsame verhält sich entsprechend zur Gesundheit wie das zur guten körperlichen Verfassung Dienliche zur guten Verfassung«. Die erste Frage (kommt her) von den vielfachen Wortbedeutungen, die zweite von den Unterschieden, die dritte von den Ähnlichkeiten. Kapitel 14. Die vorzulegenden Fragen muß man nun auswählen auf genauso viele Weisen, wie zu »Frage« die Bestimmung getroffen war: Entweder indem man die geläufige Meinung aller hernimmt oder die der meisten oder die der Klugen, und davon wieder entweder die aller oder der meisten oder der Namhaftesten, oder solche, die den geläufig vorkommenden 〈nicht〉 entgegengesetzt sind, und alles an Meinungen, was im Bereich der Künste und Wissenschaften da ist. Man muß aber, wenn man zu den geläufigen einleuchtenden (Meinungen) die gegenteiligen zur Frage macht, dies über Verneinung tun, wie früher gesagt ist. Nützlich ist auch, sie dadurch (zur

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Frage) zu machen, daß man nicht nur die tatsächlich einleuchtenden (Meinungen) auswählt, sondern auch solche, die diesen ähnlich sind, z. B.: »Auf Gegensätzliches (bezieht sich) das gleiche Wahrnehmungsvermögen« – so war es nämlich auch beim Wissen –, und: »Wir sehen, indem wir etwas in uns aufnehmen, nicht, indem wir etwas aussenden«; es ist ja auch bei den anderen Sinnen so: Wir hören, indem wir etwas in uns aufnehmen, nicht, indem wir aussenden, und wir kosten genauso; ebenso auch bei allem anderen. – Weiter, alles, was über alles oder doch das meiste so erscheint, muß man erfassen als einen Grundsatz und eine Behauptung, die das zu sein nur scheint; es setzen das nämlich die Leute, die über etwas die Zusammenschau nicht haben, nicht so an. – Aussuchen muß man (seinen Stoff) auch aus niedergeschriebenen Reden, und man muß die Aufstellungen machen, indem man sie, für jede Gattung genommen, anlegt, z. B. über »gut« oder über »Lebewesen«, und (dann) über »gut« insgesamt, beginnend mit seinem »was-es-ist«. Dazu muß man auch anmerken, daß es Meinung dieses oder jenes Mannes ist, z. B. Empedokles (war es, der) gesagt hat, daß es vier Grundbausteine der Körper gibt; denn was von einem so angesehenen Mann gesagt ist, wird man ja gern zur Behauptung machen. Es gibt, um es umrißhaft zu ergreifen, von den Fragen und Aufgaben drei Teilbereiche: Die einen Fragestellungen sind bezogen auf sittliches Verhalten, die anderen beziehen sich auf Natur, wieder andere beziehen sich auf die Denkgesetze. Sittliche Fragen sind z. B. solche: »Muß man den Eltern mehr Gehorsam leisten als den Gesetzen, wenn beide Verschiedenes verlangen?« Solche des Denkens z. B.: »Bezieht sich das gleiche Wissen auf die Gegensätze oder nicht?« Solche der Natur z. B.: »Ist das Weltall ewigwährend oder nicht?« Entsprechend auch die Aufgabenstellungen. Zu welchem Bereich eine jede der früher genannten (Fragen) gehört, darüber ist mittels der Begriffsbestimmung nicht so leicht Auskunft zu geben; man muß statt dessen versuchen, mittels Eingewöhnung über Heranführung eine jede davon einzuordnen, indem man die Untersuchung nach dem Vorbild der eben genannten Beispiele anstellt.



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In Hinsicht auf die Gewinnung echter Erkenntnis muß man sich nach Maßgabe der Wahrheit damit abmühen, in der Gesprächssituation nur im Hinblick auf Meinung. Man muß alle die Fragen so allgemein wie nur möglich erfassen, und die eine muß man zu vielen machen, z. B. (die Setzung): »Von Entgegengesetztem handelt ein und dasselbe Wissen« (wird) sodann (überführt in:) »Von Gegenüberliegendem (handelt dasselbe Wissen)« und: »Von den Beziehungen im Verhältnis zu ... (auch)«. Nach gleicher Weise muß man auch die wieder einteilen, solange dies Auseinandernehmen geht, z. B.: »Von Gut und Böse (handelt ein Wissen)« und: »Von Weiß und Schwarz ...« und: »Von Kalt und Warm ...«. Entsprechend bei allem anderen. Kapitel 15. Die Frage betreffend, reicht das Vorgetragene aus. Was die Frage der Bedeutungsvielfalt angeht, so muß man sich nicht allein bloß darum bemühen, was alles in verschiedener Weise ausgesagt wird, sondern man muß auch versuchen, die Erklärungen dazu vorzutragen, z. B. nicht nur: »Gerechtigkeit und Tapferkeit werden in anderer Weise ›gut‹ genannt, dagegen das zur guten Körperverfassung und zur Gesundheit Beiträgliche auf wieder eine andere«, sondern auch: Weil das eine aufgrund dessen, daß es selbst ein bestimmtes So-und-sobeschaffen ist, ... (ist es gut), das andere dagegen (ist es), weil es hervorbringend etwas bewirkt, nicht, weil es selbst ein Sound-so-beschaffen ist. Entsprechend auch bei allem anderen. Ob (ein Wort) in vielerlei Bedeutung oder nur einer der Art nach ausgesagt wird, ist mittels folgender (Überlegungen) zu betrachten: Erstens [l] ist bei seinem Gegenteil zu prüfen, ob es in vielen Bedeutungen ausgesagt wird, einerlei ob es nun der Art nach oder der Bezeichnung nach anders lautet. Einiges ist nämlich schon gleich auch den Bezeichnungen nach verschieden, z. B., dem »Scharfen« bei der Stimme ist entgegengesetzt das Dumpfe, bei stofflichen Gegenständen dagegen das Stumpfe. Klar ist somit, das Gegenteil von »scharf« wird in einer Mehrzahl von Bedeutungen ausgesagt; wenn aber das, so auch »scharf« selbst; gemäß einer jeden von dessen (Bedeutungen) wird auch das jeweilige Gegenteil verschieden sein.

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Denn nicht dasselbe »scharf« wird dem »stumpf« oder dem »dumpf« entgegengesetzt sein; zu beidem ist aber »Scharf« das Gegenteil. Und wieder, dem »schwer« bei der Stimme steht das »scharf« gegenüber, beim stofflichen Gegenstand aber das »leicht«; also wird »schwer« in einer Mehrzahl von Bedeutungen ausgesagt, da doch auch sein Gegenteil (von der Art ist). Entsprechend (ist) dem »schön« beim Lebewesen das »häßlich« (entgegengesetzt), dem (»schön«) bei einem Hause aber das »unbrauchbar«; daher also »schön« ein Wort mit mehreren Bedeutungen ist. [2] Bei einigen (Bezeichnungen) besteht den Worten nach kein Ausspracheunterschied, aber aufgrund der Art ist bei ihnen der Unterschied sogleich klar, z. B. bei »hell« und »dunkel«; es wird ja eine Stimme als »hell« und »dunkel« bezeichnet, entsprechend aber auch Farbe. Den Bezeichnungen nach ist hier kein anderer Laut, der Art nach ist dabei der Unterschied aber sogleich klar: Nicht in gleicher Weise wird Farbe als »hell« angesprochen wie Stimme. Klar ist das auch durch Sinnesanschauung: Auf das, was der Art nach gleich ist, geht auch der gleiche Wahrnehmungssinn; »hell« bei der Stimme und bei der Farbe beurteilen wir nicht mit dem gleichen Sinneswerkzeug, sondern das Letztere mit dem Gesicht, das Erstere mit dem Gehör. Entsprechend auch »scharf« und »stumpf« bei Säften und festen Gegenständen, nur (nehmen wir) Letzteres durch Berührung (wahr), Ersteres über Geschmack. Auch das hat ja den Namen nach keinen anderen Klang, weder auf der eigenen Seite noch beim jeweiligen Gegenteil: »stumpf« heißt nämlich das Gegenteil bei beiden. Weiter [3] (ist zu untersuchen), ob die eine (Bedeutung namensgleicher Worte) ein bestimmtes Gegenteil hat, die andere aber gar keins, z. B., der Lust beim Trinken steht gegenüber die Unlust des Durstes, dagegen der bei der einsehenden Betrachtung (der Tatsache), daß das Durchmaß von Ecke zu Ecke nicht die gleichen Meßeinheiten hat wie die Seite, (entspricht) kein (Gegenteil), also wird »Lust« in mehrfacher Bedeutung ausgesagt. Und dem Lieben, das über die Seele geht, ist das Hassen entgegengesetzt, dem, das über körperliche



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Betätigung geht, nichts; klar denn, daß »lieben« ein Wort mit mehreren Bedeutungen ist. Weiter [4], bei inmitten stehenden Bezeichnungen (muß man prüfen:) Haben die einen (Gegensätze) etwas, das zwischen ihnen inmitten steht, andere wieder kein solches, oder ob beide zwar ein solches haben, das aber nicht das gleiche ist, z. B. bei »hell« und »dunkel« ist es bei Farben das »grau«, bei der Stimme aber ist da nichts, oder wenn denn schon, dann »belegt«, wie denn gewisse Leute sagen, eine belegte Stimme liege in der Mitte; also, »hell« ist ein Wort mit mehreren Bedeutungen, entsprechend auch »dunkel«. Weiter [5] (ist zu sehen), ob bei den einen (Bestimmungen) mehrere Mittelbestimmungen (vorhanden sind), bei anderen nur eine, z. B. bei »hell« und »dunkel«; bei den Farben gibt es da viel, was dazwischensteht, bei Stimme nur eins, das »belegt«. Wiederum [6] ist auch bei solchem, was über Widerspruch entgegengesetzt ist, zu sehen, ob es in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird; wenn nämlich das in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird, so wird auch das, was diesem entgegengesetzt ist, in mehreren Bedeutungen ausgesagt werden, z. B.: »nicht sehen« wird in mehrfacher Bedeutung ausgesagt, einmal: »kein Sehvermögen haben«, zum anderen: »sein Sehvermögen nicht betätigen«; wenn aber das in mehreren Bedeutungen, so muß notwendig auch »sehen« in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden; denn jeder der beiden Bedeutungen von »nicht sehen« wird etwas entgegengesetzt sein: Dem »kein Sehvermögen haben« das »ein solches haben«, dem: »Sehvermögen nicht betätigen« das »es betätigen«. Weiter [7] ist Untersuchung zu führen über (Ausdrücke), die nach Maßgabe von Verlust und Besitz ausgesagt werden; wenn nämlich die eine Seite davon in mehrfacher Bedeutung ausgesagt wird, so auch die restliche, z. B.: Wenn »über Sinne wahrnehmen« in mehrfacher Bedeutung ausgesagt wird, nämlich über die Empfindung in der Seele und über die Werkzeuge des Körpers, so wird auch »empfindungslos sein« in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden, im Bereich der

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Seele und im Bereich des Körpers. Daß sich aber das jetzt Gesagte nach Verlust und Besitz entgegensteht, ist klar, da doch von Natur vorgesehen ist, daß die Lebewesen beide Formen von Sinnesempfindung besitzen, die über die Seele und über den Körper. Weiter [8] ist auch über die Formenbildung (von Worten) Untersuchung zu führen. Wenn nämlich »auf gerechte Weise« in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird, so wird auch »gerecht« in mehreren Bedeutungen ausgesagt werden: nach beiden Bedeutungen von »auf gerechte Weise« wird es auch »gerecht« geben, z. B.: Wenn »auf gerechte Weise« aussagt, erstens, das Beurteilen (von etwas) gemäß der eigenständigen Meinungsbildung, und zweitens (das Urteilen) so, wie es zu sein hat, (so ist es) entsprechend auch (mit) »gerecht«. Ebenso auch, wenn »gesund« mehrere Bedeutungen hat, so wird auch »in heilsamer Weise« in mehreren Bedeutungen ausgesagt werden, z. B.: Wenn »gesund« einmal ist, was Gesundheit erzeugt, dann, was sie bewahrt, drittens, was sie anzeigt, so wird auch »in heilsamer Weise« entweder als bewirkend oder erhaltend oder anzeigend ausgesagt werden. Ebenso auch bei allem übrigen: Wenn das (Wort) selbst in mehrfacher Bedeutung ausgesagt wird, so wird auch die von ihm aus gebildete Formveränderung in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden, und wenn diese, dann auch es. [9] Zu mustern sind auch die Gattungen der Grundformen von Aussage an der Bezeichnung: Sind es die gleichen über allen? Sind es nämlich nicht die gleichen, so ist klar, das Ausgesagte ist ein Wort mit mehreren Bedeutungen. Z. B.: »gut« ist beim Essen das, was Lust bereitet, in der Heilkunst das, was Gesundheit schafft, für die Seele dagegen ein So-undso-beschaffen-sein, z. B. besonnen oder Tapferkeit oder Gerechtigkeit; entsprechend auch für den Menschen. Gelegentlich (meint es) aber ein Dann-und-dann, z. B., was in diesem entscheidenden Augenblick gut ist; »gut« wird nämlich auch das im richtigen Augenblick (zu Ergreifende) genannt. Oft aber (meint es) das So-und-so-viel, z. B. im Falle von »maßvoll«; denn auch das maßvolle (Verhalten) wird ja als »gut«



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angesprochen. Daher denn also »gut« ein Wort mit mehreren Bedeutungen ist. Entsprechend (bedeutet) auch »hell« beim Körper die Farbe, bei der Stimme das Wohl-Hörbare; ähnlich auch »spitz«: Es wird nicht in allen Fällen als dasselbe ausgesagt; spitzer Ton ist der schnell bewegte, wie die Klangforscher mittels Zahlen behaupten; spitzer Winkel ist der, der kleiner ist als der rechte; spitzes Kampfschwert ist das mit den scharfen Kanten. [10] Zu prüfen sind auch die Gattungen der unter dem gleichen Wort (verstandenen Bedeutungen), ob sie verschieden (von einander) und nicht die eine unter die andere fällt, z. B.: »Esel« (heißt) sowohl das entsprechende Tier wie auch das (so genannte) Gerät; die über das Wort gegebene Begriffserklärung ist dabei verschieden: Das erste wird als ein so und so beschaffenes Tier ausgesagt werden, das zweite als ein so und so geartetes Gerät. Wenn dagegen die Gattungen untereinander stehen, dann müssen die Begriffserklärungen nicht notwendig verschieden sein; z. B. von »Rabe« ist sowohl »Tier« wie auch »Vogel« Gattung. Wenn wir nun sagen: »Der Rabe ist ein Vogel«, so sagen wir mit: Er ist ein so und so geartetes Tier, so daß denn beide Gattungen ihm bestimmt zugesagt werden. Entsprechend auch, wenn wir sagen: »Rabe ist ein zweifüßiges Tier mit Flügeln«, so sagen wir mit, daß er ein Vogel ist; und so werden denn beide Gattungen vom Raben bestimmt ausgesagt, ebenfalls ihre Begriffserklärung. Bei den Gattungen, die nicht untereinander stehen, tritt das aber nicht ein: Weder wenn wir das Gerät meinen, meinen wir das Tier mit, noch (umgekehrt) wenn das Tier, so das Gerät. [11] Zu prüfen ist aber nicht nur bei den vorgenommenen (Gegenständen), ob die Gattungen verschieden sind und nicht untereinander stehen, sondern auch beim (jeweiligen) Gegenteil; wenn nämlich das Gegenteil in vielen Bedeutungen ausgesagt wird, so klar, daß auch das Vorgenommene (derart ist). [12] Nützlich ist auch, auf die abgrenzende Begriffsbestimmung das Augenmerk zu richten, die bei zusammengesetzten (Ausdrücken) zustandekommt, z. B.: »heller Körper«, »helle Stimme«; wenn da nämlich das Eigentümliche fortgenommen

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wird, so muß die gleiche Begriffserklärung bleiben. Das tritt aber bei den Bezeichnungen, die aus einem Wort mit mehreren Bedeutungen bestehen, nicht ein, z. B. bei den eben genannten: Ersteres wird ein Körper sein, der die und die Farbe hat, das zweite ein Ton, der leicht zu hören ist. Ist nun einmal »Körper« und »Stimme« fortgenommen, so ist in beiden Fällen das Übrigbleibende nicht das gleiche; das müßte es aber sein, wenn das in beiden Fällen ausgesagte »hell« in seiner Bedeutung ineins fiele. [13] In vielen Fällen bleibt es sogar bei den Begriffserklärungen selbst verborgen, daß da »ein-Wort-mit-mehrerenBedeutungen« mitfolgt; daher muß man die Aufmerksamkeit auch auf die Begriffserklärungen richten, z. B.: Wenn einer sagen wollte, das Gesundheit Anzeigende und das sie Hervorbringende ist »was sich zu Gesundheit in einem Ebenmaß verhält«, so darf man sich damit nicht zufriedengeben, sondern muß prüfen, was das »im Ebenmaß« in beiden Fällen besagt hat, etwa, ob das eine von der Art ist, Gesundheit hervorzubringen, das andere dagegen derartig anzuzeigen, von was für einer Beschaffenheit der Körperzustand ist. [14] Weiter (ist darauf zu achten), ob etwas nicht zu vergleichen ist nach dem Gesichtspunkt von »mehr« oder »entsprechend«, z. B.: »helle Stimme« und »helles Kleid« und »scharfer Saft« und »scharfer Ton«; das wird nämlich weder in entsprechender Weise als »hell« und »scharf« ausgesagt noch eins davon mehr (als das andere); daher sind also »hell« und »scharf« je ein Wort mit mehreren Bedeutungen; denn das, dessen Bedeutung ineins geht, ist alles vergleichbar: entweder wird es in entsprechender Weise ausgesagt werden oder eins davon in höherem Maße (als das andere). [15] Da von den unterschiedenen Gattungen, die auch nicht untereinander 〈angeordnet sind〉, auch die Unterschiede der Art nach verschieden sind, z. B. von »Lebewesen« und »Wissen« – deren Unterschiedsmerkmale sind ja verschieden –, so ist zu sehen, ob die unter den gleichen Namen (laufenden Merkmale) Unterschiede verschiedener Gattungen, die nicht untereinander (fallen), sind, z. B.: »scharf« bei Ton und stofflichem Gegen-



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stand; es unterscheidet sich ja ein Ton vom anderen dadurch, daß der eine scharf ist, entsprechend auch ein stofflicher Gegenstand vom anderen; daher denn also »scharf« ein Wort mit mehreren Bedeutungen ist; denn aus verschiedenen Gattungen, die nicht untereinander (stehen), sind die Unterschiede. [16] Und wieder: Ob die Unterschiede der (Sachen) selbst, die unter dem gleichen Namen (begegnen), verschieden sind, z. B.: »Färbung« bei Körpern und bei Gesängen; die bei Körpern (liegt darin), daß die Sichtwahrnehmung auseinandergeschieden oder vereinigt wird, die dagegen bei Liedvorträgen hat nicht die gleichen Unterschiede. Also ist »Färbung« ein Wort mit mehreren Bedeutungen, denn von den gleichen (Dingen) sind auch die Unterschiede die gleichen. [17] Weiter, da die Art von nichts der Unterschied ist, so ist bei (Gegenständen), die unter dem gleichen Namen (vorkommen), zu sehen, ob der eine davon Art ist, der andere Unterschied, z. B. »hell«: Am Körper vorkommend ist es Art von Farbe, dagegen bei Tönen ist es Unterschied; es unterscheidet sich nämlich ein Ton von dem anderen dadurch, daß er hell ist. Kapitel 16. Bezüglich der Vielzahl von Bedeutungen ist also mittels dieser und derartiger (Gesichtspunkte) die Prüfung zu machen. Die Unterschiede dagegen müssen an den Gattungen selbst in ihrem gegenseitigen Verhältnis angeschaut werden, z. B.: Worin unterscheidet sich Gerechtigkeit von Tapferkeit und Vernunft von Besonnenheit – das alles stammt ja aus der gleichen Gattung –, und aus der einen (Gattung) im Verhältnis zu einer anderen, jedenfalls) bei solchen, die nicht allzu weit auseinanderstehen, z. B.: Worin (unterscheidet sich) Sinneswahrnehmung von Wissen? Denn bei denen, die weit auseinanderstehen, sind die Unterschiede ja ganz klar. Kapitel 17. Die Ähnlichkeit dagegen ist zu untersuchen, erstens, bei den (Dingen, die) in verschiedenen Gattungen (vorkommen): Wie ein Verschiedenes zu einem von ihm Verschiedenen (sich verhält), so entsprechend auch ein Anderes zu einem wieder Anderen, z. B.: Wie Wissen zu dem, was man wissen kann, so Sinneswahrnehmung zu dem, was man wahrnehmen kann; und: Wie ein Verschiedenes in einem von ihm

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Verschiedenen (vorkommt), so entsprechend ein Anderes in einem wieder Anderen, z. B.: Wie Sehvermögen im Auge (vorhanden ist), so Denkvermögen in der Seele, und: Wie glatte Oberfläche auf dem Meer, so Windstille in der Luft. Besonders muß man sich hier an solchem üben, was weit auseinander steht; leichter werden wir dann nämlich bei den übrigen (Verhältnissen) die Entsprechungen zusammenschauen können. Zu mustern sind auch (zweitens) die in der gleichen Gattung vorkommenden (Dinge) daraufhin, ob ihnen allen ein bestimmtes gleiches (Merkmal) eignet, z. B. für Mensch, Pferd und Hund; insoweit nämlich ihnen ein bestimmtes gleiches (Merkmal) zukommt, insoweit sind sie ähnlich. Kapitel 18. Nutzbringend ist das Geprüfthaben, in wievielen Bedeutungen (etwas) ausgesagt wird, erstens im Hinblick auf Klarheit: In höherem Maße dürfte man wissen, was man da setzt, wenn aufgeklärt ist, in wievielen Bedeutungen es ausgesagt wird; und (zweitens) im Hinblick darauf, daß die Schlüsse über den Sachverhalt selbst, und nicht über das bloße Wort, gehen. Ist nämlich unklar, in wievielen Bedeutungen es ausgesagt wird, so kann es sein, daß der Antwortende seinen Sinn nicht auf das gleiche richtet wie der Fragesteller; ist dagegen aufgeklärt, in wievielen Bedeutungen es ausgesagt wird und worauf bezugnehmend (der Behauptende) die Behauptung aufstellt, so würde der Fragesteller ja lächerlich erscheinen, wenn er nicht darauf bezogen seine Ausführung machte. Nutzbringend (ist es) auch im Hinblick darauf, keinen Trugschlüssen zu erliegen und selber (solche) ansetzen zu können. Indem wir nämlich wissen, in wievielfacher Bedeutung (das) ausgesagt wird, werden wir uns ja wohl keinesfalls durch Trugschlüsse hereinlegen lassen, sondern wir werden es begreifen, wenn der Fragesteller seine Ausführung nicht zur gleichen Sache macht. Und wenn wir selbst die Fragen stellen, werden wir Trugschlüsse durchbringen können, wenn der Antwortende etwa nicht begreift, in wieviel Bedeutungen das gesagt wird. Das ist aber nicht bei allem möglich, sondern nur, wenn von dem in vielfacher Bedeutung Ausgesagten das eine wahr (ist), das andere falsch. Es ist aber diese Art dem Untersuchungs-



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gespräch nicht angemessen; daher sollen die Teilnehmer an solchem Gespräch derartiges streng meiden, nämlich das Aufdas-bloße-Wort-hin-sprechen, außer wenn man anders gar nicht in der Lage wäre, über den vorliegenden Gegenstand die Gesprächsuntersuchung zu führen. Das genaue Auffinden der Unterschiede ist nutzbringend im Hinblick auf die Schlüsse über »gleich« und »verschieden«, und um zu erkennen, was ein jedes ist. Daß es nun also für die Schlüsse auf »gleich« und »verschieden« nutzbringend ist, (ist) klar: Indem wir nämlich Unterschied, welchen auch immer, am Vorliegenden gefunden haben, werden wir damit aufgezeigt haben, daß es nicht das gleiche ist; für das Erkennen, was es ist, (ist es nützlich), weil wir die eigentümliche Begriffserklärung des Wesens eines jeden mittels der an einem jeden eigentümlichen Unterschiede voneinander abzugrenzen pflegen. Die Anschauung des Ähnlichen ist nutzbringend, erstens, für die heranführenden Erklärungen, zweitens für die Schlüsse aus Voraussetzung und drittens für die Angabe der Begriffsbestimmung. Für die heranführenden Erklärungen (ist es das), weil wir mittels der Heranführung über das Einzelne durch ähnliche (Züge daran) das Allgemeine herbeizuführen beanspruchen; es ist nämlich nicht leicht, dies Herbeiführen zu schaffen, wenn man die ähnlichen (Merkmale) nicht kennt. Für die Schlüsse aufgrund von Voraussetzung (ist es nützlich), weil einleuchtend ist: Wie es sich einmal bei einem unter ähnlichen (Fällen) verhält, so dann auch bei den übrigen. Daher (können wir so verfahren:) Bei welchem Gegenstand davon wir gute Wege finden, die Gesprächsuntersuchung zu führen, werden wir vorher Übereinstimmung herstellen, daß, wie es sich einmal damit verhält, es sich so auch mit dem Vorgenommenen verhalte; haben wir dann das Erste nachgewiesen, so werden wir auch das Vorgenommene gemäß Voraussetzung gezeigthaben; wir setzten ja voraus: Wie es sich einmal damit verhält, so sollte es sich auch bei dem Vorgenommenen verhalten, und damit haben wir den Nachweis geführt. Für die Angabe der Begriffsbestimmung schließlich (ist es nützlich), weil wir, indem wir zusammenschauen können, was an einem jeden gleich

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ist, nicht in Ausweglosigkeit geraten werden, wenn es darum geht, in welche Gattung das Vorgenommene bestimmend gesetzt werden muß; denn von den gemeinsam (ausgesagten Bestimmungen) ist ja wohl die in höchstem Maße im Bereich des »was-es-ist« bestimmt zugesprochene die Gattung. – Entsprechend ist auch die Anschauung der Ähnlichkeit bei weit auseinanderstehenden (Begriffen) nutzbringend für deren genaue Bestimmung, z. B.: Ruhige Oberfläche auf dem Meer, Windstille in der Luft ist (insoweit) gleich, beides ist nämlich Ruhe; und: Punkt bei der Geraden, Eins bei der Zahl (sind insoweit gleich,) beides ist nämlich Ausgangspunkt. Daher, das Gemeinsame über allem als Gattung angebend, werden wir offenkundig die Bestimmung nicht unsachgemäß treffen. In etwa so sind es ja auch die Begriffsbestimmer gewohnt, die Angabe zu machen: Die Einzahl, sagen sie, sei »der Anfang von Zahl«, und der Punkt »der Anfang der Geraden«. Klar denn also: In das Gemeinsame beider setzen sie die Gattung. Die Werkzeuge, mittels derer die Schlüsse (zustandekommen), sind also diese. Die Örter, zu denen das Vorgetragene nutzbringend ist, sind die folgenden.

ZWEITES BUCH

Kapitel 1. Es sind von den gestellten Aufgaben die einen allgemein, die anderen (gehen nur) auf Teile. Allgemein also z. B.: »Jede Lust ist etwas gutes«, und: »Keine Lust ist etwas gutes«. Zu Teilen dagegen z. B.: »Eine bestimmte (Form von) Lust ist etwas gutes«, und: »Eine bestimmte (Form von) Lust ist nicht gut«. Für beide Aufgabengattungen sind die allgemein aufstellenden und niederreißenden (Mittel) gemeinsam: Haben wir nämlich gezeigt, daß (dies oder jenes) allen zukommt, so werden wir auch nachgewiesen haben, daß es diesem Bestimmten (darunter) zukommt; entsprechend auch, wenn wir zeigen können, daß (es) keinem zukommt, werden wir auch nachgewiesen haben, daß es nicht jedem zukommt. – Erstens ist somit über die allgemein niederreißenden (Begründungsmittel) zu reden, weil einmal derlei für die allgemeinen und die teilweisen (Sätze) gemeinsam ist, und sodann, weil die aufgestellten Behauptungen in Form des Vorliegens mehr mit sich bringen als in der des Nichtvorliegens, die Gesprächsteilnehmer (dann die Aufgabe haben, sie) niederzureißen. Es ist aber äußerst schwierig, die vom nebenbei Zutreffenden herkommende angemessene Bezeichnung in der Aussage auch umzutauschen; denn das »in der und der Hinsicht« und »nicht allgemein« ist allein bei den nebenbei zutreffenden Bestimmungen möglich. Von der Begriffsbestimmung aus und von der Eigentümlichkeit und von der Gattung muß dies Umkehren ja notwendig gehen, z. B.: Kommt es einem bestimmten Lebewesen zu, »zu Lande lebend, zweifüßig« zu sein, so wird es auch in umgekehrter Folge wahr sein zu sagen, es ist ein »zu Lande lebendes, zweifüßiges Lebewesen«. Entsprechend auch von der Gattung aus: Wenn es einem Lebewesen zukommt, dies bestimmte zu sein, so ist es auch Lebewesen. Das gleiche (gilt) auch bei der Eigentümlichkeit: Kommt es einem Bestimmten zu, der Schriftkunst fähig zu sein, so wird

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es der Schriftkunst fähig sein. Denn nichts davon kann (nur) in einer bestimmten Hinsicht zukommen oder nicht zukommen, sondern es trifft entweder einfachhin zu oder gar nicht. Bei nebenbei Zutreffendem dagegen besteht kein Hindernis, nur in bestimmter Hinsicht vorzuliegen, z. B. helle Farbe oder Gerechtigkeit; daher es durchaus nicht hinreicht, gezeigt zu haben, daß »helle Farbe« oder »Gerechtigkeit« vorliegt, für den gelungenen Nachweis: (Der und der) ist hellfarbig oder gerecht; es hat nämlich allerlei Unklarheit bei sich, daß (der und der) in dieser bestimmten Hinsicht hell oder gerecht ist. Also ergibt sich die umgekehrte Entsprechung bei nebenbei Zutreffendem nicht mit Notwendigkeit. Gegen einander abgrenzen muß man auch die Fehler in den Aufgabenstellungen. Sie sind zweifach: Entweder (liegen sie) in falscher Aussage oder darin, die bestehende Ausdrucksgewohnheit zu übertreten. Die da falsche Aussagen machen und behaupten, es treffe auf einen Gegenstand etwas zu, was (in Wirklichkeit) nicht zutrifft, gehen fehl, und die, welche die Dinge mit fremden Namen ansprechen, z. B. eine Platane als »Mensch«, übertreten die festliegende Namensgebung. Kapitel 2. Ein Gesichtspunkt ist denn also: [1] Das Augenmerk darauf richten, ob (der Behauptende) etwas, das in anderer Weise zutrifft, als nur nebenbei zutreffend angegeben hat. Dieser Fehler wird am häufigsten bei den Gattungen gemacht, z. B. wenn einer sagen wollte, es treffe dem Hellen nur nebenbei zu, Farbe zu sein; es trifft nämlich auf »hell« nicht nur nebenbei zu, Farbe zu sein, sondern »Farbe« ist die Gattung davon. Es kann nun sein, daß der Behauptende gemäß der Namensgebung (ausdrücklich) die Bestimmung trifft, z. B.: »Es trifft auf Gerechtigkeit auch zu, eine Tugend zu sein«; oftmals ist aber auch ohne solche (ausdrückliche) Festlegung klar, daß (er) die Gattung wie nebenbei zutreffend angegeben hat, z. B. wenn einer helle Farbe als »gefärbt sein« aussagte oder den Gang als »in Bewegung sein«. Von keiner Gattung aus wird nämlich die zusprechende Aussage mittels Ableitung aus einem Wort über die Art gemacht, sondern alle Gattungen werden in bedeutungsgleicher Weise von den Arten ausgesagt:



Zweites Buch ∙ Kapitel 2 37

Sowohl die Wortbezeichnung wie auch die Begriffserklärung der (jeweiligen) Gattungen nehmen die Arten an sich. Wer da also »hell« als ein »Gefärbtes« ausgesagt hat, hat das weder als Gattung angegeben, da er es in wortabgeleiteter Form ausgesagt hat, noch aber auch als eigentümlich oder als Begriffsbestimmung; denn Begriffsbestimmung und Eigentümlichkeit treffen auf kein anderes zu (als nur dies eine), – »gefärbt« ist dagegen vieles auch von anderen (Dingen), z. B. Holz, Stein, Mensch, Pferd. Klar also, daß er es als nebenbei zutreffend angegeben hat. Ein anderer (Gesichtspunkt) ist: [2] Das Augenmerk richten auf die Gegenstände, von denen da gesagt ist, (das und das) komme ihnen entweder allen zu oder keinem. (Die) muß man nach Arten mustern und nicht in den unzähligen (Einzelfällen); dann ist nämlich die Untersuchung auf geordneterem Wege und hat es mit weniger (Fällen) zu tun. Man muß aber die Musterung beginnen von den ersten (Arten) aus, sodann der Reihe nach bis zu den nicht weiter teilbaren, z. B.: Hat (einer) gesagt, es sei das gleiche Wissen, das sich auf die Gegenteile beziehe, so ist zu prüfen, ob es von denen »im Verhältnis zu etwas« (oder) von den einander Gegenüberstehenden, von denen nach Verlust und Besitz und von den nach Widerspruch ausgesagten (je) das gleiche Wissen ist; und wenn das dabei noch nicht klar sein sollte, dann sind die wieder weiter einzuteilen bis zum Unteilbaren, z. B. ob (es) bei »gerecht – ungerecht« oder »doppelt – halb« oder »Blindheit – Sehvermögen« oder »Sein – nicht sein« (genauso ist). Wenn nämlich bei irgendeinem (dieser Fälle) gezeigt werden kann, daß (es da) nicht das gleiche (Wissen ist), so werden wir die gestellte Aufgabe aufgehoben haben. Entsprechend auch, wenn (etwas) keinem zukommen soll. – Dieser Gesichtspunkt paßt wechselweise für das Aufstellen wie das Niederreißen; wenn (es) nämlich nach Einführung einer Unterscheidung in allen (Fällen so) erscheint, oder doch bei vielen, dann ist zu fordern, daß dies nun auch allgemein gesetzt wird, oder es ist ein Gegenfall zu bringen von etwas, wo es nicht so ist; wenn (er) nämlich keins

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dieser beiden tut, so wird er mit seiner Nichtsetzung fehl am Platze erscheinen. Ein weiterer (Gesichtspunkt): [3] Erklärende Ausführung zu machen vom nebenbei Zutreffenden und von dem, an dem es zutrifft, entweder von beidem je für sich oder nur vom je einen, und dann zu prüfen, ob etwas nicht Wahres in diesen Ausführungen für wahr genommen ist, z. B.: »Kann es sein, daß man einem Gott Unrecht antut?« – Was heißt dann »Unrecht tun«? Bedeutet es nämlich »vorsätzlich Schaden zufügen«, so (ist) klar, daß einem Gott kein Unrecht getan werden kann; es geht nämlich nicht, daß ein Gott Schaden erleidet. Und: »Kann ein anständiger Mann neidisch sein?« – Was heißt dann »neidisch« und was »Neid«? Ist nämlich Neid das Ärgernis über offenkundiges Wohlergehen eines anderen tüchtigen Mannes, so (ist) klar, daß der Anständige nicht neidisch sein darf, dann wäre er nämlich ein schlechter Kerl. Und: »Ist einer, der zur sittlichen Entrüstung neigt, neidisch?« – Was heißt dann beides davon? So wird nämlich durchsichtig werden, ob das Behauptete wahr ist oder falsch, z. B. ist der neidisch, der sich am Wohlergehen anständiger Leute ärgert, der dagegen zur sittlichen Empörung neigend, der sich am Wohlergehen von Bösewichtern stößt, so (ist) klar, daß ein solcher Sittenwächter nicht neidisch ist. – Man muß aber auch anstelle der in den Erklärungen (benutzten) Worte (eigene) Begriffe nehmen und nicht eher damit aufhören, als bis man zu etwas gekommen ist, das man kennt; oftmals ist nämlich auch dann, wenn die ganze erklärende Rede abgegeben ist, das Gesuchte noch nicht klar; wird dagegen anstelle eines in der erklärenden Rede (benutzten) Wortes eine (eigene) Begriffserklärung vorgetragen, dann wird es klar. Weiter, [4] indem man eine gestellte Aufgabe bei sich selbst in eine Fragestellung umformt, kann man dann dagegen auftreten; denn dies Dagegen-Auftreten ist doch ein Angriff auf die Behauptung. Es ist aber dieser Gesichtspunkt in etwa der gleiche wie das Aufmerken auf die Gegenstände, denen da, gemäß der Behauptung, entweder allen oder keinem davon (etwas) zukommen soll; er unterscheidet sich aber in der Vorgehensweise.



Zweites Buch ∙ Kapitel 3 39

Weiter [5] ist auseinanderzuhalten, was für Gegenstände man so nennen muß wie die Masse der Leute auch, und welche nicht; das ist nämlich nutzbringend sowohl fürs Errichten wie fürs Niederreißen, z. B.: Man muß die Dinge mit den geläufigen Wortbildungen ansprechen wie die vielen Leute auch; was für welche unter den Dingen aber derart sind oder auch nicht von der Art, dabei darf man sich nicht mehr an die Masse der Leute halten, z. B.: »heilsam« ist auszusagen als »das, was Gesundheit hervorbringt«, wie’s die vielen Leute auch sagen; ob dagegen das (im Einzelfall) Vorliegende nun gesundheitsförderlich ist oder nicht, das ist nicht mehr im Sinne der vielen Leute zu bezeichnen, sondern so, wie der Arzt (es bestimmt). Kapitel 3. Weiter, [6] wenn (etwas) in einer Vielzahl von Bedeutungen ausgesagt wird, behauptet sei dabei, daß es zutrifft oder daß es nicht zutrifft, so ist das von einer der Bedeutungen des in mehrfachem Sinn Ausgesagten aufzuzeigen, wenn es bei beiden nicht geht. [a] Zu benutzen ist (dies Mittel) bei den Fällen, wo (die Mehrdeutigkeit) verborgen ist; ist nämlich die Mehrdeutigkeit des Gesagten nicht verborgen, so wird (der Gegner) einwenden, daß nicht das, worauf er selbst die Zweifelsfrage richtete, durchgesprochen sei, sondern die andere Bedeutung. – Dieser Gesichtspunkt läßt sich wechselweise anwenden sowohl für das Errichten wie auch für das Niederreißen. Wollen wir nämlich (eine Behauptung) festigen, werden wir aufzeigen, daß eine der beiden (Bedeutungen) vorliegt, wenn wir es bei beiden schon nicht können; beim Niederreißen werden wir aufzeigen, daß eine der beiden (Bedeutungen) nicht vorliegt, wenn wir es bei beiden nicht können. Nur, daß man beim Niederreißen durchaus nicht aufgrund einer Einigung das Gespräch führen muß, weder darüber, ob die Behauptung nun sein soll, das komme allen (Gegenständen) zu oder keinem; denn wenn wir aufzeigen können, daß es irgendeinem einzelnen nicht zukommt, so werden wir damit (schon) die Behauptung, es komme allen zu, weggenommen haben. Entsprechend auch, wenn wir zeigen können, daß es einem einzigen (Gegenstand) zukommt, so werden wir den Satz, es komme keinem zu, aufheben. Dagegen, wer eine Behauptung

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fest errichten will, muß vorher darüber Einigkeit herstellen, daß (dies oder jenes), wenn es irgendeinem (Gegenstand) zukommt, dann jedem zukommt, wenn denn diese Forderung überzeugend sein sollte; es reicht nämlich nicht hin, um zu zeigen, daß (es) jedem zukommt, die Gesprächsuntersuchung nur über einen einzigen Fall gehen zu lassen, z. B., wenn des Menschen Seele unsterblich (ist, reicht das nicht für den Nachweis), daß alle Seelen unsterblich (sind); also muß man vorher die Übereinstimmung herstellen: Wenn Seele, welche auch immer, unsterblich (ist), dann (ist) jede (Seele) unsterblich. Das darf man aber nicht immer tun, sondern nur dann, wenn wir keinen guten Weg finden, einen einzigen gemeinsamen Begriff über allem anzugeben, wie (es) der Landvermesser (für den Satz): »Das Dreieck hat Winkel, die gleich zwei Rechten sind« (kann). [b] Wenn dagegen die Vielzahl der Bedeutungen nicht verborgen ist, so ist erst auseinanderzunehmen, in wievielfachem Sinne (es) ausgesagt wird, und dann geht es ans Aufheben und ans Errichten, z. B.: »Ist das Gebotene das Gemeinnützige oder das sittlich Gute?« – so ist zu versuchen, beides für den vorliegenden (Gegenstand) fest zu errichten oder von ihm wegzunehmen, z. B.: »Es ist sittlich gut und gemeinnützig«, oder: »Es ist weder sittlich gut noch gemeinnützig«. Wenn das aber bei beiden nicht geht, so ist eins davon zu zeigen, wobei zusätzlich darauf hinzuweisen ist: Das eine (trifft zu), das andere nicht. [c] Die gleiche Rede (hat stattzufinden), auch wenn es (noch) mehr (als zwei) Bedeutungen sind, in die etwas auseinandergenommen wird. [7] Und wieder (gilt das auch) bei allem, was nicht auf dem Wege über Wortgleichheit in vielen Bedeutungen ausgesagt wird, sondern nach anderer Weise, z. B.: »Es ist ein Wissen, das auf eine Mehrzahl von Gegenständen geht« – sei es als auf einen Zweck oder auf Mittel zum Zweck: Etwa (zielt) die Heilkunst auf Herstellung von Gesundheit und (schließt ein) eine entsprechende Lebensweise (als Mittel dazu); oder sei es auf zweierlei als Zielen, so wie die gleiche Wissenschaft als die von Gegenteiligem ausgesagt wird – das eine ist hier



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in keiner Weise mehr Zweck als das andere –, oder sei es als (Wissen) von dem »An-sich-so« und von dem »Nur-nebenbeizutreffend«, z. B. »an sich«: »Das Dreieck hat Winkel, die zwei Rechten gleich (sind)«; »nebenbei zutreffend«: »(Das gilt auch für) das gleichseitige (Dreieck)«; weil es doch auf das gleichseitige mit zutrifft, Dreieck zu sein, demgemäß erkennen wir: Es hat Winkel gleich zwei Rechten. Wenn es nun auf keine (der aufgezeigten) Weisen sein kann, daß die gleiche Wissenschaft auf mehrere (Gegenstandsfelder) geht, so (ist) klar: Das kann überhaupt nicht sein; oder, wenn es auf irgendeine (der angegebenen) Weisen geht, so (ist) klar: Es geht. Zu unterscheiden aber, auf wievielfache Weise (es geht), ist nutzbringend. Wenn wir z. B. (die Behauptung) festigen wollen, ist derlei vorzubringen, wo es eben geht, und es ist nur genau in die Fälle einzuteilen, welche für das feste Erreichen auch brauchbar sind; dagegen, (wollen wir) niederreißen, (so ist vorzubringen) alles, wo es nicht geht, das übrige aber ist beiseite zu lassen. Das muß man auch bei solchen (Gegenständen) tun, wo verborgen ist, in wievielen Bedeutungen (das Behauptete) ausgesagt wird. Und daß das zu dem gehört oder nicht gehört, ist aufgrund der gleichen Gesichtspunkte zu errichten, z. B., daß dies Wissen zu dem Gegenstand gehört, entweder als einem Zweck oder als einem Mittel zum Zweck oder als dem nebenbei Zutreffenden angehörig, oder andersherum: Das alles gelte nicht, nach keiner der genannten Weisen. Dieselbe Erklärung ist es auch bei »Begierde« und was denn alles sonst noch so ausgesagt wird, daß es auf mehreres geht; denn es richtet sich die begehrende Sehnsucht auf (z. B.) dies, als auf ein Ziel, etwa Gesundheit, oder (auf das), als auf ein Mittel zum Zweck, z. B. die Einnahme von Heilmitteln, oder (auf jenes), als ein nebenbei Zutreffendes, wie etwa der Liebhaber süßen Geschmacks auf den Wein, nicht weil es Wein ist, sondern weil er süß schmeckt. Eigentlich begehrt er ja nach dem süßen Geschmack, nach Wein dann nur nebenbei zutreffend: wenn der nämlich herb ist, hat er kein Verlangen mehr danach, also verlangt es ihn danach nur nebenbei.

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Nutzbringend ist dieser Gesichtspunkt bei den Dingen »im Verhältnis zu ...«; denn das derartige (was aufgezählt ist) gehört ja in etwa zu den Bestimmungen »im Verhältnis zu ...«. Kapitel 4. [8] Weiter (gehört hierher auch) das Umformen in ein bekannteres Wort, z. B. beim Aufnehmen des Vortrags eines anderen (sagt man) statt »genau angepaßt«: »klar«, und statt »Vielgeschäftigkeit«: »Fleiß«. Ist nämlich das Ausgesagte in eine bekanntere Form gebracht, so ist die Behauptung leichter angreifbar. Es ist aber auch dieser Gesichtspunkt für beides gemeinsam, sowohl für das Aufrichten wie für das Niederreißen. [9] Zum Zwecke des Nachweises, daß Gegensätzliches an dem gleichen (Gegenstand) vorkommt, ist die Betrachtung über die Gattung zu machen z. B.: Wenn wir nachweisen wollen, daß es im Bereich der Sinneswahrnehmung Richtigkeit und Fehler gibt, (ist herzuleiten): Da »mit den Sinnen wahrnehmen« ein Unterscheidungsvorgang ist, da es weiter beim Unterscheiden ein »richtig« und »nicht richtig« gibt, so ist wohl auch im Bereich der Sinneswahrnehmung Richtigkeit und Fehlen (anzutreffen). Damit also (geht) der Beweis von der Gattung aus über die Art: denn »Unterscheiden« ist Gattung von »Sinneswahrnehmung«, – wer da mit den Sinnen wahrnimmt, trifft ja irgendwelche Unterscheidungen. [10] Andersherum (geht es auch): Von der Art aus zur Gattung; was nämlich bei der Art zutrifft, (tut das) auch an der Gattung, z. B.: Gibt es ein nichtsnutziges und ein taugliches Wissen, so auch nichtsnutzige und taugliche Verfassung; denn »Verfassung« ist ja die Gattung von »Wissen«. Der erstgenannte Gesichtspunkt ist falsch (in Anwendung) für das Errichten, der zweite dagegen wahr. Es ist ja nicht notwendig, daß alles, was der Gattung zukommt, auch auf die Art zutreffe: »Lebewesen« hat in sich (auch die Bestimmungen) »geflügelt« und »Vierfüßig«, dagegen »Mensch« nicht. Umgekehrt, was auf die Art zutrifft, (gilt) notwendig auch von der Gattung: Gibt es »tüchtiger Mensch«, so auch »tüchtiges Lebewesen«. – Für das Niederreißen ist der erstgenannte (Gesichtspunkt) wahr, dagegen der zweite falsch: Alles, was der



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Gattung nicht zukommt, (trifft) auch der Art nicht (zu); was dagegen der Art nicht zutrifft, muß nicht notwendig auch der Gattung nicht zutreffen. [11] Da nun notwendig (gilt): Wovon die Gattung ausgesagt wird, muß auch irgendeine der Arten ausgesagt werden, so (gilt) auch: Alles, was die Gattung (bei sich) hat oder in abgeleiteter Weise vom Wort der Gattung her ausgesagt wird, muß auch notwendig irgendeine der Arten mit sich führen oder in abgeleiteter Weise von einer Art her ausgesagt werden, z. B.: Wird jemandem ein Wissen zugesprochen, so wird (ihm dadurch) auch Schriftkunde, Tonkunst oder irgendeine der anderen Wissensarten zugesprochen werden; und wenn einer Wissen besitzt oder in abgeleiteter Weise von seinem Wissen her (so und so) genannt wird, so wird er auch Schriftkunde besitzen oder Tonkunst oder irgendeine der anderen Wissensformen, oder er wird in abgeleiteter Weise von einer von ihnen aus angesprochen werden, z. B. »schriftkundig« oder »tonkundig«. Wenn nun irgendetwas behauptend gesetzt wird, das von der Gattung her, auf welche Weise auch immer, ausgesagt wird, z. B.: »Die Seele ist in Bewegung«, so ist zu prüfen, ob nach irgendeiner der Formen von »Bewegung« die Seele bewegt sein kann, etwa: Größerwerden, verschwinden, entstehen, oder was es da an Arten von Bewegung sonst noch gibt; wenn nämlich nach keiner, so (ist) klar: Sie ist nicht in Bewegung. Dieser Gesichtspunkt ist gemeinsam für beides, fürs Niederreißen und fürs Errichten. Wird sie nämlich nach irgendeiner der Arten bewegt, so klar: Sie ist in Bewegung; und wird sie nach keiner der Arten bewegt, so klar: Sie ist nicht in Bewegung. [12] Hat man keinen guten Weg zum Zugriff auf die Behauptung, so ist die Betrachtung von den Begriffsbestimmungen aus zu führen, u.z. entweder von solchen, die das von dem vorliegenden Ding wirklich sind, oder von solchen, die bloß so aussehen, und wenn schon nicht von einer aus, so dann von einer Mehrzahl; es wird nämlich leichter sein zuzugreifen, wenn man vorher die Bestimmung getroffen hat: auf solche Bestimmungen ist der Angriff leichter.

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[13] Zu prüfen ist bezüglich des Vorliegenden: Was muß sein, damit das Vorliegende sein kann, oder (umgekehrt), was ergibt sich aus Notwendigkeit, wenn das Vorliegende ist? (Und zwar) wer (eine Behauptung) errichten will, (muß fragen): »Was muß sein, damit das Vorliegende sein kann?« – ist nämlich erst einmal aufgezeigt, daß das eine zutrifft, so wird (das) auch vom Vorliegenden aufgezeigt sein; wer dagegen (eine Behauptung) niederreißen will, (muß fragen): »Was ist, wenn das Vorliegende ist?« – wenn wir nämlich zeigen können, daß das dem Vorliegenden Folgende nicht besteht, so werden wir auch das Vorliegende aufgehoben haben. [14] Weiter ist auf die Zeit das Augenmerk zu richten: Gibt es da Mißklänge, z. B., hat (der Gegner) gesagt: »Was Nahrung zu sich nimmt, wächst mit Notwendigkeit«, (so ist zu entgegnen): Es nehmen Lebewesen die ganze Zeit lang Nahrung zu sich, wachsen aber nicht ihr ganzes Leben lang. Entsprechend auch, wenn er behauptet hat: »Wissen ist ein Sich-Erinnern«, (Entgegnung): Letzteres richtet sich auf vergangene Zeit, das andere dagegen auf gegenwärtige und zukünftige. (Wenn wir etwas wissen,) sagt man von uns doch, wir verständen uns aufs Gegenwärtige und Zukünftige, z. B. (mit der Vorhersage): Es wird eine (Sonnen- oder Mond-)Finsternis eintreten. In Erinnerung zu rufen geht nichts anderes als nur Vergangenes. Kapitel 5. Weiter (ist da noch) [15] die verfängliche Weise, (nämlich) das Hinüberführen (der Gesprächslage) auf einen derartigen (Punkt), dem gegenüber wir mit Zugriffsmitteln gut bestückt sind. Das wird einmal notwendig sein, ein andermal anscheinend notwendig, wieder ein andermal weder anscheinend noch notwendig. – Notwendig also (ist es) dann, wenn der Antwortende etwas von dem, was für die Behauptung nutzbringend ist, bestritten hat, daß man daraufhin auf diesen Punkt die Reden richtet, wenn dieser von der Art ist, daß man dagegen reichliche Angriffsmittel hat. Entsprechend auch dann, wenn er mittels des Festgesetzten eine Heranführung auf etwas hin unternimmt und damit den Versuch zur Aufhebung macht; wenn nämlich das dann aufgehoben wäre,



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wird auch das Vorliegende aufgehoben. – Anscheinend notwendig (ist es dann), wenn (die fragliche Bestimmung) zwar nutzbringend scheint und der Behauptung dienlich, es (tatsächlich) aber nicht ist, woraufhin dann die Reden sich richten, mag es nun sein, daß der, der Rede und Antwort stehen muß, es bestreitet, oder daß er dadurch versuchen sollte, es aufzuheben, daß er eine einleuchtende Heranführung mittels der Behauptung auf es hin zustande gebracht hat. – Der restliche Fall (ist dann gegeben), wenn das, worauf die Reden sich richten, weder notwendig noch anscheinend notwendig (für das Beweisziel) ist, anders aber es dem Antwortenden sich ergäbe, auf Umwegen widerlegt zu werden. Vor dieser letzten der aufgezählten Weisen muß man sich aber hüten; sie ist offenkundig ganz weit weg von der Gesprächskunst und ihr fremd. Daher darf auch der Antwortende hier nicht mürrisch werden, sondern soll solches, was für die Behauptung nicht nutzbringend ist, (ruhig auch) stehenlassen, indem er (allerdings immer) dazusagt, er hält das zwar nicht für richtig, läßt es aber stehen. Es geschieht nämlich allermeist den Fragestellern, daß sie in umso schwierigere Lage kommen, wenn ihnen alles derartige stehengelassen wird und sie dann doch nicht durchdringen. Weiter, [16] jeder, der irgendetwas ausgesprochen hat, hat auf gewisse Weise vieles ausgesagt, da einer jeden (Aussage) aus Notwendigkeit eine Mehrzahl (von weiteren Aussagen) folgt, z. B.: Wer gesagt hat »Es gibt Menschen«, der hat auch gesagt: Es gibt Lebewesen und »solche mit Seele« und »zweifüßig« und »zu Vernunft und Wissen fähig«; daher, wenn eine einzige der Folgebestimmungen, welche auch immer, aufgehoben ist, auch alles das zu Anfang (Gesetzte) aufgehoben wird. Man muß sich aber davor hüten, die Umformung auf etwas Schwierigeres zu bringen; denn einmal (ist es) leichter, das Folgende aufzuheben, ein andermal das Vorgenommene selbst. Kapitel 6. [17] Bei den (Bestimmungen), von welchen notwendig nur je eine von beiden vorliegen kann, z. B. an »Mensch« (entweder) Krankheit oder Gesundheit – so werden wir, wenn wir bei der einen die Gesprächsuntersuchung

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gut führen können, daß sie nun vorliegt oder nicht vorliegt, das auch bei der restlichen können. Das gilt wechselweise für beide (Ziele): Haben wir gezeigt, daß das eine vorliegt, so werden wir (zugleich auch) gezeigt haben, daß das restliche nicht vorliegt; wenn wir andererseits zeigen können: (Es) liegt nicht vor, so werden wir vom restlichen gezeigt haben: Es liegt vor. Klar denn also: Zu beidem ist dieser Gesichtspunkt nützlich. Weiter [18] (ist zu nennen) der Versuch, die Wortbezeichnung über die Begriffserklärung auf eine andere Bedeutung zu bringen, (mit dem Anspruch) es sei angemessener, es so aufzufassen, als was das bloße Wort so sagt, z. B.: »wohlgemut« (meint dann) nicht den Mutigen, wie es nun eben so festliegt, sondern den, der sein Gemüt in guter Verfassung hat, so wie auch »hoffnungsfroh« (dann meinen soll) einen, der auf Gutes hofft; entsprechend (meint dann) »gottgesegnet« einen, dessen Schutzgeist tüchtig ist, so wie es ja Xenokrates sagt: Gottwohlgefällig sei der, der eine tüchtige Seelenverfassung habe; diese sei nämlich der gute Geist eines jeden. [19] Da von den gegebenen Verhältnissen die einen aus Notwendigkeit sind, andere nur allermeist so, wieder andere, wie sich’s halt so ergeben hat, (so gilt): Wenn ein »aus Notwendigkeit« gesetzt ist (als) »allermeist so«, oder ein »allermeist so« (als) »aus Notwendigkeit« – entweder dies selbst oder das Gegenteil zu »allermeist« -: das gibt immer Platz für Zugriff. Ist nämlich ein »aus Notwendigkeit« (als) »allermeist« gesetzt, so (ist) klar: Er sagt, es kommt nicht allem zu, wo es das doch tut, also hat er gefehlt. Und wenn er gesagt hat, ein nur »allermeist so« Ausgesagtes sei »aus Notwendigkeit«, (hat er auch gefehlt): Er behauptet ja, es kommt allem zu, aber das tut es nicht. Entsprechend auch, wenn er das Gegenteil zu »allermeist« (als) »aus Notwendigkeit« behauptet hat: das Gegenteil zu »allermeist« wird ja immer über (eine) geringere (Anzahl von Fällen) ausgesagt (als dieses selbst), z. B.: Allermeist sind die Leute gewöhnlich, echte Kerle (gibt es) weniger; daher hat er nur noch weiter gefehlt, wenn er (Menschen) »gut aus Notwendigkeit« genannt hat. Ebenso auch (macht er Fehler), wenn er ein »wie sich’s halt so ergab« (als) »aus Notwendig-



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keit« behauptet hat oder (als) »allermeist so«; denn das »wie sich’s halt so fügte« ist weder aus Notwendigkeit so noch allermeist so. – Es geht auch (so): Wenn (einer) vorgetragen hat, ohne unterschieden zu haben, ob er nun »allermeist so« oder »aus Notwendigkeit« gesagt haben will, der Sachverhalt aber (ein) »allermeist so« ist, dann führt man das Gespräch so, daß (man unterstellt), er habe »aus Notwendigkeit« gesagt, z. B.: Hat er gesagt, die zu Ämtern Gelosten seien untüchtige Leute, und hat er da keinen Unterschied gemacht, so kann die Untersuchung so angelegt werden, als habe er »aus Notwendigkeit so« behauptet. Weiter [20] (ist einer angreifbar), wenn er ein Gleiches als auf sich selbst mitfolgend Zutreffendes angesetzt hat, als wäre es verschieden, weil die Wortbezeichnung eine andere ist, so wie Prodikos die Formen von Lust auseinandergenommen hat in »Freude«, »Genuß«, »Wohlbefinden«; das sind doch alles nur Worte für das gleiche, nämlich Lust. Wenn einer nun sagt, das Sichfreuen gehe einher mit dem Sichwohlbefinden, so dürfte er ja behaupten, daß etwas auf sich selbst zutrifft. Kapitel 7. Angesichts dessen, daß Gegenüberliegendes miteinander zwar sechsfach verknüpft wird, es eine Entgegensetzung aber (nur) vierfach verbunden macht, muß man das Gegenüberliegende (so) nehmen, daß es nutzbringend ist, sowohl wenn man aufheben will, wie auch zum Errichten. Daß es sechsfach verknüpft wird, (ist) klar: Entweder wird jeder der beiden Gegensätze mit einem jeden zweier (anderer) Gegensätze verknüpft werden – und das zweifach, z. B.: Den Freunden Gutes tun – den Feinden Böses, oder umgekehrt: Den Freunden Böses – den Feinden Gutes –, oder beide (werden) über eines (ausgesagt) – auch das zweifach, z. B.: Den Freunden Gutes – den Freunden Schlechtes, oder: Den Feinden Gutes – den Feinden Böses –, oder eines (wird) über beide (ausgesagt) – zweifach auch das, z. B.: Den Freunden Gutes – den Feinden Gutes, oder: Den Freunden Böses – den Feinden Böses. Die ersten zwei genannten Verknüpfungen machen keine Entgegensetzung: Den Freunden Gutes zu tun ist dem »den Feinden Böses« nicht entgegengesetzt; beides ist erwünscht

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und kommt aus der gleichen Gesinnung. Auch das »den Freunden Böses« (ist) nicht dem »den Feinden Gutes« (entgegengesetzt); das ist ja beides abzulehnen, und auch das kommt von der gleichen Gesinnung. Ein Abzulehnendes kann aber offensichtlich nicht einem (anderen) Abzulehnenden entgegengesetzt sein, außer es wäre das eine davon nach dem Gesichtspunkt von Übermaß, das andere nach Mangel ausgesagt; denn Übermaß gehört offenbar zu den abzulehnenden (Verhaltensweisen), ebenso auch Ermangelung. Die übrigen vier dagegen alle machen Entgegensetzung: Den Freunden Gutes tun ist dem »den Freunden Böses« entgegengesetzt; es kommt ja aus einer entgegengesetzten Gesinnung, und das eine ist erwünscht, das andere abzulehnen. Ebenso auch bei den anderen: Nach jeder Zusammenstellung ist das eine erwünscht, das andere abzulehnen, und das eine zeugt von anständiger Gesinnung, das andere von schlechter. Klar (ist) also aus dem Gesagten: Für die gleiche (Bestimmung) ergibt es sich, daß ihr eine Mehrzahl von Gegenteilen erwächst; denn dem »den Freunden Gutes tun« ist sowohl »den Feinden Gutes tun« entgegengesetzt wie auch »den Freunden Böses«; entsprechend werden auch einem jeden der übrigen (Sätze), wenn man (die Sache) auf die gleiche Weise betrachtet, zwei Gegensätze erscheinen. Zu nehmen ist nun von den Gegensätzen immer der, welcher im Hinblick auf die Behauptung nützlich ist. [22] Weiter, wenn das nebenbei zutreffende (Merkmal) ein Gegenteil hat, so ist zu prüfen, ob das etwa an dem vorliegt, von dem gesagt ist, das nebenbei zutreffende (Merkmal) komme ihm zu; wenn das nämlich zutrifft, dann kann jenes (dazu gegensätzliche) wohl nicht vorliegen; es ist ja unmöglich, daß Gegensätzliches zugleich an dem gleichen (Gegenstand) vorkommt. Ganz sicher (gilt das für folgenden Fall:) Wenn von etwas etwas derartiges ausgesagt ist, mit dessen Geltung dann Gegensätzliches zutreffen müßte; wenn z. B. jemand gesagt hat: »Die Ideen sind in uns«, dann wird sich ja ergeben, daß sie sowohl in Bewegung sind wie auch in Ruhe, und weiter noch,



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daß sie sinnlich wahrnehmbar und durch Denken erfaßbar sind. Es scheinen ja die Ideen für die, welche da behaupten, daß es Ideen gibt, in Ruhe und durch Denken erfaßbar zu sein; sind sie aber dagegen in uns, so ist es unmöglich, daß sie bewegungslos wären: wenn wir uns fortbewegen, muß sich notwendig auch alles an und in uns mitbewegen. Klar, daß sie dann auch sinnlich wahrnehmbar wären, wenn sie denn in uns sind: wir nehmen doch mittels der Sichtwahrnehmung die äußere Gestalt an einem jeden (Ding) zur Kenntnis. [23] Umgekehrt, wenn gesetzt ist ein nebenbei Zutreffendes, zu dem es ein Gegenteil gibt, ist zu prüfen, ob das, was dies nebenbei zutreffende Merkmal an sich nahm, auch fähig ist, sein Gegenteil anzunehmen; es kann doch eines und das gleiche gegenteilige Bestimmungen an sich nehmen, z. B.: Wenn er gesagt hat »Der Haß folgt der zornigen Auseinandersetzung«, so wäre der Haß in dem leidenschaftlichen (Seelenvermögen angesiedelt); dort (wurzelt) ja der Zorn. Zu prüfen ist nun, ob auch das Gegenteil (von Haß) in dem leidenschaftlichen (Seelenteil anzutreffen ist); wenn (das) nämlich nicht (zutrifft), sondern die liebende Zuneigung in dem begehrlichen (Seelenteil) liegt, so dürfte der Haß dem Zornausbruch nicht folgen. Entprechend auch, wenn er gesagt hat, das begehrliche (Seelenvermögen) sei unwissend; es wäre dann ja wohl auch fähig, Wissen anzunehmen, wenn (es) das Unwissen doch (annehmen kann); das erscheint aber doch nicht richtig, daß das begehrliche Seelenteil eines Wissens fähig sein soll! Für einen, der (eine Behauptung) einreißen will, ist das, wie gesagt, nützlich. Will man dagegen (die Behauptung) errichten, daß dies und das nebenbei Zutreffende vorliege, so ist der Gesichtspunkt nicht nutzbringend; (nur dafür,) daß es vorliegen kann, ist er es; haben wir nämlich gezeigt, daß (der Gegenstand) das Gegenteil (des Merkmals) nicht an sich nehmen kann, so werden wir auch gezeigt haben, daß das nebenbei zutreffende (Merkmal) an ihm weder vorliegt noch vorliegen kann; wenn wir dagegen zeigen können, daß das Gegenteil vorliegt oder daß (der Gegenstand) fähig ist, das Gegenteil anzunehmen, so werden wir durchaus noch nicht gezeigt haben, daß auch das nebenbei

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zutreffende (Merkmal selbst an ihm) vorliegt, sondern nur, daß es vorliegen kann, so weit allein wird es aufgezeigt sein. Kapitel 8. [24] Da es vier Weisen gibt, wie man Dinge gegeneinander stellen kann, so ist [a] bei den Fällen von Widerspruch wechselseitig aus der Folge die Prüfung zu machen, sowohl für den Fall, daß man aufheben will oder errichten; zu nehmen ist (der Stoff) aus der Heranführung, z. B.: Ist der Mensch ein Lebewesen, so ist, was nicht Lebewesen ist, auch nicht Mensch; entsprechend auch bei allem übrigen. Hier gilt die Folge wechselweise: Dem »Mensch« folgt das »Lebewesen«; dagegen, dem »nicht Mensch« (folgt) das »nicht Lebewesen« nicht, sondern (nur) umgekehrt dem »nicht Lebewesen« das »nicht Mensch«. In allen Fällen ist nun derartiges zu fordern, z. B.: Ist das Schöne genußvoll, so ist, was nicht genußvoll ist, auch nicht schön; wenn aber das nicht, so auch jenes nicht. Entsprechend auch, wenn das Nicht-Genußvolle nicht schön (ist), so (ist) das Schöne genußvoll. Klar denn also: Die Folge gemäß dem Widerspruch, in umgekehrter Reihe ausgeführt, entspricht wechselweise für beide (Seiten). [b] Bei gegenüberliegenden (Gegensätzen) ist zu sehen, ob dem einen Gegenteil das andere folgt, entweder im Falle, daß man die Dinge an gleicher Stelle stehenläßt, oder daß man sie tauscht, und das für den Fall, daß man aufheben oder daß man errichten will. Zu entnehmen ist auch derlei (Stoff) aus der Heranführung, soweit eben nützlich. Folge für den Fall gleicher Stelle (geht) z. B. (so): (Was folgt) der Tapferkeit, (was) Bei diesen ist der Feigheit, – der einen folgt gute Leistung, der anderen Versagen, und der einen folgt das »wünschenswert«, der anderen das »abzulehnen«. Auch deren Folge läßt die Dinge am gleichen Platz: »wünschenswert« ist das Gegenteil zu »abzulehnen«. Entsprechend auch in den übrigen (Fällen). Umgekehrt aber ist die Folge (so), z. B.: Körperlich guter Verfassung folgt Gesundheit, körperlich schlechter Verfassung aber Krankheit nicht, sondern (umgekehrt) der Krankheit der schlechte Körperzustand. Klar somit: Bei diesen ist die Folge andersherum. Doch selten nur tritt dies »umgekehrt« bei gegenteiligen (Bestimmungen) ein,



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sondern in den meisten Fällen (geht) die Folge über die gleiche Reihe. Wenn nun das Gegenteil dem Gegenteil weder über die gleiche Reihe folgt noch in umgekehrter, so (ist) klar: Auch bei dem Behaupteten folgt eins dem anderen nicht. Wenn dagegen bei den (nachgeordneten) Gegenteilen (Folge besteht), so muß auch bei dem (in der Behauptung) Ausgesagten notwendig eines dem anderen folgen. [c] In gleicher Weise wie bei den gegenüberliegenden (Gegensätzen) ist auch bei den Fällen von Verlust und Besitz die Prüfung zu machen, nur daß es bei den Verlust-Fällen das »andersherum« nicht gibt, sondern da ist es notwendig, daß die Folge immer über die gleiche Reihe geht, so wie dem Gesichtssinn die Sinneswahrnehmung, der Erblindung die Unfähigkeit zur Sinneswahrnehmung (folgt); es ist ja die Sinneswahrnehmung der Wahrnehmungslosigkeit entgegengesetzt wie Besitz (von etwas) und Verlust (dessen): das eine ist ein Haben dessen, das andere ein seiner Beraubtsein. [d] Entsprechend wie bei Besitz und Verlust ist die Sache auch bei den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« in die Hand zu nehmen. Über die gleiche Reihe geht ja auch dabei die Folge, z. B.: Ist »dreifach« auch »vielfach«, so ist »DrittTeil« auch »Viel-Teil«; es wird ja doch »dreifach« ausgesagt im Verhältnis zu einem dreimal so Kleinen, »vielfach« im Verhältnis zu einem vielmal so Kleinen. Und wieder, ist »Wissen« ein »Auffassen«, so ist auch »was gewußt werden kann« etwas, »das man auffassen kann«; und wenn der Sehvorgang eine Wahrnehmung ist, so ist auch das »sichtbare« »wahrnehmbar«. – Einwand: Bei den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« verläuft die Folge nicht notwendig so, wie gesagt ist: Was wahrgenommen werden kann, kann auch gewußt werden, aber Wahrnehmung ist nicht Wissen. Indessen, der Einwand scheint nicht zutreffend zu sein: Viele bestreiten nämlich, daß es von Wahrnehmbarem ein Wissen gebe. – Weiter, zum Zwecke des Gegenteils ist das Gesagte nicht weniger brauchbar, z. B.: Wahrnehmbares ist nicht Gegenstand von Wissen; es ist ja auch die Sinneswahrnehmung kein (genaues) Wissen.

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Kapitel 9. [25] Und wieder (ist das Augenmerk zu richten) auf Bestimmungen aus der gleichen Reihe und abgewandelte Formen, sowohl beim Aufheben wie beim Errichten. Mit »aus der gleichen Reihe« ist gemeint derartiges wie: Das Gerechte, der Gerechte – gebildet von »Gerechtigkeit« her, und: Tapfere Taten, der Tapfere – gebildet von »Tapferkeit« aus. Entsprechend (ist) auch das, was (etwas) hervorbringt oder erhält, aus einer Reihe mit dem, dessen Hervorbringendes oder Erhaltendes es ist, z. B.: Gesundheitsvorschriften (als Hersteller) von Gesundheit und Kräftigungsmaßnahmen (als Erhalter) guter Körperverfassung. Auf gleiche Weise auch in den anderen (Fällen). Derlei ist man nun gewohnt, »aus der gleichen Reihe« zu nennen, abgewandelte Formen dagegen (sind) z. B.: Gerechtermaßen, tapfererweise, gesundheitsförderlich, und was alles auf diese Weise ausgesagt wird. Es sieht so aus, daß auch die Formen von Wortabwandlung aus der gleichen Reihe sind, z. B. »gerechtermaßen« nach »Gerechtigkeit«, »tapfererweise« nach »Tapferkeit«. Aus der gleichen Reihe wird somit denn alles das genannt, was über das gleiche Wortfeld her (kommt), z. B.: Gerechtigkeit, (der) Gerechte, (das) Gerechte, gerechtermaßen. – Klar nun also: Ist ein einziges, welches auch immer, von denen aus der gleichen Reihe nachgewiesen als »gut« oder »lobenswert«, so wird dieser Nachweis auch von allem übrigen gelten, z. B.: Gehört die Gerechtigkeit zu den lobenswerten (Verhaltensweisen), so ist auch »der Gerechte«, »das Gerechte« und »gerechtermaßen« aus der Reihe des Lobenswerten. Es wird aber das »lobenswerterweise« über die gleiche Formabwandlung von »lobenswert« her gebildet wie »gerechtermaßen« nach »Gerechtigkeit«. Die Prüfung ist zu machen nicht nur über das Behauptete selbst, sondern (es ist) auch aus dem Gegenteil das Gegenteil (abzuleiten), z. B. (zum Beweise), daß das Gute nicht aus Notwendigkeit genußreich ist; es ist ja auch das Schlechte nicht (notwendig) schmerzbringend; andernfalls, wenn dies, so auch jenes. Und: Ist die Gerechtigkeit ein Wissen, so auch die Unge-



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rechtigkeit ein Nichtwissen; und ist das »gerechtermaßen« ein »wissentlich« und »erfahrungskundig«, so das »ungerechterweise« ein »in Unkenntnis« und »unkundig«; wenn aber das nicht, so auch jenes nicht, genau wie bei dem eben Gesagten. Es sieht ja wohl mehr danach aus, daß das »ungerechterweise« in kundig erfahrener Art (getan wird), als danach, (es geschähe) stümperhaft. – Dieser Gesichtspunkt ist früher schon vorgetragen im Rahmen der Folgen aus Gegenteilen; auch jetzt erheben wir ja keinen weiteren Anspruch, als daß dem Gegenteil Gegenteiliges folge. [26] Weiter (ist das Augenmerk zu richten) auf Entstehungs- und Untergangsvorgänge und auf Dinge, die geeignet sind, (anderes) hervorzubringen oder zu vernichten, und das sowohl für das Aufheben wie für das Errichten. Dinge, deren Herkunft aus Gutem (kommt), sind auch selbst gut, und wenn sie selbst gut sind, so auch ihre Herkunftsgründe; kommt dagegen die Herkunft aus Schlechtem, so gehören die Dinge auch selbst zum Schlechten, 〈und wenn sie selbst zum Schlechten gehören, so leitet sich auch ihre Herkunft von Schlechtem ab〉. Bei Untergängen ist es umgekehrt: Gehören die Vernichtungsgründe zum Guten, so die Dinge selbst zum Schlechten; kommen die Zerstörungsursachen aus dem Schlechten, so gehörten die Dinge zum Guten. Die gleiche Erklärung ist es mit hervorbringenden und vernichtenden (Dingen oder Vorgängen): Dinge, deren Hervorbringer gut sind, gehören auch selbst zum Guten, Dinge, deren Vernichter gut sind, gehören selbst zum Schlechten. Kapitel 10. [27] Und wieder (ist) bei ähnlichen (Bestimmungen zu sehen), ob sie sich auch entsprechend verhalten, z. B.: Gibt es ein Wissen von mehreren (Gegenständen), so auch (eine) Meinung, und: Ist »Sehvermögen haben« Sehen, so »Gehör haben« Hören. Entsprechend auch bei allem übrigen, sowohl dem, was da wirklich ist, wie auch dem, was nur so scheint. Nutzbringend ist der Gesichtspunkt für beides: Wenn es sich nämlich bei einem unter ähnlichen (Fällen) so und so verhält, so (wird das) bei den anderen ähnlichen (Fällen auch

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so sein); wenn dagegen in einem Einzelfalle nicht, so auch bei den anderen nicht. [28] Zu prüfen ist auch, ob sich etwas, angewandt auf eines, entsprechend verhält wie in Anwendung auf vieles; gelegentlich stimmt das nämlich nicht zusammen, z. B.: Ist Wissen ein Verstandesgebrauch, so (bedeutet) »vieles wissen« auch »über vieles nachdenken«; das ist aber nicht wahr: Es ist zwar möglich, vieles zu wissen, aber nicht (gleichzeitig) über vieles nachzudenken; wenn aber das nicht, so (gilt) auch das andere für die Einzelanwendung nicht, daß Wissen ein Vorgang des Nachdenkens ist. [29] Weiter (kann man Beweise führen) aus (dem Gesichtspunkt) von Mehr und Weniger. Es sind der Gesichtspunkte nach Mehr und Weniger vier: Einer (liegt dann vor), wenn das »mehr« dem »mehr« folgt, z. B.: Ist Lust ein Gut, so ist größere Lust ein größeres Gut, und: Ist Unrechttun böse, so ist die schwerere Unrechtshandlung ein schlimmeres Übel. Nutzbringend ist der Gesichtspunkt zu beidem; wenn nämlich der Zunahme des zuerst Gesetzten die Zunahme des Hinzugetretenen folgt, wie gesagt ist, so ist klar, daß es ihm zutrifft; folgt sie dagegen nicht, so trifft es ihm auch nicht zu. Das ist mittels Heranführung anzupacken. [30] Zweiter (Gesichtspunkt): Ein (Merkmal) wird über zwei (Gegenstände) ausgesagt, und wenn es nun an dem Gegenstand, an dem es mit mehr Wahrscheinlichkeit vorliegen sollte, nicht vorliegt, dann auch nicht an dem, wo das weniger wahrscheinlich war, und (umgekehrt), wenn es an dem vorliegt, wo sein Vorliegen weniger wahrscheinlich war, dann auch an dem, wo es wahrscheinlicher war. Andersherum, [31] werden zwei (Merkmale) über einen (Gegenstand) ausgesagt, (so gilt): Wenn das, dessen Vorliegen in höherem Maße wahrscheinlich war, nicht vorliegt, so auch nicht das weniger wahrscheinliche, wenn dagegen (umgekehrt) das weniger wahrscheinlich Vorliegende vorliegt, so auch das wahrscheinlichere. Schließlich, [32] werden zwei (Merkmale) über zwei (Gegenstände) ausgesagt, (so gilt): Wenn das dem einen von bei-



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den (Gegenständen) mit mehr Wahrscheinlichkeit Zukommende an diesem nicht vorliegt, so auch das übrige an dem anderen nicht; wenn dagegen (umgekehrt) das, dessen Vorliegen unwahrscheinlicher war, dem einen zukommt, so auch das übrige am anderen. Weiter, aus dem In-entsprechender-Weise-Vorliegen oderVorzuliegen-Scheinen (geht es) dreifach, so wie es nach dem »mehr« bei den drei letztgenannten Gesichtspunkten gesagt war. [33] Wenn nämlich ein einziges (Merkmal) zwei (Gegenständen) in entsprechender Weise zukommt oder zuzukommen scheint, (so gilt): Liegt es an dem einen nicht vor, so an dem anderen auch nicht; kommt es dagegen dem einen davon zu, so dem übrigen auch. [34] Kommen zwei (Merkmale) dem gleichen (Gegenstand) in entsprechender Weise zu, (so gilt): Liegt das eine davon nicht vor, so das restliche auch nicht; wenn aber das eine, so auch das andere. [35] Auf die gleiche Weise (geht es) auch, wenn zwei (Merkmale) an zwei (Gegenständen) in entsprechender Weise vorkommen: Liegt das eine an dem einen nicht vor, so auch das übrige nicht an dem anderen; liegt dagegen das eine am einen vor, so auch das restliche am anderen. Kapitel 11. Von (den Gesichtspunkten) des »mehr« und »weniger« und des »entsprechend« aus geht es also auf so viele Weisen, den Zugriff zu machen. Weiter [36] auch vom Hinzusetzen aus: Wenn eines, zu einem anderen hinzugesetzt, dies »gut« macht oder »hell«, was zuvor nicht gut und nicht hell war, so wird das Hinzugesetzte gut oder hell sein müssen, wozu es ja das Ganze macht. Weiter, [37] wenn etwas, zu einem schon vorliegenden (Merkmal) hinzugetan, macht, daß diese Eigenschaft in noch stärkerem Maße vorliegt, als sie schon vorgelegen hatte, dann wird auch es selbst derartig sein. Entsprechend auch in allen übrigen (Fällen). Nutzbringend ist der Gesichtspunkt aber nicht in allen (Fällen), sondern nur bei denen, wo ein Überschuß an »mehr« eintreten kann. Dieser Gesichtspunkt ist auch nicht in umgekehrter Richtung anwendbar für das Einreißen. Wenn nämlich das

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Hinzugesetzte (das, wozu es gesetzt wird,) nicht gut macht, so ist durchaus noch nicht klar, ob es selbst nicht doch gut sein kann: Gutes, zu Schlechtem hinzugefügt, macht nicht notwendig das Ganze gut; auch nicht weiß, zu schwarz gefügt, (das Ganze) weiß. Und wieder, [38] wenn etwas (mit dem Zusatz) »mehr« und »weniger« ausgesagt wird, so liegt es auch ohne Zusatz vor: Was nicht gut ist oder (nicht) hell, das wird man auch nicht als mehr oder weniger gut oder hell aussagen können; denn »schlecht« wird man in keinem Vergleich als »mehr oder weniger gut« aussagen können, sondern nur als »mehr oder weniger schlecht«. Auch dieser Gesichtspunkt läßt keine Umkehranwendung zu zum Einreißen; viele der (Bestimmungen), die nicht nach »mehr« oder »Weniger« ausgesagt werden, liegen in einfacher Form vor: Als Mensch wird (einer) nicht mehr oder weniger angesprochen, deshalb gilt noch lange nicht, daß man von niemandem sagen könnte, er sei ein Mensch. [39] Auf die gleiche Weise ist die Betrachtung zu machen auch über (solche Merkmale, die nur) »in Hinsicht auf etwas« (gelten) oder nur zu der und der Zeit und dort und dort; wenn (etwas) in bestimmter Hinsicht sein kann, so kann es auch einfach ohne sie sein. Entsprechend (ist es) auch mit »zu der und der Zeit« und »da und da«: Was einfachhin unmöglich ist, kann auch in der und der Hinsicht oder dann und dann oder dort und dort nicht sein. Einwand: In bestimmter Hinsicht gibt es doch von Natur aus tüchtige (Leute), z. B. freigebige oder besonnene, aber einfach so ist von Natur aus keiner tüchtig, [niemand ist nämlich von Natur aus vernünftig]; entsprechend kann es auch eine zeitlang sein, daß etwas aus dem Bereiche des Vergänglichen nicht zugrundegeht, schlechthin aber kann es nicht sein, daß es nicht zugrundeginge. Auf gleiche Weise ist es auch da und dort vorteilhaft, eine so und so bestimmte Lebensweise zu führen, z. B. in ungesunden Gegenden, ohne Zusatz bringt sie aber keinen Nutzen. Weiter ist es auch möglich, daß da und dort nur ein einziger ist, einfachhin ist es aber nicht möglich,



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daß es einen allein gibt. Auf gleiche Art mag es auch irgendwo sittlich angebracht sein, den eigenen Vater zu opfern, wie bei den Triballern, ohne Zusatz ist es das aber nicht. – Oder, meint dies nicht so sehr das »da und dort«, sondern (zielt eher) auf das »bei wem« (das gilt)? Es macht (ihnen) ja keinen Unterschied, wo sie dabei denn sind; es wird ihnen, da sie eben Triballer sind, überall sittlich angebracht sein. – Und wieder, zu bestimmter Zeit ist es von Nutzen, Heilmittel einzunehmen, z. B. wenn man erkrankt ist, einfach so (ist es das) aber nicht. – Oder meint etwa auch das nicht ein »dann und dann«, sondern (bezieht sich auf) einen (Menschen) in dem und dem Zustand? Es macht ja keinen Unterschied, wann immer, wenn er nur in dem und dem Körperzustand ist. Dagegen ist das schlechterdings (gültig), wovon man ohne irgendeinen Zusatz sagen wird: »Es ist sittlich schön«, oder das Gegenteil. Z. B., den Vater schlachten wird man nicht für sittlich schön erklären, sondern (nur sagen), für bestimmte (Menschen) ist es das; im Gegensatz dazu, »die Götter ehren« wird man sittlich gut nennen, ohne jeden Zusatz; es ist nämlich schlechterdings sittlich angemessen. Also, was denn ohne Zusatz von irgendetwas »sittlich schön« oder »abscheulich« zu sein scheint, oder irgendetwas anderes derart, das wird schlechterdings so ausgesagt werden.

DRITTES BUCH

Kapitel 1. Was von zwei oder mehr (Wahlmöglichkeiten) in höherem Maße vorzuziehen oder besser ist, (ist) aus folgenden (Gesichtspunkten) zu betrachten. Als erstes sei dabei klargestellt, daß wir die Prüfung nicht machen für weit auseinanderstehende (Werte), die gegen einander großen Unterschied aufweisen – keiner treibt sich mit dem Zweifel herum, ob inneres Glück oder Reichtum vorzuziehen seien –, sondern für (Wertvorstellungen), die eng beieinander liegen und über die wir dann im Zweifel sind, welchem wir eher beitreten sollen, weil wir eben keine Überlegenheit des einen über das andere sehen. Klar (ist) bei derartigem also: Sind eine oder mehrere Überlegenheiten (an etwas) aufgezeigt, so wird die Vernunft dem beipflichten, daß dies vorzüglicher ist, welches von beiden das Überlegene auch sein mag. [1] Erstens nun also, was längere Zeit währt oder beständiger ist, ist erwünschter als das, was weniger von der Art ist. Auch das, was (im Einzelfalle) der Vernünftige wählen würde oder der brave Mann oder das rechte Gesetz oder die im Einzelfalle ausgewiesenen Leute, wenn sie die Wahl treffen, insofern sie eben derartige (Leute) sind, oder die im jeweiligen Fach des Wissens Kundigen, entweder in ihrer Mehrzahl oder alle, z. B. in der Heilkunst oder Baukunst, was eben die Mehrzahl der Ärzte (und Baumeister) oder alle (wählen würden), oder überhaupt, alles, was die Mehrzahl oder alle [oder alles] (haben wollen), z. B. das Gute. Alles ist doch nach dem Guten aus. Man muß es aber darauf hinausbringen, wozu das, was gesagt werden soll, nützlich ist. Einfachhin besser und vorzüglicher ist das, was aus dem besseren Wissen (hervorgeht), für den und den ist es dagegen das, (was) aus seinem eigentümlichen (Wissen folgt).

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[2] Sodann (ist besser) das »was-dies-da-wirklich-ist« als das, was nicht in der Gattung (auftritt), z. B. Gerechtigkeit (stärker) als (die oder die) gerechte Handlung; das eine davon (tritt auf) im Guten als seiner Gattung, das andere nicht; von nichts wird doch das, was die Gattung denn ist, ausgesagt, was nicht in der Gattung (enthalten) ist, z. B.: »heller Mensch« ist nicht »Was-Farbe-denn-wirklich-ist«. Entsprechend auch bei allem anderen. [3] Auch (ist) das seiner selbst wegen Erwünschte vorzüglicher als etwas, das eines anderen wegen erwünscht ist, z. B. das Gesundsein (erwünschter) als die körperlichen Übungen (dazu); ersteres ist um seiner selbst willen erwünscht, das andere eines anderen wegen. [4] Ebenfalls das an sich selbst (Erwünschte vorzüglicher) als das nebenbei zutreffend (Erwünschte), z. B., daß unsere Freunde gerecht sind (ist erwünschter) als daß die Feinde es sind; ersteres ist an und für sich erwünscht, das andere nur nebenbei zutreffend; denn daß unsere Feinde gerecht sind, wünschen wir im Sinne der nebenbei zutreffenden Folge, daß sie uns dann niemals schaden. Es ist das der gleiche (Fall) wie der davor (genannte), unterscheidet sich aber in der Weise: Daß unsere Freunde gerecht sind, wünschen wir um seiner selbst willen, auch wenn für uns daraus sich nichts ergeben wird, auch wenn sie bei den Indern wären; daß dagegen unsere Feinde (es sind, wünschen wir) um eines anderen willen, nämlich daß sie uns keinen Schaden stiften. [5] Ebenfalls, die An-und-für-sich-Ursache von Gutem (ist erwünschter) als die Nebenbei-Ursache, wie etwa Leistung (vorzüglicher) als Zufallsglück – sie ist Ursache von Gutem an ihr selbst, es ist es in nebenbei eintretender Folge –, und wenn es sonst noch anderes derartiges gibt. Entsprechend ist es auch mit dem Gegenteil: Was an sich ursächlich für Schlimmes ist, ist in stärkerem Maße zu meiden als das, was es nur nebenbei ist, z. B. Bosheit mehr als Schicksalsschlag; sie ist an und für sich schlecht, der Schicksalsschlag ist es in nebenbei zutreffender Weise.



Drittes Buch ∙ Kapitel 1 61

[6] Auch das schlechterdings Gute (ist) erwünschter als eines nur für den oder den, z. B. Gesundsein (besser) als Unters-Messer-Kommen: sie ist einfachhin gut, es dagegen nur für den oder den, der nämlich dieser Behandlung mit dem Messer bedarf. [7] Und: Das von Natur aus (für ein Gutes Ursächliche erwünschter) als ein nicht von Natur aus (Ursächliches), z. B. die Gerechtigkeit im Vergleich zu einer gerechten Handlung: sie ist es ihrem Wesen nach, das (gerechte Handeln) ist ein erworbenes. [8] Und: Was an einem Besseren und Wertvolleren vorliegt, ist wünschenswerter (als was an einem weniger Wertvollen), z. B. (was) an einem Gott im Vergleich zu dem an einem Menschen (vorliegt), und (was) an der Seele im Vergleich zu dem, was am Leibe (vorliegt). [9] Und: Das dem Besseren Eigentümliche (ist) besser als das (Eigentümliche) des Schlechteren, z. B. Eigentümlichkeit des Gottes (besser) als die des Menschen; gemäß den gemeinsamen (Bestimmungen) an beiden unterscheiden sie sich ja nicht voneinander, in den eigentümlichen dagegen übertrifft das eine das andere. [10] Und: Was an Besserem oder Vorrangigem oder Wertvollerem sich vorfindet, ist besser (als das jeweils Nachgeordnete), z. B. Gesundheit (besser) als Körperkraft und Schönheit; sie (liegt) nämlich in (einem stimmigen Verhältnis von) Feuchtem, Trockenem, Warmem und Kaltem, einfach gesprochen, (den Bestandteilen,) aus welchen, als unmittelbar ersten, das Lebewesen sich zusammensetzt, die anderen (Güter finden sich) in den (Verhältnissen der) nachgeordneten (Bestandteile): Körperkraft (liegt) in Sehnen und Knochen, Schönheit ist anscheinend eine Art Ebenmaß der Glieder. [11] Und: Der Endzweck ist offenbar mehr erwünscht als die auf den Zweck hin (führenden Mittel), und von zweien (davon) das, was näher beim Zweck liegt. Und allgemein, was dem Ziele des Lebens dient, ist in höherem Maße vorzüglich, als was auf ein anderes (zielt), z. B., was auf inneres Lebensglück hinauswill (vorzüglicher), als was zur Einsicht (dient).

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[12] Und: Das Mögliche (besser) als das Unmögliche. [13] Weiter: Von zwei hervorbringenden (Dingen oder Verhältnissen) das, dessen Zweck der bessere ist; Hervorbringendes und Zweck (sind dabei) aus einer Aufrechnung (zu bestimmen), jedesmal wenn ein Zweck den anderen um mehr übertrifft als der sein ihm eigentümliches Hervorbringendes, z. B.: Wenn Lebensglück Gesundheit um mehr übertrifft als Gesundheit die gesundheitshervorbringenden Maßnahmen, so (ist) das, was Lebensglück bewirkt, besser als Gesundheit; um wieviel nämlich Lebensglück Gesundheit übertrifft, um soviel übertrifft auch das Glück-Bewirkende das GesundheitHervorbringende; die Gesundheit übertraf aber das Gesundheitsdienliche um weniger, sodaß denn das Glückschaffende das Gesundheitsförderliche um mehr übertrifft als die Gesundheit das Gesundheitbringende. Klar somit: In höherem Maß zu wählen ist das, was Lebensglück bewirkt, als das, was Gesundheit (hervorbringt); denn es übertrifft das gleiche um mehr. [14] Weiter (ist vorzuziehen) das an sich selbst sittlich Schönere und Wertvollere und Lobenswertere, z. B. Freundschaft dem Reichtum und Gerechtigkeit der Körperkraft, denn das eine (davon) gehört zu dem an sich selbst Wertvollen und Löblichen, das andere (ist es) nicht an sich selbst, sondern eines anderen wegen. Niemand hält doch den Reichtum seiner selbst wegen für wertvoll, sondern anderer Dinge wegen, dagegen die Freundschaft schätzt jeder an und für sich, auch wenn uns nichts anderes aus ihr erwachsen sollte. Kapitel 2. [15] Weiter: Wenn irgendwelche zwei (Wertvorstellungen) einander sehr benachbart sind und wir gar keine Überlegenheit des einen über das andere zu ersehen vermögen, so (ist) zu schauen von dem her, was ihnen nachfolgt; welchem nämlich ein größeres Gut folgt, das ist vorzuziehen. Sollten aber die Folgen übel sein, so ist das, dem weniger Schlimmes folgt, eher zu wählen; mögen ja auch beide (Werte) erwünscht sein, so hindert nichts, daß etwas Unangenehmes (ihnen) folgt.



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Zweifach ist die Betrachtung von den Folgen aus: Es gibt nämlich [a] eine Folge nach vorn und [b] eine nach hinten, z. B. »lernend« hat »Nichtwissen« als vordere Folge, aber »Wissen« als Nach-Folge. Besser ist allermeist das später Folgende. Zu ergreifen ist nun also von den Folge(bestimmungen) immer die, welche je und je brauchbar ist. [16] Weiter (ist vorzuziehen) [a] die größere (Zahl oder Menge) an Gütern denen, die weniger sind, entweder einfachhin oder, wenn die einen an den anderen vorkommen, die wenigeren an den mehreren. Einwand: Wenn einmal das eine um des anderen willen (da ist) – dann sind nämlich beide zusammen um nichts mehr vorzuziehen als das eine, z. B.: »gesunden und Gesundheit« (nicht vorzüglicher) als »Gesundheit«, da wir doch das Gesunden um der Gesundheit willen wählen. [b] Auch daß Nicht-Güter einmal Gütern vorzuziehen seien, hindert nichts, z. B., Lebensglück zusammen mit etwas anderem, was kein Gut ist, (ist vorzüglicher) als Gerechtigkeit und Tapferkeit. [17] Und: Die gleichen (Handlungen) in Verbindung mit Lust (sind) mehr (zu wählen) als (die) ohne Lust; und die gleichen in Verbindung mit Schmerzlosigkeit (mehr) als die in Verbindung mit Schmerz. [18] Und: Ein jedes Erstrebenswerte (ist) [a] in dem erfüllten Augenblick, wo es mehr zu bewirken vermag, auch in höherem Maße erwünscht (als zu anderem), z. B. »schmerzlos im Alter« mehr als »... in der Jugend«; denn das bedeutet im Alter mehr. Demgemäß ist auch Einsicht im Alter wünschenswerter; niemand wählt doch junge Burschen zu Anführern, weil man nicht dafür hält, daß sie Einsicht besäßen. Bei Tapferkeit (ist es) umgekehrt: In der Jugend ist tätiges Handeln nach tapferem Mute notwendiger. Entsprechend (steht es) auch mit besonnenem Maß: die jungen Leute werden mehr als die Älteren von Begierden umgetrieben.Auch, was zu jedem guten Augenblick, oder in den meisten, nützlicher ist (als anderes, ist dem vorzuziehen), z. B. Gerechtigkeit und besonnenes Maß dem tapferen Mut; die beiden sind stets, er nur gelegentlich nützlich.

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[19] Und: Etwas, das, wenn alle es haben, nicht zur Folge hat, daß wir des anderen dazu auch bedürfen, (ist wünschenswerter) als das, wobei wir, wenn alle es haben, auch des restlichen zusätzlich bedürfen, so wie (es) im Falle von Gerechtigkeit und Tapferkeit ist: Sind alle gerecht, ist tapferer Mut zu nichts nutze, sind dagegen alle tapfer und mutig, so ist Gerechtigkeit nutzbringend. [20] Ferner (kann man die Betrachtung machen) nach den Gesichtspunkten von Untergang, Verlust und Entstehung, Gewinnung und den Gegenteilen (des Gegenstandes). (Werte), deren Untergang in höherem Maße zu meiden ist, sind selbst wünschenswerter; entsprechend (ist es) auch mit den Vorgängen von Verlust und den Gegenteilen: Ist der Verlust oder das Gegenteil (von etwas) in höherem Maße zu meiden, so ist es selbst wünschenswerter. Bei Entstehung und Gewinnung (ist es) umgekehrt: Wessen Erwerb und Zustandekommen erwünschter ist, das ist es auch selbst. Anderer Gesichtspunkt: [21] Was näher am Guten ist, ist besser und wünschenswerter und das dem Guten Ähnlichere auch, z. B. Gerechtigkeit im Vergleich zu Gerechtem (im Einzelfall). [22] Und: Was einem, was besser ist als es selbst, ähnlicher ist (als ein anderes), so wie bestimmte Leute sagen, Aias sei besser als Odysseus, weil er dem Achill ähnlicher war. Einwand dazu: Das stimmt nicht! Es hindert nichts die Annahme, daß Aias nicht in der Hinsicht, in welcher Achill der Beste war, ihm ähnlicher war, und der andere ist (trotzdem) gut, aber (dem Achill) nicht ähnlich. – [23] Zu prüfen ist auch, ob (die Sache) auch zu einigermaßen lächerlichen (Vergleichsfällen) ähnlich sein mag, so wie der Affe zum Menschen im Verhältnis zum Pferd, das (beiden) doch nun gar nicht ähnlich ist: Der Affe ist nicht schöner (als es), obzwar dem Menschen ähnlicher. [24] Und wieder, im Falle von zweien, wenn das eine davon dem Besseren, das andere dem Geringeren ähnlicher ist, so wird ja wohl besser sein, was dem Besseren ähnlicher ist.



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Auch das hat einen Einwand (gegen sich): Nichts hindert (anzunehmen), daß das eine dem Besseren nur ein wenig ähnlich ist, das andere dem Geringeren aber sehr, z. B.: Aias dem Achill nur gerade so eben, Odysseus dagegen dem Nestor in hohem Maße. Und wenn das eine dem Besseren zur schlechteren Seite hin ähnlich wäre, das andere dem Schlechteren zur besseren Seite hin, so wie Pferd zu Esel und Affe zum Menschen. Anderer (Gesichtspunkt): [25] Das Angenehmere (ist erstrebenswerter) als das, was weniger von der Art ist, und das Schwierigere auch; wir sind ja in höherem Maße befriedigt im Besitze dessen, was nicht leicht zu bekommen ist. [26] Und: Das mehr Eigene (wünschenswerter) als das mehr Gemeine. [27] Und: Das, was dem Üblen gegenüber unnahbarer ist; erwünschter ist doch, dem keine Mißhelligkeit folgt, als das, dem eine folgt. [28] Weiter, wenn einfachhin das besser ist als dies, so (ist) auch das Beste von denen in dieser Reihe besser als das Beste von denen in der anderen, z. B.: Ist Mensch besser als Pferd, so ist auch der beste Mensch besser als das beste Pferd; und (umgekehrt), ist das Beste (dieser Reihe) besser als das Beste (jener), so ist auch einfachhin dies besser als das, z. B.: Ist der beste Mensch besser als das beste Pferd, so auch einfach Mensch besser als Pferd. [29] Weiter, das, woran man die Freunde teilhaben lassen kann, (ist) wünschenswerter als das, wo das nicht geht. [30] Und: Was einem Freund gegenüber zu tun wir lieber wollen als was jedem beliebigen Menschen gegenüber, das ist vorzüglicher, z. B. gerechte Handlungen zu begehen und Gefallen erweisen als nur den Schein davon zu erzeugen; den Freunden Gutes (wirklich) zu tun wollen wir ja lieber, als nur so zu erscheinen; bei zufälligen Bekannten (ist das) umgekehrt. [31] Und: Was aus reicher Fülle (genommen werden kann, ist) besser als das nur Notwendige, gelegentlich auch in höherem Maße erwünscht; besser als bloßes Leben ist doch das

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Wohlleben, das Wohlleben aber kommt aus Überfluß, das bloße Leben selbst ist Sache des Notwendigen. – Gelegentlich aber ist das Bessere nicht auch in höherem Maße erwünscht; denn (es gilt) nicht: Wenn besser, so notwendig auch wünschenswerter. (Z. B.) sich mit geistigen Dingen beschäftigen ist ja wohl besser als um Geld arbeiten, für jemanden, der des Notwendigen bedarf, aber nicht vorzuziehen; das ergibt sich doch erst in Folge eines Überschusses, wenn nämlich angesichts des Vorhandenseins der notwendigen (Mittel) einer von diesen Gutgestellten sich irgendwelche andere (Tätigkeiten) zusätzlich leisten kann. In etwa ist in stärkerem Maße zu wählen das Notwendige, besser ist das, (was) aus reicher Fülle (hervorgeht). [32] Und: (Vorzüglicher ist,) was nicht von einem anderen zuwege gebracht werden kann, als das, was auch durch einen anderen geht, wie es z. B. der Gerechtigkeit widerfährt, verglichen mit der Tapferkeit. [33] Und: Wenn dies zwar ohne das erstrebenswert (ist), das aber ohne dies nicht, z. B.: Macht ohne Besonnenheit (ist) nicht wünschenswert, Besonnenheit dagegen ohne Macht ist es. [34] Und: Wenn von zwei (Wertvorstellungen) wir das eine abstreiten, damit es so aussieht, daß das andere uns zur Verfügung stünde, so ist jenes wertvoller, wovon wir wollen, daß es uns offenbar zukommt, z. B.: Wir streiten ab, fleißige Arbeiter zu sein, damit es so aussieht, daß wir gut veranlagt wären. [35] Weiter, etwas, über dessen Abwesenheit man sich grämt, wenn dies (Verhalten) weniger tadelnswert ist, dann ist dieses erwünschter (als ein entsprechendes anderes); und (umgekehrt), wo es mehr zu tadeln ist, wenn man über die Abwesenheit von etwas nicht trauert, das ist wertvoller. Kapitel 3. [36] Weiter, von den (Vorstellungen) unter der (gleichen) Art (ist die wünschenswerter), die die eigentümliche Tüchtigkeit besitzt, als die, die sie nicht hat; haben beide sie, so das, was sie in höherem Maße hat. [37] Weiter, wenn die eine (Eigenschaft) das gut macht, zu dem sie tritt, die andere aber macht es nicht, so ist das vorzuziehen, was das macht, so wie auch das wärmer ist, was wärmt,



Drittes Buch ∙ Kapitel 3 67

als das, was es nicht tut. Haben beide die Wirkung, so (ist das vorzüglicher), was die Wirkung stärker hervorbringt; oder wenn es das Bessere und Beherrschendere gut macht, z. B., wenn das eine die Seele, das andere den Leib (gut macht). [38] Weiter (geht es) von den Formabwandlungen her und den Gebrauchsformen, den Handlungen und Taten, und auch (umgekehrt) diese von jenem aus; denn das folgt wechselweise, z. B.: Ist »gerechterweise« mehr zu wählen als »tapferermaßen«, so ist auch Gerechtigkeit vorzüglicher als tapferer Mut; und (umgekehrt), ist Gerechtigkeit wünschenswerter als tapferer Mut, so auch »gerechterweise« im Verhältnis zu »tapferermaßen«. Ähnlich in den übrigen Fällen. [39] Weiter, wenn im Vergleich zu einem bestimmten, gleichen (Wert) das eine ein größeres Gut ist, das andere ein geringeres, so ist vorzuziehen das größere; oder wenn eins davon größer ist als ein größeres (Gut). Aber auch wenn zwei bestimmte (Güter) vorzüglicher sein sollten als ein bestimmtes (drittes), so ist (von den beiden) das mehr erwünscht, das in seiner Wünschbarkeit mehr über das dritte hinausgeht, als das, was es weniger tut. [40] Weiter, etwas, dessen Steigerung wünschenswerter ist als die Steigerung (eines anderen), ist auch selbst mehr erwünscht, z. B. Freundschaft im Vergleich zu Geld; wünschenswerter ist doch die immer festere Freundesbindung als mehr Geld. [41] Und: Wovon man eher wählen würde, es selbst für sich selbst herbeigeführt zu haben (ist wünschenswerter) als das, was ein anderer verschafft hat, z. B. Freunde mehr als Geld. [42] Weiter (geht es auch) infolge von Hinzusetzung, wenn etwas, zu demselben hinzugesetzt, das Ganze erwünschter macht (als ein anderer Zusatz) Man muß sich aber davorhüten, das auf solche (Fälle) auszuweiten, wo die zusammengesetzte (Vorstellung) den einen von den Zusätzen wohl gebraucht oder sonstwie mit ihm zusammenarbeitet, den anderen aber nicht gebraucht und nicht mit ihm zusammenarbeitet, z. B.: Säge und Sichel zu Zimmermannskunst gesetzt; in dieser Zweierverbindung ist die Säge das vorzuziehende (Werkzeug), einfachhin ist sie es dagegen nicht.

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[43] Und erneut: Wenn etwas, zu Geringerem hinzugesetzt, das Ganze größer macht, (ist es wünschenswerter als etwas, das das nicht tut). [44] Entsprechend geht es auch infolge von Fortnahme: Etwas, das mit seiner Wegnahme von der gleichen (Größe) den Rest kleiner macht (als ein anderes), das wird ja wohl größer sein, – was eben, fortgenommen, das Übrigbleibende kleiner macht. [45] Und: Wenn eines seiner selbst wegen, das andere des Eindrucks bei anderen wegen erwünscht (ist; so ist ersteres wünschenswerter), z. B. Gesundheit im Vergleich zu Schönheit. Begriffsbestimmung von »des Eindrucks wegen« (ist): »Wenn kein anderer es auch zur Kenntnis nimmt, bemüht man sich nicht darum, daß es auf einen zutrifft.« [46] Und: Wenn das eine seiner selbst wegen und des Eindrucks bei anderen erwünscht (ist), das andere dagegen allein des einen oder des anderen wegen, (ist das erste vorzuziehen). [47] Und: Was von zweien seiner selbst wegen in höherem Maße wertvoll (ist), das (ist) auch besser und vorzuziehen. Wertvoller an sich selbst ist ja wohl das, was wir seiner selbst wegen vorziehen, ohne daß (dadurch) voraussichtlich etwas anderes (Gutes) für uns eintreffen wird. [48] Weiter, (es ist) auseinanderzunehmen, in wievielen Bedeutungen »wünschenswert« ausgesagt wird und welcher (Dinge) wegen (es das ist), z. B. des Nützlichen wegen oder des sittlich Schönen oder des Angenehmen; denn was in allen Hinsichten oder in der Mehrzahl (von ihnen) Nutzen stiftet, dürfte ja wohl als etwas Wünschenswerteres auftreten als das, wo es nicht entsprechend ist. [49] Kommen beiden (verglichenen Werten) die gleichen (Bestimmungen) zu, so ist zu prüfen, welchem von beiden (sie) in höherem Maße (zukommen), z. B., (ist es) angenehmer, sittlich schöner oder zuträglicher? [50] Und wieder: Was um eines Besseren willen (erwünscht ist, ist) wünschenswerter (als das um eines Geringeren willen), z. B. das um der sittlichen Leistung willen (Erwünschte besser) als das der Lust wegen.



Drittes Buch ∙ Kapitel 5 69

[51] Entsprechend auch bei dem, was zu meiden ist: In stärkerem Maße ist zu meiden, was Erwünschtem in stärkerem Maß hinderlich im Wege steht, z. B. Krankheit (mehr) als Häßlichkeit; denn für Lust und Tüchtigsein ist Krankheit ein stärkeres Hindernis. [52] Weiter (geht es damit), daß man aufzeigt, das Vorliegende sei gleichermaßen zu meiden wie zu erstreben; etwas derartiges, was einer gleichermaßen wählen und meiden würde, ist ja weniger wünschenswert als ein anderes, das nur erwünscht ist. – Kapitel 4. Die Vergleiche gegen einander sind nun also so, wie vorgetragen, zu machen. Die gleichen Gesichtspunkte sind brauchbar auch zu zeigen, daß jedes beliebige (werthafte Ding) entweder zu wählen oder zu meiden ist; man muß dazu ja nur den Überschuß gegenüber dem je anderen fortnehmen: Ist das Wertvollere mehr vorzuziehen, so ist auch das Wertvolle vorzuziehen, und ist das Nützlichere vorzüglicher, so auch das Nützliche zu wählen. Entsprechend auch bei allem anderen, was alles derartigen Vergleich bei sich hat; bei einigen (Wertvorstellungen) sagen wir ja gleich beim Vergleich gegeneinander, daß entweder beide oder eines davon zu wählen ist, z. B. wenn wir sagen, das eine ist von Natur aus gut, das andere nicht von Natur aus; klar, daß das von Natur aus Gute zu wählen ist . Kapitel 5. Man muß aber diese Gesichtspunkte im Bereich von »mehr« und »größer« möglichst allgemein ergreifen; so genommen sind sie ja wohl für mehr (Anwendungen) brauchbar. Es geht dabei bei einigen der aufgezählten, sie allgemeiner zu machen, indem man bei der Aussprache ein klein wenig ändert, z. B.: Was »von Natur aus so und so« ist, ist »mehr« so, als was nicht von Natur aus so und so ist. Und wenn das eine (Merkmal) den Gegenstand, der es (an sich) hat, an dem es vorliegt, so und so macht, das andere das aber nicht tut, so ist »mehr so und so« das, was es macht, als das, was es nicht macht; machen es aber beide, so (ist) das, was es in höherem Maße macht, (mehr) so und so.

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[a] Weiter, wenn eines mehr derart, das andere aber weniger derart ist als ein und das gleiche (dritte), und wenn das eine mehr derart als ein derartiges, das andere aber (mehr) als ein nicht derartiges, so (ist) klar: das erste ist mehr so und so. [b] Weiter (geht es) auch vom Zusatz aus, wenn (etwas), zu dem gleichen hinzugesetzt, das Ganze in höherem Maße so und so macht, oder wenn (etwas), hinzugesetzt zu etwas weniger derartigem, das Ganze mehr von der Art macht, (dann ist es das selbst mehr). [c] Entsprechend auch mit der Fortnahme: Wenn etwas durch seine Fortnahme das Übrigbleibende weniger derart macht (als ein anderes), so ist es selbst mehr derart (als dies). Und was mit dem jeweiligen Gegenteil weniger vermischt ist, ist mehr so und so (als das umgekehrte), z. B. ist weißer, was weniger mit schwarz vermischt ist. [d] Weiter, über das früher Gesagte hinaus: Was die dem Vorliegenden eigentümliche Begriffserklärung in stärkerem Maße an sich nimmt, (ist das auch mehr), z. B.: Ist die Begriffserklärung von »weiß«: »Farbe, die das Sehvermögen auseinanderscheidet«, so ist weißer das, was mehr eine Farbe ist, die das Sehvermögen auseinanderscheidet. Kapitel 6. Wenn aber die Aufgabe zu Teilen und nicht aufs Ganze hin gestellt ist, so sind, erstens, die genannten allgemein errichtenden oder niederreißenden Gesichtspunkte alle anwendbar; indem wir aufs Ganze überhaupt hin aufheben oder errichten, weisen wir ja auch die Teilaussagen nach: Kommt (etwas) jedem und allen zu, so auch irgendeinem (davon), wenn aber keinem, so auch nicht irgendeinem. Besonders vorteilhaft und allgemeingültig unter den Gesichtspunkten sind die von Entgegengesetztem, die von der gleichen Reihe und die von den Formabwandlungen aus. Gleichermaßen einsehbar ist es doch, die Forderung aufzustellen: Ist jede Lust etwas Gutes, so ist auch jedes Leid etwas Schlimmes, und: Ist eine bestimmte Art Lust ein Gutes, so auch eine bestimmte Art Leides ein Schlimmes. Weiter: Ist eine bestimmte Form von Wahrnehmung nicht ein Vermögen, so ist auch eine bestimmte Form von Wahrnehmungslosigkeit



Drittes Buch ∙ Kapitel 6 71

nicht ein Unvermögen. Und: Wenn etwas, das vermutet werden kann, auch gewußt werden kann, so ist auch (diese oder jene) bestimmte Vermutung ein Wissen. Und erneut: Ist etwas aus dem Bereich des Ungerechten gut, so ist auch (das entsprechende) etwas aus dem Bereich des Gerechten schlecht. Und wieder: Ist etwas aus der Reihe »gerechtermaßen« schlecht, so (das entsprechende) etwas aus der Reihe »ungerechterweise« gut. Und: Ist ein Bestimmtes aus der Reihe des Lustvollen zu meiden, so ist auch eine bestimmte (Form von) Lust zu meiden. Gemäß dem gleichen (Verfahren gilt) auch: Ist etwas von dem Lustvollen förderlich, so ist auch eine bestimmte Lustform förderlich. Und bei den Dingen, die Untergang herbeiführen, und bei Entstehungs- und Untergangsvorgängen genauso: Ist etwas Bestimmtes, das Lust oder Wissen zum Verschwinden bringt, ein Gutes, so sind ja wohl diese bestimmte Lust oder dies bestimmte Wissen vom Bösen. Entsprechend auch: Ist ein bestimmtes Verschwinden von Wissen vom Guten oder ein (entsprechendes) Entstehen vom Bösen, so wird es ein bestimmtes Wissen geben, das vom Bösen ist, z. B.: Ist das Vergessen dessen, was man an schlimmen Handlungen vollführt hat, vom Guten, oder das Sich-daran-Erinnern vom Schlimmen, so ist ja wohl das Wissen darum, was einer an Bösen getan hat, vom Schlimmen. Entsprechend auch in allen anderen (Fällen): in allen findet sich das Einleuchtende gleichermaßen. Weiter, aus dem »mehr« und »weniger« (geht es) auch entsprechend: Ist etwas aus dem Bereich einer anderen Gattung in stärkerem Maße so und so, (das, worüber die Rede ist,) aber keins von denen, so ist ja wohl das Genannte auch nicht so und so, z. B.: Ist ein bestimmtes Wissen in höherem Maße ein Gut als eine (Form von Lust), und ist dann keine (Form von) Wissen ein Gut, so ist es dann wohl auch keine (Form von) Lust. Und vom »gleichermaßen« und »weniger« aus (geht es) genauso; da kann man nämlich sowohl aufheben wie auch errichten, nur, aus dem »gleichermaßen« beides, aus dem »weniger« aber bloß errichten, niederreißen dagegen nicht: Ist ein bestimmtes Können gleichermaßen ein Gut wie ein Wissen,

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und ist nun tatsächlich dies bestimmte Können etwas Gutes, so ist es auch das Wissen; wenn aber kein Können (ein Gut ist), so auch kein Wissen. Ist dagegen ein bestimmtes Können weniger ein Gut, als ein Wissen (es ist), und ist nun tatsächlich ein bestimmtes Können gut, so auch das Wissen; ist dagegen kein Können ein Gut, so (gilt) nicht notwendig, daß auch kein Wissen ein Gut sei. Klar denn also: Von »weniger« aus geht nur das Errichten. Es geht aber das Einreißen nicht bloß von einer anderen Gattung aus, sondern auch aus der gleichen, wenn man da nimmt, was am meisten so und so ist, z. B.: Ist gesetzt ein bestimmtes Wissen als gut, und sollte nun gezeigt werden können, daß Einsicht kein Gut ist, so wird es auch keine andere Form davon sein, wenn es die doch nicht war, die den meisten Anschein davon hatte. Weiter (geht es) aufgrund von Unterstellung, indem man gleichermaßen die Forderung erhebt: Wenn einem, so kommt es auch allen zu, oder es kommt nicht zu, z. B.: Ist des Menschen Seele unsterblich, so (sind es) auch alle anderen, wenn aber diese nicht, so auch die anderen nicht. Ist nun gesetzt, (etwas) liege an etwas Bestimmtem vor, so ist zu zeigen: Es kommt einem Bestimmten nicht zu; dann wird nämlich über die vorausgesetzte Unterstellung folgen: Es kommt keinem zu. Ist dagegen gesetzt: (Etwas) liegt an einem Bestimmten nicht vor, so ist zu zeigen: Es kommt an einem Bestimmten vor; auch so wird ja (nach Unterstellung) folgen: Es kommt an allen vor. Klar ist, wer solche Voraussetzung unterstellt, macht die Aufgabe allgemein, wo sie doch nur als Teilaussage gesetzt war; er erhebt die Forderung: Wer zum Teil zustimmt, stimmt auch fürs Ganze zu, da er doch fordert: Wenn einem, so kommt es auch gleichermaßen allen zu. Ist nun die Aufgabe unbestimmt gestellt, so geht allein das Niederreißen, z. B.: Hat (der Gegner) gesagt: »Lust ist gut« oder »... nicht gut«, und dazu keine weitere Bestimmung getroffen; wenn er nämlich damit gemeint hat, daß eine bestimmte (Form von) Lust gut sei, so ist allgemein zu zeigen, daß keine es ist, wenn man die aufgestellte Behauptung aufheben will.



Drittes Buch ∙ Kapitel 6 73

Entsprechend auch, wenn er gesagt hat, eine bestimmte (Form von) Lust sei nicht gut, so ist allgemein zu zeigen, daß jede (eines ist). Anders geht Aufheben nicht; wenn wir nämlich zeigen können, daß eine bestimmte (Form von) Lust nicht gut ist oder gut, so ist das in der Behauptung Hingestellte noch nicht aufgehoben. Klar denn nun: Aufheben geht nur auf eine Weise, Errichten dagegen doppelt. Entweder wir zeigen: Jede Lust ist gut, oder (wir zeigen): Es gibt eine bestimmte (Form von) Lust, die ist gut, – das in der Behauptung Aufgestellte wird erwiesen sein. Entsprechend, wenn es nötig wird, die Gesprächsuntersuchung zu führen (über die Behauptung): Es gibt eine bestimmte (Form von) Lust, die ist nicht gut, so werden wir, wenn wir zeigen können: Keine ist gut, oder: Eine bestimmte (Form davon) ist nicht gut, auf beide Weisen im Vortrag erwiesen haben, sowohl allgemein wie über die Teilaussage, daß es eine bestimmte (Form von) Lust gibt, die nicht gut ist. Ist dagegen die aufgestellte Behauptung bestimmt, so geht das Aufheben doppelt, z. B.: Wenn gesetzt sein sollte: Einer bestimmten (Form von) Lust kommt es zu, gut zu sein, einer bestimmten (anderen) komme das nicht zu, so wird, ob nun gezeigt werden kann: Jede (Art von) Lust ist gut, oder: Keine (ist es), das Behauptete aufgehoben sein. Wenn (der Gegner) aber gesetzt hat: Eine einzige (Art von) Lust allein ist gut, so geht das dreifach aufzuheben. Indem wir zeigen: Jede, oder keine, oder mehr als eine (Form davon) ist gut, werden wir das Aufgestellte aufgehoben haben. Sollte die Behauptung in noch stärkerem Maße bestimmt sein, z. B.: Einsicht allein unter den sittlichen Verhaltensweisen ist ein Wissen, so geht das Aufheben vierfach. Indem gezeigt ist: Jede (Form von) Tüchtigkeit ist ein Wissen, oder: Keine (ist es), oder: Irgendeine andere, z. B. Gerechtigkeit, (ist es), oder: Die Einsicht selbst ist kein Wissen, – in all den Fällen wird das Behauptete aufgehoben sein. Nützlich ist auch (hier) das Hinblicken auf das Einzelne, an dem etwas gemäß der Behauptung vorliegen soll oder nicht, so wie (es das) bei den allgemein gestellten Aufgaben (auch war). Weiter muß man bei den Gattungen genau hinsehen,

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wenn man dabei ist, sie nach Arten zu zerlegen, bis die Teilung nicht weiter geht, wie früher schon gesagt ist. Ob (die in Rede stehende Eigenschaft) nun allen zuzukommen scheint oder keinem, – wer da viele (Einzelfälle) vorgebracht hat, der muß dann fordern, daß (der andere) allgemein zustimmt, oder er soll einen Gegenfall einbringen von etwas, wo das nicht so ist. Weiter, in Fällen, wo entweder der Art nach oder der Zahl nach das nebenbei Zutreffende zu bestimmen geht, ist zu prüfen, ob nichts davon vorliegt, z. B. (bei der Behauptung): Die Zeit bewegt sich nicht und ist keine (Art von) Bewegung, da zählt man auf, wieviele Arten von Bewegung (es gibt); wenn dann keine davon der Zeit zukommt, so (ist) klar: Sie bewegt sich nicht und ist nicht Bewegung. Entsprechend auch (bei dem Satz): Die Seele ist nicht Zahl, – da nimmt man auseinander: Jede Zahl ist entweder ungerade oder gerade; ist nun die Seele weder ungerade noch gerade, so ist klar: Sie ist nicht Zahl. – Das »nebenbei zutreffend« anbelangend, ist also mittels derartiger (Gesichtspunkte) und auf diese Weise der Zugriff zu machen.

VIERTES BUCH

Kapitel 1. Danach ist auf die (Bestimmungen), die Seinsgattung und Eigentümlichkeit betreffen, das Augenmerk zu richten. Diese sind Grundbestandteile der (Verfahren) hin zur Begriffsbestimmung; doch eben um sie geht es den Gesprächsführern nur selten in hrer Betrachtung. [1] Wenn denn also die Gattung gesetzt wird von etwas, das da ist, so ist zuerst auf alles zu schauen, was dem Genannten verwandt ist, ob sie von einem davon etwa nicht ausgesagt wird, so wie (das) beim nebenbei Zutreffenden (der Fall ist), z. B.: Ist von »Lust« als Seinsgattung »Gutes« gesetzt, (ist zu sehen), ob eine bestimmte Lust nicht gut ist; wenn das nämlich (zutrifft), so klar: Gutes ist nicht Gattung von Lust. Denn die Gattung wird von allem ausgesagt, was unter dieselbe Form fällt. [2] Sodann (ist zu sehen), ob (etwas) nicht im (Bedeutungsbereich des) »was-es-ist« ausgesagt wird, sondern nur als nebenbei auch zutreffend, wie »weiß« von »Schnee« oder von der Seele das »von sich selbst bewegt«; weder ist Schnee »was-überhaupt-weiß-ist«, daher »weiß« nicht die Gattung von Schnee ist, noch ist die Seele »das-was-überhaupt-bewegtist«, es trifft ihr nur auch zu, bewegt zu sein, so wie ja auch dem (ganzen) Lebewesen oft das »Sich-Fortbewegen« (mitfolgt) oder »sich-fortbewegend« zu sein. Weiter, »bewegt« ist offenbar nicht ein »was-es-ist«, sondern meint ein Tun oder Erfahren. Entsprechend auch »weiß«: Es macht nicht klar, was Schnee ist, sondern nur, daß er diese bestimmte Eigenschaft hat. Sodaß denn also keins der beiden im Sinne des »wases-ist« ausgesagt wird, – die Gattung wird aber im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt. [3] Ganz besonders ist auf die Begriffsbestimmung von »nebenbei zutreffend« zu sehen, ob nicht vielleicht sie auf das als Gattung Angegebene paßt, z. B. die soeben genannten: Es

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ist ja als möglich gegeben, daß etwas sich selbst in Bewegung setzt, wie auch, daß es das nicht tut, entsprechend auch kann etwas weiß sein oder auch nicht, daher keins der beiden Gattung ist, sondern nur nebenbei zutreffend, da wir doch gesagt haben: Nebenbei zutreffend ist, was an etwas vorliegen kann, aber auch nicht. [4] Weiter (ist darauf zu achten), ob etwa die Seinsgattung und ihre Erscheinungsform nicht in der gleichen Einteilung (sich finden), sondern das eine ein Wesen, das andere eine Eigenschaft (meint), oder das eine ein »im Verhältnis zu ...«, das andere ein »so und so beschaffen«; z. B., »Schnee« oder »Schwan« (bezeichnen) etwas, das wirklich ist, »weiß« dagegen nicht etwas, das ist, sondern ein »so und so beschaffen«, sodaß denn »weiß« nicht Seinsgattung von »Schnee« oder »Schwan« (sein kann). Und noch einmal, »Wissen« (gehört) zu den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...«, »gut« und »schön« dagegen (bezeichnen) ein »so und so geartet«, daher denn Gut oder Schön nicht Gattung von Wissen (sein können). Denn die Gattungen von »im Verhältnis zu ...« (-Bestimmungen) müssen selbst zu »im Verhältnis zu ...« (-Bestimmungen) gehören, wie etwa bei »doppelt«: »Vielfach«, was die Gattung von »doppelt« ist, gehört auch selbst zu den »im Verhältnis zu ...«. Um es über alles zu sagen, so muß die Gattung unter dieselbe Einteilung zu stehen kommen wie die Erscheinungsform: Ist die Erscheinungsform ein seiendes Wesen, so auch die Gattung, und ist die Erscheinungsform ein »so und so beschaffen«, so auch die Gattung ein solches, z. B.: Ist »weiß« ein »so und so beschaffen«, dann auch »Farbe«. Entsprechend bei allem anderen auch. [5] Und wieder (ist darauf zu sehen), ob an dem, was unter die Gattung gesetzt ist, die (entsprechende) Gattung notwendig teilhat oder dies doch kann. – Begriffsbestimmung von »teilhaben« (ist): Die Begriffserklärung dessen, woran teilgenommen wird, an sich nehmen. – Klar (ist) dann: Die Erscheinungsformen haben an den Gattungen teil, die Gattungen an den Formen aber nicht; denn die Erscheinungsform nimmt die Begriffserklärung der Gattung in sich auf, die Gattung dage-



Viertes Buch ∙ Kapitel 1 77

gen die der Erscheinungsform nicht. Man muß also prüfen, ob das, was als Gattung angegeben ist, an der Erscheinungsform teilhat oder teilhaben kann, z. B., wenn einer für »seiend« oder »Einheit« eine Gattung angeben wollte; dann wird ja eintreten müssen, daß die Gattung an der Erscheinungsform teilhat; denn von allem, was da ist, wird »seiend« und »eines« ausgesagt, somit auch deren Begriffserklärung. [6] Weiter (ist zu fragen), ob die für etwas angegebene Erscheinungsart zwar eine wahre Aussage ist, die Seinsgattung aber nicht, z. B., wenn »seiend« oder »möglich zu wissen« als Gattung von »der Meinung zugänglich« gesetzt wäre. (Das wäre dann falsch), denn das »vermutlich« wird ja auch von (Dingen oder Sachverhalten), die nicht sind, ausgesagt – vieles von dem, was gar nicht so ist, kann man ja meinen –, dagegen »seiend« und »zu wissen« wird nicht ausgesagt von solchem, was nicht ist; das ist klar. Also: »seiend« und auch »dem Wissen zugänglich« sind nicht Gattung zu »der Meinung zugänglich«; wovon nämlich die Art ausgesagt wird, davon muß auch die Gattung ausgesagt werden. [7] Erneut (ist zu prüfen), ob etwas, das unter die Gattung gesetzt ist, etwa an keiner der Erscheinungsformen teilhaben kann; es ist ja unmöglich, daß etwas, das an keiner der Formen teilhat, an der Gattung teilhätte, außer wenn es eine der gemäß der ersten Einteilung (aufgefundenen) Arten ist; die haben allein an der Gattung teil. Wenn nun »Veränderung« als Gattung von »Lust« gesetzt wäre, so ist zu prüfen, ob Lust weder Ortsbewegung noch Eigenschaftwechsel noch irgendeine andere der übrigen angegebenen Erscheinungsformen von Veränderung ist. Dann wäre ja klar: Sie hat an keiner der Arten teil; dann also auch nicht an der Gattung, wenn denn doch notwendig ist, daß, was an der Gattung teilhat, auch an einer der Arten teilhaben muß. Somit wäre denn Lust keine Erscheinungsform von Veränderung, und auch keine der nicht weiter teilbaren (Bestimmungen), die unter eine bestimmte Erscheinungsform von Veränderung fallen; denn das nicht weiter Teilbare hat teil an Gattung und an Erscheinungsform,

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z. B., dieser bestimmte Mensch hat teil sowohl an »Mensch« wie auch an »Lebewesen«. [8] Weiter (ist zu prüfen), ob etwas, das unter eine Gattung gesetzt ist, über einen weiteren Bereich, als diese Gattung (umfaßt), ausgesagt wird, z. B.: »der Meinung zugänglich« (geht weiter) als »seiend«; sowohl, was ist, als auch, was nicht ist, ist Gegenstand möglicher Vermutung, daher denn also das »der Vermutung zugänglich« wohl keine Unterart von »seiend« ist; es wird ja doch die Gattung immer über einen weiteren Bereich ausgesagt als die erscheinende Art. [9] Und wieder (ist zu unterscheiden), ob Art und Gattung über gleichweit reichende (Bestimmungen) ausgesagt werden, z. B., wenn von (Bestimmungen, die so allgemein sind, daß sie) allem folgen, die eine als Art, die andere als Gattung gesetzt würde, wie im Falle von »seiend« und »eines« – »seiend« und »eines« (folgt) ja jedem (Gegenstand): daher denn von diesen beiden keines die Gattung des anderen sein kann, wenn sie doch über gleichgroße Bereiche ausgesagt werden Entsprechend auch, wenn »Erstes« und »Anfang« einander so zugeordnet werden sollten; sowohl der Anfang ist ein Erstes wie auch das Erste ein Anfang, sodaß entweder beide Genannten dasselbe sind oder keins die Gattung des anderen. Kernstück zu alledem (ist der Satz): Die Seinsgattung geht über mehr als die Erscheinungsart und deren unterscheidendes Merkmal in ihrem Aussagebereich; auch das unterscheidende Merkmal wird ja von weniger ausgesagt als die Gattung. [10] Hinzusehen ist auch darauf, ob bei einem von der Art nach ununterschiedenen Gegenständen etwa die behauptete Gattung nicht zutrifft oder vielleicht nicht zuzutreffen scheint; im Falle, daß man eine Behauptung errichten will, aber (umgekehrt): Ob sie es für ein Bestimmtes ist. Denn für alle der Art nach ununterschiedenen (Bestimmungen) gilt die gleiche Gattung. Wenn das nun bei einem gezeigt ist, dann klar, für alle, und (umgekehrt), wenn von einem nicht, dann für keines; z. B., wenn einer, der unteilbare Linien ansetzt, sagte: Das »nichtauseinandernehmbar« ist deren Gattung; für die Linien, die Trennung sehr wohl zulassen, ist das Genannte Gattung nicht,



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und die sind doch der Art nach (von den anderen) ununterschieden. Ununterscheidbar von einander der Erscheinungsform nach sind eben die Geraden alle. Kapitel 2. [11] Zu achten ist aber auch darauf, ob es von der angegebenen Art eine andere Gattung gibt, die die angegebene Gattung weder umfaßt noch unter ihr steht, z. B., wenn jemand von »Gerechtigkeit« »Wissen« als Gattung gesetzt hätte; es ist nämlich auch »Tugend« (hier) Gattung, und keine dieser Gattungen schließt die andere ein. Somit wäre also Wissen nicht Gattung von Gerechtigkeit; es ist doch offenkundig so, wenn eine Art unter zwei Gattungen fallen sollte, dann wird die eine von der anderen umfaßt. – Diese Auffassung bringt aber in einigen Fällen Schwierigkeit: Einigen scheint Besonnenheit sowohl eine Tugend wie auch ein Wissen zu sein, und keine der beiden Gattungen werde von der anderen umfaßt. Indessen wird nicht von allen eingeräumt, daß Besonnenheit ein Wissen sei. Wenn man nun aber einräumte, daß das Behauptete wahr ist, so scheint ja doch zu den Notwendigkeiten zu gehören, daß die Gattungen derselben (Art) untereinander (angeordnet sind) oder beide unter dieselbe fallen, wie das bei »Tugend« und »Wissen« zutrifft: Beide fallen unter die gleiche Gattung, jedes von beiden ist nämlich ein Besitz und eine Verfassung. Zu prüfen ist nun also, ob keins von beiden auf die angegebene Gattung zutrifft; wenn nämlich die Gattungen weder untereinander angeordnet sind noch beide unter die gleiche fallen, so wird das Angegebene wohl nicht Gattung sein. [12] Zu betrachten ist auch die Gattung der angegebenen Gattung und so immer fort die nächsthöhere Gattung (darauf hin), ob sie alle von der Erscheinungsform ausgesagt werden und ob sie im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt werden; alle höherliegenden Gattungen müssen nämlich von der Erscheinungsart im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt werden; wenn da nun an irgendeiner Stelle es nicht zusammenpaßt, so (ist) klar: Das Angegebene ist nicht Gattung. [13] Und wieder (ist zu prüfen), ob die (angegebene) Gattung an der Art teilhat, entweder sie selbst oder eine von den

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höheren Gattungen; denn das Höherliegende hat an keinem Tieferen teil. Wer einreißen will, der muß es, wie angegeben, verwenden. Wer dagegen errichtet, (muß sich so verhalten): Wird zugegeben, daß die genannte Gattung der Art zwar zukommt, dagegen aber bestritten, daß sie ihr als Gattung zukommt, so reicht es, ihm zu zeigen, daß eine der höheren Gattungen von der Erscheinungsart im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt wird; wird nämlich eine einzige in diesem wesentlichen Sinne ausgesagt, dann werden auch alle, sowohl die ihr über- wie auch die ihr untergeordneten, sofern sie nur von der Art ausgesagt werden, im Bereich des »was-es-ist« ausgesagt werden; sodaß denn also auch die angegebene Gattung im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt wird. Daß aber, wenn eine im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt ist, auch alle übrigen, sofern sie nur ausgesagt werden, im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt werden, das ist durch Heranführung zu ergreifen. Wenn dagegen überhaupt bestritten wird, daß die angegebene Gattung zutreffe, dann reicht es nicht zu zeigen, daß eine der höherliegenden Gattungen im Bereich des »was-es-ist« von der Art ausgesagt wird; z. B., wenn einer als Gattung zu »Gehen« »Ortsbewegung« angegeben hat, so reicht es nicht zu zeigen, daß Gehen eine Form von »Veränderung« ist, für den Nachweis, daß es eine Ortsbewegung ist, da es ja auch andere Erscheinungsformen von Veränderung gibt, sondern man muß zusätzlich zeigen, daß »Gehen« an keiner der unter die gleiche Einteilung fallenden (Formen) teilhat, außer nur an Ortsbewegung. Denn was an der Gattung teilhat, muß notwendig auch an einer der Erscheinungsformen teilhaben, die bei der ersten Einteilung entstehen. Wenn denn also »Gehen« weder an »Zuwachs« noch an »Verminderung« noch an den anderen Erscheinungsformen von »Veränderung« teilhat, so (ist) ja wohl klar: Es hat an »Ortsbewegung« teil; somit wäre Ortsbewegung die Gattung zu Gehen. [14] Und wieder, in Fällen, wo die angesetzte Art über irgendwelche Dinge als Gattung ausgesagt wird, da ist zu prüfen, ob auch die angegebene Gattung im Sinne des »was-esist« eben von denen ausgesagt wird, von denen auch die Art



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(ausgesagt war); entsprechend auch, ob (das) für alle weiteren oberhalb dieser Gattung (gilt); wenn nämlich da irgendwo etwas nicht stimmt, so (ist) klar: Auch das Angegebene ist nicht Gattung. Wäre es das nämlich, so würden auch alle höherliegenden (Gattungen) als sie, und sie selbst auch, im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt, wovon doch die Art im wesentlichen Sinne ausgesagt wird. Will man niederreißen, so ist das verwendbar, wenn die Gattung nicht im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt wird über das, wovon doch die Art so ausgesagt wird; will man errichten, so ist es verwendbar, wenn sie im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt wird. Es wird ja dann eintreten, daß Gattung und Art von einem und demselben (Gegenstand) im Sinne des »was-es-ist« ausgesagt werden, sodaß denn eines und dasselbe unter zwei Gattungen gerät; notwendig ist dann, daß die Gattungen untereinander angeordnet sind. Ist nun also von dem, was wir als Gattung errichten wollen, gezeigt, daß es nicht unter der Art steht, so (ist) ja wohl klar: Die Art steht unter ihr; somit wäre gezeigt, daß das die Gattung ist. [15] Zu prüfen sind auch die Begriffserklärungen der Gattungen, ob sie zu der angegebenen Art passen und zu dem, was an der Art teilhat; es ist ja notwendig, daß die Begriffserklärungen der Gattungen (auch) von der Art und dem, was an der Art teilhat, ausgesagt werden. Wenn da irgendwo etwas nicht stimmt, (so ist) klar: Das Angegebene ist nicht Gattung. [16] Und wieder (ist zu prüfen), ob (der Gegner) etwa das Unterscheidungsmerkmal als Gattung angegeben hat, z. B. »unsterblich« als Gattung zu »Gott«. »Unsterblich« ist doch unterscheidendes Merkmal von »Lebewesen«, da doch von den Lebwesen die einen sterblich, die anderen unsterblich sind. Klar ist nun, daß er darin gefehlt hat: Das Unterscheidungsmerkmal ist Gattung von nichts. Daß das wahr ist, (ist) klar: Kein unterscheidendes Merkmal bezeichnet ein »was-esist«, sondern eher ein »so und so beschaffen«, wie etwa »zu Lande lebend« oder »zweifüßig«. [17] Auch (ist zu prüfen), ob er das Unterscheidungsmerkmal wie eine Art unter die Gattung gesetzt hat, z. B. »ungera-

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de« als »Was-Zahl-ist«; »ungerade« ist nur Unterscheidungsmerkmal von »Zahl«, nicht Art von ihr. Es scheint das Unterscheidungsmerkmal an der Gattung nicht teilzuhaben: Alles, was an der Gattung teilhat, ist entweder Art oder unteilbar (Einzelnes), das Unterscheidungsmerkmal ist weder Art noch Einzelnes. Klar denn also: An Gattung hat das Unterscheidungsmerkmal nicht teil; daher denn auch »ungerade« ja wohl nicht Art sein kann, sondern nur Unterscheidungsmerkmal, da es doch an der Gattung nicht teilhat. [18] Weiter (ist zu prüfen), ob er die Gattung unter die Art gesetzt hat, z. B. »Berührung« als »was-Zusammenhalt-ist«, oder »Mischung« als »Was-Lösung-in-Wasser« (oder Luft), oder, wie Platon festlegt, »Ortsveränderung« als »dahin eilen«. Nicht notwendig ist nämlich Berührung Zusammenhalt, sondern umgekehrt, Zusammenhalt (schließt) Berührung (ein): nicht alles, was sich berührt, hängt zusammen, aber (umgekehrt) alles, was zusammenhängt, berührt sich auch. Entsprechend auch bei den übrigen: Nicht jede Mischung ist Lösung – die Mischung trockener (Bestandteile) ist nicht Lösung –, und nicht jeder Ortswandel ist eine Fortbewegung; Gehen ist doch offensichtlich kein Davongetragen werden, dies Dahingetragenwerden wird doch in etwa von solchen (Gegenständen) ausgesagt, die ohne Willen ihren Platz mit einem anderen wechseln, wie das z. B. bei leblosen (Körpern) eintritt. Klar, daß in den angegebenen (Fällen) die Art über einen weiteren Bereich ausgesagt wird als die Gattung, wo es doch umgekehrt zu sein hätte. [19] Und wieder: Ob er das Unterscheidungsmerkmal anstelle der Art gesetzt hat, z. B.: »unsterblich« als »was-Gottist«. Dann wird ja eintreten, daß die Art über gleichen oder größeren Bereich ausgesagt wird; (es ist aber umgekehrt:) Immer wird das Unterscheidungsmerkmal über gleichen oder größeren Bereich ausgesagt als die Art. [20] Weiter, ob (er) die Gattung anstelle des Unterscheidungsmerkmals (gesetzt hat), z. B. »Farbe« als »was-versammelnde-Art-hat« oder »Zahl« als »was-ungerade-ist«; und ob er (somit) die Gattung wie ein Unterscheidungsmerkmal aus-



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gesagt hat; dann läßt er ja zu, daß jemand auch derartige Behauptungen anbringt, wie z. B.: Von »Lösung« sei »Mischung« das Unterscheidungsmerkmal, oder von »Fortbewegtwerden« sei es »Ortswechsel«. Alles derartige ist nach den gleichen (Gesichtspunkten) zu prüfen; Denn die Gesichtspunkte laufen auf einen gemeinsamen Punkt zu: Die Gattung muß einerseits über einen weiteren Bereich ausgesagt werden als das Unterscheidungsmerkmal, und sie darf an dem Unterscheidungsmerkmal nicht teilhaben; wird es aber so (wie oben) angegeben, dann kann keine der genannten (Bedingungen) eintreten: dann wird nämlich, erstens, die Gattung über einen kleineren Bereich ausgesagt werden als das Unterscheidungsmerkmal, und – zweitens – wird sie an ihm teilhaben. [21] Und erneut: Wenn kein Unterscheidungsmerkmal derer, die zur Gattung gehören, von der angegebenen Art ausgesagt wird, dann wird auch die Gattung (von ihr) nicht ausgesagt werden, z. B.: Von »Seele« wird weder »ungerade« noch »gerade« ausgesagt, somit auch nicht »Zahl«. [22] Weiter, wenn die Art von Natur aus früher ist (als die Gattung) und die Gattung auch mit sich zugleich aufhebt, (kann das Angegebene nicht Gattung sein): Es ist ja offensichtlich das Gegenteil (zutreffend). [23] Weiter, wenn sie (die Art) die angegebene Gattung oder das Unterscheidungsmerkmal hinter sich lassen kann, z. B. »Seele« das »in Bewegung sein« oder »Meinung« das »wahr« und »falsch«, dann ist ja wohl keines der Angegebenen entweder Gattung oder Unterscheidungsmerkmal; es ist doch offensichtlich, daß Gattung und Unterscheidungsmerkmal (überall dahin) mitfolgen, wie weit die Art reicht. Kapitel 3. [24] Zu prüfen ist auch, ob etwas, das in eine Gattung gesetzt ist, teilhat an etwas, das der Gattung entgegengesetzt ist oder (an so etwas) teilhaben kann. Dann würde ja eines und dasselbe gleichzeitig an Gegensätzlichem teilhaben, wenn es doch einerseits die Gattung nie verlassen kann, andererseits aber teilhat an ihrem Gegenteil oder doch teilhaben kann.

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[25] Weiter, ob die (angegebene) Art Gemeinsamkeit mit etwas hat, was dem, was unter die Gattung fällt, überhaupt nicht zukommen kann, z. B.: Wenn »Seele« mit »Leben« gemeinsam geht, von den Zahlen aber keine leben kann, so ist ja wohl »Seele« keine Art von »Zahl«. [26] Zu prüfen ist auch, ob die Art mit der Gattung die gleiche Wortbezeichnung hat, wobei man sich der Grundlagen bedient, die zu »gleichnamig« vorgetragen sind. Gattung und Art zielen mit verschiedenen Bezeichnungen auf die gleiche Bedeutung. [27] Da zu jeder Gattung es mehrere Arten gibt, ist zu prüfen, ob zu der genannten Gattung möglicherweise eine weitere Art nicht gehören kann; gibt es nämlich keine weitere, so (ist) klar: Das Genannte ist überhaupt nicht Gattung. [28] Zu prüfen ist auch, ob (der Gegner) etwas, das nur in übertragener Bedeutung ausgesagt wird, als Gattung angegeben hat, z. B., (indem er) »Besonnenheit« (für einen) »Einklang« (erklärt hat); jede Gattung wird nämlich im eigentlichen Sinne von ihren Arten ausgesagt, »Einklang« aber von »Besonnenheit« nicht im eigentlichen Sinne, sondern nur übertragsweise: Jeder Einklang liegt doch im Bereich der Töne. [29] Weiter ist auch zu prüfen, ob es zur Art irgendein Gegenteil gibt. Die Untersuchung ist mehrschichtig: Erstens, ob auch das Gegenteil in derselben Gattung steht, wenn die Gattung kein Gegenteil hat; es muß nämlich das Gegenteilige in derselben Gattung sein, wenn es zur Gattung kein Gegenteil gibt. Gibt es dagegen zur Gattung ein Gegenteil, so ist zu prüfen, ob das (angegebene) Gegenteil unter der gegenteiligen Gattung steht, wenn es denn ein Gegenteil zur Gattung gibt. Davon wird ein jedes klar durch Heranführung. [30] Und erneut (ist zu prüfen), ob das Gegenteil zur Art überhaupt unter keiner Gattung steht, sondern selbst Gattung ist, z. B. »das Gute«; wenn nämlich dieses nicht unter eine Gattung fällt, so wird auch das Gegenteil dazu nicht unter eine Gattung fallen, sondern selbst Gattung sein, wie es bei dem Guten und dem Schlechten ja eintrifft: Keines der beiden steht unter einer Gattung, sondern jedes von beiden ist selbst Gattung.



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[31] Weiter (ist zu prüfen): Gibt es zu etwas sowohl eine gegenteilige Gattung wie auch Art, und gibt es bei den einen Bestimmungen etwas in der Mitte Stehendes, bei den anderen dagegen nicht. Wenn es nämlich bei den Gattungen etwas Vermittelndes gibt, dann auch bei den Arten, und wenn bei den Arten, dann auch bei den Gattungen, wie (das) bei »Gutsein« und »Schlechtsein« (als Gattungen) und »Gerechtigkeit« und »Ungerechtigkeit« (als Arten der Fall ist): In beiden Fällen gibt es ein Mittleres. [Einwand dazu: Zwischen Gesundheit und Krankheit gibt es keinen Mittelzustand, zwischen gut und schlecht aber doch.] Oder (es ist zu beachten), ob es zwischen beiden ein Mittleres zwar gibt, sowohl bei Arten wie auch bei Gattungen, aber nicht entsprechend, sondern im einen Falle über Verneinung, im anderen dagegen als vorliegend. Es liegt doch nahe, daß es in beiden Fällen entsprechend sein muß, wie es bei Gutsein – Schlechtsein und Gerechtigkeit – Ungerechtigkeit (ja so ist): In beiden Fällen (tritt) das Vermittelnde über Verneinung (ein). [32] Weiter, wenn es zur Gattung kein Gegenteil gibt, so ist nicht allein zu prüfen, ob das Gegenteil (zur angegebenen Art) unter die gleiche Gattung fällt, sondern (ob das) auch (für) das Vermittelnde (zutrifft); denn in welcher (Gattung) die Außenbegriffe (stehen, steht) auch das Vermittelnde, z. B. bei »weiß« und »schwarz«: »Farbe« ist nämlich die Gattung davon wie auch aller in der Mitte stehenden Farben. [Einwand: »Mangel« und »Überschuß« stehen in der gleichen Gattung – nämlich beide unter »schlecht« – dagegen »ausgewogen«, das doch in der Mitte zwischen diesen steht, fällt nicht unter »schlecht«, sondern unter »gut«.] [33] Zu prüfen ist aber auch, ob zwar die Gattung zu etwas entgegengesetzt ist, die Art aber zu nichts; (das kann nicht sein) denn wenn die Gattung zu etwas gegenteilig ist, so auch die Art, wie »Gutsein« zu »Schlechtsein« und »Gerechtigkeit« zu »Ungerechtigkeit«. Entsprechend auch, wenn man bei allem übrigen zusieht, dürfte derartiges ja wohl klar erscheinen. [Einwand: Gesundheit und Krankheit; »Gesundheit« ist zu »Krankheit« einfach entgegengesetzt, die und die bestimmte

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Krankheit, die doch eine Erscheinungsform von Krankheit ist, ist zu nichts entgegengesetzt, z. B. Fieber, Augenleiden und alle übrigen.] Wer aufheben will, muß auf so viele Weisen die Prüfung machen; liegt nämlich das Genannte nicht vor, so (ist) klar: Das Angegebene ist nicht Gattung. Wer dagegen errichten will, (kann dies) auf dreifache Weise: [34] Erstens (prüft er), ob das Gegenteil zur Art in der genannten Gattung (vorkommt), wenn es zur Gattung (selbst) kein Gegenteil gibt; findet sich nämlich das Gegenteil (der Art) in dieser Gattung, so klar: Auch die vorliegende (Art fällt unter sie). [35] Sodann (prüft er), ob das Vermittelnde in der besagten Gattung steht; in welcher nämlich die Mittelbegriffe stehen, dort auch die Außenbegriffe. [36] Und wieder, wenn es zur Gattung ein Gegenteil gibt, so ist zu prüfen, ob auch das Gegenteil (zur Art) in der gegenteiligen (Gattung) steht; ist das nämlich der Fall, so klar: Auch die vorliegende (Art) in der vorliegenden (Gattung). [37] Und wieder, bei den Wortabwandlungen und dem, was in einer Reihe steht, (ist zu prüfen,) ob sie entsprechend mitfolgen, sowohl wenn man aufheben wie wenn man errichten will; denn dies trifft entweder auf eines und alles zugleich zu, oder es trifft nicht zu, z. B.: Ist »Gerechtigkeit« eine Form von »Wissen«, so ist auch das »gerechtermaßen« ein »gewußtermaßen«, und der Gerechte ist ein Kundiger; trifft eines davon nicht zu, so auch von den übrigen keines. Kapitel 4. [38] Und wieder (ist das Augenmerk zu richten) auf die (Bestimmungen), die sich entsprechend zu einander verhalten, z. B.: »angenehm« verhält sich entsprechend zu »Lust« wie »nützlich« zu »gut«; je das eine ist nämlich Hervorbringer des je anderen. Wenn nun die Lust »was-überhauptgut-ist« bedeutet, so wird auch das Angenehme »das-wasüberhaupt-nützlich-ist« sein; klar doch, es wäre ein Bewirker von Gutem, wenn doch Lust ein Gut ist. [39] Entsprechend auch mit Vorgängen von Entstehung und Untergang, z. B., ist »Hausbauen« ein »Tätigsein«, so »Haus-



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gebauthaben« ein »Tätiggewesensein«, und ist »Lernen« ein»Sicherinnern«, so »Gelernthaben« ein »Sicherinnerthaben«, und ist »Aufgelöstwerden« ein »Zugrundegehen«, so »Aufgelöstsein« ein »Zugrundegegangensein«, und »Auflösung« ist eine Form von »Untergang«. Und mit dem, was Entstehung und Untergang bewirkt, entsprechend, und mit den Möglichkeiten von Können und Gebrauch (ebenso), und überhaupt, gemäß welcher Entsprechung auch immer, einerlei ob man aufheben oder errichten will, so muß man es prüfen, so wie wir es zu Entstehung und Untergang gesagt haben: Ist das Untergang-Bewirkende Auflösung bewirkend, so ist Untergehen ein Aufgelöstwerden; und ist das Entstehung-Bewirkende seinschaffend, so auch das Entstehen ein Geschaffenwerden und Entstehung eine Ersschaffung. Entsprechend auch mit Formen von Können und Gebrauch: Ist »Können« ein (So und so)-Verfaßtsein, so »können« ein (so und so)-verfaßtsein, und wenn »Gebrauch« (dieses Könnens) eine »Tätigkeit« ist, so ist das »gebrauchen« ein »tätigsein« und das »gebrauchthaben« ein »tätiggewesensein«. [40] Wenn dagegen das Gegenteil der Art ein Verlust ist, so geht das Aufheben doppelt: Erstens, wenn das Entgegengesetzte innerhalb der angegebenen Gattung steht; denn der Verlust steht entweder überhaupt in keinem Falle in derselben Gattung oder nicht in der letzten, z. B.: Steht »Sehvermögen« unter »Sinneswahrnehmung« als seiner letzten (unmittelbaren) Gattung, so wird »Blindheit« nicht Sinneswahrnehmung sein. Zweitens, wenn der Verlust sowohl der Gattung wie auch der Art entgegengesetzt ist, aber das Entgegengesetzte nicht unter der entgegengesetzten (Gattung), so wird ja auch wohl das Angegebene nicht unter der angegebenen (Gattung) stehen. Für jemanden, der aufheben will, ist nun also, wie vorgetragen, die Sache in die Hand zu nehmen. Will man errichten, (geht es) nur auf eine Weise: Findet sich das Entgegengesetzte unter dem Entgegengesetzten, so steht ja wohl auch das Angegebene unter dem Angegebenen, z. B.: Ist »Blindheit« eine Form von »Wahrnehmungsverlust«, so ist »Sehvermögen« eine Form von »Sinneswahrnehmung«.

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[41] Und wieder, bei Verneinungen muß man es umgekehrt ansehen, als es zu »nebenbei zutreffend« gesagt war, z. B.: Ist »angenehm« »was-gut-ist«, so ist »was nicht gut ist« »nicht angenehm«. Verhielte es sich nämlich nicht so, so wäre ja auch etwas, das »nicht gut« ist, »angenehm«, es kann aber unmöglich sein, wenn »gut« die Gattung von »angenehm« ist, daß etwas Nicht-Gutes angenehm ist: (Dinge), von denen nämlich die Gattung nicht ausgesagt wird, von denen (wird) auch keine der Arten (ausgesagt). Auch wer errichten will, muß es genauso ansehen: Ist das Nicht-Gute nicht angenehm, so das Angenehme gut; also: »gut« ist die Gattung von »angenehm«. [42] Wenn die Art ein »im Verhältnis zu ...« ist, so ist zu prüfen, ob auch die Gattung ein »im Verhältnis zu ...« ist; wenn nämlich die Art zu den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« gehört, dann auch die Gattung, wie bei »doppelt« und »vielfach« (zu sehen): Beides gehört zu den »im Verhältnis zu ...«. Gehört dagegen die Gattung zu den »im Verhältnis zu ...«, so nicht notwendig auch die Art: »Wissen« gehört zu den »im Verhältnis zu«-(Bestimmungen), »Schreibkunst« dagegen nicht. [Oder erscheint auch das zuvor Gesagte vielleicht etwa nicht wahr: Tugend ist doch »was-schön-und-gut-ist«, und Tugend gehört zwar zu den »im Verhältnis zu«-(Bestimmungen), dagegen »gut« und »schön« nicht zu den (Dingen) »im Verhältnis zu ...«, sondern (sind) so und so beschaffen.] [43] Und erneut (ist zu prüfen), ob etwa die Art, für sich genommen, nicht im Verhältnis zu dem gleichen ausgesagt wird, wie wenn man sie von ihrer Gattung her aussagt, z. B.: Wenn »doppelt« als »doppelt im Verhältnis zu einem halb so Großen« ausgesagt wird, so muß auch »vielfach« als »(Vielfaches) eines Halben« ausgesagt werden; andernfalls wäre »vielfach« nicht Gattung zu »doppelt«. [44] Weiter (ist zu beachten), ob etwa (die Art), über ihre Gattung vermittelt ausgesagt, nicht im Verhältnis zu dem gleichen ausgesagt wird, wie wenn (sie) vermittelt über alle Gattungen der Gattung (ausgesagt wird): Ist »doppelt« (auch) »Vielfaches von halb«, so wird es auch als »Halbes übertreffend« ausgesagt werden, und schlechterdings über alle noch



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höher liegenden Gattungen vermittelt, wird es »im Verhältnis zu halb« ausgesagt werden. [Einwand: Es ist nicht notwendig, daß etwas, für sich genommen, und auch über die Gattung vermittelt, im Verhältnis zu dem gleichen ausgesagt wird: »Wissen« wird ausgesagt im Verhältnis zu Gegenständen, von denen man etwas wissen kann, »Besitz« und »Verfassung« dagegen nicht im Verhältnis zu solchen Gegenständen, sondern von der Seele.] [45] Erneut (ist zu prüfen), ob Gattung und Art in den Wortabwandlungen gleichlaufend ausgesagt werden, z. B., ob es mit »wem?« (so ist) oder mit »wessen?« oder wie auch immer anders. Wie nämlich die Art, so (muß auch) die Gattung (gehen), wie bei »doppelt« und den höheren (Gattungen) auch: Doppelt ist (dies) im Verhältnis zu etwas und vielfach (entsprechend). Ebenso auch mit »Wissen«: Es selbst ist (Wissen) von etwas, und so seine Gattungen auch, z. B. »Verfassung« und »Besitz«. [Einwand: Gelegentlich geht es nicht so: »unterschieden« und »entgegengesetzt« ist »zu etwas«, »verschieden«, das doch deren Gattung ist, ist nicht »zu etwas«, sondern »von etwas«; man sagt doch: »verschieden wovon«.] [46] Und wieder (ist zu beachten), ob die (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...«, die in ihren Wortabwandlungen entsprechend ausgesagt werden, dies bei ihrer entsprechenden Umkehrung etwa nicht tun, wie im Falle von »doppelt« und »vielfach«: Beides wird ja sowohl für sich wie auch im Umkehrfalle mit »wovon« ausgesagt: »Wovon ist es doch die Hälfte?« und: » Wovon ist es der so und so vielte Teil?« Ebenso auch mit »Wissen« und »Auffassen«: Sie selbst sind (was sie sind) »von etwas«, und das läßt sich umkehren; entsprechend auch, was »jemandem« durch Wissen oder Auffassung zugänglich ist. Geht nun bei einigen (Bestimmungen) die Umkehrung nicht entsprechend, so (ist) klar: Das eine ist nicht Gattung des anderen. [47] Und wieder (ist zu fragen), ob etwa Art und Gattung nicht im Verhältnis zu gleichvielen (Bestimmungen) ausgesagt werden; jedes davon scheint doch in gleichen und gleichvielen Beziehungen ausgesagt zu werden, wie etwa bei »Schenkung«

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und »Gabe« der Fall: Schenkung wird als »von etwas« und »an jemanden« ausgesagt, auch Gabe ist »von etwas an jemanden«. »Gabe« ist dabei Gattung zu »Schenkung«; Schenkung ist nämlich »Gabe, die man nicht vergelten muß«. Bei einigen (Bestimmungen) dagegen tritt es nicht ein, daß sie im Verhältnis zu gleichviel ausgesagt werden: »Doppelt« ist das Doppelte »von etwas«, dagegen »übertreffend« und »größer« sind das (was sie sind) »als etwas« oder »durch etwas«: Alles, was (etwas) übertrifft oder größer ist (als es), übertrifft »um so und so viel«, und es übertrifft »etwas«. Also ist das Genannte nicht Gattung von »doppelt«, da es doch nicht im Verhältnis zu gleichem ausgesagt wird wie die (angenommene) Art. [Oder ist es vielleicht nicht durchgehend wahr, daß Art und Gattung im Verhältnis zum gleichen ausgesagt werden?] [48] Zu sehen ist auch darauf, ob Gattung von Gegenteiligem Gegenteiliges ist, z. B.: Wenn von »doppelt« »vielfach« (die Gattung ist), so von »halb« »so und so vielter Teil«. Es muß nämlich Gegenteiliges Gattung von Gegenteiligem sein. Würde nun jemand gesetzt haben: Wissen ist »was-Wahrnehmung-ist«, so wird auch »was gewußt werden kann« ein »was wahrgenommen werden kann« sein müssen. Das ist es aber nicht: Nicht alles, was gewußt werden kann, ist auch wahrnehmbar; auch von dem, was nur gedacht wird, ist einiges dem Wissen zugänglich. Also ist »wahrnehmbar« nicht Gattung zu »dem Wissen zugänglich«; wenn aber das nicht, so auch nicht »Wahrnehmung« (Gattung) von »Wissen«. [49] Da nun von den (Bestimmungen), die »im Verhältnis zu ...« ausgesagt werden, die einen mit Notwendigkeit an dem oder im Bereich dessen vorkommen, im Verhältnis zu dem es gerade ausgesagt wird – z. B. »Verfassung« und »Besitz« und »Ebenmaß«: Die Genannten können an nichts anderem vorliegen als nur an dem, im Verhältnis worauf sie ausgesagt werden –, anderes dagegen zwar nicht notwendig an dem vorkommen muß, im Verhältnis wozu es gerade ausgesagt wird, aber vorkommen kann – z. B. (die Frage), ob Seele etwas ist, das dem Wissen zugänglich ist: Es hindert ja nichts (die Annahme), daß die Seele ein Wissen von sich selbst habe, das ist



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aber nicht notwendig; es kann nämlich auch sein, daß eben dieses an einem anderen vorliegt –, (da drittens) wieder anderes überhaupt nicht an dem vorliegen kann, im Verhältnis zu dem es gerade ausgesagt wird – z. B. Gegenteiliges nicht an Gegenteiligem und Wissen nicht an dem, was gewußt werden kann, außer in dem Falle, daß Gegenstand des Wissens gerade Seele selbst oder Mensch wäre –: so muß nun also hingesehen werden, ob jemand etwas derartiges unter eine Gattung setzt, die nicht von der Art ist, z. B., hat er etwa gesagt: »Gedächtnis ist ein Bleiben von Wissen«. Jedes »Bleiben« nämlich liegt an dem Bleibenden und in seinem Bereich vor, somit denn also auch das »Bleiben von Wissen« am Wissen; folglich also liegt »Gedächtnis« an dem Wissen vor, da es doch »bleibendes Wissen« ist. Das ist aber nicht gegeben: Jede Form von Gedächtnis kommt vor an »Seele«. Der genannte Gesichtspunkt ist gemeinsam auch für nebenbei Zutreffendes; es macht nämlich keinen Unterschied, als Gattung von »Gedächtnis« das »Bleiben« zu behaupten oder zu sagen, dies treffe auf es nur nebenbei zu; ist nämlich, wie auch immer, Gedächtnis ein »Bleiben des Wissens«, so wird dieselbe Rede darauf passen. Kapitel 5. [50] Und aufs neue, wenn (der Gegner) das »wasman-hat« unter das »was-man tut« gesetzt hat oder (umgekehrt) solche Tätigkeit unter solches Haben, (so ist das falsch), z. B.: »Sinneswahrnehmung« als »Veränderung, (die) durch den Leib (abläuft)«; denn Sinneswahrnehmung ist ein Besitz, Bewegung dagegen ein Tun. Entsprechend auch, wenn er gesagt hat: »Erinnerung ist ein festhaltender Besitz von Aufgenommenem«; denn keine Erinnerung ist ein Haben, sondern eher eine Tätigkeit. [51] Einen Fehler machen auch die, welche solches Haben unter das dem mitfolgende Können setzen, z. B. »Sanftmut« als »Fähigkeit, den Zorn zu beherrschen«, und »Mannesmut« und »Gerechtigkeit« als (solche Fähigkeit), über Furcht und Gewinnsucht (zu siegen): »Tapfer« und »sanftmütig« wird doch der genannt, der solchen Anfechtungen nicht unterliegt, »beherrscht« dagegen der, der sie zwar erfährt, aber sich von

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ihnen nicht treiben läßt. Vielleicht folgt ja ein derartiges Können beiden (Tugenden), so daß (einer), wenn er (die entsprechenden Anfechtungen) erführe, sich nicht (von ihnen) treiben ließe, sondern sie beherrschte; indessen, das ist es nicht, was den einen tapfer und den anderen mutig macht, sondern es ist die Eigenschaft, von solchen (Anfechtungen) überhaupt nicht ergriffen zu werden. [5] Gelegentlich setzen (die Leute) auch, was nur irgendwie mitfolgt, als Gattung an, z. B. »Leid« als die von »Zornausbruch« und »Kenntnisnahme« als die von »Überzeugung«. Beide genannten folgen zwar auf irgendeine Weise den angegebenen Arten, doch keine ist deren Gattung: Wessen Zorn ausbricht, der empfindet schon Unlust, nur tritt diese Unlust in ihm vorher auf; denn nicht der Zorn ist Ursache von Leid, sondern (umgekehrt) Unlust die von Zorn, daher einfach so der Zorn nicht Leid ist. Nach den gleichen (Überlegungen) ist auch Überzeugung nicht (einfach so) ein Aufnehmen; es geht doch auch, daß man in Kenntnisnahme der gleichen Sachverhalte sich (einmal) davon nicht überzeugen läßt (ein andermal doch), das geht aber nicht, wenn »Überzeugung« eine Art wäre von »Kenntnisnahme«; denn es geht nicht an, daß (etwas) noch dasselbe bleibt, wenn es ganz aus der Art herausgefallen ist, so wie auch nicht ein und dasselbe Lebewesen mal Mensch sein kann, mal nicht. Wenn dagegen einer sagt, aus Notwendigkeit müsse einer, der etwas zur Kenntnis nimmt, sich auch davon überzeugen, so wird »Kenntnisnahme« und »Überzeugung« über einen gleichgroßen Bereich ausgesagt werden, so daß sie auch so deren Gattung nicht sein kann, denn die Gattung muß über einen größeren Bereich ausgesagt werden (als die Art). [53] Zu sehen ist auch, ob es beiden gegeben ist, an einem und dem gleichen vorzukommen: An welchem die Art (vorliegt), da auch die Gattung, z. B.: Wem »weiß« zukommt, dem auch »Farbe«, und wem »Schreibkunst«, dem auch »Wissen«. Wenn nun einer den Sinn für Anstand als »Furcht« anspricht oder den Zorn als »Leid«, so wird sich nicht ergeben, daß Art und Gattung an dem Selben auftreten: Sinn für Anstand tritt auf an dem vernünftigen (Seelenvermögen), Furcht dagegen



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an dem willensbestimmten; und Leid an dem begehrlichen – an diesem ja auch Lust –, Zorn dagegen an dem willensbestimmten; sodaß denn also das Behauptete keine Gattungen sind, da es ihnen vom Wesen her nicht gegeben ist, an dem gleichen wie die Arten aufzutreten. Entsprechend auch, wenn die Liebessehnsucht in dem begehrlichen (Seelenvermögen) liegt, so ist sie ja wohl keine Form von Willensentschluß: jedes Mit-sich-zu-Rate-Gehen liegt ja in dem Vernünftigen. Anwendbar ist der Gesichtspunkt auch für nebenbei Zutreffendes: dieses nur nebenbei Eintreffende kommt doch an demselben vor wie das, dem es nebenbei mitfolgt, also, wenn es nicht an demselben erscheint, so klar: Es ist kein nebenbei Zutreffendes. [54] Und wieder (ist darauf zu achten), ob die Art nur ineiner bestimmten Hinsicht an der genannten Gattung teilhat; es scheint doch nicht richtig, daß an der Gattung nur in der und der Hinsicht teilgenommen wird: »Mensch« ist doch nicht (nur) in der und der Hinsicht »Lebewesen« und »Schreibkunst« nicht »Wissen in der Hinsicht«; entsprechend auch mit dem übrigen. Zu prüfen ist nun also, ob in einigen Fällen an der Gattung nur über eine Hinsicht teilgenommen wird, z. B., wenn »Lebewesen« als »was-wahrnehmbar-ist« oder »wassichtbar ...« ausgesagt wäre; denn Lebewesen ist nur in einer bestimmten Hinsicht wahrnehmbar oder sichtbar, nämlich über seinen Körper ist es wahrnehmbar und sichtbar, über seine Seele nicht; sodaß denn also »sichtbar« und »wahrnehmbar« nicht Gattung von »Lebewesen« wären. [55] Gelegentlich merkt man es auch nicht, wenn (Leute) das Ganze unter den Teil setzen, z. B. »Lebewesen« unter »Belebter Körper«. Keinesfalls wird aber der Teil vom Ganzen ausgesagt, sodaß denn also »Körper« nicht Gattung wäre von »Lebewesen«, da er doch ein Teil davon ist. [56] Zu beachten ist auch, ob (der Gegner) etwas von dem, was man tadeln oder meiden soll, unter »können« und »möglich« gesetzt hat, z. B. den Sophisten 〈als einen, »der mit vorgetäuschter Weisheit Geld verdienen kann«), oder den Verleumder (als einen, »der üble Nachrede vermag und Freunde

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zu Feinden machen kann«〉, oder den Dieb als einen, »der heimlich fremdes Gut auf die Seite bringen kann«. Keiner der Genannten wird ja doch als solcher angesprochen, weil er zu dergleichen fähig ist – es vermag ja auch ein Gott oder ein anständiger Mann, Böses zu tun, nur sind sie eben nicht derart. Alle Nichtsnutzigen werden nach einer vorsätzlichen Wahlentscheidung so genannt. Sodann gehört jedes Können zum Wünschenswerten; auch die Fähigkeiten von Nichtsnutzen sind ja wünschenswert; daher sagen wir, daß auch der Gott und der anständige Mann sie habe: Fähig sind sie doch, sagen wir, Schlechtes zu tun. Also ist ja doch wohl das Können zu nichts die Gattung, was man tadeln muß. Andernfalls würde ja eintreten, daß von Tadelnswertem etwas auch wünschenswert wäre; denn es wird ja dann ein Können geben, das tadelnswert ist. [57] Und (man muß darauf achten), ob (der Gegner) etwas von dem, was um seiner selbst willen achtbar und wünschenswert ist, unter »können« oder »möglich« oder »verhilft zu etwas« gesetzt hat; (das ist dann falsch), denn jedes Vermögen, alles, was sein kann, oder alles, was zu etwas verhilft, ist wünschenswert eines anderen wegen. [58] Oder wenn er etwas von dem, was unter zwei oder mehr Gattungen steht, in je nur die eine oder andere davon gesetzt hat. Es gibt nämlich einiges, was sich nicht unter nur eine Gattung setzen läßt, z. B. »Betrüger« und »Verleumder«: Weder wer es sich zwar vorgenommen hat, aber nicht zustandebringt, noch wer es zwar könnte, aber die Entscheidung dagegen trifft, ist ein Verleumder oder Betrüger, sondern nur, wer dies beides hat. Also ist das Genannte nicht unter eine Gattung zu setzen, sondern unter beide. [59] Weiter geben (die Leute) gelegentlich in verkehrter Reihenfolge die Gattung als den (artbildenden) Unterschied an, den Unterschied als Gattung, z. B. »Bestürzung« als »Übermaß an Verwunderung« und »Überzeugung« als »Überwältigenden Eindruck«; (das ist falsch), denn weder »Übermaß« noch »Überwältigung« sind Gattung, sondern (nur) Unterscheidungsmerkmal. Es ist doch anscheinend Bestürzung



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ein »Übermäßiges Verwundertsein« und Überzeugung eine »entschiedene Annahme«, sodaß als »Verwunderung« und »Annahme« (hier) die Gattung sind, »Übermaß« und »Nachdrücklichkeit« (nur) Unterscheidungsmerkmal. Weiter, wenn einer Übermaß und Heftigkeit als Gattungen angeben will, so werden dann ja auch leblose Dinge überzeugt und bestürzt sein können; denn Heftigkeit und Übermaß eines jeden liegt doch bei jenem vor, dessen Heftigkeit und Übermaß es ist. Wenn nun Bestürzung ein Übermaß an Verwunderung ist, so wird bei »Verwunderung« »Bestürzung« vorkommen, mit der Folge, daß die Verwunderung bestürzt sein würde. Entsprechend auch wird »Überzeugung« an »Annahme« vorliegen, wenn sie doch eine »Nachdrücklichkeit der Annahme« ist, mit der Folge, daß die Annahme überzeugt sein wird. Sodann wird es einem, der es so angibt, geschehen, daß er »heftige Heftigkeit« und »Übermäßiges Übermaß« sagt; die Überzeugung ist ja »nachdrücklich« [und die Bestürzung übermäßig]; ist nun eine Überzeugung eine Nachdrücklichkeit, so wäre auch Nachdrücklichkeit nachdrücklich. Entsprechend ist auch Bestürzung »Übermäßig«; ist nun Bestürzung ein »Übermaß«, so wäre auch Übermaß übermäßig. Es ist aber offenkundig keins der beiden so, so wie ja auch das Wissen nicht »wissend« und die Bewegung nicht »bewegt«. [60] Gelegentlich fehlen (die Leute) auch, indem sie etwas, das von außen zustößt, in die Gattung setzen, der dies zustößt, z. B. Leute, die sagen: »Unsterblichkeit ist immerwährendes Leben«; es ist doch offenbar nur eine äußere Begleiterscheinung oder etwas, das ihm zufallen kann, was so Unsterblichkeit ist. Daß das Behauptete wahr ist, dürfte klarwerden, wenn einer einräumte, jemand könne aus einem Sterblichen unsterblich werden; niemand wird ja dann sagen, daß er ein (vom alten) verschiedenes neues Leben annehme, sondern daß eben diesem selben (Leben) ein bestimmtes Ereignis oder eine Einwirkung, die es ändert, zuteil wird. Also ist »Leben« nicht Gattung von »Unsterblichkeit«. [61] Und wieder (begeht man einen Fehler), wenn man sagt, von einer Einwirkung sei das, an dem diese Einwirkung vor-

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kommt, die Gattung, z. B.: »Wind ist bewegte Luft«; Wind ist eher »Bewegung von Luft«; die Luft ist es nämlich, die dieselbe bleibt, einerlei ob sie bewegt wird oder steht. Also, nicht überhaupt ist Wind Luft; sonst gäbe es ja auch Wind, wenn Luft nicht bewegt ist, wenn doch dieselbe Luft zur Ruhe kommen kann, die eben noch Wind war. Entsprechend auch mit allem übrigen derart. – Und wenn man denn schon in diesem Falle einräumen muß: Wind ist in Bewegung geratene Luft, so ist doch derartiges nicht bei allen (Fällen) hinzunehmen, bei denen die Gattung nicht wahrheitsgemäß ausgesagt wird, sondern nur in den Fällen, soweit die angegebene Gattung wahrheitsgemäß ausgesagt wird. Bei einigen Fällen wird das ja anscheinend nicht wahrheitsgemäß angegeben, z. B. bei »Schlamm« und »Schnee«; Schnee, so sagt man doch, ist »festgewordenes Wasser«, und Schlamm »mit Feuchtigkeit vermischte Erde«. Nun ist aber weder der Schnee Wasser noch der Schlamm Erde; somit wäre keines der Angegebenen Gattung; die Gattung muß doch wahrheitsgemäß von den Arten ausgesagt werden. Entsprechend auch »Wein« nicht »in Gärung übergegangenes Wasser«, so wie Empedokles spricht von »gegoren im Holze Wasser«. Er ist nämlich schlechterdings nicht Wasser. Kapitel 6. [62] Des weiteren (ist zu prüfen), ob das Angegebene etwa überhaupt von nichts Gattung ist. Klar dann ja: Von dem Behaupteten auch nicht. Zu überprüfen ist das daran, daß sich das, was an der angegebenen Gattung teilhat, in nichts der Art nach unterscheidet, z. B. »alles, was weiß ist« – das unterscheidet sich ja nicht der Art nach voneinander; von jeder Gattung dagegen gibt es unterschiedliche Arten. Somit wäre also »weiß« Gattung von nichts. [63] Und wieder (ist zu beachten), ob (der Gegner) etwas, das allen Bestimmungen folgt, für eine Gattung oder (artbildenden) Unterschied erklärt hat. Es gibt eine Mehrzahl (solcher Bestimmungen), die allem folgen, z. B., »seiend« und »eines« gehören zu dem, was allem folgt. Wenn er nun »seiend« als Gattung angegeben hat, so (ist) klar: Es wäre Gattung von



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allem, wenn es doch davon ausgesagt wird. Die Gattung wird ja doch über nichts als nur über (ihre) Arten ausgesagt; sodaß denn auch »eines« eine Art wäre von »seiend«; folglich tritt dann ein, daß über alles, wovon die Gattung ausgesagt wird, auch die Art ausgesagt wird, da doch »seiend« und »eines« schlechterdings über alles und jedes ausgesagt werden; wo es doch nötig wäre, daß die Art über einen kleineren Bereich ausgesagt wird. Hat er dagegen eine allem folgende Bestimmung als (artbildenden) Unterschied genannt, so (ist) klar: Entweder wird der Unterschied über einen gleichgroßen Bereich ausgesagt werden wie die Gattung oder sogar über einen noch größeren als sie; gehört nämlich auch die Gattung zu der Sorte, die allem folgt, so über einen gleichen; folgt die Gattung dagegen nicht allem, so wird ja wohl der Unterschied über einen größeren Bereich ausgesagt als sie. [64] Weiter (ist darauf zu achten), ob die angegebene Gattung an der Art als (an ihrem) Zugrundeliegenden (vorkommend) ausgesagt wird, wie z. B. »weiß« von »Schnee«; somit (wäre) klar: Sie kann nicht Gattung sein, die Gattung wird nämlich nur von der zugrunde gelegten Art ausgesagt. [65] Zu prüfen ist auch, ob nicht etwa die Gattung mit der Art gleichbedeutend ausgesagt wird; (das wäre dann falsch), denn die Gattung wird gleichbedeutend (nur) von der Gesamtheit ihrer Arten ausgesagt. [66] Sodann (ist zu sehen): Gibt es zur Art und zur Gattung ein Gegenteil, ob (der Gegner) dann das bessere der Gegenteile unter die geringerwertige Gattung gesetzt hat; dann wird sich nämlich ergeben, daß das restliche (Gegenteil) in der restlichen (Gattung) sich findet, wenn doch gegenteilige Bestimmungen in gegenteiligen Gattungen stehen; also wird dann das Bessere in dem Geringeren sich finden und das Geringere in dem Besseren. Es scheint aber doch, daß von Besserem auch die Gattung die wertvollere sein muß. [67] Und (zu beachten ist) auch: Wenn eine und dieselbe Art sich zu beiden (Formen von Gegenteil) gleich verhält, ob er sie dann unter die geringerwertige und nicht unter die wertvollere Gattung gesetzt hat, z. B.: »Seele« als »was-Bewegung-

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ist« oder »in Bewegung«; diese scheint doch gleichermaßen zur Ruhe wie zur Bewegung fähig zu sein; also, wenn »Ruhe« wertvoller ist, so hätte er (Seele) unter diese Gattung setzen müssen. [68] Sodann (geht es) aus dem Gesichtspunkt von mehr und weniger, wenn, einerseits, man einreißen will: (Da fragt man), ob die Gattung ein »mehr« an sich nimmt, die Art es aber nicht annimmt, weder sie selbst, noch was ihr gemäß ausgesagt wird, z. B.: Nimmt »gutsein« eine Steigerung an, so auch »Gerechtigkeit« und »gerecht«; es wird ja auch einer »gerechter« als ein anderer genannt. Wenn folglich die angegebene Gattung ein »mehr« an sich nimmt, die Art dagegen nimmt es nicht an sich, weder sie selbst noch das nach ihr Ausgesagte, so wäre ja wohl das Angegebene nicht Gattung. [69] Und wieder, wenn etwas, das eher oder gleichsehr Gattung (zu sein) scheint, es nicht ist, so klar: Auch das Angegebene nicht. Der Gesichtspunkt ist besonders gut anwendbar bei solchen (Sachlagen), wo von einer Art mehrere Aussagen im Bereich der »Was-ist-es«-(Frage) erscheinen und nicht bestimmt ist und wir nicht zu sagen wissen, welches davon nun Gattung ist, z. B.: Von »Zorn« scheint sowohl »Leid« wie auch »Annahme verächtlicher Behandlung« im »Was-ist-es«(Bereich) ausgesagt zu werden: Wer in Zorn gerät, empfindet ja Unlust und nimmt an, geringschätzig behandelt zu werden. – Die gleiche Betrachtung (ist) auch (angezeigt), wenn man bei einer Art (sie) mit einer anderen vergleicht: Wenn die, die eher oder doch gleichsehr unter der angegebenen Gattung zu stehen scheint, tatsächlich unter der Gattung nicht ist, so klar: Auch die angegebene Art wird ja wohl nicht unter der Gattung sein. Wer nun also aufheben will, für den ist es wie gesagt zu brauchen. Wer dagegen errichten will, (für den gilt) [70]: Wenn die angegebene Gattung sowohl wie die Arten das »mehr« an sich nimmt, so ist der Gesichtspunkt nicht brauchbar; denn nichts hindert (die Annahme), auch wenn beide es an sich nehmen, daß doch das eine nicht des anderen Gattung ist: »Schön« (z. B.) und »weiß« nehmen das »mehr« an sich, und keins davon ist



Viertes Buch ∙ Kapitel 6 99

des anderen Gattung. Dagegen die Vergleichung der Gattungen und der Arten untereinander ist verwendbar, z. B.: Wenn das und jenes gleichermaßen Gattung ist, (so gilt): Wenn das eine Gattung, so auch das andere. Entsprechend auch: Wenn das, was in schwächerem Maße (Gattung ist, dies tatsächlich ist), dann auch das, was (es) in stärkerem Maße (ist), z. B.: Ist von »Selbstbeherrschung« eher »Können« die Gattung als »Tugend«, ist aber Tugend (als) Gattung (erwiesen), so ist auch Können eine. Das gleiche wird auch passen, bezüglich der Art gesagt zu werden: Ist dies und jenes gleichsehr Art des Vorliegenden, (so gilt): Wenn das eine Art ist, dann auch das restliche; und wenn das, was es weniger zu sein scheint, (doch) Art ist, so auch das, was es in höherem Maße zu sein scheint. [71] Weiter ist für das Errichten zu prüfen: Ob (bei den Bestimmungen), von denen die Gattung angegeben wurde, dies auch im Bereich des »was es ist« ausgesagt wird, (dies für den Fall), wenn es nicht eine Art ist, die da angegeben wurde, sondern deren mehrere und unterschiedene; klar, daß es dann Gattung sein wird. Wenn dagegen die angegebene Art nur eine ist, so ist zu prüfen, ob auch von anderen Arten die Gattung im Bereich des »was ist es« ausgesagt wird; (ist das so), dann wird ja wieder eintreten, daß sie von einer Mehrzahl und unterschiedenen ausgesagt wird. [72] Angesichts dessen, daß einigen (Leuten) es so scheint, daß auch der (artbildende) Unterschied von den Arten im Bereich des »was es ist« ausgesagt wird, so ist die Gattung von dem Unterscheidungsmerkmal zu sondern, indem man sich der genannten Grundregeln bedient, erstens: Die Gattung wird über einen größeren Bereich ausgesagt als der Unterschied; zweitens: Zur Angabe des »was ist es« paßt es eher, die Gattung als den Unterschied zu nennen – wer »Lebewesen« genannt hat, macht »Mensch« in näherem Maße deutlich, als wer »Landgänger« (gesagt hat); drittens: Der Unterschied bezeichnet immer ein So-und-so-beschaffen-sein der Gattung, die Gattung dagegen (das gleiche) vom Unterschied nicht; wer nämlich gesagt hat: »Landgänger«, meint ein »so und so beschaffenes Lebewesen«, wer dagegen »Lebewesen« gesagt

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hat, sagt nicht: »So und so beschaffener Landgänger«. – Den Unterschied muß man also von der Gattung auf diese Weise sondern. [73] Da aber (folgendes richtig) scheint: Ist »gebildet«, insofern es eben das ist, »etwas wissend«, so ist auch »Bildung« eine Art von »Wissen«, und: Wenn etwas, das »auf Füßen geht«, durch dies Gehen auch »in Bewegung ist«, dann ist »Gehen« eine Art von »Bewegung«, so ist (die Frage): »In welcher Gattung willst du etwas einstellen?« auf besagte Weise zu prüfen, z. B.: Ist »Wissen« »das-was-Überzeugung-ist«, wenn doch einer, der etwas weiß, insofern er dies weiß, davon überzeugt ist: Klar dann, daß »Wissen« eine Art von »Überzeugung« wäre. Auf die gleiche Weise (ist) auch bei allem anderen derart (zu verfahren). [74] Weiter, da etwas, was einem anderen immer mitfolgt, was sich aber nicht in der Folge umkehren läßt, nur schwer davon zu sondern ist, nicht Gattung zu sein, wenn zwar dies auf das in jedem Falle folgt, (umgekehrt) aber nicht das auf dies in jedem Falle – z. B. auf »Windstille« »Ruhe« und auf »Zahl« »teilbar«, umgekehrt aber nicht: Was teilbar ist, ist nicht alles Zahl und auch nicht (jede Form von) Ruhe Windstille –, so darf man selbst wohl das immer Mitfolgende brauchen, als wäre es Gattung, wenn das andere nicht umgekehrt entspricht; dagegen, wenn ein anderer uns das vorsetzt, so muß man nicht in allen Fällen zustimmen. – Einwand dagegen: »Nicht seiend« folgt in jedem Falle dem »entstehend« – was da wird, ist ja noch nicht –, und es kehrt sich nicht um – nicht alles, was nicht ist, entsteht einmal –, gleichwohl ist »nicht seiend« nicht Gattung zu »entstehend«; es gibt nämlich überhaupt keine Arten von »nicht seiend«. – Die Gattung betreffend, ist also in der vorgetragenen Weise die Sache anzufassen.

FÜNFTES BUCH

Kapitel 1. Ob nun aber das je Behauptete eine eigentümliche Eigenschaft ist oder nicht eigentümlich, ist mittels folgender (Gesichtspunkte) zu prüfen. Die Eigentümlichkeit wird gegeben (a) als »an sich« (bestehend) und (b) »immer« (zutreffend), (c) »im Verhältnis zu einem anderen« und (d) »auf Zeit«, z. B.: An und für sich von »Mensch« (die Eigentümlichkeit) »Lebewesen, gesittet nach Naturanlage«; im Verhältnis zu einem anderen z. B. das von »Seele« zu »Leib«: Das eine ist »Anordnung gebend«, das andere »dienend«; (Beispiel für) immer: (Eigentümlichkeit) von »Gott« (ist) »Lebewesen, unsterblich«, (für) auf Zeit: (Eigentümlichkeit) »dieses bestimmten Menschen« (ist) »auf dem Sportplatz herumlaufen«. Was im Verhältnis zu einem anderen als eigentümlich angegeben wird, davon gibt es entweder zwei Aufgaben oder vier: Wenn man nämlich einerseits eine und dieselbe (Eigentümlichkeit) für den einen Gegenstand angibt, am anderen aber sie bestreitet, ergeben sich nur zwei Fragestellungen, wie z. B., Eigentümlichkeit von »Mensch« gegenüber »Pferd« ist: Er ist zweifüßig. Dann könnte nämlich einer den Versuch machen (durchzusetzen): »Mensch ist nicht zweifüßig« und: »Pferd ist zweifüßig«. In beiden Fällen würde die Eigentümlichkeit weggeschafft. Wenn man andererseits beides von beidem angibt oder an beidem leugnet, werden es vier Aufgabenfragen sein, wie z. B. in dem Falle der Eigentümlichkeit von »Mensch« gegenüber »Pferd«, daß er zweifüßig, es dagegen vierfüßig ist; dann kann man sich ja (an den Behauptugen) versuchen: »Mensch ist nicht zweifüßig naturgewachsen« oder: »ist vierfüßig«; und: »Pferd ist zweifüßig« und: »ist nicht vierfüßig«, daran kann man sich auch versuchen. Einerlei wie auch immer das nachgewiesen werden mag, so ist die gesetzte (Eigentümlichkeit) aufgehoben.

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Eigentümlichkeit an und für sich ist (die), welche (dem so Bezeichneten) im Verhältnis zu allem übrigen beigegeben wird und es gegenüber jedem (anderen) absondert, wie z. B. von »Mensch«: »Lebewesen, sterblich, fähig, sich Wissen anzueignen«. (Eigentümlichkeit) im Verhältnis zu einem anderen ist, was (das so Bezeichnete) nicht von jedem (anderen), sondern nur von einem bestimmten Festgesetzten sondert, wie z. B. (Eigentümlichkeit) von »Tugend« gegenüber »Wissen«: Es ist naturgegeben, daß sie in mehreren (Seelenvermögen), es dagegen nur in dem vernünftigen und in (solchen Wesen), die ein vernünftiges (Seelenteil) besitzen, auftritt. Immer (bestehende Eigentümlichkeit) ist, welche zu jeder Zeit wahr ausgesagt wird und nie (von dem so Bezeichneten) abläßt, wie z. B. von »Lebewesen« die »aus Seele und Leib gemeinsam bestehend«; dagegen (Eigentümlichkeit) auf Zeit ist, was zu irgend einem bestimmten Zeitpunkt wahr ausgesagt wird, aber nicht aus Notwendigkeit immer mitfolgt, wie z. B. von dem und dem bestimmten Menschen das »auf dem Markt herumlaufen«. Die Eigentümlichkeit im Verhältnis zu einem anderen anzugeben heißt: Den Unterschied aussagen, (der) entweder für alle (Bestimmungen) und immer (gilt), oder (doch) allermeist und in der Mehrzahl (der Fälle); z. B. in allen (Fällen) und immer: Eigentümlichkeit von »Mensch« im Verhältnis zu »Pferd« ist »zweifüßig«; bei »Mensch« liegt nämlich immer und bei jedem »zweifüßig« vor, kein Pferd dagegen ist jemals zweifüßig. Allermeist dagegen und in der Mehrzahl der Fälle z. B.: Eigentümlichkeit des vernunftfähigen (Seelenvermögens) im Verhältnis zum begehrlichen und leidenschaftlichen ist: Das eine gibt Anweisungen, die andere Seite führt dienend aus; denn weder hat ja zu jeder Zeit das vernunftgeleitete die auftraggebende Führung, sondern gelegentlich muß es sich auch befehlen lassen, noch läßt sich das begehrliche und das leidenschaftliche immer Anweisungen geben, sondern manchmal übernehmen auch sie die Führung, wenn nämlich die Seele des Menschen lasterhaft ist. Von den Eigentümlichkeiten sind am meisten für das Untersuchungsgespräch geeignet die an und für sich und immer



Fünftes Buch ∙ Kapitel 2 103

und die im Verhältnis zu anderem (gültigen). Von der Eigentümlichkeit im Verhältnis zu einem anderen aus gibt es mehrere Aufgabenstellungen, wie wir ja schon früher sagten: Entweder sind es ja zwei oder vier Aufgabenarten, die sich aus Notwendigkeit ergeben; folglich sind es auch eine Mehrzahl von Ausführungen, die sich dazu ergeben. Das an sich und das immer (gültige Eigentümliche) ist im Verhältnis zu vielen (Bestimmungen) zu erproben oder im Verhältnis zu mehreren Zeitpunkten zu beobachten; (dabei besonders) das (Eigentümliche) an sich ist zu beobachten im Verhältnis zu vielen – in unterscheidendem Verhältnis zu allem, was es gibt, muß diesem einen die Eigentümlichkeit zukommen, mit der Folge: Wenn es (damit) nicht gegenüber allem abgesondert wird, so wäre dies Eigentümliche nicht ansprechend angegeben –; das immer (gültige) in Hinsicht auf viele (verschiedene) Zeitpunkte: Wenn es nämlich jetzt einmal nicht zutrifft oder einmal nicht zugetroffen ist oder einmal nicht zutreffen wird, in keinem Falle ist es dann eigentümlich. Dagegen das auf Zeit (gültige Eigentümliche) schauen wir nur im Hinblick auf die Jetztzeit an; dazu gibt es dann also nicht viele Erklärungsreden. »Logisch« ist eben die Aufgabe, zu der es zahlreiche und angemessene Erklärungsreden geben kann. Die sogenannte »Eigentümlichkeit in Hinsicht auf anderes« ist also aus den Gesichtspunkten zu »nebenbei zutreffend« zu prüfen: Trifft es dem einen nebenbei zu, dem anderen aber nicht? Hinsichtlich der (Eigentümlichkeiten) »auf immer« und »an sich« ist die Betrachtung mittels folgender (Gesichtspunkte) anzustellen. Kapitel 2. Erstens, ob das Eigentümliche nicht sauber angegeben ist, oder ob es das ist. [1] Von diesem »nicht sauber oder doch« ist die eine Hinsicht: Ist die Eigentümlichkeit nicht mittels bekannterer (Vorstellungen als das, was sie bestimmen soll,) gesetzt oder mittels bekannterer? (Dabei) für den Fall, daß man einreißen will, (kommt es darauf an), ob (es) nicht durch bekanntere (erfolgt); will man dagegen errichten, (geht es darum), ob durch bekanntere. Für den Fall »nicht durch bekanntere« ist die eine Seite: [a] Ist die Eigentümlichkeit,

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die er angibt, schlechterdings unbekannter als das, für dessen Eigentümlichkeit er sie erklärt hat? Dann wird nämlich dieEigentümlichkeit nicht angemessen gesetzt sein; wir schaffen die Eigentümlichkeit ja um der Erkenntnis willen. Folglich ist sie mittels bekannterer (Begriffe) anzugeben; nur so wird es ja gehen, (das in Frage Stehende) angemessener zu begreifen. Wenn z. B. einer als Eigentümlichkeit von »Feuer« gesetzt hat: »Es ist der Seele äußerst ähnlich«, der hat damit etwas Unbekannteres als das Feuer benutzt, »Seele« – wir wissen doch mit mehr Genauigkeit, was Feuer ist, als was Seele –, also wäre ja wohl nicht sauber das »der Seele sehr ähnlich« als Eigentümlichkeit von Feuer angesetzt. – [b] Die andere Seite (liegt vor), wenn nicht bekannter ist, daß dies (Eigentümliche) dem (Ding) zukommt (als daß es ihm nicht zukommt). (Das Eigentümliche) muß nämlich nicht nur bekannter sein als das Ding, (das es bestimmen soll), sondern es muß auch bekannter sein, daß es diesem zukommt (als daß es einem anderen zukommt); wer ja nicht weiß, ob es diesem zukommt, wird auch nicht zur Kenntnis bringen können, ob es diesem allein zukommt, sodaß denn also, einerlei was davon nun zutrifft, die Eigentümlichkeit undeutlich bleibt. Z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »Feuer« setzt: »Worin als erstem (Grundstoff) Seele naturgegeben ist«, damit unbekanntere (Vorstellungen) benutzt hat als »Feuer«, (nämlich) ob darin Seele vorkommt und ob sie darin als ErstUnmittelbarem vorkommt, so wäre also diese Eigentümlichkeit von Feuer nicht gut angegeben, (die da besagt:) »Worin als erstem Seele naturgegeben ist«. Will man andererseits errichten, (muß man darauf achten), ob die Eigentümlichkeit mittels bekannterer (Bestimmungen) festgesetzt ist und ob es bekanntere nach jeder der beiden Weisen sind. (1) wird nämlich die Eigentümlichkeit »dem und dem gegenüber« sauber gesetzt sein, – von den errichtenden Gesichtspunkten, die auf Sauberkeit dabei aus sind, zeigen die einen nämlich (nur) »dem gegenüber«, (2) die anderen ohne Zusatz, daß (es) sauber (so angesetzt ist); z. B., da einer, der gesagt hat: »Eigentümlichkeit von ›Lebewesen‹ ist, Sinnes-



Fünftes Buch ∙ Kapitel 2 105

wahrnehmung zu haben«, auf beide Weisen die Eigentümlichkeit mittels bekannterer (Vorstellungen) und als Bekannteres angegeben hat, so wäre das »Wahrnehmung haben« als Eigentümlichkeit von »Lebewesen« dem und dem gegenüber sauber ausgesagt. [2] Zweitens, will man einreißen, (so ist darauf zu achten), ob etwa eines der Worte, die bei Angabe der Eigentümlichkeit benutzt worden sind, in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden, oder ob etwa die ganze Erklärungsrede mehr Bedeutungen hat. In dem Fall wird nämlich die Eigentümlichkeit nicht sauber angegeben sein, z. B.: Da »Sinneswahrnehmung« mehr Bedeutungen hat, einmal »Wahrnehmungsvermögen besitzen«, ein andermal »sein Wahrnehmungsvermögen betätigen«, so wäre als Eigentümlichkeit von »Lebewesen« die Angabe »naturveranlagt zur Sinneswahrnehmung« nicht sauber gesetzt. Deshalb soll man weder ein mehrdeutiges Wort noch eine (mehrdeutige) Erklärungsrede, die Eigentümlichkeit angeben soll, benutzen, weil ein in mehrfacher Bedeutung Ausgesagtes das Behauptete undeutlich macht, indem einer, der das Behauptete bearbeiten will, sich im Unklaren darüber ist, welche von den mehreren Bedeutungen des Gesagten denn nun gemeint ist; die Eigentümlichkeit wird doch eigentlich um eines Erkenntnisgewinns willen angegeben. – Weiter ist außerdem notwendig, daß denen, die die Eigentümlichkeit so angeben, irgend eine Widerlegung zuteil wird, wenn (nämlich) jemand seinen Schluß auf der abweichenden Bedeutung des mehrdeutig Ausgesagten aufbaut. Beim Errichten dagegen (ist es zu vermeiden), daß etwa irgend eins der Worte oder die ganze Erklärungsrede mehr Bedeutungen hätte. Diesem (Leitfaden) gemäß wird dann die Eigentümlichkeit sauber angesetzt sein, z. B.: Da weder »Körper« viele Bedeutungen hat noch »leichtestbeweglich nach oben«, noch auch das daraus zusammengesetzte Sinnganze, so wäre also in der Hinsicht als Eigentümlichkeit von »Feuer« sauber gesetzt: »Körper, der sich am leichtesten nach oben bewegt«. Sodann [3], will man einreißen, (ist darauf zu achten), ob das in mehrfacher Bedeutung ausgesagt wird, dessen Eigen-

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tümlichkeit er angibt, wobei aber nicht bestimmt ist, von welcher Bedeutung davon er es als Eigentümlichkeit setzt; in dem Fall wird nämlich die Eigentümlichkeit nicht sauber angegeben sein. Aus welchen Ursachen, (das herzuleiten) ist nicht unklar aufgrund des früher Gesagten: es muß nämlich dasselbe sich ergeben, z. B.: Da »dieses wissen« viele Bedeutungen hat – (a) daß es ein Wissen hat, (b) daß es dieses Wissen (gerade) benutzt, (c) daß (jemand) ein Wissen davon hat, (d) daß (dieser) das Wissen davon (gerade) benutzt –, so wäre also von »dieses wissen« eine Eigentümlichkeit nicht sauber angegeben, solange nicht bestimmt ist, zu welcher der Bedeutungen davon er sie als Eigentümlichkeit denn setzt. Will man dagegen errichten, (so ist darauf zu achten), daß das, dessen Eigentümlichkeit man setzt, eben nicht in mehrfacher Bedeutung ausgesagt wird, sondern eines und einfach ist; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da »Mensch« nur in einer einheitlichen Bedeutung ausgesagt wird, so wäre in dieser Beziehung als Eigentümlichkeit von »Mensch« sauber angesetzt: »Lebewesen, freundlich nach Naturanlage«. Sodann [4], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob etwa bei der Angabe der Eigentümlichkeit eines und dasselbe mehrfach gesagt wird. Oft merkt man ja gar nicht, wenn Leute das tun auch bei Angabe von Eigentümlichkeiten, so wie ja auch bei den Begriffsbestimmungen. Eine Eigentümlichkeit, der es so ergeht, wird aber nicht sauber gesetzt sein; es verwirrt nämlich den Hörer ein derart mehrfach Gesagtes. Folglich ist notwendig, daß es undeutlich wird, und darüber hinaus erwecken die Leute den Eindruck, sie schwätzten nur Unfug. Das Dasselbe-mehrfach-Sagen läuft auf zwei Weisen auf dasselbe hinaus: Erstens, wenn man mehrmals das gleiche mit (gleichen) Namen nennt, z. B. wenn einer als Eigentümlichkeit von »Feuer« angäbe: »feinster Körper unter den Körpern« – der hat nämlich »Körper« mehrmals ausgesagt. Zweitens, wenn einer anstelle der Namen zu den Erklärungsreden dafür greift, wie z. B. wenn einer als Eigentümlichkeit von »Erde« angeben wollte: »Gegenstand, der sich naturgemäß unter al-



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len Körpern am stärksten nach unten bewegt«, und der dann anstelle von »Körpern« zu dem Ausdruck griffe: »derartigen Gegenständen«; denn »Körper« und »derartiger Gegenstand« sind hier ja doch eines und dasselbe; der hat dann also »Gegenstand« mehrmals ausgesagt. Also: Keine dieser beiden Angaben von Eigentümlichkeit wäre sauber gesetzt. Will man dagegen errichten, (so ist zu beachten), daß man nicht ein und dasselbige Wort mehrfach verwendet; in dieser Hinsicht wird dann die Eigentümlichkeit sauber angegeben sein, z. B., da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Mensch« ist »Lebewesen, des Wissens fähig«, nicht das gleiche Wort mehrmals benutzt hat, so wäre demgemäß diese Eigentümlichkeit von »Mensch« sauber angegeben. Sodann [5], ist man beim Einreißen, (so ist darauf zu achten), ob (der Gegner) innerhalb seiner Angabe zu »eigentümlich« etwa eine derartige Bestimmung angegeben hat, die allem zukommt; unbrauchbar ist doch (eine Bestimmung), die (das zu Bestimmende) nicht von irgend etwas absondert; im Gegenteil, was unter »eigentümlich« gesagt wird, muß absondern, wie (das) eben auch für das unter »Begriffsbestimmung« (Gesagte gilt). So wird also die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt sein, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Wissen« ist »Annahme, die von Vernunftgründen nicht mehr umzustoßen ist und eine ist«, eine derartige Bestimmung innerhalb dieser Eigentümlichkeitsangabe benutzt hat, nämlich »eines«, die an allem vorkommt, so wäre diese Eigentümlichkeit von »Wissen« nicht sauber gesetzt. Wer dagegen errichten will, (soll darauf achten), daß er keine solche Gemein-Bestimmung verwendet, sondern eine, die (etwas) von etwas absondert; dann wird nämlich demgemäß die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist »Seele zuhaben«, keine solche Allgemein-Vorstellung benutzt hat, so wäre also in diesem Belange die Eigentümlichkeit von »Lebewesen« mit »Seele haben« sauber gesetzt. Sodann [6], beim Einreißen (ist gegebenenfalls herauszubringen), ob (der andere) etwa mehrere Eigentümlichkeiten

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des gleichen (Gegenstands) angibt, ohne deutlich zu machen, daß er mehrere setzt; dann wird die Eigentümlichkeit nämlich nicht sauber gesetzt sein. Wie nämlich auch bei den Begriffsbestimmungen nicht neben der das Wesen (des zu Bestimmenden) anzeigenden Erklärungsrede noch etwas mehr hinzugesetzt sein darf, genauso darf auch bei der Angabe von Eigentümlichkeiten neben der die Eigentümlichkeit ausmachenden Erklärungsrede das Vorgetragene keine zusätzlichen Angaben machen; derlei wird nämlich unbrauchbar, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Feuer« ist »feinster und leichtester Körper«, mehrere Eigentümlichkeiten angegeben hat – beides ist nämlich allein vom Feuer wahr auszusagen –, so wäre also als Eigentümlichkeit von Feuer das »feinster und leichtester Körper« nicht sauber gesetzt. Beim Errichten dagegen (ist zu beachten), daß man nicht etwa mehrere Eigentümlichkeiten des gleichen (Gegenstandes) angegeben hat, sondern nur eine; dann wird nämlich in diesem Betracht die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »flüssig« ist »Körper, der jede äußerliche Form annimmt«, eine Eigentümlichkeit angegeben hat – und nicht mehr –, so wäre demgemäß die Eigentümlichkeit von »flüssig« sauber gesetzt. Kapitel 3. Sodann [7], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob er das, dessen Eigentümlichkeit er angibt, selbst mitverwendet hat, oder eines seiner (Bestimmungsstücke); denn dann wird das Eigentümliche nicht sauber gesetzt sein. Die Eigentümlichkeit wird doch angegeben, um etwas zusätzlich zu erfahren; (der Gegenstand) selbst bleibt genauso unbekannt, wenn man ihn selbst nur wieder benutzt, ein beliebiges seiner (Bestandsstücke) ist ihm (sogar) nachgeordnet: so ist es durchaus nicht bekannter (als er selbst). Also geschieht es dadurch nicht, daß man etwas zusätzlich erfährt, z. B.: Da einer, der behauptet hat: Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist »Seinsform, deren eine Anschauungsform ›Mensch‹ ist«, eines der (Bestandsstücke) davon zusätzlich verwandt hat, so wäre die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt.



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Beim Errichten dagegen (ist darauf zu achten), daß man weder (den Gegenstand) selbst noch irgend eines seiner (Bestandsstücke) benutzt hat; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber angesetzt sein, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »Lebewesen« angesetzt hat: »aus Seele und Leib zusammen bestehend«, weder es selbst noch eins seiner Stücke zusätzlich gebraucht hat, so wäre nach dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit von »Lebewesen« sauber angegeben. Auf die gleiche Art ist auch bei allen übrigen (Bestimmungen) die Untersuchung zu führen, die da (den Gegenstand) bekannter machen oder nicht, und zwar im Falle des Einreißens (mit der Frage): Benutzt er zusätzlich etwas, das (dem in Frage stehenden Gegenstand) entweder entgegengesetzt ist, oder seiner naturgegebenen Beschaffenheit nach ihm durchaus gleichrangig, oder was erst danach kommt? Denn dann wird die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt sein. Was nämlich entgegengesetzt ist, ist dem Wesen nach gleichrangig; das dem Wesen nach Gleichrangige und das, was danach erst kommt, macht (den Gegenstand) aber nicht bekannter, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »gut« ist »was dem ›schlecht‹ am stärksten entgegengesetzt ist«, (damit) das Gegenteil von »gut« mitbenutzt hat, so wäre die Eigentümlichkeit von »gut« nicht sauber angegeben. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), daß man nichts derartiges mitbenutzt, weder das Gegenteilige, noch was dem Wesen nach völlig gleichrangig ist, noch was erst später kommt; in der Hinsicht wird dann die Eigentümlichkeit sauber angegeben sein, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Wissen« ist »vertrauenswürdigste Annahme«, nichts derartiges mitverwendet, weder den Gegensatz, noch was dem Wesen nach gleichrangig ist, noch was danach kommt, so wäre nach dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit von »Wissen« sauber gesetzt. Sodann [8], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob er nicht etwas, das (dem Gegenstand) immer folgt, als eigentümlich angegeben hat, sondern ein solches, das gelegentlich

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einmal sich auch als nicht eigentümlich herausstellen kann; dann wird nämlich die Eigentümlichkeit nicht sauber ausgesagt sein. Denn (dann ergibt sich): Weder wird bei dem Gegenstand, woran wir es als zutreffend ergreifen, dem gemäß auch die Bezeichnung aus Notwendigkeit (immer) richtig sein, noch (von dem Gegenstand), an dem es als nicht zutreffend angetroffen wird, dem gemäß die Bezeichnung aus Notwendigkeit nie ausgesagt werden, sodaß also die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt wäre. Zudem wird weiter auch zu dem Zeitpunkt, wo er die Eigentümlichkeit (als vorliegend) angegeben hat, nicht offenkundig sein, ob sie (tatsächlich) vorliegt, wenn sie doch von der Art ist, es auch einmal bleiben lassen zu können. So wird die Eigentümlichkeit durchaus nicht durchsichtig sein, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist »einmal in Bewegung zu sein, (ein andermal) auch zu ruhen«, die Eigentümlichkeit als derartig angegeben hat, daß es sich gelegentlich auch einmal als nicht eigentümlich herausstellen kann, so wäre die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt. Beim Errichten dagegen (geht es darum), ob man eine Eigentümlichkeit angegeben hat, die immer besteht; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Tugend« ist »was den, der sie besitzt, trefflich macht«, eine immer mitfolgende Eigentümlichkeit angegeben hat, so wäre in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit von »Tugend« sauber angegeben. Sodann [9], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob er bei Angabe von etwas, das nur gerade jetzt eigentümlich ist, nicht die zusätzliche Bestimmung geliefert hat, daß er ein nur gerade jetzt Eigentümliches angibt; so wird nämlich die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt sein. Erstens nämlich, was der Gewohnheit zuwider erfolgt, verlangt alles nach einer Zusatzerklärung; nun sind es aber alle allermeist gewohnt, etwas, das immer mitfolgt, als eigentümlich anzugeben. Zweitens bleibt der undeutlich, der nicht ausdrücklich festlegt, ob er etwas nur gerade jetzt Eigentümliches gesetzt haben will;



Fünftes Buch ∙ Kapitel 3 111

man soll aber durchaus nicht Anlaß zum Tadel geben, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit dieses bestimmten Menschen da ist das »Mit-jemandem-beisammen-Sitzen«, nur die Eigentümlichkeit für gerade jetzt aufstellt, so wäre die Eigentümlichkeit nicht sauber angegeben, wenn er das bei seiner Aussage nicht so festgelegt hat. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), wenn man ein nur gerade jetzt Eigentümliches angibt, daß man es mit der ausdrücklichen Bestimmung setzt, daß man eine nur gerade jetzt gültige Eigentümlichkeit setzt; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit dieses bestimmten Menschen ist »gerade jetzt Herumgehen«, dies deutlich unterschieden mitgesetzt hat, so wäre das Eigentümliche sauber gesetzt. Sodann [10], beim Einreißen (ist zu beachten), ob er die Eigentümlichkeit als ein solches angegeben hat, was als vorliegend nicht anders offenkundig wird als nur durch Sinneswahrnehmung; dann wird nämlich die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt sein. Alles Wahrnehmbare wird, sobald es aus der Wahrnehmung fortkommt, ungewiß: unklar ist, ob es noch vorliegt (oder nicht mehr), weil es eben allein durch Wahrnehmung zur Kenntnis gelangt. Das wird zutreffen bei den Bestimmungen, die nicht aus Notwendigkeit immer mitfolgen, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Sonne« ist »hellstes über die Erde ziehendes Gestirn«, etwas derartiges bei der (Angabe der) Eigentümlichkeit benutzt hat, nämlich »über die Erde ziehen«, was mittels Wahrnehmung zur Kenntnis gelangt, so wäre die von »Sonne« angegebene Eigentümlichkeit nicht sauber (gesetzt); es wird dann ja ungewiß sein, wenn die Sonne untergegangen ist, ob sie »über die Erde zieht«, weil doch zu der Zeit die Wahrnehmung uns im Stich läßt. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), ob man die Eigentümlichkeit als derartig angegeben hat, was nicht durch Wahrnehmung klar ist, oder, was zwar wahrnehmbar ist, doch als aus Notwendigkeit vorliegend klar ist; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da

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einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Fläche« ist »was unmittelbar gefärbt ist«, zwar etwas Wahrnehmbares mitbenutzt hat – »gefärbt sein« –, ein solches aber, was offenkundig immer vorliegt, so wäre in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit von »Fläche« sauber wiedergegeben. Sodann [11], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob er die Begriffsbestimmung (selbst) für die Eigentümlichkeit angegeben hat; dann wird nämlich die Eigentümlichkeit nicht sauber gesetzt sein; sie darf doch das »was-es-sein-sollte« nicht bezeichnen. Z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Mensch« ist »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig«, den Begriff, der das »was-es-sein-sollte« bezeichnet, angegeben hat als Eigentümlichkeit von »Mensch«, so wäre diese Eigentümlichkeit von »Mensch« nicht sauber angegeben. Beim Errichten dagegen (geht es darum), ob man zwar die Eigentümlichkeit als (mit ihrer Bestimmung) wechselseitig Ausgesagtes angegeben hat, das aber nicht das »was-es-seinsollte« bezeichnet; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber angegeben sein, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »Mensch« gesetzt hat: »Lebewesen, friedlich von Natur aus«, zwar eine wechselweise aussagbare Eigentümlichkeit angegeben hat, die doch nicht das »was-es-seinsollte« bezeichnet, so wäre dem gemäß die Eigentümlichkeit von »Mensch« sauber angegeben. Sodann [12], beim Einreißen (ist zu beachten), ob er die Eigentümlichkeit angegeben hat, ohne (den Bestimmungsgegenstand) in sein »was-es-ist« gesetzt zu haben. Es muß doch bei den Eigentümlichkeiten, wie bei den Begriffsbestimmungen auch, zunächst einmal die Gattung angegeben sein, danach ist dann so erst das übrige anzuknüpfen und abzusondern. Also: Eine nicht auf diese Art gesetzte Eigentümlichkeit wäre nicht sauber angegeben, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist »Seele haben«, dies »Lebewesen« nicht unter sein »was-es-ist« gesetzt hat, so wäre die Eigentümlichkeit von »Lebewesen« nicht sauber gesetzt. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), ob einer den Bestimmungsgegenstand, dessen Eigentümlichkeit er angibt,



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erst unter sein »was-es-ist« setzt und dann das Restliche anknüpft; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber angegeben sein, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »Mensch« gesetzt hat »Lebewesen, des Wissens fähig«, die Eigentümlichkeit angegeben hat mithilfe der Setzung unter das »was-es-ist«, so wäre in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit von »Mensch« sauber gesetzt. – Kapitel 4. Ob nun also die Eigentümlichkeit sauber oder nicht angegeben ist, ist mittels dieser (Gesichtspunkte) zu prüfen. Ob dagegen das (jeweils) Angegebene eigentümlich ist oder nicht eigentümlich, ist aus folgenden (Gesichtspunkten) zu ersehen. (Wir kennen sie schon,) denn die Gesichtspunkte, die einfachhin die Eigentümlichkeit unter Hinblick auf ihre saubere Setzung nachweisen, werden ja wohl dieselben sein wie die, die Eigentümlichkeit überhaupt erst herstellen; sie sind also unter ihnen schon aufgeführt. [1] Erstens nun also ist beim Einreißen hinzusehen auf einen jeden (Gegenstand), dessen Eigentümlichkeit (der Gegner) angegeben hat, etwa (mit der Fragestellung), ob sie gar keinem davon zukommt, oder sie in dem Hinblick nicht richtig ausgesagt ist, oder ob sie in der Hinsicht, nach der er die Eigentümlichkeit hat, nicht die eines jeden (Beispielfalls des Bestimmungsgegenstandes) ist; denn dann wird das als eigentümlich Gesetzte es eben nicht sein, z. B.: Da von einem Flächenmesser nicht wahrheitsgemäß ausgesagt wird »er ist untäuschbar von vernünftiger Erwägung« – der Flächenmesser täuscht sich ja nachweislich, wenn nämlich falsche Figuren gezeichnet werden –, so wäre die Eigentümlichkeit von »wissend« nicht »durch Vernunfterwägung nicht getäuscht werden«. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), ob es (– das Eigentümliche –) in jedem Falle wahrheitsgemäß ausgesagt wird und auch in dieser Hinsicht wahrheitsgemäß; denn dann wird eigentümlich sein auch, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da »Lebewesen, des Wissens fähig« von jedem Menschen wahrheitsgemäß ausgesagt wird, und auch insofern er eben Mensch ist, so wäre eben dies

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»Lebewesen, des Wissens fähig« die Eigentümlichkeit von »Mensch«. [Dieser Gesichtspunkt ist für einen da, der niederreißen will; (es geht dabei darum), ob (bei dem Gegenstand), von dem die Bezeichnung richtig ist, nicht auch die Begriffserklärung wahrheitsgemäß ist, und (umgekehrt), wovon die Begriffserklärung wahrheitsgemäß, die Bezeichnung nicht ebenso. Für einen, der errichten will, (geht es darum), ob, wovon die Bezeichnung (richtig ist), es auch die Begriffserklärung ist, und, wovon die Begriffserklärung, davon auch die Namensbezeichnung (richtig) ausgesagt wird.] Sodann [2], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob (bei dem Gegenstand), von dem die Bezeichnung (richtig) ausgesagt wird, die Begriffserklärung nicht (richtig ausgesagt ist), und (umgekehrt), ob, wovon die Begriffserklärung (richtig ausgesagt wird), die Namensbezeichnung nicht; denn in dem Falle wird das, was als eigentümlich gesetzt ist, es nicht sein, z. B.: Da »Lebewesen, des Wissens teilhaftig« von »Gott« zutreffend ausgesagt ist, dagegen »Mensch« nicht (von ihm) ausgesagt wird, so wäre »Lebewesen, des Wissens teilhaftig« nicht Eigentümlichkeit von »Mensch«. Beim Errichten dagegen (ist darauf zu achten), ob, wovon die Begriffserklärung, davon auch die Namensbezeichnung ausgesagt wird, und (umgekehrt), wovon der Name, davon auch die Erklärung; dann wird nämlich eigentümlich sein auch, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da, wovon »Seele haben« richtig ausgesagt ist, auch »Lebewesen« (gilt), und wovon »Lebewesen«, davon auch »Seele haben«, so wäre »Seele haben« eine Eigentümlichkeit von »Lebewesen«. Sodann [3], beim Einreißen (ist aufzupassen), ob er nicht (in falscher Umkehr der Sache) das Zugrundeliegende als Eigentümlichkeit dessen angegeben hat, was doch an dem Zugrundeliegenden (selbst) ausgesagt wird; dann wird nämlich die als solche gesetzte Eigentümlichkeit keine sein, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »feinstteiligem Körper« angegeben hat »Feuer«, das Zugrundeliegende als Eigentüm-



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lichkeit des von diesem Ausgesagten angegeben hat, so wäre »Feuer« nicht die Eigentümlichkeit von »feinstteiliger Körper«. Aus dem Grunde aber kann das Zugrundeliegende nicht Eigentümlichkeit dessen sein, was an dem Zugrundeliegenden (ausgesagt wird), weil dann eines und dasselbe zur Eigentümlichkeit mehrerer und der Art nach voneinander verschiedener (Gegenstände) wird. Denn demselben kommen mehrere, der Art nach verschiedene (Bestimmungen) zu, die von ihm allein ausgesagt werden, deren aller Eigentümlichkeit das Zugrundeliegende dann sein wird, wenn einer die Eigentümlichkeit so ansetzen wollte. Beim Errichten dagegen (ist zu beachten), daß man ein vom Zugrundeliegenden (Ausgesagtes) als Eigentümlichkeit des Zugrundeliegenden angegeben hat; dann wird nämlich Eigentümlichkeit sein, was (vom Gegner) als keine angesetzt war, wenn (zusätzlich die Bedingung erfüllt ist, daß) die Eigentümlichkeit von dem, wovon sie ausgesagt ist, allein ausgesagt wird, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Erde« ist »schwerster Körper seiner Art«, von dem Zugrundeliegenden eine Eigentümlichkeit angegeben hat, die nur von diesem Ding ausgesagt wird, und da es als (diese seine) Eigentümlichkeit ausgesagt wird, so wäre wohl die Eigentümlichkeit von »Erde« richtig gesetzt. Sodann [4], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob er die Eigentümlichkeit über Teilhabe angegeben hat; denn dann wird das als eigentümlich Gesetzte es nicht sein. Was nämlich über Teilhabe (an etwas) vorliegt, fällt mit unter das »was-essein-sollte«; derartiges wäre dann ein bestimmtes Unterscheidungsmerkmal, das von einer einzigen bestimmten Art ausgesagt würde, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Mensch« ist »zu Lande lebend, zweifüßig«, die Eigentümlichkeit über Teilhabe (vermittelt) angegeben hat, so wäre »zu Lande lebend, zweifüßig« nicht die Eigentümlichkeit von »Mensch«. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), daß man die Eigentümlichkeit nicht über Teilhabe angegeben hat, also eben nicht so, daß sie das »was-es-sein-sollte« bezeichnet und

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das Ding wechselseitig von ihr ausgesagt werden könnte; dann wird (tatsächlich) Eigentümlichkeit sein, wovon (vom Gegner) gesetzt war, daß es das nicht ist, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist »von Natur aus zur Sinneswahrnehmung angelegt«, die Eigentümlichkeit weder über Teilhabe angegeben hat noch als etwas, das das »was-es-seinsollte« bezeichnet, mit dem das Ding wechselweise ausgesagt würde, so wäre »Von Natur zur Wahrnehmung angelegt« Eigentümlichkeit von »Lebewesen«. Sodann [5], beim Einreißen (ist zu beachten), ob es sein kann, daß die Eigentümlichkeit (auch einmal) nicht gleichzeitig mit dem bezeichneten Ding sein kann, sondern entweder früher oder später (als es); denn dann wird das als eigentümlich Gesetzte es nicht sein, entweder nie oder doch nicht immer. Da es z. B. sein kann, daß jemandem die Bestimmung »Mensch« sowohl früher wie auch später zukommt als »über den Markt gehen«, so wäre »über den Markt gehen« ja wohl nicht Eigentümlichkeit von »Mensch«, entweder ist es das nie oder doch nicht immer. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), daß (die gesetzte Eigentümlichkeit) zwar immer aus Notwendigkeit gleichzeitig (mit dem Bezeichneten) vorliegt, dabei doch nicht die Begriffsbestimmung ist, auch nicht Unterscheidungsmerkmal; dann wird (tatsächlich) eigentümlich sein, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da »Lebewesen, des Wissens fähig« aus Notwendigkeit immer gleichzeitig vorliegt wie »Mensch« auch, wobei das kein Unterscheidungsmerkmal ist und auch nicht die Begriffsbestimmung, so wäre »Lebewesen, des Wissens fähig« Eigentümlichkeit von »Mensch«. Sodann [6], beim Einreißen (ist darauf die Aufmerksamkeit zu richten), ob von den gleichen (Gegenständen), insofern sie eben dieselben sind, etwa nicht die gleiche Eigentümlichkeit gilt; dann wird nämlich, was als eigentümlich gesetzt war, es nicht sein, z. B.: Da »einigen (Leuten) als gut erscheinen« nicht die Eigentümlichkeit von »erstrebenswert« ist, so wird dies »einigen als gut erscheinen« auch nicht die Eigentümlich-



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keit von »wünschenswert« sein; denn das ist ja dasselbe, »erstrebenswert« und »wünschenswert«. Beim Errichten dagegen (gilt es zu beachten): Gilt von demselben, insofern es dasselbe ist, auch die gleiche Eigentümlichkeit? Denn dann wird eigentümlich sein auch, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da von »Mensch«, insofern er dies – Mensch – ist, als eigentümlich ausgesagt wird »eine aus drei Vermögen bestehende Seele haben«, so wäre auch von »Sterblicher«, insofern er eben sterblich ist, dies »eine Seele aus drei Vermögen haben« die Eigentümlichkeit. – Anwendbar ist dieser Gesichtspunkt auch bei nebenbei Zutreffendem: Den selbigen (Bestimmungen), insofern sie eben dieselben sind, muß immer das gleiche (einerseits) zutreffen oder nicht zutreffen. Sodann [7], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob (solchen Bestimmungen), die der Art nach die gleichen sind, etwa nicht immer ein der Art nach Gleiches eigentümlich ist; (ist das so,) dann wird auch bei dem, wovon die Rede ist, das nicht eigentümlich sein, was als eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da »Mensch« und »Pferd« der Art nach gleich sind, es aber nicht immer Eigentümlichkeit von »Pferd« ist, aus eigener Entscheidung stillzustehen, so wäre auch nicht Eigentümlichkeit von »Mensch« das »aus eigener Entscheidung sich bewegen«; denn das »sich von sich aus bewegen« und »... stillstehen« sind doch der Art nach das Gleiche, sie treffen auf jedes der beiden aber nebenbei zu, insofern sie »Lebewesen« sind. Beim Errichten dagegen (ist zu beachten), ob von (Gegenständen), die der Art nach gleich sind, auch immer die Eigentümlichkeit der Art nach gleich ist; dann wird nämlich eigentümlich sein auch das, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da von »Mensch« die Eigentümlichkeit ist »zu Lande lebend zweifüßig sein«, so wird wohl auch von »Vogel« die Eigentümlichkeit sein »geflügelt zweifüßig sein«; jedes davon ist doch der Art nach das gleiche, die einen (Bestimmungen), insofern sie Arten unter derselben Gattung sind, nämlich als unter »Lebewesen« (fallend), die anderen als die artbildenden Unterschiede dieser Gattung »Lebewesen«. –

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Dieser Gesichtspunkt führt zu falschen Aussagen, wenn die eine der genannten (Bestimmungen) nur einer Art allein zukommt, die andere dagegen vielen, wie etwa »zu Lande lebend, vierfüßig«. Da nun aber »dasselbe« und »verschieden« in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird, so ist es harte Mühe, gegenüber jemandem, der das sophistisch nimmt, die Eigentümlichkeit eines bestimmten (Gegenstandes) einzig und allein anzugeben; was nämlich auf einen bestimmten (Gegenstand) zutrifft, dem nebenbei irgend etwas anderes auch zutrifft, wird auch dem nebenbei Zutreffenden zukommen, wenn man das mit dem zusammennimmt, dem es eben nebenbei zutrifft, z. B.: Was auf »Mensch« zutrifft, wird auch auf »weißer Mensch« zutreffen, wenn eben »Mensch« (hier) die Eigenschaft »weiß« haben sollte; und (dann umgekehrt), was auf »weißer Mensch« zutrifft, wird dann auch auf »Mensch« zutreffen. Nun kann einer die Mehrzahl der Eigentümlichkeiten in üblen Verruf bringen, indem er den Satzgegenstand, für sich genommen, einmal zu dem macht, ein andermal, zusammen mit seiner Nebenbei-Bestimmung, zu einem anderen, indem er z. B. sagt: »Mensch« ist das eine, und etwas anderes ist »weißer Mensch«; und indem er darüber hinaus den Besitz (von etwas) und das, was hinsichtlich dieses Habens (so und so) ausgesagt wird, zu etwas (von einander) Verschiedenem macht – (tatsächlich) wird ja doch, was auf »Besitz« zutrifft, auch auf das zutreffen, was nach Maßgabe dieses Habens (so und so) genannt wird, und (umgekehrt), was an dem vorliegt, was gemäß seinem Haben (von etwas) (so und so) genannt wird, das wird auch auf »Besitz« selbst zutreffen –, z. B.: Da von einem »Kundigen« eben nach Maßgabe seines Wissens gesagt wird, daß er sich in dem und dem Zustand befindet, so wäre von »Wissen« nicht die Eigentümlichkeit »aufgrund vernünftiger Erwägungen unumstößlich«; denn dies »unerschütterlich durch Gegenerwägungen« soll doch von dem Kundigen gelten. Beim Errichten dagegen ist ausdrücklich zu sagen: Das, dem etwas nebenbei zutrifft und das nebenbei Zutreffende, mit dem, an dem es zutrifft, zusammengenommen, sind nicht



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schlechterdings von einander verschieden, sondern sie werden je ein anderes nur genannt, indem ihr »Sein« je verschieden ist; denn für »Mensch« ist »Menschsein« nicht das gleiche wie für »weißer Mensch« das »weißer Mensch sein«. Außerdem muß man die Betrachtung machen nach Hinsicht der Fallabwandlungen, indem man ausdrücklich sagt: »Der« Kundige ist nicht »das, was« durch Gegengründe unerschütterlich ist, sondern »einer, der« durch Gegenerwägungen nicht umzuwerfen ist, und »die« Wissenschaft nicht »das, was« gegen alle Einwände abgesichert ist, sondern »die (Art von Wissen), welche« von Einwänden nicht mehr umgestoßen werden kann, Gegen einen, der alle Arten von Einwand vorbringt, muß man auch auf alle und jede Weise gegenhalten. Kapitel 5. Sodann [8], beim Einreißen (ist zu bemerken), ob er, in der Absicht, etwas anzugeben, was von Natur vorliegt, es in seiner Wortwahl auf die Weise setzt, daß es ein immer Vorliegendes bezeichnet; denn dann scheint ja wohl das als eigentümlich Gesetzte in Bewegung zu geraten, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Mensch« ist »zweifüßig«, zwar die Absicht hat, etwas von Natur Vorliegendes anzugeben, doch mit seinen Wortausdrücken ein immer Vorliegendes bezeichnet, so wäre »zweifüßig« nicht die Eigentümlichkeit von »Mensch«; denn nicht jeder Mensch ist (von der Eigenschaft, immer) zwei Füße zu haben. Beim Errichten dagegen (geht es darum): Wenn man ein von Natur Vorliegendes als eigentümlich angeben will, daß dann auch der Wortausdruck diese Weise meint; denn in der Hinsicht wird dann die Eigentümlichkeit nicht in Bewegung geraten, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »Mensch« angibt »Lebewesen, des Wissens fähig«, sowohl die Absicht hat wie auch durch den Wortausdruck tatsächlich etwas von Natur Vorliegendes bezeichnet, so dürfte in der Hinsicht das »Lebewesen, des Wissens teilhaftig« als Eigentümlichkeit von »Mensch« nicht in Bewegung geraten, als wäre es das nicht. Weiter, [a] was alles nach einem anderen als unmittelbar Erstem ausgesagt wird, oder auch selbst als solches Erstes, von derartigem ist es eine schwere Aufgabe, die Eigentümlichkeit

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anzugeben; wenn man nämlich von einem (so vermittelt) nach einem Anderen Ausgesagten die Eigentümlichkeit angibt, so wird sie auch von dem Ersten wahr ausgesagt werden; (umgekehrt), wenn man sie andererseits vom Ersten setzt, so wird sie auch dem nach anderem (vermittelt Ausgesagten) zugesprochen werden, z. B.: Wenn einer von »Fläche« als eigentümlich angibt »Gefärbtsein«, dann wird dies Gefärbtsein auch von dem Körper (dessen Fläche diese Fläche eben ist) wahr ausgesagt sein; wenn (umgekehrt) es vom Körper (gilt), dann wird es auch von der Fläche (dieses Körpers) ausgesagt sein. Also gilt nicht: Wovon der Begriff, davon wird auch die Namensbezeichnung wahr ausgesagt. [b] Es tritt bei einigen unter den eigentümlichen (Bestimmungen) häufig ein, daß sich ein Fehler ergibt, dadurch daß nicht festgelegt wird, wie und wovon man die Eigentümlichkeit setzt. Alle packen die Sache bei der Angabe von Eigentümlichkeit ja doch so an: (Sie führen als eigentümlich auf) entweder [1] etwas von Natur Vorliegendes, so wie von »Mensch« das »zweifüßig«, oder, [2] was (in diesem Einzelfall) vorliegt, etwa an diesem bestimmten Menschen, daß er nur vier Finger hat, oder [3] (es ist eine Eigentümlichkeit) der Art nach, so wie von »Feuer« das »feinstteilig«, oder [4] ohne jede Hinsicht, wie von »Lebewesen« das »leben«, oder [5] (es geht) über ein anderes, so wie von »Seele« das »vernünftig«, oder [6] unvermittelt, so wie von »Denkvermögen« das »vernünftig«, oder [7] (es erfolgt) über Besitz, so wie (Eigentümlichkeit) des Wissenden (ist), daß er durch Gegengründe nicht zu einer anderen Auffassung zu bringen ist – denn in keiner anderen Hinsicht als dadurch, daß er etwas hat, ist er von Gegenerwägungen nicht zu erschüttern –, oder (es erfolgt) [8] über die Seite des Besessenwerdens, so wie von »Wissen« das »durch Gegengründe nicht umzuwerfen«, oder [9] darüber, daß es eine Bestimmung ist, an der andere teilhaben, so wie von »Lebewesen« das »wahrnehmen« – Wahrnehmung hat ja auch anderes, z. B. (die Art) »Mensch«, doch dies hat Wahrnehmung als etwas, das schon (an anderem) teilhat –, oder [10] über Teilhabe, so wie von diesem bestimmten Lebewesen das »leben«.



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Setzt man nun [1'] nicht dazu »von Natur«, so fehlt man, weil es sein kann, daß etwas, das von Natur vorliegt, diesem einen, an dem es von Natur vorkommt, eben einmal nicht zukommt, wie z. B. bei Mensch« das »zwei Füße haben«. – Legt man [2'] nicht fest, daß man dies im Einzelfall Vorliegende angibt, (so fehlt man), weil diese Eigentümlichkeit doch eigentlich nicht derartig ist, diesem (zu Bestimmenden) zuzukommen, wie z. B. daß »Mensch« vier Finger haben sollte! – Macht man dagegen [5', 6'] nicht klar, daß man es unvermittelt oder erst über ein anderes setzt, (so fehlt man), weil, wovon die Begriffserklärung, (davon) nicht auch die Namensbezeichnung richtig ausgesagt wird, wie etwa »Gefärbtsein«, sei es nun von »Fläche« oder von »Körper« als Eigentümlichkeit angegeben. – Hat man [7', 8'] nicht zuvor gesagt, daß man die Eigentümlichkeit mittels Besitzen oder Besessenwerden angegeben hat, (so fehlt man), weil es keine Eigentümlichkeit ist; denn dann wird ja, wenn man die Eigentümlichkeit mithilfe von Besessenwerden angibt, (sie auch) dem zukommen, was da besitzt, (umgekehrt), wenn es mittels Besitzen erfolgt, dann auch dem, was besessen wird, so wie das »durch Vernunfterwägungen nicht umzuwerfen« die sowohl (je nachdem) von »Wissen« wie auch von »kundig« gesetzte Eigentümlichkeit sein wird. – Hat man dagegen [9', 10'] nicht zusätzlich klargemacht, (daß es) durch Teilhabe oder als solches, an dem teilgenommen wird, (erfolgt), (so fehlt man darin), daß diese Eigentümlichkeit auch bestimmten anderen (Bestimmungen) zukommen wird: Wenn man nämlich (die Eigentümlichkeit) über das angibt, woran teilgenommen wird, dann (kommt sie auch vor) an dem, was daran teilhat, wenn (umgekehrt) es über Teilhaben erfolgt, dann (auch) an dem, woran teilgenommen wird, so wie wenn »leben« als Eigentümlichkeit dieses bestimmten Lebewesens oder (allgemein) von »Lebewesen« gesetzt würde. – Hat man dagegen [3'] die Unterscheidung »der Art nach« nicht klar getroffen, (so fehlt man), weil dann nur einem einzigen (Gegenstand) von denen, die unter das fallen, dessen Eigentümlichkeit man doch setzt, sie zukommen wird; denn das »im Höchstmaß« trifft ja nur auf einen (Gegenstand) allein zu, so wie etwa

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von »Feuer« das »das leichteste«. – Gelegentlich hat aber auch einer, der das »der Art nach« hinzusetzt, gefehlt; es wird sich ja doch um eine einzige Art von ausgesagten (Bestimmungen) handeln müssen, wenn das »der Art nach« zugesetzt ist; das trifft aber in einigen Fällen nicht ein, so wie etwa bei »Feuer« nicht: Es gibt nämlich nicht eine einzige Art von Feuer; denn glühende Kohle, offene Flamme, und Lichterscheinung sind verschieden der Art nach, wo jedes doch eine Form von Feuer ist. Deshalb aber darf, wenn das »der Art nach« zugesetzt ist, die Art des Genannten nicht verschieden sein, weil dann die genannte Eigentümlichkeit den einen (Bestimmungen) in höherem Maße, den anderen in geringerem zukommen würde, so wie etwa bei »Feuer« das »feinstteilig«: Licht ist feiner in seinen Teilchen als Glut und Flamme; das darf jedoch nicht eintreten, wenn nicht auch die Wortbezeichnung in stärkerem Maße von dem ausgesagt wird, von dem die Begriffserklärung in stärkerem Maße wahr ist. Andernfalls würde ja nicht gelten: Wovon die Begriffserklärung in höherem Maße (stimmt), (dem kommt) auch der Name mehr (zu). Weiter und zudem wird sich ergeben, daß die Eigentümlichkeit dieselbe ist, sowohl dessen, was ohne Zusatz (so und so ist), und dessen, was innerhalb des Einfachen am meisten derartig ist, wie etwa bei »Feuer« das »feinstteilig« sich verhält: auch »Licht« wird dann eben dieselbe Eigentümlichkeit haben, denn Licht ist doch das feinstteilige. – Wenn also nun ein anderer eine Eigentümlichkeit derart angibt, so muß man ihn angreifen; ihm selbst seinerseits soll man derartigen Anlaß zum Einwand nicht geben, sondern gleich, wenn man die Eigentümlichkeit setzt, muß man klar bestimmen, nach welcher Weise man die Eigentümlichkeit ansetzt. Sodann [9], beim Einreißen (ist darauf zu achten), ob er (den Gegenstand) selbst als seine eigene Eigentümlichkeit gesetzt hat; denn dann wird das als eigentümlich Gesetzte es nicht sein. Bei (dem Bestimmen) »selbst durch sich selbst« weist doch alles auf sein (wesentliches) Sein hin; was aber dies »Sein« bezeichnet, ist nicht Eigentümlichkeit, sondern Begriffsbestimmung, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentüm-



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lichkeit von (sittlich) »schön« ist »schicklich«, es selbst als seine eigene Eigentümlichkeit angegeben hat – schön und schicklich ist nämlich dasselbe –, so wäre also »schicklich« nicht die Eigentümlichkeit von »schön«. Beim Errichten dagegen (ist darauf zu achten), daß man zwar nicht (eine Bestimmung) selbst als ihre eigene Eigentümlichkeit angegeben hat, aber etwas gesetzt hat, was sich wechselweise mit ihr aussagen läßt; dann wird nämlich eigentümlich sein auch, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist »mit Seele begabtes Sein«, nicht dies selbst als seine eigene Eigentümlichkeit gesetzt hat, es aber wohl als wechselseitig Aussagbares angegeben hat, so wäre also »mit Seele begabtes Sein« Eigentümlichkeit von »Lebewesen«. Sodann [10], bei Dingen, die aus gleichen Teilen bestehen ist genau zu prüfen, beim Einreißen einerseits, ob, was Eigentümlichkeit des Ganzen zusammen ist, etwa bei einem Teil davon nicht wahrheitsgemäß gilt, oder (umgekehrt), ob, was vom Teil (als eigentümlich gilt), etwa nicht vom Ganzen zusammen ausgesagt wird; denn dann wird das nicht eigentümlich sein, was als eigentümlich gesetzt war. Es ergibt sich aber in einigen Fällen, daß das so kommt; es mag nämlich einer bei solchen gleichteiligen (Dingen) die Eigentümlichkeit einmal angeben, indem er auf das Ganze zusammen hinblickt, ein andermal, indem er sich selbst auf das vom Teil Ausgesagte einstellt. Es wird aber keines davon richtig wiedergegeben sein, z. B. im Falle von »ganz zusammen«: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Meer« ist »größte Salzwassermenge«, von einem aus gleichteiligen Stoffen (bestehenden Gegenstand) die Eigentümlichkeit angegeben hat, sie aber als solche angegeben hat, daß sie für einen Teil davon nicht mehr stimmt – denn dieser bestimmte Meeresabschnitt ist nicht »größte Menge an Salzwasser« –, so wäre wohl »größte Menge Salzwasser« nicht Eigentümlichkeit von »Meer«. Im Falle des Teils dagegen z. B.: Da einer, der gesetzt hat: Eigentümlichkeit von »Luft« ist »daß man sie einatmen kann«, zwar einerseits die Eigentümlichkeit eines bestimmten gleichteilig zusammengesetzten

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(Stoffes) genannt hat, sie aber als eine solche angegeben hat, daß dies von der und der bestimmten Menge Luft wahr ist, von dem Ganzen zusammen aber nicht (wahrheitsgemäß) ausgesagt wird – denn es geht nicht, daß die gesamte (Luft) zusammen eingeatmet ist –, so wäre dies »kann eingeatmet werden« nicht Eigentümlichkeit von »Luft«. Beim Errichten dagegen (ist darauf zu achten), ob zwar einerseits (die Eigentümlichkeit) wahrheitsgemäß ausgesagt wird von jedem Einzelstück dieser Gleichteiligen, doch daß sie ihnen eigentümlich ist über das Ganze zusammen; dann wird nämlich eigentümlich sein auch, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da von allem, was »Erde« ist, wahrheitsgemäß ausgesagt wird »bewegt sich nach Naturanlage abwärts«, und da dies auch für jedes Einzelstück von Erde über die Tatsache, daß es eben dies, Erde, ist, eigentümlich ist, so wäre also das »von Natur nach unten bewegt werden« die Eigentümlichkeit von »Erde«. Kapitel 6. Sodann ist aus (den Gesichtspunkten) der Entgegensetzungen die Prüfung zu machen, erstens [1] von dem aus, was einander gegenüberliegt, beim Einreißen nun also: Hat das Gegenüberliegende etwa keine gegenüberliegende Eigentümlichkeit? Denn dann wird ja auch dessen Gegenteil nicht die gegenteilige Eigentümlichkeit haben, z. B.: Da von »Gerechtigkeit« das Gegenteil »Ungerechtigkeit« ist, und von »das Beste« (ist es) »das Schlechteste«, wenn dann weiter »das Beste« nicht Eigentümlichkeit von »Gerechtigkeit« ist, so wäre auch »das Schlechteste« nicht Eigentümlichkeit von »Ungerechtigkeit«. Beim Errichten dagegen (ist dafür zu sorgen), daß vom Gegenteil auch das Gegenteil eigentümlich ist, dann wird auch dessen Gegenteil das Gegenteil eigentümlich sein, z. B.: Da von »gut« das Gegenteil »schlecht« ist, von »erwünscht« aber »zu meiden«, und da nun »erwünscht« Eigentümlichkeit von »gut« ist, so wird auch wohl »zu meiden« die Eigentümlichkeit von »schlecht« sein. Zweitens [2] (ist zu prüfen) aus (dem Gesichtspunkt) der (Bestimmungen) im Verhältnis zu ..., beim Einreißen einer-



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seits: Ist etwa nicht ein »im Verhältnis zu ...« die Eigentümlichkeit eines »im Verhältnis zu ...«? Denn in dem Falle wird auch dessen Entsprechung nichts Entsprechendes zur Eigentümlichkeit haben, z. B.: Da »doppelt« im Verhältnis zu »halb« ausgesagt wird, und »größer als ...« in Entsprechung zu »kleiner als ...«, da nun aber »größer als ...« nicht die Eigentümlichkeit von »doppelt« ist, so wird ja wohl auch »kleiner als ...« nicht die Eigentümlichkeit von »halb« sein. Beim Errichten andererseits (ist es darauf hinauszubringen): Ist ein »im Verhältnis zu ...« die Eigentümlichkeit eines »im Verhältnis zu ...«, dann wird auch (umgekehrt) dessen Entsprechung ein Entsprechendes zur Eigentümlichkeit haben, z. B.: Da »doppelt« im Verhältnis zu »halb« ausgesagt wird und »zwei zu eins« im Verhältnis zu »eins zu zwei«, und da nun das »wie zwei zu eins« dem »doppelt« eigentümlich ist, so wird ja wohl auch das »wie eins zu zwei« dem »halb« eigentümlich sein. Drittens [3], beim Einreißen (ist zu prüfen): Ist etwa das über (den Gesichtspunkt) Besitz Ausgesagte nicht Eigentümlichkeit dieses Besitzens? Denn in dem Falle wäre auch das hinsichtlich Verlust Ausgesagte nicht Eigentümlichkeit des Verlierens. Und (umgekehrt), wenn das nach (Hinsicht von) Verlust Ausgesagte nicht Eigentümlichkeit dieses Verlierens ist, so wird auch das über (die Hinsicht) Haben Ausgesagte nicht Eigentümlichkeit dieses Besitzens sein, z. B.: Da »Empfindungslosigkeit sein« nicht als Eigentümlichkeit von »Taubheit« ausgesagt wird, so wird ja wohl auch nicht »Sinnesempfindung sein« als Eigentümlichkeit von »Hören« ausgesagt werden. Beim Errichten (geht es eben darum): Ist das nach Maßgabe von Besitz Ausgesagte Eigentümlichkeit dieses Habens, so wird auch das nach Hinsicht von Verlust Ausgesagte Eigentümlichkeit dieses Verlierens sein; und (umgekehrt), wenn das nach (Hinsicht von) Verlust Ausgesagte Eigentümlichkeit dieses Verlustes ist, dann wird auch das (in Hinsicht) von Haben Ausgesagte Eigentümlichkeit dieses Besitzens sein, z. B.: Da von »Augenlicht« die Eigentümlichkeit »sehen« ist, dem-

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gemäß wir ja Sehfähigkeit haben, so wird ja wohl auch von »Blindheit« die Eigentümlichkeit »nicht sehen« sein, dergemäß wir Sehvermögen nicht haben, wo es doch naturbestimmt war, daß wir es besitzen sollten. Sodann [4], (ist nach dem Gesichtspunkt) von Aussage und Verneinung (zu prüfen), erstens [a] von dem Ausgesagten selbst her. Dieser Gesichtspunkt ist verwendbar nur für das Einreißen, z. B.: Wenn die Behauptung oder das mittels Behauptung Ausgesagte Eigentümlichkeit dessen, (was Gegenstand der Aussage ist), ist, so wird ja wohl dessen Verneinung oder das über Verneinung (an ihm) Ausgesagte nicht seine Eigentümlichkeit sein können; und (umgekehrt), wenn die Verneinung oder das gemäß Verneinung Ausgesagte seine Eigentümlichkeit ist, so wird die Behauptung und das über Behauptung (an ihm) Ausgesagte nicht seine Eigentümlichkeit sein können, z. B.: Da von »Lebewesen« die Eigentümlichkeit »mit Seele versehen« ist, so wird ja wohl »nicht mit Seele begabt« nicht Eigentümlichkeit von »Lebewesen« sein. Zweitens [b], von dem Ausgesagten oder verneint Ausgesagten und, wovon es ausgesagt oder verneint ausgesagt wird, her, und zwar beim Einreißen: Ist Behauptung nicht Eigentümlichkeit von Behauptung, so wird auch Verneinung nicht Eigentümlichkeit von Verneinung sein; und (umgekehrt), ist Verneinung nicht Eigentümlichkeit von Verneinung, so wird auch Behauptung nicht Eigentümlichkeit von Behauptung sein, z. B.: Da »Lebewesen« nicht Eigentümlichkeit von »Mensch« ist, so wird ja wohl auch »nicht Lebewesen« nicht Eigentümlichkeit von »nicht Mensch« sein; und wenn »nicht Lebewesen« nicht Eigentümlichkeit von »nicht Mensch« ist, so wird auch »Lebewesen« nicht Eigentümlichkeit von »Mensch« sein. Beim Errichten dagegen (geht es darum): Ist Behauptung Eigentümlichkeit von Behauptung, so wird auch Verneinung Eigentümlichkeit von Verneinung sein; und (umgekehrt), ist Verneinung Eigentümlichkeit von Verneinung, so wird auch Behauptung Eigentümlichkeit von Behauptung sein, z. B.: Da »nicht leben« Eigentümlichkeit von »nicht Lebewesen« ist, so



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wird wohl auch »leben« Eigentümlichkeit von »Lebewesen« sein; und wenn offensichtlich »leben« Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist, so wird ebenso offensichtlich »nicht leben« Eigentümlichkeit von »nicht Lebewesen« sein. Drittens [c], von den zugrundegelegten (Satzgegenständen) selbst aus, beim Einreißen: Ist die angegebene Eigentümlichkeit der Behauptung eigentümlich, so wird ja dasselbe nicht auch Eigentümlichkeit der Verneinung sein; und (umgekehrt), ist das Angegebene der Verneinung eigentümlich, so wird es nicht Eigentümlichkeit der Bejahung sein, z. B.: Da »mit Seele begabt« Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist, so wird ja wohl dies »mit Seele ausgestattet« nicht Eigentümlichkeit von »nicht Lebewesen« sein. Beim Errichten dagegen (geht es darum): Ist das Angegebene nicht Eigentümlichkeit der Behauptung, so wird es ja wohl die der Verneinung sein. – Dieser Gesichtspunkt ist aber fehlerhaft: Bejahung ist nicht Eigentümlichkeit einer Verneinung und Verneinung nicht die einer Bejahung; denn die Behauptung kommt einer Verneinung überhaupt nicht zu, die Verneinung dagegen kommt der Bejahung zwar zu, doch liegt an ihr nicht als Eigentümlichkeit vor. – Sodann [5], aus (dem Gesichtspunkt) der Bestimmungen, die in einer Einteilungsreihe einander gegenüberstehen, und zwar beim Einreißen: Ist etwa keine (weitere) Bestimmung der gegenüberliegenden Einteilung einer der übrigen auf der anderen Seite der Einteilung eigentümlich, so wird auch die Eigentümlichkeit dessen, an dem sie gesetzt war, keine Eigentümlichkeit sein, z. B.: Da »wahrnehmbares Lebewesen« für keines aller übrigen Lebwesen eigentümlich ist, so wird ja wohl auch »Lebewesen, das man denken kann« nicht Eigentümlichkeit von »Gott« sein. Beim Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn von den restlichen (Bestimmungen) auf der anderen Seite jede beliebig herausnehmbare einer jeden (entsprechenden) derer auf dieser Seite der Einteilung eigentümlich ist, so wird auch die restliche die Eigentümlichkeit von der sein, an der sie (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da es Eigen-

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tümlichkeit von »Einsicht« ist, »wesensmäßig für sich genommen, Tugend des vernünftigen (Seelenvermögens)« zu sein, und wenn die übrigen Tugenden ebenso jede für sich genommen werden, dann wird ja wohl Eigentümlichkeit von »Besonnenheit« sein: »wesensmäßig für sich genommen, Tugend des triebhaften (Seelenvermögens)«. Kapitel 7. Sodann [6] auch aus (dem Gesichtspunkt) der Formveränderung von Wörtern, und zwar beim Einreißen: Wenn die eine Wortform der entsprechenden anderen nicht eigentümlich ist, dann wird auch (andere) Wortform nicht Eigentümlichkeit der entsprechenden sein, z. B.: Da von »gerechtermaßen« das »anständigermaßen« nicht die Eigentümlichkeit ist, so wird auch nicht von »gerecht« das »anständig« Eigentümlichkeit sein. Beim Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn eine Wortform Eigentümlichkeit der (entsprechenden) Wortform ist, so wird auch die (andere) Wortform Eigentümlichkeit der ihr entsprechenden sein, z. B.: Da »zu Lande lebend, zweifüßig« Eigentümlichkeit von »Mensch« ist, so wird ja wohl auch »dem« Menschen ein »dem zu Lande lebenden, zweifüßigen« als eigentümlich zugesagt werden. Aber nicht allein bei dem Genannten selbst ist die Untersuchung nach den Formveränderungen zu führen, sondern auch bei den jeweiligen Gegensätzen, wie ja schon anläßlich der früheren Gesichtspunkte gesagt ist, und zwar beim Einreißen (so): Ist die Wortform des Gegenteils nicht Eigentümlichkeit der (entsprechenden) Wortform ihres Gegenteils, so wird auch die (entsprechende) Wortform des Gegenteils (der angeblichen Eigentümlichkeit) nicht Eigentümlichkeit des Gegenteils (des in Rede stehenden Gegenstandes) sein, z. B.: Da »anständigermaßen« nicht Eigentümlichkeit von »gerechtermaßen« ist, so wird auch »verwerflicherweise« nicht Eigentümlichkeit von »ungerechterweise« sein. Bei Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn die Wortform des Gegensatzes Eigentümlichkeit der entsprechenden Wortform des Gegensatzes ist, so wird auch die (gleiche) Wortform des Gegensatzes (der Eigentümlichkeit) Eigentümlichkeit



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des Gegenteils (des Gegenstandes) sein, z. B.: Da von »sittlich gut« Eigentümlichkeit ist »bestes (Verhalten)«, so wird ja wohl auch von »sittlich schlecht« die Eigentümlichkeit sein »schlechtestes (Verhalten)«. Sodann [7] (geht es auch) nach dem, was sich entsprechend verhält, und zwar beim Einreißen: Wenn etwas, das sich entsprechend verhält, nicht Eigentümlichkeit ist von etwas, das sich entsprechend verhält, so wird auch ein entsprechend sich Verhaltendes (wie die angenommene Eigentümlichkeit) nicht Eigentümlichkeit von etwas sein, das sich entsprechend verhält (wie der Gegenstand), z. B.: Da sich »Hauserbauer« zu Hausbauen« genauso verhält wie »Arzt« zu »Gesundheit herstellen«, und da nun aber »Gesundheit herbeiführen« nicht Eigentümlichkeit von »Arzt« ist, so wird wohl auch nicht »Hauserbauen« Eigentümlichkeit von »Hauserbauer« sein. Beim Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn ein entsprechend sich Verhaltendes Eigentümlichkeit eines entsprechend sich Verhaltenden ist, so wird auch ein entsprechend (zu anderem) sich Verhaltendes Eigentümlichkeit dieses entsprechend sich Verhaltenden sein, z. B.: Da »Arzt« sich zu »angetreten mit Willen und Auftrag, Gesundheit herbeizuführen« genauso verhält wie »Sportlehrer« zu »angetreten mit Willen und Auftrag, Körpertüchtigkeit herbeizuführen«, und da nun aber dieser Auftrag zur Körperertüchtigung Eigentümlichkeit des Sportlehrers ist, so ist ja wohl auch der Auftrag zur Herstellung von Gesundheit Eigentümlichkeit des Arztes. Sodann [8], nach dem, was sich genauso verhält, beim Einreißen: Ist ein ebenso sich Verhaltendes nicht die Eigentümlichkeit von etwas, das sich ebenso verhält, so wird ja auch (umgekehrt) das ebenso sich Verhaltende nicht Eigentümlichkeit dessen sein, was sich genauso verhält; ist dagegen ein genauso sich Verhaltendes die Eigentümlichkeit eines genauso sich Verhaltenden, so wird es doch nicht Eigentümlichkeit dessen sein, als dessen Eigentümlichkeit es (vom Gegner) gesetzt war, z. B.: Da sich »Einsicht« genauso verhält zu »sittlich gut« und zu »verwerflich«, nämlich darin, ein Wissen um beides zu sein, und da nun aber das »Wissen vom sittlich Guten

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zu sein« nicht Eigentümlichkeit von »Einsicht« ist, so wird ja wohl auch »Wissen vom Verwerflichen zu sein« nicht Eigentümlichkeit von »Einsicht« sein; wenn dagegen »Wissen vom sittlich Guten zu sein« die Eigentümlichkeit von »Einsicht« ist, so wird ja wohl das »Wissen vom Verwerflichen zu sein« nicht Eigentümlichkeit einer anderen Tugend sein, denn unmöglich kann eines und dasselbe Eigentümlichkeit mehrerer (Bestimmungen) sein. Für einen, der errichten will, ist dieser Gesichtspunkt in keinem Fall verwendbar, denn da wird ein genauso sich Verhaltendes mit mehrerem verglichen. Sodann [9], beim Einreißen (ist auch die Frage): Ist etwas unter Verwendung von »sein« Ausgesagtes etwa nicht Eigentümlichkeit dessen, von dem es unter Gebrauch von »sein« ausgesagt war? Denn dann wird auch »untergehen« nicht von dem, an dem es mittels dieses »untergehen«, und auch »werden« nicht von dem, an dem es mittels dieses »werden« ausgesagt war, die Eigentümlichkeit sein, z. B.: Da von »Mensch« nicht die Eigentümlichkeit ist »Lebewesen sein«, so wird auch von »Mensch werden« die Eigentümlichkeit nicht sein »Lebewesen werden«, und auch von »Mensch geht zugrunde« wird die Eigentümlichkeit nicht sein »Lebewesen geht unter«. Auf die gleiche Weise muß man es nehmen auch von »werden« aus in Übertragung auf »sein« und »untergehen«, und von »untergehen« aus in Übertragung auf »sein« und »werden«, so wie es gerade von »sein« aus in Übertragung auf »werden« und »untergehen« vorgetragen ist. Beim Errichten dagegen (geht die Folge umgekehrt): Wenn von einem unter »sein« Eingeordneten etwas, das ebenso eingeordnet ist, die Eigentümlichkeit ist, so wird auch etwas mittels »werden« Ausgesagtes die Eigentümlichkeit des unter »werden« so Angesprochenen sein, und von einem unter Verwendung von »untergehen« (Angesprochenen) eine unter diesem (Gesichtspunkt) angegebene (Eigentümlichkeit), z. B.: Da von »Mensch« die Eigentümlichkeit ist das »sterblich sein«, so wird ja wohl auch von »Mensch werden« die Eigentümlichkeit sein das »sterblich werden«, und von »Mensch geht zugrunde«



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das »Sterbliches geht unter«. Auf die gleiche Weise ist es zu nehmen von »werden« und »vergehen« aus in Übertragung auf »sein«, so wie diese von ihm aus, wie für den Fall des Einreißens schon vorgetragen. Sodann [10] ist hinzuschauen auf das Urbild des Gesetzten, und zwar für den Fall des Einreißens: Wenn (die Eigentümlichkeit) dem Urbild nicht zukommt, oder doch nicht in der Hinsicht, nach der das ausgesagt ist, als dessen Eigentümlichkeit sie doch angegeben war, so wird die als solche gesetzte Eigentümlichkeit keine sein, z. B.: Da für »Mensch an und für sich« das »in Ruhe sein« nicht zutrifft, insofern er eben Mensch ist, sondern nur insofern (diese Bestimmung) ein Urbild ist, so ist ja wohl »ruhen« keine Eigentümlichkeit von »Mensch«. Beim Errichten (ist die Folge): Wenn das, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, dem Urbild doch zukommt, und auch in der Hinsicht zukommt, in der es über es ausgesagt wird, so wird nämlich das eigentümlich sein, wovon gesetzt war, es sei es nicht, z. B.: Da dem »Lebewesen an und für sich« zukommt das »aus Seele und Körper zusammen bestehen«, und da ihm das eben in der Hinsicht zukommt, insofern es eben Lebewesen ist, so wird also dies »aus Seele und Leib bestehen« Eigentümlichkeit von »Lebewesen« sein. Kapitel 8. Sodann [11], von (dem Gesichtspunkt) des »mehr« und »minder« aus, erstens beim Einreißen: [a] Ist das, was (etwas) »in höherem Maße« ist, nicht Eigentümlichkeit von etwas, das auch »mehr so« ist, dann wird auch nicht ein »Weniger so« Eigentümlichkeit eines »weniger so« sein, und schon gar nicht ein »am wenigsten so« (Eigentümlichkeit) eines »am wenigsten so«, aber auch nicht ein »in höchstem Maße so« (Eigentümlichkeit) eines »im höchsten Maße so«, auch nicht ein »einfach so« von einem »einfach so«, z. B.: Da »kräftiger Gefärbtsein« nicht Eigentümlichkeit von »in höherem Maße Körper« ist, so wird auch »schwächer Gefärbtsein ja wohl nicht Eigentümlichkeit von »in geringerem Maße Körper« sein, und überhaupt auch nicht »Gefärbtsein« von »Körper«. Beim Errichten (ist die Folge): Wenn ein »mehr so« Eigentümlichkeit eines »mehr so«, dann wird auch das (entspre-

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chende) »weniger so« Eigentümlichkeit des (entsprechenden) »weniger so«, und (so fort) das »am wenigsten so« die des »am wenigsten so«, das »in höchsten Maße« des »in höchstem Maße« und das »einfach nur so« die des (entsprechenden) »einfach so«, z. B.: Da von »in höherem Maße lebendig« die Eigentümlichkeit ist »mehr Sinneswahrnehmung haben«, so wird ja wohl auch von »in minderem Maße lebendig« das »weniger Sinneswahrnehmung haben« die Eigentümlichkeit sein, und entsprechend von dem »in höchstem Maße« ein »in höchstem Maße«, und von dem einfach, ohne Zusatz (Gesagten) ein ebensolches. Und man muß auch [b] von dem ohne Zusatz, einfach so (Ausgesagten) auf diese (zurück) die Prüfung machen, und zwar beim Einreißen (mit der Folge): Wenn die einfach so (ausgesagte Bestimmung) nicht die Eigentümlichkeit der (entsprechenden) einfach so (ausgesagten), dann wird hier auch nicht »mehr so« von »mehr«, nicht »weniger so« von »weniger«, nicht »in höchstem Maße« von »in höchstem Maße«, und nicht »am wenigsten so« von einem »am wenigsten« die Eigentümlichkeit sein, z. B.: Da von »Mensch« nicht »tüchtig« die Eigentümlichkeit ist, so wird ja wohl von »in höherem Maße Mensch« die Eigentümlichkeit nicht sein »in höherem Maße tüchtig«; (usw). Beim Errichten dagegen (folgt): Ist ein einfach, ohne Zusatz (Ausgesagtes) die Eigentümlichkeit des (entsprechenden) einfach (Ausgesagten), so wird ja wohl auch das »mehr so« die des »mehr so«, das »weniger« die des »weniger«, das »am allerwenigsten« die des »am allerwenigsten« und das »in höchstem Maße so« die Eigentümlichkeit des (entsprechenden) »am meisten so« sein, z. B.: Da von »Feuer« die Eigentümlichkeit ist »von Natur aus nach oben steigen«, so wird ja wohl auch dem, was in stärkerem Maße Feuer ist, eigentümlich sein, in stärkerem Maße von Natur aus nach oben zu steigen. – Auf die gleiche Weise ist auch von allen übrigen (Bestimmungen) aus im Hinblick auf alle diese die Prüfung zu machen. Zum zweiten (ist zu fragen) beim Einreißen, ob (etwas, das) »in höherem Maße« (vorliegt), etwa nicht Eigentümlichkeit



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dessen ist, im Verhältnis zu dem es in stärkerem Maße vorliegt; denn dann wird ja auch ein in minderem Maße Vorliegendes nicht Eigentümlichkeit dessen sein, bezogen auf das es in geringerem Maße vorliegt, z. B.: Wenn denn »Wahrnehmung haben« in stärkerem Maße Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist als »Wissen besitzen« von »Mensch«, wenn nun aber dies »Sinneswahrnehmung besitzen« nicht Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist, dann ist ja wohl auch »Wissen besitzen« nicht Eigentümlichkeit von »Mensch«. Beim Errichten (ist die Folge): Ist ein in minderem Maße Vorliegendes Eigentümlichkeit dessen, im Vergleich zu dem es in minderem Maße vorliegt, dann wird ja auch das in stärkerem Maße Vorliegende Eigentümlichkeit dessen sein, im Vergleich zu dem es in stärkerem Maße vorliegt, z. B.: Wenn das »gesittet von Natur« weniger stark Eigentümlichkeit von »Mensch« ist als »leben« von »Lebewesen«, und da nun aber »gesittet von Natur« Eigentümlichkeit von »Mensch« ist, so wird ja wohl auch »leben« die Eigentümlichkeit von »Lebewesen« sein. Zum dritten (ist zu fragen) beim Einreißen, ob etwas etwa nicht Eigentümlichkeit dessen ist, dessen Eigentümlichkeit es in höherem Maße ist (als die von etwas anderem); denn dann wird es ja auch nicht Eigentümlichkeit dessen sein, dessen Eigentümlichkeit es in minderem Maße ist, z. B.: Wenn denn »Gefärbtsein« in stärkerem Maße Eigentümlichkeit von »Fläche« als von »Körper« ist, und wenn es aber Eigentümlichkeit von Fläche nicht ist, dann wird ja wohl »Gefärbtsein« auch nicht Eigentümlichkeit von »Körper« sein. Für jemanden, der errichten will, ist dieser Gesichtspunkt nicht brauchbar; es ist nämlich unmöglich, daß eines und dasselbe Eigentümlichkeit von mehreren (Bestimmungen) ist. Zum vierten (ist vom Gegenstand aus zu fragen), beim Einreißen: Ist etwa das, was in stärkerem Maße Eigentümlichkeit an ihm ist, es in Wirklichkeit doch nicht? Dann wird nämlich auch das, was in minderem Maße seine Eigentümlichkeit ist, nicht eigentümlich sein, z. B.: Wenn das »sinnlich wahrnehmbar« in stärkerem Maße die Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist als das »in Teile zerlegbar«, und wenn denn weiter dies

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»wahrnehmbar« nicht Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist, so wird ja wohl auch nicht das »in Teile zerlegbar« Eigentümlichkeit von »Lebewesen« sein. Beim Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn etwas, das in geringerem Maße seine (des Gegenstandes) Eigentümlichkeit ist, es in der Tat doch ist, dann wird ja auch etwas, das in höherem Maße seine Eigentümlichkeit ist, (ihm) eigentümlich sein, z. B.: Wenn denn das »kann wahrnehmen« weniger für »Lebewesen« eigentümlich ist als das »leben«, nun aber tatsächlich dies »wahrnehmen« Eigentümlichkeit von »Lebewesen« ist, so wird ja wohl auch »leben« zu »Lebewesen« Eigentümlichkeit sein. Sodann (fünftens) auch von den (Bestimmungen) aus, die in ähnlicher Weise (an Gegenständen) vorliegen, und zwar beim Einreißen, erstens: [a] Ist etwas, das in gleichem Maße (wie etwas anderes) Eigentümlichkeit (von etwas) ist, etwa nicht Eigentümlichkeit dessen, dessen Eigentümlichkeit es doch genau so sehr (wie das andere an anderem) sein sollte? (Ist das so), dann wird ja auch das, was in gleichem Maße eigentümlich sein sollte (wie es), nicht Eigentümlichkeit dessen sein, an dem es doch genauso Eigentümlichkeit sein sollte (wie das andere), z. B.: Wenn denn »begehrlich sein« in ebendem Maße Eigentümlichkeit des triebhaften (Seelenvermögens) ist wie »Verstandgebrauchen« des vernunftbegabten, und wenn dann aber das »begehrlich sein« nicht die Eigentümlichkeit des triebgeleiteten (Seelenteils) ist, dann ist ja wohl auch das »Vernunftgebrauchen« nicht Eigentümlichkeit des Denkvermögens. Beim Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn das, was in gleichem Maße (wie etwas anderes) Eigentümlichkeit ist, tatsächlich dessen Eigentümlichkeit ist, dessen Eigentümlichkeit es doch genauso (wie das andere) sein soll, dann wird ja auch dieses, was doch genauso die Eigentümlichkeit sein soll, dessen Eigentümlichkeit sein, an dem es das genauso sein soll, z. B.: Wenn denn »in unvermittelter Weise verständig« ebenso sehr Eigentümlichkeit des vernunftbegabten (Seelenteils) ist wie »in unmittelbarer Weise maßvoll« die des triebhaften, und wenn nun tatsächlich die Eigentümlichkeit dieses »ver-



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nunftgeleitet« das »in unvermitteltem Sinn verständig« ist, so wird ja wohl auch von »triebhaft« die Eigentümlichkeit sein »unmittelbar maßvoll«. Zum zweiten [b], beim Einreißen (geht es auch darum), ob etwas, das in gleichem Maße (wie etwas anderes) Eigentümlichkeit (eines Gegenstandes) ist, dann tatsächlich dessen Eigentümlichkeit doch nicht ist; in dem Falle wird nämlich (das andere), das ihm ja genauso eigentümlich sein sollte, dessen Eigentümlichkeit auch nicht sein, z. B.: Wenn denn »sehen« und »hören« in gleichem Maße Eigentümlichkeit von »Mensch« sind, und wenn dann »sehen« nicht Eigentümlichkeit von »Mensch« ist, dann wird ja wohl auch »hören« nicht Eigentümlichkeit von »Mensch« sein. Beim Errichten dagegen (ist die Folge): Wenn etwas, das genauso Eigentümlichkeit des Gegenstandes ist (wie das andere), es dann tatsächlich auch ist, so wird ja wohl auch das andere, das genauso seine Eigentümlichkeit sein sollte, es auch sein, z. B.: Wenn es denn genauso für »Seele« eigentümlich ist, daß ein Teil von ihr in unvermittelter Weise triebhaft ist, wie ein anderer von ihr in unvermitteltem Sinne vernunftgeleitet, und wenn es tatsächlich Eigentümlichkeit der Seele ist, daß ein Teil von ihr in unmittelbarem Sinne triebgebunden ist, dann wird es ja wohl auch Eigentümlichkeit der Seele sein, daß ein anderes Teil von ihr in unmittelbarem Sinne vernunftbestimmt ist. Drittens, beim Einreißen (ist zu prüfen), ob etwas, das einem (Gegenstand) genauso eigentümlich ist (wie einem anderen), es an diesem doch nicht ist; denn in dem Falle wird es auch Eigentümlichkeit (des anderen), dessen Eigentümlichkeit es genauso sein sollte, nicht sein können. Wenn es dagegen Eigentümlichkeit des ersteren ist, wird es die des anderen nicht sein können. Z.B.: Wenn denn »lodern« genauso eigentümlich ist für »Flamme« wie für »Glut«, und wenn dann dies »lodern« nicht Eigentümlichkeit ist von »Flamme«, dann ist dies »lodern« ja wohl auch nicht der Glut eigentümlich. Für jemanden, der errichten will, ist dieser Gesichtspunkt in keinem Falle brauchbar.

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Es unterscheidet sich der (Gesichtspunkt) »vom entsprechend sich Verhaltenden aus« von dem »vom gleichermaßen Vorliegenden aus« (darin): Das eine wird nur nach der Entsprechung genommen, es wird nicht darauf gesehen, daß etwas auch vorliegt, das andere dagegen wird verglichen danach, ob etwas (auch wirklich) vorliegt. Kapitel 9. Sodann [12], beim Einreißen (ist die Frage): Hat einer, der die Eigentümlichkeit nur in der Möglichkeitsform angibt, dieses nur möglicherweise Eigentümliche auch im Hinblick auf den nichtvorkommenden Fall (dieser Möglichkeit) angegeben, wo doch die Möglichkeitsform dem Nichtvorhandenen gar nicht eignen kann? Dann wird nämlich das als eigentümlich Gesetzte dies nicht sein, z. B.: Da einer, der gesagt hat: Eigentümlichkeit von »Luft« ist »möglicherweise eingeatmet werden zu können«, zwar etwas Eigentümliches angegeben hat – denn so etwas, was einzuatmen ist, ist ja »einatmungsfähig« –, aber dies Eigentümliche auch darauf hin, daß es einmal nicht geschieht, angegeben hat – denn wenn einmal kein Lebewesen da wäre, dem es naturgegeben ist, Luft einzuatmen, so kann es die Luft ja trotzdem geben; umgekehrt aber, wenn es Lebewesen nicht gibt, ist auch »atmen« nicht möglich; daher es denn nicht Eigentümlichkeit von »Luft« sein kann, von der Art zu sein, eingeatmet zu werden, dann, wenn es »Lebewesen« nicht gibt, das von der Art ist einzuatmen –: so wäre also dies »einatmungsfähig« nicht Eigentümlichkeit von »Luft«. Beim Errichten dagegen (ist darauf zu achten), ob man bei Angabe des Eigentümlichen in der Möglichkeitsform entweder dies Eigentümliche nur im Hinblick auf den Vorliegensfall angibt oder auch für den des Nichtvorliegens, dann nämlich, wenn die Möglichkeit auch im Falle von etwas vorliegen kann, was nicht ist; denn dann wird eigentümlich sein auch, was (vom Gegner) als nicht eigentümlich gesetzt war, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von etwas, das es gibt, angibt »kann erleiden oder wirken«, diese Eigentümlichkeit im Möglichkeitsfalle angibt und sie für den Seinsfall angegeben hat – genau zu der Zeit doch, wenn und solange es vorhanden



Fünftes Buch ∙ Kapitel 9 137

ist, ist es ihm möglich, etwas zu erfahren oder zu bewirken –: daher denn also dies »kann Einwirkung erleiden oder solche ausüben« Eigentümlichkeit von etwas wäre, das da ist. Sodann [13], beim Einreißen (ist zu beachten): Hat er etwa die Eigentümlichkeit in der Übermaßform gesetzt? Denn in dem Fall wird das als eigentümlich Gesetzte dies nicht sein. Es geschieht ja denen, die die Eigentümlichkeit in der Weise angeben, daß, wovon die Begriffserklärung (stimmt), nicht mehr auch die Wortbezeichnung richtig ist: Ist das gemeinte Ding verschwunden, so besteht die Begriffserklärung nichtsdestoweniger fort; sie wird nämlich dann einem anderen (Gegenstand), den es noch gibt, am meisten zutreffen, z. B.: Würde jemand als Eigentümlichkeit von »Feuer« angeben »leichtester Körper«, (und nimmt man dann an, alles, was) Feuer (ist), wäre verschwunden, so wird ja irgendein anderer unter den Körpern der sein, der dann der leichteste ist. Also wird ja wohl »leichtester Körper« die Eigentümlichkeit von »Feuer« nicht sein. Beim Errichten dagegen (kommt es darauf an), daß man nicht etwa die Eigentümlichkeit in der Höchstform gesetzt hat; dann wird in dieser Hinsicht die Eigentümlichkeit sauber gesetzt sein, z. B.: Da einer, der als Eigentümlichkeit von »Mensch« gesetzt hat »Lebewesen, von Natur gesittet«, die Eigentümlichkeit nicht in der Höchststufe angegeben hat, so wäre also diese Eigentümlichkeit in der Hinsicht sauber gesetzt.

SECHSTES BUCH

Kapitel 1. Der Anstrengung um die Begriffsbestimmung sind fünf Teile: Entweder (I), daß es gar nicht wahr ist, von dem, worauf die Wortbezeichnung geht, auch die Begriffserklärung auszusagen – die Begriffsbestimmung von »Mensch« muß ja über jeden Menschen wahr ausgesagt werden können –, oder (II), daß er (der Gegner), wo es doch eine Gattung gibt, ihn (den Gegenstand) nicht unter eine Gattung oder doch nicht unter die verwandte Gattung gesetzt hat – denn wer da Begriffe eingrenzt, muß (es doch so machen): (den Gegenstand) erst unter die entsprechende Gattung setzen und dann die (artbildenden) Unterschiede anfügen; dabei macht offenbar von allen (Bestandsstücken) in der Begriffsbestimmung die Gattung am meisten das Wesen des zu Bestimmenden klar –, oder (III), daß die begriffserklärende Rede (dem Gegenstand) nicht eigentümlich ist – die Begriffsbestimmung muß doch (dem gemeinten Gegenstand allein) eigentümlich sein, wie ja früher gesagt ist –, oder (IV), wenn man zwar alles Genannte gemacht hat und doch nicht fest eingegrenzt und ausgesagt hat, was das zu Bestimmende denn wesentlich und wirklich sein sollte; übrig (bleibt noch) neben all dem Gesagten (V), wenn man zwar genau abgegrenzt hat, doch dies nicht sauber abgegrenzt ist. Ob nun (I), wovon der Name gilt, davon etwa die begriffserklärende Rede nicht auch gilt, das muß man von den Gesichtspunkten »vom nebenbei Zutreffenden« aus durchprüfen; denn dort schon geht die ganze Untersuchung ja (um die Frage): Ist es (das Ausgesagte) wahr oder nicht wahr? Wenn nämlich in dem Untersuchungsgespräch herauskommt, daß dies nebenbei Zutreffende tatsächlich vorliegt, sagen wir: (Dieser Satz ist) »wahr«; (kommt heraus), es liegt nicht vor, so: »nicht wahr«. Ob er es aber (II) nicht unter die verwandte Gattung gesetzt hat, oder (III), ob die angegebene begriffserklärende Rede

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nicht eigentümlich ist, ist von den genannten Gesichtspunkten »von der Gattung« und »von der Eigentümlichkeit« her zu überprüfen. Bleibt also übrig, darüber zu reden, wie man damit umgehen soll, ob er (der Gegner) gar nicht klar abgegrenzt hat (IV), oder nicht sauber abgegrenzt hat (V). Erstens nun also ist zu prüfen (die Frage), ob etwa nicht sauber abgegrenzt ist; es ist ja leichter, irgendetwas fertiggebracht zu haben, als, es sauber hingebracht zu haben. Klar ist nun also: Da wird es mehr Fehler geben, da es eben schwieriger ist; also ist in diesem Falle angreifender Zugriff leichter als in dem anderen zu machen. Von diesem »nicht sauber« gibt es zwei Teilbereiche: Eine (Weise) ist der Gebrauch unklarer Ausdrucksweise – einer, der Bestimmungen abgrenzt, muß ja doch sich möglichst klarer Ausdrucksmittel bedienen, da doch eine Begriffsbestimmung um der Gewinnung von Erkenntnis willen angegeben wird – die zweite (liegt dann vor), wenn er seine Erklärungsrede über einen weiteren Bereich als nötig vorgetragen hat; alles Zusätzliche ist bei der Begriffsbestimmung nämlich überflüssig. Und wieder, jede der beiden genannten (Weisen) ist erneut in mehrere (Bereiche) eingeteilt. Kapitel 2. [1] Ein Gesichtspunkt zum (Stichwort) »unklar« (tritt dann auf), wenn das Genannte mit irgendetwas anderem die gleiche Wortbezeichnung hat, z. B.: (Die Bestimmung von) »Werden« (als) »Hinführung zum Sein«, und (die von) »Gesundheit« als »ausgeglichenes Verhältnis des Warmen und Kalten«; »Hinführung« und »Verhältnis« sind eben je ein Wort mit mehreren Bedeutungen, und so ist denn unklar, welchen unter den Begriffen, auf die von dem Wort mit mehreren Bedeutungen hingewiesen wird, er aussagen will. [2] Entsprechend ist es auch, wenn das zu Bestimmende ein Wort mit mehreren Sachbedeutungen ist und er vorgetragen hat, ohne sie auseinanderzunehmen; dann ist nämlich unklar, von welcher davon er die Bestimmung angegeben hat, und dann kann der verleumderische Angriff losgehen (mit dem Vorwurf), daß doch die Erklärungsrede nicht auf alles passe, wovon er die



Sechstes Buch ∙ Kapitel 2 141

Begriffsbestimmung angegeben habe. Am besten geht so etwas zu machen, wenn die Mehrdeutigkeit versteckt ist; es geht aber auch, indem man selbst auseinandernimmt, in wievielen Bedeutungen das in der Begriffsbestimmung Angegebene ausgesagt wird, und dann die Rechnung aufmacht: Wenn nach keiner der Weisen (die Sache) hinreichend ausgesprochen ist, so (ist) klar: Er hat ja wohl nicht regelgerecht bestimmt. [3] Ein anderer (Fall liegt vor), wenn er (der Gegner) in bedeutungsverändernder Weise gesprochen hat, z. B. wenn er »wissen« (bezeichnet als) »unschlagbar« oder die Erde als »Amme« oder die Besonnenheit als »Zusammenklang«; alles das ist doch undeutlich, was so in übertragener Bedeutung gesagt wird. Es geht auch, einem, der so übertragen redet, das Wort zu verdrehen, als habe er im eigentlichen Sinne gesprochen, dann wird nämlich die vorgetragene Begriffsbestimmung nicht passen, z. B. bei »Besonnenheit«: jeder »Zusammenklang« gehört doch in den Bereich der Töne. Und weiter, wenn »Zusammenklang« die Gattung zu »Besonnenheit« wäre, dann wird ja eines und dasselbe unter zwei Gattungen stehen, die nicht einander umfassen: weder ist es doch »Zusammenklang«, der »Tugend«, noch »Tugend«, die »Zusammenklang« umfaßte. [4] Weiter (liegt Undeutlichkeit vor), wenn man nicht im Sprachgebrauch erprobte Worte benutzt, z. B. Platon: »wimpernschattig« das Auge, oder: die Spinne »entzündungsbissig«, oder: das Mark »knochenentstammt«. Alles, was nicht gewohnt ist, ist undeutlich. [5] Einiges auch ist weder aufgrund von Gleichnamigkeit noch in übertragener Bedeutung, noch aber auch im eigentlichen Sinne gesagt, z. B.: Das Gesetz ist »Maß und Bild des von Natur Gerechten«. Derlei ist noch schlimmer als Bedeutungsübertragung; denn übertragene Bedeutung macht ja das Gemeinte aufgrund der Ähnlichkeit doch irgendwie klar – alle, die Bedeutungen übertragen, tun dies ja über irgendeine Ähnlichkeit –, doch derlei macht gar nichts bekannt: weder liegt hier eine Ähnlichkeit vor, dergemäß ein Gesetz »Maß und Bild« ist, noch ist es üblich, so zu reden. Also, wenn man

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nun im eigentlichen Sinne sagt: Gesetz ist »Maß« oder »Bild«, ist es falsch – Bild ist doch etwas, dessen Entstehung mittels Nachgestaltung (erfolgt), das trifft aber auf Gesetz nicht zu – (redet man aber) in nicht eigentlicher Bedeutung, so (ist) klar: Man hat undeutlich geredet und schlimmer als irgendetwas, was in übertragener Bedeutung gesagt war. [6] Weiter (ist es undeutlich), wenn aus dem Gesagten nicht auch die Begriffserklärung des Gegenteils klar (hervorgeht); Leute, die sauber angeben, weisen auch auf (die Begriffsbestimmungen) des jeweiligen Gegenteils zusätzlich hin. [7] Oder (Undeutlichkeit liegt dann vor), wenn (die Begriffsbestimmung), für sich ausgesprochen, nicht klar sagt, wessen Begriffsbestimmung sie eigentlich ist, sondern (es einem so geht) wie bei alten Schriftzeichen: Wenn man nicht drüberschreibt, weiß man nicht, was es im einzelnen sein soll. Kapitel 3. Ob (es) nun also nicht deutlich (erfolgt ist), ist aus derartigen (Erwägungen) zu prüfen. Ob er (der Gegner) dagegen die Begriffsbestimmung über einen weiteren (Bereich, als sinnvoll ist,) ausgesagt hat, ist, erstens [1], (danach) zu prüfen, ob er sich dabei einer Bestimmung bedient hat, die auf alles zutrifft, entweder auf alles, was es gibt, überhaupt oder doch (alles), was unter die gleiche Gattung wie das zu Bestimmende (fällt). Es muß ja doch die Gattung (das zu Bestimmende) von allem übrigen trennen, der (artbildende) Unterschied von (allem), was in der gleichen Gattung (steht). Eine Bestimmung nun also, die auf alles zutrifft, trennt überhaupt von nichts; was aber allem unter einer und derselben Gattung zukommt, trennt (das zu Bestimmende) nicht von den (anderen Bestimmungen) in der gleichen Gattung, mithin ist derartiger Zusatz sinnlos. [2] Oder (es ist daraufhin zu prüfen), ob der Zusatz zwar eigentümlich ist, aber wenn man ihn wegläßt, die restliche Erklärungsrede auch eigentümlich bleibt und das Wesen angibt; z. B. in der begriffserklärenden Rede für »Mensch« ist ein hinzugesetztes »des Wissens fähig« überflüssig; auch wenn das fortgenommen wird, ist der Rest der Erklärung eigentümlich und gibt das Wesen an. Einfach gesagt, alles das



Sechstes Buch ∙ Kapitel 3 143

ist überflüssig, nach dessen Wegnahme der Rest das zu Bestimmende (immer noch) klar macht. Von der Art ist auch die Begriffsbestimmung von »Seele«, wenn sie »Zahl, sich selbst bewegend« sein soll; ist doch das »selbst sich selbst Bewegende« auch schon »Seele«, wie Platon es bestimmt hat. Oder, das Genannte ist zwar wohl eigentümlich, bezeichnet aber das Wesen nicht, wenn »Zahl« fortgenommen ist. Wie sich das nun verhält, ist schwer zu erklären, man muß (das) aber in allen derartigen Fällen im Hinblick auf das Nützliche dabei anwenden, z. B.: Begriffsbestimmung von »Schleim« sei »feucht, erste Nahrungsumsetzung, unverdaut«; nun bedeutet doch »erstes« ein »eins«, nicht ein »vieles«, also ist der Zusatz »unverdaut« überflüssig; auch wenn das fortgenommen ist, bleibt die restliche Erklärungsrede eigentümlich; es kann nämlich nicht sein, daß sowohl dies die »erste« Umsetzung von Nahrung sei und etwas anderes dann auch noch. Oder ist der Schleim nicht einfach so die erste Umsetzungsstufe von Nahrung überhaupt, sondern nur die erste Form des noch Unverdauten, sodaß das »unverdaut« hinzuzusetzen wäre? Wäre es dann auf die erstere (verkürzte) Weise gesagt, so wäre die Erklärungsrede dann ja nicht wahr, wenn er dann nicht das erste von allen (Umwandlungsstufen) ist. [3] Sodann (ist zu prüfen), ob etwa eine der Bestimmungen in der Erklärungsrede nicht allem zukommt, was unter die gleiche Art (fällt). Wer das macht, hat schlechter bestimmt als die, die etwas verwenden, was allem zukommt, was (in der gleichen Gattung) ist. In diesem anderen Falle nämlich wird, wenn die Einzelerklärung eigentümlich ist, auch die Gesamterklärung es sein; es wird dann ja, wenn man zu der Eigentümlichkeit was auch immer, es muß nur wahr sein, hinzusetzt, ohne weiteres die ganze erklärende Rede eigentümlich sein. Wenn dagegen eine Bestimmung von denen in der Erklärungsrede nicht allem zukommt, (was) unter der gleichen Art (steht), so ist es unmöglich, daß die ganze Erklärungsrede eigentümlich wäre; denn dann kann das mit der Sache nicht wechselseitig ausgesagt werden, z. B.: »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig, vier Ellen groß« – eine solche Erklärungs-

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rede läßt sich mit dem Gegenstand nicht wechselseitig aussagen, weil eben nicht allen, (die) unter die gleiche Art (fallen), das »vierellig« zukommt. [4] Und wieder (kommt es darauf an), ob er mehrmals dasselbe gesagt hat, z. B., indem er »Begierde« als »Streben nach Lustvollem« bezeichnet; jede Begierde (geht doch selbst schon) »nach Lustvollem«, daher also hier auch, was dasselbe ist wie Begierde, »nach Lustvollem« ausgehen wird; dann stellt sich also als Begriffsbestimmung von »Begierde« heraus »Streben nach lustvollem Lustvollen«; es macht ja keinen Unterschied, »Begierde« zu sagen oder »Streben nach Lustvollem«, sodaß also beides davon nach Lustbringendem ausgeht. – Oder ist das vielleicht gar kein Unsinn? Es ist doch auch der Mensch zweifüßig, also wird auch, was das gleiche ist wie »Mensch«, die Bestimmung »zweifüßig« haben müssen; nun ist aber das gleiche wie »Mensch«: »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig«, sodaß es also »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig zweifüßig« geben müßte. Aber deshalb tritt doch kein Unsinn auf: es wird nämlich »zweifüßig« nicht von »Lebewesen, zu Lande lebend« ausgesagt – so wäre dann ja wirklich »zweifüßig« zweimal von demselben ausgesagt –, sondern über »Lebewesen, zu Lande lebend, zweifüßig« wird das »zweifüßig« ausgesagt, sodaß »zweifüßig« also nur einmal zugesprochen wird. – Ähnlich ist es dann auch mit »Begierde«: Nicht von dem bloßen »Streben« wird das »auf Lustvolles ausgehen« ausgesagt, sondern von dem Ganzen zusammen, daher denn also auch hier die Zusprechung nur einmal erfolgt. Nicht daß zweimal das gleiche Wort ausgesprochen wird, ist der Unsinn, sondern daß mehrmals die gleiche Bestimmung über etwas ausgesagt wird, so wie Xenokrates es bei »Klugheit« (macht): Sie sei »Grenzen setzend und hinschauend auf alles, was es gibt«, sagt er; nun ist dies »Bestimmungen abgrenzende« Vorgehen doch eine Form von »betrachtender«« (Wissenschaft), also sagt er zweimal das gleiche, wenn er wieder »anschauend« dazusetzt. Ähnlich machen es auch die, welche »Verkühlung« als »Verlust der naturgegebenen Wärme« bezeichnen: jeder Verlust betrifft doch etwas, das von Natur aus vorhanden sein



Sechstes Buch ∙ Kapitel 4 145

sollte, also ist es überflüssig, das »naturvorhanden« dazuzusetzen, stattdessen reichte es schon, »Verlust von Wärme« zu sagen, da doch der Begriff »Verlust« selbst schon klarmacht, daß er in Beziehung auf Naturvorhandenes ausgesagt wird. [5] Und wieder (ist zu beachten), ob er, nachdem er das Allgemeine schon gesagt hat, auch noch eine Teilaussage dazusetzt, z. B.: »Nachsicht« (sei) »Minderung von Nützlich und Gerecht«; »gerecht« ist doch eine (der Formen) von »nützlich«, wird also mit »nützlich« schon mit umfaßt; also ist »gerecht« hier überzählig: nachdem er das Allgemeine schon gesagt hat, reicht er nun auch noch die Teilaussage nach. Und so auch, wenn (gesetzt wird): »Heilkunst« (ist) »Wissen von dem, was für Lebewesen und Mensch gesundheitsförderlich ist«, oder: »Gesetz« (ist) »Bild dessen, was von Natur sittlich schön und gerecht ist«; »gerecht« ist (immer schon) ein sittlich Schönes, also sagt er dasselbe mehrmals. Kapitel 4. Ob nun sauber oder nicht sauber (der Begriff bestimmt ist), ist mittels dieser und derartiger (Gesichtspunkte) zu untersuchen. Ob er (überhaupt) eine Begriffsbestimmung gemacht und das »was es wirklich sein sollte« ausgesprochen hat oder nicht, (ist) aus folgenden (zu ersehen). [1] Erstens (geht es darum), ob er etwa nicht mittels näherliegender und bekannterer (Begriffe) die Bestimmung gemacht hat. Da doch diese Begriffsabgrenzung angegeben wird, um den in Rede stehenden Gegenstand zu erkennen, und da wir weiter diese Erkenntnis nicht gewinnen aus beliebigen (Vorstellungen), sondern aus solchen, die davor liegen und bekannter sind, so wie eben in den Beweisführungen – so geht ja jede Lehre und jedes Lernen vor –, (so ist also) klar: Wer die Bestimmung nicht mittels derartiger (Begriffe) macht, hat keine gemacht. Andernfalls würde es mehrere Begriffsbestimmungen des gleichen (Gegenstandes) geben; klar doch, wer (es) mittels davorliegender und bekannterer (Vorstellungen macht), hat besser begriffsbestimmt, mithin würden beide (Bestimmungswege) auf den gleichen (Gegenstand) gehen. So etwas erscheint aber durchaus nicht als richtig: Für alles, was es da gibt, ist sein »sein, was es ist« nur eines. Gäbe es also

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mehrere Begriffsbestimmungen eines und desselben, dann müßte für das zu Bestimmende dies »sein, was nach beiden Bestimmungen erhellt wird« ja das gleiche sein; diese (Inhalte) sind aber nicht die gleichen, wenn denn doch die Begriffsbestimmungen verschiedene sind. Klar denn also: Wer nicht mittels davorliegender und bekannterer (Begriffe) die Bestimmung gemacht hat, hat keine gemacht. Daß nun also (je und je) die Begriffsbestimmung nicht mittels bekannterer (Begriffe) vorgetragen ist, ist auf zweifache Weise zu erfassen: Entweder ob (es) schlechterdings aus unbekannteren (erfolgt ist) oder (nur) uns unbekannteren; denn es geht ja auf beide Weisen. An sich bekannter ist nun also das Frühere gegenüber dem ihm Folgenden, z. B. Punkt im Verhältnis zur Geraden, Gerade zu Fläche, Fläche zu Körper, wie auch Einheit im Verhältnis zu Zahl; sie ist nämlich früher da als jede Zahl und (ist) ihrer aller Anfang. Entsprechend auch Buchstaben vor Silbe. Uns dagegen ergeht es gelegentlich umgekehrt: Der räumliche Gegenstand fällt am stärksten unter die Wahrnehmung, die Fläche wieder mehr als der Strich, der Strich wieder mehr als der Punkt; derlei nehmen die Leute doch zu allererst zur Kenntnis, das fällt jedem beliebigen Hinsehen auf; das andere dagegen zu erlernen ist schon Sache genauen und darüber hinausgehenden Denkens. Ganz einfach besser ist der Versuch, mittels der davorliegenden die danach kommenden (Bestimmungen) zu erkennen; derlei Verfahren ist wissenschaftlicher. Indessen für solche, die nicht in der Lage sind, auf solchem Wege Erkenntnis zu gewinnen, ist es vielleicht wohl notwendig, den Erklärungsgang durch Vorstellungen zu nehmen, die ihnen bekannt sind. Zu dieser Art Begriffsbestimmungen (zählen dann) die von Punkt, von Gerader und von Fläche; es klären ja alle das Frühere mittels des Späteren: Das eine (der Punkt) ist danach die Grenze der Geraden, diese die von Fläche, diese die des raumeinnehmenden (Körpers), so sagt man. Es darf allerdings nicht verborgen bleiben, daß Leute, die so die Bestimmung machen, es damit nicht fertigbringen, an dem zu Bestimmenden sein »was es doch sein sollte« zu



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klären, wenn nicht etwa das, was uns bekannter ist und das an sich Bekanntere zufällig das gleiche sein sollte; wo doch einer, der sauber den Begriff bestimmt, dies tun muß mittels der Gattung und der (artbildenden) Unterschiede, die aber gehören zu dem, was an sich bekannter ist als die Art und ihr vorausliegt; denn Gattung und Unterschied heben die Art mit sich auf, also liegen diese der Art voraus. Sie sind aber auch bekannter; ist nämlich die Art zur Kenntnis gebracht, so muß (darin) notwendig auch die Gattung und der (artbildende) Unterschied zur Kenntnis kommen – wer »Mensch« kennt, kennt auch »Lebewesen« und »zu Lande lebend« –, (umgekehrt) dagegen, ist die Gattung und der Unterschied bekannt, so muß nicht notwendig auch die Art bekannt sein, mithin ist die Art unbekannter. Weiter, es geschieht denen, die da sagen: Derartige Begriffsbestimmungen erfolgen wahrheitsgemäß – die von dem aus, was einem jeden bekannter ist –, daß sie damit sagen, es gebe viele Begriffsbestimmungen von einem und demselben (Gegenstand): verschiedenen (Leuten) ist ja halt Verschiedenes, nicht immer allen das gleiche, bekannter, sodaß im Hinblick auf einen jeden eine andere Begriffsbestimmung anzugeben wäre, wenn es denn doch sein soll, die Begriffsbestimmung von dem aus zu machen, was einem jeden bekannter ist. Weiter ist dem gleichen (Menschen) zu verschiedener Zeit je anderes mehr bekannt, von Kindheit auf zunächst das sinnlich Wahrnehmbare; sind sie dann herangewachsen, es genauer zu nehmen, so kehrt sich das um, sodaß denn also nicht einmal dem gleichen (Menschen) gegenüber immer die gleiche Begriffsbestimmung anzugeben wäre, wenn man behauptet, die Begriffsbestimmung müsse mittels dessen angegeben werden, was einem jeden einzelnen je bekannter ist. Klar nun also: Nicht mittels solcher (Vorstellungen), sondern von solchen aus, die für sich bekannter sind, ist Begriffsbestimmung zu machen; so allein wird es ja wohl immer eine und dieselbe werden. Vielleicht aber auch: Das an sich Bekannte ist nicht das allen Bekannte, sondern das, (was) denen (bekannt ist), mit de-

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ren Verstand es wohl bestellt ist, so wie ja auch »gesund«, rein ohne Zusatz, das ist, was für (Leute) gilt, deren Leib in gutem Zustand ist. Die einzelnen Punkte all dessen sind zwar sorgfältig auszuarbeiten, verwenden muß man es aber im Untersuchungsgespräch im Hinblick auf Nutzen. Am wirksamsten geht es eingestandenermaßen, eine Begriffsbestimmung aufzuheben, wenn (der Gegner) etwa die Erklärungsrede weder vom an sich Bekannteren noch vom uns (Bekannteren) aus gemacht hat. Eine Weise also dieses »nicht durch Bekannteres« ist: (1) Mittels nachgeordneter (Begriffe) die vorgeordneten klären zu wollen, wie wir ja schon früher gesagt haben. Eine zweite (2), wenn uns Erklärung von etwas, das sich in Ruhe befindet und fest bestimmt ist, mittels (Vorstellungen) geliefert wird, die unbestimmt und in Veränderung sind; das Bleibend-Beharrende und Bestimmte stehen vor dem Unbestimmten, in Veränderung Befindlichen. Von dem »nicht von Vorrangigem aus« gibt es drei Weisen. Die erste (Ia) (liegt vor), wenn Gegenteil durch Gegenteil bestimmt ist, z. B. »gut« durch »schlecht«; gegenteilige (Bestimmungen begegnen) doch von Natur zugleich. Einigen scheint es auch, daß eines und dasselbe Wissen auf beides geht, also ist auch so hier nicht eines bekannter als das andere. Es darf aber nicht verborgen bleiben, daß einige (Bestimmungen) vielleicht nicht anders abzugrenzen sind, z. B. »doppelt« ohne »halb« und alles, was nach seinem bloßen Inhalt nur »im Verhältnis zu etwas« ausgesagt wird; für alle derartigen (Bestimmungen) ist das »was sie sind« eben genau ihr »sich zu etwas so und so verhalten«, daher es denn unmöglich ist, das eine ohne das andere zur Kenntnis zu bringen; aus dem Grunde ist es notwendig, in der begriffserklärenden Rede des einen auch das andere mit einzubegreifen. (Wie gesagt:) Kennen muß man das alles zwar, brauchen (soll man) es, soweit es eben offenbar Nutzen bringt. (Ib) Eine zweite (Weise liegt dann vor), wenn er (bei der Begriffsbestimmung) das zu Bestimmende selbst benutzt hat. Das bleibt dann verborgen, wenn er nicht eben genau das



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gleiche Wort für das zu Bestimmende benutzt, z. B., wenn er »Sonne« als »tagleuchtendes Gestirn« bestimmt hat; wer nämlich »Tag« verwendet, benutzt auch schon »Sonne«. Man muß aber, um derlei zu entlarven, anstatt des Wortes auf die Begriffserklärung zurückgreifen, z. B.: »Tag« ist »Lauf der Sonne über die Erde«; dann ist ja klar: Wer »Lauf der Sonne über die Erde« gesagt hat, hat »Tag« gemeint, also, wer hier »Tag« verwendet hat, benutzt »Sonne« mit. (Ic) Und erneut (fehlt man), wenn man einen in einer Einteilung gegenüberstehenden Begriff durch sein Gegenüber bestimmt hat, z. B. »ungerade« als »um eins größer als gerade«; denn die aus (dem Bereich) der gleichen Seinsgattung einander gegenübergeordneten Bestimmungen sind ihrem Wesen nach zugleich (da); »ungerade« und »gerade« sind aber so gegenübergeordnet: beides sind Unterschiede von »Zahl«. Ähnlich aber auch (ist es), wenn man Übergeordnetes durch unten Angeordnetes bestimmt hat, z. B. »gerade Zahl« mit »läßt sich entzweinehmen«, oder »gut« mit »Besitz von Tugend«; denn, erstens, das »entzwei« ist von »zwei« genommen, und die ist schon gerade, und »Tugend«, andererseits, ist ja selbst eine Form von »gut«, also ist das unterhalb des anderen angeordnet. Darüber hinaus muß ja einer, der das Untergeordnete verwendet, auch (die Bestimmung) selbst mitbenutzen: Wer »Tugend« verwendet, verwendet auch »gut«, da doch »Tugend« eine Weise von »gut« ist; entsprechend auch, wer »entzwei« benutzt, benutzt »gerade« mit, da doch »entzwei« eben bedeutet »in zwei Teile zerlegen«, »zwei« aber ist eine Weise von »gerade«. Kapitel 5. Alles zusammengefaßt, ist es also ein einziger Gesichtspunkt, nämlich wenn man nicht mittels vorgeordneter und bekannterer (Begriffe) die Erklärung macht; seine Teilansichten sind die vorgetragenen. [2] Ein zweiter (geht darauf), wenn angesichts dessen, daß der Gegenstand unter einer Gattung steht, er doch nicht unter die Gattung gesetzt wird. In allen den (Bestimmungsversuchen) ist ein solcher Fehler enthalten, in denen nicht das »was es ist« der Erklärung vorliegt, z. B. die Begriffsbestimmung

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von »Körper«: »was drei Ausdehnungsrichtungen hat«, oder wenn jemand »Mensch« bestimmen wollte als »das, was zählen kann«; da ist nämlich nicht gesagt, was denn das ist, das da drei Ausdehnungsrichtungen hat, oder was denn das ist, das da zu zählen versteht. Nun will aber doch die Gattung das »was es ist« bezeichnen, und sie zu allererst wird allem unterlegt, was sonst in der Begriffsbestimmung noch gesagt wird. [3] Sodann (liegt ein Fehler vor), wenn das zu Bestimmende im Verhältnis zu mehreren (anderen Bestimmungen) ausgesagt wird, man es aber nicht in Hinsicht auf alle wiedergegeben hat, z. B., wenn man »Schriftkunde« bestimmt als »(Fähigkeit), Vorgesagtes schreiben zu können«; das bedarf nämlich des Zusatzes, daß es hier auch ums Lesenkönnen geht. Wer »schreiben können« angegeben hat, hat (die Sache) um nichts mehr bestimmt, als wer »lesen können« (sagt), also beide nicht, sondern nur, wer dies beides sagt, da es ja doch nicht geht, daß es zu einem und demselben mehrere Begriffsbestimmungen gäbe. – In einigen (Fällen) verhält es sich nun in Wahrheit so, wie gesagt, in einigen (anderen) aber nicht, z. B. überall, wo nicht im eigentlichen Sinne auf beide Hinsichten hin ausgesagt wird, wie etwa bei »Heilkunst«: »macht Gesundheit und Krankheit«; auf das eine hin wird sie ja in ihrer eigenen Bedeutung ausgesagt, auf das andere hin nur nebenbei zutreffend; dem eigentlichen Sinne nach ist es der Heilkunst ja fremd, »Krankheit zu verursachen«. So daß denn also, wer es in beide Richtungen angibt, (die Sache) um nichts mehr bestimmt hat, als wer es nur in die eine tut, sondern vielleicht sogar schlechter, da ja doch von allen übrigen (Leuten) jeder beliebige ebenso gut in der Lage ist, Krankheit zu verursachen. [4] Weiter (wird gefehlt), wenn man nicht in Hinsicht aufs Bessere, sondern nach der geringeren Seite hin die Angabe gemacht hat, sofern es eben mehrere (Stufen) gibt, auf die hin das zu Bestimmende ausgesagt werden kann; jedes Wissen und Können will doch offenbar auf ein Bestes hinaus. [5] Und wieder: Ob das Gesagte etwa nicht in seine verwandte Gattung gesetzt ist, ist zu prüfen aus den Grundüberlegungen zu den Gattungen, wie ja früher vorgetragen ist.



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[6] Weiter (fehlt man), wenn man spricht, indem man Gattungen übergeht, z. B. (die Bestimmung) von »Gerechtigkeit« als » Haltung, die Gleichheit herstellt oder Gleiches austeilt«; wer so bestimmt, überspringt dabei »Tugend«. Indem er also die Gattung zu »Gerechtigkeit« ausläßt, sagt er nicht ihr »was sie sein sollte«; denn das, was es wesentlich ist, (folgt) für ein jedes mit seiner Gattung. Dieser (Fehler) ist der gleiche wie der, wenn man (den Gegenstand) nicht unter die nächste Gattung setzt; wer nämlich in die allernächste (Gattung) setzt, der hat alle darüber (angeordneten) schon mitgesagt, da ja doch alle weiter oben liegenden Gattungen von den weiter untenliegenden ausgesagt werden. Also ist entweder in die nächste Gattung zu setzen, oder man muß der höherstehenden Gattung alle die Unterschiede zusätzlich anfügen, durch welche die nächststehende Gattung bestimmt wird. So hat er dann ja wohl nichts ausgelassen, sondern hätte anstatt in Gestalt des bloßen Wortes in Form der Begriffserklärung die untergeordnete Gattung zum Ausdruck gebracht; wer ja »Pflanze« gesagt hat, sagt noch nicht »Baum«. Kapitel 6. [7] Und erneut ist bei den (artbildenden) Unterschieden entsprechend zu prüfen, ob er (der Gegner) auch die Unterschiede der Gattung (richtig und vollständig) ausgesagt hat. Hat er nämlich nicht mithilfe der dem Gegenstand eigentümlichen Unterschiede die Bestimmung gemacht, oder, hat er überhaupt etwas derartiges gesagt, was von nichts der Unterschied sein kann, z. B. »Lebewesen« oder »Ding, das es gibt«, so (ist) klar: Er hat überhaupt nicht den Begriff bestimmt; das Genannte ist ja Unterschied zu nichts. [8] Zu sehen ist auch darauf, ob es zu dem vorgetragenen Unterschied etwas gibt, das ihm gegenübergeordnet ist; gibt es das nämlich nicht, so (ist) klar: Der aufgeführte kann ein Unterschied (innerhalb) dieser Gattung wohl nicht sein; jede Gattung wird ja doch durch Unterschiede eingeteilt, die einander gegenübergeordnet sind, so wie »Lebewesen« durch »auf Land lebend« und »fliegend« und »im Wasser lebend«. Oder, wenn es einen gegenübergeordneten Unterschied zwar gibt, der aber von der Gattung nicht wahrheitsgemäß ausgesagt

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wird; klar doch, daß dann keiner der beiden wohl Unterschied der Gattung sein kann; alle gegenübergeordneten Unterschiede werden ja von der betreffenden Gattung wahrheitsgemäß ausgesagt. Entsprechend auch (ist zu betrachten), ob (dieser angegebene Unterschied) zwar wahrheitsgemäß ausgesagt wird, aber, dazugesetzt, in der Gattung keine Art bildet; klar doch, dies wäre dann kein artbildender Unterschied der Gattung; jeder artschaffende Unterschied macht doch, zusammen mit der Gattung, eine Art. Wenn dieser (gegenübergeordnete) aber tatsächlich kein Unterschied ist, dann auch der behauptete nicht, da er ihm doch gegenübergeordnet ist. [9] Weiter (wird dann gefehlt), wenn man die Gattung mittels Verneinung einteilt, so wie die, welche »Gerade« bestimmen als »breitenlose Länge«; das meint ja doch nichts anderes, als daß sie »Breite nicht hat«; dann stellt sich nämlich in der Folge heraus, daß die Gattung teilhätte an der Art: Jede Länge ist dann entweder breitenlos, oder sie hat Breitenerstreckung, wenn doch bei jedem (Gegenstand) entweder die Behauptung (von etwas) oder deren Verneinung wahrheitsgemäß ausgesagt wird; also auch die Gattung von »Gerade«, was »Längenerstreckung« ist, wird dann entweder »breitenlos« oder » Breitenerstreckung besitzend« sein. »Längenerstreckung ohne Breite« ist aber die Begriffserklärung der Art (davon); ebenso aber auch »Längenerstreckung, die Breite hat«. Denn »breitenlos« und »breitenerstreckt« sind ja Unterschiede; aus Unterschied und Gattung (besteht) die begriffserklärende Rede der Art, so daß also hier die Gattung die Begriffserklärung ihrer Art an sich nähme; entsprechend aber auch die des Unterschiedes, da doch der eine der genannten Unterschiede mit Notwendigkeit von der Gattung ausgesagt wird. Der vorgetragene Gesichtspunkt ist verwendbar gegenüber denen, die ansetzen, daß es Ideen gibt: Wenn es so etwas gibt wie »Länge selbst«, wie wird dann von der Gattung gesagt, daß sie »Breite habend« ist oder »breitenlos« ist? Es müßte ja doch von jeder Länge (nur) eins davon wahr sein, wenn es auch von der Gattung wahr ausgesagt sein soll. Das tritt aber nicht ein: es gibt Längen ohne und mit Breitenerstreckung. Also allein



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gegenüber denen ist dieser Gesichtspunkt verwendbar, die sagen, jede Gattung sei nur eine an Zahl; das tun aber eben die, welche Ideen setzen: »Länge selbst« und »Lebewesen an und für sich«, sagen sie, sind Gattung. Vielleicht ist es in einigen Fällen notwendig, daß man beim Begriffsbestimmen auch die Verneinung verwendet, z. B. in Fällen von Verlust: »blind« ist, »was Sehkraft nicht hat«, wo es sie von Natur doch besitzen sollte. – Es macht aber keinen Unterschied, mithilfe einer Verneinung die Gattung zu zerteilen oder mittels einer solchen Bejahung, der (dann doch) eine Verneinung gegenübergeordnet sein muß, z. B., wenn »Länge, die Breitenerstreckung hat« als Bestimmung gegeben ist; dem »was Breitenerstreckung hat« ist das »was Breitenerstreckung nicht hat« gegenübergeordnet, sonst aber nichts, sodaß denn also wieder durch Verneinung die Gattung zerlegt wird. [10] Und wieder (wird gefehlt), wenn er die Art anstelle des Unterschiedes angegeben hat, so wie die Leute (tun), die »Beschimpfung« als »Mißachtung in Verbindung mit Hohn« begriffsbestimmen; »Verhöhnung« ist ja eine Form von Mißachtung, also ist dieser »Hohn« hier nicht (artbildender) Unterschied, sondern (selbst) Art. [11] Weiter (liegt Fehler vor), wenn er die Gattung für den Unterschied ausgesagt hat, z. B. »Tugend« als »gute« oder »treffliche« Verhaltensweise; die Bestimmung »gut« ist doch die Gattung zu »Tugend«. – Oder ist »gut« doch nicht Gattung, sondern Unterschied, wenn doch wahr ist, daß es nicht geht, daß eines und dasselbe in zwei Gattungen steht, deren eine die andere nicht umfaßt? Weder schließt nämlich »gut« das »Verhalten« ein noch (umgekehrt) »Verhalten« das »gut«: nicht jedes Verhalten ist ein gutes, und nicht alles, was gut ist, ein Verhalten; somit können ja wohl nicht beide (hier) Gattungen sein. Wenn nun also »Verhalten« die Gattung zu »Tugend« (wäre), so (ist) klar: »gut« kann nicht Gattung sein, sondern (ist dann) eher Unterschied. Darüber hinaus gibt »Verhalten« an, was Tugend denn ist, »gut« dagegen (bezeichnet) nicht ein »was es ist«, sondern ein »wie beschaffen«; es scheint der Unterschied aber ein »so und so beschaffen« zu meinen.

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Darauf zu sehen ist auch, ob der angegebene Unterschied etwa nicht ein »so und so beschaffen«, sondern ein »dieses da« bezeichnet; es scheint doch jeder Unterschied ein »so und so beschaffen« zu bezeichnen. Zu prüfen ist auch, ob der Unterschied dem zu Bestimmenden (etwa nur) nebenbei zukommt. Kein (artbildender) Unterschied gehört in den Bereich dessen, was nur nebenbei zukommt, so ja auch die Gattung nicht; es kann ja nicht sein, daß dieser Unterschied an etwas einmal vorliegt, ein andermal nicht. [12] Weiter, wenn der Unterschied oder die Art oder irgendeine der Bestimmungen, die noch unterhalb der Art angeordnet sind, von der Gattung ausgesagt werden, dann ist das ja wohl keine Begriffsbestimmung; nichts von dem Aufgezählten kann doch von der Gattung ausgesagt werden, wenn denn die Gattung den weitesten Aussagebereich von allem hat. [13] Und wieder, wenn die Gattung von dem Unterschied ausgesagt wird; die Gattung wird ja doch offenbar nicht von dem unterscheidenden Merkmal, sondern von den (Bestimmungen), deren Unterschied dies ist, ausgesagt, z. B. »Lebewesen« von »Mensch«, »Rind« und den übrigen landbewohnenden Lebewesen, nicht von dem Unterscheidungsmerkmal selbst, das von der Art ausgesagt wird. Wenn nämlich von jedem der unterscheidenden Merkmale das »Lebewesen« ausgesagt werden sollte, dann würden ja viele »Lebewesen« von der (jeweiligen) Art ausgesagt; denn die Unterscheidungsmerkmale werden doch von der Art ausgesagt. Darüber hinaus werden auch alle Unterscheidungsmerkmale entweder Arten oder Einzeldinge sein, wenn doch »Lebewesen« (von ihnen allen ausgesagt wird). Jedes unter den Lebewesen ist doch entweder Art oder Einzelwesen. [14] Entsprechend ist auch zu prüfen, ob die Art oder etwas von dem, was unterhalb der Art (steht), von dem Unterschied ausgesagt wird; das geht nämlich nicht, da doch die (Angabe der) Unterscheidung einen weiteren Aussagebereich hat als die Arten. Außerdem würde sich dann ergeben, daß der Unterschied Art ist, wenn doch eine der Arten von ihm ausgesagt



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würde; wenn (z. B.) »Mensch« (von ihm) ausgesagt würde, so (ist) klar: Der Unterschied ist »Mensch«. [15] Und aufs neue (ist zu beachten), ob etwa das Unterscheidungsmerkmal der Art nicht vorgeordnet ist; (das wäre falsch), denn das Unterscheidungsmerkmal muß der Gattung nach-, der Art aber vorgeordnet sein. [16] Zu prüfen ist auch, ob das genannte Unterscheidungsmerkmal etwa das einer anderen Gattung ist, die nicht (von der angegebenen) umfaßt wird noch sie einschließt; offenkundig ist ja nicht ein und dasselbe Unterscheidungsmerkmal zwei Gattungen zugeordnet, die unter einander kein Einschließungsverhältnis haben. Andernfalls würde ja eintreten, daß auch eine und dieselbe Art in zwei Gattungen stünde, die kein solches wechselseitiges Einschließungsverhältnis haben. Jedes der Unterscheidungsmerkmale bringt doch seine ihm eigene Gattung mit sich, wie etwa das »zu Lande lebend« und »zweifüßig« (die Gattung) »Lebewesen« mit sich führt; also, wovon die Unterscheidung (ausgesagt wird), davon auch eine jede der beiden Gattungen; klar nun also: Die Art (stünde dann) in zwei Gattungen, die kein wechselseitiges Verhältnis der Einschließung haben. – Oder ist es doch nicht unmöglich, daß dasselbe Unterscheidungsmerkmal das zweier Gattungen ist, deren eine nicht die andere einschließt, sondern man müßte noch hin zusetzen: »die auch beide nicht unter der gleichen (höheren Gattung) stehen«? »Landbegehendes Lebewesen« und »geflügeltes Lebewesen« sind doch Gattungen, deren eine die andere nicht umfaßt, und doch ist »zweifüßig« Unterscheidungsmerkmal in beiden von ihnen. Daher wäre hinzuzusetzen: »die auch beide nicht unter der gleichen (Gattung) stehen«; denn diese beiden stehen ja unter (einer, nämlich) »Lebewesen«. Klar ist auch: Es ist nicht notwendig, daß das Unterscheidungsmerkmal jede verwandte Gattung mit sich führen muß, wenn es denn sein kann, daß eines und dasselbe zu zwei Gattungen gehört, deren eine die andere nicht umfaßt, sondern es ist nur notwendig, daß es die eine davon mit sich führt und alle anderen, die oberhalb dieser (stehen), so wie etwa »zweifüßig«, »geflügelt«, »auf Land lebend« das »Lebewesen« mit sich führen.

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[17] Zu schauen ist auch darauf, ob er (der Gegner) das »in etwas (sein)« als Unterscheidungsmerkmal dessen, was es ist, angegeben hat; es unterscheidet sich doch offensichtlich ein Wesen nicht dadurch vom anderen, daß es da oder dort ist. Daher macht man ja auch jenen, die »Lebewesen« einteilen in »auf Land« und »im Wasser«, den Vorwurf, daß dies »auf Land« und »im Wasser« ein »da und dort« bezeichne. – Oder tadelt man etwa in diesem Punkte nicht zu recht? Das »im Wasser (lebend)« meint doch nicht »in dem und dem« oder »da und da«, sondern ein »so und so beschaffen«. Auch wenn es sich einmal auf dem Trockenen befinden sollte, bleibt (ein Wassertier) ebenso ein Wassertier, wie (umgekehrt) ein Landtier, auch wenn es im Naß sein sollte, doch ein Landtier, und nicht ein Wassertier sein wird. Trotz alledem, wenn einmal die Unterscheidung ein »darin« meinen sollte, so ist klar, daß er gefehlt hat. [18] Und wieder (ist es gefehlt), wenn er etwas, das (der Gegenstand) nur erfährt, als sein Unterscheidungsmerkmal angegeben hat; alles, was (einem Gegenstande) so widerfährt, bringt ihn ja, wenn es sich steigert, aus dem heraus, was er war, das Unterscheidungsmerkmal ist nicht von der Art; eher (umgekehrt), das unterscheidende Merkmal scheint ja das zu erhalten, dessen Merkmal es ist, und es scheint ein jedes schlechterdings nicht (das) sein zu können (was es ist) ohne sein eigenes unterscheidendes Merkmal: Ist es (z. B.) nicht »zu Lande lebend«, so wird es auch nicht »Mensch« sein. Einfach gesagt, über welche (Einwirkungen) das, was sie erhält, eine Veränderung seiner Eigenschaften erfährt, nichts davon ist dessen Unterscheidungsmerkmal; alles dergleichen, gesteigert, bringt es ja aus dem heraus, was es ist. Wenn er also irgendeinen derartigen Unterschied angegeben hat, so hat er gefehlt: wir erfahren ganz einfach über die Unterscheidungsmerkmale keine Eigenschaftsveränderung. [19] Und: Wenn er von etwas, (das zu den) »im Verhältnis zu ...« (gehört), den Unterschied nicht »im Verhältnis zu einem anderen« angegeben hat, (ist das auch falsch); von den Gegenständen »im Verhältnis zu ...« sind auch die Unterschiede »im



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Verhältnis zu ...«, wie bei »Wissen«: Es wird als »anschauend«, »handlungsanleitend« und »herstellend« ausgesagt; jede dieser (Bestimmungen) meint ein »im Verhältnis zu ...«: Etwas anschauend, etwas verfertigend, zu etwas anleitend. [20] Darauf zu schauen ist auch, ob der Bestimmende ein jedes, das da »im Verhältnis zu ...« ist, im Verhältnis zu dem angibt, auf was es eben von Natur bezogen ist. Einiges ist nämlich nur im Verhältnis zu dem zu verwenden, worauf es eben von Natur bezogen ist, im Verhältnis zu anderem aber keinesfalls; bei anderem (geht es) auch im Verhältnis zu anderem, z. B.: »Sehkraft« (ist) allein zum Sehen (da), mit einem Schaber könnte jemand auch (etwas) schöpfen; trotzdem, wollte jemand (die Bestimmung) »Schaber« festlegen als »Werkzeug zum Schöpfen«, so hat der sich geirrt: zu dem Zwecke ist er nicht geschaffen. Die Begriffsbestimmung von »wozu geschaffen« ist: »Zu welchem Zwecke es ein vernünftiger Mensch, insofern er eben dies – vernünftig – ist, brauchen würde«, und das für ein jedes (Ding) einschlägige Wissen (ebenso). [21] Oder: Wenn man die Angabe nicht bezogen auf den Gegenstand, an dem sie unmittelbar vorliegt, gemacht hat, (ist das zumindest mißverständlich), wenn sie auf mehrere (Gegenstände) hin ausgesagt werden kann, z. B.: »Einsicht« sei eine Tugend »des Menschen«, oder (näher) »der Seele«, aber nicht (wie es eigentlich sein müßte) »des Denkvermögens«; unmittelbar ist ja Einsicht eine Tugend des Denkvermögens, darüber erst vermittelt sagt man auch von »Seele« und »Mensch«, sie seien einsichtig. [22] Weiter, wenn das, wovon die bestimmte Einwirkung, oder der Zustand, oder wie auch immer, ausgesagt ist, dies gar nicht an sich nehmen kann, so hat er gefehlt. Jeder Zustand und jede Einwirkung tritt ja doch naturgegeben an dem (Gegenstand) auf, dessen Zustand oder erfahrene Einwirkung es eben ist, so wie etwa »Wissen« (auftritt) an »Seele«, da es doch eine bestimmte Seelenverfassung ist. Gelegentlich aber machen Leute in derlei Dingen Fehler, z. B., die da sagen: »Schlaf« ist »Unfähigkeit der Sinneswahrnehmung«, und: »Ausweglosigkeit« ist »gleiche Stärke einander entgegenge-

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setzter Erwägungen«, und: »Schmerz« ist »Spaltung der von Natur zusammengehörigen Teile unter Gewalteinwirkung«; denn weder liegt »Schlaf« an »Wahrnehmungsvermögen« vor – müßte es aber doch, wenn er eine »Unfähigkeit der Sinneswahrnehmung« ist; entsprechend liegt auch die Ausweglosigkeit nicht an den entgegengesetzten Erwägungen vor und auch der Schmerz nicht an den zusammen aufgewachsenen Teilen; denn dann müßten ja auch leblose (Dinge) Schmerz empfinden, wenn Schmerz (auf diese Weise) zu ihnen treten könnte. Derart ist auch die Begriffsbestimmung von »Gesundheit«, wenn sie denn »angemessenes Verhältnis des Warmen und Kalten« sein soll; dann wäre ja notwendig, daß Warmes und Kaltes »gesund sind«! Das »Ebenmaß« an einem jeden (Ding) liegt doch an den (Bestandteilen) vor, deren angemessenes Verhältnis es ist, also müßte »Gesundheit« an diesen (warmen und kalten Bestandteilen) vorliegen. [23] Darüberhinaus geschieht es denen, die so die Begriffsbestimmung machen, daß sie das Bewirkte anstelle des Bewirkenden – und umgekehrt – setzen: Die »Spaltung der naturzusammengehörigen Teile« ist nicht Schmerz, sondern »Schmerz hervorrufend«; und die »Unfähigkeit der Sinneswahrnehmung« ist nicht »Schlaf«, sondern das eine ist hier Bewirker des anderen: Entweder fallen wir infolge dieses Unvermögens in Schlaf, oder infolge des Schlafes sind wir dazu nicht imstande. Entsprechend auch scheint das »Gleichgewicht entgegengesetzter Erwägungen« ja wohl ein Hervorbringer von »Ausweglosigkeit« zu sein: Wenn wir unsere Überlegungen in beide Richtungen gehen lassen und es uns vorkommt, daß alles nach beiden Seiten hin mit gleicher Richtigkeit abläuft, dann sind wir im Zweifel, welches von beiden wir denn tun sollen. [24] Weiterhin ist auf alle Zeit(ausdrücke) die Aufmerksamkeit zu richten, ob es da irgendwo Mißklang gibt, z. B., wenn jemand das »Unsterbliche« (damit) bestimmen wollte, »Lebewesen, unvergänglich zu diesem Zeitpunkt« zu sein; denn ein »zum gegenwärtigen Zeitpunkt unvergängliches Lebewesen« wird (auch nur) »zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsterblich« sein. – Oder tritt das in dem Falle etwa nicht



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ein? »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt unvergänglich sein« ist ja mehrdeutig: Entweder meint es doch: »ist bis jetzt nicht untergegangen«, oder: »ist von der Art, gegenwärtig nicht untergehen zu können«, oder: »ist gegenwärtig von der Art, niemals unterzugehen«. Wenn wir nun also sagen, es ist »zum gegenwärtigen Zeitpunkt unvergängliches Lebewesen«, so meinen wir dies: »ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Lebewesen der Art, nie untergehen zu können«; das aber war das gleiche wie »unsterblich«, mithin tritt nicht ein: »es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsterblich«. Trotz alledem, wenn sich ergibt, daß das in der begriffserklärenden Rede Angegebene »gegenwärtig« oder »früher einmal« vorliegt (oder vorgelegen hat), das unter der Wortbezeichnung (der Sache) Verstandene aber nicht (in dieser eingeschränkten Weise), so ist das ja wohl nicht dasselbe. – Man muß diesen Gesichtspunkt also so verwenden, wie vorgetragen ist. Kapitel 7. [25] Zu prüfen ist auch, ob das bestimmte (Ding) mittels einer anderen begriffserklärenden Rede eher zum Ausdruck kommt als über die angegebene, z. B. für den Fall: »Gerechtigkeit ist die Fähigkeit, das Gleiche zuteilen zu können«. »Gerecht« ist doch in höherem Maße einer, der es sich zum festen Vorsatz gemacht hat, je das Gleiche auszuteilen, als der, welcher das tun kann (aber eben auch bleiben lassen kann); somit wäre also Gerechtigkeit nicht ein solches »Können«, das je Gleiche auszuteilen; (andernfalls) wäre ja auch »gerecht im Höchstmaß« einer, der »am allermeisten vermag, das je Gleiche zu verteilen«. [26] Weiter, wenn der Gegenstand ein »mehr« an sich nimmt, das in der begriffserklärenden Rede Angegebene das aber nicht tut, oder umgekehrt, das in der Begriffserklärung Angegebene nimmt es an sich, die (damit beschriebene) Sache aber nicht, (dann ist das falsch); denn entweder muß beides das an sich nehmen oder keins von beiden, wenn denn doch das in der begriffserklärenden Rede Angegebene dasselbe sein soll wie der Sachverhalt. [27] Weiter, wenn zwar beide das »mehr« an sich nehmen, aber nicht gleichzeitig beide die Zunahme erfahren, z. B. in

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dem Falle: »Liebe ist Verlangen nach Beischlaf«; einer, der »heftiger liebt«, hat ja kein »heftigeres Verlangen« nach Beischlaf; also nimmt beides die Steigerung nicht zugleich an, müßte aber doch sein, wenn sie dasselbe wären. [28] Weiter, für den Fall, daß zwei (Bestimmungen) in Rede stehen: Wenn dann von dem, wovon der Sachverhalt in stärkerem Maße ausgesagt wird, das mittels der Begriffserklärung (Angegebene) weniger gilt, (so ist das falsch), z. B. für den Fall: »Feuer ist der feinstteilige Körper«; »Feuer« ist nämlich in höherem Maße die offene Flamme als der (dabei entstehende) Feuerschein, »feinstteiliger Körper« dagegen ist »Flamme« weniger als »Licht«; es müßte aber doch beides dem gleichen in stärkerem Maße zukommen, wenn es dasselbe wäre. [29] Und nochmals, wenn zwar das eine davon beiden vorgenommenen (Bestimmungen) in gleichem Maße zukommt, das andere aber nicht beiden in gleichem Maße, sondern dem einen davon mehr (als dem anderen, dann ist das auch falsch). [30] Weiter, wenn er (der Gegner) die Begriffsbestimmung (von etwas) auf zwei (Herleitungen) hinaus nach jeder von beiden angibt, (ist das falsch), z. B.: »schön« (ist) »das übers Auge oder übers Ohr eingehende Angenehme«, und: »seiend« (ist) »was Einwirkungen erfahren oder solche verursachen kann«; danach würde ja eines und dasselbe zugleich schön und nicht schön sein, ebenso auch seiend und nicht seiend: Das »übers Ohr eingehende Angenehme« wird dasselbe sein wie »schön«, folglich das »nicht übers Ohr eingehende Angenehme« dasselbe wie »nicht schön«; Bestimmungen, die dasselbe bedeuten, haben ebensolche zu ihrem Gegensatz; nun ist dem »schön« das »nicht schön« entgegengesetzt, dem »übers Ohr eingehenden Angenehmen« das »übers Ohr eingehende nicht Angenehme«; klar nun also: Das gleiche ist »nicht angenehm übers Ohr eingehend« mit »nicht schön«. Wenn nun also etwas zwar »angenehm fürs Auge«, aber »nicht angenehm fürs Ohr« ist, so wird es dann sowohl »schön« als auch »nicht schön« sein. Ebenso können wir dann auch zeigen, daß »seiend« und »nicht seiend« das gleiche ist.



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[31] Ferner soll man, indem man von Gattungen, (artbildenden) Unterschieden und allem anderen, was in Begriffsbestimmungen noch so angegeben wird, anstelle der Wortbezeichnung einmal die jeweilige begriffserklärende Rede bildet, dann prüfen, ob etwa etwas nicht übereinstimmt. Kapitel 8. [32] Wenn das zu Bestimmende ein »im Verhältnis zu ...« ist, entweder in seiner eigenen Bedeutung oder über seine Gattung, so ist zu prüfen, ob etwa in der Begriffsbestimmung nicht ausgesagt ist, im Verhältnis wozu es ausgesagt wird, entweder es selbst oder über seine Gattung, z. B., wenn man »Wissen« bestimmt haben sollte als »unumstößliche Annahme« oder »Wunsch« als »schmerzloses Begehren«: alles, was »im Verhältnis zu ...« ist, hat sein Sein nur auf anderes hin, da doch für ein jedes dieser »im Verhältnis zu ...« das »etwas sein« dasselbe ist wie »sich so und so zu etwas verhalten«. Man hätte also gesagt haben müssen: »Wissen ist Aufnahme von etwas, das gewußt werden kann«, und: »Wunsch ist Begehren nach etwas Gutem«. Ebenso auch, wenn man die Schreibkunst bestimmt hätte als »Wissen vom geschriebenen Wort«, (so reicht das nicht); es hätte nämlich in der Begriffsbestimmung angegeben werden müssen entweder, woraufhin dies selbst, oder woraufhin seine Gattung ausgesagt wird. [33] Oder (es ist auch darauf zu achten), ob ein »im Verhältnis zu ...« Ausgesagtes etwa nicht auf sein Ziel hin angegeben ist; »Ziel und Zweck« ist doch an einem jeden sein »Bestes«, oder das, »um dessentwillen das übrige« (stattfindet). Anzugeben ist also entweder dies Beste oder das Letzte (in der Entwicklungsreihe), z. B., »Begehrlichkeit« ist nicht nach Lustbringendem, sondern nach Lust; um dieser willen greifen wir doch nach Lustvollem. [34] Darauf zu achten ist auch, ob das, woraufhin er die Angabe gemacht hat, ein Werdevorgang ist oder ein (noch) Tätigsein; nichts dergleichen ist ein Endzustand; eher ist ja doch »Tätiggewesensein« und »Gewordensein« ein Ende als »werden« und »wirken«. – Oder ist solches nicht in allen Fällen richtig? So ziemlich die meisten wollen doch lieber Lust gerade empfinden als die Lustempfindung gerade zu Ende gebracht

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haben, daher sie denn das gegenwärtige Wirken mehr zum Ziele machten als das Gewirkthaben. [35] Und erneut, in einigen Fällen (muß man darauf achten), ob er etwa nicht genau bestimmt hat das »um wieviel«« oder »nach was für ...« oder »woraufhin«, oder (was) nach den übrigen Unterscheidungen (so geht), z. B. »ehrgeizig«: Nach was für Ehre und nach wieviel davon ist er begehrlich? Alle (Leute) streben doch nach Anerkennung, daher reicht es eben nicht, »ehrgeizig« den zu nennen, »der nach Ehre begierig ist«, sondern man muß die genannten Unterschiede dazusetzen. Ebenso auch »geldgierig«: Nach wieviel an Geld begehrt er doch? Oder »unbeherrscht«: In was für einer Art von Lust ist er es? »Unbeherrscht« wird ja doch nicht jeder genannt, der welcher Lust auch immer unterliegt, sondern nur infolge einer ganz bestimmten. Oder erneut, wie man so »Nacht« bestimmt als »Schatten der Erde«, oder »Erdbeben« als »Bewegung der Erde«, oder »Wolke« als »Verdichtung der Luft«, oder »Wind« als »Bewegung von Luft«, (so reicht das nicht); man muß da nämlich hinzusetzen: »von wieviel ...«, »von was für ...«, »von wo nach wo« und »infolge wovon«. Ebenso auch bei allem anderen derart: Wer irgendeine (notwendige) Unterscheidung, welche auch immer, ausläßt, sagt nicht das »was es sein sollte«. Man muß den Angriff immer auf die Stelle machen, wo etwas mangelhaft ist: Nicht bei jeder beliebigen Erdbewegung und auch nicht bei jedem bißchen davon ist es gleich ein Erdbeben, entsprechend nicht bei jeder beliebigen Luftbewegung und auch bei jeder Menge davon (ist es gleich) ein Wind. [36] Weiter, bei Begehrlichkeiten (ist darauf zu achten), ob etwa das »anscheinend« nicht hinzugesetzt ist, und bei allem anderen, wo das sonst noch passend hingehört, z. B.: »Wunsch (ist) Begierde nach Gutem«, oder: »Begier (ist) Streben nach Lustvollem«, und nicht: »nach dem, was als gut oder lustvoll erscheint«. Oft bleibt ja denen, die nach etwas begehren, verborgen, was denn wirklich gut oder lustbringend ist, daher ist es gar nicht notwendig, daß das gut oder lustbringend ist, sondern es muß nur so erscheinen. So müßte man nun also auch



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die Angabe machen. – Wenn man aber das Genannte auch zusätzlich angibt, so muß einer, der ansetzt, daß es »Ideen« gibt, das dann auch auf diese »Formen« anwenden, (und das bringt Schwierigkeiten): Es gibt nämlich keine Idee von etwas, das nur scheinbar so ist, die (eine) »Form« wird offenbar im Verhältnis zur (anderen) Form ausgesagt, z. B.: »Begehrlichkeit an sich« nach »lustvoll an sich«, und »Wunsch selbst« nach »Gutem selbst«. Das wird also nun nicht gehen auf »was als gut erscheint« und »offensichtlich lustvoll«; es wäre ja sinnlos, sollte es ein »anscheinend Gutes oder Lustvolles an sich selbst« geben! Kapitel 9. [37] Weiter, wenn es Begriffsbestimmung von etwas ist, das man »haben« kann, so ist das Augenmerk auch auf den zu richten, der das hat, wenn aber (umgekehrt sie) auf einen »Inhaber« (sich bezieht), so auch auf das, was da innegehabt wird; entsprechend auch bei allem anderen derart, z. B., ist »angenehm« das »was zuträglich ist«, so ist auch »der diese Annehmlichkeit empfindet« einer, »dem dies Zuträgliche zugute kommt«. Allgemein gesprochen, bei derartigen Begriffsbestimmungen ergibt es sich gewissermaßen nebenbei, daß der Bestimmende mehr als eine Bestimmung trifft. Wer etwa »Wissen« bestimmt, bestimmt nebenbei irgendwie auch »nicht wissen« mit, entsprechend auch »wissend« und »unwissend« und (die Tatsache, etwas) »zu wissen« und »nicht zu wissen«; ist nämlich das erste (Stück dieser Reihe) klargeworden, werden auf bestimmte Weise auch die übrigen klar. Zu prüfen ist nun bei alledem, ob da nicht etwas widerstreitet, indem man die Grundsätze heranzieht, (die) »aus Gegenteiligem« und »aus gemeinsamen Reihen« (abgezogen sind). [38] Weiterhin ist bei den (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« (dies) zu prüfen: Wenn die Gattung im Verhältnis auf etwas hin angegeben wird, wird dann auch die (darunter fallende) Art auf etwas Bestimmtes hin angegeben, das unter die entsprechende Gattung fällt? Z. B.: Wenn »Annahme« auf »Anzunehmendes« hin (bezogen ist), so »diese bestimmte Annahme« auf »dies bestimmte Anzunehmende« hin, und wenn »Vielfaches« auf »Bruchteil«, so auch dies »So-und-so-

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Vielfache« auf »diesen bestimmten Bruchteil«. Ist es nämlich nicht so angegeben, so klar: Das ist gefehlt. [39] Zu beachten ist auch, ob von Entgegengesetztem das entgegengesetzte Begriffsverhältnis (angegeben ist), z. B. von »halb« das entgegengesetzte mit »doppelt«; ist doch »zweifach« das, was (ein anderes) um die gleiche (Größe) übertrifft (wie dies selbst hat), so ist (entsprechend) »halb«, was (von einem anderen) um den gleichen (Betrag, den es selbst hat), übertroffen wird. [40] Und bei den gegenüberliegenden (Bestimmungen) genauso: Von Gegenüberliegendem wird es der gegenüberliegende Begriff sein gemäß einer einzigen, ganz bestimmten Verknüpfung dieser Gegenteile, z. B.: Ist »nützlich« das, »was Gutes bewirkt«, »schädlich« »was Schlimmes bewirkt« oder »was Gutes verdirbt«; eins der beiden muß ja notwendig dem anfangs Gesagten gegenüberstehen. Ist nun keins der beiden zum anfangs Gesagten gegenteilig, so (ist) klar: Keins der beiden später Angegebenen ist der Begriff des Gegenteils, also war dann auch die anfangs wiedergegebene (begriffserklärende Rede) nicht richtig angegeben. [41] Da nun aber einige dieser gegenteiligen (Bestimmungen) über Verlust der je anderen ausgesagt werden, z. B.: »Ungleichheit« ist offenbar »Verlust von Gleichheit« – denn was nicht gleich ist, wird als »ungleich« ausgesagt –, so ist klar: Einerseits ist zwar notwendig, ein solches »über Verlust« ausgesagtes Gegenteil mittels der anderen (Bestimmung dazu) festzulegen, andererseits aber das restliche nicht mehr mittels des über Verlust Ausgesagten; sonst ergäbe sich ja, daß jedes von beiden durch je das andere erkannt würde. Es ist also nun bei diesen gegenteiligen (Bestimmungen) auf solche (mögliche) Fehlerquelle zu achten, z. B., wenn jemand festlegen wollte: »Gleichheit ist das Gegenteil zu Ungleichheit«; dann wird sie ja durch etwas in ihrem Begriff bestimmt sein, was nur »über Verlust« ausgesagt ist. Darüber hinaus muß einer, der die Bestimmung so macht, notwendig das zu Bestimmende selbst verwenden; das (wird) klar, wenn anstelle des Wortes dafür die begriffserklärende Rede genommen wird: Es macht



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gar keinen Unterschied, »Ungleichheit« gesagt zu haben oder »Verlust von Gleichheit«. Dann wird nun also »Gleichheit« das Gegenteil sein zu »Verlust von Gleichheit«, mithin hat er die Bestimmung selbst ja mitbenutzt. [42] Wenn dagegen keins der beiden Gegenteile über Verlust ausgesagt wird und die Begriffserklärung entsprechend angegeben ist, z. B.: »gut ist das Gegenteil zu schlecht«, so (ist) klar: »schlecht« wird das Gegenteil zu »gut« sein. Von den (Bestimmungen), die in der Weise (einander) gegenüberliegen, ist die Begriffserklärung entsprechend anzugeben; mithin tritt erneut ein, das zu Bestimmende selbst (beim Bestimmen) zu verwenden, denn in der Begriffserklärung von »schlecht« liegt »gut« mit vor. Also, wenn »gut« das Gegenteil zu »schlecht« ist, »schlecht« dagegen sich in nichts unterscheidet von »Gegenteil zu gut«, so wäre dann »gut«: »Gegenteil vom Gegenteil zu ›gut‹«! Klar also, er hat es selbst mitverwendet. [43] Weiter, wenn er (der Gegner) etwas nach Verlust Ausgesagtes angibt und dabei nicht angegeben hat, um wessen Verlust es sich dabei handelt, (so ist das falsch), z. B. dessen, das es doch hatte, oder des Gegenteils (dazu), oder wovon auch immer es ein Verlust war; und wenn er nicht hinzugesetzt hat, woran es doch von Natur hätte auftreten müssen, entweder einfach so ohne Zusatz, oder woran als unmittelbar Erstem es von Natur hätte auftreten müssen, z. B.: Hat er »Unwissenheit« als »Verlust« bezeichnet, hat aber nicht »Verlust von Wissen« gesagt, oder hat nicht hinzugesetzt, woran dies von Natur doch hätte vorkommen sollen, oder hat zwar einen Zusatz gemacht, aber nicht angegeben, woran als unmittelbar Erstem (dies vorkommen müßte), z. B. nicht: »an dem denkfähigen (Seelenvermögen)«, sondern »am Menschen« oder »an der Seele« -: wenn er irgendetwas davon nicht getan hat, so hat er gefehlt. Genauso auch, wenn er »Blindheit« nicht als »Verlust der Sehfähigkeit im Auge« ausgesagt hat. Es muß doch, wer da sauber die Angabe machen will, (erstens) das »was ist es« angeben, (zweitens) wessen Verlust es ist, und (drittens), was das ist, das da den Verlust erlitten hat.

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[44] Darauf zu sehen ist auch, ob er die Begriffsbestimmung von etwas, was nicht über Verlust ausgesagt wird, mittels einer Verlust(angabe) gemacht hat, z. B. scheint ja wohl auch bei »Unkenntnis« dieser Fehler vorzuliegen, (jedenfalls) bei Leuten, die die Unkenntnis nicht über eine Verneinung aussagen: was nämlich (noch) gar kein Wissen hat, ist offenbar nicht »in Unkenntnis«, sondern (das gilt) eher für jemanden, der hinters Licht geführt worden ist; daher sagen wir ja auch nicht von leblosen Dingen und auch von Kindern nicht, sie seien »in Unkenntnis«. Also wird »Unkenntnis« nicht mittels »Verlust von Wissen« ausgesagt. Kapitel 10. [45] Weiter, bei den entsprechenden Formveränderungen des Wortes passen die entsprechenden Formveränderungen auf seiten der begriffserklärenden Rede, z. B.: Wenn das, »was Gesundheit herstellt«, das ist, »was Nutzen bringt«, so auch »Gesundheit herstellend« »nutzbringend«, und »was Gesundheit hergestellt hat«, »hat Nutzen gebracht«. [46] Die Prüfung ist auch in Richtung »Idee« zu machen, ob die vorgetragene Begriffsbestimmung dazu paßt. In einigen Fällen tritt das nämlich nicht ein, z. B. wie Platon die Bestimmung macht, indem er zu den Begriffsbestimmungen der Lebewesen (immer) »sterblich« hinzusetzt; die Idee kann doch gar nicht sterblich sein, z. B. »Mensch selbst«; also paßt die begriffserklärende Rede nicht zur Idee. Vereinfacht gesprochen, (Bestimmungen), bei denen das »bewirkend« oder »erleidend« zusätzlich steht, müssen mit ihrer Begriffsbestimmung zu den Ideen in Mißklang geraten; für die, die da sagen, daß es so etwas wie Ideen gibt, sind diese Ideen ja offenbar ohne äußere Einwirkung und veränderungslos; denen gegenüber sind also derartige Erwägungen verwendbar. [47] Weiter, wenn er im Falle mehrerer Vorstellungen, die durch eine gemeinsame Wortbezeichnung angesprochen sind, nur eine einzige, für alle gemeinsam geltensollende Begriffserklärung angegeben hat, (so ist das falsch); denn Dinge, bei denen die Begriffserklärung unter Anleitung der Wortbedeutung eine einzige ist, sind »ähnlich-bezeichnet«; also (trifft) die angegebene Begriffsbestimmung keines der unter dem



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Namen aufgeführten Dinge, wenn sie denn gleichermaßen auf alles unter diesem gleichen Namen Bezeichnete passen soll. So ist es auch der Begriffsbestimmung von »Leben« des Dionysios ergangen, wenn es denn sein soll: »verändernde Entwicklung nahrungsabhängiger Gattung, mit ihr geboren und sie begleitend«; nichts davon trifft auf Tiere in höherem Maße zu als auf Pflanzen. »Leben« aber wird offenbar nicht auf eine Art hin aus gesagt, sondern es scheint eine Form davon bei den Tieren, eine andere bei den Pflanzen vorzuliegen. Es geht ja nun auch, mit willentlichem Vorsatz die Begriffsbestimmung so wiederzugeben, als ob alle Wortbedeutungen auf eins hinausliefen und alles, was Leben ist, auf eine einzige Form hin ausgesagt würde; es hindert aber nichts, daß auch einem, der die verschiedenen Bedeutungen dieses gleichen Wortes durchaus sieht und nur die Begriffsbestimmung der einen davon angeben will, doch verborgen bleibt, daß er nicht eine eigentümliche, sondern eine beiden gemeinsame Begriffserklärung angibt. Aber einerlei, wie auch immer er es hier gemacht hat, er hat genauso gefehlt. Da einige dieser verschiedenen Bedeutungen unter einem Wort verborgen sind, so muß man das beim Fragenstellen so verwenden, als liefe das alles auf eine Bedeutung hinaus – dann wird nämlich die Begriffsbestimmung des einen nicht auf das andere passen, somit wird der Eindruck erweckt: Er hat nicht regelrecht begriffsbestimmt; denn, was auf gemeinsame Bedeutung hinausläuft, muß doch über alles zusammenpassen –, ist man dagegen selbst in der Lage, antworten zu müssen, so muß man das auseinandernehmen. Da nun aber einige unter denen, die Antwort stehen müssen, (je und je) behaupten, das auf gleiche Bedeutung Hinauslaufende sei ein Name mit mehreren Bedeutungen, nämlich dann, wenn die angegebene Begriffserklärung nicht auf alles passen will, und (umgekehrt behaupten sie), das »Gleichnamige« sei ein »Gemeinsam-Namiges«, dann nämlich, wenn sie auf beides paßt: so muß man vorher Übereinstimmung darüber treffen oder vorher durch Schlüsse herbeiführen, daß es nun entweder ein Wort mit mehreren Bedeutungen ist oder

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daß hier mehrere Worte auf gleiche Bedeutung hinauslaufen, einerlei, was es denn nun ist; denn wer da noch nicht voraussieht, was sich ergeben wird, macht eher Zugeständnisse. Wenn aber keine solche Übereinkunft getroffen ist und einer jetzt sagt, etwas, das auf gleiche Bedeutung hinausläuft, sei (in Wirklichkeit) ein Wort mit mehreren Bedeutungen, weil die angegebene Begriffserklärung nicht auch in diesem Falle paßt, so ist zu prüfen, ob die Begriffserklärung davon (etwa umgekehrt) auf alles übrige paßt; klar dann, es läuft mit dem übrigen auf eine Bedeutung hinaus. Andernfalls würde es mehrere Begriffsbestimmungen der übrigen (Beteiligten) geben; zwei entlang der Wortbedeutung (gegebene) Begriffserklärungen werden dann darauf passen, die zuvor abgegebene und die spätere. [48] Und erneut, wenn einer so ein Wort, das in vielfacher Bedeutung ausgesagt wird, seinem Begriffe nach bestimmt hat, und wenn dann die begriffserklärende Rede nicht auf alles paßt, wenn er dann zwar nicht sagte: Dies ist ein Wort mit mehreren Bedeutungen, aber bestritte, daß das Wort auf alles paßt, weil (es) die Begriffserklärung doch auch nicht (tue), so ist so einem Mann gegenüber zu sagen: Die überlieferte und geläufige Namensgebung ist zu benutzen, und man soll das nicht ändern; einiges aber soll man nicht so aussagen wie die vielen Leute. Kapitel 11. [49] Wenn Begriffsbestimmung von etwas angegeben wird, das zu verknüpften (Vorstellungen oder Ausdrücken) gehört, so ist zu prüfen, ob, nachdem die begriffserklärende Rede des einen Stücks dieser Zusammensetzung fortgenommen ist, auch der Rest zum Rest noch stimmt; falls nämlich nicht, so (ist) klar: Auch die ganze (Bestimmung) zum ganzen (zu Bestimmenden) nicht, z. B.: Wenn jemand »gerade Strecke« bestimmen sollte als »Grenze einer Fläche, die Grenzen hat, deren Mitte die jeweiligen Enden verdeckt«, und wenn dann von »Strecke« die Begriffserklärung ist »Grenze einer Fläche, die Grenzen hat«, so müßte von »gerade« der Rest (der Begriffsbestimmung) sein: »dessen Mitte die Enden verdeckt«. Aber die Gerade hat, als endlos, ja weder Mitte



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noch Endpunkte und ist doch gerade; also ist hier nicht der verbleibende Rest (die Begriffsbestimmung) des Restes. (Also auch nicht das Ganze zum Ganzen.) [50] Weiter (ist zu prüfen): Wenn das zu Bestimmende zusammengesetzt ist, ist dann auch die begriffserklärende Rede gleichgliedrig zu dem zu Bestimmenden angegeben? »Gleichgliedrig« soll dabei eine Begriffserklärung sein, wenn, so viele (an Zahl) die Bestandsstücke sind, genau so viele Namensbezeichnungen und Tätigkeitsaussagen in der begriffserklärenden Rede sich finden. Es muß ja notwendig dabei eine Umwandlung der Namensbezeichnungen vor sich gehen, entweder aller oder einiger, da doch ja jetzt nicht ein einziges Wort mehr ausgesprochen ist als vorher. Es muß aber einer, der da Bestimmungen abgrenzt, anstatt der bezeichnenden Namen die (jeweilige) begriffserklärende Rede angeben, möglichst von allen, wo nicht, doch von möglichst vielen. Sonst hätte man ja auch schon bei einfachen (Ausdrücken) dann bereits die Begriffsbestimmung gemacht, wenn man nur ein anderes Wort einsetzt, z. B. anstatt von »Mantel« »Obergewand«. [51] Noch größer ist der Fehler, wenn man beim Namenswechsel auch noch unbekanntere Worte nähme, z. B. anstatt »weißer Mensch«: »hellstrahlender Sterblicher«. Weder hat man so eine Begriffsbestimmung gemacht, und andererseits ist so noch weniger deutlich gesprochen. [52] Zu prüfen ist auch bei dem Tausch der Wortbezeichnungen, ob es (das neu eingesetzte Wort) etwa nicht mehr dasselbe bedeutet (wie das alte), z. B., wenn einer das »anschauende Wissen« zu »anschauender Annahme« umbenannt hat; »Annahme« ist nämlich nicht dasselbe wie »Wissen«, müßte es aber doch, wenn denn der ganze Ausdruck dasselbe sein soll; »anschauend« ist doch in beiden Ausdrücken gemeinsamer Bestandteil, der Rest ist unterschiedlich. [53] Weiter (ist zu prüfen), ob einer, der die Umbenennung einer der beiden Namensbezeichnungen vornimmt, etwa nicht einen (bloßen) Tausch des Unterscheidungsmerkmals, sondern einen der Gattung vorgenommen hat, wie (es) bei dem eben Gesagten (vorliegt): Unbekannter ist doch »anschau-

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end« als »Wissen«; das eine davon ist nun Gattung, das andere unterscheidendes Merkmal, von allem das bekannteste ist aber die Gattung; also müßte doch nicht mit der Gattung, sondern mit dem Unterscheidungsmerkmal die Umbenennung vorgenommen worden sein, wenn es doch das Unbekanntere ist. – Oder ist dieser Einwand etwa lachhaft? Es hindert doch nichts (die Annahme), daß der Unterschied mit dem bekanntesten Wort ausgesprochen ist, die Gattung aber nicht. Verhält es sich dann so, dann klar: Die Umwahl der Namensbezeichnung ist mit der Gattung, nicht mit dem Unterschied zu machen. – Wenn man dagegen nicht ein Wort für das andere, sondern anstatt eines Wortes eine Begriffserklärung einsetzt, so (ist) klar: Eher ist hier die Begriffsbestimmung des Unterschiedes als die der Gattung anzugeben, da denn doch die Begriffsbestimmung um einer Erkenntnis willen angegeben wird; es ist ja doch der Unterschied weniger bekannt als die Gattung. Kapitel 12. [54] Hat (der Gegner) den festen Begriff des Unterscheidungsmerkmals angegeben, so ist zu prüfen, ob die angegebene Begriffsbestimmung etwa auch für etwas anderes mit gültig ist, z. B., wenn er gesagt hat: »Ungerade Zahl« ist »Zahl, die ein Mittleres hat«, so ist zusätzlich zu bestimmen, wie dies »ein Mittleres haben« (zu verstehen ist). Der Ausdruck »Zahl« kommt beiden Seiten der begriffserklärenden Rede gemeinsam zu, der Begriff von »ungerade« ist aber umgeformt; nun haben aber auch Strecke und Körper eine Mitte und sind doch nicht »ungerade«; somit kann ja wohl das die Begriffsbestimmung von »ungerade« nicht sein. Wenn denn nun dies »ein Mittleres haben« in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird, so ist eben festzulegen, wie dies »Mitte haben« zu verstehen ist. Also gibt es hier entweder Anlaß zu Tadel, oder (man zieht) den Schluß: Hier ist der Begriff nicht bestimmt. [55] Und wieder (ist es falsch), wenn das, wovon er die Begriffserklärung angibt, zu den Dingen gehört, die es wirklich gibt, was aber unter der begriffserklärenden Rede gebracht wird, ist nicht in der Weise, z. B., wenn er »weiß« bestimmt hat als »Farbe, mit Feuer gemischt«; es ist nämlich unmöglich,



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daß etwas Körperloses mit einem Körper gemischt sein könnte, daher es denn so etwas wie »feuergemischte Farbe« nicht gibt, weiß aber gibt es. [56] Weiter, alle, die beiden (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...« nicht auseinanderhalten, woraufhin es denn nun wirklich ausgesagt ist, sondern gesprochen haben, indem sie in mehreren (Beziehungsebenen) herumgegriffen haben, die sagen entweder überhaupt oder in bestimmter Beziehung Falsches aus, z. B., wenn einer »Heilkunst« bestimmt hat als »Wissen von dem, was ist«. Wenn (erstens) die Heilkunst von gar nichts von dem, was da ist, ein Wissen (wäre), so klar: Es ist ganz falsch. Wenn (zweitens) sie etwas davon erfaßt, anderes nicht, so ist es zum Teil falsch; sie müßte ja auf das Ganze sich beziehen, wenn doch von ihr im eigentlichen Sinne und nicht nur nebenbei gesagt wird: Sie bezieht sich auf das, was ist; so verhält es sich bei allen übrigen (Bestimmungen) »im Verhältnis zu ...«, (z. B.): Alles, was gewußt werden kann, wird in Beziehung auf (sein) Wissen ausgesagt, Ähnlich ist es auch mit allen übrigen (Bestimmungen), da doch alle »im Verhältnis zu ...« einander in Umkehr entsprechen. [57] Weiter, wenn denn einer, der die Angabe nicht in der eigentlichen Bedeutung, sondern nur in nebenbei mit eintretender macht, dies richtig so machte, dann würde ja eine jede Verhältnisbestimmung nicht in Beziehung zu einer, sondern zu mehreren anderen ausgesagt. Es hindert ja nichts, daß eines und dasselbe, erstens, »ist«, und dann auch noch »weiß« ist und »gut«, so daß also einer, der die Angabe bezogen auf irgendeine, welche auch immer, dieser (Bestimmungen) macht, es ja wohl richtig gemacht haben müßte, wenn wirklich einer, der über nebenbei zutreffende Bedeutungen die Angabe macht, dies zu recht machen soll. [58] Darüber hinaus ist es unmöglich, daß eine derartige begriffserklärende Rede für das Anzugebende eigentümlich wäre: Nicht allein die Heilkunst, sondern auch die große Anzahl der übrigen Wissenschaften werden »auf Seiendes hin« ausgesagt, mithin ist jede ein »Wissen von dem, was ist«. Klar nun also: Etwas derartiges kann von keiner Form von »Wis-

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sen« die Begriffsbestimmung sein; die Begriffsbestimmung hat eigentümlich und nicht allgemein zu sein. [59] Gelegentlich bestimmen die Leute nicht nur einen Tatbestand, sondern die Sache in ihrer guten oder vollendeten Form. Von der Art ist die Bestimmung von »Redner« und »Dieb«, wenn denn doch »Redner« der sein soll, »der in jedem Ding das Überzeugende daran ausfindig machen kann und nichts dabei ausläßt«, und »Dieb« einer, »der heimlich nimmt«; klar doch, daß jeder der beiden in dieser Form gut ist, der eine guter Redner, der andere als Dieb gut, – denn nicht, wer »heimlich nimmt«, sondern schon, »wer heimlich nehmen will«, ist Dieb. [60] Und erneut, wenn er etwas um seiner selbst willen Wünschenswertes so angegeben hat, als stellte es erst etwas her oder bewirkte etwas oder sei wie auch immer um eines anderen willen erwünscht, (so ist das falsch), z. B., wenn er gesagt hat: »Gerechtigkeit ist Wahrerin der Gesetze«, oder: »Weisheit ist Bewirkerin von Glück«; denn etwas, das erst »bewirkt« oder »erhält«, gehört ja zu dem, was um anderer Dinge willen erstrebt wird. – Oder hindert nichts die Annahme: Das um seiner selbst willen Erwünschte kann auch eines anderen wegen erwünscht sein? Indessen aber, wer ein um seiner selbst willen Erwünschtes so bestimmt hat, hat nichtsdestoweniger gefehlt: Das Beste eines jeden (Gegenstandes) liegt am meisten in dem, was es wirklich und wesentlich ist; besser ist aber das »um seiner selbst willen erwünscht sein« als das »eines anderen wegen ...«; also müßte die Begriffsbestimmung dies mehr zum Ausdruck bringen. Kapitel 13. [61] Zu prüfen sind auch (die Fälle), wenn einer, der von etwas die Begriffsbestimmung angibt, dies gemacht hat mithilfe der Ausdrücke »diese« (Sachen) oder »aus diesen« (bestehend) oder »das in Verbindung mit dem«. Hat er nämlich »diese« (gesagt), so wird eintreten, daß (das in Rede Stehende) beiden und keinem zukommt, z. B., wenn er »Gerechtigkeit« als »Besonnenheit und Mut« bestimmt hat: sind nun zweie da, von denen jeder eine, und zwar die je andere der beiden (Eigenschaften), besitzt, so werden beide zusam-



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men gerecht sein, und doch keiner von beiden ist es, da denn zwar beide zusammen (das) »Gerechtigkeit haben« (gewährleisten), jeder einzelne von ihnen es aber nicht hat. – Wenn aber das Vorgetragene noch nicht sehr widersinnig (erscheint), weil derartiges ja auch in anderen Fällen eintritt – es hindert ja nichts, daß zweie zusammen eine Mine besitzen, wobei keiner von beiden eine hat –, so wird es aber doch als völlig unsinnig erscheinen, wenn denen nun gegenteilige (Eigenschaften) zukommen; das tritt nämlich ein, wenn der eine von ihnen Besonnenheit und Furchtsamkeit besitzt, der andere dagegen Kühnheit und Unbeherrschtheit: beide zusammen haben dann Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit an sich; ist doch »Gerechtigkeit« »Besonnenheit und Mut«, so wird »Ungerechtigkeit« »Furchtsamkeit und Unbeherrschtheit« sein. – [62] Überhaupt, alles, womit zu erweisen ist, daß Teile und Ganzes nicht das gleiche sind, das ist verwendbar für das eben Gesagte; denn offenkundig setzt einer, der so die Begriffsbestimmung macht, die Behauptung voraus, die Teile seien das gleiche wie das Ganze. Am stärksten sind aber alle die Erklärungen einschlägig, bei denen die Zusammensetzung der Teile klar ist, wie etwa bei einem Haus und anderem dergleichen; klar doch, hier sind zwar die Teile, aber nichts hindert, daß das Ganze (aus ihnen noch) nicht ist; also sind Teile und Ganzes nicht das gleiche. [63] Wenn er nun aber nicht »diese« gesagt hat, sondern, das zu Bestimmende sei »aus diesen« (bestehend), so ist erstens zu prüfen, ob es etwa von Natur gar nicht sein kann, daß aus dem Genannten eine Einheit werde; einiges verhält sich ja zueinander so, daß kein Eines daraus werden kann, z. B. »Strich« und »Zahl«. [64] Sodann (ist zu prüfen), wenn zwar das als Bestimmung Angegebene an einem einheitlichen Gegenstand naturgegeben unmittelbar auftreten kann, ob dann aber die Bestandsstücke, aus denen es nach seiner Behauptung zusammengesetzt ist, etwa nicht an so einem Einheitlich-Unmittelbaren (auftreten), sondern jedes von beiden an einem anderen. Klar denn: Jenes (das zu Bestimmende) kann aus diesen (Teilen)

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nicht wohl (zusammengesetzt) sein; woran ja die Teile, an dem muß notwendig auch das Ganze vorliegen, sodaß (in diesem Falle) das Ganze nicht an Einem, Unmittelbaren, sondern an mehreren (vorkommt). Wenn aber sowohl die Teile wie auch das Ganze an so einem Einheitlich-Unmittelbaren (vorkommen), so ist zu prüfen, ob (das) etwa nicht an dem gleichen (der Fall ist), sondern an einem anderen das Ganze, an wieder einem anderen die Teile. [65] Und erneut (ist zu fragen), ob mit dem Ganzen zusammen auch die Teile untergehen; umgekehrt muß es ja eintreten, daß, wenn die Teile zugrundegegangen sind, auch das Ganze mit verschwindet; wenn aber das Ganze untergegangen ist, müssen nicht notwendig auch die Teile verschwunden sein. [66] Oder: Wenn das Ganze »gut« (ist) oder »Schlecht«, sie aber (die Teile) beides nicht, oder umgekehrt, sie »gut« oder »schlecht«, das Ganze aber keines von beiden, (dann ist das falsch); denn weder kann aus (Teilen, die) keins von beiden (sind), entweder etwas »Gutes« oder »Schlechtes« entstanden sein, noch aus (Teilen, die) »schlecht« oder »gut«« (waren), etwas, das keins von beiden ist [67] Oder: Wenn das eine (Teil) in höherem Maße gut ist als das andere schlecht, das (Ganze) »aus diesen« aber nicht in höherem Maße gut als schlecht, (so kann das auch nicht sein), z. B., wenn »Unverfrorenheit« aus »Kühnheit« und »falscher Meinung« (bestehen soll); denn Kühnheit ist in höherem Maße gut als falsche Meinung schlecht; es müßte nun also auch das (Ganze) »aus diesen« dem Überschuß folgen und entweder einfachhin gut sein oder doch in höherem Maße gut als schlecht. – Oder ist das etwa nicht notwendig, wenn nicht jedes der beiden an und für sich gut (ist) oder schlecht? Vieles von dem, was (Gutes) bewirkt, ist, für sich genommen, ja nicht gut, wenn es aber vermengt ist, wohl; oder umgekehrt, jedes für sich ist gut, vermengt aber dann schlecht oder weder das eine noch das andere. Am meisten ist das eben Gesagte klar bei den (Dingen), die Gesundheit stiften oder Krankheit erregen: Einige Heilmittel verhalten sich ja so, daß jedes für sich



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gut ist, werden aber beide zusammengemischt verabreicht, dann (bewirken sie) Schlechtes. [68] Und wieder (ist zu beachten): Wenn das Ganze auseinem besseren und einem schlechteren (Teil) besteht, und es selbst ist nicht einerseits schlechter als der bessere, andererseits aber besser als der schlechtere, (dann ist das falsch). – Oder ist auch das nicht notwendig, wenn nicht das, »woraus« es zusammengesetzt ist, für sich gut wäre, sondern es besteht kein Hindernis, daß das Ganze nicht gut werden sollte, so wie bei dem eben Gesagten auch? – Weiter (ist darauf zu achten), ob das Ganze mit einem der beiden (Teile) etwa wortgleiche Bedeutung hat; das darf es ja nicht, so wie bei den Silben eben auch: Mit keinem der Buchstaben, aus denen eine Silbe besteht, ist sie doch bedeutungsgleich. [69] Weiter, wenn er die Art und Weise der Zusammensetzung nicht ausgesagt hat, (so ist das zu wenig); denn zum Erkenntnisgewinn reicht es nicht aus zu sagen: »aus dem und dem«; nicht das »aus diesen«, sondern das »auf diese Weise daraus« ist von jedem zusammengesetzten Ding das Wesen, wie etwa bei einem Haus: Wenn das alles irgendwie zusammengesetzt worden wäre, dann ist das ja noch kein Haus. [70] Wenn er angegeben hat: »das mit dem«, so ist zuerst zu sagen: »das mit dem« ist das gleiche wie »diese« (Bestandteile) oder auch wie das »aus diesen«; wer das sagt: »Honig mit Wasser«, der meint doch entweder »Honig und Wasser« oder »(bestehend) aus Honig und Wasser«. Wenn er dann also zugegeben hat, daß dies »das mit dem« mit einem der beiden Vorgenannten, einerlei welchem, dasselbe ist, dann paßt es, die gleichen Einwände zu machen, die man gegen ein jedes davon schon früher vorgebracht hat. [71] Sodann nimmt man auseinander, in wievielen Bedeutungen denn der Ausdruck »eines mit einem anderen« ausgesagt wird, und es ist zu sehen, ob »dies mit dem« in keiner der Weisen geht; z. B., wenn »eines mit einem anderen« entweder so ausgesagt wird, als kämen beide an demselben vor, das sie an sich nimmt, so wie etwa »Gerechtigkeit und Tapferkeit« »an der Seele« (vorliegen), oder als wenn die beiden »am gleichen

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Ort« oder »zur gleichen Zeit« wären, wenn dann weiter das Behauptete in diesen Hinsichten durchaus nicht wahr ist, so ist klar: Die angegebene Begriffsbestimmung ist eine von nichts, da doch auf keine Weise »das mit dem« ist. [72] Wenn aber von den eingeteilten (Bedeutungen) die zutreffen sollte, daß beides »in der gleichen Zeit« vorkommt, so ist zu prüfen, ob es sein kann, daß beide nicht im Verhältnis zu dem gleichen ausgesagt werden, z. B., wenn er »Tapferkeit« bestimmt hat als »Wagemut mit rechtem Bedacht«: es kann ja sein, daß einer Wagemut hat zum Rauben, richtige Bedachtsamkeit aber in Gesundheitsdingen, aber einer, der zur gleichen Zeit »das mit dem« hat, ist ja noch nicht tapfer. [73] Sodann für den Fall, daß beides im Verhältnis zu dem gleichen ausgesagt wird, z. B. auf ärztliche Verfahren hin – es hindert ja nichts, sowohl Wagemut wie richtigen Bedacht im Hinblick auf Maßnahmen des Heilens zu haben -: (selbst wenn das so wäre,) trotzdem ist einer, der auf die Weise »das mit dem« hat, noch nicht tapfer; weder darf ja ein jedes der beiden auf etwas anderes hin ausgesagt werden, noch auf das erstbeste beliebige gleiche, sondern (hier) auf Ziel und Zweck von »Tapferkeit« hin, z. B.: »vor kriegerischen Gefahren« oder falls etwas (anderes) noch mehr Ziel davon sein sollte. [74] Einiges, was so angegeben wird, fällt aber durchaus nicht unter die genannte Einteilung, z. B., wenn (bestimmt wird): »Zorn« ist »Unlustempfindung in Verbindung mit der Annahme, verächtlich behandelt zu werden«; das will ja doch wohl besagen, daß infolge dieser Annahme derartige Unlust auftritt; aber daß etwas »infolge dessen« eintritt, ist nicht das gleiche wie, daß »dies in Verbindung mit dem« stehe, und zwar auf keine der genannten Weisen. Kapitel 14. [75] Und erneut, hat er »Ganzes« als »Zusammensetzung dieser« (Teile) bezeichnet, z. B., Zusammenfügung von »Seele« und »Leib« (ergebe) »Lebewesen«, so ist erstens zu überprüfen, ob er etwa unterlassen hat zu sagen, was für eine Verbindung dies sein soll, etwa wenn er »Fleisch« bestimmt oder »Knochen« und dabei sagt, dies sei »Zusammenfügung von Feuer, Erde und Luft«; es reicht nämlich nicht,



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bloß »Zusammenfügung« gesagt zu haben, sondern man muß zusätzlich bestimmen, was für eine Form davon; denn wenn das, beliebig wie, zusammengesetzt wird, entsteht ja nicht Fleisch, sondern wenn es genau so und so zusammenkommt, wird es Fleisch, wenn genau so und so (anders), Knochen. – Es scheint indessen keins der beiden Genannten überhaupt so etwas zu sein wie eine Zusammenfügung: jeder Form von Zusammensetzung ist eine von Auflösung entgegengesetzt, von den Genannten hat aber keins von beiden einen Gegensatz. – Wenn es darüber hinaus genauso überzeugend ist, daß alles Zusammengesetzte eine Zusammenfügung ist wie keins, und wenn nun aber jedes unter den Lebewesen zwar zusammengesetzt ist, aber keine Zusammenfügung, dann würde ja wohl bei allen übrigen Dingen kein Zusammengesetztes eine Zusammenfügung sein. [76] Und erneut, wenn Gegenteiliges an etwas von Natur gleichermaßen vorliegt, er es aber nur über eine Seite davon bestimmt hat, so (ist) klar: Er hat überhaupt nicht den Begriff bestimmt. Sollte das nicht so sein, so ergäbe sich ja, daß es von einem und demselben (Gegenstand) mehrere Begriffsbestimmungen gäbe; warum soll denn der, der mittels dieser einen (Seite des Gegensatzes) die Bestimmung macht, mehr die Sache wirklich ausgesagt haben als der, der es mittels der anderen getan hat, wenn doch beides naturgegeben gleichermaßen an demselben vorkommt? Von der Art ist die Begriffsbestimmung von »Seele«, wenn sie sein soll »etwas, das des Wissens fähig ist«: sie ist ja nämlich auch genauso »der Unkenntnisfähig«. [77] Wenn einer nicht die Möglichkeit zum Angriff auf die ganze Begriffsbestimmung hat, weil dies Ganze ihm nicht bekannt ist, so muß er auf irgendeinen der Teile den Zugriff machen, wenn der ihm klar ist und offensichtlich nicht sauber angegeben; ist diese Teilbestimmung aufgehoben, so wird es auch die ganze Begriffsbestimmung sein. [78] Alle Begriffsbestimmungen, die unklar (ausgesagt) sind, muß man erst einmal zusammen (mit dem Gegner) berichtigen und auf eine solche Form bringen, daß sie etwas klar

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sagen und insofern auch Zugriff gestatten, und so soll man sie dann prüfen; notwendig ist dabei für den Antwortenden, entweder das anzunehmen, was der Frager sich herausgenommen hat, oder seinerseits selbst klarzustellen, was denn das von der Rede Gemeinte genau sein soll. [79] Weiter, ebenso wie man in den Bürgerversammlungen eine Satzung einzubringen pflegt, und wenn die neu eingebrachte besser ist (als die bestehende), so heben sie die früher (gültige) auf: genau so ist es auch bei den Begriffsbestimmungen zu machen, man muß selbst eine andere Bestimmung einbringen; wenn die dann nämlich besser erscheint (als die des anderen) und das zu Bestimmende klarer macht, so (ist) klar: Die bestehende ist aufgehoben, da es doch mehrere Begriffsbestimmungen eines und desselben (Gegenstandes) nicht gibt. [80] Für alle diese Begriffsbestimmungen ist es nicht die geringste Grundregel: Den in Rede stehenden Gegenstand bei sich selbst schon treffend bestimmt zu haben oder nach einer sauber ausgesagten Bestimmung greifen zu können; es ist ja ganz notwendig, wenn man gewissermaßen auf ein Vorbild hinschaut, sowohl klar zu sehen, was fehlt und was diese Bestimmung noch erhalten sollte, wie auch, was überflüssig zugesetzt ist, so daß man also einen größeren Reichtum an Zugriffsmöglichkeiten hat. – Die Ausführungen über die Begriffsbestimmungen seien also so weit vorgebracht.

SIEBENTES BUCH

Kapitel 1. Ob nun aber (etwas) dasselbe ist (wie etwas) oder verschieden (davon) nach der eigentlichsten der Weisen, die über »dasselbe« vorgetragen sind – im eigentlichsten Sinne »dasselbe« wurde doch das genannt, was »der Zahl nach eines« ist –, das ist zu prüfen von den Formveränderungen aus, dem in einer Reihe damit Stehenden und dem, was ihm gegenübersteht. [1] Wenn denn also »Gerechtigkeit« das gleiche (wäre) wie »Tapferkeit«, so auch »der Gerechte« (der gleiche) wie »der Tapfere« und »gerechtermaßen« (das gleiche) wie »tapfererweise«. [2] Entsprechend auch mit den Gegensätzen: Ist das und das das gleiche, so ist auch das dem (je) Entgegengesetzte gleich, nach welcher Art der aufgeführten Entgegensetzungen auch immer; es macht ja keinen Unterschied, das dem oder dem Entgegengesetzte zu nehmen, da sie doch das gleiche sind. [3] Und wieder (ist es anzusehen) von dem aus, was dies hervorbringt oder was ihm Untergang bereitet, und von den Werde- und Untergangsvorgängen aus und überhaupt von allem aus, was sich zu beiden (Beteiligten) gleich verhält: Alles, was nämlich einfach so das gleiche ist, dessen Entstehungsweisen und Untergänge sind auch dieselben, und was es hervorbringt oder untergehen läßt, auch. [4] Zu prüfen ist aber auch im Falle zweier (Gegenstände), deren einer etwas »in besonderem Maße« nach der Aussage sein soll, ob auch der je andere davon in der gleichen Hinsicht als »in besonderem Maße so« ausgesagt wird; so wie etwa Xenokrates »glückliches Leben« und »rechtschaffenes« als das gleiche erweist, da doch von allen Arten der Lebensführung die rechtschaffene und die glückliche »am meisten wünschenswert« sei; eines (und dasselbe) sei doch »am meisten wünschenswert und höchstbedeutend«. Entsprechend auch

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bei allem anderen derart. – Es muß aber jedes der beiden, was da »höchstbedeutend« und »vorzüglichst« genannt wird, eines der Zahl nach sein; andernfalls wird nicht gezeigt sein, daß (sie) dasselbe sind. Es ist ja nicht notwendig (zu folgern): Wenn die Tapfersten unter den Griechen die Peloponnesier und die Spartaner sind, dann sind »Peloponnesier« und »Spartaner« die gleichen; ist doch »Peloponnesier« und »Spartaner« nicht »eins der Zahl nach«. Sondern das eine muß von dem anderen eingeschlossen werden, wie eben »Spartaner« von »Peloponnesier«; andernfalls würde ja herauskommen, daß sie untereinander (je) tüchtiger wären (als je die anderen), wenn hier nicht die einen von den anderen umfaßt wären: Notwendig müßten die Peloponnesier tüchtiger sein als die Spartaner, wenn doch die einen von den anderen nicht eingeschlossen werden; denn sie sind ja tüchtiger als alle übrigen; entsprechend aber auch müßten die Spartaner tüchtiger sein als die Peloponnesier, auch diese sind ja tüchtiger als alle übrigen. Also würden sie tüchtiger als je die anderen. Klar nun also: Es muß eines an Zahl sein, was da »das Beste« und »das Bedeutendste« genannt wird, wenn gezeigt werden soll, daß das gleich ist. Deshalb beweist ja Xenokrates nicht wirklich: »glückliches Leben« und »rechtschaffenes Leben« sind nämlich nicht eines der Zahl nach, so daß das also nicht notwendig dasselbe sein muß, aus dem Grunde weil beide »in höchstem Maße erwünscht« (sind), sondern das eine (ist) unter dem anderen (anzusetzen). [5] Und erneut ist zu prüfen: Ist das eine mit etwas (Drittem) das gleiche, ob auch das andere (dies ist); wenn nämlich beide zu dem gleichen (Dritten) nicht (das gleiche sind), dann, klar, auch untereinander nicht. [6] Weiter ist zu prüfen von dem aus, was diesem nebenbei mitfolgt, und (von dem aus), dem dieses mitfolgt: Was dem einen mitgefolgt ist, muß auch dem anderen mitgefolgt sein, und (umgekehrt), welchem das eine davon mitgefolgt ist, dem muß auch das andere mitgefolgt sein. Wenn etwas davon nicht zusammenstimmt, klar, dann sind sie nicht das gleiche. [7] Zu sehen ist auch darauf, ob etwa nicht beide in einer einzigen Grundgattung von Aussage (stehen), sondern das



Siebentes Buch ∙ Kapitel 1 181

eine ein »so und so geartet«, das andere ein »so und so groß« oder ein »im Verhältnis zu ...« bedeutet. – [8] Und aufs neue, ob die Gattung beider etwa nicht die gleiche (ist), sondern die eine »Gutes«, die andere »Schlechtes« (bedeutet), oder die eine »Tüchtigkeit«, die andere »Wissen«. Oder, wenn zwar die Gattung die gleiche ist, ob dann nicht etwa die (artbildenden) Unterscheidungsmerkmale eines jeden als nicht die gleichen ausgesagt werden, sondern vom einen, daß dies ein »anschauendes Wissen«, vom anderen, daß es ein »handelndes Wissen« (ist). Entsprechend auch bei allem übrigen. [9] Sodann (ist auch zu prüfen) nach dem »mehr«: Nimmt das eine solche Steigerung an, das andere aber nicht, oder, wenn beide sie zwar annehmen, aber nicht zugleich? So wie einer, der »in stärkerem Maße« liebt, nicht »mehr« nach Beischlaf begehrt, so daß denn also »Liebe« und »Begehr nach Beischlaf« nicht das gleiche ist. [10] Sodann vom Zusatz aus: Wenn jedes der beiden, zum gleichen (Dritten) hinzugesetzt, dies (neu entstehende) Ganze nicht zu demselben macht. – Oder, wenn von jedem der beiden das gleiche weggenommen wird und der Rest dann (je) verschieden ist, z. B., wenn er behauptet hat: »Das Doppelte eines Halben und das Vielfache eines Halben ist das gleiche«; wird dann nämlich von jedem der beiden (Beträge) dies Halbe abgezogen, müßte ja auch der (jeweilige) Rest das gleiche anzeigen, tut es aber nicht; »zweifach« und »vielfach« meinen eben nicht dasselbe. [11] Zu prüfen ist aber nicht nur, ob unmittelbar durch die aufgestellte Behauptung schon etwas Unmögliches herauskommt, sondern auch, ob es sein kann, daß das erst aufgrund der gemachten Voraussetzungen zur Geltung kommt, so wie (es) denen (ergeht), die behaupten: »Leer« und »voller Luft« ist das gleiche; klar doch: Wenn die Luft da herausgenommen wäre, wird es nicht weniger leer sein, sondern in stärkerem Maße, und »voller Luft« wird es dann nicht mehr sein. Also, wenn etwas Bestimmtes unterstellt wird – es mag falsch sein oder wahr, das macht hier keinen Unterschied –, so wird das

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eine davon aufgehoben, das andere nicht; somit sind sie nicht dasselbe. [12] Allgemein gesprochen: Von dem aus, was – wie auch immer – von einem jeden der beiden ausgesagt wird und (umgekehrt), wovon diese ausgesagt werden, ist zu prüfen, ob es irgendwo nicht stimmt; alles, was von dem einen entschieden ausgesagt wird, muß auch von dem anderen genauso entschieden ausgesagt werden, und wovon das eine ausgesagt wird, davon muß auch das andere ausgesagt werden. [13] Weiter, da »dasselbe« in vielerlei Bedeutung ausgesagt wird, ist zu prüfen, ob (etwas als »dasselbe« Behauptetes) etwa nach irgendeiner (von einander) verschiedenen Weise »dasselbe« ist: Was »der Art nach« oder »der Gattung nach« dasselbe ist, ist nicht notwendig oder kann vielmehr gar nicht »der Zahl nach« dasselbe sein; wir betrachten aber (die Frage), ob (etwas) in der Weise dasselbe ist oder in der nicht. [14] Weiter (ist zu prüfen), ob das eine ohne das andere sein kann; (ginge das), so wären die ja wohl nicht dasselbe. Kapitel 2. So viele Gesichtspunkte sind also zu »dasselbe« vorgetragen. Klar (ist) aus dem Gesagten, daß alle einreißenden Gesichtspunkte zu »dasselbe« auch bei Begriffsbestimmungen verwendbar sind, wie ja früher gesagt ist; wenn nämlich Wort und begriffserklärende Rede nicht dasselbe meinen, dann (ist) klar: Die angegebene Rede kann ja wohl keine Begriffsbestimmung sein. – Dagegen von den errichtenden Gesichtspunkten ist keiner verwendbar für Begriffsbestimmung: Es reicht nämlich nicht, gezeigt zu haben: »Dasselbe ist, was unter der Begriffserklärung (steht) und der Name dafür«, um schon untermauert zu haben: Dies ist eine Begriffsbestimmung; sondern auch alles übrige, was auftragsgemäß dazugehört, muß die Begriffsbestimmung enthalten. Kapitel 3. Das Aufheben einer Begriffsbestimmung ist nun also so und mittels dieser (Gesichtspunkte) je in Angriff zu nehmen. Wenn wir dagegen errichten wollen, muß man zuerst wissen: Niemand oder nur wenige derer, die derartige Gesprächsuntersuchungen anstellen, ermitteln eine Begriffsbestimmung durch Schluß, sondern alle nehmen so etwas zum



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Ausgangspunkt, z. B. die es mit Flächenmessung, Zahlen und anderen derartigen Gegenständen von Lernen und Wissen zu tun haben. Zweitens (ist festzuhalten): Es ist Sache einer anderen Denkanstrengung, in aller Genauigkeit anzugeben, was eine Begriffsbestimmung ist und wie man Begriffsbestimmung machen muß, – jetzt nur so viel, wie für das gegenwärtige Vorhaben reicht, so daß also nur so viel zu sagen ist: Es ist möglich, daß Schluß auf Begriffsbestimmung und das »was es sein sollte« erfolgen kann. Wenn nämlich »Begriffsbestimmung« ist: »erklärende Rede, die für einen Gegenstand sein ›was es sein sollte‹ bezeichnet«, und wenn das in der Begriffsbestimmung entschieden Zugesprochene das Alleinige ist, was bei der Frage: »Was ist dieser Gegenstand denn eigentlich?« ausgesagt werden darf, wenn aber bei dieser Frage nach dem Wesen die Gattungen und artbildenden Unterschiede ausgesagt werden, so ist offenkundig: Wenn jemand diese Bestimmungen nähme, die als einzige bei der »Was-ist-es«-Frage des Gegenstandes ihm zugesprochen werden, dann ist ja wohl eine begriffserklärende Rede, die genau das enthält, notwendig Begriffsbestimmung. Es kann ja nicht sein, daß es dazu eine verschiedene Begriffsbestimmung (des Gegenstandes) gibt, da doch eben nichts anderes bei der »Was-ist-es«-Frage des Gegenstandes entschieden zugesprochen wird. Daß es nun also erlaubt ist (anzunehmen), daß auf Begriffsbestimmung hin Schluß erfolgen kann, ist offenkundig. Von welchen (Voraussetzungen) aus man das aber errichten muß, ist in anderen (Darlegungen) genauer bestimmt, für das gegenwärtige Vorhaben sind die gleichen Gesichtspunkte verwendbar: Man muß nämlich die Betrachtung führen [1] über das jeweilige Gegenteil, und was sonst noch entgegengesetzt ist, und zwar indem man die Begriffserklärungen als ganze und Teil für Teil der Prüfung unterzieht; wenn nämlich die entgegengesetzte (Begriffserklärung) von dem entgegengesetzten (Sachverhalt gilt), so hat notwendig auch die behauptete von dem vorliegenden (Sachverhalt) Bestand. Da es aber von gegenüberstehenden (Bestimmungen) mehrere Verknüpfungs-

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formen gibt, so ist von den gegenüberliegenden (Bestimmungen) je die zu nehmen, deren gegenteiliger Begriffsinhalt am stärksten auf der Hand liegt. Als ganze muß man die begriffserklärenden Reden prüfen, wie vorgetragen, Teil für Teil aber wie folgt: [2] Erstens also, daß die angegebene Gattung auch richtig angegeben ist; wenn nämlich Gegenteiliges in gegenteiliger (Gattung steht), und wenn aber nun das Vorliegende nicht in der gleichen (Gattung steht wie sein Gegenteil), so klar: Es wird ja wohl in der gegenteiligen (Gattung) sein, wenn doch notwendig (gilt): Gegenteiliges steht (entweder) in der gleichen Gattung oder in gegenteiligen Gattungen. – [3] Auch was die (artbildenden) Unterschiede angeht, so stellen wir die Forderung auf: Gegensätzlichen (Bestimmungen) müssen gegensätzliche (Unterschiede) zugesprochen werden, wie etwa bei »weiß« und »schwarz«: Das eine sondert das Sichtvermögen auseinander, das andere zieht es zusammen. Also, wenn dem Gegenteiligen die gegenteiligen (Unterschiede) zugesprochen werden, dann ja wohl auch dem Vorliegenden die angegebenen, mithin: Wenn denn sowohl die Gattung wie auch die Unterscheidungsmerkmale richtig angegeben werden, dann (ist) klar: Das Angegebene ist ja wohl eine Begriffsbestimmung. – Oder ist es etwa nicht notwendig, gegensätzlichen (Bestimmungen) die gegensätzlichen Unterschiede zuzusprechen, wenn diese Gegensätze nicht in der gleichen Gattung stehen, (im Gegenteil) bei Bestimmungen, deren Gattungen gegenteilig sind, hindert nichts, das gleiche Unterscheidungsmerkmal über beide auszusagen, z. B. im Fall von »Gerechtigkeit« und »Ungerechtigkeit«: Die eine ist »Tüchtigkeit der Seele«, die andere »schlechte Eigenschaft ...«, daher wird »der Seele« als ihr Unterscheidungsmerkmal an beiden ausgesagt (gegenüber Dritten), da es ja auch von »Leib« Tüchtigkeit und schlechte Eigenschaft geben kann. Aber nun (bleibt) doch das richtig: Von Gegensätzlichem gelten entweder gegensätzliche oder die gleichen Unterscheidungsmerkmale. Wenn nun also dem Gegenteil (des Vorliegenden) die gegenteilige Unterscheidung zugesprochen wird,



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diesem aber nicht, so (ist) klar: Es ist die genannte, die diesem ja wohl zuzusprechen ist. Allgemein gesprochen, da eine Begriffsbestimmung besteht aus Gattung und (artbildenden) Unterschieden, (so gilt): Wenn die Begriffsbestimmung des Gegenteils (zum Vorliegenden) offenkundig auf der Hand liegt, so wird auch die Begriffsbestimmung des Vorliegenden klar sein. Da nämlich Gegenteiliges entweder in der gleichen Gattung oder in der gegenteiligen steht, ebenso aber auch bei den Unterscheidungsmerkmalen entweder gegenteilige dem Gegenteiligen oder aber auch die gleichen (ihm) zugesprochen werden, so (ist) klar: Dem Vorliegenden wird ja wohl entweder die gleiche Gattung zugesprochen wie seinem Gegenteil, und dann die entgegengesetzten Unterschiede, entweder alle oder einige. die übrigen (wären dann) die gleichen; oder umgekehrt, die Unterschiede sind die gleichen, die Gattungen dann gegenteilig; oder (drittens) beides ist gegensätzlich, sowohl die Gattungen wie auch die Unterschiede. Daß beides das gleiche wäre, geht ja nicht; andernfalls hätten gegenteilige (Tatbestände) die gleiche Begriffsbestimmung. [4] Sodann (ist) auch von Formveränderungen und verwandten Reihen aus (die Begriffsbestimmung zu machen): Notwendig ja, daß Gattungen Gattungen folgen und (so eben auch) Begriffsbestimmungen auf Begriffsbestimmungen, z. B.: Ist »Vergeßlichkeit« »Verlust von Wissen«, so wird auch »vergessen« ein »Wissen verlieren« sein und »Vergessenhaben« ein »Wissen verloren haben«; ist über eines der Genannten, welches auch immer, Einigkeit hergestellt, muß notwendig auch über das Restliche Einigkeit herrschen. Entsprechend auch, ist »Untergang« »Auflösung von etwas, das ist«, so ist »untergehen« ein »aufgelöstwerden von etwas, das ist« und »vernichtend« (ist) »auflösend«, (und in umgekehrter Richtung), wenn etwas, »das Untergang herbeiführt«, eines ist, »das etwas auflöst, das ist«, so (ist) auch »Untergang« die »Auflösung von etwas, das ist«. Entsprechend auch bei allem übrigen. Also, ist eines davon, welches auch immer, angenommen, sind auch alle übrigen zugegeben.

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[5] Auch von den (Bestimmungen) aus, die sich zueinander entsprechend verhalten, (ist es zu machen): Ist »gesund« etwas, »das Gesundheit schafft«, so auch »wohlbekömmlich« etwas, »das Wohlbefinden herbeiführt«, und: »nutzbringend« wird sein »das, was Gutes bewirkt«; denn ein jedes der Genannten verhält sich ja genau so zu seinem ganz eigenen Ziel (wie die anderen), also, wenn von einem davon die Begriffsbestimmung ist »auf eine Aufgabe bezogen und diesen Zweck erfüllend«, so wird ja wohl auch von jedem der übrigen dies die Begriffsbestimmung sein. [6] Sodann (ist es) auch vom mehr aus und vom genauso aus (zu versuchen), insoweit es geht, etwas zu errichten, indem man zwei mit zweien vergleicht, z. B.: Wenn dies in höherem Maße Begriffsbestimmung dessen ist als das davon, und wenn nun aber das, was »weniger« Begriffsbestimmung ist, (es tatsächlich doch ist), so ja auch das wohl, was es »mehr« ist. Und wenn das »genau so« (Begriffsbestimmung) von dem wie dies von dem da, und wenn weiter das eine (Begriffsbestimmung) des einen (ist), dann ja wohl auch das restliche vom restlichen. Wird dagegen eine Begriffsbestimmung im Hinblick auf zwei (Gegenstände) beurteilt oder zwei Begriffsbestimmungen im Hinblick auf einen (Gegenstand) verglichen, so ist die Prüfung von dem »mehr« aus zu nichts tauglich: Weder kann es eine (Begriffsbestimmung) von zwei (Gegenständen) noch zwei Begriffsbestimmungen von einem und demselben (Gegenstand) geben. Kapitel 4 . Die am vielseitigsten verwendbaren Gesichtspunkte sind die eben genannten und die von verwandten Reihen und den Formveränderungen aus. Deshalb auch muß man diese am sichersten beherrschen und vorrätig haben; sie sind am besten brauchbar für die meisten Fälle. Und von den anderen sind es die allgemeinsten; das sind je die erfolgreichsten unter den übrigen, z. B. das Hinschauen auf die Einzeldinge und dann bei den Arten prüfen, ob die erklärende Rede auch paßt, da doch die Art etwas bezeichnet, wofür es auch andere Namen geben kann. Ein derartiges (Vorgehen) ist verwendbar gegenüber denen, die ansetzen, daß es »Ideen« gibt, wie früher



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gesagt. Dann auch, ob er das Wort ausgesagt hat, indem er es in übertragener Bedeutung verwendet, oder ob er (den Gegenstand) selbst von sich selbst ausgesagt hat, als wäre es (beidesmal) etwas anderes. Und wenn noch irgendein anderer unter den Gesichtspunkten allgemein verwendbar und wirksam ist, so soll man ihn brauchen. Kapitel 5. Daß es nun schwieriger ist, eine Begriffsbestimmung zu errichten als einzureißen, wird aus dem einsichtig, was hiernach zu sagen ist. Derlei Ansätze entweder selbst in den Blick zu bekommen oder sie von denen, die die Befragten sind, zu erhalten, ist ja keine leichte Mühe, z. B., daß in der angegebenen begriffserklärenden Rede das eine (Stück) Gattung, das andere artbildender Unterschied (ist) und daß Gattung und Unterschiede im Rahmen der »was-ist-es«-Frage zugesprochen werden. Ohne das ist es unmöglich, daß ein Schluß auf Begriffsbestimmung hin erfolgen könnte; wenn nämlich auch noch irgendwelche anderen (Bestimmungen) im »wasist-es«-(Bereich) der Sache zugesagt werden, so ist unklar, ob die vorgetragene (Rede) oder eine andere die Begriffsbestimmung davon ist, wenn doch »Begriffsbestimmung« ist: »erklärende Rede, die das ›was es ist‹ bezeichnet«. Klar ist (das Gemeinte) auch aus folgendem: Leichter ist es, ein (Schlußergebnis) zustande zu bringen als viele. Einem, der aufheben will, reicht es nun schon, auf einen Punkt hin die Untersuchung zu führen; haben wir nämlich ein Stück, welches auch immer, eingerissen, so werden wir schon die Begriffsbestimmung aufgehoben haben. Für den, der errichten will, dagegen ist es notwendig, alles zusammenzuführen, damit die für Begriffsbestimmung erforderlichen Stücke vorliegen. – Sodann muß einer, der errichtet, seinen Schluß auch allgemein durchhalten: Von allem, wovon doch das Wort ausgesagt wird, muß auch die Begriffsbestimmung ausgesagt werden können, zudem ist das auch noch umzukehren, wenn die angegebene Begriffsbestimmung eigentümlich sein soll. Wer dagegen einreißt, für den ist es nicht mehr notwendig, das »über alles« nachzuweisen; es reicht ihm nämlich, aufgezeigt zu haben, daß die begriffserklärende Rede für irgendeinen Fall, der unter

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diesem Namen läuft, nicht stimmt. Und wenn auch allgemein eingerissen werden müßte, so wäre bei diesem Einreißen immer noch keine Umkehrung nötig; es reichte dann ja für den Einreißenden, über alle Fälle aufgezeigt zu haben, daß in keinem Fall, wovon der Name ausgesagt wird, dem auch die begriffserklärende Rede zugesagt werden kann; den Umkehrfall muß er nicht zusätzlich erweisen, daß, wovon die erklärende Rede nicht ausgesagt wird, dem die Namensbezeichnung (aber doch) zugesprochen wird. Des weiteren, wenn auch (der Inhalt der begriffserklärenden Rede) allem zukommt, was unter diesem Namen (je auftaucht), aber nicht diesem allein, so tritt ein, daß die Begriffsbestimmung aufgehoben ist. Entsprechend verhält es sich mit Eigentümlichkeit und Gattung: bei beiden ist das Einreißen leichter als das Errichten. Beim Eigentümlichen ist das aus dem Gesagten klar: Allermeist wird die Eigentümlichkeit mittels einer Verknüpfung (mehrerer Worte) angegeben, so daß das Einreißen schon geht, wenn man nur eins davon aufhebt; dagegen, wer da errichten will, muß erst alles zum Zusammenschluß führen. Nahezu aber auch alles übrige, was im Hinblick auf Begriffsbestimmung hin (festzustellen ist), paßt auch, im Hinblick auf Eigentümlichkeit auszusagen: Wer errichtet, muß zeigen, daß (das in der Begriffserklärung Behauptete) jedem und allem, was unter diesem Namen läuft, tatsächlich zukommt, für den Einreißenden dagegen reicht es gezeigt zu haben, daß es einem nicht zukommt; und wenn es zwar allem zukommt, dem aber nicht allein, so tritt auch so der Fall des Einreißens ein, wie eben bei »Begriffsbestimmung« gesagt wurde. Bei der Gattung (zeigt sich das oben Behauptete darin): Errichten (erfolgt) notwendig auf eine Weise allein, nämlich indem man zeigt, dies kommt jedem zu; eingerissen werden kann dagegen auf zwei Weisen: Sowohl wenn gezeigt ist, daß es keinem, wie auch, daß es einem nicht zukommt, so ist die Anfangsbehauptung aufgehoben. – Darüberhinaus reicht es für einen, der errichtet, nicht, gezeigt zu haben, daß dies zukommt, sondern er muß auch noch zeigen, daß es als Gattung



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vorliegt; für den Einreißenden dagegen ist es hinreichend, gezeigt zu haben, daß es nicht vorliegt, entweder an irgendeinem oder an allen. So hat es also den Anschein: Wie auch in allen übrigen (Verhältnissen) das Zerstören leichter ist als das Herstellen, so auch in diesen Dingen das Einreißen (leichter) als das Errichten. Bei dem nebenbei Zutreffenden ist die Allgemein-Aussage leichter einzureißen als zu errichten: Wer errichtet, muß zeigen, daß (dies) allem zukommt, dem Einreißenden reicht es gezeigt zu haben: einem nicht. Bei der Teilaussage ist umgekehrt errichten leichter als einreißen; dem Errichtenden reicht es nämlich gezeigt zu haben: Es liegt an irgendeinem vor; wer dagegen einreißen will, hat zu zeigen: Es liegt an keinem vor. Einsehbar ist auch, daß es am leichtesten von allem ist, eine Begriffsbestimmung einzureißen; in ihr ist ja die ganze Menge des nach vielen Aussagen Zugegebenen besonders groß, je mehr aber (an Stoff da ist), desto schneller ergibt sich ein (möglicher) Schluß; es ist ja wahrscheinlich, daß in einer großen Menge mehr Möglichkeiten zu Fehlern als in einer kleinen liegen. Darüberhinaus geht es auch, auf die Begriffsbestimmung über die anderen (aufgezählten Bestimmungen) den Angriff zu machen: Mag denn nun die erklärende Rede nicht eigentümlich sein oder das Angegebene keine Gattung, oder mag etwas von dem in der erklärenden Rede (Behaupteten) tatsächlich nicht vorliegen: die Begriffsbestimmung ist aufgehoben. Zu einem Angriff auf die übrigen (Bestimmungen) dagegen lassen sich weder die (Stücke) aus den Begriffsbestimmungen noch die übrigen alle verwenden: allein die (Verhältnisse) bei »nebenbei zutreffend« sind allen Genannten gemeinsam. Vorliegen (an dem Gegenstand) muß ja jedes der Genannten; wenn die Gattung nicht als Eigentümlichkeit vorliegt, so ist damit die Gattung noch nicht aufgehoben; entsprechend ist auch nicht notwendig, daß das Eigentümliche mit Wertigkeit einer Gattung, oder das nebenbei Zutreffende mit Wertigkeit von Gattung oder Eigentümlichkeit (vorläge), es muß eben nur vorliegen. Also geht es nicht, aus dem einen Ansätze zum

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Angriff auf die anderen zu entnehmen, außer eben bei der Begriffsbestimmung. Klar nun also: Am leichtesten von allem ist es, eine Begriffsbestimmung aufzuheben, sie zu errichten dagegen am schwierigsten; erstens einmal muß man alle die anderen (Bestimmungen) im Schluß zusammenbringen: Daß die Genannten tatsächlich vorliegen, daß das Angegebene auch wirklich Gattung ist und daß die erklärende Rede auch eigentümlich ist, – und dann über all das hinaus noch, daß die erklärende Rede auch das »was es sein sollte« (des zu Bestimmenden) bezeichnet. Und das alles muß noch sauber gemacht sein. Von den übrigen (Bestimmungen) ist die Eigentümlichkeit am meisten derartig (wie die Begriffsbestimmung): Sie ist leichter aufzuheben, weil (sie) allermeist aus vielen (Stücken zusammengesetzt ist); zu errichten ist sie am schwierigsten, weil erstens viel zusammengebracht werden muß, und dazu noch, daß sie dem Gegenstand allein zukommt und sich mit ihm wechselseitig aussagen läßt. Am leichtesten von allen zu errichten ist das nebenbei Zutreffende; bei den anderen ist ja nicht nur zu zeigen, daß sie bloß vorliegen, sondern auch, daß sie in der und der Weise vorliegen; beim nebenbei Zutreffenden ist schon hinreichend, überhaupt gezeigt zu haben, daß es vorliegt. Ein nebenbei Zutreffendes einzureißen ist am schwierigsten, weil bei ihm am wenigsten zugegeben ist; es wird nämlich beim nebenbei Zutreffenden keinerlei Zusatzangabe gemacht, in welcher Weise es vorliegt. Also kann man bei den anderen die Aufhebung auf zwei Weisen machen, entweder indem man zeigt, es liegt nicht vor, oder, es liegt in dieser Weise nicht vor; beim nebenbei Zutreffenden kann man die Aufhebung nicht anders machen, als indem man zeigt, es liegt nicht vor. Die Gesichtspunkte, mittels derer wir reichlich Vorrat haben, an jede gestellte Aufgabe Hand anzulegen, sind somit in etwa vollständig aufgezählt.

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Kapitel 1. Nach dem ist über Anordnung und, wie gefragt werden muß, zu sprechen. – Erstens muß, wer da das Geschäft des Fragenstellens betreiben will, den Gesichtspunkt herausgefunden haben, von wo aus Zugriff zu machen ist, zweitens (muß er) bei sich selbst schon im einzelnen die Fragen gestellt und in eine Reihe gebracht haben, schließlich und drittens ist das nunmehr gegenüber einem anderen zur Sprache zu bringen. Bis zu dem Punkt, den Gesichtspunkt aufgefunden zu haben, ist es in gleicher Weise Untersuchungsaufgabe des Philosophen wie des gesprächführenden Dialektikers, dann aber, dies nunmehr zu ordnen und in Frageform zu bringen, ist eigentümliche Aufgabe des Gesprächführenden; denn alles das richtet sich ja auf einen anderen. Dem die Weisheit liebenden und für sich allein suchenden Mann dagegen liegt daran nichts: Wenn (die Voraussetzungen), durch die der Schluß (erfolgt), zwar wahr und bekannt sein sollten, der Antwortgebende sie aber nicht setzt, weil das so nah beim Ausgangspunkt liegt und er voraussieht, was sich da ergeben wird, – er hingegen wird sich ja wohl darum bemühen, daß die Ausgangsforderungen möglichst bekannt und naheliegend sind: daraus (ergeben sich) nämlich die wissen-schaffenden Schlüsse. Von wo aus man sich nun die Gesichtspunkte nehmen muß, ist früher vorgetragen. Über Anordnung und das Fragenbilden ist zu sprechen, indem man die Vorgaben unterteilt, die über die notwendigen hinaus anzunehmen sind. »Notwendig« werden die genannt, durch welche der Schluß sich ergibt. Die über diese hinaus angenommenen sind vier: Entweder [1] (werden sie gemacht) der Heranführung wegen, und damit das Allgemeine gegeben ist, oder [2] zum größeren Gewicht der Rede, oder [3], um den Schlußsatz noch verborgen zu halten, oder [4], damit die Rede deutlicher sei. Über diese hinaus soll man kei-

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ne Vorgabe annehmen, sondern soll versuchen, mittels dieser (die Sache) wachsen zu lassen und Fragen zu bilden. – Die (Vorannahmen) zum Zwecke des Verhergens dienen nur dem Wettstreit; da aber diese ganze Anstrengung auf Auseinandersetzung mit einem anderen ausgerichtet ist, muß man sich auch dieser bedienen. Was die notwendigen (Voraussetzungen) angeht, mittels derer der Schluß (zustandekommt), so muß man mit denen nicht gleich herauskommen, sondern (sie) möglichst weit nach oben hinaus wegstellen, z. B., indem man nicht gleich fordert, daß dasselbe Wissen auf Gegenüberliegendes sich beziehe, wenn man doch dies bekommen will, sondern (man fordert erst einmal, es sei Wissen) des Entgegengesetzten; ist das nämlich erst einmal gesetzt, so wird auch geschlossen werden können, daß eines und dasselbe (Wissen) auf Gegenüberliegendes sich bezieht, wenn denn doch Gegenüberliegendes auch entgegengesetzt ist. Wenn er es aber nicht setzen will, muß man es über Heranführung zu erhalten versuchen, indem man ihm Sätze vorlegt mit Einzelfällen von Gegenüberliegendem. Entweder sind ja doch die notwendigen (Voraussätze) mittels Schluß oder mittels Heranführung zu gewinnen, oder die einen davon durch Heranführung, die anderen durch Schluß; welche aber allzu einsichtig sind, die soll man auch unmittelbar vorgeben: das zukünftige Ergebnis wird ja doch einerseits bei Zurückstellung und Heranführung je immer nur unklarer, und gleichzeitig liegt die Möglichkeit bereit, die verwendbaren (Sätze) unmittelbar vorzugeben, wenn man sie auf die andere Weise nicht bekommen kann. Die genannten darüber hinausgehenden (Vorgaben) muß man hernehmen dieser (notwendigen) wegen und dabei eine jede auf folgende Weise behandeln: Man führt (die Sache) von den Einzelfällen zum Allgemeinen herauf und vom Bekannten zum Unbekannten. In näherem Maße bekannt ist das, was unter die Sinneswahrnehmung fällt, entweder überhaupt oder für die große Menge der Leute. Will man dagegen seine Absicht verbergen, so sind Schlüsse vorzuschalten (auf die Annahmen), durch welche der Schluß auf den Ausgangspunkt erst erfolgen soll, und das (sollen) so



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viele wie nur möglich (sein); das könnte man so fertigbringen, wenn einer nicht nur die notwendigen (Sätze) erschließt, sondern auch solche, die auf deren Gewinnung hin verwendbar sind. – Außerdem darf man die Schlußsätze nicht einfach sagen, sondern soll sie erst hernach in geschlossener Reihe herleiten; so kämen sie ja auch am weitesten weg von der Anfangsannahme zu stehen. – Um es allgemein zu sagen: Wer da auf diese verschleierte Art an seine Antworten kommen will, der muß so fragen, daß der, von dem man die ganze Reihe der Erklärungen abgefragt hat und der den Schlußsatz auch ausgesprochen hat, nun noch nach dem »weshalb« fragt. Das wird sich am besten über die oben angegebene Weise ergeben; ist nämlich nur der letzte, vollendende Schlußsatz ausgesagt, (so ist) unklar, wie das denn zustandekommt, weil der Antwortgebende nicht voraussieht, aufgrund welcher (Voraussetzungen) es zustandekommt, wenn die vorausliegenden Schlüsse nicht durchgegliedert sind; am wenigsten wird ja wohl der Schlußvorgang auf den vollendenden Satz durchgegliedert sein, wenn wir nicht die auf diesen (Schlußsatz) hinführenden Annahmen setzen, sondern jene, von denen aus der Schlußvorgang sich ergibt. Nützlich ist es auch, die Annahmen nicht in fortlaufender Reihe einzufordern, aus denen (sich) die Schlüsse (ergeben), sondern im Wechsel eine für den einen, eine für den anderen Schlußsatz; denn wenn die zusammengehörigen (Vorausannahmen) nebeneinandergesetzt werden, so ist das, was aus ihnen sich ergeben kann, leichter ersichtlich. Man muß auch in den Fällen, wo das geht, die allgemeine Voraussetzung nicht durch Festlegung der in ihr gesagten Dinge selbst, sondern von solchen, die damit in einer verwandten Reihe stehen, anpacken. Denn die Leute schließen falsch und täuschen sich darin, (wenn sie meinen), sie gäben nicht den allgemeinen Fall zu, wenn die Begriffsbestimmung bei dem, was in verwandter Reihe steht, angenommen ist, z. B., falls folgende Annahme gemacht werden soll: »Einer, der zornig ist, ist begierig auf Vergeltung infolge offenkundiger verächtlicher Behandlung«, und man hätte aber erhalten: »Zorn ist ein Streben nach Vergeltung infolge offenkundiger verächtlicher

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Behandlung«: klar doch, wenn wir das bekommen haben, haben wir ja wohl auch allgemein, worauf wir aus sind. Denen, die die Dinge selbst gleich vorlegen, geschieht es ja oft, daß der Antwortgebende sich weigert, weil er gegen die Annahme selbst leichter über einen Einwand verfügt, z. B.: Ein Zorniger ist gar nicht auf Vergeltung aus; es kommt ja vor, daß wir unseren Eltern zürnen, und in dem Fall wollen wir doch keine Vergeltung. – Vielleicht ist ja nun dieser Einwand nicht richtig: in einigen Fällen ist es wohl hinreichend Vergeltung, (den Übeltäter) nur traurig zu machen und Reue zu bewirken. Indessen hat er aber doch etwas Überzeugendes im Hinblick darauf, daß man offenkundig nicht ohne Begründung die vorgelegte Behauptung leugnet. Dagegen bei der Begriffsbestimmung (bloß) von »Zorn« ist es nicht genauso leicht, einen Einwand aufzufinden. Weiter (ist es zweckdienlich, seine Sätze) nicht so vorzulegen, als ginge es um die Sache selbst, sondern man legt so vor, als ginge es um etwas anderes; denn vor dem, was für die aufgestellte Behauptung (sichtbar) dienlich ist, sind die Leute auf der Hut. Einfach gesprochen, man soll möglichst unklar halten, ob man das Vorgelegte oder dessen Gegenteil haben will; solange nämlich unklar bleibt, was zum Ziel der Rede beiträgt, setzen die Leute eher, was sie so meinen. Weiter (ist es nützlich), sich seine Antworten über Ähnlichkeiten zu besorgen. Das ist erstens überzeugend, zweitens bleibt die Verallgemeinerung auch länger verborgen, z. B.: Wie Wissen und Nichtwissen von Gegenteiligem je eines und dasselbe sind, so geht auch eine und dieselbe Sinneswahrnehmung auf Gegenteiliges aus; oder umgekehrt, da es bei der Wahrnehmung je die gleiche ist, so auch das Wissen. Das ist der Heranführung ähnlich, allerdings nicht dasselbe; dort bekommt man ja von Einzelfällen aus das Allgemeine, bei den Ähnlichkeitsfällen ist das Erhaltene nicht das Allgemeine, unter welchem alle ähnlichen Fälle stehen. Man muß gelegentlich auch selbst gegen sich einen Einwand vorbringen; die Antwortgebenden verhalten sich dann ja arglos gegenüber Leuten, die den Eindruck erwecken, sie



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gingen auf redliche Weise an die Sache. – Nützlich ist es auch, zusätzlich zu bemerken, daß derartiges (wie behauptet) ja anerkannt und in aller Leute Munde sei; dann zögern sie ja, etwas Geläufiges umzustoßen, wenn sie keinen Einwand dagegen haben, und zugleich, weil sie ja auch selbst derartiges benutzen, hüten sie sich, daran zu rühren. – Weiter auch (ist es nützlich), nicht zu viel Druck zu machen, auch wenn (das Behauptete) sehr brauchbar sein sollte; gegen Leute, die zu viel Eifer zeigen, sperrt man sich mehr. – (Nützlich ist) auch, (seine Sache) gewissermaßen in einem Gleichnis hereinzugeben; was eines anderen wegen vorgelegt wird und nicht um seiner selbst willen verwendbar sein soll, gibt man leichter zu. – Weiter: Nicht das selbst vorlegen, was angenommen werden soll, sondern (etwas), dem dieses (erst) mit Notwendigkeit folgt; das geben die Leute ja leichter zu, weil daraus nicht gleich ersichtlich ist, was da sich ergeben soll, und wenn man das erst einmal erhalten hat, dann ist ja auch jenes schon erreicht. Und: Erst mit dem letzten Schritt fragen, was man doch am meisten bekommen will; am meisten weigern sich (die Antwortgebenden) bei den ersten (Schritten), weil nämlich die allermeisten Fragesteller gleich als erstes heraussagen, worauf sie den größten Nachdruck legen. Einigen Leuten gegenüber allerdings (sollte man) gleich in den ersten Schritten so etwas vorlegen; denn schwierige Leute geben die ersten (Sätze) ganz leicht her, wenn nicht vollkommen durchsichtig ist, was sich da ergeben wird, gegen Ende werden sie dann störrisch. Ähnlich ja auch alle die, welche da meinen, beim Antwortgeben neunmalschlau zu sein: Die ersten (Annahmen) setzen sie ja, gegen Ende machen sie Haarspalterei, mit der Begründung, das ergebe sich doch nicht aus dem Festgesetzten; (am Anfang) setzen sie so bereitwillig, weil sie auf ihre Fähigkeiten vetrauen und annehmen, ihnen könne schon nichts passieren. – Weiter (ist es nützlich), weitläufig zu werden und Dinge einzustreuen, die zum Gang der Herleitung gar nichts beitragen, so wie die Leute, die falsche Abbildungen zeichnen: wenn da vieles ist, so ist unklar, in welchem davon der Fehler steckt. Und so bringen es gelegentlich die Fragesteller fertig, so im Vorbei-

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gehen ein paar Zusatzbehauptungen aufzustellen, ohne daß man es merkt; für sich selbst vorgelegt, würden sie das nicht zugestanden erhalten. Zur Verschleierung der Absichten nun also muß man die genannten (Mittel) verwenden, zur Ausschmückung dagegen (taugt) Heranführung und Einteilung verwandter (Bestimmungen). Was dabei unter »Heranführung« verstanden ist, ist klar; Einteilen ist von der Art, wie z. B.: (Diese eine Form von) »Wissen« ist besser als (ein anderes) »Wissen«, entweder aufgrund davon, daß es genauer ist, oder weil es von wertvolleren Gegenständen handelt, und: Von den Wissensarten ist die eine »anschauend«, die andere »handlungsbezogen«, die dritte »herstellend«. Von alledem schmückt ja ein jedes die Rede mit aus, nur ist es nicht notwendig gesagt zu sein im Hinblick auf den Schlußsatz. Zur durchsichtigen Klarheit sind Beispiele und Vergleiche anzubringen, an Beispielen aber vertraute, von denen aus wir uns Wissen aneignen können, – wie (sie) Homer (macht), nicht wie Choirilos. So wird ja wohl das Vorgelegte klarer verständlich sein. Kapitel 2. Zu verwenden ist bei der Gesprächsführung der Schluß mehr denen gegenüber, die von dieser Art Gesprächsführung etwas verstehen, als den vielen Leuten gegenüber, hingegen umgekehrt der großen Masse gegenüber eher die Heranführung. Darüber ist ja auch schon früher gesprochen. In einigen Fällen ist es möglich, in heranführender Weise das Allgemeine zu erfragen, in einigen Fällen wieder (ist das) nicht leicht, weil für die Ähnlichkeitsfälle eben nicht eine allen gemeinsame Wortbezeichnung festliegt, sondern wenn man das Allgemeine ergreifen muß, sagt man dann halt: »... und so bei allem übrigen derart«; das aber genau festzusetzen, gehört zu den schwierigsten (Aufgaben), was denn nun von dem Vorgebrachten »derart« ist, was nicht. Darüberhinaus hintergehen (die Leute) einander oft im Verlauf der Erklärungsrede, indem die einen behaupten, es sei ähnlich, was doch in Wirklichkeit nicht ähnlich ist, die anderen bei Dingen, die ähnlich sind, allerlei Zweifel erheben, sie seien es wohl nicht. Daher



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muß man versuchen, in allen derartigen Fällen selbst dafür Namen zu bilden, damit es weder dem Antwortenden freisteht zu bestreiten: Das Angebrachte werde doch gar nicht »in ähnlicher Weise« ausgesagt, noch dem Fragesteller, die Worte zu verdrehen: Es werde doch »in ähnlicher Weise« ausgesagt, da nämlich vieles, was in Wirklichkeit nicht »so entsprechend« ausgesagt wird, »so in entsprechender Weise« ausgesagt zu werden scheint. Wenn aber, nachdem (man selbst) über viele Einzelfälle herangeführt hat, (der andere) die Allgemeinheit der Sache nicht zugeben will, dann ist es berechtigt, ihm eine Gegen-Stellungnahme abzuverlangen. Hat man dagegen selbst nicht gesagt: »In dem und dem Falle so ...«, so ist man nicht berechtigt, (dem anderen) abzuverlangen, »in welchen Fällen nicht so ...«; es muß nämlich so gehen: Erst ist die Heranführung zu machen, danach erst die Gegen-Stellungnahme einzufordern. – Es ist auch zu fordern, die Gegenbeispiele nicht an dem Vorgelegten selbst zu bringen, falls dieses nicht das einzige seiner Art sein sollte, wie etwa die Zwei allein »erste Zahl der geraden« ist; wer da Gegenfälle aufführt, muß seinen Stoff dafür von anderen Fällen hernehmen, oder er muß sagen, daß dies der einzige derartige Fall ist. Gegenüber denen, die sich der Verallgemeinerung widersetzen, aber ihren Einwand nicht an der Sache selbst einbringen, sondern an etwas, was mit dem nur den gleichen Namen gemeinsam hat, z. B.: Es könnte einer sehr wohl Farbe, Fuß oder Hand »haben«, »die nicht sein sind«; denn ein Maler könnte Farbe (in der Hand oder zur Verfügung) »haben« oder ein Koch einen Fuß, »der nicht seiner ist« –: nun, in derartigen Fällen sind die Fragen zu stellen, indem man das unterteilt: solange diese bloße Namensgleichheit ja verborgen ist, scheint er guten Grund zu haben, sich der Vorgabe zu widersetzen. – Wenn er aber seinen Widerstand nicht an einer bloßen Wortgleichheit festmacht, sondern an der Sache selbst und so das Weiterfragen verhindert, dann muß man das wegnehmen, woran der Widerstand sich festmacht, und gibt den Rest dann ein, indem man ihn verallgemeinert, bis man das bekommt, was

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man braucht. Z. B. (der) Fall »Vergessenheit« und »Vergessenhaben«: man wird ja nicht einräumen, daß einer, der »Wissen verloren hat«, auch »vergessen habe«, aus folgendem Grunde: Ist der Sachverhalt (in den Dingen draußen) umgeschlagen, so hat (der davon wußte) zwar sein Wissen verloren, vergessen aber hat er nicht. Nun ist also, indem man das wegnimmt, woran der Einwand sich festmacht, das Übriggebliebene vorzutragen, z. B.: Wenn er, unter Voraussetzung der Tatsache, daß der Tatbestand bestehenbleibt, sein Wissen verloren hat, dann hat er vergessen. – Ebenso auch denen gegenüber, die da als Einwand vorbringen: Dem »größeren Gut« steht nicht das »größere Übel« gegenüber; dafür bringen sie bei, der »Gesundheit«, die doch ein geringeres Gut ist als »tadelloser Körperzustand«, steht ein größeres Übel entgegen; nämlich »Krankheit« sei doch ein schlimmeres Übel als »schlechte Körperverfassung«. Auch in dem Fall ist nun also fortzunehmen, woran der Einwand festgemacht wird; ist das nämlich weggenommen, wird er ja wohl mit größerer Bereitwilligkeit setzen – z. B. –: Dem »größeren Gut« steht ein »größeres Übel« entgegen, wenn nicht das eine das andere mit sich führt, wie die »gute Körperverfassung« eben die »Gesundheit«. – Nicht nur, wenn er mithilfe von Gegenbeispielen Einwände macht, ist das zu tun, sondern auch, wenn er ohne Gegenbeispiel sich ganz einfach weigert, weil er dies und das als mögliche Folge voraussieht: ist das fortgenommen, woran sich der Einwand (festmachen könnte), so wird er ja gezwungen sein, (die Sache) so zu setzen, weil er bei dem Übriggebliebenen nicht vorhersehen kann, in welchem Falle (es) nicht so (sein sollte); will er es aber nicht so setzen, so wird von ihm ein Gegenbeispiel abverlangt, und das kann er dann ganz bestimmt nicht liefern. Dazu tauglich sind unter den einzugebenden Sätzen die, die in einer Hinsicht zwar falsch, in anderer aber wahr sind; bei denen geht es ja, wenn man etwas weggenommen hat, den Rest als wahr gelten zu lassen. Wenn man aber selbst über viele Fälle Vorannahmen gemacht hat und (der andere) keinen Einwand dagegen erhebt, so muß man fordern, daß er auch so setzt; denn genau für so ein Untersuchungsgespräch tauglich ist doch ein vorgelegter Satz, gegen



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den, angesichts der Tatsache daß er sich in vielen Fällen als richtig erweist, es keine Möglichkeit zum Einwand gibt. Wenn es aber gehen sollte, einen und denselben Sachverhalt sowohl ohne (Annahme von) Unmöglichem wie auch über (Annahme von) Unmöglichem zu erschließen, so macht es für einen, der nur den Beweis führt und sich nicht auf ein Gespräch dabei einläßt, keinen Unterschied, über diesen oder den anderen Weg zum Schluß zu kommen, dagegen, wer sich im Gespräch mit einem anderen auseinanderzusetzen hat, der soll den Schluß mittels der unmöglichen Annahme nicht benutzen: Jemandem, der ohne (Annahme von) Unmöglichem seine Schlüsse zieht, kann man nämlich nichts einreden; wenn er dagegen auf Tatbestände schließt, die gar nicht sein können, so werden (die anderen), wenn es nicht so sehr am Tage liegen sollte, daß dies falsch ist, sagen, ja, das sei nicht unmöglich so, und so tritt für die Fragesteller das nicht ein, was sie doch wollten. Man soll als Satz vorgeben, was sich in vielen Fällen ebenso verhält und wogegen es Einwand entweder gar nicht gibt oder solcher ersichtlich nicht zutage liegt; wenn (die anderen) nicht in der Lage sind, (Fälle) zusammenzusuchen, bei denen es nicht so ist, so werden sie es als tatsächlich bestehend setzen. Man darf den letzten Schlußsatz nicht als Frage machen; andernfalls, wenn der andere sich dann weigert, sieht es so aus, als habe es hier gar keinen Schluß gegeben. Oft ja schon streiten die Leute es ab, auch wenn man nicht fragt, sondern als sich ergebend vorträgt, und wenn sie das machen, so scheinen sie nicht widerlegt, jedenfalls nicht für Leute, denen die Zusammenschau fehlt, was denn aus dem Gesetzten wirklich zusammenkommt. Wenn man nun, ohne behauptet zu haben: Das kommt so zusammen, einfach fragt, (der andere) es dann abstreitet, dann scheint ganz und gar kein Schluß zustandegekommen zu sein. Nicht jede Allgemeinheit scheint als vorgegebener Satz für ein Untersuchungsgespräch (geeignet), z. B.: Was ist »Mensch«? Oder: In wievielen Bedeutungen wird »gut« ausgesagt? Es ist nämlich ein solcher eingegebener Satz ge-

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sprächstauglich, auf den man mit »Ja« oder »Nein« antworten kann; auf die genannten (Fragen) gibt es solche Antwort nicht; deshalb sind derartige Fragen nicht gesprächsgeeignet, wenn man nicht selbst sich genau festlegt oder eine Unterscheidung trifft und dann erst spricht, z. B.: Wird »gut« in der oder der Bedeutung ausgesagt? Auf derartige (Fragestellungen) ist ja die Antwort (in der Form) leicht, daß man da entweder zustimmt oder ablehnt. Daher ist zu versuchen, derartige Vorannahmen in dieser Form einzugeben. Gleichzeitig ist es dann ja wohl auch berechtigt, von dem anderen wissen zu wollen, in wievielen Bedeutungen (nach ihm) »gut« ausgesagt wird, wenn man selbst vorher eingeteilt und es ihm vorgelegt hat, er aber auf keine Weise zustimmen wollte. Jeder, der viele Zeit lang an einer einzigen Erklärung herumfragt, zieht seine Erkundigungen schlecht ein: Wenn nämlich einerseits der Gefragte auf das Gefragte Antwort gibt, so (ist) klar: Er stellt viele Fragen, oder (besser), er fragt vielmals das Gleiche, so daß er also entweder müßig herumredet oder keinen Schluß erhält – jeder Schluß (kommt) aus wenigen (Voraussetzungen zustande); gibt er andererseits keine Antwort, (so geht man schlecht vor), indem man ihn (deswegen) nicht tadelt oder die Sache eben nicht bleibenläßt. Kapitel 3. Es kommt vor, daß es bei einer und derselben Voraussetzung einerseits schwierig ist, sie anzugreifen, andererseits leicht, sich für sie einzusetzen. Von der Art sind ihrem Wesen nach Erstannahmen und letzte (Sätze). Die Erstvoraussetzungen bedürfen einer Begriffsbestimmung, die letzten (Sätze) werden über viele (Zwischenschritte) hergestellt von einem jeden, der die zusammenhängende Reihe von den ersten (Sätzen) an durchnehmen will; andernfalls erscheinen diese Versuche trugschlüssig: es ist nämlich unmöglich, etwas herleiten zu wollen, ohne daß man von den dazu passenden Erstannahmen ausgegangen ist und es dann aneinanderreiht bis zu den letzten (Sätzen). Das Bestimmen von Begriffen wird einerseits von den Antwortgebern nicht eingefordert, andererseits, wenn ein Fragesteller derlei Begriffsfestlegung macht, passen sie darauf nicht auf; wenn aber überhaupt nicht



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klargeworden ist, was denn eigentlich das Vorgenommene ist, so ist es nicht leicht, ihm zu Leibe zu rücken. Am stärksten tritt derlei bei den Anfangsannahmen auf: alles übrige wird ja aus diesen gezeigt; daß diese durch anderes hergeleitet würden, geht nicht, sondern es ist notwendig, eine jede derartige (Erstannahme) mithilfe einer Begriffsfestlegung bekannt zu machen. Schwer angreifbar sind auch die (Annahmen), die noch sehr nah beim Ausgangspunkt liegen; es ist nicht gegeben, viele Begründungen gegen sie aufbringen zu können, da es doch nur wenig ist, was zwischen ihnen und der Ausgangsannahme inmitten liegt, wodurch doch alles, was danach (steht), erst gezeigt werden muß. Von den bestimmten Begriffen sind am allerschwersten angreifbar die, welche solche Wortbezeichnungen verwenden, die erstens einmal unklar sind bezüglich dessen, ob sie nun in einer oder in mehreren Bedeutungen ausgesagt werden, zudem auch noch in dem Punkt nicht erkannt sind, ob sie nun im eigentlichen Sinne oder in übertragener Bedeutung von dem, der sie bestimmt hat, ausgesagt werden. Weil sie so undurchsichtig sind, geben sie keinen Ansatz zum Zugriff; weil auf der anderen Seite man nicht weiß, ob sie das, was sie sind, dadurch sind, daß hier die Worte in übertragener Bedeutung benutzt werden, gibt es keinen Ansatz zum Tadel. Überhaupt, bei jeder gestellten Aufgabe, wenn es schwer ist, an sie heranzukommen, ist entweder zu unterstellen, daß dies eines bestimmten Begriffes bedarf, oder daß da Worte benutzt sind, die zu denen mit vielen Bedeutungen gehören, oder die in übertragener Bedeutung ausgesagt sind, oder (es sind Annahmen), die nicht weit von den Erstannahmen entfernt sind, weil uns zunächst einmal eben das nicht klar ist, nach welcher der aufgezählten Weisen wohl das ist, was uns die Schwierigkeit bereitet; würde diese Weise offenkundig, (so wäre ja) klar: Entweder müßte hier der Begriff genau festgelegt werden, oder es wäre zu unterteilen, oder es wären die inmitten stehenden Annahmen aufzufinden, durch die kann man dann die letzten (Sätze) herleiten.

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Bei vielen Behauptungen ist es deshalb nicht leicht, sie zum Gesprächsgegenstand zu machen und an sie heranzukommen, weil die Bestimmung des Begriffs dabei nicht sauber angegeben wird, z. B. (bei der Frage): Hat eine Bestimmung ein Gegenteil oder (gibt es zu ihr) mehrere? Ist dagegen das, was zu ihr gegenteilig ist, wie sich’s gehört, fest bestimmt, (so ist es) leicht zusammenzubekommen, ob es nun geht, daß eines und dasselbe mehrere Gegenteile hat, oder nicht. Auf die gleiche Weise bei allem anderen, das einer Begriffsbestimmung bedarf. Es scheint aber auch in der Mathematik, daß einiges wegen der Ermangelung eines bestimmtes Begriffes nicht leicht zeichnerisch darzustellen ist, z. B. (die Behauptung), daß die Neben-der-Seite-her-Schneidende (d. h. Winkelhalbierende) die Fläche in gleiche Teile auseinandernimmt, sowohl die Grundlinie wie den Flächeninhalt. Ist dagegen die Begriffsbestimmung vorgetragen, so ist das Gemeinte sofort klar: Die Flächen- und Streckenstücke haben die Eigenschaft, einander genau aufzuheben, das eben ist die Begriffsbestimmung des Verhältnisses »dasselbe«. Überhaupt sind (hier) die ersten unter den Grundbestandteilen sehr leicht zu zeigen, sobald nur die Begriffsbestimmungen gesetzt sind, z. B.: Was ist »Gerade«, was ist »Kreis«? Nur eben, gegen einen jeden kann man nicht viel angreifend vorbringen, weil die in der Mitte (stehenden Sätze) nicht viele sind. Sobald andererseits die Begriffsbestimmungen der Erstannahmen nicht gesetzt werden, (so wird das Beweisen) schwierig, wenn nicht ganz und gar unmöglich. – Ähnlich wie hier verhält es sich auch in dem Falle, daß man die Zusammenhänge bei der vernünftigen Begründung überdenkt. Es darf also nicht verborgen bleiben: Wenn die Behauptung schwer angreifbar ist, dann ist es ihr nach einer der beschriebenen Weisen ergangen. Wenn es aber größere Arbeit ist, gegen die (Anfangs)forderung oder die Vorgabe anzureden als gegen die Behauptung, dann möchte man wohl im Zweifel sein, ob man derlei nun setzen soll oder nicht. Setzt man es also nicht, sondern fordert, daß auch dazu gesprochen werden



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muß, so verlangt man eine größere Aufgabe ab, als was zu Anfang festgesetzt war; setzt man es dagegen, so vertraut man auf Annahmen, die das eigentlich nicht so sehr verdienen. Wenn es denn also sein soll, daß man eine gestellte Aufgabe nicht schwieriger macht, so wäre zu setzen; wenn dagegen (gelten soll): Man soll mittels bekannterer (Annahmen) schließen, so ist nicht zu setzen. Oder (sagen wir es so): Wer da Erkenntnis gewinnen will, darf es nicht setzen, wenn es nicht zu Bekannterem gehört; wer sich dagegen üben will, mag es setzen, wenn es nur wahr scheint. Also (ist) einleuchtend: Man darf einem Fragenden und einem Lehrenden nicht abverlangen, daß sie genau so (wie der andere) ihre Aufstellungen machen. Kapitel 4. Wie nun also Fragen zu stellen und (die Sätze) anzuordnen sind, dazu ist das Gesagte in etwa ausreichend. Was andererseits das Antwortgeben anbetrifft, so ist erstens zu bestimmen: Was ist die Aufgabe jemandes, der saubere Antwort geben soll, so wie eben auch bei dem, der sauber fragen sollte. – Nun ist es Aufgabe des Fragestellers auf der einen Seite, den Erklärungsgang so hinzuführen, daß er den Antwortgeber dazu bringt, das Unwahrscheinlichste unter alledem zu sagen, was nach der Behauptung notwendig (folgt), Aufgabe des Antwortgebers hingegen ist es, den Eindruck zu vermeiden, das unmögliche und widersinnige Zeug ergebe sich seinetwegen, sondern eben nur infolge der Behauptung. Es sind ja wohl zwei verschiedene Fehler, einerseits etwas als Erstannahme zu setzen, was dies nicht hätte sein dürfen, andererseits nicht in der Lage gewesen zu sein, das Gesetzte nach vorschriftsmäßiger Weise zu wahren. Kapitel 5. Angesichts dessen, daß denen, die ihre Reden der Übung und listiger Versuchung wegen machen, nichts fest vorbestimmt ist – es sind ja durchaus nicht die gleichen Ziele, die Lehrende oder Lernende (einerseits) und Leute, die immer nur streiten wollen (auf der anderen Seite) verfolgen; und wieder andere Ziele als diese haben die, welche miteinander die Zeit verbringen gemeinsamer Untersuchung wegen. Der da lernend Erkenntnis gewinnen will, muß das setzen, was ihm je und je so (richtig) scheint; es wird ja auch keiner versuchen,

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etwas Falsches zu lehren. Bei denen, die nur Streit austragen, muß der Fragesteller unter allen Umständen den Eindruck erwekken, daß er die Sache führt und in der Hand hat, der Antwortende hingegen den, sich nichts aufzwingen zu lassen. Für die Gesprächszusammenkünfte, wo nicht um des Wettstreits willen, sondern der Erkundung und Prüfung wegen die Reden gemacht werden, ist noch nicht genau Bestimmung getroffen, woran der Antwortgebende sich halten soll, was zuzugeben ist und was nicht im Hinblick darauf, die aufgestellte Behauptung nun sauber zu halten oder an ihr herumdrehen zu lassen: Da wir nun (in diesem Punkt) nichts von anderen vorgegeben finden, wollen wir selbst versuchen, darüber etwas zu sagen. Der Antwortgebende also muß Rede stehen für eine Behauptung, entweder eine einleuchtende oder nicht einleuchtende oder auch keins von beiden, die er gesetzt hat, und entweder ist sie einfach so einleuchtend oder nicht einleuchtend, oder sie ist es auf genau bestimmte Weise, z. B. diesem bestimmten hier Anwesenden, entweder (dem Antwortenden) selbst oder einem anderen. Es macht dabei keinen Unterschied, auf welche Weise auch immer (die Behauptung) einleuchtend oder nicht einleuchtend ist; es wird ja dieselbe Weise sein, die Antworten sauber zu geben und das Gefragte entweder zuzugeben oder nicht zuzugeben. – Ist nun also die Behauptung nicht einleuchtend, so muß notwendig der Schlußsatz einleuchtend werden; ist sie einleuchtend, so er nicht einleuchtend: der Fragesteller will ja immer auf etwas hinaus, was der Behauptung entgegengesetzt ist. Wenn aber das (anfangs) Gesetzte weder nicht einleuchtend noch einleuchtend (ist), so wird auch der Schlußsatz derartig sein. Da nun aber einer, der auf saubere Weise schlußfolgert, aus einleuchtenderen und bekannteren (Begriffen) die vorgelegte Aufgabe herleitet, so ist offenkundig: Ist das (anfangs) Gesetzte ganz einfach nicht einleuchtend, so darf der Antwortgebende es nicht zugeben, weder was schlechterdings nicht (richtig) scheint, noch was zwar wohl so scheint, doch in geringerem Maße als der Schlußsatz. Ist ja doch die Ausgangsbehauptung nicht einleuchtend, so der Schlußsatz einleuchtend, also muß



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alles Angenommene einleuchtend sein, und zwar in höherem Maße einleuchtend als das Vorgenommene, wenn doch ein weniger Bekanntes mittels bekannterer (Sätze) schließend erreicht werden soll. Also, wenn irgendetwas unter dem Gefragten nicht derartig ist, so darf der Antwortgebende es nicht setzen. Wenn dagegen die Behauptung ohne Einschränkung einleuchtend ist, so klar: Der Schlußsatz (muß) ohne Einschränkung nicht einleuchtend (sein); zu setzen ist folglich alles, was (einleuchtend) erscheint, und von dem, was nicht so scheint, alles, was weniger unwahrscheinlich ist als der Schlußsatz. So dürfte man ja hinreichend am Untersuchungsgespräch sich beteiligt haben. Entsprechend auch, wenn die Behauptung weder nicht einleuchtend ist noch einleuchtend: Auch in dem Fall ist alles, was einem (so richtig) erscheint, zuzugeben, und von dem, was einem nicht so erscheint, alles, was in höherem Maße einleuchtend ist als der Schlußsatz. So wird sich ergeben, daß die Rede einleuchtender wird. Wenn nun also der aufgestellte Untersuchungsgegenstand ohne Zusatz einleuchtend oder nicht einleuchtend ist, so muß man den Vergleich im Verhältnis zu dem vornehmen, was den einfachen Anschein, (so oder so zu sein), an sich hat. Ist dieses Angesetzte aber nicht in diesem einfachen Sinne einleuchtend oder nicht einleuchtend, sondern (gilt das nur) für den Antwortgebenden, so muß man auf ihn hin entscheiden, was so oder nicht so erscheint, und dann es setzen oder nicht setzen. Wenn der Antwortgeber sich für die Meinung eines anderen wachsam einsetzen soll, dann ist klar: Er muß auf dessen Denken hinsehen und dann ein jedes setzen oder leugnen. So machen es ja auch die, welche anderer Leute Meinungen anbringen, z. B., »gut« und »schlecht« seien dasselbe, so wie Heraklit behauptet: die geben nicht zu, daß Gegenteiliges nicht gleichzeitig an einem und demselben vorliegen könne, nicht als ob sie selbst die Meinung hätten, das müsse so sein, sondern weil man gemäß Heraklit so sagen muß. Das machen auch die, welche ihre Behauptungen von einander überneh-

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men: sie halten sich an das, was der wohl sagen würde, der sie aufgestellt hat. Kapitel 6. Offenkundig (ist) nun, woran der Antwortgebende sich zu halten hat, ob nun die vorgelegte Aufgabe einfach so einleuchtend ist oder nur für jemand bestimmten. Da nun aber notwendig alles, was gefragt wird, entweder einleuchtend sein muß oder nicht einleuchtend oder weder das eine noch das andere, und was da gefragt wird, gehört entweder zu dieser Rede, oder es gehört nicht zu ihr – (nun also): wenn es einerseits so erscheint, aber nicht zu dieser Rede gehört, so soll man es zugeben, indem man sagt, es scheine so zu sein; wenn es dagegen nicht so scheint und auch nicht zur Rede gehört, so soll man es zwar zugeben, aber soll zusätzlich anmerken, daß es einem nicht so vorkomme, um sich vor dem Eindruck der Beschränktheit zu hüten. Ist es aber zur Sache gesprochen und erscheint es auch so, so ist zu sagen: Ja, es erscheint zwar so, doch steht es allzu nahe bei der Anfangsannahme, und es wird, wenn das gesetzt ist, das (ursprünglich) Angesetzte aufgehoben. Wenn dann das, was von einem verlangt wird, zwar zur Sache gesprochen ist, doch allzu unwahrscheinlich ist, so muß man sagen: Dies gesetzt, ergebe sich zwar die (gewünschte) Folge, aber das Vorgelegte sei doch allzu einfältig. Wenn es aber weder nicht einleuchtend noch einleuchtend (ist), (dann einerseits für den Fall): Wenn das nichts zur Sache ist, so ist es zuzugeben, ohne irgendeine genauere Bestimmung zu treffen; ist es dagegen zur Sache gesprochen, so ist zusätzlich anzumerken, daß, wenn das gesetzt wird, die Ausgangsannahme aufgehoben wird. So wird nämlich der Antwortende nie den Eindruck machen, es werde mit ihm wegen eigener Unfähigkeit etwas angestellt, wenn er ja in Voraussehung jeder einzelnen Folge seine Setzung macht. Der Fragende andererseits wird seinen Schluß bekommen, wenn ihm doch alles hingesetzt wird, was einleuchtender ist als der Schlußsatz. Alle, die den Versuch machen, aus Annahmen, die weniger einleuchtend sind als der Schlußsatz, eine Schlußfolgerung zu machen, klar, daß die nicht sauber schließen. Deshalb darf man (derlei) den Fragestellern auch nicht zugeben.



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Kapitel 7. Entsprechend ist auch bei (Aussagen), die undeutlich oder in mehrfacher Bedeutung ausgesagt sind, gegenzuhalten. Da es ja doch dem Antwortenden zugestanden ist, wenn er etwas nicht begreift, zu sagen: Verstehe ich nicht! –, und wenn es in mehreren Bedeutungen ausgesagt ist, hier nicht notwendig zustimmen oder nein sagen zu müssen, so (ist) klar: Erstens, wenn das Gesagte nicht klar ist, darf man keine Bedenken tragen zu sagen, dies verstehe man nicht; denn oft stößt einem infolge der Tatsache, daß man nicht klar gefragt worden ist und es doch zugegeben hat, etwas Widriges zu. Wenn aber andererseits (die Sache) zwar verständlich ist, doch das Gefragte mehrere Bedeutungen hat, (dann): Wenn einerseits in allen möglichen Bedeutungen das Gesagte wahr ist oder falsch, dann ist es ohne weiteres zuzugeben oder zu leugnen; wenn andererseits es in dem Sinne zwar falsch, in dem aber wahr ist, muß man zusätzlich anmerken, daß dies in mehreren Bedeutungen ausgesagt wird und daß die eine Seite davon falsch, die andere wahr ist; denn wenn man das erst später auseinandernimmt, so bleibt unklar, ob man gleich zu Anfang schon die Mehrdeutigkeit durchschaut hat. Hat man aber das Mehrdeutige daran nicht gleich durchschaut, sondern im Hinblick auf die eine Seite davon die Sache so gesetzt, dann ist einem gegenüber, der das nun auf die andere Seite bringen will, zu sagen: Nicht im Hinblick auf das habe ich dir die Sache zugegeben, sondern auf die andere Bedeutung davon. Wenn es nämlich mehrere (Sachverhalte) sind, die unter das gleiche Wort oder unter die gleiche begriffserklärende Rede fallen, dann ist das Daran-Herumdrehen leicht. Wenn dagegen der Inhalt der Frage erstens klar ist, zweitens einfach, so ist mit Ja oder Nein zu antworten. Kapitel 8. Da nun aber jeder im Schlußverfahren vorgelegte Satz entweder einer aus der Gruppe derer ist, aus denen der Schluß (sich ergibt), oder (er wird) um eines dieser (Sätze) willen (angesetzt) – wann da etwas um eines anderen willen angenommen wird, wird klar dadurch, daß nach mehreren ähnlich gelagerten Fällen gefragt wird; entweder mittels Heranführung oder über Ähnlichkeit holt man sich ja allermeist

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die Verallgemeinerung –: nun, die Einzelaussagen sind alle zu setzen, wenn sie wahr und einleuchtend sind, gegenüber der Verallgemeinerung muß man jedoch versuchen, Einrede zu erheben; denn ohne Einwendung von etwas, sei es tatsächlich oder nur anscheinend so, den Gang der Rede zu hindern, das bedeutet, sich unbillig zu sperren. Wenn man nun, wo es in vielen Fällen doch so scheint, die Allgemeinheit davon nicht zugibt und dabei keinen wirklichen Einwand zur Hand hat, so ist offenbar: Man verweigert sich nur. Darüber hinaus, wenn man kein Mittel zum Gegenangriff hat, (zu sagen): Das (von dem anderen Behauptete) ist nicht wahr, so erweckt man ja wohl noch viel mehr den Eindruck, man sperre sich grundlos. – Doch dies reicht nicht aus: Wir haben viele Erklärungsreden, die dem, was man so meint, geradewegs entgegenstehen und die aufzulösen schwierig ist, wie etwa die (Herleitung) Zenons, daß Bewegung gar nicht geht und daß es nicht möglich ist, ein Stadion zu durchmessen; nur ist das kein Grund, das Gegenteil davon nicht zu setzen. – Wenn man nun also, ohne etwas zum Gegenangriff zu haben und ohne auch einen Einwand vorbringen zu können, (die Sache) nicht setzt, so (ist) klar: Man verweigert sich nur. Diese Verweigerungshaltung bei der herleitenden Rede ist eine »Antwort« zuwider den ausgemachten Verfahrensweisen und macht jedes Schließen kaputt. Kapitel 9. Die Vertretung einer Ausgangsbehauptung oder eines fest bestimmten Begriffs soll man erst übernehmen, nachdem man selbst bei sich selbst einen Vorversuch gemacht hat. Es ist ja klar, man hat folgende Aufgabe: Sich den (Aussagen) widersetzen, von denen aus die Fragesteller die Ausgangsbehauptung aufheben wollen. Man soll sich davor hüten, die Vertretung einer unwahrscheinlichen Ausgangsannahme zu übernehmen. »Unwahrscheinlich« kann sie ja wohl auf zweierlei Weise sein: Sowohl eine, nach der es sich ergibt, unsinniges Zeug zu sagen, z. B., wenn einer sagen wollte: Alles ist in Veränderung, oder: Nichts bewegt sich; zweitens, solche (Annahmen), für die sich zu entscheiden von ziemlich schlechter Gesinnung zeugt und



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die dem entgegenstehen, was man anständiger Weise wollen soll, z. B.: Lust ist das Gut schlechthin, oder: Unrechttun ist besser als Unrecht erleiden; denn dann zieht man sich Mißbilligung zu, als verträte man das nicht nur gesprächshalber, sondern redete im Sinn der eigenen Meinung. Kapitel 10. Alle die Reden, in denen falsche (Ergebnisse) erschlossen werden, sind aufzulösen, indem man (die Annahmen) aufhebt, durch welche das Falsche zustandekommt; nicht wer irgendetwas auflöst, hat (die Sache) schon gelöst, auch dann nicht, wenn das Aufgehobene wirklich falsch war; es könnte die Herleitung ja mehrere falsche Annahmen enthalten, z. B., wenn einer sich nimmt: Wer da sitzt, der schreibt, Sokrates sitzt da ...: Daraus würde ja folgen: Sokrates schreibt. Wäre nun der Satz »Sokrates sitzt« aufgehoben, so ist damit die Herleitung um nichts mehr gelöst, die geforderte Annahme ist immer noch falsch. Die Herleitung ist aber nicht über diese (Verknüpfung) falsch: Wenn einer zwar da sitzen sollte, der aber nicht schreibt, so wird darauf die gleiche Lösung noch nicht passen; also nicht das ist aufzuheben, sondern das »wer da sitzt, schreibt«; denn eben nicht jeder, der da sitzt, schreibt auch. Aufgelöst hat (die Sache) nun also in jedem Fall, der (die Annahme) aufgehoben hat, über die das Falsche sich ergibt; genaue Kenntnis von der (Art der) Lösung hat aber erst der, der weiß, daß die Herleitung über (Vermittlung) läuft, so wie bei den falschen Zeichnungen: da reicht es nicht, Einwand zu erheben, auch nicht, wenn das Aufgehobene (wirklich) falsch ist, sondern es ist darzulegen, wodurch die Falschheit sich ergibt. So wird ja dann wohl klar sein, ob man in Voraussicht auf etwas, oder nicht, seinen Einwand macht. Eine herleitende Rede daran zu hindern, zum beabsichtigten Schluß zu kommen, geht vierfach: Entweder (1), indem man (die Annahme) aufhebt, über die das Falsche sich ergibt, oder (2), indem man Einwand erhebt, der auf den Fragesteller hin abgestellt ist; in vielen Fällen hat man die Sache damit zwar nicht gelöst, der Fragesteller kann aber seine Sache nicht weiter voranbringen. Drittens, (mit einem Einwand) im Hin-

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blick auf das Gefragte; es kann sich ja aus dem Inhalt der Fragen ergeben, daß das, was er will, sich gar nicht einstellt, weil er schlecht gefragt hat, wenn dann aber dies und das hinzugesetzt würde, ergäbe sich der Schluß schon. Wenn nun also der Fragende seine Sache nicht weiterführen kann, dann wäre der Einwand gegen den Fragenden (gerichtet), kann er es dagegen, so gegen das Gefragte. Die vierte (Art der) Einwendung, die von geringstem Wert, ist die im Hinblick auf Zeit(gewinn): Einige machen nämlich solche Einwendungen, auf die hin eine Gesprächsuntersuchung anzulegen mehr Zeit erfordern würde, als für das gegenwärtige Vorhaben zur Verfügung steht. Die Arten von Einwendung, wie gesagt ist, treten also vierfach auf. Eine wirkliche Auflösung des Gesagten ist allein die erste, die übrigen sind (nur) eine Art von Verhinderung und Hemmnis von Schlußsätzen. Kapitel 11. Ansatz zur Rüge einer solchen herleitenden Rede ist nicht der selbe, wenn man den Inhalt der Rede selbst nimmt und wenn man die Form ansieht, wie sie in Fragen gefaßt wird. Oft ist ja dafür, daß die Herleitungsrede nicht gut verläuft, der Gefragte verantwortlich, weil er etwas nicht zugeben will, mittels dessen man im Hinblick auf die Behauptung gut hätte ein Gespräch führen können. Es liegt nämlich nicht nur bei einem, daß die gemeinsame Arbeit ordentlich zu Ende gebracht werden kann. So ist denn also manchmal nötig, gegen den Sprecher, und nicht gegen (den Inhalt) der Behauptung den Angriff zu machen, wenn der Antwortende nur darauflauert, dem Frager verbissen das Gegenteil entgegenzuhalten. Leute, die sich so verweigern, machen den Umgang miteinander hitzig, und nicht wie sich’s für ein Gespräch gehört. Außerdem, da derartige Reden der Übung und Erprobung, aber nicht der Lehre wegen (stattfinden), so (ist) klar, daß hier nicht nur Wahres zu erschließen ist, sondern auch Falsches, und nicht immer mittels wahrer (Annahmen), sondern gelegentlich auch über falsche; oft ist es ja nötig, wenn etwas Wahres gesetzt worden ist, daß der Unterredner es aufheben muß, daher man (in dem Falle) falsche (Annahmen) hereingeben muß; gelegentlich (tritt) aber auch (der Fall auf): Falsches ist



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gesetzt und mittels falscher (Annahmen) aufzuheben; es ist ja gar nicht zu verhindern, daß jemandem etwas, das gar nicht so ist, mehr scheint, als was wirklich ist, also, wenn die Rede nach dem entwickelt wird, was ihm so scheint, dann wird er sich in stärkerem Maße überreden lassen, als daß er einen Nutzen davon hätte. Es muß aber einer, der (die Sache) sauber auf einen anderen Weg hinüberbringen will, diese Umlenkung auf eine dem Gespräch eigentümliche, nicht auf eine zänkisch-rechthaberische Weise machen, so, wie der Geometer geometrisch (vorgehen muß), mag das Erschlossene nun falsch oder wahr sein. Von welcher Art diese Schlüsse des Untersuchungsgesprächs sind, ist früher gesagt. Da nun der ein schlechter Mitarbeiter ist, der das gemeinsame Werk behindert, so (ist) klar: (Das gilt) auch für die herleitende Rede. Etwas Gemeinsames ist es doch auch in diesem Falle, was sie sich vorgenommen haben, außer bei Leuten, die nur streiten wollen; denen ist es nicht gegeben, zu zweit das gleiche Ziel zu erreichen: mehr als einer kann nicht siegen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob man das durch die Art, wie man antwortet oder wie man fragt, herbeiführt: Wer spitzfindig fragt, führt die Unterredung schlecht, und auch der, welcher bei seinem Antworten das nicht zugibt, was ihm (doch auch) richtig erscheint, und auf keinen Fall das aufnehmen will, was doch der Fragende in Erfahrung zu bringen wünscht. Klar ist nun also aus dem Gesagten: Der Beweisführung, für sich genommen, sind nicht die gleichen Vorwürfe zu machen wie dem Fragesteller; es hindert ja nichts (die Annahme), daß die Herleitung zwar schlecht ist, doch der Fragende so gut, wie es nur geht, gegenüber dem Antwortenden die Unterredung geführt hat. Gegen Leute, die sich nur querlegen, ist es ja wohl nicht möglich, gleich solche Schlüsse durchzusetzen, wie man sie sich vorgenommen hat, sondern nur solche, wie dann halt geht. Da es nicht festzulegen ist, wann die Leute das Gegenteil (dessen, was sie vorher für richtig hielten) annehmen und wann sie bei der Anfangsannahme bleiben – oft nämlich, wenn sie

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für sich selbst sprechen, sagen sie einander Widersprechendes, und was sie früher abgelehnt haben, geben sie später zu; daher auch, wenn sie gefragt werden, willigen sie oft in das Gegenteil dessen ein, was (sie) zu Anfang (angenommen haben) –, so kommt es notwendig, daß die Herleitungen schlecht werden. Verantwortlich dafür ist der Antwortende, der das und das nicht zugeben will, anderes von der Art aber zugibt. Offenkundig also, daß man den Fragestellern nicht die gleichen Vorwürfe zu machen hat wie dem Gang der Herleitung selbst. Dem Gang der Herleitung, für sich genommen, lassen sich fünf (Arten von) Vorwürfen machen. Erster (Vorwurf): Wenn aus dem Gefragten weder das Vorgenommene noch überhaupt etwas als Schluß folgt, da das falsch war oder unwahrscheinlich, entweder alles oder doch das meiste davon, worin der Schluß stecken sollte, und weder, wenn man etwas davon wegnimmt, noch, wenn man etwas hinzusetzt, noch, wenn man dies wegnimmt und das dazusetzt, der Schluß zustandekommt. Zweiter (Vorwurf): Wenn der infolge dieser Annahmen und mit dem Verfahren, wie früher beschrieben, zustandegekommene Schluß nicht im Verhältnis zur Ausgangsbehauptung mehr stehen sollte. Dritter (Vorwurf): Wenn nach Hinzusetzung bestimmter Annahmen (zwar) ein Schluß sich ergäbe, diese aber von geringerem Beweiswert wären als das Gefragte und weniger einleuchtend als der Schlußsatz. Und wieder (4): Wenn nach Wegnahme bestimmter Annahmen ... (entsprechend 3); gelegentlich nimmt man sich ja mehr als notwendig, so daß der Schluß also nicht dadurch zustandekommt, daß dies gilt. Sodann (5): Wenn (geschlossen wird) von Voraussetzungen aus, die weniger einleuchtend sind und weniger verläßlich als der Schlußsatz, oder wenn es zwar von wahren (Voraussetzungen ausgeht), die nachzuweisen es aber mehr Arbeit braucht als für die gestellte Aufgabe selbst. Man darf aber nicht verlangen, daß für alle gestellten Aufgaben die Schlüsse gleichermaßen einleuchtend sind und überzeugend. Es liegt unmittelbar in der Natur der Dinge, daß



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die einen Gegenstände der Untersuchung leichter sind, andere schwieriger, also: Wenn einer es aus Voraussetzungen zusammenbringt, die so einleuchtend sind, wie es eben nur geht, so hat der das Untersuchungsgespräch sauber durchgeführt. Somit ist offenkundig: Auch für den Gang der Untersuchung ist es nicht die gleiche Art Vorwurf, je nachdem, ob man die vorgesetzte Aufgabe ansieht oder ihn bloß für sich nimmt; es hindert ja nichts, daß, für sich genommen, der Untersuchungsgang zwar tadelnswert sein mag, im Hinblick auf die gestellte Aufgabe aber zu loben, und auch wieder umgekehrt, für sich lobenswert, im Hinblick auf die gestellte Aufgabe zu tadeln, wenn es nämlich leicht ist, aus vielen, einleuchtenden und wahren (Voraussetzungen) zum Schlußergebnis zu kommen. Es kann auch einmal sein, daß ein Beweisgang, auch wenn er zum Schluß gekommen ist, weniger Wert hat als einer, bei dem kein Schluß erreicht wurde, dann nämlich, wenn er aus einfältigen (Annahmen) zusammengeschlossen ist, wo die vorgelegte Aufgabe doch gar nicht von dieser Art war; während der andere vielleicht noch solcher (Annahmen) zusätzlich bedarf, die einleuchtend und wahr sind, nur darf in diesen Zusatzannahmen das Zustandekommen des Beweises nicht liegen. Leuten, die aus falschen Annahmen Wahres erschließen, ist man nicht berechtigt, einen Vorwurf zu machen; Falsches wird notwendig immer durch Falsches erschlossen, Wahres kann gelegentlich auch über falsche (Annahmen) erschlossen werden. Das ist aus den Analytiken klar. Für den Fall, daß die vorgetragene Erklärung von etwas als Beweis dient, (so gilt): Gibt es da noch etwas anderes, was zu dem Schlußsatz in gar keinem Verhältnis steht, so ist darüber kein Schluß erfolgt. Sollte das so scheinen, so ist das ein Trugschluß, kein Beweis. Es ist nun aber »Philosophem« ein Schluß, der zwingend beweist, »Epicheirem« ein Schluß, wie er im Untersuchungsgespräch üblich ist, »Sophisma« ist ein spitzfindig-streitsüchtiger Schluß, »Aporem« ist ein Schluß im Untersuchungsgespräch, der auf Widerspruch aus ist.

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Wenn etwas gezeigt werden könnte (mittels zweier Sätze), die beide so richtig erscheinen, aber nicht gleich stark so scheinen, so hindert nichts, daß das Beweisergebnis einen höheren Wahrheitsanschein haben kann als jeder der beiden (Vordersätze). Dagegen wenn die eine Annahme so richtig erscheinen sollte, die andere aber in ihrem Richtigkeitsanschein nicht auszumachen ist, oder, wenn die eine Annahme so richtig erscheint, die andere aber nicht, (dann gilt): Wenn sie das je gleichstark sind, dann wird ja wohl auch (das Ergebnis) entsprechend den Wahrheitsanschein haben oder nicht; hat dagegen die eine Annahme den stärkeren Anschein, so wird es dem Stärkeren folgen. Eine Art Verfehlung bei den Schlüssen ist auch diese: Wenn man (das Ergebnis) nachgewiesen hat über längere Wege, wo dies doch mit weniger aufwendigen und in dem Begriffe schon liegenden (Vorstellungen) möglich wäre, z. B.: »Diese eine Meinung ist in höherem Maße (zuverlässige Meinung) als die andere«; wenn nun einer, dies zu beweisen, fordern wollte: Was »ein jedes selbst« ist, ist dies doch am meisten; nun gibt es doch wahrhaftig ein »an und für sich der Meinung Zugängliches«, also ist dies »an und für sich« das (was es ist) in höherem Maße als die Einzelmeinungen über das und das; zu etwas, das etwas »mehr« ist, gibt es auch etwas, das »in stärkerem Maße« so ausgesagt wird; nun ist aber auch die »Meinung an und für sich« wahr, welche da »in höherem Maße« zuverlässig ist als die und die Einzelmeinung; somit liegt also an Forderungen vor, erstens: Die Meinung an und für sich ist wahr; zweitens: Ein jedes selbst ist (das, was es ist,) am meisten; also: Diese Meinung ist zuverlässiger (als die andere). – Was ist dabei die Fehlerhaftigkeit? Doch wohl, daß (dies Vorgehen) bewirkt, daß die Ursache, über die der Beweisgang (läuft), verborgen bleibt. Kapitel 12. Eine Herleitung ist klar, erstens und am allgemeinsten verständlich, wenn sie so zum Schluß geführt ist, daß man keine weitere Frage mehr stellen muß; auf eine zweite Weise, und so wird sie es im strengsten Sinne genannt, wenn solche Vorstellungen angenommen sind, aus denen sie



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sich notwendig ergibt, und wenn sie über Schlüsse zu ihrem eigenen Schlußergebnis kommt; schließlich, wenn sie nur etwas ausläßt, das seinerseits sehr einleuchtend ist. «Falsch« wird eine Herleitungsrede genannt auf vier Weisen: Erstens, wenn es so aussieht, als käme sie durch Schlüsse zusammen, wo das doch tatsächlich nicht der Fall ist, was denn »spitzfindiges Schlußverfahren« heißt. Zweitens, wenn sie zwar durch Schlüsse zusammenkommt, doch (diese) nicht im Hinblick auf die ursprünglich gesetzte Behauptung (erfolgen) – was bei denen am meisten eintritt, die (die Sache) »auf unmöglich« herausbringen wollen; oder (3), wenn der Schluß zwar auf die Ausgangsbehauptung erfolgt, jedoch nicht über das dazugehörige Verfahren; das ist dann der Fall, wenn er, tatsächlich ärztlichem Verfahren nicht gemäß, dies doch zu sein scheint, oder den Eindruck erweckt, geometrisch zu sein, wo er es doch nicht ist, oder ein »Schluß im Untersuchungsgespräch«, ohne dies wirklich zu sein, mag dabei je das Ergebnis falsch sein oder wahr. Auf andere Weise (4), wenn der Schluß über falsche (Annahmen) erfolgt; von derlei Fällen wird der Schlußsatz manchmal falsch, mal auch wahr sein: Falsches wird ja immer aus Falschem hergeleitet, Wahres – das geht durchaus – auch aus nicht Wahrem, wie auch früher gesagt ist. Die Tatsache nun also, daß eine Herleitung falsch ist, ist eher ein Fehler des Sprechenden als der Rede selbst, und auch nicht immer des Sprechenden, sondern nur dann, wenn ihm (die Fehlerhaftigkeit) entgeht; mögen da auch, die Rede an und für sich genommen, viele wahre (Sätze) sein, so nehmen wir es doch lieber an, wenn von Annahmen aus, die in höchstem Maß so zu sein scheinen, etwas Wahres aufgehoben wird; ist die Rede nämlich von der Art, so ist sie der Beweis anderer, wahrer (Sätze). Es muß ja etwas von dem Gesetzten nicht den vollen Wahrheitsbestand haben, also ist es dann dessen Beweis. Wenn dagegen Wahres erschlossen würde mittels Falschem oder allzu Einfältigem, so wäre (die Herleitung) von geringerem Wert als viele andere, die auf ein falsches Ergebnis schließen; von der Art könnte aber auch eine sein, die auf Falsches schließt; also klar: Erste Prüfung ist die der Herlei-

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tungsrede selbst, für sich genommen – ist sie schlüssig? Zweite (Prüfung): Ist (das Ergebnis) wahr oder falsch? Dritte (Prüfung): Aus was für Annahmen (kommt es zustande)? Wenn nämlich aus falschen zwar, die aber ganz einsehbar scheinen, dann ist sie den Regeln solcher Rede gemäß; wenn dagegen aus solchen, die tatsächlich bestehen, doch fast niemandem so erscheinen wollen, so ist sie schlecht; wenn sie dann auch noch Falsches und höchst Unwahrscheinliches (erschließt), so klar: Schlecht ist sie, entweder ganz uneingeschränkt oder (gemessen) an ihrem Gegenstand. Kapitel 13. Die Ausgangsbehauptung und die gegenteiligen Annahmen betreffend, wie der Fragesteller hier seine Forderungen aufstellt, darüber ist, (wenn dies) nach Wahrheit (geschehen soll), in den Analytiken gesprochen, (wenn es) nach Meinung (geht), darüber ist nun zu sprechen. Die Ausgangsbehauptung (einfach) fordern, das tun die Leute offenbar auf fünf Weisen. Am offenkundigsten und erstens: Wenn einer das selbst, was doch erst gezeigt werden müßte, (einfach) verlangt. Das kann bei der Sache selbst nicht leicht verborgen bleiben, bei mehreren Worten, die auf eine Bedeutung hinauslaufen, und bei allem, wo Name und Begriffserklärung dasselbe bezeichnen, (geht das schon) eher. Zweitens, wenn (die Sache) über Teilaussagen gezeigt werden müßte, einer aber den Allgemein-Beweis fordert, z. B.: Wenn einer bei dem Versuch des Nachweises (der Behauptung:) »Es ist ein Wissen, das sich auf Gegenüberliegendes bezieht«, verlangte, es müsse überhaupt für jede Art von Gegensätzlichem eines sein; der scheint doch offenbar etwas, das für sich nachzuweisen wäre, in Verbindung mit mehreren anderen (Sätzen) einfach mitzufordern. Drittens, wenn einer bei einer Aufgabenstellung, die allgemeinen Beweis verlangte, (den Beweis) über Teilaussagen verlangte, z. B., wenn die Aufgabe gestellt ist: »Von allen gegenteiligen (Bestimmungen ist es nur ein Wissen)«, er nun verlangte: Bei diesen bestimmten (muß es so sein). Der (macht es) ja anscheinend (umgekehrt): Was zusammen mit einer Mehrzahl (von Bestimmungen) gezeigt werden müßte, davon fordert er Beweis je für sich getrennt. Und



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wieder (4), wenn einer erst die gestellte Aufgabe auseinandernimmt und dann (etwas davon) fordert, z. B., wenn er, wo es nötig wäre zu zeigen, daß die Heilkunst sich auf Gesundmachendes und Krankheitserregendes bezieht, (den Beweis) für jedes einzelne getrennt fordern wollte. Oder (5), wenn einer von Bestimmungen, die einander notwendig folgen, nur je die eine fordern wollte, z. B. (den Satz): »Die Seite ist nicht mit dem Durchmesser ins gleiche Maß zu bringen«, wo doch nachzuweisen wäre: »Der Durchmesser mit der Seite ...« Auf ebenso viele Weisen fordert man auch das Gegenteil zur Ausgangsbehauptung. Erstens, wenn einer das Gegenteil fordern sollte – Behauptung und Verneinung; zweitens, (wenn er) das Gegenüberliegende gemäß Entgegensetzung (fordert), z. B., daß ein und derselbe Gegenstand, der »gut« war, nun »schlecht« sein soll; drittens, wenn einer, nachdem er eine All-Aussage eingefordert hat, den Widerspruch dazu über Teilaussagen einfordern wollte, z. B., wenn er erhalten hat (den Satz): »Es ist ein Wissen von Gegenteiligem«, daß er dann fordert, für »gesund« und »krank« müsse es aber ein verschiedenes sein, oder (umgekehrt), daß er zunächst dieses fordert und dann versuchen sollte, für die Allgemein-Aussage den Widerspruch zu erhalten. Erneut (4), wenn einer das Gegenteil dessen fordert, was sich mit Notwendigkeit aufgrund des Festgestellten ergibt; und (schließlich, 5.), wenn einer zwar das Gegenteil selbst nicht haben wollte, aber zwei solche (Annahmen) forderte, aus denen sich der Widerspruch aufs Gegenteil ergibt. Es unterscheidet sich dies »das Gegenteil annehmen« von dem »die Ausgangsannahme (fordern)« darin, daß bei dem einen die Verfehlung auf den Schluß-Satz (sich bezieht) – im Hinblick auf den sprechen wir doch davon, daß die Anfangsannahme gefordert würde –, das Gegenteil (fordern) geschieht innerhalb der auf den Schluß hinführenden Sätze, dadurch daß die sich so und so zueinander verhalten. Kapitel 14. Zum Zwecke der Übung und des gewandten Umgangs mit derlei Reden ist es erstens nötig, Erfahrung darin zu gewinnen, die Redeverläufe umzukehren. So näm-

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lich werden wir uns im Hinblick auf die Behauptung, um die es geht, geschickter verhalten und werden in wenigen (Sätzen) viele Begriffe herauszubringen verstehen. »Umkehren« heißt ja in diesem Fall: Den Schlußsatz umformen und dann unter Verwendung der restlichen Fragen eine der gegebenen (Behauptungen) aufzuheben; notwendig gilt ja: Wenn der Schluß-Satz nicht besteht, wird mindestens einer der auf ihn zuführenden Sätze aufgehoben, wenn doch, nachdem sie alle aufgestellt waren, es notwendig war, daß der Schluß-Satz gilt. Im Hinblick auf jede Setzung – sowohl daß sie so (gilt), wie auch daß sie (etwa) nicht so (gilt) – muß man den Ansatz zum möglichen Angriff prüfen, und hat man einen gefunden, muß man sofort nach einer Auflösung suchen; so wird es sich zugleich ergeben, fürs Fragestellen wie fürs Antworten geübt zu sein, und wenn wir das keinem anderen gegenüber können, so (sollen wir es) bei uns selbst (tun). Und man soll gleichlaufende Angriffspunkte zur gleichen Behauptung auswählen und nebeneinanderstellen; das verschafft viel bereitliegenden Stoff im Hinblick darauf, nichts aufgezwungen zu bekommen, und fürs Widerlegen bringt es große Hilfe, wenn einer für das »so ist es« und »so ist es nicht« reichlich Gesichtspunkte zur Verfügung hat; so ergibt sich ja, daß man nach der Seite und der des Gegenteils davon wachsam ist. Und im Hinblick auf Erkenntnis und philosophische Einsicht ist dies Zusehenkönnen und die Fähigkeit zur Zusammenschau dessen, was von jeder der beiden Voraussetzungen aus sich ergibt, kein geringes Werkzeug; dann (ist) ja nur übrig, davon die eine richtig auszuwählen. Zu derartigem (Geschäft) müssen aber gute Begabungsvoraussetzungen vorhanden sein, und das ist die wahrhaftig gute Anlage dazu: Sauber das Wahre auswählen zu können und das Falsche zu meiden; was denn die dazu Geborenen gut vollbringen können: Sie haben die rechte Zuneigung und die rechte Abneigung gegenüber dem, was man ihnen vorbringt, und recht entscheiden sie das Beste. Für die am häufigsten anfallenden Aufgabenstellungen muß man über Erklärungsvorrat auswendig verfügen, besonders bei den ersten Setzungen; bei denen erheben die Antwor-



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tenden nämlich oft Schwierigkeiten. Des weiteren muß man einen Vorrat von Begriffsbestimmungen bereithaben und wahrscheinliche (Annahmen) und Erstannahmen zur Hand haben; über solche kommen nämlich die Schlüsse zustande. Zu versuchen ist auch, die Stellen, auf die die Erklärungsreden allermeist hinauskommen, im Kopf zu haben. Wie es nämlich in der Geometrie von Vorteil ist, in den Anfangsgründen geübt zu sein, und im Bereich der Zahlen das Verfügen über das »kleine Einmaleins« schon einen großen Unterschied macht zu wissen, wie dann auch andere Zahlen vervielfältigt werden, ähnlich auch bei den Erklärungsreden das Verfügbarsein der Anfangsannahmen und das Auswendigwissen von einzugebenden Vordersätzen. Wie ja auch bei der Kunst der Gedächtnisübung die nur hingesetzten Merkpunkte es sogleich bewirken, sich auch an die Dinge selbst zu erinnern, so macht auch dieses hier tauglicher zum Schlüsseziehen, weil man auf diese (Anfangsgründe) als der Anzahl nach begrenzte hinblicken kann. Und man soll sich einen allgemeinen Vordersatz eher ins Gedächtnis prägen als eine (ganze) Herleitung; über Einsätze und Grundannahmen reichlich zu verfügen, ist nämlich nicht sehr schwierig. Sodann muß man sich eingewöhnen, eine Herleitung zu vielen machen zu können, indem man das im unklaren läßt und verschleiert. So etwas kann gehen, wenn einer von der Zusammengehörigkeit mit dem, wovon die Rede war, möglichst weit fortgeht. Unter allen Erklärungen werden die am meisten allgemeinen das (am besten) mit sich machen lassen, z. B.: »Es ist nicht ein Wissen, das auf mehreres geht«; so kann das angewandt werden auf Dinge »im Verhältnis zu ...«, auf Gegenteiliges, auf Dinge, die in einer Reihe stehen. Man muß auch das Wieder-in-Erinnerung-rufen von Erklärungen in der Allgemein-Form machen, auch wenn (der andere) es nur in Teilform ausgesagt haben sollte; auch so ist es ja möglich, die eine Feststellung zu mehreren (Sätzen) zu machen. Ähnlich verfährt man ja auch in der Redekunst mit den dort üblichen »Beweisen«. Selbst dagegen soll man es möglichst vermeiden, die Schlüsse über die Allgemein-Form zu

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bringen. Und man muß die Herleitungen immer prüfen, ob sie mittels allgemeiner (Sätze) ausgesagt sind: alle Teilaussagen sind auch allgemein gesprochen, und es liegt in dem über Teil geführten Beweis auch der über das Ganze, weil man doch überhaupt nichts erschließen kann ohne allgemeine (Sätze). Gewandten Umgang (mit der Sache) muß man einsetzen gegenüber einem Unerfahrenen in Sachen Heranführung, gegenüber einem Erfahrenen in Sachen Schlußverfahren. Man muß versuchen, von den Schluß-Erfahrenen, die entsprechend einzugebenden Vordersätze zu erhalten, von denen, die es nur über Heranführung können, die entsprechenden Vergleiche; darin sind ja beide geübt. Überhaupt muß man versuchen, wenn man die Unterhaltung aus dem Übungszweck führt, entweder einen Schluß auf etwas davonzutragen oder eine Auflösung oder einen Vordersatz oder einen Einwendungsgrund oder (eine Entscheidung darüber), ob einer richtig gefragt hat oder nicht richtig, entweder man selbst oder der andere, und über was sich dies oder das ergeben hat. Daraus erwächst doch die Fähigkeit in der Sache, das Sich-Üben geschieht aber um dieser Fähigkeit willen, und besonders (das) mit den Vordersätzen und Einwänden; es ist doch, um es einfach zu sagen, der ein guter Unterredner, der geeignete Vordersätze und gute Einwände einbringen kann. »Vordersätze eingeben« heißt: Die Vielzahl zu einem machen – es muß ja doch ein Eines in seiner Ganzheit genommen werden, woraufhin die Rede geht – »Einwenden« heißt: Das Eine zu Vielem zu machen; man nimmt auseinander oder man hebt auf, indem man von dem Vorgelegten das eine zugibt, das andere nicht. Man soll sich nicht mit jedem in ein solches Gespräch einlassen und auch nicht an jedem beliebigen sich üben: einigen Leuten gegenüber müssen die Reden schlecht werden. Gegenüber einem, der auf Biegen und Brechen versucht, den Eindruck zu wahren, er komme durch, ist man zwar berechtigt zu versuchen, den Schluß mit allen Mitteln herbeizuzwingen, man gibt aber kein gutes Bild ab. Daher darf man sich nicht unbedenklich mit beliebigen Leuten zusammensetzen, denn



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da muß mieses Gerede herauskommen; auch Leute, die sich üben wollen, können dann nicht anders, als die Unterredung in streitsüchtiger Weise zu führen. Man muß auch fertiggestellte Begründungen in der Hand haben für solche unter den zu stellenden Aufgaben, in denen wir zwar über sehr wenige (Ansatzpunkte) verfügen, die aber für sehr viel verwendbar sind. Das sind die allgemeinen (Erwägungen), die (zugleich auch die sind), zu denen der Weg heran von dem aus, was vor den Füßen liegt, schwieriger ist.

ARISTOTELES Topik, neuntes Buch oder Über die sophistischen Widerlegungsschlüsse

ÜBER DIE SOPHISTISCHEN WIDERLEGUNGSSCHLÜSSE NEUNTES BUCH

Kapitel 1. Über die spitzfindigen Beweisführungen und solche, die widerlegende Beweisführungen nur scheinen, in Wirklichkeit jedoch Trugschlüsse, keine Beweise sind, wollen wir nun reden, beginnend wie sich’s gehört, mit dem Ersten. Daß nun also das eine Schlüsse sind, die anderen dagegen, die es nicht sind, nur so scheinen, ist offenkundig. Wie sich das ja auch in allen anderen Fällen durch eine bestimmte Ähnlichkeit ergibt, so verhält es sich bei den Reden nicht anders: Mit den einen ist es wirklich wohl bestellt, bei den anderen scheint es nur so, die haben sich nur, nach Weise der Stadtteilumzüge, aufgepumpt und herausgeputzt; und die einen sind schön aufgrund wirklicher Schönheit, die anderen scheinen es nur, weil sie sich so aufgemacht haben. Und bei den unbeseelten Dingen ist es ebenso: Davon ist das eine wirklich Silber, das andere Gold, anderes ist es nicht, sondern erscheint nur der Wahrnehmung so, z. B., Dinge aus »Steinsilber« (Blei) oder aus Zinn (erscheinen) silbern, gelbfarbige (Dinge) erscheinen golden. Auf gleiche Weise auch bei Schluß und Widerlegung: das eine ist es, anderes ist es nicht, scheint aber so aus mangelnder Erfahrung damit; die darin unerfahrenen Leute stehen gleichsam daneben und betrachten es nur von fern. Der Schluß besteht aus einigen (Annahmen), die gesetzt werden, so, daß er mit Notwendigkeit aufgrund des Gesetzten etwas von diesem Gesetzten Verschiedenes aussagt. Eine Widerlegung ist ein Schluß mit Widerspruch gegen einen (zuvor erreichten) Schluß-Satz. Die dagegen (die scheinbaren Schlüsse und Widerlegungen) tun das genau zwar nicht, erwecken aber den Eindruck, aus vielen Gründen: Davon ist ein Gesichtspunkt der verwendbarste und am weitesten verbreitete, der mittels der Wortbedeutungen.

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Da es nämlich nicht geht, eine Unterredung zu führen, indem man die Dinge selbst herbeischleppt, sondern wir statt der Dinge uns der Worte als deren Stellvertretern bedienen, so meinen wir, was bei den Worten eintritt, trete auch für die Dinge ein, wie die Leute, die mit Rechensteinen ihre Rechnung machen. Das ist aber nicht vergleichbar: Die Worte sind der Anzahl nach begrenzt, und die Menge der (dazugehörigen) Begriffserklärungen auch, die Dinge dagegen sind der Anzahl nach unbegrenzt; notwendig muß also eine und dieselbe Erklärung und dies eine Wort eine Mehrzahl (von Dingen) bezeichnen. Wie nun also dort, die nicht geschickt sind, die Rechensteine zu setzen, von denen, die darin kundig sind, an die Wand gespielt werden, auf die gleiche Weise werden auch bei den Unterredungen, die dessen unkundig sind, was Worte so alles können, durch Trugschlüsse hereingelegt, sowohl wenn sie selbst am Gespräch beteiligt sind, wie auch, wenn sie anderen zuhören. Aus dem Grunde nun also und wegen solcher, die noch zu nennen sein werden, gibt es Schluß und Widerlegung, die das zu sein scheinen, wo sie es doch nicht sind. Da es nun einigen Leuten zweckdienlicher ist, klug zu scheinen als es wirklich zu sein und nicht so zu scheinen – die Sophistik ist ja doch so eine scheinbare Klugheit, ohne es zu sein, und der Sophist macht Geld mit dieser Scheinweisheit, die doch keine ist –, so ist klar: Die scheinen auch die Arbeit des Weisen zu tun, eher als daß sie sie wirklich vollbrächten und nicht so scheinen. Es ist aber, um eines gegen eines zu setzen, das Werk des Wissenden, selbst in einem jeden, wovon er etwas weiß, ohne Falsch zu sein, andererseits den, der Falsches sagt, entlarven zu können. Dies besteht einerseits darin, Rechenschaft ablegen zu können, andererseits, sie gezielt einfordern zu können. Es müssen also die, welche sich als Sophisten betätigen wollen, die Art der genannten Erklärungsformen aufsuchen, das ist (für sie) zweckdienlich; derartiges Können wird ihnen geben, weise zu erscheinen, worauf sie ja ihren Vorsatz gerichtet haben.



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Daß es nun also eine bestimmte derartige Gattung von Reden gibt und daß die, welche wir »Sophisten« nennen, auf ein derartiges Können aus sind, ist klar. Wieviele Formen von diesen sophistischen Redeweisen es gibt und aus wievielen (Kunstgriffen), der Anzahl nach, sich diese Fähigkeit zusammensetzt, (somit also auch) wieviele Teilstücke dieser Untersuchung es denn sind, und über alles andere, was zu dieser Kunst zusammenkommt, wollen wir nunmehr sprechen. Kapitel 2. Es gibt also an Redeformen, die im Gespräch vorkommen, vier Arten: Belehrende, gesprächsartige, auf die Probe stellende und streitsüchtige. Belehrend sind die, welche aus den zugehörigen Erstsätzen eines jeden Wissensgebiets, und nicht von den Meinungen des Antwortenden aus, ihren Schluß finden – denn wer da lernt, muß (darauf) vertrauen –; gesprächsartig die, welche aus einleuchtenden Annahmen auf die eine oder andere Seite eines Widerspruchs schließen; auf die Probe stellend die, welche von dem aus (schließen), was dem Antwortenden so erscheint und was einer, der beansprucht, Wissen zu besitzen, doch wissen müßte: auf welche Weise (das alles geht), ist in anderen (Untersuchungen) bestimmt worden; streitsüchtig die, welche von scheinbar Einleuchtendem aus, das es aber nicht ist, ihren Schluß ziehen oder diesen Schluß nur scheinbar finden. Über die wissenschaftlichen Beweisschlüsse ist in den Analytiken gesprochen, über die gesprächsartigen und auf die Probe stellenden anderswo; über die streitbaren und spitzfindigen (Redeformen) wollen wir jetzt sprechen. Kapitel 3. Erstens ist nun also zu erfassen, auf wieviele (Ziele) diejenigen es abgesehen haben, die beim Reden nur streiten und ihre Sache zänkisch durchbringen wollen. Das sind fünfe der Zahl nach: Widerlegung, Falschheit der Aussage, Widersinniges, sprachliche Fehlleistung und fünftens, es hinzubekommen, daß ihr Gesprächsteilnehmer dummes Zeug redet, d. h. ihn oftmals zwingen, sich zu wiederholen; oder daß all das gar nicht wirklich stattfindet, sondern nur zu geschehen scheint. Am meisten nämlich haben sie sich vorgenommen, scheinbare Widerlegungen hinzubringen, als zweites nachzuweisen,

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daß der andere etwas sagt, das falsch ist, als drittes, die Sache zur Widersinnigkeit zu führen, viertens, es hinzubringen, daß der andere sich falsch ausdrückt, d. h. es hinzubekommen, daß der Antwortende infolge des Redegangs sich so ausdrücken muß, als ob er die Sprache nicht könnte; schließlich noch das Mehrmals-das-Gleiche-sagen. Kapitel 4. Von der Widerlegung gibt es zwei Weisen: (A) Die einen (Widerlegungen) erfolgen auf dem Rücken sprachlichen Ausdrucks, (B) die anderen außerhalb davon. Was mittels des sprachlichen Ausdrucks diesen Schein erzeugt, ist sechserlei, nämlich: Mehrfache Bedeutung des gleichen Worts, Doppelsinn (von Ausdrücken), Zusammenfügung, Auseinandernehmen, Betonung, Ausdrucksform. Daß dies so stimmt, kann man glaubhaft ermitteln durch Heranführung und Schluß: wenn irgendeine andere (Weise) angenommen würde und wir dann nicht zeigen können sollten, daß dies »in so und so viel Weisen« genau das gleiche ist wie eben die (aufgezählten) Wortbezeichnungen und Begriffserklärungen dazu. (1) Über mehrfache Wortbedeutung laufen derartige Redeformen wie: »Es begreifen die, die es schon wissen«; denn »das, was die Lehrer der Schreibkunst auswendig vortragen, darauf verstehen sie sich doch«. »Begreifen« ist nämlich hierbei ein Wort mit mehreren Begriffen darin, einmal gebraucht im Sinne von »sich auf ein Wissen verstehen«, aber auch im Sinne von »sich Wissen aneignen«. – Und erneut: »Das Böse ist Gutes«; denn »was zu sein hat, ist Gutes; es hat aber Schlechtes zu sein«. Hier ist »was zu sein hat« zweideutig, einmal als »notwendig«, was denn oft auch bei Schlimmem zutrifft – es gibt ja notwendiges Übel –, aber auch von Gutem sagen wir: »es hat zu sein«. – Weiter: »Der gleiche sitzt und steht« und »... ist krank und gesund«; denn »Wer aufgestanden ist, steht« und »wer gesundet ist, ist gesund«; es ist aber aufgestanden »ein Sitzender«, und es ist gesund geworden »ein Kranker«. (Erklärung:) Daß ein Kranker etwas tut oder ihm etwas widerfährt, meint nämlich nicht eines, sondern einmal (ist die Rede von einem), der jetzt gerade krank ist, ein andermal (von einem), der früher krank war; allerdings (gilt) zwar



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 4 229

(beides): »Er wurde gesund von seinem Leiden« und: »Der an Krankheit Leidende wurde gesund«; nur, er gesundet nicht, indem er an Krankheit leidet, sondern: Es gesundet einer, der an Krankheit leidet, nur nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern einer, bei dem das früher der Fall war. (2) Über die Zweideutigkeit (von Ausdrücken) laufen derartige (Redeweisen) wie: »Wollen, daß ich die Feinde – oder: die Feinde mich – ergreife(n)«; und: »Was einer erkennt, erkennt (er) das?« Es geht nämlich mit dieser Rede, sowohl den Erkennenden wie auch das zu Erkennende, als wäre es ein Erkennendes, zu meinen. Und: »Was einer sieht, sieht (er) das? – Er sieht aber (z. B.) diese Säule da, also sieht die Säule!« Und: »Wovon du sagst, es sei, sagst du, das zu sein? – Du sagst aber, Stein sei; sagst du also, Stein zu sein?« Und: »Geht ›schweigend sprechen‹?« Dies ist ja zweideutig, das »schweigend sagen«, einmal (meint es), daß einer, der spricht, schweigt, zum anderen, daß er »schweigend« sagt. Es sind drei Weisen der Rede mittels mehrerer Begriffe in einem Wort und mittels zweideutigen Ausdrucks: (a) Eine, wenn die Rede oder das einzelne Wort, im eigentlichen Sinn genommen, mehrerlei bedeutet, z. B. »Adler«, »Hund«; (b) wieder eine, wenn wir es eben so gewohnt sind, derart zu reden; eine dritte (c), wenn der zusammengesetzte Ausdruck mehrerlei bedeutet, die Einzelausdrücke aber einfache Bedeutung haben, z. B.: »Buchstaben kennen« – jedes einzelne davon, wenn es begegnet, hat eine Bedeutung, »kennen« und »Buchstaben«, beides zusammen aber mehr als eine, entweder daß die Buchstaben selbst ein Wissen (von etwas) hätten, oder daß jemand von Buchstaben etwas weiß. – Zweideutigkeit von Ausdrücken und Begriffsverschiedenheiten von Worten gehen also über diese Weisen. (3) Über die Zufügung geht folgendes, z. B.: »Es kann ein Sitzender gehen« und »... ein Nicht-Schreibender schreiben« – es meint nämlich nicht dasselbe, wenn einer es auseinandergenommen hat und dann aussagt, und wenn er es zusammengesetzt hat (und sagt), daß es möglich sei, daß »wer da sitzt, geht«; und genauso, wenn einer zusammengesetzt hätte: »Wer

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da nicht schreibt, schreibt« – so meint das ja, daß er die Fähigkeit hat, nicht-schreibend zu schreiben; wenn er es aber nicht zusammengesetzt hat, (meint es,) daß er die Möglichkeit hat, zu einem Zeitpunkt, wo er nicht schreibt, es doch zu tun –; und: »Er versteht sich jetzt auf Schrift, wenn er doch gelernt hat, was er weiß«; schließlich: »Wer eines allein tragen kann, kann auch vieles tragen.«. (4) Über Auseinandernehmen (geht es so): »Fünf ist zwei und drei, somit ungerade und gerade«, und: »Was größer ist, ist gleichgroß; es ist nämlich so und so viel (wie das andere) und noch dazu etwas«. Eine und dieselbe Rede nämlich, auseinandergenommen und zusammengesetzt, mag wohl nicht immer dasselbe zu bedeuten scheinen, z. B.: »Ich habe dich gemacht, der du ein Sklave warst, zu einem Freien«, und: »Fünfzig, von hundert Mann, ließ da (am Leben) der göttliche Achilleus« (oder: Von fünfzig Mann ließ hundert da ...). (5) Über Betonung: (Hier) ist bei denen, die ohne Schriftlichkeit die Unterredung führen, nicht leicht eine erklärende Aussage zu machen, bei Geschriebenem, besonders bei Dichtung, geht das eher; z. B. berichtigen einige sogar den Homer gegen Leute, die ihm vorwerfen, er habe unsinnigerweise gesagt: »(Das Holz), das im Regen nicht faulet«; sie lösen das nämlich mithilfe der Aussprache, indem sie das u schärfer aussprechen. Und die Sache mit dem Traum Agamemnons – daß nicht Zeus selbst gesagt hat: »Wir schenken ihm, Ehr’ zu erlangen ...«, sondern daß er nur dem Traum auftrug, es ihm zu geben. Derlei (Redeweisen) laufen also über Betonung. (6) Die (Trugschlüsse) über die Ausdrucksform kommen zusammen, wenn Dinge, die nicht das gleiche sind, eins wie das andere ausgedrückt werden; z. B. ein männliches (Wort) weiblich oder ein weibliches männlich oder eins, das dazwischen steht, entweder männlich oder weiblich; oder wieder ein So-und-so-Beschaffenes als ein So-und-so-viel oder ein So-und-so-viel als ein So-und-so-beschaffen, oder ein Bewirkendes als etwas, an dem Wirkung geschieht, oder etwas, das in dem und dem Zustand ist, als ein Bewirkendes, und so fort, wie es früher eingeteilt ist. Es geht ja nämlich, etwas, das nicht



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zu den Dingen gehört, die etwas »tun«, mittels des sprachlichen Ausdrucks so zu bezeichnen, als wäre es eins dieser tätigen Dinge, z. B. »gesund sein« wird in der Ausdrucksform ganz so ausgesagt wie »schneiden« oder »Haus-bauen«; indessen bezeichnet das eine ein So-und-so-beschaffen und etwas, das in dem und dem Zustand ist, die anderen dagegen ein Tun. Auf gleiche Weise bei allem übrigen (was hierher gehört). Die Widerlegungsschlüsse unter Verwendung sprachlichen Ausdrucks ergeben sich also von diesen Ausgangspunkten aus. – (B) Von den Trugschlüssen außerhalb des sprachlichen Ausdrucks gibt es sieben Formen: Eine über nebenbei Zutreffendes; die zweite (arbeitet damit, etwas) einfachhin oder nicht so einfachhin, sondern nur in der und der Hinsicht oder an der und der Stelle oder zu der und der Zeit oder im Verhältnis zu dem und dem aussagen zu können; die dritte (ist die Form) mittels Unkenntnis der Widerlegung; die vierte ist die über die Folgen; die fünfte läuft darüber, daß man die Anfangsbehauptung (einfach als schon zugegeben) nimmt; die sechste (besteht darin), etwas, das nicht ursächlich ist, für ursächlich zu setzen; die siebente (darin), aus mehreren Fragen eine zu machen. Kapitel 5. (1) Die Trugschlüsse über das nebenbei Zutreffende gibt es dann, wenn gefordert wird, daß etwas dem Ding selbst wie auch dem, was daran nur nebenbei mit vorkommt, in gleicher Weise zukommen soll. Da nämlich einem und demselben (Gegenstand) vieles so nebenbei auch zutrifft, ist es nicht notwendig, daß allem, was davon ausgesagt wird, immer all das gleiche zukommt, z. B.: »Wenn Koriskos etwas anderes ist als ›Mensch‹, so wird er selbst verschieden von sich selbst sein; denn er ist doch (ein) Mensch«; oder: »Wenn ein anderer als Sokrates ..., Sokrates aber ist ein Mensch ...«, so hätte man, sagen sie, zugegeben »etwas anderes als ein Mensch«, weil es doch so mit eintrifft, daß der ein Mensch ist, im Verhältnis zu dem man hier gesagt hat: »verschieden von ...«. (2) Die (Trugschlüsse) über das »einfach-so-« oder »(nur)in-der-Hinsicht-Ausgesagtwerden« – und dann eben nicht in der eigentlichen Bedeutung – (kommen dann zustande), wenn

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etwas, das als Aussage nur für den Teil gilt, wie etwas schlech terdings Gesagtes genommen wird, z. B.: Wenn »nicht-seiend« Gegenstand von Meinung »ist«, daß dann gelten soll: »nichtseiend ist«; es ist nämlich nicht das gleiche, etwas sein und dasein ohne Einschränkung; es scheint nur so wegen der Tatsache, daß die Ausdrücke so eng beieinander liegen und sich das »etwas sein« von »sein« und das »etwas nicht sein« von »nicht sein« nur wenig unterscheidet. Ähnlich (liegt es auch) mit dem »in der und der Hinsicht so« und dem »ohne Einschränkung«, z. B.: Der Inder, der als Ganzer schwarz ist, ist doch weiß an den Zähnen; so ist er also »weiß und nicht-weiß«; oder, wenn denn in der und der Hinsicht beides, (so schließt man:) Hier liegt gleichzeitig Gegenteiliges vor. Derlei (Trugschluß) ist in einigen Fällen für jeden leicht zu durchschauen, z. B. wenn man (zugestanden) erhalten hat »ein Äthiopier ist schwarz« und dann fragte, ob er hinsichtlich seiner Zähne denn nicht weiß ist; und wenn er also in der Hinsicht weiß ist, daß man dann wohl annehmen sollte, im Gespräch wäre herausgekommen: »Er ist schwarz und nicht schwarz«, und so hätte man die Fragerei auch noch schlußrichtig zu Ende gebracht! – In einigen (anderen Fällen) ist das dagegen oftmals verborgen, insoweit es da nämlich vorkommt, wenn (etwas) in der und der Hinsicht ausgesagt wird, daß dann das »ohne Einschränkung« zu folgen scheint; und in all den Fällen, wo nicht leicht zu ersehen ist, was von den beiden (Aussagen) im eigentlichen Sinne anzugeben ist; derlei tritt auf in den Fällen, wo Entgegengesetztes in gleicher Weise zutrifft: Da sieht es nämlich so aus, als ob entweder beides oder keins von beiden uneingeschränkt zuzugeben sei, z. B.: Wenn die Hälfte (dieses Dinges da) weiß ist, die andere Hälfte schwarz, was ist es nun, weiß oder schwarz? (3) Die (Trugschlüsse) über Nichtbestimmtsein dessen, was Schluß ist oder was Widerlegung ist, laufen anders, (nämlich) über Mangel an Begriff. Widerlegung ist nämlich Widerspruch hinsichtlich eines und desselben – nicht Wortes, sondern Sachverhalts, und wenn schon eines Wortes, so nicht eines anderen, das in etwa das gleiche bezeichnet, sondern genau des selben –



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aufgrund, des Zugegebenen, mit Notwendigkeit – wobei die Anfangsannahme nicht mitgezählt wird –, in einer und derselben Hinsicht, im Verhältnis zu dem gleichen (Sachverhalt, wie behauptet), auf die gleiche Weise und in der gleichen Zeit. Auf genau die gleiche Weise geht auch die Falschaussage über etwas. Einige aber lassen etwas von dem Aufgezählten aus und erwecken so den Anschein einer Widerlegung, z. B.: Eines und dasselbe ist »doppelt und nicht doppelt« –: »zwei« ist doch »das Doppelte von ›eins‹«, »von ›drei‹ das Doppelte« ist es aber nicht! Oder wenn ein und derselbe Gegenstand im Verhältnis zu einem und demselben (anderen) »doppelt so groß und nicht doppelt so groß« (sein sollte), nur nicht in der gleichen Richtung: Der Länge nach ist er doppelt so groß, der Breite nach aber nicht. Oder wenn (das alles zwar) im Verhältnis zu demselben und in der gleichen Hinsicht und in der gleichen Weise (zutreffen sollte), aber nicht zur gleichen Zeit: aus dem Grunde ist das nur eine scheinbare Widerlegung. – Man könnte diesen Fall aber auch zu denen ziehen, die über sprachlichen Ausdruck laufen. – (4) Die (Trugschlüsse) über das (unbewiesene) Voraussetzen der Anfangsannahme können mit eben den Mitteln und auf genau so vielen Wegen erfolgen, wie es geht, daß man die Ausgangsbehauptung (als gegeben) fordert. Ihr Widerlegungsschein ergibt sich aufgrund des Unvermögens, das, was gleich und was verschieden ist, zusammensehen zu können. (5) Der Widerlegungs»schluß« über die Folgen (ergibt sich) aufgrund der Annahme, die Folge ließe sich umkehren: Wenn mit der Annahme der Geltung dessen notwendig auch dies ist, so, meinen sie, müsse, wenn dies ist, nun also auch das andere notwendig sein. Von da gehen ja auch die Wahrnehmungstäuschungen aus, die zu (falscher) Meinung führen: Oft schon hat man Galle für Honig gehalten, weil dem Honig eben die gelbe Farbe mitfolgt; und da es zutrifft, daß die Erde, wenn es geregnet hat, feucht ist, so nehmen wir an, wenn sie feucht ist, so hat es geregnet. Das ist aber nicht notwendig. – Und in den Anweisungen für Redner gehen die »Beweise über Anzeichen« von Folgen aus: Man will nachweisen »der ist ein Ehebrecher«

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und hat sich hergenommen, was dem folgt: Er hat sich schön gemacht, oder, man sieht ihn nachts herumstreichen. Das trifft ja auf viele zu, das, was die Anklage vorbringt, aber nicht. – Ähnlich aber auch beim Schlußverfahren, z. B. die Rede des Melissos: »Das All ist unbegrenzt«; da hat er sich (den Satz) genommen »das All ist ungeworden« – aus etwas, das es gar nicht gibt, kann ja wohl nichts entstanden sein –; »was aber geworden ist, ist aus einem Ursprung entstanden; wenn es nun nicht entstanden ist, so hat das All auch keinen Anfang;« also: »es ist unbegrenzt« Es ist aber nicht notwendig, daß das so eintritt; es gilt nämlich nicht: Wenn alles, was geworden ist, einen Anfang hat, so auch, wenn etwas Anfang hat, so ist es geworden; wie ja auch (folgendes) nicht: Wenn der Fieberkranke warm ist, so notwendig auch: Wer warm ist, leidet an Fieber. (6) Der (falsche Widerlegungsschluß) über Setzung von nicht ursächlich als ursächlich (geht so): Wenn etwas, das gar nicht Ursache ist, hinzugenommen ist, als ob über genau dieses die Widerlegung zustande käme. Derlei tritt ein in den Schlüssen auf das Unmögliche; bei denen ist es ja nötig, eine der ausgemachten Aussagen aufzuheben. Wenn nun unter den notwendigen Fragen etwas mit eingerechnet wird auf dem Wege zum Eintritt des Unmöglichen, so wird es oft den Anschein haben, als käme die Widerlegung über dieses zustande, z. B. (beim Beweis): »Seele und Leben sind nicht das gleiche«: Wenn doch dem »Untergang« das »Entstehen« entgegengesetzt ist, so wird auch diesem »bestimmten Untergang« (eines einzelnen) dies »bestimmte Entstehen« (entgegengesetzt) sein; »Tod« ist nun aber »dieser bestimmte Untergang« (eines einzelnen) und ist ein Gegensatz zu »Leben«, also: »Leben« ist »Entstehen«, und »leben« heißt »entstehen«, das aber ist unmöglich; also: »Leben und Seele sind nicht dasselbe«. – Das kommt aber nicht durch Schluß zustande; denn die Unmöglichkeit ergibt sich auch, wenn einer sagt: »Leben und Seele sind nicht das gleiche«, sondern nur: »Leben« ist das Gegenteil zu »Tod«, der ist ein »Untergang«, zu »Untergang« (ist das Gegenteil) »Entstehen«.



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 6 235

Derartige Redeverfahren sind nun also nicht uneingeschränkt unschlüssig, im Hinblick auf die gestellte Aufgabe aber sind sie es; und daß es so ist, bleibt oft den Fragestellern selbst nicht weniger verborgen (als den Gefragten). – Die Redeformen unter Verwendung von Folgen und mit Einsetzung des Nicht-Ursächlichen sind also diese. – (7) Die darüber laufen, daß man aus zwei Fragestellungen eine macht, (liegen dann vor,) wenn verborgen bleibt, daß es eine Mehrzahl ist und eine einzige Antwort darauf gegeben wird, als wäre es eine einzige. In einigen Fällen ist nun leicht zu durchschauen, daß es mehr sind und daß man nicht nur eine Antwort darauf zu geben hat, z. B.: »Ist die Erde Meer oder der Himmel? «In einigen (anderen) Fällen (ist das) weniger (klar), und als wäre es eines, stimmt man entweder zu, dadurch daß man auf das Gefragte keine Antwort weiß, oder man läßt den Eindruck zu, widerlegt zu sein. Z. B.: »Ist dieser oder der da ›Mensch‹?« Also: Wenn einer diesen und den da stößt, so wird er »Mensch«, nicht »Menschen« stoßen! Oder nochmal: »(Bei Tatbeständen,) wovon die einen ›gut‹ sind, die anderen ›nicht gut‹, ist da nun die Gesamtheit aller gut oder nicht gut?« Einerlei was man da sagt, so geschieht es im einen Falle, daß man anscheinend Widerlegungsschluß oder Falschaussage herbeiführt – denn zu behaupten, von Nicht-Gutem sei doch etwas gut oder von Gutem etwas nicht gut, ist falsch –; ein andermal, wenn bestimmte Zusatzannahmen gemacht werden, könnte wohl auch eine tatsächliche Widerlegung eintreten, z. B. wenn einer zugäbe, eines und vieles werde in gleicher Weise »weiß«, »bloß«, »blind« genannt; wenn doch »blind« (bestimmt ist als) »was Sichtwahrnehmung nicht hat, wo es sie von Natur aus doch haben sollte«, so wird auch »Blindes« sein »solches, das Sichtwahrnehmung nicht hat, sie aber von Natur haben sollte«; wenn nun das eine (Lebewesen) sie hat, ein anderes sie nicht hat, dann werden die beiden zusammen entweder sehend sein oder blind – was doch unmöglich ist. Kapitel 6. Entweder also muß man die Schein-Schlüsse und die Widerlegungsschlüsse so einteilen, oder man muß sie alle zurückführen auf die Unkenntnis von Widerlegungsschluß,

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indem man dabei folgenden Ausgangspunkt nimmt: Es geht, alle die aufgezählten Weisen auf die Begriffsbestimmung von »Widerlegung« hin aufzulösen. Erstens, wenn sie nicht schlüssig sind: es muß doch der Schlußsatz aus den aufgestellten (Behauptungen) sich ergeben, sodaß er seine Aussage aus Notwendigkeit macht, nicht bloß scheinbar. Sodann auch gemäß den Teilstücken der Begriffsbestimmung (von Widerlegung): Von den (Trugschlüssen), die auf der sprachlichen Ausdrucksform beruhen, gehen die einen über zweideutigen (Ausdruck), z. B. Gleichheit von Worten (die Verschiedenes bezeichnen), (zweideutige) Begriffserklärung und ähnliche Gestaltungsform – es ist ja eingefahrene Gewohnheit, daß alle (Worte) ein »Diesesda« meinten; Zusammensetzung dagegen, Trennung und Betonung (arbeiten damit), daß die Begriffserklärung nicht dieselbe ist oder das Wort ein Verschiedenes (bezeichnet); es müßte aber doch auch dieses (nur eines meinen), wie ja auch der Sachverhalt einer und derselbe ist, wenn denn Widerlegung oder Schluß erfolgen soll, z. B., wenn »Mantel« (im Eingangssatz gegeben ist), dann nicht auf »Obergewand« schließen, sondern eben auf »Mantel«; wahr ist zwar auch das andere, nur ist der Schluß noch nicht erreicht, sondern es bedarf noch der zusätzlichen Frage, ob denn (die beiden Worte) dasselbe bezeichnen, dem gegenüber, der nach dem »aufgrund wovon« fragt. Die (falschen Widerlegungsschlüsse), die mithilfe von nebenbei Zutreffendem arbeiten, werden als solche klar, wenn bestimmt ist, was Schluß ist; genau dieselbe Bestimmung muß ja auch die von Widerlegung sein, nur mit dem Unterschied, daß eine Verneinung dabeisteht: Widerlegung ist ein Schluß auf Verneinung. Wenn es nun also keinen Schluß mithilfe des nebenbei Zutreffenden gibt, so erfolgt auch keine Widerlegung. Es gilt nämlich nicht: Wenn dies ist und dann notwendig das sein muß – das sei einmal »weiß« –, dann ist »weiß-sein« notwendig aufgrund von Schluß. Und auch nicht: Wenn das Dreieck Winkel gleich zwei Rechten hat, und es trifft auch auf es zu, entweder »erste Figur« zu sein oder »Ausgangsfigur«, daß dann dies für »Figur« oder »Ausgang« oder »erstes« gelten soll; denn nicht insofern das eine Figur war oder eine erste,



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 6 237

sondern insofern es ein Dreieck war, verlief der Beweis. Entsprechend auch in allen anderen Fällen. Wenn daher die Widerlegung eine Form von Schluß ist, dann kann es ja wohl so etwas wie Widerlegung mittels nebenbei Zutreffendem nicht geben. – Und doch lassen sich eben auf diesem Wege sowohl Fachleute wie überhaupt Kundige von Leuten widerlegen, die in der Sache gar keine Ahnung haben: Die machen ihre Schlüsse gegenüber den Kenntnisreichen eben mithilfe von nebenbei Zutreffendem; und die können das nicht auseinanderhalten, und entweder, wenn sie so gefragt werden, geben sie es zu, oder, obwohl sie es tatsächlich gar nicht zugegeben haben, meinen sie doch, sie hätten es. Die (Widerlegungstrugschlüsse) über »in der Beziehung« und »uneingeschränkt so« (werden als solche offenkundig) dadurch, daß Bejahung und Verneinung sich nicht auf dasselbe beziehen; denn von »in der und der Hinsicht weiß« ist das »in der und der Hinsicht nicht weiß« die Verneinung, und von »ohne Einschränkung weiß« das »ohne Einschränkung nicht weiß«; sei nun zugegeben, (etwas) sei in der und der Hinsicht weiß, und man nimmt das, als sei das ohne Einschränkung gesagt, dann erzielt man keine Widerlegung, sondern es scheint nur so aufgrund der Unkenntnis dessen, was Widerlegung denn ist. Am offenkundigsten von allen sind die, welche früher schon genannt wurden: »der Begriffsbestimmung von Widerlegung zuwider« – deshalb wurden sie ja eben so genannt. Über einen Mangel in der herleitenden Rede ergibt sich der Anschein, und wenn man sie so einteilt, so ist als das Gemeinsame über ihnen allen zu sehen: Mangel in der herleitenden Rede. Die (falschen Widerlegungen) über das Sich-nehmen der Ausgangsbehauptung und über das Als-ursächlich-setzen von etwas, das tatsächlich nicht Ursache ist, sind als solche klar über die Begriffsbestimmung (von Schluß): Es muß doch der Schluß-Satz sich infolge dessen, daß dies und jenes so ist, ergeben, was denn bei Nicht-Ursächlichem eben nicht so war. Und wieder: Die Ausgangsbehauptung darf in der Rechnung selbst nicht vorkommen, was denn eben die (Beweisgänge) nicht er-

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füllen, die über ein Einfordern der Ausgangsbehauptung gehen. Die (Widerlegungstrugschlüsse) über etwas, das (nur) folgt, sind ein Teilstück von nebenbei zutreffend: eine Folgebestimmung trifft eben mit zu. («Folgend«) unterscheidet sich aber von »nebenbei zutreffend« darin, daß etwas, was nebenbei mit zutrifft, auf einen Gegenstand allein angewandt werden kann, z. B. sollen »gelb« und »Honig« das gleiche sein und »weiß« und »Schwan«; dagegen, was über Folge eintritt, (kommt) immer an einer Mehrzahl (vor): Dinge, die mit einem und demselben gleich sind, von denen fordern wir, daß sie auch untereinander das gleiche sind; auf dem Wege kommt eine Widerlegung über Folgen zustande. Nur ist das nicht in jedem Falle wahr, z. B. wenn dies über ein nur »nebenbei zutreffend« ginge: dann ja sind »Schnee« und »Schwan« mit »weiß« das gleiche. Oder wieder, wie in der Herleitung von Melissos: Er nimmt an, »Entstandensein« und »Anfang haben« sei das gleiche, oder »gleich viele werden« und »dieselbe Größe annehmen«; weil dann nun also, was entstanden ist, einen Anfang hat, fordert er, soll auch, was einen Anfang hat, entstanden sein, als ob beides das gleiche wäre wie »Anfang haben«, nämlich »entstanden sein« und »begrenzt sein«. Entsprechend auch bei Dingen, die »gleichviele« werden: Wenn Dinge, die eine und dieselbe Größe annehmen, gleichviele werden müssen, so müßten (meint er) Dinge, die gleichviele werden, auch (gemeinsam) eine Größe annehmen. Also, er nimmt sich eine Folgebestimmung her. – Da nun also die Widerlegung über »nebenbei zutreffend« auf Unkenntnis dessen beruht, was Widerlegung wirklich ist, so ist offenkundig: (Bei Widerlegung) über Folgen (gilt das) auf andere Weise zu prüfen. – Die (Trug- und Widerlegungsschlüsse), die darüber laufen, mehrere Fragen zu einer zu machen, (beruhen darauf,) daß wir den Begriff von Vordersatz nicht recht gliedern: so ein vorlegender Eingangssatz ist eine (Aussage) über einen (Gegenstand); es ist doch dieselbe Begriffsbestimmung eines Einzelgegenstandes und der ganzen Sache ohne Abstrich, z. B. »Mensch« und dieses Einzelmenschen für sich allein; entsprechend auch



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 7 239

in allen anderen Fällen. Wenn nun ein Vordersatz ist: Der eines als für eines gültig fordert, dann wird auch eine ebenso gestellte Frage einen Vordersatz ohne Wenn und Aber ergeben können. Da nun der Schluß aus Vordersätzen (sich zwingend ergibt), und da eine Widerlegung ein Schluß (sein muß), so ergibt sich auch die Widerlegung aus Vordersätzen. Wenn nun so ein Vorgabe-Satz eine Aussage über einen (Gegenstand macht), so ist klar: Auch diese (Art von Fehlschluß beruht) auf Unkenntnis dessen, was Widerlegung ist: Hier scheint nur das ein solcher Vordersatz zu sein, was in Wirklichkeit keiner ist. Wenn (einer) nun also Antwort gegeben hat als auf eine Frage, dann ist es (am Ende wirklich) Widerlegung; wenn er aber nicht wirklich eine gegeben hat, sondern nur scheinbar, so (kann es nur) eine scheinbare Widerlegung (sein). Also: Alle diese Weisen fallen unter Unkenntnis dessen, was Widerlegung ist, die einen, (die) über sprachlichen Ausdruck (zustandekommen), aufgrund dessen, daß der Widerspruch nur scheinbar ist, was doch aber die wesentliche Eigentümlichkeit von Widerlegung war; die anderen laufen der Begriffsbestimmung von »Schluß« zuwider. Kapitel 7. Die Täuschung dabei kommt (so) zustande: Bei den (Trugschlüssen) mittels Namensgleichheit von Wort und Rede dadurch, daß einer es nicht vermag, die mehrfachen Bedeutungen (eines Wortes oder Ausdrucks) auseinanderzuhalten – einige sind ja nun wirklich nicht leicht zu trennen, wie z. B. »eines«, »seiend« und »dasselbe« –; bei denen mittels Zusammenfügung und Auseinandernehmen (ergibt sie sich) dadurch, daß man meint, es mache gar keinen Unterschied, ob die Rede zusammengesetzt (genommen wird) oder jeder Ausdruck einzeln, wie es ja in den meisten Fällen auch ist. Entsprechend auch bei den (Trugschlüssen) mittels Betonung: Die Rede scheint doch bei gelockerter oder angezogener Aussprache keinen anderen Sinn zu bekommen, in keinem Fall oder doch nur in wenigen. Bei denen über die Ausdrucksform (erfolgt sie) aufgrund der Ähnlichkeit des Sprachausdrucks: es ist ja schwierig auseinanderzuhalten, was nun eben so, was eben anders ausgesagt wird – wer das zu tun versteht, der ist

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schon ziemlich nahe daran, das Wahre zu sehen, besonders versteht er sich darauf, mit zuzustimmen –, weil wir bei allem, was von etwas ausgesagt wird, annehmen, es sei ein »Diesesda«, und immer durchhören, es wäre eine Einheit; denn dem »einheitlich« und dem »etwas, das es gibt« scheint ganz besonders das »Dieses-da« und »seiend« mitzufolgen. Daher ist dieser Fall zu den (Täuschungen) über sprachlichen Ausdruck zu setzen, erstens, weil die Täuschung häufiger erfolgt, wenn man mit anderen zusammen untersucht, als wenn man es für sich allein tut – die Untersuchung zusammen mit einem anderen (geschieht) über Worte und Reden, die bei sich allein nicht weniger an der Sache selbst –; sodann tritt es ja auch ein, daß man bei sich allein sich täuscht, (eben dann) wenn man seine Betrachtung auf die Art der Rede richtet; weiter, die Täuschung kommt von der Ähnlichkeit, die Ähnlichkeit aus der sprachlichen Ausdrucksform. Bei den (Trugschlüssen) über nebenbei Zutreffendes (erfolgt die Täuschung) infolge dessen, daß man nicht unterscheiden kann, was dasselbe ist, was verschieden, was eines, was vieles, und nicht (klarstellen kann), welchen unter den ausgesagten Bestimmungen all genau die gleichen (Eigenschaften) zukommen wie dem Gegenstande selbst. Entsprechend (ist es) auch mit denen über Folgebestimmungen: Ein Teilstück von »nebenbei zutreffend« ist ja doch das »folgend«. Darüber hinaus ergibt sich in vielen Fällen der Schein, und man fordert es dann auch so: Wenn das von dem nicht abgetrennt wird, dann läßt sich auch das zweite vom ersten nicht trennen. Bei denen über Mangel in der herleitenden Rede und denen über das »in der und der Hinsicht« und »ohne Einschränkung so« (liegt) der Trug in dem »nur ein klein wenig«: Als ob sich damit nämlich keine weitere Bedeutung ergäbe, räumen wir ein, ein »irgendein« oder »in der Hinsicht« oder »so und so« oder »jetzt gerade« über alles zu nehmen. Entsprechend auch bei denen, die die Ausgangsbehauptung als gegeben nehmen, und denen, die Nicht-Ursächliches (für ursächlich nehmen), und welche da mehrere Fragen zu einer



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 8 241

machen: Bei all denen liegt der Trug in dem »ein ganz klein wenig«; wir nehmen es da nicht genau, weder mit der Begriffsbestimmung von »Vordersatz« noch mit der von »Schluß«, aus dem besagten Grunde. Kapitel 8. Da wir nun darüber verfügen, über wieviele (Wege) die scheinbaren Schlüsse zustandekommen, haben wir auch in der Hand, über wieviele die sophistischen Schlüsse und Widerlegungen wohl sich ergeben. Ich bezeichne aber als »sophistische Widerlegung und Schluß« nicht allein den Scheinschluß oder die Scheinwiderlegung, die nicht sind (was zu sein sie vorgeben), sondern auch, die es wirklich sind, aber nur scheinbar dem Sachverhalt (um den es je geht) eigentümlich sind. Das sind die, welche nicht aus Gründen der Sache widerlegen und (die Gesprächspartner als Leute) erweisen, die keine Ahnung haben, was denn Aufgabe und Eigenschaft der Gesprächsart war, die jemanden auf die Probe stellt. Diese Erprobungskunst ist ein Teil der Gesprächsführung überhaupt; sie kann auf Falsches schließen aufgrund der Unkenntnis dessen, der da für etwas geradestehen soll. Die sophistischen Widerlegungen dagegen machen auch dann, wenn sie auf Widerspruch (zum ursprünglich Behaupteten) schließen, nicht klar, ob (der Gesprächsteilnehmer) keine Ahnung hat; denn auch dem kundigen Mann legen sie mit solchen Reden Fallen. Daß wir diese mit dem gleichen Verfahren in der Hand haben, ist klar: Über wieviele Wege den Zuhörern, als wären hier tatsächlich Fragen gestellt, ein Schluß erreicht scheint, über ebenso viele kann man ja einem Antwortgebenden die und die Meinung einreden; also werden Schlüsse falsch mittels dieser (Gesichtspunkte), entweder aller oder einiger davon: wovon einer, der gar nicht gefragt worden ist, meint, es sei gegeben, das wird er ja wohl auch setzen, wenn man ihn fragt. Nur bei einigen Fällen tritt sofort mit ein die zusätzliche Frage nach dem, was da fehlt, und so wird die Falschheit aufgedeckt, z. B. bei den (Trugschlüssen) über die sprachliche Ausdrucksform und den Verstoß gegen die sprachliche Richtigkeit.

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Wenn nun also die Trugschlüsse auf Widerspruch (zum ursprünglich Gesetzten) über die scheinbare Widerlegung gehen, so ist klar: Über genau so viele (Wege) gibt es ja wohl Schlüsse auf Falsches, über wieviele auch Scheinwiderlegung führt. Die scheinbare (Widerlegung) führt aber über Teile der wahren: indem nämlich an einem jeden davon etwas mangelt, scheint es zur Widerlegung zu kommen, z. B. die über das geht, was aufgrund der Herleitung sich gar nicht ergibt – die auf das Unmögliche –, und die, welche zwei Fragen zu einer macht über den Vordersatz, und die anstatt des »an sich« über das nur nebenbei Zutreffende geht, und deren Teilverfahren, das über die Folge; sodann auch noch die, daß (das Ergebnis) nicht für die Sache, sondern nur für die Rede (über sie) zustande kommt; weiter (die damit arbeitet), anstatt des Widerspruchs über alles und bezüglich der gleichen Sache und in der gleichen Hinsicht und in der gleichen Weise (es) über »insoweit« oder »im Einzelfalle davon« (laufen zu lassen); außerdem die, welche trotz der Anweisung: »die Anfangsannahme nicht mit einrechnen« darüber geht, eben die Anfangsannahme als gegeben zu nehmen. Also hätten wir es denn, über wieviele Wege die Trugschlüsse sich ergeben; über noch mehr laufen ja wohl keine: alle werden über die aufgezählten gehen. Es ist aber die sophistische Widerlegung nicht Widerlegung ohne Zusatz, sondern ist eine jemandem gegenüber; und beim Schluß genauso. Wenn die mittels Wortgleichheit es nicht zugestanden erhält, daß dies nur eine Bedeutung hätte, und die mittels ähnlicher Sprachform das »allein dies« (nicht erhält), und die anderen (Formen) ebenso, dann wird es weder Widerlegung noch Schluß geben, weder ohne Zusatz noch einem Gefragten gegenüber; wenn sie das aber erhalten, so treten sie dem Gefragten gegenüber zwar ein, ohne so einschränkenden Zusatz aber haben sie keinen Bestand: sie haben nämlich nicht etwas, das nur eines bedeutet, ergriffen, sondern was dies nur scheinbar tut, und das nur von diesem (Gefragten) hier. Kapitel 9. Bei wie vielen (Gegenständen) die widerlegt werden, denen das eben widerfährt, das darf man nicht zu erfassen suchen ohne Wissen von allem, was es gibt. Das ist dann



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 9 243

nicht Aufgabe einer einzigen Kunst; vielleicht sind die Wissenschaften ja zahllos, also klar: die Beweise auch. Widerlegungen können auch wahr sein: von allem, was bewiesen werden kann, kann man auch einen Widerlegungsbeweis führen gegen einen, der den Widerspruch zum Wahren angesetzt hat, z. B., hat er gesetzt, der Durchmesser lasse sich in gleichen Einheiten messen (wie die Seite), so würde ihn einer widerlegen mit dem Nachweis: Es geht nicht mit gleichen Meßeinheiten. Also müßte man in allem und jedem kundig sein: Die einen (Widerlegungen) werden über die Anfangssätze der Geometrie und deren Schluß-Sätze laufen, andere über die in der Heilkunst, wieder andere über die der übrigen Wissenschaften. Indessen aber auch die falschen Widerlegungen dürften gleichermaßen in zahllosen (Feldern) auftreten: Im Bereich jeder einzelnen Kunst gibt es falschen Schluß, z. B. gemäß (den Regeln) der Geometrie den geometrischen, gemäß denen der Heilkunst den ärztlichen; mit »der Kunst gemäß« meine ich, was den Anfangsannahmen je dieser entspricht. Klar nun also, daß hier nicht die Fundorte aller Widerlegungsformen, sondern nur die gemäß der Kunst der Gesprächsführung zu ergreifen sind: diese nämlich sind auf alle Kunst und (jedes) Können gemeinsam (anwendbar). Die einer jeden Einzelwissenschaft gemäße Widerlegungsform zu betrachten ist Sache des darin Kundigen, ob sie (schlüssig) nur scheint, ohne es zu sein, und wenn sie es wirklich ist, aus welchem Grunde sie es ist; die (Widerlegungsform) aus allgemeinen (Sätzen), die unter keine (bestimmte) Kunst fallen, ist Sache derer, die Gesprächsführung überhaupt untersuchen. Wenn wir nämlich darüber verfügen, woraus die wahrscheinlichen Schlüsse, über welchen Gegenstand auch immer, (sich ergeben), so verfügen wir auch über (die Gesichtspunkte), woraus die Widerlegungen (kommen); der Widerlegungsschluß ist doch ein Schluß auf Widerspruch, so daß denn entweder ein oder zwei Schlüsse auf Widerspruch eine Widerlegung sind. Wir haben dann also fest, über wieviele (Wege) die derartigen (Widerlegungen) laufen; wenn wir aber das wissen, so verfü-

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gen wir auch über die Lösungen: Die jeweiligen Einwendungen dagegen sind die Lösungen. Wir haben aber (mit dem Wissen), über wieviele Wege sie gehen, auch die scheinbaren (Widerlegungen) fest, und zwar die, welche nicht jedem beliebigen so vorkommen, sondern denen, die etwas davon verstehen; es gibt nämlich unzählig viel davon, wenn einer das untersuchen wollte auf all den Wegen, über die es beliebigen Leuten so vorkommt. Also (ist) einleuchtend: Es ist Aufgabe dessen, der Gesprächsführung für sich betrachtet, erfassen zu können, über wieviele Wege unter Verwendung allgemeiner (Vorstellungen und Sätze) das alles geht, entweder die tatsächliche Widerlegung oder die nur scheinbare und die dem Untersuchungsgespräch eigene, oder die nur so scheint, oder die jemanden nur erprobende. Kapitel 10. Das Unterscheidungsmerkmal an den Reden, das einige vorbringen, nämlich daß die einen auf das Wort hin gehen, die davon verschiedenen aber auf den gemeinten Sinn, ist nicht (maßgeblich): Es ist ja unsinnig anzunehmen, daß es eine besondere Art von Reden gibt, die auf die Wortbedeutung hin erklären, davon verschiedene auf die gemeinte Bedeutung hin, und das wären nicht die gleichen. Was heißt denn dies »nicht auf die gemeinte Bedeutung hin«, wenn nicht (folgendes): Wenn man nicht das Wort verwendet, das der Gefragte in der Meinung, eben danach gefragt zu sein, angegeben hat? Das genau eben heißt doch »auf das Wort hin (gehen)«; das »auf den Sinn hin« (bedeutet dagegen): Wenn man sich auf das bezieht, woran er bei seiner Zugabe gedacht hat. Wenn denn nun also Leute angesichts dessen, daß das Wort (das sie behandeln) mehr Bedeutungen hat, meinen sollten, es habe nur eine, und zwar sowohl der Fragesteller wie auch der Gefragte – z. B. etwa »seiend« und »eines« haben viele Bedeutungen, aber sowohl der Antwortende wie der Fragesteller haben in der Meinung gesprochen, es sei nur eine, und die Rede (um die es geht) heißt: »Eines ist alles.« –: geht denn also diese (Rede) auf das Wort hin, oder ist sie auf das hin ausgesagt, was der Gefragte sich dabei denkt? Wenn aber jedenfalls einer



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meint, es habe viele Bedeutungen, dann klar: Das geht nicht auf den gemeinten Sinn aus. Erstens nämlich gilt dies »auf das Wort hin« und das »auf den Sinn hin« für alle derartigen Reden, die mehrere Bedeutungen haben; zweitens gilt es dann bei jeder beliebigen; denn das »auf-den-Sinn-sich-beziehen« liegt nicht in der Rede selbst vor, sondern darin, daß der Antwortgebende sich zu dem (von ihm) Zugegebenen in der und der Weise verhält. Sodann kann es sein, daß alle diese auf das Wort hin gehen; denn »auf das Wort hin« heißt hier nur »nicht auf den gemeinten Sinn« hin ausgehen. Denn wenn nicht alle (unter diese Einteilung fallen), so wird es irgendwelche davon unterschiedenen geben, die weder auf das Wort hin noch auf den gemeinten Sinn (bezogen sind); diese (Leute) aber sagen: »alle«, und sie teilen sie alle ein in entweder »auf-das-Wort-hin-« oder »aufden-gemeinten-Sinn-hin-bezogen-sein«, andere dagegen (gibt es nach ihnen) nicht. Indessen aber (liegt es ja ganz anders): Alle die Schlüsse, die über mehrfache Wortbedeutung laufen, von denen sind die »auf das Wort hin« eine Untergruppe. Es ist ja doch unsinnig gesprochen, mit »auf das Wort hin« alle (die Widerlegungsformen) zu bezeichnen, die über sprachlichen Ausdruck zustandekommen. Aber nun ergeben sich ja bestimmte Trugschlüsse nicht dadurch, daß der Antwortende sich so und so zu ihnen verhält, sondern dadurch, daß die Rede selbst eine derartige Frage mit sich führt, welche mehrere Bedeutungen hat. Überhaupt ist es unsinnig, über Widerlegung allerlei auszuführen, aber nicht zuvor über Schluß; der Widerlegungsschluß ist nämlich eine Form von Schluß, also ist es auch nötig, zunächst einmal über Schluß (zu sprechen), und dann erst über falschen Widerlegungsschluß; eine derartige Widerlegung ist nämlich ein scheinbarer Schluß auf Widerspruch; daher wird die Ursache (der Falschheit) entweder im Verlauf des Schlusses liegen oder in der Bestimmung des Widerspruchs – ein Widerspruch muß ja dabeistehen –, gelegentlich auch in beiden, wenn die Widerlegung nur scheinbar ist. Der Widerlegungsbeweis mit dem Namen »Schweigend sagen« (liegt) in der Be-

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stimmung von Widerspruch, nicht im Schlußverlauf; der mit dem Namen »Was er nicht hat, kann er geben« (liegt) in beiden; der, daß die Dichtung Homers eine »Form« ist, weil es doch einen »(epischen) Kreis« gibt, liegt im Schlußverlauf. Wo in keinem von beiden (ein Fehler liegt), ist der Schluß wahr. – Aber nun ja (zurückzukommen auf das), wovon die Rede doch ausging: Sind die Herleitungen in der Mathematik nun auf den gemeinten Sinn hin oder nicht? Und, wenn es jemandem so vorkommt, daß »Dreieck« viele Bedeutungen hat, und er nicht hat zugeben wollen, daß es die Gestalt ist, für die man im Schluß bewiesen hat, daß (ihr Winkelbetrag) zwei Rechte (ausmacht), hat der nun auf den damit gemeinten Sinn hin gesprochen oder nicht? Weiter, wenn zwar ein Wort viele Bedeutungen hat, der aber denkt daran nicht und vermeint es also auch nicht, wie kann dann der »nicht auf den gemeinten Sinn hin« gesprochen haben? Oder wie soll man denn fragen, außer indem man eine Einteilung vorgibt, mag nun einer so fragen: »Geht es, ›schweigend sagen‹, oder (geht es) nicht?« – oder: »Geht das in einer Hinsicht nicht, in anderer aber wohl?« –: wenn denn also einer zur Antwort gäbe: »Weder so noch so«, der andere aber trotzdem in seiner Ausführung weitermachte – hat er damit nun etwa nicht auf den gemeinten Sinn hin gesprochen? Dabei scheint doch diese Rede zu denen zu gehören, die auf das Wort hin gehen. Also, das »auf den gemeinten Sinn hin« ist gar keine Gattung von Redeformen; dagegen die (Reden) »auf das Wort hin« sind es, freilich diese nicht alle (in einer Art), gar nicht zu reden von den echten Widerlegungen, sondern nicht einmal die scheinbaren: Es gibt ja Scheinwiderlegungen, die nicht über sprachlichen Ausdruck gehen, z. B. die über »nebenbei zutreffend« und andere. Wenn aber einer die Forderung erhebt, es auseinanderzunehmen: »Mit ›schweigend sagen‹ meine ich es mal so, mal so«, so ist das aber ja erstens unsinnig, dies Fordern: manchmal scheint das Gefragte nicht mehrere Bedeutungen zu haben, es ist aber unmöglich, etwas auseinanderzuhalten, wovon man dies gar nicht meint. Zweitens, »Lehren« – was wäre das



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denn anderes? Man würde ja jemandem klarmachen: So und so verhält es sich, – einem, der es weder überprüft hat noch davon weiß noch auch annimmt, daß man dies auch anders vortragen kann. Indessen, was hindert, daß dies auch bei Doppelverbindungen eintreten kann? (Z. B.:) »Sind die Einheiten den Zweiheiten in Vier gleich? – Die einen stellen doch so die Einheit (von Vier) her, die anderen anders.« Und: »Gibt es ein Wissen vom Gegensätzlichen oder nicht? Gegensätzlich sind aber doch auch ›erkennbar – unerkennbar‹.« – Also scheint, wer das fordert, nicht zu beachten, daß Lehren etwas anderes ist als eine Unterredung führen und daß der Lehrende keine Fragen stellen darf, sondern selbst es anderen klarmachen soll; der andere hingegen (der eine Unterredung führt) – der soll fragen. Kapitel 11. Weiter, das Einfordern von Zustimmung oder Ablehnung ist nicht Aufgabe dessen, der (lehrend) etwas aufzeigt, sondern dessen, der ein Auf-die-Probe-stellen vornimmt. Diese Erprobungskunst ist eine Form von Gesprächskunst und schaut sich nicht den an, der da Wissen hat, sondern den, der keines hat, aber es zu haben vorgibt. Wer nun, an die Sache sich haltend, das Allgemeine daran ins Auge faßt, der ist ein guter Unterredner; wer dagegen das nur scheinbar tut, ist sophistisch; und ein streitsüchtiger und spitzfindiger Schluß ist einmal der, welcher nur scheinbar schlüssig ist für Gegenstände, bei denen die Gesprächskunst jemanden auf die Probe stellt, (das gilt) auch dann, wenn der Schlußsatz wahr sein sollte – er ist nämlich trügerisch beim »warum« –, und alle die Trugschlüsse auch, die nicht dem Verfahren eines jeden (Wissensgebiets) gemäß sind, doch kunstgerecht zu sein scheinen. Die Falschzeichnungen sind ja nicht aus Streitlust gemacht – die (aus ihnen folgenden) Trugschlüsse bleiben im Rahmen dessen, was diesem Fach gemäß ist –, auch dann nicht, wenn eine Falschzeichnung um den wahren Sachverhalt herumführt, wie z. B. die des Hippokrates oder die Umwandlung (eines Kreises) in ein Viereck mithilfe der »kleinen Monde«; dagegen wie Bryson den Kreis in ein Viereck verwandelt hat – auch

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wenn der Kreis damit wirklich zum Viereck wird –: aber weil er nicht gemäß der Sache (vorgeht), deshalb ist er sophistisch. Also: Einmal der Scheinschluß im Bereich dieser Gegenstände ist eine streitsüchtige Rede, so wie auch der nur scheinbar gemäß der Sache gezogene Schluß, auch wenn er wirklich ein Schluß sein sollte, eine streitsüchtige Rede ist; er ist ja nur scheinbar bei der Sache, also ist er betrügerisch, somit unredlich. So wie ja auch beim sportlichen Wettkampf die Anwendung unredlicher Mittel die Vortäuschung einer gewissen Ansehnlichkeit mit sich führt und es eine Art unerlaubten Kampfes gibt, so ist die Streitsucht ein Kampf mit unrechten Mitteln beim Widersprechen: Dort greifen die, welche um jeden Preis den Sieg haben wollen, nach jedem Mittel, und hier (machen es) die Streithähne (genauso). Die nun um des bloßen Sieges willen sich derartig aufführen, das sind offenbar streitsüchtige Leute und Zankliebhaber; die das aber tun, um sich einen Namen zu machen, unter dem dann Geld zu verdienen ist, das sind die Sophistischen; denn die Sophistik ist, wie schon gesagt, eine Kunst, Geld zu verdienen unter Vortäuschung von Weisheit. Deshalb sind sie so auf den Scheinbeweis aus und (benutzen) die gleichen Arten von Rede, diese Zankliebhaber und Sophisten, nur nicht der gleichen Ziele wegen, und es ist dieselbe Form von Rede, die sophistisch und streitsüchtig ist, nur nicht in gleicher Absicht, sondern insofern (das) um scheinbaren Sieges willen (gemacht wird), ist es streitsüchtig, insofern um (scheinbarer) Weisheit willen, sophistisch. Die Sophistik ist ja doch eine Scheinweisheit, keine wirkliche. Der Streitsüchtige ist etwa von der Art, sich zu den echten Gesprächskundigen so zu verhalten wie der Falschzeichner zu dem Geometriker: Er zieht seine Fehlschlüsse aus denselben (Grundvoraussetzungen) wie der Gesprächskundige, und der Falschzeichner (macht es) im Verhältnis zum Geometriker (ebenso); nur ist der kein Streitsüchtiger, weil er aus den Anfangs- und Schluß-Sätzen, die unter diese Kunst fallen, seine falsche Zeichnung ableitet, dagegen, der sich entsprechend in allen übrigen Hinsichten im Rahmen der Kunst der Ge-



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sprächsführung bewegt, der ist klar ein Streitsüchtiger. Z. B. die Kreisumwandlung ins Viereck mittels der kleinen Monde ist nicht von streitsüchtiger Art, die des Bryson aber ist es: das eine Verfahren geht nicht zu übertragen, sondern (ist) allein auf Geometrie (anwendbar), weil es nämlich aus ihr eigentümlichen Anfangssätzen hervorgeht; das andere ist vielseitig anwendbar gegenüber allen Leuten, die das, was in einem jeden Gebiet möglich ist und was nicht geht, nicht wissen; da paßt es. – Oder wie Antiphon die Vierecksumwandlung des Kreises gemacht hat. – Oder wenn einer bestreiten wollte, daß es besser ist, nach dem Essen einen Spaziergang zu machen, (und wollte das begründen) über die Herleitung Zenons, das ist dann keine heilkundige Begründung: sie ist nämlich ganz allgemein. Wenn nun der Streitsüchtige in jeder Hinsicht zum Gesprächskundigen sich so verhält wie der Falschzeichner zum Geometriker, dann gäbe es auf jenem Felde keine streitsüchtige (Rede); nun aber ist der Gesprächskundige nicht für ein bestimmtes, fest abgegrenztes Gebiet zuständig, und es ist auch nicht seine Aufgabe, etwas (Sachhaltiges) zu beweisen, auch ist er nicht von der Art wie der Mann, der für das Allgemeine zuständig ist: Weder steht ja alles in einer bestimmten Gattung, noch, wenn es so wäre, sind die Dinge von der Art, daß alles, was es gibt, unter denselben Anfangssätzen stünde. Also: Kein wissenschaftliches Verfahren unter denen, die irgendetwas aufzeigen, was von Natur so gegeben ist, bedient sich des Fragestellens: es geht da nämlich nicht, eine der beiden Seiten, einerlei welche, herzugeben; es kommt nämlich kein Schluß aus beiden zustande. Dagegen die Gesprächskunst – die geht so fragend vor; würde sie selbst etwas beweisen, so würde sie, wenn schon nicht alles, so doch zumindest die Erstannahmen und eigentümlichen Grundsätze nicht in Frageform vorbringen; denn wenn (der andere) das nicht zugäbe, dann hätte sie ja nichts mehr, von wo aus sie noch gegen den Einwand etwas vorbringen könnte. Diese selbe (Gesprächskunst) verfährt auch erprobend. Die Kunst, jemanden auf sein Wissen hin zu prüfen, ist ja auch nicht von der Art wie die Geometrie, sondern es könnte auch

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einer mit ihr umgehen, der selbst nichts weiß: Es geht ja, daß auch einer, der von der Sache nichts weiß, eine Prüfung vornimmt an einem, der davon ebenfalls nichts weiß, wenn der nur seine Zugaben macht, nicht aufgrund dessen, was er weiß, auch nicht von dem der Sache Eigentümlichen aus, sondern von Folgebestimmungen aus, alles was derart ist, was man wissen kann, ohne doch von dem Sachgebiet (um das es geht) etwas wissen zu müssen, (umgekehrt) aber, wenn man das schon nicht weiß, hat man (von dem Sachgebiet) gar keine Ahnung; – also einleuchtend: Diese Prüfungswissenschaft hat kein bestimmtes Sachgebiet zu ihrem Gegenstand, daher ist sie auf alles anwendbar: alle Einzelgebiete verwenden auch bestimmte Allgemeinvorstellungen. Daher bedienen sich alle, auch Leute, die sonst nicht viel Ahnung haben, auf gewisse Weise der Gesprächs- und Prüfungskunst: alle versuchen nämlich, bis zu einem bestimmten Punkte die Leute zu beurteilen, die die große Ankündigung machen (sie wüßten dies und das) –: das aber sind die Allgemeinbegriffe; die kennen sie selbst nicht weniger (als die Klügsten), auch wenn sie sonst offenbar ganz an der Sache vorbeireden. Widerlegungen führen alle durch: ohne große Verfahrenskenntnisse haben sie an dem teil, dessen bewußtes Verfahren eben die Kunst der Gesprächsführung ist, und wer mithilfe des Schlußverfahrens jemanden einer Prüfung unterzieht, der ist so ein Gesprächskundiger. Da es nun aber viele (Bestimmungen) sind, die sich, immer als die gleichen, durch alles hindurchziehen, nur nicht von der Art, daß sie selbst etwas wären, was Naturwesen ist oder eine Gattung, sondern eher so etwas wie die Verneinungen, und (da) andererseits (es auch solche gibt, die) nicht von der Art (sind), sondern eigentümlich, so geht es, von diesen (ersteren) aus über alles und jedes eine Erprobung vorzunehmen, und daß es eine bestimmte Kunst gibt, die allerdings nicht von der Art ist wie die an der Sache beweisenden. Daher ist es mit dem Streitsüchtigen nicht so, daß er sich in jeder Hinsicht ebenso verhielte wie der Falschzeichner: Er zieht seine Trugschlüsse nicht von einer bestimmten Gattung von Anfangssetzungen



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 12 251

aus, sondern dieser Streithahn treibt sich auf jedem Gebiet herum. – Dies also sind die Weisen der sophistischen Widerlegungsschlüsse. Daß es Aufgabe des Gesprächskundigen ist, über sie Betrachtungen anzustellen und solche (Fehlschlüsse) auch selbst machen zu können, ist nicht schwer zu sehen: Es ist das Verfahren mit den eingebenden Vordersätzen, das diese ganze Betrachtung in sich faßt. Kapitel 12. Über die Scheinwiderlegungen ist (somit) gesprochen. Bezüglich dessen, wie man nachweist, daß (der andere) etwas Falsches gesagt hat und wie man die Rede aufs Unsinnige hinausbringt – das war ja das zweite Vorhaben der sophistischen Richtung – (folgendes): Erstens tritt das am meisten auf in Folge dessen, daß man in ganz bestimmter Weise (den anderen) aushorcht, und mittels der Art zu fragen: Nichts durch Bestimmung festzulegen, sondern einfach loszufragen ist so ein Haschen danach; Leute, die frei von der Leber weg reden, machen mehr Fehler; sie reden aber so frei heraus, wenn sie nichts haben, was voraus-gesetzt ist. Und (zweitens), das Nach-vielem-Fragen, auch wenn die Behauptung, auf die hin das Gespräch geführt wird, genau eingegrenzt sein sollte, und die Aufforderung, doch zu sagen, was man so meine, schafft eine Menge Möglichkeiten, (die Rede) auf Unsinn hinzuführen oder auf Falschheit, mag der Gefragte nun etwas davon bejahen oder verneinen, man bringt es auf einen Punkt, wo man guten Ansatz zum Zupacken hat. Über dies Verfahren können (die Sophisten)jetzt allerdings weniger Schlimmes stiften als vorher: Man wird von ihnen eine Begründung verlangen, was denn das mit der Ausgangsfrage noch zu tun habe. Grundlegender Einstieg aber, um entweder etwas Falsches oder Unsinniges zu erreichen, ist: Keine aufgestellte Behauptung sofort befragen, sondern behaupten, man frage nur in der Absicht, es genauer begreifen zu wollen; diese Zurückhaltung im Urteil schafft Platz fürs Zupacken. Um aufzuzeigen, der andere hat etwas Falsches gesagt, ist (folgender) sophistischer Gesichtspunkt eigentümlich: Die Sache hinauszubringen auf solche (Vorstellungen), denen

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gegenüber man einen reichen Vorrat an Begründungen zur Verfügung hat. Das geht sauber und auch nicht ordentlich zu machen, wie früher gesagt ist. Und erneut, um auf unglaubhafte Aussagen zu kommen, so ist das Augenmerk darauf zu richten, aus welchem »Verein« der Gesprächsteilnehmer kommt, sodann ist er nach dem zu befragen, was die so sagen, das der großen Masse unglaubhaft vorkommt – bei allen gibt es da so etwas. Die grundlegende Maßnahme dabei ist, die Behauptungen jeder dieser Richtungen in vorgebenden Sätzen zu fassen. Die angemessene Lösung dazu wird geliefert, indem man herausstellt: Durch diese Herleitung kommt die Unglaublichkeit nicht zustande; aber das will der Streitende doch immer. Sodann (geht es) von (dem Gegensatz zwischen) dem, was man eigentlich will, und der offen geäußerten Meinung aus: (Die Leute) wollen ja nicht das gleiche, was sie sagen, sondern reden die ehrbarsten Worte, wollen dagegen, was ihnen nütz lich erscheint, z.B.: »Lieber ehrenhaft gestorben sein als genußreich leben«, sagen sie, solle sein, und: »Lieber unbescholten arm als reich auf krummem Wege«, das Gegenteil aber wollen sie. Wer nun spricht, so wie sein Wunsch es ihm eingibt, den muß man auf die offen geäußerten Meinungen hinbringen, den, der (sich) diesen gemäß (äußert), auf die verstecketn (Wünsche); in beiden Fällen ist es ja notwendig, unglaubhafte Dinge zu sagen: Entweder sie werden den offen geäußerten oder sie werden den unsichtbaren Meinungen widersprechen. Der ergiebigste Gesichtspunkt, um unglaubwürdige Behauptungen hervorzurufen, wie ja auch im Gorgias geschrieben steht, daß Kallikles so spricht, und die Alten meinten alle auch wirklich, das ergebe sich so, führt über (die Unterscheidung von) »der Natur nach« und »dem Brauche gemäß«. (Begründung:) Natur und menschliche Übereinkunft stünden einander entgegen, und Gerechtigkeit sei nach dem Gesetze zwar sittlich geboten, der Natur nach aber sei sie es nicht. Also muß man (als Sophist) gegen den, der »nach der Natur« vorträgt, das »der menschlichen Übereinkunft nach« ins Feld führen, gegen den, (der) »menschlicher Weise gemäß« (vorträgt), muß



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 13 253

man die Sache auf »Natur« bringen: auf beide Weisen ergibt sich ihm, Unsinniges zu reden. Dabei legten sie folgende Bedeutungen unter: »Naturgemäß« für »wahr«, »nach Übereinkunft« für »was die große Menge so meint«. Also klar: Auch die, so wie auch die heutigen (Sophisten), versuchten, den Antwortenden entweder zu widerlegen oder ihn dazu zu bringen, Unsinn zu reden. Einige unter den Fragestellungen haben es an sich, daß nach beiden Seiten hin die Antwort unsinnig ist, z. B.: »Muß man den Weisen oder dem Vater gehorchen?« Und: »(Soll man) tun, was einem nützt, oder was gerecht ist?« Und: »Ist Unrecht erleiden eher auf sich zu nehmen, als jemandem zu schaden?« Da muß man (als Sophist) es auf das bringen, was der (Meinung der) großen Menge, und auf das, was den (Sätzen der) Weisen entgegengesetzt ist: Wenn einer redet wie die, welche in vernünftigem Denken Erfahrung haben, dann auf die Meinung der vielen Leute, wenn (er) aber wie die vielen Leute (spricht), dann auf das, was die Weisen sagen. Nun sagen ja die einen, »glücklich« sei notwendig mit »gerecht« verbunden; der großen Menge dagegen erscheint es unsinnig, daß es einem Könige nicht gut gehen soll. – Die Sache auf Widersinn dieser Art zu bringen ist dasselbe wie, es auf die Entgegensetzung von »der Natur nach« und »dem Brauche gemäß« hinauszubringen: Die übliche Weise – das ist eben die Meinung der vielen Leute, die Weisen dagegen sprechen dem gemäß, wie es ist, und (somit) der Wahrheit gemäß. Kapitel 13. Die unsinnigen Aussagen muß man also von diesen Gesichtspunkten aus zu erreichen suchen. – Was den Punkt angeht, den anderen zu leerem Geschwätz zu bringen, so haben wir schon vorgetragen, was wir mit diesem sinnlosen Gerede meinen. Alle derartigen Redeweisen wollen folgendes herbeiführen: Wenn es keinen Unterschied macht, ein Wort oder seine Begriffserklärung auszusagen, dann ist »doppelt« und »doppelt im Verhältnis zu etwas, das halb so groß ist« das gleiche; ist also für »doppelt« einsetzbar: »doppelt so groß wie die Hälfte«, dann wird es »eines Halben Halben Doppeltes« geben; und wenn wieder für »doppelt« eingesetzt wird: »dop-

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pelt im Verhältnis zu einem Halben«, dann wird es also dreimal ausgesprochen sein: »eines Halben Halben Halben Doppeltes«, Und: Gibt es »Begehren nach Lustvollem«? Das ist dann »Streben nach Lust«; also ist Begehren »Streben nach lustvoller Lust«. Alle derartigen Redeformen finden sich zu allererst im Bereich der Bestimmungen »im Verhältnis zu ...«, und zwar soweit nicht nur die Gattungen, sondern auch die Dinge selbst im Verhältnis zu etwas ausgesagt und dabei auf eines und dasselbe hin angegeben werden, z. B., »Streben« ist »Streben nach etwas«, und »Begehren« ist »Begehren nach etwas«, und »doppelt« ist » das »Doppelte von etwas«, und zwar das im Verhältnis zu einem Halben. Dann aber auch im Bereich der Bestimmungen, die zwar nicht ganz solche Verhältnisbestimmungen sind, die aber so ausgesagt werden, daß die Gegenstände, deren »Besitz« oder »Einwirkungszustand« oder dergleichen sie eben sind, in ihrer Begriffsbestimmung mit ausgesagt werden, z. B.: Das »Ungerade« ist »Zahl, die (beim Teilen) ein Mittelstück hat«; nun gibt es aber »ungerade Zahl«, also gibt es auch (den Ausdruck): »Zahl Zahl, die ein Mittelstück hat«. Und: Wenn »stupsnasig« eine »Wölbung der Nase nach innen« ist, und wenn es nun so »gestupste Nase« gibt, dann auch »Nase Nase mit Wölbung«. Manchmal scheinen sie (das alles) nur herbeizuführen, ohne es wirklich zu tun, weil sie keine zusätzliche Erkundigung einholen, ob nicht (z. B.) »doppelt«, für sich ausgesprochen, etwas bedeutet oder nichts, und wenn es etwas bedeutet, ob dann dasselbe (wie mit Zusatz) oder etwas davon verschiedenes; stattdessen sprechen sie gleich den Schluß-Satz aus. Aber das ist doch nur ein Scheineindruck, daß, weil die Wortbezeichnung dieselbe ist, das auch das gleiche bedeuten müßte. Kapitel 14. Was einen sprachlichen Schnitzer ausmacht, ist früher vorgetragen. Man kann ihn (erstens) machen (und die anderen merken es auch), man kann (zweitens) den Eindruck erwecken, man machte einen, ohne daß es doch so ist, und man kann (drittens) einen machen, ohne daß es sichtbar wird, wie z. B. wenn – was Protagaras behauptet hat – »die



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 14 255

Groll« und »die Helm« weiblich sind, dann macht, wer da sagt: »Groll, verderblicher«, zwar nach ihm einen Sprachschnitzer, nur kommt das allen anderen nicht so vor; (umgekehrt) wer »verderbliche« sagte, scheint einen solchen Fehler zu machen, verstößt aber (nach Protagoras) nicht gegen die Sprachrichtigkeit. Klar nun also: So etwas kann ja wohl einer ganz kunstgerecht machen: daher scheinen viele Herleitungen, die in Wirklichkeit auf keine Sprachunrichtigkeit schließen, es dann doch zu tun, so wie bei den Widerlegungsschlüssen auch. So ziemlich alle scheinbaren Sprachschnitzer laufen über (den Ausdruck) »dieses«, wenn nämlich die Formveränderung weder »männlich« besagt noch »weiblich«, sondern was dazwischenliegt: »dieser« weist ja auf Männliches hin, »diese« auf Weibliches; »das« will auf solches hinweisen, was dazwischen in der Mitte steht, oft aber weist es auch auf das eine oder andere der beiden hin, z.B.: »Was ist das?« – »Kalliope, Holz, Koriskos.« Bei dem männlichen und dem weiblichen (Wort) unterscheiden sich alle Fälle voneinander, bei dem Dazwischenliegenden (tun es) die einen, die anderen nicht. Ist denn also vorgegeben ein »dieses«, so wird oft der Schluß gezogen, als sei gesagt gewesen: »diesen«. Entsprechend (verwechselt man) auch einen anderen Fall mit einem anderen. Der Fehlschluß erfolgt nun, weil das »dieses« mehreren Fällen gemeinsam ist: So ein »dies« weist einmal hin auf »der«, ein andermal auf »den«; es muß aber sein Hinweisen auf etwas wechseln können: Bei »ist« (steht) »der«, bei »sein« »den«, z. B.: »Koriskos ist«, »(es wird behauptet,) Koriskos sei ...«. Bei weiblichen Worten entsprechend, auch bei den sogenannten »Gerätschaften«, die aber die Bezeichnung eines Weiblichen oder Männlichen haben; was nämlich auf »-o« und »-n« endigt, das allein hat den Namen von »Zeug«, z. B. »(das) Holz«, »(das) Seil«; was aber nicht so (auslautet), den von Männlichem oder Weiblichem, von denen wir also einige auf »Sachen« übertragen, z. B. »der« Schlauch hat einen männlichen Namen, »die« Liege dagegen einen weiblichen. Also unterscheidet sich auch bei diesen (der Fall) entsprechend bei »ist« und »sein«.

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Auf gewisse Weise ist der Sprachverstoß vergleichbar mit den Widerlegungsschlüssen, die laufen über »Nicht-Ähnliches auf ähnliche Weise aussagen«: So wie es denen geschieht, bei den Dingen (ungenau zu sein), so wird hier bei Worten gegen die Richtigkeit verstoßen; »Mensch« und »weiß« sind ja (beides): Eine Sache (die es gibt) und ein Wort dafür. – Klar nun also: Den Sprachschnitzer muß man von den genannten Formabwandlungen aus im Schluß unterzubringen versuchen. Dies sind nun also die Formen der Streitreden, und die Teilstücke und Vorkommensweisen dieser Formen sind die aufgezählten. Nun macht es aber dafür, daß man (bei dieser Art Gesprächsführung) nicht gleich ertappt wird, eine Menge aus, wenn der ganze Bereich der Fragenstellerei einmal geordnet wird, wie bei den Untersuchungen über Gesprächsführung auch. Im Anschluß an das Gesagte ist darüber nun zuerst zu sprechen. Kapitel 15. Es ist also zum Widerlegen ein (wichtiger Punkt) die Länge (des Vortrags): schwierig ist es, gleichzeitig vieles zu überblicken. Um solche Länge herzustellen, muß man sich der früher vorgetragenen Grundmittel bedienen. Ein (weiterer wichtiger Punkt) ist Geschwindigkeit: Leute, die immer nachhinken, sehen weniger etwas voraus. Dann (als weitere Punkte) Heftigkeit und Rechthaberei: Alle Leute können sich weniger gut in acht nehmen, wenn sie in Verwirrung geraten. Grundmittel zum Zorn (beim Gegner) sind: Ganz offenkundig machen, daß man selbst mit unredlichen Mitteln herangehen will, und überhaupt, sich frech betragen. Dann noch (ein Punkt), beim Fragenstellen ständig wechseln, einerlei ob nun einer mehr Erklärungswege für das gleiche zur Verfügung hat oder ob er mal für mal gegen die Sache redet; es geschieht (dem anderen) dann ja, entweder gegenüber einer Mehrzahl oder gegenüber sich selbst widersprechenden (Erklärungen) auf der Hut sein zu müssen. Überhaupt, alles, was früher zu »Verbergen« gesagt war, ist verwendbar auch bei den Streitreden; das Verbergen geschieht doch darum, daß man heimlich etwas tun kann, diese Heimlichkeit dient zum Betrug.



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Gegenüber Leuten, die alles beliebige ablehnen, wenn sie meinen, das wäre ihrer Rede dienlich, muß man von der Verneinung aus die Fragen stellen, als wolle man das Gegenteil, oder man muß auch die Fragestellung möglichst im Unentschiedenen lassen; solange nämlich unklar ist, was der andere denn herausbekommen will, sind sie weniger widerspenstig. Wenn einer über Teilschritte die jeweilige Einzelaussage zugibt, so soll (der andere), der das Allgemeine dazu herbeiführen will, nicht so viele Fragen stellen, sondern es so verwenden, als sei es schon zugestanden; gelegentlich meinen sie ja selbst, sie hätten es schon zugegeben, und die Zuhörer haben auch den Eindruck, weil sie sich noch an die Art erinnern, wie das herbeigeführt wurde: die ganzen Fragen seien doch wohl nicht sinnlos gestellt. Und in Fällen, wo das Allgemeine nicht mit einem Wort bezeichnet werden kann, sondern nur mithilfe von Ähnlichkeit, da ist das zum eigenen Vorteil zu nutzen; oft bleibt die Ähnlichkeit ja verborgen. Um die Aussage, die man zum Schluß braucht, zu erhalten, muß man die Nachfragen machen, indem man das Gegenteil dazu danebenstellt, z. B., wenn man bekommen müßte: »Man muß in allem dem Vater gehorchen«, (so fragt man:) »Muß man in allen Stücken seinen Erzeugern gehorchen oder in allen den Gehorsam verweigern?« Und, das »oft« und »viel« betreffend, (so ist zu fragen): »Muß man vieles einräumen oder nur weniges?« Wenn man da schon »vieles« einräumen muß, so wird dieses »viel« (bei der Art zu fragen) noch mehr erscheinen; wenn man nämlich die gegenteiligen Bestimmungen je nahe danebensetzt, dann erscheint den Leuten (das Gesuchte) je nachdem geringer und größer und schlechter und besser (als es je wirklich ist). Besonders eindrucksvoll und oft schafft es das in höchstem Maße hinterlistige Wortverdrehen der Fragesteller, den Schein des Widerlegtseins zu erzeugen (das darin besteht), ohne wirklich auf etwas geschlossen zu haben, den letzten Schritt nicht zur Frage zu machen, sondern es in abschließender Weise festzustellen, als hätte man es durch Schluß erreicht: »Also: Das und das (ist es) nicht ...«

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Sophistisch ist es auch, wenn eine unsinnige Behauptung vorliegt, (den anderen) scheinheilig zur Antwort aufzufordern, wo doch das, was er dazu meint, seit Anfang vorliegt, und die Frage hierüber dann so zu stellen: »Meinst du das auch (oder nicht)?« Da muß nämlich, wenn die Frage (auf etwas geht), woraus der Schluß (hergeleitet war), entweder eine Widerlegung oder ein Unsinn herauskommen, – wenn er »ja« sagt, eine Widerlegung, gibt er es nicht zu und sagt, er meine das nicht, so ein Widersinn; wenn er es nicht zugibt, aber sich die Zustimmung entlocken läßt, es sehe doch so aus, dann etwas einer Widerlegung Ähnliches. Weiter, wie auch bei den Anweisungen für Redner, so muß man, wenn es ums Widerlegen geht, genauso alles ins Auge fassen, was dagegensteht, entweder im Verhältnis zu dem, was er selbst gesagt hat, oder mit Bezugnahme auf Leute, von denen er zugibt, sie sprechen und handeln edel, weiter auf solche, die den Ruf haben, so zu sein, oder solche, die diesen ähnlich sind, oder unter Berufung auf die allermeisten oder gar alle. Und wie die Antwortenden oft, wenn sie widerlegt werden sollen, ihre Antwort zu einer doppelten machen, wenn ihnen das Widerlegtwerden unmittelbar droht, so müssen auch die Fragesteller gelegentlich sich dieses Mittels bedienen gegen Leute, die Einwände erheben: Wenn die Sache so zustandekommt, so aber nicht, (erklärt man), daß man es eben so genommen hat, wie es ja z. B. Kleophon im »Mandrobulos« tut. Man muß auch (von Fall zu Fall) sich vom Gange der Herleitung absetzen und so die restlichen Angriffspunkte von vornherein abschneiden, und als Antwortender, wenn man (Unheil) voraussieht, von vornherein Einwände machen und sich vorweg äußern. Manchmal muß man sich auch an etwas anderes machen als an das, wovon die Rede ist, indem man das ausnimmt, (dann nämlich,) wenn man an dem Behaupteten nichts Angreifbares findet; genau das hat Lykophron getan, nachdem man ihm die Aufgabe gestellt hatte, eine Leier zu feiern. Gegenüber Leuten, die da verlangen, den Angriff gegen einen bestimmten Punkt zu richten, (soll man,) da dies ja offen-



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kundig nötig macht, das auch mit einer Begründung zu versehen – nachdem man einiges recht vorsichtig vorgebracht hat: Was sich so überhaupt bei den Widerlegungsschlüssen ergibt –, dann von Einspruch reden (in dem Sinne): Was der gesagt hat, bestreitet man selbst, oder, was der bestritten hat, behauptet man, aber nicht (so etwas Bestimmtes wie): »Von Gegensätzlichem ist das Wissen dasselbe«, oder »... nicht dasselbe«. Man darf aber nicht nach dem Schluß-Satz nach Weise eines Vordersatzes fragen. Einige (Sachverhalte) soll man gar nicht in Frageform bringen, sondern soll es verwenden, als wäre darin Übereinkunft erzielt. Kapitel 16. Wovon aus man also die Fragen nehmen und wie man sie stellen soll bei dieser Beschäftigung mit Streitgesprächen, darüber ist gesprochen. Über das Antworten, wie man (die Trugschlüsse) lösen muß und welche, und auf welche Verwendung hin derartige Reden nützlich sind, darüber ist hiernach zu sprechen. Verwendbar sind sie also zur Gewinnung von Erkenntnis, aus zwei Gründen: Erstens, da sie ja allermeist über sprachlichen Ausdruck zustandekommen, so machen sie (uns) aufmerksamer dafür, in wievielen Bedeutungen ein jedes ausgesprochen wird und, was ähnlich gelagert ist, was verschieden, sowohl auf seiten der Dinge wie auf der der Worte. Zweitens, bei eigener, einsamer Forschung: Wer von einem anderen leicht mit Trugschlüssen hereingelegt wird und es nicht merkt, dem könnte das von eigener Seite auch oft geschehen. Drittens und endlich (dient es) auch dem guten Ruf, den Anschein zu erwecken, in allem geübt zu sein und in nichts unerfahren sich zu benehmen; denn wenn einer an solchen Gesprächen teilnimmt, die Reden dann tadelt, ohne daß er doch über die Punkte ihrer Mängel genauere Bestimmung treffen könnte, der setzt sich dem Verdacht aus, seinen Unwillen offenbar nicht der Wahrheit wegen, sondern aus Unwissenheit zu äußern. Wie nun Leute, die antworten müssen, solchen Reden zu begegnen haben, ist klar, wenn wir früher richtig vorgetragen haben, von wo aus sich die Trugschlüsse ergeben, und wenn

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wir den reichen Vorrat an Möglichkeiten beim Fragenstellen hinreichend auseinandergenommen haben. Es ist aber nicht das gleiche, einerseits einen solchen Erklärungsgang herzunehmen, genau zu durchschauen und dann die Fehlerhaftigkeit zu lösen, und andererseits als einer, der Fragen beantworten soll, (derartigen Fehlern) schnell begegnen zu können: was wir wissen, erkennen wir doch oft nicht, wenn es in anderen Zusammenhang gestellt ist. Darüber hinaus, wie in allen anderen Dingen das »schneller« und »langsamer« aus einem höheren Maß an Übung kommt, so verhält es sich auch bei den Reden: Also, wenn uns (etwas) auch klar wäre, wir aber im Moment unachtsam sind, so hinken wir dem rechten Augenblick oft hinterher. Da geht es uns gelegentlich so wie bei den (geometrischen) Zeichnungen: da haben wir die Auflösung gemacht und sind manchmal nicht in der Lage, es wieder zusammenzusetzen; so also auch bei diesen Widerlegungsschlüssen: Wir wissen, über welche Schritte der Beweisgang eben so sich zusammenfügt, haben aber die Mittel nicht, (den Hergang) der Rede aufzulösen. Kapitel 17. Erstens nun also: Wie wir sagen, man müsse es gelegentlich vorziehen, einen nur anscheinenden Schluß zu machen statt eines auf dem Wege der Wahrheit zu ziehenden, genauso muß man gelegentlich auch (Fehlschlüsse anderer) eher auf dem Wahrscheinlichkeitswege lösen als streng wahrheitsgemäß. Überhaupt ist ja gegen diese Streitkünstler zu kämpfen nicht als mit Leuten, die wirkliche Widerlegungen machen, sondern die nur den Schein (davon) erwecken; wir behaupten ja, daß sie nicht wirklich schließen, also muß die Richtigstellung darauf abzielen, daß sie es auch nicht zu tun scheinen. Wenn doch Widerlegung (bestimmungsgemäß) ist: »Widerspruch, nicht in einer harmlosen Bedeutung des Wortes, aus bestimmten (Vorannahmen)«, dann brauchte es hier keiner Unterscheidung auf zweideutige (Worte) und mehrfache Begriffe eines Wortes hin – denn (derlei) macht eben keinen Schluß –, sondern solche zusätzlichen Unterscheidungen muß man wegen nichts anderem vornehmen als nur, weil (in diesen Fällen) der Schluß-Satz widerlegungsartig eben nur



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scheint. Nicht also vor dem Widerlegtwerden, sondern davor, daß es einem nur scheinbar so ergeht, muß man sich in acht nehmen, da doch dies Fragen nach zweideutigen Inhalten und der ganze Umgang mit Worten von mehrerlei Bedeutungen, und was dergleichen Betrügereien sonst noch so sind, einerseits die echte Widerlegung zum Verschwinden bringt und somit unklar macht, wer hier widerlegt ist, wer nicht. Da es nämlich sein kann, wenn man die eigenen Schlußergebnisse am Ende beisammen hat, daß (der andere) dann sagt, man habe (in Wirklichkeit) nicht das verneint, was er behauptet habe, außer nur das gleiche Wort, aber in anderer Bedeutung – und wenn er es auch wirklich für den gleichen Sachverhalt herangezogen haben sollte –, so ist dann unklar, ob er tatsächlich widerlegt ist; es ist nämlich unklar, ob er gerade jetzt die Wahrheit sagt. Hätte man aber die Fragen so gestellt, daß Bedeutungsverschiedenheit eines Wortes oder zweideutige Ausdrücke voneinander unterschieden waren, dann bliebe die Widerlegung nicht unklar, und was diese Streitredner jetzt weniger haben wollen, vorher (wollten sie es) mehr, nämlich daß der Gefragte mit »ja« oder »nein« antwortet, das träte dann ein. Nun aber, weil die Fragesteller nicht sauber fragen, muß der Gefragte notwendig in seiner Antwort Zusätze machen, womit er den Mangel der Vorgabe je berichtigt. Indessen, ist die Sache hinreichend auseinandergehalten, so muß der Antwortende entweder »ja« oder »nein« sagen. Wenn aber einer unterstellen will, die Widerlegung mittels verschiedener Wortbedeutung sei (wirklich) eine Widerlegung, dann wird auf gewisse Weise der Antwortende dem Widerlegtwerden gar nicht entkommen können: Bei sichtbar auf der Hand liegenden (Tatbeständen) wird es ihm dann notwendig, das Wort, das er gesetzt hat, nun zu leugnen, und das er geleugnet hat, nun zu behaupten. Wie einige das ja richtigstellen wollen, das nutzt nichts; sie sagen nämlich nicht: »Koriskos ist gebildet« und »... ungebildet«, sondern: »dieser Koriskos hier ist gebildet« und: »dieser Koriskos da ist ungebildet«; das ist dann der gleiche Begriff: »dieser Koriskos da« und, daß dieser Koriskos ungebildet sei oder (je nachdem) gebildet –, was man

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denn also zugleich behauptet oder verneint. Aber vielleicht bedeutet das ja nicht dasselbe – dort der Name ja auch nicht –, also was macht es dann für einen Unterschied? Wenn man aber dem einen das Ohne-Zusatz-Sagen, (also) »Koriskos«, zuweist, dem anderen hingegen ein »bestimmt« oder »dieser da« hinzusetzt, dann ist das unsinnig: Auf keinen der beiden trifft es mehr zu als auf den anderen; welchem von beiden (es beigelegt wird), macht keinen Unterschied. Indessen aber, da es bei einem, der die Zweideutigkeit nicht durch genaue Bestimmung bereinigt hat, nicht klar ist, ob er nun widerlegt ist oder nicht, da aber im Lauf der Herleitung (ihm die Möglichkeit zum) Auseinandernehmen gegeben ist, so ist offenkundig: Den gefragten Inhalt zuzugeben, ohne solche Bestimmung getroffen zu haben, sondern einfach so – das ist ein Fehler; also wenn schon vielleicht nicht er selbst, so sieht doch wenigstens seine Rede so aus, als wäre sie widerlegt. Es tritt allerdings oft ein, daß Leute, die die Zweideutigkeit wohl sehen, doch zögern, die Unterscheidungen zu machen, angesichts eines dichten Haufens solcher Leute, die ebensolche Vorgaben machen, damit sie nicht den Eindruck erwecken, sich allen gegenüber zu sperren; und dann, wenn sie es gar nicht vermuten, daß die Herleitung über diesen Punkt laufen könnte, ist ihnen oft ein widersinniges Ergebnis zuteil geworden. Also, da die Möglichkeit zum Setzen von Unterschieden gegeben ist, darf man damit nicht zögern, wie vorher gesagt ist. Wenn man nicht aus den zwei Fragen eine machen würde, dann würde der Trugschluß über Bedeutungsverschiedenheit von Worten und Zweideutigkeit von Ausdrücken gar nicht gehen, sondern (es gäbe) nur Widerlegung oder nicht. Was macht es denn für einen Unterschied zu fragen, ob »Kailias und The mistokles« gebildet sind, oder ob beide, wo sie doch verschieden sind, einen Namen hätten? Wenn er mehr als einen bezeichnet, hat man auch mehrere Fragen gestellt. Ist es nun nicht richtig, auf zwei Fragen hin eine einzige zusatzlose Antwort erhalten zu wollen, so ist offenkundig: Niemandem ist es gestattet, im Falle von bedeutungsverschiedenen Worten



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Antworten ohne Zusatz zu geben, auch dann nicht, wenn das in allen Fällen wahr wäre, wie einige das ja fordern. Das unterscheidet sich ja nicht von dem, wie wenn man fragte: »Sind Koriskos und Kallias zu Hause oder nicht zu Hause?« – mögen nun beide da sein oder nicht da sein, in beiden Fällen bilden die eingegebenen Vordersätze eine Mehrzahl; es wird ja nicht deshalb eine Frage daraus, wenn es wahr wäre, dies zu sagen. Es mag ja angehen, auf unzählig viele andere Fragen, die einem so gestellt werden, ohne irgendeinen Zusatz entweder mit »ja« oder mit »nein« wahrheitsgemäß zu antworten, trotzdem ist nicht mit nur einer Antwort zu sprechen; denn so würde das Gesprächführen aufgehoben. – Das ist nun aber vergleichbar mit dem Falle, wie wenn verschiedenen (Tatbeständen) die gleiche Wortbezeichnung gegeben wäre. Wenn man nun also auf zwei Fragen nicht eine Antwort geben darf, so ist einleuchtend, daß man auch nicht bei bedeutungsverschiedenen Wörtern einfach »ja« oder »nein« sagen darf: wer so sagt, hat gar nicht geantwortet, sondern nur geredet. Doch wird es unter Leuten, die das Gespräch führen, wohl so gefordert, weil das, was sich da abspielt, im Verborgenen bleibt. Wie wir nun also schon gesagt haben: Da einige Widerlegungsschlüsse, ohne dies doch wirklich zu sein, sich den Anschein geben, sie wären es – in genau der gleichen Weise geben sich auch einige Lösungen den Anschein, Bestand zu haben, wo sie doch keine wirklichen Lösungen sind –: von denen sagen wir nun mit Entschiedenheit: Die muß man in diesen streitsüchtigen Reden, und um der zweideutigen Ausdrucksweise zu begegnen, gelegentlich eher anbringen als solche, die es wirklich sind. Bei (Tatbeständen), die (so und so zu sein) nur scheinen, ist zu antworten, indem man sagt: »(Nun gut), mag das so sein.« So kommt nämlich am wenigsten eine Trugwiderlegung zustande. Soll man gezwungen werden, etwas Widersinniges zu sagen, da ist ganz besonders ein »scheint so« hinzuzusetzen; so nämlich dürfte anscheinend weder eine Widerlegung noch ein Widersinn sich ergeben.

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Im Falle, daß klar ist, wie die Ausgangsbehauptung (als gegeben) eingefordert wird, aber man der Meinung ist, was (ihr) nahesteht, müsse unter allen Umständen aufgehoben werden, und einige (Sätze) seien nicht einzuräumen, mit der Begründung, daß (der andere) eben die Ausgangsbehauptung (als gegeben) fordere, (so gilt): Wenn einer etwas derartiges einfordert, was aufgrund der Behauptung notwendig eintreten muß, und wenn das falsch ist oder unsinnig, so muß man sagen: »(Das ist) dasselbe (wie die Ausgangsbehauptung).« Was sich notwendig aus ihr ergibt, scheint ja doch zur selben Behauptung zu gehören. Weiter, wenn die Verallgemeinerung nicht mittels eines Wortausdrucks erreicht wird, sondern nur mittels eines Vergleichs, so muß man sagen, daß er die Sache nicht so nimmt, wie sie zugegeben war und wie er es eingegeben hatte. Auch über diesen Weg läuft ja oft eine Widerlegung. Ist solches ausgeschlossen, muß man über den Weg gehen: Dies sei nicht sauber nachgewiesen, indem man (dieser Herleitung) gemäß der vorgetragenen Begriffsbestimmung (von »Schluß«) entgegentritt. Bei den in eigentlicher Bedeutung ausgesagten Worten ist es notwendig, entweder ohne Zusatz zu antworten oder indem man Unterscheidung vornimmt. Was wir nun setzen (als solches), worunter man sich auch etwas anderes mitdenken kann, alles, was z. B. nicht klar, sondern verkürzt gefragt wird, über dies kommt die Widerlegung zustande; z. B.: Nicht wahr, was doch »der Athener« (Eigentum) ist, ist »Besitz der Athener«? – Ja. – Ähnlich aber auch bei allem anderen. Nun aber, »Mensch« ist doch (aus der Gattung) »der Lebewesen«? – Ja. – Dann ist also »Mensch« ein »Besitz der Lebewesen.« (Erklärung:) Wir sagen ja, daß der Mensch (ein Mitglied des Reichs) »der Lebewesen« sei, weil er ein Lebewesen ist, und Lysander sei (einer) »der Lakoner«, weil er Lakoner ist. Klar also, daß man dort, wo das Vorgelegte undeutlich ist, nicht einfach so zustimmen darf. Wenn da zwei Annahmen sind (und die Lage ist die): Wenn die eine gilt, dann gilt auch anscheinend die andere mit Not-



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 18 265

wendigkeit, (umgekehrt) aber, wenn die andere, dann diese nicht mit Notwendigkeit, und wenn man dann gefragt wird: Welche von beiden (soll gelten)? – dann muß man die schwächere Folge angeben; es ist nämlich schwieriger, aus mehr (Voraussetzungen) den Schluß zusammenzubekommen. Wenn (der Gegner) es damit versucht: Die eine Annahme hat ein Gegenteil, zur anderen gibt es keins, dann soll man, wenn der Satz als solcher wahr ist, sagen, Gegenteil (zu beidem) gebe es doch, nur liege für das des einen keine Bezeichnung fest. Da nun die große Masse der Leute bei einigem, was sie so sagen, von einem, der das nicht (als richtig) einräumen will, wohl behauptete: Der irrt sich, – bei anderem täten sie das nicht, z. B. in Fällen, wo sie selbst nicht genau wissen, was sie meinen sollen: Ob die Seele alles dessen, was lebt, vergänglich ist oder unsterblich, darüber sind sich die vielen Leute nicht einig – nun, in solchen Fällen, wo unklar ist, wie gewöhnlicher Weise die vorgelegte (Behauptung) einzuordnen ist: Ob wie ein allgemein üblicher Spruch – als solche Sprichwörter bezeichnet man ja erfahrungserprobte Meinungen und ganz allgemeine Sätze über alles – oder (wird es ausgesagt) wie »der Durchmesser ist nicht mit gleichen Meßeinheiten angebbar«, (in solchen Fällen also,) wo die Wahrheit von allerlei Meinungen umringt ist, da dürfte einer am unauffälligsten durchkommen, wenn er die Worte dazu auf andere Bedeutungen überträgt. Weil jedoch unklar ist, wie es sich hier mit der Wahrheit verhält, wird er nicht den Eindruck der Wortverdreherei erwecken; weil es so viele Meinungen dazu gibt, wird er nicht den Eindruck erwecken, die Unwahrheit zu sagen. Die Bedeutungsübertragung wird seine Rede unwiderlegbar machen. Weiter, alles, was man an Fragen im Vorhinein auf sich zukommen sieht, dazu muß man vorweg Einwände machen und vorausgreifend dazu sprechen; so kann man dem Fragesteller am wirkungsvollsten das Leben schwer machen. Kapitel 18. Da die richtige Lösung in dem Sichtbarmachen der Falschheit eines Schlusses besteht: Durch was für eine Art von Frage kommt die Falschheit zustande? –, (da nun) aber von

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falschem Schluß in zwei Bedeutungen die Rede ist: Entweder, wenn ein falsches Ergebnis erschlossen worden ist, oder, wenn er, obwohl er (tatsächlich) kein Schluß ist, doch den Schein erweckt, einer zu sein -: so wird es ja wohl die eben genannte (Art der) Lösung wie auch die des nur scheinbaren Schlusses geben, die eine Berichtigung dessen ist, durch was an Fragen er diesen Schein gewinnt. Also ergibt es sich, die schlüssigen Herleitungen aufzulösen durch Aufhebung, die scheinbar schlüssigen durch unterscheidendes Auseinandernehmen. Und erneut, da von den schlüssigen Herleitungen die einen einen wahren, die anderen einen falschen Schluß-Satz haben, so ist es möglich, die mit dem falschen Schluß-Satz auf zwei Weisen zu lösen: Erstens durch Aufhebung von etwas, das gefragt worden ist (und dem zu Unrecht zugestimmt worden war), zweitens dadurch, daß man zeigt: So, wie es der SchlußSatz behauptet, ist es in Wirklichkeit nicht. Die (Schlüsse, die nur) in den Vordersätzen (etwas Falsches haben, sind) allein dadurch (zu lösen), daß man davon etwas aufhebt; ihr SchlußSatz (war) ja wahr. Also, wenn wir die Absicht haben, eine Herleitung aufzulösen, ist zuerst einmal zu sehen, ob sie schlüssig ist oder nicht auf schlüssige Weise zustandegekommen, danach, ob ihr Schluß-Satz wahr ist oder falsch, damit wir entweder durch Unterscheidung oder durch Aufhebung die Lösung machen, und beim Aufheben entweder so oder so, wie es früher beschrieben ist. Es macht einen sehr großen Unterschied, ob man eine Herleitung aufzulösen hat als einer, der Fragen beantworten muß, oder nicht: Das Vorhersehen ist schwer, das In-Ruhe-Zusehen leichter. Kapitel 19. Von den Widerlegungsschlüssen, die über Bedeutungsverschiedenheit von Worten und Zweideutigkeit von Ausdrücken gehen, haben die einen unter ihren Fragen eine, die mehrere Bedeutungen hat, bei den anderen ist es der Schluß-Satz, der in mehrfacher Bedeutung ausgesagt ist; z. B., bei »schweigend sagen« ist der Schluß-Satz zweifach, bei dem Fall »einer, der (etwas) weiß, weiß es zugleich auch nicht« ist



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eine der Fragen mehrdeutig. Und was da zweideutig ist, das gilt manchmal (beides als vorliegend), ein andermal nicht, sondern dann bezeichnet »zweideutig«: Das eine (davon) gilt, das andere nicht. In solchen Fällen, wo die Vielfalt der Bedeutungen (erst) am Ende (sich zeigt), gibt es keine Widerlegung, wenn man nicht den Widerspruch (des anderen Gesprächsteilnehmers) mit hereinnimmt, z. B. in dem Fall »den Bilden sehen« : ohne Einspruch gab es hier keine Widerlegung. In den Fällen hingegen, wo (sie schon) in den Fragen (liegt), ist es nicht nötig, das Zweideutige schon vorweg abzulehnen: die Rede geht ja nicht auf dies zu, sondern über dieses. Zu Anfang gleich also soll man auf ein doppeldeutiges Wort oder (entsprechenden) Satz so antworten: In einem Sinne ja, im anderen aber nein, wie z. B. »schweigend sagen«, das geht in einer Hinsicht, in anderer geht es nicht, und: »das Nötige ist zu tun«, da gibt es einiges, wo das richtig ist, es gibt aber auch einiges, wo nicht; »das Nötige« wird nämlich in vielen Bedeutungen ausgesagt. Wenn (solcherlei Zweideutigkeit) aber (im Gange der Herleitung) einem entgangen sein sollte, dann muß man am Schluß durch einen Zusatz zur Frage die Sache ins Reine bringen: »Also gibt es das: ›schweigend sagen‹?« – »Nein, aber man kann diesen hier ›schweigend‹ nennen.« Und in den (Herleitungen), die das Mehrdeutige in den Vordersätzen haben, entsprechend: »Also wissen sie zugleich auch nicht, was sie doch wissen?« – »Ja, aber nicht die, welche es in der beschriebenen Weise wissen.« Es ist nämlich nicht das gleiche: »Es geht nicht, gleichzeitig auch zu wissen« und: »die es in der und der (beschriebenen) Weise wissen, können das nicht«. – Und überhaupt muß man sich zur Wehr setzen, auch wenn ohne Zusatz geschlossen sein sollte, (mit dem Einwand): Er hat nicht den Tatbestand verneint, den (man selbst) behauptet hat, sondern nur einen Wortausdruck; also ist es keine Widerlegung. Kapitel 20. Offenkundig ist auch bei den (Widerlegungsschlüssen) über Auseinandernehmen und Zusammensetzen, wie man sie lösen muß: Wenn (je nachdem), auseinanderge-

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nommen und zusammengesetzt, die Rede etwas anderes bedeutet, so muß man das Gegenteil des Erschlossenen sagen. Es laufen aber alle Reden folgender Art über Zusammensetzung oder Auseinandernahme: »Nicht wahr, dieser (Mann) wurde mit dem (Gegenstand) geschlagen, womit du ihn geschlagen werden sahst?« Und: »Womit er geschlagen wurde, damit hast du (ihn) auch gesehen?« Das hat nun auch etwas von undeutlich gestellten Fragen an sich, es geht aber über Zusammensetzung; denn das, was über Trennung herauskommt, ist durchaus nicht zweideutig – es wird ja nicht die gleiche Rede, wenn es auseinandergenommen ist –, außer wenn es, wie bei »oros« und »horos«, über die bloße Art der Aussprache etwas Verschiedenes bedeute. In der geschriebenen Form ist das ja das gleiche Wort, wenn es aus den gleichen Buchstaben und in derselben Reihenfolge geschrieben ist – doch auch in dem Falle setzt man schon besondere Zeichen hinzu –, das Ausgesprochene ist dann nicht das gleiche. Also, was über Auseinandernehmen geht, ist nicht der Fall von Zweideutigkeit. Dann ist aber auch offenkundig: Nicht alle Widerlegungen gehen über zweideutige (Worte), wie einige das behaupten. Der Antwortende muß es also auseinandernehmen: Es ist nämlich nicht dasselbe, zu sehen »daß er mit den Augen geschlagen wird« und »mit den Augen zu sehen«, daß er geschlagen wird. Auch die Rede des Euthydem (ist so zu behandeln; sie endet mit dem Satz): »Also weißt du zur Zeit Kriegsschiffe im Piräus in Sizilien dort befindlich«. Und auf neue: »Kann es sein, daß einer, der gut ist, ein schlechter Schuster ist? Das gibt es doch wohl: Einer, der gut ist, ist ein schlechter Schuster; also wird es geben: Guter schlechter Schuster!« (Und:) »Nicht wahr, wovon das Wissen trefflich ist, da müssen doch auch die Wissensinhalte so sein? Das Wissen von dem, was böse ist, ist nun aber doch trefflich. Also ist das Böse ein trefflicher Lerngegenstand. Aber nun doch, das Böse ist sowohl böse wie auch ein Lerninhalt, also ist das Böse ein schlimmer Lerninhalt; aber das Wissen vom Bösen sollte doch trefflich sein ...!« (Und:) »Nicht wahr, es ist doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt



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wahr festzustellen: Du bist geboren. Also bist du geade jetzt geboren ...« – Oder bedeutet es – auseinandergenommen – etwas anderes? Es ist ja zum gegenwärtigen Zeitpunkt richtig zu sagen: »Du bist geboren«, aber nicht: »Du bist gerade jetzt geboren«. (Und:) »Nicht wahr, was du kannst und wie du es kannst, das und so wirst dus ja wohl auch machen? Obwohl du aber (zur Zeit) nicht Zither spielst, hast du das Können zum Zitherspielen. Du würdest also Zither spielen, ohne Zither zu spielen!« Oder? Nicht dazu hat er das Können, zum »nicht Zitherspielend Zither spielen«, sondern dazu, zu einem Zeitpunkt, da er es nicht tut, (dies jederzeit zu ändern und) es zu tun. Einige lösen diesen (Trugschluß) auch anders: Wenn man zugegeben hat »wie (einer etwas) kann, (so) macht er (es) auch«, so bestreiten sie, daß daraus folge »nicht zitherspielend Zither zu spielen«; denn »wie er (es) kann, so tut er (es) auch« gesetzt, so sei damit nicht für jeden Fall zugegeben, daß er es auch immer tun werde; es sei nämlich nicht dasselbe: »wie er kann« und »unter allen Umständen wie er kann«. Aber offenkundig ist, daß sie das nicht sauber lösen: Von Herleitungen, die über den gleichen (Fehler) laufen, muß auch die Lösung dieselbe sein, diese (Lösung) aber paßt nicht auf alle und nicht für Leute, die sich aufalle (erdenkliche) Weise befragt sehen, sondern sie ist abgestellt auf den Fragesteller, nicht aufden Inhalt der Rede. Kapitel 21. Herleitungen, die über Aussprache und Betonung gehen, gibt es nicht, weder bei geschriebenem noch gesprochenem (Wort), außer wenn denn doch einige wenige gelingen könnten, z. B. folgender »Schluß«: »Nicht wahr, das, wo du zur Rast einkehrst, ist doch ein Haus? – Ja. – Nun ist aber doch ›du kehrst nicht ein‹ die Verneinung zu ›du kehrst ein‹? – Ja. – Du sagtest aber doch, das, ›wo du einkehrst‹ sei ein Haus; ›Haus‹ ist also eine Verneinung!« – Wie das denn nun zu lösen ist, ist ja klar: Es bedeutet nicht dasselbe, je nachdem, ob es schärfer oder schwerer ausgesprochen wird. Kapitel 22. Klar ist auch, wie man den (Redeweisen) zu begegnen hat, die über »auf gleiche Weise sagen, was doch nicht

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gleich ist« gehen, da wir nun doch über die Grundgattungen von Aussage verfügen: Da hat einer, auf Fragen hin, zugegeben, etwas Bestimmtes liege nicht vor, – das sei nun eine der Bestimmungen, wie sie das »was es ist« bezeichnen; und der andere hat dann nachgewiesen, daß etwas von der Gattung »im Verhältnis zu ...« oder »so und so viel«, das aber aufgrund des Sprachausdrucks ein »was es ist« zu meinen scheint, doch vorliegt, z. B. in folgender Herleitungsrede: »Ist es etwa annehmbar, daß eines und dasselbe zugleich tätig ist und tätig gewesen ist? – Nein. – Aber nun doch, sehen und zugleich auch gesehen haben, das ist doch im Hinblick auf den gleichen Gegenstand und in der gleichen Hinsicht als möglich anzunehmen.« – »Geht es, daß etwas aus dem Bereich ›Einwirkung erfahren‹ auch selbst etwas bewirkt? – Nein. – Nun also, ›wird geschnitten‹, ›wird verbrannt‹, ›wird durch Sinneswahrnehmung beeinflußt‹, das wird doch in gleicher Form ausgesagt und meint alles ein ›Einwirkung erfahren‹? Und weiter, ›sagen‹, ›laufen‹, ›sehen‹, die werden doch auch, verglichen miteinander, in gleicher Form ausgesagt; nun ist aber doch ›sehen‹ eine Form von ›durch Wahrnehmung Einwirkung erfahren‹, also: Etwas kann zugleich Einwirkung erfahren und selbst bewirken!« Wenn da einer, nachdem er zugegeben hat, es sei nicht annehmbar, daß eines und dasselbe gleichzeitig wirken und gewirkt haben kann, nun aber sagen wollte, bei »sehen« und »gesehen haben« gehe das doch, so ist der noch nicht widerlegt, wenn er bestritte, daß »sehen« ein »Einwirken auf etwas« sei, sondern (behauptet), es sei ein »Einwirkung erfahren«. Dieser Frage bedarf es ja zusätzlich auch noch. Nur wird von dem Zuhörer eben unterstellt, es sei so zugegeben, nachdem er doch »schneiden« als ein »einwirken« und »geschnitten haben« als »eingewirkt haben« zugegeben hat, und was alles sonst noch in der gleichen Form ausgesagt wird; dann setzt ja der Zuhörer das Restliche von sich aus dazu, da es ja in gleicher Form ausgesprochen wird. Es wird aber in Wirklichkeit nicht in gleicher Weise ausgesagt, das scheint nur so aufgrund des Sprachausdrucks. Hier geschieht das gleiche wie bei den Bedeutungsverschiedenheiten von Worten auch: bei diesen



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begriffsverschiedenen Worten meint einer, der sich in den Redeformen nicht auskennt, daß der Sachverhalt, den er behauptend gesetzt hat, nun verneint sei, nicht das bloße Wort. Der andere müßte eigentlich noch die zusätzliche Frage stellen, ob (dieser) dies »Gleichnamige« aussagt im Hinblick auf die eine Bedeutung (die er selbst unterstellt); erst wenn er es so zugegeben hat, wird eine Widerlegung daraus. Diesen ähnlich sind auch die folgenden Herleitungen: »Wenn einer, was er hat, nachher nicht mehr hat, so ist es ihm abhanden gekommen; denn einer, der (ursprünglich 10 Würfel hatte und) nur einen Würfel verloren hat, wird nicht mehr 10 Würfel haben. (Also ...)« – Oder (gilt nicht vielmehr dies): Was einer nun nicht mehr hat, das er doch vorher hatte, ist ihm in der Tat abhanden gekommen, aber: Eine wie große Anzahl er nun nicht mehr hat (dies, betrachtet unter dem Gesichtspunkt), insofern es eben so und so viele sind, so viele muß er nicht notwendig verloren haben. – Nachdem der also die Frage gestellt hat, was er hat, bringt er die Sache hinüber auf das »wie viele«, denn zehn ist ja ein so und so viel. Hätte man also gleich zu Anfang gefragt: »Wie viele (Stücke dessen und dessen) einer nicht mehr hat, nachdem er doch früher (so und so viele davon) hatte, hat er genau so viele verloren?« – niemand hätte das in der Form zugegeben, sondern (man hätte gesagt): »Ja, entweder genau diese Anzahl oder einen Teil davon.« Und (ebenso geht): »Es kann einer geben, was er nicht hat; er ›hat ja nicht‹ nur einen Würfel.« – Oder? (Nein:) Er hat nicht gegeben, was er nicht hatte, sondern wie er es nicht hatte, (nämlich nur) den einen (Würfel); das »nur« meint kein »dieses« und nicht ein »derartig« und nicht ein »so und so viel«, sondern daß (es) sich im Verhältnis zu etwas befindet, z. B. »nicht zusammen mit einem anderen«, wie wenn man fragte: »Könnte einer wohl, was er nicht hat, geben?« – und der andere das verneinte und man daraufhin weiterfragte, ob einer etwas schnell hergeben könnte, das er nicht schnell (erworben) hat, und wenn der das bejahte, zöge man dann den Schluß: »Also kann doch einer geben, was er nicht hat!« – Klar, daß das nicht schlüssig gemacht ist: Das »schnell ...« ist kein »die-

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ses da geben«, sondern ein »in der Weise geben«; »wie« einer etwas nicht hat, kann er es sehr wohl geben, z. B., was er mit Freuden besitzt, gibt er unter Schmerzen her. Ähnlich sind auch alle derartigen (Fangschlüsse): »Nicht wahr, mit der Hand, die er nicht hat, kann er doch wohl schlagen ...?« Oder: »Mit dem Auge, das er nicht hat, kann er sehen ...?« – Er hat ja nicht nur eins. – Einige lösen das, indem sie sagen: Wer von irgendetwas, sei es Auge oder was sonst, mehr (als eines) hat, der hat davon auch »nur eins«. Andere (machen es) so wie (bei dem »Schluß«): »Was er hat, muß er erhalten haben; der hier hat (dem) nur einen Rechenstein gegeben; auch dieser hat dann« – sagen sie – »nur einen Rechenstein von dem.« Wieder andere machen sich gleich an die Aufhebung des Inhalts der Frage (die da unterstellte): Es ist möglich zu haben, was man nicht bekommen hat; z. B., man übernimmt süßen Wein, der aber während der Übernahme verdirbt, und hat nun sauren. Aber, was ja nun auch schon früher gesagt war, alle die zielen ihre Lösung nicht auf den Gang der Herleitung ab, sondern auf den Mann (der sie macht). Wenn das ja eine Lösung wäre, dann wäre man, nachdem man das Gegenteil (zu dem Behaupteten) erst einmal zugegeben hat, nicht mehr in der Lage, (die Sache) zu lösen, wie bei allen anderen Fällen auch, z. B., ist die Lösung: »In einem Sinne ist es das wohl, im anderen aber nicht«, so kommt, wenn man eingeräumt hat, es ohne jeden Zusatz aussagen zu dürfen, der Schluß doch zustande; wenn er jedoch nicht zustandekommen sollte, hätte auch die Lösung keinen Bestand. Bei den oben aufgezählten (Herleitungen) kommt aber, sagen wir, auch wenn alles eingeräumt wird, kein Schluß zustande. Auch noch folgende gehören zu dieser Art von Herleitungsreden: »Nicht wahr, was geschrieben dasteht, das hat doch einer geschrieben? Da steht aber jetzt geschrieben: Du sitzt, – ein falscher Satz; er war aber wahr zu dem Zeitpunkt, da er geschrieben wurde; da wurde also (ein Satz) aufgeschrieben, (der) zugleich wahr und falsch (ist)!« (Lösung:) Daß eine Rede oder eine Meinung falsch ist oder wahr, das bedeutet nicht ein



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»dieses da«, sondern weist hin auf ein »so und so beschaffen«, – bei »Meinung« ist es nämlich die gleiche Erklärung. – Und: »Nicht wahr, was ein Lernender lernt, das ist doch der Inhalt seines Lernens? Nun lernt aber jemand schnell, was »langsam« heißt ...« – Nun aber, (mit »schnell«) hat man nicht gesagt, was er lernt, sondern wie er lernt. Und: »Nicht wahr, was einer beim Spazieren begeht, darauf läuft er doch herum? Nun spaziert aber einer den ganzen Tag ...!« – Nein, damit hat er doch nicht gesagt, was er spaziert, sondern nur zu welcher Zeit er da spazierengeht, und das »den Becher trinken« (sagt ja) auch nicht, was der trinkt, sondern woraus. Und: »Nicht wahr, was einer weiß, das weiß er entweder, weil er's gelernt oder (weil er's selbst) gefunden hat? Bei Gegenständen, wo er einen Teil selbst gefunden, den anderen Teil (von anderen) gelernt hat, ist das »beides zusammen« dann also »keins von beiden«. – (Unterstellt) damit der (Fragesteller) nicht etwa das Ganze, der gefragte Inhalt aber ein jedes Einzelne? Und: Daß es eine Art »Dritter Mensch« geben soll neben »(Mensch) an und für sich« und all den Einzelmenschen (– das ist auch eine falsche Herleitung). (Lösung:) »Mensch« und jeder solche Allgemeinbegriff meint nicht ein »dieses da«, sondern ein »so und so beschaffen« oder »so und so viel« oder »im Verhältnis zu ...« oder irgendeine andere dieser Art (von Grundbestimmungen). Ähnlich ist es ja auch mit »Koriskos« und »gebildeter Koriskos«: Ist das das gleiche oder etwas verschiedenes? Der eine (Ausdruck) bezeichnet ein »dieses da«, der andere ein »so und so geartet«, so daß man das also gar nicht durch Darlegung herausstellen kann. Nicht das Heraussetzen macht aber den »Dritten Menschen«, sondern das Einräumen, («Mensch«) wäre so etwas wie ein »dieses da«; es geht nämlich nicht, ein »dieses da« zu sein, so wie Kallias, und (im Sinne von) »was denn Mensch ist«. Und wenn einer das Herausgesetzte nicht als ein »was dieses da wirklich sein soll« aussagte, sondern als ein »was in seinem Wesen so und so geartet«, dann macht das

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auch keinen Unterschied; dann wird es nämlich in den Augen der vielen Leute ein bestimmtes (Besonderes) sein, wie »Mensch« auch. So ist also einleuchtend: Man darf nicht zugeben, daß ein allgemein über alles hin Ausgesagtes ein »dieses da« sei, sondern (muß darauf bestehen, daßes) entweder ein »so und so beschaffen« oder »im Verhältnis zu ...« oder »so und so viel« oder etwas anderes dieser (Grundbestimmungen) meint. Kapitel 23. Aufs Ganze gesehen, bei den (sophistischen) Herleitungen, die über den sprachlichen Ausdruck gehen, wird die Auflösung immer am Gegenteil dessen sich festmachen, über das die Herleitung erfolgt ist, z. B., wenn die Herleitung über Zusammensetzung kam, so (ergibt sich) die Lösung für einen, der es auflöst, (umgekehrt) wenn (sie) über Trennung (herkam), so (ergibt sich die Lösung) für einen, der es wieder zusammensetzt. Und wieder, wenn (sie) auf dem Weg über scharfe Aussprache (kam), ist die dumpfe Betonung die Lösung, (umgekehrt) wenn über dumpfe, so die scharfe. Wenn (sie) über Bedeutungsverschiedenheit von Worten (kam), so ist das zu lösen, indem man die gegensätzliche Wortbedeutung ausagt, z. B., wenn sich ergibt, (von etwas, das lebt,) »hat keine Seele« sagen zu sollen, so soll man nein sagen, so sei es nicht, und dann klarmachen, daß es »mit Seele begabt« ist; wenn man aber selbst gesagt hat »ohne Seele« und der andere wollte auf »hat Seele« schließen, (so muß man dabei bleiben:) »Es ist ohne Seele«. Entsprechend auch bei der Zweideutigkeit von Ausdrücken. Wenn es aber über die Ähnlichkeit des Sprachausdrucks geht, so ist das (Herausstellen von etwas, das) dem entgegensteht, eine Lösung: »Nicht wahr, was einer nicht hat, könnte er (hiernach einem anderen) geben?« – Nein doch, nicht, was er nicht hat, sondern wie er es nicht hat, z. B. nur einen Würfel. – »Nicht wahr, was einer weiß, das weiß er doch, indem er es entweder (von anderen) gelernt oder (selbst) gefunden hat?« – (Mag ja sein), aber (das gilt) nicht für die einzelnen Wissensinhalte. Und wenn er schon »was er spaziert, betritt«, so (gilt das) nicht (für das) dann und solange. Entsprechend auch bei allem anderen.



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 24 275

Kapitel 24. Den (Herleitungen) gegenüber, die über nebenbei zutreffende Eigenschaften herkommen, gibt es, und zwar für alle, eine einzige und dieselbe Lösung. Da nämlich unbestimmt ist, wann denn (etwas auch) von dem Gegenstand auszusagen ist, wenn es an einer nebenbei an ihm zutreffenden Eigenschaft vorliegt, und in einigen Fällen sieht es so aus und man sagt auch so, in anderen Fällen dagegen, sagt man, sei das nicht so, so muß man sagen, indem man es gleicherweise für alle Fälle zusammengebracht hat: Es ist nicht notwendig. Man muß aber immer Stoff zur Verfügung haben, um ein »zum Beispiel« vorbringen zu können. (Also:) Alle die folgenden Arten, etwas herzuleiten, gehen über nebenbei Zutreffendes: »Nicht wahr, du weißt, was ich dich gleich fragen werde?« – »Nicht wahr, du kennst den, der da herankommt, oder den, der sich verhüllt hat?« – »Nicht wahr, dies Standbild ist dein – Werk?« Oder: »Dieser Hund ist dein – Vater?« – »Nicht wahr, weniges mal wenig ergibt wenig?« – In all diesen Fällen ist ja offenkundig: Hier muß nicht notwendig, was von dem nebenbei Zutreffenden wahr ist, auch von der Sache gelten. Allein doch bei solchem, was in seinem Sein und Wesen ununterschieden ist und eine Einheit bildet, liegen offenkundig die genau gleichen Bestimmungen vor: Für »gut« ist es eben nicht daselbe, daß es gut ist und daß gleich danach gefragt werden soll; und für den »Herankommenden« oder »Verhüllten« (ist es nicht dasselbe), »herankommend« und »Koriskos« zu sein. Also (folgt) nicht: Wenn ich Koriskos kenne, aber nicht weiß, wer da herankommt (weil der sich unkenntlich gemacht hat), daß ich dann den gleichen kenne und nicht weiß, wer er ist. Und auch nicht: Wenn dies hier »mein« ist, und nun ist es auch noch ein »Werk«, daß dies daraufhin mein Werk ist, sondern nur, es ist dann (mein) »Besitz« oder (meine) Sache oder sonst so etwas. Auf gleiche Weise auch in den anderen Fällen. Nun lösen einige (die Sache) auf, indem sie die Frage auseinandernehmen. Sie sagen ja, es sei durchaus gegeben, das gleiche Ding sowohl zu kennen wie auch nichts davon zu wissen, nur freilich nicht in der gleichen Hinsicht: Da sie nicht wissen, wer da herankommt, aber den Koriskos kennen, sagen

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sie, kennten sie »das gleiche« und kennten es auch nicht, nur eben nicht im gleichen Hinblick. – Allerdings, erstens, wie wir schon gesagt haben, muß die Berichtigung der Reden, die über das gleiche laufen, auch die gleiche sein; diese aber wird das nicht sein, wenn man dieselbe Forderung nicht beim »kennen«, sondern beim »sein« oder »so und so sich verhalten« ansetzt, wie z. B. in dem Falle: Wenn der hier »Vater« ist, und er ist nun auch »dein« ..., mag denn also in einigen Fällen das ja richtig sein und mag es gehen, dasselbe zu kennen und nicht zu kennen, nur, hier leistet das Gesagte keinerlei Gemeinsamkeit. Nichts hindert (die Annahme), daß eine und dieselbe Herleitung mehrere Fehler enthält, aber das Zutagefördern der gesamten Fehlerhaftigkeit ist noch keine Lösung; es geht ja an, daß einer nachweist: Hier ist auf ein falsches Ergebnis geschlossen, über welche Schritte aber, das zeigt er nicht, z. B., was den »Beweis« Zenons angeht, daß es Bewegung nicht gäbe: Wenn da also einer versuchen wollte, das auf »unmöglich« hinzubringen, der ist auf der falschen Seite, und wenn er zehntausendmal »Schlüsse gezogen« hätte; das ist ja keine Lösung. Lösung – das war doch Sichtbarmachen des falschen Schlusses von dem Punkte aus, wo er den Fehler macht. Wenn nun die Schlußfolge nicht besteht – mag er es auf ein wahres oder ein falsches Ergebnis hinauszubringen versuchen –, so ist dieses Tatbestandes Klärung die Lösung. Vielleicht hindert in einigen Fällen auch nichts, daß sich das so ergibt, nur in diesen (genannten) Fällen wird es ja wohl nicht einmal so scheinen: Von Koriskos weiß man doch, daß er Koriskos ist, und von dem, was sich da nähert, (weiß man) daß es etwas ist, das sich da nähert. Es scheint aber doch möglich zu sein, von dem seihen sowohl Kenntnis zu haben als auch nicht, z. B. zu wissen: »Es ist weiß«, aber von »es ist gebildet« keine Kenntnis zu haben. So ja wohl »weiß« man von dem gleichen und weiß auch nicht; dagegen, was sich da nähert und Koriskos ist, davon weiß man (erstens), daß es sich nähert, und (zweitens, wenn es sich zu erkennen gibt), daß es Koriskos ist. Entsprechend wie die Genannten fehlen auch die, die da als Lösung anbringen: Jede Zahl ist gering, wenn sie doch, obwohl



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tatsächlich keine Schlußfolge besteht, genau an dem Punkt vorbeigehen und sagen, der zustandegekommene Schluß-Satz sei durchaus wahr – alles habe nämlich die Eigenschaft, sowohl »viel« wie auch »wenig« zu sein –, dann fehlen sie. Einige lösen solche »Schlüsse« wie: Das ist »dein Vater« oder »... Sohn« oder »... Diener« mithilfe der Doppeldeutigkeit. Doch offenkundig ist, wenn dieser Fangschluß anscheinend über die mehrfache Aussagebedeutung geht, dann muß das Einzelwort oder der Satz, im eigentlichen Sinn genommen, auf mehrerlei gehen können. Dagegen, »der ist der Sohn dessen« sagt niemand im eigentlichen Sinne, wenn er der Herr dieses Knaben ist, sondern die Zusammenfügung geht über »nebenbei zutreffend«: »Nicht wahr, das ist doch ›dein‹? – Ja. – Nun ist das aber ein Knabe; also ist das dein Knabe!« – Aber: Es gilt noch lange nicht »dein Knabe«, weil es ihm gleichzeitig zutrifft, erstens, »dein« zu sein und zweitens ein Knabe. Auch daß von »bösen« Dingen etwas »gut« sein soll (wird entsprechend behandelt): »Die Einsicht ist doch ein Wissen dessen, was böse ist ...« – Daß aber »das dessen« Verhältnisentsprechung ist, wird nicht in vielen Bedeutungen gesagt, sondern (meint) »Besitz«; wenn aber etwa doch in vielen Bedeutungen – wir sagen ja auch, daß der Mensch (Mitglied der Gattung) »der Lebewesen« sei, aber nicht im Besitz von ihnen; und wenn etwas »auf das Böse hin« ausgesagt wird als »dessen« (Kenntnis), so ist das deswegen »des Bösen« (Beziehungsentsprechung), aber dies ist nicht (Teil) »des Bösen« –, dann scheint das über »in der Hinsicht« und »ohne Zusatz« zu gehen. Indessen kann es vielleicht gegeben sein, daß etwas Gutes in zweideutiger Weise »des Bösen« (Entsprechung) ist, aber nicht in dieser (genannten) Herleitung, sondern wenn etwas dienend wäre, (es selbst) gut, (Diener) eines Schlechten, dann eher; vielleicht aber auch nicht einmal so: Wenn es »gut« ist und »dessen«, dann (gilt) ja durchaus nicht zugleich »gut dessen«. Auch zu sagen, »Mensch« ist (Art) der (Gattung) Lebewesen, wird nicht in vielerlei Bedeutung ausgesagt; denn wenn wir gelegentlich etwas in verkürzter Form aussagen, dann wird das dadurch ja nicht vieldeutig; wenn wir z. B. die halbe Zeile

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gesprochen haben, etwa: Gib mir das »Groll singe, Göttin ...«, so meinen wir damit die Ilias. Kapitel 25. Die (Trugschlüsse), die darüber gehen, daß im eigentlichen Sinne »dieses« oder »in der und der Hinsicht« oder »da und dort« oder »in der Weise« oder »im Verhältnis zu ...« gesagt wird, und nicht ohne Zusatz, sind zu lösen, indem man den Schluß-Satz auf seinen Widerspruch hin anschaut, ob es möglich ist, daß ihm eines davon widerfährt: Gegenüberliegendes, Entgegengesetztes, Bejahung und Verneinung können ohne Zusatz unmöglich an dem gleichen Gegenstand oder Sachverhalt) vorliegen, in der und jener Hinsicht allerdings doch jede der beiden Seiten, oder im Verhältnis zu ... oder so und wieder anders oder das eine in der Hinsicht, das andere schlechterdings – das anzunehmen hindert nichts. Also, wenn dies ohne Zusatz (vorliegt), das andere in der und der Hinsicht, so ist das noch keine Widerlegung. Das muß man an dem Schluß-Satz im Verhältnis zu seinem Widerspruch eben prüfen. Alle Redeweisen, die folgendes enthalten, sind von der Art: »Kann denn, was nicht ist, sein?« – Aber ja, es gibt doch bestimmte Dinge, die nicht sind! Entsprechend wird dann auch, was ist, nicht sein; irgendetwas unter dem, was es gibt, wird auch einmal nicht sein. (Und:) »Kann es sein, daß einer und derselbe gleichzeitig einen treuen und einen falschen Schwur tut?« – »Geht es, daß einer und derselbe einem und demselben gleichzeitig traut und nicht traut?« – Nun ja, dagegen: Weder ist »etwas bestimmtes sein« das gleiche wie »sein«: Wenn etwas »nicht ist«, wenn das dies und das Bestimmte »ist«, so ist es nicht schlechterdings schon; noch wenn einer einen treuen Schwur leistet, was den und den Inhalt angeht oder die und die Hinsicht, ist es dann notwendig, daß er (schlechterdings) einen treuen Schwur tut: Wer doch geschworen hat, einen Meineid leisten zu wollen, der leistet, wenn er dann den Meineid schwört, nur in diesem Punkte allein einen treuen Eid, aber er schwört nicht ohne Zusatz ehrlich; und auch wer jemandem nicht traut, vetraut nicht einfach so, sondern er tut es nur in einem bestimmten Punkte.



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 25 279

Ähnlich ist auch die Rede, daß einer und derselbe gleichzeitig falsch und wahr sprechen könne, nur, weil hier nicht gut durchschaubar ist, was von beiden man denn angeben soll, entweder das zusatzlose die-Wahrheit-sagen oder das Falschreden, erscheint die Sache mißlich. Es hindert aber nichts die Annahme, daß er ohne Zusatz ein Falschredner ist, in dieser bestimmten Hinsicht und mit dieser einen Aussage aber einmal ehrlich, und (andersherum), daß er wahrhaftig ist mit bestimmten Aussagen, ohne Zusatz ist er es aber nicht. Entsprechend (geht es) auch mit den (Schlüssen unter Verwendung von) »im Verhältnis zu ...« und »da und dort« und »dann und dann«: Alle derartigen Schlußweisen kommen über folgendes zusammen: »Nicht wahr, Gesundheit und Reichtum sind ein Gut? Aber für den Unbesonnenen, der nicht den rechten Gebrauch davon macht, sind sie nicht gut; also sind sie gut und nicht gut.« – »Nicht wahr, Gesundsein ist besser als mächtig sein in der Stadt? Aber es gibt Umstände, da ist es nicht besser; also ist eines und dasselbe für einen und denselben gut und nicht gut.« – Nun ja, es hindert doch nichts, daß etwas, das ohne Zusatz gut ist, für diesen und jenen hier nicht gut ist, oder für den einen hier zwar gut, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt oder nicht an dieser Stelle gut. – »Nicht wahr, was ein Vernünftiger nicht wollen würde, das ist doch schlecht? Nun will er aber nicht das Gute verlieren; also ist das Gute schlecht!« – Nun ist es ja doch nicht dasselbe, wenn man gesagt hat: »das Gute« ist schlecht, oder: »das Gute zu verlieren« (ist schlecht). Entsprechend die Rede (mit dem Namen) »der Dieb«: Es gilt ja nicht, wenn »Dieb« etwas Schlechtes ist, daß auch «erworben haben« schlecht ist; er will also gar nicht etwas, das schlecht ist, sondern was gut ist; (etwas) erworben haben ist doch gut. – Und: »Krankheit« ist zwar »schlimm«, aber sie losgeworden sein doch nicht. – »Nicht wahr, ›gerecht‹ und ›gerechtermaßen‹ sind doch dem ›ungerecht‹ und ›ungerechtermaßen‹ vorzuziehen; aber ungerechtermaßen zu Tode gekommen sein ist doch (dem gerechtermaßen ...) vorzuziehen.« – »Nicht wahr, ›gerecht‹ ist es doch, wenn jeder das Seine hat?

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Was dagegen ein (Richter) nach seinem eigenen Ermessen für einen Urteilsspruch fällt, auch wenn das falsch sein sollte, das gilt dann doch kraft Gesetzes; dasselbe ist dann also gerecht und ungerecht.« Und: »Muß man den richten, der ›gerecht spricht‹ oder den, der ›ungerecht spricht‹? Aber nun ja, wer da ein Unrecht erlitten hat, der ist doch berechtigt, hinreichend vorzutragen, was ihm angetan wurde; das war aber doch ›ungerecht‹!« Nein doch, (es gilt nicht): Wenn »etwas auf ungerechte Weise erleiden« vorzuziehen (dem Unrechttun), daß dann »ungerechtermaßen« vorzüglicher wäre als »gerechtermaßen«, sondern ohne Zusatz einerseits (ist) »gerechtermaßen« (vorzuziehen), in diesem oder jenem bestimmten Einzelfall allerdings hindert nichts, (daß) »ungerechterweise« (vorzüglicher ist) als ›gerechterweise‹. Und: »Das Seine haben« ist gerecht, dagegen »Fremdes (besitzen)« nicht gerecht. Allerdings, daß dieser oder jener Urteilsspruch gerecht sei, daran hindert nichts, etwa wenn er nach Ermessen des Richters (ergangen) ist; (es gilt) ja nicht: Wenn »gerecht« für diesen Fall und unter diesen Umständen, so auch schlechterdings gerecht. Entsprechend hindert ja auch nichts, wenn es sich um »Ungerechtes« handelt, daß es berechtigt ist, solches zur Aussage zu bringen; (es gilt) ja nicht: Wenn auszusagen »gerecht« ist, daß es dann notwendig nur »Gerechtes« sein müßte (was er aussagen darf), genauso wie nicht gilt, wenn es »sachdienlich« ist zu sprechen, (daß es dann unbedingt) »Sachdienliches« sein muß. Entsprechend auch mit »gerecht«. Also (gilt) nicht: Wenn das Vorgetragene »Ungerechtes« ist, daß dann einer, der »Ungerechtes sagt«, den Sieg davonträgt; er sagt ja nur, »was zu sagen berechtigt« ist, ohne Zusatz dagegen, und wenn es einem widerfährt, ist es ungerecht. Kapitel 26. Den (Herleitungen), die erfolgen entgegen der Begriffsbestimmung von Widerlegung, muß man, wie früher schon als Vorschrift gegeben ist, entgegentreten, indem man den Schluß-Satz auf seinen Widerspruch hin ansieht (um festzustellen), daß es auch wirklich der gleiche Gegenstand ist und (die Aussage) in der gleichen Hinsicht (erfolgt) und im Verhältnis zu dem gleichen (anderen) und in eben der Weise



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 28 281

und für den gleichen Zeitpunkt. Wenn (der andere) aber zu Anfang zusätzliche Fragen stellt, so ist (z. B.) dem nicht zuzustimmen, daß es unmöglich wäre, daß eines und dasselbe doppelt und nicht doppelt ist, sondern man muß das zugeben, allerdings nicht so, daß es sein könnte, man wird widerlegt, wenn man seine Zustimmung gibt. Alle derartigen Reden kommen über folgendes zustande: »Nicht wahr, wer von einem jeden weiß, daß es ein jedes ist, der kennt doch das Ding? Und wer es nicht weiß, bei dem entsprechend. Nun kennt aber jemand den Koriskos und weiß, daß er es ist, und trotzdem mag er nicht wissen, daß der gebildet ist; also hat er von dem gleichen Kenntnis und kennt es auch wieder nicht.« – »Nicht wahr, was vier Ellen lang ist, ist doch größer, als was dreieilig ist. Nun kann aber doch wohl aus etwas drei Ellen Langem ein der Länge nach Viereiliges werden; das ›Größere‹ ist doch größer als ein ›Kleineres‹: Also wäre eines und dasselbe in einer und derselben Hinsicht größer und kleiner!« – Kapitel 27. Was die (Fehlschlüsse) angeht, die laufen über das Fordern und Sich-Nehmen der Anfangsannahme, so ist, wenn das klar vorliegt, dem Fragenden seine Sache nicht zuzugeben, auch nicht, wenn einem, der die Wahrheit sagt, (der angesetzte Inhalt) durchaus einleuchtend vorkommt. Ist (dieser Fehler) aber verborgen geblieben, so soll man die Unkenntnis, die sich in der Fehlerhaftigkeit solcher Reden verrät, auf den Fragenden umwenden, als einen Mann, der von Geprächsführung nichts versteht: denn Widerlegung erfolgt ohne Verwendung der Anfangsannahme. Sodann (soll man geltend machen): Man hat es zugegeben, nicht damit er von dieser Annahme Gebrauch mache, sondern (in der Erwartung), daß er dagegen Schlüsse ziehen werde, ganz im Gegenteil wie bei den Trugwiderlegungen. Kapitel 28. Und die (Fehlschlüsse), die die Sache mittels Folgeerscheinungen zusammenbringen, muß man (als solche) an dem Herleitungsverlauf selbst nachweisen. Die Folge der Anschlußereignisse ist aber eine doppelte: Entweder so, wie der Teilvorstellung das Allgemeine (folgt), wie z. B. dem (Be-

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griff) »Mensch« (der von) »Lebewesen« – es wird ja verlangt: Wenn das in Verbindung mit dem ..., so soll auch dies in Verbindung mit dem (ersteren) sein –; oder über die jeweiligen Entgegensetzungen: Wenn doch dies dem folgt, so auch dessen Gegenteil das Gegenteil (des zweiten). Über das geht ja auch der »Beweis« des Melissos: Wenn, was geworden ist, einen Anfang hat, so – fordert er – kann, was nicht geworden ist, keinen haben; also, wenn das Weltall ungeworden ist, so soll es auch grenzenlos sein. – Das gilt aber nicht: umgekehrt ist die Folge. Kapitel 29. Alle (Fehlschlüsse), die ihre Schlußfolge über Zusätze von etwas erreichen, muß man darauf hin ansehen, ob nach Fortnahme (des Zusatzes) das Unmögliche sich nicht weniger ergibt; und dann ist das deutlich zu machen, und man muß sagen, daß man dies nicht zugegeben hat als etwas, was man selbst meint, sondern als im Sinne der Herleitung, der andere aber hat es für die Herleitung gar nicht verwendet. Kapitel 30. Den (Fehlschlüssen) gegenüber, die aus mehreren Fragen eine machen, muß man gleich zu Anfang genaue Bestimmung treffen: Es ist eine Frage, auf die es eine Antwort gibt, also soll man weder mehreres an einem noch eines an vielem bejahen oder verneinen, sondern immer nur eines von einem. So wie aber bei bedeutungsverschiedenen Worten (eine Bestimmung) gelegentlich beiden, manchmal aber auch keinem von beiden zukommt, so daß also, obwohl die Frage nicht einfach ist, dem, der darauf einfach antwortet, doch nichts Unangenehmes widerfährt, entsprechend auch in diesen Fällen: Wenn also eine Mehrzahl (von Bestimmungen) auf einen (Gegenstand) zutrifft oder eine (Bestimmung) auf viele (Gegenstände), so tritt für einen, der das einfach hergibt und insoweit diesen Fehler macht, keine Widrigkeit ein, wohl aber, wenn (diese eine Bestimmung) dem einen (Gegenstand zutrifft), dem anderen aber nicht oder wenn mehrere (Bestimmungen) an mehreren (Gegenständen vorliegen). Und es kann sein, daß beides an beidem vorkommt, es kann aber wieder auch sein, daß das nicht der Fall ist, also muß man sich davor in acht nehmen, z. B. in folgenden Reden: Wenn eines (von zweien)



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 31 283

»gut« ist, das andere »schlecht«, daß es dann von diesen (beiden) wahr wäre zu sagen »gut und schlecht« und auch wieder »weder gut noch schlecht« – es ist doch nicht jedes der beiden ein jedes von beiden –, also ist hier dasselbe »gut und schlecht« und auch »weder gut noch schlecht«. Und: Wenn ein jedes »im Verhältnis zu sich selbst das gleiche wie es selbst« ist, aber auch »von anderem verschieden«, (ergibt sich): Da (die Dinge) nicht das gleiche sind wie andere, sondern wie sie selbst und aber auch verschieden von einander, so sind also ein und dieselben Dinge verschieden von sich selbst und dasselbe wie sie selbst! Weiter: Wenn etwas »Gutes« schlecht wird und etwas »Schlechtes« gut, so wären es ja wohl zwei (Bestimmungen), die da (durch Veränderung) entstanden wären; von zweien aber, die unter einander ungleich sind, ist jede von beiden im Verhältnis zu sich selbst gleich; also wäre hier das gleiche mit sich selbst gleich und ungleich. Diese (Fehlschlüsse) fallen nun auch unter andere Lösungen: Sowohl »beide« wie auch »alle« bedeuten mehrerlei; es tritt hier ein, durchaus nicht dasselbe, außer dem bloßen Wort, zu bejahen oder zu verneinen, das aber war nicht Widerlegung, sondern klar ist: Würde hier nicht aus mehreren Fragen eine einzige, sondern wäre je eines von einem behauptet oder verneint, so wird die Unmöglichkeit gar nicht auftreten. Kapitel 31. Bei den (Redeweisen), die einen dazu bringen, oftmals sich zu wiederholen, liegt auf der Hand, daß man nicht zugeben darf, daß die Aussageformen, die nur im Verhältnis zu etwas ausgesagt werden, für sich abgetrennt etwas bedeuteten, z. B. »doppelt« (für sich) anstatt von »doppelt im Verhältnis zu einem Halben«, weil das darin miterscheint. (So erscheint) ja auch »zehn« in »zehn weniger eins« und »handeln« in »nicht handeln«, und allgemein, in der Verneinung die Bejahung. Aber trotzdem gilt nicht: Wenn einer sagt »das ist nicht weiß«, daß er dann auch sagt »dies ist weiß«, Aber »doppelt« bezeichnet vielleicht gar nichts, wie auch »halb« nicht; und wenn es denn auch etwas bedeuten sollte, so doch bestimmt nicht dasselbe wie beide aufeinander bezogen. Auch »Wissen«, in seine bloße Art gesetzt – z. B. wenn da ist »ärzt-

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liches Wissen« –, (bezeichnet nicht das gleiche) wie die vollständige Vorstellung; das war doch: »Wissen von etwas, das gewußt werden kann«. Bei Bestimmungen, die über etwas ausgesagt werden, das durch sie erst klar bezeichnet wird, muß man sagen: Das Gemeinte, für sich genommen und im Zusammenhang der Rede, ist nicht das gleiche; »krumm« (z. B.) bedeutet, allgemein genommen, dasselbe im Fall von »stupsnasig« und »säbelbeinig«, als Zusatz zu anderem hindert nichts, daß es dann je anderes bedeuten kann, einmal im Fall der Nase, das andere Mal für die Schenkel: da nun also bedeutet es »stupsnasig«, dort eben »säbelbeinig«, und es macht keinen Unterschied zu sagen »stupsnasige Nase« oder »krumme Nase«. – Weiter darf man diesen Ausdruck nicht geradewegs zugeben, denn das ist falsch. Es gilt ja nicht: »stupsnasig« ist »eingedrückte Nase«, sondern »dies und das von Nase«, z. B. eine Gestaltung an ihr; also ist es nichts Unsinniges, wenn »stupsnasige Nase« eben eine Nase ist, die eine Naseneinkrümmung aufweist. Kapitel 32. Über die Sprachschnitzer, über welches Vorgehen sie offenbar auftreten, haben wir früher gesprochen. Wie das zu lösen ist, wird anhand der Redeverläufe selbst deutlich werden; es sind alle der folgenden Art, die das zuwegebringen wollen: »Nicht wahr, was du wahrheitsgemäß sagst, das ist doch auch in Wirklichkeit? Nun bezeichnest du doch etwas als einen Stein; es ist also etwas einen Stein.« – Nun ja, »einen Stein« zu sagen, das bezeichnet nicht ein »was«, sondern ein »wen«, und nicht ein »dieses«, sondern ein »den«.Wenn nun jemand fragen wollte: »Nicht wahr, von wem du wahrheitsgemäß aussagst, daß er ist, den ist doch«, der scheint ja wohl nicht griechisch zu können, genauso nicht, wie wenn einer fragen wollte: »Nicht wahr, die (Frau), von der du sagst, daß es sie gibt, der ist doch?« Holz aber mit »der« zu bezeichnen, oder alles, was da weder ein »männlich« noch ein »weiblich« bezeichnet, das macht keinen Unterschied; daher ergibt es keinen Sprachschnitzer, (wenn man sagt:) Wenn das, wovon du sagst, es sei, auch wirklich ist, nun sagst du aber »es gibt Holz«, also ist Holz; dagegen »Stein« und »der« hat die Beu-



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gung von »männlich«.Wenn denn also einer fragte: »Ist dieser diese?«, und dann wieder: »Was denn, ist der nicht Koriskos?«, und dann würde er sagen: »Also ist der die«, dann hat er den Sprachschnitzer nicht durch Schluß erreicht, auch dann nicht, wenn der Ausdruck »Koriskos« ein wesensmäßiges »sie« bedeutet, der Antwortende das aber nicht zugibt, sondern dies muß man eben durch zusätzliche Fragen beibringen. Wenn es das aber weder ist noch (der andere) es zugibt, so ist es nicht erschlossen, weder der Sache nach noch dem Gefragten gegenüber. Entsprechend muß man nun auch in dem anderen Fall den Stein mit »dieser« bezeichnen. Wenn das aber weder so ist noch zugestanden ist, dann darf der Schluß-Satz nicht ausgesprochen werden; der Schein aber (daß man es dürfe) entsteht dadurch, daß die ungleiche Formveränderung des Wortes ähnlich erscheint. (Z. B.): »Nicht wahr, es ist doch wahr zu sagen: Als was du diesen hier bezeichnest, das ist (er,sie,es) auch? Nun nennst du das aber einen Schild, also ist das einen Schild.« – Aber das muß doch nicht sein, wenn das »dieser« nicht »einen Schild« meint, sondern »ein Schild«. (Es gilt ja) auch nicht: Als was du diesen bezeichnest, das ist er auch; du nennst ihn aber den Kleon, also ist der den Kleon. Der ist nämlich nicht »den Kleon«; es ist nämlich gesagt: Als was ich diesen bezeichne, das ist der, nicht den. Es wäre ja auch nicht den Regeln der griechischen Sprache gemäß, wollte man so fragen: »Nicht wahr, das kennst du doch? Das ist aber ein Stein. Also kennst du ein Stein!« – Oder ist es nicht vielmehr so: Das »dies« meint nicht dasselbe in (der Frage) »kennst du dies?« und in (der Feststellung) »dies ist ein Stein«, sondern im ersten Fall (bezeichnet es) »diesen«, im zweiten »dieser«. – »Nicht wahr, wovon du Kenntnis hast, das kennst du doch? Du hast aber Kenntnis des Steins. Du kennst also des Steins.« – Nein doch, »wessen« sagt »des Steins«, aber »das« »ein Stein«; nun war aber zugegeben »wessen Kenntnis« du hast – nicht »dessen« kennst du, sondern »das«, also (kennt man) nicht »des Steins«, sondern »den Stein«. Daß nun also derartiges Gerede einen Sprachverstoß nicht durch Schluß herbeibringt, sondern nur so scheint, und warum

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das so aussieht und wie man sich dagegen wehren muß, das ist aus dem Gesagten klar. Kapitel 33. Man muß auch bedenken, daß von allen Redeweisen die einen leicht zu durchschauen sind, die anderen schwieriger, über welchen Weg und in welchem Punkte sie den Hörer hinters Licht führen, wo doch (die letzteren) oft die gleichen sind, wie die ersteren: man muß es doch die gleiche Herleitung nennen, wenn das über denselben Weg geht. Es kann aber ein und derselbe Herleitungsverlauf den einen (Leuten) über den sprachlichen Ausdruck, den anderen über nebenbei zutreffende Bestimmungen, wieder anderen über anderes zu erfolgen scheinen, weil ein jeder in der Übertragung nicht gleichermaßen klar ist. Wie nun also bei den (Trugschlüssen) über Bedeutungsverschiedenheit von Worten, was die einfältigste Weise der Fehlschlüsse zu sein scheint, einiges sogar den erstbesten Leuten schon klar ist – auch die so ziemlich lächerlichen Reden gehen alle über den Sprachausdruck, z. B.: »Ein Mann trug einen ›Wagen‹ die Treppe herab« und: »Wohin zieht ihr? – Die Rahe hoch!« und: »Welche Kuh kalbt ›von vorn‹? – Keine, nämlich beide auf der Rückseite!« und: »Ist der Nordwind ›rein‹? – Nein, er hat den betrunkenen Bettler umgebracht!« und: »Ist Euarchos ›sauber‹? – Nein, aber Apollonides!« – von der gleichen Art sind so ziemlich die allermeisten davon; anderes dagegen scheint sogar den kundigsten Leuten zu entgehen: Anzeichen davon ist, daß die Leute sich oft um Worte streiten, z. B. ob »seiend« und »eines« in allen Zusammenhängen das gleiche meint oder je etwas verschiedenes; den einen scheint »seiend« und »eines« je das gleiche zu bedeuten, andere lösen die Rede von Zenon und Parmenides damit auf, daß »eines« und »seiend« eben in vielen Bedeutungen gesagt werde. Entsprechend sind auch von den (Trugschlüssen) über nebenbei Zutreffendes und über jeden der anderen Wege die einen leicht zu durchschauen, die anderen Redeweisen schwieriger, und zu erfassen, in welche Gruppe sie gehören und ob das je eine tatsächliche Widerlegung ist oder nicht, das ist nicht gleichermaßen einfach bei allen.



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 33 287

Hinterlistig ist jede Rede, die in höchstem Maße Verlegenheit schafft; die tut am meisten weh. Die Verlegenheit kann zweifach sein: Die eine Art liegt in dem erschlossenen Ergebnis (wo man sich fragt): Welchen der Frage-Inhalte kann man denn streichen? Die andere (liegt) in dem streitsüchtigen Verfahren: Wie hat der denn das Vorgelegte gemeint? Die listigeren Herleitungen unter den auf Schluß beruhenden erfordern also mehr Suche. Eine auf Schluß beruhende Herleitung ist dann am listigsten, wenn sie von höchst wahrscheinlichen Annahmen aus einen sehr einleuchtenden Satz aufhebt; da es doch eine einheitliche Herleitung ist, wird sie, bei umgesetztem Widerspruch, alle Schlüsse entsprechend haben: Immer wird sie aufgrund von Einleuchtendem ein genauso Einleuchtendes aufheben; daher ist es notwendig, in Verlegenheit zu geraten. In höchstem Maße ist nun also eine solche (Herleitung) hinterlistig, die dem Schluß-Satz den gleichen Wert gibt wie den (darauf hinführenden) Fragen. An zweiter Stelle (steht die), welche (das) aus lauter gleichen (Voraussetzungen schafft); die bewirkt entsprechende Verlegenheit, welche von den Fragen man denn aufheben soll; das ist schwierig: Aufheben muß man etwas, was aber zu streichen ist, ist unklar. Von den spitzfindigen (Schlüssen) ist der der unangenehmste, der von Anfang an unklar läßt, ob er nun auf Schluß beruht oder nicht und ob die Lösung über Falschaussage oder Begriffsunterscheidung zu gehen hat. An zweiter Stelle unter allen übrigen (steht der), welcher zwar (in dem Punkte) klar ist, daß (die Lösung) über Unterscheidung oder Aufhebung geht, wobei doch nicht offenkundig ist, welche der Fragen man aufheben oder genauer unterscheiden muß, um ihn zu lösen, oder ob diese (Lösung) über den Schluß-Satz oder über eine der Fragen zu gehen hat. Gelegentlich ist eine nicht auf Schluß beruhende Herleitung einfältig, wenn die Annahmen dazu allzu unwahrscheinlich sind oder (offenkundig) falsch; manchmal dagegen ist sie nicht verachtenswert. Wenn sie nämlich eine der Fragen wegläßt, um die doch die Rede geht und derentwegen (sie stattfindet), so ist der Schluß, wenn er das nicht hinzunimmt und also auch

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nicht geschlossen hat, einfältig; wenn (dies Fortgelassene) aber zu außerhalb liegenden (Annahmen) gehört, dann ist er durchaus nicht leicht zu verachten, sondern die Herleitung ist schon angemessen, nur, der Fragende hat nicht sauber gefragt. Es gilt aber: Wie man einerseits die Lösung ansetzen kann auf den Herleitungsverlauf hin, ein andermal auf den Fragenden und die (Art seiner) Frage hin, gelegentlich auch auf keins von beiden, genauso geht es auch, die Fragen zu stellen und Schlüsse zu ziehen, erstens, auf die aufgestellte Behauptung hin, zweitens auf den Antwortenden hin, drittens auf Zeitgewinn hin, wenn nämlich die Lösung zeitaufwendiger sein sollte, als man gegenwärtig Zeit hat, das Gespräch auf eine Lösung hin führen zu können. – Kapitel 34. Von wievielen Ausgangspunkten aus und von was für welchen sich den am Gespräch Beteiligten Trugschlüsse ergeben, und wie wir einerseits zeigen können, daß einer falsche Aussagen macht, andererseits jemanden dazu bringen können, widersinnige Behauptungen aufzustellen, sodann, aus was für Schritten ein Schluß entsteht, und wie man Fragen stellen muß, und welches die Anordnung der Fragen ist, sodann, wozu alle derartigen Redeweisen brauchbar sind, und allgemein über jede Form von Antwort, und wie man die Herleitungen und die Schlüsse lösen muß: über all das soll von uns dies vorgetragen sein. – Bleibt noch übrig, uns an unser anfängliches Vorhaben zu erinnern, kurz etwas darüber zu sagen und dem Vorgetragenen ein Ende zu setzen. Wir hatten uns nun also vorgenommen, eine bestimmte Fähigkeit aufzufinden, die da aus vorliegenden, möglichst einleuchtenden (Annahmen) Schlüsse ziehen kann über eine aufgestellte Behauptung. Das ist ja die Aufgabe der Kunst der Gesprächsführung an und für sich und der auf die Probe stellenden (insbesondere). Da aber zunächst einmal auf sie hin zu rüsten ist wegen ihrer Nachbarschaft zur Kunst der Fangschlüsse, sodaß man in der Lage ist, nicht allein in bloßer Gesprächsweise den Zugriff zu nehmen (auf falsche oder unwahrscheinliche Behauptungen), sondern wie einer, der es weiß, deshalb haben wir nicht allein die genannte Aufgabe



Sophistische Widerlegungsschlüsse ∙ Kapitel 34 289

der Anstregung zugrundegelegt, nämlich es zu verstehen, daß man Begründungen bekommt, sondern auch daß man selbst Rede und Antwort steht und eine aufgestellte Behauptung widerspruchsfrei mittels möglichst einsehbarer (Begründungen) durchhalten kann. Die Ursache haben wir dafür vorgetragen, während doch eben deswegen Sokrates nur Fragen stellte, selbst aber keine Antworten gab: er gab ja zu, es nicht zu wissen. Es ist in den vorliegenden (Vorträgen) geklärt, auf wieviele Gegenstände hin und von wievielen Gesichtspunkten aus das gehen kann, und von wo aus wir dafür eine Menge Stoff gewinnen können, sodann auch, wie man Fragen stellen muß und wie die ganze Fragerei anzuordnen ist, und auch über Antworten und Lösungen gegenüber Schlußergebnissen. Klarheit ist auch geschaffen bezüglich aller anderen (Fragen), die zu dem gleichen Wissensgebiet, der herleitenden Rede nämlich, gehören. Zudem sind wir auch die Fragen, die Trugschlüsse betreffend, durchgegangen, wie wir ja schon früher gesagt haben. Daß nun also, was wir uns vorgenommen hatten, in hinreichender Weise ein Ende gefunden hat, ist offenkundig. Es darf uns aber nicht entgehen, was, diese Anstrengung betreffend, eintritt: Von allem, was so gefunden wird, ist einiges von anderen schon früher ergriffen und mit Mühe ausgearbeitet worden; es ist dann Stück für Stück fortgeschritten unter der Arbeit derer, die es später übernahmen. Anderes, das neu gefunden wird, pflegt zunächst nur geringen Fortschritt zu nehmen, der allerdings viel nutzbringender ist als alle spätere Vermehrung daraus. Das Größte ist ja wohl der Anfang von allem, wie das Sprichwort sagt. Daher ist er auch das Schwierigste. Je wirkungsmächtiger das ist, desto winzigkleiner ist es an Größe und daher am schwierigsten zu Gesichte zu bekommen. Ist dieser (Anfang) aber erst einmal gefunden, so ist es leichter, das übrige hinzuzusetzen und zu mehren. So ist es doch mit den Anweisungen für Redner geschehen und auch so ziemlich für alle übrigen Fertigkeiten: Die davon die Anfänge fanden, brachten es nur sehr wenig voran; die jetzt darin den großen

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Namen haben, übernahmen es von vielen, die es Stück für Stück wie von Hand zu Hand weiterreichten und voranbrachten, und so haben sie es gemehrt, Teisias nach den ersten, Thrasymachos nach Teisias, Theodoros nach diesen, und viele haben viele Stücke beigetragen; daher ist es kein Wunder, daß diese Fertigkeit nun Fülle hat. Von dieser Anstrengung dagegen (die ich hier vorgetragen habe) war nicht einiges schon vorher ausgearbeitet, anderes noch nicht, sondern es lag noch gar nichts vor. Die Ausbildung bei denen, die mit spitzfindigem Gerede auf Gelderwerb aus waren, war ja so ähnlich wie das Geschäft des Gorgias: Die einen gaben Rednerkunststücke, die anderen Herleitungen in Frageform zum Auswendiglernen, woraufhin doch, so glaubten sie, allermeist ihre beiderseitigen Reden hinauslaufen würden. Daher war für die, die bei ihnen lernten, der Unterricht zwar schnell gemacht, aber plump: wo sie doch keine wirkliche Fertigkeit lieferten, sondern nur Erzeugnisse von Fertigkeit, meinten sie auszubilden, so wie wenn einer mit der Behauptung, er reiche ein Wissen weiter, wie man sich die Füße nicht wundstößt, daraufhin nicht die Schusterkunst lehrte und auch nicht, woher man derlei (Mittel und Wege) erlangen kann, stattdessen aber stellte er viele Arten vielfältiger Schuhe hin: der hat ja wohl zwar einem Bedürfnis abgeholfen, eine Fertigkeit hat er nicht weitergereicht. Was die Kunst der Redner angeht, so war viel alter Lehr- und Vortragsstoff vorhanden; was das genaue Schlüsseziehen betrifft, so hatten wir früher gar nichts vorzutragen als nur, daß wir, zeitaufwendig herumsuchend, uns lange abmühten. Wenn es euch, indem ihr die Sache anschaut, so scheint, daß – angesichts solcher anfänglicher Vorgaben – dieser Entwurf einer Lehre einigermaßen gut dasteht im Vergleich zu den anderen Ausarbeitungen, die infolge des Weiterreichens gewachsen sind, so wäre es nunmehr noch Aufgabe von euch allen, die es gehört haben, dafür, daß Stücke in dieser wegbereitenden Untersuchung noch fehlen, Nachsicht zu gewähren, für das Gefundene aber viel Anerkennung.

Zu diesem Band

Band 2 dieser Ausgabe enthält mit der Topik und den Sophistischen Widerlegungen zwei Texte, die dem sogenannten Organon, also den logischen und methodischen Schriften des Aristoteles zugerechnet werden. Die Schrift Sophistische Widerlegungen (De sophisticis elenchis) wird meist als neuntes Buch der Topik bezeichnet und ist dieser als Anhang beigegeben. Beide Texte sind dem Band 492 der Philosophischen Bibliothek, ersch. 1997, entnommen und wurden von Hans Günter Zekl übersetzt. An- und Abführungszeichen (einfache und doppelte) werden sowohl für Zitate als auch für Hervorhebungen verwendet; sie sind, ebenso wie Kursivierungen, Stilmittel der Übersetzung und finden sich nicht im griechischen Originaltext. Ergänzungen von Wörtern, die nicht ausdrücklich im griechischen Text stehen, sind in runde Klammern eingeschlossen. Um ein leichtes und schnelles Auffinden gesuchter Textstellen zu ermöglichen, wird am Seitenrand die Paginierung der Gesamtausgabe der überlieferten Werke Aristoteles’ von Immanuel Bekker (Berlin 1831–1870) mitgeführt, nach der üblicherweise zitiert wird.