Handeln und Überleben: Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main 1924-1964 9783666370243, 9783525370247, 9783647370248

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Handeln und Überleben: Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main 1924-1964
 9783666370243, 9783525370247, 9783647370248

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding und Hans-Ulrich Wehler (1972–2011)

Band 204

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Benno Nietzel

Handeln und Überleben Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main 1924–1964

Vandenhoeck & Ruprecht © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Mit 19 Tabellen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-37024-7 ISBN 978-3-647-37024-8 (E-Book) Von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität-Bochum als Dissertation angenommen im Jahre 2010. Umschlagabbildung: Zeil von der Konstabler Wache, 1938. Bildquelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M. © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Jüdische Gewerbetätigkeit in der Weimarer Republik . . . . . . . . . 23 1. Jüdische Geschichte in Frankfurt seit dem 19. Jahrhundert . . . . 23 2. Strukturen der Frankfurter jüdischen Gewerbetätigkeit 1924–1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Antisemitismus, Krisendiskurse und Krisenentwicklungen . . . . 46 II. Jüdische Unternehmer während des Nationalsozialismus . . . . . . . 59 1. Judenverfolgung und wirtschaftliche Verdrängung . . . . . . . . . 59 a) Gewerbepolitik, Rüstungswirtschaft und Antisemitismus . . . 59 b) Ausgrenzung, Verfolgung, Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Erwartungen, Anpassung und Selbstbehauptung . . . . . . . . . . 99 a) Kollektive und individuelle Erwartungshorizonte . . . . . . . . 99 b) Strategien der gleitenden Profilanpassung . . . . . . . . . . . . 111 c) Strategien der gleitenden Strukturanpassung . . . . . . . . . . 123 d) Umsatzentwicklungen und Handlungshorizonte . . . . . . . . 137 III. Die Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Begriffe und methodische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Der Ablauf des Vernichtungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Aufgabe unter Verfolgungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Die Radikalisierung der Verfolgungspolitik 1938 . . . . . . . . . . 189 5. Das Ende: Novemberpogrom und danach . . . . . . . . . . . . . . 208 IV. Vertreibung, Flucht und Emigration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Auswanderung und Vermögenstransfer . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Leben in der Emigration und wirtschaftlicher Neuanfang . . . . . 231 V. Auswirkungen und Nachgeschichte der Vernichtung . . . . . . . . . 239 1. Täter, Profiteure und Formen der Nutznießerschaft . . . . . . . . 239 2. »Arisierte« Unternehmen in der Kriegs- und Nachkriegszeit . . . 253 3. Sicherstellung und Kontrolle seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

VI. Wiedergutmachung für jüdische Unternehmer . . . . . . . . . . . . . 271 1. Juristische, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen 271 2. Die Sozialgeschichte der Rückerstattung . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Verfolgung, Zwang und Gewalt in der Rückerstattung . . . . . . . 292 4. Abwehrstrategien und Rechtfertigungsmuster . . . . . . . . . . . 304 5. Eigentum, Erinnerung und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 6. Bilanz der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Schluss: Frankfurter Unternehmer und deutsch-jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Personen- und Firmenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

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Verzeichnis der Tabellen Tab. 1: Einkommensstruktur der Frankfurter Steuerträger nach Konfessionen 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Tab. 2: Jüdische Unternehmen im Handelsregister 1924 in den zehn wichtigsten Branchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Tab. 3: Eintragung und Löschung jüdischer Unternehmen im Handelsregister 1924–1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Tab. 4: Umsatzentwicklung einiger jüdischer Unternehmen 1925–1938 in RM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Tab. 5: Umsatzentwicklung einiger jüdischer Unternehmen 1933–1938 in RM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Tab. 6: Umsatzentwicklung führender jüdischer Unternehmen 1933–1938 in RM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Tab. 7: Übernahmen jüdischer Unternehmen 1933–1939/41 . . . . . . . 159 Tab. 8: Liquidation, Abmeldung und Löschung jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Tab. 9: Liquidation jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 . . . . . . . . 161 Tab. 10: Übernahmen und Liquidationen jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Tab. 11: Übernahmen und Liquidationen jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 nach Branchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Tab. 12: Verhältnis von Übernahmen und Liquidationen 1933–1939/42 nach Branchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Tab. 13: Übernahmen und Abmeldungen im Jahr 1938 . . . . . . . . . . 165 Tab. 14: Neugründungen und Einstellungen von Betrieben in Frankfurt 1935–1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 7 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Tab. 15: Die Erwerbspersonen in Frankfurt nach Wirtschaftsabteilungen und beruflicher Stellung 1933/39 . . . . 241 Tab. 16: Die zehn größten Übernahmen jüdischer Unternehmen in Frankfurt nach dem vertraglichen Kaufpreis . . . . . . . . . . 245 Tab. 17: Umsätze ehemals jüdischer Unternehmen 1936/39–1947 in RM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Tab. 18: Abschlüsse der Rückerstattungsverfahren nach Instanz . . . . . 328 Tab. 19: Nachzahlungen in den Rückerstattungsverfahren nach Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

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Einleitung Wenn sich die historische Forschung dem Wirtschafts- und Gewerbeleben der Juden in Deutschland zuwandte, geriet vor allem die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg in den Blick. Im Laufe des langen 19.  Jahrhunderts erfuhr die jüdische Minderheit einen bemerkenswerten ökonomischen und sozialen Aufstieg, den zu erklären und zu bewerten noch immer eine Herausforderung darstellt. Diese Erfolgsgeschichte, an der die selbständigen jüdischen Unternehmer entscheidenden Anteil hatten, lässt sich unter unterschiedlichen Perspektiven betrachten.1 So wurde der Aufstieg der Juden in das deutsche Bürgertum im Rahmen der Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte vorwiegend mit sozial­ geschichtlichen Ansätzen analysiert,2 die zuletzt noch kulturgeschichtlich erweitert wurden.3 Unter wirtschaftsgeschichtlichen Gesichtspunkten fanden vor allem der Anteil der deutschen Juden am Prozess der Industrialisierung sowie die hierdurch bewirkten strukturellen Veränderungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung Interesse.4 Schließlich wurde in minoritätstheoretischer Perspektive das sich im 19. Jahrhundert ausformende demographische und ökonomische Profil der deutsch-jüdischen Bevölkerung herausgearbeitet, das bis weit in das 20. Jahrhundert eine große Beharrungskraft aufweisen sollte.5 Die deutschen Juden zeigen sich sowohl in der Perspektive einer vergleichenden jüdischen Geschichte als auch im Vergleich zu anderen historischen Minderheiten als eine typische »Middleman Minority«, deren sozioökonomisches Profil in enger Verbindung zu ihrer ethnischen Identität stand.6 Seit den 1990er Jahren gerieten jüdische Unternehmer und Unternehmen außerdem verstärkt in den Blick der Forschung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung, deren ökonomische Zielrichtung und Auswirkung zuvor nicht so stark beachtet worden waren.7 Zwar hatte bereits Raul Hilberg die wirtschaftliche Enteignung der deutschen Juden als integralen Schritt innerhalb des auf die physische Vernichtung zielenden Vernichtungsprozesses benannt;8 dennoch konnte die erste Studie von Helmut Genschel zunächst kaum weitere Forschungen anregen.9 Erst in den 1980er Jahren wurde das Thema durch 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Zu unterschiedlichen Zugängen auch Kocka, S. 9. Toury, Eintritt. Lässig, Wege. Straus; Prinz; Barkai, Minderheit. Bennathan; Schmelz, Entwicklung; Henning; Barkai, Juden. Kuznets; Bonacich; Bonacich/Modell; Gross. Knapp hierzu Ziegler, Verfolgung; zur Literatur Nietzel, Vernichtung. Hilberg, Bd. 1, S. 56–66. Genschel.

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Avraham ­Barkai erneut aufgegriffen, der sich vor allem der jüdischen Selbstbehauptung gegen die nationalsozialistische Verfolgung widmete.10 Während Genschel einem politikgeschichtlichen Ansatz folgte und das Geschehen um die wirtschaftliche Verfolgung vorwiegend auf der Makroebene untersuchte, nahm Barkai vor allem die sozialgeschichtliche Auswirkung dieser Verfolgung auf die jüdische Bevölkerung in den Blick, die bei ihm weitgehend als ein Kollektiv auftritt. Jüdische Unternehmer als konkrete Betroffene der Verfolgung erschienen in der Forschung verstärkt erst seit den 1990er Jahren, als sich die Erforschung der antisemitischen Verfolgungspolitik in der Wirtschaft auch aufgrund einer sich verbreiternden Quellengrundlage innerhalb kurzer Zeit als einer der lebendigsten Zweige der NS-Forschung etablieren konnte. Nicht zuletzt im Sog der bahnbrechenden Hamburger Lokalstudie Frank Bajohrs11 wurden zahlreiche Projekte in Angriff genommen und erschien eine Vielzahl von Publikationen, die ebenfalls zumeist den lokal- und regionalgeschichtlichen Zugriff suchten.12 Diese Forschungen stehen durchgehend im Zeichen des zeitgenössischen nationalsozialistischen Schlagwortes der »Arisierung«.13 Die Dominanz dieses Begriffes hat es mit sich gebracht, dass die Geschichte der jüdischen Gewerbetätigkeit während des Nationalsozialismus mittlerweile weitgehend auf die Vorgänge um die Verfolgung und die Übertragung von Unternehmen in nicht-jüdischen Besitz bzw. deren Liquidation verengt worden ist. Diese Unternehmen und ihre jüdischen Inhaber geraten damit zu dem Zeitpunkt in den Blick, in dem sie ins Visier von Partei- und Staatsstellen und damit in den Strudel konkreter Verfolgungsmaßnahmen gerieten. Die Forschung zur sogenannten »Arisierung« hat sich mit einem weiteren Themenfeld zuletzt immer enger verbunden: Nachdem zunehmend deutlich geworden war, wie sehr die materielle Ausplünderung und Beraubung der Juden einen integralen Teil des Verfolgungs- und Vernichtungsprozesses darstellte,14 rückte auch die Frage nach der Rückerstattung von Vermögensgegenständen als einem bis dahin vergleichsweise wenig beachteten Teil der Wiedergutmachung von NS-Unrecht verstärkt in den Blickpunkt.15 Gleichzeitig bewirkten die Debatten der 1990er Jahre um Raubgold, nachrichtenlose Konten, Zwangsarbeit und andere Komplexe ein starkes und bis heute anhaltendes öffentliches Interesse am Problem historischer Wiedergutmachung und warfen eindringlich die Frage auf, ob die Auffindung und Rückerstattung entzogenen Vermögens 10 Barkai, Schicksalsjahr; ders., Boykott. 11 Bajohr, Arisierung. 12 Händler-Lachmann/Werther; Bruns-Wüstefeld; Fichtl u. a.; Rappl; Dahlmann; Bopf; Baumann/Heusler; Selig; Brucher-Lembach; Priamus; Biggeleben u. a.; Gibas; Stiekel; zuletzt Drecoll. Eine erste Gesamtdarstellung: Dean, Robbing. 13 Zur Kritik an der Verwendung des Begriffs Nietzel, Vernichtung, S. 562–565. 14 Hierzu auch Barkai, Volksgemeinschaft. 15 Grundlegend zur Geschichte der Wiedergutmachung von NS-Unrecht Herbst/Goschler; Goschler, Wiedergutmachung; Hockerts; Goschler, Schuld; zur neueren Literatur Nietzel, Literatur.

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von NS-Opfern wirklich vollständig bewältigt war.16 Die Geschichte der bundesrepublikanischen Wiedergutmachung wurde seitdem noch einmal genauer untersucht. Dabei geriet zunehmend auch die Mikroebene der Implementierungs- und Verfahrenspraxis in den Blick. Wiedergutmachung wurde auch als Aushandlungsprozess zwischen den an ihr konkret Beteiligten verstanden und analysiert.17 Studien, die jüdisches Unternehmertum epochenübergreifend untersuchen, beziehen sich bisher zumeist auf die jüdische Wirtschaftselite oder einzelne Großunternehmen und Unternehmerfamilien.18 Von der Struktur und Entwicklung dieser Wirtschaftselite seit dem 19. Jahrhundert bis zu ihrer Vernichtung im Nationalsozialismus ist mittlerweile ein präzises Bild gezeichnet worden.19 Ihre Geschichte und das Schicksal ihrer Mitglieder sind allerdings für die jüdische Bevölkerung insgesamt nicht repräsentativ.20 Die vorliegende Untersuchung weiß sich einerseits den skizzierten Traditionslinien der Forschung zur deutsch-jüdischen Geschichte verbunden und schließt an sie an. Andererseits soll versucht werden, eine erweiterte Perspektive auf das Thema zu gewinnen und einige eingefahrene Sichtweisen aufzubrechen. Das Ende der jüdischen Gewerbetätigkeit in Deutschland 1938/39 bildet den Flucht- und Angelpunkt der Untersuchung. Es ist als historisches Faktum an sich wie auch als Vorstufe zur völligen Ausgrenzung und Vernichtung der Juden in Deutschland derart fundamental, dass sich nur aus ihm das Interesse der historischen Forschung überhaupt rechtfertigt. Die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der deutschen Juden war ein politisch gewollter und mit politischen Mitteln forcierter Prozess. Darüber hinaus soll sie hier aber auch als ein sozio-ökonomischer Umbruchprozess verstanden und dieser in seinen Vor­ bedingungen, Ausprägungen und Folgewirkungen analysiert werden. Als ein Beitrag zur Geschichte jüdischen Unternehmertums im 20. Jahrhundert bis zu seiner gewalttätigen Ausschaltung im Nationalsozialismus begegnet die Untersuchung einer dreifachen Leerstelle der bisherigen Forschung. Sie bezieht in zeitlicher Hinsicht die Zeit der Weimarer Republik und der Weltwirtschaftskrise mit ein und widmet sich diesem Zeitraum nicht allein im Lichte der späteren Verfolgungsgeschehnisse.21 In sozialgeschichtlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt auf dem Segment des kleinen und mittleren Gewerbes, über des16 Barkan; Rathkolb; Authers/Wolffe; Goschler/Ther; Eizenstat; Torpey; Nietzel, Business; Marrus; Brunner u. a., Globalisierung. 17 Bebber; Scharffenberg; Franjic; Hockerts/Kuller; Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit; ders., Raub; Winstel, Bedeutung; ders., Gerechtigkeit; Frei u. a. 18 Z. B. Ladwig-Winters; Ausnahmen sind Toury, Textilunternehmer sowie eingeschränkt Aly/ Sontheimer; vgl. auch den Ausstellungsband: Verraten und Verkauft. 19 Mosse, Jews; ders., Elite; Hayes, Business; Fiedler, Arisierung; Münzel; vgl. auch Ziegler, Kontinuität, S. 48–52. 20 Barkai, Boykott, S. 16; Münzel, S. 73. 21 Zur wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Juden während der 1920er Jahre bisher allenfalls Niewyk, Role; ders., Impact.

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sen Geschichte erstaunlich wenig bekannt ist angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der deutschen Juden im selbständigen Mittelstand angesiedelt war.22 Dies bringt es mit sich, dass einige der bekannten größeren jüdischen Unternehmen Frankfurts hier nicht die Aufmerksamkeit finden, die man angesichts des Themas möglicherweise erwarten würde, und allenfalls am Rande erwähnt werden. Schließlich soll in perspektivischer Hinsicht ein in der Forschung dominierender Blickwinkel aufgebrochen werden, in dem die jüdischen Unternehmer angesichts der antisemitischen Verfolgung und Gewalt nur als passive Opfer und Leidende erscheinen. Stattdessen sollen sie als Akteure mit ihren Erwartungen, Hoffnungen und in ihrem Handeln in die Analyse miteinbezogen werden.23 Untersuchungsgegenstand dieser Studie sind die jüdischen Unternehmen, die in den 1920er und 1930er Jahren in Frankfurt am Main existierten. Sie und ihre Inhaber werden bis in die 1960er Jahre über die Epochenzäsuren hinweg im Längsschnitt betrachtet und dienen als Fokus, um die jüdische Wirtschaftsgeschichte in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, die Behauptungs- und Überlebensstrategien jüdischer Unternehmer, den Prozess der Vernichtung jüdischer Wirtschaftstätigkeit sowie die Sicherstellung und Rückerstattung jüdischen Unternehmensvermögens in der Nachkriegszeit unter systematischen Gesichtspunkten zu beleuchten. Die Untersuchung bedient sich unternehmensgeschichtlicher Ansätze, folgt aber keiner unternehmensgeschichtlichen Fragestellung im engeren Sinne, sondern einer zeithistorischen.24 Sie ist auch weniger auf einen wirtschaftsgeschichtlichen Bezugsrahmen als vielmehr auf drei übergreifende Themenhorizonte bezogen: (1) Zum einen versteht sich die Untersuchung als Beitrag zur deutsch-jüdischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Medium des mittleren und kleinen Gewerbes.25 Diese Gewerbesegmente legten das sozialgeschichtliche Fundament für das Leben der überwältigenden Mehrheit der deutschen Juden. Ihr ökonomisches Profil stellte letztlich das einzig objektivierbare Merkmal dar, mit dem sich die Juden als ethnisch-religiöse Minderheitsgruppe und abgrenzbares Kollektiv charakterisieren ließen. (2) Des Weiteren soll ein Beitrag zur jüdisch/nicht-jüdischen Beziehungsgeschichte26 im Medium der Wirtschafts- und Eigentumsordnung geleistet werden. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Form der Übernahme und Liquidation von Unternehmen lässt sich dabei als eine rassistisch motivierte Politik einer direkten Umverteilung von Eigentum sowie einer 22 Barkai, Juden, S. 334. 23 In diesem Sinne wegweisend Lässig, Judenpolitik. 24 Zu der seit den 1990er Jahren expandierenden Unternehmensgeschichte Erker, Aufbruch; ders., Business; zur Kontroverse über die Frage, ob Unternehmensgeschichte auf wirtschaftswissenschaftliche oder auf allgemeinhistorische Fragehorizonte ausgerichtet sein sollte, Pierenkemper; Pohl. 25 Hierzu als Forschungsüberblick Maurer, Entwicklung. 26 Meyer; als neuere Forschungsüberblicke hierzu Prestel; Heil; vgl. auch Rohrbacher sowie Aschheim.

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verteilungswirksamen Strukturpolitik begreifen, die einzelne Personen und Gruppen, aber auch die nicht-jüdische Bevölkerung insgesamt von der Vernichtung profitieren ließ. Es gilt diese Perspektive zeitlich zu erweitern: Die durch die nationalsozialistische Politik bewirkte Umverteilung wurde spätestens mit den Versuchen der materiellen Wiedergutmachung von NS-Unrecht noch einmal zur Disposition gestellt und kann erst unter Einschluss dieser neuerlichen Auseinandersetzung in ihren sozialgeschichtlichen Wirkungen bewertet werden. Dabei geht es nicht um eine Aufrechnung des enteigneten jüdischen Vermögens mit den späteren finanziellen Wiedergutmachungsleistungen.27 Stattdessen muss die Kategorie des Eigentums selbst in diesem Zusammenhang historisiert werden. Es kommen daher erfahrungsgeschichtliche Ansätze zum Zuge, die auf das Verhältnis von Eigentum und historischer Identität zielen. (3) Schließlich ordnet sich die Untersuchung den Forschungen zur deutschen Zeitgeschichte im 20.  Jahrhundert zu. Die Geschichte der jüdischen Minderheit findet in mehrerlei Hinsicht an entscheidenden Schnittstellen statt. Zum einen verweist ihr Schicksal wie kaum etwas anderes auf die gescheiterte Herausforderung einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.28 Zum anderen liefert die Analyse der wirtschaftlichen Verfolgung und Ausplünderung der Juden während des Nationalsozialismus entscheidende Erkenntnisse über die Logik der NS-Verfolgungspolitik sowie über die soziale Dynamik der nationalsozialistischen Gesellschaft.29 Auch die Geschichte der Aufarbeitung und Wiedergutmachung von Raub und Vernichtung seit 1945 wirft ein charakteristisches Licht auf die deutsche Gesellschaft und erlaubt es, den sozial- und erfahrungsgeschichtlichen Hintergrund von Verdrängung und Leugnung der NS-Verbrechensgeschichte in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit auf neue Weise auszuleuchten.30 Ein Fokus auf die jüdischen Unternehmer aus Frankfurt bietet sich für diese Untersuchungsziele auf besondere Weise an. Die Stadt besaß bis 1933 die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland; der Anteil der Juden an der Bevölkerung war in keiner anderen deutschen Großstadt so hoch wie hier. Auch der Anteil der jüdischen Unternehmen an der städtischen Wirtschaft war höher als in Berlin, Breslau, Hamburg oder München. In Frankfurt verdichteten sich daher viele Fragen und Probleme um die jüdische Gewerbetätigkeit in der Zwischenkriegszeit. Im Vergleich zu Berlin, wo die schiere Größe der jüdischen Gemeinde eine besondere Herausforderung darstellt, aber auch zu Breslau,31 ist ein umfassenderer Zugriff möglich, der auch die Nachkriegszeit einschließt. Zur 27 Vgl. hierzu Jabloner u. a., S. 452; zum Versuch einer Quantifizierung der Enteignung der europäischen Juden Junz. 28 Vgl. hierzu prononciert Rahden, Juden, S. 13–36. 29 Zu diesem Themenhorizont Herbst, Deutschland; ders., Gewalt; Aly, Volksstaat; Wildt, Volksgemeinschaft; Schoenbaum; Bajohr/Wildt. 30 Frei, Vergangenheitspolitik; Berghoff, Verdrängung; Reichel; Frei/Steinbacher; Moeller; Wie­ sen; Frei, 1945. 31 Zu den jüdischen Unternehmern in diesen drei Städten Kreutzmüller u. a.

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Geschichte Frankfurts und Hessens im Untersuchungszeitraum besteht eine solide Literaturgrundlage, die allerdings für die 1920er Jahre eher dünn ist.32 Auch die jüdische Geschichte der Stadt wurde in ihren Grundzügen mehrfach dargestellt,33 wobei zur wirtschaftlichen Verfolgung der Frankfurter Juden im Nationalsozialismus erst wenige Studien vorliegen und die Geschichte der jüdischen Unternehmen kaum gestreift wurde.34 Die Untersuchung geht von der Annahme aus, dass der Handlungsraum der Großstadt im Vergleich zu mittleren und kleinen Städten entscheidende Spezifika aufweist, die insbesondere die Situation der jüdischen Unternehmer während des Nationalsozialismus betreffen.35 Sie ist daher darauf angelegt, einen allgemeinen Beitrag zum großstädtischen jüdischen Gewerbeleben zwischen Verfolgung und Selbstbehauptung sowie Antworten auf Fragen zu liefern, die für andere deutsche Großstädte noch nicht in gleicher Weise untersucht worden sind. Das Augenmerk liegt im Übrigen nicht so sehr auf Frankfurt als Stadt als auf den jüdischen Unternehmern, die dort arbeiteten. Diese unterhielten Handelsbeziehungen mit allen Regionen des Deutschen Reiches und über die Ländergrenzen hinaus. Für ihre Arbeitsbedingungen, ihre Erwartungen und ihr Handeln waren nicht allein die städtischen, sondern auch die übergreifenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen von Bedeutung. Auch war die jüdische Gemeinde in Frankfurt eine in die Entwicklungen und Diskurse der deutschen Juden insgesamt intensiv eingebundene Gruppe. Nach 1945 fanden sich die jüdischen Unternehmer Frankfurts, so sie die nationalsozialistische Verfolgung überlebten, über die ganze Welt verstreut. Eine Geschichte Frankfurter Unternehmer ist daher keine isolierte Stadtgeschichte; sie erfordert bzw. erlaubt es, auf allgemeinere Fragen zu zielen. So war beispielsweise für die Vernichtung der Frankfurter jüdischen Gewerbetätigkeit nicht so sehr die städtische, sondern die Reichspolitik entscheidend. Auch die Wieder­gutmachung war kein städtisches Projekt, sondern auf der Länderebene angesiedelt. Der Untersuchungszeitraum verläuft von 1924 bis 1964, doch verweisen diese Jahre nicht auf Zäsuren der politischen Makroebene. Sie sind vielmehr statistisch begründet: 1924, als sich das Frankfurter Wirtschaftsleben nach der Inflation wieder stabilisierte, ist es erstmals möglich, einen systematischen zahlenmäßigen Überblick über die jüdische Gewerbetätigkeit in der Stadt zu gewinnen. 1964 wiederum wurde statistisch gesehen die materielle Wiedergutmachung für die jüdischen Unternehmer der Stadt, was den Bereich der Berufs- und Vermögensschäden anging, abgeschlossen, so dass die übergreifende 32 Rebentisch, Landmann; ders., Frankfurt; Wippermann; Keval; Balser, Frankfurt; dies., Zentrum; Kropat, Hessen; vgl. auch Speitkamp. 33 Arnsberg, Geschichte; Heuberger/Krohn; außerdem Kropat, Juden; ders., Verfolgung; ders., Gemeinden; als Forschungsüberblick auch Heinemann. 34 Kingreen, Raubzüge; Eizenhöfer. 35 Hierzu auch Kreutzmüller u. a.

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Geschichte von Raub und Restitution zu einem Ende kam. Die Untersuchung strebt danach, makro- und mikrostrukturelle Entwicklungen zu korrelieren und in ihrer Verflochtenheit zu erhellen. Sie bewegt sich daher auf unterschiedlichen Ebenen und wechselt immer wieder zwischen der Perspektive einzelner Unternehmer und betrieblichen Vorgängen und der städtischen, der regionalen und der Reichsebene. Sowohl die übergreifenden Entwicklungen in Politik und Wirtschaft als auch die Wahrnehmungen und Erfahrungen Einzelner sollen auf diese Weise integriert werden. Die wichtigste empirische Basis der Untersuchung bilden die Daten von etwa 2.600 Frankfurter Unternehmen, die in den 1920er und 1930er Jahren bestanden haben. Mit ihnen verbinden sich zahlreiche Unternehmens- und Lebensgeschichten, die sich im besten Falle von den 1920er Jahren bis zu den Auseinandersetzungen um die Rückerstattung von Unternehmensvermögen in den 1950er Jahren rekonstruieren lassen.36 Diese Geschichten sind problemorientiert in die Darstellung eingewoben und daher oftmals analytisch zerteilt worden. Daraus ergeben sich einige Zurück- und Vorausblicke, aus denen sich mosaikartig das Schicksal der jüdischen Unternehmer in einem übergreifenden Darstellungsrahmen zusammensetzt. Nicht zuletzt aus Gründen der Quellenüberlieferung verschiebt sich mehrmals der Schwerpunkt der Untersuchung. In der Zeit der Weimarer Republik stehen vor allem die Struktur und Entwicklung der jüdischen Gewerbetätigkeit als Ganzes im Vordergrund. Die Geschichte einzelner Unternehmen und die Ebene betriebswirtschaftlicher Entscheidungen rücken in den Hauptteilen der Arbeit zum Nationalsozialismus ins Zentrum. Die materielle Wiedergutmachung für jüdische Unternehmer wird über zahlreiche Einzelbeispiele angegangen, wobei die Entwicklung der betreffenden Unternehmen zurücktritt hinter Fragen der Aufarbeitung und Bewältigung der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit. Wer in der deutschen Gesellschaft als »jüdischer Unternehmer« angesehen wurde, war niemals allein nur eine Frage der individuellen Selbsteinschätzung, sondern immer das Produkt von Zuschreibungen, denen sich die Betroffenen kaum entziehen konnten. Die hier verwendeten Kategorien des »jüdischen Unternehmers«, vor allem aber des »jüdischen Unternehmens« sind daher problematisch und erklärungsbedürftig. Streng genommen thematisiert diese Arbeit etwas, das es nicht gibt, denn weder lassen sich Unternehmen nach rassistischen Kriterien klassifizieren, noch existiert eine spezifisch »jüdische« Art und Weise, ein Unternehmen zu betreiben. Schon der rassistische Begriff des »Juden« erwies sich den NS-Machthabern als problematisch und ließ sich nie verbindlich definieren, so dass sich die Schwierigkeiten der Frage, was ein »jüdisches Unternehmen« sei, notwendigerweise nochmals potenzierten.37 Der Begriff des jüdischen Unternehmens, wie er hier verwendet wird, verweist daher konsequent 36 Als Beispiele solcher Einzelfallgeschichten vgl. etwa Kramer und Schmideder. 37 Zu nationalsozialistischen Konstruktionen des »Jüdischen« auch Pegelow; Exner/Schimany; sowie Essner; vgl. auch Melichar.

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auf eine ideologische Zuschreibung und Konstruktion, die als solche allerdings durch die nationalsozialistische Verfolgung und Gewalt eine brutale Realität erlangte. Er wird in der Regel ohne Anführungszeichen verwendet, die aber gesetzt werden, wenn dieses Moment der Zuschreibung akzentuiert werden soll. Untersuchungsgegenstand sind demnach diejenigen Unternehmer und Unternehmen, die nach 1933 als »jüdisch« diffamiert und verfolgt wurden, womit sich die Arbeit an den Verfolgungskriterien des NS-Systems orientiert, die freilich dynamisch und diffus blieben. So wurden in das Untersuchungssample auch einige Unternehmen mit ihren Inhabern aufgenommen, die Opfer von Verfolgungsmaßnahmen wurden, obwohl es hierfür selbst nach nationalsozialistischer Lesart und Rechtspraxis keine Grundlage gab. Die Praxis von Verfolgung und Stigmatisierung gibt demnach den Ausschlag, weniger die offizielle Gesetzgebung, nach der etwa auch die Deutsche Bank für einige Monate als »jüdisches Unternehmen« einzuordnen gewesen wäre.38 Die methodischen Probleme erhöhen sich allerdings noch, da auch die 1920er Jahre in die Untersuchung einbezogen werden, in denen sich das Stigma des »jüdischen Unternehmens« nicht institutionell und damit auch nicht quellenmäßig greifen lässt. Es werden im Falle derjenigen Unternehmen, die bereits vor 1933 eingestellt wurden, also notgedrungen die nationalsozialistischen Verfolgungskriterien rückprojiziert, wofür es methodisch keine sinnvolle Alternative gibt. Was die Kategorie des »Unternehmens« angeht, sind ebenfalls Erklärungen und Einschränkungen nötig. Es ist aufgrund der Quellensituation kaum möglich, alle Betriebsformen zu erfassen. Weite Teile des Kleingewerbes müssen ausgeblendet bleiben, da sie so gut wie keine Spuren in den überlieferten Quellen hinterlassen haben. Ein gewisser Anspruch auf Vollständigkeit, zumindest aber auf quantitative Repräsentativität, kann daher allenfalls für das Segment der im Handelsregister eingetragenen Unternehmen erhoben werden. Die Untersuchung sieht sich des Weiteren mit dem Umstand konfrontiert, dass sich internes Schrifttum jüdischer Unternehmen nur in den allerseltensten Fällen erhalten hat. Eine äußerst spärliche Überlieferung ist bei den kleinen und mittleren Unternehmen insgesamt die Regel, doch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Material aus während der NS-Zeit verkauften oder liquidierten Unternehmen über diesen Entwicklungsbruch hinaus erhalten hat, noch einmal geringer. Die Ebene einzelner Unternehmen und das Handeln einzelner Unternehmerakteure lassen sich nur schwer greifen und müssen weitgehend aus Ersatzüberlieferungen erschlossen werden. Die Quellenrecherche und -auswertung für diese Untersuchung vollzog sich auf zwei Ebenen. Zum einen ging es darum, die Grunddaten derjenigen jüdischen Unternehmen in Frankfurt zusammenzutragen, die in den 1920er und 1930er Jahren bestanden haben und schließlich während des Nationalsozialismus als »jüdisch« diffamiert wurden. Weil es sich beim Stigma des »jü­dischen Unternehmens« um eine ideologische Zuschreibung handelt, ist jede ­Recherche 38 James, Bank, S. 57.

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darauf angewiesen, dass diese Zuschreibung sich auch im zeitgenössischen Quellenmaterial niedergeschlagen hat.39 Ein wichtiger Ausgangspunkt war die im Hessischen Wirtschaftsarchiv Darmstadt erhaltene Firmenkartei der Frankfurter Industrie- und Handelskammer, in der die jüdischen Unternehmen seit 1933 sukzessive erfasst und gekennzeichnet wurden. Die zweite Hauptdatenquelle stellt die im Frankfurter Jüdischen Museum in den 1980er Jahren erstellte Kartei jüdischer Firmen dar, die etwa den Zeitraum von 1900 bis in die 1930er Jahre umfasst und auf der Basis der Frankfurter Adressbücher erstellt wurde. Obwohl wahrscheinlich nicht ganz vollständig, enthält die Kartei auch für die 1920er Jahre diejenigen Firmen, die im Besitz von Personen jüdischen Glaubens oder an denen Juden in leitender Stellung beteiligt waren. Ergänzt und vervollständigt wurden diese Daten durch Verzeichnisse und Listen nationalsozialistischer Stellen aus den Jahren nach 1933.40 Hieraus ergab sich eine Liste von über 3.000 Frankfurter Unternehmen, welche Firmenname, Inhabername und Adresse, in den meisten Fällen auch Branchenangaben enthält. Mit ihrer Hilfe konnten Bestände und Verzeichnisse systematisch abge­glichen werden, die in ihrer Binnenlogik von antisemitischen Einflüssen frei sind und die Kategorie des »jüdischen Unternehmens« nicht kennen, darunter die noch erhaltene Handelsregisterkartei im Frankfurter Amtsgericht,41 die in der Presse veröffentlichten Handelsregistereintragungen42 sowie verschiedene Adressbücher und Firmenverzeichnisse.43 Mit Hilfe der im Rahmen der Wiedergutmachung für NS-Unrecht entstandenen Quellen konnte eine umfangreiche Datenbank jüdischer Unternehmen in Frankfurt am Main mit etwa 2.600 Datensätzen erstellt werden, die über die Grunddaten dieser Unternehmen hinaus auch Informationen zur Firmengeschichte sowie zu Verkäufen und Liquidationen, aber auch Informationen über die Firmeninhaber und ihre Lebensläufe sowie zu Rück­ erstattungs- und Entschädigungsverfahren enthält.44 Während auf der Ebene der Grunddaten somit der größte Teil der handelsregisterlich eingetragenen jüdischen Unternehmen in Frankfurt erfasst werden konnte, lassen sich zahlreiche Einzelfragen nur anhand repräsentativer Samples beantworten. Als Ersatzüberlieferung für die fast vollständig fehlenden Quellen aus Unternehmen bieten sich sowohl das institutionelle Gefüge an, in das alle Unternehmen eingespannt waren, als auch die Überlieferung derjenigen Stellen und Organisationen, die an der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden wäh39 Über die Selektionsstufen und -logiken im Prozess der Quellenüberlieferung Herbst, Komplexität, S. 32–41. 40 Antwort auf die Greuel- und Boykotthetze; verschiedene Listen in: HStAW, Abt. 519/1, 132. 41 Aufbewahrt in einem Keller des Frankfurter Amtsgerichtsgebäudes. 42 1933–1939 veröffentlicht als Beilage zur Rhein-Mainischen Wirtschaftszeitung, für die Jahre 1924–1932 sowie 1940–1943 ausgewertet nach den Veröffentlichungen im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger. 43 Adressbuch; Handels-Adreßbuch; Adressbuch des Deutschen Großhandels; Frankfurter Adressbuch; zu Adressbüchern als Quelle Spiekermann, Basis, S. 115–117. 44 Zitiert als: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt.

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rend des Nationalsozialismus beteiligt waren. Jedoch sind wichtige Bestände wie die Akten des preußischen Regierungspräsidiums, des Gewerbeamtes der Stadt Frankfurt sowie der Frankfurter Industrie- und Handelskammer bis auf marginale Reste zerstört worden. Für Hessen und Frankfurt sind bereits wichtige Arbeiten geleistet worden, um das erhaltene Schrifttum zur jüdischen Geschichte sowie zur Geschichte des NS-Regimes und seiner Verfolgungspolitik zu erschließen.45 Gleichwohl müssen die wichtigsten Bestände wie die der jüdischen Gemeinde auf der einen Seite, die der hessischen NSDAP-Gauleitung, des Gauwirtschaftsamtes, der Deutschen Arbeitsfront (DAF) sowie der NS-Polizeibehörden auf der anderen Seite allesamt als bis auf einige Splitter verloren gelten. Die lokale und regionale Quellenüberlieferung wurde durch Bestände aus dem sogenannten Moskauer Sonderarchiv, darunter das Archiv des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens sowie Akten der Sicherheitspolizei und des Reichswirtschaftsministeriums, zu ergänzen versucht.46 Für alle zeitgenössischen Behördenakten, in denen jüdische Unternehmen in dem einen oder anderen Zusammenhang erscheinen, gilt aber, dass ihr zentraler Fokus die Verfolgung und Ausschaltung jüdischer Unternehmen ist und die eigentliche Firmengeschichte sich bestenfalls erahnen lässt. Die einzigen Bestände, auf die dies nicht oder nur eingeschränkt zutrifft, stellen die Einzelfallakten zu Devisenüberprüfungen jüdischer Unternehmen dar, die auch über die Unternehmensentwicklung Auskunft geben,47 sowie Kreditakten jüdischer Unternehmen, von denen sich einige wenige in den Archiven der deutschen Groß­banken erhalten haben. Eine weitere wichtige Quellengrundlage bilden die Akten, die im Rahmen der materiellen Wiedergutmachung für NS-Unrecht entstanden und der Forschung zunehmend besser zugänglich sind, vor allem die Einzelfallakten zu Rückerstattungsverfahren nach dem US-Militärregierungsgesetz Nr. 59, die dazugehörigen Prozessakten sowie die Akten der Entschädigungsverfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz.48 Alle diese Aktenbestände sind mittlerweile im Hessischen Hauptstaatsarchiv zugänglich, allerdings nur zum Teil erschlossen und verzeichnet.49 Insgesamt wurde für diese Untersuchung mit etwa 600 Rückerstattungsakten zu Frankfurter Unternehmen und etwa 130 Prozessakten diese Quellengruppen annähernd vollständig ausgewertet, aus den Ent45 Dokumente; Jüdische Geschichte; Quellen; Meinl/Zwilling; vgl. zur Quellenlage Eichler, ­Widerstand. 46 Zu diesen Akten Barkai, CV; ders., Archives; Eggenkämper u. a.; aus technischen Gründen wurden die Akten des Centralvereins zum größten Teil in den Central Archives of the History of the Jewish People in Jerusalem auf Mikrofilm eingesehen. Sie werden mit ihrer Moskauer Signatur zitiert unter Angabe der jeweiligen Filmrolle der CAHJP in Klammern. 47 Zu diesen Akten Meinl/Zwilling, S. 427–437. 48 Zu diesen Akten Eichler, Entschädigungsakten; Pusch; Grau sowie Müller, S. 257 f. 49 Nur die Entschädigungsakten sind mittlerweile durch eine elektronische Datenbank erschlossen. Die Rückerstattungsakten sind nur über die zeitgenössischen Behördenkarteien recherchierbar, die Prozessakten zur Rückerstattung nur über die Aktenzeichen.

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schädigungsakten hingegen ein Zufallssample von 250 Akten erstellt sowie einige weitere Verfahren im gezielten Zugriff herangezogen. Auch diese Akten legen den Fokus auf die Verfolgung und Beraubung der jüdischen Unternehmer, denn es war der Sinn der Wiedergutmachungsverfahren, die entsprechenden Geschehnisse zu rekonstruieren und für das Erlittene finanzielle Kompensation zu gewähren. Da aber auch die Frage nach den Erwartungen und Handlungen der jüdischen Unternehmer und nach der Entwicklung ihrer Unternehmen in jener Zeit interessiert, in der sie noch keiner existenzbedrohenden Verfolgungssituation ausgesetzt waren und in der eine Behauptung gegen das antisemitische Regime noch möglich schien, müssen die Quellen immer auch gegen ihre Entstehungs- und Binnenlogik gelesen und interpretiert werden. Der Gang der Untersuchung verschränkt chronologische mit problemorientierten Prinzipien. Zu Anfang werden die Strukturen der jüdischen Gewerbetätigkeit in Frankfurt am Main, ihre Entstehung und ihre Veränderung während der Weimarer Republik untersucht. Dabei geht es insbesondere um die jüdischen Binnenstrukturen und die Verflechtungen zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Bevölkerung in der Wirtschaft. Es wird dagegen kein Versuch unternommen, einem wie auch immer gearteten jüdischen »Einfluss« oder einer »jüdischen Beherrschung« der Wirtschaft oder einzelner Branchen nachzugehen,50 ebensowenig wie der positive »Beitrag« von Juden zur deutschen und Frankfurter Wirtschaft gewürdigt werden soll.51 Die Quellensituation erlaubt es kaum, den Blick auf die Ebene einzelner Unternehmen zu richten und deren individuelle betriebliche Entwicklung zu untersuchen. Aus diesem Grund werden die Diskurse und Diskussionen, wie sie in der zeitgenössischen jüdischen Presse um die Gestalt, Entwicklung und Zukunft der jüdischen Gewerbetätigkeit geführt wurden, einbezogen, um der Analyse weitere Tiefendimensionen zu verleihen. Der Hauptteil der Untersuchung beschäftigt sich mit der Geschichte jüdischer Unternehmer während des Nationalsozialismus. Zunächst geht es darum, die Rahmenbedingungen, unter denen jüdische Unternehmer seit 1933 arbeiteten, in einem breiten Zugriff zu analysieren. Es werden die sozialen, die ökonomischen und die politischen Entwicklungen während des Nationalsozialismus in ihren Auswirkungen auf die jüdische Gewerbetätigkeit untersucht, dabei einerseits die Offenheit dieser Entwicklungen akzentuiert, andererseits die sich bereits früh abzeichnenden Verdrängungs- und Vernichtungspotentiale und -prozesse herausgearbeitet. Anschließend wird ein Schwenk von der Makroperspektive hin zur Perspektive der jüdischen Unternehmer unternommen, für die sich das Geschehen um Ausgrenzung und Verfolgung zumeist noch längere Zeit uneindeutig präsentierte und sein finales Eskalationspotential noch nicht enthüllte, so dass die meisten von ihnen in Frankfurt blieben und sich unter schwieriger werdenden Bedingungen unternehmerisch zu behaupten suchten. 50 Vgl. hierzu Mommsen, Frage; zuletzt auch Ahlheim, Judenzählung. 51 Hierzu etwa Bernstein, Wirtschaft.

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Die jüdischen Unternehmer sollen dabei als Akteure begriffen werden, die angesichts der Verfolgung unterschiedliche Behauptungs- und Überlebensstrategien entwickelten und verfolgten. Diese können nur vor dem Hintergrund sich verändernder Erwartungs- und Handlungshorizonte verstanden werden. Während sich die Untersuchung bis zu dieser Stelle bei einigen Voraus­ blicken vorrangig auf die Jahre 1933 bis 1937 bezieht, soll anschließend der Prozess der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit, der sich im Jahr 1938 entscheidend verschärfte und um den Jahreswechsel 1938/39 an sein Ende kam, noch einmal gebündelt analysiert werden. Dabei geht es weniger darum, ein weiteres Mal die Ereignisgeschichte sowie die markanten Zäsuren und Etappen dieses Vernichtungsprozesses nachzuzeichnen, die mittlerweile hinlänglich bekannt sind: Im April 1938 unterwarfen die nationalsozialistischen Machthaber den Verkauf jüdischer Unternehmen einer Genehmigungspflicht, welche de facto die Gauwirtschaftsberater der NSDAP ausübten, im Sommer des Jahres wurden Juden zum ersten Mal aus ganzen Wirtschaftsbereichen gesetzlich ausgegrenzt. Während des Novemberpogroms wurden zahlreiche jüdische Unternehmen demoliert, geplündert und anschließend geschlossen, nur wenig später, Anfang Dezember, erging ein gesetzliches Verbot unternehmerischer Betätigung für Juden im Bereich des Handwerks und Einzelhandels. Nun ging das NS-Regime endgültig zu einer Politik der gewaltsamen und massenhaften Vertreibung von Juden aus dem Deutschen Reich über.52 Es sollen die einzelnen Stränge der vorherigen Darstellung aufgegriffen und zu einer multiperspektivischen Analyse verdichtet werden. Diese beschäftigt sich zunächst mit den quantitativen Dimensionen der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit und ihrem zeitlichen Ablauf, anschließend begibt sie sich erneut auf die Ebene einzelner Unternehmen, um typische Konstellationen und Prozessverläufe von Übernahmen und Liquidationen an Einzelbeispielen herauszuarbeiten. Die dramatischen und entscheidenden Entwicklungen des Jahres 1938 bedürfen einer gesonderten Betrachtung. Die Forschung ist bereits des Öfteren dazu übergegangen, die Geschichte von Raub und Rückerstattung als zusammenhängendes Geschehen zu konzeptualisieren und beide Komplexe in eine übergreifende Untersuchung miteinzubeziehen.53 Während diese dabei zumeist unvermittelt gegeneinander gestellt werden, sollen hier mehrere Zwischenkapitel einen sozial- und erfahrungs­ geschichtlichen Brückenschlag ermöglichen. Es werden sowohl die Lebens­ geschichten der beraubten und enteigneten jüdischen Unternehmer in der Emigration nachgezeichnet als auch die Entwicklung der ehemals jüdischen Betriebe in Frankfurt während der Kriegs- und Nachkriegszeit weiterverfolgt, um festzustellen, welche längerfristigen Resultate die Vermögensverschiebungen der NS-Zeit zeitigten und die analytische Kategorie der »NS-Nutznießer52 Herbst, Deutschland, S. 210–217; Longerich, Politik, S. 153–223. 53 Rummel/Rath; Brucher-Lembach; Köhler, Arisierung; Klatt; im Rahmen einer Einzelstudie Hayes, Arisierungen.

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schaft« zu historisieren. Die je unterschiedlichen Erfahrungen von Verfolgung, Ausplünderung, Flucht und Emigration prägten die Art und Weise, in der sich die jüdischen NS-Opfer nach Kriegsende um materielle Wiedergutmachung bemühten und wie sie die damit verbundenen Abläufe und Konflikte erlebten. In diese Perspektive sollen auch die Erwerber ehemals jüdischer Unternehmen einbezogen werden, die den vormaligen Eigentümern in den Rückerstattungsverfahren gegenübertraten. Die Wiederaneignung und Aufarbeitung des historischen Geschehens um die Zerstörung jüdischer Gewerbetätigkeit begann nicht erst mit den staatlichen Wiedergutmachungsbemühungen, sondern bereits mit den ersten Schritten zur Sicherung und Kontrolle ehemals jüdischen Vermögens während der allliierten Besatzungsherrschaft. Der letzte Teil der Untersuchung behandelt die Rückerstattung ehemals jüdischer Unternehmen und die finanzielle Entschädigung für verfolgte Unternehmer. Dabei werden sowohl die quantitativen Dimensionen der Wiedergutmachung als auch ihre wahrnehmungs- und erfahrungsgeschichtlichen Dimensionen thematisiert. Nachdem die sozialgeschichtlichen Grundlagen der Auseinandersetzungen um Wiedergutmachung entfaltet worden sind, wird an Einzelbeispielen die Art und Weise in den Blick genommen, in der das Geschehen um die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit zwischen den Beteiligten thematisiert und verhandelt wurde. Dabei stehen die Aufarbeitung von Zwang und Gewalt sowie die Abwehrstrategien und Rechtfertigungsmuster in den Rückerstattungsverfahren im Mittelpunkt, bevor die Analyse dazu übergeht, die Auseinandersetzungen um die Rückerstattung als Auseinandersetzung um retrospektive Identitätsentwürfe zu lesen.

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I. Jüdische Gewerbetätigkeit in der Weimarer Republik

1. Jüdische Geschichte in Frankfurt seit dem 19. Jahrhundert Kaum eine andere deutsche Stadt ist in der Eigen- und Fremdsicht so sehr mit ihrem jüdischen Bevölkerungsteil identifiziert worden wie Frankfurt am Main. Dabei waren die Frankfurter Juden bis weit in das 19. Jahrhundert eine in ihren Freiheits- und Entfaltungsrechten diskriminierte Minderheit. Ihre Emanzipation gestaltete sich als langer, von zähen Widerständen und mehrfachen Rückschlägen geprägter Prozess. Seit dem Stadtbrand von 1796 zumindest aus der räumlichen Enge des Ghettos befreit, schien den Frankfurter Juden bereits im Zuge der französischen Besatzung 1811 sowie im Zusammenhang der Revolution von 1848 die dauerhafte Gleichberechtigung in Aussicht zu stehen. Schließlich sollte sie den jüdischen Einwohnern erst 1864 gewährt werden.1 Weil im gleichen Jahr auch ein Gesetz zur umfassenden Gewerbefreiheit ergangen war, unterlagen die Frankfurter Juden seitdem keinen Beschränkungen in der Freizügigkeit und im Wirtschaftsleben mehr. Die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen der jüdischen Stadtbevölkerung blieben aber bis in das 20. Jahrhundert hinein von der jahrhundertelangen Diskriminierung geprägt, zumal auch nach der rechtlichen Emanzipation nicht alle Partizipationsmöglichkeiten tatsächlich zur Gänze offenstanden. Die demographische Entwicklung der jüdischen Bevölkerung war unmittelbar an ihre Rechtsstellung gekoppelt. Schon während der temporären Gleich­ stellung zwischen 1810 und 1817 verdoppelte sich die jüdische Einwohnerzahl von 2214 auf 4530, und auch in den Jahrzehnten nach der endgültigen rechtlichen Emanzipation stieg sie schneller an als die Gesamteinwohnerzahl der Stadt.2 Das Jahr 1875, in dem die 11.887 jüdischen Einwohner 11,5 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten, markierte den Höhepunkt dieser Entwicklung  – keine andere deutsche Großstadt hat jemals einen so hohen jüdischen Bevölkerungsanteil aufgewiesen.3 Seitdem sank dieser Anteil kontinuierlich ab. Dabei wirkten sich nicht zuletzt die zwischen 1877 und 1910 erfolgten Eingemeindungen aus, mit denen Frankfurt seine Stadtfläche nahezu verdoppelte und fast 87.000 neue Einwohner hinzugewann. Juden lebten in den eingemeinde1 Arnsberg, Geschichte, Bd.  1; Heuberger/Krohn; Koch, Grundlagen, S.  133–182; Preissler; Schlotzhauer, Gleichstellung. 2 Hanauer; Schmelz, Bevölkerung, S. 41 f. 3 Kahn, Bevölkerungsbewegung.

23 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Tab. 1: Einkommensstruktur der Frankfurter Steuerträger nach Konfessionen 1900 Einkommen

Alle

ev.

kath.

900–1.200 M

12.827

7.937

4.002

888

1.200–3.000 M

16.831

10.602

4.332

1.897

3.000–6.000 M

5.812

3.460

1.118

1.234

6.000–9.500 M

2.156

1.211

307

638

838

449

80

309

2.382

1.208

194

980

40.846

24.867

10.033

5.946

9.500–12.500 M > 12.500 M Gesamt

jüd.

Quelle: Einkommensverhältnisse in Frankfurt; hieraus z. T. eigene Berechnungen.

ten, stärker als das ursprüngliche Stadtgebiet industriell geprägten Vororten nur sehr wenige.4 Die absolute jüdische Einwohnerzahl stieg indessen weiter und erreichte ihren Höhepunkt 1925 mit 29.385 Einwohnern, was einem Bevölkerungsanteil von 6,3 Prozent entsprach. Dieser Anteil war seit 1910 zunächst nur noch unwesentlich gesunken, zwischen 1925 und 1933 brach er schließlich aber auf nur noch 4,7 Prozent ein, weil die Zahl der Juden in Frankfurt erstmals seit Anfang des 19. Jahrhundert wieder sank. Im wirtschaftlichen Entwicklungsverlauf seit der Emanzipation waren die Juden durch ihre Konzentration in den urbanen Zentren und in der gewerb­ lichen Selbständigkeit zunächst strukturell begünstigt und verbesserten ihre soziale Stellung und ihr Einkommen absolut wie auch relativ zur Gesamtbevölkerung.5 Dieser atemberaubende soziale Aufstieg ließ die in Deutschland lebenden Juden im Verlauf des 19. Jahrhunderts in ihrer überwiegenden Mehrheit gesellschaftlich in das Bürgertum hineinwachsen.6 Auch die Frankfurter Juden, um 1800 in der Regel einer im Klein-, Trödel- und Hausierhandel tätigen städtischen Unterschicht zugehörend, erlebten einen stetigen Aufstieg in die Schicht des städtischen Bürgertums.7 Allerdings sind Differenzierungen und Präzisierungen erforderlich, auf deren Notwendigkeit vor allem Till van Rahden am Beispiel Breslaus hingewiesen hat.8 Eine oft zitierte Quelle, die den materiellen Wohlstand der Frankfurter Juden belegen soll, stellen die Angaben zu den städ4 Ebd.; Rebentisch, Industrialisierung. 5 Barkai, Minderheit, S. 71 f.; Lässig, Wege, S. 41–60. 6 Toury, Eintritt, S. 60; Lässig, Wege. 7 Kaufmann; zur Entwicklung bis 1866 Kahn, Entwicklung, S. 58–99. 8 Rahden, Juden.

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% alle

% ev.

% kath.

% ev.+k.

% jüd.

31,40

31,92

39,89

34,21

14,93

41,21

42,63

43,18

42,79

31,90

14,23

13,91

11,14

13,12

20,75

5,28

4,87

3,06

4,35

10,73

2,05

1,81

0,8

1,52

5,20

5,83

4,86

1,93

4,02

16,48

100

100

100

100

100

tischen Steuerträgern für das Jahr 1900 dar, mit denen sich die konfessionelle Verteilung der 40.846 Einwohner mit einem steuerpflichtigen Einkommen über 900 Mark ermitteln lässt (vgl. Tab 1). Es unterliegt allerdings einer Folge von Missverständnissen und mangelnder begrifflicher Präzision, aus diesen Daten den Befund abzuleiten, die Frankfurter Juden als Gruppe hätten »zu dem reichen Teil  der Frankfurter Bevölkerung gehört«9 bzw. seien in der Mehrheit »zwar nicht unbedingt reich, aber wohlhabend gewesen.«10 Denn die Angaben beziehen sich nur auf jenen Teil der Einwohner, die mit einem Einkommen von über 900 Mark über der Steuerfreigrenze lagen, enthalten also nicht die übrigen, nichtsteuerpflichtigen Einwohner, über deren Zahl sich nur Mutmaßungen anstellen lassen. Folgt man Till van Rahden in seiner Schätzung, der Anteil dieser Einkommensbezieher an der jüdischen Gesamtzahl habe etwa 25 Prozent betragen, sowie seiner Annahme, zur Führung eines bürgerlichen Haushaltes sei ein Einkommen von mindestens 3.000 Mark erforderlich gewesen, so ergibt sich, dass die Mehrheit der Frankfurter Juden um 1900 keineswegs als wohlhabend einzustufen ist. Mindestens 60  Prozent von ihnen erreichten im Gegenteil allenfalls ein kleinbürgerliches Einkommensniveau.11 Allerdings gibt es durchaus Hinweise darauf, dass zumindest der Anteil der armen und sozialer Unterstützung bedürftigen Personen an der jüdischen Gesamtbevölkerung im Vergleich zur nicht-jüdischen Bevölkerung geringer war, zumal die materielle Armut unter Juden durch ein weitge-

9 Heuberger/Krohn, S. 96. 10 Wippermann, Bd. 1, S. 34. 11 Rahden, Juden, S. 49 f.

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spanntes System konfessioneller Unterstützungs- und Versorgungseinrichtungen auf besondere Weise abgefedert wurde.12 Das jüdische Durchschnittseinkommen überstieg das der übrigen Bevölke­ rung bei weitem. Die jüdischen Steuerträger erbrachten bei einem Anteil von nur knapp 15 Prozent über 41 Prozent aller Steuern. Allerdings erscheint es nicht sinnvoll, vom Gesamtsteuerertrag auszugehen, denn diese Zahl verbirgt die Ungleichheit der Einkommen innerhalb der jüdischen Bevölkerung. Es ist anzunehmen, dass ein erheblicher Teil  des Gesamtsteuerertrages auf die schmale Schicht der obersten Einkommensbezieher entfiel, deren Anteil in der jüdischen Bevölkerung höher war als in der nicht-jüdischen. Gleichwohl lässt sich in der Tabelle 1 erkennen, dass Juden in den beiden unteren aufgeführten Einkommensstufen unterproportional, in allen darüberliegenden überproportional zu ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Steuerträger vertreten waren, und zwar mit steigendem Einkommensniveau umso deutlicher. In der obersten Einkommensstufe über 12.500 Mark stellten sie über 41 Prozent; der Anteil dieser Hochverdiener an der jüdischen Gesamtzahl war etwa viermal höher als in der nicht-jüdischen Bevölkerung. Juden waren also in der städtischen Einkommenselite auf besondere Weise präsent, und gerade diese jüdischen Vermögenden prägten durch ihr gesellschaftliches Engagement das öffentliche Leben in Frankfurt maßgeblich. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert entstand eine Vielzahl von Stiftungen, die von jüdischen Bürgern eingerichtet wurden und nicht allein auf die jüdische Einwohnerschaft, sondern auf das Gemeinwohl zielten.13 So war die Gründung der Frankfurter Oper erst durch das finanzielle Engagement jüdischer Bürger zustandegekommen.14 Als das wichtigste und weit über die Grenzen der Stadt hinausstrahlende Resultat jüdischer Stiftungstätigkeit lässt sich sicherlich die Frankfurter Universität ansehen. Nicht weniger als vierzehn jüdische Stiftungen und zahlreiche weitere jüdische Spender trugen 1912 zu ihrer finanziellen Gründungsausstattung bei.15 Als »jüdisches Projekt« war die Frankfurter Universität antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt.16 Doch nicht zuletzt die Mitspracherechte der Stiftungspartner ermöglichten es, erstmals an einer deutschen Hochschule jüdischen Forschern gleichberechtigten Zugang zu Professuren zu ermöglichen. Die Frankfurter Universität wurde während der 1920er Jahre wie keine andere zum Anlaufpunkt für jüdische Wissenschaftler. Wichtige Institutionen und Aushängeschilder der Stadt als einer Kultur- und Wissenschaftsstadt waren somit unauflöslich mit dem Engagement jüdischer Bürger verbunden. 12 Arnsberg, Geschichte, Bd. 2, S. 500; Heuberger/Krohn, S. 96. 13 Ebd., S. 107–112; Schiebler; vgl. auch Hopp, S. 140–148. 14 Arnsberg, Geschichte, Bd. 1, S. 747 f. 15 R. Heilbrunn, Der Kampf um die Frankfurter Universität [1936], abgedruckt in: Frankfurter jüdische Erinnerungen, S. 125–133; Kluke. 16 Hammerstein, S. 68–78.

26 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Auch in der Frankfurter Politik spielten Juden eine herausragende Rolle. Bei der Wahl zum ersten Norddeutschen Reichstag wurde der Bankier Mayer Carl von Rothschild zum Frankfurter Abgeordneten gewählt.17 Bei den Wahlen zum ersten Reichstag 1871 konnte sich der ehemalige Bankier und Gründer der Frankfurter Zeitung Leopold Sonnemann als Frankfurter Kandidat durchsetzen, der damit einer von drei jüdischen Reichstagsabgeordneten der ersten Legislaturperiode wurde. Als Gründer und Führungsfigur der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) sollte Sonnemann in den folgenden Jahrzehnten den Ruf Frankfurts als einer Hochburg des Liberalismus entscheidend prägen.18 Sein Frankfurter Abgeordnetenmandat im Reichstag verlor er indessen 1884 an den sozialdemokratischen Kandidaten Adolf Sabor, der ebenfalls jüdischer Herkunft war, sich allerdings selbst als konfessionslos betrachtete.19 Auf kommunaler Ebene waren jüdische Politiker als Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, aber auch in städtischen Ämtern präsent, wie etwa der als Kind jüdischer Eltern geborene und später getaufte Sozialpolitiker Karl Flesch, der zwischen 1884 und 1915 dem Magistrat angehörte. Zahlenmäßig am stärksten vertreten waren Juden in der Frankfurter Sozialdemokratie; mit Hugo Sinzheimer und Leopold Harris lösten sich in der Revolutionszeit 1918/19 zwei Sozialdemokraten jüdischer Herkunft als Frankfurter Polizeipräsidenten ab. Insbesondere die SPD-Politiker unterhielten allerdings oftmals keine Verbindungen mehr zur jüdischen Gemeinde. Nachdem mit Leopold Sonnemann 1890 und Ludwig Heilbrunn 1913 bereits zweimal jüdische Politiker als Frankfurter Bürgermeisterkandidaten im Gespräch gewesen waren, wurde schließlich 1924 mit Ludwig Landmann der erste Frankfurter Bürgermeister jüdischer Herkunft gewählt, unter dem mit dem Stadtkämmerer Bruno Asch und dem Siedlungs­ dezernenten Ernst May, die beide ebenfalls jüdischer Herkunft waren, zwei der profiliertesten Figuren der deutschen Kommunalpolitik der Weimarer Zeit wirkten.20 Diese skizzenhaften Ausführungen weisen darauf hin, dass seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert Juden in der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Elite der Stadt Frankfurt nicht nur gleichberechtigten Zugang genossen, sondern diese entscheidend prägten. Allerdings stellte diese Elite selbst eine gegenüber der übrigen Bevölkerung relativ abgeschlossene und nicht repräsentative Schicht dar.21 Lässt sich dennoch schließen, dass die jüdische Minderheit spätestens gegen Ende des Kaiserreichs auf eine erfolgreiche »Inte­gration« in die Frankfurter Gesellschaft zurückblicken konnte? Für diejenigen, für die der jüdische Glaube und die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde jede indi17 Kropat, Frankfurt, S.  37–39; Arnsberg, Geschichte, Bd.  1, S.  705–710; Heuberger/Krohn, S. 100. 18 Gerteis; Wolf; Roth, Liberalismus; Palmowski. 19 Arnsberg, Geschichte, Bd. 1, S. 741–743. 20 Heuberger/Krohn, S. 99; Rebentisch, Landmann. 21 Zur Struktur und Veränderung der städtischen Elite Roth, Stadt, S. 573–599.

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viduelle Bedeutung verloren hatten, stellte sich diese Frage wohl gar nicht. Von anderen säkular lebenden Deutschen waren diese durch nichts unterschieden und insofern »assimiliert«. Allenfalls aufgrund der Persistenz antisemi­tischer Fremdzuschreibungen und Anfeindungen, denen man sich nur schwer vollständig entziehen konnte, mochten sie durch ihre jüdische Herkunft in ihrer Identität geprägt sein und sich weiterhin in je unterschiedlichem Maße einer jüdischen »Erfahrungsgemeinschaft« zuordnen.22 Bei der Verortung jüdischer Identität in der deutschen Gesellschaft gilt es sich von einem Verständnis von Integration zu lösen, das den normativen Paradigmen nationaler Homogenität und hierauf bezogener, eindeutiger Identitäten unterliegt.23 Dann erscheint es im Grunde nicht mehr erklärungsbedürftig, warum für jüdische Bürger namentlich in vor-zionistischer Zeit ein Selbstverständnis als Angehörige einer deutschen Nation und ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem jüdischen Kollektiv keinen Widerspruch darstellten.24 Vielmehr ist von der Tatsache »situativer Eth­ nizität« auszugehen, nach der gedachte Zugehörigkeiten nebeneinander bestehen und in je spezifischen Kontextsituationen dominant und handlungsleitend werden.25 Es spricht daher auch nicht gegen die Inklusion von Juden in gesellschaftlichen und lebensweltlichen Bereichen, dass sich in Frankfurt während der Zeit des Kaiserreichs ein weitgespanntes und vielfältiges Netz spezifisch jüdischer Vereine ausformte, dessen Charakterisierung als »Subkultur« fehlginge. Viele jüdische Frankfurter bewegten sich sowohl im jüdischen als auch im allgemeinen Vereinswesen und dürften hierin keinen Widerspruch gesehen haben.26 Von jeher war das Ausmaß der Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft vor allem von jenen Grenzen bestimmt, die dem Integrationsprozess aus dieser Gesellschaft heraus gezogen wurden. Bereits während der Emanzipations­ zeit war das Projekt der politischen und rechtlichen Gleichstellung der Juden niemals unumstritten und nur gegen Widerstände durchzusetzen gewesen.27 Im Gefolge der ersten schweren konjunkturellen Krise des Industriezeitalters in den 1870er und 1880er Jahren, als der Transformationsprozess zur bürgerlichen Gesellschaft mit der Emanzipation der Juden als seinem integralen Element problematisch und grundsätzlich in Frage gestellt schien, entfaltete sich schließlich erneut organisierter Widerstand, der als völkischer Rassismus und als politischer Antisemitismus nun genuin moderne Ausprägungen annehmen sollte.28 Ende der 1870er Jahre bildeten sich die ersten politischen Organisatio22 Zum Problem deutsch-jüdischer Identität und möglichen begrifflichen Zugängen auch Sorkin; Moyn. 23 Vgl. Rahden, Juden, S. 14. 24 Vgl. Volkov, Assimilation; Schulin. 25 Rahden, Juden, S. 18–20. 26 Vgl. ebd., S. 133–139. Hopp, S. 128–139 interpretiert dagegen das Frankfurter jüdische Vereinswesen stärker als Ausweichbereich, der erst aufgrund von Exklusionstendenzen im allgemeinen Vereinsweisen überhaupt nötig wurde. 27 Erb/Bergmann. 28 Rürup, Emanzipation; Berding, S. 85–110; Pulzer, S. 125–164.

28 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

nen in Deutschland, deren zentraler Programmpunkt und deren primäres Mittel politischer Mobilisierung Antisemitismus war. Auch in Frankfurt entstand in diesem Zusammenhang eine antisemitische Szene, deren Bedeutung jedoch nicht überschätzt werden sollte. Anfang der 1880er Jahre waren erstmals Ansätze zur Gründung antisemitischer Vereine sichtbar geworden, jedoch aufgrund mangelnder Resonanz zunächst im Sande verlaufen.29 Erst 1891 begann sich die antisemitische Bewegung mit der Gründung des Deutschen Vereins als einem Ableger der vor allem in Nordhessen erfolgreichen Antisemitischen Volkspartei zu formieren, deren Führungsfigur Otto Böckel in Frankfurt geboren war. Seit 1894 fanden regelmäßig öffentliche Veranstaltungen statt. Die öffentlichkeitswirksamste und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Institution der lokalen Antisemiten war das am Hauptbahnhof gelegene Hotel Kölner Hof, dessen Inhaber Hermann Laas zeitweilig den Vorsitz des Deutschen Vereins innehatte und seit 1895 offensiv damit warb, das einzige »judenfreie« Hotel Frankfurts zu führen. Dass sich dieses Geschäftsmodell bis 1914 kommerziell als durchaus erfolgreich erweisen sollte, lag vor allem daran, dass das Hotel sich in einer speziellen Angebotsnische, nämlich als Anlaufpunkt und Tagungsort für die reichsweite antisemitische Szene etablieren konnte.30 Mag man insofern dem politischen Antisemitismus in Frankfurt eine gewisse Wirksamkeit nicht absprechen wollen, springen doch andererseits die engen Grenzen ins Auge, die hier jeder Form antisemitischer Agitation gezogen waren. Der mitgliederschwache Verein der Antisemiten gewann im politischen Leben der Stadt und auch innerhalb der reichsweiten antisemitischen Bewegung nie eine nennenswerte Bedeutung. Ins Leben gerufen, als die Hochzeit des politischen Antisemitismus bereits wieder im Schwinden begriffen war, konnte er sein Überleben bis zum Ersten Weltkrieg wohl nur sichern, indem er zeitweilig eine strategische Allianz mit der lokalen Mittelstandsbewegung, insbesondere dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband, einging und in dieser Zeit die judenfeindliche Agitation zugunsten wirtschaftspolitischer Themen in den Hintergrund treten ließ. Auch die beiden einzigen antisemitischen Stadtverordneten waren erst über Listen verbündeter Organisationen auf die Kandidatenlisten gelangt und unterwarfen sich den politischen Spielregeln im Stadtparlament insofern, als sie sich antisemitischer Äußerungen dort fast vollständig enthielten.31 Dem Engagement des antisemitischen Vereins im öffentlichen Raum waren schon deswegen Grenzen gesetzt, weil ihm die Möglichkeit, Annoncen aufzugeben, von den meisten Zeitungen der Stadt verweigert wurde. In der Regel konnte er auch keine Räume für seine Veranstaltungen anmieten. Als 1896 erstmals zur Weihnachtszeit antisemitische Flugblätter verteilt wurden, die zum Boykott jüdischer Händler aufriefen und Adressen nicht-jüdischer 29 Zum Folgenden Schlotzhauer, Ideologie. 30 Ebd., S. 192–220; Steen. 31 Schlotzhauer, Ideologie, S. 253–262; vgl. auch Rahden, Juden, S. 261–266; zum Antisemitismus im Handlungsgehilfenverband Berding, S. 120–133.

29 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Geschäfte auflisteten, distanzierte sich die Frankfurter Geschäftswelt öffentlich von diesem Treiben. Der Frankfurter Magistrat verfocht in einem jahrelangen Rechtsstreit gegenüber dem Kölner Hof konsequent seine Haltung, städtisches Grundeigentum nicht für antisemitische Agitation missbrauchen zu lassen und verweigerte unter Ausschöpfung aller juristischen Mittel erfolgreich die Genehmigung zur gastronomischen Nutzung des vor dem Hotel gelegenen Gehwegs.32 Alles das zeigt deutlich, dass die Frankfurter Bürgerschaft des Kaiserreichs offen antisemitische Politik im städtischen Raum nicht duldete und zu unterbinden gewillt war. Anders als in Düsseldorf gelang es der antisemitischen Bewegung deswegen auch nicht, die 1913 erfolgende Einweihung eines Denkmals für Heinrich Heine zu verhindern, obwohl sie im Verlauf der diesbezüglichen Kampagne ihre bis dahin größte Mobilisierungsleistung verbuchen konnte.33 Der Niedergang der antisemitischen Ein-Themen-Organisationen nach 1900 sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft jenseits politischer Programmatik an gesellschaftlichem Einfluss gewann. In Frankfurt sind zwar keine verstärkten Exklusionstendenzen, etwa im Vereinswesen, erkennbar.34 Dennoch war Antisemitismus im gesellschaftlichen und lebensweltlichen Alltag durchaus präsent. So berichtet der 1862 geborene Ernst Flersheim über häufige Schlägereien mit anderen Schulkindern, die antisemitische Schmähungen riefen; der 1893 geborene Selmar Spier erfuhr ebenfalls bereits als Jugendlicher durch hasserfüllte Flugblätter, was Antisemitismus hieß.35 Was bedeutete das Judentum für die Frankfurter Unternehmer? Geht man vom bürgerlichen Projekt der Emanzipation im Sinne einer Umwandlung des Judentums zur reinen Konfession aus,36 waren die jüdischen Gewerbetreibenden in vieler Hinsicht bereits »assimiliert«. Denn die jüdische Religion beeinflusste das Wirtschaftsverhalten der deutschen Juden wohl immer weniger – zumal es ohnehin keine »jüdische« Art, ein Unternehmen zu führen, kein »jüdisches Wirtschaften« gab. Zwar existierte eine enge Wechselwirkung zwischen den reformerischen Tendenzen eines sich modernisierenden deutschen Judentums, die sich gerade mit der Frankfurter Gemeinde in besonderer Weise verbanden, und dem Projekt des bürgerlichen Aufstiegs.37 Doch dürfte das betriebswirtschaftliche Handeln der jüdischen Unternehmer in Frankfurt als sol32 Schlotzhauer, Ideologie, S. 134 f.; S. 149–159; S. 209–220. 33 Ebd., S. 263–284; vgl. auch Arnsberg, Bilder, S. 144–165. 34 Vgl. Hopp, S.  128–139 sowie Schüler-Springorum, S.  80 f.; eine wachsende antisemitische Grundstimmung im Breslauer Vereinswesen beobachtet hingegen Rahden, Juden, S. 117–125. 35 Ernst Flersheim, Lebenserinnerungen, LBI NY, ME 131, Bl. 2; Selma Spier, Das Vaterland, abgedruckt in: Frankfurter jüdische Erinnerungen, S. 157–167; ebenfalls von Auseinandersetzungen mit Schulkindern berichtet der 1868 in Frankfurt geborene Albert Dann, Er­ innerungen 1627–1944, Ramot-Haschawin 1944, LBI NY, ME 103. 36 Rürup, Emanzipation, S. 78. 37 Petuchowski; sogar als entscheidenden Motor der Verbürgerlichung sieht sie Lässig, Wege, S. 243–441.

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ches gegen Ende des 19. Jahrhunderts kaum noch durch religiöse Überzeugungen strukturiert gewesen sein. Ein des Öfteren zitiertes Beispiel stellt zwar die Metallhandelsfirma Beer, Sondheimer & Co. dar, deren Inhaber der jüdischen Orthodoxie anhingen, bevorzugt Mitarbeiter dieser Glaubensrichtung einstellten und noch um 1900 an jüdischen Feiertagen sowie am Shabbat ihr Geschäft geschlossen hielten.38 Doch die reichsweit bedeutende Firma war für diese Politik wohl gerade deswegen so bekannt, weil es sich um ein singuläres Beispiel handelte.39 De facto schlossen zu dieser Zeit am Shabbat nur noch wenige jüdische Geschäfte in Frankfurt. Nachdem die Stadtverordnetenversammlung 1905 die verbindliche Sonntagsruhe beschlossen hatte, konnten es sich jüdische Unternehmen in der Regel nicht mehr leisten, an zwei Tagen in der Woche die Arbeit ruhen zu lassen.40 Bis 1914 war es zwar noch üblich, dass auch die großen Kaufhäuser an jüdischen Feiertagen geschlossen blieben und damit das Geschäftsleben in der Innenstadt an diesen Tagen weitgehend stillag.41 In sonstiger Hinsicht jedoch unterschieden sich jüdische Unternehmer und Geschäftsinhaber individuell in nichts von ihren nicht-jüdischen Kollegen und dürften der Bevölkerung als jüdische Unternehmer auch nur dann bekannt gewesen sein, wenn man davon aus anderen Quellen wusste. Das alles änderte nichts daran, dass die jüdische Bevölkerung in ihrer Erwerbsstruktur und den Strukturen ihrer Gewerbetätigkeit sich als Gruppe weiterhin deutlich von der nicht-jüdischen Bevölkerung unterschied.

2. Strukturen der Frankfurter jüdischen Gewerbetätigkeit 1924–1933 Die Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung blieb vom 19. Jahrhundert bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ausgesprochen stabil. Die Juden in Deutschland zeichneten sich bekanntlich durch zwei langlebige Charakteristika aus: eine hohe Konzentration in den Handelsberufen und einen starken Zug zu beruflicher Selbständigkeit.42 Was für die Juden im gesamten Reichsgebiet zutraf, galt auch für Frankfurt. 1824 waren von den jüdischen Erwerbspersonen in der Stadt 82,3 Prozent im Handelsgewerbe beschäftigt, von den selbständigen Handelstreibenden davon wiederum 42,6 Prozent im Textil- und Kleiderhandel sowie weitere 27,7 Prozent im Geld- und Kreditgeschäft.43 Diese überragende Bedeutung des Handelsgewerbes schwächte sich auch in den folgenden hundert 38 Heuberger/Krohn, S. 91. 39 Hopp, S. 81 führt hingegen dieses Beispiel als Beleg dafür an, dass »der ethnisch-religiöse Faktor Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität der Juden hatte«. 40 Arnsberg, Geschichte, Bd. 1, S. 807 f. 41 Ders., Bilder, S. 23. 42 Schmelz, Entwicklung, S. 65 f. 43 Ders., Bevölkerung, S. 231, Tab. 5.2.

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Jahren nie ab. 1882 waren von den jüdischen Erwerbspersonen 68,2 Prozent im Handel beschäftigt, 1907 noch 57,6 Prozent. Im Jahr 1925 war der Anteil wieder auf 59,4 Prozent gestiegen. Damit unterschied sich die jüdische Bevölkerung Frankfurts in ihrer Erwerbsstruktur stark von der nicht-jüdischen Erwerbsbevölkerung, in der die Beschäftigten im Handel auch unter Absehung der landwirtschaftlichen Beschäftigten 1882 nur auf einen Anteil von 19,4 Prozent, 1907 auf 17,7 Prozent und 1925 auf 23,1 Prozent kamen.44 Auch der seit jeher hohe Anteil der Selbständigen unter den Frankfurter Juden veränderte sich nicht. 1882 waren 43,2 Prozent der jüdischen Erwerbs­ personen selbständig gewesen. Dieser Anteil sank bis 1907 auf 37,1  Prozent, stieg aber bis 1925 sogar wieder auf 44,6 Prozent an. Unter den jüdischen Handelsbeschäftigten blieb durchgehend eine knappe Hälfte selbständig tätig (1882: 49,8 %; 1907: 44,0 %; 1925: 49,2 %), und diese selbständig Handelstreibenden stellten bei leicht sinkender Tendenz immer ein knappes Drittel der jüdischen Erwerbspersonen (1882: 34,3 %; 1907: 25,3 %; 1925: 29,2 %).45 In der Gesamtbevölkerung sank hingegen der Anteil der Selbständigen von 21,5 Prozent im Jahr 1882 auf 15,6 Prozent im Jahr 1907 und nur noch 14,9 Prozent im Jahr 1925.46 Das bedeutete, dass zwar der Anteil der Juden an allen im Handel beschäftigten Erwerbspersonen zwischen 1882 und 1925 von 27,5 Prozent auf nur noch 14,9 Prozent abnahm,47 der Anteil von Juden an allen selbständigen Erwerbspersonen (ohne Landwirtschaft) hingegen von 13,6 Prozent im Jahr 1907 auf 17,7 Prozent im Jahr 1925 weiter stieg.48 Hierfür war das konstante Festhalten der Juden an der gewerblichen Selbständigkeit verantwortlich, so dass ihr Anteil an den selbständigen Handelstreibenden in Frankfurt von 35,2 Prozent im Jahr 1882 lediglich auf 29,6 Prozent im Jahr 1925 sank und damit weiterhin in Relation zum Bevölkerungsanteil sehr hoch blieb.49 Aus der Sicht der sozialgeschichtlichen Forschung zur deutsch-jüdischen Geschichte, aber auch bereits aus der zeitgenössischer jüdischer und anderer Beobachter befanden sich die deutschen Juden spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts demographisch und wirtschaftlich in der Krise. Als eine »alternde und überalterte Gruppe«, die zunehmend unter Konkurrenzdruck geraten sei, werden sie von Esra Bennathan bezeichnet.50 Auch Avraham Barkai sieht sie als eine in traditionellen Strukturen verhaftete Gemeinschaft, die »an den überkommenen Handelsberufen und ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit länger festhielt, als dies rein wirtschaftlich von Vorteil war.«51 Bei nüchterner Betrach44 Ebd., S. 238–241, Tab. 5.6. Zu den Problemen der Reichsstatistiken Silbergleit, S. 79–84 sowie Tooze, Statistics, S. 51–55; S. 84–89. 45 Schmelz, Bevölkerung, S. 308, Tab. 5.31. 46 Ebd., S. 271–275, Tab. 5.21. 47 Ders., Entwicklung, Tab. 5.9. 48 Schmelz, Bevölkerung, S. 287–291, Tab. 5.25. 49 Ebd., S. 304–307, Tab. 5.30. 50 Bennathan, S. 126. 51 Barkai, Minderheit, S. 9.

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tung erscheint die stabile Berufsstruktur der deutschen Juden indessen als eine folgerichtige Konsequenz aus den Startbedingungen, denen sie am Beginn ihres bürgerlichen Aufstieges unterlagen. Von der Landwirtschaft und den zünftigen Handwerken wie auch von öffentlichen Ämtern aufgrund rechtlicher Beschränkungen ferngehalten, erwies sich die urbane und gewerbliche Konzentration angesichts der wirtschaftlichen Makroentwicklungen des 19. Jahrhunderts zunächst als günstig. Aufgrund der aufstrebenden Entwicklung des kommerziellen Sektors seit 1850 gab es für die deutschen Juden keine Gründe, sich anderen Bereichen zuzuwenden.52 Der rapide Aufstieg ins Bürgertum vollzog sich vor diesem Hintergrund wohl vor allem im Zeitraum zwischen 1845 und 1873, in dem die deutschen Juden gegenüber der übrigen Bevölkerung einen großen Entwicklungsvorsprung erlangten.53 Dass sich dieser Vorsprung verkleinerte oder einebnete, als der Transformationsprozess hin zur industriellen Gesellschaft weitere Bevölkerungsschichten erfasste, erscheint eher als eine Normalisierung denn als Krisenentwicklung. Dennoch waren die Juden in der makroökonomischen Rückschau in mancher Hinsicht ihrer Zeit voraus: Was die dominante Tätigkeit im Handelssektor anging, bewegte sich die Erwerbsstruktur der Gesamtbevölkerung tendenziell eher auf die der jüdischen Bevölkerung zu, als dass diese sich umgekehrt angeglichen hätte. Wenn auch die Beharrungskräfte innerhalb der jüdischen Erwerbsstruktur ins Auge springen, sollten nicht die Veränderungs- und Angleichungstendenzen aus dem Blick geraten, denen die jüdische Bevölkerung bis in die 1920er Jahre unterlegen war. So lässt sich ein deutlicher Zug in Richtung der freien Berufe mit akademischer Qualifikation beobachten, deren Anteil an der jüdischen Erwerbstätigkeit sich zwischen 1882 und 1925 von 5,5 auf 11,9 Prozent verdoppelte.54 Dass jüdische Studierende dabei insbesondere von den Fächern Medizin und Rechtswissenschaften angezogen wurden und anschließend vorwiegend als beruflich Selbständige, d. h. als niedergelassene Ärzte und Rechtsanwälte, tätig waren, hatte nichts mit einem »jüdischen Drang nach Selbständigkeit« zu tun, sondern war vor allem das Ergebnis der auch nach der formellen Gleichstellung fortdauernden Exklusionstendenzen im öffentlichen Dienst, an den Hochschulen und in den juristischen Staatsämtern. Jüdische Akademiker wurden also schlichtweg in die Selbständigkeit abgedrängt.55 Im Übrigen stieg durchaus auch unter den jüdischen Erwerbstätigen der Anteil der Angestellten stark an. Er erhöhte sich in Frankfurt von 18,5 Prozent im Jahr 1907 auf 43 Prozent im Jahr 1925 und lag damit sogar höher als in der Gesamtbevölkerung (35,4 Prozent).56 Das hatte zum Teil, aber nicht allein mit der verstärkten Berufstätigkeit jüdischer Frauen zu tun, bei der sich die bürgerlich geprägte 52 Ebd., S. 36–38; Silbergleit, S. 89; vgl. Landes. 53 Hahn, S. 214–216; vgl. Lowenstein, Pace. 54 Schmelz, Bevölkerung, S. 239, Tab. 5.6. 55 Rürup, Juden; Jarausch; Krach, S. 31. 56 Schmelz, Bevölkerung, S. 276–279, Tab. 5.22.

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jüdische Bevölkerung an die Gesamtbevölkerung anglich.57 Die historische Konstanz jüdischer Handelstätigkeit sollte nicht aus dem Blick geraten lassen, dass sich diese Handelstätigkeit selbst veränderte und die jüdischen Handelsunternehmen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert nicht mehr die gleichen waren wie um 1850. Gleichwohl formten sich wichtige Grundcharakteristika bereits im Verlauf des 19. Jahrhundert aus. Wohl mit keinem anderen Wirtschaftsbereich wurden die Frankfurter Juden über lange Zeit stärker identifiziert als mit dem Bankgewerbe, für das symbolisch das Bankhaus Rothschild stand. Zum Teil auf frühere Ursprünge zurückgehend, traten vor allem in den 1850er und 1860er Jahren noch viele weitere jüdische Privatbanken hinzu, unter denen sich ein Stamm von etwa 15 Bankhäusern, die allesamt eine beträchtliche Lebensdauer erreichen sollten, als Führungsgruppe etablierte.58 Schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befand sich allerdings dieser Wirtschaftszweig im Allgemeinen, aber auch der Finanzplatz Frankfurt im Besonderen auf dem Rückzug. Zum einen verlagerte sich das Zentrum der deutschen Finanzwirtschaft seit der Reichsgründung in die Hauptstadt Berlin, zum anderen gerieten die eher auf das internationale Anleihegeschäft spezialisierten Frankfurter Privatbankhäuser gegenüber den nun entstehenden Aktiengroßbanken immer stärker ins Hintertreffen.59 Um 1900 wandelten sich daher eine Reihe alteingesessener jüdischer Privatbanken in Kapitalgesellschaften um oder wurden von Großbanken übernommen. Der eher familiär bedingten Schließung des Bankhauses Rothschild im Jahr 1901 kam daher eine bezeichnende Symbolik für das Ende einer Epoche zu. Dennoch blieb das private Bankgewerbe für die jüdische Gewerbetätigkeit weiterhin wichtig. In Frankfurt dominierten entgegen des reichsweiten Trends bis in die 1920er Jahre hinein jüdische Häuser die Branche.60 Das entscheidende Fundament der jüdischen Gewerbetätigkeit stellte die Textil- und Bekleidungsbranche dar. Die Integration des reichsdeutschen Territoriums seit den 1860er Jahren und der Wegfall von Zollbeschränkungen ­ebneten dem jüdischen Großhandel mit Textilien und verwandten Produkten den Weg, in dem Frankfurt bald die Funktion einer zentralen Drehscheibe einnahm. Diese Entwicklung war eng verbunden mit der Ausbildung einer deutschen Textilindustrie, die in dieser Zeit an Fahrt gewann. Hatte etwa die 1854 gegründete Firma M. L. Rosenstein, die eines der ersten jüdischen Großhandelshäuser im Textilbereich war, zunächst damit begonnen, über eine Filiale 57 Vgl. Barkai, Juden, S. 335, der den steigenden Anteil der Angestellten unter den Juden hauptsächlich auf die weibliche Erwerbstätigkeit zurückführt. Tatsächlich betrug 1925 der Anteil der Angestellten jedoch auch bei den männlichen jüdischen Erwerbspersonen immerhin 40,6 Prozent gegenüber 50,6 Prozent bei den weiblichen; vgl. Schmelz, Bevölkerung, S. 280– 282, Tab. 5.23; zur weiblichen Erwerbsarbeit bei den deutschen Juden auch Kaplan, Making, S. 153–191. 58 Kirchholtes. 59 Heyn; Holtfrerich, S. 168–224; Deutsche Bank, S. 14–40. 60 Marcus, Krise, S. 67–69.

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in Manchester englische Textilien zu importieren, gingen zahlreiche Handels­ unternehmen in den folgenden beiden Jahrzehnten dazu über, ihre Einkäufe auf dem deutschen Markt zu tätigen und in das Ausland zu exportieren.61 Unter den ersten Firmen, die sich zu internationaler Geltung aufschwingen konnten, waren die Spitzenhandelshäuser Siegmund Strauss jr. und Heinrich Wertheimer. Andere Frankfurter Unternehmen konzentrieren sich auf den Handel mit Damenhüten und Seidenstoffen.62 In den 1870er Jahren hatte sich eine etwa 40–50 Unternehmen umfassende Gruppe führender jüdischer Textilgroßhändler gebildet, um die herum sich weitere Firmen entwickelten. Von diesen alteingesessenen Textilhandelsunternehmen überlebten fast alle bis weit in die NS-Zeit hinein. Der Aufstieg Berlins zum Zentrum der deutschen Bekleidungsindustrie führte allerdings dazu, dass einige Firmen dort Zweigstellen errichteten oder den Schwerpunkt ihrer Geschäfte in die Reichshauptstadt verlegten.63 In Frankfurt ansässig, pflegten die jüdischen Textilgroßhändler ihre Einkäufe bei Fabrikanten im ganzen Reichsgebiet zu tätigen und ihre Waren an eine Vielzahl von Kunden im Inland, aber auch in das gesamte europäische Ausland und darüber hinaus zu liefern. Die großen Häuser unterhielten daher zumeist mehrere Standorte in verschiedenen Ländern, beschäftigten in der Regel am Stammsitz zwischen 50 und 100 Angestellte sowie zusätzlich nicht selten einige Dutzend Reisende und Vertreter, die permanent unterwegs waren, um Lieferanten und Kunden im In- und Ausland zu besuchen, Abschlüsse zu tätigen und die Geschäftskontakte zu pflegen.64 Eine weitere prägende und sichtbare Säule der jüdischen Handelstätigkeit in Frankfurt bildete sich seit den 1890er Jahren aus. Mit dem Ausbau der Kaiserstraße und ihrem Durchbruch zum Rossmarkt, vor allem aber mit der Umgestaltung der Zeil entstand eine zusammenhängende Stadtachse, an der sich bald die führenden Geschäfte der Stadt ansiedelten.65 Die Zeil als zentrale Einkaufsstraße der Stadt war geprägt von jüdischen Einzelhandelsgeschäften und Kaufhäusern. Auch von ihnen waren die meisten auf Textil- und Modewaren sowie Bekleidung, Konfektion und Schuhwaren spezialisiert, einige Großhandelsfirmen wie die alteingesessene Seidenstofffirma Schwarzschild-Ochs errichteten hier Einzelhandelsabteilungen. Um die Jahrhundertwende stellte ein gutes Dutzend größerer jüdischer Geschäfte das führende Segment des Einzelhandels in der Innenstadt.66 Die Entwicklung hin zu modernen Betriebsformen wurde von jüdischen Unternehmern mitvollzogen, von denen einige als Pioniere erfolgreich waren. So eröffnete der aus dem hessischen Heldenbergen stammende und in den 1870er 61 Felix Schamberg, Erinnerungen, o. D., S. 2 f., LBI JMB, AR 279. 62 Paul Collin, Juden im Großhandel der Frankfurter Damenbekleidungs-Industrie, o. D., S. 4–6, ebd. 63 Ebd., S. 8. 64 Ebd., S. 9. 65 Nordmeyer, S. 29–56. 66 Felix Schamberg, Erinnerungen, o. D., S. 3 f., LBI JMB, AR 279; Heuberger/Krohn, S. 91.

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Jahren für einige Zeit nach Amerika ausgewanderte Julius Speier 1880 in der Frankfurter Innenstadt ein Schuhhandelsgeschäft, dass er an dem dort kennengelernten Prinzip des Verkaufs standardisierter Schuhwaren aus Fabrikproduktion zu günstigen Preisen ausrichtete. Nachdem schon bis 1914 einige Filialen im Stadtgebiet eröffnet worden waren, wuchs das Unternehmen J. Speier während der 1920er Jahre zu einem der reichsweit führenden Schuhhandelsfirmen heran und unterhielt am Vorabend der NS-Machtübernahme fast 40 Filialen in ganz Deutschland.67 Zu einem der wichtigsten Filialunternehmen für hochwertige Lebensmittel und Feinkost in Frankfurt und Hessen entwickelte sich das 1878 gegründete Unternehmen Schade & Füllgrabe, das Ende der 1880er Jahre durch Joseph Halberstadt von den Gründern übernommen und rasch ausgebaut worden war. Bis 1914 war die Zahl der Filialen schon auf 90 gestiegen, 1932 betrug sie 144, davon 46 allein im Frankfurter Stadtgebiet. Aus dem traditionellen Handel mit Textilwaren heraus entstand das Warenhaus Wronker, das 1891 von Hermann Wronker, einem Neffen der Warenhausunternehmer Leonhard und Oscar Tietz, gegründet wurde. Es stieß zwar nicht bis in den Kreis der großen, reichsweit operierenden jüdischen Warenhäuser vor, unterhielt aber eine Handvoll Filialen in anderen Städten und beherrschte mit dem 1906 erbauten Stammhaus auf der Zeil, das mit einer spektakulär-expressionistischen, sich über 80 Meter erstreckenden Vorderfront aufwartete, weithin sichtbar die Innenstadt.68 Frankfurt war bis Ende des 19.  Jahrhunderts keine ausgeprägte Industriestadt gewesen, und lange Zeit verhielt sich die politische und wirtschaftliche Elite der Stadt eher reserviert gegenüber der Ansiedlung von Produktions­ unternehmen.69 Davon profitierten nicht zuletzt Vorstädte wie Offenbach, wo sich eine bedeutende Lederindustrie entwickelte. Das benachbarte Höchst, 1928 eingemeindet, wurde zu einem wichtigen Standort der chemischen Industrie. Nicht zuletzt durch die Eingemeindungen industriell geprägter Vorstädte wie Fechenheim und Ginnheim wandelte sich die Frankfurter Wirtschaftsstruktur allmählich, ohne dass Handel und Kreditwesen ihre dominierende Stellung verloren.70 Industrieunternehmen in Frankfurt, die von Juden aufgebaut wurden, entstanden dementsprechend fast immer aus früheren Handelsunternehmen heraus. Ein gerne angeführtes Beispiel stellt die Lederfabrik J. H. Epstein dar, die 1893 von Jacob H. Epstein in Ginnheim errichtet worden war. Der in Frankfurt geborene Epstein hatte zunächst in London ein Lederhandelshaus gegründet und geführt, bevor er 1877 in seine Heimatstadt zurückkehrte, um sich nun der Herstellung von Farb- und Feinleder zu widmen.71 Aus dem Metallhandel heraus, der noch bis in die 1920er Jahre nahezu vollständig von jüdischen Unternehmern dominiert wurde, entwickelte sich die 67 Kingreen, Landleben, S. 307–310. 68 Schwarz, Architektur, S. 260–282. 69 Kropat, Frankfurt, S. 92–142. 70 Forstmann, S. 399–407; Hein; vgl. auch Holtfrerich, S. 180. 71 Heuberger/Krohn, S. 87 f.; Hahn, S. 205–209; Hopp, S. 60–77.

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1881 gegründete Metallgesellschaft AG, die sich zu einem vor allem Rohstoffhandel und Bergbau umfassenden Großkonzern entwickeln sollte und deren Gründer Wilhelm Merton ebenso wie seine Söhne Alfred und Richard eine bedeutende Rolle in der Frankfurter Politik und Gesellschaft spielten.72 Ebenfalls auf ein kleines, schon 1798 gegründetes Handelsgeschäft mit Farbstoffen ging die Firma Leopold Cassella & Co. zurück, die 1870 eine in Fechenheim gelegene Farbfabrik errichtete. Unter der Leitung der Brüder Arthur und Carl Weinberg wurde das Unternehmen 1904 mit den Farbwerken Höchst zusammengeführt und ging schließlich in dem 1925 ins Leben gerufenen IG Farben-Konzern auf.73 Somit lassen sich mit der Metallgesellschaft und der IG Farben die beiden größten Frankfurter Industrieunternehmen, die 1938 zu den einzigen vier Frankfurter unter den 100 größten deutschen Unternehmen gehörten, zum Teil auf jüdische Gründerpersonen zurückführen.74 Allerdings wurde nur die Metallgesellschaft aufgrund der Präsenz der Gründerfamilie in Gestalt von Richard Merton auch in den 1920er und 1930er Jahren noch als »jüdisches Unternehmen« angesehen  – ungeachtet der Tatsache, dass bereits dessen Vater um die Jahrhundertwende vom Juden- zum Christentum übergetreten war.75 Zweifellos zeichneten sich alle der genannten jüdischen Unternehmer, von denen einige zur Spitze der deutschen Wirtschaftselite zählten, durch bemerkenswerte Fähigkeiten und Erfolge aus. Doch erscheint es wenig sinnvoll, diese unternehmerischen Erfolge mithilfe von Stereotypen und Klischées über eine »jüdische Wirtschaftsmentalität«76 zu erklären, die bis heute sowohl in anti- wie in philosemitischen Spielarten kursieren und auch in der wissenschaftlichen Literatur noch immer als jüdische »Anpassungsfähigkeit, Erfindungsgabe und Risikobereitschaft« oder Ähnliches angeführt werden.77 Auf solche Zuschreibungen soll hier verzichtet werden, ohne dass damit die Möglichkeit einer Akkumulation spezifischer Erfahrungen durch die intergenerationelle Weitergabe von Handlungswissen oder auch die strukturelle Habitualisierung spezifischer Lebens- und Wirtschaftsweisen innerhalb der jüdischen Bevölkerung ausgeschlossen werden soll.78 Die spezifische Erwerbsstruktur der deutschen Juden lässt sich als Ergebnis einer historischen Konstellation und entsprechender Pfad­ abhängigkeiten ausreichend verstehen. Dass in jenen Tätigkeitsbereichen, in denen Juden überproportional vertreten waren, einige von ihnen als Pioniere und Neuerer hervorstechen konnten, entsprach der reinen Wahrscheinlichkeit.79 72 Fünfzig Jahre Metallgesellschaft; Siegfried Auerbach, Metallgesellschaft, o. D., LBI JMB, AR 279; Auerbach; Weichel, S. 144–175. 73 Mosse, Elite, S. 319 f.; Bäumler, S. 242–244; S. 268 f.; Lindner, S. 13–27. 74 Fiedler, Unternehmen. Die beiden anderen Frankfurter Unternehmen waren die Philipp Holzmann AG und die Adlerwerke vorm. Heinrich Kleyer AG. 75 Weichel, S. 176–193. 76 Klassisch Sombart; vgl. Muller sowie Berg. 77 Hopp, S. 41; ähnlich auch Bauer, S. 162. 78 Einen solchen Ansatz verfolgt Lässig, Wege. 79 Barkai, Minderheit, S. 4; Henning, S. 118 f.

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Im Folgenden soll der Blick über die erfolgreiche jüdische Führungsschicht und Wirtschaftselite hinausgerichtet sein, denn die überwältigende Mehrheit der jüdischen Unternehmer waren durchschnittliche Menschen, die auf durchaus unspektakuläre Art und Weise kleine und mittlere Betriebe führten. Diese Masse der Frankfurter jüdischen Unternehmen zu erschließen und zu analysieren, ist mit Hilfe veröffentlichter, aggregierter Daten nur begrenzt möglich. Aus naheliegenden Gründen war die Reichsstatistik nicht in der Lage, ein Konstrukt wie »jüdische Unternehmen« auszuwerfen. Die Erhebung der Erwerbspersonen jüdischen Glaubens ergibt für Frankfurt im Jahr 1925 eine Zahl von 6.079 selbständigen Erwerbstätigen, von denen wiederum 4.104 (67,5 %) im Bereich Handel und Verkehr sowie 1.222 (20,1 %) im Bereich Industrie und Handwerk tätig waren, während sich von den übrigen die meisten auf den öffentlichen Dienst und die freien Berufe verteilten.80 Die 5326 in Handel, Industrie und Handwerk tätigen Selbstständigen bilden die Gesamtheit der jüdischen Betriebsinhaber, einschließlich der angestellten Geschäftsführer und Direktoren. Wie leicht zu erkennen ist, stellt dies nicht die Gesamtzahl der jüdischen Unternehmen dar, da an einem Unternehmen oftmals mehrere Inhaberpersonen beteiligt waren. Insofern ist die Zahl der jüdischen Unternehmen aus der Reichsstatistik nicht ohne Weiteres zu bestimmen. Die veröffentlichten Daten sind nur eingeschränkt mit den hier erhobenen Unternehmensdaten zusammenzubringen, weil diese nicht alle Unternehmen des Kleingewerbes sowie Handwerksbetriebe nur ganz vereinzelt umfassen. Aus dem Frankfurter Handelsadressbuch von 1924 lassen sich etwa 2.100 jüdische Unternehmen ermitteln, die ins Handelsregister eingetragen waren.81 Schätzt man die Zahl der jüdischen Kleingewerbetreibenden und Handwerker auf 600–700, lässt sich von einer Gesamtzahl von etwa 2.800 Betriebseinheiten ausgehen. Im Folgenden kann lediglich auf die im Handelsregister eingetragenen jüdischen Unternehmen rekurriert werden, während der Bereich des Kleingewerbes und des Handwerks sich einer statistischen Erfassung entzieht. Für das Jahr 1924 ist erstmals eine systematische Bestandsaufnahme möglich, weil die chaotische Phase der Nachkriegs- und Inflationszeit beendet war und wieder Stabilität in das Wirtschaftsleben einzog. Nachdem sich die Strukturen der jüdischen Gewerbetätigkeit bereits bis Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren Grund­zügen herausgebildet hatten, bedeutete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges für viele Unternehmen eine deutliche Zäsur. Insbesondere die auf die internationalen Absatzmärkte orientierten Frankfurter Textilgroßhändler wurden von ihren Handelspartnern abgeschnitten, verloren oftmals Auslandsguthaben und -filialen.82 Von diesen Verlusten und Beeinträchtigungen konnten sich zahlreiche der alteingesessenen Frankfurter Handelshäuser erst über einen längeren Zeitraum erholen. Weil das Exportgeschäft auch nach Kriegsende noch schwierig 80 Silbergleit, S. 231–233. 81 Handels-Adreßbuch. 82 Drüner, S. 412 f.

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blieb, orientierten sich die jüdischen Großhändler verstärkt auf den deutschen Binnenmarkt. Des Weiteren erhielt ein neuer Trend in der Textilbranche Einzug, als nun vermehrt Unternehmen zur sogenannten Textil-Ausrüstung, der mechanischen oder chemischen Veredelung von Stoffen, übergingen.83 In der unmittelbaren Nachkriegszeit litt die Frankfurter Geschäftswelt noch unter den politischen Wirrnissen, die kaum einen geregelten Geschäftsbetrieb erlaubten. Schmerzhaft traf die Stadt Frankfurt auch die Blockade zwischen dem Stadtgebiet und den von der französischen Armee besetzten Gebieten, deren Grenze in unmittelbarer Nähe verlief. Im Frühjahr 1920 wurde Frankfurt selbst für einige Wochen militärisch besetzt. Während der Ruhrbesetzung 1923 unterlag der Warenverkehr erneut einer Unterbrechung und gingen traditionelle Absatz­ gebiete der Frankfurter Wirtschaft verloren.84 Welche längerfristigen Folgen die Nachkriegs- und Inflationszeit für die jüdische Gewerbetätigkeit im Ganzen hatte, lässt sich nicht leicht bestimmen. Zwar litten Groß- und Einzelhandelsbetriebe unter Kostensteigerungen und Kalkulationsrisiken, zu den Hauptleidtragenden der Geldentwertung zählten sie jedoch nicht. Während zahlreiche Unternehmen in den Jahren bis 1923 von der Bildfläche verschwanden, wurden gleichzeitig viele neu begonnen.85 Die Inflation erleichterte es, das erforderliche Mindestkapital zur Gründung von Kapitalgesellschaften zusammenzubekommen, so dass eine Unzahl von Neugründungen erfolgte, denen keine lange Lebensdauer beschieden war. Nur die Hälfte der während der ersten Nachkriegsjahre im Handelsregister eingetragenen Firmen überlebte das Jahr 1924, als sich die wirtschaftliche Lage stabilisierte.86 Es ist nicht möglich zu bestimmen, wie viele der 1914 bestehenden Unternehmen die Kriegs- und Nachkriegszeit insgesamt überlebten. Aber es lässt sich sagen, dass von den 1924 ins Handelsregister eingetragenen 2.100 jüdischen Firmen 1195, mithin 57 Prozent, bereits im Jahr 1914 eingetragen waren. 43 Prozent der jüdischen Unternehmen wurden also in der Zwischenzeit neu gegründet, womit sich die jüdische Gewerbetätigkeit von der Gesamtwirtschaft offenbar nicht sonderlich unterschied. Der Anteil der jüdischen Firmen im Frankfurter Handelsregister betrug 1924 knapp 27 Prozent, überstieg also den jüdischen Bevölkerungsanteil um ein Vielfaches. Nicht für alle ermittelten jüdischen Unternehmen liegen zuverlässige Angaben über die Branchenzugehörigkeit vor. Wertet man die vorhandenen Informationen aus, wird aber deutlich, dass beinahe 50 Prozent der jüdischen Unternehmen auf die fünf meistbesetzten Branchen entfallen, während sich die übrigen auf nahezu alle Zweige des Wirtschaftslebens verteilen. In den zehn wichtigsten Branchen versammeln sich über 60  Prozent der jüdischen Unternehmen (vgl. Tab 2). 83 Simon Bischheim, Erinnerungen, o. D., LBI JMB, AR 279. 84 Drüner, S. 382–384; S. 397–411; S. 439–471; Rebentisch, Frankfurt, S. 438–441. 85 Vgl. Unterstell, S. 23 sowie Geyer, Welt, S. 140. 86 Rebentisch, Frankfurt, S. 440.

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Tab. 2: Jüdische Unternehmen im Handelsregister 1924 in den zehn wichtigsten Branchen Branche

Anzahl

Prozent

dav. Großhandel in Prozent

487

27,5

41,5

Weinhandel

92

5,2

54,3

Lederhandel

89

5,0

39,3

Herstellung von Bekleidung

81

4,6

17,3

Lebensmittelhandel

80

4,5

48,8

Banken und Versicherungen

71

4,0



Metallhandel

52

2,9

55,8

Vertretungen

48

2,7

4,2

Chemische Industrie

47

2,7

6,4

Getreidehandel

45

2,5

51,1

1.092

61,8

36,4

Handel mit Textilien und Bekleidung

Gesamt

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt, 1768 Datensätze

Die Tabelle 2 bestätigt eindrucksvoll die Bedeutung des Textil- und Bekleidungssektors für die jüdische Gewerbetätigkeit. Nimmt man Handel und Herstellung zusammen, entfallen hierauf 32 Prozent der jüdischen Unternehmen. Im Übrigen suggeriert die formale Unterscheidung von Handel, Großhandel und Industrie eine Eindeutigkeit, die es in der Realität kaum gegeben hat. Viele der Textilgroßhandelshäuser betätigten sich auch in der Herstellung und Verarbeitung von Stoffen und Textilien oder vergaben Aufträge an Heimarbeiter. Umgekehrt wird in der Tabelle 2 sichtbar, dass auch Produktionsunternehmen zum Teil im Großhandel tätig waren, wie auch kleinere Handwerksbetriebe ihre Erzeugnisse oftmals in einem angeschlossenen Ladengeschäft verkauften. Einzel- und Großhandel lassen sich ebenfalls kaum eindeutig trennen, weil viele Betriebe sich in beiden Bereichen betätigten. Dennoch lässt sich sagen, dass von den jüdischen Unternehmen des Jahres 1924 sich insgesamt 79 Prozent vorwiegend dem Handel widmeten, davon dem Großhandel 36 Prozent. Insbesondere der Großhandel war eine jüdische Domäne par excellence. In der Ausgabe des »Adressbuchs des Deutschen Großhandels« von 1925 waren von den dort verzeichneten 1.300 Frankfurter Unternehmen 656, über 50 Prozent, in jüdischem Besitz.87 Auf Industrie und herstellendes Gewerbe entfielen etwa 17  Prozent 87 Adressbuch des Deutschen Großhandels.

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der Unternehmen, während der geringe Rest sich auf einige nicht weiter zuzuordnende Dienstleistungsbereiche und Handwerksbetriebe verteilte. Der Produktionssektor umfasst industrielle Betriebe bedeutenden Umfangs wie eher handwerklich anmutende Kleinbetriebe, die sich ebenfalls kaum genauer auseinanderhalten lassen. Fast 50 Prozent der Selbständigen in Industrie und Handwerk waren im eher kleingewerblich geprägten Bereich der Bekleidungs- und Lederherstellung und -verarbeitung tätig, während die Chemische Industrie, die Textilindustrie, das Druckereiwesen und die Papierindustrie eher von größeren Produktionsbetrieben geprägt wurden.88 Weil Informationen zur Angestelltenzahl, zum Betriebskapital oder zum Umsatz, die zur Größenbestimmung dienen könnten, nicht systematisch überliefert sind, lässt sich kaum eine genaue Vorstellung darüber gewinnen, welchen Umfang die Frankfurter jüdischen Unternehmen durchschnittlich oder in ihrer Gesamtheit annahmen. Abgesehen von der Metallgesellschaft gab es in Frankfurt keine jüdischen Unternehmen, die von ihrer Größenordnung her reichsweit hervorgeragt hätten. Zu den 300 größten Aktiengesellschaften in Deutschland zwischen 1927 und 1932 gehörten mit einem Aktienkapitel von jeweils 6 Mio. RM noch die mit der Firma J. Adler jun. verbundene Aquila AG sowie der Warenhauskonzern Wronker AG, die beide allerdings im Verlauf der Weltwirtschaftskrise in große Schwierigkeiten gerieten.89 Die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass sich der größte Teil der jüdischen Unternehmen in einer Größenspanne zwischen 10 und 100 Mitarbeitern bewegte, während der Anteil ausgesprochener Kleinbetriebe geringer war als in der übrigen Wirtschaft. Das deckt sich mit den Ergebnissen der im Jahr 1932 betriebenen empirischen Erhebungen zum jüdischen Einzelhandel, nach denen in jüdischen Betrieben durchschnittlich wesentlich mehr Personen beschäftigt wurden als im übrigen Einzelhandel (7,9 gegenüber 3,0).90 Die Frankfurter Juden zeigen damit eine Erwerbsstruktur, die mit dem Durchschnitt der jüdischen Bevölkerung in Preußen weitgehend deckungsgleich war. Der Anteil der im Handel beschäftigten Juden an allen jüdischen Erwerbstätigen in Preußen zu dieser Zeit betrug 58,8 Prozent, der Anteil der Selbständigen 48,3 Prozent und der Anteil der Selbstständigen im Bereich Handel und Verkehr 31,5  Prozent.91 Auch die Branchenstruktur wies kaum Unterschiede zu anderen Großstädten wie Berlin, Breslau, Hamburg oder Köln auf. Überall dominierte der Textilsektor mit einem Anteil zwischen 30 und 40 Prozent aller Unternehmen. Während aber in Berlin das produzierende Gewerbe 88 Eigene Berechnungen nach Silbergleit, S.  238–264, vgl. Schmelz, Bevölkerung, S.  262 f., Tab. 5.16. 89 Vgl. Münzel, S. 423–430. 90 Herbert Kahn, Umfang und Bedeutung der jüdischen Einzelhandelsbetriebe innerhalb des gesamten deutschen Einzelhandels. Haupt-Ergebnisse einer wissenschaftlichen Unter­ suchung (auf Grund einer Erhebung in 69 Großgemeinden), Berlin, 1.2.1934, LBI NY, AR 3975, 19. 91 Silbergleit, S. 107–109.

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stärker vertreten war, lag in Hamburg der Anteil der Handelstreibenden noch etwas höher als in Frankfurt. Berlin hob sich gegenüber Frankfurt und den anderen Großstädten vor allem durch die Größe seiner jüdischen Gemeinde ab, auf die allein fast ein Drittel der deutschen Juden entfielen, sowie durch die Konzentration der jüdischen Wirtschaftselite, die hier wie nirgendwo sonst präsent war.92 Frankfurt wiederum zeichnete sich besonders durch seinen hohen Anteil der jüdischen Unternehmen an der städtischen Wirtschaft aus. Die Topographie der jüdischen Gewerbetätigkeit zeigt, dass diese sich fast ausschließlich in den inneren Stadtbezirken nördlich des Mains, nämlich der Altstadt, den ringförmig hierum gelegenen Neustadtbezirken sowie den einen weiteren Ring bildenden Außenstadtbezirken, konzentrierte. In diesem Gebiet hatten über 90 Prozent der jüdischen Unternehmen ihren Sitz. Allenfalls im Stadtteil Bockenheim und im äußeren Sachsenhausen existierte noch eine nennenswerte Anzahl jüdischer Unternehmen, während auf keinen der übrigen Vorortbezirke mehr als 0,6 Prozent entfielen und in den meisten gar keine jüdischen Betriebe zu finden waren. Über 40 Prozent der Unternehmen hatten ihren Sitz in den westlich und nördlich der Altstadt gelegenen Unterbezirken 9, 4, 5 und 6, welche den engeren Innenstadtbereich mit den wichtigen Einkaufsstraßen bildeten. In der Kaiserstraße befanden sich mehr als 150 jüdische Geschäfte, viele weitere zudem in den anliegenden Straßen wie der Taunusstraße, der Weserstraße und der Neuen Mainzer Straße. Auch auf der Zeil, die sich bis in die östliche Neustadt erstreckte, hatten über 60 jüdische Geschäfte eröffnet. Bei den wenigen jüdischen Vorortbetrieben handelte es sich hingegen meist um industrielle Produktionsunternehmen, die sich ansonsten vorwiegend im Gutleutviertel südlich des Hauptbahnhofs sowie an den großen Ausfallstraßen wie der Mainzer oder der Hanauer Landstraße angesiedelt hatten. Vergleicht man die Gewerbetopographie mit der Verteilung der jüdischen Wohnbevölkerung, wird die Konzentration in den städtischen Kernbezirken verständlich, denn hier lebten 1925 auch 90  Prozent der jüdischen Bürger Frankfurts. Innerhalb dieses Gebietes zeigen sich allerdings charakteristische Abweichungen. Abgesehen von einem starken Zug wohlhabender Juden in das Westend, wo die jüdische Bevölkerung schließlich über 20  Prozent der Einwohner stellte, konzentrierte sich die Wohnbevölkerung noch immer zu einem großen Teil auf diejenigen östlichen Stadtbezirke, die zum Ostend gezählt wurden und in der Nähe des früheren Ghettos lagen.93 Demgegenüber wies die jüdische Gewerbetopographie eine starke Westverschiebung hin zur Innenstadt auf. Nur knapp 18  Prozent der jüdischen Unternehmen hatten ihren Sitz im Ostend als dem jüdischen Hauptsiedlungsbezirk, weitere 11 Prozent im Westend, das aber eher eine Wohngegend war. Die jüdische Wohnstruktur zeigte mithin eine deutlich größere Beharrungskraft als die Gewerbestruktur, die sich der allgemeinen Wirtschaftstopographie angepasst hatte. Bei den jüdischen Un92 Kreutzmüller u. a., S. 34–39. 93 Lowenstein, Concentration; vgl. auch Otto.

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ternehmen handelte es sich somit um nichts weniger als um »Milieubetriebe«, vielmehr befand sich der größte Teil der jüdischen Handelsgeschäfte in denjenigen Innenstadtbezirken, in denen die gesamte Frankfurter Bevölkerung flanierte und einkaufte. In der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts hatte die jüdische Bevölkerung in Frankfurt vor allem durch Zuwanderungen zugenommen. Auch unter den jü­dischen Unternehmern, die sich 1933 in Frankfurt betätigten, war nur eine Minderheit in der Stadt selbst geboren. Von 473 Personen, für die Angaben zum Geburtsort überliefert sind, stammten 148, 31 Prozent, aus Frankfurt. Unter den zugewanderten jüdischen Unternehmern waren 12  Prozent im Ausland geboren. Die Mehrheit der Ausländer, knapp 60 Prozent, war aus Österreich-Ungarn nach Frankfurt gekommen, fast alle von ihnen aus der Region Galizien. Weitere 30  Prozent der im Ausland geborenen stammten aus Polen oder Russland, so dass insgesamt 90 Prozent der ausländischen Unternehmer zur Gruppe der sogenannten »Ostjuden« gezählt wurden. Ansonsten kamen die nach Frankfurt zugewanderten Unternehmer zwar aus fast allen Teilen des Reiches, die große Mehrheit aber aus den umliegenden Regionen, namentlich aus dem hessischen Umland, aus Baden sowie aus den fränkischen Landesteilen Bayerns. Fast alle Zugewanderten stammten aus kleinen Ortschaften, während aus anderen Groß- oder auch nur mittleren Städten der umliegenden Regionen wie Mainz, Offenbach, Wiesbaden oder Würzburg nur wenige Juden nach Frankfurt zogen.94 Die jüdische Bevölkerung wies einen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich verschobenen Altersaufbau auf, welcher den allgemeinen Trend in den Industriegesellschaften phasenverschoben vorwegnahm. Es verwundert daher nicht, wenn auch die jüdischen Unternehmer in Frankfurt sich als eine Gruppe vorwiegend gehobenen Alters darstellen. Doch auch gegenüber der jüdischen Gesamtbevölkerung wiesen die Unternehmer noch einmal einen deutlich verschobenen Altersaufbau auf. Fast 46 Prozent von ihnen waren im Jahr 1933 bereits mindestens 50 Jahre alt, während dies nur auf knapp 39 Prozent in der jüdischen Gesamtbevölkerung zutraf.95 Biographische Informationen zur sozialen Herkunft sind nur äußerst spärlich überliefert. Eine Möglichkeit, sich den Lebenswegen der Frankfurter jüdischen Unternehmer, insbesondere ihren Wegen zur unternehmerischen Selbständigkeit zu nähern, bieten die Lebensläufe, die von entschädigungsberechtigten NS-Überlebenden nach 1945 bei den Wiedergutmachungsämtern eingereicht wurden. Aus den herangezogenen Akten konnten 64 solcher Lebensläufe entnommen werden, die zumindest einige wichtige Tendenzen aufzeigen. Diejenigen Unternehmer, die ihrem Entschädigungsantrag einen schriftlichen Lebens­

94 Vgl. auch Barkai, Migrations. 95 Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt sowie eigene Berechnungen nach: Die Bevölkerung des Deutschen Reichs, S. 47.

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lauf beifügten,96 waren im Durchschnitt etwas jünger als die hier erfasste Grundgesamtheit und mehrheitlich in den 1890er Jahren geboren; auch war der Anteil der in Frankfurt Geborenen unter ihnen höher. Die überwiegende Mehrheit von ihnen – von den Frankfurtern nahezu alle – verfügte über eine höhere Schulbildung und hatte mindestens das sogenannte Einjährige, also die Mittlere Reife, erreicht; nur wenige hatten lediglich die Volksschule besucht. Die Ausbildung vollzog sich in der Regel in Form einer mehrjährigen Lehrlingszeit in einem oder verschiedenen Betrieben, etwa 20 Prozent besuchten auch eine Handelsschule oder eine andere weiterführende Berufsfachschule. Ein akademisches Studium und die Promotion waren hingegen eher selten und scheinen vor allem von Söhnen bereits etablierter Unternehmer nicht zuletzt zur persönlichen Bildung betrieben worden zu sein, um anschließend in den väterlichen Betrieb einzusteigen. Von den in Frankfurt geborenen Unternehmern hatte die überwiegende Mehrheit ihre Ausbildung in der Stadt erhalten, wobei manche von ihnen zeitweilig in anderen Orten des Reiches oder im Ausland angelernt wurden. Fast 70 Prozent der Frankfurter traten schließlich in das Unternehmen des Vaters oder anderer Verwandter ein, jedoch war es unüblich, auch die Ausbildung ausschließlich im elterlichen Betrieb zu absolvieren. Von den Zugewanderten hingegen hatte nur eine Minderheit bereits ihre Ausbildung in Frankfurt erhalten; die allermeisten kamen hierhin, um sich in der Stadt unternehmerisch selbständig zu machen. Etwa 20 Prozent von ihnen traten wiederum in schon bestehende Frankfurter Unternehmen von Verwandten ein. Die Bedeutung von Familien- und Verwandtschaftsnetzwerken, die im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen insgesamt hoch ist, war innerhalb der jüdischen Welt in besonderer Weise ausgeprägt.97 Die Hälfte der hier erfassten Unternehmer trat in einen Betrieb von Eltern oder Verwandten ein oder führte diesen weiter. Eheschließungen dienten oftmals dazu, männliche Teilhaber für den elter­lichen Betrieb zu gewinnen, so dass sich unter den jüdischen Unternehmern viele Schwiegersöhne der Gründer finden.98 Die Beständigkeit der jüdischen Gewerbestrukturen hatte nicht zuletzt in diesen ausgeprägten verwandtschaftlichen und intergenerationellen Kontinuitäten eine ihrer wichtigsten Ursachen. Die Bedeutung von Verwandtschaftsnetzwerken im Wirtschaftsleben war Teil einer darüber hinausgehenden intensiven Verflechtung der jüdischen Bevölkerung auf der Ebene der betrieblichen Inhaber-, Leitungs- und Belegschaftsstrukturen. Diejenigen, die ihre kaufmännische Lehre in Frankfurt absolvierten, durchliefen nahezu ausschließlich jüdische Betriebe als Ausbildungsstationen, auch für die auswärtige Ausbildung scheint dies zuzutreffen. Nur in der Bankenbranche war es üblich, eine Ausbildung nicht nur in jüdischen Privatbanken, 96 Zum Verfahrenshintergrund Giessler u. a., S. 227. 97 Foster; zum Phänomen der Familienunternehmen allgemein Sachse sowie Schäfer. 98 Zu jüdischen Heiratsstrategien auch Kaplan, Making, S. 85–116.

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sondern zumindest zum Teil auch in den Großbanken zu absolvieren. Diese Geschlossenheit setzte sich auf der Ebene der Eigentümer- und Leitungsstrukturen fort. Von den knapp 2.000 jüdischen Unternehmen, die im Jahr 1933 im Frankfurter Handelsregister eingetragen waren, ist nur für etwa 40–50 sicher überliefert, dass sie von Juden und Nicht-Juden gemeinsam geführt wurden. Kooperationen bei der Gründung und Leitung eines Unternehmens fanden, auch wenn ihnen keine verwandtschaftlichen Bindungen zugrundelagen, ansonsten ausschließlich zwischen Juden statt. Diese Abgeschlossenheit bezog sich nicht auf die jüdische Gewerbetätigkeit als Ganzes, denn unterhalb der obersten Leitungsebene, etwa auf der Ebene der Prokuristen, sowie unter den Angestellten jüdischer Unternehmen fanden sich zahlreiche Nicht-Juden; auch waren jüdische Unternehmer über ihre vielfältigen Kunden- und Lieferbeziehungen intensiv mit der übrigen Bevölkerung verflochten. In keinem anderen Bereich war das Moment der Ethnizität derart dominant und die Grenze zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Sphäre so ausgeprägt wie in den gewerblichen Besitzstrukturen. Die Veränderungen in der jüdischen Gewerbetätigkeit während der Jahre 1924 bis 1933 sind kaum nennenswert. Wie die jüdische Bevölkerungszahl nahm die absolute Zahl der Unternehmen in dieser Zeit etwas ab. Tab. 3: Eintragung und Löschung jüdischer Unternehmen im Handelsregister 1924–1933 Jahr

1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933

Eintragung

72

46

37

54

29

29

21

16

38

15

Löschung

10

69

54

58

72

64

29

50

113

82

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

Die Gründungsaktivitäten verminderten sich seit 1927 deutlich und bewegten sich nur 1932 noch einmal noch ruckartig noch oben (vgl. Tab. 3). Dies kann dadurch erklärt werden, dass in diesem Jahr zahlreiche Arbeitslose und entlassene Angestellte ins Handelsgewerbe hineindrängten.99 Im Jahr 1932 schnellte gleichzeitig die Zahl der Löschungen dramatisch empor. Das nachfolgende Jahr 1933 ist in der Tabelle 3 noch mit aufgeführt, um zu zeigen, dass für die jüdische Gewerbetätigkeit die Weltwirtschaftskrise sogar von größerer Bedeutung war als die Anfangszeit der NS-Herrschaft, in der die Krise freilich noch nachwirkte und die Zahl der Löschungen auf einem hohen Niveau verblieb.

99 Vgl. Der Einzelhandel. Ergebnisse der nichtlandwirtschaftlichen Betriebszählung 1939, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 8, August 1942, S. 265–271, hier S. 271.

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Die Verteilung zwischen den Wirtschaftssektoren veränderte sich bis auf eine leichte Verschiebung von der Industrie zum Handel nicht. Auch die Verteilung in den wichtigsten Branchen 1933 zeigt gegenüber dem Jahr 1924 kaum Veränderungen. Die hohe Beständigkeit betrifft sowohl die Branchenstrukturen als auch die Unternehmen selbst. Hierfür waren insbesondere die alteingesessenen jüdischen Handelshäuser verantwortlich, die sich während dieser Zeit überdurchschnittlich gut behaupten konnten. Sie bildeten das stabile Fundament der jüdischen Gewerbetätigkeit, während sich die in den 1920er Jahren gegründeten Betriebe nicht gleichermaßen etablierten. Von den 1933 ins Handelsregister eingetragenen jüdischen Unternehmen waren 51 Prozent schon vor 1914 gegründet worden. Von den alteingesessenen Unternehmen überdauerten 78 Prozent bis zum Jahr 1933, während das von den nach 1914 gegründeten Unternehmen nur 57 Prozent gelang. Das stabilste Segement bildeten die jüdischen Großhandelshäuser: Von denjenigen, die vor 1914 gegründet wurden, überdauerten 83 Prozent die Zeit der Weimarer Republik, von den nach 1914 gegründeten waren es 77 Prozent. Insgesamt gesehen konnten sich die jüdischen Unternehmen innerhalb der Frankfurter Wirtschaft zwischen 1924 und 1933 sogar überdurchschnittlich gut behaupten. Da die Gesamtzahl der im Handelsregister eingetragenen Firmen in diesem Zeitraum um etwa 10 Prozent sank, stieg der Anteil der jüdischen Firmen von 27 Prozent auf knapp 29 Prozent, obwohl die jüdische Bevölkerung in Frankfurt abgenommen hatte.

3. Antisemitismus, Krisendiskurse und Krisenentwicklungen Die historische Forschung hat in den letzten Jahren verstärkt die Kontinuität der antisemitischen Diskriminierung und Gewalt von der Weimarer Republik bis zur Zeit des Nationalsozialismus betont und auf die massive Zunahme des Antisemitismus in allen Lebensbereichen bereits lange vor 1933 aufmerksam gemacht.100 Die Feststellung einer quantitativen Zunahme krimineller Vorfälle, antisemitischer Gewaltakte und Propagandaaktionen, deren Ausmaß wohl in der Tat lange unterschätzt worden ist, erscheint aber allein noch nicht geeignet, die Lebenswirklichkeit deutscher Juden während der Weimarer Jahre zu erhellen. Denn wenn auch Anstieg und Verbreitung des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft von jüdischen Beobachtern aufmerksam registriert und durch jüdische Organisationen engagiert bekämpft wurden, dürfte doch gleichzeitig Antisemitismus als konkrete Konfrontation mit antijüdischer Gewalt und Diskriminierung oder als eine fühlbare Beeinträchtigung im gewerblichen Leben noch immer nur für die wenigsten deutschen Juden, insbesondere in einer Großstadt wie Frankfurt, zur Alltagserfahrung gehört haben.101 100 Rahden, Ideologie; Kauders, Politics; Walter; Hecht; Wenge. 101 Zur Wahrnehmung des Antisemitismus während der Weimarer Republik Bergmann/Wetzel.

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Somit blieb Antisemitismus, auch wenn seine Präsenz durchaus wahrgenommen wurde und man sich seiner bewusst war, für viele Juden eher von abstrakter Bedeutung, was jüdische Organisationen wie der 1893 gegründete Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV), der sich dezidiert der Abwehrarbeit gegen den Antisemitismus verschrieben hatte, auch wiederholt beklagten.102 Es ist insofern immer von einer Mehrschichtigkeit in Präsenz und Bewusstsein von Antisemitismus auszugehen, die sich allen Vereindeutigungsversuchen entziehen muss. Auch müssen die Grenzen antisemitischer Politik und Agitation beachtet und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die deutschen Juden an ihrer staatsbürgerlichen und rechtlichen Gleichberechtigung während der Weimarer Zeit wohl weniger als jemals zuvor zweifeln mussten, bewertet werden. Die Welle judenfeindlicher Propaganda und Gewalt, die sich in den Jahren zwischen 1918 und 1923 entfaltete, zeugte durchaus von einer neuen Qualität des Antisemitismus in Deutschland. In den von gewaltsamem Widerstand gegen die neugegründete Republik, von wirtschaftlicher Instabilität und der Erfahrung gesellschaftlicher Desintegration geprägten ersten Nachkriegsjahren bündelten sich multiple Krisen- und Ohnmachtserfahrungen in oftmals antisemitisch aufgeladenen Bildern des »Wucherers«, »Schiebers« und »Inflationsgewinnlers«, die an herkömmliche Stereotype anknüpften und antisemitische Denkweisen weit über das völkisch-radikale Milieu hinaus in der Gesellschaft verbreiteten.103 Seit Sommer 1919 ging ein neuartiger »Pogromantisemitismus« in die Offensive und entfaltete mittels öffentlicher Versammlungen, Flugblättern, Plakaten und anderem Propagandamaterial eine bisher nicht dagewesene Präsenz im öffentlichen Raum und eine Aggressionsstimmung, die sich nicht zuletzt in gewalttätigen Übergriffen auf »jüdisch« erscheinende Bürger entlud.104 Auch in Frankfurt erschien die Lage namentlich im Jahr 1919 durchaus bedrohlich; die dortige Ortsgruppe des Centralvereins, die zu dieser Zeit 1800 Mitglieder zählte, sah sich zur Errichtung eines Nachrichtendienstes veranlasst, der rasch Informationen über antisemitische Vorkommnisse sammeln und weiterleiten sollte, um ihre polizeiliche und juristische Eindämmung zu bewirken.105 Der Centralverein bemühte sich auch um Aufklärung und Sachlichkeit in der öffentlichen Diskussion um jüdische Flüchtlinge und Zuwanderer aus Osteuropa, die als »Ostjuden« in besonderer Weise im Fokus der antisemitischen Propaganda, aber auch behördlicher Diskriminierung und Schikanen 102 E. Baer, Mehr Gründlichkeit. Eine Forderung zur Verurteilung des Judenhasses, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 5, Januar 1928, S. 139 f.; vgl. Niewyk, Jews, S. 84–86 sowie zur jüdischen Abwehrarbeit Paucker, Abwehrkampf; zur Geschichte des Centralvereins Barkai, Wehr Dich. 103 Jochmann; Kauders, Politics, S. 56–88; Geyer, Welt, S. 279–288. 104 Walter, S. 23–51; S. 97–110. 105 Protokoll der ordentlichen Generalversammlung der Ortsgruppe Ffm. am 12.3.1922, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/1263, Bl. 345–350 (CAHJP, M2/8721).

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standen.106 Die jüdischen Vereinsvertreter gingen davon aus, dass vor dem Krieg etwa 400 Ostjuden in Frankfurt ansässig gewesen waren, während sich in den Nachkriegsjahren etwa 2.000 in der Stadt befanden. Dies waren allerdings erheblich weniger als die angebliche Zahl von 15.000–20.000 sich heimlich in Frankfurt aufhaltender ausländischer Juden, die sogar in offiziellen Dokumenten städtischer Behörden kolportiert wurde. Als aufgrund eines Erlasses des preußischen Innenministers vom November 1919 die in Deutschland befindlichen ostjüdischen Flüchtlinge ein vorläufiges Bleiberecht erhielten, protestierten sowohl das städtische Wohnungsamt als auch der Frankfurter Polizeipräsident. Der Magistrat warnte in einem Schreiben an die Reichsregierung vor Ostjuden als Schiebern und Schmugglern, die »einer weit tieferen Kulturstufe entstammen«, und machte sich die überzogenen Zahlenangaben der antisemitischen Propaganda zu Eigen.107 Tatsächlich konnte jedoch von unerträglichen sozialen Belastungen durch die ostjüdischen Zuwanderer schon deswegen keine Rede sein, weil sich jüdische Gemeinde und Hilfsorganisationen, zum Teil mit Hilfe ausländischer Spendengelder, intensiv um mittel- und arbeitslose Auswanderer jüdischen Glaubens bemühten, obwohl auch unter den deutschen Juden durchaus Ressentiments gegenüber ihren osteuropäischen Glaubensgenossen existierten.108 Die Anfeindungen, denen Ostjuden in den Nachkriegsjahren ausgesetzt waren und die nicht zuletzt in den brutalen Ausweisungspraktiken der Bayerischen Staatsregierung zwischen 1920 und 1923 sowie den gewalttätigen Ausschreitungen im Berliner Scheunenviertel im Jahr 1923 ihre Höhepunkte fanden,109 reflektierten eine Mischung von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, die sich als erschreckend konsensfähig erwies und einen Dammbruch für rassistisch-antisemitisches Denken in der deutschen Gesellschaft darstellte. Seit 1923 klangen sie aber wieder merklich ab. Weil bis dahin viele der ostjüdischen Flüchtlinge, denen Deutschland ohnehin nur eine Zwischenstation gewesen war, in andere Länder weitergewandert waren, verschwand das angebliche »Ostjudenproblem« wieder weitgehend aus der Öffentlichkeit.110 Nach land­läufiger Forschungsmeinung gingen in den folgenden Jahren auch die anti­ semitischen Aktionen der völkischen Radikalen zurück, wenn auch weniger stark als lange angenommen. Im Übrigen waren deren Aktivitäten in Frankfurt auch in den Hochzeiten des Antisemitismus immer Grenzen gesetzt. So weigerte sich zum Beispiel die Verwaltung des Volksbildungsheims, Räume für die Veranstaltungen deutschnationaler Vereine zu vergeben, weil dort antisemitische Provokationen vorkamen, was zu einer kleineren Debatte in der 106 Maurer, Ostjuden, S. 104–153; Gosewinkel. 107 Zitiert nach: Karpf, S. 114–117; Abdruck des Erlasses bei Adler-Rudel, Ostjuden, S. 158– 161. 108 Wippermann, Bd. 1, S. 42–51; Heuberger/Krohn, S. 138–140. 109 Large; Walter, S. 52–79; zur Internierung und Ausweisung von Ostjuden aus dem Deutschen Reich Maurer, Ostjuden, S. 355–435. 110 Ebd., S. 68–72; S. 479–491.

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Frankfurter Stadtverordnetenversammlung führte.111 Gesellschaftliche Schutzmechanismen gegen Antisemitismus blieben auch jenseits der jüdischen Abwehrarbeit erhalten. Mit radikalem Antisemitismus hatte sich in Frankfurt in den Jahren bis 1923 vor allem der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DSTB) hervorgetan. Die nationalsozialistische Bewegung, die sich in Bayern bereits zu einiger Bedeutung aufgeschwungen hatte, spielte in Hessen zu dieser Zeit noch keine Rolle. Im April 1922 gegründet, rekrutierte die erste Frankfurter NSDAP-Ortsgruppe ihre Mitglieder vor allem aus der schon bestehenden völkischen Szene, namentlich aus der Anhängerschaft des schließlich verbotenen DSTB.112 Nur wenige Wochen nach ihrer ersten Versammlung wurde die Partei durch den Frankfurter Polizeipräsidenten einem Versammlungs- und Publikationsverbot unterworfen, das eine Weiterexistenz allenfalls in Form diverser Tarn- und Ausweichorganisationen möglich machte. Persönliche Streitigkeiten und Kompetenzkonflikte ließen auch die Aktivitäten der ebenfalls 1922 gegründeten Frankfurter SA weitgehend erlahmen, die im Sommer 1923 noch durch gewalttätige Überfälle auf ein von jüdischen Gästen frequentiertes Lokal sowie einen Betsaal im Ostend auf sich aufmerksam gemacht hatte.113 Während der Verbotszeit verschwanden die NSDAP und ihre Verbände von der Bildfläche und traten erst seit 1926 wieder verstärkt hervor. Die Partei litt aber weiterhin unter einer allenfalls stagnierenden Mitgliederzahl.114 Zunehmend entdeckten die Nationalsozialisten die Kommunalpolitik als Plattform für ihre Agitation. Waren bereits 1924 vier Nationalsozialisten auf den Wahllisten des Völkisch-sozialen Blocks in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eingezogen, konnte die Partei ihre Mandatszahl bei den Wahlen von 1929 mit einem Stimmenanteil von 9,9 Prozent auf neun erhöhen.115 In den folgenden Jahren entfaltete die NSDAP-Fraktion im Stadtparlament ein rhetorisches Dauerfeuer gegen die Politik des als »jüdisch« angefeindeten Oberbürgermeisters Ludwig Landmann. Seit seiner Wahl 1924 verfolgte dieser mit Unterstützung der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion eine Strategie der kommunalen Expansion, die auf die Erweiterung des Stadtgebietes, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, die Gründung städtischer Gesellschaften und die Beteiligung der Stadt an überregionalen Unternehmungen der Energieproduktion und des Verkehrs zielte, deren Kostendeckung während der Weltwirtschaftskrise indes immer stärker in Gefahr geriet.116 In ihrem hetzerischen Kampf gegen das »System Landmann« kooperierten die Nationalsozialisten partiell mit anderen Kräften, insbesondere der Deutschen Volkspartei, deren energischs111 Maly, S. 364 f. 112 Schön, S. 16–53. 113 Adalbert Gimbel, Geschichte der Frankfurter SA 1922–1925, o. D., HStAW, Abt. 483, 1264, Bl. 24 f. 114 Schön, S. 74–99. 115 Köhler, Nationalsozialisten, S. 441–444. 116 Rebentisch, Landmann, S. 147–187.

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ter Exponent gegen die Politik des Magistrats ausgerechnet der Unternehmer Richard Merton war, dessen jüdische Abstammung der Frankfurter NSDAPFraktion jedoch unbekannt zu bleiben schien.117 An inhaltlichen Auseinandersetzungen waren die NS-Abgeordneten wenig interessiert, nutzten vielmehr die öffentliche Bühne der Stadtverordnetensitzungen, um sich in hemmungslosen Beleidigungen gegen die jüdischen Magistratsmitglieder und Abgeordneten zu ergehen und den parlamentarischen Betrieb immer wieder durch unsinnige Anträge und vielfältige Störmanöver zu unterminieren. Schon in den letzten Jahren vor der NS-Machtübernahme war ein geordneter Ablauf der parlamentarischen Arbeit kaum noch gewährleistet.118 Die Wahlerfolge der NSDAP wurden von jüdischen Beobachtern und der jüdischen Presse aufmerksam zur Kenntnis genommen.119 Noch bis Anfang 1933 dürften jedoch viele Juden – wie viele andere Deutsche auch – nicht ernsthaft an eine Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten geglaubt haben. Während insbesondere in den kleinen und mittleren Ortsgemeinden ländlicher Gebiete antisemitische Boykotte jüdische Geschäftsinhaber schon vor 1933 in eine gewisse Bedrängnis bringen konnten,120 ist dies für Großstädte wie Frankfurt am Main ziemlich sicher auszuschließen. Die dortige Ortsgruppe des Centralvereins konnte noch Ende 1931 von einer vergleichsweise erfolgreichen Abwehrarbeit gegen antisemitische Aktionen der Nationalsozialisten berichten.121 Die Frankfurter Polizei entfernte in der Stadt laufend entsprechende Klebezettel und Plakate, und durch die Tätigkeit des genannten jüdischen Nachrichtendienstes konnten viele antisemitische Straftaten schnell aufgeklärt oder bereits vor ihrer Ausführung verhindert werden. Auch wenn in den Quellen einige Berichte und Äußerungen von jüdischen Unternehmern über antisemitische Vorfälle insbesondere aus dem Jahr 1932 überliefert sind, kann kaum angenommen werden, dass die jüdische Gewerbetätigkeit in Frankfurt durch die Aktivitäten der Nationalsozialisten vor der Machtübernahme nennenswert beeinträchtigt wurde. Die antisemitischen Boykottaktionen seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gingen so gut wie ausschließlich von den Nationalsozialisten aus. Ihre Wirkung musste begrenzt bleiben, solange die NSDAP von der Macht ferngehalten wurde. Es ist daher erklärlich, dass Aufstieg und Verbreitung des Antisemitismus in der jüdischen Presse zwar regelmäßiges Thema waren, sich die Diskussionen unter den deutschen Juden über Gegenwart und Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland jedoch im Kern nicht um das Phänomen des radikalen 117 Köhler, Nationalsozialisten, S.  452; zu Richard Merton als Stadtverordnetem Bermejo, S. 252–262. 118 Rebentisch, Landmann, S. 255–288; ders., Frankfurt, S. 469–476. 119 Edelheim-Muehsam; Bernstein, Emanzipation. 120 Vgl. Morgenthaler; Wildt, Volksgemeinschaft; Brügmann; Ahlheim, Deutsche. 121 Tätigkeitsbericht Ortsgruppe Ffm. für die Jahre 1928–1931, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/1263, Bl. 62–76 (CAHJP, M2/8721).

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politischen Antisemitismus drehten.122 Vielmehr überwogen Betrachtungen zur demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Situation der deutschen Juden, in denen sich bereits früh eine ausgesprochen negative Krisenstimmung bemerkbar machte.123 In diesem Zusammenhang wurde die sozialgeschichtliche Entwicklung der Juden in Deutschland von zeitgenössischen Forschern und Publizisten intensiv diskutiert,124 und viele Inhalte dieses Diskurses strahlten auch in die jüdische Tages- und Gemeindepresse aus, so dass einige Positionen und Schlagwörter bald zum Allgemeingut in der jüdischen Öffentlichkeit gehörten. Struktur, Entwicklung und Zukunft der jüdischen Gewerbetätigkeit spielten in diesem Diskurs eine zentrale Rolle. Die jüdische Geschichte in Deutschland erschien den Zeitgenossen gleich in mehrfacher Hinsicht als eine Geschichte der Rückbildung und der Auflösung. Schon seit der Jahrhundertwende hatten nicht nur jüdische Wissenschaftler aufmerksam die rückläufige demographische Entwicklung der deutschen Juden beobachtet, die sich nach einer kurzen Geburtenwelle nach dem Ersten Weltkrieg stetig fortzusetzen schien. Der jüdische, zionistisch orientierte Arzt und Sexualwissenschaftler Felix Theilhaber hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg den allmählichen Untergang der deutschen Juden beschworen und verschärfte in einer Neuauflage von 1921 seine Thesen nochmals.125 Nüchternen Betrachtern war hingegen seit längerem aufgefallen, dass die Merkmale des natürlichen Bevölkerungsrückganges unter den deutschen Juden, nämlich insbesondere eine sinkende Geburtenrate, sich auch in der Gesamtbevölkerung abzeichneten, so dass die jüdische Bevölkerung gleichsam ein Abbild der zukünftigen Entwicklung lieferte und allgemeine Trends aufgrund ihrer spezifischen Struktur bereits um Jahrzehnte phasenverschoben vorwegnahm.126 Die Situation schien gleichwohl alarmierend: Heinrich Silbergleit, der 1930 die grundlegende Auswertung der Bevölkerungszählung von 1925 aus jüdischer Perspektive vorlegte, sprach angesichts des seit 1924 (seit 1926 auch in Frankfurt) einsetzenden Sterblichkeitsüberschusses unter den deutschen Juden vom »Zusammenbruch der jüdischen Bevölkerungsentwicklung von innen heraus.«127 Es kam hinzu, dass die jüdische Bevölkerung jenseits der demographischen Entwicklung noch durch zwei spezifische Faktoren vermindert wurde, nämlich die Austritte aus dem Judentum sowie die zunehmende Zahl sogenannter »Mischehen« zwischen Ju122 Zu den – vorwiegend politischen – Zukunftserwartungen der deutschen Juden während der Weimarer Republik Toury, Krisenbewußtsein; Zimmermann, Republik; ders., Zukunftserwartungen; kritisch hierzu Liepach, Krisenbewusstsein. 123 Zum Spannungsverhältnis pessimistischer und optimistischer Zukunftserwartungen während der Weimarer Republik, in das sich die deutschen Juden allerdings nicht recht einfügen, Graf, S. 83–113. 124 Einen Überblick gibt Barkai, Wirtschaftsgeschichte. 125 Theilhaber. 126 Vgl. E. Kahn, Die Zersetzungsgefahren bei den deutschen Juden. Gedanken eines Statistikers, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 10, Juni 1930, S. 396–400. 127 Silbergleit, S. 38.

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den und Nicht-Juden, von denen angenommen wurde, dass ihre Nachkommen mehrheitlich der jüdischen Konfession verlorengingen.128 Während sich die Prognosen zur Abnahme der jüdischen Bevölkerung zum Teil erst auf eine zukünftig erwartbare Entwicklung bezogen, stand den Zeit­ genossen als höchst gegenwärtige und konkrete Krisenentwicklung der Prozess eines wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs der jüdischen Bevölkerung in Deutschland vor Augen, der vor allem unter dem Schlagwort der »Proletarisierung« debattiert wurde. Diese Diskussion setzte keineswegs erst in der Weltwirtschaftskrise ein. Der Wirtschaftsredakteur der Vossischen Zeitung Kurt Zielenziger warnte bereits 1925 vor einem Untergang des jüdischen Mittelstandes.129 Ganz im Widerspruch zu den antisemitischen Propagandafiktionen ging er davon aus, dass die jüdische Bevölkerung durch die wirtschaftliche Entwicklung der Kriegs- und Nachkriegszeit stärker in Mitleidenschaft gezogen worden sei als der Bevölkerungsdurchschnitt. Die stagnierenden Steuereinnahmen der Jüdischen Gemeinden schienen darauf hinzudeuten, dass sich der relative Einkommensvorsprung der jüdischen vor der übrigen Bevölkerung während der 1920er Jahre zumindest verkleinerte.130 Wissenschaftler wie der Statistiker Israel Koralnik sahen aus einer vergleichenden Perspektive hierin vor allem die Folge eines allmählichen Angleichungsvorgangs in den kapitalistischen Ländern, in denen die nicht-jüdische Bevölkerung immer stärker in Wirtschaftsbereiche vordringe, in denen sich auch die jüdische Bevölkerung seit jeher konzentriert hatte, so dass letztere zwangsläufig unter zunehmenden Konkurrenzdruck geraten müsse.131 Der jüdische handelstreibende Mittelstand, den dies vorrangig betraf, erschien aber in noch grundsätzlicherer Weise als Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklung. Max Kreutzberger, einer der zentralen Akteure der jüdischen Wohlfahrtspflege während der Weimarer Republik, beschrieb die kapitalistische Wirtschaft als in einem grundlegenden Umbruch begriffen, der sich vor allem durch immer stärkere Konzentrationstendenzen auszeichne und den beruflich Selbständigen zunehmend weniger Raum lasse.132 Erschien in diesem Lichte der Handel als solcher bereits in einer strukturellen Anpassungskrise, mussten die deutschen Juden von dieser Entwicklung nicht nur weit überdurchschnittlich, sondern in ihrer wesentlichen Existenzgrundlage getroffen sein.133 Diesen Gedanken arbeitete auch Alfred Marcus in seiner einflussreichen empirischen Untersuchung 128 Kahn, Juden; zum Diskurs über die jüdisch/nicht-jüdischen Mischehen auch Rahden, Juden, S. 143–147. 129 K. Zielenziger, Der Untergang des jüdischen Mittelstandes, in: CV-Zeitung, Nr.  46, 13.11.1925, S. 729 f. 130 Wo ist der jüdische Wohlstand geblieben? Die Steuerstatistik der Berliner Jüdischen Gemeinde, in: CV-Zeitung, Nr. 6, 5.2.1926, S. 64; vgl. auch Zur jüdischen Wirtschaftsnot. Tatsachen und Ziffern, in: ebd., Nr. 7, 13.2.1931, S. 71. 131 Koralnik, Zukunft; vgl. Adler-Rudel, Wirtschaftssituation. 132 Kreutzberger. 133 Ebd., S. 135 f.

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»Die wirtschaftliche Krise des deutschen Juden« aus, in der er am Beispiel einiger Wirtschafsbranchen, in denen Juden von jeher besonders stark vertreten waren, zu zeigen versuchte, dass zum einen diese Branchen als solche einer rückläufigen Entwicklung unterlagen und zum anderen auch der relative Anteil der jüdischen Unternehmen in diesen Branchen im Rückgang begriffen war, diese sich also einer doppelten Krisenentwicklung ausgesetzt sahen.134 Er teilte dabei die weit verbreitete Ansicht, dass der Handel als angestammtes Tätigkeitsgebiet der Juden in seiner bestehenden Form überlebt sei und als ökonomischer Faktor zunehmend ausgeschaltet werde.135 Der jüdische Krisendiskurs berührte und überlagerte sich mit allgemeineren Diskursen über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung einer spät­ kapitalistischen Gesellschaft. Die jüdischen Zukunftserwartungen artikulierten ins­besondere die Sorgen eines bürgerlichen Mittelstandes, der sich im Zeichen fortschreitender Industrialisierung und der Formation gesellschaftlicher Klassen in seinen sozialen Grundlagen gefährdet und der Proletarisierung entgegentreiben sah.136 Ein solches Klima der Abstiegserwartungen und Verlustängste brachte der Soziologe Theodor Geiger in seinem bekannten Aufsatz »Panik im Mittelstand« auf den Begriff.137 Vertreter des deutschen Judentums sahen aber auch spezifische Bedrohungsmomente, die nur sie als Juden betrafen. Weniger die offenen Anfeindungen und Angriffe der Rassenantisemiten standen dabei im Vordergrund als die schon seit längerem beobachtbaren Exklusionstendenzen in der Wirtschaft. Über die Rolle des Antisemitismus bestand keine völlige Einigkeit, betonten doch einige Autoren immer wieder, dass die Verdrängung von Juden aus ihren wirtschaftlichen Positionen nicht auf explizite Ausgrenzung, sondern auf strukturelle Ursachen zurückzuführen sei.138 Gleichwohl drehte sich die Krisendiskussion immer wieder auch um anti­ semitische Tendenzen in der Wirtschaft, welche insbesondere die jüdischen Angestellten und Arbeiter betrafen.139 Dieser Diskussionsstrang setzte ebenfalls deutlich vor der Weltwirtschaftskrise ein. Schon 1927 beklagte Sholem AdlerRudel aus den Erfahrungen der jüdischen Arbeitsvermittlung heraus eine zunehmende Verdrängung von Juden aus ihren Angestelltenpositionen.140 Nicht nur über antisemitische Entlassungen, sondern über einen regelrechten »Prozeß der Boykottierung des jüdischen Angestellten in Deutschland« berichtete mit Alfred Berger ein weiterer Autor aus der Praxis der Arbeitsvermittlung.141 Die Anzeichen für antisemitische Exklusionsmechanismen im Arbeitsleben 134 Marcus, Krise. 135 Ders., Lage. 136 Vgl. hierzu zeitgenössisch Grünberg sowie Wirsching; Nolte, S. 114–118. 137 Geiger, Panik. 138 Z. B. F. Millner, Die Konzentrationsbewegung und die deutschen Juden, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 1/2, September/Oktober 1928, S. 5 f. 139 Zum Folgenden auch Ahlheim, Deutsche, S. 134–154. 140 Adler-Rudel, Arbeitsnachweis. 141 Berger, S. 10.

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verdichteten sich und wurden wiederholt von jüdischen Organisationen und ihren Vertretern thematisiert.142 Im März 1928 veranstaltete der Centralverein anlässlich seiner jährlichen Hauptversammlung mehrere öffentliche Kundgebungen, um gegen den Ausschluss von Juden aus dem Arbeitsmarkt zu protestieren.143 Seinem Selbstverständnis gemäß appellierte der CV auch an die jüdischen Erwerbstätigen selbst, durch »Steigerung der jüdischen Leistung« die Chancenungleichheit zu kompensieren und möglichen Vorurteilen durch Beweis des Gegenteils zu begegnen. Ob wirtschaftlicher Leistungswille allein jedoch geeignet sei, die deutschen Juden aus ihrer prekären Lage zu befreien, davon waren keineswegs alle Beobachter überzeugt. Schon früh bildete sich das Bild einer durch von außen gesetzte Schranken in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit gehemmten und im selbständigen Handelsgewerbe regelrecht zusammengepferchten jüdischen Bevölkerung heraus. Aus diesem zunehmend unter Druck geratenden Wirtschaftssektor schien kein Entkommen möglich, weil den deutschen Juden andere Berufs- und Laufbahnmöglichkeiten systematisch verschlossen blieben.144 In der Retrospektive erscheinen viele der pessimistischen, bisweilen geradezu apokalyptischen Zukunftsprognosen der deutschen Juden um Auflösung und Proletarisierung, wie viele andere Zukunftserwartungen der Zeit auch, einiger­ maßen übertrieben.145 Weder wurden Handel und Handwerk als Erwerbszweige aus der Volkswirtschaft verdrängt noch die mittelständischen und Angestelltenschichten von einer expandierenden Arbeiterklasse aufgesogen. Auch von zeitgenössischen Diskussionsteilnehmern wurde bereits vor einer übertriebenen Krisenrhetorik gewarnt.146 1932 relativierte Theodor Geiger seine Prognosen zum unausweichlichen Untergang von Handwerk und Kleingewerbe.147 Dennoch vermitteln die sensiblen Wahrnehmungen der sich wandelnden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen jüdischer Existenz in Deutschland ein eindringliches Bild von den Stimmungen und Sorgen, welche das Nachdenken über die jüdische Gewerbetätigkeit während der Weimarer Republik bestimmten. Bringt man diese Eindrücke mit den empirischen Befunden des vorangegangenen Kapitels zusammen, ergeben sich einige zusätzliche Anhaltspunkte für die Erklärung der spezifischen Strukturbeständigkeit der jüdischen Unternehmen. Insbesondere die fühlbaren Exklusionstendenzen gegenüber jüdischen Angestellten, die sich kaum quellenmäßig fassen lassen dürften, jedoch 142 An die Angestellten!, in: CV-Zeitung, Nr.  19, 11.5.1928, S.  260; M. Seelig, Probleme jüdischer Wanderung und Wanderfürsorge, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 5, Januar 1929, S. 138–140. 143 Unser Recht auf Arbeit. Eine Kundgebung des C. V. gegen den Boykott jüdischer Angestellter, in: CV-Zeitung, Nr. 10, 9.3.1928, S. 133; Hauptversammlung des Centralvereins, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 7, März 1928, S. 216 f. 144 So bereits L. Holländer, Gesperrte Berufe, in: CV-Zeitung, Nr. 31, 30.6.1926, S. 405. 145 Vgl. Niewyk, Impact, S. 35 f. 146 Vgl. etwa Naphtali. 147 Geiger, Schichtung, S. 87.

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im jüdischen Diskurs derartig häufig thematisiert wurden, dass ihnen eine reale Wirkungsmacht kaum abgesprochen werden kann, scheinen ein bislang vernachlässigtes Erklärungsmoment zu liefern.148 Sie deuten darauf hin, dass die Konzentration und Binnenverflechtung der Juden in der deutschen Wirtschaft ihre Ursache nicht allein in den inneren, auf die Perpetuierung von Berufsmustern ausgerichteten Generationen- und Netzwerkstrukturen, noch weniger in einem habitualisierten Streben nach Selbständigkeit hatten, sondern Mobilität und Anpassungsspielräume der deutschen Juden auch durch externe Grenzen und Beschränkungen limitiert waren. Freilich ist anzunehmen, dass sich diese Momente in Wechselwirkung befanden insofern, als bei individuellen Entscheidungen über Berufs- und Karrierewege bestehende oder vermeintliche Chancenungleichheiten von vielen bereits mitkalkuliert worden sein dürften. In der Weltwirtschaftskrise unterlag der Diskurs über die wirtschaftliche Zukunft der Juden noch einmal einer Veränderung und Verschärfung. Nicht mehr nur die Existenz antisemitischer Exklusionstendenzen an sich war nun das Thema, sondern es verdichteten sich die Hinweise darauf, dass sich die Entfaltungsmöglichkeiten solcher Exklusionspotentiale in dem Maße vergrößern mussten, in dem sich das Wesen der deutschen Wirtschaft veränderte. Zum einen betonten jüdische Autoren immer wieder die zunehmende Tendenz zur »Gebundenheit« bzw. zur »Kollektivierung« der Wirtschaft. Hiermit waren Konzentrationsentwicklungen hin zu hocharbeitsteiligen Großbetrieben und zu weitgespannten Kartellen ebenso gemeint wie der zunehmende Ausbau staatlicher und kommunaler Eigenbetriebe, wie er gerade in Frankfurt seit den 1920er Jahren energisch betrieben wurde.149 Israel Koralnik prognostizierte, dass eine solche Entwicklung auch eine bisher ungekannte Ballung von Organisations- und Interessenmacht mit sich bringe, gegen die sich die jüdischen Unternehmer als selbständige Einzelkämpfer nur schwer würden behaupten können. Auch ein bisher latenter Antisemitismus drohe sich innerhalb einer solchen Konstellation in fataler Weise auszuwirken.150 Nochmals verschärfen mussten sich diese Gefahrenmomente indessen, als im Zuge der Weltwirtschaftskrise das System einer freien und unreglementierten Wirtschaft in Frage gestellt zu sein schien und die Reichsregierungen sich unter dem Druck von Interessenverbänden immer stärker einer interventionistischen Wirtschaftspolitik unter dem Primat des Staates hingaben.151 Seit der Kanzlerschaft Heinrich Brünings stützten sich die Regierungen dabei auf präsidiale Notverordnungen, während das Parlament seine Mitsprache- und Gestaltungsrechte bereits Jahre vor dem Ende der Weimarer Republik weitge148 Vgl. Hecht, S. 344. 149 Lestschinsky, S. 169; zur Kartellisierung Lederer. 150 Koralnik, Wandlungen; die Anerkennung der Juden als nationale Minderheit angesichts der sozialen Bedrohungslage forderte Marx. 151 James, Deutschland, S. 19; Abelshauser, Epochenbedeutung, S. 20–22; Feldman, Aspekte.

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hend verloren hatte.152 Dass nun einzelne Gruppen in unkontrollierbarer Weise Einfluss auf die Regierungspolitik ausübten, versetzte jüdische Beobachter in Alarmstimmung, wobei allerdings weniger die Lobbypolitik der Industrie- und Agrar­verbände im Fokus stand als die immer lauter werdenden Rufe der politischen Mittelstandsbewegung nach einer Abkehr von der Gewerbefreiheit.153 Im ersten Kabinett Brüning war die Reichspartei des deutschen Mittelstands erstmals mit einem Minister vertreten; mit einer Sondersteuer für Warenhäuser und Großbetriebe des Einzelhandels erfüllte sie eine langjährige Forderung der Mittelstandsbewegung.154 In einer Notverordnung vom März 1932 gab die Reichsregierung in einigen weiteren Punkten nach, indem sie das Zugabe- und Ausverkaufswesen beschränkte und für Ortschaften mit weniger als 100.000 Einwohnern eine Neuerrichtungssperre für Einheitspreisgeschäfte bis zum 1. April 1934 bestimmte.155 Insgesamt präsentierte sich jedoch die Krisenpolitik unter Brüning für den Mittelstand eher als ein »Wechselbad von protektionistischen und belastenden Maßnahmen«,156 so dass sich die Mittelstandsorganisationen und der Reichskanzler zunehmend entfremdeten. Trotz einiger Zugeständnisse stand der gewerbliche Mittelstand gegenüber der ungleich erfolgreicheren Lobbyarbeit der Großindustrie und der Agrarverbände zurück, zumal seine zentrale Forderung, die Einführung einer Zulassungspflicht für Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte, nicht erfüllt wurde. Somit blieb die vom letzten nicht-nationalsozialistischen Reichskanzler Kurt von Schleicher erlassene Notverordnung vom Dezember 1932, mit der die Neuerrichtungssperre für Einheitspreisgeschäfte auf alle Ortschaften ausgedehnt wurde und nun auch Verlegungen und Erweiterungen betraf, hinter den hochgespannten Erwartungen zurück, obschon sie den Höhepunkt der protektionistischen Gesetzgebung der Weimarer Republik darstellte.157 Es waren nicht so sehr die beschlossenen Maßnahmen als solche, die jüdischen Kommentatoren Sorgen bereiteten, sondern die Mechanismen, nach denen sie zustandekamen, und die wirtschaftspolitischen Tendenzen, auf die sie verwiesen. Auch die zahlreichen kleinen und mittleren Handelsunternehmen im Besitz von Juden waren der Konkurrenz der Warenhauskonzerne ausgesetzt, und dass sich die wichtigsten unter diesen Konzernen ebenfalls in jüdischem Besitz befanden, änderte daran nichts. Doch dass nun protektionistische Maßnahmen gegen einzelne Betriebsformen ergriffen wurden, entsprang sichtbar 152 Petzina, Wirtschaft, S. 102; vgl. Feldman, Kultur. 153 Gellately, Politics, S. 197–207; Winkler, Mittelstand. 154 Zur Geschichte der Warenhaussteuer Spiekermann, Warenhaussteuer. Die Einführung war als Art.  VII, § 1 verborgen im Gesetz zur Änderung des Biersteuergesetzes vom 15.4.1930, RGBl. I, S. 136. Die Kabinettsbeteiligung der Reichspartei währte nur bis Dezember 1930; vgl. Schumacher, S. 135–160. 155 VO des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9.3.1932, RGBl. I, S. 121. 156 Winkler, Mittelstand, S. 145. 157 VO des Reichspräsidenten über Wirtschaft und Finanzen vom 23.12.1932, RGBl. I, S. 571; vgl. Winkler, Mittelstand, S. 147–151.

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einem nicht mehr demokratisch kontrollierten Verbandslobbyismus, in dessen Verlauf sich gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen versuchten. Und hierin lag für eine Minderheit wie die jüdische Bevölkerung eine grundsätzliche Gefahr. Protektionismus und Intervention, namentlich in der Form staatlicher oder korporativer Zulassungsverfahren zum Gewerbeleben, konnten sich leicht als Einfallstore für antisemitische Diskriminierung herausstellen.158 Schon subkutane Ressentiments würden sich unter diesen Bedingungen auf die Chancengleichheit von Juden auswirken.159 Die deutschen Juden waren sich der Tatsache nur zu bewusst, dass zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Betätigung die Gewerbefreiheit essentiell war. Diese schien in den letzten Jahren der Weimarer Republik immer stärker in Frage gestellt. Deutsche Juden nahmen sich in der Endphase der Weimarer Republik somit als einer dreifachen Bedrohung ausgesetzt wahr. Schienen bereits die über­ geordneten wirtschaftlichen Makrotrends gegen die jüdischen Gewerbetreibenden zu sprechen, drohten die im Verlauf der Weltwirtschaftskrise auftretenden sozialen Verteilungskämpfe noch zusätzliche Einfallstore für ohnehin bestehende antisemitische Ausgrenzungstendenzen zu generieren, neben denen der politische Antisemitismus der Nationalsozialisten für die soziale und wirtschaftliche Existenz sogar die geringere Bedrohung darstellte. Für diesen auf Gewalt, Vertreibung und Vernichtung zielenden Antisemitismus öffnete erst die NS-Machtübernahme seit Januar 1933 die Schleusen und bildete damit eine unhintergehbare Zäsur. Eine Konstellation, in der sich soziale Verdrängungskämpfe und staatliche Interventionen in das Wirtschaftsleben gegen die Juden zu richten drohten, hatte sich hingegen bereits zuvor herausgebildet. Das bedeutet nicht, dass die jüdische Bevölkerung bereits am Ende der Weimarer Republik vor der ökonomischen Vernichtung gestanden hätte oder die weitere Entwicklung während des Nationalsozialismus vorherbestimmt gewesen wäre. Was die jüdischen Zeitgenossen am Ende der Weimarer Republik wahrnahmen, waren vor allem Gefahrenpotentiale. Wie diese sich jedoch auswirken würden, hing entscheidend davon ab, in welcher Weise das im Januar 1933 an die Macht gelangende nationalsozialistische Regime seinen rabiaten Antisemitismus auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens und der Wirtschaftspolitik ausleben, in welcher Weise sich die Dynamik der verschärften gesellschaftlichen Verdrängungs- und Verteilungskämpfe gegen die deutschen Juden richten und in welcher Weise sich die nun zunehmend staatlich gesteuerte Wirtschaft nach der Krise entwickeln sollte. Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme war nicht nur für die jüdischen Zeitgenossen keine dieser Entwicklungen auch nur annähernd vorherzusehen.

158 Lestschinsky, S. 150. 159 A. M., »Ordnung in der Gewerbefreiheit«, in: Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik, Jg. 3, 1932, S. 419–421.

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II. Jüdische Unternehmer während des Nationalsozialismus

1. Judenverfolgung und wirtschaftliche Verdrängung a) Gewerbepolitik, Rüstungswirtschaft und Antisemitismus Die Machtübernahme der Nationalsozialisten, die aus ihren antisemitischen Zielen nie einen Hehl gemacht hatten, bedeutete für die deutschen Juden nicht nur eine politische Gefahr. Sie schien auch die Befürchtungen einer weiteren Verschärfung der sozialen und ökonomischen Verwerfungen, denen sich die deutschen Juden ausgesetzt sahen, zu bestätigen. Das Jahr 1933 verhalf nicht allein einer politischen Programmatik zum Durchbruch, sondern entfesselte auch eine soziale Dynamik, in der sich vielfältige materielle Erwartungs- und Anspruchshaltungen artikulierten. Nachdem es während der Endphase der Weimarer Republik immer deutlicher zu werden schien, dass die verfügbare Verteilungsmasse unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise die Integration der auseinanderlaufenden gesellschaftlichen Interessen nicht mehr erlaubte,1 schufen die nationalsozialistischen Machthaber nicht zuletzt durch die Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung einen neuen Handlungsrahmen, innerhalb dessen sich Verteilungsfragen als völlig neu zu verhandelnde darstellten.2 Dass ihre Machtübernahme eine zunächst weitgehend offene Handlungs­ situation herstellte, resultierte auch aus der unbestimmten, nach taktischen Gesichtspunkten auf verschiedene Adressatengruppen ausgerichteten Programmatik und Wahlkampfpraxis der Nationalsozialisten. Kaum jemand vermochte zu sagen, was das wirtschaftspolitische Konzept der neuen Reichsregierung sein würde. Umso mehr verstärkte sich allenthalten der Eindruck, nur durch kraftvolles Eintreten für die eigenen Interessen sei es möglich, die eigene Position – und sei es zu Lasten Dritter  – zu verbessern. Ganz entgegen den Vorstellungen einer der »Gleichschaltung« unterliegenden Gesellschaft setzten sich daher die sozialen Verteilungskämpfe ungebrochen fort bzw. entfalteten sich in neuer Weise. Materielle Interessen und Ideologie verschränkten sich, indem die Deutungsangebote der diffusen nationalsozialistischen Weltanschauung von verschiedener Seite in utilitaristischer Weise aufgegriffen wurden.3 1 Peukert, S. 243–265. 2 Vgl. Broszat, Motivation. 3 Schmidt; Hüttenberger, Interessenvertretung; Bajohr, Ämter.

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Wohin die hiermit verbundene Verdrängungsdynamik und die lautstarken Forderungen nach protektionistischen Maßnahmen führen sollten, blieb zunächst ungewiss. Dass es um nichts weniger als eine politische Umwälzung im Gewerbeleben ging, machten allerdings die Anhänger der politischen Mittelstandsbewegung unmissverständlich deutlich, die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Stunde des Handelns gekommen sahen. Ihre Zielperspektive war mit der gänzlichen Abschaffung der Waren- und Kaufhäuser ebenso klar wie radikal formuliert, wenn auch weder auf Seiten der Mittelstandsaktivisten noch auf Seiten der NS-Führung eine Vorstellung bestand, auf welchem Weg ein solches Ziel konkret erreicht werden könnte, ohne einen wirtschaftlichen Flurschaden größten Ausmaßes anzurichten. Das Warenhaus­ problem geriet damit zur ersten Probe in der Frage, inwieweit die nationalsozialistische Regierung das Gewerbeleben ideologischen Eingriffen im Sinne ihrer erklärten Programmatik unterwerfen würde. Die NSDAP hatte sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik zum Vorreiter im Kampf gegen die Warenhäuser aufgeschwungen und damit an die Spitze der politischen Mittelstandsbewegung gestellt.4 Nach der Regierungsübernahme führte die NS-Führung allerdings lediglich die Politik der Präsidialkabinette fort. Mit dem am 12.  Mai 1933 erlassenen Gesetz zum Schutze des Einzelhandels verfügte sie bereits nach kurzer Amtsdauer ein vollständiges Verbot der Neuerrichtung von Waren- und Kaufhäusern.5 Außerdem verbot das Gesetz die Neuerrichtung selbständiger Handwerksbetriebe in Warenhäusern, eine Zusatzverordnung bestimmte später auch den Abbau der bereits bestehenden Betriebe.6 Diese Maßnahmen waren freilich kaum geeignet, dem Erwartungsdruck gerecht zu werden und die Dynamik der teilweise gewalttätigen Boykottmaßnahmen und Ausschreitungen der unteren Ebene einzufangen. Spätestens seit März hielten sich in zahlreichen Orten Nationalsozialisten und Mittelstandsaktivisten für befugt, selbständig gegen die verhassten Warenhäuser vorzugehen. In Franfurt wurden bereits in der ersten Monatshälfte sämtliche Warenhäuser von SA-Leuten belagert und besetzt, im Stadtteil Höchst daraufhin teilweise von der Polizei aus Gründen der öffentlichen Sicherheit geschlossen.7 Der Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser zeigte sich auf das Äußerste beunruhigt, als der preußische kommissarische Innenminister Hermann Göring in einer Rede andeutete, Warenhäusern keinen polizei­lichen Schutz mehr gewähren zu wollen.8 4 Uhlig, S. 36–39; vgl. Buchner, Warenhauspolitik. 5 Gesetz zum Schutze des Einzelhandels vom 12.5.1933, RGBl. I, S.  262; vgl. Das Einzel­ handelsschutzgesetz. 6 VO über den Abbau der selbständigen Handwerksbetriebe in Warenhäusern vom 11.6.1933, RGBl. I, S. 468; vgl. auch: FV, 27.5.1933: »Um die Handwerksbetriebe der Warenhäuser«. 7 Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser an RWM, 13.3.1933, BAL, R 3101, 13859, Bl. 128 f. 8 Verband Deutscher Waren- und Kaufhäuser an Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 11.3.1933, ebd., Bl. 136.

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Die neue Frankfurter Stadtregierung, die sich die Förderung des gewerb­ lichen Mittelstandes ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hatte, untersagte städtischen Bediensteten den Einkauf in Warenhäusern und Einheitspreis­ geschäften. Bei öffentlichen Aufträgen sollten heimische mittelständische Unternehmen konsequent bevorzugt, Warenhäuser hingegen grundsätzlich ausgeschlossen werden.9 Solche Maßnahmen, zu denen auch Inseratensperren für Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte in nationalsozialistischen Zeitungen und kommunalen Mitteilungsblättern gehörten, wurden auch in vielen anderen deutschen Städten getroffen.10 In Frankfurt wurde darüber hinaus eine Kommission eingesetzt, welche die städtischen Regiebetriebe, die der Mittelstandsbewegung schon lange ein Dorn im Auge waren, auf ihre Existenzberechtigung hin überprüfen sollte. Als einen ersten Sieg in dieser Sache verkündete man Anfang Mai 1933 triumphierend die Auflösung des Metzgereibetriebes im Städtischen Krankenhaus.11 Im Juni 1933 bestimmte die nationalsozialistisch dominierte Stadtverordnetenversammlung, die sich zu einem erheblichen Teil aus mittelständischen Angestellten, Selbständigen und Handwerkern rekrutierte,12 die Arbeiten zur vorstädtischen Kleinsiedlung ausschließlich an kleinere und mittlere Frankfurter Unternehmen zu vergeben, und weigerte sich selbst auf Antrag des Magistrats, diesen ökonomisch unsinnigen und kaum durchführbaren Beschluss durch Einfügung des Wortes »möglichst« zu ändern.13 In einer spektakulären Aktion erzwang die lokale Bezirksleitung des Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand die Schließung der Erfrischungsabteilungen in den Frankfurter Waren- und Kaufhäusern zum 1. Juli, indem sie die Vertreter der großen Warenhäuser zu einer Besprechung in die Industrie- und Handelskammer einlud und sie offen mit der »Erregung des Volkes und Tausender von Einzelhändlern und Handwerkern« bedrohte.14 Den Frankfurter Weg einer informellen »Übereinkunft« zwischen NS-Organisationen und den Verbänden der Waren- und Kaufhäuser versuchte wenig später auch Adolf Wagner, Leiter des wirtschaftspolitischen Amtes der NSDAP und zugleich Reichskommissar für die Wirtschaft, auf Reichsebene zu gehen. Im Juni 1933 verlangte er in einem offenen Schreiben an das Präsidium des Reichsverbandes der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels die Schlie-

9 Protokoll der 3. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31.3.1933, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 1. 10 Reichsverband der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels an RdI, 23.6.1933, BAL, R 3101, 13860, Bl. 40–43. 11 FV, 4.5.1933: »Der Kampf gegen die Regiebetriebe ist eröffnet«; 19.5.1933: »Regiebetriebe werden geprüft«. 12 Tüffers, Magistrat, S. 335 f. 13 Protokoll der 8. öffentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 18.7.1933, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 6, S. 3. 14 FV, 11.5.1933: »Ab 1.  Juli keine Erfrischungsräume mehr«; dieser Vorgang wird auch erwähnt bei Kraus, S. 39 f.

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ßung handwerklicher Fachabteilungen in den deutschen Warenhäusern.15 Jedoch wurde bald deutlich, dass die Einzelhandelskonzerne keineswegs sämt­ liche Forderungen der Mittelstandsbewegung freiwillig erfüllen würden, zumal die NS-Führung seit Sommer 1933 eindeutige Signale aussandte, keinen grundsätzlichen Eingriff in die Wirtschaftsordnung zur Ausschaltung bestimmter Betriebsformen unternehmen zu wollen. Im Juli ließ der Stellvertreter des Führers Rudolf Hess noch einigermaßen gewunden verkünden, die Einstellung der NSDAP zur Warenhausfrage bleibe zwar im Grundsatz unverändert, die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft verbiete aber ein aktives Vorgehen gegen die Warenhäuser. Den NS-Anhängern wurde eigenmächtiges Handeln in dieser Sache untersagt.16 Diese Anordnung musste allerdings noch mehrfach wiederholt werden, bis der Reichswirtschaftsminister in einem Rundschreiben vom September 1933 eindeutig klarstellte, dass dem Einzelhandelsschutzgesetz keine weiteren gewerbepolitischen Maßnahmen mehr folgen würden.17 Damit schien auch der Erwartung mancher Kreise die Grundlage entzogen, eine Lösung der Warenhausfrage sei lediglich in eine nahe Zukunft verschoben.18 Die Mittelstandsbewegung war zu dieser Zeit politisch bereits stark zurückgedrängt worden, und es stellte sich heraus, dass ihre Hochphase in den ersten Monaten der NS-Herrschaft eine Scheinkonjunktur gewesen war, die sich hauptsächlich aufgrund der noch unklaren wirtschaftspolitischen Konzeptionen innerhalb der Reichsführung entfalten konnte. Dass Hitler im Juni 1933 bekanntlich sogar die Sanierung des Warenhauskonzerns Tietz mit staatlichen Geldern genehmigte, ist nur ein weiterer Beleg für das Desinteresse der NS-Führung an mittelstandspolitischen Wirtschaftsexperimenten.19 Die Gewalt- und Boykottmaßnahmen gegen die Warenhäuser richteten sich nicht spezifisch gegen Unternehmen in jüdischem Besitz, wie auch die Agitation, welche die lokale NS-Presse zu diesem Thema entfaltete, nur selten eine explizit antisemitische Rhetorik verwendete.20 Sie waren aber dennoch wichtig für die Erfahrungen und Wahrnehmungen jüdischer Unternehmer in der ersten Phase der Diktatur. Die Boykottbewegung gegen die Warenhäuser verlief anfangs weitgehend parallel zum zeitgleich einsetzenden antisemitischen Boykott und überschnitt sich insofern mit ihm, als zahlreiche Waren- und Kaufhäuser sich in der Tat in jüdischem Besitz befanden. Auch die Methoden und Mechanismen waren identisch: Mit Flugblättern und Plakaten wurde gegen Warenhäuser, Konsumvereine und Einheitspreisgeschäfte agitiert, vor den Geschäftshäusern bezogen Boykottposten Stellung, Kunden wurden belästigt, 15 FV, 7.6.1933: »Schließung der Handwerksbetriebe in Warenhäusern«; FV, 13.6.1933: »Gegen die Warenhäuser«. 16 Genschel, S. 80 u. Anm. 86. 17 Runderlass RWM, 1.9.1933, IfS, Magistratsakten, 7378. 18 FV, 14.7.1933: »Es wird aufgeräumt!«. 19 Uhlig, S. 115–119. 20 Vgl. nur FV, 5.4.1933: »Konsumverein und Warenhaus«; 5.5.1933: »Warum gegen Konsum, Warenhaus und Ehape?«

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bedroht oder am Eintreten zu hindern gesucht.21 Im Jahr 1933 nahm der Kampf gegen die Warenhäuser beim nationalsozialistischen Frankfurter Volksblatt insgesamt sogar einen breiteren Raum ein als die antisemitische Propaganda. Die Stadt Frankfurt eilte mit ihren Bestimmungen den reichsgesetzlichen Regelungen voraus, lokale Akteure schufen eigenmächtig vollendete Tatsachen. Jedoch bewies die Reichsführung, indem sie die Wirtschaftseingriffe der Mittelstandsaktivisten im Verlauf des Jahres 1933 zurückdrängte, dass sie die Rechtssicherheit und ökonomische Planbarkeit gefährdenden Umtriebe an der Basis durchaus zu stoppen in der Lage war. Beobachter mochten daher die Hoffnung hegen, dass auf längere Sicht auch antisemitische Gewalt- und Boykottaktionen in gleicher Weise eingedämmt werden würden. In der Retrospektive wird jedoch erkennbar, dass die plebiszitären Energien zur politischen Umgestaltung des Wirtschaftslebens im Gegenteil gleichsam in eine antisemitische Richtung umgeleitet wurden. Auch dies lässt sich am Frankfurter Volksblatt beobachten, dessen ursprünglich dominierende Agitation gegen Waren- und Kaufhäuser gegen Ende des Jahres 1933 fast gänzlich zurückgenommen wurde, während die antisemitische Hetze gleichzeitig immer deutlicher in den Vordergrund rückte. Die Reichsregierung hatte mit dem Gesetz zum Schutze des Einzelhandels ein Zulassungsverfahren installiert, wie es jüdische Zeitgenossen seit längerem befürchtet hatten. Es kam darauf an, wie sich dies in der Praxis auswirken würde.22 Das Gesetz war in seiner ersten Fassung als eine zeitlich befristete Maßnahme des Sozialprotektionismus konzipiert, indem es ein allgemeines Verbot der Neuerrichtung von Verkaufsstellen des Einzelhandels bis zum 1. November 1933 aussprach. Ausnahmen sollten nur möglich sein, wenn besondere Umstände ein Bedürfnis für die Neuerrichtung erkennen ließen.23 Das Verbot wurde noch zweimal verlängert und Ende 1934 entfristet.24 Gleichzeitig verschob sich die Ausrichtung des Gesetzes schrittweise. Ende 1933 wurde als zusätzliche Bedingung für die Genehmigung einer Ausnahmeerteilung der Nachweis ausreichender Sachkunde und fachlicher Eignung eingeführt, was zunächst eine Verschärfung bedeutete.25 In einer Durchführungsverordnung vom Juli 1934 kam außerdem noch die Voraussetzung »persönlicher Zuverlässigkeit«  hinzu, während gleichzeitig der bisher erforderliche Nachweis eines Bedürfnisses wegfiel und eine Ausnahme nur noch versagt werden sollte, wenn die Errichtung einer Verkaufsstelle vor Ort zu einer »außergewöhnlichen Überset21 Vgl. Runderlaß RWM, 1.9.1933, IfS, Magistratsakten, 7378. 22 Es existiert keinerlei Forschungsliteratur zum Einzelhandelsschutzgesetz, seiner Durchführung und seinen Auswirkungen; einige knappe Ausführungen bei Uhlig, S. 91–95; Winkler, Stand, S. 7 und Saldern, S. 58–61. 23 VO zur Durchführung des Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels vom 12.5.1933, RGBl. I, S. 267. 24 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels vom 25.10.1933, RGBl. I, S. 779; dass. vom 27.6.1934, ebd., S. 523; dass. vom 13.12.1934, ebd., S. 1241. 25 VO zur Änderung der VO zur Durchführung des Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels vom 28.11.1933, RGBl. I, S. 1013.

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zung« innerhalb der betreffenden Handelsbranche führen würde.26 Damit war die Barriere einer pauschalen Neuerrichtungssperre in ein System der allgemeinen Zulassungsprüfung überführt worden, denn alle fachlich und persönlich geeigneten Bewerber sollten im Regelfall die Möglichkeit zur Geschäftsgründung erhalten.27 Das Gesetz enthielt keine antisemitischen Bestimmungen und wurde offiziell auch nie dahingehend ausgelegt.28 Die erste Fassung bot allerdings durch die vage gefasste Bedingung eines »wirtschaftlichen Bedürfnisses«29 für eine Neuerrichtung den Behörden Spielraum für informelle Diskriminierungen, auch wenn bisher nicht genau erforscht ist, in welcher Weise er genutzt wurde. Als dieser Passus im Gesetzestext wegfiel, fokussierten sich die Versuche, dem Gesetz eine antisemitische Stoßrichtung zu verleihen, vor allem auf die neu eingeführte Bedingung der persönlichen Zuverlässigkeit. Diese Bestimmung erlaubte es allerdings nicht, die Beweispflicht auf den Bewerber abzuwälzen, sondern forderte von der zuständigen Behörde die Benennung konkreter Tatsachen, aus denen einen Mangel an Zuverlässigkeit sichtbar werde. Dabei war vor allem an zurückliegende Vorstrafen oder Offenbarungseide gedacht; das Gewerberecht hatte seit langem einen entsprechenden Kriterienkatalog herausgebildet.30 Vor einer Interpretation, nach der die formelle Zugehörigkeit zum Judentum ohne weitere Prüfung als Hinweis auf mangelnde Zuverlässigkeit anzusehen sei, schreckte die Reichsregierung zurück. Das Reichswirtschaftsministerium insistierte auf einer sinn- und buchstabengetreuen Auslegung und ging vergleichsweise konsequent gegen Versuche vor, das System der gewerberechtlichen Zulassung systematisch in eine antisemitische Richtung zu wenden.31 Zur Frankfurter Entscheidungsbehörde war im Auftrag des Oberbürgermeisters das Verkehrs- und Wirtschaftsamt bestimmt worden. In einem Umlaufverfahren wurden auch die Industrie- und Handelskammer, das Polizeipräsidium sowie die NSDAP-Kreisleitung beteiligt, die zu den Anträgen Stellung nahmen. Dabei ging man in Frankfurt insofern über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, als bereits vor Juli 1934 auch Erkundigungen über die Person der Antragsteller eingezogen wurden, obwohl zu jener Zeit in der Person liegende Gründe für einen abschlägigen Bescheid nicht vorgesehen waren. So kam es, dass zwar die Kreisleitung sowie oftmals auch das Polizeipräsidium jeden An26 VO zur Durchführung des Gesetzes zum Schutzes des Einzelhandels vom 23.7.1934, RGBl. I, S. 726. 27 Michel, S. 10 f.; Dresse, S. 27; Saldern, S. 58–61. 28 Vgl. Dresse, S. 36 f. 29 Schirmer, S. 15–18. 30 Das Einzelhandelsschutzgesetz, S. 115–120. 31 So etwa Anfang 1935 in Essen, wo die Stadtverwaltung sämtlichen jüdischen Antragstellern die Gewerbelegitimationskarten unter Verweis auf die »mangelnde Zuverlässigkeit« verweigerte. Erst nach ultimativer Aufforderung fügten sich die Behörden, die offenbar gleichzeitig unter massivem Druck der lokalen Parteistellen standen; vgl. u. a. CV an RWM, 12.2.1935, BAL, R 3101, 13995.

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trag eines jüdischen Bürgers wegen mangelnder politischer Zuverlässigkeit ohne Weiteres ablehnten, das Verkehrs- und Wirtschaftsamt aber ebenso routine­ mäßig darauf hinwies, dass dieses Kriterium im Gesetz nicht vorgesehen und deswegen nicht zu berücksichtigen sei. Obwohl im Falle jüdischer Antragsteller die Maßstäbe besonders streng angewandt und oftmals noch weitere Erkundigungen eingezogen wurden, konnten diese eine Ausnahmegenehmigung durchaus erlangen. So erhielt der Frankfurter Kaufmann Bernhard Neumann trotz der ablehnenden Voten von Polizeipräsidium und Kreisleitung im Juli 1934 die Genehmigung zur Errichtung eines Krawattengeschäftes in der Biebergasse.32 Auch dem Antragsteller Ernst Hess wurde im Oktober 1934 nach Anhörung aller Stellen die Erlaubnis zur Eröffnung eines Sportartikelgeschäftes in der Mainzer Straße erteilt, obwohl sich die Partei weigerte, die politische Zuverlässigkeit zu bescheinigen. Als das ursprüngliche Geschäftshaus im folgenden Jahr abgerissen werden sollte, stellte Hess den Antrag auf Verlegung seines Geschäfts in die Nähe des Schauspielhauses, die ebenfalls genehmigt wurde.33 In der dortigen Umgebung befanden sich weitere Sportartikelgeschäfte, die gegen die neue Konkurrenz Sturm liefen und alle erdenklichen Amtsstellen wegen des Widerrufs der Genehmigung angingen.34 Diese wurde aber auch dann nicht zurückgezogen, als die hessische Gauleitung, welche sich die Klagen der umliegenden Geschäftsinhaber zu Eigen machte, im gleichen Sinne zu intervenieren versuchte. Sie stellte schon die erste Genehmigung in Frage und forderte die eingehende Untersuchung einer angeblich unzulässigen Geschäftserweiterung.35 Die in aggressivem und anmaßendem Ton gehaltenen Schreiben der Gauleitung provozierten aber lediglich zusätzlichen Widerstand der Stadtverwaltung, die auf ihre gesetzlichen Kompetenzen pochte und sich nachträgliche Interventionen nach einer bereits erlassenen Entscheidung strikt verbat.36 Obwohl die Kreisleitung ohnehin am Entscheidungsverfahren beteiligt war, hatte der Gauleiter Hessen-Nassau Ende 1934 durchsetzen können, ebenfalls bei der Neuerrichtung und Übernahme von Einzelhandelsgeschäften gehört zu werden, wobei er die lokale Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation (NS-Hago) beauftragte.37 Dabei beschränkte man sich auf ausgewählte Fälle: Ging bei der Entscheidungsbehörde nicht innerhalb von zwei

32 Der Antrag vom 25.5.1934 wurde nach Anhörung aller Stellen auf der Amtleiterbesprechung vom 16.7.1934 positiv beschieden; hierzu die Dokumente in IfS, Magistratsakten, 7339, Bl. 85–88 sowie die Amtsleiterbesprechung Nr. 344, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 198. 33 Bericht des Oberbürgermeisters an den Regierungspräsidenten [Entwurf], 5.6.1935, IfS, Magistratsakten, 7340, Bl. 3. 34 Fa. Frankfurter Bootsvertrieb GmbH an OB, 26.8.1935, ebd., Bl. 114. 35 Gauleitung Hessen-Nassau an OB, 20.6.1935; dass., 26.7.1935, ebd., Bl. 4a-c. 36 OB an Gauleitung Hessen-Nassau, 27.8.1935, ebd., Bl. 4e. 37 Oberpräsident Hessen-Nassau an Gauleitung, 25.7.1935, IfS, Magistratsakten, 7339.

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Wochen eine Stellungnahme der Gauleitung ein, galt dies als Zustimmung.38 Die Parteistellen konnten auf diese Weise politische Stellungnahmen abgeben, für die Entscheidungsinstanzen waren diese aber nicht bindend. Auch eine Vetofunktion kam ihnen nicht zu. Dennoch ist es bedeutsam, dass die Gauleitung schon seit 1934 an allen Genehmigungsverfahren für Geschäftsgründungen und Übernahmen im Einzelhandel beteiligt war. Denn es etablierte sich dabei ein Behördengeflecht, das später bei der staatlichen Steuerung der »Arisierung« der Wirtschaft in der gleichen Weise zusammenwirken sollte. Wie insbesondere Frank Bajohr herausgearbeitet hat, spezifizierten und erweiterten die Gauleitungen in Gestalt der Gauwirtschaftsberater seit 1936 ihren Beteiligungsanspruch, indem sie Übernahmen aus jüdischem Besitz als eine Sonderkategorie der Neugründung und ihr ureigenes Regelungsgebiet entdeckten.39 Es ist vor dem hier geschilderten Hintergrund aber nicht ganz richtig, dass diese Interventionen »jeder gesetzlichen Grundlage entbehrten und allein auf dem Wege der Selbstermächtigung erfolgten.«40 Tatsächlich konnte sich zumindest die hessische Gauleitung auf eine schon lange eingeübte Praxis im Rahmen des Einzelhandelschutzes berufen. Auch das Verfahren, das im April 1938 im Zuge der Genehmigungspflicht für Unternehmensverkäufe aus jüdischem Besitz gesetzlich installiert wurde, hatte immer noch große formale Ähnlichkeit mit dem Genehmigungsverfahren nach dem Einzelhandelsschutzgesetz. Es waren die gleichen Behörden im Umlaufverfahren beteiligt, allerdings fiel in der Praxis die Entscheidungskompetenz dem Gauwirtschaftsberater zu. Im Verfahren spielten immer noch Kriterien des Einzelhandelsschutzgesetzes eine zentrale Rolle wie die politische bzw. persönliche Zuverlässigkeit des Käufers und das wirtschaftliche Bedürfnis für das Unternehmen.41 Somit erscheint die Durchführung der Verordnung zur Anmeldung jüdischen Vermögens zwar nicht als eine rein lineare Fortsetzung oder Erweiterung des Einzelhandelsschutzes. Dennoch ist die Praxis protektionistischer Gewerbepolitik für sie ein wichtiger Entwicklungsstrang, denn sie hatte Einfallstore für Eingriffe nach ideologischen Gesichtspunkten geschaffen und die institutionellen Zusammenhänge eingespielt. Einzelhandelsschutz und »Arisierung« griffen zunehmend auch praktisch ineinander. Im Zuge der Anmeldeverordnung vom April 1938 war das Genehmigungsverfahren für Übernahmen aus jüdischem Besitz explizit mit der Durchführung des Einzelhandelsschutzgesetzes verkoppelt worden, denn Genehmigungen zur Übernahme sollten gleichzeitig als Ausnahmegenehmigungen zur Neuerrichtung im Sinne des Gesetzes angesehen werden.42 Die Sichtweise, dass die Politik der »Arisierung« sich in einem gewissen Sinne als eine 38 Rundschreiben des Regierungspräsidenten, 3.5.1935, IfS, Magistratsakten, 7340. 39 Bajohr, Arisierung, S. 174–186. 40 Ebd., S. 185. 41 Kratzsch, S. 177–185; S. 202–216. 42 Rundschreiben RWM, 5.7.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 48/51, Bl. 45–47.

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Art verschärfte Einzelhandelsschutzmaßnahme verstehen ließ, wurde durch das Reichswirtschaftsministerium ausdrücklich bekräftigt. Gegenüber dem Regierungspräsidium in Köln bestätigte man im September 1938 die Vermutung, »dass die Prüfung des volkswirtschaftlichen Interesses an der Weiterführung eines bisher jüdischen Geschäftes […] in der Regel auch Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat, die bei der Prüfung der Voraussetzungen nach dem Einzelhandelsschutzgesetz außer Betracht bleiben.«43 Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit lieferte also erweiterte Möglichkeiten einer Branchenbereinigung. Diese Dynamik versuchten die NS-Machthaber zu verstetigen, denn nur kurze Zeit nach dem gesetzlichen Verbot für Juden zur Führung von Handels­betrieben erging im März 1939 eine Verordnung zur Beseitigung der Übersetzung im Einzelhandel.44 In einer einmaligen Aktion sollte der gesamte Einzelhandel überprüft werden, um ihn »von den nicht existenzberechtigten Einzelhandelgeschäften zum Vorteil gesunder Einzelhandelgeschäfte zu befreien.«45 Die bisherigen Erfahrungen im Umgang mit der jüdischen Gewerbetätigkeit sollten dabei genutzt werden; so wies etwa die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern ihre Mitglieder an: »Es wird zweckmäßig sein, ähnlich wie bei der Entjudung des Einzelhandels die an dem Verfahren beteiligten Stellen zu einem Ausschuss bei der Industrie- und Handelskammer zusammenzufassen, um von vornherein eine Einheitlichkeit der Begutachtung zu erreichen.«46 Um die Bereinigungsaktion zu flankieren, erließ das Reichswirtschaftsministerium einen beinahe vollständigen Zulassungsstopp zum Handelsgewerbe und bat darum, Ausnahmen nach dem Einzelhandelsschutzgesetz nur noch in seltenen Fällen zu gewähren: »Praktisch wird sich diese Maßnahme als eine Errichtungssperre auswirken.«47 Spätestens 1938/39, als das NS-Regime im Einzelhandel von der Zulassungsbeschränkung zu einer aktiven Stilllegungs- und Liquidationspolitik überging, wurden damit die beiden Linien einer mittelstandspolitisch-protektionistischen Gewerbepolitik und der antisemitischen Verfolgungs- und Verdrängungspolitik zusammengeführt. Wie in der Gewerbepolitik sandte das NS-Regime auch in der allgemeinen Wirtschaftspolitik ambivalente Signale aus. Auf den ersten Blick gelangen seit 1933 ein spektakulärer Wirtschaftsaufschwung und ein rascher Abbau der Arbeitslosigkeit, der weltweite Beachtung auslöste. Innerhalb von vier Jahren war die Masse der Arbeitslosen wieder in den Wirtschaftsprozess integriert worden, 1937 überschritt die Industrieproduktion den Höchststand vor der Weltwirtschaftskrise.48 Das Volkseinkommen überstieg 1938 deutlich den Vorkrisenstand von 1928.49 Schon Zeitgenossen fiel jedoch auf, dass dieser Wirt43 RWM an Regierungspräsidenten Köln, 21.9.1938, BAL, R 11, 208, Bl. 45. 44 VO zur Beseitigung der Übersetzung im Einzelhandel vom 16.3.1939, RGBl. I, S. 498. 45 Rundschreiben RWM, 16.3.1939, BAL, R 11, 209, Bl. 118. 46 Rundschreiben Arbeitsgemeinschaft der IHKn, 22.3.1939, ebd., Bl. 117. 47 Rundschreiben RWM, 5.4.1939, BAL, R 11, 210, Bl. 7. 48 Overy; Abelshauser, Kriegswirtschaft. 49 Ritschl/Spoerer, S. 24, Tab. A.1, II.

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schaftsaufschwung zum einen durch ein massives Ansteigen der staatlichen Kreditaufnahme vorangetrieben, zum anderen von den öffentlichen Ausgaben für die deutsche Rüstungswirtschaft dominiert wurde, mit denen sich erheb­ liche sektorale Entwicklungsunterschiede und Verschiebungen verbanden.50 Im für die jüdische Gewerbetätigkeit besonders wichtigen Einzelhandel gingen die Umsätze auch im ersten Jahr der NS-Herrschaft weiter zurück und erreichten erst 1934 wieder die des letzten Krisenjahres 1932. Auch die folgende Entwicklung stellte sich keineswegs als stürmischer Aufschwung dar. Noch 1938 blieben die Gesamtumsätze hinter den letzten Vorkrisenjahren 1928/29 zurück, erst 1939 wurden diese leicht übertroffen. Der Bereich des Nahrungs- und Genussmittelhandels, auf den fast die Hälfte der Einzelhandelsumsätze entfiel, war von der Weltwirtschaftskrise insgesamt etwas weniger getroffen worden als der Handel mit Textilien und Bekleidung. Dessen Wachstumsraten waren dafür im Vergleich zum gesamten Einzelhandel nach 1933 höher, so dass 1938 wieder der Stand von 1928 erreicht wurde, wovon der Lebensmittelhandel noch recht weit entfernt war.51 Die Aufrüstungspolitik brachte auch erhebliche regionale Disparitäten mit sich, die sich in Frankfurt deutlich niederschlugen.52 Weil Teile des RheinMain-Gebietes gemäß den Vereinbarungen des Versailler Vertrages innerhalb der demilitarisierten Zone lagen, blieb die Stadt in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft von der einsetzenden Wirtschaftskonjunktur ein Stückweit abgekoppelt. Zwar profitierte die Frankfurter Wirtschaft von Infrastrukturprojekten wie dem Bau der Autobahnen.53 Da die kreditgestützten Reichsmittel jedoch spätestens seit 1935 fast ausschließlich in die Wiederaufrüstung investiert wurden, mussten Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet bei der Vergabe öffentlicher Aufträge deutlich zurückstehen.54 Das zeigte sich unter anderem in der Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die sich in Frankfurt lang­samer abbaute als im reichsweiten Durchschnitt. Zwar ging die Zahl der Erwerbslosen seit ihrem Höchststand vom Dezember 1932 bis Anfang 1934 um etwa 30 Prozent zurück. Im Reichsdurchschnitt war die Arbeitslosenrate aber im selben Zeitraum um 50  Prozent gesunken.55 Die Arbeitslosenquote in Frankfurt betrug bis 1937 konstant das etwa Dreifache des Reichsdurchschnitts. Frankfurt nahm in dieser Hinsicht unter den deutschen Großstädten einen der letzten Plätze ein und konnte sich nur langsam vorarbeiten.56 50 Erbe; Buchheim, Natur; Herbst, Beschäftigungspolitik. 51 Vgl. Benning/Nieschlag, S. 12–14; Tiburtius, Einzelhandel; Nieschlag. 52 Zu den regionalen Auswirkungen der Rüstungspolitik Fear; John; Peter; zuletzt knapp auch Bajohr, Dynamik. 53 Vahrenkamp, S. 48–79; Ruppmann, S. 201–299. 54 Lüer, S. 19. 55 E. Minzenmay, Neue Wege in der Zweiten Arbeitsschlacht. Der »Frankfurter Plan« zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in: Rhein-Mainische Wirtschaftszeitung, Nr. 12, Juni 1934, S. 390–392. 56 Wirtschaftlicher Lagebericht Juni/Juli 1937, 29.7.1937, IfS, Magistratsakten, 6971, Bl. 124–138.

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Das hatte auch mit der städtischen Wirtschaftsstruktur zu tun. Seitdem im März 1936 deutsche Truppen das Rheinland militärisch besetzten und damit die bisherigen Restriktionen zum Teil wegfielen, gingen zunächst immer noch vergleichsweise wenige Aufträge der Rüstungsindustrie an Frankfurter Unternehmen. Insbesondere für die zahlreichen kleinen und mittleren Handwerksbetriebe fehlte es an geeigneten Aufträgen.57 Auch das Handelsgewerbe konnte an der Rüstungskonjunktur nur bedingt partizipieren: Zusammen mit den ungelernten Arbeitern stellten kaufmännische Angestellte die Mehrheit der Erwerbslosen.58 Während im Reichsgebiet die Zahl der Erwerbstätigen in den Jahren 1933–1938 um 8,2 Prozent stieg, nahm sie im Arbeitsamtsbezirk Frankfurt nur um 2,1 Prozent zu.59 Mit einem Rückgang der Arbeitskräfte in der Wirtschaftsgruppe Handel, Banken und Versicherungen um 4.700 zwischen 1925 und 1938 konterkarierte die Stadt Frankfurt mit ihrem Umland als einzige hessische Region in drastischer Weise den allgemeinen Trend. Dass die Erwerbstätigkeit in Hessen insgesamt stagnierte, war fast ausschließlich durch die schwache Entwicklung der Frankfurter Handels- und Finanzwirtschaft verursacht, die bereits in den 1920er Jahren eingesetzt hatte und sich nach 1933 fortsetzte.60 Die Handlungsmöglichkeiten der Frankfurter Stadtregierung waren angesichts dieser Makrotrends begrenzt. Die neuen Machthaber beließen, auf einschlägigen Sachverstand angewiesen, ausgerechnet den seit 1932 amtierenden, eher liberalen Stadtkämmerer Friedrich Lehmann im Amt, dessen einstige Berufung sie noch hartnäckig zu verhindern versucht hatten.61 In den Zielen der Haushaltssanierung und des Schuldenabbaus trafen sich allerdings die Vorstellungen Lehmanns mit denen des neuen Oberbürgermeisters Friedrich Krebs, der auch in den Folgejahren an dem in nationalsozialistischen Kreisen nicht unumstrittenen Fachbeamten festhielt. Die Frankfurter Stadtregierung unternahm in den Folgejahren erhebliche Anstrengungen, die Schuldenlasten abzutragen und hierdurch wieder kommunalpolitische Gestaltungsräume zu gewinnen. Doch Lehmann warnte vor dem Glauben an schnelle Erfolge: Selbst bei einer Entwicklung ohne weitere Störungen werde Frankfurt mindestens zehn Jahre brauchen, um wieder finanzpolitische Stabilität zu erreichen und damit die Krise der Jahre 1928–1933 zu überwinden.62 Diese mangelnde Beweglichkeit erlaubte es der Stadtregierung kaum, eigene Akzente in der Wirtschaftsförderung zu setzen. Die Vorschläge, die sich Oberbürgermeister Krebs im Juni 1937 von den städtischen Ämtern zur besseren wirtschaftlichen Entwicklung Frankfurts erbat, wirkten denn auch eher hilflos und enthielten zahlreiche Petitessen, 57 Wirtschaftlicher Lagebericht Februar/März 1937, 31.3.1937, ebd., Bl. 94–101. 58 Wirtschaftlicher Lagebericht August/September 1937, 28.9.1937, ebd., Bl. 142–144. 59 V. Siebrecht, Die hessische Wirtschaft im Umbau. Strukturwandlungen von Wirtschaft und Arbeitseinsatz (I), in: Rhein-Mainische Wirtschaftszeitung, Nr. 8, 11.4.1939, S. 215–221. 60 Ders., dass. (II), in: ebd., Nr. 10, 25.4.1939, S. 255–262. 61 Tüffers, Stadtkämmerer. 62 F. Lehmann, Frankfurts Lage um die Jahreswende 1935/36, in: Rhein-Mainische Wirtschaftszeitung, Nr. 1, Januar 1936, S. 15–17.

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die von der Einführung freien Eintritts in die bekannten Museen bis hin zur Errichtung einer Bibliothek des Handwerks reichten.63 Den städtischen Machthabern war bewusst, dass die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bürger zur wirtschaftlichen Schwächung Frankfurts beitrug. Schon früh im Jahr 1933 wurde deutlich, dass die systematische Benachteilung jüdischer Unternehmer keineswegs den Interessen der städtischen Wirtschaft diente. Anfang Juli 1933 – noch vor dem Erlass reichsweiter Richtlinien  – beschloss daher der Magistrat in Korrektur der ursprünglich eingeschlagenen Linie, dass auch jüdische Firmen bei öffentlichen Aufträgen berücksichtigt werden sollten, wenn Aufträge andernfalls an auswärtige Firmen gehen müssten.64 Bald ging man noch einen Schritt weiter und fasste den etwas schwammigen Beschluss, dass jüdische Unternehmen, die bei gleicher Qua­ lität niedrigere Preise forderten, nicht-jüdischen dann vorzuziehen seien, wenn »Personal- und Kreditfragen bei der Beurteilung über die Auftragserteilung von maßgebendem Einfluss auf die Entscheidung sein müssen oder ein sonstiges öffentliches Interesse für die Auftragserteilung spricht.«65 Dass die jüdischen Unternehmen einen wichtigen Anteil an der städtischen Wirtschaft hatten, auf den man vorerst weder verzichten noch ihn ohne unabsehbare Folgeschäden ausschalten konnte, war den nationalsozialistischen Machthabern eine höchst unliebsame Tatsache  – die genannten Magistratsbeschlüsse wurden nur den zuständigen Dienststellen bekanntgegeben, mehrmals wurde ihre streng vertrauliche Behandlung angemahnt. Dass die Judenverfolgung in wirtschaftlicher Hinsicht für Frankfurt schädlich war, wurde ansonsten erstaunlich offen ausgesprochen, besonders häufig von Stadtkämmerer Lehmann. Mehrmals wies er auf den Amtsleiterbesprechungen auf die Abmeldungen jüdischer Unternehmen und die Steuerausfälle durch die Abwanderung jüdischer Bürger hin.66 Aber auch öffentlich benannte er die große jüdische Gemeinde als einen der Frankfurter »Standortnachteile«: »Man mache sich klar, dass Frankfurt vom Glück nicht begünstigt ist: Es hat keine Garnison, keine Rüstungsaufträge, aber eine starke Abwanderung jüdischer Vermögen.«67 Rückblickend zählte auch Carl Lüer als Leiter der Wirtschaftskammer Hessen die große Bedeutung jüdischer Handelsunternehmen in der Region zu den größten Schwierigkeiten, vor welche sich die hessische Wirtschaft seit der Machtergreifung gestellt sah.68 Ende 1933 begann die Stadtregierung damit, sich ein Bild von den Auswirkungen der Judenverfolgung auf die 63 Berichte der Amtsleiter auf die Verfügung des Oberbürgermeisters vom 20.6.1937, IfS, Magistratsakten, 4153, Bl. 80–92. 64 Beschluss des Magistrats Nr. 462, 3.7.1933, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 175. 65 Beschluss des Magistrats Nr. 585, 20.7.1933, ebd. 66 Amtsleiter-Besprechungen vom 4.6.1934 und vom 18.6.1934, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 197; vgl. Tüffers, Stadtkämmerer, S. 320 u. Anm. 60. 67 F. Lehmann, Frankfurts Lage um die Jahreswende 1935/36, in: Rhein-Mainische Wirtschaftszeitung, Nr. 1, Januar 1936, S. 16. 68 Lüer, S. 38.

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finanzielle und wirtschaftliche Entwicklung Frankfurts zu machen. Die Ämter hielten dazu den Oberbürgermeister mit Datenmaterial auf dem Laufenden, das in eine materialgesättigte Denkschrift des Verkehrs- und Wirtschaftsamtes vom Februar 1934 einging.69 Darin wurden zum einen die spürbaren steuerlichen Auswirkungen aufgrund des Wegzugs jüdischer Bürger ins Ausland beschrieben. Zum anderen gab die Denkschrift einen statistischen Überblick über die Bedeutung, die jüdischen Unternehmen im Wirtschaftsleben der Stadt zukam. Von 5.000 handelsregisterlich eingetragenen Firmen glaubte das Wirtschaftsamt über 1.700, fast 35 Prozent, als »nichtarisch« identifizieren zu können. Ein durchgehender Umsatzrückgang der jüdischen Unternehmen minderte die Steuereinnahmen und hatte bereits zu einer ganzen Reihe von Stilllegungen und Betriebseinschränkungen geführt. Eindeutig widersprach die Denkschrift den naiven Vorstellungen einiger Nationalsozialisten, die Benachteiligung jüdischer Unternehmen werde sich automatisch in Vorteilen für die nicht-jüdische Konkurrenz wieder aufheben. Denn die städtische Wirtschaft – insbesondere die eines reichsweit bedeutenden Handelszentrums, wie es Frankfurt war – stellte kein geschlossenes System kommunizierender Röhren dar, und gerade die Handelsbeziehungen jüdischer Unternehmen in andere Reichsregionen und das Ausland drohten unwiderruflich verlorenzugehen.70 In einer Aufstellung vom Sommer 1935 über die Abwanderung oder Einstellung größerer Unternehmen mit mehr als zehn Arbeitsplätzen seit der NS-Machtübernahme fanden sich unter den 20 aufgeführten Betrieben zehn »nichtarische«. Diese waren für mehr als die Hälfte der verloren gegangenen Arbeitsplätze verantwortlich, wobei allein die Schließung einer Filiale des Warenhauskonzerns Hermann Wronker auf der Zeil 480 Arbeitnehmer betraf.71 Die Frankfurter Stadtverwaltung versuchte, diese wenig erfreulichen Daten in einem offensiven Sinne zu verwenden. Im Rahmen seiner insgesamt wenig erfolgreichen Bemühungen um Unterstützung durch die Reichsregierung72 schrieb Oberbürgermeister Krebs wenige Wochen nach Fertigstellung der Denkschrift an den Reichswirtschaftsminister und bat darum, den Deutschen Handelstag zukünftig ständig in Frankfurt zusammentreten zu lassen sowie weitere reichsweite Tagungen nach Frankfurt zu verlegen. Er begründete diesen Wunsch explizit mit den Nachteilen durch die Abwanderung jüdischer Bürger und die Abmeldung jüdischer Firmen, aber auch mit der historischen Tradition Frankfurts als Handels- und Messestadt, zu der ihre jüdischen Bürger nicht wenig beigetragen hatten.73 Damit erhellt sich zum einen, wie willkürlich und berechnend der strategische Schwenk des kommenden Jahres war, 69 Stadtkämmerer an OB, 4.12.1933; dass., 12.12.1933, IfS, Magistratsakten, 7332, Bl.  120 f.; Denkschrift des Wirtschaftsamtes, 17.2.1934, abgedruckt in: Dokumente, IV/2, S. 178–185. 70 Ebd., S. 181. 71 Verkehrs- und Wirtschaftsamt an OB (Anlage), 21.8.1935, IfS, Magistratsakten, 7428, Bl. 44. 72 Rebentisch, Reich. 73 OB Krebs an RWM, 9.6.1934, BAL, R 3101, 8931, Bl. 7 f.

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als nach einer bis dahin erfolglosen Imagepolitik Frankfurt nun als »Stadt des deutschen Handwerks« profiliert und damit stärkere Anschlussfähigkeit an nationalsozialistische Stereotype hergestellt werden sollte.74 Zum anderen wird erkennbar, wie die Frankfurter Stadtregierung die ungünstigen ökonomischen Auswirkungen der Judenverfolgung als ein im Dienste ideologischer Ziele erbrachtes Opfer darzustellen versuchte, für das sie nun Kompensation zu fordern berechtigt sei. Im Übrigen entzieht diese Episode der möglicherweise aufkommenden Vermutung die Grundlage, die wiederholten Hinweise auf die ökonomischen Schäden der Judenverfolgung hätten die Belange der jüdischen Betroffenen im Auge gehabt. Tatsächlich war es nur wenige Jahre später Friedrich Lehmann, der sich nach dem Novemberpogrom zusammen mit Oberbürgermeister Krebs vehement für den günstigen Ankauf von jüdischem Grundbesitz einsetzte, um dadurch wieder gemeindepolitische Gestaltungsfähigkeit zu erlangen.75 Lehmann, der kein Nationalsozialist war, hatte dabei strikt die materiellen Interessen der Stadt im Auge. Wo die Verfolgung der Juden diesen zuwiderlief, mahnte er dies an, wo sie nutzbar zu machen war, griff er ohne Skrupel zu. Insgesamt zeigt sich aber, dass die Folgeschäden aus der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung eine dämpfende Wirkung auf die städtische Judenpolitik zumindest auf dem Gebiet der Wirtschaft hatten. Unterdessen schuf die Reichsregierung im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik Institutionen und Strukturen, die sich schließlich als entscheidende Ansatzpunkte für die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft erweisen sollten. Obwohl die Nationalsozialisten zu keiner Zeit vorhatten, in die Grundprinzipien einer privatkapitalistischen Wirtschafts- und Eigentumsordnung einzugreifen, reklamierte der NS-Staat doch den Primat der Politik über Wirtschaft und Gesellschaft und baute im Rahmen der mit dem Begriff der »Wehrwirtschaft« bezeichneten Rüstungsplanungen umfassende Überwachungs- und Lenkungs­ apparate auf.76 Insbesondere die Devisenbewirtschaftung entwickelte sich allmählich zu einem entscheidenden antisemitischen Diskriminierungsinstrument. Dieser Weg war nicht von Beginn an vorgezeichnet. Bereits im Juli 1931 stellte eine Notverordnung den gesamten Devisenverkehr unter die Kontrolle der Reichsbank. In den Folgemonaten wurde ein System der systematischen Bewirtschaftung von Devisen errichtet, das die nationalsozialistische Regierung reibungslos übernehmen konnte.77 Ursprünglich als kurzfristige Maßnahme zur Eindämmung der bedrohlichen Kapitalflucht und zur Stützung des Reichsmarkkurses konzipiert, wirkte die Praxis der Devisenbewirtschaftung bald immer stärker in andere Bereiche der Wirtschaft hinein und wurde zum integralen Bestandteil 74 Drummer, Stadt; Giese, S. 272 f. 75 Niederschrift über die nichtöffentliche Beratung mit den Gemeinderäten am 17.11.1938, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 113, Bl. 58–60; Eizenhöfer. 76 Thomas; Buchner, Wirtschaftsrecht; Herbst, Deutschland; ders., Steuerung; Hensler. 77 Banken, Devisenrecht, S. 125–145.

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der nationalsozialistischen Aufrüstungsbestrebungen.78 Auch die Eingriffe in den Geld- und Warenverkehr konnten aber nicht verhindern, dass sich die Devisenbilanz des Deutschen Reiches in immer bedrohlicherer Weise verschlechterte. Mit dem sogenannten »Neuen Plan« ging man daher seit Herbst 1934 zu einer vollständigen Bewirtschaftung des Außenhandelsverkehrs über.79 Zentrale Elemente dieser Politik wie die Bilateralisierung des gesamten Außenhandels in einem System von Verrechnungsabkommen oder das bald darauf eingeführte umlagefinanzierte System der Exportförderung brauchen hier nicht verfolgt zu werden.80 Wichtig war vor allem, dass mit der Bewirtschaftung ein weitgespanntes und in den Folgejahren noch erweitertes Netz von Über­ wachungsstellen geschaffen wurde, die über ihre Kontrollaufgaben hinaus auch sachlich über die Zuteilung von Devisen für die Rohstoff- und Wareneinfuhr entschieden und damit regulierend und steuernd in den Wirtschaftskreislauf eingriffen.81 Obwohl die Nationalsozialisten bis 1938 keine Gesetzesmaßnahmen erließen, die jüdischen Bürgern pauschale Beschränkungen in ihrer wirtschaft­ lichen Betätigung auferlegten, wurde das Devisenstrafrecht zu einem eindeutig in antisemitischer Absicht gebrauchten Instrument, mit dem jüdische Unternehmer in zahlreichen Fällen diskriminiert und verfolgt wurden. Dabei überlagerten sich die Bemühungen um eine Stabilisierung der Devisenbilanz mit den antisemitischen Systemimperativen. Bereits die strafrechtlichen Sanktionen, die nach der Verordnung gegen Kapital- und Steuerflucht von 1931 drohten, waren mit bis zu zehnjähriger Haftstrafe mehr als drastisch ausgefallen. Die nationalsozialistische Staatsführung machte die Gefängnisstrafe 1933 zur Regelsanktion.82 Nachdem Hitler dies in seiner Denkschrift zum Vierjahresplan gefordert hatte, wurde für Devisenvergehen in schweren Fällen sogar die Todesstrafe eingeführt.83 Diese massiven Strafmöglichkeiten in Kombination mit dem unübersichtlichen und sich schnell wandelnden Geflecht des Devisenrechts bildeten für jüdische Unternehmer eine ernste Bedrohung, denn es bot sich den antisemitischen Behörden und Parteistellen geradezu an, strafwürdiges Verhalten zu konstruieren und selbst kleinste Verfehlungen mit unbarm­ herziger Härte zu ahnden.84 Die Transformation der Devisenüberwachung zu einem Verfolgungsinstrument wurde entscheidend vorangetrieben, seitdem Hermann Göring im ­April 1936 auf direkte Weisung Hitlers zum Chef eines Sonderstabes für Roh78 Ebd.; Radkau. 79 Ritschl, Wirtschaftspolitik, S. 119–129; Herbst, Deutschland, S. 119–129. 80 Hierzu ausführlich Ebi. 81 Franke, Unrecht, S. 124–126. 82 Gesetz gegen Verrat der deutschen Volkswirtschaft vom 12.6.1933, RGBl. I, S. 360. 83 Treue; Gesetz gegen Wirtschaftssabotage vom 1.12.1936, RGBl. I, S. 999. 84 Franke, Devisenstellen, S.  82 f.; auf die Politisierung von Devisendelikten durch das NS-­ Regime hatte bereits Fraenkel, Doppelstaat, S. 97 hingewiesen.

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stoff- und Devisenfragen ernannt worden war.85 In dieser Funktion richtete er ein Devisenfahndungsamt ein, dessen Leitung der Chef des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich übernahm.86 Die Überwachungsorgane für die Wirtschaft wurden auf diese Weise mit den Polizei- und Sicherheitsapparaten partiell verschmolzen. Frank Bajohr hat als erster an zahlreichen Beispielen gezeigt, wie den nationalsozialistischen Behörden das Vorgehen gegen vermeintliche oder tatsächliche Devisenvergehen jüdischer Unternehmer in zahlreichen Fällen dazu diente, die Liquidation oder den Verkauf ihrer Betriebe zu erzwingen.87 Eine angekündigte Devisenüberprüfung konnte somit zur existentiellen Gefahr für ein Unternehmen werden; allerdings ergibt die Durchsicht der überlieferten Devisenakten, dass in den Jahren 1933–1935 auch jüdische Unternehmen bei nur geringfügigen Verstößen gegen Devisenbestimmungen in der Regel nicht mit schwerwiegenden Sanktionen rechnen mussten.88 Spätestens Ende 1936 wurden allerdings in das Devisenrecht antisemitische Bestimmungen eingelassen.89 Die Vorschriften zur Eindämmung des Vermögenstransfers ins Ausland, der aufgrund der verstärkten jüdischen Auswanderung von seiner Größenordnung her zu einem realen Belastungsfaktor für die Devisenbilanz wurde, waren zwar noch längere Zeit ideologieneutral formuliert, wirkten sich aber de facto vor allem gegen die jüdischen Bürger aus, deren Vertreibung aus dem Deutschen Reich erklärtes Ziel der Staatsführung war. Die Auswanderung von Juden geriet damit zur wichtigsten Schnittstelle von Wirtschafts- und Verfolgungspolitik, wobei die auf diesem Gebiet getroffenen Maßnahmen rasch auch auf die Vermögensrechte der deutschen Juden im Inland ausstrahlten. So war im Dezember 1936 den Devisenstellen die Möglichkeit gegeben worden, auf reinen Verdacht hin das Vermögen von Inländern mit einer sogenannten »Sicherheitsanordnung« zu belegen.90 Die zwar nicht dem Buchstaben, aber der Sache nach klar gegen potentielle jüdische Emigranten gerichteten und an Schwammigkeit schwerlich zu überbietenden Paragraphen bewirkten im Anwendungsfall für die Betroffenen den weitgehenden Verlust der Verfügungsrechte über ihr Vermögen, der zwar noch keine formale Enteignung bedeutete, in seinen Auswirkungen dieser aber durchaus gleichkommen konnte.91 In der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zeichnete sich eine konfiskatorische Tendenz bereits insofern ab, als durch die Abschöpfung privaten Geldkapitals zugunsten des Staates die Verfügungsrechte über private Vermögen eingeschränkt und diese für den ungewissen Ausgang des nationalsozialistischen Kriegsprojekts vereinnahmt wurden, wodurch die priva85 Petzina, Autarkiepolitik, S. 40–45; Tooze, Ökonomie, S. 255. 86 Bajohr, Arisierung, S. 191 f. 87 Ebd., S. 195–208. 88 Vgl. auch Drecoll, S. 179. 89 Banken, Devisenrecht, S. 188–217. 90 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 1.12.1936, RGBl. I, S. 1000 (§§ 37a und b). 91 Bajohr, Arisierung, S. 201.

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ten Kapitalbesitzer mittelbar zu Gläubigern des Reiches wurden, ohne hierzu ihr Einverständnis gegeben zu haben.92 Darüber hinaus fassten die nationalsozialistischen Machthaber bei ihren die ökonomische Substanz verzehrenden Anstrengungen zur Wiederaufrüstung zunehmend deutlicher das gewerbliche und private Vermögen der jüdischen Minderheit als potentielle Verfügungsmasse ins Auge. Hierfür war es entscheidend, dass die strukturelle Zahlungsbilanzkrise, die nach der erneuten völligen Erschöpfung der Devisenreserven im Jahr 1936 eingesetzt hatte, unvermindert fortbestand und das Regime die möglichen Instrumente zu ihrer Stabilisierung eines nach dem anderem ausreizte.93 Im Einklang mit Hitlers Forderungen in der Vierjahresplan-Denkschrift waren zunächst die deutschen Vermögenswerte im Ausland rigoros erfasst und eingezogen worden. Dies erbrachte bis Ende 1937 Devisen in Wert von mehreren Hundert Millionen Reichsmark und rettete das Deutsche Reich damit über das Jahr hinweg. Doch eine solche Aktion ließ sich nicht wiederholen.94 Im Zuge eines Aufschwungs im Welthandel erhöhte sich die deutsche Exporttätigkeit wieder, und die Reichsführung billigte einer weiteren Steigerung der Ausfuhr nunmehr Priorität sogar vor der Rüstung zu.95 Im letzten Quartal des Jahres 1937 deutete sich aber ein erneuter Einbruch an. Zudem war es im gleichen Zeitraum absehbar geworden, dass sich die bisher verfolgte Fiskalpolitik nicht weiter würde durchhalten lassen und im kommenden Jahr nur noch zu einer massiven Erhöhung der Geldmenge Zuflucht genommen werden könne, womit sich die inflationären Tendenzen der NS-Finanzpolitik nicht mehr würden zurückstauen lassen.96 Als in dieser Situation die überspannten deutschen Rüstungsplanungen ins Stocken und damit angesichts des mittlerweile weltweit betriebenen Wettrüstens auch die Kriegsplanungen des Regimes in Gefahr gerieten97 trat Hitler mit einer grundsätzlichen Richtungsentscheidung die Flucht nach vorn an. Im November 1937 konkretisierte er bei einer Besprechung in der Reichskanzlei vor den militärischen Oberbefehlshabern sein ideologisches Fernziel der wirtschaftlich motivierten Raumerweiterung erstmalig und fasste eine kriegerische Expansion durch die Niederwerfung der Nachbarstaaten Österreich und der Tschechoslowakei bereits vor dem Zieljahr 1940 ins Auge, in dem nach der Vierjahresplan-Denkschrift eigentlich erst die Kriegsfähigkeit erreicht sein sollte.98 Ein solcher Expansionsschritt erforderte eine temporäre, stoß­ artige Rüstungsbeschleunigung und implizierte ein endgültiges Umschwenken auf eine Rüstungspolitik, die aus der inneren Substanz bestritten wurde und 92 Boelcke, S. 17–26; Ritschl, Wirtschaftspolitik, S. 131. 93 Ders., Zahlungsbilanz, S. 121. 94 Roth, Rüstungskonjunktur, S. 74 f.; Tooze, Ökonomie, S. 255. 95 Ebd., S. 276–278. 96 Geyer, Rüstungsbeschleunigung. 97 Ders., Rüstungspolitik, S. 146 f. 98 Niederschrift über Besprechung in der Reichskanzlei am 5.11.1937, abgedruckt in: Prozeß, Bd. 25, S. 402–413, Dok. PS-386; vgl. zu diesem Dokument auch Bußmann.

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Ressourcen­vernichtung in Kauf nahm, um dafür das Vorhandene effektiver auf das entscheidende Losschlagen ausrichten zu können.99 Zu dem Revirement, das in diesem Zusammenhang im Führungspersonal des NS-Staates erfolgte,100 gehörte auch der Wechsel in der Führung der deutschen Wirtschaft von Hjalmar Schacht zu Hermann Göring, dessen Bedeutung für die nationalsozialistische Judenverfolgung immer wieder erörtert worden ist.101 Obwohl nicht Differenzen in der Judenpolitik den Rücktritt Schachts auslösten, markiert die personelle Wende durchaus mehr als eine Veränderung »eher symbolisch-atmosphärischer Natur«,102 weil die jüdische Gewerbetätigkeit, zumindest soweit sie kriegswirtschaftlich relevant war, nun zu einer abhängigen Variable der Rüstungs- und Kriegspolitik des NS-Regimes wurde, bei der Göring eine andere Linie verfolgte, als es Schacht getan hatte.103 Es lag insofern nicht an der angeblich »schützenden Hand« des Reichswirtschaftsministers und Reichsbankpräsidenten, dass die wirtschaftliche Verfolgung der Juden bisher nicht stärker forciert worden war – auch sein Nachfolger Göring hatte sich noch im Sommer 1937 gegen die Idee Hitlers einer Sondersteuer für Juden ausgesprochen und das Projekt damit zu Fall gebracht.104 Ende 1937 war die Situation jedoch eine andere. In der Devisenpolitik hatte die Reichsregierung ihre letzten Handlungspotentiale verbraucht. Dass die Probleme der Devisenbilanz nach der Eroberung der österreichischen Währungsreserven dauerhaft an Bedeutung verlieren sollten, war noch nicht absehbar.105 Auch in der Finanzpolitik war der bisherige Weg nicht weiter gangbar. Nachdem die Entscheidung gefallen war, die letzten inneren Reserven zu mobilisieren, verblieben innerhalb des gegebenen Rahmens noch zwei Optionen: Einer in den Fallstricken der Bewirtschaftungslogik verfangenen Wirtschaft konnte der Zugriff auf die Devisen- und Warenkontingente jüdischer Unternehmer zusätzliche Bewegungsspielräume verschaffen, außerdem konnte das private Vermögen der jüdischen Bevölkerung für die Kriegsfinanzierung in Dienst genommen werden. Die weitere Entwicklung war damit zwar noch nicht vorgezeichnet. Aber mit den Grundsatzentscheidungen zur baldigen kriegerischen Expansion und zu einer Rüstungsbeschleunigung ohne Rücksicht auf volks- und finanzwirtschaftliche Gleichgewichtszusammenhänge waren zum Jahreswechsel 1937/38 immer mehr Gründe weggefallen, die einer Radikalisierung der Judenpolitik in der Wirtschaft im Wege gestanden hätten.

99 Geyer, Rüstungspolitik, S. 150 f.; Tooze, Ökonomie, S. 284–287. 100 Broszat, Staat, S. 363–379. 101 Genschel, S. 144–150; Adam, Judenpolitik, S. 121–125; Barkai, Boykott, S. 69–73; Fischer; Bajohr, Arisierung, S. 217–221; Kopper, Schacht, S. 317 f. 102 Bajohr, Arisierung, S. 217. 103 Kopper, Schacht, S. 306–317. 104 Herbst, Deutschland, S. 203. 105 Ritschl, Zahlungsbilanz, S. 104.

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b) Ausgrenzung, Verfolgung, Erfassung In den sozialen Verteilungskämpfen, von denen die NS-Machtübernahme begleitet wurde, fungierte Antisemitismus weniger als Code106 denn als Chiffre, die in viele Richtungen anschlussfähig war. Die antisemitische Ideologie lässt sich jedoch nicht auf eine soziale Funktion oder ein »Überbauphänomen« gesellschaftlicher Auseinandersetzungen reduzieren. Antisemitismus nahm im politischen Denken der NS-Führung die zentrale Rolle ein und bildete für die engere NS-Anhängerschaft vor und nach der Machtübernahme die entscheidende integrative Klammer.107 Seit Januar 1933 brach sich der antisemitische Furor der NS-Anhängerschaft eruptiv, flächendeckend und zunächst kaum gehindert Bahn. Die antisemitische Politik im nationalsozialistischen Deutschland folgte wie viele andere Politikbereiche keinem kohärenten Plan, sondern stellt sich als ein irritierendes und widersprüchliches Geflecht unterschiedlicher Handlungsimpulse auf verschiedenen Ebenen dar, das seine destruktive und schließlich mörderische Dynamik kumulativ steigerte.108 Die Ebene der obersten Gesetz­ gebungs- und Regierungsorgane spielte in diesem Prozess über längere Zeit nicht unbedingt jene Hauptrolle, die man aufgrund der Omnipräsenz antisemitischen Denkens innerhalb der Staats- und Parteiführung hätte erwarten können. Die Forschung zur antisemitischen Politik der Nationalsozialisten hat dies immer wieder als eine taktische Zurückhaltung interpretiert. Die über längere Zeit uneindeutige Politik des Regimes gegenüber den Juden war jedoch vor allem auch ein Resultat der Herausforderung, eine von irrationalen und magischen, sich zudem gegenseitig widersprechenden Elementen durchsetzte Ideologie in die Realität einer hochkomplexen modernen Gesellschaft zu implementieren. Eine Politik der antisemitischen Ausgrenzung und Diskriminierung, sollte sie auf die Wirtschaft angewandt werden, lief auf die radikale Reduzierung der Komplexität eines hochsensiblen Systems wirtschaftlicher Verflechtungen und Interaktionsbeziehungen hinaus, die unabsehbare Folgen nach sich ziehen musste. In der Phase der Konsolidierung des Regimes ergab sich hieraus ein Zielkonflikt, der zunächst nur im Sinne einer Priorisierung des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Stabilisierung der ökonomischen Strukturen zu lösen war, wollten die neuen Machthaber ihrer noch keineswegs unwiderruflichen Herrschaftsposition nicht wieder verlustig gehen. Die Reflexions- und Steuerungskapazitäten der nationalsozialistischen Führung überschätzt jedoch, wer diese politische Linie als eine Entscheidung im Bewusstsein einer klaren und lediglich vorerst zurückgestellten Alternative interpretiert.109 Denn das NS106 Volkov, Antisemitismus. 107 Kershaw. 108 Vgl. Schleunes; Adam, Aspekt; Mommsen, Realisierung. 109 So Bopf, S. 97.

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Regime konnte in Wahrheit auch deswegen keine andere, radikalere, konsequentere Judenpolitik initiieren, weil sich die antisemitische Ideologie ihrem Wesen nach in permanentem Widerspruch zur Realität befand und somit einer Operationalisierung dieser Ideologie in ein politisches Programm stets ein gewissermaßen natürliches Widerstandsmoment entgegenstand. Das betraf zunächst die elementare Voraussetzung einer rassistischen Politik: nämlich eine Systematik nach »rassischen« Kategorien definierter Gruppen. Da eine jüdische Rasse nicht existiert, musste sich die NS-Politik auf diesem Gebiet notwendigerweise mit widrigen Realitäten herumschlagen und mit unscharfen Lösungen operieren, die sich bis zum Ende der Herrschaftszeit nicht befriedigend vereindeutigen ließen. Wenn jedoch nicht einmal ausreichend bestimmt werden konnte, wer als »Jude« zu gelten hatte und wo genau die Grenzen zwischen dieser Bevölkerungsgruppe und anderen Gruppen zu ziehen waren, dann mussten die Definitionsschwierigkeiten sich bei der Frage, was unter einem »jüdischen Unternehmen« zu verstehen war, nochmals potenzieren. Kapital­ gesellschaften konnten unter Umständen gar nicht über einen eindeutigen Personenstamm identifiziert werden, die Grenzen eines als »jüdisch« stigmatisierten Segments innerhalb der komplexen wirtschaftlichen Beziehungsgeflechte waren noch viel weniger eindeutig zu ziehen. Es trug zur Dynamik und Polyvalenz der nationalsozialistischen Judenverfolgung jedoch gerade bei, dass die Reichsregierung aufgrund dieser Schwierigkeiten weder eine Definition dessen anbieten konnte, was sie unter »jüdischer Gewerbetätigkeit« verstehen wollte, noch einen klaren Kurs für den Umgang mit jüdischen Bürgern in der Wirtschaft vorgab. Zentrale Festlegungen erfolgten erst seit Ende des Jahres 1937. Das 25-Punkte-Programm der NSDAP forderte kein Verbot gewerblicher Betätigung für Juden. In seinen antisemitischen Passagen hatte es sich auf den Status von Juden als Staatsbürger und damit mittelbar auf ihre Beschäftigung in öffentlichen Ämtern konzentriert.110 In diesem Sinne konsequent, arbeitete die NS-Regierung zunächst ihr schriftlich erklärtes Programm ab. Mit dem unmittelbar nach der Machterlangung erlassenen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 suchte sie die Resultate der während der Weimarer Zeit formell herrschenden Rechtsgleichheit für jüdische Bürger zunächst in demjenigen Bereich rückgängig zu machen, der zentraler Steuerung unmittelbar zugänglich war, nämlich der staatlich-öffentlichen Sphäre. Das Gesetz verfolgte nicht allein einen antisemitischen Ansatz, sondern war auf die Verdrängung parteipolitisch missliebiger Beamter und die Einschüchterung der übrigen, zu einem Teil republikanisch gesinnten Beamtenschaft ausgerichtet, auf die eine administrativ gänzlich unerfahrene NS-Führung nicht verzichten konnte.111 Auf die jüdische Gewerbetätigkeit wirkte sich das Gesetz also eher mittelbar aus. Zum einen war mit der ersten Ausführungsverordnung so etwas wie 110 Abgedruckt in: Hofer, S. 24. 111 Mommsen, Beamtentum; Mühl-Benninghaus.

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eine Definition derjenigen Bürger geliefert worden, die als »Juden« gelten sollten. Damit wurde eine dezentrale, über das unmittelbare Anwendungsfeld des Gesetzes weit hinausreichende Dynamik losgetreten, denn zahlreiche Stellen und Instanzen griffen diese Vorgabe dankbar auf und sahen in dem Verordnungstext eine beliebig übertragbare Diskriminierungsformel auch für andere Anwendungsbereiche.112 Zum anderen wurden zahlreiche Betroffene ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt, was sich gravierend auf die soziale und ökonomische Gesamtsituation der deutsch-jüdischen Minderheit auswirkte. Für die bereits während der 1920er Jahre etablierten Strukturen der innerjüdischen Wirtschafts- und Sozialhilfe stellte dies eine schwere Herausforderung dar. Nicht wenige ehemalige Beamte, Richter, Rechtsanwälte und Kulturschaffende sahen sich auf den Bereich der freien Wirtschaft verwiesen, suchten als selbständige Handelsvertreter oder Rechtsberater ein Auskommen oder investierten Kapital in bereits bestehende Unternehmen, deren Teilhaber sie damit wurden. Die Verdrängung von Juden aus öffentlichen Ämtern und staatlich reglementierten Berufsfeldern führte somit partiell zu einer Verlagerung jüdischer Wirtschaftsaktivität in noch nicht von rechtlicher Diskriminierung erfasste Bereiche, womit sie die innerjüdischen Verflechtungen, aber auch die Konkurrenz intensivierte. Dieser Prozess sollte sich in den folgenden Jahren verstärken, als das Regime weitere staatlicher Konzessionierung unterliegende Branchen einer antisemitischen Diskriminierungspolitik unterwarf und die davon Betroffenen in andere Bereiche oder in die Strukturen sozialer Fürsorge drängte. Mit den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 machte die Reichsregierung klar, dass sie das ideologische Ziel einer Stigmatisierung und Ausgrenzung jüdischer Bürger auch verfassungsmäßig festgeschrieben sehen wollte.113 Die Gesetze schufen ein System abgestufter Bürgerrechte und suchten den privaten und intimen Umgang nach rassistischen Kriterien definierter Bevölkerungsteile untereinander zu reglementieren. Dieses Streben nach Eindeutigkeit, das einen jahrhundertelangen Prozess der Integration und Verflechtung jüdischer Menschen in die deutsche Mehrheitsgesellschaft auf brachiale Weise rückgängig machen wollte, wurde allerdings konterkariert durch die Unschärfen und die bizarren Inkonsequenzen, die eine pseudowissenschaftliche Abstammungslehre produzieren musste, auf deren Grundlage letztlich nur ein diffuses Feindbild notdürftig in Gesetzesparagraphen transponiert werden konnte. Entgegen der apologetischen Erinnerungen direkt Beteiligter entstanden die Gesetze keineswegs kurzfristig und überhastet, vielmehr verhinderten die fortdauernden und bis in die 1920er Jahre zurückreichenden Auseinandersetzungen zwischen Vertretern unterschiedlicher, miteinander nicht verein­ barer Varianten des NS-Antisemitismus eine gesetzliche Regelung über längere 112 Ebd., S. 50; Barkai, Boykott, S. 37. 113 Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935, RGBl. I, S. 1146; Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.9.1935, ebd.

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Zeit.114 Somit stellen die im dritten Jahr der NS-Herrschaft erlassenen Nürnberger Gesetze nur die verzögerte Verwirklichung wesentlicher Kernforderungen des nationalsozialistischen Antisemitismus dar, die eigentlich schon unmittelbar nach der Machtergreifung im Raume gestanden hatten.115 Eine Aussage über die wirtschaftliche Betätigung der zu Staatsbürgern zweiter Klasse zurückgestuften Juden enthielten die Gesetze nicht. Obwohl immer wieder Gerüchte über einschlägige Gesetzesvorhaben kursierten,116 trat die Reichsregierung für längere Zeit auf diesem Gebiet nicht mehr bedeutsam in Erscheinung. Der eigentliche Ort antisemitischer Politik und wirtschaftlicher Verfolgung war daher die regionale und lokale Ebene. Die Gesetze und Verordnungen der Reichsregierung in den ersten Jahren der NS-Herrschaft lassen sich immer auch als die post festum erfolgende Legalisierung vielfältiger Verdrängungsund Diskriminierungspraktiken verstehen, die bereits allenthalben im Gange waren. Diese Dynamik war nicht vollkommen dezentral, denn die deutschen Kommunen begannen frühzeitig, sich untereinander über antisemitische Verwaltungspolitik auszutauschen und hierzu den Deutschen Gemeindetag als Kommunikationsplattform und Koordinierungsinstanz zu nutzen.117 Es war somit kein exzeptioneller Vorgang, als bereits am 28. März 1933 durch den noch kommissarischen Frankfurter Oberbürgermeister Krebs telephonisch aus Berlin die Verfügung erlassen wurde, sämtlichen jüdischen Angestellten der Stadtverwaltung »zum gesetzlich zulässigen nächsten Termin unter Vorbehalt der fristlosen Kündigung im Falle entsprechender gesetzlicher Ermächtigung« zu kündigen sowie jüdische Beamte mit sofortiger Wirkung zu beurlauben.118 Die Verfügung wurde aus der seit Anfang März zunehmend eskalierenden Kam­ pagne gegen jüdische Beamte und insbesondere Juristen heraus geboren, in deren Verlauf reichsweit gewalttätige Ausschreitungen und die Besetzung von Verwaltungs- und Gerichtsgebäuden vermeldet und allenthalben bereits vorläufige diskriminierende Regelungen auf regionaler Ebene vorbereitet wurden.119 Am 28. März war in einer Ausschusssitzung des Deutschen Städtetages eine reichsgesetzliche Regelung zur Beendigung jüdischer Beamtenverhältnisse vertraulich für die nächsten Wochen angekündigt worden.120 Solange glaubten 114 Essner, S. 21–75. 115 Vgl. etwa den von einer informellen Arbeitsgemeinschaft unter Beteiligung des Berliner Staatskommissars Lippert erarbeiteten Entwurf eines Judengesetzes, 6.4.1933, RGVA/ TsKhIDK, Fond 500, 1/379, Bl. 1–11; hierzu auch Essner, S. 82–86. 116 So teilte die Gauleitung Hessen-Nassau im Oktober 1935 in einem vertraulichen Rundschreiben mit, in Kürze werde ein Gesetz die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte anordnen; Rundschreiben 39/35, 31.10.1935, HStAW, Abt. 483, 11228. 117 Gruner, Gemeindetag. 118 Aktenvermerk über telefonische Anordnung von OB Krebs aus Berlin, 28.3.1933, IfS, Magistratsakten, 5039, Bl.  3 f.; Verfügung des Magistrats-Personaldezernenten Nr.  103, 28.3.1933, ebd., Bl. 5 f. 119 Adam, Judenpolitik, S. 37–40; Göppinger, S. 49–55; Gruchmann, S. 124–168. 120 Adam, Judenpolitik, S. 46 u. Anm. 183.

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die kommunalen Amtsträger aber nicht mehr warten zu können. Krebs nahm zwar Bezug auf eine solche zukünftige Regelung, die Entlassungen und Beurlaubungen wurden rechtlich aber noch auf die Preußische Sparverordnung von 1931 gestützt. Dieses dem gewalttätigen Treiben auf den Straßen hinterherhechelnde, den reichsgesetzlichen Regelungen wiederum vorauseilende antisemitische Engagement hatte indes zur Folge, dass die zuerst breit gefasste und keine in der Person liegenden Ausnahmen vorsehende Anordnung nachträglich korrigiert und diejenigen Personen, die unter die Ausnahmeregelungen des Berufsbeamtengesetzes fielen, wieder in den Dienst übernommen werden mussten. Erst in der Folge der Nürnberger Rassengesetzgebung wurden auch sie aus ihren Dienstverhältnissen entlassen.121 Die Frankfurter Stadtregierung grenzte damit aus ihrem eigenen Personalstamm jüdische Bürger aus und brachte ihr Vorgehen über korrigierendes Nachsteuern mit den reichsgesetzlichen Vorgaben in Deckung. Ihre Politik der Ausgrenzung und Separierung ging jedoch darüber hinaus: Die Verfügung des Oberbürgermeisters verbot sämtlichen Dienst­stellen den Einkauf in jüdischen Geschäften und ordnete an, alle Verträge mit jüdischen Firmen zum nächstmöglichen gesetzlichen Termin zu kündigen, ebenfalls mit dem Vorbehalt der fristlosen Kündigung im Falle einer kommenden gesetzlichen Ermächtigung. Doch für den Umgang mit jüdischen Gewerbeunternehmen erfolgten zunächst keine orientierungsstiftenden Reichsregelungen, so dass sich die Kommunen in einem Trial-and-Error-Verfahren auf ihrer antisemitischen Linie fortbewegten. Der Frankfurter Magistrat suchte zielstrebig alle Verbindungen zwischen dem städtisch-öffentlichen Sektor und der Sphäre jüdischer Gewerbetätigkeit zu kappen. Der Oberbürgermeister trieb die Segregationspolitik noch weiter ­voran, indem er allen städtischen Bediensteten verbot, im Falle von Erkrankungen jüdische Ärzte aufzusuchen.122 Das ließ sich, anders als etwa Einkäufe in jüdischen Geschäften, anhand der eingereichten Bescheinigungen direkt kontrollieren, auch wenn die mehrmalige und in zunehmend schärferem Ton erfolgende Wiederholung der Anordnung zeigt, dass die städtische Angestelltenschaft noch bis ins Jahr 1934 hinein Resistenz zeigte.123 Über den kommunalen Sektor und die Gruppe der dort Beschäftigten hinaus besaß die Stadtverwaltung nur eingeschränkte Handhabe zu Eingriffen in das Wirtschaftsleben in antisemitischer Absicht. Wo diese aber bestanden oder sich aus den traditionellen gewerbepolizeilichen Aufgaben herleiten ließen, nutzte man sie. So genehmigte der Frankfurter Magistrat im Oktober 1933 eine Polizeiverordnung, die »unzuverlässigen Händlern« das Betreten des Schlacht- und Viehofs verbot. Dazu wurde die seit 1912 bestehende Betriebsordnung für den

121 Wippermann, Bd. 1, S. 55 f. 122 Verfügung Nr. 42 des OB, 16.6.1933, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 216, Bl. 400. 123 Verfügung Nr. 103 des OB, 8.11.1933, ebd., Bl. 476; Rundverfügung Nr. 154, 3.2.1934, ebd., Bl. 537.

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Schlachthof geändert.124 Diese Maßnahme folgte der Linie einer politisierten Gewerbepolitik, die sich keiner explizit antisemitischen Semantik bediente, antisemitischer Diskriminierung jedoch bewusst Einfallstore schuf. Eine eindeutige Sprache pflegte die Stadtregierung hingegen dort, wo sie aufgrund eigener Zuständigkeit einen Ansatzpunkt für antisemitische Politik fand. Im Oktober 1935 berichtete Stadtrat Werner Fischer-Defoy in einer Amtsleiter-Besprechung, trotz mündlicher Belehrung kauften die Empfänger von Bestellscheinen des Wohlfahrtsamtes weiterhin in jüdischen Geschäften. Da sich das Kaufverhalten der Menschen nicht ohne Weiteres beeinflussen ließ, beschloss der Magistrat, alle an Fürsorgeempfänger auszuhändigenden Bestellscheine mit dem Aufdruck »Nur gültig für deutsche Geschäfte« zu versehen – ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine amtliche Definition dessen vorlag, was als »deutsches Geschäft« zu verstehen sei.125 Mit solchen Diskriminierungsversuchen gegen jüdische Gewerbetreibende befand sich die Stadtregierung durchaus in einem latenten Gegensatz zu den Regierungsstellen auf Reichsebene. Nachdem zahlreiche Städte unmittelbar nach der Machterlangung jüdische Betriebe von der öffentlichen Auftragsvergabe generell ausgeschlossen hatten, erließ das Reichskabinett am 14. Juli 1933 diesbezügliche Richtlinien, mit denen die Einmischung anderer als der gesetzlich vorgesehenen Organe, insbesondere des Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand, in diesen Regelungsbereich unterbunden werden sollte.126 Diese bestimmten die Bevorzugung »arischer« vor »nichtarischen« Firmen bei gleichwertigen Angeboten, wobei Arbeitsplatzverluste für deutsche Beschäftigte aber vermieden werden sollten. Das implizierte immerhin, dass ein genereller Ausschluss jüdischer Firmen von öffentlichen Aufträgen nicht vorgesehen war.127 Nachdem ein Erlass vom 5. September 1933 die Formulierung sinngemäß wiederholt hatte, stellte das RWM in einem Schreiben an den Industrieund Handelstag deutlicher klar, dass eine Unterscheidung zwischen arischen und nichtarischen Unternehmen »nicht für durchführbar gehalten« werde und den wirtschaftlichen Wiederaufbau störe.128 Eine Garantieerklärung für ein freies Wirtschaftsleben hätte anders geklungen, doch sollte die Reichsregierung bis 1938 an der so formulierten Position zumindest offiziell festhalten und immer wieder punktuell gegen Verstöße vorgehen. Daher musste die Frankfurter Stadtregierung den Ausschluss jüdischer Händler von den Versteigerungen der städtischen Darlehensanstalt im März 1934 zurücknehmen, nachdem die Firma Hermann Friedberg & Co. beim Wiesbadener Regierungspräsidenten hiergegen Beschwerde eingelegt hatte.129 124 Beschluss Nr. 970 des Magistrats, 9.10.1933, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 176. 125 Amtsleiter-Besprechung Nr. 696, 1.10.1935, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 203. 126 Richtlinien zur Vergebung öffentlicher Aufträge, 14.7.1933, in: Walk, I/173, S. 37. 127 Vgl. auch Gruner, Wohlfahrt, S. 54–56. 128 RWM an Deutschen Industrie- und Handelstag, 8.9.1933, in: Walk, I/240, S. 50. 129 Beschluss des Magistrats Nr.  1036, 23.10.1933, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P  176; Amtsleiter-Besprechung Nr. 235, 26.3.1934, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 196.

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Solche Niederlagen konnten die Stadt nicht davon abhalten, im Verbund und im Austausch mit den deutschen Kommunen die Freiräume für antisemitische Verwaltungspolitik weiter auszutasten und deren Grenzen schrittweise zu erweitern, wie sich am Beispiel der Zulassung jüdischer Händler zu städtischen Märkten und Messen zeigen lässt.130 Die Frankfurter Stadtverwaltung hatte bei der Frühlingsmesse 1933 zunächst den jüdischen Händlern eine separate Standreihe zugewiesen, was sich aber als nachteilig für das gesamte Verkaufsgeschäft herausstellte. Anschließend verfolgte man die Linie, bei der Vergabe von Markt- und Messeständen die Bestimmungen des Berufsbeamtengesetzes sinngemäß anzuwenden und entsprechende Dokumente an jüdische Händler auszustellen. Im Sommer 1933 wurden jedoch die Forderungen der Frankfurter Ortsgruppe des Reichsverbands ambulanter Gewerbetreibender immer lauter, sämtliche Juden ohne Ausnahme von der Platzvergabe auszuschließen. Dabei verwies diese auf angeblich verschärfte Bestimmungen der NSDAP-Reichsleitung sowie auf das kompromisslose Vorgehen in anderen Regionen. Der vom Verkehrs- und Wirtschaftsamt um Entscheidung gebetene Oberbürgermeister ließ ein Gutachten der Industrie- und Handelskammer erstellen, das die uneinheitliche Praxis in den deutschen Landesteilen bestätigte und mangels anderer Orientierungsmöglichkeiten die Anwendung der Bestimmungen des Berufsbeamtengesetzes für das zweckmäßigste erklärte.131 Die Möglichkeit, einfach das geltende Recht zu praktizieren, kam für die Beteiligten offenbar nicht in Betracht. Vorerst erklärte sich das Stadtoberhaupt einverstanden, bat aber gleichzeitig den Deutschen Gemeindetag, mit der NSDAP-Reichsleitung in Kontakt zu treten und den Gegenstand noch einmal zu erörtern.132 In der Zwischenzeit hatten die Klagen jüdischer Betroffener die obersten Reichsbehörden erreicht und das Reichswirtschaftsministerium veranlasst, ein klärendes Rundschreiben in der Angelegenheit anzukündigen. Bis zu dessen Vorliegen sollten zumindest jüdische Markthändler, die unter die Ausnahmebestimmungen des Berufsbeamtengesetzes fallen würden, weiterhin ihr Gewerbe betreiben können.133 Das Ministerium bestätigte also zunächst die eingespielte Praxis vorläufig, um Ende September 1933 doch den allgemeinen und ungehinderten Zugang zu Märkten und Messen auch für jüdische Händler (wieder)herzustellen und eine rassistische Unterscheidung von Bewerbern für »mit dem nach wie vor geltenden Grundsatz der Markt- und Gewerbefreiheit nicht vereinbar« zu erklären.134 Die Einschaltung der NSDAP in die Gewerbepolitik wurde damit eingedämmt, denn diese musste in der Folge ihre Praxis beenden, in eigener Regie Ausnahmebescheinigungen an jüdische Markthändler auszustellen und die Zu130 Vgl. zum Folgenden auch Gruner, Gemeindetag. 131 Verkehrs- und Wirtschaftsamt an OB, 25.7.1933, IfS, Magistratsakten, 5933, Bl. 52; dass., 17.8.1933, ebd., Bl. 53. 132 OB an Verkehrs- und Wirtschaftsamt, 18.8.1933, ebd., Bl. 56; Magistrat an Deutschen Gemeindetag, 18.8.1933, ebd., Bl. 57. 133 Rundschreiben des Regierungspräsidenten in Wiesbaden, 12.8.1933, ebd., Bl. 58. 134 Rundschreiben RWM an die Länderregierungen, 25.9.1933, IfS, Magistratsakten, 5934.

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lassungspolitik bei der Parteileitung zu zentralisieren. Bereits vorher hatte das Zentralkomitee der Boykottbewegung jedoch den Deutschen Gemeindetag auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, jüdische Händler nicht generell, aber aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Einzelfall auszuschließen. Dieser nahm die Anregung gerne auf und verallgemeinerte sie in einem Rundschreiben an die Städte noch durch die Erläuterung, die Gefahr einer Störung der öffentlichen Ordnung durch die Zulassung jüdischer Händler sei wohl in den meisten Fällen gegeben – den Einzel- wollte man also gleich wieder zum Regelfall machen.135 Der Gemeindetag fungierte auf diese Weise als eine Koordinierungsinstanz, die den Städten eine Orientierungsgrundlage für antisemitische Verwaltungspolitik auch jenseits der und bisweilen gegen die reichsgesetzlichen Bestimmungen lieferte. Die Stadt Frankfurt schöpfte den damit suggerierten Spielraum zwar nicht aus, verbot aber im Zuge einer reichsweiten Welle diskriminierender Verwaltungsmaßnahmen nach Erlass der Nürnberger Gesetze jüdischen Händlern und Schaustellern die Zulassung zu städtischen Kirchweihen und Volksfesten, die nicht unter die Gewerbeordnung fielen.136 Die Frankfurter Stadtverwaltung zeigte sich insgesamt im Vergleich zu anderen Städten zurückhaltender im Bestreben, auch gegen die von der Reichs­ regierung erklärten Prinzipien die gewerblichen Aktivitäten ihrer jüdischen Bürger einzuschränken und trat innerhalb der regen Austauschkommunikation im Gemeindetag nicht federführend in Erscheinung. Das galt aber nur für den Bereich der Gewerbe- und Wirtschaftspolitik. Auf dem Gebiet der genuin kommunalen Angelegenheiten, bei dem die Reichsregierung den Städten zwar wenig Orientierungshilfe bot, ihrem regen Eigenengagement aber auch kaum Grenzen setzte, trat Frankfurt als energischer Schrittmacher einer forcierten Ausgrenzungs- und Separierungspolitik hervor. Bei der städtischen Fürsorge, die in immer stärkerem Maße durch ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubte jüdische Bürger in Anspruch genommen wurde, sowie in der Erbgesundheitspolitik spielte der zuständige Stadtrat Fischer-Defoy eine führende Rolle in den regionalen und überregionalen Ausschüssen der Kommunen und des Gemeindetages.137 Frankfurt ging im September 1936 früher als die meisten anderen Städte dazu über, für jüdische Fürsorgeberechtigte eine Sonderabteilung innerhalb der städtischen Wohlfahrt zu schaffen und diese damit organisatorisch und auch räumlich-physisch zu separieren.138 Das war nur ein Schritt im größeren Rahmen einer allgemeinen Separierung der Juden durch die Erschwerung und Behinderung des Zugangs zu kommunalen Einrichtungen, wie sie sich in den Jahren bis 1937 in deutschen Städten allenthalben vollzog.139 Aber auch für 135 NSDAP-Reichsleitung an Deutschen Gemeindetag, 19.9.1933, IfS, Magistratsakten, 5933, Bl. 54; Mitteilung »Vergebung von Ständen auf Märkten und Messen« des Deutschen Gemeindetages, o. D. [Oktober 1933], ebd., Bl. 55. 136 Amtsleiter-Besprechung Nr. 734, 14.10.1935, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 203. 137 Gruner, Wohlfahrt, S. 60–63. 138 Amtsleiter-Besprechung Nr. 655, 21.9.1936, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 206. 139 Gruner, NS-Judenverfolgung, S. 94–98.

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die noch wirtschaftlich tätigen jüdischen Bürger war die Separierungspolitik in ihrem Alltag drückend spürbar. Nach und nach wurden Juden in Frankfurt von öffentlichen Einrichtungen wie Badeanstalten, Sportstätten und Veranstaltungssälen ausgeschlossen.140 Diese Verdrängung aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Raum dürfte sich als das spürbarste und nachdrücklichste Moment der Judenverfolgung dargestellt haben. Die soziale ging also der ökonomischen Ausgrenzung oftmals voraus, und gerade auf diesem Feld war der Anteil der Stadtverwaltungen am Verfolgungsprozess hoch. Ein struktureller oder programmatischer Gegensatz zwischen der Frankfurter Stadtverwaltung und den lokalen Parteiinstanzen lässt sich trotz der Reibereien zwischen Oberbürgermeister Friedrich Krebs und dem hessischen Gauleiter Jakob Sprenger nicht ausmachen.141 Tatsächlich hatte die nationalsozialistische Bewegung die Frankfurter Stadtverwaltung im Zuge der Machtübernahme ohnehin bereits durchdrungen. Der zunächst kommissarisch amtierende, später offiziell ernannte Krebs war ein Nationalsozialist der ersten Stunde, der, obwohl er mit der Befähigung zum Richteramt die formelle Qua­ lifikation für sein Amt erfüllte, ohne sein langjähriges Engagement in der völkischen und nationalsozialistischen Bewegung sicherlich nie in eine kommunale Spitzenposition aufgestiegen wäre.142 Das galt auch für die weiteren hauptamtlichen Stadträte, die seit 1933 berufen wurden.143 Dass sie eine Minderheit gegenüber den über den Systemwechsel hinaus amtierenden Magistratsmitgliedern bildeten, fiel kaum ins Gewicht.144 Während Krebs durchaus die Orientierung an satzungsgestütztem Verwaltungshandeln suchte, empfing der ­Magistrat des Öfteren auch zusätzliche Impulse durch die ehrenamtlichen Ratsherren. Nachdem sich Gauleiter Sprenger die Entscheidungsmacht über deren Berufung ge­sichert hatte, waren in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung besonders viele NS-Funktionäre eingezogen.145 Diese, in der Regel von jeder Sachkenntnis unbelastet, zeigten bei den routinemäßigen Verwaltungsaufgaben zwar völlige Passivität, entwickelten aber bei NS-Kernthemen wie der Mittelstandsförderung und der Judenverfolgung lebhaftes Engagement. So kam es, dass von eifrigen Ratsherren immer wieder Vorgänge wie die Anzeige einer jüdischen Firma, die versehentlich durch das Städtische Anzeigen­ 140 Joseph B. Levy, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933, ZfA, Hougton Library, 7/135, Bl. 40; Wippermann, Bd. 1, S. 68–83. 141 Zibell, S. 338–348. Die Legende von der Gegnerschaft Krebs’ gegen einen radikalen Nationalsozialismus ist selbstfabriziert und hat in dessen Verteidigungsstrategie vor der Spruchkammer ihren Ursprung; vgl. Mick, S. 91–95. In der Tat war jedoch Krebs’ Ablösung während der Kriegszeit bereits fast beschlossene Sache; vgl. Matzerath, Oberbürgermeister, S. 246 u. Anm. 31. 142 Drummer, Krebs; Schneider, Quellen. 143 Tüffers, Magistrat, S. 209–215. 144 Zur im Allgemeinen reibungslosen Kooperation von Stadtverwaltung und Parteistellen zuletzt Gotto. 145 Tüffers, Magistrat, S. 57 f.

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blatt aufgenommen worden war, oder die bisher versäumte Entfernung von Wandbildern jüdischer Stadtpersönlichkeiten in einem öffentlichen Schwimmbad zum Thema gemacht wurden und regelmäßig auch städtisches Verwaltungshandeln in Gang zu setzen vermochten.146 Ganz entgegen der sonstigen Gepflogenheiten ließen die Ratsherren auch dann nicht locker, wenn der Oberbürgermeister sich für formal unzuständig oder das Anliegen für verwaltungstechnisch nicht lösbar erklärte, wie etwa in der Frage der Vermietung von städtischen Sälen für jüdische Veranstaltungen, die an eine private Aktiengesellschaft ausgelagert worden war.147 Wenn sich solche Schwierigkeiten nicht ergaben und die Maßnahmen sich ohne unliebsame Nebenerscheinungen ausschließlich zuungunsten der jüdischen Bürger ausgestalten ließen, gab man den Anregungen allerdings regelmäßig nach. Die Beiträge der Ratsherren erreichten die Stadtverwaltung zufällig und unsystematisch, beruhten vielfach auf echten oder vermeintlichen Beobachtungen aus dem städtischen Alltag. Viel massiver gestaltete sich der Druck, den die NS-Anhängerschaft im öffentlichen Raum entfaltete. Nachdem im Laufe des März 1933 die gewaltsamen Ausschreitungen der triumphierenden NS-Anhängerschaft außer Kontrolle zu geraten und die diplomatischen und außenwirtschaftlichen Beziehungen des Deutschen Reiches in ernsthafte Gefahr zu bringen drohten, entschlossen sich Reichsregierung und Parteileitung, die eruptive Gewalt zu kanalisieren und in einen berechenbaren organisatorischen Rahmen zu überführen.148 Vom 1.  April 1933 an sollte ein systematischer, mehrtägiger Boykott einsetzen. Das bei der Parteileitung angesiedelte Zentralkomitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze und die lokalen Aktionskomitees wurden dabei von den Regierungs- und Verwaltungsstellen unterstützt.149 Als am Vorabend des Boykotts im Gebäude der Frankfurter Industrie- und Handelskammer eine Versammlung jüdischer Unternehmer zusammenkam, um über die Auswirkungen der Aktion und mögliches Reaktionsverhalten zu beratschlagen, drangen SS-Leute in den Saal ein und verschleppten die Anwesenden ins Polizeipräsidium, wo die meisten bald darauf wieder freigelassen, einige jedoch auch noch mehrere Tage festgehalten wurden.150 Nach dieser gewaltsamen Einschüchterung verlief der Boykotttag selbst vergleichsweise unspektakulär.151 Zahlreiche jüdische Geschäftsinhaber schlossen, nachdem Partei-, SA- und SS-Angehörige vor ihren Geschäften Auf146 Niederschrift über die nichtöffentliche Beratung mit den Gemeinderäten am 5.4.1937, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 89; dass. [März 1938], IfS, Magistratsakten. Nachträge, 107. 147 Niederschrift über die nichtöffentliche Beratung mit den Gemeinderäten am 3.2.1938, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 106. 148 Schleunes, S. 62–91; eine andere Sichtweise entwickelt Barkai, Boykott, S. 26–35. 149 Vgl. das Rundschreiben des kommissarischen Regierungspräsidenten an die Landräte, ­Polizeipräsidenten, Magistrate pp., 30.3.1933, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 216, Bl. 364. 150 Rebentisch, Zeiten, S. 201. 151 Bericht der Frankfurter Zeitung, 31.3.1933, abgedruckt in: Dokumente, I/3, S. 21 f.; Wipper­ mann, Bd. 1, S. 56 f.

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stellung genommen hatten und potentielle Kunden offensiv vom Betreten abhielten, bereits gegen Mittag.152 Nach überwiegender Meinung der Forschung wertete die Reichsführung die Boykottaktion entgegen der lautstarken Propaganda keineswegs als Erfolg und distanzierte sich in den folgenden Monaten von ungesteuerten und gewalttätigen Aktionen, die in teilweise recht deutlicher Weise untersagt wurden.153 Insbesondere gemeint waren damit Eingriffe in die innere Struktur von Betrieben, doch auch Boykottaufrufe im Allgemeinen und entsprechende Aktionen wurden von Partei- und Reichsleitung nicht mehr offiziell unterstützt. Das Zentral­ komitee der Boykottbewegung erinnerte zwar im August 1933 die Parteistellen noch einmal an sein Weiterbestehen, verkündete aber gleichzeitig, seine Tätigkeit solle sich jetzt »mehr im Stillen« abspielen. Man bat dazu um die »Beobachtung und Meldung von Korruptionsfällen und anderen wirtschaftlichen Vorgängen, bei welchen Juden eine üble Rolle spielen«,154 um ausreichendes Material für eine kontinuierliche hetzerische Pressearbeit zu erhalten, deren Vorreiter der Stürmer blieb, die jedoch auch auf den Seiten des lokalen Frankfurter Volksblattes weitgehend ungehemmt fortgesetzt wurde.155 Vielen NS-Anhängern war das nicht genug. Immer wieder suchten sie mit Aktionen ihre radikal-antisemitische Gesinnung auszustellen und in die Öffentlichkeit zu tragen. So wurde dem Reichsinnenministerium von der Jüdischen Gemeinde berichtet, dass im Mai 1934 mehrmals ca. zwei Meter lange Schilder mit offenkundig vom Stürmer inspirierten judenfeindlichen Aufschriften und Boykottaufrufen an verschiedenen Stellen im Stadtbild angebracht worden waren. Dies wiederholte sich, als im Herbst 1934 eine Kampagne der Frankfurter NSDAP für »Deutsche Geschäfte« begann, und zog sich bis in den Februar 1935 hin.156 In diesem Zeitraum wurde von SA-Männern auch mehrere Male eine lebensgroße, karikaturhafte Figur mit der Aufschrift »Wer vom Juden frisst, stirbt daran!« an verschiedenen öffentlichen Plätzen aufgestellt und photographiert. Die Polizei ordnete mehrmals die Entfernung an, kon­f iszierte das Machwerk aber nicht, so dass es jeweils kurz darauf andernorts wieder auftauchte.157 Bei diesen symbolischen Aktionen blieb es nicht. Während der Weihnachtstage 1934 entlud sich das antisemitische Gewaltpotential wieder in offener Weise. 152 NSDAP-Ortsgruppe Fechenheim an Kreisleitung Groß-Frankfurt, 4.4.1933, HStAW, Abt. 483, 819b, Bl. 56. 153 Friedländer, S. 34–36. 154 Zentralkomitee der Boykottbewegung an Gauleitung Hessen-Nassau, 31.8.1933, HStAW, Abt. 483, 10119, Bl. 27. 155 Zu Rolle des Stürmer Kreutzmüller/Weber; zur NS-Presse in Frankfurt und Hessen Koch, Artillerie. 156 Israelitische Gemeinde Ffm. an RdI, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3182, Bl.  382–389 (CAHJP, M2/8808). 157 Ortsgruppe Ffm. an CV, 21.1.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/236, Bl.  211 (CAHJP, M2/8699).

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Die organisierten Boykottaktionen begannen am späten Nachmittag des 22.  Dezember, als mehrere Personen vor dem Warenhaus Adolf Salberg Aufstellung nahmen, die Eingänge absperrten und die Schaufenster mit Zetteln beklebten, auf denen unter anderem zu lesen war: »Niemand kauft bei mir, denn ich bin ein Jude!«. Nach einer Stunde hatte sich vor dem Geschäft eine Menge von 200 Personen angesammelt, die Einkaufenden den Zutritt verwehrten und sie beschimpften. Wenig später versuchte diese Menge, in den Laden einzudringen und wurde nur mit Mühe von Polizeibeamten zurückgehalten. Dabei kam es zu tumultartigen Szenen, Steine flogen und zertrümmerten die Schaufensterscheiben.158 Am nächsten Tag wurden diese Aktionen noch ausgeweitet, insgesamt zehn größere jüdische Geschäfte in der Innenstadt, die meisten auf der Zeil oder in der Umgebung, waren betroffen. Dabei marschierten jeweils mehrere Personen in Zivil auf und bildeten vor den Geschäftseingängen Sperrketten, durch die ein Durchkommen nicht mehr ohne Weiteres möglich war. Im Falle der Firma F. Ehrenfeld auf der Zeil wurde eine solche Sperrkette sogar in den Geschäftsräumen gebildet, um den Kunden den Zugang zur Kasse zu verwehren.159 Vor den Eingängen der nahegelegenen Westdeutschen Kaufhof AG, deren angebliche »Gleichschaltung« nationalsozialistischen Aktivisten noch längere Zeit verdächtig vorkam, wurden die Kunden mit Sprechparolen empfangen. Es kam zu Schlägereien, als Personen durch die Sperrketten zu gelangen versuchten und sie dabei gestoßen und herumgeschubst oder ihnen die Hüte vom Kopf geschlagen wurden. Im Einheitspreisgeschäft Ehape, ebenfalls auf der Zeil, kam es zu Tumulten, als eine Gruppe Aktivisten versuchte, das Geschäft zwangsweise zu schließen. Mehrere Personen an jedem Eingang verweigerten den Kunden den Zutritt und ließen die bereits im Geschäft Befindlichen auch nicht heraus, so dass diese das Gebäude nur durch einen Nebeneingang verlassen konnten. Fast alle jüdischen Geschäftsinhaber wandten sich angesichts der Absperrungen und Ausschreitungen an die Polizeibehörden. Diese erteilten jedoch die Auskunft, dass gegen die Sperrketten selbst nicht vorgegangen werden könne, sondern entsprechend höherer Anweisung nur der Passantenverkehr gesichert und Menschenansammlungen verhindert werden sollten.160 Selbst wo dies zögerlich durchgesetzt wurde, entspannen sich schnell Konflikte zwischen den meist nur in geringer Stärke anrückenden Polizeibeamten und den antisemitischen Aktivisten. Als am 23. Dezember das Überfallkommando der Feldjägerbereitschaft wegen der immer bedrohlicher werdenden Menschenansammlung vor der erwähnten Firma Ehrenfeld verständigt wurde, rückten gerade einmal drei Beamte der Schutzpolizei und drei Feldjäger aus, um die Menge zu zer158 Hierzu und zum Folgenden: Bericht der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Wiesbaden, 6.2.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/343, Bl. 93–97. 159 Bericht des CV an das Geheime Staatspolizeiamt, 29.12.1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3192, Bl. 92–94 (CAHJP, M2/8808). 160 Ebd.

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streuen. Dabei wurden sie selbst Opfer verbaler und tätlicher Angriffe; einem Beamten wurde die Uniform zerfetzt, ein Feldjäger von einem SS-Mann mit derben Schimpfworten belegt.161 Als die Sicherheitsleute fünf Personen, die sich besonders auffällig gebärdeten, zum Einsatzwagen verbrachten, umringte eine drohende Menge das Fahrzeug, aus der heraus der SS-Oberscharführer Ernst Holland auf das Trittbrett sprang und versuchte, einen der Feldjäger aus dem Wagen zu zerren.162 Nur mit gezogener Waffe konnte sich die Besatzung der Angreifer schließlich erwehren und die Festgenommenen abtransportieren. Beinahe bürgerkriegsähnliche Zustände drohten wenig später, als bis zu 40 Angehörige einer SS-Standarte in voller Bewaffnung mit Autos und Motorrädern vor der Unterkunft der Feldjägerbereitschaft auffuhren, um die Freilassung der Festgenommenen zu erzwingen. Die Festgenommenen erwiesen sich als SS-Angehörige, die sich in Zivilkleidung an den Aktionen beteiligt hatten. Auch in den anderen Fällen, in denen es Polizei und SD gelang, die Rädelsführer namentlich festzustellen, erwiesen diese sich allesamt als Parteimitglieder oder Angehörige der angeschlossenen Verbände. Neben weiteren SS-Mitgliedern traten ein Blockleiter der NSDAP sowie zahlreiche SA-Männer und HJ-Mitglieder in Erscheinung. Vor dem Schuhhaus Joseph am Rossmarkt befand sich unter den Randalierern ein Parteigenosse, der wenige Monate zuvor von ebendiesem Geschäft wegen Störung des Arbeitsfriedens entlassen worden war.163 Im Januar 1935 setzten sich die antisemitischen Aktionen fort, als eine jüdische Metzgerei in der Brückenstraße, deren Inhaber José Strauss sie bereits in zweiter Generation dort führte, ins Visier antisemitischer Aktivisten geriet und bis in den Februar hinein wiederholt boykottiert und angegriffen wurde.164 Die antisemitischen Boykottaktionen lassen sich auch als Kampf um die Besetzung des öffentlichen Raumes und als Versuch der Forcierung gesellschaft­ lichen Wandels interpretieren. Sie bildeten ein wichtiges Medium, die nationalsozialistische Politik der Herstellung einer »Volksgemeinschaft« zu verwirklichen, indem sie Grenzen zwischen Juden und Nicht-Juden herstellten, markierten und ihre Einhaltung überwachten.165 Es ist auffällig, dass sich solche Aktionen vor allem gegen exponierte Einzelhandelsgeschäfte in zentraler Lage richteten, während handgreifliches Vorgehen gegen Industrie- oder Großhandelsbetriebe kaum überliefert ist. Einzelhandelsgeschäfte waren symbolisch aufgeladene Orte jüdischen Wirtschaftens und zugleich wichtige Schnittstellen sozialer und ökonomischer Interaktion im öffentlichen Raum. Antisemitischer Boykott 161 Bericht der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Wiesbaden, 6.2.1935, RGVA/ TsKhIDK, Fond 500, 1/343, Bl. 93–97. 162 Der SS-Gewalttäter Ernst Holland wurde später zum Beauftragten der Gestapo für die jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen ernannt; vgl. Becht. 163 Bericht der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Wiesbaden, 6.2.1935, RGVA/ TsKhIDK, Fond 500, 1/343, Bl. 93–97. 164 Ebd.; Bericht José Strauss an Staatspolizei Ffm., 24.1.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3182, Bl. 422–424 (CAHJP, M2/8808). 165 Wildt, Volksgemeinschaft, S. 11–14 und passim.

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richtete sich insofern immer auch in latenter Weise gegen die nicht-jüdischen Volksgenossen, die ihm zuwiderhandelten, er war ein Medium zur Erzwingung politischer Konformität und angepassten Verhaltens. In der Frage antisemi­ tischen Kaufgebarens entschied sich symbolisch die Zugehörigkeit zur Volks­ gemeinschaft. Im Februar 1935 setzte Gauleiter Sprenger in einem strengen Rundschreiben gegen solche »Disziplinlosigkeiten«166 den gewalttätigen Ausschreitungen vorerst ein Ende. Diese Mahnung scheint nicht im ganzen Gaugebiet gefruchtet zu haben, allerdings sind aus Frankfurt für 1935 keine Ausschreitungen mehr überliefert. Währenddessen erhob sich seit dem Frühjahr in vielen anderen Gegenden des Reiches eine regelrechte Boykott- und Gewaltwelle, deren Höhepunkt die sogenannten Kurfürstendammkrawalle in Berlin darstellten.167 Im August 1935 wurden die Parteidienststellen erstmals unmittelbar durch den Führer aufgefordert und verpflichtet, die im Parteijargon mittlerweile »Einzelaktionen« genannten Gewalttätigkeiten zu unterbinden.168 Nachdem auf höchster Ebene immer wieder Gespräche über mögliche antisemitische Gesetzesmaßnahmen geführt worden waren und entsprechende Gerüchte umliefen, wurde mit den Nürnberger Gesetzen der gewalt- und aktionsbereiten NS-­Anhängerschaft ein Signal des Handlungswillens seitens der Reichsführung gegeben und damit nicht zuletzt ein Teil  der unkontrollierten Verfolgungs­dynamik auf­gefangen, auch wenn nicht alle zuvor erwogenen Maßnahmen verwirklicht wurden.169 Gewaltsame Aktionen gegen jüdische Gewerbebetriebe im öffentlichen Raum klangen jedoch zum Ende des Jahres ab und wurden im Jahr der Olympischen Spiele nach landläufiger Forschungsmeinung weitgehend unterlassen.170 Auf die nunmehr geschaffenen gesetzlichen Grundlagen Bezug nehmend, erklärte Sprenger im Oktober 1935 noch einmal die Judenpolitik als eine Angelegenheit von Partei und Staat und verbot in scharfem Ton »letzt­malig« jede extralegale Aktion.171 Ein prinzipieller Gegensatz in der Judenpolitik bestand zwischen der hessischen Gauleitung und der radikal-antisemitischen Parteibasis jedoch nicht. Während die Frankfurter Stadtverwaltung sich darauf »beschränkte«, alle eigenen Verbindungen zum jüdischen Wirtschaftssegment soweit wie möglich zu kappen, die eigenen Bediensteten in ihrem Sozialverhalten zu maßregeln und jüdischen Bürgern den Zugang zu kommunalen Einrichtungen zu verbauen, zielte die Politik der NSDAP auf das größere Volksganze. Zwar zeigte sich, was das Boykottverhalten angeht, bisweilen schon die eigene Mitgliederschaft als 166 Rundschreiben Gauleiter Hessen-Nassau, 7.2.1935, IfS, Kreisleiter OB Krebs, 2, Bl. 432. 167 Longerich, Politik, S. 70–101. Für Hessen-Nassau vgl. die Lageberichte der Staatspolizeistelle Frankfurt a. M. vom 5.7.1935; 5.8.1935, 5.9.1935 und Oktober 1935, abgedruckt in: Lage­berichte, Bd. 1, Nr. 38–41, S. 448–489. 168 Rundschreiben des Führers, 8.8.1935, in: Walk, I/615, S. 123. 169 Genschel, S. 116–119. 170 Vgl. auch die Denkschrift des CV »Zur wirtschaftlichen Situation nichtarischer Unternehmen«, 13.11.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3258, Bl. 2–6 (CAHJP, M2/8814). 171 Rundschreiben Gauleiter Hessen-Nassau, 8.10.1935, HStAW, Abt. 483, 719.

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widerspenstig und belehrungsbedürftig, doch tat dies dem Anspruch keinen Abbruch, Sozialverhalten und -beziehungen der gesamten Bevölkerung auf eine rassistisch-antisemitische Grundhaltung auszurichten.172 Die Gauleitung und die städtischen Parteistellen legten ihr Augenmerk ebenfalls auf die Steuerung des Konsumverhaltens. Während die Aktivisten an der Basis des Öfteren mit Schmierereien und Klebezetteln jüdische Geschäfte markierten und sichtbar zu machen versuchten, gingen sie einen anderen Weg. Nachdem seit der Machtergreifung immer wieder im lokalen Rahmen Schilder zur Kennzeichnung nichtjüdischer Geschäfte als »Deutsche Geschäfte« erstellt und vertrieben und diese Initiativen meist nur halbherzig zurückgedrängt worden waren, begann im Oktober 1934 auch in Frankfurt die lokale NS-Hago mit der Herausgabe solcher Schilder an interessierte Betriebe.173 Diese mussten einen Fragebogen ausfüllen, mittels dessen der nicht-jüdische Charakter des Unternehmens überprüft werden sollte. Die Aktion wurde von der Frankfurter Kreisleitung koordiniert und von den Ortsgruppen in ihren Bezirken durchgeführt. Die interessierten Geschäfte sollten sich an den Kosten durch eine freiwillige Spende beteiligen.174 Nach Beobachtungen der Frankfurter Ortsgruppe des Centralvereins besaß bis Februar 1935 die überwiegende Mehrheit der nicht-jüdischen Geschäfte ein Schild »Deutsches Geschäft«, allerdings war es in den Außenbezirken weiter verbreitet als in der Innenstadt.175 Die Einführung der Schilder »Deutsches Geschäft« wurde von einer Presse­ kampagne begleitet.176 Seit November 1934 waren in den Anzeigenteil des Frankfurter Volksblattes Aufrufe eingestreut, Weihnachtseinkäufe nur in »Deutschen Geschäften« zu tätigen.177 Später wurde in dem Blatt angekündigt, eine Liste von Geschäften zu veröffentlichen, welche die Anbringung eines Schildes bisher unterlassen hätten, obwohl sie zu seinem Bezug berechtigt seien. Stattdessen veröffentlichte man aber lediglich mehrmals Listen der Inhaber »Deutscher Geschäfte«.178 Die Schilderkampagne erweiterte sich im Laufe des Jahres 1935 zu einem publizistischen Dauerfeuer für eine »reinliche Scheidung« von jüdischer und nicht-jüdischer Sphäre auf allen Gebieten der Wirtschaft, die im Juli ihren Höhepunkt erreichte.179 Nun wurden alle Geschäfte aufgerufen, auf jüdische Kundschaft zu verzichten. Insbesondere Gaststätten sollten Schilder mit 172 Rundschreiben Gauleiter Hessen-Nassau, 25.7.1935, IfS, OB Kreisleiter Krebs, 3, Bl. 268a-c. 173 Genschel, S. 67 f.; Ortsgruppe Ffm. an CV, 31.10.1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2749, Bl. 171 (CAHJP, M2/8780). 174 Rundschreiben NSDAP-Kreisleitung Ffm., 7.12.1934, HStAW, Abt. 483, 724. 175 Ortsgruppe Ffm. an CV, 19.2.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2749, Bl.  46 (CAHJP, M2/8780); das FV, 7.2.1935, S. 4 gab die Verbreitung mit 80–85 Prozent an. 176 Israelitische Gemeinde an RdI, 28.2.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3182, Bl.  382– 389 (CAHJP, M2/8808). Die erste Notiz erschien im FV, 23.11.1934, S.  10: »Deutsche ­Geschäfte«. 177 Erstmals FV, 25.11.1934, S. 14; ebenso 1.12.1934, S. 24; 9.12.1934, S. 19 u. ö. 178 FV, 2.2.1935, S. 4; 10.2.1935, S. 5. 179 FV, 20.7.1935, S. 4: »Wir fordern reinliche Scheidung!«.

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der Aufschrift »Juden sind hier unerwünscht!« anbringen, andernfalls wurde auch ihnen Boykott angedroht.180 Die Namen jüdischer Vertreter im Kohlenhandel wurden mit Adressen veröffentlicht, desgleichen aber auch eine Liste nicht-jüdischer Handwerksmeister, die jüdische Lehrlinge ausbildeten und damit »im Dienste Judas« stünden.181 Nachdem im August 1935 nochmals die Forderung nach Kennzeichnung jüdischer Geschäfte wiederholt worden war, flaute die Kampagne ab. Die antisemitische Propaganda verlagerte allerdings nur ihren Schwerpunkt.182 Im Frühjahr des folgenden Jahres meldete sich das Frankfurter Volksblatt in der Sache noch einmal zurück und gab eine Sonderbeilage unter dem Titel »Wegweiser zu den deutschen arischen Geschäften in Frankfurt« heraus, für die im Vorfeld Anzeigen nicht-jüdischer Unternehmen ge­ worben worden waren.183 Die Pressearbeit der Nationalsozialisten war mit anderen Aktionsebenen verknüpft, wie das oben erwähnte Beispiel der Metzgerei José Strauss zeigt. Nachdem die Boykott- und Gewaltaktionen zu Anfang des Jahres 1935 den Betrieb nicht in die Knie hatten zwingen können, lancierte das Frankfurter Volksblatt einige Monate später einen denunziatorischen Artikel über angebliche Hygienemängel in den Betriebsräumen sowie Verstöße gegen die Preisvorschriften und forderte lautstark die Schließung.184 Nach Inspektionen durch die Gewerbepolizei und Vertreter der NS-Hago konnte das Blatt schließlich kurze Zeit später tatsächlich die polizeiliche Schließung vermelden.185 Die antisemitische Propaganda der NS-Presse entfaltete auf diese Weise mitunter reale und für den jüdischen Geschäftsinhaber in diesem Fall dramatische Wirkungen.186 Obwohl das Frankfurter Volksblatt in seiner Rhetorik in einem relativen Sinne zurückhaltender und weniger drastisch daherkam als der berüchtigte Stürmer, erfüllte es durchaus dieselbe Funktion, so dass es sich nicht weiter bemerkbar gemacht haben dürfte, dass Oberbürgermeister Krebs den NSDAP-Ortsgruppen die Aufstellung von »Stürmerkästen« untersagt hatte.187

180 FV, 18.5.1935, S. 4: »Juden sind hier unerwünscht!«; 11.7.1935, S. 4: »Das war nationalsozialistische Disziplin!«; 25.7.1935, S. 6: »Sie sollen uns aus dem Weg gehen«. 181 FV, 16.5.1935, S. 4: »Jüdische Vertreter im Kohlenhandel«; 5.6.1935, S. 4: »Arische Handwerksmeister im Dienste Judas«. 182 FV, 6.8.1935, S. 4: »Klarheit über jüdische Geschäfte«. 183 FV, 26.3.1936, S. 10: »Achtung deutsche Geschäftsleute«; die Beilage erschien erstmals am 4.4.1936 (13 S.). 184 FV, 26.7.1935, S. 5: »Wir fordern Schließung eines Judenladens«. 185 FV, 30.8.1935, S. 8: »Das Ende eines Judenladens«. 186 Vgl. zum Zusammenhang von Denunziationen im Stürmer und konkreten Aktionen gegen jüdische Personen und Geschäfte auch Wildt, Volksgemeinschaft, S. 241 sowie Kreutzmüller/Weber. Auch die Mitarbeiter der Frankfurter Industrie- und Handelskammer lasen das Frankfurter Volksblatt offenbar sehr genau und legten aufgrund von Presseartikeln Kartenblätter für ihre Firmenkartei an – so auch im Fall der Metzgerei José Strauss. 187 Rundschreiben A/129 der NSDAP Kreisleitung Groß-Frankfurt, 28.6.1935, HStAW, Abt. 483, 724; Rundschreiben 0/151 der NSDAP Kreisleitung Groß-Frankfurt, 31.7.1935, ebd.

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Die Pressearbeit ist ein gutes Beispiel für die antisemitische Politik der Gauleitung, die aus einer betont aggressiven Grundhaltung heraus punktuelle Vorstöße unternahm. Die nicht immer klare Stellung und Kompetenz des hessischen Gauleiters Sprenger, die sich erst aus einer konfliktreichen Praxis heraus allmählich einspielen sollten, bringen die widersprüchliche Stellung der NSDAP innerhalb des NS-Herrschaftssystems deutlich zum Ausdruck.188 Obwohl Sprenger seit Mai 1933 auch das Staatsamt des Reichsstatthalters innehatte und die städtische Personalpolitik kontrollierte, blieb sein konkreter Zugriff auf die exekutiven Stellen der Staats- und Kommunalverwaltung begrenzt. Dabei spielte das schon angesprochene Konkurrenzverhältnis zum Frankfurter Oberbürgermeister eine gewisse Rolle, bei dem aber weniger ein struktureller, noch weniger ein ideologisch-programmatischer Gegensatz, sondern eher Momente persönlicher Profilierung und unterschiedlicher Habitus eine Rolle spielten. Sprenger gefiel sich in außergewöhnlichem Maße in der Rolle einer ideologischen Kontrollinstanz über die staatlichen Verwaltungsstellen. Seine Schreiben an den, was formale Bildungstitel betraf, viel höher qualifizierten Krebs waren oftmals in einem anmaßenden und herrischen Ton gehalten, aus dem starke persönliche Missgunst spricht und der auch den gleichgesinntesten Parteikollegen hätte provozieren müssen. Krebs lehnte jedenfalls nicht wenige der Invektiven in ebenfalls scharfem Ton ab und wachte eifersüchtig über seine Kompetenzen. Insgesamt gab sich die hessische Gauleitung in der Judenpolitik aggressiv, agierte jedoch, wo sie tatsächlich konkrete Politik zu initiieren suchte, eher unsystematisch und planlos. Seit längerem gelten weniger die Gauleiter persönlich, sondern die in ihrem Amtsbereich angesiedelten Gauwirtschaftsberater als die eigentlichen Schlüsselfiguren der wirtschaftlichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Die bisherigen Forschungen zu ihren seit 1936 feststellbaren Versuchen, sich als Kontroll- und Genehmigungsinstanz in die Verkäufe jüdischer Unternehmen einzuschalten, deuten allerdings auf erhebliche regionale Unterschiede hin: Während Bajohr für Hamburg angibt, dass dort das Gauwirtschaftsamt schon seit Anfang 1937 bei Verkaufsverhandlungen kaum noch umgangen werden konnte, ergibt sich aus der Darstellung bei Gerhard Kratzsch, dass es in Westfalen-Süd hierzu eines längeren Durchsetzungsprozesses bedurfte, der sich offenbar noch bis in das Jahr 1938 hineinzog.189 Andernorts zeigten die Gauwirtschaftsberater gar keine entsprechende Initiative und überließen die Funktion einer Überwachungs- und Genehmigungsinstanz anderen Institutionen.190 In Frankfurt trat der hessische Gauwirtschaftsberater Karl Eckardt mit systema­ tischer Aktivität erst 1938 in Erscheinung. Das erste Beispiel einer Geschäftsübernahme, an der das Gauwirtschaftsamt nachweislich beteiligt war, stammt 188 Vgl. Hüttenberger, Gauleiter, S. 74 f.; Ziegler, Gaue; zur Dualität von Partei und Verwaltung auf kommunaler Ebene Matzerath, Nationalsozialismus, S. 229–313 sowie Noakes. 189 Bajohr, Arisierung, S. 174–186; Kratzsch, S. 146–163. 190 Brucher-Lembach, S. 53; S. 58 f.; Modert.

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mit dem Verkauf der Handelsfirma für Lebensmittel Gebr. Oppenheimer vom November 1937.191 Doch noch im März 1938 hieß es im hessischen Gauwirtschaftsamt im Zusammenhang mit einer entsprechenden Umfrage der Parteileitung: »Da eine automatische Befassung des GWB. mit der Prüfung der Übernahmeverträge z.Zt. noch keineswegs gewährleistet ist, werden nur verhältnismäßig wenig ›Arisierungen‹ von uns erfaßt.«192 Daher sollten die ansässigen Rechtsanwälte und Notare sowie die Mitarbeiter des Handelsregisters im Amtsgericht aufgefordert werden, entsprechende Vorgänge mitzuteilen. Außerdem sollte in Zeitungsanzeigen empfohlen werden, bei der Übernahme eines jüdischen Unternehmens die Verträge dem Kreis- oder Gauwirtschaftsberater zur Prüfung vorzulegen, was in anderen Regionen des Reiches schon längst erfolgt war.193 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass mindestens bis Ende 1937 bei den Frankfurter NSDAP-Stellen kein systematischer Überblick über Verkaufsund Übernahmeaktivitäten bestand. Das Beispiel der Textilversandfirma Ferdinand Freudenstein aus dem Jahr 1935 zeigt, dass solche Übernahmen zu dieser Zeit im Bereich des Großhandels durchaus ohne Kenntnis der Behörden möglich waren. Die Firma wurde im Juni 1935 wegen Verwendung eines nicht eingetragenen Firmennamens von der Frankfurter IHK verwarnt und seitdem wegen Versuchen weiter beobachtet, »nach außen und bei ihrer Kundschaft ihre nichtarische Abstammung [!] zu verbergen.«194 Im August 1937 wurde das Unternehmen wegen Unzuverlässigkeit aus dem Zusatzausfuhrverfahren aus­geschlossen. Die Inhaber waren zu dieser Zeit bereits ins Ausland emigriert. 1941 betrieb die IHK schließlich die Löschung von Amts wegen, da das Vermögen der jüdischen Inhaber mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft nun dem Deutschen Reich zugefallen sei und kein Interesse an der Aufrechterhaltung des Betriebes be­stehe.195 Der IHK war es verborgen geblieben, dass das inländische Geschäft schon im Oktober 1935 für einen Kaufpreis von 200.000 RM an das Hannoveraner Unternehmen Dreyer & Co. übertragen und der restliche Teil des Betriebes liquidiert worden war.196 Die Aktionen von Parteistellen und NS-Aktivisten in den Jahren zwischen 1933 und 1937 hätten die jüdische Gewerbetätigkeit in Frankfurt wohl kaum vollständig abwürgen können. Solange nicht durch punktuelle Verfolgungsmaßnahmen betroffen, konnten jüdische Unternehmer in dieser Zeit grund-

191 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 27.10.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3226, Bl. 2 f. 192 Notiz für Pg. Eckardt betr. Überführung jüdischer Geschäfte in arischen Besitz, 28.3.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 193 Kratzsch, S. 150–157. 194 HWA, Firmenkartei IHK Ffm., Karte »Ferdinand Freudenstein«, Einträge vom 25.6.1935 und 18.10.1935. 195 Ebd., Eintrag vom 24.11.1941. 196 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 7.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2992, Bl. 2–4; Vertrag vom 8.10.1935, ebd., Bl. 13–15.

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sätzlich noch agieren. Jedoch zog sich im Hintergrund das staatliche Netz der Verfolgung und Ausplünderung bereits immer enger. Eine wichtige Voraussetzung für Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen war die Identifizierung und Erfassung der jüdischen Unternehmen. Es gilt sich bewusst zu machen, dass bis Ende 1937 alle Aktionen und Kampagnen gegen »jüdische Unternehmen« erfolgten, ohne dass es eine verbindliche Grundlage gegeben hätte, was darunter überhaupt zu verstehen sei. Diese Unklarheit schützte jüdische Unternehmer allerdings nicht unbedingt, denn während die Reichsregierung in dieser Sache keine Klärung unternahm und die offizielle Kennzeichnung jüdischer Unternehmen wiederholt ablehnte, entstand unter den spezifischen Bedingungen nationalsozialistischer Polykratie bald ein lebendiger Pluralismus unterschiedlichster Behörden, Stellen und Privatpersonen, die allesamt auf eigene Faust und nach eigenem Gutdünken zur Erfassung vermeintlich jüdischer Unternehmen schritten.197 Versuche der NSDAP, die Erfassung der jüdischen Unternehmen reichsweit bei der Parteileitung zu zentralisieren, scheiterten. Durch die Versendung von Fragebögen versuchte eine Abteilung des zentralen Boykottkomitees 1933/34 eine Reichsliste jüdischer Firmen der Industrie und des Großhandels zu erstellen.198 Doch da hinter diesen Auskunftsersuchen keine wirkliche Durchsetzungsmacht stand, ignorierten sie die meisten deutschen Unternehmen, wozu auch das Reichswirtschaftsministerium auf Anfrage riet. Die Er­ fassungsaktivitäten verlagerten sich damit auf die lokale Ebene. Bereits anlässlich des bevorstehenden organisierten Boykotttages am ersten Apriltag 1933 hatte die NSDAP-Kreisleitung Frankfurt dazu aufgerufen, alle jüdischen Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte unter Mitwirkung der untersten Parteifunktionäre zellenweise zusammenzustellen.199 Die unteren Parteistellen blieben auch in der Folgezeit wichtige Mitwirkende bei der Erfassung und Ausforschung von Unternehmen.200 Die NSDAP schreckte angesichts der eindeutigen Anweisungen der Reichsregierung davor zurück, Listen jüdischer Unternehmen zu veröffentlichen. Als im Jahr 1934 ein großangelegtes gedrucktes Verzeichnis unter dem Titel »Eine Antwort auf die Greuel- und Boykotthetze der Juden« herausgegeben wurde, das Tausende der jüdischen Bürger Frankfurt alphabetisch sowie die jüdischen Unternehmen nach Branchen auflistete und 1935 in zweiter Auflage erschien, hielten sich die Parteiorgane im Hintergrund, wenngleich das Werk mehrmals lobend im Frankfurter Volksblatt besprochen und dort eine Liste mit Fehl­ 197 Vgl. zur eigenmächtigen Erfassung der jüdischen Bevölkerung auch Wietog, S. 17–22. 198 CV an Landesverband Ostpreußen, 12.10.1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3068, Bl. 2 f. (CAHJP, M2/8801). 199 Rundschreiben Kreisleitung Groß-Frankfurt, 29.3.1933, HStAW, Abt. 483, 819b, Bl. 57. 200 Vgl. z. B. Ortsgruppe Günthersburg an Kreisleitung betr. Auskunft über Fa. Dr. Paul Lehmann, 15.5.1936, HStAW, Abt. 483, 831; allgemein hierzu Reibel, Fundament, S. 311–327 und für Frankfurt ders., NSDAP-Ortsgruppen.

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einträgen publiziert wurde.201 Die Frankfurter Ortsgruppe des Centralvereins, deren Nachrichtendienst noch immer aktiv war, hatte die Broschüre bereits vor ihrem Erscheinen als Bürstenabzug erlangen können und diesen beschwerdeführend dem Reichswirtschaftsministerium übermittelt, um die Herausgabe zu verhindern. Das RWM jedoch zweifelte die schädliche Wirkung des Machwerks an, weil vermutlich niemand sich durch die über 180 Seiten hindurcharbeiten werde, und erachtete eine Intervention für überflüssig.202 Tatsächlich enthielt das Verzeichnis neben unzähligen veralteten auch viele Mehrfach- und Fehleinträge, so dass es für amtliche Zwecke kaum zu gebrauchen war. Dass die öffentliche Stigmatisierung vermeintlich jüdischer Unternehmen viel Unruhe und Ärger zu produzieren vermochte, weil die wohl auch auf Hörensagen und Denunziationen beruhenden Informationen nicht eben zuverlässig waren, musste auch die Zeitung Deutscher Mittelstand feststellen, die ebenfalls ein umfangreiches Verzeichnis jüdischer Unternehmen in Frankfurt publizierte.203 Wenig später sah auch sie sich zur Publikation einer Liste mit Irrtümern und Fehleinträgen gezwungen.204 Die Staats- und Verwaltungsbehörden verließen sich daher nicht allein auf die Erkundigungen antisemitischer Aktivisten. Das Frankfurter Verkehrs- und Wirtschaftsamt hatte bereits 1934 zur Vorbereitung einer Denkschrift über die Folgen der Judenverfolgung für die Frankfurter Wirtschaft 1.700 handelsregisterlich eingetragene Unternehmen als »jüdisch« identifiziert, ohne dass nachvollziehbar wäre, welche Kriterien der Einteilung zugrunde lagen.205 In jedem Fall spielte die Frankfurter Industrie- und Handelskammer hierbei eine Schlüsselrolle. Anhand der überlieferten Kartenblätter der IHK-Firmenkartei lässt sich verfolgen, dass die Kammer bereits seit April 1933 Erkundigungen über Unternehmen einholte. Lange bevor die Kammern Ende 1937 mit der Erfassung der jüdischen Unternehmen offiziell beauftragt wurden, fungierte die Frankfurter IHK bereits als wichtige Auskunftsstelle für Behörden und Parteistellen, wobei sie dringend darum bat, von ihren Informationen »nur streng vertraulich und ohne jede Verbindlichkeit für uns Gebrauch zu machen.«206 201 Antwort auf die Greuel- und Boykotthetze; FV, 18.12.1934, S.  4: »Eine Antwort auf die Greuel- und Boykotthetze der Juden im Ausland«; 23.5.1935, S. 4: »Neuauflage der Schrift: Eine Antwort auf die Greuel- und Boykotthetze der Juden im Ausland«; 7.6.1935, S.  4: »Eine Antwort auf die Boykotthetze«. 202 Notiz für Dr. Brodnitz, 13.12.1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2749, Bl. 127 (CAHJP, M2/8780). 203 Jüdische Firmen im Bereich der Ortsgruppe Altstadt Frankfurt a. M., in: Deutscher Mittelstand, Nr. 13, Juli 1934, S. 18–19; Jüdische Firmen in Groß-Frankfurt-M., in: ebd., Nr. 14, Juli 1934, S. 12–14. 204 Betrifft: Frankfurter Judenliste. Berichtigung, in: ebd., Nr. 15, S. 13. 205 Denkschrift des Wirtschaftsamtes, 17.2.1934, abgedruckt in: Dokumente, IV/2, S. 178–185. 206 Auskunftsstelle der IHK an Gauleitung Hessen-Nassau, 22.5.1934, HStAW, Abt. 483, 10960, Bl. 237 betreffend die Firma Schade & Füllgrabe. Privaten Unternehmen verweigerte die IHK Auskünfte über den »jüdischen Charakter« eines Unternehmen unter Verweis auf die politische Linie der Reichsregierung; vgl. IHK an Fa. Thüringer Gasgesellschaft, 6.10.1933, HStAW, Abt. 483, 10957, Bl. 145 f.

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Weil sich die NS-Organisationen selbst nur bedingt zur zuverlässigen Identifizierung und Auskunftserteilung in der Lage zeigten, war man auf die Mitwirkung der IHK unbedingt angewiesen.207 Berüchtigte Verfolgungsinstanzen wie die Gestapo erscheinen auf dem Feld der wirtschaftlichen Judenverfolgung nur selten. Von Amts wegen hatten die Akteure des Sicherheitsapparates hiermit auch kaum etwas zu tun. Die Gestapo wurde in Frankfurt wie andernorts zumeist aufgrund von Denunziationen aktiv und ging auch wiederholt gegen einzelne jüdische Unternehmer vor, jedoch beschäftigte sie sich nicht systematisch mit der jüdischen Gewerbetätigkeit als solcher.208 Umso intensiver tat dies der SD, der in Abgrenzung zum konzeptlosen Aktionismus der Parteistellen und NS-Aktivisten bereits früh für sich reklamierte, auf dem Gebiet der Judenpolitik eine ganzheitliche Perspektive und ein geschlossenes Konzept zu verfolgen. Schon in einem der ersten überlieferten Memoranden vom Mai 1934 wird als Endziel der NS-Judenpolitik die vollständige Auswanderung der Juden aus dem Deutschen Reich benannt.209 Um dieses Ziel zu erreichen, schienen den SD-Vordenkern auch pragmatische Kooperationen mit den zionistischen Organisationen und die Förderung von Umschulungslagern für die landwirtschaftliche Ausbildung der jüdischen Jugend denkbar.210 Im Rahmen des »Auswanderungskonzeptes« spielte die jüdische Gewerbetätigkeit eine entscheidende Rolle, denn den SD-Experten war nur zu bewusst, dass die jüdischen Bürger des Reiches nur durch eine gezielte Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen dazu zu bringen sein würden, die hohen Hürden und Risiken einer Auswanderung auf sich zu nehmen. Wiederholt mahnte man daher die noch immer freie unternehmerische Betätigung und den wirtschaftlichen Einfluss der Juden als politisches Problem an.211 Der offiziellen Regierungslinie in dieser Frage mussten sich die SD-Akteure jedoch zunächst fügen. Ihre Vorschläge in den kommenden Jahren zielten darauf, durch eine Strategie der Nadelstiche und Schikanen die gewerbliche Tätigkeit der deutschen Juden zu stören und zu erschweren. Besonderes 207 Vgl. für München Rappl, S. 131. Ärgerlich erscheinen angesichts der klaren Quellenbelege für eine frühe Mitwirkung der Frankfurter IHK bei der Stigmatisierung jüdischer Unternehmer die kürzlich in einer pompösen Jubiläumsschrift erschienenen Ausführungen bei Rebentisch, Zeiten, S. 208–212, welche die IHK ganz als passives Opfer eines staatlichen Zwangsregimes darstellen; zur Mitwirkung der Industrie- und Handelskammern bei der NS-Judenverfolgung übergreifend Stremmel, S. 532–557. 208 Vgl. Gellately, Gestapo; Drobisch; Berschel, S. 292–302; zur Frankfurter Gestapo Diamant; Eichler, Gestapo-Kartei. 209 Memorandum des SD-Amtes IV/2, 24.5.1934, abgedruckt in: Wildt, Judenpolitik, Dok. 1, S. 66–69. 210 Lagebericht des SD-Hauptamtes J I/6, 17.8.1935, ebd., Dok. 2, S. 69 f. 211 Lagebericht Mai/Juni 1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/180a; Geheimes Staatspolizeiamt an Preußisches Staatsministerium, o. D. [August 1935], ebd., 1/379, Bl. 59–64; Lagebericht April/Mai 1936 der Abt. II 112, 25.6.1936, in: Wildt, Judenpolitik, Dok. 7, S. 85–94; Lagebericht April/Juni 1937 der Abt. II 112, 6.7.1937, ebd., Dok. 15, S. 120–123.

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Augenmerk galt dabei dem Wander- und Vertretergewerbe, weil die Staatspolizeistellen an der Ausstellung der hierzu benötigten Gewerbescheine und Legitimations­karten beteiligt waren und damit über einen institutionellen Ansatzpunkt verfügten. Zum anderen befand sich dieses Gebiet auch aus sicherheitspolizeilichen Erwägungen im Fokus, stellten doch die umherziehenden Händler und Vertreter ein vermeintliches Gefahrenmoment dar.212 Die Staatspolizeistelle Frankfurt erbat daher von den beteiligten Ämtern, bei der Zuleitung von Anträgen auf Gewerbescheine, Legitimationskarten und anderen Dokumenten grundsätzlich die Religionszugehörigkeit bzw. die Rasse des Antragstellers anzugeben, mit dem klaren Ziel, Juden die Ausstellung amtlicher Dokumente zu verweigern.213 Zwar wurde die Angabe der Religionszugehörigkeit danach tatsächlich verbindlich, doch konnte sich die Staatspolizeistelle mit ihrem Ansinnen einer systematischen rechtlichen Diskriminierung von Juden ansonsten gegen das RWM nicht durchsetzen.214 Bis 1937 blieb dem SD wenig anderes übrig, als mit Vorschlägen und Denkschriften bei den Reichsbehörden vorstellig zu werden und für sein auswanderungsorientiertes Konzept der Judenpolitik zu werben. Immer wieder taucht darin als ein zentraler Punkt eine Änderung der Gewerbeordnung nach antisemitischen Gesichtspunkten mit dem Endziel eines Verbotes der gewerb­lichen Betätigung für Juden auf, ohne den eine Forcierung der jüdischen Emigration kaum zu denken war.215 Der SD konnte sich selbst in die wirtschaftliche Verfolgung und Diskriminierung jedoch lange Zeit nicht aktiv einschalten. Im Herbst 1937 war selbst das Berichtswesen über die Oberabschnitte noch immer unzureichend und wenig ausgebaut, zwischenzeitliche Pläne zu einer eigenen reichsweiten Kartei jüdischer Personen und Unternehmen verliefen daher im Sande und wurden mit der staatlich angeordneten Erfassung Ende 1937 ohnehin obsolet.216 Erst im November 1938 gelangten die Protagonisten des SD an die Schaltstellen der Judenpolitik, ihr politisches Konzept einer systematischen Vertreibungspolitik war indes bereits seit Jahren ausgearbeitet und innerhalb der Partei- und Staatsstellen beworben worden.

212 Rundschreiben Geheimes Staatspolizeiamt, 9.9.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/379, Bl. 115–120, auch abgedruckt in: ebd., Dok. 3, S. 70–73. 213 Rundschreiben Staatspolizeistelle Ffm., 4.7.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 3/1709, Bl. 191. 214 RWM an Regierungspräsidium Wiesbaden, 22.7.1935, ebd., Bl. 192; RWM an Regierungspräsidium Düsseldorf, 19.11.1935, ebd., Bl. 314. 215 Memorandum »Zum Judenproblem«, o. D. [Januar 1937], abgedruckt in: Wildt, Juden­ politik, Dok. 9, S. 95–105. 216 Zu den Plänen einer »Judenkartei« vgl. Runderlass des Chefs des Geheimen Staatspolizeiamtes, 17.8.1935, abgedruckt in: VEJ, Bd. 1, Dok. 188, S. 470; Vermerk SD, Abt. II 112, 12.7.1937, ebd., Dok. 288, S. 680–682; Bericht SD-Führer Oberabschnitt Fulda-Werra an Sicherheitshauptamt, 4.6.1937, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/495, Bl. 36–39.

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2. Erwartungen, Anpassung und Selbstbehauptung a) Kollektive und individuelle Erwartungshorizonte Was erwarteten und taten die deutschen Juden angesichts der immer bedrohlicheren Verfolgungssituation? Diese Frage zielt auf zwei Ebenen: zum einen auf die jüdischen Unternehmer als einzelne Akteure, zuvor jedoch auf die jüdischen Organisationen und Verbände, die sich nach der nationalsozialistischen Machtübername mit aller Kraft darum bemühten, die verheerenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Judenverfolgung aufzufangen und ihren Mitgliedern Schutz zu bieten. Zu diesem Zweck wurden bestehende Organisationsstrukturen ausgeweitet und neue aufgebaut. Eine übergreifende Organisation, die das deutsche Judentum in seiner Gesamtheit hätte repräsentieren können, war auch während der Weimarer Zeit nicht zustandegekommen.217 Seit 1933 standen die deutschen Juden aber einer so bedrohlichen Herausforderung gegenüber, dass sich die gegenseitige Bereitschaft zur Kooperation notgedrungen verstärkte. An dem im April 1933 gegründeten Zentralausschuss für Hilfe und Aufbau, der auf die wirtschaftlichen Nöte der von Verfolgungsmaßnahmen und Berufsverdrängung Betroffenen reagieren sollte, waren bereits alle jüdischen Gruppierungen und Strömungen beteiligt.218 Aus diesen Strukturen ging die Reichsvertretung der deutschen Juden hervor, die sich als Gesamtorganisation sowie als Ansprechpartner der Reichsregierung verstand und sich unter der Führung des Rabbiners Leo Baeck im September 1933 formell konstituierte.219 Themen der jüdischen Wirtschaftsund Gewerbetätigkeit wurden aber weiterhin vorrangig vom Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens bearbeitet, der seit der NS-Machtübernahme gegenüber den zionistischen Organisationen an Boden verlor, aber den Anspruch, die Mehrheit der deutsch-jüdischen Bevölkerung zu repräsentieren, durchaus aufrechterhalten konnte. Seine Handlungsfähigkeit wurde auch dadurch gesichert, dass die Führungsebene während der nationalsozialistischen Herrschaft personell in hohem Maße stabil blieb.220 Die Beratungsstellen des Vereins empfingen und betreuten von Diskriminierungsmaßnahmen Betroffene und bildeten dazu spezialisierte Ausschüsse für die einzelnen Berufsgruppen. Daneben leisteten sie allgemeine Wirtschafts- und Berufsberatung sowie in zunehmendem Maße Beratung für Auswanderer.221 Mit der ­steigenden 217 Hildesheimer, S. 3–8. 218 Vollnhals, S. 314–316. 219 Kundgebung der neuen Reichsvertretung, 17.9.1933, abgedruckt in: Deutsches Judentum, Dok. 14, S. 70–72. 220 Fraenkel, Self-Defense, S. 343 f. 221 Vgl. Leitfaden über die Organisation der zentralen Beratungs- und Hilfsstellen, 29.4.1933, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2569, Bl. 1–5 (CAHJP, M2/8772).

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Bedeutung dieser Hilfs- und Beratungsaufgaben, die in den letzten Jahren der ­Weimarer Republik eher in den Hintergrund getreten waren, verschob sich die Vereinstätigkeit in signifikanter Weise.222 Aber auch seinen rechtlichen Abwehrkampf gegen antisemitische Diffamierung und Diskriminierung setzte der Centralverein nach 1933 fort – freilich unter fundamental veränderten Bedingungen, die diesem Kampf und den dabei verfolgten Strategien und Methoden ein verändertes Gepräge gaben. Die Ausgangsbedingungen für die Abwehrarbeit muteten von vornherein paradox an: Wie sollte der Kampf gegen Antisemitismus angesichts eines Regimes geführt werden, das den Antisemitismus zur Staatsdoktrin erhoben hatte? Und wie sollte Rechtsschutz erreicht werden in einem System, in dem die Rechtssicherheit zunehmend erodierte und das positive Recht in Teilen seine Gültigkeit verlor?223 Der Centralverein musste sich notgedrungen der Sprache des Regimes annähern und in einer Art und Weise argumentieren, die sich an der NS-­Systemlogik orientierte und damit erst auf Anschlussfähigkeit rechnen konnte. Der strikt legalistische Kurs, der das Selbstverständnis der Organisation immer bestimmt hatte, verbot es, sich gegen bestehendes positives Recht aufzulehnen. Wo der Antisemitismus in Gesetzesform gegossen wurde wie im Berufsbeamtengesetz, blieb nur die resignative Anerkennung des Faktischen,224 obgleich der CV in der Folge rege Anstrengungen unternahm, auf die Beachtung und Durchführung der vorhandenen Ausnahmebestimmungen zu dringen. Als »Widerstand« wird man daher seine Tätigkeit kaum bezeichnen wollen. Das entsprach weder dem Selbstverständnis der aktiven Führungspersonen noch hätte sich damit eine realistische Handlungsperspektive verbunden.225 Es konnte unter den gegebenen Umständen nichts anderes übrig bleiben als zu versuchen, innerhalb des undurchdringlichen und sich schnell wandelnden Geflechts aus Bestimmungen und Maßnahmen zu manövrieren und das jeweils Mögliche zu erreichen. Bereits nach wenigen Monaten kämpften die CVVertreter an zahlreichen Fronten gleichzeitig, um die Erwerbsmöglichkeiten der jüdischen Bürger zu sichern. Einen Einblick in den Aktionsradius gibt ein Rundschreiben vom Juni 1933, mithilfe dessen die Berliner Zentrale sich einen Überblick über die Situation jüdischer Unternehmen in den einzelnen Landesteilen verschaffen wollte. Das beiliegende Fragenverzeichnis umfasste (bei unvollständiger Aufzählung) die folgenden Arbeitsgebiete: die Fortsetzung des Boykotts, die Frage der Behördenaufträge für jüdische Unternehmen, die Entfernung jüdischer Aufsichtsräte und Vorstandsmitglieder, die Abwanderung von Unternehmen, die Entlassung jüdischer Angestellter, die Verdrängung von Markthändlern, die Diskriminierung von Juden durch Berufsverbände sowie 222 Barkai, Wehr Dich, S. 308. 223 Vgl. ebd., S. 346 f. 224 Deutsch-jüdische Wirklichkeit, in: CV-Zeitung, Nr. 15, 13.4.1933, S. 129–131. 225 Vgl. Paucker, Juden, S. 211 f.

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die Diskriminierung durch öffentlich-rechtliche Einrichtungen.226 Auf allen diesen Arbeitsgebieten mühte sich die Organisation, Maßnahmen und Regelungen, die der mehr oder weniger nachdrücklich erklärten Linie der Reichsregierung gegen »Einzelaktionen« sowie dem geltenden Recht widersprachen, zurücknehmen zu lassen oder in ihren Folgen abzumildern. Der geschäftsführende Syndikus Hans Reichmann schrieb im April 1934 an den Landesverband Ostpreußen, dass »der Widerspruch zwischen Anordnungen von Regierungsund anderen Stellen, die zu bestimmten Anordnungen nicht befugt sind, […] z.Zt. fast 90 % unserer Arbeit« ausmache.227 Da der Rechtsweg kaum aussichtsreich erschien und sogar die Gefahr barg, die Lage zu verschlimmern, wenn obere Instanzen die für Juden ungünstigste Rechtsauslegung reichsweit festschrieben,228 wandte sich der Centralverein üblicherweise unmittelbar an die obersten Reichsbehörden, aber auch an die regionalen und lokalen Instanzen, um auf Missstände hinzuweisen und Abhilfe zu bewirken. Das engere Machtzentrum des Regimes blieb freilich unzugänglich, und es war den CV-Vertretern nur zu bewusst, dass die Reichsführung die radikalantisemitischen Ressentiments der NS-Aktivisten im Wesentlichen teilte und sich schon deswegen niemals in allzu offensichtlichen Widerspruch zu ihrer Ideologie und ihrer Anhängerschaft zu setzen gewillt war. Die Zielstellung der Organisation war insofern ambivalent. Im Grunde vertraute der Centralverein schon bald allein darauf, dass Sekundärmotivationen das NS-Regime zur Sicherung der jüdischen Gewerbetätigkeit veranlassen würden. Wenn auch auf keine klare Grundsatzentscheidung konnten die CV-Vertreter ihre Abwehrstrategie auf eine Reihe von Erklärungen der oberen Reichs- und Parteiebenen stützen, die gegen Boykott und Ungleichbehandlung Stellung nahmen. Zu diesem Zweck stellte man eine mehrseitige Dokumentation, vorwiegend aus der Presse und aus amtlichen Publikationen, zusammen, die als Handreichung an Firmen und Einzelpersonen gegeben sowie als Sonderbeilage der CV-Zeitung ver­ öffentlicht wurde, um in Fällen von Diskriminierung gegenüber den zuständigen Behörden belegen zu können, dass solches Handeln gegen den Willen der Reichsleitung verstieß.229 Den Vertretern des Centralvereins halfen bei ihrer Tätigkeit insbesondere ihre guten Verbindungen zu Behörden und Dienststellen, wo sie vor allem in den ersten Jahren des NS-Regimes noch durchaus als Gesprächspartner empfangen wurden.230 Insbesondere das Reichswirtschaftsministerium, in dessen Leiter Hjalmar Schacht der CV großes Vertrauen setzte, war ein zentraler 226 Rundschreiben an die Landesverbände und Beamte des CV, 16.6.1933, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/18, Bl. 39 (CAHJP, M2/8693). 227 Zitiert nach: Matthäus, S. 261. 228 Vgl. Fraenkel, Self-Defense, S. 355 f. 229 CV an Fa. Ludwig Meyer (4-seitige Aufstellung als Anhang), 30.11.1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2943, Bl.  41–46 (CAHJP, M2/8791); Sonderbeilage der CV-Zeitung, Nr.  45, 23.11.1933 (4 S.). 230 Barkai, Wehr Dich, S. 312; Wildt, Einleitung, S. 12.

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­ nsprechpartner. Aus der internen Korrespondenz der Organisation lässt sich A ersehen, dass die CV-Vertreter beinahe wöchentlich mit schriftlichen Eingaben und Lageberichten über die wirtschaftliche Situation der Juden bei dem Ministerium vorstellig und bis Ende 1937 auch häufig persönlich empfangen wurden. Weniger erfolgreich waren die Kontakte zu den lokalen Polizeibehörden, die nur selten zu einem effektiven Einschreiten gegen Gewalt- oder Boykottaktionen zu bewegen waren. Die Frankfurter CV-Ortsgruppe verfügte auch im lokalen Staatspolizeiamt über einen Ansprechpartner in Person des Kriminalrates Karl Dräger.231 Dieser empfing nach den Boykottaktionen um das Weihnachtsfest 1934 in den ersten Januartagen mehrere betroffene jüdische Kaufleute und sprach sein Bedauern über das fehlende Eingreifen der Polizeikräfte aus, die auf die Vorkommnisse nicht vorbereitet gewesen seien. In Zukunft werde in Fällen ungesetzlicher Boykott- und Gewaltaktionen jedoch sofort eingegriffen. Er ermunterte gleichzeitig dazu, weiterhin genaue Berichte über antisemitische Vorkommnisse einzureichen, nach denen die Namen der beteiligten Personen festgestellt werden könnten.232 In der Zwischenzeit hatte der Landesverband des Centralvereins die Frankfurter Vorkommnisse in mehreren Eingaben an das Reichswirtschaftsministerium dokumentiert und dort persönlich erörtern können. Auch an das Geheime Staatspolizeiamt war eine Eingabe erfolgt, wo die CV-Vertreter Anfang Januar 1935 zu einem Gespräch empfangen wurden.233 Wie wenig Folgen solche Besprechungen allerdings hatten und wie wenig Verlässlichkeit gegebenen Zusagen innewohnte, zeigte sich nur allzu bald. Als Ende Januar die Metzgerei José Strauss Ziel antisemitischer Aktionen wurde, gelang es trotz dringender Eingaben an die Frankfurter Staatspolizeistelle nicht, diese zu unterbinden. So half es auch wenig, dass Kriminalrat Dräger ein weiteres Mal versicherte, dass Boykott- und andere antisemitische Aktionen in Zukunft mit polizeilichen Mitteln verhindert würden.234 Zwar legten sich im Laufe des Jahres die gewalttätigen Einzelaktionen tatsächlich weitgehend. Waren sie jedoch erst einmal angelaufen, erzielten Interventionen bei Behörden und Polizei­stellen keine praktische Wirkung. Wichtige Erfolge konnte der Centralverein hingegen mit seinen Bemühungen verzeichnen, die Mitgliedschaft der jüdischen Unternehmer in den wirtschaftlichen Pflichtverbänden zu sichern. Innerhalb der Verbandsstrukturen setzte mit der nationalsozialistischen Machtübernahme zunächst ein offener Verdrängungs- und Umgestaltungsprozess ein, der durch das Regime nur in begrenztem Maße und verzögert unter zentrale Kontrolle gebracht und gesteuert 231 Karl Dräger war während der Zeit der Weimarer Republik kurzzeitig Mitglied der DDP und trat bereits im April 1933 der NSDAP, 1937 der SS bei. Er gehörte seit 1938 dem SD an. Vgl. Lageberichte, S. 48. 232 Notiz über Besprechung im Frankfurter Polizeipräsidium, 2.1.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3192, Bl. 31 (CAHJP, M2/8808). 233 CV an LV Hessen-Nassau, 4.1.1935, ebd., Bl. 18 f. 234 CV an Reichsvertretung, 11.1.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3182, Bl. 412 (CAHJP, M2/8808).

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wurde. In ideologisch aufgeladenen oder staatspolitisch als besonders bedeutsam erachteten Bereichen entstanden bereits 1933 in Gestalt des Reichsnährstandes sowie der Reichskulturkammer ständestaatliche bzw. berufsständische Körperschaften, die dem Prinzip der Zwangsmitgliedschaft unterlagen und die Zugehörigkeit regulierten.235 In der übrigen Wirtschaft konkurrierten noch bis in das Jahr 1934 hinein unterschiedliche Reorganisationsvorstellungen, so dass die Regierung den dezentralen Dynamiken der »Selbstgleichschaltung« zunächst mehr oder weniger freien Lauf ließ.236 Die überkommenen Verbandsstrukturen blieben vielfach lebendig und wurden als solche zunächst lediglich in ein vorläufiges System sogenannter Reichsstände überführt, was aber kaum mehr als eine Umetikettierung bedeutete.237 Während viele der führenden Verbandsfunktionäre in ihren Ämtern verblieben, wurden jüdische Vertreter auf Druck nationalsozialistischer Akteure oder in vorauseilendem Gehorsam rasch und rigoros aus den Wirtschaftsorganisationen verdrängt. Darüber hinaus begannen viele der existierenden oder neu entstehenden Wirtschafts- und Berufsverbände zusätzlich damit, jüdische Mitglieder auszuschließen oder ihnen die Mitgliedschaft zu verwehren – im zeitgenössischen Jargon: »Arierparagraphen« einzuführen. Weil sicher angenommen werden konnte, dass das im Umbruch befindliche Verbandssystem früher oder später in ein System von Monopolverbänden mit Zwangsmitgliedschaft überführt werden würde, bedrohte eine solche Ausgrenzungspolitik die wirtschaftliche Betätigung von Juden auf das Schwerste. Denn trotz der formalrechtlichen Gleichbehandlung jüdischer und nicht-jüdischer Unternehmen wären Juden damit auf indirekte Weise aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen worden. Für den Centralverein tat sich hier ein entscheidendes Aufgabengebiet auf, denn es musste für jeden Wirtschaftsbereich einzeln gegen die antisemitische Politik der jeweiligen Verbände vorgegangen werden. Die Situation klärte sich im Februar 1934 ein wenig, als mit dem Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirtschaft das Reichswirtschaftsministerium zu weitreichenden Regulierungsmaßnahmen bei der Neuordnung der Verbandsstrukturen ermächtigt wurde.238 Im Verlauf des Jahres wurden nicht zuletzt auf stetige Initiative des Centralvereins explizit antisemitische Bestimmungen aus den meisten Verbandssatzungen gestrichen. Eine Materialsammlung der Organisation an das Reichswirtschaftsministerium vom August 1934 zeigt allerdings, dass zu dieser Zeit Juden immer noch in einer Reihe von alleinvertretungsberechtigten Verbänden nicht oder nicht uneingeschränkt zugelassen wurden, was ihre Wirtschaftstätigkeit zum Teil erheblich erschwerte.239 Erst Ende 1934 kam der Prozess der Reorganisa235 Bracher u. a., S.  288–307; S.  647–655; Barkai, Wirtschaftssystem, S.  131–149; Steinweis, S. 51–59. 236 Barkai, Wirtschaftssystem, S. 192–197; S. 210–215; zuletzt auch Abelshauser, Krupp. 237 Jaeger, S. 193; vgl. auch Kahn, Steuerung, S. 149–205. 238 Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirtschaft vom 27.2.1934, RGBl. I, S. 185. 239 CV an RWM, 13.8.1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2924, Bl. 41–43 (CAHJP, M2/8791).

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tion der Wirtschaftsverbände in einer Weise zum Abschluss, der jüdischen Unternehmern ihre Zugehörigkeit formell sicherte.240 Nach den gewaltsamen Boykottaktionen und Ausschreitungen des Jahres 1935 war der Erlass der Nürnberger Gesetze im September ein weiterer schwerer Schlag für die Zukunftserwartungen der deutschen Juden. Der Central­verein nahm die rechtliche wie symbolische Ausgrenzung zum Anlass, eine Änderung seiner Satzung vorzunehmen und als symbolische Selbst-Distanzierung seinen Namen in Centralverein der Juden in Deutschland zu ändern.241 Hätten sich bei optimistischer Betrachtung die Nürnberger Gesetze vielleicht zumindest als eine Herstellung von Rechtssicherheit – bzw. von »Unrechtssicherheit«242 – deuten lassen, gaben doch die fortlaufenden wirtschaftlichen Diskriminierungen zu Hoffnungen auf eine Stabilisierung der Lage der deutschen Juden nur wenig Anlass. Vor diesem Hintergrund war die umfangreiche Denkschrift zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Juden, die der Centralverein kurz nach dem Parteitag an den Reichswirtschaftsminister sandte, von tiefem Pessimismus geprägt.243 Ausführlich wurden die fortbestehenden Behinderungen für jüdische Unternehmer aufgeführt, zu denen stetig weitere Maßnahmen von Kommunen und Behörden hinzukamen. Dass gewalttätige Aktionen sich mittlerweile nur noch selten ereigneten, verbesserte die Situation kaum. Denn vor allem beklagte der Centralverein einen zunehmenden informellen Druck auf Unternehmen, Verbände und Konsumenten, ihre Beziehungen zu Juden als Angestellte, Geschäftspartner und sogar als Kunden abzubrechen. Dieser vielfach verdeckt, aber auch öffentlich ausgeübte Druck zeige immer stärkere Wirkung, so dass die Bevölkerung die offiziellen Richtlinien zur Gleichbehandlung von Juden im Wirtschaftsleben für offenbar nicht mehr gültig erachte. Obwohl sie auch die soziale und psychische Not der deutschen Juden ausführlich darstellten, argumentierten die CV-Vertreter gegenüber Hjalmar Schacht doch vor allem mit der Notwendigkeit zur »Wirtschaftsbefriedung«. Um weitere Störungen und Behinderungen eines freien Wirtschafts- und Warenverkehrs zu verhindern, sei es nötig, das Prinzip der Gleichberechtigung von Juden in der Wirtschaft der Öffentlichkeit noch einmal nachdrücklich in Erinnerung zu rufen. Außerdem forderte der CV die Aufhebung aller diskriminierenden Einzelmaßnahmen wie der Verbote, in jüdischen Geschäften zu kaufen, und des Ausschlusses jüdischer Unternehmen von öffentlichen Aufträgen. Indem auf die sonst »unvermeidlichen Rückwirkungen auf die Gesamtwirtschaft« verwiesen wurde, hatte der CV sich allerdings auf eine Argumentationslinie 240 Erste VO zur Durchführung des Gesetzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirtschaft vom 27.11.1934, RGBl. I, S. 1194. 241 Matthäus, S. 267 f. 242 Wildt, Geschichte, S. 117 f. 243 CV an RWM, 26.10.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3258, Bl. 19–23 (CAHJP, M2/8814); vgl. auch Reisebericht S. R. über die Lage der jüdischen Bevölkerung nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze, 29.11.1935, abgedruckt in: VEJ, Bd. 1, Dok. 213, S. 527–534.

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festgelegt, die zwar noch eine Weile tragfähig war und auch auf eine gewisse Resonanz stieß, spätestens Ende 1937 aber ins Leere lief. Denn die Argumente verloren an Plausibilität: Auf Gesichtspunkte des Arbeitsmarktes konnte im Zeiten der Vollbeschäftigung nicht mehr verwiesen werden. Die Reichsregierung hatte mit ihren Aufforderungen zum Abbau jüdischer Auslandsvertreter gerade deutlich gemacht, dass auch auf dem sensiblen Gebiet der Exportwirtschaft fortan keine Rücksichten mehr genommen würden.244 Dieser Kündigungswelle hatte der Centralverein bereits nichts mehr entgegenzusetzen.245 Seit dem Führungswechsel im Reichswirtschaftsministerium blieben seine Eingaben un­ beantwortet, ein persönliches Vorsprechen war erst recht nicht mehr möglich. Intern wurde die Möglichkeit diskutiert, mittels einer großangelegten Erhebung die Bedeutung des jüdischen Wirtschaftssektors und die mit seinem Zusammenbruch drohenden Gefahren noch einmal herauszustellen. Doch wurde dies schließlich als zwecklos angesehen.246 Gegen die im Juli 1938 ergehenden gesetzlichen Einschränkungen jüdischer Gewerbetätigkeit war man ohnehin machtlos.247 Der von der Frankfurter Ortsgruppe vorgebrachte Vorschlag, sich zumindest für eine Ausnahmeregelung für jüdische Frontkämpfer nach dem Vorbild des Berufsbeamtengesetzes einzusetzen, erschien unrealistisch.248 Der Centralverein verfügte zu dieser Zeit über keine Einflussmöglichkeiten mehr, musste sich in seiner Abwehrarbeit geschlagen geben und im Wesentlichen auf seine Beratungs- und Betreuungstätigkeit zurückziehen. Damit hatte sich der CV spätestens bis 1938 immer stärker von einer poli­ tischen hin zu einer Art Wohlfahrtsorganisation gewandelt und ordnete sich damit in das weitgespannte Netz der jüdischen Fürsorge- und Hilfseinrichtungen ein, die durch die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der NS-Juden­ verfolgung auf das Äußerste beansprucht wurden.249 Nachdem Mitte März in Berlin schon eine ähnliche Einrichtung gegründet worden war, rief die Jüdische Gemeinde in Frankfurt am 10. April 1933 die Beratungsstelle für Wirtschaftshilfe ins Leben, um auf die neuen Verhältnisse zu reagieren.250 An diese wandten sich in den ersten Monaten vor allem diejenigen Akademiker, die aufgrund 244 Schreiben an Hans Reichmann, 28.12.1937, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3258, Bl.  75 f. (CAHJP, M2/8814). 245 CV an LV Hessen-Nassau und Hessen, 7.12.1937, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3162, Bl. 62 (CAHJP, M2/8806). 246 Reichmann, S. 52–54. 247 Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 6.7.1938, RGBl. I, S. 823. 248 Ortsgruppe Ffm. an CV, 13.7.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3364, Bl. 195 (CAHJP, M2/8823). 249 Ralph Bergel, Die Arbeit der offenen jüdischen Fürsorge in Frankfurt/Main 1919–1939, Juli 1960, LBI JMB, AR 279; Paul Hamburg, Bureaucratic Persecution: Jewish Life in Frankfurt am Main 1933–1938, USHMM, RG-03.016–01, S. 60–62. 250 Willy Mainz, Aus der Arbeit der Israelitischen Gemeinde Frankfurt a. M. in den Jahren 1933–1938, nach der Erinnerung niedergeschrieben, Tel Aviv, 15. Schewat 5706, YVA, O.1, 29; Gohl, S. 20; S. 34–42.

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des Berufsbeamtengesetzes oder als Ärzte und Rechtsanwälte aus ihren Berufen verdrängt worden waren. Später bildeten entlassene kaufmännische Angestellte, die bei der Gründung eines selbständigen Betriebes beraten wurden, die größte Gruppe der Hilfesuchenden.251 Neben dieser kaufmännischen Beratung, die durch Darlehen zur Gründung einer wirtschaftlichen Existenz flankiert wurde, leistete die jüdische Wirtschaftshilfe vor allem Beratung zur Ausbildung und Umschulung und errichtete eigene Ausbildungsstätten, in denen jüdische Jugendliche vorwiegend handwerkliche Berufe erlernen konnten.252 Die Bemühungen um eine Berufsumschichtung unter den deutschen Juden erfuhren unter den Bedingungen von Ausgrenzung und Verfolgung eine neue Bedeutung. In den jüdischen Selbsthilfestrukturen waren namentlich in der Anfangszeit mehrere Handlungs- und Erwartungshorizonte präsent. Als eine Form kollektiver Selbstbehauptung dienten die Fürsorge- und Wohlfahrtseinrichtungen zum einen dazu, die sozialen Folgen der NS-Judenverfolgung abzufedern und den aus ihren ökonomischen Positionen verdrängten Juden zumindest eine gewisse materielle Unterstützung zu geben. Neben dieser defensiven und reak­tiven Perspektive war aber seit Beginn der NS-Herrschaft auch eine planvolle und gelenkte jüdische Auswanderung als Perspektive verfolgt worden. Die jüdische Beratungsstelle für Wirtschaftshilfe verlegte sich insbesondere in der Jugend­ arbeit von Anfang an auf eine Umschulungs- und Ausbildungsstrategie, die sich an den Bedürfnissen in möglichen Emigrationsländern orientierte.253 Bei dieser Schwerpunktsetzung musste man von der bald eintretenden Erkenntnis aus­ gehen, »daß für die ältere Generation nur hie und da eine einzelne Hilfsmöglichkeit geschaffen werden kann und daß eine grundlegende Hilfe nur für die Jugend möglich ist.«254 In den ersten Jahren der NS-Herrschaft glaubten die Vertreter der Auswandererhilfe noch, die jüdische Emigration könne planvoll ablaufen und von den jüdischen Organisationen sinnvoll gelenkt und koordiniert werden. Spätestens seit 1936 wurde jedoch immer klarer: »Anstelle geplanter Wanderung trat die unterstützte und beratene Flucht.«255 Auch jüdische Verfolgte, die nur geringe Aussichten auf eine erfolgreiche wirtschaftliche Ansiedlung im Ausland besaßen, entschieden sich zur Ausreise aus dem Deutschen Reich und mussten in Fragen des immer komplizierter und verlustreicher werdenden Devisentransfers beraten werden. Seit Ende 1937 beschäftigten sich schließlich die meisten 251 Ein Jahr jüdische Beratungsstelle für Wirtschaftshilfe, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 10, Juni 1934, S. 397 f. 252 R. Stahl, Berufsausbildung in Zahlen, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 6, März 1937, S.  7–9; Julius Bloch, Praktische und theoretische Umschichtungsstätten in Frankfurt/M. (1933–1939), 29.1.1956, YVA, O.2, 413. 253 Gohl, S. 47–49; vgl. Dwork/Pelt, S. 127–133. 254 Ein Jahr jüdische Beratungsstelle für Wirtschaftshilfe, in: Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Nr. 10, Juni 1934, S. 397 f. 255 Max Hermann Maier, Auswandererhilfe in Frankfurt am Main 1936 bis 1938, LBI JMB, AR 279, Bl. 7.

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Juden nicht mehr so sehr mit den wirtschaftlichen Bedingungen in möglichen Zielländern, es ging stattdessen immer häufiger nur noch darum, überhaupt ins Ausland zu gelangen, und sei es mit nur temporär gültigen Einreisepapieren.256 Nach dem Novemberpogrom setzte dann endgültig eine Massenflucht ein, bei der es nur noch um das physische Überleben ging und ökonomische Abwägungen keine entscheidende Rolle mehr spielten.257 Schon im Laufe des Jahres 1938 hatten sich innerhalb der jüdischen Institutionen die ihrem Handeln zugrundeliegenden Erwartungshorizonte endgültig von der sozialen Sicherung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland hin zur Förderung der Auswanderung im größtmöglichen Umfang verschoben, die in jüdischen Publikationen nun als Thema auch sichtbar dominierte.258 Dass sie sich damit immer stärker in die systemische Logik der NS-Judenpolitik eingefügt hatten, erschien den Akteuren des SD, die sich von Anfang an für eine planvolle Auswanderung der Juden aus Deutschland eingesetzt hatten, jedoch längst nicht ausreichend. Immer wieder drängten sie auf ein Verbot namentlich des Centralvereins, da dieser »in gewissem Sinne den Beauftragten des Gesamtjudentums für die Erleichterung des jüdische Lebens in Deutschland« darstelle und noch immer einen assimilatorischen Kurs verfolge, der darauf hinauslaufe, »Maßnahmen zur Herausdrängung der Juden aus dem Reich zu mildern und den Juden den Aufenthalt in Deutschland zu erleichtern.«259 Nachdem sich der SD auch in den kommenden Monaten auf eine argwöhnische Überwachung beschränken musste, wurde schließlich der Novemberpogrom als Gelegenheit zum Angriff genutzt. Die Büros des CV wurden geschlossen, der Verein wenig später verboten.260 Die Einrichtungen der jüdischen Wohlfahrtspflege wurden ebenfalls für mehrere Tage geschlossen, Gebäude und Einrichtungen beschlagnahmt. Nur unter großen Schwierigkeiten und durch den persönlichen Einsatz vieler Engagierter konnten die jüdischen Institutionen ihre Arbeit wieder aufnehmen und leisteten für zahlreiche Verfolgte auch weiterhin eine wichtige Hilfs- und Unterstützungsarbeit; in struktureller Hinsicht operierten sie jedoch seitdem nur noch als unfreiwillige Vollzugsorgane der NS-Machthaber.261 Vieles deutet darauf hin, dass die Vertreter der jüdischen Organisationen vergleichsweise frühzeitig der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland in ihrer Gesamtheit keine realistische Zukunftsperspektive mehr einräumten. In dieser Hinsicht bestanden wohl schon um 1935 kaum noch Unterschiede zwischen deutsch-jüdischen und zionistischen Repräsentanten.262 Dies war eine globale 256 Ebd., Bl. 25. 257 Dwork/Pelt, S. 133–136. 258 Vgl. etwa: Zur Auswanderung, in: Jüdisches Gemeindeblatt für die Israelitische Gemeinde Frankfurt am Main, Nr. 4, Januar 1938, S. 3 f. 259 SD-Führer Oberabschnitt Fulda-Werra an Sicherheitshauptamt, Abt. II 112, 22.9.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/634, Bl. 74. 260 Barkai, Wehr Dich, S. 355–368. 261 Hierzu Becht. 262 Barkai, Wehr Dich, S. 316.

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Perspektive, die nicht jeder einzelne jüdische Bürger innerhalb seines eigenen Erwartungshorizonts geteilt haben wird. Was ihre Zukunft in Deutschland betraf, darüber werden die jüdischen Unternehmer in Frankfurt vor dem Hintergrund ihrer je individuellen Lage sehr unterschiedlich gedacht haben. Schlussfolgerungen aus ihren Gedanken, Hoffnungen und Befürchtungen zu ziehen, dazu waren sie allemal gezwungen: Kaum ein anderer Beruf wie der des Unternehmers erfordert in gleicher Weise stetiges, planvolles Handeln auf der Basis aktueller Zukunftserwartungen.263 Im Folgenden sollen die jüdischen Betroffenen als Akteure begriffen werden, die im Rahmen der gegebenen Handlungsspielräume Strategien verfolgten, dem Verfolgungsdruck nach Möglichkeit zu entgehen, auf ihn zu reagieren oder sich anzupassen. Dabei geht es um die jüdischen Akteure als Unternehmer, die auf ihre sich verändernde Handlungsumgebung mit betriebswirtschaft­ lichen Entscheidungen reagierten. Ein solcher Ansatz kann sich an neuere Positionen in der methodologischen Debatte um die Unternehmensgeschichte anlehnen. Vor allem Werner Plumpe hat in mehreren Beiträgen argumentiert, dass nur die Rekonstruktion von Entscheidungssequenzen auf betrieblicher Ebene die Entwicklung von Unternehmen adäquat zu erklären vermag und dabei auch die Bedeutung von biographischen Erfahrungen, von Verwandtschaftsnetzwerken und dem sozialem Selbstverständnis von Unternehmerpersonen sowie die Bedeutung aktueller Zukunftsvorstellungen hervorgehoben.264 Auf diese Weise kann verhindert werden, unhinterfragt eine unmittelbare Verkopplung der makro- oder mesopolitischen Entscheidungsebenen und der Entwicklung auf der Mikroebene jüdischer Betriebe anzunehmen oder vorauszusetzen. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die antisemitische Verfolgungspolitik sich auf betrieblicher Ebene ganz unterschiedlich auswirken konnte. Wann und wie handelten die jüdischen Unternehmer und warum handelten sie so? Um in dieser Frage der Gefahr einer reinen Deduktion aus makrostrukturellen Entwicklungen vorzubeugen, andererseits aber auch nicht in der empirischen Fülle individueller Einzelfälle verlorenzugehen, soll hier als analytischer Ausgangspunkt eine empirisch informierte, idealtypische Konstruktion sich gleitend verändernder und ineinander übergehender Erwartungshorizonte vorgeschlagen werden. Diese perspektivischen Horizonte gingen dabei in der Regel in mehr oder weniger dichter Abfolge gleitend ineinander über. Sie konnten auch parallel laufen oder sich zeitlich ineinander schieben. (1) Es ist davon auszugehen, dass angesichts der wirtschaftlichen Schwächung im Zuge der Weltwirtschaftskrise die realistische Perspektive vieler auch jüdischer Unternehmer zu Beginn der NS-Zeit die Erholung von dieser Krisenzeit und die Wiedererlangung des ursprünglichen betriebswirtschaftlichen Niveaus war. Auch wenn den deutschen Juden klar gewesen sein dürfte, dass hinter der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten tatsächlicher Handlungswille 263 Vgl. hierzu Casson. 264 Plumpe, Unternehmen; Pfister/Plumpe; Plumpe, Unwahrscheinlichkeit.

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stand und ihre Herrschaft politische Verfolgung und Diskriminierung mit sich bringen würde, dürfte doch eine völlige Verdrängung aus der freien Wirtschaft zunächst kaum allgemein erwartet worden sein. Tatsächlich schien das NS-Regime in den ersten Monaten seiner Herrschaft Bestrebungen zur wirtschaftlichen Diskriminierung ja entgegentreten zu wollen. Der Abbau der Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Erholung sollten hingegen oberste Priorität genießen. Jüdische Unternehmer konnten also, solange die antisemitische Verfolgungspolitik noch nicht in den individuellen Handlungshorizont hineinragte, ihre Erwartungen zunächst durchaus auf eine solche Regeneration ausrichten. Dieser Erwartungshorizont ließe sich mit dem Begriff der »eingeschränkten Partizipation« beschreiben. (2) Da jedoch die wirtschaftliche Regeneration für jüdische Unternehmen nach der Krise unter denkbar ungünstigen Bedingungen stattfinden musste, dürften sie vermutlich relativ gesehen hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgeblieben sein. Somit kann angenommen werden, dass sich die jüdischen Unternehmer alsbald vor allem an dem Ziel ausrichteten, den wiedererlangten Umfang des Geschäftes unter zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen im Rahmen des Möglichen auszubauen – oder auch nur zumindest mehr oder weniger zu erhalten. Dieser Erwartungshorizont ließe sich mit dem Begriff der »Selbstbehauptung« beschreiben. (3) Wann diese gleitende Reduktion wirtschaftlicher Erwartungen von dem Bewusstsein einer akuten Bedrohung der eigenen sozialen Existenz begleitet wurde oder hierin überging, hing von der individuellen Konstellation, von Erfahrungen, Wahrnehmungen und Deutungen ab. Die Handlungsorientierung verlegte sich dann von einer eher betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das Ziel, den Geschäftsbetrieb in einer Weise zu erhalten, die zumindest ein stetiges Mindesteinkommen garantierte. Nur so schienen angesichts der politischen und sozialen Bedrohung schließlich überhaupt noch unabhängige Handlungsräume garantiert, sei es unter der Bedingung einer Anpassung an die Verfolgungsbedingungen durch den grundlegenden Umbau oder die Verkleinerung des Unternehmens. Die im betriebswirtschaftlichen Sinne optimale Ausnutzung der im Geschäft angelegten Ertragspotentiale musste an dieser Stelle zugunsten der Erhaltung sozialer Unabhängigkeit zurücktreten. Entscheidend war es hierbei, in welchem allgemeinen Zeithorizont die Akteure dachten und handelten, denn viele Juden rechneten namentlich in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft mit einem vielleicht mehrjährigen, aber nicht dauerhaften Zustand der Rechtsunsicherheit. Dieser Erwartungshorizont eines Überwinterns im Regime ließe sich mit dem Begriff der »Subsistenz« beschreiben. (4) Schließlich musste es jüdischen Unternehmen auch im Falle eines Verkaufs oder der Liquidation des Betriebes darum gehen, die darin enthaltene Vermögenssubstanz so weit wie möglich für sich zu sichern, um weiterhin über ein materielles Auskommen zu verfügen. Dieser Erwartungshorizont soll mit dem Begriff »Vermögenssicherung« beschrieben werden. (5) Eine Vielzahl von Beispielen zeigt, dass mit dem Verkauf eines jüdischen Unternehmens keineswegs immer schon die Auswanderung mitgeplant war. Oftmals gingen diese Vorgänge jedoch inein109 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

ander über, so dass den betriebswirtschaftlichen Entscheidungen der jüdischen Unternehmer bereits die Perspektive der Emigration eingeschrieben war. Mit der Entscheidung zur Emigration jedoch löste sich in einem oft abrupten, bisweilen längeren Prozess schließlich die Perspektive einer Existenz in Deutschland auf, und es geriet der Gesichtspunkt in den Vordergrund, auf welche Weise das bisher Erarbeitete zur Sicherung einer neuen und ungewissen Existenz würde beitragen können. Dieser Erwartungshorizont soll mit dem Begriff »Vermögenstransfer« erfasst werden. Der Erkenntnisgehalt einer solchen Typologie ist aus sich heraus nicht hoch. Das ist aber auch nicht ihr Sinn. Eine idealtypische Konstruktion soll keine Beschreibung der Realität sein, ihre Funktion liegt darin, heuristische Instrumente zur Analyse individueller Fälle zu liefern, indem diese durch die Beschreibung der Differenzen zur Typologie in ihrer Spezifik erklärt werden.265 Die folgenden Untersuchungen lassen sich hiervon leiten, ohne an jedem Fall die Typo­logie schematisch durchzudeklinieren. Um diese Denkansätze in eine Analyse betriebswirtschaftlicher Strategien und Entscheidungen zu übersetzen, soll an Überlegungen von Ludolf Herbst im Rahmen der Forschungen zur Beteiligung der Commerzbank an der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit angeschlossen werden.266 Herbst arbeitet dort idealtypisch drei strategische Optionen jüdischer Unternehmer angesichts der zunehmenden Verfolgungsbedrohung heraus: die auf die Auswanderung zielende Liquidation oder Veräußerung sowie zwei weitere Optionen, die als »gleitende Strukturanpassung« und »gleitende Profilanpassung« bezeichnet werden. Mit diesen Überlegungen wurde erstmals ein Versuch gemacht, die Geschehnisse um die nationalsozialistische »Arisierung« der Wirtschaft konsequent aus der Perspektive der jüdischen Betroffenen als Akteure zu analysieren.267 »Gleitende Strukturanpassung« meint vor allem eine Anpassung der Rechtsform, der Beteiligungsverhältnisse und der Leitungsstrukturen mit dem Ziel, das Etikett »jüdisches Unternehmen« abzustreifen. »Gleitende Profilanpassung« hingegen meint eine Anpassung der Produktpalette, der Abnehmerstruktur und der Kooperationspartner mit dem Ziel, dem Betrieb trotz seiner Einstufung als »jüdisch« eine geschützte Stellung zu verschaffen. Diese Anpassungsstrategien sollten nicht von vornherein in eine chronologische Abfolge­ logik gebracht werden, zumal sie auch ineinander verschränkt sein konnten. Dass Verkauf und Liquidation immer bereits auf die Auswanderung zielten, erscheint wiederum als eine Einschätzung, welche die Perspektive der Emigration überbetont. Da sich aus den genannten begrifflichen Typen nur wenig Orientierung für die zeitliche Einordnung ergeben, sollen sie mit den Erwartungshorizonten jüdischer Unternehmer zusammengebracht und in ihrer je individuellen Verlaufsdynamik analysiert werden. Freilich ist zu berücksichtigen, dass 265 Weber; vgl. auch Herbst, Komplexität, S. 105–107. 266 Ders., Banker, S. 84–87. 267 Von jüdischen »Arisierungsstrategien« spricht bereits Lässig, Judenpolitik, S. 150–175.

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ökonomische und betriebswirtschaftliche Perspektiven für die jüdischen Unternehmer keineswegs allein handlungsleitend waren, sondern von außerökonomischen Erwartungen und Erfahrungen überlagert und beeinflusst wurden. Der Einbruch konkreter Verfolgungserfahrungen in das Leben des Einzelnen konnte die geschilderten Handlungshorizonte zeitlich rasch zusammenstauchen und verlieh ihnen eine weitere Dimension. Mit dem so gewonnenen multidimensionalen Analyseinstrumentarium lässt sich auch die Frage nach dem »Erfolg« jüdischer Anpassungs- und Selbst­ behauptungsstrategien, die bei Herbst nur unzureichend geklärt scheint, in einer sinnvolleren Weise als Problem reformulieren und als explanandum analytisch reintegrieren. Auf längere Sicht konnte keine der Strategien zum Erfolg im Sinne des wirtschaftlichen Überlebens im Nationalsozialismus führen, doch gelang es einer Vielzahl von Unternehmern, sich bis zum gesetzlichen Verbot jüdischer Gewerbetätigkeit zu halten.268 In dieser Perspektive erschiene eine Strategie umso erfolgreicher, je länger sie den formalen Bestand eines Unternehmens zu sichern vermochte. Doch lässt es sich wirklich als Erfolg verstehen, wenn jüdische Verfolgte erst Ende 1938 oder sogar noch später ihre gewerbliche Tätigkeit beendeten, d. h. zu einem Zeitpunkt als die Bedingungen für die Auswanderung aus dem Deutschen Reich einer wirtschaftlichen Existenzvernichtung gleichkamen? Auch die Erfolgskriterien, an denen jüdische Verfolgte ihr Handeln ausrichteten, müssen daher historisiert und im Rahmen ihrer je individuellen Erwartungshorizonte bestimmt werden. b) Strategien der gleitenden Profilanpassung Auch sofern man in den ersten Jahren der NS-Herrschaft noch davon ausgehen mochte, dass die Prinzipien der Gewerbefreiheit und des Privateigentums im Grundsatz bewahrt und höchstens durch wiederkehrende Störungen der unteren NS-Anhängerschaft partiell eingetrübt würden, sahen sich die jüdischen nicht anders als die nicht-jüdischen Unternehmer mit Veränderungen und Verschiebungen innerhalb der Wirtschaftswelt konfrontiert, die auf vielfältige Weise zu Profilanpassungen zwangen. Die Bewirtschaftung von Devisen, Rohstoffen und Arbeitskräften diente der Lenkung und Konzentration von Ressourcen im Sinne der rüstungs- und wehrwirtschaftlichen Prioritätensetzungen des NS-Regimes. In den letzten Jahren wurde von Seiten der unternehmenshistorischen Forschung intensiv der Frage nachgegangen, welche Handlungsspielräume den deutschen Unternehmen unter den Bedingungen der NS-Wirtschaftspolitik verblieben. In zahlreichen Einzelstudien konnte gezeigt werden, dass von einer Quasi-Verstaatlichung und Fremdsteuerung der Unternehmen nicht gesprochen werden kann, sondern diese stets unter verschiedenen Handlungsoptionen wählen konnten und dabei nicht unmittelbarem Zwang, sondern 268 Herbst, Banker, S. 85 f.

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vielmehr einem differenzierten System ökonomischer Anreize unterlagen, mit denen das NS-Regime seine Lenkungsansprüche zur Geltung zu bringen versuchte.269 Es ist im Folgenden zu fragen, inwieweit es auch jüdischen Unternehmen offenstand, den ökonomischen Anreizstrukturen der NS-Wirtschaftspolitik zu folgen oder diese zu nutzen. Sicherlich kann dies nur eingeschränkt der Fall gewesen sein, sahen sich die jüdischen Unternehmer doch vielen zusätzlichen Diskriminierungs- und Verdrängungsmechanismen ausgesetzt. Innerhalb dieses uneindeutigen Bedingungsgefüges ließen sich mittels Strategien der gleitenden Profilanpassung aber unter Umständen die scheinbaren Widersprüche innerhalb der Zielsetzungen des NS-Regimes gegeneinander ausspielen: Eine Anpassung an die wirtschaftspolitischen Prioritäten und Rahmenbedingungen mochte die antisemitische Verdrängungsdynamik eventuell abfedern. Das Etikett des »jüdischen Unternehmens« ließ sich auf diese Weise zwar nicht abstreifen, aber unter Umständen in seinen Auswirkungen suspendieren oder kompensieren. Die Strategie der gleitenden Profilanpassung ist quellenmäßig schwer zu fassen, denn es ist angesichts der Überlieferungssituation kaum jemals möglich, einen so detaillierten Einblick in die betriebswirtschaftlichen Abläufe eines Unternehmens zu gewinnen, dass sich signifikante Strategieentscheidungen nachvollziehen oder gar mit der betriebswirtschaftlichen Strategie vor 1933 vergleichen lassen. In seltener Ausführlichkeit dokumentiert ist die Geschichte der Firma J. Adler jun. Sie wurde bereits 1862 gegründet und seit 1904 als offene Handelsgesellschaft von den Inhabern und Brüdern Albert und Max Rothschild geleitet. Die Gesellschaft war eng verflochten mit der Aquila AG für Handelsund Industrieunternehmungen. Das Unternehmen befasste sich ursprünglich mit dem Handel mit Rohprodukten und Lederabfällen, vor allem seit dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich dann aber immer stärker der Handel mit Schrottund Metallabfällen zum eigentlichen Kerngeschäft. In den 1920er Jahren erlangte das Unternehmen auf diesem Gebiet eine auch international bedeutende Stellung. Mehrere Tochterfirmen wurden im Ausland, namentlich in London, in Zürich, in Mailand und in Montreal gegründet, darüber hinaus noch Büros an verschiedenen Standorten wie New York, Paris und Brüssel unterhalten. Zur Stützung des während der Inflation in die Krise geratenen Geschäfts hatte das Unternehmen in dieser Zeit umfangreiche Industriebeteiligungen erworben, die per Bankenkredit finanziert worden waren. Dies erwies sich aber spätestens seit 1929 als fatales Verlustgeschäft, da diese Beteiligungen kaum Renditen erzielten, die laufenden Kreditzinsen jedoch bedient werden mussten. Die Betriebsbilanz war daher mit einem hohen Schuldenstand belastet, als in der Weltwirtschaftskrise zusätzlich noch die Umsätze im extrem konjunkturempfind­

269 U. a. Gehrig; Bräutigam; Schneider, Unternehmensstrategien; Lorenzen; hierzu auch Plumpe, Unternehmensgeschichte sowie bilanzierend ders., Nationalsozialismus; Banken, Boom; Buchheim, Unternehmen.

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lichen internationalen Schrotthandel einbrachen.270 Hatte das Unternehmen in den Hochjahren 1927–1929 zum Teil über 1,2 Mio. Tonnen Schrott gehandelt, sank der Umsatz im Jahr 1932 auf nur noch 622.000 Tonnen.271 Dies brachte den Betrieb an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Diese wirtschaftliche Belastung, die bereits vor 1933 bestand, hatte Auswirkungen auf den gesamten folgenden Prozess, was keinen Einzelfall darstellt, sondern bei einer ganzen Reihe von Unternehmen zu beobachten ist. Unter den Gläubigerbanken des Unternehmens befanden sich die Dresdner Bank, die Deutsche Bank sowie die Deutsche Golddiskontbank. Diese waren bereit, sich gemeinsam an einer Sanierung zu beteiligen und traten 1931 in diesbezügliche Verhandlungen ein. Als sich die politischen Rahmenbedingungen im Januar 1933 entscheidend veränderten, ein Sanierungsplan aber immer noch nicht vorlag, bestand das Bankenkonsortium gegen den Widerstand der Inhaber auf der Entsendung zweier Vertrauensleute in den Betrieb, um den Gesundungsprozess vor Ort kontrollieren zu können.272 Da diese Vertreter in der Folge umfangreiche Lageberichte an die Banken erstatteten, ist die Unternehmensentwicklung gut dokumentiert, allerdings bedeutete diese Konstellation auch eine etwas eingeschränkte Handlungsautonomie der jüdischen Inhaber. Zudem sind die überlieferten Quellen aus der Sicht der Gläubiger und ihrer Interessen verfasst, so dass sich die betriebswirtschaftlichen Handlungsstrategien der jüdischen Akteure nur indirekt erschließen lassen. Zunächst deckten sich allerdings die Interessen der Inhaber und der Gläubiger, denn auch die Banken waren an der Aufrechterhaltung und Sanierung des Betriebes interessiert, um ihre umfangreichen Forderungen und das investierte Kapital zu sichern. Der erste Bericht des in das Unternehmen entsandten Vertrauensmannes vom Dezember 1933 sah die Lebensfähigkeit des Geschäfts grundsätzlich gegeben und hielt eine Gesundung für möglich.273 Die genaue Bestandsaufnahme der betrieblichen Entwicklung benannte aber auch deutlich die Probleme, vor die sich das Unternehmen gestellt sah. Dabei war zwischen dem internationalen und dem inländischen Handelsgeschäft zu unterscheiden. Das Schrottgeschäft im Inland erschien bei näherer Betrachtung durch zwei sich überlagernde Entwicklungen gehemmt: Zum einen veränderte sich ein zentrales Geschäftsfeld, auf dem die Firma bisher in besonderem Maße ihre Stärken hatte ausspielen können, nämlich der Handel mit gemischtem Schrott. Wie kein anderer Anbieter auf dem deutschen Markt verstand es J. Adler jun., durch ein weitgespanntes System von Sammel- und Lagerplätzen und eine eingespielte Organisation große Mengen solchen Schrotts schnell zu sortieren, zu bewerten und an die passenden Abnehmer zu vermitteln. Im Verlauf der 1930er Jahre 270 Aktennotiz betr. Rückerstattungsantrag der Erbengemeinschaft Rothschild, 4.11.1950, HAC, 500, 1196–2002. 271 Bericht Leonhard Stitz-Ulrici an die Gläubiger-Banken, 23.9.1935, HAC, 500, 110527, S. 6. 272 Aktennotiz über eine Besprechung in Berlin, 24.7.1933, HAC, 500, 110526. 273 Bericht Hermann Klaeger, 4.12.1933, ebd.

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gingen immer mehr deutsche Großunternehmen dazu über, ihren anfallenden Schrott über firmeneigene Abteilungen selbst sortieren zu lassen und auf den Markt zu bringen. Diese Entwicklung gefährdete die spezifische Marktfunktion der J. Adler jun. Zudem sah der Bankenvertreter 1933 bereits klar voraus, dass dem Unternehmen, weil es nach nationalsozialistischer Auffassung als »nichtarisch« galt, nur eingeschränkte Entwicklungsmöglichkeiten verbleiben würden. Das ehemals umfangreiche Geschäft mit Reichsbetrieben und Behörden ging bereits stark zurück und drohte sich in absehbarer Zeit noch weiter zu vermindern. Auch die Unterstützung des Bankenvertreters, der sich bei Behörden und Fachorganisationen wiederholt für das Unternehmen einsetzte und dabei vor allem den drohenden Wegfall mehrerer Hundert Arbeitsplätze sowie die Interessen der Banken ins Feld führte, konnte allenfalls hier und da für Erleichterungen sorgen. Insgesamt war frühzeitig deutlich geworden, dass das Unternehmen am innerdeutschen Konjunkturaufschwung kaum würde partizipieren können und damit der weitere Handlungsrahmen abgesteckt. Das ausländische Handelsgeschäft, das seit 1933 wieder besser in Gang gekommen war, erschien hingegen wesentlich aussichtsreicher. Die J. Adler jun. verfügte auch im internationalen Maßstab über einen ausgezeichneten Ruf und eine effektive Organisation. Seit 1934 ging sie verstärkt dazu über, ganze Schiffsladungen Schrott auf dem amerikanischen Markt über Vermittlerfirmen aus kleineren Partien zusammenzukaufen, an den großen Atlantikhäfen zusammenzuführen und diese dann über verschiedene europäische Häfen in fast alle Länder Europas zu importieren. Virtuos bewegte sich das Unternehmen dabei im undurchsichtigen und sich schnell verändernden Geflecht internationaler Zollbarrieren, Einfuhrbeschränkungen, Devisenkontrollen und politischer Konflikte, wozu es durch ein eingespieltes weltweites Nachrichtensystem befähigt wurde. Allerdings war diese Form des Auslandshandels für das Unternehmen nicht zuletzt deswegen hochriskant, weil die Finanzierung solcher Großlieferungen den Betrieb angesichts der immer noch schwachen Kapitalbasis stets bis zur Grenze seiner Möglichkeiten forderte und Preisschwankungen oder andere Unwägbarkeiten auf den internationalen Märkten im Ernstfall nicht mehr hätten abgefedert werden können. Zunächst verlief die Entwicklung jedoch positiv; nachdem bereits 1933 ein deutlicher Anstieg der umgesetzten Tonnenzahl verzeichnet werden konnte, erreichte der Umsatz 1934 wieder nahezu 1 Mio. Tonnen. Der Auslandsabsatz war dabei seit 1932 besonders stark angestiegen, und machte deutlich über 50 Prozent des Gesamtumsatzes aus (1932: 46 %).274 Als die Umsatzziffern im Jahr 1935 leicht zurückgingen, ließen die Banken einen weiteren, noch wesentlich umfangreicheren Bericht über die betriebswirtschaftliche Lage und die Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens erstellen. Der Autor dieses Berichts benannte als die beiden Lebensfragen des Unternehmens zum einen den eklatanten Mangel an eigenem Betriebskapital, zum anderen die 274 Bericht Leonhard Stitz-Ulrici an die Gläubiger-Banken, 23.9.1935, HAC, 500, 110527, S. 32.

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Hemmungen durch die Stigmatisierung als »jüdisches Unternehmen«.275 Die politische Dis­k riminierung stand dabei einer Erhöhung der Umsätze im inländischen Schrotthandel, ohne die dieser nicht in die Gewinnzone zurückzubringen war, sicherlich entgegen. Allerdings fehlten hierzu ohnehin die liquiden Mittel, so dass vorläufig nur eine Strategie konsequenter Kostenreduzierung die betriebliche Bilanz zu verbessern versprach. Offen sprach der Bericht auch die Strategie einer »Arisierung« zumindest des inländischen Geschäftes als Lösungsmöglichkeit an, die Albert Rothschild aber nur unter bestimmten Bedingungen vorstellbar schien.276 Auch in der aktuellen Konstellation hielt der Berichterstatter die Wieder­ gewinnung der Rentabilität für prinzipiell möglich. Dieser Auffassung schlossen sich auch die Gläubigerbanken an. Am 30. Dezember 1936 wurde ein Abkommen zwischen den Firmen J. Adler jun. und Aquila AG, die bei dieser Gelegenheit verschmolzen wurden, und sechs Bankhäusern, darunter die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Golddiskontbank, geschlossen.277 Die Banken gewährten dem Unternehmen darin einen unbedingten Forderungsverzicht von ingesamt fast 3 Mio. RM sowie einen weiteren bedingten Nachlass von 700.000 RM gegen Besserungsschein. Weitere 1,7 Mio. RM aus den verbleibenden Verbindlichkeiten sollten zudem in eine langfristige Schuld umgewandelt werden, die frühestens zum 1. Januar 1940 fällig wurde. Im Gegenzug übernahmen die Banken umfangreiche Aktienwerte und Beteiligungen; außerdem verpflichtete sich die J. Adler jun., ihren entbehrlichen Grundbesitz zur Tilgung der laufenden Schulden zu verkaufen. Obwohl berichtet wird, dass die Banken von dem Abkommen nur schwer zu überzeugen waren, ist es doch bemerkenswert, dass sie noch Ende 1936 davon ausgingen, in den nächsten vier Jahren das Unternehmen nach dem eingeschlagenen Sanierungsplan wieder zur Gesundung zu bringen. Zudem gewährten sie in der Folgezeit noch umfangreiche Sonderkredite zur Finanzierung von Warengeschäften. Die Geschäftsentwicklung schien dieses Vertrauen zunächst zu rechtfertigen; bereits seit Mitte Mai 1935 griffen die Anstrengungen zur Kostenreduzierung und setzten sich auch in den Folgejahren stetig fort. Selbst bei sinkenden Umsatzziffern gelang es auf diese Weise, das ursprünglich hochgradig verlustreiche Inlandsgeschäft in seiner Rentabilität nachhaltig zu verbessern, wozu insbesondere die Sanierung der unprofitablen Lagerbetriebe beitrug. Ergab sich 1936 noch ein geringer Verlust, konnte das erste Halbjahr 1937 sogar mit einem kleinen Gewinn abgeschlossen werden, der allerdings auch durch die Auf­lösung stiller Reserven bei der Aufgabe einiger Lagerstandorte ermöglicht 275 Ebd., S. 6. 276 Offenbar hielt die Deutsche Bank hinter den Kulissen zeitweilig nach potentiellen Käufern für das Inlandsgeschäft Ausschau. Gespräche u. a. mit dem Flick-Konzern verliefen aber im Sande; vgl. Notiz für Dr. Mosler betr. J. Adler jr., BAL, R 8119 F, P 1364, Bl. 210 f.; Flick an Mosler, 10.2.1937, ebd., Bl.  212. Den Hinweis auf diese Akte verdanke ich Tim ­Schanetzky. 277 Abkommen vom 30.12.1936, HAC, 500, 114420.MS.

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wurde.278 Der Gesamtumsatz im in- und ausländischen Schrotthandel erreichte zwar nicht wieder die früheren Ziffern, stieg aber seit 1935 an (1935: 835.000 t; 1936: 839.000 t; 1. Halbjahr 1937: 435.000 t). Dabei verlagerte sich das Profil des Unternehmens immer stärker auf das ausländische Handelsgeschäft. Hatte das Verhältnis zwischen In- und Auslandshandel beim Gesamtumsatz 1935 noch 44:56 betragen, waren es 1936 bereits 38:62 und im ersten Halbjahr 1937, für das die letzten getrennten Ziffern vorliegen, schließlich 30:70.279 Die fallenden Umsätze im Inlandshandel konnten durch die Steigerung des Gesamtumsatzes sogar überkompensiert werden. Es gelang auf diese Weise auch, die Verbindlichkeiten langsam abzutragen. Die unter das Sanierungsabkommen fallenden Altschulden konnten bis April 1938 von 3,4 Mio. RM auf 2,2 Mio. RM abgebaut werden.280 Das Unternehmen hatte folglich eine Strategie der konsequenten Kosten­ senkung im Inlandsgeschäft, welche die Aufgabe ganzer Standorte einschloss, mit einer Strategie der Profilanpassung in Richtung auf das Auslandsgeschäft kombiniert. Weil die J. Adler jun. das Auslandsgeschäft vor allem mit Hilfe ausländischer Banken zu finanzieren wusste, war das Unternehmen in seiner Rolle als Devisenimporteur hochattraktiv und erhielt stets die erforderlichen behördlichen Genehmigungen für seine Transaktionen.281 Die jüdischen Inhaber hatten die strategische Bedeutung dieser Stellung früh erkannt und bereits im Jahr 1935 eine Sonderprüfung veranlasst, die den Umfang der durch das Unternehmen erwirtschafteten ausländischen Währungsbeträge feststellen sollte, durch die das deutsche Devisenaufkommen vergrößert wurde. Solche Prüfungen wurden seitdem regelmäßig wiederholt. Die J. Adler jun. hatte bereits in den Jahren 1931 bis 1934 Devisenüberschüsse im Werte von über 5,7 Mio. RM erzielt. Zudem leistete das Unternehmen zusätzlich erhebliche Zahlungen in Reichsmark auf verschiedene bilaterale Clearingkonten, was sich ebenfalls mildernd auf die deutsche Devisensituation auswirkte.282 Die in den Jahren 1935 und 1936 erzielten Devisenüberschüsse fielen zwar geringer aus, beliefen sich aber immer noch auf einen Gegenwert von jeweils über 400.000 RM. Im ersten Halbjahr 1937 stieg das Devisenaufkommen sogar noch einmal deutlich an (1.1.–24.6.: 259.000 RM).283 Als Importeur von Devisen war das Unternehmen somit wirtschaftlich kaum zu ignorieren, was einen guten Teil der eingeschlagenen Selbstbehauptungsstrategie ausmachte. Es war schließlich eher eine Verkettung von Zufällen, die das Ende des Unternehmens herbeiführte. Im Mai 1938 verstarb Albert Rothschild, der in der 278 Berichte der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG vom 15.8.1936 und 10.12.1937, BAL, R 8135, 1409. 279 Zahlen nach: Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG vom 3.1.1938, ebd. 280 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG vom 9.5.1938, ebd. 281 Fa. J. Adler jun. an Landesfinanzamt Kassel, 12.6.1936, HStAW, Abt. 519/3, 37945, Bl. ­147–151. 282 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG vom 12.12.1935, BAL, R 8135, 1409. 283 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG vom 29.6.1937, ebd.

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internen Arbeitsteilung der beiden Brüder für das Schrotthandelgeschäft verantwortlich zeichnete. Sein Tod beraubte das Unternehmen gleichsam seines Kopfes, denn für ein global operierendes Handelshaus war die Leitung in erstaunlichem Maße auf die Frankfurter Firmenzentrale ausgerichtet, wo Albert Rothschild im täglichen telephonischen und telegraphischen Austausch mit den Zweigstellen und Tochtergesellschaften das weltweite Schrottgeschäft dirigierte und »nicht nur in wesentlichen, sondern in fast allen Dingen« die Entscheidungen fällte.284 Zugleich verschlechterte sich die Situation auf den Weltmärkten, so dass die Umsatzzahlen gefährlich sanken und bereits getätigte Vorkäufe in den USA als erhebliche Verlustrisiken erschienen. Die Banken waren alarmiert und intensivierten den Kontakt zur Geschäftsleitung. Es wurde im Einvernehmen mit dem verbliebenen Inhaber Max Rothschild beschlossen, das Unternehmen nunmehr still zu liquidieren. Der betriebswirtschaftliche Erwartungshorizont hatte sich damit bereits geschlossen, bevor unmittelbare Verfolgungserfahrungen den Handlungsrahmen dramatisch veränderten: Zu einer Besprechung in der Berliner Zentrale der Deutschen Bank im Juni 1938 über das weitere Vorgehen erschien Max Rothschild nicht mehr, da er sich weigerte, von einer Auslandsreise nach Großbritannien und Frankreich nach Deutschland zurückzukehren. Nachdem kurz zuvor ein enger Bekannter von ihm verhaftet worden und außerdem ein Anruf der Frankfurter Gestapo in der Frankfurter Zentrale eingegangen war, fürchtete er um seine persönliche Sicherheit. Aus dieser Situation heraus kündigten die Banken im Widerspruch zu dem 1936 geschlossenen Vertrag sämtliche Kredite. Ein Vergleichsantrag des noch immer im Ausland befindlichen Max Rothschild wurde abgelehnt. Nachdem die Banken das Unternehmen jahrelang gestützt hatten, schwenkten sie in dem Moment, als die fragile Interessenskongruenz an ihr Ende gekommen zu sein schien, sofort auf einen brachialen Kurs um. Treibende Kraft war dabei die Dresdner Bank, welche die anderen Gläubigerbanken schließlich gegen deren Bedenken davon überzeugte, »das Unternehmen nunmehr schnellmöglich zu liquidieren, um noch soviel wie eben möglich für die Bankgläubiger herauszuholen.«285 Dabei setzten die Gläubiger jetzt voll auf die antisemitische Karte. Der stadtbekannte Anwalt Kurt Wirth, der gleichzeitig Gaurechtsamtsleiter war, wurde mit dem Fall beauftragt. Wo er auftrat, war allen Beteiligten klar, dass es sich nunmehr um eine politische Angelegenheit handelte. Ende Juli stellte Wirth als Bevollmächtigter der Banken beim Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens. In der Begründung hieß es: »Die Gesetze und Verordnungen der jüngsten Zeit lassen klar erkennen, dass die Existenzmöglichkeiten nichtarischer Unternehmen in weitestem Umfange eingeschränkt worden sind. Schon aus diesem Gesichtspunkt allein erscheinen die Forderungen der Bankinstitute in ganz erheblichem Maße gefährdet.«286 284 Bericht Hermann Klaeger, 4.12.1933, HAC, 500, 110526. 285 Aktennotiz betr. J. Adler jun., o. D. [Juli 1938], HAC, 500, 1195–2002, Bl. 18 f. 286 Antrag an das Amtsgericht, 29.7.1938, ebd.

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Den Widerspruch Max Rothschilds wischte der Amtsrichter mit dem Hinweis, dieser sei im Ausland flüchtig, beiseite und eröffnete Anfang August das Verfahren. Bereits im September 1938 wurde das Unternehmen aus dem Handelsregister gelöscht. Der Fall der Firma J. Adler jun. stellt ein ungewöhnlich detailliert überliefertes Beispiel dafür dar, dass jüdische Unternehmer durch eine Verlagerung des Betriebsprofils den Auswirkungen der politischen Verfolgung und Diskriminierung ausweichen konnten und dabei innerhalb eines Netzwerks von Akteuren agierten, in dem sich verschiedene ökonomische Eigeninteressen zumindest über eine gewisse Zeit gegenseitig stützten. Als Devisenlieferant, aber auch als Kreditnehmer mehrerer Großbanken war das Unternehmen so bedeutsam, dass sein Zusammenbruch eigens im städtischen Wirtschaftsbericht Erwähnung fand.287 Freilich scheint die Situation der J. Adler jun. auch noch in anderer Hinsicht eine spezifische, denn aufgrund ihrer weltweiten Vernetzung war die Firma weniger in die Zuteilungs- und Kontingentierungssysteme der deutschen Wirtschaft eingespannt und konnte sich aus ihnen partiell befreien. Dennoch zeigt das Beispiel, dass insbesondere der Auslands- und Exporthandel für jüdische Unternehmen einen möglichen Anpassungspfad bieten konnte. Dies deckt sich mit anderen Ergebnissen der unternehmenshistorischen Forschung. Gerd Höschle hat für die deutsche Textilindustrie, die landläufig als Verlierer der NS-Rüstungspolitik gilt, mehrere »Anpassungspfade« aufzeigen können, direkter staatlicher Intervention und Regulierung zu entgehen und autonome Handlungsspielräume zu erhalten.288 Lässt man dabei den Pfad der »Substitution«, d. h. der Verlagerung auf heimische und Ersatzrohstoffe als Branchenspezifikum beiseite, zeigten sich vor allem die Orientierung auf Exportaufträge sowie die Orientierung auf staatsnotwendigen Bedarf als erfolgreiche Handlungsoptionen. Bringt man diese Befunde allerdings mit der Frage nach den Handlungsmöglichkeiten jüdischer Unternehmer im Nationalsozialismus zusammen, werden die deutlichen Einschränkungen sichtbar, denen letztere unterlagen. Denn während Export- und Auslandshandel eine Option bildeten, die ohnehin immer eine Domäne der Frankfurter Handelsunternehmen gewesen war, stellte der sich ausweitende Sektor der Rüstungs- und rüstungsnahen Produktion ein politisch sensibles Feld dar. Es kam hinzu, dass die Frankfurter Unternehmen, wie bereits beschrieben, innerhalb der Rüstungswirtschaft insgesamt benachteiligt waren. Im Jahre 1936 erschienen auf der reichsweiten Liste von fast 1.500 R-Betrieben, also Rüstungsbetrieben im engeren Sinne, gerade einmal fünf Frankfurter Unternehmen. Im nächsten Jahr waren nur zwei hinzugekommen.289 Jüdische Unternehmen 287 Wirtschaftlicher Lagebericht Juni-September 1938, 28.9.1938, IfS, Magistratsakten, 6971, Bl. 237–248, hier Bl. 242. 288 Höschle, S. 173–219. 289 Geheime Kommandosache. Liste der R.-Betriebe, Oktober 1936, BA-MA, RWD 16, 60; dass., Oktober 1937, ebd., 61.

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befanden sich nicht darunter. Zwar zeigt dies nur einen engen Ausschnitt, denn es gab es auch jenseits der unmittelbaren Rüstungsproduktion zahlreiche Möglichkeiten, an der durch sie induzierten Konjunktur zu partizipieren. Wenige Beispiele können jedoch bereits zeigen, dass jüdische Unternehmer dabei auf besondere Schwierigkeiten stießen. So bemühte sich etwa die Metallwarenfa­ brik Marx & Traube schon frühzeitig um Aufträge der Wehrmachtsstellen. Das 1919 von Erich Marx als GmbH gegründete Unternehmen war nach dem baldigen Ausscheiden des Mitgründers zunächst vollständig in dessen Besitz gewesen. Im Wege einer Kapitalerhöhung übernahm im Jahr 1930 die Wiesbadener Aktiengesellschaft Linde’s Eismaschinen Gesellschaftsanteile im Nominalwert von 100.000 RM, was 50 Prozent der Anteile entsprach. Erich Marx leitete den Betrieb aber weiterhin als alleiniger Geschäftsführer.290 In dieser Gestalt erschien das Unternehmen allerdings den Wehrmachtsstellen als für öffentliche Aufträge nicht akzeptabel. Erich Marx konnte in diesem Fall das Stigma des »jüdischen Unternehmens« nur von dem Betrieb nehmen, indem er persönlich aus der Gesellschaft ausschied, wozu er sich bereits Ende 1935 entschloss. Seine Anteile übernahm die Firma Linde, die damit alleinige Gesellschafterin wurde. Im Oktober des Jahres kündigte sie dem Oberbefehlshaber des Heeres das Ausscheiden des jüdischen Gesellschafters an und wies darauf hin, dass das Unternehmen nunmehr als »arisch« gelten könne.291 Später erhielt das Unternehmen auch umfangreiche Bürgschaften für Exportgeschäfte mit rüstungsrelevanten Gütern.292 Zwar ist dokumentiert, dass die Beschaffungsstellen der Wehrmacht Rüstungsaufträge auch an jüdische Unternehmen vergaben und dafür immer wieder heftig kritisiert wurden, doch taten sie dies offenbar nur dann, wenn es tatsächlich keine andere aktuelle Möglichkeit gab, einen speziellen Bedarf ab­ zudecken.293 Die Firma Marx & Traube hingegen war offenbar ersetzbar und kam, wollte sie ihr Profil auf rüstungsrelevante Aufträge hin orientieren, um Veränderungen in der Unternehmensstruktur nicht umhin. Abseits der Anpassungsoptionen, die sich an den Prioritäten und Anreizstrukturen der NS-Wirtschaftspolitik orientierten, lassen sich, wenn auch bisweilen nur schemenhaft, Strategien der Profilanpassung erkennen, welche die spezifischen Strukturen der antisemitischen Verfolgungspraxis reflektierten. Ein erster Aspekt betrifft die Tatsache, dass die Nationalsozialisten, indem sie das Einkaufen in jüdischen Geschäften unterbinden wollten, von den Bürgern ein Konsumverhalten forderten, dass deren ökonomischen Interessen unter Umständen widersprach. Sofern dies nicht der Fall war, konnten Menschen durchaus dazu gebracht werden, antisemitische Kriterien bei ihren Einkäufen 290 Entschädigungsantrag Erich Marx, HStAW, Abt. 518, 30084, Bl. 50. 291 Fa. Linde’s Eismaschinen AG an Oberbefehlshaber des Heeres, 29.10.1935, ebd., Bl. 65. 292 Deutsche Revisions- und Treuhand AG an Reichsfinanzministerium, 2.3.1938; Bürgschaftserklärung an Fa. Marx & Traube GmbH, BAL, R 2, 16746. 293 Vgl. z. B. das Protokoll der Sitzung der Reichsausgleichsstelle am 15.12.1934, BA-MA, RW 19, 1990, Bl. 233–238.

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zu berücksichtigen.294 Andernfalls bedurfte es jedoch entweder eines ideolo­ gischen, d. h. irrationalen Antriebs oder aber der Einschüchterung und der Kontrolle, um ökonomische Faktoren zu überdecken. Im anonymen Handlungsraum der Großstadt konnten sich jüdische Unternehmen diese Mechanismen zunutze machen, indem sie wiederum Anreize sandten, die ideologischen Impulsen entgegenwirkten. So baute das Schuhhandelsunternehmen J. Speier, das als Filialbetrieb in besonderer Weise im Fokus antisemitischer Boykottpropaganda stand, gezielt die unteren Preissegmente aus, weil die auf niedrige Preise angewiesenen Käuferschichten politischen Erwägungen in ihren Konsumentscheidungen deutlich weniger aufgeschlossen waren als andere.295 Antisemitismus musste man sich in gewisser Weise leisten können. Dass dies nicht jeder Verbraucher konnte oder wollte, mussten auch die Frankfurter städtischen Behörden hinnehmen. Im Juli 1935 druckte der Stürmer im Stile eines nationalsozialistischen Enthüllungsjournalismus eine Rechnung der Firma Speier an das städtische Fürsorgeamt ab und prangerte öffentlich an, »dass die Stadt für die notleidende Bevölkerung beim Juden kaufe.« Dies war eine ziemliche Verzerrung der Tatsachen, die in der Frankfurter Stadtregierung außerordentliche Verärgerung hervorrief und sogar zum Verbot der »Stürmerkästen« im Stadtgebiet führte,296 jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass das Unternehmen mit seiner auf finanzschwache Kundenkreise zielenden Angebotspalette weiterhin erfolgreich war und sich den Boykotttendenzen ein Stückweit entgegenstellen konnte. Die Firma Speier konnte sich als Großunternehmen aufgrund entsprechender Logistik und Verwaltung an Massenkonsumbedürfnissen orientieren, dies entsprach ohnehin dem Unternehmensprofil.297 Für die zahlreichen kleinen und mittleren jüdischen Handelsunternehmen sind Veränderungen in der Angebotspalette und der Preiskalkulation nur selten quellenmäßig nachzuweisen. Es ist zudem schwer zu entscheiden, inwieweit von einer bewussten Strategie gesprochen werden kann, die das Betriebsprofil tatsächlich veränderte, denn gerade jüdische Unternehmen waren in vielen Fällen seit jeher ausgesprochene Spezialanbieter und wiesen damit von vornherein ein entsprechendes Profil auf, das sich unter den Verfolgungsbedingungen aufrecht­ erhalten und weiterentwickeln ließ. Für einige jüdische Unternehmen Frankfurts konnte es unter Umständen eine erfolgversprechende Strategie sein, sich dezidiert und verstärkt auf eine jüdische Kundschaft auszurichten, wenngleich sich das durch den Wegfall nicht-jüdischer Kunden auch ganz zwangsläufig ergeben mochte. Hinweise auf 294 Bajohr, Verfolgung. 295 RA Boesebeck und Barz an LG Ffm., 19.4.1949, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 389, Bl. 9. 296 Niederschrift über die Beratung mit den Gemeinderäten am 19.7.1935, IfS, Magistratsakten. Nachträge, 43, Bl. 176 f.; vgl. auch das um Richtigstellung bemühte FV, 23.7.1935, S. 4: »Kaufen Frankfurter Behörden bei Juden?«; 24.7.1938, S. 4: »Wo kauft die Stadt Frankfurt Schuhe?«. 297 Anmeldung des Rückerstattungsanspruchs an das Zentralmeldeamt Bad-Nauheim, 16.8. 1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 389, Bl. 2–13.

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einen innerjüdischen Wirtschaftssektor finden sich in den Quellen allerdings nur vereinzelt und sollten nicht überschätzt werden;298 die weit über Frankfurt hinausreichenden Kunden- und Lieferbeziehungen vieler jüdischer Großhandelshäuser stehen der Vorstellung eines räumlich konzentrierten jüdischen Wirtschaftssektors eher entgegen. Auf einem Gebiet bildeten sich jedoch bereits vergleichsweise früh getrennte jüdische und nicht-jüdische Sphären heraus, nämlich in der Gastronomie. Die Vorstellung sozialer Geselligkeit, an der Juden wie Nicht-Juden teilhatten, war für antisemitische Aktivisten nur schwer erträglich. Daher standen Restaurants und Cafés unter einem besonderen propagandistischen Druck, jüdischen Kunden den Zutritt zu verwehren.299 Diese sahen sich zunehmend auf eine explizit jüdisch geführte und für Juden bestimmte Gastronomie verwiesen, in der etwa das bekannte und alteingesessene Café Rothschild eine besondere Rolle spielte, das über mehr als 300 Sitzplätze verfügte und ein halbes Dutzend Konditoren beschäftigte. Bis 1938 wurde das Café stark von Juden aus Frankfurt, aber auch von Juden aus der gesamten hessischen Umgebung besucht, denen es eine geschützte und angenehme Atmosphäre bot. Es wurde im Zuge des Novemberpogroms zerstört.300 Indem die nationalsozialistische Forderung nach getrennten Lebenssphären taktisch aufgegriffen wurde, gelang es in einem überlieferten Fall auch, gegen Widerstände der Genehmigungsbehörden einen gastronomischen Betrieb neu zu errichten. Ein in den Quellen nicht namentlich genannter jüdischer Konditor hatte Anfang 1935 den Antrag auf Errichtung eines Cafés in der Börnestraße gestellt, das insbesondere koschere Speisen anbieten sollte. Die Genehmigung wurde ihm jedoch zunächst mit dem Hinweis auf ein mangelndes Bedürfnis an weiteren Cafés in der Stadt verweigert. Der Centralverein riet daraufhin dazu, den städtischen Behörden den Nachweis eines Bedürfnisses durch eine Unterschriftensammlung zu erbringen. Durch einen Artikel in der Frankfurter Zeitung publik gemacht, sprach sich die Angelegenheit bald in der Stadt herum, so dass dem inzwischen angerufenen Verwaltungsgericht schließlich eine Liste mit 190 Personen vorgelegt werden konnte, die sich die Einrichtung eines solchen Cafés explizit wünschten.301 So konnten die behördlichen Versuche, Juden mithilfe schwammiger und stereotyper Begründungen im Verwaltungswege zu diskriminieren, in diesem Fall unterlaufen und desavouiert werden. Ein weiterer möglicher Anpassungspfad ergab sich aus der Tatsache, dass die antisemitische Verfolgungspraxis, insbesondere soweit sie sich gegen jüdische Unternehmen richtete, in hohem Maße an Öffentlichkeit gebunden war. Jüdische Geschäfte wurden nicht zuletzt deswegen Ziel antisemitischer Gewalt- und 298 Vgl. Barkai, Boykott, S. 57–59; S. 91–96. 299 FV, 19.7.1935, S. 4: »Juden sind hier unerwünscht!«. 300 Eidesstattliche Erklärung Frieda Leroi verw. Birnbaum, 26.3.1953, HStAW, Abt. 518, 25229, Bl. 77. 301 Ortsgruppe Ffm. an CV, 29.3.1935, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/2943, Bl.  402; dass., 12.3.1935, ebd., Bl. 403.

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Boykottaktionen, weil sie Schnittstellen sozialer Interaktion im öffentlichen Raum waren und damit allein durch ihre Existenz tagtäglich die ideologischen Postulate einer rassistischen Separierung in Frage stellten und widerlegten. Großhandelsunternehmen und Industriebetriebe, die nicht in gleicher Weise im öffentlichen Raum präsent waren, blieben zwar von Verdrängung nicht verschont, doch wurden sie kaum Opfer von öffentlich in Szene gesetzten anti­ semitischen Aktionen. Es konnte daher auch für Einzelhandelsunternehmen eine Strategie darstellen, sich aus den Schnittstellen der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Was dies ganz praktisch heißen konnte, demonstriert das Beispiel des kleinen Wäschegeschäfts Geschw. Cohn. In den 1890er Jahren gegründet, befand sich der Betrieb seit 1900 im Alleinbesitz von Simon Cohn und unterhielt ein Ladengeschäft in der Eckenheimer Landstraße. Bereits nach dem Boykott 1933 entschied sich Simon Cohn zu einer Umgestaltung. Er verlegte das Geschäft in die obere Etage, vergrößerte aber gleichzeitig das Firmenschild an der Hausfassade. Auf diese Weise konnte er weiterhin öffentlich auf sich aufmerksam machen, entzog aber den Kundenverkehr der Kontrolle der im städtischen Raum agierenden NS-Aktivisten. Zumindest ein bescheidenes Einkommen konnte er auf diese Weise bis 1938 weiterhin erzielen. Dann allerdings wurde das Geschäft Opfer des Novemberpogroms, als mehrere NS-Gewalttäter in das Haus eindrangen und die dort vorhandene Geschäftseinrichtung demolierten.302 Die Ausweichstrategie des Simon Cohn verweist auf zahlreiche kleine und mitunter banal anmutende Schritte, mit denen jüdische Unternehmer versuchten, sich an eine durch das NS-Regime beherrschte und ideologisch verformte Öffentlichkeit anzupassen. Von den nationalsozialistischen Presseorganen wurde dies argwöhnisch beäugt. Im April 1935 erregte sich das Frankfurter Volksblatt über die Geschäftspraktiken der jüdischen Firma Hermanns & Froitzheim, die in Frankfurt und Umgebung mehrere Filialgeschäfte für Modewaren unterhielt. In seinen per Post versandten Werbekatalogen machte das Unternehmen seine Kunden offenbar verstärkt auf die Versandabteilung aufmerksam. Dem NS-Blatt missfiel dabei besonders, dass die aufgenommenen Bestellungen den Käufern in einem Lieferwagen ohne Firmenlogo und in neutralen Verpackungen geliefert wurden.303 Auf diese Weise bot das Unternehmen seinen Kunden einen diskreten Service, der vor Belästigungen und Nachstellungen von NSAktivisten und Boykottposten bewahrte. Welche Bedeutung kommt den Anpassungsanstrengungen jüdischer Unternehmer für die wirtschaftlichen Erwerbs- und Überlebensmöglichkeiten der verfolgten Minderheit zu? Man wird diese sicherlich nicht übertreiben dürfen.304 Viele Unternehmen verfügten gar nicht über die Möglichkeit, ihr Betriebsprofil auf eine Weise umzugestalten, welche die Auswirkungen von Verfolgung, Boykott und Propaganda abgemildert oder gar suspendiert hätte. Es ist 302 Eidesstattliche Erklärung Charlotte Cahn, 25.12.1955, HStAW, Abt. 518, 10132, Bl. 12 f. 303 FV, 29.4.1935, S. 13: »Ein neuer jüdischer Geschäftstrick«. 304 Vgl. Bajohr, Prozeß, S. 22 f.

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darüber hinaus nur schwer festzustellen, ob ein Unternehmen tatsächlich eine Anpassungsstrategie aktiv verfolgte oder ob sich eine Profiländerung als Resultat der Verfolgungsbedingungen herausbildete, und noch schwerer ist es zu beurteilen, ob eine Profilanpassung im Einzelfall tatsächlich bessere Betriebsergebnisse ermöglichte. Sofern sich jüdische Unternehmer durch Profilanpassungen zu behaupten suchten, bewegten sie sich in einem Erwartungshorizont, der auf die Weiterexistenz ihres Unternehmens auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Verfolgung hin orientiert war. Ein solcher Anpassungspfad erwies sich spätestens dann als Sackgasse, als die jüdische Gewerbetätigkeit durch gesetzliche Maßnahmen unterbunden und zerschlagen wurde. Auf den Gesamtprozess der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit bezogen besitzt daher der Begriff der »gleitenden Profilanpassung« nur eine begrenzte Reichweite, da er sich nur innerhalb eines spezifischen Erwartungshorizontes verorten lässt, den alle jüdischen Verfolgungsopfer notwendigerweise von einem je individuellen Zeitpunkt an überschreiten mussten. Wenn sie dies taten und der Ausschaltung durch das Regime aktiv zuvorzukommen suchten, blieb ihnen nur die Möglichkeit, selbst Eingriffe in die Unternehmensstruktur vorzunehmen. c) Strategien der gleitenden Strukturanpassung Die strategische Option der gleitenden Strukturanpassung zielte darauf, das Etikett des »jüdischen Unternehmens« nach Möglichkeit abzustreifen oder aber zumindest auszublenden. In gewisser Weise findet sich das Phänomen der strategischen Strukturanpassung bereits bei den Nationalsozialisten begrifflich erfasst, es entspricht nämlich etwa dem, was diese zeitgenössisch als »getarnte Arisierung« anzuprangern pflegten. Bereits in einem Lagebericht des SD des Jahres 1934 findet sich eine Beschreibung der Versuche jüdischer Betriebsinhaber, das Etikett »jüdisches Unternehmen« durch eine Hereinnahme nichtjüdischer Teilhaber oder Geschäftsführer loszuwerden.305 Auch das Frankfurter Volksblatt, das sich als eine Wächterinstanz über das jüdische Leben in der Stadt verstand, druckte des Öfteren Artikel, mit denen es solche Tarnungen aufdecken wollte.306 Dass SD und andere NS-Stellen in den folgenden Jahren immer wieder warnend auf entsprechende Praktiken aufmerksam machten, zeigt, dass es eine wirkliche Handhabe hiergegen bis zum gesetzlichen Verbot 305 Lagebericht des SD Mai/Juni 1934, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/180a, Bl. 45. 306 FV, 9.8.1935, S.  8: »Jüdische Geschäftsmethoden«; 6.6.1935, S.  9: »Neues Firmenschild«; 27.7.1935, S. 4: »Einen Juden an den Pranger!«; 5.8.1935, S. 4: »Die getarnte jüdische Fahrradfabrik«; 9.8.1935, S 5: »Salomon bleibt Salomon«; 31.8.1935, S. 4: »Durchsichtige Manöver«; 29.9.1935, S. 4: »Durchsichtige Manöver«; 21.1.1936, S. 6: »Tarnungs-Uniformen«; 4.2.1936, S.  6: »Sonderbare arische Firma«; 4.9.1936, S.  13: »Wem gehören die Waren­ häuser?«; außerdem: Gleichschaltung, das beliebte jüdische Versteckspiel, in: Deutscher Mittelstand, Nr. 15, August 1934, S. 2.

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der »Tarnung jüdischer Unternehmen« im April 1938 nicht gab. Erst vor diesem Hintergrund wird der bisher nicht so recht beachtete Hinweis bei Gerhard Kratzsch in seiner Bedeutung offenbar, dass die Versuche der Gauwirtschaftsberater, sich als Genehmigungsinstanz in Übernahmen von Unternehmen aus jüdischem Besitz einzuschalten, vor allem durch die Bestrebung motiviert waren, solche Tarngeschäfte zu verhindern und die Entflechtung jüdisch/nichtjüdischer Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben.307 Ein frühes und spektakuläres Beispiel offenbart ein weiteres Mal, dass die Wahrnehmung jüdischer Anpassungsversuche an die Verfolgungssituation durch nationalsozialistische Instanzen einem Lernprozess unterlag, der sich erst allmählich vollzog. In der Frühzeit des NS-Regimes hatten sich Wahrnehmungsschemata, Begriffe und Definitionen noch nicht eingespielt, so dass den Akteuren im Falle des Filialunternehmens Fröhling AG überraschende Spielräume zur Verfügung standen und ungewöhnliche Handlungsschritte gelangen. Im Jahr 1925 war das Aktienkapital des Unternehmens von Max Fisch gekauft worden, der 1919 mit der Firma Wohlgemuth & Co. eine Getreide- und Lebensmittelgroßhandlung gegründet hatte. Er verflocht die beiden Firmen, gab den Getreidehandel auf und bildete die Firma Wohlgemuth zur Lieferantin für die einzelnen Filialen um.308 Die Umsatzverluste während der Jahre 1929–1932 waren so gravierend, dass der mit der NS-Machtübernahme einsetzende Boykott der Filialen für das Unternehmen sofort existenzbedrohend wurde. Vor diesem Hintergrund schlug Max Fisch eine Strategie der strukturellen Anpassung an die Bedingungen des Regimes ein. Gemeinsam mit seinem nicht-jüdischen Geschäftsführer Richard Bujard entwickelte er ein Konzept, den NS-Machthabern eine Umstellung des Betriebes und seine Auflösung als Filialunternehmen schmackhaft zu machen. Während Fisch als Akteur eher in den Hintergrund trat, entwickelte Bujard gegenüber Behörden und NS-Stellen eine emsige Aktivität. Im Sommer 1933 versandte er an mehrere Adressaten eine Art Denkschrift unter dem Titel »Gedanken zur Auflösung eines FilialGroßbetriebes in mittelständige Einzel-Existenzen.«309 Darin ging er einleitend auf die NS-Ressentiments gegen Filialunternehmen ein und erklärte, es habe »sich die bisher mit jüdischem Kapital arbeitende Carl Fröhling A. G. bereit erklärt, unter Zurückstellung der persönlichen und finanziellen Momente, ihren Betrieb für eine Umstellung im nationalsozialistischen Sinne zur Verfügung zu stellen.« Dieses Umstellungskonzept lief darauf hinaus, die Lebensmittelfilialen an die Filialleiter oder geeignete Angestellte zu übertragen und die bisherige Lieferfirma Wohlgemuth & Co. zu einer kombinierten Einkaufs- und Kredit­genossenschaft umzubauen. Als Dachgesellschaft sollte sie die nötigen Kredite zur Übernahme der Filialen zur Verfügung stellen und weiterhin als alleinige Lieferantin der dann selbständigen Einzelhandelsgeschäfte auf­treten. 307 Kratzsch, S. 146–150; S. 157–163. 308 Eidesstattliche Erklärung Hannah Fisch, 27.3.1952, HStAW, Abt. 518, 1943/15, Bl. 27–31. 309 Denkschrift vom 29.8.1933, IfS, Magistratsakten, 7379; Bujard an OB Krebs, 6.9.1933, ebd.

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Deren Inhaber sollten Anteilseigner der Dachgesellschaft werden und aus den Geschäftseinnahmen innerhalb eines mehrjährigen Zeitraums ihre Darlehensschuld ablösen. Mit diesem Konzept bemühten sich die Akteure, sowohl den programmatischen Anforderungen als auch den praktischen Schwierigkeiten der NS-Politik Rechnung zu tragen. Die Umwandlung eines Filialbetriebes in Einzelhandelsgeschäfte entsprach nationalsozialistischen Vorstellungen einer aktiven Mittelstandspolitik. Gleichzeitig schien die gewählte Konstruktion es zu ermöglichen, auch die Hauptschwierigkeit eines solchen Unterfangens, nämlich den Kapitalmangel mög­ licher Erwerber, zu meistern und dabei die betriebswirtschaftlichen Vorteile einer zentralisierten Großeinkaufs- und Distributionsstruktur sowie den Goodwill des Unternehmens zu bewahren. Es war sozusagen eine Flucht nach vorn: Denn indem Vertreter der Fröhling AG dieses Konzept offensiv verfochten und das »Filialproblem« in den Vordergrund rückten, konnten sie auf geschickte Weise verschleiern, dass zum einen der »jüdische Charakter« des Unternehmens auch durch die Umstellung nur bedingt abgestreift und zum anderen die Selbständigkeit der Filialgeschäfte eine nur scheinbare sein würde, sollten doch bei der Dachgesellschaft ganz erhebliche Kontroll- und Verwaltungskompetenzen verbleiben. Obwohl das Vorhaben damit dem, was später als »getarnte Arisierung« bezeichnet werden sollte, recht nahe kam, gelang es Bujard und Fisch, bei den zuständigen Behörden Sympathie dafür zu gewinnen. Nachdem ein von ihnen eingeholtes Gutachten bescheinigt hatte, dass durch die Umstellung der volkswirtschaftliche Schaden eines Untergangs des unter den Boykottauswirkungen leidenden Unternehmens verhindert werden könne, zeigte sich auch der Frankfurter Oberbürgermeister wohlwollend gegenüber dem Projekt.310 Auf eine öffentliche Veranstaltung unter dem Titel »Gibt es eine Lösung des Filial­problems?«, bei der Bujard sein Konzept der Öffentlichkeit präsentierte, entsandte auch die Stadtverwaltung einen Vertreter.311 Mittels dieser offensiven Public Relations gelang es, die Behörden in die Umstrukturierungspläne einzubinden und das, was eigentlich eine Strategie der Anpassung an die NS-Verfolgungsbedingungen war, als nationalsozialistisches Vorzeigeprojekt hin­zustellen. Der öffentlich präsentierte Umstellungsplan wurde indessen nur in Teilen realisiert. Die einzelnen Filialen wurden wie angekündigt seit Ende 1933 schrittweise an einzelne Personen, darunter viele vorherige Angestellte, veräußert. In die Preisgestaltung bei diesen nach dem Einzelhandelsschutzgesetz genehmigungspflichtigen Verkäufen war die Frankfurter IHK eingebunden. Eine Vergütung des Goodwill konnte zu dieser Zeit noch erfolgen. Die Firma Wohlgemuth & Co. fungierte danach tatsächlich als Zentraleinkäuferin und alleinige

310 Gutachten der Witab, Gau Hessen-Nassau, 11.10.1933; OB Krebs an Bujard, 25.10.1933, ebd. 311 Bujard an OB Krebs, 28.11.1933; Stadtrat Dr. Lingnau an OB Krebs, 1.12.1933, ebd.

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Lieferantin der Geschäfte.312 Sie blieb allerdings weiterhin im alleinigen Besitz von Max Fisch und seinem langjährigen Teilhaber Ferdinand Wohlgemuth, der Anfang 1935 aus der Gesellschaft ausschied. Das Aktienkapital der Fröhling AG ging hingegen zur Hälfte auf einen Tangermünder Kaufmann über, während Richard Bujard 25  Prozent übernahm und nur ein Teil  des Restkapitals von einigen Angestellten gehalten wurde.313 Diese Konstellation erwies sich als offenbar dauerhaft tragfähig, zumindest innerhalb der von der NS-Judenverfolgung gesetzten Grenzen und Zäsuren. Das Großhandelsunternehmen Wohlgemuth wurde, nachdem Max Fisch im Zuge des Novemberpogroms verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden war, erst Ende 1938 liquidiert und im Jahr 1941 von Amts wegen gelöscht. Wann in einem Unternehmen Schritte zu einer strukturellen Anpassung an die antisemitische Bedrohung vollzogen wurden, hing von der individuellen Ausgangslage ab, und wie relativ erfolgreich sie sich gestaltete, war auch hier abhängig vom jeweiligen Erwartungshorizont der Beteiligten und davon, welche Perspektiven sie für ihre unternehmerische und bürgerliche Existenz in Deutschland sahen. Aber auch die Wachsamkeit nationalsozialistischer Organe und Behörden schränkte die Handlungsmöglichkeiten unter Umständen ein, so dass auch kontinuierliche Umgestaltungsversuche ein Unternehmen nicht mehr aus dem Fokus antisemitischer Propaganda zu halten in der Lage waren. Gerade auch dadurch erhielten die Vorgänge ihren Prozesscharakter. Die Firma Süddeutsche Nährmittel GmbH, die mit Spezialfutter zur Tier­ haltung handelte, wurde 1927 von den jüdischen Brüdern Max und Ludwig Strauss sowie Berthold Weil gegründet. Die Brüder Strauss waren des Weiteren auch Inhaber des Großhandelsunternehmens in Textilwaren M. & L. Strauss, das bereits seit 1933 von einem ihrer Angestellten weitergeführt wurde, aber im Jahr darauf in Konkurs ging. An der Nährmittel-Gesellschaft beteiligt war außerdem das Offenbacher Bankhaus S. Merzbach, das sich ebenfalls in jüdischem Besitz befand. Die Bank hatte die Gründung der Gesellschaft mit einem umfangreichen Kredit unterstützt und war als Gesellschafterin in das Unternehmen eingetreten. Außerdem hatte sie mit Theo Gerlach einen ihrer Prokuristen als Geschäftsführer in die Firma entsandt, der aber weiterhin auch Angestellter und Vertreter des Bankhauses blieb. Die Unternehmensentwicklung wurde von der Weltwirtschaftskrise kaum beeinträchtigt, zwischen 1928 und 1932 konnten die Erträge sogar von 27.000 RM auf fast 42.000 RM gesteigert werden. Im ersten Jahr der NS-Herrschaft wurde dieses Ergebnis noch einmal leicht übertroffen.314 Dennoch sahen die jüdischen Akteure Strauss und Weil offenbar, wie auch die Veräußerung des Textilgeschäftes nahelegt, bereits frühzeitig keine Perspektive mehr für eine eigene unternehmerische Tätigkeit unter dem NS-Regime. 312 Anfrage Hauptverwaltungsamt an Amtmann Freund, 1.4.1935, IfS, Magistratsakten, 7378. 313 Bericht über eine Devisenprüfung vom März 1936, HStAW, Abt. 519/3, 16533, Bl. 3–11. 314 Aktenvermerk der Entschädigungsbehörde, 3.5.1963, HStAW, Abt. 518, 9093, Bl. 61–63.

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Noch 1933 wurden daher Schritte unternommen, um zwar das in die Firma Süddeutsche Nährmittel investierte Kapital zu erhalten, das Unternehmen jedoch aus dem Visier der nationalsozialistischen Verfolgungsapparate zu bringen. Die jüdischen Gesellschafter übertrugen dazu zunächst ihre Anteile auf den einzigen nicht-jüdischen Beteiligten Theo Gerlach. Nachdem von NS-Stellen und Wirtschaftsorganisationen Angriffe gegen das »getarnte Unternehmen« laut geworden waren, entschied man sich zur Umwandlung in eine Kommanditgesellschaft, in der die jüdischen Beteiligten als Kommandantisten weniger präsent sein würden als zuvor. Während Theo Gerlach als Komplementär und Geschäftsführer in Erscheinung trat, war er im Innenverhältnis der Gesellschaft nur mit 10 Prozent am Gewinn beteiligt. Auf diese Weise konnten sich die jüdischen Unternehmer stärker in den Hintergrund zurückziehen, während ihnen gleichzeitig weiterhin die Erträge ihres investierten Kapitals zuflossen. Dies mochte als erfolgversprechende Strategie erschienen sein, war es doch in den ersten Jahren der NS-Herrschaft noch keineswegs klar, welche Konstellationen und Partnerschaften von nationalsozialistischer Seite als »jüdische Unternehmen« diffamiert und dauerhaft unter Druck gesetzt würden. War ein Unternehmen jedoch einmal nachhaltig ins Blickfeld der Verfolger geraten, konnte es aus dieser Situation nur noch schwer hinausmanövriert werden. Es erfolgten weitere Diffamierungen gegen Theo Gerlach im Stürmer, der ihn als »Judenknecht« öffentlich anprangerte. 1934 sanken die Erträge des Unternehmens um nahezu die Hälfte.315 Die Akteure versuchten daraufhin nochmals, dem Druck auszuweichen, indem sie eine Gesellschaft namens Deutsche Emulsions-GmbH gründeten, über die neue Geschäfte angebahnt werden sollten. Doch auch diese Gesellschaft sah sich bald Angriffen als Tarnunternehmen ausgesetzt.316 Zu einem Verkauf ihrer Kommanditanteile konnten sich die jüdischen Gesellschafter indes nicht entschließen, denn die in versuchsweise angebahnten Verhandlungen erhaltenen Angebote erschienen ihnen als zu gering. ­Ludwig Strauss, der sich zeitweilig in Frankreich aufhielt, schreckte erklärtermaßen auch der zu befürchtende Verlust bei einem Transfer des Verkaufserlöses in das Ausland.317 Er bewegte sich damit innerhalb eines Erwartungshorizonts, in dem sich nach ökonomischen Gesichtspunkten verschiedene Alternativen gegeneinander abwägen ließen, unter denen das Verbleiben in Deutschland noch immer die attraktivere erschien. Direkte Verfolgungsmaßnahmen engten jedoch unvermittelt die vermeintlichen Handlungsspielräume ein: 1936 wurde dem Unternehmen unter einem Vorwand überraschend eine hohe Geldstrafe auferlegt, die nur unter der Bedingung der Liquidation ermäßigt wurde. Dabei wurde durch den Fachverband auch das Argument ins Feld geführt, dass keine Herstellung, sondern nur Handel betrieben werde. Das Unternehmen 315 Ebd. 316 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 13.5.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 5849. 317 Eidesstattliche Versicherung Louis C. Bial, 12.3.1956, HStAW, Abt. 518, 9105, Bd.  1, Bl. ­47–49.

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wurde auf diese Weise durch behördlichen Druck zur Aufgabe gezwungen. Ein Teil der Warenbestände konnte immerhin noch über die Emulsions-GmbH verkauft und den jüdischen Gesellschaftern ihr Kapital ausbezahlt werden. Darüber hinaus ergab die Liquidation aber keinen Gewinn mehr.318 Auch im Falle der Firma Weil, Marx & Co. unterlagen die Versuche der strukturellen Anpassung einer Entwicklung, die durch sich verschärfenden Verfolgungs- und Überwachungsdruck vorangetrieben wurde. Die jüdischen Inhaber Max Marx, Max Oppenheimer und Ludwig Weil entschieden sich 1934 zu einer Umgestaltung des Unternehmens. Die beiden erstgenannten schieden aus der Kommanditgesellschaft aus, während Ludwig Weil darin verblieb und die langjährigen nicht-jüdischen Angestellten Alwin Adelbert und Arthur Quosigk als Teilhaber aufnahm. Formal befand sich damit unter den drei Inhabern nur noch ein jüdischer, was 1934 als ausreichend erscheinen mochte, um nicht mehr als »jüdisches Unternehmen« stigmatisiert zu werden. Die Konstellation erwies sich für mehrere Jahre als tragfähig. 1938 geriet das Unternehmen jedoch ins Visier der DAF, die es als getarntes Unternehmen angriff und die Teilhaber Adelbert und Quosigk vor ein Ehrengericht zu stellen drohte. Nun musste auch Ludwig Weil aus der Gesellschaft ausscheiden, dem allerdings ein Großteil seines Kapitals bereits sukzessive ausgezahlt worden war. Die Auszahlung seines Restkapitals von 12.000 RM verhinderte der hessische Gauwirtschaftsberater.319 In vielen Fällen geriet die ursprünglich in Aussicht genommene Ausweichkonstellation so nur zu einer mehr oder weniger kurzen Übergangsphase innerhalb eines Prozesses gleitender Anpassungsversuche. Dies lässt sich am Beispiel der Firma Gebr. Vogel Auto-Inneneinrichtungs-GmbH gut verfolgen. Diese wurde von den Brüdern Kurt und Ernst Vogel geführt und war aus der Firma ihres gemeinsamen Vaters Heinrich Vogel hervorgegangen. Beide Brüder hatten ihre Ausbildung im väterlichen Unternehmen erhalten, waren später als Teilhaber eingetreten und übernahmen nach dem Tod des Vaters 1922 gemeinsam die Geschäftsleitung. Dabei teilten sie die Aufgabenbereiche des stark export­orientierten Unternehmens unter sich auf. Während Ernst Vogel vor allem für den Export nach Österreich und der Schweiz verantwortlich war, erledigte Kurt Vogel den Einkauf sowie den Export nach Belgien, Dänemark und in die Niederlande. Außerdem bereiste er geschäftlich die USA und England, wo er bereits während der Ausbildung einen längeren Aufenthalt absolviert hatte.320 Die betriebliche Entwicklung des Unternehmens nach 1933 war zunächst durch die Erholung von der Weltwirtschaftskrise geprägt. Zwar sind keine Bilanzziffern aus den 1920er Jahren überliefert, doch ist anzunehmen, dass das Jahr 1932 einen Tiefpunkt markiert, als die Umsätze im Vergleich zum Vorjahr 318 Vernehmung Theo Gerlach vor dem LG Ffm., 15.6.1953, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 3118, Bl. 41 f. 319 Fa. Adelberg & Quosigk an Zentralmeldeamt, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3995, Bl. 6. 320 Lebenslauf Kurt Vogel, HStAW, Abt. 518, 1789/12, Bl. 143.

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(744.000 RM) um etwa ein Drittel auf nur noch 507.000 RM einbrachen. Seit 1933 konnten die Umsätze wieder gesteigert und bis 1935 (1,05 Mio. RM) sogar nahezu verdoppelt werden.321 Im Erwartungshorizont der jüdischen Inhaber mochte daher durchaus eine weitere Geschäftssteigerung möglich scheinen. Allerdings schoben sich in diesem Fall die oben skizzierten Handlungshorizonte in spezifischer Weise ineinander: Die Tatsache, dass die Brüder Vogel sich in geschäftlichen Angelegenheiten bereits seit Jahren häufig zu ausgedehnten Reisen im Ausland aufhielten, dürfte ihnen einen Entschluss, Deutschland dauerhaft zu verlassen, viel eher nahegelegt haben als dies bei anderen jüdischen Bürgern der Fall war. Kurt Vogel emigrierte bereits im November 1933 nach Belgien, Ernst Vogel begab sich später in die Schweiz. Beide wählten also zunächst diejenigen Nachbarländer des Reiches zum Aufenthalt, zu denen sie jeweils geschäftliche Verbindungen pflegten. Darüber hinaus suchten sie das Unternehmen durch einen strukturellen Umbau zu sichern. Zum 1.  Januar 1936 wurde die GmbH in eine Offene Handelsgesellschaft umgewandelt. Die bisherigen Prokuristen Georg Hemer und Heinrich Elsen traten als persönlich haftende Gesellschafter in das Unternehmen ein. Die jüdischen Inhaber rückten hingegen als Kommandantisten in den Hintergrund, während ihre Kapitalkonten weiterhin die tragende Grundlage des Unternehmens bildeten.322 In dieser Konstellation konnte der Umsatz 1936 nahezu gehalten und im Folgejahr noch einmal auf 1,29 Mio. RM gesteigert werden. Doch bereits im Laufe dieses erfolgreichen Jahres sollte sich die gewählte Anpassungsstrategie als nicht dauerhaft tragfähig erweisen. Es muss dabei offen bleiben, welcher konkrete Grund schließlich zur Verdrängung der jüdischen Inhaber führte. »Unter dem Druck der antisemitischen Maßnahmen«, wie der spätere Rückerstattungsantrag lakonisch formuliert, sahen die Brüder Vogel sich Mitte des Jahres 1937 schließlich gezwungen, aus der Gesellschaft auszuscheiden.323 Damit lösten sie die Verbindungen zu ihrem Unternehmen aber noch nicht vollständig: Die Kapitalguthaben der jüdischen Kommandantisten von zusammen 285.000 RM sollten erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgezahlt werden und bis dahin unverzinslich im Unternehmen verbleiben.324 Auf diese Weise wurde die Liquidität des Unternehmens gesichert. Die Wege der beiden Brüder liefen an dieser Stelle auseinander. Kurt Vogel war offenbar nun zu einer Trennung vom Unternehmen bereit, wollte sich sein Guthaben im Folgejahr auszahlen lassen und wanderte schon zwei Monate nach Unterzeichnung des Auflösungsvertrages weiter in die USA, wo er zunächst als Angestellter in einer Autofirma anheuerte. Ob er über sein erst mit Verzögerung und mit großen Abzügen ausgezahltes Firmenkapital noch verfügen konnte, ist ebenso wenig sicher 321 Aufstellung über die Umsätze für die Jahre 1931–1939, ebd., Bl. 146. 322 Fides Treuhand an Zentralmeldeamt, 6.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 1853, Bl. 1–3. 323 Ebd. 324 Vertrag vom Mai/Juni 1937, ebd.

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wie im Falle Ernst Vogels, der dem Unternehmen in der Schweiz vorerst weiter eng verbunden blieb. Zeitgleich mit dem Auflösungsvertrag schloss er mit den neuen Alleininhabern Hemer und Elsen ein Abkommen über die alleinige Vertretung der Firmeninteressen in der Schweiz bei einer monatlichen Vergütung von 800 RM.325 Dieses Vertretungsverhältnis war bei einer vertraglichen Laufzeit bis zum April 1945 auf Dauer angelegt, dürfte aber weit vor dieser Frist aufgelöst worden sein. Offenbar ermöglichte diese Konstellation aber Ernst Vogel, zumindest Teile seines Vermögens in das Ausland zu transferieren, so dass er dort später mit einem Partner ein neues Unternehmen der gleichen Branche aufbauen konnte. Das Beispiel der Firma Gebr. Vogel lenkt den Blick auf die zeitliche Verschränkung der Auswanderung und der Versuche der unternehmerischen Anpassung im Inland. In welcher Weise die Emigration im Rahmen solcher betriebswirtschaftlicher Überlebensstrategien einkalkuliert wurde und welche Bedeutung dies für die jeweiligen Handlungsspielräume hatte, soll im Folgenden weiter untersucht werden. Im Falle der Lebensmittelgroßhandlung Bruno Scheidt findet man ein frühes Beispiel vor. Der alleinige Inhaber des 1921 gegründeten Unternehmens sah sich offenbar bereits durch die ersten Boykott­ aktionen im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme und den sie begleitenden Straßenterror veranlasst, das Land zu verlassen und floh zunächst nach Frankreich.326 Bruno Scheidt war zu diesem Zeitpunkt 33 Jahre alt, sein kleines Unternehmen mit zeitweilig 6–8 Angestellten wohl nicht so etabliert, dass es eine unverrückbare Lebensperspektive geboten hätte. Um jedoch das Unternehmensvermögen zu sichern, wurde die Firma im Dezember 1933 in eine GmbH mit dem neutralen Namen Frankfurter Lebensmittelgroßhandel umgewandelt. Als Mitgesellschafter kamen der bisherige nicht-jüdische Angestellte Georg Beckmann hinzu, der bereits seit 1923 im Betrieb gearbeitet und seit 1927 als Prokurist fungiert hatte, sowie Erika Haug, die seit 1927 angestellt ge­wesen war und nun die Geschäftsführung übernahm. Ihre jeweiligen Kapitaleinlagen betrugen nur 500 RM beim vorgeschriebenen Mindeststammkapital von 20.000 RM und waren eher symbolischer Natur. Die Geschäftsentwicklung verlief allerdings nicht günstig; das Jahr 1933 musste mit Verlusten abgeschlossen werden. Durch die zunehmenden Importbeschränkungen war das Unternehmen in einer schwierigen Lage. Erträge flossen Bruno Scheidt, der sich in Frankreich in der gleichen Branche betätigte, aber wirtschaftlich nicht Fuß fassen konnte, aus seinem investierten Kapital daher nicht zu.327 Dies wird dazu beigetragen haben, dass er sich im April 1936 zum Ausscheiden aus dem Frankfurter Unternehmen entschied. Seine Gesellschaftsanteile veräußerte er an die Mitgesellschafter. Dabei erhielt er für den nomi­

325 Vertrag vom 12.5.1937, ebd. 326 Bruno Scheidt an Zentralmeldeamt, 15.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3748. 327 RA Meyerhoff an Entschädigungsbehörde, 10.11.1961, HStAW, Abt. 518, 43161, Bl. 33.

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nellen Wert von 19.000 RM allerdings nur etwa 7.500 RM.328 Der Prozess des Unternehmenstransfers war damit abgeschlossen, bevor der staatliche Zugriff auf das jüdische Vermögen sich derart radikalisiert hatte, dass Auswanderer mit einem völligen Verlust ihres inländischen Besitzes zu rechnen hatten. Bruno Scheidt bezifferte den Verlust, den er beim Transfer seines Vermögens in Form von Waren und Wertpapieren erlitt, später auf 20 Prozent.329 Georg Beckmann und Erika Haug gaben außerdem im Rückerstattungsverfahren an, ihrem früheren Arbeitgeber beim Vermögenstransfer behilflich gewesen zu sein, indem sie mehrmals ins Saarland reisten und Bruno Scheidt unter Ausnutzung der geltenden Freigrenzen dort Bargeld übergaben.330 Ein wirtschaftlicher Neubeginn Scheidts in der Emigration konnte auf diese Weise allerdings nur bedingt befördert werden. 1939 wanderte dieser schließlich in die USA weiter und konnte sich hier nach einigen Jahren als Kaufmann etablieren.331 Auch wenn die Aussagen der Erwerber jüdischen Vermögens vor den Rückerstattungsämtern mit Vorsicht behandelt werden müssen, zeigt das Beispiel von Bruno Scheidt dennoch, dass für eine erfolgversprechende Strategie der gleitenden Strukturanpassung die Zusammenarbeit mit nicht-jüdischen Partnern, zu denen eine geschäftliche Vertrauensbasis bestand, hilfreich war. Das galt insbesondere für Versuche, Teile des Unternehmensvermögens ins Ausland zu transferieren. Wurde ein solcher Anpassungsversuch erst in späterer Zeit unternommen, waren die Spielräume für Vermögenssicherung und -transfer meist geringer. Im Falle der Rohtabakgroßhandlung Carl Süss entschied sich der jüdische Inhaber gleichen Namens erst im Oktober 1937 zu einer Umorganisation des Betriebes. Süss hatte sich auf spezielle Tabake im oberen Preissegment spezialisiert und belieferte Zigarrenfabrikanten im ganzen Reichsgebiet; der Rohtabak wurde dabei überwiegend über die Niederlande importiert. Dieses Geschäft war angesichts der schwankenden Qualitäten der Überseewaren in ganz erheblichem Maße Erfahrungs- und Vertrauenssache, der Ruf der Firma Süss bildete somit einen ihrer wesentlichen Aktivposten.332 In den 1920er Jahren erlangte das Unternehmen einen beträchtlichen Umfang; die Umsätze erreichten 1928 den Spitzenwert von 373.000 RM. In den folgenden Krisenjahren sanken sie allerdings beträchtlich ab und fielen 1931 auf einen Tiefstand von nur noch 113.000 RM. 1932 setzte eine leichte Erholung ein (154.500 RM), die sich auch 1933 noch fortsetzte (164.000 RM). 1934 dann gingen die Ziffern wieder zurück (147.400 RM), um 1935 um über 50 Prozent auf nur noch 71.700 RM einzubrechen. 1936 stiegen sie hingegen wieder leicht auf 79.100 RM an und blieben auch 1937 zunächst stabil (60.100 RM in den ersten drei Quartalen). Die Gewinnzahlen lagen allerdings seit 1935 sogar über denjenigen der Vorkrisenzeit, wobei 328 Vertrag vom 27.4.1936, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-3748. 329 RA Meyerhoff an Entschädigungsbehörde, 11.3.1958, HStAW, Abt. 518, 43161, Bl. 4 f. 330 Anlage 2 zur Anmeldung an Zentralmeldeamt, 12.5.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-3748. 331 Eidesstattliche Versicherung Bruno Scheidt, 19.2.1962, HStAW, Abt. 518, 43161, Bl. 41. 332 Eidesstattliche Erklärung William Spanier, 26.4.1960, HStAW, Abt. 518, 1828/16, Bl. 155.

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nachversteuerte Gewinne und außerordentliche Erträge einflossen, die sich anhand der erhaltenen Bilanzziffern nicht näher bestimmen lassen.333 Der jüdische Inhaber Carl Süss glaubte durchaus noch an die betriebswirtschaftlichen Ertragschancen des Unternehmens, sofern er nur den Ruch des »jüdischen Unternehmens« und die damit verbundenen Einschränkungen abstreifen konnte. Von einem Einzelbetrieb wandelte er das Unternehmen daher in eine Kommanditgesellschaft um. Carl Süss selbst fungierte dabei nach bekanntem Muster als Kommandantist, während der bisherige nicht-jüdische Prokurist Friedrich Nied als persönlich haftender Gesellschafter und damit als alleiniger Geschäftsführer und Vertreter auftrat. Zwischen beiden bestand bereits eine jahrzehntelange Geschäftsbeziehung. Nied hatte in der Tabakfirma L. ­Karlebach & Co. eine kaufmännische Lehre absolviert, als Carl Süss für diese als Reisender tätig war. Als Süss 1910 ein eigenes Unternehmen gründete, war Nied dort als Angestellter, später als Prokurist tätig. In der Firma Carl Süss hatte er seit deren Gründung 1926 ebenfalls als Prokurist fungiert.334 Eigenes Kapital brachte er in die nun gegründete Kommanditgesellschaft kaum ein; die Einlage von Carl Süss war mit 50.000 RM bedeutend höher als die seines Partners von 3.000 RM. Nied erhielt insofern eine recht günstige Stellung in dem neu organisierten Unternehmen: Trotz der geringen Kapitaleinlage sollte sein Gewinnanteil ab 1939 20 Prozent, ab 1940 sogar 25 Prozent betragen. Offenbar war geplant, seinen Gesellschaftsanteil auf diese Weise langsam ansteigen zu lassen.335 Carl Süss überließ dem Unternehmen darüber hinaus Geschäftsinventar im Wert von 900 RM als unentgeltliche Leihgabe.336 »Herr Süss glaubte, dass er, wenn ein ›Arier‹ persönlich haftender Gesellschafter wäre, er – Herr Süss – wieder ungehindert tätig sein könne«, schrieb die Witwe des Unternehmers später in ihrem Rückerstattungsantrag.337 Carl Süss rechnete danach weiterhin mit einer erfolgreichen Entwicklung, sobald seine Beteiligung in den Hintergrund getreten sei. Allerdings schienen ihm für sein eigenes geschäftliches Auftreten in Deutschland die Einschränkungen mittlerweile wohl zu groß, denn er verlegte zusätzlich sein Wirkungsgebiet innerhalb des Unternehmens. Einen Tag nach der Unterzeichnung des Vertrages mit Nied emigrierte Süss in die Niederlande und widmete sich dort dem laufenden Einkauf der Waren. Auch diese Aufgabenverteilung wurde vertraglich fest­gelegt.338 Seine persönliche Existenz war insofern nicht mehr direkt gefährdet, die gewählte Konstellation schien die Geschäfte des Unternehmens vorerst zu sichern. Die entscheidende Zäsur in der weiteren Entwicklung bildeten in diesem Falle jedoch das Verbot der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 333 Aufstellungen in: Friedrich Nied an AVW, 22.10.1948, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 147. 334 Friedrich Nied an AVW, 22.10.1948, ebd. 335 Vertrag vom 23.9.1937, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 149. 336 Leihvertrag vom 24.9.1937, ebd. 337 Anmeldung Mimie Süss an Zentralmeldeamt, 4.5.1948, ebd. 338 Vertrag vom 23.9.1937, ebd.

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22. April 1938 sowie der Erlass über die Anmeldung jüdischen Vermögens vom 26. April 1938.339 Es muss Carl Süss klar gewesen sein, dass dieses Verbot genau jenen Anpassungsversuchen einen Riegel vorschieben sollte, die er selbst in die Wege geleitet hatte. Auch scheint er gesehen zu haben, dass die geplante Erfassung des gesamten jüdischen Vermögens im Deutschen Reich auf eine umfangreiche Enteignungspolitik zulaufen würde. Dafür sprechen jedenfalls die Maßnahmen, die er in der Folge zusammen mit Friedrich Nied unternahm. »So blieb ihm daher nichts anderes übrig, als die Kommanditgesellschaft zu ›arisieren‹«, schrieb die Witwe von Carl Süss, durch die Wortwahl andeutend, dass auch die folgende Übertragung als eine aktive Handlung ihres Gatten verstanden werden muss, durch die sich aber seine Beziehung zum Unternehmen nicht vollständig löste. Carl Süss kündigte die Kommanditgesellschaft im Juni 1938 vertrags­gemäß und erklärte in diesem Zuge, an Geschäften seit dem 26. April des Jahres nicht mehr beteiligt sein zu wollen. Die Gesellschaft wurde daraufhin zu diesem Datum, also exakt zum Stichtag für die Vermögensanmeldung, für aufgelöst erklärt, das Geschäft mit Aktiven und Passiven von Friedrich Nied übernommen.340 Es ging offenkundig darum, in Deutschland so wenig Kapital wie möglich einem drohenden Zugriff der nationalsozialistischen Machthaber auszusetzen. Sein Auseinandersetzungsguthaben von knapp 45.000 RM ließ Süss sich daher nur zu einem geringen Teil auszahlen und beließ 35.000 RM als Darlehen im Unternehmen. Auf diese Weise sicherte er zum einen den weiteren Geschäftsbetrieb, denn Friedrich Nied besaß dazu ja kein Kapital. Zum anderen umging er die Pflicht, sein inländisches Geschäftsvermögen offen deklarieren zu müssen, das in Gestalt einer betriebssichernden Forderung besser geschützt sein mochte. Die fälligen Zinsen auf das Darlehen sollten an im Inland lebende Angehörige von Carl Süss gezahlt werden, da sie auf direktem Wege nicht transferierbar waren. Das Darlehen an die Firma sollte nach fünf Jahren fällig werden. Eine Vereinbarung im Schlussabsatz des Vertrages für den Fall, dass bei Fälligkeit des Darlehens die Devisenbewirtschaftung noch bestünde, deutete die Möglichkeit einer Wiederherstellung freier Geschäftsbeziehungen, wie sie den Beteiligten vorgeschwebt haben mag, zumindest an.341 Tatsächlich verlief die Entwicklung bekanntlich anders. Carl Süss hatte schlussendlich zwar sein Unternehmensvermögen erhalten, aus dem Ausland jedoch nur beschränkten Zugriff darauf. Sein im Inland verbliebenes Vermögen war weitgehend blockiert und durch die geleistete Reichsfluchtsteuer bedeutend geschmälert. Immerhin konnte die Einrichtung der Wohnung mitgeführt werden, doch blieb auch ein Einfamilienhaus in Bad Homburg zurück, dessen Ver339 VO gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22.4.1938, RGBl. I, S. 404; VO über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938, ebd., S. 414. 340 Vertrag vom 30.8.1938, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 149. 341 Ebd.

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kauf sich mühsam und zeitraubend gestaltete.342 Für die formelle Veräußerung des Geschäftes hatte Süss im Grunde gar nichts erhalten. Nur über seine Eigenschaft als Einkaufsvermittler blieb er an dem Geschäft beteiligt. Friedrich Nied gab später an, kontinuierlich Aufschläge auf die durch Süss vermittelten Warenposten geleistet zu haben, die diesem von den Importfirmen in niederländischer Währung ausgezahlt worden seien.343 Diese verdeckte Beteiligung ließ sich freilich nur bis 1940 aufrechterhalten, als Carl Süss nach dem Einmarsch des deutschen Heeres untertauchen musste. Fast alle der bisher betrachteten Versuche einer gleitenden Strukturanpassung an die Umstände der NS-Verfolgung setzten einen Prozess in Gang, der schließlich auf einen Transfer des Unternehmensvermögens in nicht-jüdischen Besitz hinauslief, ohne dass dieser bereits von Anfang intendiert gewesen sein mochte. Außerdem suchten die jüdischen Akteure immer wieder nach Konstellationen, die ihnen zumindest weiterhin eine indirekte Beteiligung auch nach einer formellen Übertragung sichern sollten. Der Fall der Firma M. L. Rosenstein zeigt, mit welchen riskanten Methoden dabei bisweilen operiert wurde. 1854 gegründet, handelte es sich um eines der ältesten jüdischen Unternehmen Frankfurts. Als Großhändler für Textilwaren belieferte es Einzelhändler und Warenhäuser im gesamten Reichsgebiet, exportierte aber auch an Abnehmer in ganz Europa. Zu Beginn der NS-Machtübernahme wurde das Unternehmen als offene Handelsgesellschaft von den persönlich haftenden Gesellschaftern Bernhard Neumann, seiner Frau Jenny Neumann sowie Felix Schamberg geführt. Die Motive für einen Umbau des Unternehmens scheinen nicht aus der betriebswirtschaftlichen Entwicklung erwachsen zu sein, denn auch in den ersten Jahren der NS-Herrschaft erwirtschaftete das Unternehmen jährliche Umsätze von weit über 2 Mio. RM, was hinter den Ergebnissen der Vorkrisenzeit kaum zurückstand. Es war offenbar erst der Tod Bernhard Neumanns 1936, der Anlass zu einer Umgestaltung gab. Seine Witwe und Felix Schamberg entschlossen sich, das Geschäft an die Frankfurter Kaufleute Carl Lange und Hugo ­Cutivel zu veräußern. Als Verkaufspreis wurden dabei etwas über 270.000 RM festgelegt, wobei vertraglich 35.000 RM auf den Goodwill entfielen. Der Inhaberwechsel vollzog sich äußerlich, indem das Unternehmen den Namen Lange & Cutivel vorm. M. L. Rosenstein erhielt.344 Den erzielten Verkaufsbetrag legten Schamberg und Neumann allerdings wieder im Unternehmen an. Hierzu schlossen sie mit der Berliner Treuhand AG einen Vertrag über die treuhänderische Verwaltung von 100.000 bzw. 150.000 RM. Die Treuhand AG wiederum trat mit dieser Einlage als stille Gesellschafterin in die Firma Lange & ­Cutivel ein.345 Über diese indirekte Beteiligung sollte verschleiert werden, dass die 342 Fa. Investa AG an Entschädigungsbehörde, 8.5.1956, HStAW, Abt. 518, 1828/16, Bl. 66–68; Otto Süss an Carl Süss, 30.4.1939, ebd., Bl. 22. 343 RA Landfried an LG Ffm., HStAW, Abt. 460, 2 WiK 147, Bl. 14–16. 344 Vertrag vom 20.6.1936, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 7792, Bl. 17–24. 345 Vertrag vom 17.6.1936, ebd., Bl. 25–28.

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f­ rüheren Inhaber auch weiterhin an den Erträgen beteiligt blieben. Die Einlage der stillen Gesellschaft betrug dabei bewusst knapp unter 50 Prozent, da angesichts vergleichbarer amtlicher Festlegungen angenommen werden konnte, ein dominierender jüdischer Einfluss würde hieraus nicht hergeleitet werden. Die Einlagen sollten bis 1947 im Unternehmen verbleiben.346 Über ihre Perspektiven in Deutschland dachten die jüdischen Akteure auch in diesem Fall unterschiedlich. Felix Schamberg hatte seine Kinder bereits 1935 in die USA ausreisen lassen und plante, mit seiner Ehefrau nachzufolgen. Damit stellte sich das Problem, auf welchem Wege das umfangreiche Vermögen ohne allzu große Verluste ins Ausland transferiert werden konnte, zumal die deutschen Zollfahndungsstellen ihn bereits ins Visier genommen hatten. Auf der Transitreise in die Niederlande, von wo die Eheleute weiter in die USA reisen wollten, wurden sie im August 1936 an der Grenze mehrere Wochen wegen Untersuchungen aufgehalten, konnten aber schließlich ausreisen.347 Erst als sich Felix Schamberg bereits in den USA befand, deckte die Zollfahndungsstelle auf, dass er durch die Zahlung von 200.000 RM an einen Berliner Strohmann ein Akkreditiv erworben hatte, das ihm in Amsterdam die Auszahlung von 30.000 USDollar ermöglichte. Für dieses simulierte Außenhandelsgeschäft besaß er keine Genehmigung der Devisenstelle.348 Die deutschen Behörden richteten ihre begehrlichen Blicke nun auf sein im Inland verbliebenes Vermögen und deckten im Zuge der Ermittlungen auch die verdeckte Geschäftsbeteiligung auf, woraufhin sein Anteil von der Zollfahndungsstelle beschlagnahmt wurde.349 Der Betrag wurde schließlich fast vollständig zur Begleichung der gegen Felix Schamberg verhängten Devisenstrafe verbraucht.350 Hingegen blieb die Einlage von Jenny Neumann zunächst unangetastet. Erst nach dem Novemberpogrom entschloss auch sie sich zur Auswanderung, so dass die Auszahlung ihres Anteils auf ein Sperrkonto erfolgte und sie darüber nicht mehr frei ver­f ügen konnte.351 Des Öfteren finden sich Beispiele, in denen jüdische Unternehmer sich im Rahmen einer Strategie der gleitenden Strukturanpassung aus einer aktiven Geschäftstätigkeit zurückzogen, dabei jedoch eine Verbindung zum Unternehmen aufrechtzuerhalten suchten, um es sich für eine mögliche spätere Wiederinbesitznahme zu erhalten. Im Falle der Firma Siegfried Rosenthal, deren gleichnamiger jüdischer Inhaber ebenfalls in einem solchen auf das materielle Überwintern im Nationalsozialismus ausgerichteten Erwartungshorizont agierte, verschwimmt dabei die Grenze, bis zu der überhaupt noch ein eigener Besitz an dem betreffenden Unternehmen vorlag, ebenso unmerklich wie die Grenze zwischen Übernahme und Liquidation. 346 Gesellschaftsvertrag der Fa. Lange & Cutivel, 20.6.1936, ebd., Bl. 29–44. 347 Eidesstattliche Erklärung Felix Schamberg, 14.2.1957, HStAW, Abt. 518, 8755, Bd.  1, Bl. 166 f. 348 Auszug aus der Unterwerfungsverhandlung, 9.4.1937, ebd., Bl. 10. 349 Fa. Lange & Cutivel an Treuhand AG, ebd., Bl. 98. 350 Eidesstattliche Erklärung Carl Lange und Eduard Mayle, 7.9.1954, ebd., Bl. 54. 351 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 17.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 7792, Bl. 9.

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Die Situation des Häute- und Fellhandelsunternehmens hatte sich bereits im Laufe des Jahres 1937 zugespitzt, als staatliche und kommunale Abdeckereien sich zunehmend weigerten, Waren an jüdische Firmen zu liefern und jüdische Geschäftsleute daran gehindert wurden, an Fellauktionen teilzunehmen.352 Siegfried Rosenthal entschied sich im Frühjahr 1938, nachdem erstmals ein SA-Posten vor dem Geschäftslokal aufgezogen war, zum Verkauf. Im Laufe der nächsten Monate liquidierte er nach und nach die noch vorhandenen Warenvorräte, so dass schließlich fast kein Geschäftsvermögen mehr vorhanden war. Seit Oktober wurde die Firma schließlich von zwei nicht-jüdischen Angestellten weitergeführt. Ihnen stellte Siegfried Rosenthal 10.000 RM zur Verfügung, die in den Betrieb investiert wurden. Auch regte er bei einem seiner wichtigsten Geschäftspartner an, ebenfalls eine größere Summe für den Weiterbetrieb zur Verfügung zu stellen, und setzte sich bei Kunden und Lieferanten dafür ein, weiterhin mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. »Ich wollte mir mein Geschäft für eine spätere Wiederinbesitznahme zu erhalten suchen«, gab Siegfried Rosenthal 1948 in seiner Anmeldung eines Rückerstattungsanspruchs an.353 Doch war die Kooperation mit nicht-jüdischen Partnern in diesem Fall nicht erfolgreich. Rosenthal verließ im Februar 1939 das Deutsche Reich in Richtung Frankreich und verlor danach den Kontakt zu den neuen Geschäfts­ inhabern, die das Unternehmen unter geändertem Namen weiterführten. Gerade dieses letzte Beispiel zeigt deutlich, dass die Kooperationen jüdischer Unternehmen mit Nicht-Juden, die für eine Strategie gleitender Strukturanpassung unabdingbar waren, nicht per se etwas zu tun haben mussten mit dem, was in der Forschung begrifflich als »freundschaftliche Arisierung« einige Aufmerksamkeit gefunden hat.354 Tatsächlich lagen den hier analysierten Akteurskonstellationen oftmals fragile und temporäre Interessenskoinzidenzen zugrunde, die sich im Laufe der Zeit und gerade im Prozess der Geschäftsübernahme verändern konnten. Weniger unter zwischenmenschlichen, sondern vor allem unter strukturellen Gesichtspunkten erweisen sich daher die geschilderten Anpassungsversuche als relevant. Sie wurden erst erforderlich aufgrund der weitgehenden Trennung jüdischer und nicht-jüdischer Sphären auf der Ebene unternehmerischen Besitzes. Dies machte die jüdischen Betriebsinhaber für die Ausgrenzungsversuche der Nationalsozialisten besonders angreifbar. Verzweifelt versuchten viele Akteure, die bisher ausgebliebene Verflechtung gewissermaßen im Eiltempo nachzuholen. Während die national­ sozialistischen Machthaber daran gingen, ideologisch konstituierte Grenzen innerhalb des Wirtschaftslebens zu errichten und sichtbar zu machen, arbeiteten die jüdischen Unternehmer in entgegengesetzter Richtung, um diese wieder 352 RA Barz an Regierungspräsidenten, 22.2.1952, HStAW, Abt. 518, 48871, Bd. 1, Bl. 107; Bescheinigung Viktor Krause und Maria Fersch, 11.3.1952, ebd., Bl. 116. 353 Anmeldung Siegfried Rosenthal an Zentralmeldeamt, 20.8.1948, HStAW, Abt. 519/A, ­Wi-Ffm-A 272. 354 Hierzu u. a. Bopf, S. 238–243.

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zu verwischen und antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen hierdurch weniger Angriffsfläche zu bieten. Nicht alle jüdischen Unternehmer unternahmen Versuche der strukturellen Anpassung, und nicht allen dürfte dieser Pfad offengestanden haben. Viele der Vorgänge um Übernahmen von Unternehmen aus jüdischem Besitz sind aber nicht zu verstehen, wenn die jüdischen Akteure mit ihren Erwartungen und Handlungen nicht in die Betrachtung miteinbezogen werden. Sofern die jüdischen Unternehmer nicht in den Strudel konkreter Verfolgungsmaßnahmen gerieten, und dies war bis Ende 1937 eher die Regel als die Ausnahme, blieben ihnen durchaus Spielräume, ihr unternehmerisches Schicksal in eigener Initiative zu gestalten und möglichen Ausschaltungsmaßnahmen zuvorzukommen. Dies kam in vielen Fällen letztlich in der Tat einer »Selbstausschaltung«355 gleich, doch unterlagen die jüdischen Überlebensstrategien einer gleitenden Verschiebung der Zielhorizonte, die sich von der reinen Aufrechterhaltung des Unternehmens in der bisherigen Form am Ende oft schon gelöst hatten. Es gilt diesen Befund freilich abzusichern gegen eine Lesart, die hierin eine Relativierung der nationalsozialistischen Verantwortlichkeit für die Verdrängung der jüdischen Unternehmer erblicken könnte, indem deren Handlungsspielräume übertrieben groß und ihre Ausschaltung gleichsam als ein frei­ williger Rückzug dargestellt würden. Dagegen muss klargestellt werden, dass alle geschilderten Umwandlungen und Vermögenstransfers als Unrecht anzusehen sind und integraler Teil  eines Vernichtungsprozesses gegen die wirtschaftliche Existenz der Juden in Deutschland waren, der jedoch in einer simplen ­Dualität von Verfolgung und Erleiden nicht aufgeht. d) Umsatzentwicklungen und Handlungshorizonte Dass die vielfältigen Verfolgungs- und Diskriminierungsmaßnahmen der Nationalsozialisten die jüdische Unternehmertätigkeit insgesamt spürbar beeinträchtigten, bedarf kaum der Erwähnung. Doch wie stellte sich diese Beeinträchtigung in den Bilanzen dar, und welche Erkenntnisse lassen sich hieraus für die Frage nach sich verändernden Erwartungs- und Handlungshorizonten gewinnen? Angaben zu Bilanzentwicklungen jüdischer Unternehmen sind in der Forschung bisher nur sporadisch ausgewertet worden. Systematischen Quantifizierungsversuchen steht allerdings eine unzureichende Quellenüberlieferung entgegen. Im Folgenden wird vor allem auf Material zurückgegriffen, das im Rahmen der Entschädigung jüdischer NS-Opfer zusammengetragen wurde. In den Entschädigungsverfahren verfolgter Unternehmer spielten Geschäftsumfang und -entwicklung ihrer Betriebe eine große Rolle, so dass sowohl die jüdischen Antragsteller als auch die zuständigen Ämter selbst daran gingen, alle verfügbaren Informationen hierüber heranzuziehen. Oftmals wurden die 355 Herbst, Banker, S. 86.

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Tab. 4: Umsatzentwicklung einiger jüdischer Unternehmen 1925–1938 in RM Gebr. Carlebach Ledergroßhandel

Rudolf Saalberg Kleiderfabrik

Adolf Buchdahl Bettengeschäft

1925





1.510.379

1926





1.231.330

1927

53.360



1.771.270

1928

52.386



1.903.730

1929

72.646



1.989.498

1930

65.257

195.715

1.793.572

1931

53.081

119.559

1.731.900

1932

61.882

101.809

1.502.386

1933

50.957

115.533

913.447

1934

68.641

142.585

870.214

1935

43.955

130.414

639.544

1936

52.490

149.880



1937

109.668

190.951



1938

110.498





Quellen: HStAW, Abt. 518, 8058; 8062; 8089; 8775; 51665; ZA, B. 1/13, 1416

noch erhaltenen Akten der Devisenstellen, der Frankfurter IHK und der Steuerund Finanzverwaltung ausgewertet, die allerdings zum größten Teil  Kriegs­ zerstörungen zum Opfer gefallen sind. Zumindest Umsatzentwicklungen lassen sich anhand der Quellen in einigen Fällen genauer rekonstruieren. Zwar sagen sie nichts darüber aus, welche Gewinne oder Verluste aus einem Unternehmen tatsächlich erwirtschaftet wurden, geben aber Auskunft über den Geschäftsumfang und seine Veränderungen. Angesichts des nur fragmentarisch und splitterhaft überlieferten Datenmaterials lassen sich Umsatzzahlen im Übrigen einfacher handhaben, denn die Betrachtung und Analyse von Unternehmensgewinnen unterliegt unwägbaren Fehlerquellen, sofern nicht genaue Informationen über eventuelle Abschreibungen und stille Reserven oder über steuerrechtliche Sondereffekte verfügbar sind.356 Die Frage, im welchem Maße sich der Geschäftsumfang jüdischer Unternehmen während der NS-Herrschaft verringerte, macht keinen rechten Sinn ohne 356 Hierzu Spoerer, Bilanzen; über die Probleme historischer Bilanzanalyse auch Zimmermann, Bilanzen.

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Gustav Carsch Konfektion

M. Albersheim Chem. Industrie

1.135.424





1.543.390





2.160.891



2.977.000

2.359.239



2.877.000

2.215.323



2.994.000

1.961.121

5.118.100

3.030.000

1.592.572

4.495.900

2.561.000

1.121.527

3.804.400

2.269.000

783.341

2.714.000

1.945.000

702.881

3.024.000

1.843.000

622.837

2.144.000

1.929.000

637.413



2.047.000

713.691



2.258.000

532.219





F. Ehrenfeld Schmuck u. Geschenke

einen Blick auf die Ausgangssituation, in der diese sich Anfang 1933 befanden, und die Entwicklungen während der Weltwirtschaftskrise, die bereits Spuren in der jüdischen Gewerbetätigkeit hinterlassen und zahlreiche Betriebe zur Aufgabe gezwungen hatte. Es ist allerdings nur in sehr wenigen Fällen möglich, die Umsatzentwicklungen bis in die Vorkrisenzeit zurückzuverfolgen. Lediglich für eine Handvoll Unternehmen, die keinen repräsentativen Ausschnitt aus der Gesamtheit darstellen, sind die entsprechenden Ziffern überliefert. Gleichwohl liefern diese einige Anhaltspunkte. Die in Tabelle 4 aufgeführten Unternehmen bilden ein weites Spektrum ab und reichen von einer Ledergroßhandlung vergleichsweise kleinen Umfangs über einige namhafte Einzelhandelsgeschäfte auf der Zeil bis hin zu einer weit über Frankfurt hinaus bekannten Herstellerfirma von Drogerieprodukten. Alle diese Unternehmen hatten in den Jahren 1928/30–1932 bereits zum Teil drastische Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent hinnehmen müssen. Selbst eine seit 1933/34 wieder steigende Entwicklung hätte daher zunächst allenfalls einen Normalisierungsprozess dargestellt. Mit einer Ausnahme fielen jedoch die Umsätze 1933 zunächst noch einmal unter die des Vorjahres. Die weitere Ent139 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

wicklung verlief uneinheitlich. Während die Ledergroßhandlung Gebr. Carlebach eine zunächst wechselhafte Entwicklung mit einem Tiefpunkt im Jahre 1935 zeigte, stiegen die Umsätze seit 1936 steil an und erreichten ausgerechnet 1937/38 die höchsten Werte im dokumentierten Zeitraum. Die mit der Fabrikation spezieller Berufskleidung für Ärzte und Friseure befasste Firma Rudolf Saalberg hingegen konnte als einziges Unternehmen ihr Ergebnis schon 1933 wieder steigern und erreichte bei anhaltender Aufwärtsentwicklung 1937 fast wieder die Umsatzhöhe des Jahres 1930. Die in der Innenstadt gelegenen Einzelhandelsgeschäfte Adolf Buchdahl und F. Ehrenfeld wiederum erlitten nach starken Umsatzrückgängen während der Weltwirtschaftskrise im Jahr der NSMachtübernahme nochmals eine drastische Geschäftsminderung, die auch in den Folgejahren weiter anhielt, so dass die während der NS-Zeit getätigten Umsätze nur noch einen Bruchteil derer ausmachten, die in den Jahren 1928/29 erreicht worden waren. Ähnlich, aber nicht ganz so drastisch verlief die Entwicklung im Falle des stadtbekannten Konfektionsgeschäftes Gustav Carsch auf der Zeil. Die Parfümeriefabrik M. Albersheim hingegen konnte ihre Umsätze seit 1933 langsam wieder steigern, welche 1937 aber gerade einmal an die des Krisenjahres 1932 knapp heranreichten. Insgesamt erzielte damit bis auf eine Ausnahme kein Unternehmen wieder die Umsatzhöhe der Zeit vor der Weltwirtschaftskrise, die in der Innenstadt gelegenen Einzelhandelsgeschäfte blieben sogar noch hinter dem schlechtesten Jahr 1932 dauerhaft und bei weitem zurück. In den Akten der Entschädigungsverfahren finden sich häufig schriftliche Aussagen jüdischer Unternehmer, welche die Entwicklung ihrer Betriebe beschreiben. Insbesondere die Inhaber von Kleinbetrieben verfügten aber oftmals nicht mehr über Dokumente zur Geschäftsentwicklung, sondern behalfen sich mit groben verbalen Angaben. Dass dabei zumeist ein starker Rückgang der Umsätze und Gewinne geschildert wurde, verwundert nicht, denn es war der Sinn eines Entschädigungsverfahrens, dem Antragsteller für einen solchen Geschäftsrückgang finanzielle Kompensation zu gewähren. Eine seltene Ausnahme bildet der aus Galizien stammende Chaim Gerlich, der im Entschädigungsverfahren angab, sein 1910 gegründetes Kurzwarengeschäft mit vier Angestellten während der NS-Herrschaft im Wesentlichen ungemindert fortgeführt zu haben, bis es im Zuge des Novemberpogroms schließlich demoliert und geschlossen wurde.357 Insbesondere jüdische Vertreter, die im Rahmen ihrer Tätigkeit das ganze Reichsgebiet bereisten, berichten hingegen durchgehend von starken Umsatzeinbußen, die bereits 1933 einsetzten und das Geschäft bisweilen innerhalb kurzer Zeit zum Erliegen brachten. Ausgerechnet in das Vertretergewerbe drängten zu dieser Zeit jedoch zahlreiche jüdische Arbeitssuchende, die aus Angestelltenpositionen entlassen worden waren oder aufgrund gesetzlicher Diskriminierung aus ihren Berufen hatten ausscheiden müssen. 357 Eidesstattliche Versicherung Heinrich Chaim Gerlich, 23.6.1954, HStAW, Abt. 518, 1205/01, Bl. 54.

140 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

In den Reaktionsweisen auf solche massiven Geschäftsrückgänge zeigen sich zwei Grundmuster: Insbesondere jüngere Unternehmer nahmen diese nicht selten zum Anlass, schon in den ersten Jahren der NS-Herrschaft aus Deutschland zu emigrieren. Der 42-jährige Schmuckhändler Hugo Klugmann zum Beispiel verließ aufgrund der Beeinträchtigung seines Geschäfts Deutschland schon Anfang 1934, um in Großbritannien in derselben Branche eine neue Existenz zu gründen.358 Wesentlich häufiger versuchten jüdische Unternehmer jedoch, sich selbst bei vollkommenem Stillstand ihrer Betriebe weiterhin über die Zeit zu retten und nötigenfalls auch mehrere Jahre aus der betrieblichen Substanz oder von finanziellen Ersparnissen zu leben. Der zu Beginn der NS-Zeit 52-jährige Eugen Weil etwa hielt sein Vertreterunternehmen für Textilien, das 1936 bereits zum Stillstand gekommen war, auch in den Folgejahren zunächst formal weiter aufrecht. Erst im September 1938, nachdem das Vertretergewerbe Juden gesetzlich untersagt worden war, begann er mit der Liquidation und meldete das Unternehmen im Dezember des Jahres ab, um 1939 in die USA zu emigrieren.359 Wer sich bereits in fortgeschrittenem Alter befand, es sich finanziell noch leisten konnte und mit der antisemitischen Verfolgung (noch) nicht physisch konfrontiert worden war, der agierte in den Jahren bis 1938 in der Regel innerhalb eines Erwartungshorizontes, der auf das wirtschaftliche Überwintern in Deutschland auf Subsistenzniveau ausgerichtet war. Die verbalen Schilderungen von Geschäftsrückgängen im Entschädigungsverfahren zeichnen sich oftmals durch eine gewisse Formelhaftigkeit aus; bisweilen hat es den Anschein, als verdichtete sich in der Erinnerung der Betroffenen zu einem drastischen Absturz, was eher ein stetiger oder schleichender Auszehrungsprozess über mehrere Jahre gewesen sein mochte. Wo immer konkrete Zahlen über Umsätze und Gewinne verfügbar sind, ergibt sich ein eher ambivalentes Bild. In Tabelle 5 sind einige jüdische Unternehmen verschiedener Branchen und mittleren Umfangs aufgeführt, für welche die Umsatzentwicklung während der gesamten NS-Zeit überliefert ist und die insgesamt eher das Bild einer wechselhaft-stagnierenden Entwicklung als eines kontinuierlichen Abschwungs vermitteln. Allen aufgeführten Unternehmen ist gemeinsam, dass ihre Umsätze zwischen 1933 und 1934 zunächst stiegen, was auf einen Erholungsprozess nach der Weltwirtschaftskrise zurückgeführt werden kann. Nur im Falle des Kleidungsgeschäfts Schwerin & Co. und der Mitteldeutschen Lack- und Farbenfabrik, beides produzierende Unternehmen, ist auch der Umsatz des letzten Krisenjahres 1932 dokumentiert, der aber jeweils schon 1933 deutlich überschritten wurde. Die weitere Entwicklung lässt sich kaum auf einen Nenner bringen; es springt jedoch ins Auge, dass sich im Jahr 1938 mit einer Ausnahme in allen Fällen wieder ein Umsatzrückgang einstellte, der sich bei der Textilgroßhandlung Hugo Murr bereits 1937 angebahnt hatte. Während deren Umsatz im Jahr 1938 358 Anlage zum Entschädigungsantrag, 7.1.1958, HStAW, Abt. 518, 20630, Bl. 11–14. 359 Bescheid der Entschädigungsbehörde, 27.5.1958, HStAW, Abt. 518, 56655, Bl. 77–79.

141 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Tab. 5: Umsatzentwicklung einiger jüdischer Unternehmen 1933–1938 in RM Salo Hess Textilvertretungen

Erich May Füllfederhalterfabrik

Hugo Murr Textilgroßhandel

1932







1933

12.942

26.327

246.315

1934

18.201

40.558

283.278

1935

16.360

41.646

1936

15.564

50.723

298.892

1937

12.916

78.191

186.119

1938

16.696

(31.3.) 16.969

144.298



Quellen: HStAW, Abt. 518, 8295; 11610; 18765; 2485/01; Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 459; Abt. 519/3, 17165

weit unter das Ergebnis von 1933 fiel, blieben in allen anderen Fällen die letzten dokumentierten Umsätze 1937/38 noch über denen des ersten Jahres der NSHerrschaft. Bei dem Textilvertreter Salo Hess erweist sich jedoch die Geschäftssteigerung von 1937 zu 1938 bei genauerem Hinsehen nur als eine scheinbare. In seinem Entschädigungsantrag gab er an, dass sein einträglicher, seit 1898 bestehender Vertrag über die Exklusivvertretung einer Elberfelder Textilfirma 1937 aufgrund zunehmenden behördlichen und parteiamtlichen Drucks fristlos gekündigt worden sei. Der Geschäftsbetrieb vollzog sich danach nur noch als Einzug fälliger Provisionen im Rahmen der Liquidation, die sich bis in den August 1938 hinzog.360 Je bedeutsamer und umfangreicher ein Unternehmen war, desto höher ist cum grano salis die Überlieferungswahrscheinlichkeit für Daten der Bilanzund Geschäftsentwicklung. Für die folgende Tabelle 6 wurde im ersten Schritt aus verschiedenen Quellen ein Sample von 40 Unternehmen zusammengestellt, die zu den führenden mittleren jüdischen Unternehmen der Stadt Frankfurt zählten. Für 24 dieser Unternehmen ließen sich anschließend Umsatzzahlen ermitteln, wobei neben den vorhandenen Entschädigungsakten vor allem auf Akten über Devisenprüfungen während der NS-Zeit zurückgegriffen wurde, in denen meist die Umsätze der zurückliegenden 3–5 Jahre aufgeführt sind. Da dennoch eine lückenlose Überlieferung, welche die gesamte Zeit der NS-Herrschaft abdeckte, nicht besteht, sind einer quantitativen Auswertung, etwa in Form übergreifender Indizes und Steigerungsraten, Grenzen gesetzt. Für die Tabelle 6 wurde daher eine pragmatische Form der Anordnung und Auswertung der Daten gewählt.

360 Eidesstattliche Versicherung Eric J. Frank, 10.1.1958, HStAW, Abt. 518, 8295, Bl.  53–55; Finanz­a mt Frankfurt-Stiftstraße an Entschädigungsbehörde, 30.10.1957, ebd.

142 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

E. Fuld Wäschegeschäft

Schwerin & Co. Herrenkleider

Mitteldt. Lack- u. Farben Chem. Industrie



187.903

86.095

241.390

202.206

127.305

324.070

287.505

173.790

276.656

269.322



285.343

311.066

142.242

361.531

361.044

169.458

350.000

336.989



Auch in diesem Sample zeigt sich deutlich, dass die Umsatzentwicklung in den ersten beiden Jahren der NS-Herrschaft bei fast allen Unternehmen noch oben wies. Anschließend zeigt sich ein eher ausgeglichenes Bild: Zwar sanken bei einer knappen Mehrheit der Unternehmen die Umsätze in den Jahren 1935 und 1936 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr, doch waren diese Rückgänge oft nicht sonderlich gravierend. Auffällig ist wiederum, dass bei einer deutlichen Mehrheit der Unternehmen im Jahr 1937 noch einmal ein zum Teil deutlicher Umsatzanstieg zu verzeichnen ist. Ebenso deutlich tritt jedoch zu Tage, dass spätestens im Jahr 1938 die Geschäftsentwicklung aller jüdischen Unternehmen über alle Branchen hinweg rückläufig war. Versuche, die hier zusammengetragenen Umsatzzahlen mit der Branchenzugehörigkeit der Unternehmen zu korrelieren, zeigen ein nicht in jeder Hinsicht klares Bild und sollten nicht über Gebühr verallgemeinert werden. Jedoch deuten sich durchaus einige Tendenzen an. Als Hauptopfer der Entwicklungen während der NS-Zeit erscheinen auch unter den führenden jüdischen Unternehmen insbesondere die Einzelhandelsgeschäfte der Bekleidungsbranche, die mehrheitlich eine rückläufige Geschäftsentwicklung aufwiesen, im Sample aber nur wenig vertreten sind. Eine Ausnahme bildet ausgerechnet das stadtbekannte Damenkonfektionsgeschäft Wagener & Schlötel, das 1933 aus der Fusion eines nicht-jüdischen Unternehmens gleichen Namens mit der jüdischen Firma D. Cohn jr. entstanden war und daher in der NS-Presse fortlaufend als »getarntes Unternehmen« denunziert wurde.361 Auch der jüdische Groß­handel 361 FV, 25.2.1935, S. 4: »Jüdisch-christliche Fusion auf der Zeil«. Obwohl der jüdische Kapitalanteil unter 50 Prozent lag, verbot Oberbürgermeister Krebs, der bis 1937 gleichzeitig NSDAP-Kreisleiter war, 1934 das Anbringen der Hakenkreuzflagge am Geschäftshaus; RA Eberhardt an OB Krebs, 3.12.1934, IfS, Kreisleiter OB Krebs, Bl. 239; Krebs an RA Eberhardt [Entwurf o. D.], ebd., Bl. 240.

143 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Tab. 6: Umsatzentwicklung führender jüdischer Unternehmen 1933–1938 in RM Unternehmen

Branche

1933

M. Albersheim

Chem. Industrie

1.945.000

Gustav Carsch & Co.

Konfektion

2.714.000

Martin Eichelgrün

Feldbahnen

651.000

F. Ehrenfeld

Schmuck u. Geschenke

783.000

Farblederfabrik Bonames

Lederindustrie



Gebr. Frankenfelder

Schuhgroßhandel



Frankfurter Mühlenwerke

Getreide

Futterstoff Ausrüstung

Textilgroßhandel



Günther & Kleinmond

Werkzeugfabrik

470.000

Geschw. Gutmann

Hutwarenhandel

531.000

Leiter & Co.

Hutfabrik, -großhandel



Levy & Hanauer

Hutfabrik, -großhandel

706.000

Hermann Manko KG

Autozubehör/Fahrräder

2.023.421

Marx & Rohde

Textilwarengroßhandel

1.096.000

W. S. Meyer

Ledergroßhandel

Kaufhaus Schiff

Warenhaus

Naxos Schleifwaren

Schleifscheibenfabrik

Julius Stein

Textilwarengroßhandel



Moritz Sternberg

Textilgroßhandel



Strauss & Co.

Textilgroßhandel

932.000

VJB Apparatebau

Patente

523.000

Gebr. Vogel

Autozubehör

573.000

Wagener & Schlötel

Konfektion

1.594.000

Heinrich Wertheimer

Textilgroßhandel

2.514.000

10.842.000

– 1.963.000 262.000

Entwicklungstendenz Quellen: HStAW, Abt. 518, 8062; 8089; 8457; 9132; 9209; 39742; 48556; 858/05; 1789/12; 1919/11; 2310/10; 2627/11; Abt. 519/3, 8956; 9969; 11208; 11289; 11296; 12539; 13352 f.; 16674; 16733; 16746; 16762; 16972; 17076; 17373; 27745; 34541; 37897; ZA, B. 1/13, 1416

144 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

1934

1935

1936

1937

1938

1.843.000

1.929.000

2.047.000

2.258.000



3.024.000

2.144.000







1.734.000

2.111.000









637.000

713.000

532.219

702.000 2.056.000

1.683.000

1.360.000

1.542.000

1.325.000





1.250.000

1.450.000

1.290.000

11.285.000

10.330.000









2.695.000

2.340.000

2.637.000



972.000

1.304.000







558.000

505.000

443.000

471.000



485.000

549.000

529.000

497.000



802.000

669.000

709.000

690.000



2.396.000

2.367.000







1.436.000

1.512.000

1.587.000





859.000

1.268.000

1.088.000

978.000

1.767.000

1.814.000

1.890.000

2.084.000



382.000



561.000

868.000

728.000

406.000

444.000

443.000

504.000

400.000





950.000

1.008.000

826.000

997.000

984.000

883.000

916.000

799.000

303.000

194.000

155.000

240.000



661.000

1.056.000

1.040.000

1.286.000



1.991.000

1.888.000

2.252.000

2.461.000



2.451.000

2.394.000

2.162.000

2.325.000

1.903.000

gesunken: 5 gestiegen: 12

gesunken: 10 gestiegen: 8

gesunken: 9 gestiegen: 6

gesunken: 3 gestiegen: 15

gesunken: 9 gestiegen: 0



145 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

mit Textilien und Textilwaren zeigte mehrheitlich eine eher stagnative Entwicklung. Unter den produzierenden Unternehmen verzeichneten insbesondere die Frankfurter Präzisions-Werkzeugfabrik Günther & Kleinmond sowie das mit dem Bau und der Lieferung von Feldbahnen und Anschlussgleisen befasste Unternehmen Martin Eichelgrün in den ersten Jahren der NS-Herrschaft ausgesprochene starke Umsatzsteigerungen. In abgeschwächter Form gilt dies auch für die Schleifscheibenfabrik Naxos Schmirgel Schleifwaren Burkhard & Co. sowie das als Zulieferer für die Autoindustrie agierende Handelsunternehmen Gebr. Vogel. Das einzige hier vertretene Unternehmen der Lederindustrie verzeichnete hingegen zwischen 1934 und 1938 insgesamt einen Umsatzrückgang. Alles deutet darauf hin, dass unter den Bedingungen der NS-Herrschaft für jüdische Unternehmen mittlerer Größe eine stagnative Entwicklung den häufigsten Verlaufstypus darstellte.362 Abschließend soll am Beispiel der Holzhandelsfirma Julius Lilienstein, deren Geschichte ungewöhnlich ausführlich überliefert ist,363 dieser Entwicklungstypus noch einmal genauer untersucht werden. Nicht zuletzt wird dabei deutlich, wie mühsam selbst eine nur leicht aufstrebende Geschäftsentwicklung erarbeitet werden musste. Auch in diesem Fall ist allerdings die betriebswirtschaftliche Entwicklung nur aus Kreditunterlagen der Deutschen Bank, deren Kunde das Unternehmen war, zu rekonstruieren, die aus der spezifischen Sicht eines Bankinstituts heraus verfasst sind. Bisweilen nur zu erahnen, verbirgt sich hinter diesen Texten eine Geschichte mühevoller unternehmerischer Selbstbehauptung unter zunehmend schwierigen, schließlich hoffnungslosen Rahmenbedingungen. Die 1902 gegründete Firma Lilienstein war im Besitz von Julius Lilienstein und Milan Rosenthal, der 1919 in die zur offenen Handelsgesellschaft umgestaltete Firma eingetreten war und in den zeitgenössischen Quellen weitgehend im Hintergrund bleibt.364 Während der 1920er Jahre gehörte das Unternehmen zu den führenden Holzhandlungen am Platz und erreichte in den besten Jahren vor der Weltwirtschaftskrise Umsätze um 1 Mio. RM.365 Es galt daher als guter Kunde der Frankfurter Filiale der Deutschen Bank. Im Verlauf der Weltwirtschaftskrise allerdings geriet die Firma Lilienstein aufgrund drastischer Umsatzrückgänge immer stärker in Bedrängnis, verzeichnete während der Jahr 1930–1932 anhaltende Verluste und wurde für die Bank nunmehr zum Risikokunden. 362 Vgl. hierzu auch die Schilderung des Hamburger Textilkaufmanns Robinson, S. 200: »Im großen und ganzen blieben die Umsätze in den Jahren 1933 bis 1937 ziemlich gleich. […] Wie die Verhältnisse lagen, mußten wir zufrieden sein, wenn die Umsätze etwa auf dem Niveau des Jahres 1932 verblieben. […] Der Boykott hatte also zunächst vorwiegend ein negatives Ergebnis: er verhinderte, daß wir an der wirtschaflichen Erholung und dem allgemeinen Umsatzanstieg teilnehmen konnten; er führte in dieser Periode weniger zu Verlusten als dazu, daß uns Gewinne entgingen«. 363 Knapp geschildert auch in Deutsche Bank, S. 104 f. 364 Entschädigungsantrag Milan Rosenthal, o. D., HStAW, Abt. 518, 8470, Bl. 6–8. 365 RA Max L. Cahn an Landgericht Ffm., 3.10.1955, HStAW, Abt. 518, 8472, Bl. 121–125.

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In dieser Situation, im Oktober 1932, setzt die Aktenüberlieferung ein. Die Deutsche Bank versuchte zu dieser Zeit, Julius Lilienstein zu drängen, seine laufende Kreditschuld, die durch eine Grundstückshypothek und ein EffektenDepot besichert war, auf unter 20.000 RM zurückzuführen.366 Für diesen Kreditrahmen schienen die Sicherheiten einigermaßen auszureichen. Doch bereits zu dieser Zeit wurde der Kredit bei der Bank intern als Abwicklungsgeschäft geführt, das es sukzessive zu reduzieren galt. Julius Lilienstein hielt die Bankfiliale auch gegen wiederholtes Insistieren auf der Einreichung von Bilanz- und Statusziffern über Monate hin, stellte immer wieder baldige Tilgungsraten in Aussicht, die er später nicht einhielt. Die zuständige Depositenkasse behandelte ihren langjährigen Kunden dabei noch vergleichsweise wohlwollend und stand dieser dilatorischen Behandlung etwas hilflos gegenüber, während das Zweigstellenbüro immer wieder zu einer härteren Gangart mit dem Inhaber mahnte, der nach ihrer Sicht »unseren Wünschen nicht mit dem nötigen Ernst begegnet, vielmehr eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legt.«367 Die nationalsozialistische Machtergreifung fiel aus Sicht der Firma Julius ­Lilienstein mit dem Ende der wirtschaftlichen Krisenzeit zusammen. Bereits seit Januar 1933 verdoppelten sich die monatlichen Umsätze gegenüber dem Vorjahr; eine nachhaltige Belebung des Geschäfts versprach man sich von der Ingangsetzung des Arbeitsbeschaffungsprogramms, das noch von der Regierung Schleicher auf den Weg gebracht worden war.368 Die Hoffnungen richteten sich daher zunächst durchaus zu Recht auf einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung. Umso härter wurden diese Erwartungen enttäuscht, als sich die nationalsozialistische Boykottpolitik verfestigte und die Firma von städtischen und behördlichen Aufträgen, die in früherer Zeit einen wichtigen Anteil am Geschäft ausgemacht hatten, ausgeschlossen blieb. Gegenüber der Bank­filiale klagte Julius Lilienstein im Juni 1933, über ihn sei »in Verbindung mit dem Judenboykott ein Schicksalsschlag hereingebrochen, wie nie zuvor.«369 Zu dieser Zeit hoffte er allerdings noch, dass diese Diskriminierungspolitik nicht von Dauer sein würde. Im August stellte ihm das städtische Bauamt in Aussicht, die Firma bei der Neuausschreibung von Aufträgen eventuell wieder zu berücksichtigen.370 Tatsächlich scheint das Unternehmen in der Folgezeit städtische Aufträge erhalten zu haben,371 doch auch jenseits dessen profitierte das Unternehmen Lilienstein von der wirtschaftlichen Konjunkturbelebung, vor allem aufgrund der umfangreichen Belebung der Bauwirtschaft. Die Umsatzsteigerungen setzten sich auch im Jahre 1934 zunächst fort.

366 Filiale Ffm. an Fa. Julius Lilienstein, 6.10.1932, HADB, F 3, 17. 367 Kredit- und Zweigstellenbüro an Depositenkasse C, 15.2.1933, ebd. 368 Depositenkasse C an Kredit- und Zweigstellen-Büro, 23.1.1933, ebd. 369 Aktennotiz betr. Julius Lilienstein Holzgroßhandlung, 2.6.1933, ebd. 370 Depositenkasse C an Kredit- und Zweigstellen-Büro, 24.8.1933, ebd. 371 Aktennotiz betr. Julius Lilienstein Holzgroßhandlung, 5.7.1934, ebd.

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Für die auf die Abwicklung des Engagements drängende Bank hatte dies zunächst keine Auswirkung, denn das Unternehmen benötigte nun sämtliche Mittel zur laufenden Finanzierung des Geschäftes; seit Anfang 1934 mussten sogar Aufträge mangels Liquidität abgelehnt werden.372 Die Bankfiliale hielt sich angesichts dieser Entwicklung zurück. Es schien ihr auch keine weitere Möglichkeit zu verbleiben, denn da der Kredit vollständig als Betriebsmittelkredit gebunden war, hätte seine Eintreibung die Geschäftstätigkeit abgewürgt und die nur unzureichend abgesicherten Forderungen gefährdet. Von der Rück­f ührung des Kreditrahmens auf 20.000 RM, die ja nur der erste Schritt sein sollte, war das Unternehmen auch Ende 1934 noch ein gutes Stück entfernt, als sich die Schuld bei der Deutschen Bank auf 23.500 RM belief (1933: 25.200 RM).373 Immerhin gelang es der Filiale im August 1934 zum ersten Mal, ein konkretes Rückzahlungsprogramm zu vereinbaren, das monatliche Raten von 200  RM vorsah, die in der Folge auch regelmäßig geleistet wurden, allerdings entgegen der ursprünglichen Intention der Bank nicht weiter erhöht werden konnten.374 Der Firma Julius Lilienstein gelang es, bis Ende 1935 seine Kreditschuld bei der Deutschen Bank endlich auf gut 19.000 RM zu reduzieren. Dies war allerdings zum Teil nur dadurch möglich, dass die Schulden umgeschichtet und auf die Frankfurter Gewerbekasse verlagert wurden. Der Abbau der Gesamtbankschulden gelang nur langsam; diese sanken von 28.900 RM im Jahr 1933 auf 23.800 RM am Ende des Jahres 1936. Fast alle liquiden Mittel wurden vom laufenden Geschäft absorbiert, so dass das betriebliche Eigenkapital nur mühsam gesteigert werden konnte (1933: 39.000 RM; 1934: 40.300 RM; 1935: 41.800 RM). Wie sich die politische Diskriminierung über den zumindest teilweisen Ausschluss von öffentlichen Aufträgen hinaus auswirkte, lässt sich aus den überlieferten Quellen nicht ersehen. Julius Lilienstein wird es vermieden haben, gegenüber seinem Bankhaus diesbezügliche Schwierigkeiten offenzulegen. Doch auch die innere Korrespondenz der Bankabteilungen ging auf diesen Aspekt nicht ein. Als das Engagement Mitte 1936 endgültig auf die Abwicklungsliste gesetzt wurde, lautete die Begründung: »Illiquide Geschäftslage« – womit dem Unternehmen nicht unbedingt unrecht getan wurde. Die Umsätze hatten sich 1935 wieder zurückentwickelt, lagen aber noch über jenen des Jahres 1933 (1933: 180.000  RM; 1934: 263.000 RM; 1935: 194.000 RM). Julius Lilienstein verzögerte die Herausgabe der Bilanzziffern von 1935 erneut bis in den Herbst des folgenden Jahres, so dass die Filiale erstmals offen mit der Kündigung des Kredits drohte.375 Als sich der Umsatzrückgang 1936 und 1937 fortsetzte und das mühsam aufgebaute Eigenkapital des Unternehmens damit zum Teil  wieder aufgezehrt wurde, konnte Lilienstein nur noch mit Kostensenkung und Personalabbau reagieren, war mithin gezwungen, den Geschäftsumfang den schwie372 Depositenkasse C an Kredit- und Zweigstellen-Büro, 10.4.1934, ebd. 373 Bilanz per 31.12.1934, ebd. 374 Aktennotiz betr. Julius Lilienstein Holzgroßhandlung, 12.6.1934, ebd. 375 Filiale Ffm. an Fa. Julius Lilienstein, 27.8.1936, ebd.

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riger werdenden Bedingungen anzupassen.376 Auch seine privaten Entnahmen musste er beträchtlich reduzieren; 1936 betrugen sie nur noch 5.900 RM, nachdem es im Geschäftsjahr 1933 noch 9.000 RM und 1934 10.300 RM gewesen waren (1935: 7.100 RM). Als »jüdisches Unternehmen« wird die Firma Julius Lilienstein von der Deutschen Bank erst im April 1938 zum ersten Mal bezeichnet, als das Filial­ sekretariat an die Depositenkasse Konstablerwache schrieb: »Die Bilanz per 31.  Dezember 1937 interessiert uns bei dieser nicht-arischen Firma ganz besonders.«377 Bereits kurze Zeit später, Mitte Mai 1938, eröffnete Julius Lilienstein schließlich der Bank, dass er das Unternehmen zu verkaufen beabsichtige.378 Das Geschäft war zu dieser Zeit völlig zusammengebrochen, die monatlichen Tilgungsraten konnten nicht mehr geleistet werden. Die Bemühungen um einen Verkauf gestalteten sich schwierig, mehrere Verhandlungen scheiterten an der Frage der Lagerhallen, welche die Inhaber in eine Übernahme mit einbezogen sehen wollten. Erst im Verlauf der nächsten Wochen wurde schließlich klar, dass alle Verkaufspläne an der ablehnenden Haltung des NS-Gauwirtschaftsamtes scheitern mussten, wo man den Holzhandel in der Region für übersetzt hielt und daher grundsätzlich keine Übernahmen in dieser Branche genehmigen wollte.379 Julius Lilienstein erlitt im August 1938 einen Schlaganfall, der eine halbseitige Lähmung nach sich zog. Erst jetzt taucht in den Akten sein Geschäftspartner Milan Rosenthal auf, der sich in den folgenden Monaten um die Liquidation des Unternehmens kümmerte, die noch vorhandenen Warenvorräte verkaufte, die Lagerhallen abbrechen und als Bauholz verwerten ließ. Die Deutsche Bank drängte währenddessen auf einen Verkauf des Grundstücks, das als Sicherheit für den Betriebskredit fungiert hatte und sich im Besitz der Eheleute Lilienstein befand. Als Julius Lilienstein im Januar 1939 verstarb, beliefen sich die Schulden des Unternehmens bei der Bank noch immer auf etwa 12.000 RM.380 Erst nachdem das Grundstück verkauft werden konnte, wurde diese Restschuld im Juli 1939 durch eine Überweisung des mit den Angelegenheiten des Verstorbenen betrauten Notars ausgeglichen. Für die Bank war das Engagement damit beendet, die Akte wurde geschlossen. Milan Rosenthal gelang es noch im April 1941, in die USA zu emigrieren.

376 Notiz Depositenkasse C für Filialsekretariat, 2.10.1937, ebd. 377 Filialsekretariat Ffm. an Depositenkasse C, 23.4.1938, ebd. 378 Depositenkasse C an Filialsekretariat I, 13.5.1938, ebd. 379 Depositenkasse C an Filialsekretariat I, 12.10.1938, ebd. 380 Notiz Depositenkasse Zeil für Filialsekretariat II, 18.1.1939, ebd.

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III. Die Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit

1. Begriffe und methodische Ansätze Im vorhergehenden Kapitel wurden aus der Untersuchung der sozialgeschichtlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, denen die jüdische Gewerbetätigkeit unterlag, sowie aus den Anpassungs- und Behauptungsstrategien jüdischer Unternehmer bereits mehrere Dimensionen eines Prozesses herausgearbeitet, der als »Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit« gefasst werden soll. Einer begrifflichen Konzeptualisierung folgend, die ­Ludolf Herbst in Anlehnung an Raul Hilberg entwickelt hat,1 wird dieser Prozess in die Teilprozesse des »Besitztransfers« und der »Liquidation« ausdifferenziert. Letztere ist in der bisherigen Forschung meist zu kurz gekommen, da im Zeichen des »Arisierungs«-Begriffs das Augenmerk vor allem auf die Übernahmen von Unternehmen aus jüdischem Besitz gerichtet war.2 Das mag auch daran liegen, dass die Liquidation von Unternehmen nur wenige Spuren hinterlässt und daher kaum anhand von Fallbeispielen zu untersuchen ist. Dennoch muss sie konsequent mitberücksichtigt werden. Die Verdrängung von Juden aus einzelnen Berufsgruppen und aus Angestelltenpositionen sowie die Entziehung privaten Vermögens, deren letzte Etappe die Beraubung der jüdischen Deportationsopfer war, werden hingegen nur einbezogen, soweit sie für den Gesamtzusammenhang von systematischer Relevanz sind. Somit endet der Untersuchungs­abschnitt mit dem Jahreswechsel 1938/39. Die lokalen Verfolgungs- und Gewaltmaßnahmen gegen jüdische Unternehmer zwischen 1933 und 1937, die seit der bahnbrechenden Studie von Frank Bajohr über Hamburg für eine Vielzahl weiterer Orte untersucht worden sind,3 konnten das umfangreiche und mit der übrigen Wirtschaft intensiv verflochtene jüdische Gewerbeleben in einer Großstadt wie Frankfurt am Main nicht ausschalten. Einen wichtigen Einschnitt stellen daher die in rascher Folge ergehenden Radikalisierungsimpulse in der Judenpolitik seit dem Jahreswechsel 1937/38 dar, die eine gesonderte Analyse erfordern. Mit ihnen rückt die Reichsführung wieder in den Fokus, indem sie für das Handeln aller weiteren Akteure einen strukturierenden Rahmen vorgab. Da sich bei einer Periodisierung an1 Herbst u. a., S. 10 f. 2 Hierzu Nietzel, Vernichtung, S. 585. 3 Programmatisch Bajohr, Arisierung, S.  15–17; Händler-Lachmann/Werther; Bruns-Wüstefeld; Fichtl u. a.; Dahlmann; Brucher-Lembach; Bopf; Baumann/Heusler; Selig; Priamus; Bigge­leben u.  a.; Gibas; Stiekel.

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hand der politischen Makroebene kaum mehr als diese deutliche Zäsur des Jahres 1938 ergibt, lässt sich methodisch der Ansatz Avraham Barkais aufnehmen, bei der Analyse und Beurteilung der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit zuerst von ihrer realen quantitativen Entwicklung auszugehen, diese differenzierend zu untersuchen und mit den politischen Vorgängen der verschiedenen Handlungsebenen im Rahmen des Möglichen in Korrelation zu bringen. Aus der quantitativen Analyse lassen sich allerdings nur allgemeine Ansatzpunkte und Hinweise für die Analyse der Mikroebene einzelner Unternehmen gewinnen. Letztlich besaß jeder Einzelfall seine eigene Prozess- und Verlaufsdynamik.4 Einer generalisierenden Typologie scheinen damit beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenzustehen. Einen ersten und äußerst einflussreichen Versuch einer groben Einteilung unternahm abermals Frank Bajohr, der mit Blick auf das Verhalten der Erwerber jüdischer Unternehmen von »skrupellosen Profiteuren«, »stillen Teilhabern« und »Gutwilligen« gesprochen hat.5 Diese Typologie zielt jedoch nur auf die Erwerberseite und nicht auf den Gesamtprozess. Sie blendet zudem den gesamten Komplex der Liquidation aus der Analyse aus. Einen anderen Weg wählt Ingo Köhler in seiner Unter­ suchung der »Arisierung« der jüdischen Privatbanken, indem er die Verfahrensverläufe in Anlehnung an zeitgenössische Einteilungen in die Grundformen einer »Überleitung auf arische Unternehmen«, eines »Erwerbs jüdischer Unternehmen durch Einzelpersonen« und der Liquidation unterteilt. Zusätzlich macht er noch eine Mischform zwischen Übernahme und Liquidation aus, die er mit Begriff der »verdeckten Teilarisierung« bezeichnet.6 Diese Systematik lässt sich sowohl zur differenzierenden Kategorisierung von Einzelfällen als auch zur Kennzeichnung von Teilprozessen durch die quantitative Aggregierung dieser Fälle verwenden. Weil sie sich an einem formalen Kriterium orientiert, lassen sich mit ihrer Hilfe aber keine Aussagen über typische Prozess­ verläufe und Konstellationen machen. Neben den Versuchen, die unübersehbare Vielzahl von Einzelgeschichten analytisch zu durchdringen, wurden auch einige Überlegungen angestellt, den Gesamtprozess der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Juden innerhalb größerer Zusammenhänge zu verorten. Einiges Aufsehen hat in diesem Kontext die provozierende These Götz Alys und Susanne Heims gefunden, die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft sei zu wesentlichen Teilen auf eine »Politik der Modernisierung« zurückzuführen, in deren Rahmen ein brachial forcierter ökonomischer Rationalisierungsschub auf Kosten der jüdischen Minderheit ins Werk gesetzt worden sei. Vor allem am Beispiel Wiens heben sie die staatliche Steuerung der massenweisen Stilllegung jüdischer Unter-

4 Zu diesem Problem Herbst, Banker, S. 84. 5 Bajohr, Arisierung, S. 315–319; der Begriff der »stillen Teilhaber« wurde entlehnt von Barkai, Unternehmer, S. 208. 6 Köhler, Arisierung, S. 192 f.

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nehmen hervor.7 Aus einer anderen Blickrichtung benennt wiederum Frank Bajohr den wirtschaftlichen Verfolgungsprozess als das zentrale Feld einer Praxis des Raubes und der persönlichen Bereicherung, die für das NS-Regime eine »systemimmanente Massenerscheinung, ja eine für das Herrschaftssystem konstitutive Praxis« darstellte.8 Diese verschiedenen Ansätze kombinierend, beschreibt Berthold Unfried im Rahmen der Untersuchungen der Österreichischen Historikerkommission die Entwicklung in Österreich noch einmal in neuer Weise. Dabei bezeichnet er mit dem Begriff der »Strukturpolitik« und dem etwas missverständlichen Begriff der »NS-Wiedergutmachung« zwei Eckpunkte einer Wirtschaftspolitik, die Ausprägung und Ablauf der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden bestimmte.9 Unter »Strukturpolitik« wird die bereits von Aly und Heim hervorgehobene Wirtschaftsrationalisierung verstanden, mit »Wiedergutmachung« sind hingegen Umverteilungsmaßnahmen gemeint, in deren Rahmen das Regime NS-Anhänger für angebliche Schäden während der Zeit der Illegalität der NSDAP in Österreich zu entschädigen suchte, indem es ihnen zur Übernahme von Betrieben aus jüdischem Besitz verhalf. Die offensichtlichen Konfliktpotentiale zwischen diesen beiden Grundtendenzen seien dabei nach der ersten Phase einer ungesteuerten Bereicherungspraxis eindeutig zugunsten der Staatsperspektive, d. h. der rationalen Wirtschaftsplanung entschieden worden. Wenn in dieser Sicht die wirtschaftliche Verfolgung der Juden aber »mehr als Mittel zum Zweck denn als Selbstzweck«10 erscheint, resultiert dies aus einer Blickverengung, welche die entscheidenden Antriebskräfte antisemitischer Ideologie außer Acht lässt. In der folgenden Untersuchung sollen diese verschiedenen konzeptionellen Ansätze aufgegriffen und um einige weiterführende Überlegungen ergänzt werden. Die Ergebnisse des vorangegangen Kapitels aufgreifend, soll dabei zunächst davon ausgegangen werden, dass sich im Prozess der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit vier Teilprozesse bzw. Prozessrichtungen ausmachen lassen: (1) Ein enteignungsorientierter Prozess der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit im Zeichen der deutschen Rüstungs- und Kriegspolitik. Träger dieses Prozesses war der Staat, d. h. die oberste Reichsebene, insbesondere die NS-Wirtschaftsführung um Hermann Göring. Der enteignungsorientierte Prozess zielte in erster Linie auf die Verwertung jüdischen Vermögens. Die Verdrängung und Ausschaltung jüdischer Unternehmen wurde dabei vorrangig unter kriegswirtschaftlichen Imperativen betrieben. Daher richtete sich die Aufmerksamkeit der Reichsinstitutionen auch vorrangig auf die kriegswirtschaftlich bedeutsamen Betriebe, während andere Wirtschaftssegmente kaum interessierten. (2) Ein aufstiegsorientierter Prozess des Transfers jüdischen Unternehmensvermögens in nicht-jüdischen Besitz. Dieser Prozess ermöglichte zahlreichen 7 Aly/Heim, S. 21–68. 8 Bajohr, Parvenüs, S. 133. 9 Felber u. a., S. 168–222. 10 Ebd., S. 219.

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Beteiligten, von der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit durch sozialen Aufstieg zu profitieren, verlief daher dezentral und wurde durch das NS-Regime nur teilweise gesteuert. (3) Ein liquidationsorientierter Prozess der Branchen- und Strukturbereinigung, der von unterschiedlichen Ebenen ausging und in dem mittelstandspolitische und rüstungswirtschaftliche Zielsetzungen teilweise gegeneinander gerichtet waren, teilweise zusammenliefen. Schließlich (4) ein vertreibungsorientierter Prozess antisemitischer, alle Lebensbereiche betreffender Diskriminierungs- und Gewaltpolitik, der auf das ideologische Ziel einer »Entfernung der Juden« gerichtet war und die Keime der späteren Radikalisierung hin zum Völkermord bereits in sich trug, ohne dass dies von Anfang an bereits eindeutig sichtbar wurde. Die Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit war innerhalb dieses Zielhorizonts in der Tat Mittel zum Zweck. Im Folgenden wird zunächst die Ebene der Gesamtheit jüdischer Unternehmen in quantitativer Hinsicht in den Blick genommen. Hieraus ergeben sich einige Hinweise und Schlussfolgerungen, welche die Analyse auf der Mikro­ ebene einzelner Unternehmen leiten helfen. Anschließend werden die Entwicklungen des Jahres 1938 betrachtet und dabei die unterschiedlichen Ebenen und Perspektiven zusammengeführt.

2. Der Ablauf des Vernichtungsprozesses Den Prozess der Verdrängung jüdischer Unternehmen empirisch nachzuvollziehen, ist für die deutschen Großstädte mit oftmals vielen Hundert Betrieben besonders schwierig.11 Bisher ist es nur für München gelungen, valide Erhebungen anhand der überlieferten Gewerbekartei durchzuführen. Eine solche Kartei ist allerdings für Frankfurt nicht, jedenfalls nicht vollständig erhalten. Dass Schlussfolgerungen aus zufällig überlieferten Einzelziffern, die sich weder sinnvoll vergleichen noch zueinander in Bezug setzen lassen, wenig konkrete Erkenntnisse hervorbringen, zeigt namentlich das Beispiel Köln, wo die unzureichende Quellensituation Versuchen einer quantifizierenden Betrachtung klare Grenzen setzt.12 Zu den Abläufen in Frankfurt sind aussagekräftige Ergebnisse möglich, auch wenn sie von statistischer Akkuratesse einigermaßen weit entfernt sein mögen. Allerdings müssen die Grenzen jeder statistisch-quantifizierenden Herangehensweise reflektiert werden. Denn hinter dem Rückgang der absoluten Zahl jüdischer Unternehmen verbergen sich vielfältige Fluktuationen und Wandlungsprozesse. Ende 1935 zeigte sich der hessische Gauleiter aufgrund eines Hinweises der Geheimen Staatspolizeistelle erstmals darüber alarmiert, dass sich unter der 11 Zur Diskussion über den zahlenmäßigen Ablauf des Verdrängungsprozesses auch Nietzel, Vernichtung, S. 581 f. 12 Bopf, S. 224–227.

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jüdischen Landbevölkerung eine verstärkte Tendenz beobachten lasse, in die Großstädte überzusiedeln, und schlug vor, in Frankfurt eine Zuzugssperre für Juden zu verhängen.13 Dies hätte allerdings einer reichsgesetzlichen Regelung bedurft, vor der die Regierung aufgrund von außen- und verkehrspolitischen Erwägungen zurückschreckte. Der Frankfurter Polizeipräsident beschränkte sich daher zunächst darauf, monatlich über die Zuwanderung von Juden zu berichten, trat jedoch seit Mitte 1936 auch mit Vorschlägen hervor, diese auf informellen Wegen einzudämmen sowie die jüdische Auswanderung aus Frankfurter zu forcieren.14 Im Juni 1938 sah er schließlich die Zeit für einen weiteren Vorstoß in der Sache gekommen und legte einen Entwurf für eine Polizeiverordnung über den Zuzug von Juden nach Frankfurt vor, mit dem die Zuwanderung einer Genehmigungspflicht unterworfen und der Verkauf, die Verpachtung oder Vermietung von Grundstücken oder Räumen an neu zuziehende Juden verboten werden sollten.15 Rechtlichen Bedenken des Oberbürgermeisters begegnete der Polizeipräsident mit dem offenen Bekenntnis, die Verordnung diene gar nicht der praktischen Anwendung: »Zweck der Verordnung ist vielmehr, dass sie allein durch ihr Bestehen und Bekanntwerden in jüdischen Kreisen den Zuzug von auswärts unterbindet.«16 Auch solche Täuschungsmanöver konnten allerdings nicht verhindern, dass Frankfurt weiterhin eine hohe Anziehungskraft ausübte.17 Noch in den Jahren 1936 und 1937 wurde die jüdische Abwanderung ins Ausland oder in andere Orte innerhalb Deutschlands durch die Zuwanderung zu großen Teilen, wenn auch nicht vollständig ausgeglichen.18 Erst seit 1938 dominierte schließlich eindeutig die massenhafte Auswanderung aus Deutschland, so dass sich die jüdische Bevölkerung Frankfurts drastisch reduzierte. Auch die jüdischen Zuwanderer versuchten, sich in Frankfurt gewerblich zu betätigen. Unter den von der Stadtverwaltung 1935 erfassten 21 Neugründungen von Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern, befinden sich immerhin auch mindestens zwei jüdische.19 Insgesamt lassen sich zwischen 1933 und 1938 über 50 Neugründungen nachweisen. In zwölf dieser Fälle handelte es sich um 13 Gauleiter an Kreisleiter Krebs, 15.11.1935, IfS, Magistratsakten, 5897. 14 Polizeipräsident an OB, 20.1.1936; dass., 18.6.1936, ebd.; vgl. auch die Amtsleiter-Besprechung Nr. 655, 21.9.1936, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 106. 15 Entwurf einer Polizeiverordnung über den Zuzug von Juden nach Frankfurt, o. D. [Juni 1938], IfS, Magistratsakten, 5897. 16 Polizeipräsident an OB, 2.7.1938, ebd. 17 Kingreen, Zuflucht. 18 Zusammenstellungen des Polizeipräsidenten, abgedruckt in: Dokumente, IX/20 und 21, S. 418–420. Die weiterhin betriebene Forschung zur jüdischen Demographie beobachtete sowohl eine große Sogwirkung einzelner Großgemeinden auf das Umland – etwa Königsbergs, vor allem jedoch Berlins –, auf der anderen Seite aber auch eine starke Fluktuation zwischen Großstadt und Umland – so neben dem Rheinland auch in Hessen-Nassau; vgl. Birnbaum. 19 Verkehrs- und Wirtschaftsamt an OB (Liste im Anhang), 21.8.1935, IfS, Magistratsakten, 7428, Bl. 43–45.

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die Verlegung eines schon bestehenden Betriebes nach Frankfurt. Für viele war die Stadt dabei eher eine Zwischenstation, wie etwa für Sally Löwengart. Dieser erwarb 1934 in Mannheim die Lederhandelsfirma Alfred Biedermann von dem gleichnamigen, ebenfalls jüdischen Vorinhaber und verlegte sie kurz darauf nach Frankfurt. Nur drei Jahre später, im Mai 1937, verkaufte er das Unternehmen an einen Kölner Kaufmann und Parteigenossen, der es seitdem weiterführte.20 In den meisten Fällen gründeten allerdings die Zugewanderten erstmals ein Unternehmen. So kam zum Beispiel Kurt Bergmann im September 1933 nach Frankfurt. Er war seit 1925 in der Kasseler Niederlassung des Warenhauskonzerns Leonhard Tietz beschäftigt gewesen und hatte sich dort vom Lehrling zum stellvertretenden Abteilungsleiter emporgearbeitet. Als das Unternehmen 1933 zum »Westdeutschen Kaufhof« wurde,21 erhielt Kurt Bergmann bald darauf die Kündigung. Da er in Kassel als Jude auf keine anderweitige Anstellung hoffen konnte, zog er nach Frankfurt, wo er allerdings ebenfalls zunächst beschäftigungslos blieb. Mit Hilfe der Mitgift seiner Frau, die er 1935 heiratete, eröffnete er im Juli 1936 ein Handelsgeschäft für Kurzwaren in der Nähe der Zeil. Dieses erbrachte zwar geringe, aber bis 1938 doch langsam steigende Erträge. Im Zuge des Novemberpogroms wurde Kurt Bergmann in das Konzentrationslager Dachau verschleppt, das Geschäft demoliert und anschließend ohne seine Mitwirkung abgewickelt.22 Nicht nur jüdische Zugewanderte, sondern auch Frankfurter Juden gründeten noch nach 1933 neue Unternehmen, wenn sie aus ihren ursprünglichen Positionen verdrängt worden waren. Harry Baer etwa, der seit 1928 Filialleiter eines Frankfurter Konsumvereins war, sah sich bereits kurz nach der NS-Machtübernahme aufgrund von Boykotten und Belästigungen gezwungen, seine Stellung aufzugeben. Da er keine Aussichten auf eine Anstellung hatte, tat er sich mit einer nicht-jüdischen Teilhaberin zusammen und eröffnete im Februar 1934 das kleine Lebensmittelgeschäft Baer & Kreuzer. Dieses gewährte bis 1938 immerhin einen bescheidenen Lebensunterhalt, bis es im Zuge des November­pogroms zerstört und geplündert wurde. Auch Harry Baer wurde nach Dachau verschleppt und emigrierte im Mai 1939 nach Großbritannien; das Geschäft wurde von seiner Teilhaberin Anna Kreuzer weitergeführt.23 Die hier ermittelten Neugründungen stellen allenfalls die Spitze des Eisbergs dar. Denn wie schon der Frankfurter Polizeipräsident besorgt beobachtete, suchten die meisten jüdischen Zuwanderer in von Konzessionierung und Reglementierung noch weitgehend freien Wirtschaftsbereichen wie dem Vertretergewerbe und dem Kleinhandel tätig zu werden.24 Dieser Bereich war für 20 HWA, Firmenkartei IHK Ffm., Karte »Alfred Biedermann«, Einträge vom 14.4.1938 und 1.12.1941. 21 Hierzu Ludwig, S. 104–127. 22 Eidesstattliche Erklärung Kurt Bergmann, 13.9.1956, HStAW, Abt. 518, 47804, Bl. 5–7. 23 Eidesstattliche Erklärung Harry Baer, 28.10.1956, HStAW, Abt. 518, 8004, Bl. 4–6. 24 Polizeipräsident an OB, 18.6.1936, IfS, Magistratsakten, 5897.

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die Behörden nur schwer zu überblicken und kaum zu kontrollieren. Aus diesem Grund bleiben die vielen jüdischen Kleingewerbetreibenden, die seit 1933 nach Frankfurt zuwanderten, weitgehend unsichtbar, da sie in den überlieferten Quellen keine Spuren hinterließen. Aus den geschilderten Beispielen wird aber bereits deutlich, dass die Großstadt Frankfurt noch bis 1938 Freiräume bot, zumindest in geringem Umfang und mit bescheidenen Erträgen gewerblich tätig zu sein. Neben diesen Wandlungs- und Fluktuationsprozessen wird durch eine quantitative Erhebung der Übernahmen und Liquidationen jüdischer Unternehmen ebenfalls ausgeblendet, dass keineswegs alle Betroffenen hierdurch endgültig aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen wurden. Vielmehr sind auch hier Ausweichbewegungen erkennbar, so dass einige jüdische Unternehmer mehrmals in die Statistik eingehen.25 Als etwa Erich Marx seine Anteile an dem Unternehmen Marx & Traube 1935 an die Firma Linde’s Eismaschinen verkaufte, schloss er anschließend einen Vertrag über die weitere Beratung der Firma und ihre Vertretung im Auslandsgeschäft. Dieses Vertretergewerbe trug er im Dezember 1935 in das Handelsregister ein und führte es weiter, bis er im November 1937 nach Großbritannien auswanderte.26 Oftmals war der Rückzug in andere Gewerbe- und Betriebsformen gekennzeichnet von sozialer Abwärtsmobilität, Geschäftsschrumpfung und dem Ausweichen in Nischenbereiche oder unauffällige, kleingewerbliche Strukturen, wie sich besonders deutlich im Falle der Firma Albert Levy beobachten lässt. Deren Inhaber gleichen Namens hatte das Wäsche- und Spitzengeschäft, das insbesondere auf den Verkauf von Brautkleidern spezialisiert war, 1910 gegründet. 1932 verlegte er das Geschäft von der Schäfergasse in die Schillerstraße, in bisher ungenutzte Räume im Gebäude der Frankfurter Börse. Vermieter dieser Räume war die Frankfurter Industrie- und Handelskammer. Nach der Machterlangung der Nationalsozialisten und dem personellen Wechsel in der Führung der IHK sah diese das bestehende Mietverhältnis mit einem jüdischen Geschäftsinhaber als nicht länger tragbar an. Von der Kammer unter Druck gesetzt, war Albert Levy gezwungen, das Geschäft aufzugeben. Sein Vorhaben, es an einen nicht-jüdischen Interessenten zu verkaufen, scheiterte jedoch an der Weigerung der IHK, den Mietvertrag auf einen anderen Geschäftsinhaber zu übertragen.27 Die Verlegung an einen anderen Ort wäre jedoch im Rahmen des Gesetzes zum Schutze des Einzelhandels genehmigungspflichtig gewesen, und Albert Levy sah wohl keine Chance, eine solche Genehmigung zu erlangen. Aufgrund der Haltung der IHK blieb ihm daher nur übrig, im Laufe des Jahres 1935 die vorhandenen Warenvorräte zu veräußern und das Geschäft auf diese Weise zu liquidieren. Dabei verlor Albert Levy fast sein gesamtes Vermögen. Hatte er nach der späteren Aussage 25 Bruns-Wüstefeld führt daher den Begriff der »Ausweichbetriebe« ein. 26 HWA, Firmenkartei IHK Ffm., Karte »Erich Marx«. 27 RA Kohlschmidt an Entschädigungsbehörde, 30.11.1955, HStAW, Abt. 518, 22222, Bd.  1, Bl. 108–110.

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seines Steuerberaters noch in den Jahren bis 1935 ein Einkommen von jährlich 20–30.000 RM erzielt und ein Gesamtvermögen von über 100.000 RM besessen, wurde dieses Vermögen in der Folgezeit aufgezehrt.28 Im September des folgenden Jahres trat Albert Levy schließlich in einen kleinen Fabrikationsbetrieb für Bekleidung namens A. Salomon ein, der bisher von der ebenfalls jüdischen Schneiderin Amalie Salomon betrieben worden war. Die Einlage Albert Levys betrug 5.000 RM und stellte fast das gesamte Betriebs­ kapital dar.29 Albert Levy brachte sich in der Folge in den Vertrieb der hergestellten Waren ein und erzielte wieder ein gewisses Einkommen. Im Zuge der Anmeldung jüdischen Vermögens gab er den Wert seines Anteils zum April 1938 mit 14.543 RM an, sein sonstiges Barvermögen war auf nur noch 125 RM zusammengeschmolzen.30 Als der Betrieb im Zuge des Novemberpogroms völlig demoliert wurde und seitdem geschlossen blieb, war Albert Levy, nunmehr 63 Jahre alt, jeglicher wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt und gänzlich vom geringen Verdienst seiner nicht-jüdischen Ehefrau abhängig. Er hatte wirtschaftlich auf niedrigem Niveau eigenständig überlebt, bis die Nationalsozialisten dies durch Gewaltmaßnahmen unterbanden. Nach den oben getroffenen begrifflichen Unterscheidungen vollzog sich der Prozess der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit als Transfer jüdischen Unternehmensvermögens in nicht-jüdischen Besitz sowie in Form der Liquidation jüdischer Unternehmen. Die Grenzen zwischen diesen beiden Prozessen sind nicht in jedem Fall ganz eindeutig zu ziehen, stattdessen verbergen sich hinter diesen Begriffen höchst unterschiedliche Verlaufsgeschichten. Die Fortführung eines jüdischen Unternehmens in gleicher Form und unter gleichem Namen war die Ausnahme. Denn obwohl sie oftmals einen realen Aktivposten des Unternehmens repräsentierten, wünschte das NS-Regime die weitere Präsenz der jüdischen Firmennamen nicht und mahnte spätestens im Laufe der Jahre 1941/42 zur Umbenennung. Typischerweise wurde daher bei einer Übernahme der jüdische Firmenmantel formell liquidiert und im Handels­register gelöscht, während der oder die Erwerber gleichzeitig eine eigene Firma eintragen ließen, die formell als Neugründung erschien, de facto jedoch den be­ stehenden Geschäftsbetrieb übernahm und weiterführte. Aus den veröffentlichten Handelsregistereintragungen geht eine solche Übernahme daher in der Regel nicht ohne Weiteres hervor, erst durch weitere Quellen kann sie als solche identifiziert werden. Auch die Liquidation eines jüdischen Unternehmens vollzog sich in verschiedenen Varianten, und nicht immer bedeutete sie die völlige Abwicklung des gesamten Betriebes. Bisweilen wurden nur Teile eines Geschäfts liquidiert, während andere Teile veräußert wurden. Auch lässt sich beobachten, dass im Rahmen der Liquidation eines Unternehmens de facto der Geschäftsbetrieb 28 Bestätigung Steuerberater Karl Lust, 30.6.1952, ebd., Bl. 67. 29 Vertrag vom 7.9.1936 und Eröffnungsbilanz per 1.9.1936, ebd., Bl. 38–41. 30 Vermögensverzeichnis nach dem Stand vom 27.4.1938, 5.12.1938, ebd., Bl. 42.

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mehr oder minder vollständig durch eine oder mehrere konkrete Personen übernommen wurde, was Ingo Köhler am Beispiel der Privatbanken als »TeilArisierung im Liquidationsfall« bezeichnet hat.31 Auf diesen Begriff wird allerdings hier verzichtet, stattdessen wurden Zweifelsfälle und Zwischenformen unter Abwägung der Umstände als »Übernahme« oder als »Liquidation« klassifiziert. Dabei dienten unter anderem die Fragen als Kriterium, ob im Rahmen der Rückerstattung die Geschehnisse amtlicherseits als eine Übernahme behandelt wurden und wie die jüdischen Verfolgten die Vorgänge selbst auffassten. Die verfügbaren Daten sind nicht ohne Weiteres miteinander vergleichbar. Die im Folgenden präsentierten Zahlen sind daher auf spezifische Weise ›verwischt‹. Der Grund hierfür ist, dass die Übernahme wie auch die Liquidation eines Unternehmens jeweils einen längeren Prozess darstellt, in dem sich mehrere signifikante Zeitpunkte hervorheben. Bei Übernahmen sind dies das Datum des Kaufvertrages, das Datum der tatsächlichen Übernahme sowie, seit April 1938, das Genehmigungsdatum für die Übernahme. Diese Daten liegen in der Regel dicht beisammen; die Genehmigung erfolgte, wie zahlreiche Beispiele belegen, allerdings mitunter auch erst mehrere Monate nach Vertragsschluss. Erfasst man die Übernahmen jüdischer Unternehmen in Frankfurt nach Jahren, dürften die Verzerrungen durch diese Diskrepanzen nicht gravierend ins Gewicht fallen. Insgesamt können 509 Übernahmen auf diese Weise datiert werden.32 Tab. 7: Übernahmen jüdischer Unternehmen 1933–1939/41 Jahr

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939–1941

Anzahl

43

17

37

51

62

252

47

Prozent

8

12

19

29

41

91

100

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

Die Tabelle 7 zeigt eindeutig, dass weit mehr als die Hälfte aller Unternehmensübernahmen in das Jahr 1938 und die folgenden Jahre fiel. Dass somit das Jahr 1938 einen eindeutigen Einschnitt darstellt, deckt sich mit den bisherigen Erkenntnissen. Dass bis Ende 1937 aber immerhin bereits über 40  Prozent der Übernahmen vollzogen worden waren, weicht von den veröffentlichten An­ gaben etwa zu München deutlich ab. Zu einem Teil erklärt sich dies daraus, dass die Münchner Datenbasis eine erst Ende 1937 durch das dortige Gewerbeamt erstellte »jüdische Gewerbekartei« bildete, in der die bisherigen Übernahme- und Liquidationsvorgänge nachträglich ermittelt worden waren, was sicherlich nicht 31 Köhler, Arisierung, passim. 32 13 weitere Übernahmen seit 1933 lassen sich nicht näher datieren.

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mehr vollständig geschehen konnte.33 Daher bleibt dort auch das Jahr 1933 ausgespart, das aber, wie in den hier ermittelten Daten zu sehen ist, eine hohe Zahl von Übernahmen mit sich brachte, die erst im Jahr 1936 wieder erreicht wurde. Auch abgesehen von diesen Abweichungen in der Datenbasis scheint jedoch der Transfer jüdischen Unternehmensvermögens in Frankfurt sich insgesamt schneller vollzogen zu haben als in den Großstädten München und Hamburg. Die Liquidation eines Unternehmens stellt ebenfalls einen längeren Prozess dar, dessen Einsetzen nur in den wenigen Fällen fassbar wird, in denen jüdische Unternehmer den Eintritt in das Liquidationsverfahren im Handelsregister veröffentlichen ließen. Neben diesem Datum ist das Datum der gewerbesteuer­ lichen Abmeldung dasjenige mit der größten Signifikanz. Auch dieses Datum ist allerdings in Frankfurt nur vergleichsweise selten überliefert, und diese Überlieferung ist zudem verzerrt, weil die Industrie- und Handelskammer offenbar erst seit 1938 die Abmeldungen jüdischer Unternehmen genauer zu beobachten und festzuhalten begann. Hilfsweise wird erneut auf die Löschungen im Handelsregister zurückgegriffen, die sich anhand der veröffentlichten Handelsregistereintragungen systematisch verfolgen lassen. Zahlreiche Beispiele, für die alle genannten Daten überliefert sind, legen die Annahme nahe, dass die Löschung im Handelsregister mit der gewerbesteuerlichen Abmeldung mehr oder weniger zeitlich zusammenfiel bzw. dieser in nicht allzu weitem Abstand folgte. Mitunter konnten zwischen Abwicklung und Löschung im Handels­ register jedoch auch einige Monate, in einigen Fällen sogar Jahre verstreichen. Daher sind die hier ermittelten Daten zeitlich systematisch nach hinten verzerrt. Es kommt hinzu, dass einige Unternehmer die Löschung im Handels­ register nicht ausführten, so dass das Amtsgericht in periodischen Abständen von sich aus Löschungen »von Amts wegen« vornahm, um das Handelsregister von stillgelegten Firmen zu bereinigen. In diesem Fall war die Zeitspanne zwischen Einstellung und Löschung in der Regel groß. In der Tabelle 8 sind diese unterschiedlichen Daten getrennt ausgewiesen (wobei das jeweils früheste verfügbare Datum eingegangen ist). Tab. 8: Liquidation, Abmeldung und Löschung jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 Jahr

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939/42

Liquidation

13

7

7

12

17

69

15

Abmeldung

2

1

7

6

17

130

37

Löschung

46

26

23

33

46

141

110

Löschung v.A.w.

27

11

16

12

45

119

160

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt 33 Hanke, S. 147 f.; Rappl.

160 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Die einzelnen Datenreihen folgen einem gleichmäßigen Muster, das dem der Übernahmen gleicht: Einem ersten Scheitelpunkt 1933 folgt in den Jahren darauf zunächst ein Rückgang der Liquidationen, bis diese 1936/37 wieder deutlich zunehmen. In allen Reihen entfällt der weitaus meiste Anteil der Fälle auf die Jahre seit 1938, wobei aufgrund der genannten zeitlichen Verzerrungen namentlich bei den Löschungen auch die nachfolgenden Jahre bis 1942 noch hohe Werte aufweisen. Die Löschungen von Amts wegen fallen aus diesem Muster insofern etwas heraus, als hier die Zahl der Fälle 1939 sogar insgesamt größer ist als 1938. Dies resultiert aus der zeitlichen Verzögerung, welche die Löschung von Amts wegen mit sich brachte. Es scheint insgesamt gerechtfertigt, die Datenreihen nach Jahren zusammenzufassen, wobei in der Tabelle 9 diejenigen Löschungen von Amts wegen, die erwiesenermaßen erst Jahre nach der tatsächlichen Einstellung des Betriebes vorgenommen wurden, herausgenommen sind. Es verbleiben sodann noch 1.121 nach Jahren datierbare Liquidationen. Tab. 9: Liquidation jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 Jahr

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939–1942

Anzahl

73

45

52

49

90

401

411

Prozent

7

11

15

20

28

63

100

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

Aus Tabelle 9 wird deutlich, dass der Prozess der Liquidation jüdischer Unternehmen sich langsamer vollzog als der Prozess des Besitztransfers. Bis Ende 1937 waren erst 28 Prozent der Liquidationen durchgeführt worden. Damit wird auch in der empirischen Breite offenbar, dass erst die Maßnahmen des Jahres 1938 die Frankfurter jüdische Gewerbetätigkeit entscheidend trafen und ihre Vernichtung herbeiführten. Der Prozess der Abwicklung und der Löschungen aus dem Handelsregister zog sich alsdann noch bis in das Jahr 1942 hinein hin. Fasst man die beiden Prozesse des Besitztransfers und der Liquidation zusammen, lässt sich der antisemitische Verdrängungsprozess anhand der Daten von 1.630 Unternehmen darstellen (vgl. Tab. 10). Tab. 10: Übernahmen und Liquidationen jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 Jahr

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939–1942

Anzahl

116

62

89

100

152

653

458

Prozent

7

11

16

23

32

72

100

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

161 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

32 Prozent der jüdischen Unternehmen verschwanden im Laufe der Jahre 1933 bis 1937. Geht man davon aus, dass die verschiedenen Branchen in unterschiedlicher Weise von der nationalsozialistischen Verfolgung betroffen waren, erscheint es sinnvoll, den Abbau der jüdischen Gewerbetätigkeit differenziert zu betrachten. Dabei ergibt sich für einige der wichtigsten Branchen, in denen jüdische Unternehmer tätig waren, ein mehrschichtiges Bild (vgl. Tab. 11). Tab. 11: Übernahmen und Liquidationen jüdischer Unternehmen 1933–1939/42 nach Branchen Jahr

1933

1934

1935

1936

1937

1938

1939/42

25

18

18

30

26

199

121

Prozent

6

10

14

21

27

72

100

Lederhandel

5

1

2

5

8

33

22

Prozent

7

8

11

17

28

71

100

Lebensmittelhandel

8

1

4

6

11

28

18

11

12

17

25

39

76

100

Weinhandel

3

2

2

0

3

30

32

Prozent

4

7

10

10

14

56

100

Bekleidungsindustrie

5

1

6

1

10

22

13

Prozent

9

10

21

22

40

78

100

Banken/Versicherungen

2

5

10

4

10

30

3

Prozent

3

11

27

33

48

95

100

Getreidehandel

4

3

3

4

2

11

15

10

17

24

33

38

64

100

5

1

0

2

5

18

11

12

14

14

19

31

74

100

Schmuckhandel

1

2

1

1

4

12

10

Prozent

3

10

13

16

29

68

100

Textilhandel

Prozent

Prozent Chemische Industrie Prozent

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

Die Unterschiede, die sich in den unterschiedlichen Branchenentwicklungen abzeichnen, erscheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich gravierend, die einzelnen Datenreihen weisen insgesamt ähnliche Verlaufsmuster auf. Was den 162 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Anteil der bis Ende 1937 verschwundenen jüdischen Unternehmen angeht, liegen die meisten Branchen nahe beim Durchschnitt. Vor diesem Hintergrund sticht auf der einen Seite die Weinhandelsbranche heraus, in der zu Anfang des Jahres 1938 erst 14  Prozent der jüdischen Händler hatten aufgeben müssen und sich der Verdrängungsprozess bis weit in das Jahr 1939 und die Folgejahre hineinzog. Auf der anderen Seite waren in der eine Vielzahl handwerklich geprägter Betriebe umfassenden Bekleidungsindustrie bis Ende 1937 bereits 40 Prozent der jüdischen Unternehmen verschwunden. Am höchsten war der Verdrängungsgrad im Bankgewerbe. Fast die Hälfte der jüdischen Privatbanken war bis 1937 ausgeschaltet worden.34 Große Unterschiede zeigen sich allerdings, wenn man für die genannten Branchen das Verhältnis von Übernahmen und Liquidationen ermittelt. Es wird dann offenbar, dass sich hinter dem Abbau jüdischer Unternehmen jeweils ganz unterschiedliche Prozesse verbergen (vgl. Tab. 12). Tab. 12: Verhältnis von Übernahmen und Liquidationen 1933–1939/42 nach Branchen Branche

Übernahmen

Liquidationen

Verhältnis

alle

514

1176

30:70

Industrie

112

94

54:46

Handel

358

1042

26:74

Großhandel

128

299

30:70

Chemische Industrie

26

16

62:38

Bekleidungsindustrie

24

34

41:59

Lebensmittelhandel

30

46

39:61

Schmuckhandel

10

21

32:68

Textilhandel

136

301

31:69

Lederhandel

20

56

26:74

Banken/Versicherungen

9

53

15:85

Weinhandel

4

68

6:94

Getreidehandel

2

40

5:95

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt 34 Im Vergleich zu den quantitativen Auswertungen bei Köhler, Arisierung ergeben sich einige Abweichungen, die sich durch gezielte Nachrecherchen nicht sämtlich haben auflösen lassen.

163 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit vollzog sich vor allem als ein großangelegtes Liquidationsprogramm. 70  Prozent der Frankfurter jüdischen Unternehmen wurden liquidiert und stillgelegt, nur 30 Prozent durch andere Personen oder Unternehmen übernommen und weitergeführt. Hinter diesem globalen Befund verbergen sich allerdings unterschiedliche Verhältnisse in den einzelnen Branchen. Im Bereich der Industrie war der Anteil der Übernahmen weitaus größer als im Handel und betrug über die Hälfte. In der chemischen Industrie, in der die meisten jüdischen Produktionsbetriebe angesiedelt waren, liegt der Anteil der Übernahmen nochmals ein gutes Stück über diesem Durchschnitt, während er in der heterogen zusammengesetzten Bekleidungsindustrie nur unterdurchschnittlich, aber immer noch höher als im Durchschnitt aller Branchen war. Unter den Handelsbranchen weist der Lebensmittelhandel den höchsten Anteil von Übernahmen auf, während Schmuck- und Textilhandel etwa den Durchschnitt repräsentieren. Ausgesprochen gering war der Anteil der Übernahmen zum einen im privaten Bankwesen, zum anderen im Wein- und im Getreidehandel, in denen es fast gar keine Übernahmen gegeben hat. Die letzteren beiden Branchen weisen dennoch sehr unterschiedliche zeitliche Entwicklungsverläufe auf. Während sich im Getreidehandel fast 40 Prozent der Liquidationen bereits vor 1938 ereigneten, war der jüdische Weinhandel zu Anfang dieses Jahres noch kaum durch die NS-Verfolgung erschüttert worden. Dem Versuch, das Verhältnis von Übernahmen und Liquidationen mit der Betriebsgröße zu korrelieren, stehen einige Schwierigkeiten entgegen, weil Angaben zu Betriebskapital, Bilanzsummen, Umsatz und Angestellten, die als Indikatoren dienen könnten, nur unregelmäßig überliefert sind. Die verfügbaren Zahlen legen aber nahe, einen engen Zusammenhang zwischen der Betriebsgröße und der Wahrscheinlichkeit einer Übernahme und Erhaltung dieses Betriebes anzunehmen. In der Gruppe der Aktiengesellschaften und GmbHs, bei denen es sich um eher größere Unternehmen gehandelt haben wird, betrug das Verhältnis von Übernahmen zu Liquidationen 69:31 bzw. 49:51. Von der Gruppe der Unternehmen mit über 100 Angestellten wurden bis auf eines alle übernommen und weitergeführt.35 Für die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Frankfurt war das Jahr 1938 das entscheidende Jahr. Eine Bestandsaufnahme des Gauwirtschafts­ amtes vom Mai ergab, dass zu dieser Zeit noch 724 jüdische Unternehmen existierten, davon 234 im Großhandel, 385 im Einzelhandel und 105 in der Industrie.36 Es erscheint daher sinnvoll, die Entwicklung von Übernahmen und Liquidationen in diesem Jahr genauer zu untersuchen und nach Monaten aufzuschlüsseln. Hierzu eignen sich nur diejenigen Fälle, in denen die genauen Da35 Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt. Das zugrundeliegende Sample umfasst 49 AGs, 223 GmbHs und acht Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten. Eine weitere Differenzierung in mittlere und kleine Unternehmen wäre aufgrund unzureichender Datendichte nicht aussagekräftig. 36 Zusammenstellung mit Stand 9.5.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132.

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ten des Kaufvertrages, der Betriebsübernahme bzw. der gewerbesteuerlichen Abmeldung überliefert sind. Die Daten der Übernahmegenehmigung sowie die Löschdaten hingegen erscheinen als nicht präzise genug, da sie zumeist in mehr oder minder großem zeitlichen Abstand zu den Vertragsschlüssen bzw. zur Betriebseinstellung folgten. In die Tabelle 13 sind die Daten von 408 Unternehmen eingegangen. Tab. 13: Übernahmen und Abmeldungen im Jahr 1938 Monat

Jan.

Feb.

März

Apr.

Mai

Juni

Übernahmen

4

5

14

12

14

27

Abmeldungen

2

0

6

3

4

1

Monat

Juli

Aug.

Sep.

Okt.

Nov.

Dez.

Übernahmen

30

24

15

12

30

28

Abmeldungen

5

9

17

13

29

104

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

Die beiden Zahlenreihen zeigen unterschiedliche Entwicklungen auf. So weist die Kurve der Übernahmen zwei Scheitelpunkte auf: Übernahmen von Unternehmen aus jüdischem Besitz begannen sich seit Anfang des Jahres 1938 zu mehren, ihre Zahl erreichte in den Sommermonaten den Höhepunkt. In ihrem wirtschaftlichen Lagebericht konnte die Stadt Frankfurt für diesen Zeitraum vermelden: »Die Arisierung seither jüdischer Industrie- und Handelsbetriebe ist in den letzten Monaten gut fortgeschritten.«37 In den nachfolgenden Monaten ging die Zahl der Übernahmen allerdings wieder zurück, um erst im November erneut in die Höhe zu schnellen. Es ergibt sich das Bild einer Dynamik, die offenbar bereits wieder im Abflauen begriffen war, als die Nationalsozialisten gegen Ende des Jahres ihre Verfolgungspolitik noch einmal entscheidend forcierten. Noch deutlicher wird dies an der Entwicklung der Abmeldungen jüdischer Unternehmen. Diese Kurve verlief während des ganzen Jahres zunächst auf niedrigem, seit dem Spätsommer nur leicht ansteigendem Niveau, um gegen Jahresende jäh nach oben zu schießen. Weit mehr als die Hälfte der Abmeldungen im Jahr 1938 wurde nach dem Novemberpogrom vollzogen. Dass die Welle der Abmeldungen und Übernahmen am Jahresende 1938 auf das gesetzliche Verbot jüdischer Gewerbetätigkeit im Handwerk und Einzelhandel zurückzuführen ist, erscheint evident. Weniger eindeutig sind die 37 Wirtschaftlicher Lagebericht Juni/September 1938, 28.9.1938, IfS, Magistratsakten, 6971, Bl. 237–248, Zitat Bl. 240.

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weiteren Kurvenentwicklungen mit konkreten Verfolgungsakten des national­ sozialistischen Regimes in Verbindung zu bringen. Dass die Prozesshaftigkeit des Geschehens einen starken Verzögerungsfaktor impliziert, zeigt das Beispiel der Firma Edelmuth & Oppenheim. Ende 1937 wurde das Handelsunternehmen für Chemieprodukte mit der Kürzung der Bezugskontingente an Ölen und Fetten konfrontiert, die jüdischen Inhaber entschlossen sich zum Verkauf. Erst im Juli 1938 wurde aber ein Kaufvertrag mit einem Erwerber aus der gleichen Branche geschlossen.38 In der quantitativen Gesamtschau lassen sich solche Zusammenhänge kaum erkennen, daher müssen auch die typischen Konstellationen und Prozessverläufe auf der Mikroebene einzelner Unternehmen untersucht werden.

3. Aufgabe unter Verfolgungsbedingungen Der zahlenmäßige Rückgang der jüdischen Gewerbetätigkeit in Frankfurt verlief im Jahr 1933 rascher als in den nachfolgenden Jahren. Dieser erklärungsbedürftige Befund legt es nahe, sich zunächst einigen Fällen aus diesem Jahr zuzuwenden. Drei typische Szenarien lassen sich identifizieren. Im Falle der Firma Julius Obernzenner kann zunächst verdeutlicht werden, wie sich in der Anfangszeit des NS-Regimes die Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise mit den politischen Entwicklungen überschnitten. Die Firma bestand seit 1870, seit 1930 waren die Brüder Carl und Paul Isaak Adelsberger je zur Hälfte Inhaber. In den 1920er Jahren war das Unternehmen eines der bedeutendsten Textilkaufhäuser in Frankfurt und beschäftigte weit über 200 Angestellte und Arbeiter. Jedoch setzten bereits vor Beginn der Weltwirtschaftskrise wirtschaftliche Probleme ein. Zahlungsschwierigkeiten konnten eine Zeitlang durch eine Belastung des umfangreichen Grundvermögens abgewendet werden. Nachdem in den Jahren 1930–1932 die Umsätze massiv zurückgegangen waren, mussten die Eigentümer aber im Juni 1932 die Zahlungsunfähigkeit erklären.39 Zu dieser Zeit arbeiteten die Brüder Adelsberger noch intensiv daran, das Unternehmen zu erhalten und wieder in Gang zu bringen. Dazu bemühten sie sich, unter den Gläubigern eine Anzahl befreundeter Lieferantenfirmen zu mobilisieren, gemeinsam eine Auffang-GmbH ins Leben zu rufen, mit deren Hilfe der Betrieb fortgesetzt werden sollte.40 Durch drastische Spareinschnitte bei Verkaufsräumen und Personal sollte das Geschäft auf einen handhabbaren Umfang gebracht werden. Die einberufene Gläubigerversammlung brachte den jüdischen Eigentümern noch 38 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 14.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6127. 39 Rundschreiben Otto Allecke an die Gläubiger, 9.6.1932, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4949, Bl. 46. 40 Protokoll über die Sitzung betr. Gründung einer Julius Obernzenner GmbH, 15.8.1932, ebd., Bl. 48–52.

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so viel Vertrauen entgegen, dass sie diesem Vorhaben zustimmte, obwohl keine Sicherheiten geleistet werden konnten. Auch zeigt sich hierin, dass die Brüder Adelsberger zu diesem Zeitpunkt noch nicht daran dachten, das Unternehmen aufzugeben oder zu veräußern. Vielmehr sah ihr Sanierungsplan vor, den maßgeblichen Einfluss im Betrieb zu erhalten und die Anteile der Auffanggesellschaft innerhalb einer mehrjährigen Frist allmählich zurückzuerwerben.41 Warum dieses Projekt scheiterte, lässt sich anhand der überlieferten Quellen nicht genau sagen, offenbar ließen sich letztlich nicht genügend Teilnehmerfirmen gewinnen.42 Währenddessen war der Vergleich eröffnet worden, und das Unternehmen konnte die ausgehandelten Quoten bis zum Frühjahr 1933 begleichen. Da es den Eigentümern außerdem gelungen war, nochmals ein großes Hypothekendarlehen zu erhalten, schien eine Weiterführung und Wiederbelebung des Geschäfts möglich. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren die an exponierter Stelle gelegenen Verkaufsstellen des Unternehmens allerdings der antisemitischen Boykottwelle in besonderem Maße ausgesetzt, die Umsätze erhöhten sich nicht in dem erhofften Umfang.43 In dieser Situation sahen sich die jüdischen Eigentümer schließlich zur Veräußerung gezwungen. Der Vorsitzende des Gläubigerausschusses, der auch als Vergleichsverwalter im Betrieb tätig war, hatte sich dabei offenbar bereits gemeinsam mit dem Geschäftsführer als Übernahmekandidat ins Spiel gebracht. Im September 1933 wurde schließlich ein Vertrag geschlossen, mit dem das Unternehmen für einen Kaufpreis von zusammen 150.000 RM auf die Erwerber überging. Die Zahlung des Kaufpreises wurde in monatlichen Raten über mehrere Jahre geleistet, ein Anteil von 90.000 RM war dabei als »Pension« gefasst worden.44 Damit hatten die Brüder Adelsberger ihr Augenmerk vor allem auf den Erhalt und Weiterbetrieb des Unternehmens gerichtet, aus dessen Erträgen ihre Versorgung erfolgte. Ganz aufgegeben hatten sie indes noch nicht und sich eine gewisse Möglichkeit zum Wiedereinstieg erhalten, denn sie veräußerten den Geschäftsbetrieb ohne den umfangreichen Grundbesitz, welcher den größten potentiellen Aktivposten des Unternehmens gebildet hatte. Erst 1938 wurden auch die Immobilien übertragen. An einem weiteren Beispiel lässt sich gut verfolgen, wie sich durch die Zäsur der nationalsozialistischen Machtübernahme der Handlungsrahmen für ein Unternehmen abrupt verändern konnte. Schauplatz ist in diesem Fall nicht allein Frankfurt am Main, denn es handelte sich bei der Allgemeinen Optischen Gesellschaft um ein Unternehmen mit Sitz in Fürth, das in Frankfurt lediglich Filialen unterhielt. Gesellschafter waren die beiden jüdischen Brüder Stefan und Leo Lehmann. Im April 1926 wurde die Allgemeine Optische Gesellschaft erstmals in Frankfurt zu Lieferungen an die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) 41 Ebd. 42 Fa. Krämer & Heinrich an Zentralmeldeamt, 10.5.1948, ebd., Bl. 37–45. 43 RA Paetow an AVW, 2.7.1958, ebd., Bl. 79–82. 44 Vertrag vom 30.9.1933, ebd., Bl. 56–58.

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zugelassen. Bereits im Oktober 1926 gelang es ihr sodann, einen Vertrag abzuschließen, der ihr das Alleinlieferungsrecht garantierte.45 Im Rahmen dieses Vertrages wurden vier Filialen in Frankfurt gegründet; der Standort wurde damit zur wichtigsten Säule des insgesamt elf Filialen unterhaltenden Unternehmens.46 Die anderen in der Stadt ansässigen Optikergeschäfte liefen von Beginn an Sturm gegen die von der Allgemeinen Optischen Gesellschaft erworbene Stellung und erhoben kurz darauf über die örtliche Frankfurter Optikervereinigung Beschwerde gegen ihren Ausschluss von den Lieferungen der AOK, die aber vom zuständigen Versicherungsamt 1929 zurückgewiesen wurde. Ende 1932 unternahmen die in der Frankfurter Optikervereinigung organisierten Konkurrenten abermals einen Vorstoß, um den Exklusivvertrag zu kippen. Bereits zu dieser Zeit, im November 1932, berichtete Stefan Lehmann der Krankenkasse in einem Schreiben von wüsten Angriffen der lokalen NSDAP gegen ihn und das Unternehmen.47 Die Krankenkasse lehnte den Antrag auf Auflösung des Vertrages mit der Allgemeinen Optischen Gesellschaft jedoch am 1. Dezember 1932 abermals ab. Nachdem das Unternehmen seine Stellung am Frankfurter Standort jahrelang hatte behaupten können, geriet diese unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus mehreren Richtungen unter Druck. Zum einen gelangten sowohl in Frankfurt als auch in Fürth innerhalb der Optikervereinigungen nationalsozialistische Aktivisten in führende Positionen. Außerdem wurde von der NSDAP ein Kommissar für die Frankfurter AOK eingesetzt.48 Des Weiteren traten Organisationen wie der Kampfbund für den gewerblichen Mittelstand auf den Plan, für den die Allgemeine Optische Gesellschaft als jüdisches Filialunternehmen mit vermeintlich monopolartiger Stellung gleich in mehrfacher Hinsicht Zielscheibe ihrer Aktionen war. Bereits im Februar 1933 bedrängte man die Geschäftsleitung, die Frankfurter Filialen zu schließen, da andernfalls die Scheiben eingeschlagen würden. Diese gewalttätige Drohkulisse erreichte, was jahrelanges Prozessieren nicht vermocht hatte, denn schon im März wurde der Exklusivvertrag zwischen AOK und der jüdischen Gesellschaft gekippt. Dies war einigen Akteuren noch nicht genug; auch konkurrierende Unternehmer setzten nun offen auf die antisemitische Karte. Der Inhaber eines Geschäfts in der Großen Eschenheimer Straße kündigte im April 1933 Schadenersatzansprüche gegen die Allgemeine Optische Gesellschaft an. Kurz darauf wurde gegen Stefan Lehmann Anzeige erstattet.49 Die jüdischen Gesellschafter hatten in der Zwischenzeit versucht, das Unternehmen durch eine rasche Umstrukturierung aus der Schusslinie zu brin45 JRSO, Legal Aid Department an LG Ffm., 27.4.1953, HStAW, Abt. 460, 1/3 WiK 4264, Bl. 13– 19. 46 Eidesstattliche Erklärung Stefan Lehmann, 5.11.1951, ebd., Bl. 20. 47 JRSO, Legal Aid Department an LG Ffm., 27.4.1953, ebd., Bl. 13–19. 48 Allgemeine Ortskrankenkasse, S. 30. 49 JRSO, Legal Aid Department an LG Ffm., 27.4.1953, HStAW, Abt. 460, 1/3 WiK 4264, Bl. 13– 19.

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gen. Am 5.  April übertrugen sie ihre GmbH-Anteile auf den nicht-jüdischen Bevollmächtigten für die Frankfurter Filialen und gründeten gleichzeitig eine Nachfolgegesellschaft mit Sitz in Frankfurt. Gegen die bereits losgetretene Verdrängungsdynamik konnte dieses Manöver aber nichts mehr ausrichten. Stefan Lehmann wurde am 26. April 1933 von SA-Leuten festgenommen, in das Fürther Polizeigefängnis verschleppt und dort zwei Wochen lang festgehalten. Bereits am nächsten Tag gab die Frankfurter AOK, die sich mittlerweile unter nationalsozialistischer Leitung befand, bekannt, die vertraglichen Beziehungen zur Allgemeinen Optischen Gesellschaft gelöst zu haben. Damit war das Unternehmen von den Kassenlieferungen ausgeschlossen. Doch die nationalsozialistischen Akteure drängten auf eine vollständige Ausschaltung der jüdischen Gesellschafter. Während Stefan Lehmann sich noch in Haft befand, wurde der nicht-jüdische Geschäftsführer unter Drohungen gezwungen, von dem eilig eingefädelten Kaufvertrag zurückzutreten und die Liquidation des Unternehmens einzuleiten. Drei der ursprünglich vier Frankfurter Filialen wurden daraufhin noch im Laufe des Monats für jeweils 3.500 RM, 9.000 RM und 15.000 RM an ihre jeweiligen Geschäftsleiter verkauft, die diese nun als eigenständige Einzelhandelsgeschäfte weiterbetrieben. Neben der Ausschaltung eines jüdischen Unternehmens wurde auf diese Weise auch die Umwandlung eines Filialunternehmens in Einzelbetriebe gewaltsam verwirklicht. Stefan Lehmann hatte sein Einverständnis zu diesen Übertragungen als Bedingung für sein Freikommen aus dem Gefängnis geben müssen.50 Dass die NS-Machtübernahme zur existenzbedrohenden Situation werden konnte, lässt sich am folgenden Beispiel der Firma Richard Michel noch genauer verdeutlichen. Der gleichnamige Inhaber hatte im Jahre 1929 einen Tabakwarenhandel im Frankfurter Ortsteil Eschersheim gegründet. Im Laufe der Zeit wurde dieses Geschäft immer weiter ausgebaut und umfasste schließlich auch Schreibwaren, Zeitungen und Bücher sowie Spielwaren.51 Richard Michel engagierte sich für die Sozialdemokratische Partei, deren Parteiorgan in einem besonderen Schaukasten vor dem Geschäft ausgehängt war. Bei den Reichstagswahlen übernahm er die Verteilung von Flugblättern und Plakaten an die Wahlhelfer der SPD in den angrenzenden Vororten.52 Dies trug ihm bereits während der letzten Jahre der Weimarer Republik die erbitterte Feindschaft der lokalen NSDAP-Ortsgruppe ein. Obwohl seine jüdische Abstammung zu dieser Zeit noch kein Thema war, hatte Richard Michel angesichts der antisemitischen Stimmung bereits vor 1933 das Geschäft auf seine nicht-jüdische Frau überschrieben. Dies kümmerte allerdings die NS-Aktivisten des Stadtviertels nicht, als sie unmittelbar nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wie50 Ebd. 51 Ergänzung zum Rückerstattungsantrag von Richard Michel, 5.9.1950, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6687. 52 Erläuterungen zum Entschädigungs- und Wiedergutmachungsantrag vom 20.3.1950, HStAW, Abt. 518, 40479, Bd. 1, Bl. 4–8.

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derholt die Fassade des Geschäftshauses mit antisemitischen Hetzparolen überzogen, den Eingang mit Teer beschmierten und Kunden durch offene Drohungen am Betreten des Geschäftes zu hindern versuchten.53 Die Situation wurde für Richard Michel und seine Familie innerhalb kürzester Zeit lebensbedrohlich. Sein 13-jähriger Sohn wurde von NS-Aktivisten vom Fahrrad gezerrt und schwer misshandelt.54 Er selbst erhielt wüste Drohbriefe, eines Nachts wurde von einem Unbekannten auf ihn geschossen. Angesichts dieser Situation sah er keine andere Möglichkeit, als sein Geschäft so schnell wie möglich zu verkaufen. Zum Kauf fand sich bald darauf ein Emil Engelmann bereit. Richard Michel, der zunehmend um sein Leben fürchten musste, hatte keine Zeit zu verlieren und damit eine denkbar schlechte Verhandlungsposition. Engelmann hatte sich zudem mit dem Besitzer des Geschäftshauses abgesprochen, der nun erklärte, keinen anderen Käufer als Mieter akzeptieren zu wollen. Von 25.000 RM wurde Richard Michel auf diese Weise auf nur noch 4.000 RM heruntergehandelt. Selbst um diese geringe Summe musste er noch kämpfen. Denn nachdem der Käufer sich noch einige Tage Zahlungsaufschub erbeten hatte, war Richard Michel erneut verhaftet und über zwei Wochen im Polizeirevier festgehalten worden. Er kam nur deswegen frei, weil seine Frau täglich über Stunden das Büro des zuständigen Beamten belagerte.55 Zur raschen Ausreise aus Deutschland entschlossen, musste Michel noch Emil Engelmann, der sich inzwischen bereits im Geschäft eingerichtet hatte, ohne den Kaufpreis entrichtet zu haben, unter Androhung polizeilicher Gewalt wieder hinaussetzen und zur Zahlung zwingen. Als kurze Zeit darauf erneut SA-Männer erschienen, um ihn in ein Konzentrationslager zu überstellen, hatte der Gesuchte bereits in London bei Verwandten Zuflucht gesucht. Seine Frau folgte ihm mit den drei Kindern bald nach, konnte bis dahin aber nur noch einen Teil der Wohnungseinrichtung verwerten und verschenkte schließlich einige Gegenstände kurzerhand an Nachbarn.56 Für die Übernahmen des Jahres 1933 erscheint es typisch, dass bei ihnen mehrere Faktoren zusammenwirkten. Die aufflammende antisemitische Gewalt traf im ersten Beispiel mit den Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise zusammen, in den weiteren Beispielen verstärkte sie sich, weil das betroffene Unternehmen gleichzeitig im Fokus des NS-Mittelstandsaktivismus stand bzw. die Person des Inhabers sich im Fadenkreuz der Abrechnung mit politischen Gegnern wiederfand. Es war diese Überlagerung unterschiedlicher Ebenen und Dimensionen der NS-Politik, welche die Gefahrensituation für jüdische Unternehmer im Jahr 1933 kennzeichnete. Die geschilderten Beispiele zeigen über53 Ebd.; Eidesstattliche Erklärung Richard Michel, 5.7.1954, ebd., Bl. 21 f. 54 Eidesstattliche Versicherung Ludwig und Magdalena Ulmann, 16.9.1950, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6687. 55 Erläuterungen zum Entschädigungs- und Wiedergutmachungsantrag vom 20.3.1950, ­HStAW, Abt. 518, 40479, Bd. 1, Bl. 4–8. 56 Ebd.

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dies, wie sich gerade in den Wochen unmittelbar vor und nach der national­ sozialistischen Machtübernahme eine Ausnahmesituation herstellte, in der die Freiräume für gewaltsame Verdrängungsmaßnahmen besonders groß waren und dies bei zahlreichen Akteuren eine Abrechnungs- und Beutestimmung hervorbrachte, die mit voller Wucht über einzelne jüdische Unternehmen hereinbrechen konnte. Im Falle Richard Michels waren die Angriffe gegen Geschäft und Inhaber aber nicht einfach Teil  einer diffusen Gewaltwelle. Nachbarn erinnerten sich nach späterer Aussage an die brutalen Vorgänge, »weil sie damals noch ungewöhnlich und das Tagesgespräch der Eschersheimer Bevölkerung waren.«57 Es findet sich noch eine Reihe weiterer Beispiele für Geschäftsübernahmen und -liquidationen, die in den ersten Monaten des Jahres 1933 zum Teil mit brachialer Gewalt durchgesetzt wurden und fast immer von Privatpersonen bzw. nicht-staatlichen Akteuren ausgingen. Beteiligte und Kaufinteressierte rekrutierten sich dabei überwiegend aus der Gruppe der unteren NSAnhänger oder erhielten von diesen Unterstützung. Im Laufe des Jahres 1933 wurde diese gewaltsame Verdrängungspraxis allerdings eingedämmt, so dass sich nur wenige ähnliche Fälle aus den Jahren 1934–1937 finden lassen. Um eine weitere analytische Schneise durch die Vielzahl jüdischer Unter­ nehmergeschichten zu schlagen, erscheinen einige Überlegungen zur Logik des NS-Systems hilfreich. Die nationalsozialistische Führung war sich darüber im Klaren, dass willkürliche und gewaltsame Übergriffe gegen Gewerbetreibende sich nachteilig auf das Wirtschaftsleben auswirken mussten, ohne sich aber in aller Offenheit für einen grundsätzlichen Schutz und die Freiheit jüdischer Wirtschaftstätigkeit auszusprechen. Hierin deutete sich eine Ambivalenz an, die auch Ernst Fraenkel in seiner Analyse des »Doppelstaates« thematisiert hat. Danach unterlag die private Wirtschaft einerseits durchaus weiterhin den gültigen Rechtsvorschriften und -garantien, ohne die Investitionen und betriebswirtschaftliche Kalkulation auch nicht denkbar sind. Auf der anderen Seite behielt sich das Regime ein universales Zugriffsrecht auf alle Lebensbereiche explizit vor, sofern eine politische Dimension in ihnen berührt war: »d. h. wenn der Maßnahmenstaat die ›politische Behandlung‹ privater und nichtstaatlicher Materien fordert, ist das Recht suspendiert. Wenn der Maßnahmenstaat die Zuständigkeit nicht an sich zieht, darf der Normenstaat herrschen. Die Grenzen des Maßnahmenstaates werden ihm nicht von außen gesetzt; sie liegen in der Selbstbeschränkung, die sich der Maßnahmenstaat auferlegt. Diese Selbstbeschränkung des Maßnahmenstaates ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis des Doppelstaates.«58 Die jüdische Gewerbetätigkeit bildet für das Fraenkelsche Modell des Doppelstaates einen interessanten Grenzfall, denn während die Behandlung der deutschen Juden als solche eine genuin politische Angelegenheit darstellte, waren der Sphäre des »Maßnahmenstaates« doch in 57 Eidesstattliche Versicherung Ludwig und Magdalena Ulmann, 8.7.1954, HStAW, Abt. 518, 40479, Bd. 1, Bl. 23–27. 58 Fraenkel, Doppelstaat, S. 114; vgl. zeitgenössisch auch Forsthoff, S. 46.

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der Wirtschaft notwendigerweise Grenzen gesetzt.59 Es erscheint daher sinnvoll, der Frage nachzugehen, in welchen Teilbereichen des Wirtschaftslebens sich jüdische Unternehmen aus welchen Gründen im Fokus der NS-Politik befanden und wie sich die Aufgabe der »Selbstbeschränkung« des Regimes in diesen Fällen auswirkte. In einer solchen Perspektive fällt zuerst das Segment der Großunternehmen ins Auge. Die großen unter den als »jüdisch« geltenden Aktiengesellschaften haben in der Forschung zur »Arisierung« besonderes Interesse gefunden. Ihre Geschichte hat allerdings wenig gemein mit dem Schicksal der Masse von mittleren und kleineren jüdischen Unternehmen. Dies hängt nicht zuletzt mit den Spezifika der Betriebsform zusammen: Aktiengesellschaften zeichnen sich bekanntlich durch eine mehr oder weniger ausgeprägte strukturelle Trennung von Management und Unternehmensbesitz aus. Der Begriff dessen, was die Nationalsozialisten als »jüdisches Unternehmen« betrachteten, wird deswegen hier besonders undeutlich. Die jüdischen Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte in deutschen Aktiengesellschaften galten den NS-Anhängern seit jeher als Ikonen des »jüdischen Finanzkapitals« und standen daher nach der Machtübernahme von Anfang an auf besondere Weise im Fokus antisemitischer Politik. Aktiengesellschaften, in denen Juden exponierte Stellungen einnahmen, liefen immer Gefahr, als »jüdische Unternehmen« betrachtet und angegriffen zu werden.60 Oftmals allerdings wiesen auch größere Aktiengesellschaften noch klare Merkmale von Familienunternehmen – aus denen sie meist entstanden waren – auf, in denen sich sowohl das Aktienkapital als auch die Betriebsleitung in den Händen von Angehörigen befanden. Dies war zum Beispiel bei der H. Fuld & Co. Telefonbau und Telegrafenwerke AG der Fall, so dass sich hier wie in anderen Fällen eine Mischform aus Verdrängung und Besitztransfer einstellte. Als Deutsche Privat Telephon Gesellschaft war das Unternehmen im Jahr 1899 von Harry Fuld gegründet worden.61 Bis zum Jahr 1932, als der Gründer verstarb, hatte es sich zu einem verwickelten Konzern mit zahlreichen Neben- und Tochtergesellschaften entwickelt. Die Fuld AG stellte Telephonanlagen her, die an Privatnutzer vermietet und mit dem öffentlichen Fernsprechnetz verbunden wurden. Das Aktienkapital von 4 Mio. RM befand sich 1932 noch zu 64 Prozent im Besitz der Fuld-Familie, weitere 12  Prozent hielten vier nicht zur Familie gehörende jüdische Vorstandsmitglieder. Vor diesem Hintergrund ließ sich das Unternehmen trotz seiner unübersichtlichen Konzernstruktur leicht als »jüdisches Unternehmen« wahrnehmen. Unmittelbare Gefahr drohte dem Unternehmen, weil der Zugang zum öffentlichen Fernsprechnetz von der Genehmigung des Reichspostministeriums abhängig war und damit eine direkte staatliche Zugriffsmöglichkeit bestand. So sahen sich die jüdischen Akteure schon in den ersten Tagen des Umbruchs zu präventiven Maßnahmen 59 Fraenkel, Doppelstaat, S. 141–149. 60 Vgl. Ziegler, Verfolgung, S. 26. 61 Chronik der Familie Herz Salomon Fuld, LBI NY, ME 164.

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ge­zwungen. Noch im März 1933 verkauften die Angehörigen der Fuld-Familie einen Großteil ihrer Aktienanteile an mehrere nicht-jüdische Aktionäre, die dem Unternehmen auch zuvor bereits eng verbunden gewesen waren, darunter namentlich das Vorstandsmitglied Carl Lehner. Weil der Zugang zu öffentlichen Aufträgen und die Kooperation mit der Deutschen Reichspost für den Konzern überlebenswichtig waren, steuerte die Unternehmensleitung von Anfang an einen offensiven Kurs der Strukturanpassung. In den Jahren 1933 bis 1935 beauftragte sie mehrmals auswärtige Stellen damit, die Umgestaltungsmaßnahmen im Konzern einer Überprüfung zu unterziehen, so im Mai 1933 die Frankfurter IHK sowie im Jahr 1934 die hessische Gauleitung. Ende 1935 legte die Deutsche Revisions- und Treuhand AG einen weiteren umfangreichen Prüfungsbericht über die »Gleichschaltung« des Konzerns vor, dessen Muttergesellschaft einige Monate zuvor in Telefonbau und Normalzeit AG umbenannt worden war.62 Der Bericht konzentrierte sich auf vier Bereiche: die Verminderung des jüdischen Kapitalanteils, die Ausschaltung von Juden aus der Konzernleitung, den Abbau jüdischer Angestellter sowie die Entfernung des Gründernamens aus dem Konzern mit seinen zahlreichen Tochtergesellschaften.63 Was den Kapitalbesitz anging, hatten bereits die Verkaufstransaktionen im März 1933 den jüdischen Anteil von 76 Prozent abrupt auf nur noch 28 Prozent gesenkt, wovon sich 16 Prozent weiterhin im Besitz der Fuld-Familie befanden. Diese Fuld-Anteile wurden 1934 von der Muttergesellschaft und einer Tochtergesellschaft gegen einen Kaufpreis von 220.000 RM sowie eine hohe lebenslängliche Rente erworben (so dass der Kaufpreis auf etwa 1,7 Mio. RM zu taxieren war). Die übrigen 12 Prozent der ausgeschiedenen jüdischen Vorstandsmitglieder wurden unter Treuhandschaft einer Tochtergesellschaft gestellt. Insgesamt wurden über 8,5 Mio. RM für den Ankauf des jüdischen Aktienkapitals aufgewandt.64 Fast alle jüdischen Vorstandsmitglieder waren im Frühjahr 1933 ausgeschieden, erhielten aber auf weitere fünf Jahre ihre vollen monatlichen Bezüge.65 Von den 267 jüdischen Angestellten, die 1933 noch 7 Prozent der Belegschaft repräsentiert hatten, waren im November 1935 noch 49 im Unternehmen verblieben. Der Name Fuld war aus allen Firmennamen des Konzerns entfernt worden.66 Wenn der Konzern durch diese Maßnahmen in der Sicht der Prüfer nunmehr als »arisch« gelten konnte, merkten diese doch kritisch an, dass die Umgestaltung eine erhebliche Verschuldung des Konzerns gegenüber jüdischen Personen mit sich gebracht hatte, denn die Witwe Fuld wie die jüdischen Vorstände besaßen auf Jahre hinaus umfangreiche finanzielle Ansprüche. Des Weiteren hatte 62 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft Berlin über die Nachprüfung der Gleichschaltungsmaßnahmen im früheren Fuld-Konzern, 9.12.1935, BAL, R 8135, 4907. 63 Ebd., Bl. 9. 64 Ebd., Bl. 9–21. 65 Ebd., Bl. 22 f. 66 Ebd., Bl. 33–42.

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sich der Ankauf der Aktien nur durch die Auflage einer Obligationsanleihe finanzieren lassen: »Die Gleichschaltung ist also mit einer wesentlichen Minderung der Finanzkraft des Konzerns erkauft worden.«67 Dass die Anteile nur von Mitarbeitern oder dem Unternehmen übernommen werden sollten, hatte Harry Fuld testamentarisch verfügt, dem Engagement externer Geldgeber standen daher rechtliche Schwierigkeiten entgegen. Doch dass sich die Übernahmekonditionen für die ausscheidenden jüdischen Beteiligten einigermaßen großzügig ausnahmen, erweckte Kritik bei den Prüfungsinstanzen und führte dazu, dass aus Kreisen der Konkurrenz weiterhin Front gegen den Konzern als jüdisches »Tarnunternehmen« gemacht wurde.68 Auch das wird dazu beigetragen haben, dass das Unternehmen 1936/37 in den Fokus devisenrechtlicher Ermittlungen wegen des Verdachts verdeckter Leistungen an die im Ausland befindlichen ehemaligen Aktionäre und Vorstände geriet und schließlich mit einer hohen Strafzahlung belegt wurde. Doch auch als im Jahr 1937 die Aktiengesellschaft in die Kommanditgesellschaft Telefonbau & Normalzeit Lehner & Co umgewandelt wurde, blieb der unter Treuhandschaft stehende jüdische Aktien­ anteil noch erhalten. Erst 1938 wurde dieser letzte verbliebene »jüdische Einfluss« ausgeschaltet.69 Der Prozess des völligen Übergangs in nicht-jüdischen Besitz vollzog sich im Falle der H. Fuld AG über einen Zeitraum von 1933 bis 1938 und in einer Vielzahl von Unterschritten. Von »Arisierung« war dabei zunächst nicht die Rede, sondern von »Gleichschaltung«. Das verdeutlicht zum einen, dass sich der Übergang jüdischen Unternehmensbesitzes in nicht-jüdische Hände in den ersten Jahren des NS-Regimes in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht als ein spezifisches Phänomen herausgebildet hatte, sondern als Teil der übergreifenden Umwälzungen im Zuge der Machtübernahme begriffen wurde. Zum anderen deutet die Begriffsverwendung darauf hin, dass Großunternehmen mit jüdischer Beteiligung für das NS-Regime ein Politikum sui generis darstellten und nicht nur aus antisemitischen Motivlagen allein auf diese zugegriffen wurde. Immer ging es dabei auch um Fragen von Macht und wirtschaft­ lichem Einfluss, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass oftmals Parteiakteure der Reichs- und Gauebene an solchen Übernahmevorgängen beteiligt waren. Im Falle des Fuld-Konzerns trat Gauwirtschaftsberater Karl Eckardt in den Aufsichtsrat ein, der später auch bei der Übernahme der Frankfurter Schuhfabrik J. & C. A. Schneider im Jahr 1938 eine entscheidende Rolle spielen sollte und als Generaldirektor und Betriebsführer die Leitung dieses Unternehmens gleich selbst übernahm.70 Politische und persönliche Interessen, Einflusssicherung und Korruption gingen bei den Übernahmen in der Großindustrie typischerweise eng zusammen. 67 Ebd., Bl. 38. 68 Hierzu Meinl. 69 Meinl/Zwilling, S. 103–105. 70 Hierzu Ludwig, S. 226–231.

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Für die Herrschaftssicherung entscheidend und deswegen ebenfalls in besonderer Weise den Umgestaltungsmaßnahmen des NS-Regimes ausgesetzt, war der Bereich der Medienwirtschaft. Während die berufliche Tätigkeit in dieser Branche über die von Propagandaminister Joseph Goebbels geleitete Reichskulturkammer und die angeschlossenen Kammern reglementiert und politisch kontrolliert wurde, ging der parteieigene Eher-Konzern unter der Leitung von Max Amann im Verlauf der NS-Herrschaft dazu über, die deutsche Verlagswirtschaft durch systematische Zukäufe, die bisweilen offenen Enteignungen gleichkamen, zu dominieren und zu zentralisieren.71 Es war mithin auch hier eine doppelte Gefährdung, der sich ein so renommiertes Unternehmen wie die Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH, die unter anderem die weit über die Reichsgrenzen bekannte Frankfurter Zeitung herausgab, ausgesetzt sah. Kaum ein anderes Presseorgan war den Nationalsozialisten politisch so verhasst, der Ruf des Blattes strahlte sogar auf das gesamte Image der Stadt Frankfurt aus, die in nationalistischen Kreisen auch als »Stadt der Frankfurter Zeitung« verschrien war.72 Dass das Blatt unter den Bedingungen des NS-Regimes weiterhin als das Sprachrohr eines demokratischen Liberalismus würde fortexistieren können, war von vornherein ausgeschlossen. Tatsächlich setzte die Reichsregierung die Zeitung unmittelbar nach der Machtübernahme unter Druck, wobei sich dieser zunächst vor allem gegen die Beteiligung der jüdischen Gruppe Simon-Sonnemann richtete, welche die Angehörigen und Nachkommen des Gründervaters Leopold Sonnemann repräsentierte. Diese hielt 1933 von dem Gesellschaftskapital in Höhe von nominell 2 Mio. RM 51 Prozent, während sich der Rest im Besitz der Firma Imprimatur GmbH befand, deren Eigentümer Wendelin Hecht auch an der Verlagsleitung beteiligt war.73 Die jüdischen Akteure sahen sich im Mai 1934 gezwungen, aus dem Unternehmen auszuscheiden, und übertrugen ihre Anteile unentgeltlich auf die übrigen Gesellschafter unter Führung von Hecht.74 Auch dieser Vorgang trägt Züge einer gleitenden Strukturanpassung, denn die jüdischen Brüder Kurt und Heinrich Simon blieben weiterhin insofern an dem Unternehmen beteiligt, als für sie vertraglich eine jährliche Zahlung von zusammen 12.000 RM vorgesehen war. Diese Zahlungen liefen offenbar noch bis 1937 weiter und mussten dann eingestellt werden. Der Übergang in nicht-jüdischen Besitz war somit ein gleitender Prozess. Dennoch konnte der Makel des »jüdischen Unternehmens« zunächst insoweit abgestreift werden, als die Frankfurter Zeitung der Vereinnahmung durch den nationalsozialistischen Presseapparat entging, in den folgenden Jahren betriebswirtschaftlich unabhängig blieb und unter Duldung des Regimes eine 71 Abel, S. 1–13; Hale. 72 Giese, S. 298. 73 Die Besitzverhältnisse waren das Ergebnis der Sanierung des Zeitungsverlages seit 1929; hierzu genauer Gillessen, S. 46–60 sowie Wirthle, S. 19–40. 74 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 28.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 5787, Bl. ­74–83.

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moderate Oppositionshaltung kultivieren konnte.75 Dabei blieb das Blatt aber immer ein Dorn im Auge der NS-Führung und konnte sich seiner Stellung nie sicher sein. Im April 1939 schritt Reichsleiter Max Amann schließlich doch zu einer faktischen Enteignung: Einen Tag vor Hitlers Geburtstag forderte er die Verlagsleitung ultimativ zum Verkauf auf, in den diese in den frühen Morgenstunden einwilligte. Gegen eine Entschädigung von knapp 3 Mio. RM ging das Unternehmen daraufhin in den Besitz der Vera-Verlagsanstalt, einer Tochtergesellschaft des Eher-Verlages, über und wurde von Amann gleich darauf Hitler als ein Geburtstagsgeschenk symbolisch übereignet. Ungeachtet dieses bizarren Aktes wechselten sich de facto in den folgenden Jahren mehrere Eher-Tochtergesellschaften als Eigentümer ab. 1944 wurde das Unternehmen – nachdem die Frankfurter Zeitung eingestellt worden war – in Frankfurter Verlag und Druckerei GmbH umbenannt.76 Auch im Falle der Frankfurter Zeitung kamen antisemitische und politische Verfolgung zusammen, richteten sich aber in klar abgrenzbaren Einzelschritten gegen das Unternehmen, wobei für die endgültige Enteignung die politische Nonkonformität ausschlaggebend war. Im Falle der jüdischen Filialunternehmen war dieses Verhältnis eher umgekehrt: Im Lichte mittelstandspolitischer Überzeugungen eine unerwünschte Erscheinung, wurden diese vor allem aufgrund des Etiketts »Jüdisches Unternehmen« zum Opfer von Diskriminierungs- und Repressionsmaßnahmen, während Übergriffe auf Filialunternehmen in nicht-jüdischem Besitz trotz der eindeutigen Programmlage und entgegen der Stimmung der unteren NS-Anhängerschaft nur selten und in Frankfurt offenbar gar nicht vorkamen.77 Allerdings sorgte das Zusammenwirken von antisemitischen und mittelstandspolitischen Impulsen dafür, dass die als »jüdisch« angefeindeten Frankfurter Unternehmen besonders früh ins Fadenkreuz der Verfolgung gerieten und ihre Übernahme immer von politischen Eingriffen bestimmt wurde. Die jüdischen Filialunternehmen waren wichtige wirtschaftliche Größen, die Hunderte von Arbeitsplätzen bereitstellten, an deren Wegfall den nationalsozialistischen Machthabern keineswegs gelegen sein konnte. Auf diesen Umstand zielte eine Initiative der Inhaber der Firma Schade & Füllgrabe AG, denen es gelang, die betriebseigene NSBO-Zelle für eine Protestaktion bei der NS-Führung einzuspannen. Im September 1933 protestierte die Zellenleitung beim Leiter der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley gegen die fortdauernden Boykott­ aktionen und verwies darauf, dass durch sie die Existenz von 700 Angestellten

75 Michalske. 76 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 8.5.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 5787, Bl. 22–32; Wirthle, S. 45 f. 77 Ein Beispiel hartnäckiger Angriffe von Parteiaktivisten gegen ein Bochumer Warenhaus, das ohne jede sachliche Grundlage über Jahre hinweg als »jüdisches Unternehmen« diffamiert wurde, schildert Kratzsch, S. 120–125.

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gefährdet würde.78 Tatsächlich war das Unternehmen eines der bedeutendsten der deutschen Lebensmittelbranche; es verfügte 1932 über mehr als 180 Filialen in Frankfurt und dem Umland sowie in Leipzig, wo eine gleichnamige Tochtergesellschaft bestand. Im Frankfurter Stadtgebiet befanden sich 52 Filialen. Die Anteile des 1923 in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmens waren fast vollständig im Besitz der verschwägerten Kaufleute Lenor Helft und Julius Halberstadt, dessen Vater es 1887 von den ursprünglichen Gründern erworben und zur Feinkostkette ausgebaut hatte.79 Auch die Firma Schade & Füllgrabe verzeichnete in den ersten Jahren seit der Machtübernahme nachhaltige Umsatzrückgänge, die eine Fortexistenz als »jüdisches Unternehmen« unter den Bedingungen des Nationalsozialismus als unrealistisch erscheinen ließen. Vor diesem Hintergrund entschlossen sich die jüdischen Eigentümer frühzeitig zum Verkauf. Im Mai 1936 übernahm die Firma Wilhelm Werhahn aus Neuss das gesamte Aktienkapital von nominell 1 Mio. RM zu einem Kaufpreis von etwa 2,17 Mio. RM. Obwohl diese Übernahme, mit der sich das Unternehmen Werhahn strategisch vergrößerte, kaum auf der Linie der NS-Mittelstandspolitik gelegen haben dürfte, erteilte der Frankfurter Oberbürgermeister nach längerer Prüfung im Juli 1937 die Genehmigung für die Übernahme der Frankfurter Filialen nach dem Einzelhandelsschutzgesetz.80 Lediglich eine einzelne Filiale in der Eckenheimer Landstraße war von dieser Genehmigung ausgenommen, weil sie bereits 1935 auf Druck der lokalen NSDAP-Ortsgruppe aufgelöst worden war und damit eine Neuerrichtung vorgelegen hätte, für die vorgeblich kein Bedürfnis bestand. Dies führte zu einer kurzen absurden Episode, als sich der Eigentümer des Hauses darüber beschwerte, dass das Ladenlokal weiterhin leerstünde. Die Ortsgruppe, die vorher die Schließung der Filiale erzwungen und dem Hauseigentümer damit nicht eben einen Gefallen getan hatte, sprang nun dem Petenten bei und beteuerte, dass an dieser Stelle doch ein Bedürfnis für ein Lebensmittelgeschäft bestehe. Daraufhin wurde die Genehmigung auch für diese Filiale erteilt.81 Während es in diesem Fall die zuständigen Genehmigungsbehörden nicht vermochten, mittelstandspolitische Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, verlief die Entwicklung im Falle der etwas kleineren Feinkostkette Witwe Hassan, hinter der die offene Handelsgesellschaft Mayer & Sommer agierte, etwas verwickelter. 1878 gegründet, verfügte das Unternehmen über 36 Filialen in Frankfurt und der näheren Umgebung. Gesellschafter waren die beiden jüdischen Kaufleute Alfred Mayer und Julius Sommer. Ebenfalls von Boykotten betroffen, entschlossen diese sich 1936 zum Verkauf. Ein Vertrag mit der Le78 NSBO-Zellenleitung in Fa. Schade & Füllgrabe AG an Robert Ley, 22.9.1933, BAL, R 3101, 13860, Bl. 231 f. 79 Bericht über eine Devisenprüfung im April 1936, HStAW, Abt. 519/3, 37894. 80 OB Krebs an Fa. Wilhelm Werhahn, 6.7.1937, IfS, Magistratsakten, 7340, Bl. 324. 81 Die Dokumente hierzu ebd., Bl. 314 ff.

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bensmittelkette Kaisers Kaffeegeschäfte mit Sitz in Viersen vom März des Jahres wurde allerdings nur in Teilen genehmigt. Statt sämtliche Filialen sollte die Firma Kaisers nur 14 übernehmen; tatsächlich waren es schließlich elf. Die restlichen Filialen wurden an verschiedene andere Unternehmen und Personen verkauft. So erwarb die Firma Emmericher Warenexpedition 1937 sieben Filialen, die sie allerdings schon im nächsten Jahr an die Firma Bayerisches Schokoladenhaus weiterverkaufte. Diese hatte wiederum Ende 1936 schon acht Filialen auf direktem Wege erworben und damit ihr schon bestehendes Filialnetz von 67 Filialen merklich vergrößert. Auch in diesem Fall waren die Versuche der Genehmigungsbehörden, eine weitere Ausweitung bestehender Filialbetriebe im Zuge der »Arisierung« einzudämmen, nur begrenzt erfolgreich. Vielmehr konnten zwei bereits etablierte Konzerne durch die Übernahme jüdischer Unternehmen die Expansionshemmnisse überwinden, die ihnen das Einzelhandelsschutzgesetz bereitete. Ausgerechnet die Firma Kaisers Kaffeegeschäfte, die im Reichsgebiet bereits weit über 1.000 Filialen besaß und deren Ausdehnungsbestrebungen 1933 durch den Frankfurter Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes auf das Heftigste bekämpft worden waren,82 kam zum Zuge. Nach diesen Verkäufen verblieben den jüdischen Inhabern noch mehrere Filialen, von denen sie einige 1938 an verschiedene Frankfurter Einzelpersonen verkauften. Vier Ladengeschäfte waren im November noch nicht verkauft und fielen den Zerstörungen des Pogroms zum Opfer. Die Firma Mayer & Sommer wurde seit Dezember von einem staatlichen Abwickler liquidiert.83 Hieraus ergibt sich ein etwas anderes Bild als jenes, das Frank Bajohr in seiner Darstellung der Hamburger Entwicklungen gezeichnet hat.84 In den dort beschriebenen Fällen, die sich alle in der zweiten Hälfte des Jahres 1938 ereigneten, wurden die jüdischen Filialbetriebe allesamt zerschlagen, in Einzelhandelsgeschäfte aufgegliedert und zahlreiche Filialen liquidiert. Allerdings handelte es dabei in der Mehrzahl um Unternehmen mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Filialen (zwischen 3 und 18). Aus dem Vergleich erhellt sich zum einen, dass die Handlungsspielräume der unteren Genehmigungsbehörden bei größeren Unternehmen gering waren. Gegen den mächtigen Werhahn-Konzern, dessen Begründer Wilhelm Werhahn Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank AG war und über gute Verbindungen zum Reichswirtschaftsministerium verfügte, konnten die lokalen Instanzen nichts ausrichten.85 Einen Genehmigungsantrag hatte das Unternehmen erst mit großer Verspätung überhaupt gestellt. Die Frankfurter IHK, die noch 1938 die weitere Expansion des Unternehmens in Frankfurt zu verhindern versuchte, erhielt vom RWM die Weisung, in die82 Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes an OB Krebs, 28.4.1933, IfS, Magistratsakten, 7379. 83 Eidesstattliche Erklärung Helen Sommer, 12.1.1953, HStAW, Abt. 518, 30317, Bl.  17–24; HWA, Firmenkartei IHK Ffm., Karte »Mayer & Sommer«, Eintrag vom 24.12.1938. 84 Bajohr, Arisierung, S. 241–250. 85 Zum Werhahn-Konzern anekdotisch Engelmann, S. 168–189.

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sem Fall keine weiteren Bedürfnisprüfungen mehr vorzunehmen.86 Zum anderen wird offensichtlich, dass, nachdem der mittelstandspolitische Überschwang des Jahres 1933 verflogen war, sich der Druck auf jüdische Filialbetriebe in den folgenden Jahren zunächst verringerte, im Jahr 1938 allerdings  – und vor allem nach dem Novemberpogrom  – wieder deutlicher zutage trat. Das RWM scheute nun vor der Zerschlagung auch größerer Filialunternehmen nicht zurück, hielt dabei allerdings keine erkennbare Linie ein, was nicht zuletzt einem vor allem durch Hermann Göring betriebenen Nepotismus geschuldet war, der sich immer wieder gegenüber der politischen Programmatik in den Vordergrund schob.87 In denjenigen Wirtschaftsbranchen, die sich in ihrer Gesamtheit im Fokus der NS-Politik befanden, wurden die jüdischen Unternehmer vergleichsweise rasch ausgeschaltet und verdrängt. In der Regel waren dies Branchen, die einer staatlichen Reglementierung und Konzessionierung unterworfen waren, so dass sich Einfallstore für antisemitisches Handeln boten. Im Bereich der Kultur- und Medienwirtschaft kam noch hinzu, dass die kulturelle Betätigung von Juden radikalnationalistischen und antisemitischen Kreisen seit jeher ein besonderes Ärgernis war und dass dieser Sektor in den Kompetenzbereich des Propagandaministers Joseph Goebbels eingegliedert wurde, der sich die Verdrängung von Juden aus der deutschen Kultur zu einer ganz persönlichen Aufgabe gemacht hatte. Das erste Kulturkammergesetz enthielt als solches keinen »Arierparagraphen«. Wenn Juden aus ihren kulturellen Berufen ausgeschlossen wurden, geschah dies zumeist über die einzelnen Fachverbände, von denen viele analog zum Berufsbeamtengesetz verfuhren. Da sich das institutionelle Gefüge der NS-Kulturverwaltung erst allmählich herausbildete, konnten aber viele Juden zunächst weiterhin in ihren Berufen und Unternehmen tätig sein. Seit 1934/35 erarbeiteten die der Reichskulturkammer angeschlossenen Kammern Listen nichtarischer Mitglieder zur späteren Verwendung, seit 1935/36 erfolgte schließlich ihre systematische Verdrängung, von der es nur in Einzelfällen noch temporäre Ausnahmen gab.88 Auf der Mikroebene einzelner Unter­nehmen wirkte sich diese Entwicklung unterschiedlich aus. Im Fall des Kunstverlages Schwarz & Co. erhielt der jüdische Inhaber Karl Schwarz 1933 zunächst im Zuge der automatischen Eingliederung die Mitgliedschaft seines Fachverbandes in der Reichskulturkammer. Im Verlauf der Überprüfung der Mitglieder wurde er jedoch Ende 1935 wieder ausgeschlossen und war damit zur Führung seines Unternehmens nicht mehr berechtigt.89 Der Aufforderung der Reichskammer der bildenden Künste zur baldestmöglichen Veräußerung des Betriebes 86 HWA, Firmenkartei IHK Ffm., Karte »Schade & Füllgrabe«, Einträge vom August 1936, 28.4.1938 und 17.3.1939. 87 Vgl. auch Aly/Sontheimer, S. 81–109. 88 Steinweis, S. 104–120. 89 RA Wertheimer an AVW, 22.2.1949, HStAW, Abt. 460, 1 WiK 426.

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kam Karl Schwarz, obwohl er mit einigen Interessenten Verhandlungen führte, zunächst nicht nach und nutzte seinen Handlungsspielraum aus. Die Kammer hatte keine Frist zur Veräußerung gestellt, »um jede Erschütterung der Wirtschaft zu vermeiden und die Gefahr einer Verschleuderung zu bannen.«90 Dort sorgte man sich zum einen um die zwanzigköpfige Belegschaft; zum anderen bestand großes Interesse an der Erhaltung des Betriebes, weil dieser sich auf die Herstellung religiöser und weltlicher Kunstblätter spezialisiert hatte und eine der wenigen deutschen Kunstdruckereien war, die auch erfolgreichen Exporthandel betrieben. Karl Schwarz ließ gegenüber den Kulturfunktionären durchblicken, dass er sich durchaus auch eine Liquidation des Unternehmens vorstellen könne. Das vergleichsweise behutsame Vorgehen der Reichskammer, die lediglich von Zeit zu Zeit Ermahnungen aussprach und sich über Verhandlungen informieren ließ, erklärt sich aus dem Bestreben, dies zu verhindern, ohne über ein konkretes Druckmoment zu verfügen, Karl Schwarz zur Erhaltung des Unternehmens zu bewegen. Auf diese Weise zog sich der Sondierungsprozess noch eine Zeitlang hin, ehe sich der jüdische Inhaber einem letzten Ultimatum zum 15. Februar 1937 fügte und das Unternehmen wenige Tage vor Ablauf für knapp 50.000 RM an das Inhaberehepaar eines Dresdner Verlagsbetriebes verkaufte. Eine vertraglich vereinbarte Umsatzvergütung über fünf Jahre musste später auf parteiamtlichen Druck gegen eine Zahlung von weiteren 10.000 RM abgelöst werden.91 Kein Interesse an einer Erhaltung zeigten die zuständigen Kammerfunk­ tionäre hingegen im Falle der Buchhandlung Goldberger & Co., deren Inhaber Siegfried Goldberger am 18. März 1936 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und zur Liquidation seines Geschäftes bis zum 30. April des Jahres aufgefordert worden war. Da er diese kurze Frist nicht einhielt, verlängerte die Kammer sie stillschweigend bis zum 31. März 1937, brachte sich aber immer wieder in Erinnerung, bis der Betrieb im Laufe des Jahres 1937 eingestellt wurde.92 In der Apothekerbranche waren es gesetzliche Maßnahmen, die zur Ausschaltung der jüdischen Betriebsinhaber führten und diesen kaum Ausweichmöglichkeiten ließen. 1933 waren trotz anderslautender Forderungen jüdische Apotheken zunächst nicht von den Kassenlieferungen ausgeschlossen worden; die Stadt Frankfurt entschloss sich im August 1933, bis zu einer reichsgesetzlichen Regelung den mit der Standesvertretung deutscher Apotheker geschlossenen Vertrag auch auf die fünf Apotheken in jüdischem Besitz auszudehnen.93 Mit der ersten Verordnung zum Gesetz über die Verpachtung und Verwal90 Reichskammer der bildenden Künste an Treuhänder der Arbeit Hessen-Nassau, 14.3.1936, ebd. 91 RA Wertheimer an AVW, 22.2.1949, ebd. 92 Reichsschrifttumskammer an Siegfried Goldberger, 21.12.1936, HStAW, Abt. 518, 54472, Bl. 3. 93 Beschluss des Magistrats Nr. 757, 30.8.1933, IfS, Magistratsakten. Protokolle, P 175.

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tung öffentlicher Apotheken vom 26. März 1936 schloss schließlich die Reichsregierung im § 3 Juden als Pächter solcher Apotheken aus und verhängte über sie einen Verpachtungszwang mit Frist zum 1.  Oktober 1936. Dies bedeutete ein faktisches Berufsverbot für jüdische Apotheker.94 Vehemente Proteste der Reichsvertretung der Juden in Deutschland blieben erfolglos.95 Alle fünf betroffenen Apotheken wurden daraufhin im Laufe des Jahres 1936 an nicht-jüdische Erwerber verkauft. Der gesetzliche Rahmen sorgte für einen raschen und in allen Einzelfällen gleichförmigen Prozessverlauf. Kaum mit den Makroentwicklungen der NS-Verfolgungspolitik in direkte Korrelation lassen sich die immer wieder vorkommenden punktuellen Übergriffe unterschiedlicher Verfolgungsbehörden gegen einzelne jüdische Unternehmer bringen, mit denen diese zur Aufgabe ihrer Geschäftstätigkeit gezwungen wurden. Die Konstellation der beteiligten Akteure variierte dabei ganz erheblich, doch griffen hierbei typischerweise die Verfolgungsmaßnahmen verschiedener Stellen ineinander. Der Fall der Firma Frankfurter Fleischhallen Emil Hirschmann ist hierfür ein frühes Beispiel. Das Unternehmen war im Importhandel von Fleisch­ waren und Fetten tätig, hatte aber seinen Schwerpunkt in mehreren Metzgereibetrieben im Frankfurter Stadtgebiet. Inhaber waren der Metzgermeister Emil Hirschmann, seine Frau Recha sowie die beiden Söhne Otto und Ernst Hirschmann. Otto Hirschmann wanderte 1931 in die Niederlande aus und eröffnete dort eine eigene Metzgerei. Was die Motive für seine Emigration waren, ist aus den Quellen nicht ersichtlich, aber wichtig für die folgenden Vorgänge ist, dass sich der nationalsozialistische Antisemitismus für die jüdischen Betreiber bereits vor der NS-Machtübernahme manifestierte und sich auf die Betriebsabläufe auswirkte. Als 1932 ein Lehrling in SA-Uniform im Betrieb erschien, wurde er fristlos entlassen. Im gleichen Jahr häuften sich Vorfälle antisemi­ tischer Pöbeleien von Kunden in dem Geschäft, bei denen sie sich über angebliche hygienische Mängel und verdorbene Ware beschwerten.96 Emil und Recha Hirschmann hatten sich infolge dieser Vorkommnisse bereits ein wenig aus der Geschäftsführung zurückgezogen und im Dezember 1932 eine längere Urlaubsreise angetreten. Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, hielt der verbliebene Ernst Hirschmann die Situation bereits für so bedrohlich, dass er seinen Eltern telephonisch dringend davon abriet, nach Deutschland zurückzukehren. Diese begaben sich daraufhin zu ihrem Sohn Otto nach Amsterdam, um den Lauf der Dinge abzuwarten. Im Laufe des 94 VO zum Gesetz über die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken vom 26.3.1936, RGBl. I, S. 317; vgl. Leimkugel, S. 61–65 und Hell, S. 66–74, die jedoch beide die Hintergründe der Verordnung nicht erhellen. 95 Reichsvertretung an RdI, 17.4.1936, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3291, Bl. 228–231; Memorandum: Darlegung der schädlichen Einwirkungen der Anordnung des Verpachtungszwanges für jüdische Apothekenbesitzer, 8.4.1936, ebd., Bl. 271–280 (CAHJP, M2/8817). 96 Eidesstattliche Versicherung Ernest Hirschmann, 6.5.1963, HStAW, Abt. 518, 16480, Bl. ­43–45.

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Monats März folgte schließlich auch Ernst Hirschmann, so dass sich die gesamte Inhaberfamilie im Ausland befand.97 Das sprach sich offenbar in den Kreisen der Frankfurter Metzger rasch herum. Auf geradezu bizarre Weise setzte sich infolgedessen die Verfolgungs­ spirale in Gang: Beim samstagabendlichen Besuch einer Kneipe belauschte ein Beamter des Steueraußendienstes am 25. März 1933 zufällig das Gespräch einiger Metzgermeister, die sich über Emil Hirschmann unterhielten. Diesem Gespräch glaubte er entnehmen zu können, dass sich noch am selben Abend der Geschäftsführer und der Buchhalter des Betriebes in Richtung Niederlande aufmachen wollten, um die laufenden Einnahmen an den Inhaber zu überbringen.98 Der eifrige Beamte setzte daraufhin alles in Bewegung, um diesen Vermögenstransfer zu verhindern und verständigte noch spätabends telephonisch eine Reihe von Behörden, einschließlich des Polizeipräsidiums. Tatsächlich wurden mit Unterstützung mehrerer Kriminalbeamter im abfahrbereiten Nachtzug nach Amsterdam drei Angestellte der Frankfurter Fleischhallen dingfest gemacht, die mit ihrem Gepäck derart eingehend untersucht wurden, dass zwei von ihnen erst mit dem nächsten Zug aufbrechen konnten.99 Die Durchsuchung verlief allerdings ergebnislos. Zu dieser Aktion der Steuerbehörden war es auch gekommen, weil die Frankfurter Fleischhallen dort bereits seit November 1932 als Überwachungsfall geführt wurden, nachdem man sich vergeblich um die Überweisung des Kapitalanteils des ausgeschiedenen Otto Hirschmann in die Niederlande bemüht hatte.100 Die Beamten der Devisen- und Steuerbehörden nahmen den Fall aber rasch in den Schemata der antisemitischen Verfolgungspolitik wahr. So schien es ihnen eine ausgemachte Sache, dass Emil Hirschmann versuchen würde, unter Umgehung der Devisenvorschriften Kapital ins Ausland zu transferieren. Ebenso sicher schien es, dass dieser versuchen würde, seinen umfangreichen Grundbesitz in Frankfurt mit ausländischen Hypotheken zu belasten; beim Amtsgericht wurde daher die Sperrung der Grundbucheintragungen veranlasst.101 Die Behörden suchten Hirschmann auf diese Weise alle denkbaren Wege zu verbauen, auf sein inländisches Vermögen zuzugreifen. Die zuständige Devisenstelle verweigerte aufgrund angeblich widersprüchlicher Angaben über seinen Auslandsaufenthalt sogar die Überweisung der keiner Genehmigungspflicht unterliegenden Freibeträge, womit sie selbst gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstieß.102 Ohne jede sachliche Grundlage wurde ein devisenstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Trotz des von den Behörden betriebenen Fahndungsaufwandes bestand das einzige Vergehen, auf das man 97 Ebd. 98 Aktenvermerk der Steueraußendienst-Zweigstelle, 27.3.1933, HStAW, Abt. 519/3, 37629, Bl. 9. 99 Aktenvermerk der Steueraußendienst-Zweigstelle, 26.3.1933, ebd., Bl. 12. 100 Aktenvermerk betr. Fa. Emil Hirschmann, 4.11.1932, ebd. 101 Steueraußendienst-Zweigstelle an Amtsgericht Ffm., 13.5.1933, ebd., Bl. 19. 102 Devisenstelle an Ernst Hirschmann, 19.6.1933, ebd., Bl. 26.

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überhaupt stoßen sollte, darin, dass der mit der Verwaltung der Mietshäuser beauftragte Angestellte ohne Genehmigung der Devisenstelle einer von Hirschmann bevollmächtigten Person den Betrag von 100 RM ausgehändigt hatte – was aber nur zu einer Verwarnung gegen den Verwalter führte.103 Diese gegen seine Person gerichteten Maßnahmen waren nicht dazu angetan, Emil Hirschmann zu einer Rückkehr in das Deutsche Reich zu motivieren, um seine Geschäfts- und Vermögensangelegenheiten selbst zu regeln. Wohnungseinrichtung und Hausrat der Familie hatte man bereits von einer Spedition verpacken und in die Niederlande transportieren lassen, was zu dieser Zeit noch möglich war. Auf den Gewerbebetrieb wirkte sich unterdessen die Abwesenheit sämtlicher Inhaber nicht eben förderlich aus. Von der Deutschen Arbeitsfront war nach dem Aprilboykott ein ehemaliger Angestellter der Frankfurter Fleischhallen als deren Treuhänder berufen worden.104 Dieser richtete das Geschäft in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zugrunde, so dass sich das Betriebsvermögen innerhalb weniger Wochen fast gänzlich verbrauchte. Emil Hirschmann wollte daraufhin den Betrieb, ehe es vollends zu spät war, liquidieren lassen.105 Dies traf sich allerdings nicht mit den Interessen der Frankfurter Verwaltung. Denn mittlerweile hatten sich die Angestellten der Fleischhallen an den neuen Oberbürgermeister gewandt und gegen eine Stilllegung protestiert, durch die über 30 Arbeitsplätze wegfallen würden. Angesichts der national­sozialistischen Aufbauversprechen für solche Klagen sensibel, setzte sich das städtische Wirtschaftsamt für einen Erhalt des Unternehmens ein.106 Schließlich konnte im Laufe des Monats Mai 1933 ein Verkauf an den Metzgermeister Fritz Abel angebahnt werden, der die Reste des Betriebes für 3.000 RM erwarb und die noch verbliebenen Angestellten übernahm.107 Die jüdischen Inhaber hatten auf diese Veräußerung von den Niederlanden aus keinen größeren Einfluss mehr nehmen können. Der Fall der Frankfurter Fleischhallen wirft damit ein weiteres grelles Licht auf die Aktivitäten der Devisenstellen und der Steuerfahndung, die schon in den ersten Wochen der NS-Herrschaft zu brachialen und gesetzwidrigen Maßnahmen gegen jüdische Unternehmer bereit waren. In einem anderen Fall waren es Maßnahmen der Gestapo, die zu Aufgabe und Verkauf eines Unternehmens führten. Die betroffene Firma Mitteldeutsche Lack- und Farbenfabrik GmbH war 1921 von dem jüdischen Kaufmann Berthold Haas erworben worden, der ihr als Geschäftsführer vorstand. Neben dem Handel mit chemischen Farben und Lacken wurde während der 1920er Jahre auch die eigene Herstellung dieser Produkte aufgenommen. Außer dem Frankfurter Firmensitz bestanden noch Standorte in München und Leipzig, die als 103 Devisenstelle an Herrn Schmitt, 24.7.1933, ebd., Bl. 33. 104 Eidesstattliche Versicherung Ernest Hirschmann, 6.5.1963, HStAW, Abt. 518, 16480, Bl. 43–45. 105 Louis Löwenstein an Devisenstelle, 28.8.1933, HStAW, Abt. 519/3, 37629, Bl. 40 f. 106 Aktenvermerk Steueraußendienst-Zweigstelle, 13.5.1933, ebd., Bl. 18. 107 Aktenvermerk Steueraußendienst-Zweigstelle, 18.5.1933, ebd., Bl. 21.

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eigene GmbHs geführt wurden, des Weiteren war die Gesellschaft eng mit der Handelsfirma A. M. Nussbaum verflochten, die Anfang 1933 in Liquidation trat und schließlich 1939 gelöscht wurde. Neben Berthold Haas war der ebenfalls jüdische Berthold Strauss als weiterer Gesellschafter an dem Unternehmen beteiligt. Aufgrund der mehrere Gesellschaften umfassenden Unternehmensstruktur ist die Rekonstruktion der Bilanzentwicklung erschwert. Während die Hauptgesellschaft ihre Umsätze seit 1932 von 86.000 RM auf 173.000 RM steigern und dieses Ergebnis auch in den folgenden Jahren annährend erhalten konnte, fällt der völlige Schwund der Auslandsumsätze seit 1935 auf, die zuvor bis zu einem Viertel des Gesamtumsatzes betragen hatten.108 Vor diesem Hintergrund scheinen sich unter den beiden Gesellschaftern unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft des Unternehmens herausgebildet zu haben. Bereits 1936 wollte Berthold Strauss den Betrieb veräußern und beauftragte ein Auskunftsbüro damit, mögliche Interessenten zu sondieren.109 Es kam zunächst jedoch zu keinem Verkauf. Strauss benötigte Mittel zur Vorbereitung seiner Emigration, und als er im Juli 1937 in die USA auswanderte, musste er seinen Kapitalanteil dem Finanzamt verpfänden, um auf diese Weise die fällige Reichsfluchtsteuer zu begleichen. Berthold Haas blieb hingegen in Deutschland und wollte die Gesellschaft allein weiterführen.110 Bald schaltete sich allerdings die Geheime Staatspolizei ein, möglicherweise, um die Realisierung des Erlöses aus dem der Reichskasse verpfändeten Kapitalanteil zu beschleunigen. Mehrmals wurde Berthold Haas in den folgenden Monaten in die Gestapo-Geschäftsstelle befohlen und dort über Stunden, zum Teil bis spät in die Nacht drangsaliert, das Geschäft aufzugeben und das Deutsche Reich zu verlassen. Körperlich zunehmend mitgenommen, hielt Berthold Haas diesen Quälereien eine ganze Weile stand und versteckte sich mehrmals, wenn Gestapo-Beamte ihn zu Hause aufsuchen wollten. In den überlieferten Briefen des Auskunftsbüros, das inzwischen den Kontakt mit zwei möglichen Kaufinteressenten in Bad Neuenahr hergestellt hatte, zeigt sich, dass vor allem die Ehefrau auf eine Veräußerung drängte, während Berthold Haas sich dazu noch immer nicht entschließen konnte.111 Um den Jahreswechsel 1937/38 wurde sein Widerstand schließlich gebrochen, nachdem er die gesamte Nacht in den Amts­räumen der Gestapo misshandelt und mit Konzentrationslagerhaft bedroht, sein Pass beschlagnahmt worden war.112 Vergleichsweise schnell erfolgte die Einigung mit den Kaufwilligen, die im Februar 1938 vertraglich festgehalten wurde. Für die Kapitalanteile mit einem Nominalwert von 100.000 RM zahlten die Er­ 108 Berichte über Devisenprüfungen vom 13.6.1935 und 21.3.1938, HStAW, Abt. 519/3, 37914, Bl. 10–12, ebd., 17375, Bl. 3–10. 109 RA Anders an AVW, 13.1.1950, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 4170/71, darin Akte Wi-FfmA 2348, Bl. 19–22. 110 Eidesstattliche Erklärung Erna Haas, 23.7.1956, HStAW, Abt. 518, 13363, Bl. 162. 111 Dies ist ein häufig beobachtetes Muster; vgl. Kaplan, Dignity, S. 65–67. 112 Vermerke betr. Fa. Jakob Albert, 13.12.1937 und 4.1.1938, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 4170/71, darin Akte Wi-Ffm-A 2348, Bl. 57 f.

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werber 40.000 RM.113 Berthold Haas blieb nach dem Übergang des Unternehmens noch für mehrere Monate als Geschäftsführer tätig und führte die neuen Eigentümer in den Betrieb sowie in die Kunden- und Lieferantenkreise ein, wofür er eine geringe Vergütung erhielt.114 Im Oktober wanderte er in die USA aus. Dass jüdische Unternehmen in das allgemeine System der wirtschaftlichen Überwachung und der Kontingentierung von Devisen, Rohstoffen und Waren eingespannt waren, hatte sich in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft noch kaum spürbar auf die jüdische Wirtschaftstätigkeit aus­gewirkt. Es lässt sich aber an zahlreichen Beispielen zeigen, dass die Kontingentierungspolitik einen entscheidenden Hebel bereitstellte, mit dem jüdische Unternehmer auf abrupte Weise zur Aufgabe gezwungen werden konnten. Ein frühes Beispiel dafür stellt der Fall der Wild- und Geflügelhandlung E. & J. Mayer dar. Das als offene Handelsgesellschaft geführte Unternehmen, das außer der Lebensmittelhandlung als Kerngeschäft noch eine Geflügelmästerei, ein Kühlhaus und eine Bettfedernfabrik umfasste, wurde von den jüdischen Inhabern Jacob und Gustav Mayer, dessen Sohn Ernst Mayer sowie Lothar Gutman geführt.115 Dass letzterer im späteren Entschädigungsverfahren für die Jahre 1935 bis 1937 ein deutlich steigendes Einkommen angab, lässt darauf schließen, dass das Unternehmen von den Auswirkungen der NS-Verfolgung zunächst kaum betroffen war.116 Im Juni 1937 teilte die Reichsstelle für Eier allerdings dem Unternehmen mit, dass es in Zukunft keine weiteren Zuteilungen mehr für den Import von Geflügel erhalten werde.117 Damit war die Weiterführung des Betriebes aber aussichtslos geworden, so dass die Inhaber sich innerhalb kürzester Zeit zum Verkauf entschlossen. Schon Anfang August 1937 veräußerten sie das Wildund Geflügelgeschäft samt dem Geschäftsgrundstück für 85.000 RM, die restlichen Sparten des Unternehmens wurden liquidiert. Nur das Grundstück und die Einrichtung wurden dabei bezahlt, während der immaterielle Firmenwert unberücksichtigt blieb.118 Diese Verkaufsmodalitäten zeigen, dass der Ausschluss jüdischer Unternehmen aus den Kontingentierungsstrukturen einer Vernichtung der Betriebsgrundlagen gleichkam, die den Inhabern auch in zeitlicher Hinsicht kaum noch Spielräume beließ und sie in eine denkbar ungünstige Verhandlungsposition brachte. Der frühe Zeitpunkt der Verdrängung sowie der Ablauf der Vorgänge scheinen sich in diesem Beispiel auch damit zu erklären, dass offenbar eine persönliche Komponente im Spiel war: Der Käufer des Unternehmens, der in Frankfurt ansässige Kaufmann Max Neumann, war bis dahin ausgerechnet Geschäftsführer der Hauptvereinigung der deutschen Eierwirtschaft gewesen und 113 Vertrag vom 24.2.1938, ebd., Bl. 23–27. 114 Vertrag vom 24.2.1938, ebd., Bl. 59–61. 115 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 9.11.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2500, Bl. 5–7. 116 RA Wimpfheimer an Entschädigungsbehörde, 11.11.1955, HStAW, Abt. 518, 13300, Bl. 19 f. 117 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 9.11.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2500, Bl. 5–7. 118 Vertrag vom 2.8.1937, ebd.

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verfügte damit über persönliche Kontakte innerhalb der Wirtschaftsorganisationen, über die er sich als Käufer ins Spiel bringen konnte oder möglicherweise sogar den Entzug der Kontingente selbst initiiert hatte. Als die Reichsregierung seit Ende 1937 begann, die Kontingente jüdischer Unternehmen pauschal und flächendeckend zu reduzieren, bedeutete dies den entscheidenden Schlag gegen diejenigen jüdischen Unternehmen, die von solchen Zuteilungen existentiell abhängig waren. Am Beispiel der Firma S. ­Messinger lassen sich die entsprechenden Abläufe gut im Kontext beobachten, weil die Verhältnisse sich vergleichsweise übersichtlich darstellten. Das Unternehmen, das 1921 von Straßburg nach Frankfurt verlegt worden und im Besitz der Brüder Albert und Ludwig Messinger war, hatte sich nämlich auf einen engen Spezialbereich konzentriert, indem es Haarnetze aus China importierte und Großhändler und Warenhäuser belieferte. Als die Firma Messinger im Zuge der Umgestaltung der Verbandsstrukturen 1934 in die Fachabteilung der Haarnetzimporteure eingruppiert wurde, befand sie sich in einer recht überschaubaren Gesellschaft: Die Abteilung umfasste reichsweit 15 Unternehmen, davon 8 jüdische und 7 nicht-jüdische. Die Brüder Messinger erhielten eine Quote von 8 Prozent an der gesamten Einfuhr von Haarnetzen.119 In den Jahren 1935 bis 1937 ging das Geschäft zurück, doch lag dies auch daran, dass im Zuge der Kontrolle des Außenhandels die Einfuhr von Haarnetzen insgesamt reduziert wurde, wobei allerdings die jüdischen Verbandsmitglieder etwas stärkeren Kürzungen unterlagen. Dennoch hatte das Unternehmen auch im Jahre 1937 noch eine zufriedenstellende Einfuhrquote erlangen können und arbeitete weiterhin mit Gewinn. Als die zuständige Überwachungsstelle Anfang März 1938 mitteilte, dass die Quote zukünftig vollständig entfalle, stand das Unternehmen unvermittelt vor dem Aus und wurde zur sofortigen Liquidation gezwungen.120 In beiden geschilderten Fällen verlief der Prozess besonders abrupt, weil die zugeteilten Kontingente auf einen Schlag gestrichen wurden. Aber auch die nur partielle Kürzung von Kontingenten stellte für zahlreiche jüdische Unter­nehmer ein entscheidendes Signal dar, dass ihre betriebliche Tätigkeit in Deutschland sich nicht würde fortsetzen lassen. Selbst bis dahin von den Boykottmaßnahmen wenig betroffene Unternehmer entschlossen sich im Falle von Kontingentkürzungen zum Verkauf oder zur Abwicklung ihrer Betriebe.121 Die Welle von Verkäufen, die sich in der statistischen Kurve seit dem Frühjahr 1938 deutlich abzeichnet, ist damit ganz wesentlich mit dem antisemitischen Umschwung in der Bewirtschaftungspolitik in Verbindung zu bringen. Mit ihr wurde die endgültige Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit eingeleitet. Was lässt sich zusammenfassend über die Handlungsspielräume der Be­ troffenen angesichts direkter Verfolgungs- und Diskriminierungsmaßnahmen sagen? Diese oft behandelte Frage kann differenziert und auf drei Bereiche be119 Aussage A. Grote, 4.5.1953, HStAW, Abt. 518, 8579, Bl. 35 f. 120 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 20.12.1948, HStAW, 519/A, Wi-Ffm-A 4600. 121 Bräutigam, S. 286–288.

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zogen werden: (1) den Zeitpunkt des Verkaufs oder der Liquidation, (2) die Auswahl des Käufers und (3) die Kaufpreisbildung. Generalisierende Aussagen fallen allerdings schwer. Das betrifft vor allem die Frage nach dem Faktor Zeit:122 Blieb ein jüdischer Unternehmer von unmittelbarer Verfolgung vergleichsweise unbehelligt, hing der Entschluss zum Verkauf oder zur Liquidation entscheidend von seinem individuellen Erwartungshorizont ab. Wo es zu direkten Einund Übergriffen kam, erwiesen sich die bisherigen Handlungsperspektiven in kürzester Zeit als hinfällig. Angesichts von Gewaltakten und Inhaftierung wurden betriebswirtschaftliche Überlegungen sofort obsolet. Wer Gewalt erfuhr, machte eine so einschneidende Erfahrung, dass oftmals die Flucht ins Exil als die einzig mögliche Option erschien.123 In den Jahren 1933 bis 1937 mussten die jüdischen Unternehmer indessen in der überwiegenden Mehrheit selbst ihre Schlüsse aus einer mehr oder weniger abstrakten Bedrohungslage ziehen, ohne dass dies den Zwangscharakter ihrer Entscheidungen und das Unrechtmäßige der Vorgänge in Zweifel stellt. Dieser generelle Handlungsspielraum war allerdings nur dann ein Vorteil, wenn er auch genutzt wurde. Wer bis zur gesetzlichen Ausschaltung Ende 1938 an seinem Betrieb festhielt oder festhalten musste, verlor ihn in der Regel unter den denkbar ungünstigsten Konditionen. Auch was die Suche nach möglichen Kaufinteressenten anging, bestand für die jüdischen Unternehmer in formaler Hinsicht scheinbar eine weitgehende Handlungs- und Wahlfreiheit. Ein zentrales System der Zuweisung von Interessenten an Verkaufswillige hat das NS-Regime nie etabliert, sondern beließ es dabei, diesen Prozess nach Mechanismen der Selbststeuerung ablaufen zu lassen und nur in ausgewählten Fällen direkt zu intervenieren. Wenn allerdings Behörden oder andere interessierte Stellen aktiv in die Käuferauswahl eingriffen, gab es für die jüdischen Unternehmer kaum eine Möglichkeit, dieser Intervention zu entgehen. Auch bestanden für Erwerbswillige, die skrupellos genug waren, auf eigene Initiative NS-Stellen in einen noch offenen Entscheidungsprozess einzuschalten oder sich durch entsprechende Drohungen in den Vordergrund zu spielen, gute Chancen, durch ein solches Gebaren zum Zuge zu kommen, sofern sie tatsächlich ihre Eignung zur Übernahme des betreffenden Unternehmens glaubhaft machen konnten. Doch war dies auch ein Risiko, denn sich auf brutale Weise in den Besitz eines Unternehmens zu bringen, in das man keinen Einblick gewonnen hatte und zu dem keine Beziehung bestand, war nicht unbedingt eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Startposition. Von der Wahlentscheidung der jüdischen Akteure hing daher viel ab; anders ist es kaum zu erklären, dass eine so große Zahl der Erwerber jüdischer Unternehmen aus diesen Unternehmen selbst oder aus dem geschäftlichen Umfeld stammte. Ebenfalls hierfür spricht, dass der jüdische Makler Leo Lissberger, der über zahlreiche Kontakte und Bekanntschaften innerhalb der Frankfurter Unternehmerschaft verfügte, ausgesprochen oft in den Akten als an Übernahmen Beteiligter ge122 Vgl. Bajohr, Prozeß, S. 17–19. 123 Zu den Auswirkungen physischer Gewalt Wildt, Gewaltpolitik.

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nannt wird. Dass 1938, insbesondere aber nach dem Novemberpogrom ein häufig zitierter »Bereicherungswettlauf« um die verbliebenen jüdischen Unternehmen einsetzte, hatte demnach viel damit zu tun, dass die Inhaber erst jetzt ihre Einflussmöglichkeiten auf die Übernahmen weitgehend verloren, so dass sich für alle, die bisher nicht zum Zuge gekommen waren, eine neue Handlungssituation herstellte, die gleichzeitig die absehbar letzte Chance bedeutete.124 Doch selbst nach diesem Zeitpunkt sind immer wieder Ausnahmen zu beobachten: So berichtet Leo Horovitz, dessen unter dem Namen S. Hollaender geführtes Atelier und Handelsgeschäft für Grabsteine im Dezember 1938 zwangsweise eingestellt werden musste, dass er beim Verkauf von Betriebseinrichtung, Werkzeugen und Lagerbeständen zwischen mehreren Interessenten abgewogen und sich schließlich für die Firma Gebr. Wagner entschieden habe, weil deren Inhaber »im allgemeinen in diesen schweren Zeiten sich durchaus ehrenhaft verhielt.«125 Es stellt sich die Frage, ob sich der Handlungsspielraum in der Käufersuche auch auf die Übernahmemodalitäten auswirkte. Die bisherige Forschung hat große Aufmerksamkeit der Frage gewidmet, auf welche Weise und in welchem Ausmaß die Verkäufer jüdischer Unternehmen durch zu niedrige Kaufpreise unrechtmäßig benachteiligt wurden.126 Schon die allgemeine Verfolgungs­ situation beeinflusste die Marktsituation und die Preisbildung. Spätestens seit 1935, als die »Arisierung« immer öfter in den Wirtschaftsnachrichten thematisiert wurde, mussten bzw. konnten sowohl die jüdischen Akteure als auch mögliche Interessenten mit dem Faktum kalkulieren, dass bei Übernahmen deutlich niedrigere Preise als unter »normalen Umständen« erzielbar waren. Oftmals wird dies bei konkreten Verkaufsverhandlungen bereits antizipiert worden sein, so dass die »eigentlich angemessene« Kaufpreisforderung unsichtbar blieb. Ohnehin wäre die Berechnung eines »objektiven« Wertes aber eine virtuelle: denn die allermeisten jüdischen Unternehmer hätten ohne die NS-Verfolgung ihre Betriebe nicht verkauft. Daher muss dem Eindruck entgegengewirkt werden, das Unrechtmäßige an Unternehmensübernahmen während der NS-Zeit habe wesentlich und allein in der Unterbewertung bestanden und sei damit messund quantifizierbar. Das Unrecht bestand aber bereits im Verkauf als solchem, in der Tatsache, dass die jüdischen Unternehmer ihre wirtschaftliche Existenz in Deutschland aufgaben. Dass Unterbewertungen stattfanden, dafür sorgte jenseits der ohnehin asymmetrischen Verhandlungspositionen nicht zuletzt der nationalsozialistische Verfolgungsapparat. Spätestens seit sich die Gauwirtschaftsberater als entscheidende Genehmigungsinstanz etabliert hatten, wurden auch bereits ausgehandelte Kaufsummen in der Regel mehr oder weniger schematisch gesenkt. Es kam ein Umstand hinzu, auf den Ingo Köhler aufmerksam gemacht hat.127 124 Barkai, Boykott, S. 140–143; Bajohr, Arisierung, S. 277–287. 125 Leo Horovitz an AVW, 16.3.1950, HStAW, Abt. 460, 2 Wik 1164, Bl. 4. 126 Zuletzt hierzu Köhler, Werten. 127 Ders., Arisierung, S. 197–199.

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Denn schon seit jeher hatten die Gauwirtschaftsberater bei ihren Versuchen, sich in den Genehmigungsprozess einzuschalten, die Vorstellung verfochten, dass jüdischen Unternehmen ein immaterieller Wert, der üblicherweise mit dem Begriff des »Firmenwertes« oder des »Goodwill« gefasst wird, grundsätzlich nicht zukomme. Nach diesem Verständnis bestanden die jüdischen Unternehmen nur aus den vorhandenen materiellen Vermögensgegenständen, also dem Geschäftsgrundstück, den Einrichtungsgegenständen und den Warenvorräten. Es lässt sich anhand der überlieferten Vertragstexte beobachten, dass diese Vorstellung die Praxis der Übernahmen seit 1937 immer mehr bestimmte, bevor sie 1938 amtlich vorgeschrieben wurde. Die jüdischen Verkäufer waren auf diese Weise gezwungen, eine Liquidation zu simulieren, ungeachtet dessen, dass ihre Unternehmen de facto weitergeführt und damit auch die immateriellen Firmenwerte übernommen oder reaktiviert wurden, ohne dass hierfür eine Gegenleistung erfolgte. Schon aus diesem Grund hatten die betreffenden Übernahmen mit dem, was die zeitgenössische Betriebswirtschaft als angemessenes Verfahren zur Kaufpreisermittlung vorsah, nicht viel zu tun. Es erscheint fraglich, ob sich diese Idealvorstellung einer kaufmännisch üblichen Kaufpreisermittlung als Orientierungsmarke zur Beschreibung der Verhandlungen eignet.128 Denn dieser Aushandlungsprozess hatte seitens des jüdischen Verkäufers oftmals viel mit Zeitdruck und der Notwendigkeit, liquide Mittel für die Auswanderung zu erhalten, seitens der nicht-jüdischen Erwerber mitunter mit deren begrenzten Kapitalverhältnissen, mit dem ›eigentlichen Wert‹ des Unternehmens jedoch oft von vornherein wenig zu tun.

4. Die Radikalisierung der Verfolgungspolitik 1938 Im Verlaufe des Jahres 1938 radikalisierte sich die antisemitische Verfolgung und richtete sich zunehmend auf alle Lebensbereiche, so dass den Betroffenen schließlich kein Ausweichen mehr möglich war, und selbst Flucht und Emigration nur noch unter den existenzvernichtenden Bedingungen gelingen konnten, die von den NS-Machthabern gesetzt wurden. Es ist Avraham Barkai einerseits darin Recht zu geben, wenn er in der Forcierung der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik keinen »Umschwung« oder »Wendepunkt« erkennen mag, sondern deren Kontinuitätslinien betont.129 Tatsächlich stellten sich viele der im Laufe des Jahres getroffenen Maßnahmen nur als Verwirklichung dessen dar, was zu verschiedenen Zeiten bereits in Besprechungen und Plänen mehr oder weniger deutliche Gestalt angenommen hatte. Doch dass nun theoretische Planspiele in brachialer Weise in politische Praxis umgesetzt wurden, hatte viel damit zu tun, dass unterschiedliche Entwicklungs- und Handlungsstränge der 128 Vgl. dagegen Köhler, Werten, S. 318. 129 Barkai, Schicksalsjahr.

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antisemitischen Verfolgungspolitik zusammenliefen und begannen, sich gegenseitig voranzutreiben. In diesen positiven Rückkopplungseffekten liegt ein deutliches Moment der Diskontinuität, wie auch einige zeitgenössische Beobachter deutlich erkannt haben.130 Die Entwicklungen des Jahres 1938 lassen sich folglich als Überlagerung unterschiedlicher Stränge eines mehrdimensionalen Verfolgungs- und Ver­ nichtungsprozesses interpretieren, die mit unterschiedlichen Trägern und Handlungsebenen in Verbindung zu bringen sind. Dass diese Stränge nicht bruchlos ineinandergriffen, sondern sich vielfach gegenläufig entwickelten oder sogar widersprachen, sollte keinesfalls im Sinne polykratischer »Reibungsverluste« interpretiert werden. Vielmehr bezog die Verfolgungspolitik gerade aus ihrer Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit ihre mörderische Dynamik, wurde gerade deswegen vorangetrieben, weil sie auf kein einheitliches Ziel hin gerichtet war. Zum Jahreswechsel 1937/38 trat erstmals seit längerer Zeit die Reichsregierung wieder normsetzend im Prozess der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden in Erscheinung. Vieles spricht dafür, vor allem den personellen Wechsel im Reichswirtschaftsministerium als entscheidendes Signal für diesen Aktivitätsschub zu sehen, auch wenn die Ablösung Hjalmar Schachts nicht unmittelbar mit der Judenpolitik zu tun hatte.131 Die nun folgende Diskriminierungs­politik gegenüber jüdischen Unternehmen setzte in der Tat zunächst nur bereits bekannte Maßnahmen fort, indem sie zum einen das bestehende Gefüge der Devisen- und Rohstoffbewirtschaftung als Einfallstor nutzte und zum anderen Praktiken, die sich auf den unteren Handlungsebenen schon länger eingespielt hatten, nach und nach systematisierte. Am 26. November 1937 übernahm Hermann Göring für eine Übergangszeit bis Februar 1938 kommissarisch die Leitung des Wirtschaftsministe­riums.132 Schon am folgenden Tag erging an die Überwachungsstellen der Devisen- und Rohstoffbewirtschaftung ein Rundschreiben, das die Kontingente jüdischer Unternehmen betraf.133 Mit der pauschalen Unterstellung, dass die Geschäftsentwicklung jüdischer Unternehmen rückläufig sei, wurde die Überprüfung ihrer Devisenzuteilungen für den Einfuhrhandel angeordnet. Bezüglich der Zuteilung von Rohstoffen im Inland erging sogar die Anordnung, alle Kontingente jüdischer Unternehmen einheitlich um 10 Prozent zu reduzieren, wobei nach Prüfung des Einzelfalles jederzeit auch darüber hinausgehende Kürzungen möglich sein sollten. Diese Maßnahmen verfolgten zwei Zwecke: Sie ermöglichten zum einen eine Neu-Justierung der deutschen Importe und zielten 130 Vgl. z. B. Reichmann, S. 51 f. 131 Bajohr, Arisierung, S. 217. 132 Hermann Göring blieb auch im Folgenden der entscheidende Akteur. Der anschließend als Reichswirtschaftsminister amtierende Walther Funk trat kaum mit eigener Handlungsinitiative hervor, ermöglichte mit seiner willfährigen Haltung jedoch die Radika­ lisierung der wirtschaftlichen Judenverfolgung entscheidend; vgl. Herbst, Funk, S. 97 f. 133 Rundschreiben RWM, 27.11.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 48/51, Bl. 53.

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gleichzeitig auf eine systematische Verdrängung jüdischer Unternehmer aus den Kontingentierungsstrukturen. Weil die Kontingentzuteilungen anhand der Verbrauchsgrößen früherer Stichzeiten erfolgten und die Gesamtmenge des zu Verteilenden limitiert blieb, waren innerhalb des Bewirtschaftungssystems nur Verschiebungen möglich, d. h. Ressourcen konnten nur dann gezielt in einen Bereich gelenkt werden, wenn sie aus einem anderen Bereich abgezogen wurden. Die Maßnahmen schafften so ein wenig Flexibilität und Spielraum zu­ ungunsten der jüdischen Marktteilnehmer, denn freiwerdende Kontingente sollten zu einer Umverteilung von jüdischen zu nicht-jüdischen Unternehmen eingesetzt werden.134 In diesem Zusammenhang erging erstmals eine amtliche Definition dessen, was unter einem »jüdischen Unternehmen« überhaupt zu verstehen sei. Am 4. Januar 1938 erhielten die Industrie- und Handelskammern vorläufige Richtlinien, nach denen sie in Zweifelsfällen über den jüdischen Charakter eines Unternehmens gutachterlich entscheiden sollten  – was die Frankfurter Kammer informell schon seit Jahren tat.135 Die Richtlinien griffen auf die Bestimmungen der Nürnberger Gesetze zurück, definierten also ein »jüdisches Unternehmen« auf dem Umweg der daran beteiligten Personen. Das war bei Personen­ gesellschaften vergleichsweise eindeutig; es genügte bereits eine einzige jüdische Inhaberperson, um ein Unternehmen unter die Definition fallen zu lassen. Für den Bereich der Kapitalgesellschaften mit möglicherweise verstreutem Aktienbesitz fokussierten die Richtlinien die zur gesetzlichen Vertretung bevollmächtigten Personen sowie die Aufsichtratsmitglieder. Mit einigen Verschärfungen (nach den vorläufigen Richtlinien hatten bis zu einem Viertel der Aufsichtratsmitglieder Juden sein können) wurden diese Richtlinien einige Monate später als Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz veröffentlicht.136 Darin wurde gleichzeitig die Eintragung jüdischer Unternehmen in ein öffentliches Verzeichnis angeordnet (Art. II), was angesichts der zahlreichen bereits kursierenden Firmenlisten jedoch keine neue Situation schuf. Im Übrigen waren auch die jetzt ergehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht in der Lage, eine »entscheidende jüdische Beteiligung« an einem Unternehmen im Sinne einer realen Einflussnahme, um die es den Nationalsozialisten letztendlich ging, zweifelsfrei zu definieren. So ging die Verordnung pragmatischerweise dahin, einen solche Beteiligung qua Kapitalbesitz gar nicht erst anzunehmen, falls sich unter den gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft zu Jahresbeginn 1938 keine Juden befunden hatten (§ 2), ansonsten sollte ein bis zu 25-prozentiger Kapital­anteil zulässig sein (§ 1, 3b). Rechtliche Verbindlichkeit schuf die Verordnung aber 134 Rundschreiben RWM, 15.12.1938, ebd., Bl. 55; vgl. Bräutigam, S. 284–288. 135 Rundschreiben RWM an die AG der IHKn, 4.1.1938, BAL, R 3101, 8934, Bl. 101. 136 Dritte VO zum Reichsbürgergesetz vom 14.6.1938, RGBl. I, S. 627. Die Verschärfung der Richtlinien war bereits zuvor mitgeteilt worden im Rundschreiben RWM an die Arbeits­ gemeinschaft der IHKn, 13.5.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 49/6, Bl.  2; vgl. auch Runderlass RWM, 13.5.1938, in: Walk, II/467, S. 225.

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schon deswegen nur scheinbar, weil sie wie die meisten NS-Unrechtsgesetze mit einem schwammigen Passus über den »tatsächlichen Einfluss von Juden« ein Einfallstor für willkürliche Einzelentscheidungen schuf (§ 3). Mit dem grundsätzlichen Ausschluss jüdischer Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge im März 1938 wurde deren Bewegungsspielraum weiter eingeschränkt, auch wenn der zugrundeliegende Erlass nur bekräftigte, was bereits seit Jahren allenthalben gängige Praxis war.137 Die Reichsregierung übernahm mit diesem Schub diskriminierender Maßnahmen endgültig die Initiative bei der Verdrängung jüdischer Unternehmer aus der Wirtschaft. Die Kürzung oder Streichung der Kontingente schuf für die betroffenen Unternehmen eine Situation, in der wirtschaftliche Betätigung nicht mehr sinnvoll möglich war. Dass unter diesen Bedingungen zahlreiche jüdische Betroffene zur Aufgabe ihres unternehmerischen Engagements gezwungen sein würden, war den nationalsozialistischen Instanzen wohlbewusst, denn sie verkoppelten die Kontingentkürzung zielgerichtet mit einer stärkeren Überwachung der Auswanderung. Weil angenommen werden konnte, dass die Betroffenen sich auf eine Strategie der Vermögensrettung verlegen würden, sollten Entscheidungen über Kontingentstreichungen automatisch den zuständigen Devisenstellen gemeldet werden, um einen Kapitaltransfer ins Ausland schon im Vorfeld zu unterbinden.138 Die Diskriminierungsmaßnahmen der Jahreswende 1937/38 entfaltete ihre unmittelbare Wirkung freilich nur in einem Teilsegment des jüdischen Gewerbelebens, nämlich vorrangig in den auf Importe und Rohstoffzuteilungen angewiesenen Bereichen der Industrie und des Handels. Insofern besaßen sie zwar eine erhebliche Signalwirkung, zielten aber nicht auf einen flächendeckenden Ausschluss jüdischer Bürger aus dem gesamten Wirtschaftsleben. Eine »Gesamtlösung der Judenfrage« in der Wirtschaft strebten Vierjahresplanbehörde und Reichswirtschaftsministerium zu dieser Zeit noch nicht an. Ein umfassendes Konzept wurde erstmals im Juni 1938 vom Reichsinnenministerium ausgearbeitet und den anderen Ministerien zur Diskussion vorgelegt.139 Der Entwurf war vor allem von dem Gedanken geleitet, den Ausschluss jüdischer Bürger aus dem Wirtschaftsleben unter zentrale Kontrolle zu bringen. Jüdisches Unternehmensvermögen sollte durch eine staatliche Gesellschaft planmäßig aufgekauft und an nicht-jüdische Interessenten weitervermittelt werden, denen hierzu Kredite gewährt würden. Der noch als Reichsbankpräsident amtierende Hjalmar Schacht machte jedoch in seinem Widerspruch deutlich, dass sich ein solches Konzept aus zahlreichen Gründen nicht würde realisieren lassen. Allein der Finanzierungsbedarf überstieg die Möglichkeiten des Reiches bei weitem.140 137 Runderlass RWM, 1.3.1938, in: ebd., II/431, S. 217. 138 Rundschreiben Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, 28.2.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 48/51, Bl. 28; vgl. auch Franke, Unrecht, S. 99 f. 139 Rundschreiben RdI, 14.6.1938, abgedruckt in: VEJ, Bd. 2, Dok. 42, S. 163–168. 140 Genschel, S. 168–172.

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Es erscheint angesichts der polykratischen Herrschaftsstrukturen des NSSystems, in dem die verschiedenen Akteure zumeist im begrenzten Rahmen ihrer je eigenen Zielhorizonte handelten, im Übrigen auch unwahrscheinlich, dass sich ein umfassendes Konzept unter zentraler Steuerung hätte durchsetzen können. Das am ehesten zuständige Reichswirtschaftsministerium hatte sich an der Diskussion um den Entwurf von Innenminister Frick gar nicht erst beteiligt. Hermann Göring als Chef der Vierjahresplanbehörde hatte bereits mit der Verordnung zur Anmeldung jüdischen Vermögens im April 1938 erkennen lassen, um was es ihm vorrangig ging: Mit der Anmeldepflicht für sämtliches Vermögen über 5.000 RM und dessen zentraler Erfassung machte die Staatsführung deutlich, dass sie sich einen Zugriff auf dieses Vermögen vorbehielt, um, wie es im Verordnungstext hieß, »den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens im Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft sicherzustellen« (§ 7).141 Der Gedanke, jüdisches Vermögen für den NS-Staat und seine Rüstungsziele abzuschöpfen, war bereits seit längerem präsent, spätestens nachdem Hitler in seiner Denkschrift zum Vierjahresplan die Idee einer Sonderbesteuerung der deutschen Juden ventiliert und damit den mit der Umsetzung betrauten Ministerien einiges Kopfzerbrechen bereitet hatte. Zusammen mit einigen anderen antisemitischen Vorhaben aus Hitlers Wunschliste, namentlich der Kennzeichnungspflicht für jüdische Geschäfte, war dieses Projekt allerdings im Laufe des Jahres 1937, nicht zuletzt wegen Bedenken Görings, wieder auf Eis gelegt worden.142 Nun wurden diese Gedankenspiele erneut aufgegriffen, doch trugen die genannten Gesetzesinitiativen auch jetzt noch eher vorbereitenden Charakter: Die Vermögensanmeldung setzte eine Frist bis zum 30. Juni 1938, verriet aber nichts über das weitere Vorgehen oder die genauen Zwecke.143 Die bereits genannte Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz ermächtigte den Reichswirtschaftsminister, die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt anzuordnen. Tatsächlich sollte diese seit Jahren von NS-Aktivisten erhobene Forderung aber nie erfüllt werden, auch weil die kommenden Ereignisse sie bald hinfällig sein ließen. Dass die Reichsführung einen Normen- und Kontrollrahmen zur Sicherung des jüdischen Vermögens installierte, war nicht zuletzt den Erfahrungen aus der Besetzung Österreichs geschuldet. Insbesondere in Wien war unmittelbar nach der NS-Machtübernahme eine Welle antisemitischer Gewalt losgebrochen, die in eine zunächst weitgehend unkontrollierte Phase »wilder Arisierungen« und der Inbesitznahme jüdischer Betriebe durch selbsternannte Kommissare mündete.144 Dass dieser gewalttätige Ausbruch massenweise Plünderung und 141 VO über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938, RGBl. I, S. 414. 142 Adam, Judenpolitik, S. 112–117. 143 Hierzu Ball-Kaduri, S.  136: »Niemand wusste, wozu die Anmeldung dienen sollte, und vielleicht wussten es die Nazis damals selbst noch nicht genau«. Vgl. dagegen auch Tagebucheintrag Luise Solmitz, 27.4.1938, abgedruckt in: VEJ, Bd. 2, Dok. 30, S. 141 f. 144 Rosenkranz; Botz.

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Kapitalvernichtung mit sich brachte, musste die Reichsführung auf den Plan rufen, deren Ziel einer staatlichen Vereinnahmung jüdischen Vermögens für die Rüstungs- und Kriegswirtschaft hierdurch gefährdet wurde.145 Später im Jahr sprach Hermann Göring deutlich aus, in welchem engen Zusammenhang die deutschen Rüstungsanstrengungen mit der sich verschärfenden Diskriminierungspolitik standen. In einer Rede vom 14. Oktober 1938 zu den Problemen der Kriegswirtschaft verkündete er abschließend, auch »die Judenfrage müsste jetzt mit allen Mitteln angefasst werden, denn sie müssten aus der Wirtschaft raus.«146 Antisemitismus und Rüstungspolitik zeigen sich hier zum einen ideologisch verklammert, denn eine kriegsbereite deutsche Wirtschaft, in der jüdische Unternehmer eine nennenswerte Rolle spielten, war für die NS-Führung nicht vorstellbar, die Verdrängung und Verfolgung der deutschen Juden insofern für sie integraler Teil  einer »Wiederwehrhaftmachung« des Deutschen Reiches.147 Zum anderen waren die sich andeutenden konfiskatorischen Bestrebungen mit der Verdrängung von Juden aus der Wirtschaft auch strukturell verkoppelt, denn arbeitendes Betriebsvermögen war für die Machthaber nicht ohne Weiteres angreifbar. Die Vernichtung jüdischer Gewerbe­tätigkeit war insofern notwendige Vorbedingung für eine spätere Forcierung der Enteignungspolitik.148 In diesem Lichte erhellt sich der Umstand, dass die Gesetzesmaßnahmen vom April 1938 das Augenmerk zunächst insbesondere auf das gewerbliche Vermögen legten. Im Bewusstsein der Tatsache, dass die verschärfte Diskriminierungspolitik den Transfer jüdischen Unternehmensvermögens in nicht-jüdischen Besitz ankurbeln werde, hatte der Vierjahresplanchef bereits einige Tage vor der Vermögensanmeldung die Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe erlassen.149 Diese Verordnung stellte Versuche, »den jüdischen Charakter eines Gewerbetriebes zur Irreführung der Bevölkerung oder der Behörden bewusst zu verschleiern« unter Strafe (§ 1). Mit ihrer inhaltlichen Unklarheit entfaltete sie ihre Wirkung vor allem in Form einer diffusen Drohkulisse gegenüber denjenigen, die mit jüdischen Bürgern in Geschäftsverbindung standen und signalisierte, dass die seit langem mit Argwohn beobachteten Ausweich- und Anpassungsstrategien nunmehr gesetzlich geahndet würden. Den formalen Rahmen für eine staatliche Überwachung des Transfers jüdischen Unternehmensvermögens installierte eine am gleichen Tag wie die Vermögensverordnung ergehende Zusatzverordnung.150 Sie verfügte die Genehmi145 Safrian, Beschleunigung; ders., Recht. 146 Besprechung am 14.10.1938 im Reichsluftfahrtministerium, abgedruckt in: Prozeß, Bd. 27, PS-1301, S. 160–164, hier S. 163. 147 Genschel, S. 141; prägnant auch Herbst, Deutschland, S. 203. 148 Dean, Robbing, S. 3. 149 VO gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22.4.1938, RGBl. I, S. 404. 150 VO auf Grund der VO über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26.4.1938, RGBl. I, S. 415.

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gungspflicht für Verkäufe oder Verpachtungen von Betrieben, wenn an einem solchen Geschäft jüdische Bürger beteiligt waren (§ 1). Genehmigungsinstanzen sollten dabei die höheren Verwaltungsbehörden sein (§ 9). Mit einer genauen Regelung ließ sich das Reichswirtschaftsministerium allerdings Zeit; erst Anfang Juli erging ein interner Erlass zur Durchführung.151 Im preußischen Staatsgebiet, also auch in Hessen, wurden die Regierungspräsidien zur Genehmigungsinstanz bestimmt. Für den Einzelhandel, in dem Verkäufe ohne­hin bereits genehmigungspflichtig waren, blieb der Frankfurter Oberbürgermeister zuständig, da an die Stelle der Genehmigung nach § 1 der Verordnung die bisherige Genehmigung nach dem Einzelhandelsschutzgesetz treten sollte. Wie es sich bereits eingespielt hatte, sollten im Genehmigungsverfahren noch eine Reihe weiterer Dienststellen »gehört« werden: an erster Stelle der zuständige NSDAP-Gauleiter, außerdem die lokale IHK oder Handwerkskammer. Bei Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten war auch der zuständige Branchen­ verband zu beteiligen, Großbetriebe mit über 1.000 Beschäftigten behielt sich das RWM selbst zur Entscheidung vor. Während der Transfer von Unternehmensvermögen von jüdischen in nichtjüdischen Besitz auf diese Weise vorangetrieben und überwacht wurde, er­ gingen im Verlauf der nächsten Monate mehrere Verordnungen zur weiteren gesetzlichen Einschränkung jüdischer Berufstätigkeit, darunter namentlich das Verbot für Juden, als Arzt oder Rechtsanwalt über den 30. September bzw. 30. November hinaus tätig zu sein.152 Vor allem das Verbot einer weiteren Betätigung im Wander- und Hausierer- sowie im Vertretergewerbe153 stellte eine einschneidende Maßnahme dar, waren doch zahlreiche entlassene Angestellte und ehemals Gewerbetreibende in diesen Wirtschaftszweig ausgewichen. Eine wichtiger Rückzugsbereich wurde damit auf einen Schlag verbaut und den Betroffenen jede Möglichkeit des Erwerbs genommen. Die Ursprünge dieses Verbots waren zum Teil sicherheitspolitischer Natur, hatte doch das reisende Gewerbe seit jeher im argwöhnischen Fokus nationalsozialistischer Stellen und Behörden gestanden.154 Was die unter städtischer Ägide erfolgende Ausgabe 151 Rundschreiben RWM, 5.7.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 48/51, Bl. 45–47. 152 Vierte VO zum Reichsbürgergesetz vom 25.7.1938, RGBl. I, S. 969; Fünfte VO zum Reichsbürgergesetz vom 27.9.1938, ebd., S. 1403; zur Entstehungsgeschichte der 4. VO auch Drecoll u. a., S. 36–42. 153 Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 6.7.1938, RGBl. I, S. 823. 154 Siehe etwa ein Schreiben des Stellvertreters des Führers an den Reichswirtschaftsminister vom 7.11.1935, in dem dieser auf Warnungen verschiedener Stellen verweist, nach denen Wandergewerbetreibende über gefährliche Möglichkeiten verfügten, »die Volksmeinung zu beeinflussen, da sie von Haus zu Haus gehen und so Gelegenheit finden, mit allen Bevölkerungskreisen unmittelbare Fühlung aufzunehmen«; RGVA/TsKhIDK, 1458, 3/1709, Bl. 317. Das RWM sah in seinem Antwortentwurf vom 26.11.1935, ebd. zu dieser Zeit keinen Handlungsbedarf. Die Begründung des Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung hob später aber tatsächlich sicherheitspolitische Aspekte hervor: vgl. Entwurf zur Begründung, o. D., BAL, R 43 II, 284b, Bl. 71.

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von Gewerbe-Legitimationskarten angeht, wurde lediglich eine bereits gängige Praxis legalisiert. So hatten mehrere bayerische Stadtverwaltungen bereits Anfang des Jahres die Erteilung der Karten durch eine interne Anordnung einstellen lassen und diese eindeutig gesetzeswidrige Haltung in den kommenden Monaten hartnäckig auch gegen Widerstände aufrechterhalten.155 Die gesetzlichen Berufsbeschränkungen wirkten sich gravierend auf die Lebensgrundlagen der jüdischen Bevölkerung aus. Wirtschaftspolitische Gesichtspunkte fielen dabei für die NS-Führung nicht weiter ins Gewicht; einzelne Unzuträglichkeiten wurden durch korrigierende Ausnahmebestimmungen, etwa für den Bereich der nur schwer zu ersetzenden jüdischen Auslandsvertreter deutscher Firmen, aufgefangen.156 Die Verdrängung von Juden aus den genannten Berufszweigen war in erster Linie ein Mittel, ihre Existenzmöglichkeiten in einer Weise einzuschränken, die zum Verlassen des Landes zwingen mochte, und wies damit bereits auf die spätere massenhafte Austreibungspolitik voraus, deren Grundlagen sie gleichzeitig bereitete. Der antisemitische Aktivitätsschub beschleunigte seit Anfang 1938 die Liquidation jüdischer Unternehmen beziehungsweise ihren Transfer in nichtjüdischen Besitz in erheblichem Maße. Als ein Prozess der Umverteilung von Vermögen und der Neugestaltung ökonomischer Strukturen musste diese Entwicklung im Fadenkreuz zahlreicher divergierender Interessen stehen. Das Reichswirtschaftsministerium, dessen Politik im Wesentlichen kriegswirtschaftlichen Prämissen folgte, beschränkte seit Einführung der Genehmigungspflicht seine Rolle und sein Augenmerk im Wesentlichen auf den Bereich der rüstungswirtschaftlich relevanten Großunternehmen und den Exportsektor, der indirekt ebenfalls für die Kriegswirtschaft entscheidend war. Bereits zuvor hatte das Ministerium aber seine Haltung zum Gesamtprozess verdeutlicht. Was die Umverteilung von Rohstoff- und Devisenkontigenten anging, sollten politische Gesichtspunkte maßgeblich sein, insbesondere die Berücksichtigung der bisher vernachlässigten Grenzgebiete und die Bedürfnisse »alter Kämpfer«. Dabei sollten die Kontingentkürzungen auch im Falle des Übergangs der betreffenden Unternehmen in nicht-jüdischen Besitz grundsätzlich weiterbestehen, der dadurch gewonnene Verteilungsspielraum also den staatlichen Stellen erhalten bleiben.157 Das RWM trat allerdings gleichzeitig Bestrebungen entgegen, den Umverteilungsprozess zu einer grundsätzlichen Strukturveränderung innerhalb der deutschen Wirtschaft nutzen zu wollen. Das Verhältnis von Industrie und Handel sollte nicht verschoben werden.158 Hiermit wurde möglicher Besorgnis begegnet, über das Medium der Judenverfolgung solle nun grundsätzlich nach ideologischen Gesichtspunkten in die Wirtschaft ein­gegriffen 155 Selig, S. 28–32; Janetzko, S. 286–288. 156 Rundschreiben RWM, 13.9.1938, RGVA/TsKhIDK, 1458, 48/51, Bl. 14. 157 Rundschreiben RWM an die Überwachungsstellen, 8.1.1938, BAL, R 3101, 8934, Bl. 102 f. 158 Rundschreiben RWM an die Überwachungsstellen, 27.1.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 48/51, Bl. 15.

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werden. Für die Genehmigung von Unternehmensübernahmen gab das RWM im Juli 1938 weitere spezielle Leitkriterien vor: Abzulehnen seien Übernahmen, wenn bereits genügend gleichartige Gewerbebetriebe vorhanden seien oder durch die Liquidation eine bereits bestehende »außergewöhnliche Übersetzung« gemildert werden könne. Dies war eine an den Formulierungen des Einzelhandelsschutzgesetzes orientierte Vorgabe, welche herkömmlichen mittelstandspolitischen Imperativen folgte und die Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit zu einer Branchenbereinigung zu nutzen aufforderte. Komplementär dazu sollten Konzentrationsprozesse verhindert werden, die durch die Übernahme jüdischer Unternehmen durch Konzerne zu entstehen drohten. Auch dies folgte der nationalsozialistischen Rhetorik einer mittelstandsorientierten Politik.159 Dass diese ohnehin eher allgemeinen Vorgaben noch insgesamt unter den Vorbehalt »des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses« – und das hieß: der Interessen der Kriegswirtschaft – gestellt wurden, dürfte ihre Verbindlichkeit allerdings nicht erhöht haben. Der eigentliche Ort, an dem sich die Steuerung und Kontrolle des Prozesses der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit praktisch entfaltete, war daher die Ebene der mittleren Partei- und Staatsstellen. Hier sorgte die Bestimmung der Regierungspräsidien zur Genehmigungsinstanz im April 1938 im Gau Hessen-Nassau für Unsicherheit und Verzögerungen, weil der Verwaltungsbehörde zunächst keine Ausführungsbestimmungen durch das Reichswirtschaftsministerium zugingen, während die Beteiligung der sich bisher zuständig fühlenden Gauwirtschaftsberater nach dem Verordnungstext gar nicht vorgesehen war. Infolgedessen kam es bei den zwischen ­April und Juli 1938 auftretenden Übernahmevorhaben zu einem Entscheidungsstau, der etwas gemildert werden konnte, weil sich der Regierungspräsident auf Drängen der Gauleitung mit der vorläufigen Genehmigung der weniger umfangreichen Betriebsübernahmen einverstanden erklärte.160 Bereits kurze Zeit nach der Anmeldungsverordnung hatte der hessische Gauwirtschaftsberater sich beim Leiter der Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP außerdem dafür eingesetzt, die Voraussetzungen zur Genehmigung von Unternehmensverkäufen auch weiterhin von den Gauwirtschaftsämtern prüfen zu lassen.161 De facto änderte sich an der informellen Führungsrolle des Gauwirtschaftsberaters, der die zuständigen Stellen bereits am 22. Juni zu einer koordinierenden Sitzung unter seiner Leitung eingeladen hatte, auch nach Erlass der internen Durchführungsverordnung nichts.162 Vielmehr hatte sich in den Wochen zuvor längst ein Zusammenwirken verschiedener Stellen auf lokaler und regionaler Ebene ein159 Rundschreiben RWM, 5.7.1938, ebd., Bl. 45–47. 160 Notiz für GWB Eckardt, 3.5.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132; Aktennotiz betr. Arisierungen, 11.6.1938, ebd. 161 GWB Hessen-Nassau an Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP, 28.4.1938, ebd. 162 Einladungsschreiben an verschiedene Stellen, 16.6.1938, ebd.; die Dominanz des Gauwirtschaftsberaters stellt auch Bajohr, Arisierung, S. 223–227 fest.

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gespielt. Der Gauwirtschaftsberater gab einen Fragebogen heraus, der von den Interessenten für jüdische Unternehmen auszufüllen war und ihnen von der Industrie- und Handelskammer als der ersten Anlaufstelle im Genehmigungsprozess vorgelegt wurde. Der Gauwirtschaftsberater erhielt die Vertragsdokumente zur Prüfung und zog vor seiner Entscheidung noch Stellungnahmen des Kreiswirtschaftsberaters und des zuständigen Gauobmanns der Deutschen Arbeitsfront hinzu.163 Die Beteiligung der DAF war zwar in den Richtlinien des Ministeriums nicht vorgesehen, wurde aber als bereits gängige Praxis beibehalten.164 Das Regierungspräsidium Wiesbaden und der Frankfurter Oberbürgermeister folgten den vom Gauwirtschaftsberater getroffenen Entscheidungen und Auf­ lagen routinemäßig, ihre Funktion als zuständige Genehmigungsinstanz war insofern eine rein formale. Es konnte im dynamischen Gefüge des NS-Systems kaum ausbleiben, dass der Transfer jüdischen Vermögens in nicht-jüdischen Besitz noch von weiteren Akteuren als Betätigungsgebiet entdeckt wurde und diese sich in den Verbund der Beteiligten hineinzudrängen versuchten. Lautstark auf sich aufmerksam machte dabei eine Reihe von »Arisierungsgesellschaften« wie beispielsweise die von Beiratsmitgliedern des Fachverbandes Leder- und Galanteriewaren gegründete Lega GmbH, deren Gründung den zuständigen Stellen im Juni 1938 angekündigt wurde.165 Die Gesellschaft sollte nach ihrer Eigendarstellung sowohl die Liquidierung als auch die Übernahme jüdischer Unternehmen ihrer Branche steuern und überwachen. In Anlehnung an die einschlägige NS-Rhetorik stellte sie dabei vor allem heraus, verhindern zu wollen, »daß Grosskonzerne des Handels und der Industrie sowie Grossbanken aus rein privatkapitalistischen Erwägungen jüdische Einzelhandelsbetriebe in einer auch vom Parteistandpunkt völlig unerwünschten Richtung arisieren.«166 Im Falle von Liquidationen, die bisher in der Tat noch kaum geregelt wurden, plante die Lega, die vorhandenen Warenbestände zu erfassen und zu bewerten. Anschließend sollten die Waren in öffentlicher Versteigerung an die ansässigen nicht-jüdischen Händler veräußert werden, wobei die Lega gegebenenfalls Kredite zur Verfügung stellte. Bei Übernahmen sollte der Kaufpreis nach einer Betriebsprüfung festgesetzt und das betreffende Unternehmen anschließend an geeignete Interessenten vermittelt werden, deren Kapitalverhältnisse vorab geprüft worden waren.167 Ziel war es somit, die mit der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit verbundenen Marktbeunruhigungen abzumildern sowie die Warenvorräte jüdischer Konkurrenten gleichmäßig unter den Verbandsmitgliedern aufzuteilen. Während diese Form der »Arisierungsgesellschaft« von den Führern der Wirtschaftsgruppen und vom Reichswirtschaftsministerium mit einigem Wohl163 Aktennotiz für Pg. Eckardt, 24.6.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 164 Notiz betr. Arisierungen, 14.7.1938, ebd. 165 Rundschreiben Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, 24.6.1938, ebd. 166 Informationsblatt »Sinn und Zweck der Lega GmbH Berlin«, o. D. [Juni 1938], ebd. 167 Informationsblatt »Wie die Lega GmbH Berlin arbeitet«, o. D. [Juni 1938], ebd.

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wollen betrachtet wurde, stieß sie beim hessischen Gauwirtschaftsberater auf keine Gegenliebe. Als »höchst überflüssig« bezeichnete er die Aktivität der Lega gegenüber einem Amtskollegen, weil die Überwachung von Geschäftsübernahmen bereits in ausreichender Weise wahrgenommen werde.168 Insofern scheint der Gauwirtschaftsberater die eigenmächtige Einschaltung der Gesellschaft, die sich nicht auf institutionelle Regelungen berufen konnte, vor allem als störend und lästig empfunden zu haben. Ihr Einfluss dürfte daher gering gewesen sein. Eigenständige Initiative entwickelte auch die Deutsche Arbeitsfront. Im Zuge einer »Sonderaktion« drangsalierte die Organisation seit dem Frühjahr 1938 eine ganze Reihe jüdischer Unternehmen, prangerte deren angeblich ausbeuterische Lohn- und Gehaltsbedingungen an und erzwang umfangreiche Sonderzahlungen an die nicht-jüdischen Angestellten. Im Falle der Glas- & Porzellangesellschaft Hofmeister & Co. beliefen sich diese Sondervergütungen auf 16.000 RM. Einige Monate später, im September 1938, erzwang die DAF schließlich auch den Verkauf des Handelsunternehmens, das für 40.000  RM von zwei Angestellten übernommen wurde.169 Am Beispiel der Textilgroßhandelsfirma Ernst Lochner & Horkheimer wird deutlich, dass die Initiative zu diesen Erpressungen wohl nicht selten von den im Betrieb beschäftigten DAF-Mitgliedern ausging. Auch in diesem Fall strebten zwei Angestellte danach, das Unternehmen zu erwerben. Nachdem die Übernahmeversuche gescheitert waren, wussten sie sich allerdings auf eine andere Weise schadlos zu halten. Gleich mehrmals hintereinander erreichten sie, den Inhabern von der DAF Sonderzahlungen an die Angestellten auferlegen zu lassen. Das Unternehmen wurde nicht zuletzt dadurch in die Liquidation gezwungen und Anfang 1939 im Handelsregister gelöscht.170 Die Aktionen der DAF erzielten auf diese Weise eine Umverteilung der Vermögenssubstanz jüdischer Unternehmen, denn diese konnten die verhängten Sonderzahlungen nicht mehr aus den laufenden Einnahmen begleichen. Damit wurde zum einen den nicht-jüdischen Angestellten dazu verholfen, von der Verfolgung ganz unmittelbar zu profitieren. Zum anderen konnte auf diese Weise eine Reihe von Unternehmen endgültig zur Aufgabe gezwungen werden. Sogar darüber hinaus bemühte sich die DAF aber, für sich und ihre Mitglieder das Mögliche herauszuholen. Im Falle der Firma L. Bauer & Co., deren Inhaber Paul Bauer im Zuge des Novemberpogroms verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt worden war, schaltete sich die Arbeitsfront in die Liquidation ein und verlangte noch aus der Konkursmasse üppige »Treueprämien« für die nicht-jüdischen Angestellten. Das Konkursverfahren endete daraufhin mit einem Zwangsvergleich.171 168 GWB Hessen-Nassau an GWB Weser-Ems, 4.10.1938, ebd. 169 Eidesstattliche Erklärung Robert Wachenheim, 3.10.1949, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 2109, darin Akte Wi-Ffm-A 3164, Bl. 24 f. 170 Emil Horkheimer an Bernhard und Walther Horkheimer, 31.1.1939, HStAW, Abt. 518, 8481, Bl. 50–53; Aussage August Lanz, 26.7.1956, ebd., Bl. 15–17. 171 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 30.11.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6402/03.

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Auf nochmals drastischere Art und Weise schaltete sich die DAF in einem weiteren spektakulären Übernahmefall ein. Hierbei handelte es sich um die Naxos Schmirgel Schleifwaren Fabrik, die im Jahr 1885 in jüdisch/nichtjüdischer Kooperation gegründet worden war. Während der Zeit der NS-Herrschaft wurde die Schleifscheibenfabrik mittlerweile von den jeweiligen Erben der beiden Gründerväter geleitet. Die langjährige Zusammenarbeit von jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern in einem Unternehmen war den nationalsozialistischen Stellen ein steter Dorn im Auge, bestand in diesen Fällen doch in besonderem Maße die Gefahr der »Tarnung« jüdischen Einflusses. Im April 1938 setzte die DAF kurzerhand einen kommissarischen Verwalter für das Unternehmen ein, der einen Verkauf in die Wege leiten und die Verhandlungen forcieren sollte. Nachdem ein auswärtiger Kaufmann sich als Interessent hatte ins Spiel bringen können, sorgte die DAF im Zuge des Übernahmeprozesses dafür, dass durch verschiedene Abzüge und Sonderzahlungen von dem vertraglichen Kaufpreis von 110.000 RM letztendlich gar nichts bezahlt werden musste.172 Aus der ungezügelten Verfolgungsaktivität der Arbeitsfront erwuchsen keine Konflikte mit anderen Stellen; sie wirkten sich offenbar in vielen Fällen nur als zusätzliches Druckmoment und ökonomisch ausschließlich zuungunsten der jüdischen Unternehmer aus. Die führende Rolle des Gauwirtschaftsberaters wurde nicht in Frage gestellt, so dass dessen Büro spätestens seit dem Sommer 1938 endgültig zur zentralen Instanz bei der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit aufstieg. Im Juli 1938 lagen dem Gauwirtschaftsberater bereits 300 Anträge auf Übernahmen jüdischer Unternehmen vor, wobei den 20 größeren Betrieben ein besonderes Augenmerk galt.173 Auf den ersten Blick wurde das Gauwirtschaftsamt zwar erst dann beteiligt, wenn sich Käufer und Verkäufer bereits zusammengefunden und ihre Verhandlungen abgeschlossen hatten. Bisweilen wurde der Gauwirtschaftsberater aber auch über laufende Übernahmeverhandlungen informiert und schaltete sich telephonisch ein.174 Von sich aus intervenierte der Gauwirtschaftsberater im Allgemeinen aber nur dann, wenn das betreffende Unternehmen von wirtschaftlicher Bedeutung oder er durch interessierte Beteiligte auf einen Fall besonders angesetzt worden war. Vor allem in der systematischen Minderbewertung des zum Verkauf stehenden Unternehmensvermögens wirkte sich die Überwachungs- und Genehmigungstätigkeit des Gauwirtschaftsberaters aus.175 Dieser hatte im Juli 1938 Richtlinien für die Übernahme jüdischer Unternehmen erlassen, in denen gefordert wurde, vorhandene Warenvorräte grundsätzlich zum Einkaufswert mit Abzügen für unkurante Artikel, Geschäftsinventar nur zum Liquidationswert

172 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 31.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6730. 173 Notiz betr. Arisierungen, o. D. [Juli 1938], HStAW, Abt. 519/1, 132. 174 Wirtschaftskammer Hessen an GWB Hessen-Nassau, 21.5.1938, ebd. 175 Vgl. zum Folgenden auch Bajohr, Arisierung, S. 233–241.

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und Firmengrundstücke nur zum Einheitswert zu übernehmen.176 Im Zweifelsfall waren durch die Industrie- und Handelskammer bestellte Sachverständige hinzuzuziehen. Eine Übernahme sollte grundsätzlich unter Ausschluss der Forderungen und Verbindlichkeiten erfolgen, sofern dadurch nicht der weitere Geschäftsbetrieb unmöglich gemacht wurde. Während die nicht-jüdische Angestelltenschaft vollständig übernommen werden musste, waren im Gegenzug alle jüdischen Angestellten sofort zu entlassen, sofern sie nicht für den Geschäftsbetrieb unabkömmlich schienen. Auch die jüdischen Inhaber sollten sofort aus dem Unternehmen ausscheiden. Dieser letzte Passus richtete sich offenbar gegen die gängige Praxis, nach der die Vorinhaber für eine Übergangszeit weiter im Unternehmen tätig waren und die neuen Besitzer in das Geschäft und den Kundenkreis einführten, mitunter auch als Reisende weiterhin für das Unternehmen Geschäfte abschlossen. Viele Beispiele zeigen allerdings, dass dies auch nach Erlass der Richtlinien weiterhin üblich blieb, zumal die Erwerber daran durchaus ein Interesse haben konnten. Im Laufe des Jahres 1938 ging das Gauwirtschaftsamt zu einer systema­ tischen Erfassung der jüdischen Gewerbetätigkeit über. Im Mai und Juni wurde mit der Unterstützung der Wirtschaftsfachverbände und der IHK eine ausführliche Bestandsaufnahme der noch bestehenden Unternehmen und Handwerksbetriebe im Gaugebiet erarbeitet. Dabei kooperierte der Gauwirtschaftsberater in enger Weise mit den Organisationen der gewerblichen Wirtschaft, um leitende Gesichtspunkte für eine Art Globalsteuerung zu gewinnen. Im Juli 1938 fragte er in diesem Zusammenhang beim Vorsitzenden des Viehwirtschaftsverbandes Hessen-Nassau an, »ob Sie mit Rücksicht auf die Fleischkontingentierung die Überführung sämtlicher jüdischer Metzgereien in arische Hände für notwendig oder zweckmässig erachten oder welchen Prozentsatz Sie etwa ausgeschaltet wünschen.«177 Andere Fachverbände hatten bereits von sich aus dafür plädiert, mit der Ausschaltung der jüdischen Unternehmer gleichzeitig eine Branchenbereinigung zu betreiben. So teilte die Fachuntergruppe Wolle der Wirtschaftsgruppe Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel schon im April 1938 unaufgefordert ihre Haltung mit, »dass die uns noch angeschlossenen wenigen jüdischen Wollhandelsfirmen nach Möglichkeit zu liquidieren sind und nicht in deutsche Hände überführt werden sollten.«178 Auch die Wirtschaftliche Vereinigung der Süßwarengroßhändler wandte sich im Juli 1938 an die Genehmigungsinstanzen, um ihre Intervention in einem Einzelfall zu einer grundlegenden Darlegung ihres Standpunktes zu nutzen. Dabei verwies sie auf die bestehende Kontingentierung von Zucker, mit der sich die gesamte Branche konfrontiert sah. Dies müsse jüdische Unternehmen zu einem begehrten Objekt für Konkurrenten machen, die dabei weniger an den Betrieben als solchen, 176 Gauwirtschaftsberater Hessen-Nassau: Richtlinien, die bei der Übernahme eines jüdischen Geschäftes besonders zu beachten sind, 7.7.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 177 GWB an Viehwirtschaftsverband Hessen-Nassau, 8.7.1938, ebd. 178 Fachuntergruppe Wolle an GWB Hessen-Nassau, 23.4.1938, ebd.

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sondern vielmehr an den ihnen zustehenden Rohstoffkontingenten interessiert seien. Es gelte zu verhindern, »dass sich arische Süsswarengrossverteiler im Zuge dieser Entwicklung in Ausnützung ihrer finanziellen Beweglichkeit durch Übernahme nichtarischer Betriebe in den Besitz von Lieferansprüchen setzen, und sich auf diese Weise als ›Marktordnungs-Gewinnler‹ betätigen.« Dies befördere Konzentrationsprozesse, während die Liquidation der Unternehmen eine gleichmäßige Verteilung der freiwerdenden Kontingente ermögliche.179 Die Notwendigkeit einer vollständigen Liquidation der jüdischen Unternehmen hob auch die Fachgruppe Eisen- und Stahlhandel hervor, indem sie vor allem auf das bekannte Motiv der »Übersetzung« der Branche rekurrierte: Es sei »gar nicht notwendig, daß jüdische Eisenhandelsfirmen in arischen Besitz übergehen und somithin die momentan starke Konkurrenz in unserem Handelsgebiet noch verstärken helfen.«180 Dabei schwang offensichtlich der Gedanke mit, dass jüdische Unternehmen im Allgemeinen nur noch einen geringen Geschäfts­ radius aufwiesen, sich nach einer Übernahme in nicht-jüdischen Besitz aber möglicherweise wieder beleben könnten und somit die bestehende Konkurrenzsituation verschärft würde. Dass sich einige Wirtschaftsverbände nicht nur beratend und mahnend, sondern auch als eigene Akteure in den Prozess der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit einschalteten, zeigt das Beispiel des Holzhandels. Bereits im Januar 1938 hatte die zuständige Fachgruppe dem Gauwirtschaftsberater eine Auf­ stellung der im Gau befindlichen jüdischen Holzhandelsfirmen übersandt.181 In Frankfurt bestanden zu dieser Zeit noch acht solcher Unternehmen, woran sich bis September des Jahres nichts geändert hatte.182 Das oben geschilderte Beispiel der Firma Julius Lilienstein hat gezeigt, dass der Geschäftsumfang dieser Unternehmen wohl nur noch gering war. Das hinderte den Fachverband nicht daran, weiteren Druck auf die verbliebenen Firmen auszuüben, indem er deren Geschäftsbücher untersuchen und daraus Liefer- und Abnehmerfirmen zusammenstellen ließ.183 Auf diese Weise konnten die nicht-jüdischen Geschäftspartner namhaft gemacht und zur Beendigung ihrer Zusammenarbeit gebracht werden. Einen guten Monat später, kurz nach dem November­pogrom, konnte die Fachgruppe schließlich vermelden, dass von den acht jüdischen Holzhändlern mittlerweile vier ihr Gewerbe abgemeldet hätten. Die übrigen Betriebe, darunter auch die Firma Julius Lilienstein, sollten beim nächsten Besuch eines Verbandsvertreters in Frankfurt ultimativ zur Abmeldung auf­ gefordert werden.184 179 Wirtschaftliche Vereinigung der deutschen Süßwarenwirtschaft an Regierungspräsidenten Wiesbaden, 11.7.1938, ebd. 180 Fachgruppe Eisen- und Stahlhandel an Gauberatungsstelle Hessen, 11.11.1938, ebd. 181 Fachgruppe Holzhandel an GWB Hessen-Nassau, 26.1.1938, ebd. 182 DAF an GWB Hessen-Nassau, 16.9.1938, ebd. 183 Fachgruppe Holzhandel an GWB Hessen-Nassau (Listen im Anhang), 8.10.1938, ebd. 184 Fachgruppe Holzhandel an GWB Hessen-Nassau, 15.11.1938, ebd.

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Die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere der Handelsbranchen, erwiesen sich als die eifrigsten Verfechter einer liquidationsorientierten Richtung bei der Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit, indem sie die Forderung erhoben, sie in eine Politik der Strukturbereinigung und der gleichmäßigen Umverteilung von Marktanteilen und Ressourcen zu überführen. Diese von partikularen Gruppeninteressen bestimmte Linie barg durchaus das Potential zu Reibungen und Konflikten mit anderen politischen Strategien und Zielen. So lief die von der NS-Wirtschaftsführung verfochtene kriegswirtschaftliche Richtung zwar einerseits darauf hinaus, durch die Liquidation von Unternehmen jüdisches Privatvermögen freizusetzen und es anschließend für die Rüstungsziele des Regimes abzuschöpfen, andererseits erforderten die Belange der Kriegswirtschaft, ökonomische Erschütterungen unbedingt zu vermeiden, um diese Rüstungsziele nicht zu gefährden. Vor diesem Hintergrund war es notwendig, die rüstungswirtschaftlich bedeutsamen Produktionsunternehmen sowie die für die Devisen- und Rohstoffbeschaffung unabdingbaren Exportunternehmen zu erhalten und möglichst störungsfrei in nicht-jüdischen Besitz zu transferieren. Größere Konflikte scheinen in dieser Frage deswegen nicht entstanden zu sein, weil die Großunternehmen unmittelbar durch das RWM überwacht und kontrolliert wurden. Darüber hinaus bestimmte das Ministerium im Oktober zusätzlich, sich nun auch bei Unternehmen, deren Ausfuhr 1937 einen Gegenwert von 100.000 RM überstiegen hatte, die letzte Entscheidung vorbehalten zu wollen. Außerdem sollten von jetzt an auch die zuständigen Außenhandelsstellen beteiligt werden.185 Dass es indes einer Branchenbereinigung zumindest im Einzelhandel durchaus aufgeschlossen gegenüberstand, demonstrierte das Reichswirtschaftsministerium, als es im September 1938 die Industrie- und Handelskammern anwies, bei der Übernahme jüdischer Einzelhandelsgeschäfte auch die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel zu beteiligen.186 Wenn hingegen Belange der Kriegswirtschaft berührt waren, scheute sich das Ministerium nicht, auch auf den unteren Ebenen einzugreifen. So wurde noch im Dezember 1938 der zuständige Fachverband für Alt- und Abfallstoffe angewiesen, vor Ort dafür Sorge zu tragen, »die Liquidation oder Übernahme mit äußerster Vorsicht zu betreiben, um dem Aufkommen von Altmaterial nicht zu schaden.«187 Die im Gaugebiet befind­lichen jüdischen Handelsunternehmen der Altwarenbranche sollten im Regelfall erhalten und in nicht-jüdischen Besitz – und zwar von Fachleuten – überführt werden. Ebenfalls gegen den Eifer der Wirtschaftsverbände und der unteren NS-Stellen wandte sich das Ministerium, als es im Dezember 1938 Bestrebungen entgegentrat, im Zuge der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit 185 Rundschreiben RWM betr. Entjudung von Ausfuhrunternehmen, 27.10.1938, BAL, R 11, 208, Bl. 99. 186 RWM an Arbeitsgemeinschaft der IHKn, 5.9.1938, ebd., Bl. 74. 187 Fachgruppe Alt- und Abfallstoffe an GWB Hessen-Nassau, 20.12.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132.

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die seit 1933 scheinbar aufgeschobene »Warenhausfrage« gleich mit in Angriff zu nehmen.188 Ebenso wie die den NS-Aktivisten seit jeher verhassten Konsumvereine waren die Warenhäuser allerdings aufgrund ihrer umfangreichen Lagerkapazitäten für die Versorgung der Bevölkerung unter Kriegsbedingungen schlichtweg unabdingbar. Solche Gesichtspunkte gingen der NS-Wirtschaftsführung in jedem Falle vor.189 Insgesamt stand der Groß- und Einzelhandel im Zeichen des liquidations­ orientierten Verfolgungsprozesses. Bevor über Übernahmemodalitäten entschieden wurde, sollten die zuständigen Stellen feststellen, ob die Erhaltung des betreffenden Unternehmens überhaupt wünschenswert sei.190 Als genuines Tätigkeitsgebiet des Gauwirtschaftsberaters bildete sich vor allem der Bereich der Einzelhandels- und Handwerksbetriebe heraus.191 Dass dieser die Wünsche nach einer flächendeckenden Stilllegungspolitik keineswegs ungebrochen aufnahm, zeigt das Beispiel des Textilsektors. Nach bekanntem Muster hatte die Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie Ende Juli 1938 an die zuständigen Stellen Listen »liquidationsreifer jüdischer Betriebe« versandt, auf denen auch zahlreiche Frankfurter Handelsfirmen aufgeführt waren.192 Der Gauwirtschaftsberater machte sich diese Sichtweise allerdings nicht zu Eigen, sondern stellte sich auf den Standpunkt, dass eine Reihe der aufgeführten Unternehmen »als erhaltungswürdig angesehen werden, da die Übernehmer Angestellte der betreffenden Unternehmen sind, und diesen damit eine Existenz ge­boten wird.«193 Obwohl die Wirtschaftsgruppe noch mehrmals schriftlich auf ihrer Forderung nach Liquidation beharrte und sich dabei auf die Unterstützung durch das Reichswirtschaftsministerium berief, fehlte ihr die Durchsetzungsmacht.194 So kam es, dass von den elf auf einer der Listen aufgeführten Frankfurter Wäschegeschäften mindestens sechs in nicht-jüdischen Besitz überführt wurden. Von der Liste der Herrenbekleidungsunternehmen waren es mindestens vier von sieben. Forderungen nach einer flächendeckenden Stilllegung wurden auf diese Weise konterkariert. Der Gauwirtschaftsberater machte deutlich, dass für ihn auch andere Gesichtspunkte maßgeblich waren, namentlich die Interessen derjenigen, die durch die Übernahme jüdischer Unternehmen den Schritt in die wirtschaftliche Selbständigkeit vollziehen konnten. Hier zeigte sich eine wei188 Rundschreiben RWM an die Regierungspräsidien, 14.12.1938, IfS, Magistratsakten, 7378. 189 Noch im Januar 1938 hatte sich daher das RWM gegen ein Kaufverbot für Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes in Warenhäusern ausgesprochen; RWM an Reichskanzlei u. a., 22.1.1938, BA-MA, RW 19, 981, Bl. 271 f. 190 Umlaufnotiz betr. Arisierungen, 2.6.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 191 Notiz betr. Arisierungen, 23.7.1938, ebd. 192 Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie an GWB Hessen-Nassau (Listen im Anhang), 30.7.1938, ebd. 193 GWB Hessen-Nassau an Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie, 4.8.1938, ebd. 194 Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie an GWB Hessen-Nassau, 6.8.1938; dass., 23.8. 1938; dass., 24.8.1938, ebd.

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tere Konfliktlinie zwischen der aufstiegsorientierten Prozessrichtung, die von den zahlreichen am Erwerb jüdischer Unternehmen Interessierten ausging und der auf Liquidation orientierten Politikrichtung der Wirtschaftsverbände. Im Schnittpunkt dieser widerstreitenden Interessen kam dem Gauwirtschaftsberater eine vermittelnde Funktion zu. Dass er dabei gängige NS-Stereotype über produktives Wirtschaften einfließen ließ, zeigt das Beispiel der Firma Schwerin & Co. Dieses Handelsunternehmen für Herrenkleidung wurde, nachdem die jüdischen Inhaber mehrmals von SA-Leuten bedroht worden waren, bereits im Juni 1938 an zwei nicht-jüdische Interessenten verkauft, von denen einer Angestellter des Betriebes war. Auf den später eingereichten Listen der Wirtschaftsgruppe tauchte das Unternehmen daher nicht mehr auf, allerdings hatte die zuständige Fachgruppe bereits zuvor Einspruch gegen eine Übernahme eingelegt, so dass sich die Genehmigung vorerst verzögerte. Erst im November 1938 gab der Gauwirtschaftsberater schließlich der Übernahme statt, nachdem die Erwerber seine Auflage erfüllt hatten, in dem Unternehmen eine eigene Fabri­ kationsstätte einzurichten.195 Nach seiner Auffassung war ein herstellendes Unternehmen erhaltenswerter als ein nur Handel treibendes, so dass eine Änderung des Betriebsprofils die Übernahme rechtfertigen konnte. Bis zum Novemberpogrom scheinen sich die Genehmigungsinstanzen Übernahmen, die zwischen den Beteiligten bereits ausgehandelt und in die Wege geleitet worden waren, nur selten entgegengestellt zu haben. Erst nach dem Novemberpogrom, unter ge­änderten Vorzeichen, erwuchsen auf diesem Feld zahlreiche Konfliktfälle. Im Verlauf des Jahres 1938 flammte auch die antisemitische Gewalt wieder auf. Nach Raul Hilberg war diese Gewalt kein notwendiges, integrales Element des mit bürokratisch-administrativen Mitteln vorangetriebenen Vernichtungsprozesses, sondern eher ein letzter Versuch unterer NS-Anhänger, sich in diesen Prozess noch einzuschalten und zur Geltung zu bringen.196 Dennoch stand Gewalt in einem intensiven funktionalen Zusammenhang und in deutlicher Wechselwirkung mit allen Teilprozessen auf dem Weg zur wirtschaftlichen und physischen Vernichtung der Juden. Die Gewaltpraxis unterlag einem Prozess, der kommende Pogrom war kein isoliertes Ereignis. Obwohl die Wucht dieses Ausbruchs der Barbarei bei vielen Betroffenen einen fundamentalen Schock auslöste, den sie im Rückblick als die zentrale Erfahrungszäsur ihres Verfolgungsschicksals erinnerten, kündigten sich die Ereignisse in den Monaten zuvor bereits an.197 War schon die NS-Machtübernahme in Österreich von einer kaum zu kontrollierenden Gewaltwelle begleitet worden, flammten nur wenig später die antisemitischen Aktionen auch im Altreich wieder auf. Am 23. April 1938 begannen in Frankfurt erneut planmäßige Boykottaktionen, von denen mindestens ein Dutzend größerer Einzelhandelsgeschäfte im Zentrum be195 Fa. Dönne & Hellwig an Zentralmeldeamt, 12.5.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 459. 196 Hilberg, Bd. 1, S. 36–55; hierzu auch Longerich, Bataillone, S. 230–237. 197 Vgl. Wildt, Volksgemeinschaft, S. 301.

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troffen war.198 Diese folgten dem bekannten Muster: NS-Anhänger postierten sich vor den Eingängen von Geschäften und behinderten und belästigten Kunden beim Eintreten. Es kam nun aber häufiger vor, dass diejenigen, die noch Einkäufe wagten, beleidigt, bedroht, mitunter angespuckt, herumgestoßen und noch über mehrere Straßenzüge verfolgt wurden.199 In einigen Fällen versperrten Eisenketten oder Draht die Geschäftseingänge, zumeist machten die erheblichen Menschenmengen ein Durchkommen ohnehin unmöglich.200 Darüber hinaus wurden jüdische Geschäfte mit Plakaten beklebt und mit obszönen Schmierereien verunstaltet. Die Polizei sorgte zwar wiederholt dafür, die umfangreichen Menschenansammlungen vor den betroffenen Geschäften zu zerstreuen, hinderte die Boykottakteure aber in ihrem Tun nicht. Auch in den folgenden Wochen setzten diese ihr Treiben kaum gehindert fort.201 In Frankfurt befahl daraufhin der Polizeipräsident Anfang Juni 1938, bei gesetzeswidrigen Ausschreitungen die Teilnehmenden künftig ohne Ansehen der Person festzunehmen. Als wenige Tage später allerdings mehrere uniformierte Leute, die vor dem im Ausverkauf befindlichen Strumpfhaus Metzger die Kunden auf Parteiangehörigkeit kontrollieren wollten, festgenommen und auch nach heftigen Interventionsversuchen der Kreisleitung in Haft behalten wurden, sorgte dies für einen handfesten Skandal, in dessen Verlauf sich die Polizeiführung schließlich bei den Betroffenen entschuldigen musste.202 Daraufhin präzisierte der Polizeipräsident seine Richtlinien, indem er zwischen »legalem« und »illegalem Boykott« unterscheiden wollte. Während in Fällen legalen Boykotts – wie der Kontrolle von Parteiausweisen vor jüdischen Geschäften – nicht polizeilich einzuschreiten und dieser vielmehr »von jedem Beamten freudig zu begrüßen« sei, sollten gesetzlich strafbare Handlungen durchaus geahndet werden – im Rahmen der Judenpolitik bedurfte es hierzu erst der ausdrücklichen Bestätigung.203 Zur Orientierung der Polizeibeamten dürften die Erläuterungen allerdings wenig beigetragen, vielmehr dazu geführt haben, dass diese antisemitische Aktivisten im Zweifelsfall gewähren ließen. Die Frankfurter Boykottaktionen waren Teil  einer reichsweiten antisemi­ tischen Gewaltwelle, die sich besonders in Berlin manifestierte. Hier zogen seit Anfang Mai 1938 organisierte Gruppen gewaltbereiter NS-Anhänger am helllichten Tage durch die Straßen und plakatierten und beschmierten jüdische Geschäfte. Dabei wurden immer wieder auch Schaufensterscheiben zerstört und Läden geplündert.204 Die Täter bewegten sich dabei bald auch im 198 Bericht CV Hessen-Nassau an Zentrale, 2.5.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3182, Bl. 338–342 (CAHJP, M2/8808). 199 Aktennotiz Dr. Steinberg, 27.4.1938, ebd., Bl. 357–359. 200 CV an Reichsvertretung, 29.4.1938, ebd., Bl. 351. 201 Kurt Steinberg an Leo Baeck, 16.6.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/634, Bl. 75. 202 SS-Oberabschnitt Fulda-Werra an Sicherheitshauptamt, 23.6.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/645, Bl. 11–14. 203 Rundschreiben Polizeipräsident Ffm., 11.6.1938, ebd., Bl. 2. 204 Eilbericht SS-Oberabschnitt Ost an Sicherheitshauptamt, 24.6.1938, ebd., Bl. 16 f.

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Sog der großangelegten »Asozialen-Aktion«, in deren Rahmen Mitte Juni 1938 reichsweit Tausende Juden verhaftet wurden.205 Während dieses Ausnahmezustandes etablierten sich nahezu rechtsfreie Räume, denn die Polizei war durch die Verhaftungsaktion absorbiert und überließ die Szene den antisemitischen Gewalt­tätern. Die Ausschreitungen gegen jüdische Bürger waren nicht zuletzt Ausdruck von Macht- und Richtungskämpfen hinter den Kulissen der polykratischen Verfolgungsapparate. An zahlreichen Stellen springt die Rolle des Propagandaministers und Berliner Gauleiters Goebbels ins Auge, der am 10. Juni die Führungskräfte der Berliner Polizei zu einem »Schulungsvortrag« in sein Ministerium bestellt und zu einem verschärften Vorgehen gegen Juden aufgefordert hatte. Goebbels war bereits seit einiger Zeit innerhalb des NS-Herrschaftssystems etwas ins Hintertreffen geraten und nutzte das Medium antisemitischer Gewaltpolitik, um sich wieder in den Vorgrund zu spielen. Das traf sich mit den Bedürfnissen der unteren NS-Anhängerschaft, denen das gesetzliche Vorgehen gegen die deutschen Juden viel zu langsam ging. Die Entwicklung wurde von den Ämtern des SD aufmerksam beobachtet und als potentielle Gefahr für die beanspruchte Führungsrolle in der »Judenfrage« angesehen.206 Auch der inzwischen zum Reichswirtschaftsminister ernannte Walther Funk protestierte energisch gegen die wilde Kennzeichnung jüdischer Geschäfte, die sich angesichts des bereits auf breiter Front eingeleiteten Transfers jüdischen Unternehmensvermögens nur noch kontraproduktiv auswirken konnte.207 Nachdem diese Beschwerden Hitler erreicht hatten, ordnete dieser am 21. Juni persönlich die Einstellung der antisemitischen Aktionen in der Reichshauptstadt an. Den von Beschmierungen und Aufschriften betroffenen Geschäfts­inhabern wurde erlaubt, diese wieder zu entfernen.208 Reinhard Heydrich suchte als Chef der Sicherheitspolizei die Kontrolle über die antisemitische Politik zurückzugewinnen, indem er sich »auf Grund der Berliner Vorgänge« die Genehmigung für Aktionen gegen Juden von nun an persönlich vorbehielt.209 Die Initiative der Radau-Antisemiten um Goebbels war damit zunächst zurückgedrängt worden. Es zeigt sich jedoch, dass die antisemitischen Gewaltpotentiale bereits im Sommer 1938 jederzeit abrufbar waren und ohne Weiteres zum Äußersten hätten aufgestachelt werden können. Insofern bot das Attentat auf einen deutschen Botschaftsmitarbeiter in Paris am 7. November lediglich eine weitere Gelegenheit zum Losschlagen für diejenigen, die darauf bereits seit Wochen und Monaten brannten. 205 Reichskriminalpolizeiamt an Kriminalpolizeileitstelle Erfurt, 1.6.1938, abgedruckt in: VEJ, Bd. 2, Dok. 40, S. 160 f.; Longerich, Politik, S. 172–185. 206 SS-Oberabschnitt Fulda-Werra an SD-Hauptamt, 2.5.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/532, Bl. 4. 207 Vermerk betr. Kennzeichnung der jüdischen Geschäfte, 22.7.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/261, Bl. 44. 208 Eilbericht SS-Oberabschnitt Ost an Sicherheitshauptamt, 24.6.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/645, Bl. 17. 209 Rundschreiben Sicherheitshauptamt an SS-Oberabschnitte, 5.7.1938, ebd., Bl. 24.

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5. Das Ende: Novemberpogrom und danach Dass der Novemberpogrom keiner spontanen Empörung der Bevölkerung entsprang, keine Entladung des propagandistisch beschworenen »Volkszorns« darstellte, ist heute Gewissheit.210 Dass die Initiative und zentrale Steuerung der NS-Führung die antisemitische Gewaltwelle jedoch auch nicht aus dem Nichts hervorbringen konnte, sondern an sich bereits entladende Gewaltpotentiale anknüpfte, haben zahlreiche regionale und lokale Forschungen erhellt. Den Anfang markierten die Ausschreitungen in Kassel am Abend des 7.  November 1938, bei denen eine Horde von dreißig NS-Schergen in Zivil die dortige Synagoge stürmte, das Inventar auf den Vorplatz schleppte und dort entzündete. Anschließend wurden das jüdische Gemeindehaus sowie etwa zwanzig jüdische Geschäfte verwüstet.211 Die antisemitische Gewalt griff an diesem und am nächsten Tag bereits auf mindestens zwei Dutzend vorwiegend kurhessische Städte und Gemeinden über. Am 8. November ging in Bad Hersfeld das erste Synagogengebäude in Flammen auf. In Felsberg wurde am frühen Morgen des 9. November das erste Todesopfer des Pogroms verzeichnet.212 Dass systematisch jüdische Gotteshäuser zu Objekten antisemitischen Zerstörungswillens wurden, bedeutete eine neue Radikalisierungsstufe, die sich aber im Laufe des Jahres bereits darin abgezeichnet hatte, dass mehrere Stadtgemeinden den Abriss von Synagogen ins Werk setzten.213 Auch dass jüdische Geschäfte nicht mehr ›nur‹ boykottiert, gekennzeichnet und verunstaltet, sondern demoliert, zerstört und ausgeplündert wurden, dass NS-Täter vor allem in kleineren Gemeinden auch in Privatwohnungen eindrangen und die Bewohner tätlich angriffen, markierte eine neue Qualität der Verfolgung. Solche Aktionen zielten nicht mehr auf Separierung und Ausgrenzung, sondern auf die physische Existenz der Juden in Deutschland. In Frankfurt begannen die Gewaltaktionen am Vormittag des 10. November 1938, im reichsweiten Vergleich also mit einer gewissen Verzögerung. Am späten Abend des Vortages hatte noch ein Funkspruch des Regierungs­präsidenten in Wiesbaden die Polizeidienststellen aufgerufen, alle Ausschreitungen und Sachschäden zu verhindern. In den frühen Morgenstunden wurde diese Weisung korrigiert: Brandschäden, Plünderungen und Personenschäden seien zu verhüten  – »im übrigen besteht Handlungsfreiheit gegen Eigentum deutscher Juden.«214 Gegen fünf Uhr morgens schwärmten SA-Leute in Zivil in die Stadt aus. Als erstes wurde die Hauptsynagoge in der Börnestraße in Brand gesetzt, 210 Adam, Pogrom; Graml; Longerich, Politik, S. 190–207; Friedländer, S. 291–301. 211 Kammler u. a., S. 248; Kropat, Kristallnacht, S. 21 f. 212 Ders., Reichskristallnacht, S. 56–66. 213 Ball-Kaduri, S. 135 f.; Kropat, Reichskristallnacht, S. 44–46. 214 Funkspruch des Regierungspräsidenten Wiesbaden, 9.11.1938, 23.07 Uhr; dass., 10.11.1938, 6.14 Uhr, abgedruckt in: Kropat, Kristallnacht, Dok. 10, S. 74; Dok. 13, S. 78.

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noch vor Tagesanbruch standen auch die drei anderen großen Synagogen in Flammen. Von ihnen blieb nur die Synagoge im Stadtteil Westend in den äuße­ ren Grundmauern erhalten, die anderen Gebäude wurden zerstört, die Reste später abgerissen.215 Seit den Morgenstunden telefonierten die Frankfurter NSDAP-Kreisleitung und die DAF in verschiedenen Unternehmen Einsatzgruppen zusammen, die anschließend jüdische Einrichtungen und Geschäfte angriffen.216 In den Hauptgeschäftsstraßen der Innenstadt leisteten die Täter mehr als ganze Arbeit. Dort bot sich Passanten und Schaulustigen ein beispielloses Bild der Verwüstung. Vor dem Café Rothschild, dessen gesamte Innen­ einrichtung demoliert worden war, lagen zertretene Torten und Kuchen auf dem Straßen­boden, aus anderen Geschäften waren Wäsche- und Bekleidungsstücke herausgeworfen worden, die nun in Haufen zwischen zertrümmertem Glas herumlagen. Im Schmuck- und Elektrowarengeschäft F. Ehrenfeld, das am Vortag mit einem Ausverkauf begonnen hatte, waren alle Schaufensterscheiben eingeschlagen und wertvolle Photo- und Radioapparate auf die Straße geschleudert worden.217 Dass in einer solchen Szenerie allenthalben geplündert und geraubt wurde, liegt auf der Hand. In den von der Deutschen Arbeitsfront nach dem ­Pogrom zusammengestellten Listen waren die Namen von 116 beschädigten jüdischen Geschäften aufgeführt, davon allein 61 in der Altstadt.218 Welche Rolle kommt dem Novemberpogrom im Verfolgungs- und Vernichtungsprozess zu? Zwar erfolgte nur wenige Tage später der endgültige legislative Schlag gegen das jüdische Wirtschaftsleben, als am 12. November mittels Verordnung das weitere Führen von Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben sowie der Verkauf auf Märkten und Messen für Juden vom 1.  Januar 1939 an untersagt wurde.219 Deutliche Hinweise liegen allerdings vor, dass hiermit nur die Umsetzung bereits vorbereiteter Maßnahmen erfolgte, die auch ohne den Pogrom nicht viel länger hätten auf sich warten lassen.220 Doch warum warteten die Nationalsozialisten mit einer gesetzlichen Ausschaltung überhaupt bis zum Ende des Jahres und worauf zielte diese genau? Eine Woche nach den Pogromtagen machte das Reichswirtschaftsministerium in einem Runderlass deutlich, dass es die hierdurch geschaffenen Fakten für eine Forcierung der ökonomischen Strukturbereinigung nutzen wollte. Waren jüdische Einzelhandelsgeschäfte und Handwerksbetriebe infolge der Zerstörungen geschlossen worden, sollten sie grundsätzlich nicht mehr eröffnet

215 Die Synagogen brennen, S.  141–157; Willy Mainz, Gemeinde in Not 1933–1938 [1946], in: Dokumente, VI/1, S. 239–255, hier S. 253 f.; vgl. auch die Augenzeugenberichte in Kößler u. a. 216 Urteil des LG Ffm., 23.4.1953, abgedruckt in: Moritz/Noam, Dok. 28, S. 223–230. 217 Die Synagogen brennen, S. 165–170. 218 Kreisleitung an GWB (Listen im Anhang), 8.12.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 219 VO zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben vom 12.11.1938, RGBl. I, S. 1580. 220 Barkai, Boykott, S. 146–152.

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werden.221 Wiedereröffnungen sollten nur erfolgen, sofern eine Übernahme in nicht-jüdischen Besitz bereits gesichert war; Übernahmen sollten allerdings »unter verschärfter Anwendung des Runderlasses vom 5. Juli« nur noch genehmigt werden, wenn die Versorgung der Bevölkerung dies notwendig erscheinen ließ. Bereits im Gang befindliche Genehmigungsverfahren waren mit allen Mitteln zu beschleunigen; zunächst sollte aber die Vorfrage geklärt werden, ob für die Betriebe überhaupt ein wirtschaftliches Bedürfnis bestehe. Die Auswirkungen dieser Kahlschlagspolitik waren radikal: Im Mai 1939 konnte die Industrie- und Handelskammer Frankfurt der Deutschen Arbeitsfront mitteilen, dass von 246 nach dem Novemberpogrom noch vorhandenen jüdischen Einzelhandelsgeschäften nur vier in nicht-jüdischen Besitz übergegangen seien.222 Eine derartig konsequente Durchführung der Liquidationspolitik erscheint allerdings unwahrscheinlich, denn eine Reihe von Betrieben wurde trotz formaler Liquidation de facto weitergeführt. Hingegen dürften die ungefähr 300 jüdischen Handwerksbetriebe, die im Juni 1938 noch bestanden hatten223 und die besonders schlecht dokumentiert sind, tatsächlich fast vollständig still­gelegt worden sein.224 Wie ordnet sich diese Stilllegungswelle in den Gesamtprozess ein? In den ­statistischen Ziffern lässt sich bereits ablesen, dass der Transfer jüdischen Unter­nehmensvermögens in den kriegs- und exportwirtschaftlich relevanten Bereichen Anfang November 1938 bereits weitgehend abgeschlossen bzw. in die Wege geleitet war. Viele der Unternehmen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht übernommen worden waren, befanden sich bereits in diesbezüglichen Verhandlungen. Die Übernahme- oder Liquidationsprozesse konnten sich aufgrund von rüstungs- und devisenwirtschaftlichen Rücksichtnahmen unter Umständen bis weit in das Jahr 1939 hineinziehen, was aber nichts daran änderte, dass sie eine Folge des antisemitischen Aktivitätsschubes der Jahreswende 1937/38 waren, nicht des gesetzlichen Verbotes, das ja Industrie und Groß­handel aus­sparte.225 Die NS-Führung zog grundsätzlich den informellen Weg einer gesetzlichen Ausschaltung vor. Auf diese Weise hatte sich die »Juden­ frage« als eine wirtschaftspolitische Frage bis November 1938 bereits zu wesentlichen Teilen erledigen lassen. Für das rhein-mainische Wirtschaftsgebiet konnte vermeldet werden, dass »die Entjudung schon vor Erlass der Verord-

221 Rundschreiben RWM, 18.11.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132; die Anordnungen flossen ein in die wenige Tage später erlassene VO zur Durchführung der VO zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23.11.1938, RGBl. I, S. 1642. 222 IHK Ffm. an DAF Hessen-Nassau, 9.5.1939, HStAW, Abt. 519/1, 132. 223 Landeshandwerksmeister an GWB Hessen-Nassau, 9.6.1938, ebd. 224 Sammelanmeldung der JRSO, 31.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 29403; vgl. auch Saldern, S. 39 u. Anm. 92. 225 Dass diese nicht betroffen waren, betonte eigens der genannte Runderlass des RWM vom 18.11.1938, der auch noch einmal die Sensibilität der deutschen Exportbelange hervorhob (Abschnitt II).

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nung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben vom 12.11.1938 erreicht« worden sei.226 Der kleinbetriebliche Einzelhandel und das Handwerk hatten sich über das Einfallstor der Kontingentierungspolitik allerdings nicht entscheidend treffen lassen. Viele der noch existierenden jüdischen Unternehmen waren auf einen nur noch minimalen Umfang geschrumpft. Das zeigen die erwähnten Listen der beim Novemberpogrom zerstörten Frankfurter Geschäfte, in denen auch die Zahl der Gefolgschaftsmitglieder aufgeführt war. Danach hatten von 116  Betrieben 65 überhaupt keine Angestellten mehr beschäftigt, in weiteren 18 waren noch ein bis zwei Personen, überwiegend helfende Familienangehörige, tätig gewesen. Nur noch sieben Unternehmen mit mehr als zehn Angestellten fanden sich auf den Listen verzeichnet.227 Für eine Übernahme in nicht-­ jüdischen Besitz kamen schon deswegen die wenigsten dieser Betriebe in Frage, da in ihnen kaum noch Vermögenswerte vorhanden waren, die sich hätten veräußern lassen. Auch für die enteignungsorientierte Richtung der Verfolgungs­ politik waren die verbliebenen Reste jüdischer Gewerbetätigkeit kaum noch interessant, da ihre Liquidation aus dem gleichen Grund kaum Vermögen freizusetzen versprach. Vielmehr dienten die verbliebenen jüdischen Kleinbetriebe nur noch der wirtschaftlichen Subsistenz.228 Nicht ihre ökonomische Stärke hatte sie bis zum Ende überleben lassen, sondern im Gegenteil: Ihr geringer Geschäftsumfang war dafür verantwortlich, dass die jüdischen Inhaber keine aktiven Überlebensstrategien des Vermögenserhalts oder -transfers hatten einschlagen können, vielmehr gezwungen waren auszuharren in der Hoffnung, das Schlimmste möge nicht eintreten. Durch Diskriminierung und Drangsalierung waren diese jüdischen Kleinbetriebe letztlich nicht auszuschalten, da ihr minimaler Geschäftsumfang sich schwerlich weiter einschränken ließ. Das war der Grund, warum nun zum Mittel des gesetzlichen Verbots übergegangen wurde. Eine ökonomische Relevanz besaßen die jüdischen Kleinbetriebe nicht mehr, so dass auf der berüchtigten Besprechung im Reichsluftfahrtministerium am 12.  November 1938 die Verordnung zur gesetzlichen Ausschaltung, die von Reichswirtschaftsminister Funk schon vorbereitet worden war, innerhalb von wenigen Minuten beschlossen werden konnte. Der österreichische Wirtschafts- und Finanzminister Hans Fischböck hielt aufgrund der dortigen Erfahrungen eine flächendeckende Liquidation für unproblematisch, denn »bei Einzelhandelsgeschäften wäre die Sache niemals so dringend, dass man sagen 226 Wehrwirtschaftsinspektion IX: Wirtschaftsbericht IV/38, Sept.-Nov. 1938, 7.12.1938, BAMA, RW 19, 44, Bl. 3–22, hier Bl. 6. 227 Kreisleitung an GWB (Listen im Anhang), 8.12.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 228 Der Landeshandwerksmeister hatte bereits im Juni 1938 darauf hingewiesen, dass die verbliebenen jüdischen Handwerksbetriebe zumeist nur noch »eine Schattenexistenz führen und sich noch nicht in der Handwerksrolle löschen lassen, obwohl in den Betrieben nennenswerte Umsätze nicht getätigt werden«; Schreiben an GWB Hessen-Nassau, 9.6.1938, ebd.

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könnte, der wirtschaftliche Schaden wäre zu groß.«229 Auch die Idee einer staatlichen Treuhandgesellschaft zum Ankauf jüdischen Unternehmensvermögens erschien vor diesem Hintergrund obsolet. Die brachiale Strukturbereinigung nach dem Novemberpogrom zielte insofern gar nicht mehr in erster Linie auf die unternehmerischen Aktivitäten der jüdischen Bürger, sondern auf ihre elementaren Lebensgrundlagen, die nun systematisch zerschlagen wurden. Damit liefen die unterschiedlichen Richtungen der antisemitischen Verfolgung endgültig zusammen und kumulierten ihre Potentiale zu einem entscheidenden Zer­störungswerk. Wenn die Gewalttätigkeiten des Novemberpogroms die endgültige Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft kaum beschleunigt oder gar verursacht haben dürften, hatten sie dennoch für die betroffenen Geschäfte und deren Inhaber gravierende Auswirkungen. Die zerstörten und geschlossenen Unternehmen blieben auch bis Ende des Jahres geschlossen, die Kosten für die Instandsetzung mussten aus eigenen Mitteln aufgebracht werden, Versicherungsansprüche wurden staatlicherseits beschlagnahmt.230 Da ein Großteil der männlichen Inhaber in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau verschleppt worden war und dort in den kommenden Wochen festgehalten wurde, vollzog sich der Prozess der Liquidation oder Übernahme in vielen Fällen ohne die geringste Möglichkeit der Einflussnahme. Während des Pogroms und in der Folgezeit hatten sich darüber hinaus rechtsfreie Räume eröffnet, die zu offenem Raub und zur Plünderung genutzt wurden. Dass die antisemitischen Gewaltaktionen einen Ausnahmezustand herstellten, den nicht-jüdische Deutsche auf vielfältige Weise zur Bereicherung nutzten, lässt sich an zahlreichen Beispielen veranschaulichen. Im Falle der Damenhuthandlung Hilda Schiff Nachf. reagierten die Akteure besonders schnell. Während am 10. November noch allenthalben in der Stadt jüdische Geschäfte demoliert wurden, erhielt die Inhaberin Gretel Neugass einen Anruf ihrer einzigen Angestellten Thea Mohr, die dringend forderte, den Betrieb auf sie zu übertragen, damit er nicht zerstört werde. Da der Ehemann der Angestellten als SS-Angehöriger an den Aktionen beteiligt sei, könne er die Zerstörung des Geschäfts befehlen oder aber verhindern.231 Im Schockzustand stimmte Gretel Neugass schließlich zu, ihr Geschäft zu übertragen. Nur wenige Stunden später unterschrieb sie einen bereits ausgearbeiteten Vertrag, der eine Kaufsumme von 2.000 RM vorsah. Als Gretel Neugass im Dezember 1938 in die USA flüchtete, hatte sie diesen Kaufpreis noch nicht erhalten.232 229 Protokoll der Besprechung im Reichsluftfahrtministerium vom 12.11.1938, in: Prozeß, Bd. 28, Dok. PS-1816, S. 499–540, hier S. 525. 230 VO zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben vom 12.11. 1938, RGBl. I, S. 1581. 231 Eidesstattliche Versicherung Albert Silberbach, 8.1.1952, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 3485, Bl. 8a. 232 Grace Neugass an RA Stern, 8.11.1952, ebd., Bl. 51.

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Einen weiteren drastischen Fall stellte die Übernahme des Café Freimark dar. Dieser bekannte und beliebte Café- und Konditoreibetrieb war bereits früh ins Fadenkreuz nationalsozialistischer Aktivisten geraten. Schon während der Boykottaktionen im April 1933 war der Inhaber Max Freimark in Schutzhaft genommen worden. Seine Ämter als Vorstandsmitglied der Frankfurter Konditorinnung und als Mitglied der Prüfungskommission für Konditoren verlor er alsbald. Obwohl in den folgenden Jahren die nicht-jüdische Kundschaft zunehmend ausblieb, hielt er den Betrieb weiter aufrecht. Dass vermehrt jüdische Gäste das Café besuchten, weil ihnen andernorts Diskriminierungen und Schmähungen drohten, wirkte diesem Besucherschwund ein wenig entgegen, konnte aber nicht verhindern, dass die Umsätze insgesamt um die Hälfte sanken, die Gewinne sogar um 70 Prozent, wie Max Freimark später angab.233 Während des Novemberpogroms wurde das Café auf besonders brachiale Weise angegriffen und völlig demoliert. Über mehrere Tage hinweg wurden die noch vorhandenen Warenvorräte von SA-Leuten mit Kraftwagen abtransportiert. Max Freimark war derweil in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden. Bereits nach drei Tagen wurde er entlassen, weil ein SA-Mann namens Anton Heymann mittlerweile ein Auge auf das Café geworfen hatte und Max Freimark bedrängte, den Betrieb samt Grundstück und Geschäftshaus an ihn zu verkaufen. In einem Vertrag vom Dezember wurde der Kaufpreis auf insgesamt 9.500 RM festgesetzt. Heymann sollte im Zuge der Übernahme die auf dem Grundstück liegende Hypothek übernehmen, im Gegenzug aber für das Grundstück gar nichts bezahlen. Max Freimark konnte sich gegen die erpresserischen Übernahmebedingungen nicht wehren, weil er unter der ständigen Drohung stand, wieder ins Konzentrationslager gebracht zu werden. Es gelang Anton Heymann, schrittweise den Kaufpreis weiter und weiter zu drücken, zuerst auf 3.000, schließlich auf 500 RM. Von diesem Betrag wurden noch 250 RM Gebühren abgezogen.234 Auch formelle Verträge und Verhandlungen konnten nicht verschleiern, dass hier nichts anderes mehr als offener Raub betrieben wurde. Dass nicht nur Einzelne sich in derart hemmungsloser Weise an der jüdischen Ohnmachtssituation bereicherten, sondern die Raubpraxis kollektive Züge annahm, verdeutlicht das Beispiel der Frankfurter Weinhandelsunternehmen. Diese Branche wurde durch jüdische Unternehmer dominiert, hielt dem Verfolgungsdruck insgesamt überdurchschnittlich lange stand, wurde anschließend jedoch einer umso strikteren Stilllegungspolitik unterworfen. Übernahmen wurden daher nur wenige ermöglicht. Als die Firma J. C. Foltz-Eberle Weingroßhandel & Likörfabrik im Herbst 1938 in Verkaufsverhandlungen trat, machten die zuständigen Instanzen bald deutlich, dass sie hierzu keine Genehmigung erteilen würden. Das Unternehmen, dessen Hauptsitz sich in Breslau 233 Bescheid der Entschädigungsbehörde, 11.10.1956, HStAW, Abt. 518, 1006, Bl. 78–81. 234 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 30.11.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2482(1), Bl. 8–12.

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befand, verfügte in Frankfurt über mehrere Filialen, die in der Art von Gaststätten geführt wurden und daher in besonderer Weise im öffentlichen Raum präsent waren. Auch das erklärt die Heftigkeit, mit der die Täter des Novemberpogroms angriffen, die Einrichtung demolierten, Weinfässer zerstörten und Warenvorräte plünderten.235 Die beiden Inhaber Markus und Richard Wolff sowie der jüdische Geschäftsführer wurden in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, so dass das Unternehmen ohne Leitung war. Von der Industrie- und Handelskammer wurde daraufhin ein Treuhänder eingesetzt, der die Liquidation einleitete. Mittlerweile war ein Teil  der unzerstörten Warenbestände von den Angestellten geplündert worden; die übrigen Waren veräußerte der Liquidator in einer öffentlichen Versteigerung. Hierzu trafen sich ein gutes Dutzend Frankfurter Weinhändler in den Kellerräumen des Hauptgeschäftes. Sie versammelten sich in den von Zerstörung gezeichneten Räumen, um Waren zu begutachten, Kaufgebote mit dem Treuhänder zu besprechen, sogar Weinproben abzuhalten. Einige Erwerber ließen neben Warenvorräten auch weitere Inventarstücke, darunter mehrere riesige 3.500 Liter-Fässer, auf Lastwagen abtransportieren. Die Kaufpreise waren auch deswegen äußerst günstig, weil zur gleichen Zeit in Frankfurt noch zwanzig weitere jüdische Weinhandelsunternehmen in der gleichen Weise ausgeschlachtet wurden.236 Für die Übernahmen und Liquidationen von Unternehmen nach dem Novemberpogrom war es insgesamt charakteristisch, dass die Inhaber nur in Ausnahmefällen noch Einfluss auf deren Modalitäten hatten. Doch auch bereits im Gang befindliche Prozesse der Veräußerung oder Liquidation konnten durch die gewalttätigen Ereignisse des Pogroms einen anderen Verlauf annehmen. So hatte sich im Fall der Firma Leo Guggenheim eine Übernahme bereits vor dem Novemberpogrom abgezeichnet. Ein SA-Mann namens Wilhelm Weber zeigte sich im September 1938 an dem Lederhandelsunternehmen interessiert und stellte beim Oberbürgermeister einen Antrag auf Übernahme. Als »alter Kämpfer« mit einer vierköpfigen Familie maß er sich das größte Recht auf die Übernahme zu. Indessen hielt der jüdische Inhaber aber noch Ausschau nach anderen Käufern und war sich mit einem niederländischen Interessenten bereits weitgehend einig geworden.237 Im Zuge des Novemberpogroms wurde das Geschäftslokal in der Töngesgasse beschädigt und Leo Guggenheim in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Ein Verkauf des Unternehmens war die Bedingung für seine Freilassung. Wilhelm Weber war nun in eine weitaus aussichtsreichere Position gelangt, wollte allerdings zunächst nicht mehr als 5.000 RM zahlen. Leo Guggenheim hatte keinen Verhandlungsspielraum. Nachdem Weber das Geschäft schon im Dezember übernommen hatte, wurde der Kaufpreis vom zuständigen Sachverständigen der Industrie- und Handels235 Beschluss OLG Ffm., 10.1.1952, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4939(1). 236 Vgl. die Schilderungen mehrerer Beteiligter vor dem Landgericht Ffm. am 9.7.1951, ­HStAW, Abt. 460, 4 WiK 4908, Bl. 32–38. 237 Zeugenvernehmung Anna Heinen, 31.10.1950, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 1501, Bl. 19 f.

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kammer aber Anfang Januar 1939 auf 10.074 RM heraufgesetzt – ein seltenes Beispiel für ein korrigierendes Eingreifen zuungunsten des nicht-jüdischen Erwerbers. Eine Hilfestellung für den jüdischen Vorinhaber stellte dies freilich nicht dar, denn Leo Guggenheim, der nach Großbritannien auswanderte, erhielt von dem Kaufpreis nichts.238 Dass auch die faktisch angerichteten Zerstörungen des Novemberpogroms eine neue Situation erzeugten, zeigt das Beispiel des Schmuckwarengeschäfts Schmuckmoden Charlotte, das im Jahr 1929 gegründet und von der jüdischen Inhaberin Betty Bergmann zusammen mit ihrer Schwester Charlotte David geführt wurde. Das Geschäft hatte nach 1933 so stark gelitten, das es den Lebensunterhalt der beiden Frauen nicht mehr sicherte, sondern diese zwang, umfangreiche Mittel aus ihren Ersparnissen zur Aufrechterhaltung aufzuwenden. Im Laufe des Jahres 1938 entschlossen sie sich schließlich zum Verkauf und fanden in Ludwig Becker, ebenfalls Inhaber eines in der Nähe gelegenen Schmuckgeschäfts, einen Interessenten. In den Verhandlungen war bereits ein Kaufpreis von 15.000 RM festgelegt worden, als am Pogromtag das Geschäft vollständig demoliert und alle Warenbestände zerstört oder geplündert wurden. Die in dem Unternehmen liegenden Werte waren somit vernichtet. Der nicht-jüdische Erwerber zeigte sich angesichts dessen nicht mehr gewillt, für die Übernahme etwas zu zahlen. Die Inhaberinnen, die im März 1939 in die USA emigrierten, überließen ihm daher das Geschäft unentgeltlich unter der Zusage, die kostspieligen Reparaturen zur Wiederherstellung der Geschäftsräume auf eigene Rechnung auszuführen.239 Der »Bereicherungswettlauf«, der Ende 1938 um die verwertbaren Reste der jüdischen Gewerbetätigkeit einsetzte,240 stand in latentem Gegensatz sowohl zur enteignungsorientierten als auch zur liquidationsorientierten Stoßrichtung des wirtschaftlichen Verfolgungsprozesses. Sofern der Vermögenstransfer da­ rauf hinauslief, dass vorhandene Warenbestände im Zuge der Liquidation jüdischer Unternehmen von Konkurrenten übernommen wurden, waren die Konflikte am geringsten. Doch für viele Interessenten war die Phase nach dem Novemberpogrom die letzte Gelegenheit, durch die Übernahme eines jüdischen Unternehmens wirtschaftliche Selbständigkeit zu erlangen. Die Mikroebene einzelner Unternehmen war der Ort, an dem hieraus zahlreiche Auseinandersetzungen erwuchsen. Am Beispiel der Firma H. J. & J. Rothschild lässt sich beobachten, auf welche abenteuerliche Weise einige Akteure den Primat der Liquidation zu unterlaufen wussten. Nach dem Novemberpogrom war an die jüdische Textilhandelsfirma ein Alfred Mohr als Interessent für eine Übernahme herangetreten. Sein Antrag wurde jedoch vom zuständigen Regierungspräsidenten am 15. April 1939 238 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 20.4.1949, ebd., darin Akte Wi-Ffm-A 2862, Bl. 6–8. 239 Eidesstattliche Versicherung Betty Bergmann und Charlotte David, 20.11.1954, HStAW, Abt. 518, 47350, Bl. 5–7. 240 Bajohr, Arisierung, S. 283.

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ab­gelehnt, da kein volkswirtschaftliches Interesse am Erhalt des Unternehmens bestehe.241 Die jüdischen Inhaber hatten in der Zwischenzeit mit Hilfe ihres Angestellten Heinrich Wickert eine Firma unter dessen Namen eingetragen und die Vermögenswerte der ursprünglichen Firma auf die neue übertragen. Offenbar sollte dieses Manöver den Betrieb erhalten helfen, doch auch der Versuch Alfred Mohrs, diese Firma zu übernehmen, wurde vom Regierungspräsidenten im Mai 1939 unterbunden. Stattdessen setzte dieser einen staatlichen Liquidator für die beiden Firmen ein. Heinrich Wickert gründete daraufhin eine weitere Firma unter seinem Namen – an dieser war wiederum Alfred Mohr verdeckt beteiligt. Die neue Firma Heinrich Wickert erwarb vom Liquidator der jüdischen Firmen deren sämtliche Vermögenswerte, im August wurde Alfred Mohr offiziell als Inhaber in das Handels­ register eingetragen. De facto hatte er auf diese Weise nun das Unternehmen trotz behördlicher Obstruktion erworben und führte es bald darauf unter seinem Namen weiter. In der offiziellen Statistik firmierte der Fall jedoch als Liquidation. Im Falle der Firma Johann Alfred Angersbach scheint es eher die reine Hartnäckigkeit des Erwerbers gewesen zu sein, mit der er sich gegen die Behörden durchsetzte. Im Zuge des Novemberpogroms waren die jüdischen Inhaber dieses Möbel- und Haushaltswarengeschäfts, die Brüder Ludwig und Julius Rossmann, verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden. Ein Parteivertreter verlangte wenig später von den als Prokuristen tätigen Ehefrauen die schriftliche Vollmacht zur Verfügung über das Geschäft.242 Als möglicher Erwerber hatte sich unterdessen ein Karl Heuss in Stellung gebracht, der in Erwartung der Übernahme sogar schon Instandsetzungsarbeiten an den beiden Verkaufsstellen in Auftrag gab und das Schild »In Arisierung begriffen« im Schaufenster aushängte.243 Dies wurde ihm jedoch polizeilich untersagt. Der Oberbürgermeister versagte dem Kaufvertrag die Genehmigung und ordnete die Stillegung an. Daraufhin erwarb Karl Heuss sämtliche noch vorhandenen Warenbestände und stellte beim städtischen Verkehrs- und Wirtschaftsamt einen Antrag auf Neuerrichtung eines Einzelhandelsgeschäfts in den bisherigen Verkaufsräumen der Firma. Das Amt erteilte im April 1939 schließlich tatsächlich die Genehmigung. Nachdem sich eine Konkurrenzfirma hierüber beschwert hatte, erhielt Karl Heuss jedoch die Auflage, nur einen der beiden Geschäftsstandorte weiterzuführen. Trotz solcher Kompromisse erfüllten die Genehmigungsinstanzen keineswegs alle Wünsche auf Übernahme eines Betriebes. Vor allem im Handwerk folgte man klar dem Liquidationskurs, auch wenn andere Interessen beeinträchtigt wurden. So bezeichnete der Getreidewirtschaftsverband nach einer Besich241 Bericht der Devisenstelle S, 3.10.1939, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 4708, Bl. 57–59; Ermittlungsbericht des AVW, 9.11.1950, ebd., Bl. 15. 242 Ludwig Rossmann an AVW, 26.6.1947, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 2410/11. 243 Karl Heuss an AVW (Anlage 1), 12.12.1949, ebd., Bl. 15 f.

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tigung der acht noch verbliebenen jüdischen Bäckereibetriebe gegenüber dem Gauwirtschaftsberater nur einen dieser Betriebe als erhaltenswert und wies warnend darauf hin, dass sich oftmals auch die Hausbesitzer für eine Weiterführung engagierten.244 Der Verband war jedoch allenfalls bereit, einer Verlegung von bereits bestehenden, aber ungünstig gelegenen Bäckereibetrieben in die freigewordenen Räumlichkeiten zuzustimmen und mahnte eine kompromisslose Haltung an, auch »um Differenzen zu vermeiden mit Volksgenossen, die sich ja sehr zahlreich um die Fortführung der ehem. jüdischen Betriebe bemühen.«245 Von diesen Interessenten gingen viele leer aus. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit war eine notwendige Vorbedingung für eine seit dem Novemberpogrom sich kumulativ radikalisierende Politik der Verfolgung und Vertreibung. In der konfiskatorischen Verfolgungsrichtung wurde jetzt zum Vollzug geschritten. Die Übernahme und Liquidation von jüdischen Unternehmen hatte umfangreiches Vermögen freigesetzt, auf das der NS-Staat nun zugriff. Mit der am 12. November 1938 verhängten Sonderabgabe für jüdische Bürger wurde ein erster Schritt getan und mit der Globalsumme von 1 Mrd. RM ein Viertel des jüdischen Gesamtvermögens eingestrichen.246 Mit der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.  Dezember 1938 wurde wenig später ein ganzes Maßnahmen­ paket erlassen, das auf die weitere Sicherung und Verwertung des Eigentums der jüdischen Bürger zielte.247 Die Verordnung eröffnete die Möglichkeit, die Inhaber der noch vorhandenen jüdischen Gewerbebetriebe innerhalb einer gesetzten Frist zur Veräußerung oder Liquidation zu zwingen und hierzu amtliche Treuhänder einzusetzen, wodurch nun auch für Industrie- und Großhandelsbetriebe ein legislatives Steuerungsinstrument zur Forcierung des Ausschaltungsprozesses geschaffen wurde (§ 1). Darüber hinaus erweiterte sie dieses Instrument auch auf andere Vermögensarten, namentlich auf Grundstücksvermögen, dessen Verkauf unter Genehmigungszwang gestellt wurde (§§ 6, 8). Mit der Bestimmung, Wertpapiere zwangsweise in spezielle Depots bei Devisenbanken einzulegen, wurde jüdischen Vermögensbesitzern eine bisher nur schwer kontrollierbare Anlageform verbaut bzw. unter staatliche Kontrolle gestellt (§ 11). Dem Verbot, Edelmetalle und Schmuckgegenstände auf dem freien Markt zu kaufen oder zu verkaufen (§ 14), folgte in den Anfangsmonaten des Jahres 1939 der Ablieferungszwang bei den zu staatlichen Ankaufstellen erhobenen kommunalen Pfandleihanstalten.248 Dabei schöpfte die öffentliche 244 Getreidewirtschaftsverband Hessen-Nassau an GWB, 24.11.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132. 245 Getreidewirtschaftsverband Hessen-Nassau an GWB, 2.12.1938, ebd. 246 VO über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12.11.1938, RGBl. I, S. 1579. 247 VO über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938, RGBl. I, S. 1709. 248 VO zur Durchführung der VO über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 16.1.1939, RGBl. I, S. 37; Dritte Anordnung auf Grund der VO über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 21.2.1939, ebd., S. 282.

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Hand durch die systematische Minderbewertung zum einen weiteres Privatvermögen ab, zum anderen wurden den jüdischen Verfolgten gezielt Sachwerte entzogen, die sich beim Vermögenstransfer ins Ausland als dienlich erwiesen hatten. Dennoch stand die enteignungsorientierte Verfolgungsrichtung in einem widersprüchlichen Verhältnis zu demjenigen Verfolgungskonzept, das sich nach dem Novemberpogrom als ›Generallinie‹ durchsetzen konnte, nämlich dem vertreibungsorientierten Gesamtplan, für den SD und Sicherheitspolizei seit Jahren geworben hatten.249 Im Zeichen eines »seriösen Antisemitismus« setzten dessen Protagonisten auf systematische gesetzliche und polizeiliche Maßnahmen, während sie das sinn- und planlose Rowdytum der Pogrom-Täter missbilligten und verachteten. Doch war dies eher eine Stil- und Habitusfrage, denn auch der SD kalkulierte physische Gewalt völlig selbstverständlich als legitimes Mittel seiner Politik ein und war sich bewusst, dass gewalttätige Ausschreitungen »das wirksamste Mittel, um den Juden das Sicherheitsgefühl zu nehmen«, darstellten.250 Man bevorzugte allerdings andere Formen: Von den reichsweiten Pogromaktionen zwar überrumpelt, zeigte sich die SS-Führung trotzdem nicht unvorbereitet, sondern klinkte sich unverzüglich in die Verfolgungsmaßnahmen ein. Schöpfend aus den Erfahrungen der wiederholten Massenverhaftungen des zurückliegenden Jahres, ließ der Amtschef der Gestapo Heinrich Müller gegen Mitternacht eine Verhaftungsaktion bisher ungekannten Ausmaßes in Gang setzen. Es fanden daher während des Pogroms im Grunde zwei verschiedene Verfolgungsaktionen gleichzeitig statt. Während die unmittelbare Zerstörungsgewalt endete, wurden die Inhaftierungen noch in den folgenden Tagen fortgesetzt. Es gelang der SD-Führung unter Reinhard Heydrich, die Verstimmung über die verursachten Wirtschaftsschäden und die Komplikationen bei deren Bewältigung zu nutzen, um sich endgültig in das exekutive Zentrum der NS-Judenpolitik zu manövrieren. Bereits das Protokoll der Besprechung im Luftfahrtministerium lässt erkennen, wie der Pogrom-Initiator Goebbels mit seinen wortradikalen Forderungen, die sich als »Verbindung aus kleinlicher Boshaftig­ keit und politischer Perspektivlosigkeit«251 präsentierten, gegenüber den mit systematischer Expertise aufwartenden Sachkennern aus dem Sicherheits­ apparat schnell ins Hintertreffen geriet. Heydrich forderte eine kompromisslose Ausrichtung der Judenpolitik am Endziel einer umfassenden jüdischen Auswanderung aus dem Deutschen Reich. Auf die Erfahrungen mit der von Adolf Eichmann in Österreich geschaffenen Zentralstelle für jüdische Auswanderung rekurrierend, schlug er eine zwangsweise Umverteilung innerhalb der jüdischen Vermögensstruktur vor, in deren Zuge die Gelder von Vermögen249 Herbert, Reichskristallnacht; vgl. Wildt, Judenpolitik, S. 54–61. 250 Memorandum »Zum Judenproblem«, o. D. [1937], abgedruckt ebd., Dok. 9, S. 95–105, Zitat S. 99. 251 Herbert, Reichskristallnacht, S. 72.

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den für die Emigration mittelloser Juden bereitgestellt werden sollten.252 Dieses plan­mäßige Auswanderungsprogramm unter staatlicher Aufsicht und Lenkung sollte sich über einige Jahre erstrecken und von umfassenden Polizeimaßnahmen zur Isolierung und Kontrolle der jüdischen Bevölkerung in allen Lebensbereichen begleitet werden.253 Das vertreibungsorientierte Konzept konnte allerdings das Problem nicht aus der Welt schaffen, dass trotz der weitgehenden Inanspruchnahme des jüdischen Vermögens die Auswanderung von Juden Geld und Devisen erforderte. Göring als Protagonist der enteignungsorientierten Richtung hatte die Auswanderung bisher vorrangig unter solchen Kostengesichtspunkten gesehen und sich daher für eine umfassende Perspektive nicht sonderlich interessiert. Offenbar schwebte ihm, wenn überhaupt etwas, eine Art Staatsrentnerdasein der deutschen Juden vor, die aus den Zinserträgen ihres gleichsam in eine gigantische Zwangsanleihe umgewandelten Vermögens leben sollten. Doch nachdem Hitler nach dem Pogrom eine Grundsatzentscheidung zugunsten des Vertreibungskonzepts gefällt hatte, schwenkte auch Göring auf diese Linie ein. In seiner Rede vom 6. Dezember 1938 im Reichsluftfahrtministerium hing er allerdings noch der illusionären Vorstellung einer durch das ausländische Judentum aufzubringenden Anleihe zur Finanzierung der jüdischen Emigration aus Deutschland an, die mit großzügigen Abnahmegarantien verbunden sein sollte.254 Eine derartige Lösung war sogar noch eine Weile Gegenstand diplomatischer Verhandlungen, doch nahm sie nie realistische Gestalt an.255 Aus diesem Grund löste sich in der Folgezeit der Widerspruch zwischen einer auf größtmögliche Plünderung der jüdischen Vermögensbestände ausgerichteten Politik und einer Politik der forcierten Auswanderung bis zur Schließung der Grenzen für jüdische Flüchtlinge im Jahr 1941 nicht mehr auf. Denn auch die Allmachtsphantasien der SS- und SD-Akteure konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich zwar der Verfolgungsdruck auf die Juden im Inland ins Unermess­ liche steigern ließ, die Möglichkeiten und der Wille ausländischer Staaten jedoch, Flüchtlinge aus Deutschland aufzunehmen, sich außerhalb der Einflussmöglichkeiten befanden. Dass im Deutschen Reich nicht nur ihre materielle, sondern auch ihre physische Existenz gefährdet war, wurde den deutschen Juden durch das Zerstörungswerk des Novemberpogroms nachdrücklich vor Augen geführt. Bereits in den Sammelstellen und während der Transporte wurden die während des Pogroms inhaftierten Juden mit der beispiellosen Brutalität einer auf Demütigung und vollständige Entwürdigung ihrer Opfer zielenden Verfolgungsge252 Zur Wiener Zentralstelle Anderl/Rupnow. 253 Besprechung über die Judenfrage im Reichsluftfahrtministerium am 12.11.1938, in: Prozeß, Bd. 28, Dok. PS-1816, S. 499–540, hier S. 532–537. 254 Besprechung über die Judenfrage am 6.12.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 1458, 3/2216; zu dieser Besprechung auch Heim/Aly. 255 Bauer, Freikauf; Kieffer, S. 320–427.

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walt konfrontiert, die sich im rechtsfreien Raum der Konzentrationslager noch potenzierte.256 In Frankfurt waren über 2.600 männliche Juden, zu denen noch zahlreiche Verhaftete aus dem hessischen Umland hinzukamen, in die Festhalle verbracht, dort festgehalten und schon hier durch beispiellose Quälereien drangsaliert worden. Am 12. November wurden die meisten Gefangenen vom Südbahnhof aus, wo sie von einer Zuschauermenge mit Gröhlen und Schlägen empfangen wurden, in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, einige gelangten auch in das entfernter gelegene Lager Dachau.257 Entlassen wurden viele von ihnen erst nach einigen Tagen bis Wochen, wenn sie eine konkrete Auswanderungsperspektive nachweisen konnten oder die Regelung ihrer Vermögensverhältnisse und die Abwicklung von Geschäftsübernahmen und -­liquidationen es geboten erscheinen ließen. Von den 380 hier mit Sterbe­ daten erfassten Unternehmern, wurden acht noch in den beiden Lagern ermordet, weitere verstarben an den direkten Folgen der erlittenen Misshandlungen. Die Inhaftierung und Lagererfahrung Zehntausender war nicht nur in psychologischer Hinsicht eine kaum zu überschätzende Zäsur. Zahlreiche der aus den Konzentrationslagern Zurückgekehrten trugen aufgrund von Misshandlung, Ausbeutung und Unterernährung bleibende Gesundheitsschäden davon, waren durch das Erlittene auf das Schwerste traumatisiert, in ihrem Lebens- und Behauptungswillen gebrochen. In dieser Situation übernahmen oftmals die jüdischen Ehefrauen die Abwicklung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten und die mühevolle Vorbereitung der Auswanderung.258 Für das vertreibungsorientierte Verfolgungskonzept war die Zerstörung der Lebensgrundlagen der deutschen Juden vor allem ein Mittel, um zum einen die Auswanderung zu forcieren und zum anderen die Kontrollmöglichkeiten über die jüdische Minderheit zu verstärken. Den Betroffenen wurden sämtliche Möglichkeiten selbstbestimmter wirtschaftlicher Aktivität und damit jegliche gesellschaftliche Bewegungsfreiheit genommen. In einer Zwangsgemeinschaft vereint, waren die Betroffenen zu Verfügungsobjekten der nationalsozialis­ tischen Verwaltungs- und Polizeiapparate herabgewürdigt worden.

256 Pollmeier; Wünschmann. 257 Kingreen, Frankfurt. 258 Kaplan, Women; vgl. Wünschmann.

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IV. Vertreibung, Flucht und Emigration

1. Auswanderung und Vermögenstransfer Etwa ein Drittel der deutschen Juden wurde durch das nationalsozialistische Regime ermordet oder in den Tod getrieben, die übrigen konnten sich vor Verfolgung und Vernichtung durch Auswanderung und Flucht in Sicherheit bringen und zumindest ihr Leben retten.1 Die Ausreise aus dem Deutschen Reich bedeutete aber nicht immer endgültige Sicherheit; etliche Frankfurter Unternehmer wurden in Ländern, die das Deutsche Reich während des Krieges eroberte, aufgegriffen und deportiert. Die Deportation in die Konzentrationsund Vernichtungslager überlebten von den hier erfassten etwa 100 Betroffenen nur drei, die alle erst Anfang des Jahres 1945 in das Lager Theresienstadt kamen. Die Frankfurter jüdischen Unternehmer bewegten sich, was das Verhältnis von Überlebenden und Ermordeten angeht, in der Nähe des gesamtjüdischen Durchschnitts. Die Chancen zur Emigration hingen unter anderem davon ab, inwieweit das vorhandene Unternehmensvermögen noch verwertet werden konnte. Von denjenigen, die ihre Unternehmen verkauften, gelang 78  Prozent die Flucht durch Emigration, von denjenigen, die ihre Unternehmen zwangsweise liquidierten, nur 61  Prozent. Flucht und Überleben waren außerdem nicht zuletzt eine Frage der Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Von den Verfolgten, die nur über ein geringes Einkommen verfügten, überlebte nur die knappe Hälfte, bei den höheren Einkommen waren es fast 90 Prozent. Darüber hinaus hing die Überlebenschance vom Alter der Verfolgten ab. Von den seit 1942 aus Frankfurt deportierten und in den Vernichtungslagern ermordeten jüdischen Unternehmern waren über 90 Prozent bereits über 50 Jahre, fast 60 Prozent bereits über 60 Jahre alt.2 Hinter der jüdischen Gesamtbevölkerung blieb die Emigration von Unternehmern während der Jahre 1933 bis 1937 deutlich zurück, worin sich ein weiteres Mal bestätigt, dass die unternehmerische Tätigkeit der Frankfurter Juden erst im Jahr 1938 entscheidend getroffen wurde. Im Verlauf dieses Jahres stieg die Zahl der Auswanderungen unter den Unternehmern aber stärker als in der Gesamtbevölkerung, so dass die Quote am Jahresende nahezu gleich war.

1 Arndt/Boberach; Strauss, Emigration I; ders., Emigration II; Die jüdische Emigration; Wetzel, Auswanderung; Heim, Deutschland; Dwork/Pelt. 2 Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt; die Einkommensgruppen beziehen sich auf die Eingruppierung im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes.

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Offenbar gelang es jüdischen Unternehmern etwas häufiger, bis zum Ausbruch des Krieges noch aus dem Deutschen Reich zu entkommen.3 Insbesondere die frühen Auswanderer des Jahres 1933 lassen sich zu einem großen Teil in zwei Typen aufteilen: Zum einen waren die offenen Gewaltaktionen im Zuge der NS-Machtübernahme Anlass zur Flucht für diejenigen, die davon direkt betroffen waren. Wer Opfer physischer Gewalt wurde, verließ nicht selten umgehend das Land – vielleicht auch ohne noch eine konkrete Vorstellung davon zu haben, ob diese Flucht in ein dauerhaftes Exil münden werde. Zum anderen verlegte eine Reihe von Unternehmern, die des Öfteren in geschäftlichen Dingen im Ausland unterwegs waren, bereits in den ersten Jahren der NS-Herrschaft ihren Wohnsitz aus Deutschland. Damit brachen sie aber nicht unbedingt schon alle Verbindungen ab. Die aus der Retrospektive sich aufdrängende Frage, warum die Juden das Deutsche Reich nicht früher verließen, missachtet den prozesshaften Entwicklungscharakter der NS-Verfolgungspolitik, deren mörderische Radikalisierung sich nicht von Anfang an prognostizieren ließ. Zum anderen unterschätzt sie die starken ideellen Bindungen der deutschen Juden an ihr Heimatland, die materiellen Hürden, die einer Auswanderung aus dem Deutschen Reich im Weg standen, und die Bedingungen transnationaler Migration in den 1930er Jahren im Allgemeinen. Die Auswanderung war für lange Zeit keine Frage des schieren Überlebens, sondern eine der Abwägung.4 Während der politische Druck wuchs, sorgte die sich verschärfende Steuer- und Devisengesetzgebung dafür, dass die Emigration ökonomisch extrem unattraktiv und nur die ultima ratio blieb. Schließlich schwanden aufgrund der Pauperisierung der deutschen Juden auch die Möglichkeiten, ein Aufnahmeland zu finden, das sie als Immigranten akzeptierte.5 Viele dürften bereits lange Zeit vor dem Novemberpogrom über eine Auswanderung nachgedacht oder diese schon geplant haben. Aber die administrativen Verfahren erstreckten sich nicht selten über viele Monate, und bisweilen waren die Schwierigkeiten unüberwindlich.6 Im Bestreben der Nationalsozialisten, die jüdischen Bürger aus dem Land zu treiben, jedoch gleichzeitig den Transfer inländischen Vermögens ins Ausland zu unterbinden, liefen verschiedene Entwicklungsstränge zusammen.7 So war bereits 1931 mit der Reichsfluchtsteuer eine Hürde gegen Kapitaltransfers errichtet worden. Ursprünglich mit Blick auf die Devisensituation des Reiches erlassen, sollte sich diese Steuer später immer mehr zum Diskriminierungs­ instrument gegen jüdische Emigranten transformieren. Während der Steuersatz auf dem hohen Niveau von 25 Prozent des transferierten Vermögens verblieb,

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Strauss, Emigration I, S. 326, Tab VII; Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt. Richtigen Fragen folgt daher die allerdings sehr fehlerhafte Darstellung von Dippel. Diner. Lavsky, Impact, S. 209. Hierzu insgesamt auch Heim, Vertreibung.

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wurde 1934 die Freigrenze von 200.000 auf 50.000 RM deutlich gesenkt.8 Waren in den ersten Jahren der NS-Herrschaft durchaus auch Juden von der Reichsfluchtsteuer befreit worden, sofern ihre Auswanderung den wirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reiches dienlich erschien, dürfte sich diese Praxis zunehmend verschärft haben, bis schließlich Ende 1937 ein Erlass des Reichsfinanzministeriums den Erlass der Steuer für jüdische Auswanderer generell ausschloss.9 Unterdessen war den Finanzämtern schon seit 1934 mit der Möglichkeit sogenannter Reichsfluchtsteuer-Sicherheitsbescheide ein wirkungsvolles Instrument in die Hände gegeben, die zunächst nur schwer in den Griff zu bekommende Steuerflucht einzudämmen und schon im Vorgriff auf eine bevorstehende Auswanderung die fälligen Summen einzuziehen. Bald reagierten die Behörden dabei auch auf nur mittelbare Anzeichen von Auswanderungsplänen und erließen schließlich seit 1938 verstärkt Sicherheitsbescheide nur noch aufgrund der Tatsache, dass die Betroffenen Juden waren und selbst dann, wenn eine zukünftige Auswanderung sogar mit Sicherheit auszuschließen war.10 Neben der pauschalen Auswanderungssteuer wurden aber schon seit 1934 auch zahlreiche Einschränkungen und Verbote erlassen, welche die Mitnahme von Wertpapieren, Edelmetallen und Wertgegenständen verschiedenster Art in das Ausland betrafen. Der stetige Erlass einzelner, immer umfangreicherer Verfügungsbeschränkungen über das Vermögen von Auswanderern mündete schließlich in die Praxis der präventiven Sicherheitsanordnung auf Verdacht hin, die mit der Änderung des Devisengesetzes im Dezember 1936 in Einzel­ fällen ermöglicht und im August 1939 schließlich pauschal über alle jüdischen Bürger – nun unabhängig von deren konkreten Auswanderungsplänen – verhängt wurde.11 Über diese Verfügungsbeschränkungen hinaus sorgten vor allem die immer ungünstiger gestalteten Transferquoten für einen realen Vermögensverlust bei der Auswanderung. Dabei gestalteten sich die Modalitäten bei der Emigration nach Palästina durchweg am günstigsten, allerdings war dieses Zielland für Unternehmer hinsichtlich der beruflichen Perspektiven nur bedingt attraktiv.12 Für die meisten übrigen Länder wurde die Mitnahme von Devisen in bar eingeschränkt und seit 1935 ganz unterbunden. Das oberhalb der Höchstbeträge für den freien Umtausch liegende Barvermögen von Auswanderern wurde seitdem in Sperrguthaben umgewandelt, deren Tausch über die Deutsche Golddiskontbank nur unter horrenden Abzügen möglich war. Betrug die Verlustquote Anfang 1935 50 Prozent, waren es Ende 1936 schon 80 Prozent. Im Laufe des Jahres 1938 überschritt die Quote 90 Prozent und erreichte zu Kriegsbeginn 1939 96  Prozent, was von einer völligen Enteignung nicht 8 Mußgnug. 9 Runderlass des Reichsfinanzministeriums, 23.12.1937, in: Walk, II/391, S. 208 f. 10 Friedenberger, S. 84–94. 11 Banken, Devisenrecht, S. 188–198; Franke, Devisenstellen, S. 86 f.; Dean, Robbing, S. 132– 144. 12 Feilchenfeld u. a.

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mehr weit entfernt war.13 Die Auswanderung jüdischer Bürger stellte sich damit als die entscheidende Schnittstelle heraus, an der das energische, vor drastischen Instrumenten nicht zurückschreckende Bemühen um die Stabilisierung der chronisch angespannten Devisensituation mit der konfiskatorischen Richtung der nationalsozialistischen Judenverfolgung frühzeitig eine Verbindung einging. Nachdem die nationalsozialistischen Polizei- und Sicherheitsapparate immer stärker auf das Gebiet der Devisenbewirtschaftung und -kontrolle vorgedrungen waren, wurde im Verlauf des Jahres 1938 das Geflecht der diskriminierenden Transferbestimmungen derart eng mit den Strukturen der Kontrolle und Überwachung der Juden verknüpft, dass diesen kaum noch legale Möglich­ keiten verblieben, im Falle der Auswanderung auch nur minimale Anteile ihres Vermögens zu retten. Im Dezember 1937 machte ein Erlass die Genehmigung zur Mitführung neuangeschaffter und damit als Vehikel zum Vermögenstransfer verdächtigter Gegenstände von einer weiteren Abgabe abhängig.14 Das leitete eine Praxis ein, nach der das Umzugsgut von Auswanderern bald einer umfangreichen behördlichen Überprüfung unterzogen wurde. Mindestens 14 Tage vor der Ausreise sollten Emigranten bei den Devisenstellen ein komplettes Verzeichnis der mitzuführenden Gegenstände zur Genehmigung einreichen, in dem selbst Wäschestücke und Besteck einzeln aufzuführen und zu bewerten waren.15 Unter Neuanschaffungen verstanden die zuständigen Behörden dabei grundsätzlich alle nach 1933 erworbenen Gegenstände.16 Für sie wurde eine Abgabe in Höhe des Neuwertes, mitunter aber auch in mehrfacher Höhe dieses Wertes, an die Golddiskontbank fällig. Ergaben sich Schwierigkeiten bei der Genehmigung einzelner Vermögensgegenstände oder deren Bewertung, konnte dies die Auswanderungsprozedur leicht um Monate verzögern.17 Auch nach bereits erteilter Genehmigung inspizierten Gestapo-Beamte das Umzugsgut im Regelfall vor der Ausreise noch einmal und konfiszierten nicht selten Gegenstände nachträglich. Korruption, Diebstahl und persönliche Bereicherung waren dabei an der Tagesordnung.18 Im Januar 1939 wurde nach dem Vorbild der österreichischen Zentralstelle eine Reichszentrale für jüdische Auswanderung eingerichtet, deren Leitung Heydrich als Chef der Sicherheitspolizei übernahm.19 Da diese sich unter ande13 Die jüdische Emigration, S. 165. Vgl. mit etwas differierenden Ziffern Bajohr, Prozeß, S. 21 und Meinl/Zwilling, S. 254 f. 14 Runderlass der Reichsbestelle für Devisenbewirtschaftung, 17.12.1937, in: Walk, II/388, S. 208. 15 Meinl/Zwilling, S. 43; Franke, Unrecht, S. 79–83. 16 Devisenstelle S Ffm.: Merkblatt für die Mitnahme von Umzugsgut durch Auswanderer [1939], abgedruckt in: Dokumente, IX/9, S. 407–409. 17 Ball-Kaduri, S. 127 f. 18 Bajohr, Parvenüs, S. 100–136. 19 Chef der Sicherheitspolizei an AA, 15.11.1938, abgedruckt in: Vogel, Dok. 90, S. 290; Göring an RdI, 24.1.1939, ebd., Dok. 91, S. 290 f.

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rem die Aufgabe stellte, auch mittellose Juden zur Auswanderung zu bringen, war seitdem jüdischen Emigranten entsprechend der Höhe ihres Vermögens noch eine Auswandererabgabe auferlegt, deren Erträge mittels eines Sonderfonds umverteilt und anderen Auswanderern zur Verfügung gestellt wurden.20 Eine solche Umlagefinanzierung war auch in der Satzung der im Juli 1939 errichteten Reichsvereinigung der Juden in Deutschland verankert, deren vordringliches Ziel die Förderung der Auswanderung sein sollte.21 Zu diesem Zeitpunkt waren den deutschen Juden die Verfügungsrechte über ihr inländisches Vermögen ohnehin bereits nahezu vollständig entzogen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich noch auswanderten. Nach dem Verlassen des Reiches im Land verbliebene Vermögenswerte fielen spätestens mit der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November 1941, nach der ein ständiger Aufenthalt im Ausland den automatischen Verlust der Staatsbürgerschaft nach sich zog, dem Reich zu.22 Indem die Bestimmung auch auf die Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten angewandt und diese damit in nicht mehr zu überbietendem Zynismus als eine Form der Auswanderung dargestellt wurde, vollendete sich schließlich der nationalsozialistische Raubzug gegen die jüdische Bevölkerung. Die jüdischen Betroffenen versuchten auf verschiedenste Weise, die Einschränkungen beim Transfer von Vermögen ins Ausland zu umgehen oder zu unterlaufen. Der Vermögenstransfer ins Ausland war oftmals die leitende Perspektive im Rahmen gleitender Strukturanpassungen jüdischer Unternehmen.23 Eine häufig anzutreffende Konstellation lässt sich am Beispiel der Großhandlung für Hutwaren Levy & Hanauer nachvollziehen. Das Unternehmen wurde von den jüdischen Inhabern Max Levy und Berthold Hanauer ge­leitet. Nachdem Max Levy 1937 gestorben war, entschloss sich Berthold Hanauer zur Auswanderung und kehrte von einer Geschäftsreise nach Großbritannien nicht mehr zurück. Vom Ausland aus bemühte er sich, das Unternehmen in nichtjüdische Hände zu überführen. Die Suche nach einem Käufer, mit dem die Commerzbank beauftragt worden war, führte zunächst zu keinem Ergebnis. Schließlich schlossen sich ein Vertreter der Firma namens Ernst Leidig und der Prokurist Hermann Kalcker zusammen, um das Unternehmen zu übernehmen. Sie gründeten dazu zunächst zusammen mit Berthold Hanauer eine GmbH, in die dieser das Vermögen der Firma als Kapitaleinlage mit einem Nennwert von 65.000 RM einbrachte. Zu diesem Preis verkaufte er anschließend seinen Anteil an die anderen Beteiligten. Hanauer übernahm fortan die Vertretung für das Exportgeschäft nach Großbritannien und Frankreich. Auf diese Weise konnte er zwar nicht mehr auf sein in Deutschland festliegendes Vermögen zugreifen, 20 Adler-Rudel, Selbsthilfe, S. 112 f. 21 Hildesheimer, S. 104–112; zur Reichsvereinigung zuletzt Meyer. 22 Elfte VO zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941, RGBl. I, S. 722; Dean, Development; zur Bedeutung der 11. Verordnung auch Kuller, S. 31. 23 Hierzu mit einigen Beispielen auch Dean, Businesses.

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blieb jedoch am Geschäft beteiligt und konnte die vertraglich festgesetzten Provisionen ins Ausland transferieren.24 Die Strategie von Berthold Hanauer ging dahin, den konfiskatorischen Tendenzen der Auswandererbesteuerung auszuweichen und das in Deutschland befindliche Unternehmensvermögen nicht zu liquidieren, sondern sich als Quelle des Lebensunterhalts im Ausland zu erhalten. Dass die Vertretung deutscher Unternehmen im Ausland eine von jüdischen Emigranten ausgesprochen häufig gewählte Option darstellte, belegen die zahlreichen Erörterungen dieses Phänomens innerhalb der nationalsozialistischen Stellen und Behörden. Sie stellte für jüdische Emigranten allerdings eine nur bedingt gesicherte Position dar, denn der Druck gegen solche Anstellungen wuchs an. Weil hiermit aber der für die Aufrüstungspolitik entscheidende Exporthandel berührt war, genossen die Auslandsvertreter noch längere Zeit einen gewissen Schutz. Hjalmar Schacht hatte sich 1935 energisch gegen die aus Parteikreisen erhobene Forderung der Abberufung aller jüdischen Auslandsvertreter gewandt, da hiermit deutschen Unternehmen Kundenbeziehungen und Weltmarktanteile wegzubrechen drohten.25 Auch die wiederholten Aufrufe der Fach­verbände zum Abbau jüdischer Vertretungen standen immer unter dem Vorbehalt, dass der Ausfuhrhandel hierdurch nicht beeinträchtigt werden dürfe.26 Nachdem die Ausgabe von neuen Legitimationskarten für jüdische Vertreter zum September 1938 eingestellt worden war und die bestehenden nur in begründeten Einzelfällen ihre Gültigkeit bis zum 31. Dezember behielten, blieben Karten mit Geltung für das Ausland weiterhin gültig und konnten sogar noch bis September 1939 neu ausgestellt werden.27 Allerdings hatte das Reichswirtschaftsministerium im gleichen Zuge die Erteilung allgemeiner Genehmigungen zur Zahlung von Provisionen und Spesen an im Ausland tätige Handelsvertreter unterbunden und Zahlungen an jüdische Vertreter in allen Einzelfällen einer Genehmigungspflicht unterworfen.28 Das betraf auch Berthold Hanauer. Weil die Übernahme jüdischer Unternehmen inzwischen genehmigungspflichtig geworden war, hatte der Vertrag vom Juni 1938 zwischen ihm und den beiden Erwerbern wortreich ausgeführt, dass Hanauer für den Handel mit Großbritannien und 24 Anlage 2 zur Anmeldung der Fa. Leidig & Kalcker an Zentralmeldeamt, 11.5.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 8214, Bl. 3a; Vertrag vom 28.6.1938, ebd., Bl. 4a. 25 Bericht über die am 20.8.35 im Reichswirtschaftsministerium stattgefundene Besprechung über die praktische Lösung der Judenfrage, RGVA/TsKhIDK, Fond 500, 1/379, Bl. 75–83, hier Bl. 76. 26 Z. B. Rundschreiben Fachgruppe Tuch- und Kleiderstoffindustrie an die exportierenden Mitglieder, 3.2.1938, RGVA/TsKhIDK, Fond 721, 1/3162, Bl. 34 (CAHJP, M2/8806). 27 Rundschreiben RWM betr. Zulassung von Ausnahmen bei der Erteilung von Legitimationskarten und Gewerbelegitimationskarten an Juden, 28.9.1938, BAL, R 11, 208, Bl.  47; RWM an Wirtschaftsgruppe Groß, Ein- und Ausfuhrhandel, 17.11.1938, BAL, R 3101, 13996. 28 Rundschreiben RWM betr. Behandlung jüdischer Provisionsvertreter, 13.9.1938, RGVA/ TsKhIDK, Fond 1458, 48/51, Bl. 14.

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Frankreich unabkömmlich sei und daher weiter für das Unternehmen tätig sein solle, was die Behörden zu dieser Zeit offenbar noch überzeugen konnte. Die zuständige Devisenstelle gab später im Jahr allerdings die Hanauer zustehenden Provisionen nicht mehr frei. Ende des Jahres 1938 wurde Berthold Hanauer schließlich aus dem Deutschen Reich ausgebürgert und sein inländisches Vermögen beschlagnahmt.29 Spielräume für einen Vermögenstransfer ins Ausland bestanden vor allem dann, wenn die Emigranten weiterhin mit der deutschen Wirtschaft verflochten blieben. Im Falle der Firma VJB Apparatebau GmbH bestand eine hierfür günstige Konstellation. Das Unternehmen war 1922 als Ingenieurbüro Papisch, Reiss & Christ GmbH gegründet worden und beschäftigte sich mit der Ver­ wertung von Patenten und dem Handel mit Anlagen der Kraft- und Wärmewirtschaft, die unter seiner Lizenz hergestellt wurden. Im August 1933 wurde die Gesellschaft umgestaltet. Beteiligt waren die Ingenieure August Reiss und Peter Christ, von denen ersterer jüdischen Glaubens war. Außerdem stieß nun noch August Kahn hinzu, der bis März 1933 Direktor der Frankfurter Filiale der Commerzbank gewesen war und im Zuge der NS-Machtübernahme seine Anstellung verloren hatte.30 Als das Unternehmen seit 1934 unter der antisemitischen Diskriminierungspolitik zunehmend zu leiden begann, entschieden die Gesellschafter, August Reiss als Auslandsvertreter nach Großbritannien zu entsenden und damit in den Hintergrund treten zu lassen. 1936 entschied sich Reiss endgültig zur Auswanderung und trat im Oktober des Jahres aus der Gesellschaft aus, wobei er seinen Kapitalanteil den anderen Gesellschaftern unentgeltlich überließ. Er errichtete in London mit der Reiss Engineering Company ein neues Ingenieurbüro, das mit dem deutschen Unternehmen in enger Verbindung blieb.31 Durch vertragliche Vereinbarungen wurden die Interessengebiete und die Lizenzrechte zwischen den Standorten abgesteckt, die englische Firma übernahm die Alleinvertriebsrechte für die VJB-Anlagen für Nordamerika und erhielt Provisionen aus den Verkäufen.32 Diese Kooperation erregte bei den nationalsozialistischen Behörden Argwohn, so dass die Gesellschaft häufigen Devisenüberprüfungen unterlag. Verstöße wurden dabei aber nicht festgestellt, im Gegenteil strichen die Devisenprüfer im Juni 1937 sogar den wirtschaftlichen Vorteil der Konstruktion für die deutschen Exportbelange heraus.33 Dennoch wurde August Reiss im gleichen

29 Gestapo Ffm. an Devisenstelle S, 2.11.1938, HStAW, Abt. 519/3, 17373; die Ausbürgerung wurde am 22.12.1938 bekanntgemacht; vgl. Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger, Bd. 1, Liste 85, S. 108 f. 30 Zur Entlassung jüdischer Bankangestellter während der NS-Zeit Ziegler, Verdrängung sowie Weihe. 31 RA Remmert an AVW, 30.11.1950, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3034. 32 Verträge vom 31.10.1936 und 1.12.1936, ebd. 33 Bericht über Devisenprüfung vom 17.–23.6.1937, HStAW, Abt. 519/3, 16972, Bl. 5–17, hier Bl. 10.

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Monat der deutsche Pass gesperrt, was seine Tätigkeit sehr erschwerte.34 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entschied sich 1938 schließlich auch A ­ lbert Kahn zur Auswanderung nach Großbritannien, wo er in das Unternehmen von August Reiss eintrat. Auch er überließ dem zurückbleibenden Peter Christ seinen Kapitalanteil unentgeltlich, im Gegenzug wurden die Verkaufs- und Provi­ sionsrechte der englischen Gesellschaft ausgeweitet. Darüber hinaus behielt er ein Guthaben bei der deutschen Firma, das über den englischen Standort abgerechnet werden sollte.35 Die zuständige Devisenstelle genehmigte die Kooperationsverträge im Juni 1938, der Regierungspräsident im Oktober die Übertragung der Gesellschaftsanteile. Auch wenn nach Kriegsbeginn die Beziehung unterbrochen worden sein dürfte, gelang es den jüdischen Gesellschaftern auf diese Weise, die Erlöse aus der Geschäftsübernahme auf indirektem Wege ins Ausland zu transferieren und eine neue Existenz zu gründen. Eine Strategie der »gleitenden Strukturanpassung« konnte durchaus von Anfang an mit einer Strategie des Vermögenstransfers verbunden sein, wie das Beispiel der Textilgroßhandelsfirma Strauss & Co. zeigt. Deren jüdische Inhaber Isaak Strauss, Paul Gutmann und Albert Jonas wanderten bereits 1936 nach Großbritannien aus und versuchten, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Sie blieben vorerst im Besitz ihres deutschen Unternehmens, gründeten in London indessen ein Textilhandelshaus gleichen Namens. Die deutsche Firma wurde seitdem als eine Art Filiale des englischen Betriebes weitergeführt und von den bisherigen nicht-jüdischen Prokuristen geleitet. Die jüdischen Inhaber zahlten dabei erhöhte Tantiemen und Gehälter an ihre Angestellten in Deutschland, um sie weiter an das Unternehmen zu binden. Diese waren dafür behilflich, einen Teil der Erträge des Unternehmens ins Ausland zu transferieren.36 Als jedoch im Jahr 1938 Verkaufsverhandlungen mit einer englischen Firma, den deutschen Standort betreffend, aufgenommen wurden, zerbrach diese temporäre Interessenkoalition. Die deutschen Geschäftsführer, die an ihrer eigenständigen Position offenbar zunehmend Gefallen gefunden hatten, hintertrieben diese genehmigungspflichtigen Verkaufsverhandlungen in Deutschland und machten ihrerseits ein Kaufangebot über 60.000 RM, das den jüdischen Inhabern allerdings inakzeptabel erschien.37 Anstatt weitere Verhandlungen zu führen, beantragten die deutschen Prokuristen nun beim hessischen Gauwirtschaftsberater die Übernahme des Unternehmens zu ihren Konditionen, denen von dort stattgegeben wurde. Der Kaufpreis wurde sogar noch einmal gesenkt, und eine Ausgleichsabgabe von 70.000 RM erhoben.38 34 August Reiss an RA Mertens, 18.6.1937, ebd., Bl. 29 f. 35 Anmeldung Luise Kahn an Zentralmeldeamt, 12.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3034. 36 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 3.12.1948, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 1771; RA Gramlich an LG Ffm., 31.10.1950, ebd., Bl. 18–23. 37 Isaak Strauss an Matthias Schüler, 19.8.1938, ebd. 38 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 3.12.1948, ebd.; Fa. Wirtschaftsprüfung und Treuhand AG an Regierungspräsidium Wiesbaden, 7.10.1938, ebd., Bl. 69–75.

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Auch wenn das Unternehmen den jüdischen Inhabern schließlich ver­loren ging, hatte es doch zuvor als Medium des Vermögenstransfers fungiert. Es entwickelten sich daneben auch spezielle Transferstrategien, die sich das deutsche Interesse an Exportbeziehungen und Deviseneinnahmen zunutze machen konnten. Ein interessantes Beispiel hierfür sind die Transaktionen, die Ida Netter, als Witwe des Inhabers stille Gesellschafterin des alteingesessenen jüdischen Juwelenhandelshauses Robert Koch, im Jahr 1939 in die Wege leitete. Mit den Erlösen aus dem 1938 erfolgten Geschäftsverkauf beteiligte sie sich an einem Konsortium unter Treuhandschaft einer Londoner Firma, das den Erwerb von Anteilen und Forderungen deutscher Unternehmen an mehreren türkischen Gesellschaften in Höhe von 17 Mio. RM bezweckte. Die Anteile wurden an die türkische Regierung weiterverkauft und der Erlös in Devisen ausbezahlt. Ida Netter erhielt für dieses Geschäft, das von dem Hamburger Bankhaus Warburg & Co. initiiert worden war, die Genehmigung der Devisenstelle.39 Zusammen mit 18 anderen jüdischen Auswanderern gewährte sie außerdem zehn deutschen Unternehmen ein Darlehen in Gesamthöhe von 1,4 Mio. RM zur Stärkung und Sicherung des Exports. Die Darlehensbedingen sahen den Transfer der Tilgungs- und Zinsraten ins Ausland vor. Auf diese Weise konnte die im Februar 1939 nach Großbritannien emigrierte Ida Netter zumindest einen Teil des Vermögens transferieren.40 An diesen Beispielen werden die Bedingungen deutlich, unter denen sich für jüdische Unternehmer Spielräume zum Vermögenstransfer ergaben. Wer über etablierte Geschäftskontakte in das Ausland verfügte und im Exporthandel tätig war, dem eröffneten sich bessere Möglichkeiten zum Kapitaltransfer und zu einem beruflichen Neuanfang – zwei Dinge, die ohnehin eng verbunden waren. Vielen anderen Verfolgten verblieben zumeist nur illegale Wege, ihr Vermögen vor den nationalsozialistischen Machthabern in Sicherheit zu bringen. Auch hierzu bot vor allem der Exporthandel Gelegenheit. So wurden Forderungen und Gewinne, die im Ausland anfielen, zuweilen dort angesammelt, ohne sie den zuständigen Behörden zu melden. Auf diese Weise konnte schon vor einer später geplanten Auswanderung Vermögen im Ausland gebildet bzw. transferiert werden. Die immer häufigeren Devisenüberprüfungen, mit denen gerade jüdische Unternehmen konfrontiert waren, bildeten allerdings eine Hürde.41 Als Adolf Mayer, Inhaber der Schmuckwarenhandelsfirma Adolf Mayer sen., im Juli 1938 eine Geschäftsreise nach Frankreich unternahm, führte er umfangreiche Bestände an Gold und Schmuckwaren mit sich und kehrte anschließend nicht nach Deutschland zurück. Aus dem Ausland gab er An­weisung an seine Angestellten, weitere Waren als Exporte über die Grenze versenden zu lassen, ohne dass dafür Zahlungen bei der deutschen 39 Memorandum betr. Turkish Public Utilities, Juni 1939, HStAW, Abt. 518, 4652, Bl. 255–257; zu diesem »Türkentransfer« auch Hauser, S. 124 f. 40 Teilbescheid der Entschädigungsbehörde, 19.4.1967, HStAW, Abt. 518, 4652, Bl. 638–647. 41 Bajohr, Arisierung, S. 156 f.

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Firmenzentrale eingingen.42 In diesem Fall  – und nur deswegen ist er über­ liefert – wurde allerdings die Aufmerksamkeit der zuständigen Zollfahndungsbehörde erregt und ein Strafverfahren wegen Devisenhinterziehung gegen Adolf Mayer eingeleitet. Selbst nachdem dieser im Juli 1939 69-jährig in Nizza gestorben war, wurde das Verfahren nicht eingestellt, diente es den nationalsozialistischen Behörden doch dazu, sich seines verbliebenen Vermögens zu bemächtigen. Für das Unternehmen Adolf Mayer sen. war inzwischen ein Treuhänder eingesetzt worden, der explizit damit beauftragt war, die bestehenden Exportbeziehungen zu erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt veräußerte der Treuhänder das Unternehmen noch im September 1939 an einen entsprechenden Interessenten.43 Weit verbreitet und in der Masse der Fälle durch das NS-Regime kaum wirksam zu unterbinden war der Schmuggel von Barmitteln und Vermögensgegenständen über die Reichsgrenzen. Während sich Geldscheine vergleichsweise leicht am Körper oder im Umzugsgut verbergen und über die Grenze schmuggeln ließen, boten insbesondere Gegenstände aus Edelmetall, Schmuck und Wertsachen wie Fotoapparate, die im Ausland schnell wieder zu veräußern waren, einen erst allmählich immer stärker gesetzlich eingeschränkten Weg zum Vermögenstransfer.44 Der Run auf entsprechende Produkte führte unter anderem dazu, dass sich das Geschäft der jüdischen Firma Max Wolffing mit Fotoapparaten im Laufe der NS-Herrschaft ganz erheblich belebte.45 Wie viel jüdisches Vermögen auf illegalem Weg ins Ausland verbracht werden konnte, wird sich nicht ermitteln lassen, denn nur die von den Behörden entdeckten Fälle sind überliefert und die Dunkelziffern allenfalls zu erahnen. Die sich stetig verschärfenden Kontroll- und Fahndungsbemühungen der nationalsozialistischen Behörden bilden aber ein Indiz für die beträchtliche Dimension, die der illegale Vermögenstransfer annahm.46 Man wird dennoch davon ausgehen müssen, dass ein Großteil insbesondere der seit dem November 1938 geflohenen jüdischen Verfolgten die Zielländer weitgehend mittellos erreichte. Zum einen war das Vermögen vieler Juden zu diesem Zeitpunkt bereits so stark zusammengeschmolzen, dass die im Zuge der Auswanderungsprozeduren erhobenen Abgaben und die konfiskatorischen Umtauschquoten davon kaum noch etwas übrigließen. Zum anderen war das Geflecht aus Überwachungsund Kontrollmaßnahmen schon derart eng gestrickt, dass für verdeckte Transferversuche kaum noch Spielräume bestanden. Für viele Opfer von Inhaftierung und Gewalt spielten Vermögensfragen bei ihren verzweifelten Bemühungen um Auswanderungsmöglichkeiten wohl auch 42 Zeugenvernehmung Edith Werthmann, 26.10.1949, HStAW, Abt. 460, 1 WiK 495, Bl. 18 f. 43 Beschluss LG Ffm., 12.8.1952, ebd., Bl. 192–206. 44 Banken, Devisenrecht, S. 202–204. 45 Aktenvermerk Entschädigungsbehörde betr. Fa. Wolffing, 3.4.1963, HStAW, Abt. 518, 2603/04, Bl. 116. 46 Vgl. auch Blumberg.

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gar keine entscheidende Rolle mehr, so dass sie bisweilen Vermögensgegenstände einfach verschenkten oder das zurückließen, was sie nicht mitnehmen konnten. Und selbst wenn die Emigranten alle verlangten Genehmigungen erlangt und die Reichsgrenzen schließlich mit ihrem verbliebenen Hab und Gut passiert hatten, wurde viele dennoch von einem völligen Vermögensverlust getroffen. Denn Tausende in europäischen Häfen lagernde Container mit Umzugsgut wurden vor Kriegsbeginn nicht mehr verschifft und später von den nationalsozialistischen Eroberern beschlagnahmt. Die Besitztümer fielen anschließend an die deutsche Bevölkerung, indem sie in zahlreich abgehaltenen Auktionen im Reichsgebiet versteigert wurden.47 Die Tatsache, dass die meisten Auswanderer Deutschland völlig verarmt verlassen und ohne Mittel einen Neuanfang im Exil versuchen mussten, hatte prägende Auswirkungen auf die Geschichte der jüdischen Emigration.

2. Leben in der Emigration und wirtschaftlicher Neuanfang »Die Antwort auf die Frage ›Warum emigrierten sie nicht?‹ ist einfach: Wohin? Niemand wollte sie.«48 David Bankier verweist mit seiner Antwort zunächst auf den Umstand, dass keineswegs nur Faktoren innerhalb des Deutschen Reiches die jüdische Auswanderung bestimmten. Denn die meisten potentiellen Aufnahmeländer zeigten sich der Verfolgungssituation im Deutschen Reich gegenüber indifferent und schränkten die Möglichkeiten der Einwanderung im Verlauf der 1930er Jahre eher noch ein anstatt sie ausweiteten.49 Nach Beginn des Krieges schwanden die Chancen zur Auswanderung endgültig auf ein Minimum, doch bereits vorher waren für viele ältere und mittellose Juden die weltweiten Einreise- und Immigrationsbeschränkungen eine unüberwindliche Hürde. Insgesamt führte die Emigration weit über die Hälfte der Frankfurter jüdischen Unternehmer nach Nordamerika, viele blieben jedoch auch in Europa. Nach Afrika und Asien verschlug es nur wenige, eher verteilten sich die jüdischen Flüchtlinge auf die südamerikanischen Staaten. Die USA nahmen mit 56  Prozent weit mehr als die Hälfte der Frankfurter Emigranten auf. Innerhalb Europas bildete das außerhalb des nationalsozialistischen Machtbereichs liegende Großbritannien das wichtigste Zufluchtsland, in das 14  Prozent der Auswanderer gelangten. Erst an dritter Stelle folgte Palästina (7  Prozent).50 Die Emigration der Frankfurter jüdischen Unternehmer bildet damit ein Muster, das von den Durchschnittswerten der Emigration nur in einem Aspekt ab47 Dreßen, S. 45–61; Bajohr, Arisierung, S. 331–338; Blank; Kuller, S. 87–93. 48 Bankier, Fragen, S. 39. 49 Zu den einzelnen Zielländern Strauss, Emigration II; Krohn u. a.; Heimat und Exil. 50 Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt, 561 Datensätze.

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weicht.51 Da die Frankfurter Unternehmer insgesamt weniger rasch emigrierten, wanderten sie seltener nach Palästina aus, das in den ersten Jahren die größte Rolle in der jüdischen Emigration gespielt hatte, und wandten sich öfter in die USA, die erst 1938/39 stärker als Aufnahmeland auftraten. Die Reise dorthin führte oftmals über ein oder mehrere Transitländer, in denen sich die Emigranten manchmal einige Monate, bisweilen aber auch länger aufhielten, bevor sie weiterreisten oder erneut fliehen mussten. Wichtigste Transitländer waren vor allem Großbritannien, die Schweiz und die Benelux-Staaten, von wo die Weiterfahrt vorwiegend auf den amerikanischen Kontinent unternommen wurde. Die Umstände von Flucht und Vertreibung aus dem Deutschen Reich sind mittlerweile gut erforscht, die Lebenswege und -verhältnisse jüdischer Flüchtlinge im Exil weniger. Die Emigrationsforschung hat sich lange auf das Schicksal prominenter Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Wissenschaft  – d. h. die intellektuelle Elite – konzentriert und die Masse der ›gewöhnlichen‹ Flüchtlinge, zu denen die jüdischen Verfolgten größtenteils gehörten, erst in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommen.52 In den ersten Jahren der NS-Herrschaft flohen viele Emigranten in die Nachbarländer des Deutschen Reiches, mitunter, um die weitere Entwicklung unter der NS-Herrschaft zunächst abzuwarten.53 Als weite Teile Europas während des Krieges in den deutschen Machtbereich fielen, gerieten diese Exilanten erneut in Lebensgefahr und wurden gezwungen, aufs Neue zu flüchten, was nicht allen gelang. Wer im Exil in den deutschen Machtbereich geriet, hatte auf der Flucht und im Untergrund keine Chance, sich wieder eine Lebensgrundlage zu schaffen. Wie gestalteten sich aber die Möglichkeiten zu einem wirtschaftlichen Neuanfang und zu erneuter unternehmerischer Betätigung für diejenigen, die in ihren Aufnahmeländern zumindest vor physischer Verfolgung sicher waren? Es ist vor dem Hintergrund des momentanen Forschungsstandes nur allgemein abzuschätzen, welche Rahmenbedingungen sich den jüdischen Immigranten in den jeweiligen Zielländern boten und wie sich diese auf ihre Lebens- und Tätigkeitsverhältnisse auswirkten. Das lokale Milieu, in dem sich die jüdischen Einwanderer bewegten, war jedenfalls eindeutig ein großstädtisches. Überragende Bedeutung als Zentren der jüdischen Emigration besaßen New York und London.54 Mehr als die Hälfte der jüdischen Auswanderung in die USA entfiel allein auf New York, über sechzig Prozent der nach Großbritannien Ausgewanderten zogen nach London. Auch in den südamerikanischen Ländern richtete sich die Emigration vor allem auf die Großstädte.55 Diese Konzentration ist 51 Hierzu die Tabelle bei Sauer, S. 147–149; vgl. auch Lavsky, Impact, S. 207–220. 52 Benz. 53 Franke, Paris. 54 Insbesondere New York hat in der Forschung große Aufmerksamkeit als Zentrum der jüdischen Emigration gefunden: Hartwig/Roscher; Lowenstein, Frankfurt; Appelius; Susemihl. 55 Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt, 443 Datensätze.

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nicht verwunderlich, konnten sich die Einwanderer doch in den Metropolen auf Verwandtschafts- und private Netzwerke stützen sowie Unterstützung durch die dort ansässigen Hilfsorganisationen erlangen. In der Emigrationsforschung wird die gewerbliche Betätigung eher am Rande behandelt.56 Auch ist über Unternehmer als spezifische Gruppe unter den jüdischen Emigranten wenig bekannt.57 Irmtrud Wojak berichtet über die Existenz von etwa 700 handwerklichen oder industriellen Betrieben jüdischer Immigranten in Santiago de Chile. Davon entfielen 40 Prozent auf die Textil­branche, so dass sich dieser Gewerbezweig, der auch das jüdische Gewerbe­leben in Deutschland geprägt hatte, hier in spezifischer Weise reproduzierte.58 In Großbritannien gewährte die Regierung Immigranten Ansiedlungs­hilfen für ökonomisch unterentwickelte Regionen.59 Adolf Schmidt zum Beispiel konnte dies in Anspruch nehmen, der nach dem Ersten Weltkrieg von Offenbach aus mit der Firma Alligator Lederwaren ein Filialunternehmen der Lederwarenbranche errichtet hatte. Er war im Juni 1938 nach Großbritannien ausgewandert und hatte vom Ausland aus die Frankfurter Filiale seiner Firma an deren bisherige Geschäftsführerin verkauft. Er wurde nach Durham in den äußersten Nordosten Englands gewiesen, wo er unter erheblichen Schwierigkeiten schließlich ein neues Lederhandelsunternehmen aufbauen konnte und damit etwa seit 1942 wieder einen ausreichenden Lebensunterhalt erzielte.60 Sein früheres großbürgerliches Einkommen erreichte er freilich nicht mehr. Etliche jüdische Emigranten wurden in Großbritannien allerdings nach Kriegsbeginn als feindliche Ausländer in Haft genommen und monate-, zum Teil  jahrelang in Internierungslagern festgehalten. Besonders hart traf es dabei Paul F., der in Frankfurt als Vertreter gearbeitet hatte und 1938 nach Großbritannien gelangt war. Er wurde nach der Festnahme mit einem Kriegsgefangenentransport nach Australien verschifft und war dort in verschiedenen Gefangenenlagern interniert. Erst nachdem er 1942 entlassen worden war, konnte er in die USA weiterreisen und sich in New York niederlassen.61 Insbesondere in den USA wurden die Lebensverhältnisse der europäischen Emigranten aufmerksam beobachtet und bald Gegenstand soziologischer Forschungen. Daher bieten die Ergebnisse einer großangelegten zeitgenössischen Umfrage des Committee for the Study of Recent Immigration from Europe bis heute eine wichtige Informationsgrundlage, obwohl ihre Aussagekraft begrenzt ist, weil sie auch die nicht-jüdische und die nicht-deutsche Emigration ein­ bezieht. Sie ergab, dass von den gut 2.000 befragten Emigranten, die in Europa unternehmerisch tätig gewesen waren, etwa 600–700 dies auch in den USA wie56 Knapp Lacina, S. 121–128 sowie Quack, S. 115–148; Franke, Paris, S. 102–131. 57 Hierzu allenfalls Berghahn, S. 106–113. 58 Wojak, S. 174–176. 59 Berghahn, S. 106–113; Loebl. 60 Eidesstattliche Erklärung Else Schmidt Wwe., 27.7.1959, HStAW, Abt. 518, 1167/01, Bl. 162 f. 61 Eidesstattliche Versicherung Paul F., 9.9.1954, HStAW, Abt. 518, 11399, Bl. 11 f.

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der waren, während mehrere Hundert sich erst dort unternehmerisch selb­ ständig machten. Dabei erwies sich der Groß- und Einzelhandel als dasjenige Berufssegment, dessen Tätigkeiten sich statistisch gesehen am leichtesten auch im Land des Exils fortführen ließen.62 Die globalen Zahlen vermitteln nicht, in welchem Umfang und unter welchen Schwierigkeiten der unternehmerische Neuanfang gelingen mochte. Erneut gilt, dass insbesondere im internationalen Handel tätige Unternehmer, die über etablierte Geschäftskontakte in andere Länder oder sogar Auslandsfilialen verfügten, sich besonders gut reetablieren konnten. Das lässt sich am Beispiel der Firma Schwarzschild-Ochs AG zeigen, einem Textilhandelsunternehmen, das seit jeher über eine Tochtergesellschaft in England verfügte. Aktionäre und Geschäftsführer waren die Brüder Alfred und Eduard Schwarzschild sowie Berthold Strauss. Das Unternehmen war durch seinen Export ein wichtiger Devisenlieferant, geriet aber immer stärker unter Druck, weil wichtige Stammkunden von NS-Stellen eingeschüchtert wurden und die jüdischen Unternehmensvertreter sich angesichts ständiger Diskriminierungen in Hotels und Gaststätten kaum noch auf inländische Geschäftsreisen begeben konnten. Nachdem das Detailgeschäft am Rossmarkt bereits 1937 verkauft worden war, wurde nach längerer Suche im August 1938 auch das Aktienkapital in Höhe von 1 Mio. RM für 40 Prozent des Nennwertes an einen Alfred Hackels­berger verkauft. Alfred Schwarzschild und Berthold Strauss verblieben anschließend nach bekanntem Muster als Auslandsvertreter im Unternehmen und arbeiteten bis Ende des Jahres 1939 in der Londoner Tochtergesellschaft.63 Diese wurde infolge des Kriegsbeginns als feindliches Vermögen beschlagnahmt, von den britischen Behörden aber den jüdischen Voreigentümern wieder überlassen, die sie erfolgreich weiterführten. Dagegen erlebte das mittlerweile in Setag Seide AG umbenannte Nachfolgeunternehmen in Deutschland einen Niedergang. Im Allgemeinen unterlagen die Frankfurter Emigranten großen Schwierigkeiten bei der beruflichen Reetablierung.64 Was Unternehmer als spezifische Gruppe angeht, standen einem unternehmerischen Neuanfang in jedem Falle der Kapitalmangel, häufig aber auch fehlende Kenntnisse der gewerblichen Gepflogenheiten und der Wirtschaftskultur in den Exilländern entgegen. Die Strukturen und Schwerpunkte der kaufmännischen Ausbildung in Deutschland hatten hierauf nicht vorbereitet.65 Es in der angestammten Branche neu zu versuchen, konnte vor diesem Hintergrund einen Irrweg bedeuten. Martin Marx etwa, der sein Handelsunternehmen für Werkzeugmaschinen 1938 verkauft hatte und über Großbritannien in die USA gelangt war, unternahm hart62 Davie, S. 233–256. 63 Anmeldung Alfred Schwarzschild u. a. an Zentralmeldeamt, 18.3.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 1110, Bl. 29–33. 64 Vgl. auch Dwork/Pelt, S. 268–275. 65 Susemihl, S. 114–123.

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näckige Versuche, sich erneut kaufmännisch in diesem Bereich zu betätigen, musste aber schließlich aufgeben, »weil das Geschäft hier ganz anders lag als drüben.«66 Erst nach einigen weiteren Anläufen in verschiedenen Gewerbezweigen konnte er schließlich sein Auskommen als Inhaber eines kleinen Ladengeschäfts finden. Aber selbst wenn es Emigranten gelang, wieder in der angestammten Wirtschaftsbranche tätig zu werden, geschah das häufig nurmehr in Form von Kleinbetrieben. In der Regel war die wirtschaftliche Integration im Exilland von einem Abstieg in die Unselbständigkeit, von schnell wechselnden, prekären Arbeits­ verhältnissen und von fremden und ungewohnten Tätigkeitsfeldern bestimmt. Gewöhnt an ökonomische Selbständigkeit, musste es vielen ehemaligen Unternehmern schwerfallen, als Arbeiter und Angestellte ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Kurt Bergmann etwa, der im Juli 1939 in die USA gelangt war, fand zunächst in New York keine Arbeitsstelle und zog daher noch im gleichen Jahr nach Florida weiter, wo er mit etwas geliehenem Kapital einen Verkaufstand für Erfrischungsgetränke eröffnete. 1943 ging er nach Houston und arbeitete dort für zwei Jahre als Verkäufer in einer Brotfabrik, später verkaufte er als Reisevertreter Möbel in Kommission. 1948 kehrte er schließlich nach New York zurück und eröffnete dort ein kleines Lebensmittelgeschäft, das er aber schon einige Zeit später mit Verlust wieder verkaufen musste. Danach reiste er wieder als Vertreter für eine Möbelfirma umher, bis er 1955 diese Stelle verlor, weil die Firma sich auflöste. Von da an hielt er sich mit allerlei Gelegenheitsarbeiten notdürftig über Wasser.67 Um sich eine bescheidene Existenz zu sichern, musste mancher jüdische Immigrant diejenigen persönlichen Vermögensgegenstände, die er unter größten Schwierigkeiten aus dem Deutschen Reich hatte mitnehmen können schließlich doch aufgeben. Adolf Beckhardt, Inhaber des bekannten Konfektionsgeschäftes W. Fuhrländer Nachf., das im März 1937 verkauft worden war, hatte sich in Frankfurt als Kunstliebhaber betätigt und eine wertvolle Sammlung von Porzellan und Bildern zusammengetragen. Es gelang ihm bei seiner Auswanderung in die USA Anfang 1939, Teile dieser Sammlung mitzunehmen. Seine Einnahmen aus dem Verkauf dieser Kunstgegenstände, die in der Not weit unter Wert abgegeben werden mussten, bildeten in den ersten Jahren im Exil beinahe sein einziges Einkommen und ermöglichten ihm schließlich, als Teilhaber in ein örtliches Unternehmen einzutreten.68 Vieles deutet darauf hin, dass aus der Perspektive der Betroffenen das Kriegsende keine entscheidende Zäsur bildete, denn ihre Existenznöte dauerten noch lange darüber hinaus an. Die erhobenen Daten aus den Entschädigungsverfahren verdeutlichen die Dauer der materiellen Notzeit emigrierter NS-Opfer. Danach verfügten die jüdischen Emigranten im Durchschnitt mindestens über 66 Affidavit Martin Marx, 29.11.1955, HStAW, Abt. 518, 1361/05, Bl. 58. 67 Eidesstattliche Erklärung Kurt Bergmann, 13.9.1956, HStAW, Abt. 518, 47804, Bl. 5–7. 68 RA Winker an Entschädigungsbehörde, 18.6.1957, HStAW, Abt. 518, 4083, Bl. 119–122.

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einen Zeitraum von etwa zehn Jahren über kein ausreichendes Einkommen.69 Viele jüdische Unternehmer konnten sich zum Teil auch 15–20 Jahre nach der Auswanderung aus Deutschland noch keine ausreichende Lebensgrundlage im Exil schaffen. Das wirft ein deutlich anderes Licht auf die Situation deutsch-­ jüdischer Emigranten als es von der Forschung bisher beschrieben worden ist.70 Es wird insbesondere deutlich, dass sich mit der häufig angewandten Methode des Interviews die hier verfolgten sozialgeschichtlichen Fragestellungen nur unzureichend bearbeiten lassen. Auf diesem Wege können heute ausschließlich Personen zu Wort kommen, die als junge Menschen bzw. Kinder emigrierten und für ihre gesellschaftliche und ökonomische Rehabilitation insofern günstige Voraussetzungen aufwiesen und noch einen langen Lebenszeitraum vor sich hatten. Auch ist die Vermutung berechtigt, dass sich eher Personen, die ihr eigenes Schicksal rückblickend als eine erfolgreiche Integration in die neue Gesellschaft wahrnehmen, zu Interviews bereiterklären.71 Die Frankfurter jüdischen Unternehmer waren hingegen überwiegend im Zeitraum zwischen 1870 und 1890 geboren, wurden durch die nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen in der produktivsten Zeit ihres Lebens getroffen und befanden sich in der Nachkriegszeit mehrheitlich bereits im Rentenalter. Die Lebensumstände dieser Emigrantengeneration sind von der Exilforschung vernachlässigt worden. Wenn Marion Berghahn über die Großbritannien-Auswanderer schreibt: »it was not a question of poverty, however: in all cases German restitution or compensation money and/or the often substantial income from whatever occupation they had achieved, provided them with a decent living standard«,72 unterliegt das einer dramatischen Unterschätzung der materiellen Notlage, in der sich viele jüdische Emigranten auch in der Nachkriegszeit noch befanden. Es lässt sich auf der Grundlage der hier angestellten Erhebungen schätzen, dass es einem großem Teil von bis zu vierzig Prozent der Ausgewanderten überhaupt nicht mehr gelang, wieder eine wirtschaftliche Betätigung aufzunehmen, so dass sie ausschließlich mithilfe von Fürsorgeleistungen und verwandtschaft­ licher Unterstützung, oftmals durch die Kinder, überlebten. Auf die Leistungen der nach Kriegsende langsam Kontur gewinnenden deutschen Wiedergutmachung waren sie mithin nicht nur symbolisch, sondern existentiell angewiesen. Eine Sozialgeschichte von Rückerstattung und Entschädigung sollte hieran nicht vorbeisehen. Dass mit dem Ende der Verfolgungs- und Mordpolitik materielle Not und der Zwang zum Überlebenskampf keineswegs aufhörten, galt im Übrigen auch für die in Deutschland verbliebenen Juden. Etwa 15.000–20.000 jüdische Menschen deutscher Herkunft, die als Ehepartner von Nichtjuden oder im Unter69 Zum Hintergrund Giessler u. a., S. 212–215. 70 Vgl. dagegen zuletzt auch die Schlussbemerkungen bei Dwork/Pelt, S. 375–380. 71 Diese methodenkritischen Aspekte werden etwa bei Susemihl, S. 41–43 nicht ausreichend reflektiert. 72 Berghahn, S. 112.

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grund überlebt hatten bzw. nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern zurückgekehrt waren, lebten in der Nachkriegszeit in den vier Besatzungs­ zonen.73 Zahlenmäßig weitaus erheblicher war die Gruppe der jüdischen so genannten Displaced Persons, deren Aufenthalt in der Regel temporär war und deren zuletzt vielbeachtete Geschichte ein hier nicht aufzuschlagendes eigenes Kapitel darstellt.74 Die ersten eigenständigen deutschen Bemühungen um materielle Wieder­ gutmachung, als Fürsorgemaßnahmen konzipiert, zielten auf die Linderung akuter Not. Sie richteten sich an die wenigen jüdischen NS-Opfer, die auf deutschem Territorium verblieben oder hierher zurückgekehrt waren. In Frankfurt befanden sich von den ehemals über 31.000 jüdischen Bürgern 1945 noch 140 in der Stadt, wenige Hundert gelangten aus den Konzentrationslagern vorläufig hierhin zurück. Deutsche Juden wurden von den Alliierten tendenziell nicht als befreite Opfer, sondern als Angehörige des besiegten Feindstaates ange­sehen. Not und Leiden fanden daher für die jüdischen Überlebenden im Mai 1945 in der Folge keineswegs ein sofortiges Ende, sondern prägten die Nachkriegszeit in Deutschland.75 In Frankfurt war wie in vielen anderen Städten ummittelbar nach Kriegsende zur Betreuung jüdischer Verfolgter eine eigene Behörde eingerichtet worden.76 Die oftmals körperlich und psychisch angeschlagenen Überlebenden sollten bei der Zuteilung von Lebensmitteln, bei der Vergabe von Wohnraum und Kleidung bevorzugt berücksichtigt werden. Die Industrie- und Handelskammer wurde durch die Militärregierung angewiesen, bei Anträgen auf Wiedereröffnung oder Neuzulassung jüdischer Geschäfte entgegen der generellen Linie mit äußerster Großzügigkeit und Schnelligkeit zu verfahren.77 Diese Bemühungen von offizieller Seite, den überlebenden Verfolgten Sonderhilfen zu gewähren, ließen sich oftmals aber nicht konsequent umsetzen. Juden stießen zudem vielerorts auf Ablehnung und besaßen zu lokalen Netzwerken bei der Versorgung und der Verteilung knapper Güter keinen Zugang. Ihre Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben wirkte fort.78 Die prekären Lebensumstände von überlebenden Juden im Deutschland der Nachkriegszeit verdeut­ lichen die geringe gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die ihnen als Opfern des Nationalsozialismus zuteil wurde.79 Wenn aber schon die jüdischen Über­ lebenden in Deutschland nur wenig beachtet wurden, erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass die Schicksale der zumeist in den 1930er Jahren aus­ 73 Zur in den letzten Jahren immer intensiver erforschten Geschichte der Juden im Nachkriegsdeutschland Wetzel, Leben; dies., Trauma; Burgauer; Brenner; Geis; Quast; Gay; Strathmann; Zieher; Geller; Schönborn; Kauders, Heimat; zu Frankfurt Tauber und Freimüller. 74 Jacobmeyer; Königseder/Wetzel; Überlebt und unterwegs; Königseder; Dietrich/Wessel; Mankowitz; Lavsky, Beginnings; Grossmann; Patt/Berkowitz; Feinstein. 75 Wegweisend Büttner; zu Frankfurt Kugelmann. 76 Mitteilungen der Stadtverwaltung Ffm., 25.7.1945, S. 1. 77 Notiz für Herrn Teves, 13.4.1945, IfS, Magistratsakten, 7383. 78 Geis, S. 83–89. 79 Nietzel, Presse.

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gewanderten jüdischen Flüchtlinge mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geraten waren und sich die Menschen im Nachkriegsdeutschland von ihren Lebens­umständen und Erfahrungen kaum noch eine rechte Vorstellung zu m ­ achen wussten.80 Das verzerrte Bild der jüdischen Emigranten sollte für die gesellschaftlichen Debatten um Wiedergutmachung für NS-Unrecht nicht ohne Folgen bleiben.

80 Zur gesellschaftlichen Einstellung gegenüber jüdischen Remigranten vgl. auch Bergmann.

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V. Auswirkungen und Nachgeschichte der Vernichtung

1. Täter, Profiteure und Formen der Nutznießerschaft Die Frage, wer von der wirtschaftlichen Judenverfolgung materiell profitierte, hat die Forschung wie kaum eine andere beschäftigt. Deren verstärkte Hinwendung zu einer Gesellschaftsgeschichte der NS-Judenverfolgung seit den 1990er Jahren ließ erkennen, in welchem Ausmaß die deutsche Bevölkerung an der Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger nicht nur teil­ genommen, sondern auch konkreten Nutzen daraus gezogen hatte.1 Zunächst gilt es freilich ein anderes Moment zu verfolgen. Ein erheb­licher Teil der jüdischen Unternehmen in Frankfurt, insbesondere im Bereich der kleinen und mittleren Einzelhandelsunternehmen und Handwerksbetriebe, wurde zur Liquidation und Stilllegung gezwungen. Das Regime verfolgte spätestens seit 1938/39 insbesondere im Einzelhandel eine aktive Politik der Branchenbereinigung, die bereits auf die Mobilisierung der Wirtschaft im Kriegsfall vorauswies und in den ersten Kriegsjahren weitergeführt wurde. Insofern ordnet sich die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit auf den ersten Blick in einen politisch forcierten Prozess wirtschaftlicher Konzentration und Umschichtung ein, der im Einzelhandel zu einem starken Rückgang der Gesamtzahl der Betriebe (1933: 850.392; 1939: 689.422) bei einer annähernd gleichen Beschäftigungszahl führte (1933: 1.951.079; 1939: 1.933.047).2 Auch die Frankfurter Wirtschaft hatte sich bis zum Jahr 1939 stark verändert.3 Während die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit im übergeordneten Wirtschaftsverlauf kaum sichtbar wird, ist ihr Einfluss angesichts des hohen jüdischen Anteils an der lokalen Wirtschaft in einigen Frankfurter Statistiken klar zu erkennen. Aus der Tabelle 14 wird ersichtlich, dass sich zwischen 1935 und 1939 die Zahl der Betriebe in Frankfurt insgesamt verringerte, während sich gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten erhöhte, da in den neugegründeten Betrieben durchschnittlich mehr Arbeitskräfte beschäftigt wurden als in den eingestellten. Die Vernichtung der jüdischen Betriebe, die in den hohen Verlustraten der Jahre 1938/39 mit aufscheint, bricht allerdings aus dieser Entwicklung hin zu größeren Einheiten aus. Ausgerechnet im Jahr 1938, in dem die Mehrzahl der jüdi1 Bajohr, Verfolgung; Nietzel, Vernichtung, S. 592–596; zuletzt Kopper, Hauptprofiteure. 2 Der Einzelhandel. Ergebnisse der nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsstättenzählung 1939, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 8, August 1942, S. 265–271, hier S. 271. 3 Vgl. hierzu und zum Folgenden Lerner, S. 535–554.

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Tab. 14: Neugründungen und Einstellungen von Betrieben in Frankfurt 1935–1939 Jahr

Eingestellte ArbeitsBetriebe kräfte

Gegründete Betriebe

Arbeitskräfte

Differenz Betriebe

Differenz Arbeitskr.

1935

4.833

1.370

4.203

1.342

-630

-28

1936

4.197

1.618

3.709

1.882

-488

264

1937

3.306

939

3.267

1.737

-39

798

1938

5.043

1.449

2.840

1.352

-2.203

-97

1939

3.756

1.812

1.979

2.462

-1.777

650

-5.137

1.587

Quelle: Statistische Monatsberichte 1936–1939

schen Unternehmen ausgeschaltet wurde, war das Verhältnis von neugeschaffenen zu wegfallenden Arbeitsplätzen entgegen des übergreifenden Trends wieder negativ. Hinter der Politik der antisemitischen Verfolgung verbirgt sich folglich keine Strategie der ökonomischen Rationalisierung, wie sie etwa Götz Aly und Susanne Heim zu erkennen glaubten;4 vielmehr stand sie eher quer zu diesen wirtschaftspolitischen Bestrebungen, denn viele der liquidierten jüdischen Betriebe waren gesunde und rentable Unternehmen gewesen.5 Welchen ökonomischen Aderlass die Verfolgung und Vernichtung der Juden für die Stadt Frankfurt bedeutete, wird vollends deutlich, wenn man die Entwicklung der Erwerbspersonen in Frankfurt während der ersten sechs Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft betrachtet (vgl. Tab. 15). Trotz des Konjunkturaufschwungs nahm die Zahl der Erwerbspersonen in Frankfurt zwischen 1933 und 1939 um 2,4 Prozent ab. Industrie und Handwerk konnten noch eine leichte Steigerung verzeichnen, starke Zuwächse erzielten nur die häuslichen Dienste. Die Zahl der handelstreibenden Erwerbspersonen, zu denen die Frankfurter Juden vorwiegend gehörten, nahm hingegen um beinahe 10 Prozent ab. Noch deutlicher wird die Verdrängung der jüdischen Unternehmer im starken Rückgang der selbständig Beschäftigten um fast 16 Prozent sichtbar. Hauptsächlich dieses Segment war für den Verlust an Erwerbspersonen verantwortlich, denn alle anderen Gruppen konnten Zuwächse verzeichnen oder erlitten, wie die Arbeiter, nur leichte Rückgänge.

4 Aly/Heim, S. 21–68. 5 Vgl. Bruns-Wüstefeld, S. 125.

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Tab. 15: Die Erwerbspersonen in Frankfurt nach Wirtschaftsabteilungen und beruflicher Stellung 1933/39 Wirtschaftsabteilung Land- und Forstwirtschaft Prozent Industrie und Handwerk Prozent Handel und Verkehr Prozent Öffentl. u. priv. Dienstleistungen Prozent Häusliche Dienste Prozent Insgesamt

1933

1939

Differenz

6.224

5.153

-1071

2,3

2,0

-17,2

121.124

134.562

13.438

44,7

50,1

2,8

93.274

84.353

-8921

34,4

31,9

-9,6

36.496

32.775

-3721

13,5

12,4

-10,2

13.622

17.362

3740

5,0

6,6

27,5

270.759

264.186

-6573

Prozent

-2,4

Berufliche Stellung

1933

1939

Differenz

Selbständige

36.954

31.124

-5.830

13,6

11,8

-15,8

8.227

8.781

554

Prozent

3,0

3,3

6,7

Beamte

17.863

19.430

1.567

Prozent

6,6

7,4

8,8

71.954

72.195

241

Prozent

26,6

27,3

0,3

Arbeiter

135.761

132.656

-3.105

Prozent

50,1

50,2

-2,3

Prozent Mithelfende Angehörige

Angestellte

Quelle: Statistische Monatsberichte, Jg. 6, 1941, Heft 7–8, S. 24

Der allgemeine ökonomische Schaden, der durch die Judenverfolgung hervorgerufen wurde, schließt freilich die Nutznießerschaft einzelner Personen und Gruppen nicht aus. So drängten insbesondere die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft in nahezu allen Branchen auf eine flächendeckende Struk241 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

turbereinigung durch die Liquidation jüdischer Unternehmen. Aus ihrer Sicht stellten die entscheidenden ökonomischen Effekte der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden die Verringerung der Konkurrenz und die Ausdünnung der Gewerbestrukturen dar.6 Nutznießer waren die nicht-jüdischen Konkurrenzbetriebe, für die sich damit nicht nur ihre potentiellen Marktchancen vergrößerten, sondern die auch ganz konkret profitieren konnten, indem ihnen innerhalb der Kontingentierungsstrukturen der Rüstungswirtschaft unter Umständen größere Zuteilungen zufielen oder sich günstige Zukäufe aus den Warenbeständen liquidierender jüdischer Unternehmen ermöglichten. Obwohl diese Nutznießerschaft von den quantitativen Relationen her die dominante Form darstellte, hat sich die bisherige Forschung auf die Erwerber jüdischen Unternehmensbesitzes – die sogenannten »Ariseure« – konzentriert. Als besonders einflussreich hat sich in diesem Zusammenhang die Verhaltens­ typologie der Erwerber jüdischen Eigentums erwiesen, die Frank Bajohr am Beispiel Hamburgs entwickelt hat.7 Ihr Verdienst ist es zweifellos, gezeigt zu haben, dass sich für die an Übernahmen Beteiligten in ihrem individuellen Verhalten Handlungsoptionen und -spielräume ergaben, die durch die nationalsozialistischen Kontroll- und Überwachungsinstanzen keineswegs vollständig determiniert wurden.8 Sie bietet zudem eine realistische Einschätzung der unterschiedlichen Erwerbertypen, auch wenn sich immer wieder einzelne Beispiele nur schwer einer der Kategorien eindeutig zuordnen lassen. Eine verengte Sichtweise auf die individuellen Verhaltensweisen und Motive der Erwerber und die Formen des »Miteinander-Umgehens«9 wirft aber auch Probleme auf. So drohen die jüdischen Akteure innerhalb einer asymmetrisch ausgerichteten Betrachtungsweise erneut zu passiven Opfern zu geraten und nur noch als Spielbälle des guten oder schlechten Willens ihrer Verhandlungspartner zu erscheinen. Des Weiteren suggeriert die Einteilung in »skrupellose Profiteure«, »stille Teilhaber« und »gutwillige Erwerber«, es sei allein von Charakter und Verhalten der Erwerber abhängig gewesen, wie sich Über­ nahmeprozesse für die jüdischen Betroffenen gestalteten und welches Ausmaß das dabei verübte Unrecht angenommen habe. Aus Sicht der jüdischen Verkäufer, die sich einem ganzen Geflecht von Akteuren ausgesetzt sahen, war das individuelle Verhalten der Erwerber jedoch oftmals nur ein Faktor unter mehreren. Daher wird vorgeschlagen, die überlieferten Fälle weniger entlang der Achse charakterlichen Verhaltens zu gruppieren als vielmehr anhand ihrer relativen Be­ziehung zu den dominanten Akteursnetzwerken, die das Geschehen um die »Arisierung« bestimmten. Hierzu gehörte als zentrale Instanz der Gauwirtschaftsberater, in dessen Amt alle Fäden zusammenliefen. Noch einige weitere Akteure tauchen immer wie6 Vgl. ebd., S. 116 f. 7 Bajohr, Arisierung, S. 315–319. 8 Vgl. Bajohr, Prozeß, S. 17. 9 So Köhler, Arisierung, S. 28.

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der in den Quellen auf. So nahm etwa die Frankfurter Filiale der Dresdner Bank eine wichtige Stellung ein, die sich vor allem aus der engen personellen Verbindung zum Präsidenten der Frankfurter Industrie- und Handelskammer Carl Lüer ergab, welcher seit 1938 auch als Vorstandsmitglied der Bank amtierte. Eine Notiz aus dem Amt des Gauwirtschaftsberaters klagte im Juli 1938 sogar: »Es gibt fast keinen Arisierungsfall von Bedeutung, bei dem nicht entweder von der Handelskammer oder neuerdings auch von der Dresdner Bank bei den Verhandlungen ebenso bescheiden wie bestimmt dem Sinne nach zum Ausdruck gebracht wird: ›Der Herr Prof. Dr. Lüer wünscht das so.‹ Es scheint, als wenn die Dresdner Bank nunmehr auch amtlichen Charakter bekäme.«10 Größere Konflikte scheinen aus diesen Einflussrivalitäten nicht entstanden zu sein. Diese bezogen sich in erster Linie auf die bedeutenderen mittleren Unternehmen, so dass dieses Segment der jüdischen Gewerbetätigkeit einen spezifischen Interessenbereich darstellte, der einem besonderen Augenmerk unterlag. Immer wieder taucht in diesen Fällen auch der schon erwähnte Rechtsanwalt und Notar Kurt Wirth auf.11 Für die jüdischen Unternehmer ebenso wie für an einem möglichen Erwerb Interessierte kam es entscheidend auf die Frage an, ob eine Betriebsübernahme in den Interessenbereich dieser zentralen Akteure als den Hauptprotagonisten der »Arisierung« fiel. War dies der Fall, ergaben sich von vornherein eingeschränkte Handlungsspielräume, vor allem was die Auswahl des Käufers und den zeitlichen Ablauf des Übernahmeprozesses anging. Besaßen Interessenten das Vertrauen der zuständigen Stellen und persönlichen Zugang zu den entscheidenden Personen, brauchten sie sich im Regelfall gar nicht besonders zu exponieren, um unter lukrativen Modalitäten zum Zuge zu kommen. Insbesondere galt das für Jene, die Warenbestände oder ganze Betriebsvermögen nach dem Novemberpogrom aus den Händen beauftragter Treuhänder erwarben, während die jüdischen Inhaber in Lagerhaft festgehalten wurden. Auch ohne eigenes Zutun nahmen sie an brutalen Beraubungen teil. Inwieweit sich ein Erwerber also mit einer »stillen Teilhaberschaft« begnügen konnte, hing insofern weniger von seiner charakterlichen Disposition ab als davon, in welchem Maße sich die zuständigen Stellen des Übernahmefalls an­nahmen und diesen mitzugestalten suchten sowie von der Verhandlungsposition, in der sich jüdische Unternehmer angesichts der gewalttätigen Vertreibungsmaßnahmen des NS-Regimes befanden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Erwerber, die über keine Parteikontakte oder andere einschlägige Verbindungen verfügten, unter Umständen durchaus ein Interesse daran haben konnten, zusammen mit dem jüdischen Verkäufer die Übernahmeverhandlungen gegen die Kontrollinstanzen abzuschirmen, um anderweitige Kandidaten, die sich über politische Kontakte ins Spiel zu bringen versuchten, fernzuhal10 Notiz für Pg. Eckardt, 13.7.1938, HStAW, Abt. 519/1, 132; zur Beteiligung der Dresdner Bank an der »Arisierung« Ziegler, Bank, S. 119–333. 11 Personalbogen Kurt Wirth, o. D., HStAW, Abt. 460, P 201.

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ten.12 Auch eine solche fragile und temporäre Interessenskonvergenz hatte jedoch wenig mit dem guten oder schlechten Willen des Kaufinteressenten zu tun, sondern ergab sich aus der durch Ideologie, Polykratie und Nepotismus strukturierten Wettbewerbsungleichheit im Bemühen um den Erwerb jüdischer Unternehmen. Sie konnte daher auch von völlig unterschiedlichen Begegnungsweisen zwischen den Vertragsparteien begleitet sein. Mit Hilfe der erhobenen Daten lassen sich insgesamt 689 Erwerber namentlich identifizieren, die sich wiederum auf 517 Übernahmen jüdischer Unternehmen verteilen. Oftmals (in 135 Fällen) waren also mehrere Personen an einer Übernahme beteiligt. In formaler Hinsicht lassen sich die Erwerber in zwei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe bilden bereits bestehende Unternehmen, die jüdische Betriebe – meist der gleichen Branche – erwarben. Unternehmen erschienen in knapp 20 Prozent der Übernahmen als Erwerber. Die Spannweite innerhalb dieser Erwerbergruppe ist außerordentlich groß. Sie reicht von kleinen Ladengeschäften hin zu Frankfurter Großunternehmen wie der IG Farben und der Degussa, die an drei Übernahmen beteiligt waren, welche sich wiederum in ihren Abläufen erheblich voneinander unterschieden. Gemeinsam übernahmen die beiden Unternehmen bereits 1933 das Aktienkapital der Chemisch-Pharmazeutischen Werke AG, wobei sie deren Gründer Arthur Abelmann entgegen dessen ursprünglicher Absicht aus dem Unternehmen drängten, ihm jedoch im Vergleich zu späteren Zeiten ausgesprochen komfortable Modalitäten gewährten.13 Die Degussa erwarb außerdem 1939 zusammen mit der Firma W. C. Heraeus die Kulzer & Co GmbH. Der Verkauf wurde seit Sommer 1938 vom hessischen Gauwirtschaftsberater maßgeblich vorangetrieben und in seinen Modalitäten festgelegt, was nach dem Urteil von Peter Hayes aber nichts daran ändert, dass die Degussa sich damit »zum ersten Mal in einen Akt nackten Raubes verstrickte.«14 Die IG Farben übernahm 1940 das Aktienkapital der Rheinischen Fluss- und Schwerspatwerke AG von dem bereits 1934 in die Schweiz emigrierten Besitzer Arthur Netter und löste das Unternehmen anschließend auf, indem die Vermögenswerte auf einige bestehende bzw. neu­ gegründete Tochtergesellschaften verteilt wurden.15 Insgesamt spielten Großunternehmen bei der Übernahme jüdischer Betriebe in Frankfurt keine überragende Rolle. Auch unter den zehn bedeutendsten Übernahmen bilden Unternehmen nur knapp die Mehrheit der Erwerber (vgl. Tab 16). Selten erwarb ein Unternehmen mehrere jüdische Betriebe. Das hätte auch nicht den ideologischen Bestrebungen von Gauleitung und Stadtregierung entsprochen, wirtschaftlichen Konzentrationstendenzen und Konzernbildungen entgegenzuwirken. Die Erwerberunternehmen waren nur etwa zur Hälfte in Frankfurt selbst ansässige Firmen, welche die erworbenen Waren- und In12 Vgl. Herbst, Banker, S. 136. 13 Hayes, Degussa, S. 96–99. 14 Ebd., S. 117; vgl. auch HWA, Firmenkartei IHK Ffm., Karte »Kulzer & Co«. 15 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 14.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2300.

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Tab. 16: Die zehn größten Übernahmen jüdischer Unternehmen in Frankfurt nach dem vertraglichen Kaufpreis Name

Jahr

Kaufpreis

Erwerber

J. & C. A. Schneider

1938

4,0 Mio. RM Bruno Seletzky

Cellulosefabrik Okriftel

1938

3,6 Mio. RM Friedrich Minoux

Schade & Füllgrabe

1936

2,1 Mio. RM Fa. Wilhelm Werhahn AG

Frankfurter Mühlenwerke

1936

2,0 Mio. RM Fa. Getreide-Finanzierungs AG

R. & W. Nathan AG

1937

1,6 Mio. RM

Dresdner Bank/ Bankhaus Lenz & Co. (Aktien weiterveräußert)

Frankfurter Asbestwerke

1938

1,1 Mio. RM

Paul Kind

Hirsch & Co.

1936

1,0 Mio. RM

Fa. Röhren- und Roheisen-Großhandel

Rhein. Fluss- und Schwerspatwerke

1940

0,8 Mio. RM Fa. IG Farben AG

Günther & Kleinmond

1938

0,8 Mio. RM Fa. R. Stock & Co.

Gustav Carsch & Co.

1936

0,7 Mio. RM Hans Ott/Erich Heinemann

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt

ventarwerte dem schon bestehenden Betrieb einverleibten. Vielmehr stammten sie zur anderen Hälfte aus dem gesamten Reichsgebiet und nutzten die Übernahmen, um in Frankfurt einen zusätzlichen Firmenstandort zu eröffnen. Der Markt für Übernahmen aus jüdischem Besitz ging also weit über die Stadtgrenzen hinaus und erwies sich als ausgesprochen lebendig, so dass Banken und Maklerfirmen dieses Potential bald erkannten und neben der überregionalen Annoncenpresse eine wichtige Rolle bei der reichsweiten Vermittlung von Objekten an Interessenten spielten.16 In 80 Prozent der Übernahmen traten ein oder mehrere Einzelpersonen als Erwerber auf, die fast immer anschließend den Betrieb als solchen weiterführten. Dabei können nochmals zwei Gruppen von Erwerbern, nämlich »externe« und »interne Erwerber«, unterschieden werden. Die externen Erwerber standen vorher in keiner Verbindung zu den betreffenden Unternehmen und wurden im Zuge der Käufersuche der jüdischen Inhaber oder über Vermittlungsinstanzen 16 Vgl. zur Entstehung eines Marktes für »Arisierungsgeschäfte« Laak, S. 238 f.; zur Netzwerkfunktion der Banken vor allem Lorentz, S. 239; S. 257.

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wie Banken und Makler gewonnen bzw. brachten sich auf eigene Initiative als Interessenten ins Spiel. Sie stellen knapp 60 Prozent der Erwerberpersonen, wobei das Spektrum an Konstellationen und Verhaltensweisen denkbar groß ist. Der Typus des skrupellosen, umtriebigen Nazi-Hasardeurs, der mit Hilfe von Korruption und Gewalt waghalsige Profitgeschäfte verfolgte und in Gestalt des süddeutschen Unternehmers Fritz Kiehn eindringlich beschrieben worden ist, bildete dabei eher die Ausnahme.17 Allerdings verbindet sich gerade der sicherlich spektakulärste Fall einer »Arisierung« in Frankfurt, nämlich die Übernahme der Firma J. Speier, in der Tat mit einem ähnlichen Akteurstypus. Die Firma Speier war im Jahre 1880 von dem jüdischen Kaufmann Julius Speier als einfaches Schuhgeschäft gegründet worden. Nach dessen Tod 1923 übernahmen seine Witwe Hilda Speier mit den Söhnen Walter und Ernst als Erbengemeinschaft das Unternehmen, wandelten es in eine Aktiengesellschaft um und bauten es kontinuierlich aus. 1931 wurde ein eigenes Versandgeschäft gegründet, im Jahr darauf eine Großhandelsabteilung angegliedert. Bis in die 1930er Jahre hinein wurden zahlreiche Filialen gegründet.18 Trotz der Umstände war die Firma Speier 1938 noch immer ein bedeutendes Unternehmen, das auf dem Gebiet moderner Logistik und Verwaltung eine Vorreiterrolle einnahm.19 Dennoch betrachteten die jüdischen Inhaber ihre unternehmerische Existenzmöglichkeit in Deutschland schon nach den ersten Jahren der NS-Herrschaft als ziemlich aussichtslos.20 Verschiedene Verkaufsversuche scheiterten in den nächsten Jahren allerdings an der verweigerten Genehmigung durch die NS-Behörden. Mitte des Jahres 1938 konkretisierten sich Verhandlungen mit dem Interessenten Hans Hammer, einem gescheiterten Kinounternehmer mit goldenem Parteiabzeichen der NSDAP, der aber das nötige Kapital nicht aufbringen konnte, so dass die Angelegenheit in der Schwebe blieb. Als die Brüder Speier mit ihrer Mutter während des Novemberpogroms versuchten, aus Frankfurt zu entkommen und bei Aachen über die belgische Grenze zu fliehen, wurden Walter und Ernst verhaftet. Das Unternehmen, dessen Zentrale demoliert und dessen zahlreiche Filialen infolge der Zerstörungen geschlossen blieben, übernahm ein Treuhänder. Am 19. November wurden Walter und Ernst Speier nachts in das Frankfurter Gestapogebäude überstellt, wo ihnen ein Gestapo­ beamter ein Kaufangebot für ihr Unternehmen zugunsten Hans Hammers 17 Berghoff/Rauh-Kühne. Fritz Kiehn trat auch auf dem Frankfurter Schauplatz in Aktion: Er erwarb 1943 die nicht im Stadtgebiet liegende, aber zum Handelskammer- und zum Amtsgerichtsbezirk Frankfurt gehörige Cellulosefabrik Okriftel, nachdem der ursprüngliche Erwerber Friedrich Minoux 1940 verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. 18 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 16.8.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 389, Bl. 2–13. Der Antrag nennt 37 Filialen für das Jahr 1938. 19 RA Boesebeck und Barz an LG Ffm., 19.4.1949, ebd., Bl. 9. 20 Das folgende v. a. nach: Zeugenaussage Walter Speyer vor dem LG Ffm., 6.5.1949, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 213, Bl. 59–62.

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diktierte. Dieser hatte sich unterdessen mit dem ebenfalls aus der Kultur­ branche stammenden Heinrich Stumpf zusammengetan, der als Geldgeber bei der Übernahme fungieren sollte. Der Kaufvertrag wurde am 1. Dezember 1938 unterschrieben.21 Die Firma J. Speier wechselte daraufhin gegen den durch verschiedene Abzüge auf die Summe von 25.000 RM reduzierten Kaufpreis die Besitzer. Selbst diese Summe erhielten die jüdischen Vorinhaber nicht ausgezahlt, nachdem sie Anfang 1939 aus Deutschland geflohen waren. Nachdem Hans Hammer zunächst wegen mangelnden Kapitals nicht zum Zuge gekommen war, hatten die Entwicklung des Jahres 1938 und sein eigenes kräftiges Zutun dafür gesorgt, dass ihm eines der größten Frankfurter Handelsunternehmen ohne jede Gegenleistung zufiel. Dieser Vorgang war nicht nur in Frankfurt Stadtgespräch,22 sondern erregte als Akt des offenen Raubes und des Nepotismus reichsweite Aufmerksamkeit.23 Dass der rasante Aufstieg Hans Hammers vom Bankrotteur zum Chef eines reichsweiten Handelsunternehmens als so spektakulär empfunden wurde, zeigt, dass so etwas auch im Zuge des Bereicherungswettlaufs der »Arisierung« nicht unbedingt alltäglich war. Das Beispiel verweist allerdings gleichzeitig auf den Zusammenhang von Kapitalmangel und Gewalt. Dass für die Übernahme auch nur der volkswirtschaftlich relevanten jüdischen Unternehmen innerhalb des deutschen mittelständischen Gewerbes kein ausreichendes Kapital vorhanden sein werde, war den nationalsozialistischen Machthabern bewusst. Die nie verwirklichten Planspiele eines staatlichen Ankauffonds und eines zentralen Systems der Kreditvergabe reflektierten diese Tatsache.24 Viele jüdische Unternehmer mussten bemerken, dass sich bei ihrer Suche nach Kaufinteressenten Schwierigkeiten ergaben, auf Kandidaten zu treffen, welche die anvisierten Übernahmepreise auch zu zahlen in der Lage waren. Im Falle des Bekleidungsgeschäftes S.  Sichel konnte der jüdische Inhaber Ernst Sichel zwar mit dem Bremer Kaufmann Friedrich Hensel einen Interessenten für den Geschäftsbetrieb gewinnen, diesen aber nur zusammen mit dem zugehörigen Grundstück veräußern. Dies entsprach der Genehmigungspolitik des Gauwirtschaftsberaters, der bei Geschäftsübernahmen Miet- und Pacht­ verhältnisse zwischen den vormaligen Eigentümern und den Erwerbern ausschließen wollte und daher den Erwerb des Grundstücks zur Auflage gemacht hatte.25 Unter Vermittlung der Dresdner Bank wurde schließlich im Mai 1938 ein Kaufvertrag über Geschäft und Grundstück abgeschlossen. Es stellte sich aber in den Folgemonaten heraus, dass Friedrich Hensel gar nicht in der Lage war, den fälligen Kaufpreis von 69.000 RM aufzubringen. Als das Geschäft da21 RA Geidel und Mannhart an LG Ffm., 31.5.1949, ebd., Bl. 89–92. 22 Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen: Entscheidung betr. Fa. Hako Hammer KG, 8.5. 1946, HStAW, Abt. 519/1, 131. 23 Vermerk betr. Schuhfirma Speyer, 19.12.1938, BAL, R 58, 984, Bl. 100. 24 Genschel, S. 166–173. 25 RA Max L. Cahn an LG Ffm., 7.5.1951, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2293, Bl. 20–39, hier Bl. 21.

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her nachträglich zu scheitern drohte, gelang es Hensel, noch einen Berliner Kaufmann namens Richard Gies sowie seinen Vetter August Ronneberger zu gewinnen, die weiteres Kapital zuschießen und dafür als Kommandantisten in das Geschäft eintreten sollten. Nachdem Geschäft und Grundstück schon im Mai übergeben worden waren, konnte erst im Oktober 1938 ein endgültiger Vertrag geschlossen werden. Die Erwerber leisteten ratenweise eine Zahlung von 52.000 RM, der Rest blieb weiterhin offen. Nachdem Ernst Sichel im Zuge des Novemberpogroms in Konzentrationslagerhaft verschleppt worden war, versuchten die Neubesitzer dies für sich auszunutzen und drangen schriftlich auf eine Reduzierung des angeblich über­ höhten Kaufpreises. Schließlich leisteten sie ratenweise nur noch einige kleinere Beträge, die sie aus dem längst in Besitz genommenen Geschäftsvermögen beglichen.26 Dieses Beispiel wirft ein grelles Licht auf die Tatsache, dass beim Transfer jüdischen Unternehmensvermögens Gewalt nicht nur eine ubiquitäre Begleiterscheinung, sondern geradezu eine konstitutive Bedingung für diesen Prozess darstellte. Anders als mit Gewalt hätten angesichts der Kapitalschwäche der Interessenten zahlreiche Übernahmen gar nicht zustandegebracht werden können. Denn obwohl die verlangten Kaufpreise durch die verfolgungsbedingte Schwächung vieler jüdischer Betriebe sowie durch die Vielzahl gleichzeitig auf den Markt gebrachter Angebote ohnehin schon stark gefallen waren, konnte nur Gewalt die noch bestehende Kluft zwischen Angebots- und Nachfrageseite schließen helfen. Hierdurch wurde auch das Fehlen einer zentralen Koordinierung und Finanzierung der »Arisierung« durch den NS-Staat kompensiert, der an der Erhaltung der für die Rüstungs- und Exportwirtschaft relevanten Unternehmen durchaus vitales Interesse hatte, sich aber nie zu einem materiellen Engagement entschließen konnte und Gewalt gewissermaßen als Ersatzmittel einkalkulierte. Den Erwerbern jüdischer Unternehmen ermöglichte die Übernahme den Aufstieg in die betriebliche Selbstständigkeit, der ihnen sonst nicht ohne Weiteres offengestanden hätte. Evident ist das für diejenigen NS-Anhänger, die ihre Mitgliedschaft in der NSDAP oder angeschlossenen Verbänden offensiv einsetzten, um sich im Wettbewerb um jüdische Unternehmen durchzusetzen. Ihr Anteil sollte jedoch nicht überschätzt werden, eindeutig dokumentiert ist eine entsprechende Mitgliedschaft nur in einem Bruchteil der Fälle. Im Allgemeinen bevorzugten die Genehmigungsinstanzen Parteigenossen zwar, jedoch keineswegs um jeden Preis und nur, wenn diese für die Weiterführung eines Unternehmens auch geeignet erschienen.27 Regimenähe und -treue waren trotz anderslautender Bekundungen keine zentralen Faktoren beim Wettbewerb um die jüdischen Betriebe. So finden sich unter den Erwerbern durchaus auch Personen, die man nicht unbedingt mit dem gängigen Bild des »Ariseurs« als einem raffgierigen Parteigenossen in Ver26 Ebd., Bl. 25. 27 Vgl. Kratzsch, S. 231–234.

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bindung bringen würde. Ernst Biesten etwa, der im Oktober 1938 nach längeren Verhandlungen die Schuhwarenhandelsfirma Gebr. Frankenfelder übernahm, war bis 1933 Polizeipräsident in Koblenz gewesen. In diesem Amt hatte er nach Kräften versucht, den gewalttätigen Ausschreitungen der Nationalsozialisten in der Endphase der Republik Einhalt zu gebieten und unter anderem das Verbot mehrerer Ortsgruppen in seinem Dienstbezirk verfügt. Im Februar 1933 wurde er seines Postens enthoben; der Gauleiter von Köln-Aachen Josef Grohé, der in den Jahren zuvor des Öfteren von den Amtshandlungen Biestens betroffen gewesen war, verfasste zu dieser Gelegenheit im lokalen Parteiblatt eigens einen triumphierenden Hass- und Schmähartikel.28 Biesten vermochte es in den Folgejahren nicht, sich wieder eine Existenz zu schaffen, und lebte von dem vorhandenen Familienvermögen. Erst die Übernahme eines jüdischen Unternehmens eröffnete die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs. Um Mittel für den Erwerb der Firma Frankenfelder zu erlangen, verkaufte er den noch verbliebenen Haus- und Grundbesitz.29 Für die jüdischen Inhaber war Biesten, mit dem sich die Übernahmeverhandlungen offenbar in recht freundlicher Weise gestalteten, als Interessent und Geschäftspartner unter den gegebenen Umständen noch die bestmögliche Option, auch wenn der schließlich gezahlte Kaufpreis von 200.000 RM keine Vergütung für den Goodwill enthielt. Auch im Falle der Übernahme der Firma Gustav Carsch & Co. war einer der Erwerber zuvor selbst aus seiner wirtschaftlichen Position verdrängt worden. Hans Ott war 1936 gezwungen worden, seine Anteile an der Saarbrücker Zeitung an den NS-Pressekonzern unter Max Amann zu veräußern, wobei er einen großen Verlust erlitt.30 Auf der Suche nach einer neuen Kapitalanlage fand er über eine Vermittlungsgesellschaft mit Erich Heinemann zusammen, der sich bereits in Verhandlungen mit den jüdischen Eigentümern befand, jedoch nicht über genügend Kapital verfügte. Hans Ott wirkte daraufhin als Geldgeber an der Übernahme mit, während Heinemann anschließend als Geschäftsführer der in Ott & Heinemann umbenannten Firma fungierte.31 Während auch hier der Kaufpreis weit unter dem Wert des Unternehmens blieb, verliefen die Übernahmeverhandlungen in äußerlich korrekter Form und ohne Eingriffe von Parteiinstanzen.32 Das sah im Falle der kleineren Kartonnagenfabrik Nathan Baer anders aus. Nachdem einer der beiden Inhaber bereits 1937 in die USA emigriert war, hatte sein Bruder noch bis zum Frühjahr 1938 als Unternehmer durchgehalten. Im April veräußerte er schließlich das Unternehmen an Jacob Weiss. Dieser 28 J. Grohé, So sahen sie aus! Zur Entfernung des Dr. Biesten vom Amt des Koblenzer Poli­ zeipräsidenten, in: Koblenzer Nationalblatt, 14.2.1933 [Kopie], HStAW, Abt. 519/V, VG ­3102–144. 29 Ernst Biesten an AVW, 27.8.1948, ebd. 30 Zu den zahlreichen Übernahmen von Regionalzeitungen durch den staatsnahen Eher-Konzern vgl. Hale, S. 205–218. 31 RA Schwede an LG Ffm., 14.8.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6996. 32 RA Vollrath an Zentralmeldeamt, 21.9.1948, ebd.

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wieder­um hatte zuvor seinen Heimatort verlassen und den dortigen Bäckerei­ betrieb aufgeben müssen, weil er vom Ortsgruppenführer der NSDAP als politischer Gegner des NS-Regimes drangsaliert worden war.33 Er wurde über die schon erwähnte jüdische Maklerfirma Leo Lissberger an die Firma Nathan Baer vermittelt. Nachdem er bereits einen Kaufvertrag über 18.500 RM abgeschlossen hatte, zögerte er allerdings das Genehmigungsverfahren hinaus und erreichte bei den zuständigen Instanzen eine Reduzierung des Kaufpreises auf nur noch 8.200 RM.34 Dass es sich bei den Erwerbern jüdischer Unternehmen um politisch Verfolgte handelte, war die Ausnahme. Gerade an den geschilderten Beispielen lässt sich aber zeigen, welche Funktion dem massenweisen Verkauf jüdischer Unternehmen innerhalb der nationalsozialistischen Wirtschaft und Gesellschaft zukam. In einem durch Zugangssperren und Warenkontingentierung zum »closed shop« gewordenen Wirtschaftssystem war es für Außenseiter und Neueinsteiger ohnehin nur schwer möglich, als selbständige Unternehmensgründer Fuß zu fassen.35 Erst die Verdrängung der jüdischen Unternehmer brach diese Hürden partiell auf und eröffnete neue Zugänge, die vielen andernfalls verschlossen geblieben wären oder manchen sogar als einzige Option zur Existenzgründung oder -sicherung erschienen. In den oben geschilderten Fällen ergaben sich regelrechte Kettenverdrängungen, in denen die jüdischen Verfolgten gleichsam das letzte und schwächste Glied bildeten. Als »interne Erwerber« können diejenigen Erwerber bezeichnet werden, die schon vor der Übernahme in enger Verbindung zu dem Unternehmen standen, sei es, dass sie dort als Angestellte arbeiteten, sei es, dass sie schon länger als wichtige Geschäftspartner präsent waren. Auch Familienangehörige können als interne Erwerber verstanden werden. Insgesamt beläuft sich der Anteil der internen Übernahmen auf etwa ein Viertel, auf ein knappes Drittel bezogen nur auf die Übernahmen durch Einzelpersonen. Einen internen Erwerber zu ge­winnen, mit dem unter Umständen Absprachen zur weiteren Beschäftigung oder zur Versorgung der Vorinhaber zu treffen waren, konnte im Rahmen einer gleitenden Strukturanpassung ein wichtiges Ziel sein. Nicht alle internen Übernahmen gehen jedoch in diesem Typus auf. Eher selten kam es vor, dass aus einer Konstellation gleichberechtigter jüdisch/nicht-jüdischer Teilhaberschaften heraus agiert wurde, die bereits vor 1933 bestanden hatten. Eine solche Partnerschaft musste unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Regimes einer harten Belastungsprobe ausgesetzt sein. In der Firma Richard Henning & Co., die fotographische Artikel her33 Anlage D zum Antrag an die Entschädigungsbehörde, 27.2.1950, HStAW, Abt. 518, 55718, Bl. 13 f. Jacob Weiss wurde als Verfolgter des NS-Regimes anerkannt und erhielt eine lebenslange Rente. 34 Anmeldung Kurt Baer an Zentralmeldeamt, 22.11.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 1939. 35 Bajohr, Verfolgung, S. 649.

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stellte und vertrieb, bestand eine solche Kooperation bereits seit mindestens 1923 und überdauerte zunächst auch die ersten Jahre der NS-Herrschaft. Im April 1938 forderte der nicht-jüdische Gesellschafter Ernst Schmittmann seinen langjährigen Partner Hermann Kaiser auf, das Geschäft nicht mehr zu be­treten, um keine Gefahr für das Unternehmen heraufzubeschwören. Nach dem daraufhin geschlossenen Auseinandersetzungsvertrag erhielt der bereits 70-jährige Kaiser 60.000 RM, die in monatlichen Raten ähnlich einer Rente ausgezahlt werden sollten. Ernst Schmittmann erwarb insofern strenggenommen das Unternehmen nicht, sondern zahlte seinem jüdischen Mitgesellschafter den zustehenden Kapitalanteil aus.36 Etwas anders verlief die Entwicklung bei der Firma M. Erlebach Nachf., die von dem jüdischen Kaufmann Oskar Wachtel geführt wurde und mit Büro­ artikeln aller Art handelte. Um 1903 hatte der Kaufmann Eduard Heister in dem Unternehmen seine Ausbildung abgeschlossen. Als die Firma Erlebach im Verlauf der 1920er Jahre in Schwierigkeiten geriet, trat Heister 1927 zunächst als stiller Gesellschafter in das Unternehmen ein und erhielt eine Gewinnbeteiligung von 33 Prozent. 1930 wurde das Unternehmen in eine offene Handels­ gesellschaft umgewandelt, an der sich Heister als Gesellschafter beteiligte. Während der ersten Jahre der NS-Herrschaft entwickelte sich das Unternehmen positiv. 1936 erhielt Heister eine stärkere Stellung, indem seine Gewinnbeteiligung auf 40 Prozent stieg. Bereits zu dieser Zeit schlug er Oskar Wachtel vor, aus dem Unternehmen auszuscheiden, was dieser aber ablehnte. Erst im Mai 1938 wurde er zum Ausscheiden gezwungen, als sich der Gauwirtschaftsberater des Falles annahm und auf eine Trennung drängte. Eduard Heister machte keine Anstalten, dem langjährigen Inhaber ein angemessenes Entgelt für seine Gesellschaftsanteile zukommen zu lassen, sondern beauftragte einen parteinahen Sachverständigen, der den ursprünglich ins Auge gefassten Betrag von 55.000 RM auf nur noch gut 30.000 RM reduzierte. Vom Lehrling hatte es Heister damit in einer Reihe von Zwischenschritten zum Alleininhaber des Unternehmens gebracht und den jüdischen Vorinhaber verdrängt.37 Der dominierende Typus der internen Übernahme war der Aufstieg leitender Angestellter in die Inhaberposition. Da diese nicht immer über ausreichendes Kapital verfügten, traten nicht selten auswärtige Geldgeber hinzu, was sich in etwa einem Drittel der internen Erwerbungen beobachten lässt. Die Übernahme durch Angestellte entsprach einerseits dem nationalsozialistischen Gedanken einer Förderung von selbständigen, mittelständischen Unternehmerexistenzen und bot meist auch Gewähr, dass ein Betrieb unter fachkundiger Leitung weitergeführt wurde. Auf der anderen Seite gerieten solche Manöver, wenn sie von den jüdischen Inhabern im Rahmen einer Strategie der struktu­rellen Anpassung initiiert wurden, auch leicht in den Ruf der Tarnung eines ­jüdischen Unterneh36 RA Boesebeck an Zentralmeldeamt, 10.2.1949, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 5984, Bl. 8–10. 37 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 23.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4044.

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mens. De facto ergaben sich häufig Mischformen, und das Spektrum möglicher Abläufe war außerordentlich groß, was an zwei Extremfällen verdeutlicht werden kann. Dabei ist der Fall des Teppichgeschäfts J. Brumlik ein denkbar frühes Beispiel, das sich bereits unmittelbar nach der NS-Machtübernahme abspielte. In dem Geschäft, das von den beiden Söhnen des Gründers, Hugo und Otto Brumlik, geleitet wurde, bestand eine NSBO-Zelle unter Leitung des Buchhalters Heinrich Geise, in der auch der Angestellte Karl Pfaff eine führende Rolle spielte. Die Brüder Brumlik befanden sich unter denjenigen Frankfurter Kaufleuten, die nach einer Versammlung im Gebäude der IHK am Vorabend des Aprilboykotts von SS-Leuten gefangengenommen und noch zwei Tage in Polizeihaft festgehalten wurden. Vor diesem Hintergrund sahen die NS-Anhänger unter den Angestellten unvermittelt ihre Stunde gekommen. Auf Betreiben von Geise und Pfaff wurde Otto Brumlik kurz darauf noch einmal verhaftet und unter der Auflage freigelassen, das Geschäft zu verkaufen und das Land zu verlassen. Daraufhin erwarben die beiden NS-Aktivisten gemeinsam mit dem bis­ herigen Prokuristen Hans Ludwig das Unternehmen für 140.000 RM, die sie aus den Betriebsmitteln beglichen. Hugo und Otto Brumlik flohen nur wenig später nach Frankreich.38 Gegenüber dieser brutalen Gewaltaktion stellt der Fall der Frankfurter Fischkonservenfabrik GmbH das wohl kurioseste Beispiel dessen dar, was in der Forschung als »freundschaftliche Übernahme« bezeichnet wird. Im Mai 1938 übertrug der jüdische Inhaber Leopold Eisemann den Betrieb für einen geringen Betrag, der gerade seine eigenen Verpflichtungen abdeckte, auf seinen langjährigen nicht-jüdischen Prokuristen Willi Klös, der einst als Lehrling in dem Betrieb begonnen hatte und dem Eisemann in einer Art väterlicher Freundschaft zugetan war. Dieser übernahm dabei nur das Handelsgeschäft, während die GmbH bestehen blieb und in eine Immobiliengesellschaft umgewidmet wurde, die den Grundbesitz des Unternehmens verwaltete. Diese GmbH überschrieb Eisemann seiner vom ihm mittlerweile geschiedenen Ehefrau. Zwischen den Beteiligten herrschte dabei Übereinstimmung, dass dieser langfristig angelegte »Täuschungsplan«, wie Leopold Eisemann später dieses Manöver bezeichnete, das Unternehmen über die NS-Zeit bringen und die Beteiligten in ihrer wirtschaftlichen Existenz sichern sollte.39 Eisemann ging zunächst in die Schweiz und begab sich später nach Marokko, wo er in die französische Fremdenlegion eintrat. Obwohl der neue Besitzer Willi Klös aufgrund seiner engen Beziehung zum Vorinhaber von NS-Stellen weiterhin kritisch beäugt wurde, hielten die persönlichen Abmachungen und Bindungen über den Weltkrieg und den Zusammenbruch des Regimes hinaus.40 Im Jahr 1947 meldete sich Eisemann aus 38 Antrag Otto Brumlik an Entschädigungsbehörde, 30.1.1955, HStAW, Abt. 518, 9979, Bl. 19 f. 39 Leopold Eisemann an Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen, 2.2.1947, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6935. 40 Willi Klös an Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen, 15.12.1945, ebd.

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Marokko, wo er während der NS-Herrschaft sozusagen überwintert hatte, und trat schließlich wieder in das Unternehmen ein. Außer den unmittelbaren Profiteuren sind in der Forschung immer wieder auch weitere Akteure genannt worden, denen das Geschehen um die »Arisierung« von Nutzen war, darunter unter anderem Vermittlungsgesellschaften, Makler, Notare und Rechtsanwälte.41 Ob ihre Erträge aus dem durch das NSUnrecht induzierten Mehrgeschäft allerdings signifikante Größenordnungen angenommen haben, dürfte eher fraglich sein. Auch für die Banken, die sich an einer wichtigen Schnittstelle des Geschehens befanden und ausführlich untersucht worden sind, fällt die Bilanz eher ambivalent aus.42 Die Filialen der Großbanken am Standort Frankfurt erlitten durch die massenweise Liquidation von Unternehmen in jüdischem Besitz zunächst eher Schaden, als dass sie an der »Arisierung« ein genuines Interesse haben konnten.43 Des weiteren bedeuteten die zahlreichen Inhaberwechsel unter dem Gesichtspunkt der geschäft­lichen Routinen der Banken, nämlich der Kreditvergabe und der Risikominimierung, ein zusätzliches Risiko in zweierlei Hinsicht: Es war nicht immer sicher, ob ein neuer Inhaber zum einen das Geschäft erfolgreich weiterführen, zum anderen die Kreditbeziehung zur etablierten Hausbank aufrechterhalten würde.44 In dem Geschäft um neue Kreditkunden kann die Dresdner Bank mit ihrer Frankfurter Filiale als lokaler Gewinner gelten, weil sie sich auch aufgrund ihrer politischen Verbindungen in viele Transaktionen effektiv einzuschalten und sich auf einem durch die zahlreichen Unternehmensübernahmen in Bewegung gekommenen Feld zusätzliche Marktanteile sichern konnte.45 Eine Bilanz des NS-Nutznießertums darf aber nicht bei einer Momentaufnahme 1938/39 stehenbleiben, sondern muss diese Kategorie zu historisieren suchen. Denn die nationalsozialistischen Machthaber strebten zu dieser Zeit unausweichlich auf einen Krieg zu, der die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft noch einmal nachhaltig verändern und für manche das bisher Erlangte wieder in Frage stellen sollte.

2. »Arisierte« Unternehmen in der Kriegs- und Nachkriegszeit Was aus den ehemals jüdischen Unternehmen wurde und wie sie sich während der kommenden Jahre entwickelten, sollte nicht nur für die neuen Besitzer, sondern auch für die jüdischen Vorinhaber von Bedeutung sein. Manche dachten bereits voraus und sahen, dass ihre Vermögensverluste an ein Unrechts­regime 41 Laak, S. 240–246; Meinl/Zwilling, S. 49–72. 42 Kopper, Marktwirtschaft, S. 276–291; Ziegler, Großbanken, S. 129–137. 43 So der Tenor bei James, Bank, S. 37–126 sowie in Deutsche Bank, S. 97 f. 44 Herbst, Banker, S. 106 f. 45 Zur Aktivität der Frankfurter Filiale der Dresdner Bank auch Plum, S. 559.

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gebunden waren, das nicht ewig Bestand haben musste. Bereits aus ihrem vorläufigen Schweizer Exil wehrte sich etwa die Familie Speier gegen den brutalen Raub ihres Familienunternehmens J. Speier. In Schreiben an die Erwerber, an den beteiligten Notar und an das Amtsgericht erklärten sie die erteilten Vollmachten für nichtig, da mit Gewalt erpresst, und kündigten an, Wiedergutmachungsforderungen geltend zu machen, sobald die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland wiederhergestellt sei.46 An eine solche Möglichkeit dürften unterdessen die wenigsten »Ariseure« konkret gedacht haben, deren individueller Lebenshorizont sich durch die aufgrund der Judenverfolgung zugefallenen Profite und Chancen mit dem Zukunftshorizont des NS-Regimes unauflöslich verschränkt hatte.47 Das bedeutete nicht, dass auch nur ein Großteil der Profiteure und Nutznießer Anhänger des Regimes und seiner Ideologie gewesen wären oder hierzu wurden. Auch ist die Vorstellung verfehlt, die Übernahme eines jüdischen Unternehmens sei innerhalb der NS-Gesellschaft ein besonders reputierlicher Vorgang gewesen. Bei genauerem Hinsehen scheint eher das Gegenteil der Fall gewesen zu sein. Als Oberbürgermeister Krebs zu Anfang des Jahres 1941 eine Besprechung mit den maßgeblichen Persönlichkeiten der Frankfurter Wirtschaft vorbereiten ließ, um sich über die Aufgaben der Kriegswirtschaft auszutauschen, legte die Industrie- und Handelskammer eine Vorschlagsliste mit 124 ihrer Einschätzung nach führenden Betrieben vor, deren Inhaber bzw. Leitungspersonen zu der Veranstaltung eingeladen werden sollten.48 Neben den großen Frankfurter Aktiengesellschaften befanden sich darunter auch zahlreiche Vertreter des mittleren Gewerbes. Auffälligerweise fand sich hierunter nur eine Handvoll Inhaber ehemals jüdischer Unternehmen, von denen einige wie die Conservenfabrik Eugen Lacroix  zudem von dem nicht-jüdischen Inhaber gegründet und durch Ausscheiden jüdischer Teilhaber »arisiert« worden waren. Die Erwerber jüdischer Unternehmen konnten somit in die unternehmerische Selbständigkeit, offenbar jedoch nicht in die anerkannte Elite der lokalen Wirtschaft aufsteigen. Die Veränderungen, denen Unternehmen während der Kriegs- und Nachkriegszeit unterlegen waren, sollten für die späteren Bemühungen um Aufarbeitung und Wiedergutmachung von folgenreicher Bedeutung sein. So hinterließen die gesellschaftlichen Mobilisierungsmaßnahmen und die sich im Verlauf der Kriegszeit verstärkenden Bemühungen um einen effektiveren Einsatz von Arbeitskräften tiefe Spuren in der Frankfurter Wirtschaft. Einige, insbesondere kleinere, inhabergeführte Betriebe konnten aufgrund von Einberufungen zum Wehrdienst nicht mehr weitergeführt werden, wie etwa die Haushaltswaren46 Zeugenaussage Walter Speyer vor dem LG Ffm., 6.5.1949, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 213, Bl. 59–62; RA Geidel und Mannhart an LG Ffm., 31.5.1949, ebd., Bl. 89–92. 47 Nur bisweilen und eher während der späten Kriegsjahre lassen sich Momente von Bestrafungsängsten bei den Erwerbern jüdischer Vermögenswerte beobachten; hierzu Bajohr/ Pohl, S 65–76. 48 Rundvermerk betr. Besprechung mit Wirtschaftsführern usw., 1.2.1941, IfS, Magistrats­ akten, 7392; Vorschlag für die einzuladenden Wirtschaftsführer, o. D., ebd.

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handlung Wilhelm Ries, deren Inhaber 1938 nach dem Novemberpogrom das jüdische Geschäft Gustav Jacob & Co. zunächst als Treuhänder übernommen und später auf eigene Rechnung weitergeführt hatte. Nach seiner Einberufung musste dieser das Geschäft 1941 einstellen, da er keine staatliche Unterstützung zur Aufrechterhaltung erhielt. Die eingelagerten Inventargegenstände und Waren wurden 1944 durch Luftangriffe zerstört.49 Auch das Geschäft der Firma Leidig & Kalcker, 1938 aus der Hutwarenfirma Levy & Hanauer hervorgegangen, wurde durch die Kriegswirtschaft stark beeinträchtigt. Das Fabrikations- und Großhandelsunternehmen war ganz auf das oberste Hochpreissegment spezialisiert und konnte unter den seit 1940 geltenden Preisverordnungen50 kaum noch betriebswirtschaftlich rentabel operieren. Einberufungen und Dienstverpflichtungen entzogen dem Betrieb darüber hinaus immer wieder Arbeitskräfte, so dass 1943 die handwerkliche Abteilung ganz stillgelegt werden musste.51 Der Kriegsausbruch betraf insbesondere auch Spezialanbieter wie die Firma Ferdinand Siemer, die aus der jüdischen Firma Emanuel Pick & Co. hervorgegangen war und mit Perlmuttknöpfen handelte. Weil diese nur über das Ausland zu beziehen waren, brach das Geschäft durch die kriegsbedingten Importbeschränkungen 1939 sofort zusammen und lag bis 1945 weitgehend still. Auch in der Nachkriegszeit kam das Geschäft nicht mehr in Gang, so dass das Unternehmen im April 1950 mit behördlicher Genehmigung eingestellt wurde.52 Eine Reihe von Unternehmen war auch von den staatlichen Stilllegungs­ aktionen betroffen, mit denen die nationalsozialistischen Machthaber Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion freizusetzen suchten.53 Höhepunkt dieser Politik war die mit großem Aufwand angegangene Stilllegungsaktion Anfang 1943.54 Auch einige der ehemals jüdischen Betrieben fielen unter das Verdikt der Stilllegung, wie etwa die Firma Geis & Meinig, die im August 1938 aus der Schmuckhandelsfirma M. Adler sen. hervorgegangen war und hauptsächlich Warenhäuser mit unechtem Modeschmuck belieferte. Sie wurde als nicht lebenswichtiger Betrieb 1943 geschlossen, der Warenbestand behördlich beschlagnahmt.55 Noch mehrere andere Schmuckwarenhandelsgeschäfte traf das 49 Ermittlungsbericht des AVW, 10.11.1950; Katharina Ries an AVW, 13.6.1951, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3948. 50 VO über die Preisbildung für Spinnstoffe und Spinnstoffwaren in der Großhandelsstufe vom 11.7.1940, RGBl. I, S. 981. 51 Hermann Kalcker an AVW, 22.9.1947, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–322. 52 Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit, 28.9.1951, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–1079. 53 Mit der Politik der »Schließung nicht lebensfähiger Einzelhandelsgeschäfte« beschäftigte sich ein Rundschreiben der Gauleitung Hessen-Nassau, 22.2.1940, HStAW, Abt. 483, 1629; außerdem Rundschreiben 24/42 betr. Rationalisierung und Konzentration der Wirtschaft, 2.3.1942, HStAW, Abt. 483, 11121 sowie Maßnahmen und Durchführungsrichtlinien für den totalen Kriegseinsatz des Handels, o. D. [Sept. 1944], BAL, R 3101, 12991, Bl. 118. 54 Bleyer, S. 100–110; Herbst, Mobilmachung, S. 98; ders., Krieg, S. 207–231. 55 Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit, 31.1.1948, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–323.

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gleiche Schicksal, da sie den Entscheidungsinstanzen offensichtlich als besonders wenig erhaltenswert erschienen. Unter den stillgelegten, ehemals jüdischen Unternehmen befand sich mit der Lederfabrik Bonames dagegen nur ein einziger Produktionsbetrieb, der allerdings schon 1938 von der Gauleitung zum Entzug der Kontingente vorgesehen und dessen Übernahme durch Franz Schüler im April nur unter der Auflage genehmigt worden war, dass dieser seinen bereits bestehenden Lederfabrikationsbetrieb in Staufen stilllegen müsse.56 Die offenbar nicht wirklich erwünschte Weiterführung wurde schließlich ebenfalls im Rahmen der Schließungsaktion, die im März 1943 auch auf den industriellen Sektor ausgedehnt worden war, beendet. Hinter den Erwartungen der NS-Führung an den Effekt der Stilllegungen blieben die tatsächlichen Resultate weit zurück.57 Das lag auch daran, dass die Aktion erhebliche Unruhe in der Bevölkerung erzeugte, weil die ohnehin bestehenden Ängste vor einer staatlich forcierten ökonomischen Konzentration und der Branchenbereinigung weiter geschürt wurden und erhebliche Proteste auslösten.58 Während die führenden Akteure der Kriegswirtschaft bereit waren, sich über solche Widerstände hinwegzusetzen, schreckten die lokalen und regionalen Entscheidungsinstanzen vor einer konsequenten Implementierung zurück und milderten die Auswirkungen in der Folge ganz erheblich ab. Der beim Frankfurter Kreiswirtschaftsberater angesiedelte Stilllegungsausschuss verfügte zwar die Einstellung von mehreren Hundert Betrieben, indessen rühmte sich das städtische Wirtschaftsamt schon im März, dass seiner behutsamen Mitwirkung »Hunderte von Frankfurter Betrieben ihr Weiterbeste­hen verdanken werden.«59 Dabei stellte sich die Stadtverwaltung insbesondere gegen die Forderungen der Wirtschaftsgruppen und Innungen, die auf eine weitere Branchenbereinigung drangen. Eine eigenständige Rolle spielte wiederum die Gauleitung, die aus eigener Machtvollkommenheit eine Reihe von Warenhäusern und sämtliche Einheitspreisgeschäfte schließen ließ, um damit in der letzten Kriegsphase einer Kernforderung der NS-Mittelstandsideologie endlich Genüge zu tun.60 Insgesamt waren die Auswirkungen der Stilllegungs­ aktion aber nicht allzu erheblich. Möglicherweise waren von der Stilllegung sogar ehemals jüdische Unternehmen weniger betroffen als andere, denn im Grunde stellten die unter nicht-jüdischer Leitung weitergeführten Unternehmen bereits eine Auswahl derer dar, die 1938/39 als erhaltenswert eingestuft worden waren. 56 RA von Mettenheim an Property Control Division, 7.6.1948, HStAW, Abt. 519/V, VG ­2100–70. 57 Vgl. Memorandum: Der Handel im totalen Kriegseinsatz, 1.9.1944, BAL, R 3101, 12991, Bl. 68–80, hier Bl. 71. 58 Bleyer, S. 105. 59 Niederschrift über eine Besprechung mit dem OB vom 10.3.1943, IfS, Magistratsakten, 6762. 60 Ebd.

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Nur undeutlich werden die Veränderungen des Unternehmensprofils sichtbar, denen viele ehemals jüdische Unternehmen im Rahmen der Kriegswirtschaft unterlagen. Auch da die Geschichte des Handels während der Kriegsjahre bisher nicht genauer erforscht wurde,61 ergeben sich anhand einzelner Kredit­ akten der Dresdner Bank nur punktuelle Einblicke in die massiven Veränderungen der Geschäftspraktiken und -profile. Im Falle der Fell- und Häutegroßhandlung J. S. Bauer, die im März 1937 von Wilhelm Schupp übernommen und noch eine Weile unter dem alten Namen weitergeführt worden war, gelang es der Dresdner Bank, die Geschäftsverbindung im Zuge der »Arisierung« von der Deutschen Effecten- und Wechselbank auf sich überzuleiten.62 Die Frankfurter Filiale stufte die Aussichten des Unternehmens vor allem deswegen als günstig ein, weil im Laufe des Jahres 1938 die in der Branche dominierende jüdische Konkurrenz nach und nach wegfiel. Wilhelm Schupp hatte daran kräftigen Anteil, denn nachdem sich die Geschäfte seit der Übernahme recht gut angelassen hatten, entschloss er sich im Juni 1938, auch noch die jüdische Firma Rosenthal Häutevertrieb KG zu übernehmen. Hierdurch wurde der Geschäftsumfang noch einmal deutlich ausgeweitet.63 Nach Ausbruch des Krieges ging das Geschäft zunächst etwas zurück, allerdings festigte sich die Position des Unternehmens, als Schupp zum amtlichen Beauftragten der Fachgruppe Häute und Felle für die Verteilung des Häuteanfalls im Wehrkreis IX ernannt wurde.64 Die Struktur des Geschäfts veränderte sich damit merklich. Die Firma erhielt von amtlichen Stellen Warenzuteilungen und wurde in großem Umfang in die Erfassung und Verwertung der im Baltikum angefallenen Beutebestände an Fellen und Häuten einbezogen. Zu diesem Zweck entsandte sie sogar einen der Prokuristen nach Litauen, von wo ganze Zugladungen erbeuteter Felle in das Deutsche Reich abtransportiert und durch das seit 1940 als Wilhelm Schupp firmierende Unternehmen verteilt wurden.65 Auch die Textilwarengroßhandlung Georg A. Frankenau, die 1938 aus der jüdischen Firma Kahn & Oppenheimer hervorgegangen war, passte sich den Rahmenbedingungen des Krieges fortlaufend an. Schon Ende 1938 nutzte sie die Gelegenheit des deutschen Einmarsches in das Sudetenland, um von dort hochwertige Waren einzuführen, die im Deutschen Reich in dieser Qualität nur noch schwer zu erhalten waren.66 Nach Kriegsbeginn zweifelte der neue Inhaber zunächst an den weiteren Geschäftsmöglichkeiten für den Großhandel und trug sich zeitweilig mit dem Gedanken, das Unternehmen um einen Fabrika­ tionsbetrieb zu erweitern. In dieser Sache fiel sein Augenmerk auf eine jüdische 61 Knapp nur Kopper, Handel, S. 117 f.; außerdem Tiburtius, Lage, S. 10–47. 62 Kreditantrag vom 19.2.1938, HAC, 500, 21154–2001. 63 Kreditantrag vom 20.6.1938; Kreditantrag vom 6.4.1939, ebd. 64 Notiz betr. Fa. J. S. Bauer, 27.3.1940; Kreditantrag vom 8.4.1940, ebd. 65 Erläuterungen der Filiale zur Bilanz per 31.12.1940; Kreditantrag vom 20.1.1942, ebd. 66 Kreditantrag vom 27.12.1939, HAC, 500, 22431–2001.

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Kleiderfabrik im Elsass. Nach seiner Einberufung verzichtete Georg Frankenau auf eine Ausdehnung, nicht aber darauf, Waren im Wert von 200.000 RM, die eigentlich für die Versorgung der dortigen Zivilbevölkerung bestimmt waren, per Sondererlaubnis aus dem Elsass nach Frankfurt zu überführen.67 Im Jahr 1941 erhielt die Firma außerdem eine größere Zuteilung von Beutewaren aus Polen, und auch später war sie mehrmals mit dem Erwerb solcher Beute­ bestände befasst. Darüber hinaus teilte die zuständige Fachgruppe dem Betrieb mehrere Hunderttausend Meter Stoffe als Pflichtlagerbestand zu, der nur mit amtlicher Zustimmung veräußert und im Falle von Bombenschäden zur Versorgung der Zivilbevölkerung in den Westbezirken des Reiches ein­gesetzt werden sollte.68 Diese skizzenhaften Hinweise machen deutlich, in welcher Weise sich das Handelsgeschäft vieler Unternehmen unter den Bedingungen des Krieges veränderte und deformierte. Anstelle von Kundenbeziehungen wurden die Beziehungen zur Wirtschaftsverwaltung und zu politischen Stellen zunehmend wichtiger, einige Unternehmen agierten weniger im freien Handel denn als Verteiler amtlich zugeteilter Waren. Dabei waren sie vielfach an der Ausplünderung der besetzten Gebiete beteiligt. Mit dem Handelsgeschäft, wie es von den jüdischen Vorinhabern betrieben worden war, hatte das alles kaum noch etwas zu tun. Viele Produktionsunternehmen standen spätestens nach Kriegsbeginn vor der Entscheidung, sich auf die Erfordernisse der Rüstungswirtschaft auszurichten, auch wenn damit das bisherige Kerngeschäft zugunsten einer bestenfalls mittelfristigen Nachfragekonjunktur vernachlässigt würde.69 Das durch das NS-Regime installierte Anreizsystem führte dazu, dass zahlreiche Betriebe ihre Produktionsstruktur während des Kriegsverlaufs umgestalteten. Die aus der Frankfurter Bronzefarben & Blattmetallfabrik Julius Schopflocher entstandene Firma Frankfurter Bronzefarben und Aluminiumpulverwerke AG, deren Aktien von den jüdischen Inhabern schon 1935 an die deutsche Tochtergesellschaft eines kanadischen Konzerns verkauft worden waren, konzentrierte sich zunächst vor allem auf den Exporthandel. Seit 1938 jedoch erhielt das Unternehmen trotz der ausländischen Kapitalbeteiligung verstärkt Heeresaufträge und wurde seit 1940 fast ausschließlich durch solche Aufträge in Anspruch genommen, so dass die ausländische Nachfrage nur noch zu geringen Teilen bedient werden konnte.70 Auch die Mitteldeutsche Kettenfabrik Fritz Emmerich, 1937 aus der Mitteldeutschen Kettenfabrik Julius Schick & Co. hervorgegangen, fuhr schon kurz vor Kriegsbeginn ihr Kerngeschäft, die Herstellung handelsüblicher Ketten, fast bis zur Bedeutungslosigkeit zurück und widmete sich aus67 Kreditantrag vom 5.12.1940; Filiale Ffm. an Direktion, 22.4.1941, ebd. 68 Filiale Ffm. an Direktion, 4.6.1941; Kreditantrag vom 23.8.1941; Vorlage Filial-Büro III, 30.10.1941, ebd. 69 Hierzu Schneider, Unternehmensstrategien, S. 235–244; S. 338–353; Gehrig, S. 54–61. 70 Kreditanträge vom 17.6.1940 und 20.3.1941, HAC, 500, 21517–2001.

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schließlich der Herstellung von Schneeketten für die deutsche Wehrmacht. Ihre früheren Kundenbeziehungen und Absatzmärkte hatte sie daher bei Kriegsende nahezu vollständig eingebüßt.71 Für die Entwicklung der ehemals jüdischen Unternehmen war aber kein anderer Faktor so bedeutsam wie die Auswirkungen des Luftkrieges. Bis Oktober 1943 war Frankfurt als einzige Großstadt des Rhein-Main-Gebietes von schweren Luftangriffen weitgehend verschont geblieben.72 Die nun folgenden Angriffe waren allerdings umso verheerender; insbesondere die in dichter Folge geflogenen Einsätze im März 1944 richteten schwere Schäden im gesamten Stadtgebiet an. Die mittelalterliche Altstadt und weite Gebiete der Innenstadt wurden zu großen Teilen zerstört.73 Auch die ehemals jüdischen Unternehmen waren hiervon gravierend betroffen. Von den 126 Unternehmen, deren Vermögenskontrollakten eingesehen wurden,74 erlitten mindestens 87, über 70  Prozent, mittlere bis schwere Schäden. Über 40 Prozent der Unternehmen wurden zerstört, manche mehrfach. So erlitt etwa das Betriebsgelände der in der Mainzerlandstraße gelegenen Schuhfabrik Angulos-Patos Otto Müller, 1938 aus der Patos Schuhfabrik Bieringer & Frank hervorgegangen, beim Luftangriff vom 22. März 1944 einen Bombentreffer, der sämtliche Rohstoffe und Warenvorräte vernichtete. Nach einem Wiederaufbau wurde der Betrieb im August 1944 in der Moltkeallee wieder aufgenommen. Im September schlug erneut eine Bombe ein, wobei neben der Einrichtung nochmals zwei Drittel der Materialien zerstört wurden. Im März 1945 erfolgte bei einem der letzten alliierten Luftangriffe ein weiterer Bombentreffer, so dass das Unternehmen seitdem stillag. Kurz vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen in Frankfurt wurde das Fabrikgelände noch durch befreite ausländische Zwangsarbeiter ausgeplündert.75 Während diesem Beispiel viele weitere hinzuzufügen wären, blieben nur einige Fabrikationsbetriebe, die ihren Sitz in den Stadtteilen Niederrad, Fechenheim und Rödelheim hatten, von Zerstörungen verschont. Die weit überwiegende Mehrzahl der jüdischen Handels­ unternehmen hatte in der Frankfurter Innenstadt residiert und war daher in besonderem Maße den Bombardements ausgesetzt. Ein Großteil von ihnen wurde zerstört, bei vielen setzten die Bemühungen zum Wiederaufbau erst nach dem Kriegsende ein. Mit der Besetzung Frankfurts war allerdings die Zeit des Ausnahmezustandes keineswegs vorüber, vielmehr gab es mannigfache Schwierigkeiten bei der Ingangsetzung oder auch nur der Aufrechterhaltung von Betrieben. Einige Un71 Gutachten über die Weiterbeschäftigung des Inhabers der Fa. Mitteldeutsche Kettenfabrik, 29.6.1949, HStAW, Abt. 519/V, VG 2027–95, Bd. 2. 72 Vgl. auch die Liste der Luftangriffe auf Frankfurt am Main im 2. Weltkrieg unter: http:// www.frankfurt1933–1945.de. 73 Schmid, S.  123–171; Hils-Brockhoff/Picard; zum Ausmaß der Zerstörungen auch Müller-­ Raemisch, S. 20 f. (mit Schadenskarte). 74 Zu diesen Akten Brüning. 75 Schlussbericht des Treuhänders an AVW, 16.6.1947, HStAW, Abt. 519/V, VC 2100–105.

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ternehmen wurden in den Wochen nach Kriegsende Opfer von Plünderungen, bei denen die vor den Luftangriffen in Sicherheit gebrachten Warenvorräte verloren gingen. Zahlreiche Fabrikationsanlagen und Warenlager waren an Ausweichstandorte im hessischen Umland ausgelagert worden, doch es war keineswegs leicht, einen Betrieb wieder in die Stadt zurückzuverlegen. Manche Firmengelände wurden von der amerikanischen Besatzungsmacht für eigene Zwecke beschlagnahmt, so dass sie nicht selten auf Jahre hinaus den Inhabern entzogen blieben. Die Frankfurter Stadtverwaltung handhabte aufgrund der grassierenden Rohstoff- und Warenmängel die Genehmigungsvergabe für Produktions- und Handelsbetriebe restriktiv und sah sich bald sogar gezwungen, gewerbliche Neuzulassungen im Groß- und Einzelhandel sowie im Handwerk ganz zu unterbinden.76 Für viele Handelsunternehmen wirkte sich darüber hinaus die Einteilung des Landes in Besatzungszonen gravierend aus, weil diese gewachsene Geschäftsbeziehungen unterbrach.77 Auch hier waren insbesondere hochspezia­ lisierte Betriebe wie die Firma John Groh KG betroffen, deren Inhaber 1939 die unter Treuhandschaft stehende Textilhandelsfirma Moritz Sternberg erworben hatte. Diese war auf feinste Bekleidungsstoffe spezialisiert, die über auslän­dische Filialen in Brüssel, Mailand, Prag und Barcelona bezogen und nach Weiterverarbeitung größtenteils wieder in das Ausland exportiert wurden. Dieses Betriebsprofil hatte sich während des Krieges ohnehin nicht aufrechterhalten lassen, doch besaß die Firma immer noch ein Netz ausgesuchter Lieferanten in Sachsen, Thüringen, Westfalen und Baden. Alle diese Gebiete lagen jenseits der Zonengrenzen, so »dass in der heutigen amerikanischen Zone Deutschlands sich auch nicht ein einziger Lieferant dieser Firma befindet.«78 Infolgedessen war der Einkauf von Waren nahezu unmöglich, so dass der Betrieb auf dem Trockenen lag und die ersten Jahre nach Kriegsende mit Verlust arbeitete. Ebenso sah sich die Firma Linke & Hördt, die aus der Textilhandlung Emma Blum entstanden war, von ihren Lieferantenverbindungen in Sachsen, Schlesien und im Elsass abgeschnitten. Von den beiden Inhabern, die das vormals jüdische Unternehmen im Juni 1938 erworben hatten, war der eine im Kriegsdienst gefallen, der andere 1944 in russische Kriegsgefangenschaft geraten und seitdem vermisst. Angesichts dessen führte der Geschäftsführer Kurt Trier das Unternehmen weiter, welches im März 1944 durch Bombentreffer zerstört wurde. Mühselig versuchte er nach Kriegsende, den Geschäftsbetrieb durch verstreute Wareneinkäufe aufrechtzuerhalten, wobei er sich nicht anders zu helfen wusste, als kurzerhand alle möglichen mehr oder minder betriebsverwandten

76 Bendix, S. 94 f. 77 Vgl. Reichardt/Zierenberg, S. 76. 78 Verlusterklärung des Treuhänders zum Jahresabschluss 1947, HStAW, Abt. 519/V, VG 2100–61.

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Artikel wie Taschen und Schmuckwaren, aber auch Spielzeug zusätzlich in das Sortiment aufzunehmen.79 Für einige Unternehmen lässt sich die Umsatzentwicklung seit der Übernahme aus jüdischem Besitz bis in die frühe Nachkriegszeit nachvollziehen. Von diesen wurden wiederum ausgewählte Beispielfälle in die Tabelle 17 aufgenommen. Die Tabelle vermittelt einen Eindruck davon, welche drastischen Geschäftseinbrüche die Zeit zwischen Stalingrad und Währungsreform für die deutschen Unternehmen mit sich brachte.80 Hinter diesem übergreifenden Befund verbergen sich aber große Entwicklungsunterschiede insbesondere zwischen der in der Tabelle stark überrepräsentierten Industrie auf der einen und dem Handel auf der anderen Seite. So erlitt die Schuhfabrik Angulos-Patos, die ihre Produktion während der Kriegszeit deutlich hatte steigern können, schwere Ein­brüche erst durch die Zerstörungen des Luftkrieges. Nach einigen Problemen ging es nicht zuletzt aufgrund des eklatanten Mangels an Schuhwaren und Bekleidung in der Nachkriegszeit bald wieder aufwärts. Auch der Klebstoffproduzent Collodin, der seine Umsätze während des Krieges deutlich hatte steigern können und aufgrund seines Standorts in Fechenheim keine Bombenschäden verzeichnen musste, wurde zwischen 1944 und 1946 nur kurzzeitig aus dem Tritt gebracht und erfuhr noch vor der Währungsreform wieder einen Aufschwung. Eindeutige Verlierer der Kriegs- und Nachkriegsjahre waren dagegen die Textilgroßhandelsunternehmen. So erlebte die schon erwähnte Firma Biesten & Co. durch die Kriegszerstörungen schon 1944 einen starken Absturz; nach Kriegsende brach das Handelsgeschäft ein weiteres Mal ein. Für die Firma Heinrich Brückner, welche das am Rossmarkt gelegene Detailgeschäft der Seidenhandelsfirma Schwarzschild-Ochs seit 1937 weitergeführt hatte, erwies sich die Übernahme dieses einzelnen Betriebsteils nicht als Erfolgsgeschichte.81 Schon vor Kriegsbeginn waren die Umsätze kontinuierlich gefallen; dieser Abstieg setzte sich fort. Auch die Firma Kempf & Co., 1938 aus der Süddeutschen Wäsche­ fabrik J. Seligmann hervorgegangen, erlitt seit 1939 einen kontinuierlichen Abstieg, bis sie schließlich durch Bombentreffer fast ganz zum Stillstand gebracht wurde. Dagegen konnte sich die Handelsfirma für Glas und Porzellan Schmitt & Kaiser, vormals Glas- & Porzellangesellschaft Hofmeister & Co., während der ersten Kriegsjahre noch verhältnismäßig gut behaupten, bis sie zerstört wurde und erst hierdurch zum Erliegen kam. Die Umsatzentwicklungen wurden nur bis 1947 verfolgt, da die im folgenden Jahr ergehende Währungsreform einen Vergleich der Daten kaum sinnvoll erscheinen lässt. Eine Historisierung der Nutznießerschaft aus der Judenverfolgung darf freilich auch in der frühen Nachkriegszeit noch nicht stehen bleiben. 79 Prüfungsbericht über die Fa. Linke & Hördt OHG, 15.9.1947, HStAW, Abt. 519/V, VG ­3102–354. 80 Zu diesen Jahren als sozialgeschichtlicher Umbruchszeit Broszat u. a. 81 Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit, 29.1.1949, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–383.

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Tab. 17: Umsätze ehemals jüdischer Unternehmen 1936/39–1947 in RM Angulos-Patos

Biesten & Co.

Bischoff KG

Heinrich Brückner

Branche

Schuhfabrik

Textilhandel

Maschinen­bau

Textilhandel

Kriegsschäden

Zerstörung 1944

Zerstörung 1944

Schwere Bombenschäden

k.A.

1936



1.239.000





1937



1.437.000



1.400.000

1938

1.012.624

1.200.000



1.000.000

1939

1.257.147

1.131.000

3.587.000

800.000

1940

886.864

935.000

4.391.000

800.000

1941

1.287.035

1.339.000

5.411.000

900.000

1942

1.248.957

1.542.000

4.019.000

500.000

1943

1.149.954

1.569.000

2.950.000

270.000

1944

318.704

871.000

1.374.000

170.000

1945

355.911

599.000

274.000

120.000

1946

715.333

76.000

408.900

150.000

1947

820.000

158.650





Quellen: HStAW, Abt. 519/V, VC 2100–105; VG 2100–189; VG 2027–95; VG 3102–144; 332; 383; 1184/86; 1256; 1329/30; 1951

Viele Unternehmen erfuhren nach der Währungsreform eine Neubelebung und gelangten im Verlauf der 1950er Jahre wieder zu ehemaliger Profitabilität oder sogar darüber hinaus. Hier ging es jedoch darum zu zeigen, in welcher Weise die Frankfurter Wirtschaft noch von den Kriegsfolgen und den Bemühungen um Wiederaufbau geprägt war, als in der unmittelbaren Nachkriegszeit daran ge262 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Collodin

Kempf & Co

Leidig & Kalcker

Mitteldt. Kettenfabrik

Schmitt & Kaiser

Storch & Reichel

Chemische Industrie

Textilhandel

Textilhandel

Maschinenbau

Porzellanhandel

Maschinenhandel

keine

Zerstörung 1944

Zerstörung 1944

keine

Zerstörung

Zerstörung 1944











95.354







337.000



257.349

267.000



1.245.000

410.000



365.700

381.000

995.300

1.155.000

537.000

309.350

546.683

697.000

519.200

1.007.000

440.000

305.700

779.445

1.020.000

412.000

811.000

616.000

245.900

766.522

1.252.000

314.341

506.000

509.000

207.460

727.890

1.311.000

208.361

174.000

548.000

171.450

633.618

997.000

112.000

74.000

276.000

175.960

304.392

375.000

25.400

140.000

384.000

6.250

173.912

861.000

80.000



179.000

39.600

362.502

914.000





131.000

54.900



gangen wurde, die wirtschaftliche Verdrängung der Juden und die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit aufzuarbeiten, und als Bemühungen um Wiedergutmachung langsam Gestalt annahmen.

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3. Sicherstellung und Kontrolle seit 1945 Die Wiedergutmachung von Vermögensschäden und die Rückerstattung rechtswidrig entzogenen Eigentums befanden sich ausdrücklich unter den Kriegsund Besatzungszielen, wie sie die Vereinigten Staaten seit ihrem Eintritt in den Verbund der Alliierten maßgeblich mit formulierten.82 Die Eigentumsverluste deutscher NS-Verfolgter wurden in diesem Zusammenhang zwar schon thematisiert, spielten in den Überlegungen zur Besatzungspolitik aber keine große Rolle.83 Das Militärregierungsgesetz Nr. 52, das die Sperre und Kontrolle unterschiedlichster Vermögensarten nach der Besetzung Deutschlands bestimmte, bezog sich erst seit seiner Änderung im Juli 1945 auch auf unrechtmäßig entzogenes Vermögen im Inland.84 Spezielle Abteilungen der amerikanischen Militärregierung für Hessen waren mit der Sicherstellung entsprechender Ver­ mögenswerte beauftragt.85 Sie nahmen auch einige größere Unternehmen wie die HAKO Schuh AG und die Schuhfabrik J. & C. A. Schneider unter Kontrolle, was in den Berichten des Frankfurter Detachments als spektakuläre Aufdeckung von »Arisierungen« vermerkt wurde.86 Im Oktober 1945 erging die Anweisung, die investigative Tätigkeit verstärkt auf jüdisches Vermögen auszuweiten.87 Vor allem die zunehmende Zahl der durch die Militärregierung empfangenen Anzeigen und Anfragen ehemaliger jüdischer Eigentümer brachten das Problem entzogenen Vermögens in steigendem Maße in den Fokus der Aufmerksamkeit.88 Auf den unteren Ebenen der Militärverwaltung wurden Ende 1945 deutsche zivile Stellen in die Aufgaben der Vermögenskontrolle eingebunden.89 Diese Unterstützungsabteilungen firmierten seit März 1946 als Ämter für Vermögenskontrolle und wurden einer neugeschaffenen Abteilung für Vermögenskontrolle im Finanzministerium unterstellt.90 Die Amerikaner planten zu 82 Hierzu allgemein Dorn; Hammond; Latour/Vogelsang. 83 Nübel, S. 3 f. 84 Dölle/Zweigert; Lillteicher, Raub, S. 52. 85 Emig/Frei, S. 406 f.; vgl. auch Zink, S. 36–42; Henke, Besetzung, S. 240 f. 86 Military Government Stadtkreis Fm., Det. E-6: Summary Report No. 5 for Week Ending 11 September 1945, HStAW, Abt. 649, 8/2–1/3; Military Government Stadtkreis Fm., Det. E-6: Summary Report No. 8 for Week Ending 2 October 1945, HStAW, Abt. 649, 5/8–1/5. Der Fall der HAKO Schuh AG tauchte auch im Fachreport des Militärgouverneurs auf: Monthly Report of the Military Governor. Finance and Property Control, Nr. 4, 20.11.1945, S. 11. 87 Historical Report October 1945, Land Greater Hesse. Appendices, HStAW, Abt. 649, 5/ 41–3/2. 88 Vgl. Goschler, Wiedergutmachung, S. 99. 89 Großhessisches Staatsministerium, Minister der Finanzen an Länderrat, 2.5.1946, BAK, Z 1, 342, Bl. 182 f. 90 Rundverfügung des Ministers der Finanzen, 25.3.1946, HStAW, Abt. 502, 914. Später wurde die Abteilung direkt dem hessischen Ministerpräsidenten unterstellt; vgl. Minister der Finanzen an Ministerpräsidenten, 25.11.1946, ebd.

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dieser Zeit, die Vermögenskontrolle nach und nach vollständig in deutsche Verantwortung zu übergeben und strebten eine baldige gesetzliche Regelung der Rückerstattung identifizierbaren Eigentums an.91 Weitgehend unabhängig von den amerikanischen Besatzungsmaßnahmen hatten unterdessen auch an der Industrie- und Handelskammer Frankfurt sofort nach Kriegsende eigene Bemühungen um die Aufarbeitung der »Arisierung« eingesetzt. Der neue Hauptgeschäftsführer Werner Hilpert rief im August 1945 mit Erlaubnis der Militärregierung einen Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen ins Leben, der die Übernahmen jüdischer Unternehmen während der NS-Zeit durchleuchten und unrechtmäßige Übertragungen feststellen sollte.92 Bis Februar 1946 hatte dieser Ausschuss insgesamt 312 Fälle ermittelt und rechnete mit einer Gesamtzahl von etwa 400 Fällen.93 Mittels eines umfangreichen Fragebogens und durch die gerichtsähnliche Anhörung der Erwerber formten sich die Mitglieder des Ausschusses ein Bild und empfahlen anschließend die Aufrechterhaltung oder die Aufhebung der Vermögenssperre. Die Tätigkeit des Frankfurter Prüfungsausschusses, nach dessen Vorbild in ganz Hessen ähnliche Ausschüsse gegründet worden waren, lief allerdings weitgehend ins Leere, da man sich mit der amerikanischen Militärregierung nicht über die Frage der Entsperrung »arisierter« Unternehmen einigen konnte. Die Linie der Amerikaner ging immer deutlicher dahin, sämtliche Vermögensübertragungen zwischen Juden und Nicht-Juden während der NS-Zeit als Teil von Verfolgung und Beraubung zu begreifen und daher die Eigentumsrechte über solches Vermögen grundsätzlich unter Vorbehalt zu stellen. Demgegenüber wurde von deutscher Seite von Anfang an davon ausgegangen, dass nur ein mehr oder minder geringer Teil der Vermögenstransfers individuelle Unrechtsakte darstellte. Schließlich machte die hessische Militärregierung klar, dass bis zum Erlass gesetzlicher Regelungen Anträge auf Entsperrung grundsätzlich aussichtlos seien. Der Prüfungsausschuss der IHK ließ sich vor diesem Hintergrund von seinen Aufgaben wieder entbinden. Im September 1949 befanden sich 84 Prozent des in Hessen gelegenen ehemals jüdischen Vermögens in Frankfurt. Das Frankfurter Vermögenskontroll­ amt beaufsichtigte fast die Hälfte der gesperrten jüdischen Unternehmen Hessens.94 Obwohl dies bisweilen mahnend beschworen wurde, besaß die Gesamtheit der ehemals jüdischen Unternehmen keine entscheidende Bedeutung für die städtische und regionale Wirtschaft, nur einzelnen Produktionsunternehmen galt ein besonderes Augenmerk der Behörden. Für die personell und 91 Memorandum des Property Disposition Board, 26.3.1946, YVA, O.20, 17; vgl. Goschler, Wiedergutmachung, S. 99–102. 92 Nietzel, Prüfungsausschüsse; zu Werner Hilpert Pappert; zur Rolle der Frankfurter IHK in der Nachkriegszeit Mühlhausen. 93 Dr. Wolff an IHK München, 2.2.1946, HWA, Abt. 3, 1642; Bericht betr. Beteiligung der Banken an der Arisierung, 28.2.1946, HWA, Abt. 3, 4888. 94 Daten nach: Unter Kontrolle stehende Vermögen laut Meldungen der AVW’s. Stand: 1. Sept. 1949, HStAW, Abt. 519/1, 183.

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materiell schlecht ausgestatte Behörde waren ihre Aufgaben gleichwohl kaum zu leisten. Insbesondere die Beaufsichtigung eines ganzen Heeres von Treuhändern stellte ein anspruchsvolles Unterfangen dar, bei dem ein Weg gefunden werden musste zwischen den Anforderungen der Vermögenssicherung und den Erfordernissen einer erfolgreichen Betriebsführung. Die Vermögenskontrolle konnte in Person eines inkompetenten Treuhänders durchaus zum Risiko für ein Unternehmen werden, was dem Zweck der Sicherung von materiellen Ansprüchen geradewegs zuwiderlief.95 Im Normallfall konnten die Inhaber ehemals jüdischer Unternehmen auch während der Zeit der Vermögenskontrolle in den Betrieben verbleiben und die Geschäftsführung unter Aufsicht eines Treuhänders weiterhin selbst ausüben. Verweigerten sie sich den Kontrollmaßnahmen, waren die Möglichkeiten der Vermögenskontrollämter begrenzt, deren Durchführung zu erzwingen. Jürgen Lillteicher hat am Beispiel der bayerischen Rosenthal AG gezeigt, wie es eine Firmenleitung verstand, ihre wirtschaftliche Stellung und ihre politischen Verbindungen einzusetzen, um sowohl die Kontrollmaßnahmen als auch die Rückerstattung als solche zu torpedieren und zu verzögern.96 Auch den bereits erwähnten »Ariseur« Fritz Kiehn hinderten weder Internierung noch Vermögenskontrolle daran, aus dem von ihm aus jüdischer Hand erworbenen Unternehmen beträchtliche Geldsummen zu entnehmen, um mit Hilfe von Bestechungen die gegen ihn schwebenden Verfahren zu seinen Gunsten zu beeinflussen.97 Es handelt sich dabei insofern um besondere Fälle, als die Beteiligten über weitreichende politische und wirtschaftliche Verbindungen verfügten, die sie in ihrem Sinne skrupellos einsetzten. In den gesetzlichen Bestimmungen der Vermögenssperre war festgelegt, dass aus der Substanz des kontrollierten Vermögens lediglich die Bestreitung des Lebensunterhaltes der momentanen Inhaber zulässig sei, sofern diese über keine anderen Erwerbsquellen verfügten.98 Wenn die Geschäftsführung weiterhin von den Inhabern ausgeübt wurde, konnten diese ein entsprechendes Gehalt beziehen. Einiges deutet allerdings darauf hin, dass private Entnahmen der Eigentümer aus gesperrtem Unternehmensvermögen nur schwer zu verhindern waren und ein häufiger auftretendes Problem darstellten.99 Ob der Vermögenssperre unterliegende Unternehmer ein »besonders kühnes Prozeßverhalten«100 an den Tag legen konnten, hing von der Größe und Ertragskraft des jeweiligen Betriebes ab. Zudem muss bedacht werden, dass sich die rechtliche Unsicherheit für die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens nachteilig auswirken konnte, so dass auch 95 Zum Treuhänderwesen in der Nachkriegszeit vgl. Woller, S. 249–256 sowie Lehnert. 96 Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit, S. 134–144. 97 Berghoff/Rauh-Kühne, S. 224–248. 98 MGR Title No. 17, 17–521, HStAW, Abt. 519/1, 188. 99 Aktenvermerk A. Brandin betr. Fa. Krämer & Heinrich, 15.7.1947, HStAW, Abt. 519/1, 401. 100 Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit, S. 156.

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die Rückerstattungspflichtigen ein Interesse am zügigen Abschluss des Verfahrens haben mussten. Seitens jüdischer Organisationen wurde besorgt darauf hingewiesen, dass für viele Rückerstattungsberechtigte, insbesondere im entfernten Ausland, die Verfolgung ihrer Rechtsansprüche häufig finanziell nicht zu tragen sei.101 Die Gewährung von Krediten aus dem strittigen Vermögen an die Betroffenen wurde von der Militärregierung abgelehnt; sie widersprach der Rechtskonstruktion der Vermögenssperre, die lediglich den Status quo festschrieb und aufrechterhielt. Das begünstigte formal die Rückerstattungspflichtigen. Die Militärregierung gewährte aber den ehemaligen Inhabern im Laufe der Zeit erweiterte Rechte. So wurden die Treuhänder verpflichtet, auch ihnen Auskunft und Bericht über die Geschäftssituation und die Bilanzentwicklung zu erstatten. Vor allem sollten immer mehr Maßnahmen der Vermögenskontrolle von der Entscheidung der jüdischen Voreigentümer abhängig gemacht werden. Der Verbleib von »Ariseuren« in den von ihnen erworbenen Betrieben und auch die Gewährung von Unterhaltszahlungen aus dem Unternehmensvermögen sollten nur mit ihrem Einverständnis zulässig sein.102 Allerdings wurden diese Bestimmungen wohl nicht sonderlich streng und konsequent angewandt. Es hing deswegen auch von der Initiative der jüdischen Voreigentümer ab, wie sehr sich diese in das Geschehen einschalten und ihre Interessen zur Geltung bringen konnten. Ein Rundschreiben der Militärregierung aus dem Jahre 1947 berichtet von häufigen Besuchen jüdischer Emigranten in der amerikanischen Besatzungszone mit der Absicht, ihre offenen Vermögensangelegenheiten zu regeln und auf die rechtlichen Verfahren einzuwirken. Die Besatzungsstellen wurden jedoch darauf verpflichtet, nicht eigenmächtig jüdischen Besitz wieder freizugeben, was offensichtlich bereits in manchen Fällen geschehen war.103 In einigen Fällen schalteten sich jüdische Rückerstattungsberechtigte offensiv in den Gang der Dinge ein, etwa im Fall der Textilhandelsfirma Hans ­Zöller, die 1938 aus der jüdischen Firma Benno Bender & Co. hervorgegangen war. Während der vormalige Firmeninhaber deportiert und ermordet worden war, tauchte sein Sohn Lothar Bender Anfang 1946 in Frankfurt auf, meldete seinen Fall bei der Militärregierung und erhielt vom zuständigen Property Control Officer die Vollmacht, den Betrieb selbst als Treuhänder zu verwalten.104 In der Folge kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem derzeitigen Inhaber Hans Zöller, der von Lothar Bender immer stärker aus der Geschäftsführung verdrängt wurde.105 Man stritt sich um die Rückverlegung des während 101 American Federation of Jews from Central Europe an OMGUS, 17.2.1949, BAK, Z 45 F, PCEA-13/2; Statement Dr. Friedeman: Darlehensgewährung an den Wiedergutmachungsberechtigten oder dessen Vertreter, 8.1.1949, NARA, RG 260, Box 1290, 8/139–3/6. 102 Vermögenskontroll-Rundschreiben Nr. 492, 25.10.1950, HStAW, Abt. 519/1, 194. 103 Rundschreiben Robert Wallach, 15.4.1947, HStAW, Abt. 649, 8/134–3/1. 104 Ernennungsurkunde vom 9.4.1946, HStAW, Abt. 519/V, VG 2027–109. 105 Aktenvermerk A. Brandin betr. Fa. Hans Zöller, 16.6.1947; dass., 14.7.1947, HStAW, Abt. 519/1, 401.

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der Kriegsjahre nach Offenbach ausgelagerten Geschäftes nach Frankfurt, um die Benutzung einer Schreibmaschine, die Zöller als sein Privateigentum ansah, und um einen 50m-Textilballen, der den einzigen größeren Warenposten bildete.106 Das Amt für Vermögenskontrolle schlug sich eher auf die Seite des Erwerbers Hans Zöller und erwirkte die Abberufung Lothar Benders als Treuhänder. Dieser weigerte sich jedoch, den Schlüssel für das Geschäftsbüro herauszugeben. Es schaltete sich zudem noch sein älterer Bruder Erich Bender ein, der als britischer Major in Deutschland stationiert war. Er war 1932 nach Palästina emigriert und dort später in die britische Armee eingetreten, um gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. Nach Kriegsende drang er nun darauf, »daß alles, das meinem Vater unrechtmäßig abgenommen wurde, wieder in die Hände der gesetzlichen Eigentümer kommt.«107 Um die vorgesehenen Abläufe kümmerten sich die beiden jungen Brüder wenig; mit aggressivem Auftreten versuchten sie, vollendete Tatsachen zu schaffen und diejenige Rechtssituation wiederherzustellen, die aus ihrer Sicht so offensichtlich verletzt worden war, dass sich umständliche Prozeduren erübrigten. Jedoch mussten sie sich dem Eingriff der Besatzungsstellen beugen, die auf der Einhaltung der Verfahrensregeln insistierten und den direkten Zugriff der jüdischen Erben auf das strittige Unternehmen zurückwiesen.108 Das ungestüme Vorgehen der Brüder Bender scheiterte nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sie selbst keine wirkliche Beziehung zu dem Unternehmen ihres Vaters hatten und nicht über die fachliche Kompetenz verfügten, den wirtschaftlichen Wiederaufbau erfolgreich anzugehen. In einigen anderen Fällen gelang es jedoch jüdischen Rückerstattungsberechtigten durchaus, sich in die Entwicklung ihrer früheren Unternehmen einzuschalten und bereits während der Phase der Vermögenskontrolle wieder eine bestimmende Rolle zu spielen, wie sich am Beispiel der Naxos Schmirgel Schleifwaren Fabrik Burkhard & Co. verfolgen lässt. Das Unternehmen war 1888 von dem jüdischen Kaufmann Ferdinand Rosenberg und dem Ingenieur Jean Burkhard gegründet worden. In den 1920er Jahren schieden die beiden Gründerpartner aus und übergaben den Betrieb an ihre jeweiligen Söhne Louis und Julius Rosenberg sowie Karl Burkhard. Die zwischen den Familien herrschende Aufgabenverteilung in den kaufmännischen und den technischen Bereich blieb dabei erhalten. Während der NS-Zeit richtete sich gegen die jüdischen Betriebsinhaber Rosenberg immer stärkerer Druck der DAF, die schließlich im Juli 1938 die Einsetzung eines Kommissars für das Unternehmen erwirkte.109 Als Käufer der jüdischen Anteile traten die Brüder Fritz und Christian Uhrmacher auf den Plan, während Karl Burkhard im Betrieb verbleiben konnte. Während des Krieges wurden die Produktions­ 106 Aktenvermerk A. Brandin betr. Hans Zöller, 11.11.1946; dass., 12.12.1946, HStAW, Abt. 519/V, VG 2027–109. 107 Erich Bender an Amt für Vermögenskontrolle, 27.5.1947, ebd. 108 Weston B. Drake an LPCC Mr. Rule, 10.7.1947, ebd. 109 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 31.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6730.

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anlagen in Frankfurt stark zerstört und die Herstellung von Schleifwaren in die Umgebung ausgelagert. Der Hauptakteur der Übernahme Fritz Uhrmacher kümmerte sich nach Kriegsende kaum noch um den Betrieb und hätte gerne an anderer Stelle unter seinem Namen weitergearbeitet, während Karl Burkhard sich für eine Fortführung der Unternehmenstradition engagierte.110 Bereits der Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen hatte im April 1946 dringend eine Treuhänderschaft empfohlen, da Fritz Uhrmacher eindeutig eine Verzögerungs- und Verschleppungsstrategie verfolge.111 Als der daraufhin eingesetzte Treuhänder aufdeckte, dass Uhrmacher in der Zwischenzeit damit begonnen hatte, Anlagen und Geldmittel aus dem Unternehmensvermögen in den Betrieb seines Bruders zu transferieren, erreichten die jüdischen Vorinhaber seine sofortige Ausschaltung aus der Geschäftsführung.112 Nachdem der erste Treuhänder aus unbekannten Gründen abberufen worden war, ergaben sich allerdings noch einmal erhebliche Konflikte, da die Anstrengungen seines Nachfolgers, den Produktionsbetrieb wieder auszubauen, nicht die Billigung der jüdischen Vorinhaber fanden, die bereits seit 1937 eine neue Schleifwarenfabrik im englischen Padiham aufgebaut hatten. Mit detaillierten Forderungen versuchten diese seitdem, die Betriebsführung nach ihren Vorstellungen zu steuern. Indem sie die Zustimmung zu Kreditaufnahmen von der Abberufung des zwar bemühten, aber ihrer Ansicht nach inkompetenten Treuhänders abhängig machten, gelang es schließlich, ihren eigenen Wunschkandidaten, der bereits früher im Unternehmen tätig gewesen war, zu platzieren. Während sich das Rückerstattungsverfahren noch hinzog, wurden bereits Kooperationsabkommen zwischen der englischen und der Frankfurter Firma erarbeitet, die vorsahen, nach der Restitution neuartige, im Ausland entwickelte maschinelle Verfahren in letztere zu übernehmen. Als das Unternehmen im Mai 1950 schließlich in natura an die jüdischen Eigentümer rückerstattet wurde, hatten diese bereits hinsichtlich der Geschäftsführung und der weiteren technischen Entwicklung alles in die Wege geleitet, um die Leitung reibungslos wieder zu übernehmen.113 Damit sich die jüdischen Rückerstattungsberechtigten zur Geltung bringen konnten, mussten aber einige Bedingungen erfüllt sein. Die Brüder Rosenberg brachten zum einen ein erhebliches Maß an Initiative und Engagement auf und wussten dabei die ihnen rechtlich verliehenen Spielräume auszuschöpfen. Noch immer verfügten sie über Verbindungen innerhalb der Frankfurter Wirtschaft und besaßen vor Ort Kontakt- und Vertrauenspersonen. Da sie weiterhin in der Schleifwarenproduktion tätig waren, verfügten sie über die nötigen Kompeten110 Bericht über eine Besprechung im Amt für Vermögenskontrolle am 16.6.1948, ebd. 111 Zwischenentscheidung betr. Fa. Naxos-Schmirgel-Schleifwaren-Fabrik Burkard & Co., 17.4.1946, HStAW, Abt. 519/1, 131. 112 Aktennotiz über eine Besprechung im AV am 7.1.1947, HStAW, Abt. 519/V, VG 2027–645. 113 Paul Rosenberg an Conrad Möllerfrerich, 28.2.1949, ebd.; Vergleich vom 25.5.1950, ­HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6730.

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zen, um die Situation des im Wiederaufbau befindlichen Betriebes beurteilen und steuern zu können. Das Unternehmen war in seiner ursprünglichen Gestalt im Wesentlichen fortgeführt worden, so dass sich die jüdischen Vorinhaber mit ihm noch immer identifizierten und den Wiederaufbau in eigene Hände nehmen wollten, auch wenn sie wahrscheinlich nicht selbst wieder nach Deutschland zurückkehrten. Schließlich verfügten sie nach dem frühzeitig begonnenen unternehmerischen Neuanfang im Ausland mittlerweile wieder über eine ge­sicherte materielle Existenz, die sie von ihrem in Deutschland verbliebenen Vermögen und der zu erwartenden Rückerstattung unabhängig sein ließ. Gerade dies war aber bei den meisten jüdischen Emigranten auch längere Zeit nach Kriegsende noch keineswegs der Fall.

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VI. Wiedergutmachung für jüdische Unternehmer

1. Juristische, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen Als am 10.  November 1947 das Rückerstattungsgesetz für die amerikanische Zone durch die amerikanische Besatzungsmacht als Militärregierungsgesetz Nr.  59 verkündet wurde, waren diesem Schritt beinahe zwei Jahre mühsamer Verhandlungen zwischen dem Office of Military Government for Germany (OMGUS) und den deutschen Ländern der US-Zone vorausgegangen.1 Die deutschen Verhandlungspartner konnten sich mit ihren Vorstellungen und Einwänden nicht durchsetzen, während die Militärregierung es ihrerseits auch durch massiven Druck nicht vermochte, die Deutschen mit in die Verantwortung zu nehmen und das Gesetz von den Ministerpräsidenten verkünden zu lassen.2 Spielräume für einen Kompromiss waren auch deswegen kaum vorhanden, weil die Militärregierung sich durch verpflichtende Zusicherungen des Gouverneurs Lucius D. Clay an jüdische Organisationen in wesentlichen Punkten bereits gebunden hatte, welche wiederum für die Deutschen unannehmbar schienen.3 Während es für die deutschen Länderregierungen eine nicht ganz unbequeme Lösung erschien, die Verantwortung für das Gesetz auf die Besatzungsmacht abzuschieben, kann ein genauer Blick auf die unterschiedlichen Vorstellungen zur Rückerstattungsgesetzgebung im Übrigen zeigen, dass eine Einigung nicht »um relativ geringer materieller Differenzen willen«4 verfehlt wurde, sondern die neuralgischen und umkämpften Paragraphen dieses Gesetzes auf entscheidende Divergenzen in der Beurteilung der nationalsozialistischen »Arisierung« verwiesen. Zentraler Begriff des Rückerstattungsgesetzes war der Begriff der »Ent­ ziehung« (Art.  2).5 Er umfasste den gesamten Transfer jüdischen Vermögens in nicht-jüdische Hände, unabhängig davon, ob Vermögensgegenstände da1 Law No. 59: Restitution of Identifiable Property/Gesetz Nr. 59: Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände vom 10. November 1947, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen 1947, Beilage Nr. 9, S. 113–140. Der maßgebliche Kommentar: Rückerstattung. 2 Schwarz, Rückerstattung, S. 23–58; Lillteicher, Raub, S. 53–61; vgl. auch OMGUS, Legal Division to Chief of Staff, 5.11.1947, NARA, RG 260, Box 317, AG 47/188/1. 3 Goschler, Wiedergutmachung, S. 122–126. 4 So O. Küster, Rückerstattung auf Befehl, in: Wirtschafts-Zeitung, Nr. 46, 14.11.1947. Küster war als Vertreter Baden-Württembergs im Länderat an den Verhandlungen mit der Militärregierung beteiligt gewesen. 5 In der englischen Fassung des Gesetzes hieß es: »Confiscation«.

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bei durch Gesetzesakte oder auf dem Verwaltungswege enteignet, durch individuelle Gewaltmaßnahmen geraubt und erpresst oder durch den Schein privater Rechtsgeschäfte wahrende Vereinbarungen übereignet wurden. Der Begriff der »Entziehung« implizierte es, dass diese unfreiwillig und unter Zwang geschehen sei. Hiermit reagierte das Rückerstattungsgesetz auf eine historisch neuartige Situation und versuchte diese begrifflich zu erfassen. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch war bei unter Zwang oder Bedrohung vollzogenen Weggaben zu belegen, dass ein Zwang individuell gegen eine Person ausgeübt wurde mit der Intention, einen konkreten Weggabeakt zu erzwingen. Die inneren Motive der Weggabe mussten außerdem eindeutig auf die ausgeübte Drohung zurückführbar sein. Das BGB erwies sich insofern als nicht geeignet, die durch das nationalsozialistische Regime ausgeübte kollektive Bedrohung gegen die jüdische Bevölkerung zu berücksichtigen.6 Das Rückerstattungsgesetz verfügte daher global für sämtliche Vermögensübertragungen während der NS-Zeit die Vermutung der Entziehung (Art. 3, 1). Nur die Zugehörigkeit zur Gruppe der jüdischen Verfolgten sowie der Akt der Vermögensübertragung als solche mussten bewiesen werden. Die Frage der inneren Motivlage wurde gänzlich ausgeblendet. Die Gesetzgeber etablierten somit das Bild einer permanenten, mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft einsetzenden Verfolgungs- und Bedrohungssituation. Eine gewisse Abstufung wurde aber vorgenommen. Sie be­zog sich auf die Möglichkeiten für Rückerstattungspflichtige, die Entziehungs­ vermutung im konkreten Einzelfall zu widerlegen. Für Vermögensübertragungen vor dem Erlass der Nürnberger Gesetze am 15. November 1935 bestand ein größerer Spielraum. War in diesem Fall von einer Entziehung nicht mehr auszugehen, wenn der jüdische Veräußerer für Vermögenswerte einen angemessenen Kaufpreis erhalten hatte und frei über diesen verfügen konnte (Art. 3, 2–3), musste in allen späteren Fällen der Beweis erbracht werden, dass das Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus getätigt worden wäre. Darüber hinaus musste der Rückerstattungspflichtige darlegen, dass er die Vermögensinteressen des jüdischen Veräußerers erfolgreich wahrgenommen hatte, etwa, indem er ihm half, den vollständigen Kaufpreis an den nationalsozialistischen Behörden vorbei ins Ausland zu transferieren (Art. 4, 1–3). Das Rück­ erstattungsgesetz legte damit einen überzeitlichen Maßstab moralisch integeren Handelns an die Betroffenen an und akzeptierte die herrschenden Unrechts­ bestimmungen nicht als Beurteilungsgrundlage. Das Rückerstattungsgesetz versuchte die eingeschränkte Willens-, Handlungs- und Dispositionsfreiheit jüdischer Bürger unter der NS-Herrschaft zu würdigen.7 Im Mittelpunkt standen die jüdischen Eigentümer als Verfolgte. Die ihnen zugefügten Vermögensschäden sollten »schnell und im größtmög­lichen Umfang« abgegolten werden, wie es im ersten Artikel des Gesetzes hieß. Hierzu 6 Krämer-Noppeney, S. 33–35. 7 Vgl. Bajohr, Restitution, S. 50.

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sollten zum einen die gewährten Beweiserleichterungen dienen, zum anderen die Suspendierung des »guten Glaubens« bei einem Kauf (Art. 1, 2). Aktuelle Besitzer ehemals jüdischen Eigentums waren auch zur Restitution verpflichtet, wenn sie dieses ohne Kenntnis der Verfolgungs- und Bedrohungslage bzw. ohne in diese persönlich involviert gewesen zu sein erworben hatten. Diese Regelung wurde von Beginn an heftig kritisiert und war einer der zentralen Punkte, an denen eine amerikanisch-deutsche Einigung scheiterte. Sie entsprang indessen einer schlichten Abwägung im Lichte der bestehende Situation: Das Rückerstattungsgesetz legte die Härten, die aus dieser kompromisslosen Linie entstehen mochten, den Erwerbern jüdischen Vermögens als Nutznießern des NS-Unrechts individuell auf; ihre Belange hatten angesichts des von den Juden erlittenen Unrechts zurückzutreten. Die Restitution durch den momentanen Besitzer diente der Beschleunigung des Verfahrens. Die materielle Notlage vieler Verfolgter ließ es geboten erscheinen, weder auf die Haftung durch einen deutschen Nachfolgestaat zu verweisen, der 1947 noch nicht in Sicht war, noch die materiellen Wirkungen des Rückerstattungsprogramms durch eingehende Einzelfalluntersuchungen zu verkomplizieren.8 Jürgen Lillteicher hat in seiner grundlegenden Studie zur Rückerstattung da­ rauf hingewiesen, dass mit dem Rückerstattungsgesetz nur auf die zivilrechtlich relevanten Erscheinungen der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden in Deutschland gezielt wurde, während deren gewaltsame Begleiterscheinungen ausgeblendet worden seien.9 Diese Praxis habe das Verfolgungsgeschehen »entwirklicht« und den Rückerstattungspflichtigen in die Hände gespielt, indem sie die verbrecherischen Umstände vieler »Arisierungen« ungeklärt ließ, und somit die Verfolgten benachteiligt, »die auf eine rückhaltlose Beleuchtung aller Aspekte ihrer Verfolgung hofften.«10 Der Vorwurf der überzogenen Abstraktion erscheint aber zumindest für das US-Gesetz sachlich nicht vollständig richtig. Dieses fragte nämlich durchaus nach den individuellen Begleiterscheinungen von Vermögenstransfers, und zwar in Bezug auf den Haftungsumfang des Erwerbers. Nach Artikel 30, 1 war im Falle, dass ein Vermögensgegenstand »mittels eines gegen die guten Sitten verstoßenden Rechtsgeschäfts oder durch eine von ihm oder zu seinen Gunsten ausgeübte Drohung oder durch widerrechtliche Wegnahme oder sonstige unerlaubte Handlung« erlangt worden war, der Erwerber jüdischen Eigentums auch für solche Minderungen des Vermögens haftbar zu machen, die er nicht selbst zu verantworten hatte, insbesondere auch für Kriegsschäden. Das Gesetz unterschied somit zwischen »einfacher« und »schwerer« Entziehung,11 wobei allerdings nicht allein das konkrete Verhalten des Erwerbers selbst, sondern die Gesamtumstände, unter denen dieser 8 Vgl. Schwarz, Rückerstattung, S. 148. 9 Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit, S. 128. 10 Ders., Raub, S. 198. 11 Die Rückerstattungsgesetze der französischen und britischen Zone sowie Berlins enthielten diese Bestimmung nicht.

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einen Vermögensgegenstand erwarb, zu beurteilen waren. Die Bestimmungen zur schweren Entziehung wirkten sich allerdings nur auf die Modalitäten aus, sie betrafen nicht die Rückerstattungspflicht als solche. Dass das Rückerstattungsgesetz die »oft sehr komplexen Formen nationalsozialistischen Unrechts« nicht umfassend würdigte,12 lässt sich im Übrigen auch anders bewerten. Denn dies entsprach dem Interesse der Rückerstattungsberechtigten an einer beschleunigten Feststellung und Geltendmachung ihrer materiellen Ansprüche. Dass mit der Rückerstattung nicht explizit auch auf eine Vergangenheitsbewältigung im Sinne eines gründlichen »Durcharbeitens« gezielt wurde, trug daher zu ihrer Effektivität bei. Wenn eine Aufarbeitung, die auch die Feststellung von Unrecht und Schuld einschloss, oftmals nicht zustande kam, lag dass aber weniger an den gesetzlichen Bestimmungen, sondern hatte seinen Grund nicht zuletzt in Verdrängung, Abwehr und Uneinsichtigkeit, wie sie sich bereits in der öffentlichen Debatte um die Rückerstattung artikulierten. Von Anfang an stieß das von der amerikanischen Militärregierung erlassene Rückerstattungsgesetz, zu dem 1949 ein in den wesentlichen Grund­zügen hieran angelehntes, jedoch mit einigen Abmilderungen versehenes Gesetz für die britische Zone hinzutrat,13 in der deutschen Gesellschaft auf deutliche Ablehnung. Während die Wiedergutmachung von NS-Unrecht bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland vorwiegend hinter verschlossenen Türen beraten worden war, gelangte das Thema seit 1949 verstärkt in die Öffentlichkeit.14 Die Rückerstattungsverfahren, von denen im Laufe des Jahres die ersten zum Abschluss kamen, standen besonders im Blickpunkt, denn während Fragen um Reparationen und Entschädigung den Einzelnen nicht persönlich berührten, gab es eine Vielzahl von der Rückerstattung direkt Betroffener. Die Debatte wurde damit zu einer der frühesten öffentlichen Auseinandersetzungen über die Judenverfolgung sowie über die Beteiligung des Einzelnen am NSUnrecht.15 Speerspitze des öffentlichen Widerstands gegen die Rückerstattung war die 1950 gegründete Bundesvereinigung für loyale Rückerstattung mit ihrer Zeitschrift Die Restitution. Ihrem Selbstverständnis nach vertrat sie die sogenannten »loyalen Erwerber« jüdischen Eigentums, die sich ihrer Ansicht nach unberechtigten Rückgabeforderungen ausgesetzt sahen. Die Veröffentlichungen der Organisation richteten die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Frage nach den konkreten Umständen von Vermögenstransfers. Ausgerechnet die deutsche Seite entwickelte ein hartnäckiges Interesse daran, das Verhalten der Er­werber jüdischen Eigentums zu thematisieren. Dabei wurde allerdings die nationalsozialistische »Arisierung« in ein spezifisches Licht getaucht: Nach 12 Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit, S. 147. 13 Zu den anderen Rückerstattungsgesetzen Schwarz, Rückerstattung, S.  97–118; Goschler, Schuld, S. 100–112; Lillteicher, Raub, S. 68–76; Hudemann. 14 Goschler, Wiedergutmachung, S. 199. 15 Vgl. Lillteicher, Raub, S. 18 f.

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Darstellung der Rückerstattungsgegner wurde die überwältigende Mehrheit der Verkäufe jüdischen Eigentums in kaufmännisch einwandfreier Manier abge­ wickelt. Sie forderten daher, dass Entscheidungen über Rückerstattung das Handeln und die Motive der Käufer berücksichtigen sollten. Insbesondere sollte der »gute Glaube« gewürdigt werden. Hiermit verknüpft war die Forderung, nur die wirklich Verantwortlichen sollten die Lasten der Wiedergutmachung tragen. Dies betreffe die wenigen Profiteure, die sich mittels Erpressung und Raub unrechtmäßig bereichert hätten, vor allem jedoch den Staat. Er trage für die Verfolgungs- und Gewaltmaßnahmen die Verantwortung, so dass für Vermögensverluste aus staatlichen Mitteln Entschädigung zu leisten sei. Da das verbrecherische Regime mittlerweile untergegangen war, hatten sich Fragen zu historischer Schuld und Verantwortung damit ebenfalls verflüchtigt. Die Forderung nach Aufnahme einer Klausel in die verschiedenen zonalen Rückerstattungsgesetze, welche das Verhalten des Erwerbers Berücksichtigung finden ließ, zielte keineswegs auf eine graduelle Korrektur, sondern auf die völlige Aushebelung der individuellen Rückerstattung als solcher, da es nach Darstellung der Rückerstattungsgegner »böswillige Erwerbungen« kaum gegeben hatte. Des Weiteren wurde beklagt, dass die Rückerstattung sich nicht allein an der Bedürftigkeit der Berechtigten orientiere.16 Den Hintergrund bildete nicht zuletzt das weit verbreitete Vorurteil, die jüdischen Emigranten hätten mit Hilfe der aus dem Verkauf ihres Eigentums erzielten Erlöse im Ausland ein bequemes und unbeschwertes Leben geführt, während sich die Daheimgebliebenen in den Luftschutzbunkern zusammendrängten. Besonders gegen Rückerstattungsforderungen aus dem Ausland richtete sich daher der Protest, in den auch eindeutig antisemitische Stereotype und Muster einflossen. Das Bild des skrupellosen »Rückerstattungsspekulanten« schloss an hergebrachte Ressentiments nahtlos an, ohne dass der Begriff »jüdisch« Verwendung finden musste.17 Dasselbe galt für die Darstellung der auf Grundlage des MRG Nr. 59 geschaffenen jüdischen Nachfolgeorganisation, die unermessliche Werte in Deutschland konzentriere und damit »die Hand an die Gurgel des deutschen Volkes« lege.18 Dass wichtige Grundannahmen der Rückerstattungsgegner durchaus konsensfähig waren, lässt sich vor allem daraus ersehen, dass innerhalb der deutschen Presse kaum Widerspruch artikuliert wurde, vielmehr Artikel und Kommentare in eine Reihe von Blättern lanciert werden konnten und ihre Vorschläge zur Revision der Rückerstattungsgesetze in den wichtigen deutschen Tages­ zeitungen ausführlich besprochen wurden.19 Allein die deutsch-jüdischen Organisationen und Gemeinden lieferten sich heftige publizistische Auseinander16 Hierzu auch Küster, S. 11 f. 17 Zur Persistenz antisemitischer Einstellungen in der Nachkriegszeit Stern. 18 J. Repkow, Fesseln für das Recht im Rückerstattungsgesetz (I), in: Kasseler Post, 4.4.1951, S. 75. 19 Die Zeitschrift Die Restitution veröffentlichte regelmäßig einen umfangreichen Pressespiegel; vgl. auch etwa Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.4.1951: »Neuer Vorschlag zur Rückerstattung«.

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setzungen mit den Rückerstattungsgegnern.20 Insbesondere engagierte sich mit mehreren Beiträgen Hendrik George van Dam, der neben seiner Tätigkeit als Generalsekretär des 1950 gegründeten Zentralrats der Juden in Deutschland auch als Autor mehrer juristischer Kommentare zur Wiedergutmachungsgesetzgebung hervortrat.21 Wiederholt bemühte er sich, die rechtlichen Konstruktionsprinzipien der Rückerstattungsgesetzgebung darzulegen und insbesondere auf den Vorwurf zu reagieren, durch die Suspendierung des »guten Glaubens« widerfahre den Erwerbern jüdischen Eigentums massenweise schweres Unrecht. Van Dam verwies dagegen darauf, dass auch das immer wieder beschworene Bürgerliche Gesetzbuch einen Schutz des guten Glaubens dann nicht vorsah, wenn es sich um unrechtmäßig zustandegekommene Geschäfte handelte.22 Die Konstruktion eines unerträglichen Gegensatzes zwischen alliierter Siegerjustiz und hehrer deutscher Rechtstradition entbehre folglich ebenso der Grundlage wie das Lamento, deutsche Richter seien nun zur Exekution von Unrecht gezwungen. Die jüdische Presse und Publizistik versuchte darüber hinaus, ein Verständnis dafür zu erzeugen, dass die Rigorosität der alliierten Rückerstattungsgesetzgebung sich nicht aus Rache- und Strafgedanken, sondern aus einer Abwägung ergab, nach der angesichts des von Juden erlittenen Unrechts die Belange der Erwerber jüdischen Eigentums zurückzutreten hatten. Ihr Gedankengebäude sei ganz von der Notlage der überlebenden Opfer und der unbedingten Notwendigkeit zur Wiederherstellung ihrer Rechte her errichtet.23 Andere jüdische Vertreter insistierten umso hartnäckiger auch auf der individuellen Verantwortung derjenigen Deutschen, die jüdisches Vermögen erworben hatten: »Jeder, der jüdischen Grundbesitz oder ein jüdisches Geschäft erworben hat, wusste dies. […] Es kann deshalb bei diesem Eigentum überhaupt keinen guten Glauben geben.«24 Die jüdischen Publizisten drangen mit ihren Argumenten allerdings kaum durch. Von der nicht-jüdischen deutschen Presse fühlte man sich im Stich gelassen. Als der Chefredakteur der Allgemeinen Wochenzeitung Karl Marx 1951 zu einer Pressekonferenz über Fragen der Wiedergutmachung und Rückerstattung einlud, fiel das Interesse äußerst gering aus, und nur wenige deutsche Pressevertreter erschienen. Jüdischen Positionen und Standpunkten ließ sich vor diesem Hintergrund in der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit nur schwer Gehör verschaffen.25

20 Nietzel, Presse. 21 Dam; Dam u. a. 22 H. G. van Dam, Die »Restitution«. Zeitschrift der Rückerstattungspflichtigen, in: Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, Nr. 6, 19.5.1950, S. 1 f.; ders., Moralischer Mut?, in: ebd., Nr. 15, 21.7.1950, S. 5. 23 Vgl. auch Hachenburg, S. 10; S. 16. 24 Zur Frage der Wiedergutmachung, in: Der Weg, Nr. 9, 6.8.1946, S. 55. 25 Rückerstattung  – warum nicht wirklich loyal?, in: Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, Nr.  12, 29.6.1951, S.  2; vgl. auch G. Weis, Drei Jahre Restitutionsgesetz, in: ebd., Nr.  35, 8.12.1950, S. 4.

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Dass die Rückerstattung nicht zu einem so dominanten ­Nachkriegsthema geworden ist wie etwa die Auseinandersetzung um die deutschen Kriegsver­ brecher,26 hatte viel damit zu tun, dass die Bundesregierung sich die Forderungen der Rückerstattungsgegner nicht vollständig zu Eigen machte. Von vornherein abzusehen war das nicht, im Gegenteil: Allenthalben herrschte die Erwartung, dass mit der Wiedererlangung staatlicher Souveränität Maßnahmen und Regelungen der Besatzungszeit einer Revision unterzogen würden, wie dies auf mehreren Gebieten auch sogleich geschah.27 Das war auch das erklärte politische Ziel der Rückerstattungsgegner. Vor allem innerhalb von FDP und CDU wusste sie beträchtliches Unterstützerpotential zu mobilisieren. Gleich zu Anfang der ersten Legislaturperiode forderte ein Antrag der FDP-Bundestagsfraktion die Änderung der Rückerstattungsgesetzgebung und die Aussetzung aller laufenden Verfahren.28 Viele Rückerstattungspflichtige verweigerten sich daraufhin in der Hoffnung künftiger Abmilderungen schnellen Verfahrensabschlüssen und versuchten, die Auseinandersetzung in die Länge zu ziehen.29 In Anbetracht dieser Entwicklung trat zur Jahreswende 1949/1950 der amerikanische High Commissioner John J. McCloy solchen Erwartungen entschieden entgegen. In Presseerklärungen und einem offenen Brief an Bundeskanzler Konrad Adenauer machte er deutlich, dass die Rückerstattung eine zentrale Stellung innerhalb der US-Politik einnehme und die Verfahren auf der aktuellen Grundlage vollständig zum Abschluss gebracht würden. Den Bundeskanzler forderte er auf, den Gerüchten und Bestrebungen gleichfalls öffentlich entgegenzutreten.30 Es sollte allerdings noch mehrere Monate dauern, bis die Bundesregierung erstmals Stellung nahm. Mittlerweile hatte die CDU/CSUFraktion eine weitere parlamentarische Anfrage lanciert, auf die Justizminister Thomas Dehler (FDP) im November 1950 im Bundestag antwortete.31 Er anerkannte die Position der Rückerstattungsgegner, »daß durch die Rückerstattungsgesetze in vielen Fällen auch gutgläubige Erwerber und solche Erwerber schwer getroffen werden, die einen angemessenen Kaufpreis gezahlt und aus der Notlage des Verfolgten keinen Nutzen gezogen haben«, durchaus, zog sich jedoch hinter die harte Haltung der Amerikaner zurück. Allerdings verwies Dehler ebenfalls darauf, dass selbst die strengen Rückerstattungsgesetze die von 26 Frei, Vergangenheitspolitik, S. 163–233. 27 Ebd., S. 29–131. 28 Lillteicher, Raub, S. 136. 29 Office of the U. S. High Commissioner for Germany, Memorandum: Conditions Impeding Restitution Progress, 1.12.1949, BAK, Z 45 F, 3/88–1/16. 30 Der Inhalt der Presseveröffentlichung vom 19.12.1949 nach: Rundschreiben VK Wi Nr. 141, 7.1.1950, HStAW, Abt. 519/1, 195; John J. McCloy an Bundeskanzler Adenauer, o. D., BAK, Z 45 F, 17/200–2/8. 31 Anfrage Nr.  125 der Fraktion CDU/CSU betr. Rückerstattungsgesetz Nr.  59 und V. O. Nr. 120, 10.10.1950, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode 1949. Anlagen zu den Stenographischen Berichten: Drucksachen, 7.  Teil, Bonn 1951, Nr.  1455; Antwort des Bundesministers der Justiz, 4.11.1950, ebd., Nr. 1567.

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NS-Verfolgten erlittenen Schäden nicht wieder gutmachen könnten und dass angesichts der wirtschaftlichen Notlage vieler Opfer diese auf Rückerstattungsleistungen dringend angewiesen seien. Den Hoffnungen auf eine grundlegende Revision der Rückerstattungsgesetzgebung war damit eigentlich die Grundlage entzogen. Das hielt deren Gegner allerdings zunächst nicht davon ab, weitere parlamentarische Initiativen vorzutragen. Im November 1951 löste die Bayernpartei mit einem erneuten Antrag zur Revision der Gesetzgebung noch einmal eine heftige Debatte im Bundestag aus.32 In der Zwischenzeit war die Frage vermeintlicher Härtefälle in der Rückerstattung in die Beratungen des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht eingegangen.33 Dort konnten die Parteienvertreter trotz monatelanger Diskussionen aber weder eine gemeinsame Linie noch überhaupt einen Ansatzpunkt zur Änderung und Vereinheitlichung der Rückerstattungsgesetzgebung finden, die unter alliiertes Vorbehaltsrecht fiel. Es verblieb allein der Ausweg, eventuelle Härten durch eine innerdeutsche Entschädigungsregelung abzumildern – ein Vorschlag, den Justizminister Dehler bereits zu Beginn der Debatte ins Spiel gebracht hatte.34 Die Bundesvereinigung, die zunächst gegen die Haltung der Bundesregierung Sturm lief,35 passte sich dem Diskussions­ verlauf an und änderte ihre Strategie. Statt auf eine Revision des Gesetzes richtete sie ihre Bemühungen nun auf die Gewährung staatlicher Entschädigungszahlungen für Rückerstattungspflichtige.36 Die Rückerstattungsgesetze blieben in ihrer ursprünglichen Fassung in Kraft. Im Überleitungsvertrag und mit dem sogenannten Haager Protokoll verpflichtete sich die Bundesregierung 1952 zur vollständigen Durchführung der Rückerstattung auf der bestehenden Rechtsgrundlage.37 Die politische Debatte hatte sich damit endgültig auf die Frage eines materiellen Ausgleichs für Rückerstattungspflichtige durch die öffentliche Hand verlagert. Die Gegner der individuellen Rückerstattung ließen auch in der weiteren Entwicklung nicht locker, sondern entfalteten in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre noch einmal rege Aktivität.38 Ihr politisches Ziel, einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf finanziellen Schadensersatz für »Rückerstattungsschäden« durchzusetzen, sollten sie jedoch 32 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode 1949. Stenographische Berichte, Bd. 9, Bonn 1951, S. 7181–7287. 33 Lillteicher, Raub, S. 162–174. 34 Ebd., S. 146. 35 Bundesvereinigung für loyale Restitution an Justizminister Dehler, 19.2.1951, BAK, B 141, 411, Bl. 65–77; auch das Mitglieder-Rundschreiben der Vereinigung für loyale Restitution vom 8.2.1951 sprach noch davon, »dass die Zeit nunmehr reif geworden sei, zum Generalangriff gegen diese Gesetze überzugehen und die Absichten auf eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen […] nachdrücklich weiterzutreiben«; LBI NY, AR 5890, 23. 36 Entschädigung der Restitutionsgeschädigten?!, in: Die Restitution, Jg. 3, 1952, S. 2. 37 Hockerts, S. 181. 38 Bundesvereinigung der Rückerstattungsgeschädigten an Bundesregierung, 2.3.1956; Rundschreiben an die Mitglieder des Bundestages, 10.3.1956; Bundesvereinigung der Rückerstattungsgeschädigten an Bundeskanzler Adenauer, 14.12.1959, BAK, B 126, 42630.

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nicht erreichen.39 Dennoch gelang der Anti-Rückerstattungslobby in symbo­ lischer Hinsicht ein später Sieg: Als das Bundeskabinett im Jahr 1960 Richt­ linien zur Vergabe von Krediten an Rückerstattungsbetroffene im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes erließ, entfielen bei der Überprüfung von Erwerbungen aus jüdischem Besitz unter souveräner Missachtung einer langjährigen Rückerstattungspraxis sämtliche Spezialvorschriften der alliierten Rückerstattungsgesetze zugunsten des Gesichtspunktes der persönlichen »Loyalität« der Käufer. Die sich in der anschließenden Vergabepraxis einspielenden Be­ urteilungskriterien wurden in das 1969 verabschiedete Reparationsschädengesetz übernommen. Hierdurch wurde die Sichtweise der Rück­erstattungsgegner, durch die alliierte Rückerstattung seien massenweise einwandfreie Vermögens­ transfers unrechtmäßig wiederaufgerollt worden, doch noch in Gesetzesform gegossen. Dieser vergangenheitspolitische Symbolakt entfaltete aber nur geringe materielle Wirkung, denn die globalen Zahlen zur Befriedigung der nun mit den Reparationsschäden zusammengenommenen Rückerstattungsschäden lassen erkennen, dass diese hinter den seit Jahren beschworenen Dimensionen ganz erheblich zurückblieben.40 Jüdische Unternehmer, die ihre Betriebe während der nationalsozialistischen Herrschaft an Nicht-Juden übertragen hatten, konnten diese bis zur Ausschlussfrist Ende 1948 zurückfordern. Statt einer Restitution in natura war im Gesetz auch die Option einer Nachzahlung durch den Erwerber vorgesehen (§ 16). Diejenigen, die ihre Unternehmen liquidiert hatten, mussten warten, bis ihre materiellen Schäden im Zuge dessen, was nach zeitgenössischer Wahrnehmung erst als das eigentliche, das »allgemeine Wiedergutmachungsgesetz« zu erwarten stand, geregelt wurden.41 Die politische Konstellation war auf diesem Gebiet anders gelagert, denn prinzipiellen Widerstand gegen die Entschädigung von NS-Opfern gab es aus der deutschen Gesellschaft heraus nicht. Dass allerdings die materielle Wiedergutmachung insofern nicht gegen, aber doch weitgehend »ohne die Volksmehrheit« auf den Weg gebracht und durchgeführt wurde, hatte dennoch gravierende Folgen für die Anspruchsberechtigten.42 Denn bei der Entschädigung legte die Bundesregierung eine attentistische Haltung an den Tag, nach der Wiedergutmachung »als Holschuld und nicht als Bringschuld aufgefasst wurde.«43 Die politischen Entscheidungsträger verzichteten weitgehend auf eigene Konzepte und Gestaltungsspielräume und reagierten allenfalls auf explizit an sie herangetragene Forderungen und Ansprüche in der Form, diese nach Möglichkeit abzuwehren oder zu begrenzen. 39 Vgl. Vermerk Reg.Dir. Koppe betr. Initiativentwurf eines Gesetzes zur Entschädigung der sogenannten loyalen Rückerstattungspflichtigen, 28.2.1957, ebd. 40 Lillteicher, Raub, S. 492 f. 41 H. G. van Dam, Wann kommt das allgemeine Wiedergutmachungsgesetz?, in: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Nr. 27, 14.10.1949, S. 2. 42 Hockerts, S. 186. 43 Goschler, Schuld, S. 152.

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Es war ein weiteres Mal erst die Initiative der amerikanischen Besatzungsmacht, welche die Entschädigung für NS-Opfer auf den Weg brachte und die Gesetzgebung der US-Zone zum wichtigsten Schrittmacher in dieser Sache werden ließ. Bereits 1946 hatte das Sonderfondsgesetz dafür gesorgt, dass not­ leidende Verfolgte des Nationalsozialismus aus der allgemeinen Fürsorge herausgenommen wurden.44 Dies betraf aber nur diejenigen, die noch oder wieder im Land Hessen lebten. Seit 1946 arbeitete der Länderrat der US-Zone zusammen mit der Militärregierung auch an einem allgemeinen Entschädigungsgesetz, das schließlich 1949 in Kraft trat.45 Es wies von allen Zonengesetzen den größten Leistungsumfang auf und enthielt bereits grundlegende Festlegungen zu Verfolgtengruppen und Schadensarten, die später in die Bundesgesetz­ gebung übernommen wurden. Im Rahmen des Überleitungsvertrages und des Luxemburger Abkommens von 1952 verpflichtete sich die Bundesregierung, die Entschädigungsgesetzgebung auf der Basis des amerikanischen Zonengesetzes zu vereinheitlichen und zügig umzusetzen.46 Auf Druck der Opposition und gegen den Widerstand des Bundesfinanzministeriums, das durch eine bewusste Verzögerungstaktik das Projekt zu blockieren versuchte, wurde noch kurz vor Ende der Legislaturperiode 1953 als Provisorium das sogenannte Bundes­ ergänzungsgesetz verabschiedet, das noch zahlreiche offenkundige Mängel aufwies und die weitere Durchführung der Entschädigung zunächst eher hemmte als beförderte.47 Ihre eigentliche Ausgestaltung erhielt die bundesdeutsche Wiedergutmachung mit dem 1956 verabschiedeten Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Einzelne Rechts- und Sachfragen wurden erst im Entschädigungsschlussgesetz im Jahre 1965 endgültig geregelt. Mit der Festlegung auf das Entschädigungsprinzip (statt des Schadensersatzprinzips) war die Grundsatzentscheidung verbunden, dass es nur eine teilweise Kompensation geben solle. Das Entschädigungsrecht führte dazu verschiedene Schadenskategorien ein.48 Während sich Personenschäden, also Schaden an Leben, an Körper oder Gesundheit und an Freiheit nicht in materiellen Ziffern ausdrücken ließen, wurden mit den Kategorien der Vermögensschäden, namentlich des Schadens an Eigentum und Vermögen sowie des Schadens im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen, die materiellen Auswirkungen der NS-Verfolgung benannt, die mehr oder weniger alle jüdischen Unternehmer im Zuge der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit erlitten hatten. Diese Schadenskategorien mussten daher, was den Verlust ihrer Unternehmen und 44 Gesetz über Bildung eines Sonderfonds zum Zwecke der Wiedergutmachung vom 10.7.1946, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Groß-Hessen, Nr. 32/33, S. 226 f. 45 Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz) vom 10.8.1949, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen 1949, Nr.  26/27, S. 101–111. 46 Hockerts; Goschler, Schuld, S. 171–214. 47 Winstel, Gerechtigkeit, S. 42–48. 48 Brunn u. a.; Giessler u. a.

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ihre wirtschaftliche Verdrängung betraf, im Vordergrund der Entschädigungsverfahren stehen. Auf das Unternehmensvermögen selbst bezogen sich dabei die beiden Kategorien des Eigentums- und des Vermögensschadens. Nach § 51, 1 des BEG hatten Verfolgte Anspruch auf Entschädigung, wenn eine ihnen gehörende Sache durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen »zerstört, verunstaltet oder der Plünderung preisgegeben worden ist.« Als Preisgabe zur Plünderung wurden dabei insbesondere auch die Vorkommnisse während und in der Folge des Novemberpogroms verstanden.49 Damit waren die unmittelbaren Zerstörungsund Raubakte erfasst. Die Kategorie des Vermögensschadens sollte neben den Verlusten im Zuge der Auswanderung auch Schäden am Unternehmensvermögen erfassen, die durch Boykottmaßnahmen verursacht worden waren (§ 56, 1), insbesondere die Minderung des immateriellen Firmenwertes. Die wichtigste Schadenskategorie stellte der sogenannte Berufsschaden dar.50 Nach § 65, 1 sollte damit ein Schaden erfasst werden, der dem Verfolgten »in der Nutzung seiner Arbeitskraft« entstanden war. Das umfasste sowohl körperliche als auch geistige Arbeit und meinte jedenfalls eine persönliche Tätigkeit, um eine Grenze zu reinen Kapitaleinkünften zu ziehen. Ein Schaden sollte anerkannt werden, wenn sich im Schadenszeitraum eine Einkommensminderung um mehr als 25 Prozent ergeben hatte (§ 66, 3). Als Entschädigungsleistungen kamen entweder eine Kapitalentschädigung oder eine lebenslange Rente in Frage. Wenn ein Verfolgter zum Entscheidungszeitpunkt sich eine ausreichende Lebensgrundlage noch nicht wieder hatte schaffen können, konnte er zwischen diesen beiden Optionen wählen (§ 82). Ansprüche waren durch Deckelungen und Pauschalierungen begrenzt.51 So orientierte sich die Abgeltung der Vermögensschäden zwar an der Höhe der Schäden, unterlag aber Höchstbeträgen von jeweils 75.000 DM. Bei der Ab­ geltung der Berufsschäden sollten durch die Ermittlung des Einkommens der Berechtigten vor dem Einsetzen der Verfolgung virtuelle Wirtschaftskarrieren rekonstruiert und der Unterschied zum tatsächlichen Verlauf ausgeglichen werden. Weil aber nicht jeder Einzelfall in allen Facetten gewürdigt werden konnte, behalf sich der Gesetzgeber durch ein Berechnungsschema, dem die Kategorien der einzelnen Beamtenlaufbahnen mit ihrem jeweiligen Gehaltsniveau zugrundelagen. Das bedeutete, dass Verfolgte auch bei einem Einkommen weit über der höchsten Beamtengruppe ihre Ansprüche nur bis zu dieser Höhe geltend machen konnten. Die Berechnung der Ansprüche hing darüber hinaus vom zu ermittelnden Zeitraum der Schädigung ab, der erst endete, wenn der Betroffene wieder eine ausreichende Lebensgrundlage nach Maßgabe seiner Eingruppierung erlangt hatte. Weil sich dieser Zeitraum oft über viele Jahre und weit über das Jahr 1945 hinaus erstreckte, konnten sich beträchtliche Summen 49 Ebd., S. 2–11. 50 Ebd., S. 47. 51 Vgl. auch Brunn u. a., S. 4 f.

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bei der Berechnung ergeben. Für die Entschädigung galten aber Höchstbeträge von 20.000, später 25.000 und schließlich 40.000 DM, wodurch sich zwischen berechnetem und abgegoltenem Schaden mitunter ein großer Unterschied ergab. Bei den Berufsschadenrenten stand das Fürsorgeprinzip im Vordergrund. Wählte ein Verfolgter die Rente, wurde er unabhängig vom Schadenszeitraum in eine der jeweiligen Beamtenlaufbahn entsprechende Niveaugruppe eingeordnet. Die materiellen Wirkungen der Entschädigungsgesetzgebung lassen sich nur schwer pauschal beurteilen. Was die materiellen Schäden von Unternehmern anging, wiesen sie keine größeren Lücken oder fundamentale Ungerechtigkeiten auf. Wichtig war außerdem, dass den jüdischen Verfolgten bei allen Ver­ mögensschäden eine entscheidende Beweiserleichterung gewährt wurde: Nach dem Vorbild der Rückerstattungsgesetzgebung wurde für sie eine kollektive Verfolgung angenommen und global vermutet, dass alle eingetretenen materiellen Schäden mit dieser Verfolgung in kausalem Zusammenhang standen (§§ 51, 4; 56, 4; 64, 2)52 – anders etwa als bei Lebens- und Gesundheitsschäden, wo dies nicht ohne Weiteres angenommen werden konnte. Die vorgesehenen Verfahren zur Ermittlung der Vermögensschäden erforderten aber trotz dieser Pragmatik immer noch einen beträchtlichen Aufwand und eine ausführliche Dokumentation der Lebens- und Verfolgungsschicksale. Weil viele der Emigranten und Flüchtlinge mit ihrem Hab und Gut auch ihre urkundlichen Nachweise über frühere Einkommens- und Vermögensverhältnisse verloren hatten, musste die Wirksamkeit des Gesetzes entscheidend von seiner Handhabung in den zuständigen Behörden abhängen.

2. Die Sozialgeschichte der Rückerstattung Eine Annäherung an die sozial- und erfahrungsgeschichtlichen Dimensionen der Wiedergutmachung sieht sich mit massiven Quellenproblemen konfrontiert, die weniger aus der Quantität des überlieferten Materials erwachsen als der Art und Weise seiner Überlieferung auf der einen, seiner den Entstehungszusammenhängen geschuldeten Eigenstruktur auf der anderen Seite. Weil die Wiedergutmachung für viele Überlebende ein Thema war, über das sie nur ungern sprachen und das nur selten in autobiographischen Zeugnissen erscheint, sieht man sich im Wesentlichen auf diejenigen Einzelfallakten verwiesen, die im Prozess der Rückerstattung und Entschädigung angefallen sind. Besonders die Rückerstattung erscheint in ihnen in den weitaus meisten Fällen als trockener Verwaltungsvorgang. Nur in Fällen, in denen die Auseinandersetzung zwischen den Parteien über den vorgesehenen Normalablauf, nämlich eine rasche gütliche Einigung, hinausdriftete, enthüllen sich die konfligierenden Sicht­ 52 Vgl. Giessler u. a., S. 53.

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weisen auf das historische Geschehen und erhellt sich ansatzweise die lebensund erfahrungsgeschichtliche Bedeutung, die dem Verfahren für die Beteiligten und Betroffenen innewohnte. Dennoch darf man sich nicht nur auf diese besonders konfliktreichen Verfahren beziehen. Auch wenn die Statistiken zur Rückerstattung auf eine hohe Konfliktträchtigkeit verweisen, was angesichts der gesellschaftlichen Widerstände auch nicht verwunderlich ist, überzeugt die methodische Überlegung nicht, offenbar »konfliktfreie«, weil keine dichte Über­ lieferung aufweisende Fälle seien analytisch »insgesamt zu vernachlässigen.«53 Um die Rückerstattung als Neu-Verhandlung des mit der Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit verbundenen Umverteilungsprozesses in sozial- und lebensgeschichtliche Zusammenhänge einzuordnen, reicht eine Konzeptualisierung als Konflikt- und Skandalgeschichte nicht aus. Daher wird im Folgenden die Gesamtheit der überlieferten Frankfurter Rückerstattungsverfahren ausgewertet. Die begrenzte Aussagekraft der Quellen muss dabei in Kauf genommen werden: Die große Zahl der außerhalb der Ämter und Gerichte geführten Verhandlungen entzieht sich der Betrachtung, die kargen Formulare und Schriftsätze in den Akten lassen die individualgeschichtlichen Dimensionen oft nur er­a hnen. Außerdem ist die Überlieferung der Rückerstattungsverfahren bereits aufgrund der gesetzlichen Grundlagen sowohl quantitativ wie qualitativ asymmetrisch strukturiert. Denn während die jüdischen Anspruchsberechtigten durch die gewährten Beweiserleichterungen ihr Anliegen im Normalfall mit nur wenigen Dokumenten und Belegen zu untermauern brauchten, erforderte die Zurückweisung ihrer Ansprüche eine aufwändige Argumentation. Beinahe immer sind daher die schriftlichen Auslassungen und die beigebrachten Materialien der Pflichtigenpartei weitaus umfangreicher. Tobias Winstel hat erstmals versucht, der Bedeutung der Wiedergut­machung für die Lebensgeschichte der Betroffenen nachzugehen, wobei er eine Annäherung über die Begriffe »reconciliation«, »rehabilitation« und »compensation« sucht.54 Die beiden ersteren verweisen dabei auf die symbolische Ebene der Vorgänge und ihre subjektive Deutung durch die Betroffenen, während letzterer die materielle Dimension erschließt. Da die Begriffe dort auf Rück­ erstattung und Entschädigung gleichermaßen angewandt werden, ist eine Differenzierung und Vorklärung erforderlich. Die individuelle Rückerstattung lässt sich nur bedingt als »eine Form des Dialogs zwischen Tätern und Opfern, zwischen Pflichtigen und Berechtigten« verstehen. Bereits die äußeren Konstellationen sprachen gegen eine zwischenmenschliche »Verständigung zwischen den beteiligten Akteuren«, denn Berechtigte und Pflichtige trafen kaum jemals im konkreten Sinne aufeinander, vielmehr wurden die Verfahren fast immer zwischen den Anwälten der Parteien ausgetragen. Dass bei der Rück53 So Lillteicher, Raub, S. 179 f.; zu den Quellen auch ebd., S. 28–30 sowie Winstel, Gerechtigkeit, S. 13–15. 54 Winstel, Bedeutung, S. 203; in der späteren Studie des Autors taucht dieses Begriffsraster aller­dings nicht mehr auf.

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erstattung »zumindest rudimentär eine direkte, personale Täter-Opfer-Beziehung bestand«, muss als Vorannahme daher hinterfragt und sollte als leitender Gedanke nicht überstrapaziert werden.55 Von einer »Aussöhnung durch die Begegnung von Täter­gesellschaft und Opfer« kann bei der Rückerstattung ohnehin kaum die Rede sein. Es erscheint zwar sinnvoll, danach zu fragen, ob und wie unter diesen Bedingungen eine Anerkennung erlittenen Unrechts und die Benennung von Schuld und Verantwortung erfolgten. Einer Annäherung an diese symbolischen Dimensionen der Rückerstattung muss aber die Entfaltung ihrer sozialgeschichtlichen Aspekte, d. h. der materiellen Bedingungen, unter denen sie stattfanden, und der materiellen Wirkungen, die sie entfalteten, vorausgehen. Um diese Perspektive zu konturieren und zu zeigen, was materielle »Wiedergutmachung« in vielen Fällen überhaupt nur heißen und leisten konnte, soll das Fallbeispiel um Leonhard Kahn untersucht werden. 1906 hatte dieser in Frankfurt ein Textilhaus gegründet, das er im Laufe der Jahre zu einem der ange­ sehensten Unternehmen der Branche entwickelte. Anfang der 1930er Jahre erwirtschaftete der Betrieb mit 80 Angestellten bis zu 1,5 Mio. RM Umsatz und warf Erträge zwischen 50.000 und 80.000 RM ab.56 Die Familie Kahn lebte in großbürgerlichem Stil in einer standesgemäßen Villa und verfügte noch über mehrere weitere Hausgrundstücke im Stadtgebiet. Die Zukunft des Unternehmens schien vorgezeichnet; der Sohn Curt Kahn sollte einmal den Vater als Geschäftsführer ablösen und erhielt seit seiner Jugend eine entsprechende fach­ liche Ausbildung. 1931 trat er als Abteilungsleiter in das Geschäft ein. Der Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft bedeutete für das Unternehmen Kahn eine tiefe Zäsur. Nachdem Leonhard Kahn an der Versammlung jüdischer Unternehmer anlässlich des für den 1. April ausgerufenen Boykotts teilgenommen hatte, wurde er von SA-Leuten verhaftet und erst nach einigen Wochen wieder auf freien Fuß gesetzt. Trotz dieser Erfahrung kam es für ihn nie in Betracht, sein Heimatland zu verlassen. Sein Sohn Curt Kahn hielt dagegen die Zukunft in Deutschland für so unsicher, dass er bereits 1933 in die Niederlande emigrierte und hier ein eigenes Unternehmen aufzubauen versuchte. Die Tradition des Familienunternehmens wurde so unterbrochen, bevor sie recht begonnen hatte. Indessen konnte das Textilhaus Kahn sich trotz Umsatzrückgängen auch in den Folgejahren vergleichsweise erfolgreich behaupten. Als das Geschäft jedoch im Frühjahr 1938 eines der Hauptziele der Gewalt- und Boykottaktionen wurde, entschloss sich Leonhard Kahn zum Verkauf. Sein Verhandlungsspielraum war eingeschränkt, weil sich ein am Erwerb interessiertes Ehepaar der Unterstützung der Gauleitung versichern konnte. In einem Vertrag vom Mai 1938 konnten sie einen Kaufpreis von 90.000 RM aushandeln. Von 55 Diese wirkmächtige Bemerkung bei Goschler, Auseinandersetzung, S. 340; aufgegriffen u. a. durch Winstel, Bedeutung, S. 204; auch dieser Gedanke wird in ders., Gerechtigkeit, S. 16 f. revidiert. 56 Eidesstattliche Erklärung Curt Kahn, 23.9.1955, HStAW, Abt. 518, 18636, Bl. 3–5.

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diesem noch gar nicht voll bezahlten Kaufpreis beschlagnahmte die DAF nach bekanntem Muster 18.000 RM zur Auszahlung an das nicht-jüdische Personal. Als sich in der Folgezeit der politische Druck auf die Juden weiter verschärfte, weigerten sich die Käufer, die restlichen vertraglichen Raten zu begleichen, so dass insgesamt kaum die Hälfte des Kaufpreises vergütet wurde.57 Nach dem Verkauf verblieben die Eheleute Kahn zunächst in Frankfurt, bis der Novemberpogrom ihrer Existenz in Deutschland schlagartig ein Ende setzte. Leonhard Kahn wurde verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Während seiner mehrmonatigen Haft gelang es unter Vermittlung des Sohnes, seine Ausreise in die Niederlande zu organisieren. Bei seiner Entlassung war Leonhard Kahn ein gebrochener Mann: Nach schweren Misshandlungen war seine Gesundheit zerrüttet, sein Lebenswerk und jede Zukunftsplanung zerstört. Dabei hatten sich bereits lange vor dem letzten Verfolgungsakt die Lebens- und Zukunftsperspektiven immer stärker verschoben und verengt. Während Leonhard Kahn im Verlauf der 1930er Jahre seine eigenen Ansprüche immer weiter zurückgeschraubt, das Wohnhaus vermietet und mit seiner Gattin eine kleinere Wohnung bezogen hatte, richteten sich seine Hoffnung und Energie hauptsächlich noch darauf, zumindest das Familienunternehmen irgendwie über die Zeit zu retten, um es dem Sohn für eine bessere Zukunft zu erhalten.58 Nachdem sich diese Hoffnung zerschlagen hatte, erlahmte auch die Lebenskraft Leonhard Kahns. Während er nach seiner Frei­ lassung, mit dem Freibetrag von 10 RM ausgestattet, sofort ins Ausland gebracht wurde, regelte seine Frau Gertrud in Frankfurt noch die letzten Steuer- und Vermögensangelegenheiten und die Auflösung des Haushaltes. Not und Verfolgung waren nach der Ausreise nicht überwunden. In den besetzten Niederlanden lebten Gertrud und der schwer herzkranke Leonhard Kahn getrennt von ihrem Sohn in verschiedenen Verstecken, unterstützt von Freunden und der niederländischen Untergrundbewegung. Nachdem L ­ eonhard Kahn immer schwerer erkrankt und unter großen Schwierigkeiten gepflegt worden war, überlebte er die Befreiung durch alliierte Truppen nur um ein gutes Jahr und starb im November 1945 in einem niederländischen Krankenhaus. Währendessen setzte Gertrud Kahn ihre letzten Energien daran, zumindest einen Teil  des geraubten Vermögens wiederzuerlangen. Auch sie hatte kaum noch sich selbst im Blick, sondern wollte vor allem ihrem Sohn und ihren Enkeln einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen.59 Erst nach zähen Auseinandersetzungen mit der niederländischen Bürokratie gelang es ihr Ende 1948, einen Flüchtlingspass zur Reise nach Deutschland zu erhalten, um vor Ort das 57 Trude Kahn an Heinz Tappert, 5.9.1946, HStAW, Abt. 519/1, 131; dass., 28.12.1946, IfS, ­Magistratsakten, 9797. 58 Eidesstattliche Erklärung Robert Singer, 31.12.1956, HStAW, Abt. 518, 18636, Bl. 10; der Befund deckt sich mit den Beobachtungen Oliver Doetzers anhand der umfangreichen Kor­ respondenz einer jüdischen Familie; vgl. Doetzer, S. 166. 59 Trude Kahn an Heinz Tappert, 5.9.1946, HStAW, Abt. 519/1, 131.

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Rückerstattungsverfahren in Gang zu setzen. Nachdem das gelungen war, starb Gertrud Kahn im April 1949 an überhöhtem Blutdruck.60 Ihr Sohn Curt Kahn verfolgte anschließend als Alleinerbe die Rückerstattungsansprüche weiter. Er benötigte dringend finanzielle Mittel, da sein in der niederländischen Emigration eröffnetes Fotogeschäft sich auch nach mehreren Jahren noch in erdrückenden Schwierigkeiten befand, die sich während der Nachkriegszeit noch verschlimmert hatten. Des Weiteren hatte er während der Besatzung finanzielle Unterstützung durch die niederländische Untergrundbewegung erhalten, die er nun zurückzahlen wollte. Auch waren die Kosten für die ärztliche Behandlung des Vaters und die Krankenhausaufenthalte noch nicht beglichen, für die Mittel aus einer kommenden Wiedergutmachung als Sicherheit eingesetzt worden waren. Curt Kahn drängte daher unter Verweis auf seine Notlage auf eine beschleunigte Entscheidung, erhielt aber vom Frank­ furter Amt lediglich die Antwort, es sei bei einem Aufenthalt des Antragstellers im Ausland dazu zuerst der genaue Nachweis zu erbringen, »auf welche Weise dem Antragsteller durch das Ergebnis seines Rückerstattungsanspruches aus der Notlage geholfen werden könnte.«61 Die noch von Gertrud Kahn aufgestellte Forderung gegen die Pflichtigen­ partei belief sich auf 310.000 RM, die sich aus dem materiellen Wert des Geschäfts und dem Goodwill zusammensetzte. Der vom Erwerber geleistete Kaufbetrag war dabei sogar noch abgezogen worden, obwohl er nicht in der Verfügung der Verkäufer verblieben war.62 Die Frage der Umrechnung des Betrages in DM blieb zunächst offen. Schon im Vorfeld des Rückerstattungsverfahrens hatten sich die Fronten verhärtet. Gertrud Kahn hatte sich mit ihrer Forderung nicht durchsetzen können, die weiter als Geschäftsführer amtierenden Eheleute Heckel müssten aus ihrer Position ausscheiden. Zudem schlug sich der vom Amt eingesetzte Treuhänder auf die Seite der Erwerber, behauptete, es habe sich um »einen ohne jeden Zwang erfolgten Geschäftsverkauf« gehandelt, und behinderte die Überwachung des Vermögens eher, als sie durchzusetzen.63 Angesichts des Widerstandes der Pflichtigenpartei und seiner drängenden wirtschaftlichen Lage musste sich Curt Kahn letztendlich mit einem mageren Vergleich abfinden und konnte nur eine Nachzahlung für das Warenlager in Höhe von 9.500 DM erreichen, dies allerdings innerhalb weniger Monate, so dass im Mai 1950 ein Vergleich geschlossen werden konnte.64 Langwieriger gestaltete sich das Verfahren um die Rückerstattung des elterlichen Wohnhauses, gegen die sich die dort weiterhin wohnende Witwe des damaligen Erwerbers erbittert zur Wehr setzte und hierbei bis vor das Oberlandesgericht zog. Nach Durchsetzung seines Anspruches konnte Curt Kahn aus dem Verkauf des Hauses 60 Eidesstattliche Versicherung Curt Kahn, 28.12.1956, HStAW, Abt. 518, 18636. 61 Dr. Helmholtz an Heinz Tappert, 17.2.1950, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6598, Bl. 16. 62 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 27.11.1948, ebd., Bl. 5–8. 63 Walter Donner an Heinz Tappert, 3.1.1950, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–428. 64 Vergleich vom 6.5.1950, HStAW, Abt. 519/A, W-Ffm-A 6598, Bl. 19.

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27.000 DM erzielen, von denen er allerdings 16.000 DM an die Rückerstattungspflichtige für geleistete Aufwendungen zu erstatten hatte.65 Die hierdurch erlangten Geldmittel konnten immerhin den von der niederländischen Regierung gewährten Aufbaukredit abdecken.66 Acht Jahre nach Kriegsende und zwanzig Jahre nach seiner Flucht aus Deutschland begann Curt Kahn, die durch die NS-Herrschaft erlittenen wirtschaftlichen Schäden allmählich zu überwinden. Von einer Wiedereinsetzung in den alten Stand konnte keine Rede sein. Curt Kahn ermöglichte die Wiedergutmachung, nach mühevollen Jahren zumindest wieder bei Null anfangen zu können. Erst weitere zehn Jahre später erhielt er schließlich erstmals auch größere Zahlungen im Rahmen seines Entschädigungsverfahrens wegen seiner unterbrochenen beruflichen und wirtschaft­ lichen Laufbahn.67 Eine materielle Notlage der jüdischen Rückerstattungsberechtigten schränkte ihre Verhandlungsspielräume erheblich ein. Im Rückerstattungsverfahren um die ehemalige Firma Leonhard Kahn waren die Möglichkeiten einer materiellen Kompensation zusätzlich durch die ungünstige wirtschaftliche Lage der Nachfolgefirma beschränkt.68 An absolute Grenzen stieß das Konzept der individuellen Rückerstattung, wenn die Pflichtigenpartei der Vermögenswerte selbst bereits verlustig gegangen war und völlig mittellos dastand. Dies war beim Kaufmann Walter Weiser der Fall, der im August 1938 die Käse­großhandlung Samuel Bieler übernommen hatte. Weiser konnte nach seiner Einberufung zum Heeresdienst 1940 die Firma nicht mehr weiterführen, so dass sie 1943 stillgelegt wurde. Auch nach Kriegsende ergab sich kein Neubeginn. Da das Unternehmen ruhte, wurde im Juni 1948 die Vermögenssperre aufgehoben und der Treuhänder abberufen; der Verkauf einiger noch verbliebener Warenbestände erbrachte ein Bankguthaben von wenigen DM.69 Die jüdischen Rückerstattungsberechtigten forderten bei der Eröffnung des Verfahrens von Walter Weiser 4.000 RM als Ausgleich für den zu geringen Kaufpreis, darüber hinaus 54.000 RM für die unterlassene Zahlung für den Goodwill, berechnet aus den durchschnittlichen Jahresumsätzen der Firma vor der Übernahme.70 Da­gegen schlug die Pflichtigenpartei die Rückerstattung des Unternehmens, das de facto nur noch auf dem Papier existierte, im momentanen Zustand vor.71 Auch der Vergleichsvorschlag des Amtes für Vermögenskontrolle konnte sich allein an der Zahlungsfähigkeit des mittellosen Walter Weiser, nicht aber am tatsäch65 Teilbeschluss des OLG Ffm. vom 12.3.1953; Vergleich zwischen Curt Kahn und Agnes ­Wirges, 7.5.1953, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 6597. 66 Eidesstattliche Erklärung Curt Kahn, 23.9.1955, HStAW, Abt. 518, 18636, Bl. 5. 67 Bescheid vom 10.10.1962, ebd., Bl. 60–62. 68 Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit in der Fa. Bendel KG, 24.2.1950; Schluss­ bericht des Treuhänders Walter Donner, 15.6.1950, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–428. 69 Dr. Helmholtz an RA Max L. Cahn, 26.1.1951, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4549; AVW an Bockenheimer Volksbank, 21.8.1952, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–182. 70 RA Zang an AVW, 9.5.1951, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4549. 71 RA Zang an AVW, 8.11.1951, ebd.

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lich entstandenen Schaden orientieren. Nachdem die Berechtigten einen Zahlungsvorschlag über 1.000 DM in Raten zu 100 DM abgelehnt hatten, konnten sie nach zähen Verhandlungen einen Betrag von 1.500 DM vereinbaren, der sofort fällig wurde.72 In einer noch schlechteren Situation befanden sich die Rückerstattungsberechtigten im Verfahren über die jüdische Schuhwarengroßhandlung J. & S.  Nussbaum. Das Unternehmen war noch im Dezember 1938 für fast 200.000 RM an Hermann Leitz verkauft worden. 1943 zerstörte ein Bombentreffer das Geschäftshaus auf der Zeil. Ein in Lauterbach errichtetes Ausweichlager für noch vorhandene Warenvorräte wurde nach Kriegsende geplündert. Als noch Fehldispositionen bei der Warenbeschaffung nach der Währungsreform zu er­ heblichen Verlusten führten, war das Unternehmen am Ende und lag 1950 still.73 Der Erwerber Hermann Leitz war inzwischen verstorben. 1958 wurde das Unternehmen als sogenanntes Bagatellvermögen ohne Wert aus der Vermögenskontrolle freigegeben. Die früheren jüdischen Eigentümer setzten zwar ein Rückerstattungsverfahren in Gang; es verlief aber angesichts dieser Sachlage im Sande und endete ohne konkretes Ergebnis. Der Verkauf eines der größten Frankfurter Schuhwarenhäuser hatte sich somit im Rahmen der Rückerstattung nicht wiedergutmachen lassen. Schlecht standen die Rückerstattungschancen ansonsten vor allem bei kleineren Unternehmen. So versuchte der in die USA emigrierte Siegfried Goldberger nach Kriegsende, die von ihm 1935 an Karl Meininger veräußerte Leihbuchhandlung Deutsches Bücherhaus zurückzuerlangen. Der Käufer Meininger war allerdings 1939 zur Wehrmacht einberufen und erst 1947 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Das Geschäftshaus war durch Bombentreffer völlig zerstört. Mehrere Jahre zog sich das Rückerstattungsverfahren hin, wurde an das zuständige Landesgericht verwiesen. Siegfried Goldberger konnte im Vergleich von 1955 aber nicht mehr erreichen, als dass die Pflichtigenpartei seine Prozesskosten in Höhe von 100 DM übernahm.74 Die Kriegszerstörungen in Deutschland wirkten sich somit indirekt auch auf die Wiedergutmachungsansprüche der jüdischen Verfolgten aus. Selbst vergleichsweise wohlmeinende Rückerstattungspflichtige sahen sich vor dem Hintergrund desolater wirtschaftlicher Verhältnisse außerstande, diese Ansprüche zu erfüllen. Im Verfahren um die Textilwarengroßhandlung Dreydel & Oppenheimer, die von den jüdischen Eigentümern im November 1938 an ihren Prokuristen Hans Schuchert übertragen worden war, erklärte sich dieser zu einer gütlichen Einigung bereit. Weil er das 1944 zerstörte Unternehmen aber erst seit 1949 wieder in kleinem Umfang aufgebaut hatte und noch weitgehend ohne Einkünfte war, schrieb er 1951 an den nach Portugal emigrierten früheren Miteigentümer Kurt Dreydel: »Ihre Forderung und meine Möglichkeiten einer 72 Vergleich vom 17.4.1952, ebd. 73 Aktenvermerk betr. Fa. Leitz & Co., 11.12.1951; Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit, 2.7.1952, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–1591. 74 Vergleich vom 15.3.1955, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4872.

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Wiedergutmachung sind zwei Dinge, die nicht zusammenzubringen sind. […] Ich sehe durchaus ein, dass eine Wiedergutmachung am Platze wäre, aber andererseits trage ich an dem gänzlichen Verlust aller Vermögenswerte der Firma Hans Schuchert durch den Krieg und die Kriegsfolgen keinerlei Schuld.« Die im Vergleich vereinbarte Zahlung von 4.500 DM nahm sich infolgedessen bescheiden aus, der Vergleich kam dafür innerhalb weniger Tage zustande.75 Die etwas missverständliche Formulierung des Gesetzestitels »Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände« sorgte für jahrelange Verwirrung zu Lasten der Berechtigten, weil viele Pflichtige und auch die Gerichte fälsch­ licherweise annahmen, hiermit sei gemeint, dass der Vermögensgegenstand zum Zeitpunkt der Entscheidung noch vorhanden und greifbar sein müsse. Obwohl das Frankfurter Oberlandesgericht schon im Mai 1949 festgestellt hatte, dass sich die »Feststellbarkeit« auf den Zeitpunkt der Entziehung beziehe, insofern, als es sich um einen konkreten, benennbaren Vermögensgegenstand – also nicht etwa eine Geldsumme – gehandelt haben müsse, dauerte es lange, bis sich diese Klarstellung in allen Ämtern und Gerichten durchgesetzt hatte.76 Rückerstattungsleistungen konnten also auch dann von den Erwerbern jüdischer Unternehmen verlangt werden, wenn das Unternehmen zerstört wurde oder aus anderen Gründen nicht mehr existierte. Allerdings war es in jedem Fall erforderlich, dass die damaligen Erwerber oder die momentanen Besitzer benennbar und persönlich greifbar waren. War das nicht der Fall, sanken die Chancen auf materiellen Ausgleich erheblich. So lief das Verfahren um die Frankfurter Fleischhallen Emil Hirschmann weitgehend ins Leere. Der Metzger­meister Fritz Abel hatte den Betrieb 1933 übernommen, wurde allerdings 1941 aus nicht näher bekannten Gründen vor dem Frankfurter Sondergericht wegen Wirtschaftsverbrechen zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt und später in eine psychiatrische Haftanstalt eingewiesen, wo er 1942 verstarb. Als die ehemaligen jüdischen Eigentümer den Antrag auf Rückerstattung stellten, setzten sie eine aufwendige Suche nach den rechtmäßigen Erben von Abel in Gang, der außer einer Ehefrau und sechs Kindern noch eine Lebensgefährtin und eine uneheliche Tochter hinterlassen hatte. Letztere war als Erbin vorgesehen, weigerte sich jedoch nach Zustellung der Rückerstattungsforderung, das Erbe anzunehmen. Auch eine jahrelange gerichtliche Auseinandersetzung konnte die Angelegenheit nicht klären, so dass die jüdischen Berechtigten ihren Antrag 1961 wegen Aussichtslosigkeit zurückzogen.77 Auch im Falle des Bekleidungsgeschäftes Oscar Bacharach, das im August 1938 für 124.000 RM an Theodor von Frenckell und Max Graf von Otting ver75 Hans Schuchert an Kurt Dreydel, 5.11.1951; Vergleich vom 26.11.1951, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-5979. 76 Urteil OLG Ffm vom 9.5.1949, in: Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht, Jg.  1, 1949, Nr. 1, S. 10; vgl. Deussen, S. 22–25; Schwarz, Rückerstattung, S. 118–225. 77 Bericht RA Klein an Amtsgericht Ffm., 26.2.1958, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2972(1), Bl. 64–67; Vergleich vom 20.7.1961, ebd., Bl. 117.

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kauft worden war, wussten sich die Rückerstattungspflichtigen den Forderungen zu entziehen. Nach Kriegsende hielt sich Otting krankheitshalber in Österreich auf und kehrte nicht wieder nach Deutschland zurück. Theodor von Frenckell hingegen führte den Betrieb, der 1944 durch Bombentreffer zerstört worden war, zunächst in kleinerem Umfang von seiner Privatwohnung aus weiter. Nach der Währungsumstellung musste das Unternehmen allerdings wegen erheblicher Umsatzeinbußen ganz eingestellt werden. Frenckell wurde kurz darauf für einige Zeit wegen Körperverletzung inhaftiert und verschwand später spurlos aus Frankfurt.78 Für die jüdischen Rückerstattungsberechtigten war damit kein Ansatzpunkt für ihre Forderungen vorhanden. Alles, was das Amt für Vermögenskontrolle noch tun konnte, war, die Rückgabe der noch vorhandenen Vermögenswerte des Unternehmens anzuordnen  – einer Schreib­ maschine und eines Bankkontos über 100 DM. Für die Verfolgten bestand das Dilemma, einerseits mit ihren Forderungen vom Geschäftserfolg der Rückerstattungspflichtigen abhängig zu sein, andererseits durch den Antrag auf Rückerstattung möglicherweise die Motivation der Pflichtigen zu einer erfolgreichen Weiterführung des Unternehmens zu schmälern, woran meist auch Vermögenskontrolle und Treuhändertätigkeit nichts ändern konnten. Im Falle des Hutgeschäfts Hilda Schiff Nachf., das am Tage des Novemberpogroms auf die Angestellte Thea Mohr übergegangen war, unternahm die Erwerberin nach Kriegsende nur wenig Anstrengungen, den durch Bombentreffer zerstörten Betrieb wieder in Gang zu setzen und die für Kriegsschäden erhaltene Ausgleichssumme zu investieren. Stattdessen meldete sie das Unternehmen kurz nach Eröffnung des Rückerstattungsverfahrens beim Finanzamt ab und nahm stattdessen eine Stelle als Geschäftsführerin eines anderen Modegeschäfts an.79 Weil es sich um einen besonders schweren Fall der Entziehung handelte, war dieser Versuch, sich durch die Aufgabe des Unternehmens den Rückerstattungsforderungen zu entziehen, aber nicht erfolgreich und die in die USA emigrierte Berechtigte Gretel Neugass konnte nach jahrelanger erbitterter gerichtlicher Auseinandersetzung schließlich eine Zahlung für die aus dem Betrieb gezogenen Nutzungen in Höhe von 11.000 DM erstreiten.80 Die Vermögenskontrolle, die über alle der Rückerstattung unterliegenden Unternehmen automatisch verhängt wurde, wirkte sich mitunter ungünstig auf deren Geschäftsentwicklung aus. Auch das konnte die Aussichten der jüdischen Berechtigten gefährden und musste ihre Verfahrensstrategie bestimmen. Die Auswirkungen einer solchen Situation auf den Verlauf der Rückerstattungsverhandlungen lassen sich am Beispiel der Firma Sauer & Braun, ehemals Hermann Manko, verfolgen. Die Vorgänge bei der Übernahme des Unternehmens waren in diesem Fall für den Verlauf des Rückerstattungsverfahrens von großer 78 Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit, 9.9.1948; dass., 28.11.1951, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–1422. 79 Prüfungsbericht über die Treuhändertätigkeit, 25.10.1951, HStAW, Abt. 519/V, VG ­3101–795. 80 Beschluss LG Ffm., 3.7.1956, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 3485.

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Bedeutung. Die Firma Manko war bereits 1895 von Hermann Manko gegründet worden und nach dessen Tod 1922 auf seinen Sohn Max Manko übergegangen, der einige Jahre später seinen Bruder Louis als Teilhaber aufnahm.81 Bis Anfang 1938 konnten sich die jüdischen Inhaber behaupten, dann machte ihnen eine 50-prozentige Kürzung der zugewiesenen Warenkontingente ein weiteres Wirtschaften unmöglich, und sie entschlossen sich zum Verkauf.82 Als Käufer wurden ihnen von der als Vermittlerin fungierenden Dresdner Bank Albert Braun und Fritz Sauer präsentiert, mit denen am 8. Juni 1938 ein Vorvertrag abgeschlossen wurde. Darin war der Kaufbetrag auf 300.000 RM festgelegt.83 Max Manko konnte bereits vor der eigentlichen Übernahme in die Niederlande fliehen und fand dort Arbeit als Angestellter eines Unternehmens. Von dort aus stimmte er den Verkaufskonditionen zu, da sein Bruder Louis nach dem Novemberpogrom verhaftet worden war und andernfalls nicht freigekommen wäre. Der vereinbarte Kaufpreis wurde von Erwerbern noch mehrmals auf schließlich etwa 230.000 RM herabgesetzt, die auf ein Sperrkonto eingezahlt wurden. Ohne finanzielle Mittel gelangten die Brüder Manko nach New York, wo sie ein neues Unternehmen aufbauten.84 Als Max und Louis Manko ihren Rückerstattungsanspruch anmeldeten, forderten sie die Restitution ihres früheren Betriebes, um diesen wieder zu übernehmen. Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens erforderte eine möglichst zügige Entscheidung. Die Erwerber hatten während der Kriegsjahre das Profil des Unternehmens immer stärker umgestaltet und sich vom Handel mit Fahrrad- und Kraftfahrzeugteilen ganz auf die Belieferung der Wehrmacht mit Werkzeugen verlegt. Was in der Kriegszeit kontinuierlich Aufträge gebracht hatte, sorgte in der Nachkriegszeit dafür, dass das Unternehmen mit dieser Ausrichtung keine Absatzmöglichkeiten mehr fand und auf beträchtlichen Warenvorräten sitzenblieb. Als die Umsätze nach der Währungsreform noch einmal gefallen waren, drohten der Entzug der Bankkredite und damit die Stilllegung.85 Weil sich der Ausgang des Rückerstattungsverfahrens noch nicht absehen ließ, hielten sich Lieferanten und Banken zurück.86 Der Betriebsrat der Firma richtete in dieser Situation einen verzweifelten Appell an die Rückerstattungsberechtigten, auf einen beschleunigten Abschluss der Verhandlungen hinzuwirken.87 Dem stand die Blockadehaltung der Pflichtigen Sauer und Braun entgegen, die als Rentiers aus dem Unternehmensvermögen lebten.88 Die 81 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 14.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2143(2). 82 Eidesstattliche Erklärung Max und Louis Manko, 15.2.1948, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 979, darin Akte Wi-Ffm-A 2143(1), Bl. 9. 83 Ebd. 84 RA Goldberg an LG Ffm., 2.4.1952, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 979, Bl. 166. 85 Bericht über die Ordnungsprüfung bei der Fa. Sauer & Braun, 7.9.1950, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–1822. 86 RA Goldberg an LG Ffm., 7.8.1950, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 979. 87 Betriebsrat der Fa. Sauer & Braun an RA Goldberg, 28.1.1950, ebd. 88 RA Goldberg an LG Ffm., 7.8.1950, ebd., Bl. 47 f.

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Brüder Manko machten geltend, dass es sich um eine schwere Entziehung handele, da die Käufer den Verkaufspreis in eigener Initiative willkürlich gesenkt hatten. Die Erwerber hätten hierdurch eine wesentliche höhere Haftung übernehmen, d. h. auch für die Beschädigungen etwa durch Kriegseinwirkung aufkommen müssen, was angesichts des sich bedrohlich gegen Null neigenden Wertes des Unternehmens von erheblicher Bedeutung war. Demgegenüber lehnten die Pflichtigen zwar eine Rückerstattung des Unternehmens nicht grundsätzlich ab, bestritten aber vehement ein sittenwidriges Verhalten während der Verkaufsverhandlungen. Da es sich ihrer Ansicht nach um eine geschäftlich korrekte Übernahme gehandelt habe, stünden ihnen als »loyalen« Erwerbern bei einer Restitution hohe Erstattungen für ihre eigenen Aufwendungen zu. Da sie diese zur Bedingung einer gütlichen Einigung machten, konnte ein Vergleich nicht zustande kommen. Das Verfahren wurde durch die Frage nach dem damaligen Verhalten der Erwerber blockiert, die zu klären eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich gemacht hätte. Die wirtschaftliche Situation ließ den Rückerstattungs­ berechtigten hierzu keine Zeit. Um einen gerichtlichen Beschluss zu erreichen, der ihnen das Unternehmen grundsätzlich wieder zusprach, mussten sie die Frage einer schweren Entziehung zunächst offenlassen. Nachdem auf diese Weise ein Teilbeschluss, der nur die Restitution selbst betraf, erwirkt werden konnte, wurde das Unternehmen an die Berechtigten zurückerstattet. Die Forderungen nach Herausgabe der Nutzungen und nach Haftungsentschädigung, welche die Pflichtigen mit der Forderung nach Erstattung ihrer Aufwendungen konterten, versprachen keine Aussicht auf Erfolg, zumal Fritz Sauer und Albert Braun über keine finanziellen Mittel verfügten. Die Brüder Manko erhielten daher ein nahezu konkursreifes, immer noch stark kriegsgeschädigtes Unter­ nehmen zurück.

3. Verfolgung, Zwang und Gewalt in der Rückerstattung Ihre wirtschaftliche Notlage oder die des strittigen Unternehmens zwang die Rückerstattungsberechtigten oftmals, einen schnellen Abschluss auch unter der Bedingung zu suchen, dass die Umstände der Entziehung nicht adäquat ge­w ürdigt werden konnten. Viele Übernahmen jüdischer Unternehmen waren von persönlich ausgeübtem Druck, von offener Erpressung, Denunziation und Gewalt begleitet. In welcher Weise und in welchem Maße wurde das in der Rückerstattung zur Sprache gebracht und aufgearbeitet? Und welche Folgen hatte es für die »Ariseure«? Im Verfahren um die Firma Hermann Manko wurde die Frage nach dem schuldhaften Verhalten der Erwerber in mehreren Foren mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen debattiert. Parallel zum Rückerstattungsverfahren hatten sich nämlich die jüdischen Emigranten in das Entnazifizierungsverfahren 292 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

von Fritz Sauer eingeschaltet und belastende Zeugenaussagen bei der zuständigen Spruchkammer eingereicht. Das zugrundeliegende Befreiungsgesetz von 1946 nahm auch Akte individueller Bereicherung im Zusammenhang mit der Judenverfolgung in den Blick.89 Nach Artikel 9, I des Gesetzes war als »Nutznießer«, mithin als Belasteter einzustufen, wer »aus der Gewaltherrschaft der NSDAP […] durch seine politische Stellung oder seine politischen Beziehungen für sich oder andere persönliche oder wirtschaftliche Vorteile in eigensüchtiger Weise herausgeschlagen hat.« In Artikel 9, II, 3 hieß es noch präzisierend, dass als Nutznießer insbesondere gelten solle, »wer auf Kosten der politisch, religiös oder rassisch Verfolgten unmittelbar oder mittelbar, insbesondere im Zusammenhang mit Enteignungen, Zwangsverkäufen und dergleichen übermäßige Vorteile für sich oder andere erlangte oder erstrebte.« Diese Formulierungen waren weitreichend, allerdings orientierten sich die Spruchkammern an anderen Maßstäben als die Wiedergutmachungsämter. Fritz Sauer hatte einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer damit beauftragt, das übernommene Warenlager im Lichte der späteren Bilanzen einer nachträglichen Bewertung zu unterziehen. Dieses Gutachten ergab, dass der entrichtete Kaufpreis den Warenwerten entsprach. Nach den Bestimmungen des Rückerstattungsgesetzes war das kein hinreichender Beweis für die Angemessenheit des Kaufpreises, da auch der Goodwill des Unternehmens in Rechnung zu stellen war. Die Spruchkammer aber sprach Fritz Sauer von allen Vorwürfen frei, da sie ihm die unterbliebene Goodwill-Zahlung nicht zur Last legte.90 Dieses Urteil wurde auch für das Rückerstattungsverfahren relevant, denn Fritz Sauer versuchte hartnäckig, das Ergebnis der Spruchkammer zu seiner Entlastung in Anschlag zu bringen und damit die Angemessenheit des Kaufpreises zu belegen.91 In verfahrensstrate­ gischer Hinsicht sollte mit dem Beweis der »persönlichen Unschuld« die Rückvergütung des Kaufpreises und die Erstattung der eigenen Aufwendungen erreicht werden.92 Auch sollten die horrenden Haftungskosten abgewehrt werden, die nach Gesetzeslage bei einer »schweren Entziehung« vorgesehen waren. Die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäftes war daher unweigerlich mit der Frage verschärfter Haftung verknüpft. Umstände und Hintergründe der Übernahme ließen sich aber letztlich nicht klären, und das Abschlussdokument des Rückerstattungsverfahrens enthielt keine expliziten Verweise auf das Handeln der Erwerber. Eine ausführliche Verhandlung des Geschehenen, die den jüdischen Berechtigten sichtlich am Herzen lag, wurde verhindert. 89 Gesetz zur Befreiung; zur Entnazifizierung allgemein Fürstenau; Niethammer; für Hessen Schuster; Kropat, Entnazifizierung. 90 Die Spruchkammerakte Fritz Sauers fehlt im entsprechenden Bestand des Hessischen Hauptstaatsarchivs. Das Gutachten findet sich aber in Kopie unter den Prozessmaterialien in HStAW, Abt. 460, 3 Wi K 979. 91 RA Engel an LG Ffm., 12.5.1950, ebd., Bl. 32 f.; Vernehmung in der Rückerstattungssache Manko ./. Sauer und Braun, 25.9.1950, ebd., Bl. 57. 92 RA Engel an LG Ffm., 4.11.1950, ebd., Bl. 68 f.

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In manchen Verfahren allerdings entspannen sich erbitterte Debatten über den genauen Hergang des Geschehens und das individuelle Verhalten der Beteiligten, die sich retrospektiv kaum auflösen lassen. Der Fall der Firma Dr. M. Albersheim ist hierfür ein Beispiel. Diese wurde im Jahre 1892 von Moritz Albersheim gegründet, der 1905 seinen Neffen Walter Carsch als Gesellschafter aufnahm. Nach dem Tod des Gründers 1932 hatte dessen Enkelin Erna Albers­ heim die Hälfte der Gesellschaftsanteile übernommen. Ursprünglich ein Detailgeschäft für Parfüme und Drogeriewaren, wandte sich das Unternehmen bald auch der Herstellung kosmetischer Artikel zu, insbesondere von Rasierund Hautcreme, die unter den Markennamen Peri und Khasana vertrieben wurden. Nachdem die Umsätze im Jahr 1930 über 3 Mio. RM betragen hatten, brachen sie bereits während der Weltwirtschaftskrise um fast ein Drittel ein, um dann 1934 mit 1,8 Mio. RM einen Tiefpunkt zu erreichen. Seitdem stiegen sie langsam wieder an, ohne aber wieder an das Vorkrisenniveau heranzukommen. Bereits seit 1933 hatte Walter Carsch Kaufangebote von verschiedener Seite erhalten, die er aber zunächst ablehnte.93 Erst der Diskriminierungsschub zum Jahreswechsel 1937/38 führte dazu, dass er und Erna Albersheim sich zum Verkauf entschlossen. Die im Raume stehende Veräußerung eines so bedeutenden Unternehmens rief indessen eine Vielzahl von Akteuren auf den Plan. Der hessische Gauwirtschaftsberater Eckardt widmete sich ausführlich den laufenden Verhandlungen, die Frankfurter Filialen der Dresdner Bank und der Deutschen Bank betätigten sich intensiv als Vermittler. Mehrere Kaufinteressenten, darunter das Berliner Unternehmen Byk-Guldenwerke, das bereits die Frankfurter Arzneimittelfabrik Dr. R. & Dr. O. Weil übernommen hatte, wurden durch den Gauwirtschaftsberater abgelehnt, weil dieser Konzentrationstendenzen entgegenwirken wollte und eine oder mehrere Einzelpersonen als Käufer bevorzugte.94 Nachdem Walter Carsch mit einem anderem Interessenten bereits einig geworden war, erschien unvermittelt ein weiterer Bewerber auf der Szene. Wilhelm Korthaus war bereits seit Jahren in leitender Stellung in verschiedenen Auslandsabteilungen des IG Farben-Konzerns tätig gewesen und in seinem Wunsch, sich nun unternehmerisch selbständig zu machen, von der Deutschen Bank auf die Firma Albersheim aufmerksam gemacht worden. Kurzentschlossen reiste er nach Frankfurt und stellte sich beim Gauwirtschaftsberater als Bewerber vor. Zweifelsohne für die Übernahme qualifiziert, gelang es Korthaus, der auch von den beteiligten Bankhäusern wärmstens empfohlen wurde, sich die Unterstützung der Parteistellen zu sichern.95 Die jüdischen Inhaber wurden vor vollendete Tatsachen ge93 Die Akten des Gerichtsverfahrens fehlen im Bestand des Hessischen Hauptstaatsarchivs; wichtige Dokumente der Auseinandersetzung finden sich aber im Bestand der Jüdischen Gemeinde im Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden Heidelberg; das Folgende v. a. nach: Gutachten in Sachen Walter Carsch/Dr. W. Korthaus, ZA, B. 1/13, 1416, S. 11–19. 94 Ebd., S. 19 f. 95 Dresdner Bank an Gauwirschaftsberater, 29.10.1938, ZA, B. 1/13, 1416, Bl. 58 f.

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stellt und hatten keine andere Wahl, als Korthaus zu akzeptieren. Auch was den Wert der Gesellschaftsanteile anbetraf, bestand kein Verhandlungsspielraum; es wurde ein von den Genehmigungsinstanzen in Auftrag gegebenes Gutachten zugrunde gelegt. Die Übernahme verkomplizierte sich aber dadurch, dass Erna Albersheim neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß. Während Walter Carsch nichts anderes übrig blieb, als mit Vertrag vom Oktober 1938 seine Anteile für 350.000 RM an Wilhelm Korthaus zu veräußern, besaß sie daher eine etwas stärkere Verhandlungsposition, die sie offensiv ausspielte, indem sie mit der Einschaltung der US-Botschaft drohte.96 Erna Albersheim konnte durchsetzen, auch nach der Übernahme durch Korthaus für drei Jahre in dem Unternehmen zu verbleiben, indem ihre Gesellschaftsanteile in eine Kommanditeinlage von 200.000 RM umgewandelt wurden. Zunächst weiterhin im firmeneigenen Ladengeschäft in der Kaiserstraße als Geschäftsführerin tätig, kehrte sie allerdings schon im Frühjahr 1939 von einer USA-Reise nicht mehr nach Deutschland zurück. Im Laufe des Jahres 1941 zahlte Wilhelm Korthaus ihren Kapitalanteil auf ein deutsches Sperrkonto aus und wurde damit endgültig alleiniger Eigentümer des Unternehmens. In dem 1949 beginnenden Rückerstattungsverfahren wurde über das Verhalten von Wilhelm Korthaus während der Übernahme erbittert gestritten. Zwar unterschied den anerkannten Kaufmann Korthaus sicherlich einiges von den brutalen Profitjägern, wie sie nach dem Novemberpogrom auf den Plan traten. Andererseits scheint die Charakterisierung als »stiller Teilhaber« des NS-Regimes, der nur die ihm durch die Judenverfolgung gleichsam in den Schoß fallenden Möglichkeiten nutzte, auch nicht auf ihn zuzutreffen. Er hatte sich in eigener Initiative in bereits vor dem Abschluss stehende Übernahmeverhandlungen hineingedrängt, ohne sich die Mühe zu machen, mit den jüdischen Verkäufern überhaupt in Kontakt zu treten. Den amtlich festgestellten Kaufpreis akzeptierte er zwar ohne Weiteres, nutzte aber die Rechtlosigkeit von Walter Carsch aus, indem er für Zerstörungen des Novemberpogroms kurzerhand 25.000 RM vom Kaufpreis einbehielt.97 Die jüdischen Rückerstattungsberechtigten machten vor diesem Hintergrund mit Nachdruck geltend, dass es sich um eine schwere Entziehung handele. Walter Carsch sandte ein ausführliches Schreiben mit schweren Anschuldigungen an den Prüfungsausschuss für Arisierungsfragen und erreichte, dass ein Treuhänder seines Vertrauens für den Betrieb bestimmt wurde. Mit Erna Albersheim zusammen versuchte er, das Geschehen um die Übernahme als Belastungsmoment im Spruchkammerverfahren von Wilhelm Korthaus vor­ zutragen und dessen schon ergangene Einstufung als Mitläufer anzufechten. Darüber hinaus drohte er Korthaus mit einer zivilen Klage wegen Betrugs.98 Dieser wiederum stritt mit Vehemenz alle erhobenen Vorwürfe ab und entfal96 Aktennotiz der Dresdner Bank betr. Arisierung Dr. M. Albersheim, 22.8.1938, ebd., Bl. 57. 97 Wilhelm Korthaus an Walter Carsch, 13.12.1938, ebd., Bl. 65. 98 RA Küpper an Wilhelm Korthaus, 25.6.1949, ZA, B. 1/13, 1415, Bl. 23.

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tete seiner­seits eine emsige Gegenaktivität, indem er ausführliche und materialreiche Darlegungen seiner Sicht ausarbeitete. Weil Carsch und Albersheim mit ihrem Rückerstattungsanspruch nicht auf eine Geldzahlung, sondern auf eine Restitution des Unternehmens in natura zielten, um dessen Leitung wieder zu übernehmen, war die Frage einer schweren Entziehung und der damit verbundenen Haftung nicht von prinzipieller Relevanz. Während der Verhandlungen unter den Parteienvertretern äußerte der Rechtsanwalt von Wilhelm Korthaus gegenüber seinem Kollegen, »dass eine Diskussion über die rechtliche und praktische Situation zwecklos sei, da man sich hierüber doch nicht einigen würde«, und plädierte dafür, sich lieber auf verschiedene konkrete Vergleichslösungen zu konzentrieren.99 Im Dezember 1949 konnten sich die Parteien auf die Rückgabemodalitäten einigen, ohne dass die Umstände der Übernahme weiter thematisiert wurden. Die eigentliche Bühne war auch in diesem Fall das Spruchkammerverfahren, wo aufgrund der Initiative der jüdischen Akteure eine ausführliche Erörterung stattfand. Diese konzentrierte sich vor allem auf die Art und Weise, in der sich Wilhelm Korthaus gegen die anderen Kaufinteressenten durchgesetzt hatte. Für die Spruchkammervertreter war es die alles entscheidende Frage, ob Korthaus »durch seine politische Stellung oder seine politischen Beziehungen«, wie es im Befreiungsgesetz hieß, zum Zuge gekommen sei. Eine politische Stellung hatte er als unterstützendes, aber nicht aktives SS-Mitglied nicht besessen, erst nach der Übernahme war er 1940 in die NSDAP eingetreten. Weil er dem hessischen Gauwirtschaftsberater vor den Verhandlungen auch nicht bekannt gewesen war, schloss die Spruchkammer, dass seine fachliche Eignung, jedenfalls aber keine politischen Kontakte zu seinen Gunsten gesprochen hätten. Daher glaubte die Kammer die Frage, ob ein angemessener Kaufpreis gezahlt worden sei, gar nicht erst prüfen zu müssen.100 Der Urteilsspruch lief also darauf hinaus, dass nur, wer mit Hilfe seines politischen Einflusses Vorteile aus der Judenverfolgung zu erlangen wusste, als Belasteter zu verstehen sei – wer die Rechtlosigkeit jü­ discher Bürger für sich auszunutzen wusste, ohne über solchen Einfluss zu verfügen, war hingegen nicht zu belangen. Wie verliefen die Aufklärung und Aufarbeitung von »Arisierungen«, bei denen Zwang und Erpressung so offensichtlich waren, dass sie weder entkräftet noch ausgeblendet werden konnten? Ein Beispiel hierfür bietet der Rück­ erstattungsfall Frieda Birnbaum gegen Oswald Magiera. Der Tonfilmingenieur Oswald Magiera hatte bis 1935 als Angestellter bei der Firma Zeiss-Ikon ge­ arbeitet. Nach seiner Heirat nahm er das Angebot der jüdischen Kinobetreiberin Frieda Birnbaum an, eines der ihr in Frankfurt gehörigen beiden Lichtspieltheater, die Scala-Lichtspiele, zu übernehmen, das diese aufgrund einer Anord-

99 Aktennotiz RA Küpper, 29.7.1949, ebd., Bl. 18–20. 100 Beschluss der Spruchkammer Ffm. vom 28.5.1948, ebd., Bl. 38–46; den Widerspruch Walter Carschs lehnte die Berufungskammer mit Beschluss vom 21.2.1949 ab; ebd., Bl. 25–29.

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nung der Reichskulturkammer zwangsweise veräußern musste.101 Am 4. September 1935 wurde in einem Übernahmevertrag ein Kaufpreis von 80.000 RM vereinbart.102 Bald nach der Übernahme sah sich Magiera jedoch in seinen unternehmerischen Hoffnungen enttäuscht, da das Kino nur einen Bruchteil des erwarteten Umsatzes erwirtschaften konnte. Es erwies sich als Nachteil, dass die von ihm übernommenen Scala-Lichtspiele von den Verleihfirmen nur Filme zu Zweitvorführungen angeboten bekamen. Frieda Birnbaum, die noch im Besitz der Hansa-Lichtspiele geblieben war, hatte das dadurch kompensiert, dass sie Filme für ihre beiden Kinotheater zusammen erworben und dort abwechselnd vorgeführt hatte. Oswald Magiera fühlte sich betrogen und warf der jüdischen Verkäuferin »blanken Wucher«103 vor. Um den Vertrag rückgängig zu machen, schaltete er die Staatsanwaltschaft beim Landgericht ein. Frieda Birnbaum wurde daraufhin polizeilich festgehalten und kam erst nach der Zusage, 20.000 RM vom Kaufpreis zurückzuzahlen, wieder auf freien Fuß. Magiera war in der Zwischenzeit zu einer neuen Lösung gekommen. Frieda Birnbaum sollte ihm ihre beiden Kinotheater verkaufen, da nur ihr gleichzeitiger Betrieb die erwähnten lizenztechnischen Vorteile bieten konnte. Drei Tage nach der Verhaftung der jüdischen Unternehmerin wurde ein neuer Kauf­ vertrag geschlossen und für beide Lichtspielhäuser zusammen ein Kaufpreis von 70.000  RM festgesetzt. Magiera hatte allerdings Mühe, den Betrag aufzubringen und musste sich zu ungünstigen Konditionen verschulden. Zudem stellten sich die erhofften unternehmerischen Erfolge auch nach Übernahme beider Kinotheater nie wirklich ein. Noch immer war Magiera daher der Meinung, »daß bei der ganzen Transaktion die Gläubigerin ein glänzendes und der Schuldner ein sehr schlechtes Geschäft gemacht hatte.«104 Endgültig deprimierend wurde die Situation, als 1938 der Vermieter der Säle, in denen die beiden Kinotheater betrieben wurden, diese einem finanzkräftigeren Kinounternehmen überlassen wollte und Magiera den Mietvertrag kündigte. Abermals hatte der mit seinen Plänen Gescheiterte keine Skrupel, die jüdische Vorinhaberin für seinen Schaden aufkommen zu lassen. Drei Jahre nach dem Abschluss des Geschäftes wandte er sich an die Frankfurter Gestapo, um Frieda ­Birnbaum ein weiteres Mal des Betruges anzuklagen und von ihr eine nochmalige Minderung des Kaufpreises zu verlangen. Diese sah sich gezwungen, noch einmal 23.000 RM an Magiera zu zahlen. Hierbei handelte es sich schlichtweg um räuberische Erpressung, die nichts mehr mit der Übernahme der Kinotheater, sondern nur mit der misslichen Lage Magieras zu tun hatte. Selbst sein Anwalt musste eingestehen, »dass dieses Verlangen des Schuldners rechtlich nicht mehr in Zusammenhang mit dem Kaufvertrag gebracht werden kann; denn es 101 Eidesstattliche Versicherung Frieda Leroi, verw. Birnbaum, 7.6.1950, HStAW, Abt. 518, 25229, Bl. 21 f. 102 RA Tiffert an AVW, 17.6.1949, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2584, Bl. 7. 103 Ebd. 104 Ebd., Bl. 9.

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waren alle Fristen für Mängelrügen oder Anfechtung abgelaufen.«105 Das Angebot der Pflichtigenpartei lautete daher auf Rückzahlung des Betrages, der im Verhältnis 10:1 abgewertet werden sollte. Mit diesem Vorschlag drang man allerdings nicht durch; Frieda Birnbaum konnte eine Entschädigungszahlung von 36.000 DM erreichen. Der Fall Magiera ist der einzige der untersuchten Fälle, in dem ein »­Ariseur« die Unrechtmäßigkeit seines Handelns – freilich in recht steriler Form und unter stetem Verweis auf seine angebliche Übervorteilung durch die jüdische Verkäuferin – zugab. Weitere Folgen hatte das für ihn nicht: Das Entnazifierungsverfahren endete auch für Magiera glimpflich. Nachdem er anfangs einen Nichtbetroffenen-Bescheid erhalten hatte, wurde erst aufgrund der Anzeige durch Frieda Birnbaum ein Verfahren eröffnet, in dem die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Erwerb der beiden Kinotheater zur Verhandlung standen. Zum entscheidenden Punkt entwickelte sich auch hier ein formaler Aspekt, nämlich die Frage, durch welche Institution der Druck auf Frieda Birnbaum zur teilweisen Rückzahlung des Kaufpreises konkret ausgeübt worden war. Nach Artikel 5, 9 des Befreiungsgesetzes war die Zusammenarbeit mit »Gestapo, SS, SD oder ähnlichen Organisationen« – also den landläufig bekannten Verfolgungsinstanzen – aus Eigennutz oder Gewinnsucht als belastend einzustufen.106 Alle von Magiera berufenen Zeugen gaben an, über diese Frage nichts aussagen zu können, während dieser selbst erklärte, die Sache habe »vor irgendeiner Preisprüfungsbehörde« stattgefunden, er wisse aber »positiv, dass es weder die Gestapo noch der Gauwirtschaftsberater oder eine Parteistelle« gewesen sei.107 Das genügte der Spruchkammer; die Aussage Frieda Birnbaums verwarf man dagegen als unglaubwürdig. Oswald Magiera galt seine individuelle, auch strafrechtlich relevante Schuld gegenüber Frieda Birnbaum de facto mit einer Entschädigungszahlung ab; diese wurde sozusagen in ein finanzielles Schuldverhältnis transformiert. Der zwischen den Parteien ausgehandelte Vergleich enthielt explizit die Bestimmung: »Frau Leroi [verw. Birnbaum] wird gegen Herrn Magiera auch abgesehen von der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen keinerlei Vorwürfe wegen der Vorgänge der Jahre 1935–1938 mehr erheben.«108 Das war offensichtlich mit Blick auf die Anzeige Frieda Birnbaums bei der Spruchkammer formuliert. Mit der von ihr empfangenen Geldzahlung sollte das Geschehene erledigt sein. Auch in einem der krassesten Fälle der »Arisierung« in Frankfurt, der Übernahme der Firma J. Speier, spielte im Rückerstattungsverfahren die Frage der schweren Entziehung eine tragende Rolle. Die Rückerstattungsansprüche der 105 Ebd., Bl. 10 106 Gesetz zur Befreiung, S. 12. 107 Erklärung Oswald Magiera vor der Spruchkammer, o. D., HStAW, Abt. 520 F, Spruchkammerakte Oswald Magiera, Bl. 22. 108 Vergleich vom 25.11.1949, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 2584, Bl. 15 f.

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Familie Speier gingen in mehrere Richtungen: Zum einen forderten die in New York ansässigen Berechtigten die Rückgabe des Unternehmens, das mittlerweile in Hako Hammer KG umbenannt worden war. Ein gesonderter Anspruch richtete sich direkt gegen Heinrich Stumpf, der 1942 wieder aus der Gesellschaft ausgeschieden war und bis dahin mehr als 2,1 Mio. RM in Form von Bar­beträgen und mehreren firmeneigenen Grundstücken aus dem Betrieb entnommen hatte.109 Obwohl die Brutalität und Skrupellosigkeit, mit der gegen die jüdischen Unternehmer vorgegangen worden war, ins Auge sprangen und bereits 1938 für öffentliches Aufsehen gesorgt hatten, wehrten sich die Rück­ erstattungspflichtigen Hammer und Stumpf hartnäckig nicht nur gegen die von den jüdischen Berechtigten vorgetragene Darstellung der Ereignisse, sondern sogar gegen die Entziehungsvermutung als solche. Sie behaupteten, die Firma sei zum Zeitpunkt der Übernahme bereits konkursreif, die Einrichtungen seien veraltet, die Filialen nach dem Novemberpogrom vielfach zerstört und stillgelegt gewesen. Das Unternehmen hätte im Übrigen einen üblen Ruf gehabt und sich nur durch den »Verkauf billigster Produkte« über Wasser gehalten.110 Erst ihr eigenes Engagement und ihre Tatkraft hätten aus dem Betrieb etwas gemacht. Diese Behauptungen mussten sich allerdings angesichts der ans Licht gekommenen internen Übernahmebilanz, welche die neuen Inhaber nach dem Erwerb erstellt hatten, als unverfrorene Verdrehungen entpuppen. Denn die eigenen Berechnungen der Erwerber ergaben einen Unternehmenswert von weit über 2 Mio. RM. Auch die Familie Speier engagierte sich in den Spruchkammerverfahren gegen die Rückerstattungspflichtigen. Sie hielten Heinrich Stumpf für den Hauptverantwortlichen für die Drohungs- und Erpressungsmaßnahmen während der Übernahme. Die Verteidigung des Angeklagten lief darauf hinaus, die Repressalien der Gestapo seien unabhängig von seinen Kaufabsichten passiert und hätten sich nur zufällig zu seinen Gunsten ausgewirkt.111 Tatsächlich hatte keiner der Käufer selbst eine Drohung ausgesprochen; Urheberschaft und Befehlswege bei den Aktivitäten der Gestapo ließen sich nicht mehr rekonstruieren. So wurden auch Heinrich Stumpf und Hans Hammer in ihren Spruchkammerverfahren von allen Vorwürfen entlastet. Das war aber nur noch unter offenkundiger Leugnung von Tatsachen und Wahrscheinlichkeiten zu bewerkstelligen. Im Verfahren gegen Heinrich Stumpf betrachtete die Spruchkammer die jüdischen Emigranten als unglaubwürdige Zeugen, da sie nur einseitig über das Geschehen informiert seien.112 Man kam zu der Feststellung, dass Heinrich Stumpf bei der Übernahme nur als Geldgeber mitgewirkt und am Zustandekommen 109 RA Barz an LG Ffm., 23.9.1949, ebd., Bl. 124–127. 110 RA Eigel an LG Ffm., 2.5.1949, ebd., Bl. 28–52. 111 RA Geidel und Mannhart an LG Ffm., 31.5.1949, ebd., Bl. 89–92. 112 Die Spruchkammerakte Heinrich Stumpfs fehlt im entsprechenden Bestand des Hessischen Hauptstaatsarchivs. Der Beschluss der Kammer Frankfurt a. M. vom 8.5.1948 findet sich aber in Kopie unter den Prozessmaterialien, HStAW, Abt. 460, 2 Wi K 213, darin Akte Wi-Fm-A 389.

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des Kaufvertrages keinen Anteil gehabt habe. Stumpf wurde in die Gruppe der Minderbelasteten eingestuft und mit einer Sühnezahlung von 2.000 RM belegt. Auch er versuchte anschließend, diese vermeintliche Unschuldsbescheinigung im Rückerstattungsverfahren offensiv zu verwenden. Mit Hans Hammer, gegen den als »altem Kämpfer« außer der brutalen Übernahme noch seine Parteiämter und seine engen Verbindungen zur NS-Führungsspitze sprachen, erwischten die Mühlen der »Mitläuferfabrik« einen etwas schwerer verdaulichen Brocken. Bereits seit zwei Jahren im Zuge des »Automatic Arrest« durch die amerikanische Besatzungsmacht im Straflager Darmstadt interniert, wurde er Anfang 1948 in die Kategorie 2 der Belasteten eingestuft und zu fünf Jahren Arbeitslager und vollständiger Vermögenseinziehung verurteilt. Die Bestimmungen des Befreiungsgesetzes zur NS-Nutznießerschaft sah man als erfüllt an, nicht aber zweifelsfrei geklärt, ob Hammer die Verhaftung der Brüder Speier persönlich veranlasst habe.113 Die Berufungskammer stufte ihn ein halbes Jahr später in die Kategorie 3 der Mitläufer zurück und erlegte ihm drei Jahre Bewährungsfrist auf, die später auf sechs Monate ermäßigt wurde. Alle Vorwürfe bezüglich der »Arisierung« wurden auf einmal als widerlegt angesehen, ohne dass es zu einer weiteren Erörterung gekommen wäre. Das Befreiungsministerium, das hartnäckig für eine Verurteilung Hammers kämpfte, hob diesen Spruch mehrmals auf; dennoch stellte die Zentralberufungskammer in Hessen im Juli 1950 das Verfahren ein, da die Voraussetzungen zur Einstufung in die Gruppen 1 oder 2 nicht vorlägen.114 Die mittlerweile zerstrittenen »­Ariseure« hatten sich in ihren Verfahren gegenseitig belastet, was den Effekt hatte, dass ihre Aussagen jeweils als unglaubwürdig angesehen wurden. Während sich die eine Spruchkammer darauf verlegte, Hans Hammer sei der Hauptakteur der »Arisierung« gewesen und Heinrich Stumpf habe alles nur am Rande mitbekommen, stellte die andere das Gegenteil fest. Für die Frage der Rückerstattung waren die Entlastungen aus den Ent­ nazifizierungsverfahren nach Gesetzeslage nicht relevant, da eine schwere Entziehung bereits vorlag, wenn individueller Zwang mit Wissen und zu Gunsten des Käufers ausgeübt wurde, ohne dass dieser hieran auch persönlich beteiligt gewesen sein musste. Das Landgericht Frankfurt stellte in seinem ersten Teilbeschluss eine schwere Entziehung fest, da Hans Hammer und Heinrich Stumpf von dem ausgeübten Zwang zumindest gewusst haben mussten.115 Während das Unternehmen selbst in einem komplexen Vergleich im Juni 1950 an die Vor­ inhaber rückerstattet und dabei gleichzeitig in die HAKO Schuh AG umgewandelt wurde, verurteilte das Gericht Stumpf darüber hinaus zur Herausgabe der von ihm entnommenen Mittel und zu einer Haftungsentschädigung. Der Ver113 Beschluss der Spruchkammer, 31.1.1948, HStAW, Abt. 520 F, Spruchkammerakte Hans Hammer, Bl. 203–208. 114 Beschluss Berufungskammer, 2.  Senat, 13.5.1949, ebd., Bl.  339–346; Beschluss Zentral­ berufungskammer Hessen, 24.7.1950, ebd., Bl. 432. 115 Teilbeschluss LG Ffm., 1.4.1950, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 213, Bl. 156–167, hier Bl. 164.

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gleich enthielt als letzten Punkt allerdings die Bestimmung: »Der dem bisherigen Antragsgegner Stumpf von den Antragstellern in dem bisherigen Verfahren gemachte Vorwurf der schweren Entziehung wird zurückgenommen.«116 Das war eigentlich widersinnig, weil ein rechtskräftiger Gerichtsbeschluss die Tatsache einer schweren Entziehung bereits festgestellt hatte. Offenbar war jedoch mit dem Pflichtigen eine rasche Einigung nur mit dem Zugeständnis dieser salvatorischen Formel zu erreichen gewesen. Es handelte sich nicht nur um ein symbolisches Zugeständnis; vielmehr ist zu vermuten, dass Rückerstattungspflichtige auf einem solchen Passus, der sich des Öfteren in den Schlussdokumenten findet, bestanden, um für spätere Entschädigungszahlungen durch den deutschen Staat die notwendige Grundlage zu schaffen. Das Ziel des Rückerstattungsgesetzes, die rasche und möglichst im Wege gütlicher Einigung erfolgende Rückgabe von Vermögen, stand einer Aufarbeitung der verbrecherischen Umstände vieler Übernahmen jüdischer Unternehmen während der NS-Zeit zum Teil eher entgegen als sie zu befördern. Vergleichslösungen waren angesichts des hartnäckigen Widerstandes vieler Pflichtiger oftmals nur unter Verzicht auf die Benennung von Unrecht und Schuld möglich. Selten wurde der Tatbestand der schweren Entziehung tatsächlich festgestellt und nach den Vorschriften verfolgt. Im Verfahren um die bereits mehrfach genannte Firma Hilda Schiff Nachf. war die erbitterte Leugnung der Tatsachen durch die Rückerstattungspflichtige dafür verantwortlich, dass die Angelegenheit über mehrere Jahre vor der Wiedergutmachungskammer des Landesgericht verhandelt und dabei eine Vielzahl von Zeugen vernommen werden musste. Indem die Pflichtige Thea Mohr alle Vorwürfe pauschal abstritt, versuchte sie, von ihrer Rolle abzulenken und vielmehr die Frage des Wertes des Unternehmens in den Mittelpunkt des Verfahrens zu rücken. Sie wollte nachweisen, dass das Hutgeschäft schon seit mehreren Jahren im Grunde wertlos gewesen sei, so dass der gezahlte Kaufpreis von 2.000 RM als angemessen gelten könne. Diese Behauptung wurde allerdings durch die Tatsache konterkariert, dass sie nur wenige Jahre später für die Kriegsschäden an dem Geschäft mehr als 20.000 RM Schadensersatz erhalten hatte. Dennoch glaubte sie gerade diese Kriegsschäden noch zusätzlich gegen die Legitimität des Rückerstattungs­ anspruches anführen zu können, denn sie »musste den Krieg und die Bombenangriffe erleben und den völligen Vermögensverlust erleben, was der Antragstellerin erspart geblieben ist. Denn es ist unstreitig, dass in den Vereinigten Staaten von Amerika Personen besser gelebt haben, als die Bevölkerung von Deutschland, zumal sie weder Bombenangriffe noch Vermögensverluste, noch sonstige Sachschäden hinnehmen mussten.«117 Es war diese durchaus zeit­ typische Stilisierung der Rückerstattungspflichtigen zum eigentlichen Opfer des Zeitgeschehens, die es der jüdischen Überlebenden Gretel Neugass menschlich unmöglich machte, in Verhandlungen zu einer gütlichen Einigung einzu116 Vergleich vom 28.9.1950, ebd., Bl. 193–197, hier Bl. 197. 117 RA Ruge an LG Ffm., 3.8.1954, HStAW, Abt. 460, 3 WiK 3485, Bl. 96–102, hier Bl. 101.

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treten.118 Obwohl auf die Wiedergutmachungsleistungen dringend angewiesen, bestand sie daher auf einem Gerichtsbeschluss, der die Umstände der Übernahme offiziell klarstellte und schließlich im Juli 1956 erging. Wenn es tatsächlich zur Entscheidung über eine schwere Entziehung kam, war die Rechtslage im Grunde eindeutig. Im Verfahren um die Übernahme der Schmuckhandelsfirma Adolf Mayer sen. traten erneut die Gerichte auf den Plan, weil sich auch hier die Pflichtigenpartei hartnäckig einer Einigung verweigerte. Nachdem gegen den im Sommer 1938 ins Ausland geflohenen jüdischen Inhaber Adolf Mayer ein Devisenstrafverfahren eingeleitet und im Februar 1939 ein Treuhänder für das zurückgelassene Unternehmen eingesetzt worden war, hatten die in der gleichen Branche tätigen Kaufleute und Brüder Kurt und Heinz Zwernemann von diesem das Warenlager und die Einrichtungsgegenstände für 42.000 RM erworben und den Kaufpreis an die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gezahlt, da das Vermögen Mayers beschlagnahmt war. Die Pflichtigenpartei sah hierin einen normalen Geschäftsvorgang. Das Verfahren drehte sich vor allem um die Frage, ob die Erwerber wussten oder hätten wissen müssen, dass der Verkauf des Unternehmens durch Verfolgungsmaßnahmen zustandekam. Heinz Zwernemann – sein Bruder Kurt war 1942 gefallen – behauptete, er habe von Judenverfolgung und Beraubungspolitik als Kontext der Übernahme zu keinem Zeitpunkt »auch nur eine Ahnung gehabt« und monierte, die Gegenseite schreibe ihm eine »politische Vorausschau« zu, »die damals der Durchschnittbürger gar nicht haben konnte.«119 Das sahen die Gerichtsinstanzen anders. Schon die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts stellte fest, dass es sich bei der de-facto-Übernahme um einen sittenwidrigen Geschäftsvorgang gehandelt habe, weil »die zwangsweise Liquidation einer Firma, deren Inhaber durch Terrormaßnahmen zur Flucht ins Ausland gezwungen wurde, gegen das Anstandsgefühl und Gerechtigkeitsgefühl jedes anständigen Menschen verstößt.« Von diesen Begleitumständen habe jeder zur damaligen Zeit im Geschäftsleben Tätige gewusst und sei daher haftbar zu machen: »Käufer, die sich unter solchen Umständen […] und in Erkenntnis der geschilderten Sachlage zum Kaufabschluss herbeiließen, nahmen an der planmäßigen staatlichen Ausplünderung des jüdischen Bevölkerungsteils mit teil.«120 Das bekräftigte auch der mittels Beschwerde angerufene Zivilsenat des Oberlandesgerichts.121 Die Gerichtsinstanzen konnten sich auf eine Vielzahl maßgeblicher Urteile bis hin zum obersten Rückerstattungsgericht der US-Zone berufen, die eine solche Sichtweise bestätigten. Es hatte sich eine Rechtssprechung etabliert, welche in Bezug auf Verfolgung und Gewalt bei Besitztransfers von jüdischen in 118 RA Moses an RA Lewald, 25.5.1955, ebd., Bl. 128 f. 119 RA Landfried an LG Ffm., 15.9.1952, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 495, Bl. 214–220, hier Bl. 215 und 218. 120 Beschluss LG Ffm, 12.8.1952, ebd., Bl. 192–206, hier Bl. 199 f. 121 Beschluss OLG Ffm., 31.3.1953, ebd., Bl. 254–260.

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nicht-jüdische Hände während der NS-Zeit eine eindeutige Sprache pflegte und auch die individuelle Verstrickung in dieses Geschehen klar beim Namen nannte.122 Die Sphäre der Rechtssprechung bildete aber eine Art Parallelwelt zu den gesellschaftlich vorherrschenden Anschauungen wie sie sich nicht zuletzt in den Entlastungs- und Verdrängungspraktiken der Spruchkammerverfahren niederschlugen. Diese erwiesen sich als vollkommen ungeeignet für die Ahndung von unrechtmäßiger Bereicherung und Nutznießertum im Rahmen der Judenverfolgung.123 Die Initiativen jüdischer Verfolgter wurden oftmals beiseite­gewischt und ihre Aussagen pauschal für unglaubwürdig erklärt. Die Tätergesellschaft schloss sich hier regelrecht gegen die überlebenden Verfolgten zusammen und grenzte diese aus der Aufarbeitung des Geschehens aus. Die Entlastungs­urteile der Spruchkammerverfahren hatten Auswirkungen auf die Wiedergutmachungsbemühungen, weil sie die Rückerstattungsverhandlungen oftmals zuungunsten der jüdischen Berechtigten in die Länge zogen und die Pflichtigen in ihrer Auffassung bestärkten, zu Unrecht beschuldigt und zur Verantwortung gezogen zu werden. Zwar war die Aufarbeitung der »Arisierung« nicht die Hauptzielsetzung der Entnazifizierungsbemühungen und sollte nicht als zentraler Maßstab zu ihrer Beurteilung herhalten.124 Es wird aber deutlich, dass materielles Nutznießertum im Kontext der Judenverfolgung im Verständnis der Mehrheit kein politisch belastendes Moment war. Auch im Umgang mit einigen zentralen Akteuren der »Arisierung« in Frankfurt und Hessen zeigt sich, dass diese Aspekte des NS-Unrechts der deutschen Nachkriegsgesellschaft kaum als bestrafens- oder nur erwähnenswert erschienen.125 Besonders im Fokus einer solchen Aufarbeitung hätte eigentlich der ehemalige Gauwirtschaftsberater Karl Eckardt stehen müssen. Er war bei Kriegsende untergetaucht, wurde erst 1949 aufgespürt und starb 1953 bei einem Auto­ unfall, bevor in irgendeiner Weise gegen ihn vorgegangen worden war.126 Im Spruchkammerverfahren gegen seinen seit 1942 amtierenden Nachfolger Wilhelm Avieny, von 1938 bis 1941 auch Präsidiumsmitglied der IHK, spielte dessen Beteiligung an der »Arisierung« des Fuld-Konzerns eine gewisse Rolle,127 stand jedoch etwa hinter den Vorgängen um die »Gleichschaltung« der Nassau­ ischen Landesbank 1933 eher zurück. Auch im Falle Carl Lüers, neben Eckardt einer der Hauptprotagonisten der »Arisierung« in Frankfurt, trat dieser Aspekt seiner NS-Biographie hinter seinen zahlreichen Aktivitäten auf Reichsebene und als Vorstand der Dresdner Bank in den Hintergrund und spielte im Ent­ nazifizierungsverfahren keine besondere Rolle. Das hätte allerdings wohl kaum etwas daran geändert, dass das Verfahren gegen ihn, der ursprünglich als 122 Vgl. für die Britische Zone Wogersien, S. 248 f. 123 Zu Unternehmern im Spruchkammerverfahren vgl. Bräutigam, S. 365–388 und allgemein Rauh-Kühne, Unternehmer sowie Schanetzky. 124 Vgl. die methodischen Hinweise bei Rauh-Kühne, Entnazifizierung, S. 36. 125 Vgl. auch Henke, Grenzen, S. 127–133. 126 Meinl/Zwilling, S. 54 f. u. Anm. 20. 127 Aussage Friedrich Sperl, 25.8.1948, HStAW, Abt. 520 F, 6152, Bd. 1, Bl. 211–219.

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Hauptschuldiger eingestuft und als mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Nürnberg interniert worden war, 1950 eingestellt wurde.128 Auch für den stadt­ bekannten »Arisierungsanwalt« Kurt Wirth hatte seine Rolle bei der wirtschaftlichen Verdrängung der jüdischen Unternehmer keine weiteren Folgen. Im ersten Urteil noch aufgrund seiner Funktionen als hohes SS-Mitglied und Leiter des Gaurechtsamtes der NSDAP als Belasteter eingestuft und zu drei Jahren Lagerhaft und teilweiser Vermögenseinziehung verurteilt, legte er hiergegen Berufung ein. Der öffentliche Kläger monierte im anschließenden Verfahren zwar, dass »die Rolle, die der Betroffene bei der Arisierung jüdischen Vermögens gespielt hat, […] eigenartigerweise nicht zum Gegenstand der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gemacht worden« sei.129 Doch hielt dies auch die Berufungskammer weder für eigenartig noch für nötig, hob stattdessen im Juli 1949 den ersten Spruch auf und stufte Wirth als Minderbelasteten ein, um ihn noch im Dezember des gleichen Jahres formlos in die Kategorie der Mitläufer weiterzustufen. Die deutsche Gesellschaft hatte die Bereicherung am Vermögen der jüdischen Bevölkerung ausgesprochen schnell ad acta gelegt und im Unterschied zu einigen anderen Verbrechenskomplexen auch später nicht wieder aufgerollt. Gegen die laufenden Rückerstattungsverfahren hatten sich unterdessen wirkungsvolle individuelle Abwehr- und Rechtfertigungsmuster entwickelt.

4. Abwehrstrategien und Rechtfertigungsmuster Die öffentlichen Einwände gegen die alliierte Rückerstattungsgesetzgebung bezogen sich in der Sache auf einzelne Mängel und Härten, zielten jedoch in Wirklichkeit auf eine Delegitimierung der individuellen Rückerstattung als solcher. Wie wirkte sich dieses gesellschaftliche Klima auf die Rechtfertigungs­ muster und Verteidigungsstrategien der Rückerstattungspflichtigen vor den Ämtern und Gerichten aus? Gerade in Fällen von offenem Raub und Erpressung handelte es sich bei deren Auslassungen oft um plumpe Schutzbehauptungen ohne subjektive Authentizität. Dennoch ist es bezeichnend, dass selbst in den nach Gesetzeslage völlig eindeutigen Fällen aufgrund des hartnäckigen Widerstandes der Pflichtigenpartei nicht selten jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen nötig wurden. Es erweist sich damit auf der Mikroebene einzelner Verfahren, dass die Medienkampagne der Anti-Rückerstattungslobby ihre Wirkung tat und zu einer massiven Abwehrhaltung der Betroffenen beitrug, die wesentlich durch die Erwartung einer künftigen Revision der gesetzlichen Grundlagen genährt wurde. 128 Ahrens, S. 64. 129 Antrag des 1.  öffentlichen Klägers bei der Berufungskammer Ffm., 20.4.1949, HStAW, Abt. 520 F, 6209, Bl. 284 f.

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Jüdische Rückerstattungsberechtigte »hatten sich darauf einzustellen, daß ihre Gegner im gerichtlichen Verfahren ein Bild der Vergangenheit entwarfen, das zu ihren Erfahrungen in diametralem Gegensatz stand.«130 Allerdings waren die Rückerstattungsverfahren keine im freien Raum sich vollziehenden Verständigungsprozesse über die Vergangenheit, sondern durch gesetzliche Normierung und den institutionellen Rahmen, innerhalb dessen sie stattfanden, bestimmt. Beide Parteien schöpften ihre juristischen Spielräume legitimerweise aus. Vertreten wurden sie in nahezu allen Fällen durch bevollmächtigte Anwälte, die sich mit ihren Strategien an den durch das Gesetz gegebenen Möglichkeiten orientierten. Will man die Rückerstattungsverfahren unter dem Gesichtspunkt der in ihnen zutage tretenden Sichtweisen auf das historische Geschehen untersuchen, ergibt sich daher die methodische Schwierigkeit, zwischen den juristisch möglichen Argumentationen und den subjektiven Überzeugungen der Betroffenen zu unterscheiden, zumal diese sich überlagert haben dürften und nur in den schriftlichen Ausführungen der Parteienvertreter überhaupt greifbar werden. Man kann Jürgen Lillteicher darin folgen, dass es sich bei dem vor Ämtern und Gerichten Gesagten zumindest um eine Mischung aus prozessstrategischen Überlegungen und innerer Überzeugung handelte; anders wäre die angesichts der klaren Rechtslage erhebliche Konfliktträchtigkeit der Verfahren nicht zu erklären.131 Um jedoch analytische Zurechnungen zu ermöglichen, bedarf es einer genauen Untersuchung der juristischen Spielräume unter dem Gesichtspunkt, wann die Erörterungen und Argumentationen deren Rahmen verließen und durch ihn nicht mehr allein erklärbar sind. In Artikel 14 des US-Rückerstattungsgesetzes wurde als Rückerstattungspflichtiger »der derzeitige Inhaber der Eigentümerstellung an der entzogenen Sache oder derzeitige Inhaber des entzogenen Rechts oder Inbegriffs von ­Sachen und Rechten« definiert. Während eine solche Eigentümerstellung im Falle von Immobilien oder anderen konkreten Gegenständen nur selten unklar gewesen sein dürfte, war das bei Unternehmen nicht so eindeutig, weil diese aus einer Vielzahl materieller, aber auch immaterieller Werte bestehen, deren Zusammensetzung sich im Laufe der Zeit stetig verändert. Ein erster Ansatzpunkt zur Abwehr von Rückgabeforderungen war daher die Behauptung, das fragliche Unternehmen sei als solches gar nicht übernommen worden bzw. das beanspruchte Unternehmen sei nicht mit dem der jüdischen Vorinhaber identisch. Dieses Argument findet sich ausgesprochen häufig in den Widersprüchen gegen Rückerstattungsanträge. Dabei knüpften die Pflichtigen an den formalen Hergang vieler Übernahmen an. Die nationalsozialistischen Machthaber hatten im amtlichen Genehmigungsverfahren eine Sichtweise etabliert, nach der bei den Übernahmen jüdischer Unternehmen generell nur die materiellen Werte, also insbesondere Warenvorräte und Einrichtungsgegenstände, vergütet werden sollten, während die immateriellen Werte, die üblicherweise 130 Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit, S. 156. 131 Vgl. ders., Raub, S. 211.

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im Begriff des Goodwill gefasst werden, als quasi inexistent anzusehen seien bzw. mit der Übernahme untergingen. Das hatte bereits während der NS-Zeit Diskussionen darüber hervorgerufen, ob Unternehmen, die aus jüdischem Besitz erworben worden waren, die Rechtsnachfolger der jüdischen Vorunternehmen seien oder nicht. Streitigkeiten entstanden, als die Finanzämter des Regierungsbezirks Wiesbaden sich in mehreren Fällen auf den Standpunkt stellten, »arisierte« Unternehmen stellten in steuerrechtlicher Hinsicht keine Neugründungen dar und müssten daher in die laufenden Steuerverpflichtungen der Vorgängerfirma eintreten.132 Nationalsozialistische Juristen traten dieser Auffassung allerdings entgegen. Die Akademie für Deutsches Recht veröffentlichte im Juni 1939 eine Klarstellung, nach der Geschäftsübernahmen aus jüdischem Besitz im Allgemeinen als eine Neugründung anzusehen seien. Die somit entstehenden Unternehmen sollten in keinem Zusammenhang mehr mit den früheren jüdischen stehen.133 Wenn zahlreiche Rückerstattungspflichtige glaubten, diese von der anti­ semitischen NS-Ideologie durchdrungene Lesart habe auch für spätere Zeiten noch Relevanz, sahen sie sich allerdings getäuscht. Denn die zuständigen Ämter und Gerichte entwickelten die eindeutige Haltung, dass es bei der Frage einer Entziehung auf solche formal- und scheinrechtlichen Aspekte nicht ankomme, vielmehr entscheidend sei, ob ein Erwerber ein Unternehmen in seiner wesentlichen Substanz übernommen und weitergeführt habe. Es ist kein Beispiel überliefert, in dem ein Rückerstattungspflichtiger mit dem genannten Argument erfolgreich die Entziehungsvermutung widerlegen konnte. Nicht selten entpuppte sich die Behauptung, das Unternehmen sei gar nicht übernommen worden, ohnehin als reine Schimäre. So meldete die Firma MaschinenKress, die aus der 1938 übernommenen Firma Maschinen-Marx entstanden war, beim Zentralmeldeamt lediglich die Übernahme von »Warenrestbeständen« an. Der im Rückerstattungsverfahren herangezogene Kaufvertrag sprach jedoch eindeutig von der Übernahme des Geschäftes.134 Die Persistenz der nationalsozialistischen Rechtsfiktionen vermischte sich mit plumpen Schutz­ behauptungen. Sofern die Übernahme eines Unternehmens als solche nicht bestritten werden konnte, war die Widerlegung der gesetzlichen Entziehungsvermutung nur möglich, wenn für Verkäufe vor dem 15. September 1935 der Nachweis geführt wurde, dass ein angemessener Kaufpreis gezahlt worden und dieser auch in die freie Verfügung des Verkäufers gelangt war. Für Übernahmen nach Erlass der Nürnberger Gesetze musste nachgewiesen werden, dass die Veräußerung 132 Kreisleitung Wiesbaden an GWB Hessen-Nassau, 21.6.1939, HStAW, Abt. 519/1, 132. 133 Ist anlässlich der Entjudung eines kaufmännischen Betriebes eine Neugründung oder eine Veräußerung ins Handelsregister einzutragen?, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht, Jg. 6, 1939, Heft 12, S. 415–416; vgl. auch Völkischer Beobachter, 21.6.1939, S. 7: »Entjudete Betriebe – Neugründung oder Veräußerung?«. 134 HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 3066.

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auch ohne die NS-Herrschaft erfolgt wäre. Diese gesetzlichen Vorgaben legten es bereits nahe, dass sich die Auseinandersetzung um die Rückerstattungsverpflichtung auf die betriebliche Entwicklung und Situation des erworbenen Unternehmens konzentrieren werde. Monierte der jüdische Rückerstattungs­ berechtigte einen zu niedrigen Kaufpreis, ließ sich demgegenüber nur anführen, dass der Wert des erworbenen Unternehmens entgegen der Auffassung des Veräußerers diesen Kaufpreis nicht überstiegen habe; er musste also möglichst gering dargestellt werden. Sollte der fehlende Zusammenhang der Geschäftsübernahme mit der NS-Herrschaft belegt werden, blieb ebenfalls einzig die Möglichkeit, eine von der Verfolgungssituation unabhängige unzureichende Ertragsfähigkeit des Unternehmens nachzuweisen, die zur Veräußerung gezwungen habe. Es verwundert daher nicht, wenn sich in fast allen streitigen Rückerstattungsfällen der Fokus auf diese Aspekte richtete und völlig abweichende Angaben von den jeweiligen Parteien gemacht wurden. Die Tendenz unter den Rückerstattungspflichtigen, den erworbenen Vermögensgegenständen einen möglichst geringen Wert zuzuschreiben, nahm allerdings flächendeckend derart haarsträubende Züge an, dass die Allgemeine Wochenzeitung dies schon 1950 zum Thema eines wütenden Artikels machte.135 Für jüdische Rückerstattungsberechtigte musste es schwer erträglich sein, die von ihnen aufgebauten und geführten Unternehmen als wertlos abgestempelt zu sehen. So setzte im Rückerstattungsverfahren um die Firma Offen­ bacher Lederwaren, die 1936 von einem Unternehmen der gleichen Branche über­nommen worden war, die Pflichtigenpartei das Objekt in fast schon grotesker Weise herab: »Sein Laden war höchst primitiv eingerichtet und von einem ›Waren­lager‹ konnte man schwerlich reden. […] Die alten Ladenhüter waren auf Gestellen untergebracht, die aus ungehobelten Brettern bestanden, welche mit billigstem Futterstoff überzogen waren. Dem damals vollkommen unmodernen Warenbestand entsprach auch die einmalige Primitivität dieser ›Einrichtung.‹«136 Auffällig an solchen Ausführungen ist, dass sie die Rechtsposition der Rückerstattungspflichtigen gar nicht unbedingt stützten. Denn es stellte sich stets die Frage, warum die Betreffenden trotz der offenkundigen Wertlosigkeit die Objekte dennoch gekauft hatten, was ihre Argumentation nicht eben glaubwürdig erscheinen ließ. Der empörte Befund Jürgen Lill­teichers, dass viele Rückerstattungspflichtige mit ihren Argumentationsversuchen »schon die Grundannahmen des Gesetzes« leugneten, greift zu kurz.137 Es lassen sich hinter diesen Sprechweisen, die prozessstrategisch nicht ohne Weiteres zu erklären sind, vielmehr noch tieferliegende Ansichten und Denkstrukturen aufspüren. 135 Kein Haus, das nicht verwahrlost war. Aus dem Wörterbuch der Ariseure und braunen Profitjäger, in: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Nr. 20, 25.8.1950, S. 5. 136 RA Toepper an LG Ffm., 14.9.1950, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 1452, Bl. 8–12. 137 Lillteicher, Rechtsstaatlichkeit, S. 138.

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Bereits im oben betrachteten Fall der Käsegroßhandlung Samuel Bieler hatte der Rückerstattungspflichtige Walter Weiser den Standpunkt eingenommen, keinesfalls einen zu geringen Kaufpreis entrichtet zu haben, während er das Vorliegen einer Entziehung nach Maßgabe des Rückerstattungsgesetzes nicht in Abrede stellte. Jedoch habe er »ein völlig wertloses Geschäft übernommen, wie die Entwicklung dieses Geschäftes deutlich zeigt.«138 Zur Untermauerung dieser Aussage erging sich die Pflichtigenpartei ausführlich über die Probleme der deutschen Käsebranche seit 1938. Bereits zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme seien die von den nationalsozialistischen Planwirtschaftsstellen zu erlangenden Kontingente außerordentlich knapp bemessen gewesen, in der Folgezeit wurden die Zuteilungen sogar noch geringer. Zudem erlaubten die sich verschärfenden Devisenbeschränkungen es bald nicht mehr, Schweizer und holländische Käsesorten in ausreichendem Maße aus dem Ausland einzuführen, um noch angemessene Gewinnspannen zu erzielen. Unter diesen Bedingungen war es dem Erwerber und seiner Frau, die ohne Vergütung im Betrieb mithelfen musste, nicht möglich gewesen, im Zeitraum bis zu seiner Einberufung im Juni 1940 mehr als knapp 4.700 RM, d. h. monatlich 245 RM als Gewinn zu erzielen.139 Diese Argumentation zielte auf den Nachweis, die Käsegroßhandlung Bieler habe zum Zeitpunkt der Übernahme bereits keinen Firmenwert mehr besessen. Im Gegensatz zum Wert des Inventars, bei dem die strittige Differenz höchstens 4.000 RM betrug, brachten die Rückerstattungsberechtigten im Verfahren über 54.000 RM für die entgangene Goodwill-Zahlung in Anschlag. Walter Weiser gab offen zu, dass die Nichtgewährung dieser Goodwill-Zahlung Unrecht gewesen sei, für das er jedoch nichts könne, da eine solche Zahlung durch NS-Bestimmungen ausgeschlossen worden war. Vor allem jedoch argumentierte er, der Firmenwert hätte aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen ohnehin nur äußerst gering vergütet werden können.140 Auffällig an den Darlegungen der Pflichtigenpartei ist, dass sie den angeblich geringen Wert des Unternehmens nachzuweisen versuchte, indem sie sich gänzlich auf die Entwicklung des Unternehmens nach der Übernahme konzentrierte. In der Tat nahm sich diese Entwicklung wenig imposant aus. Dass die Käsegroßhandlung unter den jüdischen Eigentümern Bieler indessen trotz zunehmender antisemitischer Beschränkungen noch achtbare Umsätze erzielte, wurde zwar eingeräumt. Jedoch wäre es damit nach Ansicht des Pflichtigen auch ohne die Übernahme zwangsläufig bald vorbei gewesen. Der unternehmerische Misserfolg in den Folgejahren sollte damit als Beleg dafür herhalten, dass die Entziehung aufgrund der Wertlosigkeit des übernommenen Betriebes keinen sonderlich gravierenden Vorgang darstelle, der mit einer geringen Entschädigungszahlung abgegolten sei.141 Da Walter Weiser sich mit dem Schei138 RA Coy an AVW, 1.7.1951, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4549. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Ebd.

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tern seines 1938 übernommenen Unternehmens, das bereits seit mehreren Jahren nicht mehr bestand, längst abgefunden hatte, bemerkte er großzügigerweise noch, dass »keineswegs den Antragstellern aus dieser mangelnden Lukrativität des Geschäftes ein Vorwurf gemacht werden soll.«142 Um ein Vielfaches schärfer war der Ton der Auseinandersetzung im Rückerstattungsverfahren um Wilhelm Schuwerack, der sich bereits gegen die Vermögenskontrolle vehement gewehrt hatte.143 Hier schossen die von der Pflichtigenpartei vorgebrachten Argumente und Äußerungen über die verhandelten Sachzusammenhänge deutlich hinaus. Sie eröffnen einen Einblick in die komplexe Geschichte einzelner Entziehungs- und Rückerstattungsfälle, in denen sich die Lebensläufe und Erfahrungen der Beteiligten auf schwer zu entwirrende Weise verschränkten und in Widerstreit traten. Der Diplomingenieur Wilhelm Schuwerack hatte bis 1938 als Vertreter einer Firma des Metallhandels in Köln gearbeitet. Aus einer früheren Tätigkeit in Frankfurt hatte er bereits einmal für kurze Zeit mit der dort seit 1872 be­stehenden Metallwarenfirma Gebr. Schott in vertraglicher Zusammenarbeit gestanden. Im Mai 1938 erreichte ihn von dort ein Angebot zur Übernahme des Unternehmens. Dessen jüdischer Geschäftsführer Benno Wolff, der als Schwiegersohn des Firmengründers Julius Schott um 1928 in den Betrieb eingetreten war und das Aktivitätsprofil um den Vertrieb von Automobilzu­behör und -­ersatzteilen erweitert hatte, sah sich 1938 gezwungen, seine Existenz in Deutschland aufzugeben und die Auswanderung vorzubereiten. Nachdem am 6.  Juli 1938 ein Übernahmevertrag mit Schuwerack geschlossen worden war, sollte die Übergabe des Betriebes im November erfolgen. Nach Aufnahme der Warenbestände wurde der endgültige Kaufbetrag für Warenlager, Inventar und ein Automobil im Januar 1939 nachträglich auf 31.150 RM festgelegt. Benno Wolff, der noch bis Ende Dezember 1938 im Unternehmen mitgearbeitet hatte, konnte daraufhin in die USA auswandern. Wilhelm Schuwerack fühlte sich aber bereits nach kurzer Zeit von Wolff übervorteilt und weigerte sich, über eine Zahlung von 24.500 RM hinauszugehen, die beinahe zur Gänze bereits geleistet war. Zudem drohte er in einem Schreiben an den bereits im Ausland befindlichen Wolff damit, »die ganze Sache vor den Behörden nochmals auf[zu]rollen, welche die einstweilige Rücküberweisung der bereits geleisteten Zahlungen auf ein Sperrkonto veranlassen würden.«144 Benno Wolff, dessen Frau Hilde Wolff Erbin des 1942 in Theresienstadt verstorbenen Julius Schott war, reichte im Jahre 1948 von Seattle aus seinen Anspruch auf Rückerstattung ein und forderte eine Nachzahlung für das Warenlager sowie die seinerzeit nicht erfolgte Vergütung des Firmenwerts, für die er

142 Ebd. 143 Wilhelm Schuwerack an AVW, 15.11.1947, HStAW, Abt. 519/V, VG 3102–1630. 144 Wilhelm Schuwerack an Julius Schott und Benno Wolff, 20.6.1939, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, Bl. 3.

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etwa 40.000 RM veranschlagte.145 Der Rückerstattungspflichtige Schuwerack reagierte erbost und aggressiv. Keinesfalls habe es sich um eine »Arisierung« gehandelt, stattdessen umgekehrt »um eine bewusste Übervorteilung seitens der Verkäufer«, denen er betrügerisches und schändliches Verhalten bei der Geschäftsübernahme vorwarf.146 Wolff habe ihn »arglistig getäuscht und unter Verschleierung des Inventars einen viel zu hohen Kaufpreis genommen.«147 In An­betracht dessen sei an Rückerstattung gar nicht zu denken, denn »ein Antragsteller, der sich durch betrügerische Vorspiegelung die Vergünstigungen des Rückerstattungsgesetzes erschleichen will, hat sein Recht auf Rückerstattung verwirkt.«148 Schuwerack, der zusätzlich zu den Schriftsätzen seines bevollmächtigten Anwalts immer wieder selbst seitenlange Ausführungen an das Land­ gericht sandte, lenkte die Auseinandersetzung um die Vorgänge der Entziehung im Wesentlichen auf drei Punkte: Zum einen suchte er hartnäckig und unter großem Aufwand an Dokumenten und Zeugenaussagen nachzuweisen, dass er selbst der Beraubte sei, da der Kaufpreis sich nachträglich als viel zu hoch erwiesen habe. Im völlig desorganisierten Ersatzteillager des Betriebes hätten sich eine Unmenge nicht gängiger Warenposten von reinem Schrottwert befunden, auf denen er sitzengeblieben sei. Dies habe Benno Wolff in der Übernahmebilanz bewusst kaschiert. Des Weiteren sei eine fehlende Vergütung des Goodwill nicht zu monieren, da er die Firma Gebr. Schott als solche gar nicht übernommen und weitergeführt habe – eine bereits bekannte Argumentation. Die größte Rolle in der Verteidigung Schuweracks spielte es, dass er sich als Lebensretter Benno Wolffs darstellte. Auf seinem Weg von Köln nach Frankfurt hatte ihn am 15. November 1938 die verzweifelte Nachricht Hilde Wolffs erreicht, ihr Mann, der gerade an der Übernahmebilanz arbeite, sei von der Gestapo verhaftet worden. Tatsächlich gelang es Schuwerack daraufhin, den bereits mit vielen weiteren nach dem Novemberpogrom verhafteten Männern in einen Sonderzug nach Dachau verfrachteten Wolff noch am Bahnsteig des Frankfurter Südbahnhofs wieder freizubekommen. Wiederholt hob er im Laufe der Auseinandersetzung seinen damaligen Einsatz hervor, verfasste immer längere und dramatischere Beschreibungen seiner Rettungstat, die Wolff und seine Familie vor Haft, Deportation und sicherem Tod bewahrt habe.149 Abgesehen von ihrer persönlichen Bedeutung zielten diese Schilderungen in verfahrensstrategischer Hinsicht darauf ab, die gesetz­ liche Entziehungsvermutung durch den Nachweis zu widerlegen, die Vermögensinteressen des Verfolgten seien in besonderer Weise geschützt worden.150 145 Anmeldung an Zentralmeldeamt, 28.12.1948, HStAW, Abt. 519/A, Wi-Ffm-A 4666. 146 Wilhem Schuwerack an AVW, 19.3.1951, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, darin Akte ­Wi-Ffm-A 4666, Bl. 14–25. 147 RA Krebs an LG Ffm., 17.7.1951, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, Bl. 10. 148 Ebd., Bl. 11. 149 Wilhelm Schuwerack an AVW, 19.3.1951, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, darin Akte ­Wi-Ffm-A 4666, Bl.  14–25; ders. an LG Ffm., 27.4.1953, ­HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, Bl. 103–106. 150 RA Krebs an LG Ffm., 29.4.1953, ebd., Bl. 99–102.

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Der Vergleichsvorschlag, den das Landgericht schließlich nach beinahe vier Jahren den Parteien unterbreitete, war in seiner juristischen Argumentation fragwürdig. Der zuständige Richter ging von einem angemessenen Kaufpreis aus, der voll in die Verfügung des Verkäufers gelangt sei – was bei einer 1939 geleisteten Zahlung schon beim ersten Hinsehen unglaubwürdig war. Zudem sah er in der Durchführung des Rückerstattungsverfahrens aufgrund der Tatsache, »daß unstreitig der Antragsgegner dem Antragsteller das Leben gerettet hat und es dem Antragsteller ermöglicht hat, sich ins Ausland zu begeben« eine unzulässige Rechtsausübung wirksam.151 Damit unternahm die erste Gerichtsinstanz den nach den Beobachtungen Jürgen Lillteichers des Öfteren betriebenen Versuch, über einen Begriff des Bürgerlichen Gesetzbuches, der im Rahmen des Rückerstattungsrechts nur in absoluten Ausnahmefällen Anwendung hätte finden sollen, die Pflicht zur Rückerstattung durch die Hintertür auszuhebeln.152 Obwohl der Anspruch damit konsequenterweise hätte zurückgewiesen werden müssen, wurde eine Nachzahlung von 3.000 RM empfohlen, um den Weg durch die Instanzen unnötig zu machen. Benno Wolff erlebte den Ausgang des Verfahrens nicht mehr, seine Witwe willigte schließlich in den Vergleichsvorschlag ein. Historiker sollten sich im Allgemeinen nicht zum nachträglichen Richter erheben. Jedoch lässt sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsvorschlags nach Maßgabe der gesetzlichen Grundlagen ohne Weiteres erweisen. Zudem ergeben sich aus dem Material, das von Schuwerack beigebracht wurde, einige Wider­ sprüche, die seine Darstellung in durchaus anderem Licht erscheinen lassen. Ihm war es mit seiner offensiven Verfahrensstrategie gelungen, die Aufmerksamkeit des Gerichts in erheblichem Maße zu steuern. So wurde der nicht vergütete Goodwill im Vergleichsvorschlag gar nicht erwähnt, obwohl aus diesem Umstand die nicht angemessene Höhe des Kaufpreises zweifelsfrei hervorging. Während Schuwerack zuerst argumentierte, die Firma als solche gar nicht übernommen zu haben  – was angesichts der Tatsache, dass er in der Anfangszeit noch als Gebr. Schott Nachf. firmiert hatte, völlig unglaubwürdig war –, verlegte er sich später auf die Behauptung, die Weiterführung des Firmennamens sei ihm von Benno Wolff unentgeltlich aus Dankbarkeit für die erwiesene Rettung aus den Fängen der Gestapo gewährt worden. Die Rettungstat Schuweracks stand somit in mehrfacher Hinsicht im Zentrum seiner Argumentation. Dass er dabei persönlichen Mut bewiesen hatte, ist nicht zu leugnen, wenn auch die funktionale Verbindung zu den im Zuge der Geschäftsübernahme anfallenden Aufgaben, bei denen Benno Wolff dringend benötigt wurde, nie ganz ausgeräumt werden konnte. Weder vorher noch nachher hat Schuwerack einem jüdischen Verfolgten Hilfe gewährt, insbesondere nicht Benno Wolffs Teilhaber und 151 Vergleichsvorschlag des Landgerichts, 22.10.1954, ebd., Bl. 189. 152 Lillteicher, Raub, S. 227 f.; der Court of Restitution Appeals hatte solchen Versuchen eigentlich bereits mit einem Urteil vom Oktober 1951 einen Riegel vorgeschoben; CORA Urteil Nr. 125, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 3, 1952, Nr. 2, S. 33.

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Schwiegervater Julius Schott, der später mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert wurde, wo beide zu Tode kamen.153 Benno Wolff, von dem nur ein Brief an den eingesetzten Treuhänder über­ liefert ist, rechnete Schuwerack seine Hilfe durchaus hoch an, bestand jedoch auf der Unrechtmäßigkeit der damaligen Geschäftsübernahme.154 Für ihn waren die Hilfe durch Schuwerack und das Unrecht des Verkaufs zwei unverbundene Dinge, während sein Gegenüber in der Rettungstat die Ursache für alle nachher erlittenen Enttäuschungen und Misserfolge sah. Nach seiner Darstellung hatte ihm sein Einsatz für den Verfolgten den unversöhnlichen Hass der nationalsozialistischen Machthaber eingebracht, die ihn in seiner wirtschaftlichen Existenz ruiniert hätten. Schuwerack steigerte sich in die Rolle des eigentlichen Opfers derart hinein, dass er schließlich selbst einen Antrag auf Wiedergutmachung stellte, in dem er Entschädigung für die durch die Rettung Benno Wolffs erlittene wirtschaftliche Diskriminierung beanspruchte. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, in der einmaligen Hilfe zugunsten Wolffs könne keine politische Gegnerschaft zum Nationalsozialismus erkannt werden, auch verrieten die wirtschaftlichen Misserfolge keinen Zusammenhang hiermit.155 Tatsächlich enthüllen die von Schuwerack eingereichten Unterlagen bei genauerem Hinsehen eine ganz andere Geschichte, als er selbst sie darin belegt sah. Die Firma Gebr. Schott hatte sich unter Benno Wolff immer stärker auf Dienstleistungen für ausgefallene ausländische Automodelle konzentriert und war auf diesem Gebiet zum weit über Frankfurt hinaus bekannten Spezialanbieter geworden. Diese Ausnahmestellung beruhte nicht zuletzt darauf, dass im Warenlager stets seltene und gesuchte Ersatzteile vorgehalten wurden.156 Es fiel Schuwerack schwer, sich in diesem Spezialsortiment zurechtzufinden und die auf persönlichen Beziehungen beruhenden Kontakte zum Kundenstamm aufrechtzuerhalten; schließlich sorgten spätestens nach Kriegsbeginn Benzinrationierung und Verkehrsbeschränkungen dafür, dass der Markt für die bisher angebotenen Dienstleistungen wegbrach. Dass die Vorräte an Spezial­teilen zu Ladenhütern wurden und an Wert einbüßten, hatte also seine Ursache in den makroökonomischen Veränderungen. Die von Schuwerack der Entschädigungsbehörde eingereichten Bilanzen zeigen darüber hinaus, dass der Betrieb mit dem konventionellen Automobilgeschäft und mit Wehrmachtsaufträgen weiterhin durchaus stetige Erträge erwirtschaften konnte und Einbrüche erst aufgrund der seit 1943 erlittenen Bombenschäden zu verzeichnen waren. Dass Schuwerack im gleichen Jahr aus einem Verzeichnis für die Vergabe öffent­licher Aufträge gestrichen wurde, stand ebenfalls – wie allein die Zeitspanne verdeut153 RA Krebs an LG Ffm., 29.4.1953, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, Bl. 101. 154 Benno Wolff an Emil Lengler, 26.9.1948, ebd., Bl. 188. 155 Wilhelm Schuwerack an Innenministerium, Abt. Wiedergutmachung, 29.9.1951, HStAW, Abt. 518, 55717, Bl. 16; Bescheid der Entschädigungsbehörde, 8.2.1954, ebd., Bl. 45–47. 156 Zeugenaussage Christian Tessien, 22.8.1951, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, Bl. 36.

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licht  – in keinem Zusammenhang mit der Hilfe für Benno Wolff.157 Gleichwohl erschienen ihm in der Rückschau dessen Arglist und Undankbarkeit als Ursache für alle erlittenen Misserfolge. Dass dies einem Prozess retrospektiver Wahrnehmungsverschiebung geschuldet war, verdeutlicht die Tatsache, dass der vermeintliche Schaden sich für Schuwerack mit zunehmender zeitlicher Distanz immer größer ausnahm: Anfang 1939 hatte er dem jüdischen Emigranten Wolff noch einen geringen Betrag nachzahlen wollen, im Rückerstattungs­ verfahren schließlich forderte er eine erhebliche Rückzahlung von diesem. Dass er diesen Anspruch nicht durchfocht, schrieb Schuwerack seiner eigenen Kulanz zu, während er sich nach Abschluss des Verfahrens in seiner Position auch aufgrund des gerichtlichen Vergleichsvorschlags vollauf bestätigt fühlen konnte. Vom Frankfurter Amt für Vermögenskontrolle forderte er unter Verweis auf die richterliche Feststellung der unzulässigen Rechtsausübung triumphierend die sofortige Aufhebung der Kontrollmaßnahmen, »denn sie bedeutet, dass ich seit mehr als 6 Jahren zu Unrecht unter Vermögenskontrolle gestellt wurde, was ich seit jeher erklärt habe.«158 In beiden Beispielen fällt auf, wie sehr sich die späteren Lebensgeschichten der Erwerber über das Geschehene gelegt und dessen Wahrnehmung geprägt hatten. Die Folgen veränderter ökonomischer Rahmenbedingungen und die Auswirkungen des Krieges ließen sich schwer von individuellen Fehlkalkula­ tionen und -planungen trennen. Es ist durchaus plausibel, dass Weiser und Schuwerack mit der Zeit tatsächlich daran glaubten, die von ihnen übernommenen jüdischen Unternehmen seien von vornherein wertlos gewesen, die Vorwürfe der NS-Nutznießerschaft damit unbegründet.159 Bei der individuellen Verarbeitung des Geschehens konnten dabei die im öffentlichen Diskurs verfügbaren Muster und Narrative adaptiert und internalisiert werden, diese stützten und erleichterten psychische Entlastungsprozesse. Die Erfahrungen des eigenen Scheiterns, Darbens und Notleidens überdeckten bei vielen Rückerstattungspflichtigen im Laufe der Zeit die Tatsache, dass ihr Aufstieg zu selbständigen Unternehmern nur durch die Verdrängung der jüdischen Mitbürger zustande gekommen war. Damit schwand auch die Einsicht, dass ihnen als Profiteuren des NS-Unrechts eine moralische Verpflichtung zukommen könne. Die Lebens- und Leidensgeschichte der jüdischen Verfolgten wurde kaum noch zur Kenntnis genommen, während das Bewusstein, selbst Opfer zu sein, sich immer stärker ins Zentrum jeder Betrachtungsweise schob. Die Abwehrrhetorik in den Rückerstattungsverfahren bediente sich dabei der öffentlich kursierenden Deutungsangebote und war in hohem Maße durch gesellschaftliche Sprechweisen und das mentale Zeitklima geprägt.

157 Bescheinigung des Finanzamtes, 31.11.1951, HStAW, Abt. 518, 55717, Bl. 10; Jean Walterscheid an Wilhelm Schuwerack, 28.10.1953, HStAW, Abt. 460, 4 WiK 2564, Bl. 146. 158 Wilhelm Schuwerack an AVW, 1.12.1954, HStAW, Abt. 519/V, 3102–1630. 159 Vgl. auch hierzu das Beispiel Fritz Kiehns: Berghoff/Rauh-Kühne, S. 243.

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5. Eigentum, Erinnerung und Identität In einer einflussreichen Skizze hat Harald Welzer auf die psychosozialen Auswirkungen der Judenverfolgung aufmerksam gemacht: Die vielfältigen individuellen Verlusterfahrungen, die sich mit der Entziehung materieller Güter verbanden, bezogen sich nie auf diese materielle Ebene allein. Vielmehr waren sie immer auch Angriffe auf die psychische Verfassung, auf Handlungschancen und Identitätsentwürfe, die sich wesentlich auch über persönliches Eigentum und die Verfügung über diesen Besitz erst konstituieren.160 Auch die jüdischen Unternehmer, in deren gewerblicher Aktivität sich berufliche Tätigkeit und privates Vermögen untrennbar vermischten, wurden durch die Auswirkungen von Diskriminierung und Verfolgung nicht nur materiell, sondern in einem umfassenderen Sinne geschädigt. Unternehmen stellen nicht einfach Vermögensgegenstände dar, sondern sind lebendiges Vermögen, das sich immer in einem Prozess befindet und sowohl auf die Vergangenheit als auf die Zukunft verweist. Bereits die schleichende Auszehrung durch Ausgrenzung und Boykott deformierte die sich aus Erfahrung speisenden Zukunftsplanungen und veränderte unternehmerische wie persönliche Identitäten. Die Liquidation oder Veräußerung von Unternehmen, die von ihren Inhabern gegründet und ein Leben lang geführt worden waren, bedeutete weit mehr als den Verlust der Einkommensquelle. Die Vernichtung jüdischer Gewerbetätigkeit brachte eine massenweise Zerstörung von Zukunfts- und Identitätsentwürfen mit sich, die oftmals über die eigene Person der Betroffenen hinausreichte, wenn die Tradition eines Familienbetriebes oder gewachsene Handels- und Kundenbeziehungen zerbrachen und die Beteiligten damit übergreifender Bezüge, in denen sie sich verortet hatten, unwiderruflich beraubte. Auch wenn Verfolgte der Deportation und physischen Vernichtung entgingen, war ihre Existenz in einem umfassenden und irreversiblen Sinne zerbrochen. Es ist daher methodische Vorsicht dabei geboten, den Wiedergutmachungsprozeduren die Wirkung der »Heilung« von Biographien und Identitäten »durch Wiedererlangung der noch auffindbaren Besitztümer« sowie den jü­ dischen Anspruchsberechtigten den Wunsch »mit möglichst vielen noch greifbaren Dingen des verlorenen früheren Lebens wieder vereint zu sein« pauschal zuzuschreiben.161 Für das jüdische Unternehmensvermögen galt das jedenfalls sicher nicht: Nur eine verschwindend geringe Zahl der überlebenden Emigranten wollte ihre früheren Betriebe in dem Sinne zurückerlangen, dort wieder in leitender Funktion tätig zu werden. Zwischen der früheren Existenz als Frankfurter Unternehmer und der Gegenwart lag eine unüberbrückbare Kluft. Jede Vorstellung von Wiedergutmachung als psychosozialem Prozess, die sich an den Gedanken der Reversibilität und der restitutio ad integrum orien160 Welzer. 161 Winstel, Gerechtigkeit, S. 280–282.

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tiert, droht daher in die Irre zu führen. Im Falle der jüdischen Unter­nehmer spricht schon ein spezifisches Moment gegen solche Assoziationen: Diejenigen Unternehmen, die bis 1938/39 in nicht-jüdischen Besitz übergingen, waren in der Nachkriegszeit kaum noch dieselben, mit denen sich die Identität ihrer jüdischen Vorinhaber verbunden hatte. Inzwischen hatten sie sich jahrelang im Besitz von Personen befunden, denen die Führung des betreffenden Unternehmens längst ebenfalls Teil  von Identität und Selbstverständnis geworden war. Auch deswegen entfalteten sich die Rückerstattungsverfahren oftmals als Konfrontationen, in denen um individuelle Erinnerungsentwürfe gerungen wurde. Wie sich das abspielen konnte, zeigt das schon erwähnte Beispiel der Firma Dr. M. Albersheim. Der Rückerstattungspflichtige Wilhelm Korthaus hatte den alllierten Vorschriften gemäß das von ihm übernommene Unternehmen im Mai 1948 beim Zentralmeldeamt angezeigt. Zu dieser Zeit befand er sich bereits in Verhandlungen mit den früheren Inhabern. Weit über das hinausgehend, was mit der Anzeigepflicht gefordert war, ging er auf die Entwicklung des Unternehmens nach der Übernahme ein.162 Dabei betonte Korthaus, dass sich unter seiner Leitung der Wert des Unternehmens durch zahlreiche Maßnahmen erhöht habe. So habe er die Gewinne im Gegensatz zu den jüdischen Inhabern im Unternehmen belassen, außerdem umfangreiche Rationalisierungsmaßnahmen eingeleitet, die Mitarbeiterstruktur optimiert, das Auslandsgeschäft neu organisiert und intensiviert sowie neue Markenartikel eingeführt und die bestehenden in ihrem Wert erhöht. Auch seine Management-Leistungen unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft hob er ausführlich hervor. In einer Zeit, in der Umsatz »nur durch ständigen Kampf um entsprechende Rohstoff-Kontingente erzielt werden konnte«, hatte Korthaus das Betriebsprofil von kosmetischen Produkten hin zu Massenartikeln der »Volkshygiene« wie z. B. Zahncreme verschoben, wodurch ein Verbot zur Produktion einiger Artikel kompensiert und die Schließung des Betriebes verhindert worden sei.163 Auch nachdem diese Bemühungen durch die Zerstörung des Betriebes durch Bombentreffer 1944 weitgehend zunichte gemacht worden waren, hatte nach Korthaus’ Darstellung erst das eigene Engagement die erfolgreiche Wiederingangsetzung ermöglicht. Auch dass die Rückverlegung der Produktion nach Frankfurt bereits 1945 gelungen sei und die Firma als eine der ersten Fabriken eine Produktionsgenehmigung erhalten habe, »war eine Leistung, die nur ein Kenner der Verhältnisse beur­ teilen kann.«164 Was wollte Korthaus damit sagen? Die Entziehungsvermutung konnte er mit dieser Darstellung schwerlich entkräften, doch darauf wollte er auch nicht hinaus. Er nahm es vielmehr »als sein Verdienst in Anspruch, die in Trümmer liegende Fabrik wieder in Gang gesetzt und damit auch den Marken-Goodwill

162 Anzeige beim Zentralmeldeamt, 12.5.1948, ZA, B. 1/13, 1415, Bl. 67–71. 163 Ebd., Bl. 69 f. 164 Ebd., Bl. 71.

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gerettet zu haben, der sonst im Laufe der Zeit erloschen wäre.«165 Seinem Einsatz sei es zu verdanken, wenn den jüdischen Vorinhabern das betreffende Unternehmensvermögen erhalten geblieben war. Korthaus reklamierte also mindestens ein durch die eigene Arbeit erworbenes Mit-Anrecht am Unternehmen, gegen dessen vollständige Rückübertragung er sich sträubte.166 Im Grunde drifteten seine Ausführungen aber über diesen Anspruch noch hinaus: Wenn Korthaus erklärte, erst seine Leistungen hätten den Betrieb saniert und überhaupt am Leben erhalten, suggerierte er, unter den ursprünglichen Inhabern hätte das Unternehmen früher oder später zwangsläufig untergehen müssen. Die früheren jüdischen Inhaber sollten gleichsam aus der Unternehmensgeschichte herausgestrichen werden. Dass die Firma Albersheim von den jüdischen Gründern und ihren Nachfolgern zu einem führenden Unternehmen der Branche gebracht worden war und dies Korthaus eine äußerst komfortable betriebswirtschaftliche Startposition verschafft hatte, davon war in seinen Ausführungen keine Rede. Während Wilhelm Korthaus sich besonders auf seine Leistungen in Krieg und Nachkrieg bezog, ging die Pflichtigenpartei im Verfahren um die Firma Gellhorn & Co. hierüber noch hinaus. Das Textil- und Modewarengeschäft war im Jahr 1919 von dem in Polen geborenen Kaufmann Michaelis Marcus erworben worden. Dieser konnte die Umsätze bis auf 620.000 RM im Spitzenjahr 1928 steigern. Daraufhin entschloss er sich zu größeren Investitionen und zu einem aufwändigen Umbau des Geschäftshauses, der Ende 1929 abgeschlossen werden konnte. Die Erwartungen eines weiteren Wachstumskurses erfüllten sich allerdings nicht, denn im Zuge der Weltwirtschaftskrise brachen die Umsätze des Geschäfts schlagartig ein, um 1932 auf nur noch 245.000 RM zu sinken. Nachdem sich dieser Abwärtstrend noch 1933 fortgesetzt hatte, nahm das Unternehmen am wirtschaftlichen Aufschwung teil und konnte seine Umsätze wieder steigern, ohne sie aber wieder in die Nähe der Vorkrisenzeit bringen zu können. Aber selbst 1938 wies die Entwicklung noch aufwärts.167 Gleichwohl entschloss sich Michaelis Marcus im Sommer zum Verkauf und fand unter Vermittlung einer Treuhandgesellschaft in Alfons Michels einen Interessenten, der im Juli 1938 den Betrieb übernahm. Michels war zuvor Geschäftsführer der Offenbacher Niederlassung der Kaufhof AG gewesen und verfügte zweifellos über die zur Führung des Betriebes notwendige Qualifikation. In seinem Widerspruch gegen die von der Schwester und Erbin des Vorinhabers eingereichte Rückerstattungsforderung legte er die Firmengeschichte allerdings in einem spezifischen Sinne aus. In einer Kombination der bereits bekannten Motive machte er geltend, dass angesichts der 165 Ebd. 166 Aktennotiz RA Küpper in der Rückerstattungssache Dr. Korthaus KG, 29.7.1949, ebd., Bl. 18 f. 167 Anlage zum Gutachten der Treuhand- und Wirtschaftsberatungs-GmbH: Übersicht über die Umsätze 1926–1940, 14.6.1950, HStAW, Abt. 460, 1 WiK 6412.

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durch ihn eingeleiteten Umstrukturierung und Ausdehnung des Unternehmens »ab 1938 von Grund auf ein neues Geschäft begonnen hat.«168 Während unter dem jüdischen Vorinhaber »der überspitzte, modische Charakter des Geschäfts mit allen Risiken der Mode vorherrschend war, wurde durch den Antragsgegner ein Spezialgeschäft für den guten bürgerlichen Bedarf geschaffen.« Ohne diese Umorientierung »wäre die Verlustperiode, wie sie unter dem Vorbesitzer bestand, fortgesetzt worden.« Mit diesen Ausführungen wollte der Rückerstattungspflichtige Michels nicht nur seinen eigenen Anteil an der Geschäftsentwicklung hervorheben, sondern sogar den Anspruch auf Rückerstattung als solchen bestreiten, weil er ein wertloses Geschäft übernommen und sein eigenes Unternehmen sozusagen aus dem Nichts emporgebracht habe. Seiner Behauptung nach habe er sogar »mit wesentlich geringeren Risiken und Baraufwendungen an anderer Stelle in Frankfurt a.Main ab 1938 ein Geschäft zur gleichen heutigen Blüte heraufführen können.«169 Damit wurde suggeriert, dass die Anspruchstellerin kein Anrecht auf etwas besitze, was erst durch ihn geschaffen worden sei. Fehlinvestitionen und die grundsätzlich verfehlte Ausrichtung hätten das Unternehmen wertlos werden lassen. Dabei ist frappierend, mit welcher Konsequenz Alfons Michels die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ignorierte, denen das als »jüdisches Unternehmen« diffamierte Geschäft ausgesetzt war. Er und auch Wilhelm Korthaus artikulierten damit ein komplementäres Abwehrmuster im Vergleich zu den vielen unternehmerisch gescheiterten Rückerstattungspflichtigen, das allerdings auf das gleiche Ergebnis hinauslief: Während jenen die eigenen Misserfolge zu beweisen schienen, dass die von ihnen übernommenen Betriebe schon immer wertlos gewesen seien, schien für diese im Lichte ihrer eigenen betriebswirtschaftlichen Leistungen und Erfolge das, auf dem sie aufgebaut hatten, nämlich die Lebensleistung der jüdischen Unternehmer, belanglos. Dabei tendierten die kollektiven Abwehrmuster dazu, sich in ein allgemein geteiltes Erinnerungsmuster zu transformieren: Demnach war die jüdische Gewerbetätigkeit untergegangen, weil die jüdischen Unternehmer schlechte Unternehmer gewesen waren. Gegen diese Ignoranz gegenüber den diskriminierenden Rahmenbedingungen, unter denen jüdische Unternehmer ihre Existenz mühsam zu behaupten versuchten, während sie zahlreichen Nutznießern zu unverdienten Möglichkeiten verhalf, wehrte sich besonders heftig Justin Oettinger, ehemaliger Inhaber der 1925 gegründeten Gesellschaft für Gießereichemie. Das eher kleine Unternehmen der chemischen Industrie hatte in den Jahren 1928/29 das IndustrieReinigungsmittel Flux entwickelt und auf den Markt gebracht, das zu seinem erfolgreichsten Produkt wurde. Während Justin Oettinger die Gesellschaftsanteile allein besaß und für Marketing und Vertrieb verantwortlich zeichnete, war an der Herstellung der Flux-Rezeptur auch der nicht-jüdische Chemiker Rudolf Riedelbauch beteiligt gewesen, der aber vom Projekt eines gemeinsamen Unter168 RA Heyne an AVW, 18.9.1949, ebd. 169 Ebd.

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nehmens zurückgetreten und über einen Lizenzvertrag am Umsatz der GmbH beteiligt war. Diese Konstellation hatte bis ins Jahr 1938 Bestand. Als im April die Ver­ ordnung gegen die Tarnung jüdischer Unternehmen veröffentlicht wurde, sah Riedelbauch sein Vertragsverhältnis mit dem jüdischen Unternehmen als nicht weiter tragfähig an und kündigte es mit sofortiger Wirkung.170 Gleichzeitig gründete er zusammen mit der Ehefrau eines Angestellten der GmbH namens Walter Stoffregen ein eigenes Unternehmen, das ebenfalls als Gesellschaft für Gießereichemie mit dem Namenszusatz »Riedelbauch & Stoffregen« firmierte. Diese Firma startete eine Reklamekampagne, die den Eindruck erwecken sollte, das Handelsgeschäft der jüdischen Gesellschaft sei nun auf sie übergegangen. Riedelbauch besuchte eigenmächtig deren Kundschaft, Walter Stoffregen wurde vom Geschäftsführer Oettinger dabei ertappt, wie er die Kundenkartei abzuschreiben versuchte. Der jüdische Firmengründer wehrte sich mit allen ihm noch verfügbaren juristischen Mitteln gegen diese Verdrängungs- und Betrugsversuche. Nachdem er ein Gerichtsverfahren gegen seine Konkurrenten angestrengt hatte, mussten diese den irreführenden Firmennamen wegen Verwechslungsgefahr wieder aufgeben. Das Landesarbeitsgericht lehnte im Oktober 1938 eine Schadensersatzzahlung an Oettinger jedoch mit dem Hinweis ab, als jüdischem Unternehmen habe der Gesellschaft gar kein Schaden entstehen können, weil sie ohnehin keine betriebliche Zukunft mehr habe.171 Als sich Oettinger zum Verkauf des Unternehmens entschloss, intervenierte sein ehemaliger Partner Riedelbauch in die laufenden Verhandlungen mit einem süddeutschen Interessenten und setzte den hessischen Gauwirtschaftsberater auf den Fall an. Dieser verlangte von der inzwischen zwangsweise in Liquidation getretenen Gesellschaft, die Marke Flux für 500 RM an das Unternehmen von Riedelbauch und Stoffregen zu veräußern. Das wurde mit Vertrag vom Mai 1939 besiegelt, kurz bevor Justin Oettinger nach Großbritannien auswanderte.172 In diesem Beispiel vermischten sich antisemitische Verdrängung, gewerb­ licher Betrug, Neugründung und Liquidation auf schwer zu entwirrende Weise. So konnten sich die am Rückerstattungsverfahren beteiligten Parteien vor den Amts- und Gerichtsinstanzen auch bis zum Ende nicht darüber einigen, was sich eigentlich genau abgespielt hatte. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Frage, welche Wertpotentiale und wessen Leistungen in der übernommenen Marke Flux verkörpert wurden. Während die Pflichtigenpartei immer wieder auf der Entwicklung der Rezeptur durch Rudolf Riedelbauch insistierte, argumentierte Justin Oettinger, dass erst sein kaufmännisches Engagement aus dem Rezept ein marktfähiges und erfolgreiches Produkt gemacht habe. Doch es ging ihm nicht allein um die Rückübertragung der Marke, die 1951 durch die 2.  Wiedergutmachungskammer des Landgerichts angeordnet 170 Rudolf Riedelbauch an Justin Oettinger, 15.5.1938, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 152, Bl. 64. 171 Urteil Landesarbeitsgericht Ffm., 31.10.1938, ebd., Bl. 26–30. 172 GWB an RA Rathmann, 22.5.1939, ebd., Bl. 32.

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wurde.173 Vielmehr forderte Oettinger, das gesamte unter dem Namen der Pflichtigen eingetragene Unternehmen an ihn zu übertragen und sämtliche aus ihm gezogenen Nutzungen ebenfalls an ihn herauszugeben. Damit konfligierten unterschiedliche Sichtweisen auf das historische Geschehen, bei denen die Protagonisten das Verhältnis ihrer individuellen Leistung zu den historischen Umständen grundlegend anders gewichteten. Für den jüdischen Anspruchsteller Oettinger waren die ihm durch die NS-Verfolgung genommenen individuellen Handlungs- und Entwicklungschancen noch präsent; sie ragten gleichsam als historisch nicht verwirklichte Potentiale in die Verhandlungen der Gegenwart hinein.174 Deswegen liefen seine Forderungen weniger darauf hinaus zurückzuverlangen, was ihm im konkreten Sinne ent­ zogen worden war, sondern darauf, von seinem Gegenüber das zu erhalten, was dieser nur aufgrund seiner Verdrängung hatte an sich bringen können. Er verlangte also die Übertragung des fraglichen Unternehmens nicht, weil es tatsächlich von den Pflichtigen formal übernommen worden war, sondern weil es nur hatte entstehen können, indem es die Leerstelle ausfüllte, die seine Ausschaltung geschaffen hatte. Die Pflichtigen sollten in seiner Sicht nichts behalten dürfen, was sie in Ausnutzung dieser Konstellation erlangt hatten. Das war eine ungewöhnliche Position, die in radikaler Weise zur Sprache brachte und zu revidieren forderte, dass die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der deutschen Juden nicht nur ein Besitztransfer, sondern in einem umfassenderen Sinne eine Verlagerung und Umverteilung von Handlungs-, Gestaltungsund Entwicklungschancen gewesen war. Dass aber zahlreiche Nutznießer des NS-Regimes ihre selbständigen Unternehmerkarrieren erst auf der Grundlage der wirtschaftlichen Verdrängung der Juden überhaupt hatten starten können, ist im Bewusstsein der deutschen Nachkriegsgesellschaft und ihren Erinnerungen an die Vergangenheit nicht präsent gewesen. Es ließ sich im Übrigen mit den Instrumenten der Rückerstattungsgesetzgebung auch nicht revidieren. Die Gerichtsinstanzen wiesen die über die Rückübertragung der Marke hinausgehenden Anträge Justin Oettingers ab, der immerhin in einem Vergleich vor dem Oberlandesgericht noch eine zusätzliche Geldzahlung erstreiten konnte.175 In keinem anderen Streitpunkt verdichteten sich die Auseinandersetzungen um retrospektive Identitätsentwürfe so sehr wie in der Frage um den »wirk­ lichen Wert« von Unternehmen im Moment ihres Übergangs von jüdischen in nicht-jüdischen Besitz. Dass sich um diesen Aspekt, der auch im Entschädigungsprogramm eine Rolle spielte, während der Rückerstattungsverfahren erbitterte Konflikte mit vollkommen entgegenstehenden Meinungen entfalteten, hatte viel damit zu tun, dass es sich dabei immer auch um Verhandlungen über ein historisches Geschehen im Lichte kontrafaktischer Annahmen handelte, bei denen es eine objektive Sichtweise schwerlich geben konnte. Das US-Rück­ 173 Beschluss LG Ffm., 22.5.1951, ebd., Bl. 200–208. 174 Vgl. auch Welzer, S. 289. 175 Vergleich vor dem OLG Ffm., 27.2.1953, HStAW, Abt. 460, 2 WiK 152, Bl. 264 f.

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erstattungsgesetz definierte in Artikel 3, 3 als »angemessenen Kaufpreis« für ein übernommenes Objekt denjenigen Betrag, »den ein Kauflustiger zu zahlen und ein Verkaufslustiger anzunehmen bereit wäre, wobei bei Geschäftsunternehmen der Firmenwert (Goodwill) berücksichtigt wird, den ein solches Unternehmen in den Händen einer Person hätte, die Verfolgungsmaßnahmen […] nicht unterworfen war.« Damit stellte sich den Beteiligten die gedanklich schwierige Aufgabe, eine gleich in mehrfacher Hinsicht konjunktivische Konstellation anzunehmen: Es musste zum einen fiktiv rekonstruiert werden, welcher Preis sich ergeben haben mochte, wenn ein jüdischer Unternehmer sein Unternehmen im Verlauf der 1930er Jahre freiwillig hätte verkaufen wollen – was unter normalen Umständen sicherlich nur die allerwenigsten getan hätten. Und damit zusammenhängend mussten bei der Beurteilung des immateriellen Firmen­wertes die Auswirkungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung gleichsam nachträglich wieder herausgerechnet werden, um das »richtige« Ergebnis zu erhalten. Es liegt auf der Hand, dass sich ein derartiges kontrafaktisches Szenario nur schwerlich in den Griff bekommen ließ. Welche Schwierigkeiten sich bei diesbezüglichen Berechnungsversuchen ergaben, lässt sich im Verfahren um die Firma Gebr. Frankenfelder beobachten, die Anfang November 1938 für etwa 200.000 RM in nicht-jüdischen Besitz übergegangen war. Wenn auch die Übernahmeverhandlungen in vergleichsweise korrekter kaufmännischer Art und Weise geführt worden waren und der Anspruchsteller Alfred Frankenfelder den erhaltenen Kaufbetrag für Waren und Einrichtungsgegenstände im Rückerstattungsverfahren als angemessen gelten ließ, bestanden doch unterschiedliche Auffassungen, welchen Goodwill das Schuhwarenhandelsgeschäft zum Zeitpunkt der Übernahme gehabt hatte. Beide Parteien waren sich immerhin einig, dass die Ansprüche, die von den Rückerstattungspflichtigen nicht bestritten wurden, mit einer Nach­zahlung in Höhe des Goodwill abgegolten werden sollten. Von seiner Berechnung hing also die Vergleichslösung ab. Das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung gab daraufhin ein Gutachten in Auftrag, das den Goodwill mit 61.000 RM bezifferte.176 Damit erklärte sich jedoch Alfred Frankenfelder nicht einverstanden und veranlasste ein Gegengutachten, dessen Autor verschiedene Berechnungsmethoden vorführte und damit Werte für den Goodwill zwischen 125.000 und 325.000 RM ermittelte.177 Beide Gutachter legten in ihren Ausführungen gleichermaßen dar, dass es eine einheitliche und anerkannte Methode, den Goodwill eines Unternehmens zu bestimmen, in der betriebswirtschaftlichen Theorie und Praxis nicht gebe, vielmehr zwischen konkurrierenden Ansätzen und Varianten eine Wahl getroffen werden müsse. Zwei verschiedene Methoden hatten sich etabliert, die zeit176 Gutachtliche Stellungnahme in der Rückerstattungssache der Schuhgroßhandlung Biesten & Co., 31.8.1949, HStAW, Abt. 460, 1 WiK 739, Bl. 67–81. 177 Gutachten betr. Geschäftswert in der Rückerstattungssache Frankenfelder/Biesten & Co., 12.2.1950, ebd., Bl. 26–42.

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genössisch als das »indirekte« und das »direkte Verfahren« bezeichnet wurden. Beim indirekten Verfahren ermittelte man durch Kapitalisierung der zukünftig erwartbaren Reingewinne den sog. Ertragswert eines Unternehmens; nach Abzug des Substanzwertes, d. h. des bilanzfähigen Aktivvermögens, ergab sich sodann der Goodwill als Rest. Dieses Verfahren zielte allerdings eher auf anlage­ intensive Industrieunternehmen, so dass beide Gutachter das direkte Verfahren favorisierten. Dieses ging von dem Gedanken aus, dass sich der Goodwill in einem regelmäßigen Übergewinn manifestiere, d. h. einem Gewinn, der über die möglichen Zinsgewinne für das investierte Kapital sowie den in einer vergleichbaren Angestelltenposition erzielbaren Lohn hinausging. Diese beiden Kom­ ponenten mussten also vom Gesamtgewinn abgezogen werden; der ver­bleibende Übergewinn wurde sodann mit einem bestimmten Faktor multipliziert, der sich aus der Zahl der benötigten Jahre ergab, in denen ein vergleich­bares neu geschaffenes Unternehmen zur gleichen Ertragskraft gebracht werden könne. Die stark abweichenden Ergebnisse der beiden Gutachter hatten ihre Ursache größtenteils darin, dass sie bei prinzipiell gleicher Berechnungsformel für diesen Multiplikator jeweils andere Werte einsetzten. Der von Alfred Frankenfelder beauftragte Gutachter gab vor diesem Hintergrund auch offen zu, »dass es m.W. schlechthin keine richtige oder unrichtige Betrachtungsweise zur Lösung des in Rede stehenden Problems gibt […], weil es sich immer um eine Ansichtssache handelt, wie man den ideellen Wert eines Unternehmens zu betrachten geneigt ist.«178 Er empfahl daher dringend einen durch Verhandlungen erzielten Vergleich. In diesem wie in anderen Fällen erwies es sich als unmöglich, auf der Grundlage betriebswirtschaftlicher Rechenverfahren für das in Rede stehende Unternehmen einen Wert zu ermitteln, der von den Beteiligten einvernehmlich anerkannt worden wäre. Was der Wert eines Unternehmens zu einem bestimmten Zeitpunkt gewesen sei, konnte schon deswegen keine durch externe Instanzen objektiv bestimmbare Größe sein, weil diese sich immer nur als Produkt einer konkreten Interaktion, aus den aktuellen Erwartungen und Zuschreibungen der jeweils Beteiligten ergeben konnte. Die anerkannten Berechnungsverfahren konnten insofern immer nur Orientierungswerte liefern, von denen individuelle Verhandlungen ihren Ausgang zu nehmen hatten. Zu unversöhnlich gegeneinanderstehenden Betrachtungsweisen führte der Umstand, dass sich individuelle Vergangenheitsentwürfe mit den betriebswirtschaftlichen Rechenverfahren verschränkten. Die in Deutschland noch in den 1950er Jahren einflussreichste Theorie zur Bewertung von Unternehmen war als »Schmalenbach’sche Schätzungslehre« bekannt.179 Demnach trugen zum 178 Ebd., Bl. 27. 179 Schmalenbach, S.  35–57. Dass gerade die Auseinandersetzungen um die Rückerstattung jüdischen Unternehmensvermögens die zeitgenössische betriebswirtschaftliche Fachdiskussion um die Bewertung von Unternehmen erheblich mitstimulierte, zeigt Mellerowicz, S. 167–177, der seine theoretischen Erörterungen am Beispiel eines Restitutionsverfahrens demonstriert.

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Wert eines Unternehmens entscheidend die erwartbaren Zukunftsgewinne bei, die ein potentieller Käufer nach der Übernahme erzielen konnte. Bei der Einschätzung dieser in der Zukunft liegenden Gewinnentwicklung gab es keine andere Möglichkeit, als von der bisherigen Entwicklung auszugehen. Die Vergangenheit wurde also gedanklich in die Zukunft hinein verlängert, die bisher erzielten Gewinne wurden als Maßstab für die Berechnung der Zukunftsgewinne herangezogen.180 Diese Lehre setzte eine stetige Entwicklung voraus, zumindest über einen längeren Zeitraum betrachtet. Daraus ergab sich ein erstes Problem. Angesichts der deutschen Wirtschaftsgeschichte in der Zwischenkriegszeit im Allgemeinen sowie der Entwicklung der Wirtschaft im Nationalsozialismus im Besonderen konnte keineswegs jederzeit davon ausgegangen werden, dass zukünftige Entwicklungen immer genauso ausfallen würden wie vergangene. Die deutsche Wirtschaftsgeschichte dieser Epoche war eine permanente Abfolge von Ausnahmezuständen.181 So wehrten sich viele jüdische Rückerstattungsberechtigte mit Empörung gegen eine Betrachtungsweise, die angesichts eines ›normalen‹ Wirtschaftsverlaufs methodisch plausibel gewesen wäre: ihre in den Jahren unmittelbar vor 1933 erzielten Gewinne heranzuziehen, um den späteren Wert ihrer Unternehmen, um den Faktor der NS-Judenverfolgung gleichsam bereinigt, zu erhalten. Denn sie betrachteten die Zeit der Weltwirtschaftskrise keineswegs als eine für die Ertragskraft ihrer Unternehmen und ihre betriebswirtschaftlichen Leistungen aussagefähige Periode. Die oben genannten Gutachter stellten im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen beide falsche Berechnungen an. Sie zogen jeweils als die einzig verfügbaren die Gewinnziffern der Jahre 1936–1938 heran, was im Grunde einem Denkfehler unterlag. Denn um den Goodwill eines jüdischen Unternehmens zu ermitteln, den es gehabt hätte, wenn es nicht als »jüdisches Unternehmen« angesehen und diskriminiert worden wäre, hätte man strenggenommen nicht die tatsächlich erzielten Erträge heranziehen dürfen, sondern mit fiktiven Erträgen rechnen müssen, die das Unternehmen als nicht-jüdisches Unternehmen erzielt hätte. Die Häufung von Konjunktiven macht deutlich, dass sich jeder Versuch einer solchen Wertberechnung bei konsequenter Durchführung in einem mehrdimensionalen Gewirr aus hypothetischen Annahmen und unbestimmbaren Variablen verheddern musste, was die in den Akten überlieferten Gutachten auch immer wieder vorführen. Zudem handelte es sich bei den Auseinandersetzungen um den »wahren Wert« jüdischer Unternehmen um Betrachtungen ex post, d. h. die Beteiligten kannten die damals noch unbekannte spätere Entwicklung, wodurch sich ihre Maßstäbe nachträglich verschoben. Die gegenüberstehenden Parteien konstruierten zur Untermauerung ihres Standpunktes jeweils spezifische virtuelle Geschichtsverläufe. So argumentierten viele Rückerstattungspflichtige mit dem Hinweis, auch jüdische Unternehmer hätten unter den Auswirkungen der Kriegswirtschaft und den Zer180 Schmalenbach, S. 36. 181 Abelshauser/Petzina.

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störungen des Bombenkrieges zu leiden gehabt, wenn sie nicht aufgrund der antisemitischen Verfolgung aus ihren Positionen verdrängt worden wären. Hieß das aber, dass ein 1938 verkauftes Unternehmen schon damals keinen Wert mehr hatte, weil es später unweigerlich zerstört worden wäre? Für jüdische Anspruchsteller schien das kein sinnvolles oder auch nur denkbares Szenario. Während sie mit einem solchen Argument gleichsam retrospektiv in die deutsche Notgemeinschaft der Kriegs- und Nachkriegszeit zwangsintegriert werden sollten, waren für sie Judenverfolgung und Krieg zwei zusammengehörige Komplexe, die sich nicht trennen ließen. Nur ein gedachter historischer Verlauf, aus dem die gesamte nationalsozialistische Herrschaft mit allen ihren Erscheinungen und Folgen herausgedacht wurde, war für sie als »Normalverlauf« denkbar, in dessen Rahmen sich ihre Leistungen und die von ihnen geschaffenen Werte beurteilen ließen. Ihre Identitätsbindung an das existierende Deutschland und seine reale Geschichte hatten sie somit in einem sehr grundsätzlichen Sinne verloren. Die Auseinandersetzungen um den »wirklichen Wert« der Rückerstattung unterliegender Unternehmen waren daher entscheidend davon geprägt, in welcher unterschiedlichen Weise sich die Beteiligten in ihrer historischen Identität wahrnahmen, in welchen übergeordneten geschichtlichen Rahmenverläufen sie sich verorteten und auf welche gedachten kontrafaktischen Verläufe sie zur Selbstversicherung Bezug nahmen. Diese Beobachtungen erscheinen allerdings geeignet, alle Wünsche und Versuche, den Gesamtumfang des während der NS-Zeit entzogenen jüdischen Vermögens objektiv zu berechnen, in ihren theoretischen und methodischen Grundlagen zweifelhaft erscheinen zu lassen;182 denn dieses Vermögen ist eine nicht-statische, mehrdimensionale, eben historische Kategorie. In den allermeisten Fällen war die Frage adäquater Berechnungsmethoden schon deswegen eher theoretischer Natur, weil das erforderliche Zahlen­material nicht zur Verfügung stand. Nur äußerst selten hatten sich in die 1920er Jahre zurückreichende, stattdessen oftmals gar keine Unterlagen mehr erhalten, die Aufschluss über die Bilanz- und Gewinnentwicklungen hätten geben können. Regelmäßig musste der Versuch unternommen werden, diese anhand verstreuter, zufälliger und ungesicherter Einzeldaten zu rekonstruieren. Den Anspruch auf Rückerstattung als solchen gefährdeten diese dokumentarischen Schwierigkeiten nicht. In den Entschädigungsverfahren jedoch konnte sich der Mangel an urkundlichen Belegen unter Umständen gravierend auswirken und diese Verfahren für die jüdischen Verfolgten oder ihre Erben zu einem mühseligen Kampf um die Anerkennung ihrer Ansprüche geraten lassen. Die Konstellation stellte sich im Vergleich zu den Rückerstattungsverfahren anders dar: Die Anspruchsberechtigten waren keinen Abwehrversuchen einer rückerstattungspflichtigen Gegenpartei ausgesetzt, aber mit einem bürokratischen Apparat und seinen Prozeduren konfrontiert, die einen vergleichsweise hohen Beleg­aufwand erforderlich machten. Dabei ging es um die Wahrung materieller Ansprüche, 182 Vgl. etwa Lillteicher, Raub, S. 15; Junz.

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immer aber auch um die Anerkennung von Lebensläufen und -leistungen, bei denen die ehemaligen jüdischen Unternehmer gegen ihre Eliminierung aus dem öffentlichen Gedächtnis angehen mussten. Besonders die überlebenden Inhaber kleiner Betriebe, die nicht der Pflicht zur Eintragung im Handelsregister unterlagen, hatten oftmals bereits Mühe nachzuweisen, dass es diese jemals gegeben hatte. So hatte die schon 1933 nach Frankreich emigrierte Hilda Schiff bei ihrer Ausreise das von ihr geführte Modegeschäft Mode Mara kurzerhand zurückgelassen. Erst bei einer späteren kurzen Rückreise räumte sie das Laden­ geschäft und hinterließ zur Abgeltung von Mietschulden einige Inventarstücke. Im März 1948 wandte sie sich an die US-Militärregierung, um mögliche Wiedergutmachungsansprüche zu eruieren. Die zuständige Property Control-Abteilung unternahm daraufhin umfangreiche Ermittlungen. Nachfragen bei der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer sowie beim Verband des Bekleidungsgewerbes blieben allerdings ohne Ergebnis. Die Besitzer des Hauses, in der sich das Geschäft befunden hatte, konnten sich bei einer persönlichen Befragung an die kleine Verkaufsstelle nicht erinnern.183 Die antisemitische Verdrängung jüdischer Unternehmer war mitunter so vollständig, dass sich nicht einmal Spuren in Archiven und Erinnerungen hinterlassen hatte. Das Entschädigungsverfahren wurde auf diese Weise zur Suche nach einer beinahe vollständig verschütteten Identität. Viele Verfolgte standen auf dem Standpunkt, dass es der aufwändigen Prozeduren in der Wiedergutmachung angesichts der Offensichtlichkeit des Geschehenen eigentlich nicht bedurft hätte. Doch stießen ehemalige Frank­f urter Unternehmer immer wieder auf den für sie verletzenden Umstand, dass die kollektive Erinnerung an die jüdische Gewerbetätigkeit in der Stadt geschwunden war. Als Adolf Beckhardt seinen Entschädigungsantrag wegen der erzwungenen Aufgabe des Konfektionsgeschäfts W. Fuhrländer Nachf. stellte, setzte er damit umfangreiche Ermittlungen der Behörde bei den zuständigen Stellen der Finanz- und Steuerverwaltung über das Unternehmen in Gang. Dass diese zunächst ohne befriedigende Ergebnisse blieben, war für den nach New York emigrierten Verfolgten unverständlich, weil sich seiner Meinung nach jeder Frankfurter Einwohner an eines der größten Bekleidungsgeschäfte auf der Zeil hätte erinnern müssen: »Es ist unglaublich, dass das Rechneiamt nicht besser Bescheid über unsere frühere Firma Fuhrländer weiß. Unsere Firma wurde 1860 gegründet und 1867 von meinem Großvater Adolf Beckhardt gekauft. Seit mindestens 1905, d. h. solange ich mich entsinnen kann, zahlte mein Vater die Steuern von einem Einkommen von mindestens Mk 100.000.– bis 200.000.– jährlich; er gehörte bereits lange vor Weltkrieg I zu den größten Steuerzahlern Frankfurts.« Um die leicht zu erbringenden Einkommensnachweise – dass sein Einkommen das der höchsten Beamtenlaufbahn erheblich überstiegen hatte, lag auf der Hand – ging es Beckhardt dabei nicht, sondern um die Anerkennung 183 CAH Ffm. an OMGH Property Division, 24.4.1948; dass., 18.8.1948, NARA, RG 260, Box 1280, 8/138–1/19.

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einer jahrzehntelangen kaufmännischen Familiengeschichte: »Obwohl diese Zahlen ja heute keine Bedeutung mehr haben, möchte ich als ›letzter Mohikaner‹ die Zahlen richtig stellen.«184 Viele Anspruchsberechtigte, die nicht zu den prominenten Unternehmern der Stadt gehört hatten, kostete der Kampf um die Anerkennung ihrer früheren sozialen und ökonomischen Stellung erheblich mehr Mühe. Der oben erwähnte Heinrich Tuteur benötigte mehrere Jahre der Auseinandersetzung mit der Entschädigungsbehörde, um seine Vorstellungen von einer angemessenen Wiedergutmachungsleistung durchzusetzen. Im Zuge des Novemberpogroms überstürzt nach Hamburg geflohen und von dort vollkommen mittellos in die USA gelangt, verfügte er über keinerlei Unterlagen mehr zu seinem früheren Einkommen. Er gab aus der Erinnerung die Jahresumsätze seines Käsegroßhandelsunternehmens Samuel Bieler mit 180.000 RM und seinen jährlichen Gewinnanteil mit 10.000–12.000 RM an. Während er in Frankfurt mit seiner Familie eine 6-Zimmer-Wohnung bewohnt und zwei Hausangestellte beschäftigt hatte, bekleidete er in den ersten Exiljahren in New York nur eine Aushilfsstelle, in der der 50 Dollar im Monat verdiente. Im Jahr 1942 gelang es ihm, sich mit einer kleinen Reparaturwerkstätte selbständig zu machen, die er im Keller des von ihm bewohnten Hauses einrichtete. Als dieses Haus aber abgerissen werden sollte, wurde die Familie nochmals in existentielle Schwierigkeiten gestürzt, weswegen Heinrich Tuteur mehrmals eindringliche Schreiben an die deutsche Entschädigungsbehörde richtete und um die Beschleunigung seiner Wiedergutmachungsangelegenheiten bat.185 Einen Anwalt konnte sich der Überlebende Heinrich Tuteur nicht leisten. Dass er in seinen handgeschriebenen Ausführungen und Anträgen die Systematik der verschiedenen Schadenskategorien bisweilen durcheinanderbrachte, trug ihm den Tadel der Behörde ein und die Aufforderung »in Zukunft streng auf die Aktenzeichen zu achten.«186 Mit einem juristisch unkundigen Über­ lebenden in fortgeschrittenem Alter konnten die Sachbearbeiter nichts anfangen. Erst als Heinrich Tuteur doch einen Anwalt einschaltete, nahm die Angelegenheit Gestalt an. Zur Einstufung in eine vergleichbare Beamtengruppe orientierte sich die Behörde nicht an den Angaben des Anspruchstellers, sondern ließ anhand der noch rekonstruierbaren Handelskammerbeiträge des Unternehmens die gewerblichen Erträge berechnen.187 Weil aber nur Zahlen für die Jahre 1930–1935 vorlagen, ergab sich auch hier ein zweifelhaftes Ergebnis, weil ausgerechnet die Jahre, in denen das Unternehmen durch die Weltwirtschaftskrise und die beginnenden NS-Boykotte stark in Mitleidenschaft gezogen war, für die Rekonstruktion der ›normalen‹ Unternehmerkarriere des 184 Adolf Beckhardt an L. Winker, 31.10.1956, HStAW, Abt. 518, 4083, Bl. 125. 185 Eidesstattliche Versicherung Henry Tuteur, 8.1.1957, HStAW, Abt. 518, 1891/14, Bl. 67 f.; Henry Tuteur an Entschädigungsbehörde, 29.8.1957, ebd., Bl. 91. 186 Entschädigungsbehörde an Henry Tuteur, 18.6.1958, ebd., Bl. 127. 187 IHK an Entschädigungsbehörde, 23.7.1958, ebd., Bl. 142.

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Anspruchstellers herhalten sollten und Heinrich Tuteur daraufhin nur in die Gruppe des mittleren Dienstes eingestuft wurde, was auf eine Geldentschädigung von 3.600 DM hinauslief.188 Obwohl auf jegliche Mittel dringend angewiesen, gab sich der Verfolgte mit diesem Bescheid nicht zufrieden, sondern kämpfte weiter um die Anerkennung der Tatsache, dass er einst ein profitables Unternehmen größeren Umfangs in Frankfurt geführt hatte und kein Kleinunternehmer gewesen war. Das war auch in materieller Hinsicht wichtig, denn nach der Logik der Berufsschadenskategorie hätte sein kärglicher Lebensunterhalt in den USA andernfalls als Wiedererlangung seines früheren Lebensstandards interpretiert werden müssen. Auch nachdem das Frankfurter Landgericht seine Klage gegen den Bescheid abgewiesen hatte, gab der Anspruchsteller nicht auf. Da er der Entschädigungsbehörde weitere rechtliche Schritte ankündigte, fand diese sich angesichts der von Tuteur beigebrachten Zeugenaussagen, die seine Sicht bestätigten, Ende 1963 bereit, ihm per Vergleich den Höchstbetrag von 40.000 DM als Entschädigung zuzugestehen.189 Nur selten allerdings konnten oder wollten die überlebenden Anspruchsteller sich eine solche Ausdauer leisten.

6. Bilanz der Wiedergutmachung Im Folgenden gilt es die behandelten Einzelbeispiele in einen größeren empirischen Rahmen zu stellen. Quantitative Angaben zur bundesdeutschen Wiedergutmachung von NS-Unrecht mussten sich bis zuletzt auf die veröffentlichten Globalziffern stützen, die nur wenige Spezifizierungen erlaubten. Da keine Studien auf der Grundlage statistischer Erhebungen zur Rückerstattung vorliegen, waren auch die jüngsten Betrachtungen Jürgen Lillteichers ausschließlich auf das amtliche Zahlenmaterial angewiesen.190 Die quantitativen Auswertungen der Entschädigungsverfahren, die zum Teil  bereits auf der Basis zufälliger Stichproben durchgeführt wurden, sind hingegen mit den hier angestellten Erhebungen kaum zu vergleichen, da anders als in der Rückerstattung die Gruppe jüdischer Antragsteller nur einen vergleichsweise geringen Anteil aufweist und sich von der Grundgesamtheit deutlich unterscheidet.191 Die hier erhobenen Daten erschließen nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtkomplex. Unternehmensvermögen betrafen etwa 10  Prozent der gesamten Ansprüche auf Rück­erstattung.192 Zudem wurden nur diejenigen Schadenskategorien im 188 Bescheid der Entschädigungsbehörde, 8.3.1960, ebd., Bl. 169. 189 Behördenvermerk für die Kassenanweisung, 22.10.1963, ebd., Bl. 253. 190 Lillteicher, Raub, S. 113–134. 191 Scharffenberg, S. 152; S. 159–171; zuletzt Meyer/Spernol. 192 Vgl. Lillteicher, Raub, S. 131, der für Hamburg bis 1952 einen Anteil der Ansprüche auf Unternehmen von 8 Prozent angibt. Bezogen nur auf die Ansprüche gegen Privat­personen betrug der Anteil 14 Prozent.

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Rahmen der Entschädigung erfasst, die für die Anspruchsteller als verfolgte Unter­nehmer besonders relevant waren. Nicht alle Rückerstattungsverfahren wurden von Privatpersonen betrieben, da in vielen Fällen die möglichen Anspruchsberechtigten und ihre Erben ermordet worden waren. Für die amerikanische Besatzungszone war als Nachfolgeorganisation für solche Ansprüche die Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) ins Leben gerufen worden. In größter Eile bemühte sie sich, durch systematische Durchsicht öffentlicher Akten vor Ablauf der Anmeldefrist noch so viele Vermögenswerte wie möglich zu erfassen und mögliche Ansprüche in Form Zehntausender von Kurzanmeldungen beim Zentralmeldeamt zu wahren.193 Zu erbitterten Streitigkeiten kam es mit den wiedergegründeten jüdischen Gemeinden um das durch die Nationalsozialisten enteignete frühere Gemeindevermögen, das beide Seiten für sich beanspruchten.194 Als erstes Bundesland hatte Hessen im Februar 1951 mit der jüdischen Nachfolgeorganisation ein Abkommen geschlossen, nach dem die noch offenen Ansprüche gegen eine Zahlung von gut 17 Mio. DM an das Land abgetreten wurden.195 Damit ergab sich die eigenartige Situation, dass in den noch offenen Verfahren das Land gegenüber Rückerstattungspflichtigen in die Rolle des Berechtigten eintrat. Hierzu wurde die Hessische Treuhandverwaltung (HTV) gegründet, welche die Verfolgung der Ansprüche übernahm. Von den 363 ermittelten Verfahren entfielen 89 (25 Prozent) auf die HTV und nur 8 (2 Prozent) auf die JRSO selbst. Die Zahl der ermittelten Verfahren unterschreitet die Zahl der ermittelten Übernahmen jüdischer Unternehmen während der NS-Zeit ganz erheblich. Offenbar nur etwa 70 Prozent der »Arisierungen« wurden Gegenstand eines späteren Rückerstattungsverfahrens. Über die Gründe können nur Mutmaßungen angestellt werden. Möglich ist, dass ein gewisser Teil  der Verfolgten sich außerhalb des Rückerstattungsprogramms mit den Erwerbern ihrer Unter­ nehmen einigte, auch wenn solche privaten Vereinbarungen eigentlich den Ämtern mitgeteilt werden sollten. Des Weiteren kann angenommen werden, dass insbesondere in den Jahren 1933–1937 Übernahmen möglicherweise noch unter Bedingungen vollzogen wurden, die den Verkäufern später keinen Anlass zu Rückerstattungsforderungen gaben, andererseits aber auch nicht durch die jüdische Nachfolgeorganisation ermittelt wurden. Manche Überlebende wollten schlichtweg keinen Rückerstattungsantrag stellen, wofür es unterschiedlichste Gründe geben konnte. Offenbar haben die Nachfolgeorganisationen nicht alle 193 Report No. 1 of the Jewish Restitution Successor Organization on the Restitution of Jewish Property in the U. S. Zone of Germany, 1.10.1948, CAHJP, JRSO NYC, 463; Kagan/Weismann, S. 6 f. 194 Hierzu allgemein Münch; Schreiber; Takei; für Frankfurt Tauber, S. 138–155. 195 Geheimprotokoll über die 51. Sitzung des Kabinetts, Wiesbaden 28.11.1950, HStAW, 502, 8373; Beschlussprotokoll über die 7.  Sitzung des Kabinetts, 7.2.1951, HStAW, Abt. 502, 8380.

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unbeanspruchten Unternehmen, die unter Umständen nicht mehr existierten, noch ausfindig machen können. In den Rückerstattungsverfahren, die von natürlichen Personen betrieben wurden, konnte in etwa 86 Prozent der Fälle der Anspruch dem Grundsatz nach durchgefochten werden. In 8 Prozent wurden die Ansprüche von den Antragstellern selbst zurückgezogen und in nur 6 Prozent von den Ämtern und Gerichten abgewiesen oder ohne Ergebnis eingestellt. Unter den Rücknahmen befanden sich darüber hinaus einige Fälle, in denen sich die Verfahrensbeteiligten privat verglichen hatten, sowie Fälle, in denen jüdische Unternehmer während der NS-Herrschaft ihren Betrieb liquidiert hatten und, da die Regelungen zur Entschädigung noch auf sich warten ließen, vorsorglich einen Rückerstattungsantrag stellten, den sie später zurückzogen. Für die Betroffenen schmerzhaft waren Ablehnungen, die wegen Versäumnis der Ausschlussfrist vom 31.  Dezember 1948 ergingen; auch Verspätungen nur um wenige Tage hatten die Abweisung des Antrags zur Folge. Ähnlich erfolgreich wie die individuellen Antragsteller war die Nachfolgeorganisation JRSO, die aber nur in wenigen Fällen Unternehmen rückforderte. Mit allen Anträgen, die sie nicht selbst zurückzog, war sie erfolgreich. Anders sah es bei der deutschen HTV aus, die nach anderen Gesichtspunkten agierte. Sie schonte viele Rückerstattungspflichtige und zog 36 Prozent ihrer Ansprüche zurück. Damit geschah in kleinem Maßstab, was Gegner der Rückerstattung schon immer gefordert hatten: Der Staat, der für die Übernahme dieser Ansprüche gezahlt hatte, verzichtete auf ihre Realisierung und übernahm die materiellen Verpflichtungen der »Ariseure« selbst. Nur ein einziges Mal zog die HTV in einem Verfahren vor das Oberste Rückerstattungsgericht – möglicherweise, weil es sich in diesem Fall bei dem Rückerstattungspflichtigen um ein ausländisches Unternehmen handelte. Dass die jüdischen Rückerstattungsberechtigten zu ihrem Recht kamen, sagt noch nichts darüber aus, auf welchem Weg das geschah. Tab. 18: Abschlüsse der Rückerstattungsverfahren nach Instanz Abschluss/Instanz

Prozent

Vergleich vor AVW

63

Vergleich vor Landgericht

22

Vergleich vor Oberlandesgericht

2

Beschluss AVW

4

Beschluss Landgericht

9 100

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt, 288 Datensätze

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Laut Tabelle 18 wurde der weitaus überwiegende Teil der Verfahren (87 Prozent) per Vergleich abgeschlossen. Das musste nicht unbedingt eine »gütliche Einigung« im zwischenmenschlichen Sinne bedeuten. Auch heißt es nicht, dass es in diesen Verfahren nicht zu erbitterten Auseinandersetzungen kommen konnte. Die direkten Verhandlungen zwischen den Parteien, auf die in den Verfahrensakten des Öfteren verwiesen wird, entziehen sich den heutigen Forschungen. Welche Konflikte und Auseinandersetzungen, welche persönlichen Erfahrungen sich hinter einem Vergleich verbargen, lässt sich nur in wenigen Fällen ermessen. Die vor den Wiedergutmachungskammern des Landgerichtes verhandelten Verfahren endeten fast immer ebenfalls mit einem Vergleich, so dass sich aus dem formalen Abschluss kaum auf den Charakter eines Verfahrens schließen lässt. Was die Beteiligung der unterschiedlichen Instanzen angeht, geben die an­ geführten Zahlen der Tabelle 18 nur an, auf welcher Ebene der formelle Abschluss letztlich erfolgte. Tatsächlich war die Beteiligung der oberen Instanzen höher, denn das Oberste Rückerstattungsgericht, das Oberlandesgericht und das Landgericht gaben die Verfahren des Öfteren an die unteren Instanzen mit der Aufforderung an die Parteien zurück, dort einen Vergleich abzuschließen. Damit bestätigt sich der Befund, dass die Rückerstattung angesichts der vergleichweise eindeutigen Rechtslage von hoher Konfliktbereitschaft geprägt war.196 Mehr als ein Drittel der Verfahren musste an die oberen Instanzen verwiesen werden. Die Rückerstattung jüdischer Unternehmen war in Frankfurt dennoch nach zwei Jahren mehr als zur Hälfte, zum Ende des Jahres 1954 zu über 90 Prozent, Ende 1956 schließlich nahezu zur Gänze abgewickelt, und nur wenige Verfahren zogen sich länger hin. Was bedeuteten die Verfahrensabschlüsse in materieller Hinsicht? In einer Nachzahlung in Geld resultierten etwas über 80  Prozent der Verfahren, weitere 11  Prozent endeten mit einer Restitution in natura, die restlichen Verfahren mit anderen Lösungsvarianten. Unter der Restitution in natura sollte allerdings nicht die Rückübertragung des Unternehmens im Sinne einer Wiederübernahme der Geschäftsführung durch die jüdischen Vorinhaber verstanden werden. Sofern nicht lediglich Teile des Inventars oder sonstige Vermögensgegenstände zurückgegeben wurden, vollzog sie sich in der Regel durch die Rückübertragung von Gesellschaftsanteilen oder Aktien, ohne dass die Rückerstattungsberechtigten wieder eine konkrete Stellung in dem Unternehmen erhielten. Als weitere Lösungsvariante wurde in vier Prozent der Verfahren eine Beteiligung der jüdischen Verfolgten an dem fraglichen Unternehmen vereinbart, oft in Form einer auf Zeit gewährten Gewinnbeteiligung, die bis zum Erreichen einer bestimmten Mindestsumme laufen sollte. Diese Variante bot sich an, wenn ein rückerstattungspflichtiges Unternehmen zur sofortigen Abgeltung der Ansprüche nicht in der Lage war. Eine weitere Option, die bisweilen bei völlig mittellosen Pflichtigen gewählt wurde, war die Abtretung der diesen zu196 Lillteicher, Raub, S. 134.

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stehenden Kriegsschädensansprüche an die Rückerstattungsberechtigten, was aber nur in zwei Prozent der Fällen geschah. Das weitaus häufigste Ergebnis der Rückerstattungsverfahren stellte die geldliche Nachzahlung dar. Die Option auf Nachzahlung war als Artikel 16 erst aufgrund einer hessischen Initiative noch kurz vor der Verabschiedung in das Rückerstattungsgesetz aufgenommen worden197 Sie verschaffte der Durchführung des Rückerstattungsgesetzes einen sonderlichen Charakter: Die Rückerstattung von Vermögensgegenständen stellte sich, jedenfalls was den Bereich der Unternehmen betraf, als verkapptes Entschädigungsprogramm dar, bei dem die gewährten Leistungen von den Erwerbern jüdischer Betriebe individuell aufgebracht wurden. Da die Verfolgten fast nie nach Deutschland zurückkehren wollten, lag diese Lösung durchaus in ihrem Interesse. Die geldlichen Nachzahlungen in den hier erfassten Verfahren addierten sich zu einer Summe von 11.822.342 DM. Angesichts der enormen Spannbreite – die Zahlungen rangierten zwischen 78 DM und 2,15 Mio DM im Falle der H. Fuld AG – besitzt der Durchschnittswert von 52.000 DM keine hohe Aussagekraft. Der Medianwert hingegen liegt nur bei 8.000 DM, d. h. die Hälfte aller Nachzahlungen lag bei oder unter diesem Betrag. Sinnvoll erscheint es daher, die Höhe der Zahlungen differenziert zu gruppieren (vgl. Tab. 19). Tab. 19: Nachzahlungen in den Rückerstattungsverfahren nach Gruppen Höhe

Prozent d. Verf.

Durchschnittl. Höhe

< 1000 DM

13

380 DM

1000–9.999 DM

38

3.290 DM

10.000–49.999 DM

31

21.780 DM

50.000–99.999 DM

9

64.950 DM

100.000–999.999 DM

7

254.110 DM

> 1 Mio. DM

1

1.460.430 DM

Quelle: Datenbank Jüdische Unternehmen Frankfurt, 227 Datensätze

Vor allem die von der HTV erzielten Zahlungen waren ausgesprochen gering. Die Summe der an sie ergangenen Nachzahlungen betrug nur 99.475 DM (weniger als 1 Prozent der Gesamtsumme), der Durchschnittswert pro Verfahren nur 2.030 DM. Auch in den durchgefochtenen Verfahren ging die deutsche Organisation mit den Rückerstattungspflichtigen großzügig um und verlangte oftmals 197 O. Küster, Rückerstattung und guter Glaube. Zum Entwurf eines Rückerstattungsgesetzes, II. Teil, in: Wirtschafts-Zeitung, Nr. 28, 11.7.1947.

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nur symbolische Beträge. Der oben ausgeworfene Gesamtbetrag ist aber nicht identisch mit den gesamten erbrachten Wiedergutmachungsleistungen. Zum einen lassen sich die Restitutionen in natura und die Beteiligungen jüdischer Vorinhaber meist nicht in konkreten Zahlen ausdrücken, zum anderen wurden mitunter solche Leistungen noch zusätzlich zu einer Nachzahlung gewährt. Die Gesamtsumme der Wiedergutmachungsleistungen in eine Relation zum Gesamtwert des in Frankfurt entzogenen jüdischen Unternehmensvermögens zu bringen, ist nicht möglich. Stattdessen erscheint es sinnvoller, nach den tatsächlichen Wirkungen dieser Leistungen zu fragen. Resümierend lässt sich dazu eines mit Sicherheit sagen: Niemand wurde durch die Rückerstattung in den Stand versetzt, materiell dort wieder zu beginnen, wo er vor seiner Existenzvernichtung durch das NS-Regime gestanden hatte. Das lag schon in der Anlage des Systems einer individuellen Rückerstattung begründet, verfügten doch die Rückerstattungspflichtigen, die in vielen Fällen der erworbenen Vermögenswerte durch kriegsbedingte, selbstverschuldete oder sonstige Entwicklungen selbst bereits wieder verlustig gegangen waren, oft nicht über ausreichende Mittel, den entstandenen Vermögens­schaden vollständig zu begleichen. Die Festlegung auf weitreichende Haftungsverpflichtungen zielte in solchen Fällen ins Leere, und die Aushandlung von Vergleichen musste sich unter diesen Bedingungen von vornherein eher an den Möglichkeiten der Pflichtigen orientieren als am entstandenen Vermögensverlust. Die Diskussion über die strengen Vorschriften des Rückerstattungsgesetzes in Bezug auf Erstattungen und Haftungen stieß vor diesem Hintergrund überwiegend ins Leere, da die Rolle der Ämter und Gerichte nicht darin bestehen konnte, diese wortgenau zu exekutieren, sondern Lösungen im Rahmen des Möglichen zu finden. Dass sie dabei den Rückerstattungspflichtigen tendenziell mit größerer Sympathie begegneten, lässt sich an einigen Stellen beobachten, jedoch ließ das Gesetz hierzu nur einen begrenzten Spielraum.198 Wenn eine »Arisierung« tatsächlich in freundschaftlichem Einvernehmen, aber dennoch unfreiwillig oder zu fremdbestimmten Konditionen erfolgt war, blieb genügend Raum, um zu einer gütlichen Lösung zu finden. Es konnten temporäre Umsatz- oder Gewinnbeteiligungen gewährt oder Nachzahlungen auf eine spätere Zeit verschoben werden. Auch hierfür bildeten die strikten Bestimmungen des Rückerstattungsgesetzes nur den Rahmen, nicht den Maßstab, denn die frei ausgehandelten Vergleiche konnten individuelle und flexible Lösungen fixieren. Eine freundschaftliche Beziehung zwischen den Verfahrensbeteiligten verhinderte im Übrigen mitnichten harte Verhandlungen in der Sache, d. h. um eine in der Höhe für die Verfolgten angemessene und für die Pflichtigen tragbare Wiedergutmachungsleistung. Noch stärker als die Rückerstattung stellte sich die Entschädigung als ein nüchterner Verwaltungsvorgang dar; trotz in der Regel beträchtlichen Umfangs erlauben die überlieferten Einzelfallakten kaum Einblicke in die Perspek198 Vgl. auch Wogersien, S. 257–262.

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tive der jüdischen Antragsteller. Dafür war die ungleich größere Formalisierung des Verfahrens verantwortlich, in dem kaum Raum für subjektive Äußerungen und Ausführungen war. In zeitlicher Hinsicht lässt sich die Entschädigung ziemlich eindeutig als eine Art zweite – bis heute andauernde – Stufe der Wiedergutmachung für NS-Unrecht qualifizieren, denn sie setzte ein, als die Rückerstattung sich in Abwicklung befand. Für die nachfolgenden Angaben wurden insbesondere Daten für die Kategorie des Schadens im beruflichen Fortkommen erhoben. Sie war für die ehemaligen Frankfurter Unternehmer die auch vom Umfang der Leistungen her wichtigste Kategorie und dominierte die Verfahren eindeutig. Der Schaden im beruflichen Fortkommen war in der Regel die Schadens­ kategorie, über die als erste oder zumindest relativ früh entschieden wurde. Sie konnte folglich in der ersten Hälfte der 1960er Jahre nahezu vollständig abgewickelt werden. In anderen Schadenskategorien wie dem Vermögensschaden und vor allem dem Gesundheitsschaden ergingen Bescheide in der Regel später und zogen sich die Verfahren insgesamt länger hin. Einen Schaden im beruflichen Fortkommen machten nahezu alle der hier betrachteten Antragsteller geltend. Die Erfolgsquote betrug fast 98 Prozent. Sofern also verfolgte Unternehmer ihren entsprechenden Antrag nicht zurückzogen oder erst gar nicht gestellt hatten, wurde ihren Ansprüchen fast immer grundsätzlich Genüge getan.199 Da hier nur ein spezifisches Segment der Entschädigung betrachtet wird, sollten die Ergebnisse nicht über Gebühr verallgemeinert werden. Die Kategorie des Schadens im beruflichen Fortkommen war eine sichere Kategorie, mit der sich die kritische Literatur kaum beschäftigt hat. Hinter der hohen Quote positiver Bescheide verbergen sich aber nicht wenige erbitterte Auseinandersetzungen um die Höhe und Ausgestaltung der Entschädigungsleistung, denn die grundsätzliche Anerkennung des Anspruchs allein sagt hierüber nichts aus. Es ging in der Regel um die Frage der Einstufung in eine vergleichbare Beamtengruppe sowie – hiermit oft zusammenhängend – um die Länge des Entschädigungszeitraums, d. h. um seinen Anfang und vor allem sein Ende. Im Entschädigungsgesetz hieß es, dass die wirtschaftliche Stellung »nach dem Durchschnittseinkommen des Verfolgten in den letzten drei Jahren vor Beginn der Verfolgung zu beurteilen« sei (§ 76, 1). Wenn sich Beschränkungen durch die NS-Judenverfolgungen bereits seit 1933 ausgewirkt hatten, was in vielen Fällen zutraf, bedeutete dies aber, dass der maßgebliche Referenzzeitraum mit der Phase der Weltwirtschaftskrise zusammenfiel. In nicht wenigen Fällen führte dies zu umstrittenen Entscheidungen, wie das Verfahren von Milan Rosenthal, dem früheren Mitinhaber der Holzhandelsfirma Julius Lilienstein, plastisch vor Augen führt. Das betreffende Unternehmen hatte in den 1920er Jahren bedeutenden Umfang erreicht, war aber durch die Wirtschaftskrise in enorme Schwierigkeiten gestürzt worden, so dass die Jahre 1930–1932 mit Verlust ab­ 199 Gerichtliche Klagen von Juden auf Entschädigungsleistungen kamen daher auch im Vergleich zu anderen Opfergruppen seltener vor; vgl. Bebber, S. 116–131.

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geschlossen wurden. In strenger Auslegung des Gesetzes bedeutete das nichts weniger, als dass Rosenthal, der in diesen Jahren mithin keine gewerblichen Erträge erzielte und auch kein Einkommen versteuerte, durch die Verfolgung gar kein Schaden entstanden war. Zwar wurde in der ersten Durchführungs­ verordnung von 1954 die Bestimmung dahingehend relativiert, dass auch die soziale Stellung bei der Einstufung zu berücksichtigen sei, doch bedurfte es einiger Zeit, bis sich verbindliche Kriterien wie die formalen Bildungstitel und die Wohnsituation durchgesetzt hatten. Die Entschädigungsbehörde stufte Milan Rosenthal 1955 zunächst nur in den mittleren Dienst ein, was für ihn keinesfalls akzeptabel erschien.200 Neben der symbolischen Wirkung dieser Zurücksetzung hingen von dieser Einstufung bedeutende materielle Leistungen ab, denn nicht nur die Höhe der monatlichen Sätze für die Kapitalentschädigung bemaß sich hiernach, sondern auch der Zeitraum, für den sie gewährt wurde. Nach Maßgabe seiner Einstufung als mittlerer Beamter erschienen nämlich der Entschädigungsbehörde die Tätigkeiten, die Milan Rosenthal im New Yorker Exil zuerst als Lagerpacker, dann als Bürohilfskraft ausübte, für die Wiedererlangung seines früheren Lebensstandards ausreichend; außerdem besaß er aufgrund dieser Feststellung kein Anrecht auf die Wahl einer Rente. Erst 1958 konnte er im Wege eines Vergleichs die Höherstufung und die Gewährung einer Rente erreichen. Nicht alle Antragsteller besaßen Kraft und Ausdauer zu einer mehrjährigen Auseinandersetzung. Es ergab sich somit die Konsequenz, dass die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die gewerbliche Aktivität und die Einkommenssituation der deutschen Juden drei Jahrzehnte später noch auf ihre materiellen Ansprüche im Rahmen der Wiedergutmachung für NSUnrecht durchschlugen. Bei den Vermögensschäden, unter die auch Minderungen des Goodwill diskriminierter Unternehmen fielen,201 hatte sich in der Rechtssprechung eine enge Auslegung etabliert, welche die möglichen Ansprüche von vornherein deutlich beschränkte. Aus der strikt beachteten Trennung von Rückerstattung und Entschädigung ergab sich, dass alle diejenigen, die ihre Unternehmen während der NS-Zeit verkauft und deswegen ein Rückerstattungsverfahren geführt hatten, ihrer Ansprüche auf einen Ausgleich für geminderten Goodwill ver­ lustig gegangen waren. Dies musste der schon mehrfach erwähnte Heinrich Tuteur in seinem Entschädigungsverfahren erfahren. Er hatte kein Verständnis dafür, dass die Behörde jene 1.500 DM, die er im Wege der Rückerstattung von dem völlig mittellosen Pflichtigen als Nachzahlung erhalten hatte, auch als Ausgleich für den Verlust des Goodwill seines Unternehmens verstanden wissen wollte. Diese jedoch schrieb ihm: »Sie hatten jedenfalls im Rückerstattungsverfahren die Möglichkeit, auch einen evtl. Schaden wegen Verlustes des Goodwill geltend zu machen. Daß und warum Sie diese Möglichkeit nicht ausgenutzt 200 RA Max L. Cahn an LG Ffm., 3.10.1955, HStAW, Abt. 518, 8472, Bl. 121–125. 201 Vgl. zum Folgenden auch Köhler, Arisierung, S.  532–541, der die angewandten Berechnungsverfahren behandelt.

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haben, kann in vorliegendem Verfahren nicht zu einer anderen Beurteilung führen.«202 Das war in einem formalen Sinne korrekt. Jedoch ergab sich hieraus die Konsequenz, dass die ungünstigen materiellen Rahmenbedingungen der Rückerstattung auch auf die spätere Entschädigung durchschlugen, denn selbst offensichtliche Minderleistungen ließen sich nicht mehr kompensieren.203 Ämter und Gerichte legten großen Eifer an den Tag, Doppelleistungen zu verhindern, doch war die Komplementarität der beiden Wiedergutmachungssäulen eher eine formale denn eine materielle. Ansprüche wegen Goodwill-Verlusten konnten nur Verfolgte geltend machen, die ihre Unternehmen während der NS-Zeit liquidiert hatten. Eine praktische Schwierigkeit entstand daraus, dass die Entschädigungsbehörden Ansprüche von Privatpersonen nicht anerkannten, wenn sich diese auf eine offene Handelsgesellschaft oder eine GmbH bezogen. In solchen Fällen mussten vielmehr alle am Unternehmen Beteiligten bzw. ihre Erben das Unternehmen erst wieder gemeinsam neu gründen, so dass anschließend die Firma als juristische Person bzw. die ehemals Beteiligten als gemeinsame Liquidatoren als An­ spruchsteller auftreten konnten. Im schlechtesten Fall wurde hierdurch die Anmeldefrist für solche Ansprüche vom 1.  April 1958 versäumt.204 Doch auch wer das langwierige Verfahren auf sich nahm, wurde in der Regel enttäuscht. Denn in der Rechtspraxis zum Entschädigungsgesetz entwickelte sich bald der Grundsatz, dass nur in den Fällen Leistungen für Goodwill-Verluste möglich sein sollten, in denen ein Unternehmen Übergewinne erzielt hatte, die über das Einkommen der höchsten Beamtengruppe hinausgingen, da alle darunterliegenden Einkommengruppen bereits in der Berufsschadenkategorie berücksichtigt worden seien.205 Damit wurden in der Absicht, Doppelentschädigungen zu vermeiden, allerdings die Begriffe des Einkommens und des Unternehmenswertes in einer Weise verquickt, die kaum einem Antragsteller nachvollziehbar erschien und eine Vielzahl langwieriger Verfahren nach sich zog, die in den allermeisten Fällen mit Ablehnung endeten. Mit Entschädigungsleistungen für Goodwill-Verluste konnten mithin nur Inhaber größerer Unternehmen rechnen.206 Diese Beobachtungen relativieren die hohe Erfolgsquote der Anträge auf Berufsschaden. Dabei stellt sich die Entschädigung für materielle Schäden sogar noch deutlich positiver dar als die Entschädigung etwa für Freiheits- und Gesundheitsschäden. Gesundheitsschäden wurden in den 1950er Jahren äußerst selten geltend gemacht und hatten bei großem Aufwand keine guten Aus­sichten 202 Entschädigungsbehörde an Henry Tuteur, 18.6.1958, HStAW, Abt. 518, 1891/14, Bl. 127. 203 Vgl. auch die entsprechende Kritik bei Breslauer. 204 Vgl. Urteil OLG Ffm. vom 30.4.1971, in: Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht, Jg. 22, 1971, Heft 10, S. 454–455. 205 Als ein beliebiges Beispiel kann erneut die Fa. Julius Lilienstein dienen, deren Ansprüche auf Entschädigung für Goodwill-Verluste mit Bescheid vom 8.10.1962 abgelehnt wurden; HStAW, Abt. 518, 8470, Bl. 21–26. 206 Breslauer, S. 348.

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auf Erfolg. Bei den Freiheitsschäden, bei denen von vornherein nur über verhältnismäßig geringe Summen verhandelt wurde, erstaunt immer wieder die Hartnäckigkeit, mit der die zuständigen Sachbearbeiter die Leistungen auf ein Minimum zu begrenzen versuchten. So entsteht der Eindruck, dass die Sach­ bearbeiter der Entschädigungsbehörden im Bereich des Berufsschadens deutlich wohlmeinender agierten als in anderen Schadenskategorien, insbesondere den immateriellen Schäden. Damit bestätigt sich der auch andernorts getroffene Befund: Je enger ein Schaden mit dem verknüpft war, was landläufig mit der NS-Judenverfolgung assoziiert werden kann – nämlich Gewalt, Misshandlung, Haft, Deportation und Tod –, desto geringer war die Bereitschaft, ihn anzuerkennen und desto geringer fielen die materiellen Leistungen aus.207 Die Kultur und Praxis der Anerkennung von NS-Unrecht und die Proportionen der Entschädigung wandelten sich freilich. Bis Mitte der 1980er Jahre hatten die Leistungen für Schaden an Leben, Gesundheit und Freiheit einen Anteil von über 65  Prozent der Gesamtleistungen erreichten, während Leistungen für Schäden im beruflichen Fortkommen nur knapp 27 Prozent der Gesamtleistungen ausmachten.208 Die zum Teil fundamentale Kritik an der Entschädigung in den 1980er Jahren hatte sich immer wieder vorwiegend auf die für die Betroffenen oftmals demütigende und bisweilen re-traumatisierende Praxis der medizinischen Begutachtung im Rahmen der Kategorie des Gesundheitsschadens bezogen.209 Für die hier in den Blick kommenden Anspruchsteller besaß diese Kategorie aber keine große Bedeutung. Aus ihrer Perspektive stand ein anderer Aspekt im Vordergrund von Frustration und Kritik, auf den sich nahezu alle entsprechenden Äußerungen allein fokussieren: die lange Dauer der Verfahren. 1955, zehn Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft, hatten nur etwa 20 Prozent der Antragsteller einen Bescheid über Leistungen für Berufsschäden erhalten. Viele Anträge waren aber bereits kurz nach Erlass des Entschädigungsgesetzes für die US-Zone von 1949 eingereicht worden. Für diese Verzögerung hatte kaum jemand der Betroffenen Verständnis. Die überlieferten Verfahrensakten sind voll von Bitten und Anträgen um eine Beschleunigung der Entscheidung, die von ergreifenden Klagen über existentielle wirtschaftliche Not und verzweifelten Hilferufen bis hin zu zornigen Anklagen reichen, die Pflichtvergessenheit und Verantwortungslosigkeit der Deutschen insgesamt für die schleppende Wiedergutmachung verantwortlich machten. Der Anwalt eines hochbetagten und schwerkranken Antragstellers schrieb 1955 an die Entschädigungsbehörde: »Es ist beinahe unverständlich, dass trotz des vielfach geäußerten Wiedergut­ 207 Vgl. Brunner u. a., S. 27. 208 Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für national­ sozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen, 31.10.1986, Bundestag-Drucksache 10/6287, S.  15 f.; später sank dieser Anteil noch auf 25 Prozent; vgl. Brodesser u. a., S. 86. 209 Pross; Fischer-Hübner/Fischer-Hübner; vgl. auch Scharffenberg, S. 187–200.

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machungwillens seitens der Bundesrepublik ein solch krasser Fall mit so viel Interesselosigkeit behandelt bzw. hingeschleppt wird. Die Berufung auf bestehende Paragraphen und Gesetze ist hier ganz und gar fehl am Platz, denn bei einem 82jährigen Menschen in dieser Lage ist wohl wenig Möglichkeit vorhanden, helfend einzugreifen, wenn es nicht sofort geschieht.«210 Es waren wie in diesem Fall insbesondere das hohe Alter und die geschwundene Arbeitsfähigkeit, welche die Antragsteller an den umständlichen Prozeduren der Entschädigung verzweifeln ließen. Kein anderer Aspekt hat für solche Verheerungen gesorgt wie die Tatsache, dass die Leistungen aus der deutschen Wiedergutmachung nicht dann erfolgten, als sie existentiell und händeringend benötigt wurden. Für viele Überlebende kamen alle Leistungen endgültig zu spät. Schätzungsweise 30 bis 40  Prozent derjenigen, die das Jahr 1945 überlebt hatten, starben, bevor ein Entschädigungsbescheid für den Berufsschaden ergangen war. Fast 10  Prozent der Überlebenden, die noch selbst einen solchen Antrag stellten, starben im Laufe des Verfahrens. Nimmt man die Verfahren derjenigen Verfolgten hinzu, die bereits während der NS-Zeit gestorben oder zu Tode gekommen waren, ergibt sich, dass in fast der Hälfte aller Fälle die deutschen Entschädigungsleistungen nur noch von den Erben der Betroffenen in Empfang genommen werden konnten. Eine Gesamtsumme der an die jüdischen Unternehmer Frankfurts ausgezahlten Kapitalentschädigungen hätte keine Aussagekraft, da ein großer Teil der bewilligten Kapitalentschädigungen in Rentenansprüche umgewandelt wurde. Die durchschnittlich bewilligte Entschädigungssumme pro Verfahren betrug 14.750 DM, war also geringer als die durchschnittlichen Rückerstattungsleistungen. Der Medianwert betrug immerhin 11.780  DM. Diese Zahlen bezeichnen die endgültig zuerkannten Summen; viele Antragsteller mussten ihre Bescheide mehrmals anfechten und vor Gericht ziehen, um eine höhere Entschädigung als die zunächst bewilligte zu erhalten. Angesichts des durchschnittlichen Alters der jüdischen Unternehmer kann es nicht überraschen, dass 46 Prozent eine lebenslange Rente statt einer Kapitalentschädigung wählten. Die Wiedergutmachung für Schäden im beruflichen Fortkommen erwies sich also in erster Linie als ein Programm der Altersversorgung für Unternehmer, die während der NS-Zeit aus der deutschen Wirtschaft verdrängt worden waren.

210 RA Goldmann an Entschädigungsbehörde, 26.1.1955, HStAW, Abt. 518, 51630, Bl. 101 f.

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Schluss: Frankfurter Unternehmer und deutsch-jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert

Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit 1938/39 war für die jüdisch/ nicht-jüdischen Beziehungen im 20. Jahrhundert eines der zentralen Ereignisse. Mit dem Verlust aller selbstbestimmten wirtschaftlichen Betätigungsrechte war ein entscheidender Schritt hin zur Vertreibung und physischen Vernichtung der Juden aus Deutschland vollzogen, gleichzeitig ging die jüdische Minderheit hiermit derjenigen Fundamentalvoraussetzung wieder verlustig, die ihren Aufstieg vom Rand in die Mitte der deutschen Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert erst ermöglicht hatte. Denn neben der staatsrechtlichen Emanzipation, die spätestens mit den Nürnberger Gesetzen wieder rückgängig gemacht wurde, war die Einführung der Gewerbefreiheit für die deutsch-jüdische Geschichte ein konstitutives Ereignis gewesen. Die spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die für die Juden bis dahin prägend gewesen waren, trugen seitdem nicht unerheblich dazu bei, dass diese sich zu Beginn der Industrialisierung in einer günstigen Startposition befanden. Diese Ausgangskonstellation sollte die Sozial- und Wirtschaftsstruktur der jüdischen Minderheit bis weit in das 20. Jahrhundert hinein und bis zu ihrer Vernichtung im Nationalsozialismus prägen. Die Frankfurter Juden zeigen in dieser Hinsicht eine typische Entwicklung. Spätestens bis zum Jahrhundertwechsel hatten sie ein spezifisches Sozial- und Wirtschaftsprofil herausgebildet, das vor allem durch die berufliche Konzentration im selbständigen Handelsgewerbe charakterisiert war. Die tragende Säule der jüdischen Gewerbetätigkeit bildete insbesondere der Handel mit Textilien und Bekleidung, um den herum sich noch verschiedene Zweige der Herstellung und Weiterverarbeitung von Textilien angelagert hatten. Auch der reichsweite und der internationale Großhandel, ebenfalls vor allem mit Textilien, stellte eine besondere jüdische Domäne dar. Die Herausbildung dieses Gewerbe­profils reichte weit in das 19.  Jahrhundert zurück. Gerade die alteingesessenen, vor 1914 gegründeten Handelsunternehmen bildeten eine stabile Säule des jüdischen Unternehmertums und konnten sich auch angesichts der ökonomischen Verwerfungen und Krisen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert überdurchschnittlich gut behaupten. Dies brachte es mit sich, dass die jüdischen Unternehmer Frankfurts einen spezifischen Altersaufbau aufwiesen, in dem vor allem die Generation der zwischen 1870 und 1890 Geborenen dominierte, während die jüngeren Jahrgänge nicht mehr im gleichen Maße die unternehme­ rische Selbständigkeit anstrebten oder erreichten. 337 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Die ökonomischen Beziehungen zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Bevölkerung zeigen ein mehrschichtiges Bild: Auf der einen Seite waren die jüdischen Unternehmer intensiv mit ihrer wirtschaftlichen Umwelt verflochten, handelten mit nicht-jüdischen Partnern, beschäftigten nicht-jüdische Angestellte und stellten einen Großteil der Geschäfte in den wichtigsten Einkaufstraßen der Frankfurter Innenstadt. Auf der anderen Seite zeigt sich auf der Ebene der Inhaber- und Leitungsstrukturen eine ausgeprägte Trennung zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Sphäre. Juden taten sich als Unternehmensgründer, als Teilhaber und Gesellschafter nahezu ausschließlich mit anderen Juden zusammen; jüdisch/nicht-jüdische Kooperationen waren ausgesprochen selten. Dieses Moment der Ethnizität lag auch der Kontinuität und Beharrungskraft des jüdischen Wirtschaftsprofils wesentlich zugrunde: Jüdische Nachwuchskaufleute absolvierten ihre Ausbildung in jüdischen Unternehmen und traten mehrheitlich in die elterlichen Familienbetriebe oder diejenigen anderer Verwandter ein. Die zeitgenössischen Diskurse über die demographische, soziale und wirtschaftliche Zukunft der jüdischen Minderheit in Deutschland enthüllen, dass diese intensive Binnenverflechtung über Verwandtschafts- und Netzwerkstrukturen nicht nur ein selbstgewähltes Schicksal darstellte, sondern ebenso von den mehr oder weniger unsichtbaren Grenzen verursacht und erzwungen wurde, die der jüdischen Minderheit innerhalb der Gesamtgesellschaft gezogen waren. In Wechselwirkung mit der nicht-jüdischen Umwelt konstituierte und reproduzierte sich daher das spezifische Profil der jüdischen Gewerbetätigkeit. Die innerjüdischen Debatten offenbaren sich darüber hinaus bereits seit Mitte der 1920er Jahre als von ausgesprochen pessimistischen Zukunftserwartungen beherrscht. Dabei standen nicht so sehr die zunehmenden antisemitischen Anfeindungen und der Aufstieg der Nationalsozialisten im Vordergrund, wenngleich diese aufmerksam beobachtet und sorgenvoll diskutiert wurden. Jedoch blieb gerade für die Frankfurter Juden der politische Antisemitismus eine eher abstrakte Gefahr, der die jüdische Gewerbetätigkeit in der Stadt nie beeinträchtigen konnte. Gleichwohl sahen sie sich in dreifacher Hinsicht gefährdet: Was ihre soziale Stellung anging, befanden sie sich in einer eigentümlichen Lage. Einerseits bewegten sich die Juden in zeittypischer Weise innerhalb des pessimistischen Erwartungshorizonts von Teilen der deutschen Mittelschicht, der sie überwiegend angehörten und die sich angesichts der sozio-ökonomischen Makroentwicklungen von sozialem Abstieg bedroht sahen. Andererseits sollten sich diese Krisenstimmungen nicht zuletzt in Gestalt einer sich radikalisierenden politischen Mittelstandsbewegung, die sich immer stärker antisemitisch auflud, gerade gegen die Juden als gesellschaftliche Minderheit wenden. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht erschien die Gefährdung als eine doppelte: Einerseits befanden sich gerade diejenigen Felder und Branchen, auf denen sich die deutschen Juden mehrheitlich betätigten, angesichts der allgemeinen Wirtschaftsentwicklungen in Rückbau und Auflösung begriffen, andererseits erschien angesichts klarer gesellschaftlicher Schranken die jüdische Bewegungs338 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

freiheit eingeschränkt und damit der individuelle Ausbruch aus diesen Feldern nur schwer möglich. Schließlich verdichteten sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik noch die Hinweise darauf, dass eine der wichtigsten sozialen Existenzbedingungen der Juden, ein ungehinderter Zugang zum Gewerbeleben, angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verteilungskämpfe immer deut­licher zur Disposition gestellt schien und mit einigen mittelstandspolitischen Gesetzesmaßnahmen auch bereits konkret eingeschränkt wurde. In ihren Interessen widerstreitende gesellschaftliche Gruppen forderten zur Sicherung des eigenen Status immer vehementer Eingriffe in das Wirtschaftsleben nach politischen Gesichtspunkten, ein Prozess, der unter den Präsidialkabinetten nicht mehr demokratisch moderiert wurde und in dem die Juden als winzige Minderheit unweigerlich ins Hintertreffen zu geraten drohten. Auch hier erschien nicht so sehr ein expliziter Antisemitismus die Gefahr, aber jüdischen Beobachtern war nur allzu klar, dass ein System der Reglementierung und Zugangsbeschränkung unweigerlich die Einbruchstelle sein würde, an der subkutane und latente Ressentiments in das Wirtschaftsleben eindringen und die berufliche Chancengleichheit für jüdische Bürger beschneiden würden. Diese Tendenzen und Befürchtungen der Weimarer Zeit helfen, die Existenz- und Arbeitsbedingungen der jüdischen Unternehmer während des Nationalsozialismus in einem breiteren Rahmen zu verstehen. Die antisemitische Boykott- und Verdrängungsbewegung lässt sich als Teil der übergreifenden sozialen Dynamik der NS-Machtübernahme und der nationalsozialistischen Gesellschaft begreifen und interpretieren. Die sozialdarwinistischen Überzeugungen der Nationalsozialisten stifteten und stimulierten eine soziale Praxis der Ausgrenzung und Verdrängung. Trotz und jenseits der omnipräsenten Appelle an eine »Volksgemeinschaft« setzten verschiedene Gruppen, darunter nun auch die NS-Anhänger der ersten Stunde, ihre Positions- und Verteilungskämpfe fort. Dass dabei die Ideologeme der NS-Weltanschauung vielfach in opportunistischer Weise aufgegriffen wurden, lenkte diese soziale Dynamik in besonderer Weise gegen die deutschen Juden. Eine wichtige Entwicklungslinie stellten die anhaltenden Forderungen nach einer Politik des mittelstandspolitischen Protektionismus im Handelsgewerbe dar, denen dass NS-Regime insofern nachkam, als es mit dem Gesetz zum Schutz des Einzelhandels ein System der Zulassungsbeschränkung und -kontrolle installierte. Es kam allerdings trotz permanenten Drucks zahlreicher NS-Stellen nicht dazu, die behördlichen Eingriffsmöglichkeiten systematisch zum Ausschluss jüdischer Kaufleute aus dem Einzelhandelsgewerbe zu nutzen. Selbst Neugründungen jüdischer Geschäfte waren in Frankfurt auch während der folgenden Jahre prinzipiell wie praktisch möglich, wenn auch sicherlich erschwert. Insofern bot das protektionistische Gewerberecht zunächst keine Möglichkeit, von der Festschreibung des status quo zu einem Abbau der Unternehmensdichte im seit Jahren als »übersetzt« geltenden Einzelhandel fortzuschreiten. In dieser Hinsicht bildete die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit 1938/39 einen entscheidenden Wendepunkt und 339 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

verdeutlicht gleichzeitig, wie eng die massenweise Liquidation jüdischer Einzelhandelsgeschäfte mit dem Entwicklungsstrang einer mittelstandspolitischprotektionistischen Gewerbepolitik in Verbindung steht: Zum einen wurden Verkauf und Stilllegung jüdischer Geschäfte nun von einem Behördengeflecht gesteuert und moderiert, das sich in ähnlicher Form bereits auf dem Gebiet des Einzelhandelsschutzes etabliert und eingespielt hatte; zum anderen wussten die NS-Machthaber die Dynamik dieser Massenliquidation aufzugreifen, um gleich im Anschluss mit der weiteren Bereinigung des Einzelhandels fortzufahren und dabei die institutionelle Infrastruktur der »Arisierung« zu nutzen. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht waren die Signale an die Frankfurter jüdischen Unternehmer in den ersten Jahren des NS-Regimes ambivalent. Auf der einen Seite partizipierten durchaus auch sie am wirtschaftlichen Wiederaufschwung. Andererseits trat nun in gewisser Weise das ein, was viele Beobachter bereits während der 1920er Jahre befürchtet hatten: Das nationalsozialistische Rüstungsregime verstärkte die Konzentrationstendenzen innerhalb der deutschen Wirtschaft und bewirkte Umschichtungsprozesse, welche dem Handelssektor, der für die Juden entscheidend war, nur eine eingeschränkte Entwicklung ermöglichten. Gerade das rüstungspolitisch wenig begünstigte rhein-mainische Wirtschaftsgebiet war hiervon betroffen und durch die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Unternehmer zusätzlich geschwächt. Das nationalsozialistische System der staatlichen Devisen-, Rohstoff- und Warenkontingentierung und -lenkung schuf entscheidende Einfallstore für diskriminierende Maßnahmen. Zentral für den Ende 1937 losbrechenden Ideologie- und Aktivitätsschub in der wirtschaftlichen Verfolgung war die rüstungspolitische Konstellation, in die sich die nationalsozialistische Führung zu diesem Zeitpunkt hineinmanövriert hatte. Aus einer verfahrenen Situation, in der sich sowohl in der Finanz- als auch in der Aufrüstungspolitik alle Ressourcen und Handlungsspielräume ausgeschöpft hatten, sollte ein kriegerischer Expansionsschub den Befreiungsschlag bringen. Hierzu mussten ohne Rücksicht auf Verluste alle Reserven mobilisiert werden, und es lag für die NS-Führung nicht fern, das Vermögen der inländischen jüdischen Bevölkerung als Verfügungsmasse zu­ nehmend bewusster einzukalkulieren. Für die Nationalsozialisten folgte allerdings die wirtschaftliche Verfolgung der Juden keinem zweckrationalen Nutzenkalkül, sondern war eine ideo­logische Kernforderung auf dem Wege der Verwirklichung einer neuen Gesellschaft, wie man sie als »Volksgemeinschaft« imaginierte und beschwor. Ein Konzept, mit welchen Gesetzen und Maßnahmen man den diffusen antisemitischen Imperativen der NS-Weltanschauung Ausdruck verleihen solle, bestand nicht. Während sich die Reichsregierung zunächst nicht zu einer gesetzlichen Beschränkung der jüdischen Gewerbetätigkeit entschließen wollte, brannten zahlreiche Parteistellen und NS-Aktivisten vom ersten Tag der Machtübernahme darauf, ihre rassenantisemitischen Hassgefühle in Taten umzumünzen und die Geburt einer neuen Gesellschaft durch Gewalt und öffentliche Aktionen gegen diejenigen, die aus ihr ausgeschlossen sein sollten, für sich und andere in Szene 340 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

zu setzen. Es war daher kein Zufall, dass sich Boykott- und Gewaltaktionen in den kommenden Jahren insbesondere gegen die jüdischen Einzelhandels­ geschäfte in der Frankfurter Innenstadt richteten, denn diese standen als symbolisch aufgeladene Orte und Schnittstellen öffentlicher Interaktion für diejenigen jüdisch/nicht-jüdischen Verflechtungen, die sich die NS-Gewalttäter zu beseitigen anschickten. Im Medium antisemitischer Aktion sollte die rassistische »Volksgemeinschaft« geformt werden. In dieser Bestrebung waren sich die Aktivisten der unteren Ebene einig mit Kreis- und Gauleitung, die indes die gewalttätigen Ausschreitungen einzudämmen versuchten. Dagegen verfolgte die Frankfurter Stadtregierung klarer begrenzte Ziele. Nach einer ersten Maßnahmenwelle im antisemitischen Überschwang der Machtübernahme hielt sie sich aus der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden eher heraus; gegen Widerstände setzte der Oberbürgermeister sogar Neu­ gründungen jüdischer Unternehmen durch. Das war allerdings vor allem den katastrophalen ökonomischen Auswirkungen der Judenverfolgung in einer Stadt wie Frankfurt geschuldet, während die Stadtregierung die jüdischen Bürger zielstrebig und skrupellos aus dem öffentlichen Dienst verdrängte, ihnen den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen verbaute und danach trachtete, von städtischer Seite alle Verbindungen mit der jüdischen Bevölkerung zu kappen. Die Aktionen und Maßnahmen der unteren und mittleren Ebene, die sich vor allem innerhalb eines Zielhorizontes der Ausgrenzung und Segregation bewegten, hätten allein die jüdische Gewerbetätigkeit in Frankfurt kaum zerstören können. Erst nachdem sich innerhalb des NS-Regimes Ende 1938 das Konzept einer gewaltsamen Vertreibung aller Juden aus dem Deutschen Reich durch­ gesetzt hatte, wurde die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz ins Werk gesetzt. Weil die städtische Politik gegenüber der jüdischen Gewerbetätigkeit in Frankfurt als Faktor geringeres Gewicht als anderswo besaß, waren die Handlungsspielräume der betroffenen Akteure größer. Das bedeutete aber auch, dass die jüdischen Unternehmer bis weit in das Jahr 1938 hinein die widersprüch­ lichen Signale und Entwicklungen des antisemitischen Regimes selbst vor dem Hintergrund ihrer individuellen Erwartungshorizonte deuten und ihre Schlussfolgerungen ziehen mussten. Zahlreiche Vorgänge um den Verkauf und die Liquidation jüdischer Unternehmen sind nicht zu verstehen, wenn diese Erwartungen und die Handlungsperspektiven der jüdischen Akteure nicht in die Analyse mit einbezogen werden. In einem gleitenden Prozess verschoben sich die Erwartungs- und Handlungshorizonte der jüdischen Akteure, die sich den Verfolgungsakten des NS-Regimes keineswegs allesamt als passive Opfer ausgesetzt sahen, sondern vielfältige Strategien der Selbstbehauptung und des ökonomischen Überlebens entwickelten. Ausgehend von einer Typologie gleitender Erwartungshorizonte lassen sich diese betriebswirtschaftlichen Anpassungsund Überlebensstrategien mit Hilfe der Begriffe »gleitende Profilanpassung« und »gleitende Strukturanpassung« beschreiben. Profilanpassungen zielten auf das Erreichen einer geschützten Stellung durch die Ausbildung eines Unter­ 341 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

nehmens- und Geschäftsprofils, das den Anreizstrukturen der NS-Wirtschaftspolitik in besonderer Weise entsprach. Vor allem der Auslandshandel, den die jüdischen Großhandelshäuser in Frankfurt ohnehin seit jeher äußerst erfolgreich betrieben hatten, bot sich als ein Pfad der gleitenden Profilanpassung an, auf dem jüdische Unternehmen auch unter den Bedingungen der NS-Verfolgungs- und Diskriminierungspolitik über längere Zeit noch erfolgreich arbeiten konnten. Andere Anpassungspfade wie etwa die Hinwendung zu rüstungswirtschaftlich relevanten Geschäfts- und Aufgabenbereichen erwiesen sich für die Frankfurter Unternehmer indessen oft als verschlossen, während sich Einzelhandelsgeschäften allenfalls durch einen partiellen Rückzug aus einer ideo­ logisch verformten Öffentlichkeit und durch die Konzentration auf spezielle und für die Bevölkerung unverzichtbare Bedürfnisse und Nischen gewisse Anpassungsmöglichkeiten boten. Die Möglichkeiten, als »jüdisches Unternehmen« in Frankfurt während des Nationalsozialismus zu bestehen, waren also praktisch, vor allem aber zeitlich begrenzt. Viele Unternehmer verlegten sich daher im Laufe der Zeit auf Ver­ änderungen in der Unternehmensstruktur, mit deren Hilfe sie das Stigma des »jüdischen Unternehmens« abzustreifen hofften. Letztlich zielten alle diese Versuche darauf, die implizite Voraussetzung der diffusen antisemitischen Ideo­ logie, nämlich den Glauben an eine von ihrer nicht-jüdischen Umwelt abgrenzbare Sphäre jüdischen Wirtschaftens, zu unterlaufen. Daher intensivierten viele jüdische Unternehmer ihre Verflechtungen mit nicht-jüdischen Partnern, indem sie solche als Teilhaber und Gesellschafter in die Unternehmensstruktur integrierten und damit weniger Angriffsfläche für antisemitische Verfolgung boten. Solche Anpassungsversuche unterlagen einem Prozess der gleitenden Verschiebung von Handlungshorizonten und -spielräumen, in dessen Verlauf sich die ursprünglich ins Auge gefasste Konstellation und das Ziel einer Erhaltung des Unternehmens für die Akteure oftmals verschoben. Letztlich war keine dieser Strategien in dem Sinne erfolgreich, dass sie jüdische Unternehmer über die Zäsur von 1938/39 hinweg wirtschaften ließ, jedoch hatte ihr Handeln entscheidende Auswirkungen auf die Abläufe und Modalitäten von Verkäufen und Liquidationen, die in einer großen Zahl von Fällen erst von den jüdischen Behauptungsstrategien ihren Ausgang genommen hatten. Auch für die Sicherung von Vermögenswerten und ihre Transferierung ins Ausland  – und damit für die Frage eines wirtschaftlichen Neuanfangs im Exil  – war die Initiative und das Handeln der jüdischen Unternehmer von entscheidender Bedeutung. Bei alledem gilt es zu beachten, dass die Horizontverschiebungen eine De­formation von Handlungs- und Lebensperspektiven darstellten, die in letzter Instanz durch die NS-Verfolgung induziert und verursacht war. Dass jüdische Unternehmer im Rahmen gleitender Strukturanpassungen mit nicht-jüdischen Partnern kooperierten, war auch in Fällen, in denen dies in »freundschaft­ licher« Weise geschah, gleichwohl Teil  des NS-Verfolgungsunrechts, mit dem die Betroffenen zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Existenz gezwungen wurden, zahlreiche andere Personen wiederum in Positionen einrückten und in 342 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

den Besitz von Vermögenswerten gelangten, die ihnen andernfalls nicht zu­ gefallen wären. Die Umsatzentwicklung jüdischer Unternehmen in Frankfurt deutet darauf hin, dass die betriebswirtschaftliche Lage für viele von ihnen lange Zeit noch nicht hoffnungslos war und sie am Wirtschaftsaufschwung durchaus partizipieren konnten. Allerdings zeichnet sich ebenfalls klar ab, dass sich in den meisten Fällen selbst unter Mühen allenfalls eine leichte bis stagnative Aufwärtsentwicklung ins Werk setzen ließ, die hinter der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung zurückblieb. Gleichwohl brachte für die meisten Unternehmer erst der mit politischen Mitteln forcierte Ausschaltungsprozess im Jahre 1938 das Ende. Dieser Prozess erweist sich als mehrdimensional; es lassen sich vier unterschiedliche Stränge bzw. Teilprozesse herausarbeiten: (1) ein enteignungsorientierter Prozess der antisemitischen Verdrängung unter kriegswirtschaftlichen Imperativen; (2) ein aufstiegsorientierter Prozess des Besitztransfers durch die Übernahme jüdischer Unternehmen; (3) ein liquidationsorientierter Prozess der wirtschaftlichen Strukturbereinigung durch die massenhafte Schließung kleinerer jüdischer Unternehmen; (4) ein vertreibungsorientierter Prozess antisemitischer Gewaltpolitik, innerhalb dessen die wirtschaftliche Diskriminierung vor allem ein Mittel zur Zerstörung der jüdischen Lebensgrundlagen war. Erst im Laufe des Jahres 1938 wurden diese vier Prozessstränge zusammengeführt und überlagerten sich in bisweilen widersprüchlicher Weise, kumulierten insgesamt ihre destruktiven Potentiale jedoch zu einem für die Existenz der Juden in Deutschland entscheidenden Zerstörungswerk. Auch in den Jahren zwischen 1933 und 1937 waren bereits zahlreiche jüdische Unternehmen zwangsweise verkauft oder liquidiert worden. Eine Analyse dieser Fälle macht deutlich, dass es meist die Überlagerung unterschiedlicher Faktoren war, welche die Betroffenen zur Aufgabe zwang, da sich ihre Unternehmen aus verschiedensten Gründen im Fokus spezifischer Felder der NS-­ Politik und -verfolgung befanden. Auch kontingente Faktoren wie Denunziationen oder Begehrlichkeiten Dritter konnten jüdische Unternehmer zu jeder Zeit in den Strudel brutaler Verfolgungsmaßnahmen reißen, der ihnen dann kaum noch Handlungsspielräume beließ. Den eigentlichen Anfangspunkt des zentral initiieren Vernichtungsprozesses bildete jedoch die Ende 1937 einsetzende flächendeckende Verdrängung jüdischer Unternehmen aus den Kontingen­ tierungsstrukturen. Sie stellte das entscheidende Signal dar, dass die Hoffnung auf eine weitere unternehmerische Zukunft in Deutschland aussichtslos war. Auch die quantitative Analyse des Vernichtungsprozesses macht deutlich, dass es sich hierbei um eine Überlagerung von Teilprozessen mit unterschiedlicher Verlaufsdynamik handelte. Der Maßnahmenschub des Jahreswechsels 1937/38 setzte zunächst einen Ausschaltungsprozess in Gang, der vor allem das Segment der kriegs- und exportwirtschaftlich bedeutenderen Unternehmen betraf, welche die NS-Machthaber zu erhalten suchten. Während sich dieser Ausschaltungsprozess seit dem Spätsommer 1938 bereits wieder zu verlangsamen 343 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

begann, wurden die noch zahlreich vorhanden jüdischen Kleinbetriebe, deren Umfang angesichts der Verfolgungspolitik mittlerweile größtenteils auf Subsistenzniveau geschrumpft war und die für das NS-Regime wirtschaftspolitisch von geringer Relevanz erschienen, massenweise liquidiert. Hatten die Verkäufe und Liquidationen der bedeutenderen Unternehmen des mittleren Segments noch dasjenige private Kapital freigesetzt, auf das die NS-Machthaber nun zugreifen konnten, ging es bei der Ausschaltungswelle nach dem November­ pogrom um die Zerstörung der jüdischen Existenzmöglichkeiten innerhalb eines großangelegten Plans der gewaltsamen Vertreibung. Die Reichsregierung gab für die Vorgänge des Jahres 1938 allenfalls einen strukturierenden Rahmen vor und interessierte sich abgesehen von kriegswirtschaftlich relevanten Gesichtspunkten für die Praxis der antisemitischen Ausschaltung nicht sonderlich. Zusammengeführt und moderiert wurden die unterschiedlichen Prozessrichtungen daher auf der regionalen und lokalen Ebene, wo sich im Falle Frankfurts der hessische Gauwirtschaftsberater der NSDAP spätestens im Frühjahr 1938 als zentrale Steuerungs- und Koordinierungsinstanz etablieren konnte und die widersprüchlichen Forderungen, Ansprüche und Begehrlichkeiten in ausgleichender Weise zu handhaben wusste. Weder kam es daher zu einer flächendeckenden Stilllegung jüdischer Unternehmen, wie es die in den Wirtschaftsverbänden organisierte nicht-jüdische Konkurrenz vehement forderte, noch kamen alle Bewerber um jüdische Unternehmen zum Zuge. Die Austarierung unterschiedlicher Interessen konnte der Partei vor allem daher gelingen, weil die gesamten Kosten dabei den jüdischen Verfolgten auferlegt wurden, denen am Ende jede Grundlage einer selbstbestimmten Existenz genommen war. Um die übergreifende Geschichte von Raub und Restitution angemessen zu erfassen, können diese Komplexe nicht einfach gegenübergestellt, sondern müssen auch die Entwicklungen rekonstruiert werden, die zwischen ihnen verliefen. Durch Flucht und Emigration befanden sich die Frankfurter Unternehmer, die ihr Leben vor den nationalsozialistischen Gewalttätern hatten retten können, über die gesamte Welt verstreut. Obwohl viele von ihnen verzweifelt versucht hatten, Wege zur Transferierung des eigenen Vermögens ins Ausland zu finden, erreichte die überwiegende Mehrheit die Länder des Exils weitgehend mittellos. Vielen gelang es in der Emigration auch nach Jahren nicht, wieder eine eigene wirtschaftliche Existenz zu gründen, so dass mögliche Leistungen im Rahmen deutscher Wiedergutmachung für sie von vornherein weniger Wiederein­ setzung in den alten Stand, sondern existenziell benötigte Hilfe zum Überleben bedeuteten. Diese Notgeschichte der jüdischen Emigranten lag im Deutschland der Nachkriegsjahre, in dem überlebende Juden ebenfalls unter massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten litten, allerdings völlig außerhalb des öffentlichen Bewusstseins. Für viele Frankfurter Erwerber jüdischer Unternehmen mündete die natio­ nalsozialistische »Arisierung« nicht eben in eine Erfolgsgeschichte. Hierfür waren sowohl die Strukturen der deutschen Kriegswirtschaft, die staatlichen 344 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Stilllegungsprogramme, vor allem aber die Zerstörungen des Luftkrieges verantwortlich. Ausgerechnet die ehemals jüdischen Unternehmen waren durch die intensiven Bombardierungen der Frankfurter Innenstadt überdurchschnittlich häufig von Kriegszerstörungen betroffen, so dass ein erheblicher Teil von ihnen schwer geschädigt wurde und unter Umständen in der Nachkriegszeit gar nicht mehr existierte. Für die Sozialgeschichte der Rückerstattungsverfahren war das ausgesprochen folgenreich. Die Aufarbeitung der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der deutschen Juden nahm bereits während des Krieges undeutliche Gestalt an. Das völkerrechtlich neue Problem einer Behandlung des innerdeutschen entzogenen Eigen­tums hatte aber bei Kriegsende noch keine klare Kontur gewonnen. Erst im Laufe des Jahres 1946 erhielt die Sicherstellung jüdischen Vermögens immer größeres Gewicht für die US-Besatzungsmacht. Auch von deutscher Seite war eine Initiative gestartet worden, die aus der Judenverfolgung resultierenden vermögensrechtlichen Fragen zu regeln. Die Frankfurter Industrie- und Handelskammer machte einen Vorstoß, indem sie frühzeitig einen eigenen Ausschuss installierte, der die Verkäufe jüdischer Unternehmen während der NS-Zeit überprüfen sollte. Obwohl die Militärregierung dieses Vorgehen akzeptierte, erlangte der Prüfungsausschuss nicht die von ihm anvisierte Schlüsselposition bei der Behandlung ehemals jüdischer Unternehmen. Sein wesentliches Ziel, die scheinbar ›korrekten‹ Übernahmen aus der Vermögenssperre zu bringen, um im Interesse des Wiederaufbaus der Wirtschaft die Vermögensfragen schnell zu bereinigen, konnte nicht erreicht werden. Die Politik der Vermögenssicherung und Rückerstattung wurde durch die amerikanische Militärregierung im Unterschied zu anderen Besatzungszielen mit großer Konsequenz bis in die 1950er Jahre hinein durchgehalten. Die Kontrolle jüdischer Vermögen entwickelte sich im Laufe der Jahre 1947/48 sogar zu einem Hauptbetätigungsfeld. Den häufigen Protesten gegen die Vermögens­ kontrolle wurde nicht nachgegeben, wobei die Möglichkeiten der zuständigen Ämter begrenzt waren, Kontrollmaßnahmen zu erzwingen. Während die Erwerber jüdischer Unternehmen meist in ihrer derzeitigen Position verbleiben konnten, hatten Rückerstattungsberechtigte nicht die Möglichkeit, sich der Mittel aus dem gesperrten Vermögen für die Durchführung der Verfahren zu bedienen. Dennoch gibt es auch Beispiele für Frankfurter Emigranten, die mit Einsatz und Durchsetzungsfähigkeit schon im Rahmen der Vermögens­ kontrolle Einfluss auf ihre ehemaligen Unternehmen und deren Wiederaufbau nehmen konnten. Die psychischen Ressourcen, die für die Anteilnahme am Schicksal der jüdischen Überlebenden im In- und Ausland nötig gewesen wären, waren nach der Erfahrung von Krieg, Zusammenbruch, Eroberung und Mangel innerhalb der deutschen Gesellschaft gebunden. Das zeigt sich auf der Ebene der politischen und gesellschaftlichen Debatte um das Rückerstattungsgesetz von 1947. Der von den organisierten Rückerstattungsgegnern geführte Diskurs ging an den Kerngedanken des Gesetzes vorbei, das die NS-Verfolgten und das von ihnen er­ 345 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

littene Unrecht in den Mittelpunkt stellte, und thematisierte allein die Erwerber jüdischen Eigentums und ihr Verhalten. Die »Arisierung« erschien als von Seiten eines anonymen Regimes initiiert und vollzogen; individuelle Verantwortung, Schuld und Nutznießerschaft wurden vehement zurückgewiesen. In sozialgeschichtlicher Perspektive zeigt sich, welchen entscheidenden Einfluss die materiellen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit auf den Ablauf und die Ergebnisse der in Hessen 1949 beginnenden Rückerstattungsverfahren hatten. Die wirtschaftliche Notlage zwang viele jüdische Berechtigte dazu, einen möglichst schnellen Abschluss zu erreichen, um an liquide Mittel zu gelangen. Dabei war es nicht selten nötig, erhebliche finanzielle, aber auch inhaltliche Zugeständnisse zu machen; komplexe Fragen und Abläufe, die für die Haftung der Erwerber von entscheidender Bedeutung waren, mussten dann ungeklärt bleiben. Auch die wirtschaftliche Notlage der Rückerstattungspflichtigen konnte den Ausgang des Verfahrens bestimmen. Verfügten diese über keine ausreichenden Mittel zur Bereinigung der Vermögensschäden und waren die strittigen Unternehmen während des Krieges zerstört worden, mussten die ausgehandelten Zahlungen sich notgedrungen in bescheidenem Rahmen bewegen. In vielen Verfahren wurden die vielfältigen Gewaltmaßnahmen, Drohungen und Erpressungen bei der Übernahme jüdischer Unternehmen ans Tageslicht gebracht. Sie stellten einen Aspekt dar, um den häufig erbittert gestritten wurde, da nach dem US-Gesetz sittenwidriges Vorgehen umfangreiche Haftungs­verpflichtungen zur Folge hatte. Da sich Rückerstattungspflichtige nicht zuletzt aus diesem Grund gegen individuelle Vorwürfe vehement zur Wehr setzten, konnten Entschädigungszahlungen oftmals nur gegen symbo­ lische Zugeständnisse erreicht werden. Dass das eigennützige Verhalten bei der Übernahme jüdischer Vermögenswerte in der deutschen Gesellschaft kaum als verwerflich angesehen wurde, zeigt sich nicht zuletzt in den Spruchkammer­ verfahren gegen »Ariseure«, die in allen untersuchten Fällen von sämtlichen Vorwürfen entlastet wurden. Die in den Rückerstattungsverfahren von der Pflichtigenseite vorgebrachten Einlassungen und Rechtfertigungen repetieren, nicht zuletzt aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Spielräume, immer wiederkehrende Muster, die hohe Konsonanz mit der öffentlichen Debatte aufweisen. Die Verteidigungshaltung von Erwerbern jüdischen Eigentums war oftmals durch die nachherigen, häufig von unternehmerischem Misserfolg, Kriegsfolgen und Existenzverlust bestimmten Lebensgeschichten bestimmt, in denen sich individuelle und kollek­tive Erfahrungsmomente verschränkten. Die Abwehrhaltung gegenüber Wiedergutmachungsforderungen und die zum Teil aggressive Verdrängung des NS-Unrechts speisten sich nicht zuletzt aus den durch den Nationalsozialismus stimulierten, aber in vielen Fällen letztendlich enttäuschten sozialen Aufstiegserwartungen und den diesbezüglichen Verlusterfahrungen. Dies ist der sozialgeschichtliche Subtext der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Ausein­ andersetzung mit der individuellen Verstrickung in das NS-Unrecht. 346 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Diejenigen Rückerstattungsverfahren, in denen die Auseinandersetzungen der beteiligten Parteien sich in der Frage nach dem »wirklichen Wert« der in Rede stehenden Unternehmen verdichteten und dabei immer wieder in eine Konfrontation gegensätzlicher retrospektiver Identitätsentwürfe mündeten, machen klar, dass es niemals möglich sein wird, eine wie auch immer ausfallende Differenz zwischen entzogenem und rückerstattetem Vermögen zu errechnen. Zum einen schädigte der Verlust von Vermögensgegenständen die Betroffenen in einem viel umfassenderen als nur in einem materiellen Sinne; zum anderen erweisen sich auch die in Rede stehenden Vermögensgegenstände als Objekte der Konstruktion und Projektion, mit denen sich gegeneinanderstehende Identitäten verbanden. Deswegen gestaltete sich die Wahrung materieller Ansprüche im Rahmen von Rückerstattung und Entschädigung immer auch als ein Ringen um die Anerkennung von Lebensläufen und -leistungen, bei denen die ehemaligen jüdischen Unternehmer gegen ihre Eliminierung aus dem individuellen wie dem öffentlichen Gedächtnis angehen mussten. Die zahlenmäßige Bilanz von Rückerstattung und Entschädigung verdeutlicht, dass die Wiedergutmachung keine Revision des NS-Unrechts sein konnte. Ihrer rechtlichen Ansprüche waren die jüdischen Verfolgten prinzipiell ver­sichert und konnten sie überwiegend der Sache nach durchsetzen. Die Rückerstattung jüdischen Unternehmensvermögens, die trotz einer hohen Vergleichs­quote sehr konfliktträchtig war, machte die Ergebnisse der rassistisch motivierten Umverteilungsprozesse während des Nationalsozialismus nicht rückgängig, sondern schloss sie eigentlich erst ab. Wegen der Dominanz finanzieller Kompensationsleistungen erwies sich zumindest für den Bereich der entzogenen Unternehmen auch die Rückerstattung als ein Entschädigungsprogramm. Die erst anschließend in Gang kommenden Entschädigungsverfahren deckten den Bereich der materiellen Schäden bis auf einige Lücken und Ungerechtigkeiten ab; aufgrund der jahrelangen politischen Verzögerungen und der schleppenden Umsetzung erreichten die finanziellen Leistungen aber einen großen Teil der Verfolgten nicht mehr. Die Wiedergutmachungsleistungen haben daher gerade denjenigen Überlebenden nicht geholfen, die ihrer verzweifelt bedurft hätten, und damit für unermessliche Enttäuschung gesorgt. Ohnehin konnte durch materielle Wiedergutmachung niemand in den Stand gesetzt werden, dort wieder zu beginnen, wo er vor seiner Existenzvernichtung durch das NS-Regime gestanden hatte. Die ökonomischen, sozialen und psychischen Schäden, die der nationalsozialistische Vernichtungsfeldzug gegen die Juden hinterließ, waren und sind unreparierbar und unumkehrbar. Diese Un­ wiederbringlichkeit ist die Grundtatsache der deutsch-jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

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Dank Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich 2005 zunächst an der Humboldt-Universität zu Berlin begonnen und schließlich im Sommersemester 2009 an der Ruhr-Universität Bochum eingereicht habe. Zu seiner Entstehung haben viele Menschen beigetragen, von denen ich hier nur einigen danken kann. Meine ersten Gedanken gehen dabei an Ludolf Herbst, der das Projekt ursprünglich angestoßen hatte, aufgrund einer Er­k rankung die Betreuung jedoch nicht weiterführen konnte. In dieser schwierigen Situation hat sich Constantin Goschler meiner angenommen und mich seitdem in vielfältiger Weise unterstützt. Hans-Peter Ullmann hat sich für die Aufnahme der Studie in die »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft« eingesetzt und mir zahlreiche Hinweise bei der Überarbeitung des Manuskripts gegeben. Meinen KollegInnen an der Humboldt-Universität Christoph Kreutzmüller, Ingo Loose und Hannah Ahlheim danke ich für konstruktive Zusammenarbeit und Diskussion. Eva Balz und vor allem Elisabeth Weber haben sich als studentische Hilfskräfte im Rahmen des DFG-Projektes »Ausgrenzungsprozesse und Überlebensstrategien. Mittlere und kleine jüdische Gewerbe-Unternehmen in Frankfurt/Main und Breslau 1929/30 bis 1945« mit mir durch Tausende Eintragungen im Frankfurter Handelsregister hindurchgearbeitet, wofür ich ihnen ebenfalls danke. Die Heinrich Böll Stiftung hat mir für die Arbeit an dem Projekt ein dreijähriges Promotionsstipendium gewährt. Die vielfältigen Angebote und Möglichkeiten der ideellen Förderung haben die Fertigstellung der Dissertation zwar nicht gerade beschleunigt, die Erfahrungen und Bekanntschaften dieser Zeit werde ich aber niemals missen wollen. Die Frankfurter Historische Kommission hat mein Promotionsvorhaben 2005 mit dem Johann Philipp Freiherr von Bethmann-Studienpreis ausgezeichnet, was mich damals sehr ermutigt hat. Der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main danke ich außerdem für die Verleihung des Rosl und Paul Arnsberg-Preises 2010. Schließlich danke ich meinen Eltern für ihre jahrelange bedingungslose Unterstützung.

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Abkürzungen AA Auswärtiges Amt AfS Archiv für Sozialgeschichte AFGK Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst AG Aktiengesellschaft AV Amt für Vermögenskontrolle AVW Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung BAK Bundesarchiv Koblenz BAL Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BA-MA Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg BEG Bundesentschädigungsgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch CAHJP Central Archives of the History of the Jewish People CEH Central European History CDU Christlich Demokratische Union CSU Christlich-Soziale Union CV Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens DAF Deutsche Arbeitsfront DM Deutsche Mark DDP Deutsche Demokratische Partei Det. Detachment DSTB Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund DVO Durchführungsverordnung DVP Deutsche Volkspartei FDP Freie Demokratische Partei FV Frankfurter Volksblatt Gestapo Geheime Staatspolizei GG Geschichte und Gesellschaft GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GWB Gauwirtschaftsberater GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HAC Historisches Archiv der Commerzbank HADB Historisches Archiv der Deutschen Bank HessJBLG Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte HGS Holocaust and Genocide Studies HJ Hitlerjugend HM Historische Mitteilungen HStAW Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden HTV Hessische Treuhandverwaltung GmbH HWA Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt HZ Historische Zeitschrift IfS Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main IHK Industrie- und Handelskammer JfA Jahrbuch für Antisemitismusforschung JRSO Jewish Restitution Successor Organization

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LAVW Landesamt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung LBI JMB Leo Baeck Institute Jüdisches Museum Berlin LBI NY Leo Baeck Institute New York LBI YB Leo Baeck Institute Year Book LG Landgericht LV Landesverband MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen MGR Military Government Regulations MRG Militärregierungs-Gesetz NARA National Archives and Records Administration NPL Neue Politische Literatur NS Nationalsozialismus NSBO Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NS-Hago Nationalsozialistische Handwerks-, Handels- und Gewerbeorganisation OB Oberbürgermeister OLG Oberlandesgericht OMGH Office of Military Government for Hesse OMGUS Office of Military Government of the United States Pg. Parteigenosse RA Rechtsanwalt RdI Reichsministerium des Innern RGBl. Reichsgesetzblatt RGVA/TsKhIDK Rossiiskii Gosudarstvennyi Voennyi Archiv/Tsentr Khraneniya Istorikodokumental’nykh Kollektsii RM Reichsmark RWM Reichswirtschaftsministerium SA Sturmabteilung SD Sicherheitsdienst SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel TAJB Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte USA United States of America VEJ Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VO Verordnung YVA Yad Vashem Archives YVS Yad Vashem Studies ZA Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland ZfA Zentrum für Antisemitismusforschung ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZU Zeitschrift für Unternehmensgeschichte

352 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Quellen a) Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 2 Reichsministerium der Finanzen R 11 Reichswirtschaftskammer R 43 II Reichskanzlei R 58 Reichssicherheitshauptamt R 3101 Reichswirtschaftsministerium R 8119 F Deutsche Bank AG R 8135 Deutsche Revisions- und Treuhand AG Bundesarchiv Koblenz B 126 Bundesministerium der Finanzen B 141 Bundesministerium der Justiz Z 1 Länderrat Z 45 F OMGUS Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg RW 19 Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes RWD 16 OKW/Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 460 Landgericht Frankfurt am Main Abt. 483 NSDAP Abt. 502 Hessische Staatskanzlei Abt. 518 Entschädigungsbehörde Abt. 519/1 Landesamt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung Abt. 519/3 Akten der Devisenstelle S Frankfurt a. M. Abt. 519/A Rückerstattungsakten nach MRG 59 Abt. 519/V Vermögenskontrollakten Abt. 520 F Spruchkammerakten Abt. 649 OMGH Hessisches Wirtschaftsarchiv Darmstadt Firmenkartei der IHK Frankfurt am Main Abt. 3 IHK Frankfurt am Main

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Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main Kreisleiter OB Krebs Magistratsakten Magistratsakten. Nachträge Magistratsakten. Protokolle Jüdisches Museum Frankfurt am Main Kartei jüdischer Firmen Amtsgericht Frankfurt am Main Kartei zum Handelsregister Rossiiskii Gosudarstvennyi Voennyi Archiv/Tsentr Khraneniya Istoriko dokumental’nykh Kollektsii Moskau Fond 500 Reichssicherheitshauptamt Fond 721 Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Fond 1458 Reichswirtschaftsministerium National Archives and Records Administration College Park, MD RG 260 OMGUS Central Archives of the History of the Jewish People Jerusalem M2 Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens JRSO NYC Jewish Restitution Successor Organization New York Leo Baeck Institute Jüdisches Museum Berlin AR 279 Frankfurt Jewish Community Collection Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin Houghton Library: My Life in Germany Before and After January 30, 1933 Leo Baeck Institute New York ME 103 Mixed Materials ME 131 Mixed Materials ME 164 Mixed Materials AR 3975 Reichsvertretung der deutschen Juden AR 5890 Council of Jews from Germany United States Holocaust Memorial Museum Washington, D. C. RG-03 Jewish Communities Yad Vashem Archives Jerusalem O 1 K. J. Ball-Kaduri Testimonies and Reports of German Jewry Collection O 2 Wiener Library Testimonies Collection O 20 M. Löwenthal Collection

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Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland Heidelberg B. 1/13 Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main Historisches Archiv der Commerzbank Frankfurt am Main Bestand 500 Dresdner Bank Historisches Archiv der Deutschen Bank Frankfurt am Main F 3 Filiale Frankfurt am Main

b) Gedruckte Quellen Adler-Rudel, S., Der jüdische Arbeitsnachweis, in: Jüdische Arbeits- und Wanderfürsorge, Jg. 1, 1927, S. 126–128. –, Wirtschaftssituation der deutschen Juden und Berufsprobleme der Jugend, in: Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik, Jg. 1, 1930, S. 161–168. Adressbuch für Frankfurt am Main und Umgebung. Unter Benutzung amtlicher Quellen, Frankfurt a. M. 1914. Adressbuch des Deutschen Großhandels einschließlich des Ein- und Ausfuhrhandels, Berlin 1925. Amtliches Frankfurter Adressbuch, Frankfurt a. M. 1933. Eine Antwort auf die Greuel- und Boykotthetze der Juden im Ausland, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1935. Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45 nach den im Reichsanzeiger ver­ öffentlichten Listen, hg. v. M. Hepp, 3 Bde., München 1985. Benning, B. u. R. Nieschlag, Umsatz, Lagerhaltung und Kosten im deutschen Einzelhandel 1924–1932, Berlin 1933. Berger, A., Grundsätzliche Bemerkungen zur jüdischen Wanderfürsorge, in: Jüdische Arbeits- und Wanderfürsorge, Jg. 1, 1927, S. 7–11. Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1933, Heft 5: Die Glaubensjuden im Deutschen Reich, Berlin 1936. Birnbaum, M., Umfang und Struktur der jüdischen Binnenwanderung, in: Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik, Jg. 7, 1937, S. 122–129. Buchner, H., Warenhauspolitik und Nationalsozialismus, München 19303. Dam, H. G. van, Rückerstattungsgesetz (Gesetz Nr.  59) für die Britische Zone mit Neben­ gesetzen, Einführung, Vergleichstabelle zum US.-Gesetz und Index, Koblenz 1949. Dam, H. G. van u. a., Wiedergutmachungsgesetze und Durchführungsverordnungen, Berlin 1966. Davie, M. R., Refugees in America. Report of the Committee for the Study of Recent Immigra­tion from Europe, New York 1947. Deutsches Judentum unter dem Nationalsozialismus, Bd. 1: Dokumente zur Geschichte der Reichsvertretung der deutschen Juden 1933–1939, hg. v. O. D. Kulka, Tübingen 1997. Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945, hg. v. d. Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt a. M. 1963. Dölle, H.  u. K. Zweigert, Gesetz Nr.  52 über Sperre und Beaufsichtigung von Vermögen. Kommentar, Stuttgart 1947. Dresse, B., Das Recht zum Schutz des Einzelhandels, Diss. Würzburg 1936. Einkommensverhältnisse in Frankfurt a./M., in: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden, Jg. 1, 1905, Nr. 4, S. 12 f.

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c) Periodika CV-Zeitung Deutscher Mittelstand Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Volksblatt Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen Jüdische Allgemeine Wochenzeitung Jüdische Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik Kasseler Post Mitteilungen der Stadtverwaltung Frankfurt a. M. Monthly Report of the Military Governor. Finance and Property Control

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Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Reichsgesetzblatt Rhein-Mainische Wirtschaftszeitung Die Restitution Statistische Monatsberichte Frankfurt a. M. Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Anlagen zu den Stenographischen Berichten Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte Völkischer Beobachter Der Weg Wirtschaft und Statistik Wirtschafts-Zeitung Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht

2. Literatur Abel, K.-D., Presselenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der ­nationalsozialistischen Zeit, Berlin 1968. Abelshauser, W., Die ordnungspolitische Epochenbedeutung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland. Ein Beitrag zur Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft, in: D. Petzina (Hg.), Ordnungspolitische Weichenstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 1991, S. 11–29. –, Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder. Deutschlands wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg und die Folgen für die Nachkriegszeit, in: VfZ, Jg. 47, 1999, S. 503–538. –, Gustav Krupp und die Gleichschaltung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie 1933–1934, in: ZU, Jg. 47, 2002, S. 3–26. Abelshauser, W. u. D. Petzina, Krise und Rekonstruktion. Zur Interpretation der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands im 20.  Jahrhundert, in: W. H.  Schröder u. R. Spree (Hg.), Historische Konjunkturforschung, Stuttgart 1981, S. 74–114. Adam, U. D., Der Aspekt der »Planung« in der NS-Judenpolitik, in: T. Klein u. a. (Hg.), Judentum und Antisemitismus von der Antike bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1984, S. 161–178. –, Wie spontan war der Pogrom? in: W. H.  Pehle (Hg.), Der Judenpogrom 1938. Von der »Reichskristallnacht« zum Völkermord, Frankfurt a. M. 1988, S. 74–93. –, Judenpolitik im Dritten Reich, Neuausgabe, Düsseldorf 2003. Adler-Rudel, S., Ostjuden in Deutschland 1880–1940. Zugleich eine Geschichte der Organisationen, die sie betreuten, Tübingen 1959. –, Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime 1933–1939 im Spiegel der Berichte der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, Tübingen 1974. Ahlheim, H., »Judenzählung«. Der »jüdische Einfluss« in der Wirtschaft und das Problem seiner Messung, in: G. Botsch u. a. (Hg.), Politik des Hasses. Antisemitismus und natio­ nale Rechte in Europa, Hildesheim 2010, S. 55–68. –, »Deutsche, kauft nicht bei Juden!«. Antisemitismus und politischer Boykott in Deutschland 1924 bis 1935, Göttingen 2011. Ahrens, R., Die Dresdner Bank 1945–1957. Konsequenzen und Kontinuitäten nach dem Ende des NS-Regimes, München 2007. Allgemeine Ortskrankenkasse Frankfurt am Main 1883–1958, Frankfurt a. M. 1958.

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Personen- und Firmenregister Adenauer, Konrad  277 Adler J. jun.  41, 112–118 Adler M. sen.  255 Adler-Rudel, Sholem  53 Albersheim Dr. M.  139 f., 144, 294–296, 315 f. Allgemeine Optische Gesellschaft  167–169 Alligator Lederwaren  233 Amann, Max  175 f., 249 Angersbach Johann Alfred  216 Angulos-Patos Otto Müller  259, 261 f. Aquila AG  41, 112, 115 Asch, Bruno  27 Avieny, Wilhelm  303 Bacharach Oscar  289 Baeck, Leo  99, 206 Baer & Kreuzer  156 Baer Nathan  249 f. Bauer J. S.  257 Bauer L. & Co.  199 Bayerisches Schokoladenhaus  178 Beer, Sondheimer & Co.  31 Bender Benno & Co.  267 Berger, Alfred  53 Biedermann Alfred  156 Bieler Samuel  287, 308, 325 Biesten & Co.  261 f., 320 Bischoff KG  262 Blum Emma  260 Böckel, Otto  29 Brückner Heinrich  261 f. Brumlik J.  252 Brüning, Heinrich  55 f. Buchdahl Adolf  138, 140 Byk-Guldenwerke  294 Café Freimark  213 Café Rothschild  121, 209 Carlebach Gebr.  138, 140 Carsch Gustav  139 f., 144, 245, 249 Cassella Leopold & Co.  37 Cellulosefabrik Okriftel Ph. Offenheimer  245 f. Chemisch-Pharmazeutische Werke AG  244 Clay, Lucius D.  271

Cohn. Geschw.  122 Commerzbank  110, 178, 225, 227 Dam, Hendrik George van  276 Degussa AG  244 Dehler, Thomas  277 f. Deutsche Bank  16, 113, 115, 117, 146–149, 294 Deutsche Golddiskontbank  113, 115, 223 f. Deutsches Bücherhaus  288 Dräger, Karl  102 Dresdner Bank  113, 115, 117, 243, 245, 247, 253, 257, 291, 294, 303 Dreydel & Oppenheimer  288 Dreyer & Co.  94 Eckardt, Karl  93, 174, 294, 303 Edelmuth & Oppenheim  166 Ehape  62, 88 Eher-Verlag  175 f., 249 f. Ehrenfeld F.  88, 139 f., 144, 209 Eichelgrün Martin  144, 146 Eichmann, Adolf  218 Epstein J. H.  36 Erlebach M. Nachf.  251 Farblederfabrik Bonames  144 Fischböck, Hans  211 Fischer-Defoy, Werner  82, 84 Flesch, Karl  27 Foltz-Eberle J. C.  213 Frankenau Georg A.  257 f. Frankenfelder Gebr.  144, 249, 320 Frankfurter Asbestwerke  245 Frankfurter Bronzefarben & Blattmetall­ fabrik Julius Schopflocher  258 Frankfurter Fischkonservenfabrik  252 Frankfurter Fleischhallen Emil Hirschmann  181–183, 289 Frankfurter Mühlenwerke  144, 245 Frankfurter Präzisions-Werkzeugfabrik Günther & Kleinmond  144, 146, 245 Frankfurter Societäts-Druckerei  175 Freudenstein Ferdinand  94

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Friedberg Hermann & Co.  82 Fröhling AG  124–126 Fuhrländer W. Nachf.  235, 324 Fuld E.  143 Fuld H. AG  172–174, 303, 330 Funk, Walther  190, 207, 211 Futterstoff Ausrüstung  144 Geiger, Theodor  53 f. Geis & Meinig  255 Gellhorn & Co.  316 Gesellschaft für Gießereichemie  317 f. Getreide-Finanzierungs-AG  245 Goebbels, Joseph  175, 179, 207, 218 Goldberger & Co.  180 Göring, Hermann  60, 73, 76, 153, 179, 190, 193 f., 219, 224 Grohé, Josef  249 Groh John KG  260 Guggenheim Leo  214 Gutmann Geschw.  144 HAKO Schuh AG  247, 264, 300 Hansa-Lichtspiele  297 Harris, Leopold  27 Heilbrunn, Ludwig  27 Henning Richard & Co.  250 Heraeus W. C.  244 Hermanns & Froitzheim  122 Hessische Treuhandverwaltung GmbH  327 f., 330 Hess, Rudolf  62 Hess Salo  142 Heuss Karl  216 Heydrich, Reinhard  74, 207, 218, 224 Hilpert, Werner  265 Hirsch & Co.  245 Hitler, Adolf  62, 73, 75 f., 169, 176, 181, 193, 207, 219 Hofmeister & Co. Glas- und Porzellan­ gesellschaft  199, 261 Hollaender S.  188 Holland, Ernst  89 IG Farben  37, 244 f., 294 Imprimatur GmbH  175 Jacob Gustav & Co.  255 Joseph Schuhhaus  89 Kahn Leonhard  284, 287 Kahn & Oppenheimer  257

Kaisers Kaffee  178 Kaufhaus Schiff  144 Kaufhof AG  88, 156, 316 Kempf & Co  261, 263 Kiehn, Fritz  246, 266, 313 Klebstoffwerke Collodin Dr. Schultz & Nauth KG  261 , 263 Koch Robert  229 Koralnik, Israel  52, 55 Krebs, Friedrich  69, 71 f., 80 f., 85, 92 f., 143, 254 Kreutzberger, Max  52 Kulzer & Co. GmbH  244 Lacroix Eugen Conservenfabrik  254 Landmann, Ludwig  27, 49  Lederfabrik Bonames  256 Lega GmbH  198 f. Lehmann, Friedrich  69 f., 72 Leidig & Kalcker  255, 263 Leiter & Co.  144 Lenz & Co. Bankhaus  245 Levy Albert  157 Levy & Hanauer  144, 225, 255 Ley, Robert  176 Lilienstein Julius  146–149, 202, 332, 334 Linde’s Eismaschinen  119, 157 Lissberger Leo  187, 250 Lochner & Horkheimer  199 Lüer, Carl  70, 243, 303 Manko Hermann KG  144, 290 Mara Mode  324 Marcus, Alfred  52 Marx, Karl  276 Marx & Rohde  144 Marx & Traube  119, 157 Maschinen-Marx  306 Mayer Adolf sen.  229 f., 302 Mayer E. & J.  185 May Erich  142 May, Ernst  27 Mayer & Sommer  177 f. McCloy, John J.  277 Merton, Richard  37, 50 Merton, Wilhelm  37 Merzbach S.  126 Messinger S.  186 Metallgesellschaft AG  37, 41 Meyer W. S.  144 Michel Richard  169 f. Michels Alfons  316 f.

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Mitteldeutsche Kettenfabrik Fritz Emmerich  258, 263 Mitteldeutsche Kettenfabrik Julius Schick 258 Mitteldeutsche Lack- und Farbenfabrik GmbH  141, 143, 183 Müller, Heinrich  218 Murr Hugo  141 f. Nathan R. & W. AG  245 Naxos Schmirgel Schleifwaren Fabrik Burkhard & Co.  144, 146, 200, 268 Nussbaum A. M.  184 Nussbaum J. & S.  288 Obernzenner Julius  166 Offenbacher Lederwaren  307 Oppenheimer Gebr.  94 Patos Schuhfabrik Bieringer & Frank  259 Pick Emanuel & Co.  255 Reichmann, Hans  101 Reiss Engineering Company  227 Rheinische Fluss- und Schwerspatwerke AG  244 f. Riedelbauch & Stoffregen  318 Ries Wilhelm  255 Rosenstein M. L.  34, 134 Rosenthal AG  266 Rosenthal Häutevertrieb KG  257 Rosenthal Siegfried  135 f. Rothschild H. J. & J.  215 Rothschild, Mayer Carl von  27 Saalberg Rudolf  138, 140 Sabor, Adolf  27 Salberg Adolf  88 Salomon A.  158 Sauer & Braun  290 f. Scala-Lichtspiele  296 f. Schacht, Hjalmar  76, 101, 104, 190, 192, 226 Schade & Füllgrabe  36, 96, 176 f., 245 Scheidt Bruno  130 Schiff Hilda Nachf.  212, 290, 301 Schleicher, Kurt von  56, 147 Schmitt & Kaiser  261, 263 Schmuckmoden Charlotte  215 Schneider J. & C. A.  174, 245, 264 Schott Gebr.  309–312 Schupp Wilhelm  257 Schuwerack Wilhelm  309

Schwarz & Co.  179 Schwarzschild-Ochs  35, 234, 261 Schwerin & Co.  141, 143, 205 Setag Seide AG  234 Sichel S.  247 Siemer Ferdinand  255 Silbergleit, Heinrich  51 Sinzheimer, Hugo  27 Sonnemann, Leopold  27, 175 Speier J.  36, 120, 246 f., 254, 298 Sprenger, Jakob  85, 90, 93 Stein Julius  144 Sternberg Moritz  144, 260 Stock R. & Co.  245 Storch & Reichel  263 Strauss & Co.  144, 228 Strauss José  89, 92, 102 Strauss M. & L.  126 Strauss Siegmund jr.  35 Strumpfhaus Metzger  206 Süddeutsche Nährmittel  126 f. Süddeutsche Wäschefabrik J. Seligmann  261 Süss Carl  131 Telefonbau & Normalzeit  173 f. Theilhaber, Felix  51 Tietz, Leonhard u. Oscar  36 Vera-Verlagsanstalt  176 VJB Apparatebau  144, 227 Vogel Gebr.  128–130, 144, 146 Wagener & Schlötel  143 f. Wagner, Adolf  61 Wagner Gebr.  188 Warburg M. M. & Co.  229 Weil Dr. R. & Dr. O.  294 Weil, Marx & Co.  128 Weinberg, Arthur u. Carl  37 Weiser Walter  287, 308 Werhahn Wilhelm  177 f., 245 Wertheimer Heinrich  35, 144 Wickert Heinrich  216 Wirth, Kurt  117, 243, 304 Witwe Hassan  177 Wohlgemuth & Co.  124–126 Wolffing Max  230 Wronker Hermann AG  36, 41, 71 Zielenziger, Kurt  52 Zöller Hans  267 f.

384 © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525370247 — ISBN E-Book: 9783647370248