Machtraum Großstadt: Zur Aneignung und Kontrolle des Stadtraumes in Frankfurt am Main und Philadelphia in den 1920er Jahren 9783412211318, 9783412208868

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Machtraum Großstadt: Zur Aneignung und Kontrolle des Stadtraumes in Frankfurt am Main und Philadelphia in den 1920er Jahren
 9783412211318, 9783412208868

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Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte Herausgegeben von Andreas Eckert und Joachim Rückert Band 84 Jan Philipp Altenburg Machtraum Großstadt

Jan Philipp Altenburg

Machtraum Großstadt Zur Aneignung und Kontrolle des Stadtraumes in Frankfurt am Main und Philadelphia in den 1920er Jahren

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Frankfurter Historischen Kommission sowie des Preisgeldes des Dr. Herbert-Stolzenburg-Awards

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.

Umschlagabbildung: Polizeieinheit des Bureau of Police, Philadelphia, PA, ca. 1920. George D. McDowell Philadelphia Evening Bulletin Collection, Urban Archives, Temple University Philadelphia

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D–50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Druck und Bindung: General Druck, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-412-20886-8

Für Sina

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Kontraste zweier Städte: Philadelphia und Frankfurt am Main. . 14 2 Perspektiven auf die Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1 Who makes the town we live in? Narrative und Praktiken der Macht . . . . 42 1.1 Die „Great Leader“ Philadelphias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.2 Die Herrschaft der ‚Experten‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2 Strukturen der sozialen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1 Öffentlich vs. Privat: Strukturelle Konflikte in Frankfurt am Main. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.2 Reformer vs. Machine: Das Ringen um den städtischen Raum in Philadelphia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3 Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.1 Nähe und Distanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.1.1 „We care for them personally“: Grenzen der Fürsorgepraxis in Philadelphia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.1.2 „Das braucht die Nachbarschaft doch nicht zu wissen“: Konfliktpotential durch räumliche Nähe in Frankfurt am Main. 146 3.2 Überwachtes Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.1 Von emotionaler Nähe zu intellektueller Distanz: Die Wohnungsfürsorge in Philadelphia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.2 Von der Zwangswirtschaft zum Neuen Bauen: Die Kontrolle des Wohnraumes in Frankfurt am Main . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.3 Nachbarschaftliche Kontrolle von ‚unten‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3.3.1 „My Dear Mr. Mayor“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3.3.2 Das Ringen um Teilhabe – Die ‚Philadelphia Tribune‘ als Sprachrohr einer black community?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3.3.3 Die ‚totale‘ Exklusion: „Zigeuner“ in Frankfurt am Main. . . . . . . 198 4 Momente der Erschütterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4.1 Der Fall Wiechmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4.2 Der Fall Butler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

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5 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Literatur und publizierte Quellen vor 1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Literatur nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Editorische Notiz

Zitate im Original werden durch doppelte Anführungszeichen gekennzeichnet. Hervorhebungen durch den Verfasser, sowie zeitgenössische Periodika werden durch einfache Anführungszeichen gekennzeichnet. Nicht übersetzte englischsprachige Begriffe werden kursiv gesetzt. Eine Hervorhebung deutscher und amerikanischer Institutionen erfolgt nicht. Verweise auf Zeitungsartikel, die als Ausschnitt in Archivalien vorgefunden wurden, werden mit einem Hinweis auf den Fundort ergänzt. Die Datierung dieser Artikel basiert oftmals auf handschriftlichen Vermerken. Eine Angabe der Zeitungsausgabe und Seiten­zahl ausgeschnittener Artikel ist nicht immer möglich.

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5 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 6 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Literatur und publizierte Quellen vor 1945. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Literatur nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zitate im Original werden durch doppelte Anführungszeichen gekennzeichnet. Hervorhebungen durch den Verfasser, sowie zeitgenössische Periodika werden durch einfache Anführungszeichen gekennzeichnet. Nicht übersetzte englischsprachige Begriffe werden kursiv gesetzt. Eine Hervorhebung deutscher und amerikanischer Institutionen erfolgt nicht. Verweise auf Zeitungsartikel, die als Ausschnitt in Archivalien vorgefunden wurden, werden mit einem Hinweis auf den Fundort ergänzt. Die Datierung dieser Artikel basiert oftmals auf handschriftlichen Vermerken. Eine Angabe der Zeitungsausgabe und Seiten­zahl ausgeschnittener Artikel ist nicht immer möglich.

Danksagung

Das vorliegende Buch ist während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen entstanden. Viele Freunde und Kollegen haben mich hierbei begleitet und diese Jahre, in denen ich meine Leidenschaft zum Beruf machen durfte, zu einer sehr wertvollen Zeit für mich gemacht. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Friedrich Lenger, der mich seit meinen ersten Studienjahren begleitete und mir stets den Freiraum zur Entwicklung und Verfolgung eigener Fragen und Ansätze schuf. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen engen Freunden und Studienkollegen Neill Busse, Florian Schnürer und Sharon Bäcker, für die angenehmsten Kaffeepausen und den notwendigen Schuss Selbstironie, der die im Forschungsalltag notwendige Distanz zum eigenen Tun stetig zu erneuern half. Die Publikation der Arbeit wurde mir vor allem durch die Unterstützung der Frankfurter Historischen Kommission und des Graduate Center for the Study of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen ermöglicht, wofür ich auch meinen Dank aussprechen möchte. Zuletzt möchte ich mich vor allem bei meiner Frau Sina bedanken, die mir in den Jahren der Forschung den Rücken gestärkt und mich mit unendlicher Geduld unterstützt hat. Ihr möchte ich dieses Buch widmen, denn sie hat mich immer an das erinnert, was Kurt Tucholsky so viel schöner in Worte fassen konnte. Der Weise liest in einem Buch. Und denkt: Dies ist ein Erdenfluch, daß wir zwar mit dem Kopf im Blauen den Zimt da unten überschauen; jedoch die Beine haften klamm hienieden auf dem Asphaltdamm. So las ich jüngst in einem Blatte, das meine Frau aus Pommern hatte: „Der Mensch lebt nicht von Kunst allein – es muß auch mal ein Foxtrott sein!“ Kurt Tucholsky

Einleitung

„Frankfurt ist Deutschlands gefährlichste Großstadt“, titelte im April 2007 das Magazin Spiegel Online und berief sich damit auf die kurz zuvor veröffentlichte Kriminalitätsstatistik des Jahres 2006.1 Im gleichen Jahr lief die US-amerikani­sche Großstadt Philadelphia mit 406 Todesopfern der Hauptstadt Washington D.C. den Titel als „murder capital“ ab.2 In Reaktion auf solche Meldungen aus den Groß­städten hat die amerikanische Mittel- und Oberschicht unlängst damit begon­nen, sich in gated communities zurückzuziehen, in umzäunte Areale, die von priva­ten Wachmannschaften vor dem Eindringen unerwünschter Personen geschützt werden.3 Diese Schichten setzten damit eine Rückzugsbewegung fort, die bereits im 19. Jahrhundert ihren Ausgang genommen hat. Auch wenn sich in deutschen Großstädten bislang keine ähnliche Entwicklung abzeichnet und gated communities eine Seltenheit geblieben sind, schüren reißerische Berichte über soziale Brennpunkte in den Großstädten grundlegende Ängste vor einem Verlust der Kontrolle über die Stadt. Während in den USA die Gewalt und Kriminalität in den Städten zumeist auf Auseinandersetzungen von Gangs rund um den Drogenhan­del zurückgeführt werden, entzünden sich in Deutschland die Diskussio­nen dagegen oftmals um ‚Parallelgesellschaften‘, die sich in Migrations­vierteln herausgebildet hätten, so beispielsweise auch im Jahr 2006, als sich Lehrer der Berlin-Neuköllner Rütli-Schule hilfesuchend an den Senat wandten, da sie die Kontrolle über ihre Schüler, die zu 83% nicht deutscher Herkunft waren, zu verlie­ren drohten.4 Doch das Gewalt-Problem in deutschen Städten ist keines, 1 Frankfurt ist Deutschlands gefährlichste Großstadt, in: Spiegel-Online, 12.4.2007, (http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,476844,00.html). 2 Michelle Singer, Philadelphia: City Under Siege, in: CBS News.com, 23.7.2007, (http:// www.cbsnews.com/stories/2007/07/23/eveningnews/main3088933.shtml). 3 Siehe dazu beispielsweise Edward James Blakely u. Mary Gail Snyder, Fortress America. Gated communities in the United States, Washington 1997. 4 Ein Teilabdruck des ‚Notrufes‘ wurde im Spiegel veröffentlicht. Siehe Notruf der RütliSchule, in: Spiegel-Online, 30.3.2006, (http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,408 803,00.html). Zur Diskussion von Parallelgesellschaften und der Bedeutung von Migrationsvierteln siehe grundlegend Susanne Worbs, ‚Parallelgesellschaften‘ von Zuwanderern in Städten?, in: Frank Gesemann u. Roland Roth (Hg.), Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft. Migration und Integration als Herausforderung von Kommunen, Wiesbaden 2009, S. 217–234; Hartmut Häußermann, Behindern ‚Migrantenviertel‘ die Integration?, in: Frank Gesemann u. Roland Roth (Hg.), Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft. Migration und Integration als Herausforderung von Kommunen, Wiesbaden 2009, S. 235–246. Jüngst war es der tragische Selbstmord der Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig, der die Aufmerksam­keit der Medien erneut

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das sich genuin auf das Problem misslungener Integration ablenken ließe. Als Anfang 2008 deutsche Jugendliche ohne Migrationshintergrund in Frankfurt Bonames einen U-Bahnfahrer zusammenschlugen, gab es für die im Anschluss daran ausbre­chenden Diskussionen keine Möglichkeit, die Schuld im fehlenden Integrati­onswillen von Immigranten zu suchen. Doch auch die deutschen Jugendli­chen erschienen im medialen Aufruhr oftmals wie aus einer anderen Gesellschaft. „Wir sind denen doch scheißegal“5, äußerte ein halbes Jahr nach dem Vorfall ein Jugendlicher des ‚Problemviertels‘ von Frankfurt Bonames gegenüber einem Journalisten, eine Aussage, die ähnlich auch im Kontext der von Jugendlichen entfachten Autobrände in der banlieu von Paris immer wieder zu hören war. „Jen­seits von Frankreich“ nannte Susanne Freitag ihre vom ZDF produzierte Dokumen­tation zum Leben in der banlieu, und brachte damit ein zentrales Wahr­nehmungsmuster solcher Stadtteile und der dort lebenden Menschen zum Ausdruck: dass sie kein Teil ‚unserer‘ Städte, ja nicht einmal ‚unserer‘ Gesell­schaft sind. Dieses Wahrnehmungsmuster provoziert die Frage danach, wem das Recht zugesprochen wird, Teil einer Stadt zu sein, und vor allem, wer über darü­ ber eigentlich entscheidet? Bereits 1968 brachte der französische Soziologe Henri Lefebvre diese Frage mit der Formel vom ‚Recht auf die Stadt‘ auf den Punkt.6 Doch die Frage nach dem Recht auf die Stadt ist keine Erscheinung der Postmoderne, sondern drängte sich den in der Stadt lebenden Menschen seit dem 18. Jahrhundert und den in dieser Zeit einsetzenden Modernisierungs- und Veränderungsprozessen immer wieder auf.7 Immer auf die Gewaltbereitschaft der Berliner Jugend lenkte Vgl. Vermisste Jugendrichterin ist tot, in: Zeit Online, 4.7.2010, (http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/ jugendrichterin-heisig-tod). 5 Felix Helbig, „Wir sind denen doch scheißegal“, in: FR-Online, 28.1.2008, (http://www. fr-online.de/frankfurt_und_hessen/dossiers/hessenwahl_2008/1278562_Wir-sind-denen-doch-scheissegal.html). 6 �������������������������������������������������������������������������������������������� Henri Lefebvre, Le droit à la ville. Suivi de espace et politique, Paris 1968. Lefebvres Ansatz hat zahlreiche Nachfolger gefunden, insbesondere in der angloamerikanischen Humangeographie. Einen Einblick in einschlägige Forschungsansätze bietet der Sammelband von Bernd Belina (Hg.), Raum­produktionen. Beiträge der Radical Geography. Eine Zwischenbilanz, Münster 2007. Ebenso einschlägig sind die Werke von Edward Soja, jüngst Edward W. Soja, Seeking Spatial Justice, Minneapolis 2010. Ergänzend siehe auch Don Mitchell, The Right to the City. Social Jus­tice and the Fight for Public Space, New York 2003. Weitere zentrale Arbeiten zur Aus­übung von Macht, insbesondere im städtischen Raum, kommen vor allem aus der angloamerikani­schen Forschung. Vgl. beispielsweise Dolores Hayden, The Power of Place. Urban Landscapes as Public History, Cambridge, London 1995 und, weitaus theoretischer, John Allen, Lost Geographies of Power, Oxford 2003. 7 Vgl. Lothar Gall, Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesell­schaft, in: ders. (Hg.), Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur

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mehr Menschen zog es in Städte, die gleichsam zu den ‚Orten der Moderne‘ wurden und die Zeitgenossen nicht nur faszinierten, sondern zuneh­mend auch beängstigten: auf Grund ihrer Größe, ihrer Dichte und vor allem ihrer Unübersichtlichkeit. Der Wunsch nach einer Kontrolle des urbanen Raumes war daher auch ein Wunsch, der vor allem dem Drang nach Sicherheit entsprach, Sicher­heit vor Krankheiten, vor Kriminalität und vor den ‚Massen‘ der sozialen Unterschicht. In den 1920er Jahren erreichten die städtischen Wandlungsprozesse in der westlichen Welt einen neuen Höhepunkt, in Nordamerika mit der einsetzen­den Great Migration, der massenhaften Wanderung afroamerikanischer Südstaat­ler in die Freiheit versprechenden Städte des Nordens, in Deutschland mit der kri­senhaften Nachkriegszeit, in der das Bürgertum mehr und mehr seinen Status als die „Herren der Stadt“8 verlor. In dieser Zeit der Krise, in der intensiv neue Mecha­nismen zur Kontrolle des städtischen Lebens entworfen und erprobt wur­den, setzt meine Untersuchung an. Anhand der Städte Frankfurt am Main und Philadelphia möchte ich untersuchen, wie in den 1920er Jahren die Frage nach dem Recht auf die Stadt verhandelt und beantwortet wurde. Wie haben sich Men­schen unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft den städtischen Raum angeeignet? Wer wollte sie hierbei kontrollieren und wie sollte diese Kontrolle umgesetzt werden? Wie unterschieden sich die Formen der Aneignung und Kon­ trolle von Stadt zu Stadt? Hierbei gilt es nicht nur die strukturellen Bedingtheiten der städtischen Ordnungssysteme von Frankfurt am Main und Philadelphia zu analysieren, sondern vor allem auch die praktische Aneignung und Kontrolle des städtischen Raumes durch die in ihnen lebenden Menschen.9 Die Großstädte Frank­furt am Main und Philadelphia unterschieden sich hierbei sehr grundlegend, was allein daran deutmodernen Ge­sellschaft, München 1993b, S. 1–12 und Horst Matzerath, Urbanisierung in Preussen 1815–1914. Band 2, Stuttgart, Berlin, Köln u. a. 1985. 8 ��������������������������������������������������������������������������������������� Hans-Walter Schmuhl, Die Herren der Stadt. Bürgerliche Eliten und städtische Selbstverwaltung in Nürnberg und Braunschweig vom 18. Jahrhundert bis 1918, Gießen 1998. 9 Beim Begriff der Aneignung orientiere ich mich an Alf Lüdtke und an Michel de Certeau. De Certeau beschrieb die Aneignung konzise als „sekundäre Produktion“ und gibt damit auch sinn­haft das Verständnis Lüdtkes von der ‚Aneignung‘ wieder. Vgl. dazu Alf Lüdtke, Einlei­tung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: ders. (Hg.), Alltagsgeschichte. Zur Rekon­struktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt am Main, New York 1989, S.  9–46, hier S.  12f.; Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988. Bei Roger Chartier fin­det der Begriff der Aneignung ganz ähnlich Anwendung. Vgl. Roger Chartier, Kultur­geschichte zwischen Repräsentation und Praktiken, in: ders. (Hg.), Die unvollendete Vergangen­heit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Berlin 1989, S. 7–23, hier S. 21. Grundlegend zum Aneignungsbegriff siehe auch Veronika Krönert, Michel de Certeau: Alltags­leben, Aneignung und Widerstand, in: Andreas Hepp u. a. (Hg.), Schlüsselwerke der Cultural Stu­dies, Wiesbaden 2009, S. 47–57; Jaana Eichhorn, Geschichtswissenschaft zwischen Tradi­tion und Innovation. Diskurse, Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung, Göttingen 2006 und

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lich wird, dass in Philadelphia in den 1920er Jahren mit zwei Millionen Einwohnern viermal so viele Menschen lebten, als zu dieser Zeit in Frankfurt am Main. Um mich diesen Unterschieden und der Beantwortung der Fragestellung zunächst anzunähern, werde ich als erstes zentrale Kontraste der ungleichen Städte Frankfurt am Main und Philadelphia nachzeichnen, um damit auch grundlegende Informationen zu liefern, auf die ich mich während meiner Analyse immer wieder beziehen werde (1). Im Anschluss daran möchte ich an­hand einer Diskussion der aktuellen stadthistorischen Forschung die theoretischen und methodischen Grundlagen und Vorüberlegungen dieser Untersuchung näher erörtern (2).

1. Kontraste zweier Städte: Philadelphia und Frankfurt am Main Kaum ein anderer Aspekt hat im 19. und 20. Jahrhundert unsere Städte so grund­ legend verändert, wie die Mobilisierung der Gesellschaft, die nicht zuletzt Konse­ quenz und Motor der Industrialisierung, Verstädterung und Urbanisierung war.10 Seit Beginn des 19. Jahrhunderts verließen ganze Menschenmassen den europäi­schen Kontinent und strömten in die Städte der Vereinigten Staaten von Amerika, ein Migrationsprozess, der entscheidend die Entwicklung der städtischen Macht­strukturen in den USA beeinflussen sollte.11 Auch für Philadelphia war diese Zu­wanderung prägend und um 1900 waren nur noch 47% der Bevölkerung „native born of native-born parents“12, was aber vorerst am Image der Stadt als „amerika­nischste“ unter den größten Städten der Vereinigten Staaten nichts ändern sollte.13 Mit den Zuwanderungsbegrenzungen in die USA in den 1920er Jahren brach diese Migrationsbewegung ab und die Wachstumsrate der Bevölkerung Philadel­phias sank ganz erheblich von ca. 18% auf 7% pro Jahrzehnt.14 Bei einem jährli­chen Wachstum von ca. 25 000 MenMarian Füssel, Die Kunst der Schwachen. Zum Be­griff der Aneignung in der Geschichtswissenschaft, in: Sozial.Geschichte. 2006, S. 7–28. 10 ��������������������������������������������������������������������������������� Siehe grundlegend dazu Steve Hochstadt, Mobility and Modernity. Migration in Germany 1820–1989, Ann Arbor 1999; Stephan Bleek, Mobilität und Seßhaftigkeit in deutschen Großstädten während der Urbanisierung, in: Geschichte und Gesellschaft 15. 1989, S. 5–33. 11 �������������������������������������������������������������������������������� Grundlegend dazu Raymond L. Cohn, Mass Migration Under Sail. European Immigration to the Antebellum United States, Cambridge 2009. 12 Lincoln Steffens, The Shame of the Cities, New York 1904, S. 194. 13 Ebd.; John W. Jordan (Hg.), Colonial Families of Philadelphia. Volume II, New York 1911. 14 Die Wachstumsraten der Bevölkerung Philadelphias lagen im Zeitraum von 1880 bis 1900 bei 23,6% pro Jahrzehnt, von 1900 bis 1910 bei 19,7%, von 1910 bis 1920 bei 17,7% und von 1920 bis 1930 bei 7,0%. Damit wuchs die Bevölkerung zwischen 1880 und 1930

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schen zwischen 1890 und 1920 und ca. 12 000 Menschen jährlich zwischen 1920 und 1930, konnte sich die Bevölkerung Philadelphias dennoch innerhalb von 40 Jahren auf über 1 950 000 Menschen verdoppeln. Im Kontrast zu dieser amerikanischen Großstadt an der Ostküste der Vereinigten Staaten war das binnenländische Frankfurt nur wenig von Immigra­tion betroffen, auch kamen inländische Migranten nicht in der Masse dauerhaft in die Großstadt am Main, wie dies in Philadelphia der Fall war. Vergleichsweise langsam wuchs hier die Bevölkerung zwischen 1871 und 1914 von 91 000 auf knapp 444 000, also jährlich um 8 040 Einwohner, ein Wachstum, das zu 25% auf Eingemeindungen beruhte.15 Doch auch wenn das Wachstum Frankfurts weit von amerikanischen Verhältnissen entfernt war, war die Stadtbevölkerung alles andere als statisch. In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg zogen jährlich 70 000 bis 80 000 Menschen nach Frankfurt und 70 000 bis 75 000 wieder weg. Der Anteil an ortsgebürtiger Bevölkerung hielt sich seit den 1890er Jahren bei etwas über 40%.16 In Philadelphia veränderte die massenhafte Niederlassung von Immigranten und Migranten grundlegend die sozialräumlichen Strukturen der Stadt, während diese zur gleichen Zeit in Frankfurt relativ stabil blieben. Mit der einsetzenden Great Migration hatten die Wanderungsbewegungen einen Impetus erhalten, der zwar im Gesamtwachstum Philadelphias marginal erscheint, für die Veränderung der städtischen Strukturen aber kaum zu überschätzen ist.17 In den 20 Jahren zwischen 1910 und 1930 stieg der schwarze Bevölkerungsanteil Philadelphias von 5,5 auf 11,4%. Mit ca. 222 500 afroamerikanischen Einwohnern im Jahr 1930 hatte Philadel­phia damit unter den größten Städten der Vereinigten Staaten den höchsten schwarzen Bevölke-

um 130%. Vgl. Peter McCaffery, When Bosses Ruled Philadelphia. The Emergence of the Republican Ma­chine, 1867–1933, University Park 1993, S. 115. 15 Zur Bevölkerungsentwicklung siehe Ralf Roth, Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft, 1760– 1914, München 1996 und zu den Eingemeindungen Dieter Rebentisch, Industrialisierung, Bevölkerungswachs­tum und Eingemeindungen. Das Beispiel Frankfurt am Main 1870–1914, in: Jürgen Reulecke u. Wolfgang Hofmann (Hg.), Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Bei­träge zur modernen Stadtgeschichte, Wuppertal 1980, S. 90–113, hier S. 99. 16 Direktor Dr. Busch, Einwohnerzahl und Gliederung, in: Hans Trumpler u. Julius Ziehen (Hg.), Jahrbuch der Frankfurter Bürgerschaft, Frankfurt am Main 1925, S. 7–9, hier S. 7. Direkte Ver­gleichszahlen zu Philadelphia über den Anteil immigrierter Bevölkerungsteile sind nicht über­liefert. 17 Grundlegend zur Great Migration nach Philadelphia siehe beispielsweise Fredric Miller, The Black Migration to Philadelphia: A 1924 Profile, in: Joe William Trotter u. Eric Ledell Smith (Hg.), African Americans in Pennsylvania. Shifting Historical Perspectives, Harrisburg 1997, S. 287–315.

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rungsanteil.18 Die meist mittellosen europäischen Immigranten hatten es nach ihrer Ankunft im Hafen von South Philadelphia zumeist in die zent­rumsnahen Arbeiterviertel verschlagen und bildeten dort unterschiedliche „ethni­sche Kolonien“19. Auch die afroamerikanischen Migranten fanden kaum einen anderen Ort zum Wohnen, als in den Stadtteilen, in denen ohnehin schon ein gro­ßer Teil der schwarzen Bevölkerung lebte.20 Der zunehmende Ausbau des Verkehrs­netzes und insbesondere die Automobilisierung ermöglichte nun der weißen Mittel- und Oberschichte sich samt ihres Dienstpersonals immer weiter aus dem Stadtzentrum in die Randgebiete und Vororte Philadelphias zurückzuzie­hen. Dies führte zu einer ausgeprägten räumlichen Distanz dieser Schichten zu den Arbeiter- und Immigrantendistrikten der Stadt und so, sieht man einmal vom Zusammenleben von farbigem Dienstpersonal und sozialer Oberschicht ab, wurde vor allem das zentrale Einkaufs- und Geschäftsviertel zu einem Ort der potentiel­len Begegnung zwischen den unterschiedlichen sozialen und ethnischen Gruppie­rungen, in die sich die Mittel- und Oberschicht gleichsam wie auf Korridoren hin­ein bewegten.21 1930 lebten 80% der schwarzen Bevölkerung und ca. 70% der italienischen, polnischen und russischen Einwanderer im Kerngebiet Philadel­phias, aber insgesamt nur 30% der Gesamtbevölkerung.22 Während die so segre­gierten Stadtviertel der Arbeiter und Immigranten mit den Jahren eigene gesell­ schaftliche Substrukturen entwickelten, wurden sie von der weißen und schwarzen Mittelklasse mit äußerstem Argwohn beobachtet und zum bevorzugten Studien- und Arbeitsgebiet eifriger Reformer und privater Wohl­tätig­keitsorganisa­tionen. Die radikalen Veränderungen, die die starke Zuwanderung von Menschen aus zumeist sozial schwächeren Schichten in Philadelphia nach sich zogen, beflügel­ten private Initiativen im Bereich der sozialen Fürsorge, änderten aber nur wenig an der weitestgehenden Nicht-Existenz einer städtischen Fürsorge. Die Fürsorge­arbeit in Philadelphia blieb vor allem freiwillig, auch hatten Bedürftige keinerlei rechtlichen Anspruch auf Unterstützung. Da die Stadt also keine besonderen Geldmittel auf18 Vgl. Thomas Jackson Woofter u. Madge Headley Priest, Negro Housing in Philadelphia, hg. v. Institute of Social and Religious Research, Philadelphia 1927, S. 3f.; Sam Bass Warner, The Private City. Philadelphia in Three Periods of its Growth, Philadelphia 1987, S. 55; McCaffery, When, S. 116. 19 ���������������������������������������������������������������������������������� Rauf Ceylan, Ethnische Kolonien. Entstehung Funktion und Wandel am Beispiel türkischer Moscheen und Cafés, Wiesbaden 2006. Diese Form der Wanderungsbewegung, in der Migran­ten an ihren Zielorten ethnische Zentren bilden, wird in der Forschung als Kettenmigration be­zeichnet, die häufigste Form der Migration. Siehe dazu ebd., S. 45–68. 20 ��������������������������������������������������������������������������������������� Zur sozialen und ethnischen Segregation in Philadelphia siehe immer noch Warner, Private, S. 169–176. 21 Vgl. dazu ausführlich John Henry Hepp, The Middle-Class City. Transforming Space and Time in Philadelphia, 1876–1926, Philadelphia 2003. 22 Warner, Private, S. 55.

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bringen musste, um die rasant steigende Anzahl sozial bedürftiger zu unterstützen, stellte auch die hohe Migrationsrate für den städtischen Finanz­haushalt erst einmal keine direkte Bedrohung dar. In Frankfurt dagegen erschüt­terte das Städtewachstum seit den 1850er Jahren das bestehende Fürsorgesystem in seinen Grundfesten, nicht zuletzt, da die Stadt mit der Reichsgründung auch juristisch verpflichtet wurde, Fürsorgeleistungen zu erbringen und damit Hilfsbe­dürftigen ein Anspruch auf Unterstützungsleistungen eingeräumt wurde. Mit der Ausweitung des Gemeindeverfassungsgesetzes konnten alle Reichsangehörige in Frankfurt das Bürgerrecht erwerben und durch das neue Unterstützungswohnsitz-Gesetz darüber hinaus die Stadt als ihren Unterstützungswohnsitz geltend machen, wenn sie dort zwei Jahre ohne Inanspruchnahme der Armenpflege ansässig gewe­sen waren.23 Auf die durch die juristischen Neuregelungen entstehenden Mehrkos­ten war weder das bestehende Sozialsystem, noch der städtische Haushalt einge­stellt. 1883 versuchte man von städtischer Seite diesen Problemen mit der Einführung einer organisierten städtischen Armen- und Wohlfahrtspflege in Form einer lokalen Adaption des Elberfelder Systems zu begegnen.24 In 15 Armenbezir­ken sollten 295 ehrenamtliche Armenpfleger, bis 1901 ausschließlich Männer, knapp 11 000 Bedürftige überwachen und betreuen. Das Mengenverhältnis von Pflegern zu Unterstützten entsprach hierbei in keiner Weise dem Ideal des Elber­felder Systems von einem Pfleger für maximal sechs Bedürftige und so wurde in den folgenden Jahrzehnten die Anzahl der Pfleger stetig erhöht. 1926 spannte sich ein Netz von mehr als 2 000 ehrenamtlichen Pflegern, darunter zirka 400 Frauen, über den gesamten Stadtraum. Diese waren in rund 120 Fürsorgebezirken tätig und hatten über 50 000 Fälle zu betreuen.25 Ziel dieser Einführung war nun 23 Hans K. Weitensteiner, Karl Flesch – Kommunale Sozialpolitik in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1976; Wilfried Forstmann, Frankfurt am Main in Wilhelminischer Zeit 1866–1918, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 349–422, hier S. 412–413. 24 Exakte Adaptionen des Elberfelder Systems gab es kaum. Von der Zeit seiner Einführung bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden die städtischen Fürsorgesysteme stetigen Refor­men unterzogen. Siehe dazu grundlegend Christoph Sachße u. Florian Tennstedt, Ge­schichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 2. Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871 bis 1929, Stuttgart, Berlin, Köln u. a. 1988. 25 Siehe dazu Hans Maier, Chronik der öffentlichen Armen- und Wohlfahrtspflege in Frankfurt a.M., in: Frankfurter Wohlfahrtsblätter, April 1923, S. 1–7 (FWA 1.344, Bl. 83ff.) und Werner Faulstich (Hg.), Das erste Jahrzehnt, München 2006. Siehe ebenso das Schreiben des Wohlfahrtsamtes der Stadt Frankfurt am Main an das Wohlfahrtsamt der Stadt Leipzig vom 4.6.1926 (FWA 169, Bl. 81). Vgl. auch Elsa Schlaudraff, Ein Vergleich zwischen dem Elberfelder, dem Straßburger und dem Frankfurter System in der Armenpflege, Nürnberg-Zirndorf 1932. Zum Umfang der Fallakten im Wohlfahrtsamt siehe das Schreiben des Bürgermeisters Eduard Gräf an den Magistrat der Stadt Frankfurt am Main vom 22.11.1927 (FWA 1.691, Bl. 48).

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nicht nur die Verbesserung der sozialen Absicherung von Bedürftigen, sondern vor al­ lem auch eine Absicherung gegen die Ausnutzung des bestehenden sozialen Sys­tems. Bedürftige Migranten könnten, so die Befürchtung der Stadtverwaltung, gezielt nach Frankfurt kommen, um dort vorerst zwei Jahre Unterstützung von privaten Fürsorgeeinrichtungen zu erhalten und anschließend Frankfurt als Unter­stützungswohnsitz in Anspruch zu nehmen.26 Mit dem Elberfelder System sollte nun eine umfassende Form der Kontrolle eingeführt werden, in der jeder Fürsor­geempfänger von einem ehrenamtlichen Pfleger aus den Reihen der Bürgerschaft, in der Praxis vorwiegend Kaufmänner und Handwerksmeister, betreut werden sollte. Die ausgeprägte Sorge, dass das bestehende System der sozialen Unterstüt­zung ausgenutzt werden könnte, ist hierbei für Frankfurt wie auch für andere deut­sche Städte symptomatisch. In den Medien wie in der Fachliteratur wurde die Ge­fahr der Ausbeutung durch „unverschämte Arme“ heraufbeschworen.27 Die Angst davor ausgebeutet zu werden, prägte nicht nur die Diskussionen um die städtische Fürsorge, sondern auch die daraus abgeleiteten Praktiken der Fürsorgearbeit und den Umgang von Fürsorgern mit Bedürftigen. Während ‚verschämte Arme’ von den Fürsorgern aufgespürt und ‚gerettet‘ werden konnten, wurden selbstak­tive Antragsteller, die sie sich nicht unterwürfig und fügsam verhielten und vielleicht auch noch ihr Recht auf Unterstützung einforderten, schnell als ‚unverschämt‘ und damit als potentielle Betrüger angesehen, denen man ein ent­sprechendes Misstrauen entgegen brachte. Noch komplexer wurde das Zusam­ mentreffen von Unterstützern und Unterstützten dadurch, dass das System der sozialen Fürsorge auch einem inneren Wandel unterlag. Mit dem wachsenden Einfluss der sozialdemokratischen Partei Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs grundlegend auch der Anspruch der Arbeiterschaft, an den Kontrollsystemen der Stadt auf der organisatorischen Ebene teilzuhaben. In Folge der Entwicklungen der Nachkriegszeit musste das sich moralisch überlegen fühlende Bürgertum der Arbeiterklasse nicht nur mehr Partizipationsmöglichkeiten einräumen, sondern mit der massenhaften Verarmung des Bürgertums auch die moralischen Grundla­gen ihrer Fürsorgearbeit überdenken, nicht zuletzt, um den neuen Hilfsbedürftigen in ihrer Armut weiterhin ein bürgerliches Lebensgefühl ermöglichen zu können. Die städtisch organisierte Fürsorge Philadelphias hatte dagegen gänzlich andere Dimensionen. Nur ein zentraler Teil Philadelphias wurde von dieser überwacht, wäh26 Forstmann, Frankfurt, S. 413. 27 Die Diskussionen um „unverschämte Arme“ steht den amerikanischen Diskussionen um „worthy“ und „unworthy poor“ sehr nahe. Die Unterscheidung in „worthy” und „unworthy poor” wurde in den USA maßgeblich von den Charity Organization Societies in den 1870er Jah­ren eingeführt. Vgl. Michael B. Katz, The History of an Impudent Poor Woman in New York City from 1918 to 1923, in: Peter Mandler (Hg.), The Uses of Charity. The Poor on Relief in the Nineteenth-Century Metropolis, Philadelphia 1990, S. 227–246, hier S. 228–229.

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rend einzelne Randbezirke als unabhängige Armendistrikte organisiert wa­ren.28 Für den zentralen Fürsorgedistrikt Philadelphias mit ca. 1,5 Millionen Ein­wohnern war seit 1919 das neu formierte Department of Public Welfare zuständig. Dessen Bureau of Personal Assistance beschäftigte für die Überwachung und Be­treuung mittelloser Familien in den 1920er Jahren gerade einmal sechs bis acht Untersuchungsbeamte und einen leitenden Untersuchungsbeamten.29 Die schwa­che Ausstattung der städtischen Fürsorge ist hierbei nicht auf eine Unterschät­zung oder Vernachlässigung der sozialen Missstände in der Stadt zurückzuführen, sondern war vielmehr eine bewusste Entscheidung, die nicht nur von der städti­schen Verwaltung, sondern auch von den sozial engagierten Gruppen aus den Reihen der sozialen Mittel- und Oberschicht getragen wurde. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts waren parallel zu den städtisch verwalteten Armendistrikten zwei Systeme zur Kontrolle und Lenkung der ärmeren Bevölkerungsgruppen entstan­den, die in ihrer Art nicht unterschiedlicher sein könnten: Zum einen die ausge­prägte private Wohltätigkeit der Mittel- und Oberschicht und zum anderen die Netzwerke politischer Bosse, die ihren Schützlingen im Tausch für Wählerstim­men direkte Unterstützung zukommen ließen.30 Der genaue Umfang beider Sys­teme kann nur geschätzt werden, da sie entweder verdeckt und/oder sehr unorga­nisiert operierten. Die Netzwerke der sogenannten ‚politischen Maschine‘ entfalteten ihren Einfluss vor allem in den zentralen Stadtbezirken, in denen lo­kale Persönlichkeiten gezielt als politische Führer gewonnen wurden, über die die politische Maschine einen sehr engen Kontakt zu den lokalen Bevölkerungs­gruppen der immigrantenstarken Distrikte aufbauen konnte.31 So entstanden ganz eigene Substrukturen des Zusammenlebens, die sich vor allem durch Korruption auszeichneten, auf die die soziale Mittel- und Oberschicht nur geringen Einfluss hatte, was deren Entfremdung von den ärmeren Stadtteilen und deren Bewohnern noch einmal verstärkte. Informationen und Details über die häufig illegalen Akti­vitäten der Maschine gelangten hierbei nur sporadisch und in einzelnen Skandalen an die Öffentlichkeit, auch wenn die herrschende Korruption allgemein bekannt war. Wie die politische 28 Department of Welfare (Pennsylvania) (Hg.), Poor relief in Philadelphia. A study made under the supervision of the state Department of welfare, as part of a statewide study of poor relief administration in Pennsylvania, Harrisburg 1935. 29 The Evening Bulletin Philadelphia (Hg.), The Bulletin Year Book and Citizens’ Manual 1925, Philadelphia 1925 und The Evening Bulletin Philadelphia (Hg.), The Bulletin Almanac and Year Book 1930, Philadelphia 1930. 30 Zur Entstehung der republikanischen Maschine in Philadelphia siehe McCaffery, When. Einen Überblick zu den zahlreichen sozialen Organisationen bietet Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995. 31 Zum Begriff der political machine siehe Moisej Jakovlevic Ostrogorskij, Democracy and the organization of political parties. Volume II, London, New York 1902, S. 124–129.

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Maschine konzentrierte sich die Mittel- und Ober­schicht mit ihren privaten Fürsorgeinitiativen auf die zentralen Distrikte der Stadt, auch wenn die Fürsorger selbst meist in anderen Stadtteilen wohnten. Die Anzahl der privat engagierten Personen ging hierbei weit in die tausende. Allein der Welfare Federation of Philadelphia, eine 1922 begründete Vereinigung privater Wohltätigkeits­organisa­tio­nen zum gemeinsamen Sammeln von Spendengeldern, waren über 120 private Fürsorgeeinrichtungen angeschlossen, mit teilweise über 1 000 Mitgliedern.32 Die Fürsorgeorganisationen Philadelphias verteilten sich hierbei weit weniger organisiert über den städtischen Raum, als dies in Frankfurt am Main der Fall war, doch unter dem Druck der Great Migration übernahmen zunehmend einzelne Organisationen die Lenkung der privaten Fürsorge und damit auch die Kontrolle über eine systematische Ausbreitung im städtischen Raum. So unterschiedlich sich die Systeme der sozialen Fürsorge in Frankfurt und Phila­ delphia entwickelten, so verschieden waren auch der Aufbau und die Tätigkeitsbe­ reiche der städtischen Polizeiorganisationen. Die Hauptunterschiede lagen hierbei nicht in deren normativen Aufgaben, in beiden Städten war die Polizei, vereinfacht ausgedrückt, für die Einhaltung der Gesetze sowie einer allgemeinen Ordnung zuständig, sondern in der täglichen Praxis der Erfüllung dieser Aufgaben. Gerade in Philadelphia gingen hierbei die in der Tagespresse zum Ausdruck gebrachte Erwartungshaltung an die Polizei und deren tatsächliche Rolle im System der Kontrolle des städtischen Raumes weit auseinander. Charakteristisch für Philadel­phia wie auch für andere US-amerikanische Großstädte, war die ausgeprägte Mi­litarisierung der Polizei, zu der auch der in den Medien lautstark proklamierte „war on vice“ gehörte, in dem die zentrumsnahen ‚Sündenpfuhle‘ der Stadt, die so genannten tenderloins, ausgehoben werden sollten.33 Da die Polizei jedoch eng in die Strukturen der politischen Maschine eingebunden war und es vor allem politische Funktionäre der Maschine waren, die über die Einstellung und Entlas­sung von Polizisten entschieden, war die Polizei selbst zentral an illegalen Akti­vitäten beteiligt. Die Gegensätzlichkeit des inszenierten „war on vice“ auf der einen und der eigenen Beteiligung am großstädtischen ‚Laster‘ auf der anderen Seite, war das Resultat einer Entwicklung der politischen und sozialräumlichen Strukturen Philadelphias seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, auf die ich noch ein­gehen werde. Auch wenn es in den 1920er Jahren nicht 32 Einen Überblick über die in Philadelphia agierenden Fürsorgeorganisationen gibt der Band Toll u. Gillam, Invisible. 33 Zur Militarisierung der Polizei in den Vereinigten Staaten siehe grundlegend Robert M. Fogelson, Big-City Police, Cambridge 1979. Eine einfache Übersetzung von „vice district“ und „tenderloin“ mit ‚Rotlichmilieu‘ wird weder dem Charakter dieser Stadtteile, noch den zahl­reichen Konnotationen, die diesen Begriffen in den zeitgenössischen Diskursen anhängen, ge­recht. Daher werde ich weitgehend auf eine Übersetzung dieser Begriffe verzichten.

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gelang, die korrupte Ver­flechtung von Politik und Polizei aufzulösen, war die praktische Polizeiarbeit in Philadelphia einem grundlegenden Wandel unterworfen, der vor allem durch den technologischen Umbruch erzwungen wurde. Kern dieses technologischen Um­bruches, der in Frankfurt am Main oder anderen deutschen Städten zu dieser Zeit kein Gegenstück fand, war die Automobilisierung. Diese schuf ein grundlegend neues Raum-Zeit-Verhältnis, das von den Ordnungshütern der Straße erst einmal unter Kontrolle gebracht werden musste. Während in Frankfurt im Jahr 1925 6 030 Motorfahrzeuge registriert waren, waren es in Philadelphia im gleichen Jahr 216  034. In Philadelphia kam also ein motorisiertes Gefährt auf jeden neunten Einwohner, in Frankfurt nur eines auf jeden fünfundsiebzigsten. Ähnlich unter­ schiedlich waren die Dimensionen der Verkehrsunfälle. 1928 wurden in Philadel­phia 20 000 Unfälle gezählt, in Frankfurt dagegen im Zeitraum von März 1925 bis April 1926 nur verschwindend geringe 730 Unfälle.34 Die technologische Bewälti­g ung des Stadtraumes war daher für das Philadelphia Police Department wesent­lich pressierender als für die Frankfurter Ordnungshüter. Deren Straßenpolizei sorgte sich mehr um die Gefahr, die von fußballspielenden Jugendgruppen aus­ging, als um kriminelle Banden in schnellen Automobilen, die in kürzester Zeit die naheliegende Landesgrenze überqueren und sich damit dem Zuständigkeitsbe­reich der städtischen Polizei entziehen konnten. Gegen die Verhältnisse und Entwicklungen in Philadelphia erscheint das polizei­ liche System Frankfurts als wesentlich weniger komplex, vor allem war es aber auch wesentlich weniger umstritten. Zwar waren in der direkten Nachkriegszeit die Wirren um Machtanspruch und tatsächliche Macht im Bereich der Polizeiar­beit groß, als ganze drei Organisationen mit polizeilichen Befugnissen die Stadt (un-)sicher machten: Bewaffnete Matroseneinheiten als Marine-Sicherheits­dienst, eine nachrevolutionäre Arbeiterwehr und ein Bataillon des früheren Frank­furter Infanterieregiments Nummer 81.35 Doch schon Ende des Jahres 1920 wurde eine Neuorganisation der Polizei in Frankfurt forciert, mit dem Ziel, eine einheit­liche Ortspolizei zu schaffen. Mit der vorübergehenden Entspannung des Klas­senkonfliktes und der sozialdemokratischen Übernahme der Polizeileitung in Frankfurt verlief die Entwicklung der Polizei in den folgenden Jahren vergleichs­weise ruhig. Zu den Hauptaufgaben in der Umstrukturierung gehörte deutsch­landweit insbesondere eine Anpassung des Po34 Siehe dazu Mitten Management Inc. (Hg.), Philadelphia Traffic Survey. Report No. 2. Central Business District, Philadelphia 1929 und Werner Beuß, Das Leben im Spiegel der Polizei, Frankfurt am Main 1926, S. 13. 35 Siehe dazu Dieter Rebentisch, Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918–1945, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Ge­schichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 423–519, hier S. 427–431.

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lizeiapparates an das neue Staats­system und damit einhergehend der Aufbau eines neuen Images der Polizei als „Freund und Helfer“36, das in radikalem Kontrast zum medialen Bild der ‚militäri­schen‘ Polizei Philadelphias stand. Die geringere Militarisierung der Polizei in den Medien bedeutete jedoch keine gänzliche Konfliktlosigkeit in Frankfurt. Im­mer wieder kam es zu gewaltsamen Unruhen und Übergriffen, in die die Polizei einschreiten musste. Doch im Gegensatz zu den Verhältnissen in Philadelphia, waren in Frankfurt die Fronten zwischen den Gruppierungen wesentlich klarer. Durch die engere Einbindung der Frankfurter Polizei in einen stärker formalisier­ten Verwaltungsapparat, kam es in Frankfurt jedoch vermehrt zu internen Kon­flikten, vor allem über Zuständigkeitsbereiche zwischen sozialer Fürsorge und polizeilicher Kontrolle. Die preußische Polizei hatte im Laufe des 19. Jahrhun­derts das Aufgabengebiet der Fürsorge nach und nach abgelegt und sich auf ord­nende Funktionen beschränkt, doch in den 1920er Jahren fanden immer wieder Elemente fürsorgerischer Tätigkeit Eingang in die tägliche Polizeiarbeit, insbe­sondere im Bereich sexueller Strafdelikte.37 Dabei gerieten Ermittlerinnen der Polizei in direkten Konflikt mit Fürsorgerinnen, die sich in ihren erst neu aufge­bauten Einflussgebieten im Bereich der städtischen Kontrolle beeinträchtigt sa­hen. Eine solche Konfliktstellung zwischen Polizei und sozialer Fürsorge gab es in Philadelphia nicht einmal in Ansätzen. Die Systeme der städtischen Fürsorge und der polizeilichen Kontrolle bauten auf ganz unterschiedlichen Formen städtischer Politik auf. In Frankfurt standen mit der Einführung des Gemeindeverfassungsgesetzes aus dem Jahr 1867 Magistrat und Stadtverordnetenversammlung an der Spitze der städtischen Verwaltung. Der Magistrat erfüllte in dieser vorwiegend exekutive Funktionen, während die Stadt­ verordnetenversammlung vor allem im legislativen Bereich tätig war.38 Beide Organe sollten einander zuarbeiten und sich gegenseitig kontrollieren. Häufig nahm diese Zusammenarbeit aber eher Züge eines Konkurrierens um die Führung der Stadt an als die einer produktiven Kooperation.39 Im Zuge der Professionalisie­rung der städtischen Verwaltung übernahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankfurt wie auch in zahlreichen anderen deut­schen Städten zunehmend eine hoch 36 Der Topos der Polizei als ‚Freund und Helfer‘ kam bereits um die Jahrhundertwende auf, wurde massiv aber erst in den 1920er Jahren auf Ausstellungen und in populär aufbereiteten Publikatio­nen inszeniert und propagiert. Siehe dazu Ralph Jessen, Polizei im Industrierevier. Mo­dernisierung und Herrschaftspraxis im westfälischen Ruhrgebiet 1848–1914, Göttingen 1991, S. 191. Als exemplarisches Dokument für die versuchte Popularisierung der Polizei in Frankfurt am Main siehe Beuß, Leben. 37 ���������������������������������������������������������������������������������� Siehe grundlegend dazu Ralph Jessen, Polizei, Wohlfahrt und die Anfänge des modernen Sozial­staats in Preußen während des Kaiserreichs, in: Geschichte und Gesellschaft 20. 1994, S. 157–180. 38 Forstmann, Frankfurt, S. 369. 39 Ebd., S. 369, 372.

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ausgebildete Funktionselite Ämter in der Stadtverwaltung und seit 1880 bekleideten in Frankfurt nur noch auswärtige Ver­waltungsjuristen das Amt des Oberbürgermeisters.40 Erst mit Ludwig Landmann wurde 1924 wieder ein Frankfurter in dieses Amt berufen. Während der Magistrat bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung durchgängig bürgerlich-liberal geprägt war, erstarkte seit der Jahrhundertwende in der Stadtverordneten­versammlung die sozialdemokratische Fraktion, die in der Weimarer Republik schließlich Führungspositionen im Bereich der städtischen Verwaltung besetzen konnte, darunter den Posten des zweiten Bürgermeisters, der auch Zugleich Leiter des Dezernates für Jugend und Wohlfahrt war, und die Leitung des Frankfurter Polizeipräsidiums.41 Die Stadtverordnetenversammlung war nun nicht länger bür­ gerlich-liberal dominiert, sondern wurde von der sogenannten „Weimarer Koali­tion“ aus Sozialdemokraten, linksorientiertem Zentrum und linksliberalen Demo­kraten angeführt.42 Die konsequente Einbindung der Sozialdemokratie in die städtische Verwaltung konnte die Klassenspannungen in der Stadt abmildern, das stetig wachsende Massenelend in der Stadt vermochte aber auch diese ‚moderne‘ Koalition nicht zu bewältigen.43 Die Rolle des ‚Klassenkämpfers‘ lag nun vor allem in den Händen der kommunistischen Fraktion, die diese auch voll ausfüllte und auf Protestaktionen, in reißerischen Presseartikeln und in der Stadtverordne­tenversammlung lautstark an die elenden Lebensbedingungen der Arbeiterschaft erinnerte. Auch Philadelphias Stadtregierung teilte sich in ein exekutives und ein legislatives Organ. Die Exekutive übernahmen hierbei, dem Magistrat Frankfurts sehr ähnlich, der Bürgermeister und sein Kabinett, das aus den Direktoren der einzelnen Ver­waltungs-Departments bestand. Die Legislative lag in der Hand des City Councils44, einem Rat, deren Mitglieder in den einzelnen Wahldistrikten der Stadt gewählt wurden.45 Wie ein Amt in dieser Verwaltungsstruktur erlangt werden konnte und 40 Einschlägig dazu Frank Bajohr (Hg.), Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Poten­tiale der Moderne, Hamburg 1991; zu Frankfurt Forstmann, Frankfurt, S. 372–376 und Gudrun-Christine Schimpf, Geld Macht Kultur. Kulturpolitik in Frankfurt am Main zwischen Mä­zenatentum und öffentlicher Finanzierung 1866–1933, Frankfurt am Main 2007. 41 In Frankfurt wurde 1913 der erste Sozialdemokrat in den Magistrat gewählt. Vgl. dazu Forstmann, Frankfurt, S. 366. Zur Einbindung von Sozialdemokraten in die Stadtregierung siehe auch Roth, Stadt, S. 664–667. 42 Rebentisch, Frankfurt, S. 437f. 43 Ralf Roth, German Urban Elites in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, in: Ralf Roth u. Robert Beachy (Hg.), Who Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1750–1940, Aldershot, Burlington 2007, S. 127–160, hier S. 142. 44 Die Bezeichnung „City Council“ werde ich im Folgenden mit „Stadtrat“ übersetzen. 45 The Mayor of Philadelphia (Hg.), The New Charter of Philadelphia. Act No. 274 for the Better Government of Cities of the First Class. Signed by the Governor the 25th day of

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welche Funktionen dieses de facto ausfüllte, unterschied sich aller­dings grundlegend von Frankfurt. Mit dem Aufkommen der so genannten career politicians oder auch political professionals um die Mitte des 19.  Jahrhunderts, bildeten sich in Philadelphia zunehmend die Strukturen einer politischen Ma­schine heraus.46 An deren Spitze standen politische ‚Bosse‘, die streng hierar­chisch die Geschicke der lokalen Partei bestimmten. Seit dem Ende des Bürger­krieges hatten sich hierbei in Philadelphia uneingeschränkt die Republikaner an die Spitze der städtischen Politik setzen können und die Nominierung eines Kan­didaten für ein politisches Amt durch die republikanische Partei entsprach der Wahl dieses Kandidaten.47 Die Macht der Bosse, die immer weniger aus den Rei­hen der alten städtischen Elite und immer mehr aus Immigrantenfamilien stamm­ten, beruhte auf einer effektiven Kontrolle der Wählerstimmen durch Gefälligkei­ten, Einschüchterungen und Wahlmanipulationen.48 Bei der Sicherung der Wählerstimmen war die politische Maschine äußerst erfolgreich, und dies vor al­lem durch ihren engen Kontakt zur Wählerschaft über die so genannten division leader. In 1 283 Divisionen vertraten diese das Interesse ihrer jeweiligen ward leader, die einem der 50 Wahlbezirke Philadelphias vorstanden. Die division lea­der kannten hierbei die Menschen ihrer Nachbarschaft persönlich und beim Na­men, standen ihnen Tag und Nacht für Ratschläge und konkrete Hilfsmaßnahmen zur Verfügung und halfen ihnen schließlich an Wahlabenden beim Ausfüllen der Wahlscheine oder bei der Bedienung der Wahlautomaten.49 Seit den 1890er Jah­ren war die politische Maschine der Brüder George, Edwin und William S. Vare, deren Machtzentrum im immigrationsstarken South Philadelphia, dem „home of Philadelphias ghettos“50, ihren Ausgang genommen hatte, das Herz der republikani­schen Partei Philadelphias. Die politische Karriere des Bosses William S. Vare, die in den Straßen von South Philadelphia begann und mit einer gescheiterten Berufung zum US-Senator im Jahr June, 1919, Philadelphia 1920 (HSP, Col. 1.541). 46 McCaffery, When, S. 2–7. Grundlegend dazu John M. Allswang, Bosses, Machines, and Urban Voters. An American Symbiosis, Port Washington 1977, sowie die einschlägigen Sammelbände Blaine A. Brownell u. Warren E. Stickle (Hg.), Bosses and Reformers. Urban Politics in America, 1880–1920, Boston 1973; Bruce M. Stave (Hg.), Urban Bosses, Machines, and Pro­gressive Reformers, Lexington, Toronto, London 1972. 47 Dorothy Gondos Beers, The Centennial City 1865–1876, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 417–470, hier S. 436f.; McCaffery, When, S. 113–144. 48 Grundlegend dazu Elmer E. Cornwell, JR., Bosses, Machines, and Ethnic Groups, in: Blaine A. Brownell u. Warren E. Stickle (Hg.), Bosses and Reformers. Urban Politics in America, 1880–1920, Boston 1973, S. 6–22. 49 Eine eingängige Schilderung der Arbeit eines Philadelphia ward leaders an der Wahlurne bietet John Thomas Salter, Close-up of a Ward Politician, in: Harper’s Monthly Magazine 166. 1933a, S. 493–503. 50 Warner, Private, S. 183.

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1929 endete, war eine geradezu idealtypische Boss-Karriere und in den 1920er Jahren bestimmte William fast uneingeschränkt die Geschicke der „Organization“, wie die politische Maschine zeitgenössisch genannt wurde.51 Ih­ren Einfluss und ihre finanziellen Mittel schöpften die Vares maßgeblich aus ei­nem weit gespannten contractorSystem, in dem Firmen der Vare Brüder millio­nenschwere städtische Aufträge, wie die Straßenreinigung oder die Kabelverlegung für das Telefonnetz, an sich binden konnten.52 Dies gab der politi­schen Maschine vor allem auch die Möglichkeit, sich über die gezielte Ver­gabe von Arbeitsplätzen die Loyalität ihrer Wähler zu sichern. Durch ihren Ein­fluss auf die städtische Polizei, deren personelle Besetzung die ward leader in praxi bestimmten, konnte sie darüber hinaus ihren Schützlingen auch einen juristi­schen Schutz bieten, wenn man denn illegale Absprachen mit Richtern und Poli­zisten als solchen bezeichnen möchte. In diesem politischen System, das auf Ein­ flussnetzwerken und Korruption beruhte, wurde daher auch der Bürgermeister maßgeblich vom einflussreichsten politischen Boss bestimmt.53 Der Bürgermeis­ter wiederum besetzte die Führungspositionen der Verwaltungs-Departments meist nicht nach Befähigung, sondern nach persönlichen Vorlieben. Da neben dem Bürgermeister auch über die Besetzung des Stadtrates an den Wahlurnen entschieden wurde, lag die politische Macht in der Stadt de facto in der Hand der Bosse der Organisation. Die Führerschaft der Vare Brüder in der republikanischen Partei Philadelphias blieb bis 1927 ungebrochen, doch unumstritten und ohne Konkurrenz war sie nicht. Der Kampf um einflussreiche Positionen innerhalb der Organisation führte zeitweise zu blutigen Auseinandersetzungen auf den Straßen. Dennoch lag der Kern des Erfolges der politischen Maschine nicht in der Repression, sondern in der per­sönlichen Vertrautheit mit einer großen Wählerschaft.54 Diese Form der Politik drängte vor allem die alte gesellschaftliche Elite der Old Philadelphians aus den meisten Bereichen der städtischen Verwaltungsarbeit zurück, zu der insbesondere auch die öffentliche Fürsorge gehörte. Da der städtischen Politik spätestens seit den 1880er Jahren jedoch der Ruf anhaftete, durchgehend von Korruption geprägt zu sein, wollte diese Schicht mit städtischer Politik offiziell ohnehin nicht in Ver­bindung gebracht werden.55 Das Interesse an einem kontrollierenden Eingriff in den städtischen Raum blieb in die51 Warner, Private, S.  215–219; John Thomas Salter, Party Organization in Philadelphia: The Ward Committeeman, in: The American Political Science Review 27. 1933b, S. 618– 627, hier S. 581–587. 52 McCaffery, When, S. 102–106. 53 Das System der politischen Maschine war jedoch nicht so sicher, dass es nicht hin und wieder einem Kandidaten gelingen konnte, sich gegen die Maschine durchzusetzen. Dies gelang zu­meist dann, wenn sich die Maschine intern selbst nicht einig werden konnte. 54 Siehe dazu Salter, Party b. 55 Marcus Gräser, A ‚Jeffersonian Skepticism of Urban Democracy‘? The Educated Middle Class and the Problem of Political Power in Chicago, 1880–1940, in: Ralf Roth u. Robert

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sen Kreisen jedoch ungebrochen und so ent­wickelten die nun politikfernen Gruppen ganz eigene Formen der Teilhabe an den Kontrollsystemen der Stadt. Zu den wichtigsten Formen gehörten hierbei zum einen private Initiativen im Bereich der Fürsorge, zum anderen die gezielte Ver­netzung über exklusive Clubs und Vereinigungen, um über indirekte Wege und persönliche Einflussnahme auf die Gestaltung der Stadt zu wirken. Das Verhältnis der drei Ordnungsbereiche der Fürsorge, Polizei und Politik stan­ den in Philadelphia und Frankfurt am Main also in gänzlich unterschiedlicher Be­ ziehung zueinander. Während in Frankfurt die Bereiche der Fürsorge und Politik eng miteinander verwoben waren, galt dies in Philadelphia vor allem für die Be­reiche der Polizei und Politik. Diese unterschiedlichen Ordnungsmuster führten dazu, dass sich in Frankfurt und Philadelphia nicht nur die Formen der Kontrolle des städtischen Raumes grundlegend voneinander unterschieden, auch mussten die in die Stadt kommenden und die in der Stadt lebenden Menschen ganz unter­schiedliche Handlungsweisen entwickeln, um sich mit diesen Ordnungsmustern vertraut zu machen und sie sich in ihrer täglichen Lebensführung anzueignen. So begegneten sich im System der sozialen Fürsorge Philadelphias Hilfsbedürftige und Fürsorger von Anfang an aus einer räumlichen Distanz, die erst durch das Eindringen der Fürsorger in die ärmeren Stadtteile überwunden werden musste. In Frankfurt war dagegen die räumliche Nähe der freiwilligen Helfer zu ihren ‚Schützlingen‘ zwar meist gegeben, doch dies wurde von den Unterstützten ganz und gar nicht immer als Vorteil empfunden. Seinem unmittelbaren Nachbarn, dem man täglich beim Einkaufen oder auf der Straße begegnete, aber ansonsten keine engere Beziehung unterhielt, die persönliche Notsituation offen legen zu müssen, bereitete vielen ein solches Unbehagen, dass sie es vorzogen in Elend zu leben. Räumliche Distanz oder Nähe zwischen Fürsorgern und Hilfsbedürftigen ent­schied also nicht über die Qualität des Verhältnisses zwischen den beiden Parteien und bargen in sich jeweils eigene Konfliktpotentiale, die immer wieder zu gewalt­samen Auseinandersetzungen führten. Umgekehrt war dagegen das DistanzNähe-Verhältnis zwischen den polizeilichen Ordnungsorganen und den Städtern. Wäh­rend in Philadelphia Polizisten einzelner Bezirke häufig selbst aus diesen stamm­ ten und in ihrer täglichen Präsenz auf der Straße engen Kontakt zu den Anwoh­nern hielten, entstand in Frankfurt durch die zunehmend verstaatlichte Organisation und Ausbildung der Polizei eine größere Distanz zwischen den Poli­zisten und den Anwohnern. In dieser Distanz agierte die Polizei in Frankfurt in erster Linie als Durchsetzer rechtlicher Normen, während der Straßenpolizist in Philadelphia häufig das Interesse seiner Nachbarn, Bekannten und Verwandten, solange sich diese im Rahmen der Interessen der politischen Maschine bewegten, vor rechtliche Verordnungen stellte. In Beachy (Hg.), Who Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1750–1940, Aldershot, Burlington 2007, S. 213–228.

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diesem unterschiedlichen Verhältnis von Distanz und Nähe zwischen Kontrolleuren und Kontrollierten bildeten sich zu­gleich grundlegend verschiedene Narrative von und über die einzelnen Akteure und Akteursgruppen. Die doppelte Wahrnehmung der Polizei in der Tagespresse Philadelphias als korruptes Organ der politischen Maschine einerseits und als eine in die ‚Sündenpfuhle‘ vorstoßende Kampftruppe andererseits konnte sich vor al­lem durch die räumliche Distanz der weißen Mittelschicht zu den armen Stadt­distrikten und den dort regierenden Ordnungsstrukturen etablieren. Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass die mediale Berichterstattung nicht als eine Art Spiegel­bild der städtischen Strukturen zu betrachten ist, sondern zentraler Teil der Insze­nierung, des Austausches und des Aushandelns von Akteuren und Akteursgruppen in der Stadt und damit selbst handlungsprägend war. Man kann also sagen, dass die Zeitung selbst zu einem Akteur im Gerangel um die städtische Kontrolle wird.56

2 Perspektiven auf die Stadt Bis heute lassen sich die meisten stadthistorischen Untersuchungen einer der drei Kategorien der „Geschichte der Stadt“, der „Verstädterungsgeschichte“ oder der „Geschichte in der Stadt“ zuordnen.57 Hinter diesen Kategorien stehen hierbei tendenziell nicht nur unterschiedliche methodische Zugänge zur Stadtgeschichte, sie werden zumeist auch von unterschiedlichen Forschergenerationen angewendet. So widmeten sich vor allem die Sozialhistoriker der 1980er Jahre in Abgrenzung zu den bis dahin dominierenden politikhistorischen Fragestellungen vor allem der Geschichte ‚der‘ Stadt, in der sie den strukturellen Grundlagen des städtischen Lebens nachzugehen suchten.58 Diese Fokussierung auf die Strukturen erzeugte unter machen Stadthistorikern jedoch recht bald Unbehagen, da sie jenseits der Strukturen eine stärkere Berücksichtigung der in der Stadt handelnden Akteure vermissten. Anfang der 1990er Jahre weckte die aufkeimende Alltags- und Men­talitätsgeschichte die Hoffnung, die Kluft, die sich zwischen den ‚Akteuren‘ und ‚Strukturen‘ in der Forschung herausgebildet 56 ������������������������������������������������������������������������������������ Ganz im Sinne von Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt am Main 20022. 57 Zur Kategorisierung der unterschiedlichen „Stadtgeschichten“ vgl. Friedrich Lenger, Urbanisie­rungs- und Stadtgeschichte – Geschichte der Stadt, Verstädterungsgeschichte oder Geschichte in der Stadt?, in: Archiv für Sozialgeschichte 26. 1986, S. 429–479. 58 Vgl. Christian Engeli u. Horst Matzerath, Einführung, in: dies. (Hg.), Moderne Stadtge­ schichts­forschung in Europa, USA und Japan. Ein Handbuch, Stuttgart 1989. Als Beispiel für den struk­turfokussierten Zugriff siehe den Tagungsband von Horst Matzerath (Hg.), Städtewachs­tum und innerstädtische Strukturveränderungen. Probleme des Urbanisierungsprozesses im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1984.

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hatte, überwinden zu können, „to reintroduce the actors without losing the context and the structures“59, wie es Herman Dideriks und Paul Hohenberg ausdrückten. Im Laufe der 1990er Jahre wurde die Alltagsgeschichte im Kontext der cultural turns relativ bruchlos in kulturalistische Studien des Großstadtlebens überführt.60 Ausgestattet mit wiederent­deckten Theorien von Georg Simmel, Walter Benjamin, Henri Lefebvre, Pierre Bourdieu, Michel Foucault und/oder Michel de Certeau, finden Historiker seitdem über die Akteure einen ganz neuen Zugang zur Geschichte des urbanen Lebens61, und dies nun weniger über ‚große Männer‘ der städtischen Politik, als über Figuren wie den ‚Zeitungsleser‘ oder den ‚Flaneur‘.62 Mit ganz unterschied­lichen Ansätzen, vom ‚Konzept der Grenze‘63, über die Bedeutung von ‚Images‘, bis hin zur ‚Aneignung‘ des städtischen Raumes64, wurden und werden hierbei zahlreiche neue 59 Herman Dideriks und Paul M. Hohenberg zitiert nach Angelika Schaser, Paris – Berlin: Zur Problematik des Vergleiches zweier ungleicher Metropolen, in: Ilja Mieck (Hg.), Paris und Berlin in der Restaurationszeit (1815–1830). Soziokulturelle und ökonomische Strukturen im Ver­gleich, Sigmaringen 1996, S. 295–308, hier S. 300. Für einen frühen Versuch, die Fixierung der Sozialgeschichte auf die Strukturen zu überwinden, siehe beispielsweise Philipp Sarasin, Stadt der Bürger. Struktureller Wandel und bürgerliche Lebenswelt. Basel 1870–1900, Basel 1990, der sich der Geschichte der Stadt Basel und dem bürgerlichen Leben in der Stadt Basel über die drei Bereiche „Strukturen“, „Lebensläufe“ und „Repräsentationen“ annähert. 60 Einen Überblick zu den cultural turns gibt Doris Bachmann-Medick, Cultural turns. Neuorien­tierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006. 61 Hier sollen nur einige in der stadthistorischen Forschung besonders ausgiebig rezipierten Werke genannt sein: Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaf­tung, Leipzig 1908; Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Frankfurt am Main 1996; Henri Lefebvre, The Production of Space, Malden, Oxford, Victoria 1991; Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt am Main 1985; de Certeau, Kunst. 62 Siehe beispielsweise Peter Fritzsche, Reading Berlin 1900, Cambridge 1996; David Frisby, Cityscapes of modernity. Critical explorations, Oxford 2001. 63 Moritz Föllmer u. Habbo Knoch, Grenzen und urbane Modernität. Überlegungen zu einer Gesell­schaftsgeschichte städtischer Interaktionsräume, in: Karsten Borgmann u. a. (Hg.), Das Ende der Urbanisierung? Wandelnde Perspektiven auf die Stadt, ihre Geschichte und Erfor­schung, Berlin 2006, S. 85–100. 64 Mit der Imagebildung von Städten setzte sich jüngst einschlägig der Sammelband von Thomas Biskup u. Marc Schalenberg (Hg.), Selling Berlin. Imagebildung und Stadtmarketing von der preußischen Residenz bis zur Bundeshauptstadt, Stuttgart 2008 auseinander. Die Aneignung des städtischen Raumes wird zumeist im Kontext städtischen Wohnens erörtert, für das sich in dem Sammelband Alena Janatková u. Hanna Kozinska-Witt (Hg.), Wohnen in der Großstadt 1900–1939. Wohnsituation und Modernisierung im europäischen Vergleich, Stuttgart 2006, eine Reihe an exemplarischen Untersuchungen finden, insbesondere die Studie von Anna Żarnowska. Vgl. Anna Żarnowska, Veränderungen der

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Erkenntnisse zu Tage gefördert. Während diese Erkenntnisse un­ter den kulturalistischen Stadthistorikern zu einer gewissen methodischen Zufrie­denheit geführt haben, ist aus den Reihen der Sozialhistoriker immer noch der Ruf nach einer „Erneuerung der Stadtgeschichte“65 zu vernehmen. Die kulturalisti­schen Ansätze konnten die ältere Forschergeneration augenscheinlich nicht davon überzeugen, eine solche Erneuerung zu sein. Dies mag zum einen daran liegen, dass sich die meisten kulturalistischen Untersuchungen kaum für städtische Strukturen interessieren und fast nur noch Geschichten ‚in‘ oder vielmehr ‚aus‘ der Stadt erzählen. Zum anderen verstehen sich viele der kulturalistischen Stadt­forscher selbst nicht als genuine Stadthistoriker, unabhängig der Tatsache, dass auch sie eigentlich nur Lokalstudien betreiben.66 Dieser Zustand der Stadtforschung vermag durchaus zu überraschen, da spätestens Anthony Giddens, der einer der wichtigsten Ideengeber der kulturalistischen Fo­kussierung auf die in der Stadt lebenden und handelnden Menschen war, in seiner „Theorie der Strukturierung“ eigentlich ein Konzept entworfen hatte, das Akteure

Wohnkultur im Prozeß der Adaption von Zuwanderern an das großstädtische Leben an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert am Beispiel von Warschau und Lodz, in: Alena Janatková u. Hanna Kozinska-Witt (Hg.), Wohnen in der Großstadt 1900–1939. Wohnsituation und Modernisierung im europäischen Vergleich, Stuttgart 2006, S. 41–54. Zum Begriff der Aneignung in der Geschichtswissenschaft siehe grund­legend Füssel, Kunst. 65 ��������������������������������������������������������������������������������� So beispielsweise Christof Dipper, Madrid und Rom. Hauptstädte ohne eigenes wirtschaftliches Fundament?, in: Friedrich Lenger u. Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahr­hundert. Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion, Köln, Weimar, Wien 2006, S.  387–413, hier S.  389. Wiederholt auch Friedrich Lenger. Vgl. Friedrich Lenger, Einleitung, in: Friedrich Lenger u. Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung, Ent­wicklung, Erosion, Köln, Weimar, Wien 2006b, S. 1–21; Friedrich Lenger, Die Zukunft der euro­päischen Stadt, in: Karsten Borgmann u. a. (Hg.), Das Ende der Urbanisierung? Wandelnde Perspektiven auf die Stadt, ihre Geschichte und Erforschung, Berlin 2006a, S. 7–18. 66 �������������������������������������������������������������������������������������� So beispielsweise Philipp Müller, Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs, Frankfurt am Main 2005 und Daniel Siemens, Metro­pole und Verbrechen. Die Gerichtsreportage in Berlin Paris und Chicago 1919–1933, Stuttgart 2007. Die Kluft zwischen den Historikergenerationen zeigte sich jüngst auch daran, dass Friedrich Lenger und Klaus Tenfelde, beides Vertreter der sozialhistorischen Stadt­forschung, in ihren Sammelband zur Diskussion der Entwicklung der europäischen Stadt im 20.  Jahrhundert keinen einzigen Vertreter der kulturalistischen Stadtforschung aufgenommen haben. Der Schluss liegt nahe, dass die Herausgeber entweder keinen dieser Historiker für ge­eignet befunden haben einen solchen Beitrag zu leisten, oder aber, dass diese tatsächlich nicht in der Lage waren, dies zu tun. Vgl. Friedrich Lenger u. Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion, Köln, Weimar, Wien 2006.

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und Strukturen zumindest schon einmal theoretisch zusammenbrachte.67 Im Kern besagt diese Theorie, dass handelnde Akteure durch ihr Handeln Strukturen (re) produzieren, und die so konstituierten Strukturen auf das Handeln dieser Ak­teure zurückwirken und dieses bedingen. Unlängst wurde diese Grundidee von einem wechselseitigen und dynamischen Verhältnis zwischen Akteuren und Strukturen auf den städtischen Raum übertragen, am konsequentesten von den Humangeographen Edward Soja und Benno Werlen, die beide, trotz ansonsten sehr kontroverser Ansichten68, die These vertreten, dass ‚Raum‘ erst durch das Handeln von Akteuren konstituiert wird und der so konstituierte Raum auf die handelnden Akteure selbst zurückwirkt.69 Die deutsche Stadtgeschichtsforschung nahm dieses Konzept eines ‚relationalen Raumes‘ maßgeblich erst zur Kenntnis, nachdem es von der Soziologin Martina Löw in ihrer Habilitationsschrift breiten­wirksam popularisiert wurde.70 Davor beschäftigte sich die stadthistorische For­schung zwar auch schon dezidiert mit einzelnen Akteuren, die sich durch den städtischen Raum bewegten, und hier insbesondere mit dem Flaneur und der Frage nach der ‚Lesbarkeit‘ der Stadt, doch stand die wechselseitige Wirkung zwischen Flaneur und städtischem Raum hierbei noch im Hintergrund. Der Flaneur war vor allem ein „Augenwesen“71, das sich durch

67 Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturie­rung, Frankfurt am Main, New York 1988. Auch wenn eher die direkte Lektüre von Giddens zu empfehlen ist, als die von Arbeiten über Giddens, sei hier stellvertretend auf den lesenswerten Artikel von Andres Göbel im Handbuch der Kulturwissenschaften verwiesen. Siehe Andreas Göbel, Die Kulturwissenschaften zwischen Handlungs- und Systemtheorie, in: Friedrich Jaeger u. Jürgen Straub (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Band 2. Paradigmen und Diszipli­nen, Stuttgart, Weimar 2004, S. 193–219, hier S. 196–202. 68 ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. dazu die Beiträge von Werlen und Soja in dem Sammelband von Jörg Döring u. Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008. 69 Vgl. Edward W. Soja, Vom „Zeitgeist“ zum „Raumgeist“. New Twists on the Spatial Turn, in: Jörg Döring u. Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S.  241–262; Benno Werlen, Sozialgeographie alltägli­cher Regionalisierungen. Band 1. Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum, Stuttgart 1995. 70 Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001. 71 Vgl. dazu Susanne Hauser, Der Blick auf die Stadt. Semiotische Untersuchungen zur literari­schen Wahrnehmung bis 1910, Berlin 1990; Gudrun Schwibbe, Wahrgenommen. Die sinnliche Erfahrung der Stadt, Münster 2002; Jan Philipp Altenburg, Bürgerliche Beschreibungsschablo­nen der Großstadt. Großstadtwahrnehmung in der Gartenlaube und der Illustrirten Zeitung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte 46. 2005, S. 153–182.

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eine „semiotisierte Materialität“, einen „Container-Raum“72 bewegte, am eindrucksvollsten sicherlich in Karlheinz Stierles Studie zum „Mythos von Paris“.73 Der so genannte spatial turn, mit dem die geschilderte Neubewertung des Raumes vollzogen wurde, hat unterdessen zwar das Interesse der Historiker für einzelne „Orte der Moderne“74 wecken, doch nicht zu einer Popularisierung der städtischen Strukturen unter den kulturalistischen Stadthistorikern beitragen können.75 Problematisch 72 Der materielle und euklidische ‚Containerraum‘ gilt unter den handlungszentrierten Theoreti­kern wie Martina Löw und Benno Werlen als überholte Ansicht von Raum und auch unter den Stadthistorikern hat sich die locker sitzende Kritik etabliert, dass dieser oder jener mit einem ‚ver­alteten‘ Raumbegriff hantieren würde, um sich mit der Geschichte „Jenseits der Diskurse“ auseinandersetzen zu können. So beispielsweise auch Uffa Jensen, „Kommunikation und Raum“ als Generalthema des Historikertages, in: Karsten Borgmann u. Udo Hartmann (Hg.), Querschnittsberichte vom Historikertag 2004, Berlin 2004, S. 5–12. 73 Karlheinz Stierle, Der Mythos von Paris. Zeichen und Bewußtsein der Stadt, München 1998. Die konsequente Integration der neueren Raumtheorien in die historische Forschung bleibt ein schwieriges Unterfangen, zumal die wesentlich theoriefreudigeren Disziplinen der Soziologie und Geographie das Problem der Materialität und damit der physischen Begrenzung menschli­chen Handelns für den zumeist praktischen Blick der Historiker noch nicht überzeugend in ihre Modelle eingebunden haben. Unter den jüngeren deutschen Soziologen ist es vor allem noch Markus Schroer, der sich für eine Berücksichtigung der Materialität in den theoretischen Model­len stark macht. Vgl. Markus Schroer, „Bringing space back in“ – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie, in: Jörg Döring u. Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S. 125–148, hier S. 135–137 und Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt am Main 2006. Rein handlungszentrierte Raumtheorien, wie sie beispiels­weise der Humangeograph Benno Werlen vertritt, lösen unter Historiker zumeist sehr skeptische Reaktionen aus. Vgl. Werlen, Sozialgeographie. Weitaus größerer Beliebtheit erfreut sich dagegen der Ansatz Pierre Bourdieus, der den Raum in einen „physischen“, einen „sozia­ len“ und einen „angeeigneten physischen Raum“ unterteilt. Vgl. Pierre Bourdieu, Physischer, so­zialer und angeeigneter physischer Raum, in: Martin Wentz (Hg.), Stadt-Räume, Frankfurt am Main 1991, S. 26–34. Zur Adaption von Bourdieus Ansatz durch Historiker siehe beispiels­weise den Sammelband von Clemens Zimmermann (Hg.), Zentralität und Raumgefüge der Groß­städte im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006b, hierbei insbesondere die einführenden Überle­g ungen von Clemens Zimmermann, Einleitung. Raumgefüge und Medialität der Großstädte im 20. Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Zentralität und Raumgefüge der Großstädte im 20. Jahrhun­dert, Stuttgart 2006a, S. 7–22, hier S. 7f. 74 Alexa Geisthövel, Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt, New York 2005. 75 Zum spatial turn siehe auch die Sammlung theoretischer Texte von Jörg Dünne u. Stephan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Gundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006. Exemplarische Ansätze in der Geschichtswissenschaft finden

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wird die Aus­blendung der spezifischen Strukturen und damit Kontexte jedoch dann, wenn in verglei­chenden Stadtstudien lokale Charakteristika soweit verschwinden, dass sie für die Analyse der Quellen keine Rolle mehr spielen.76 Hierbei wird oftmals eine Gleich­setzung der Quellen vollzogen, ohne deren unterschiedliche Einbindung und Funktion in den lokalen Kontext zu reflektieren oder zumindest zu explizie­ ren. Zwar entspricht dies der grundlegenden Forderung Heinz-Gerhart Haupts und Jürgen Kockas, in einem historischen Vergleich zu abstrahieren und die ausge­ wählten Untersuchungsgegenstände aus ihrem Kontext zu lösen, aber zuweilen wird diese Forderung, die eigentlich auf ein „so viel Abstraktion wie nötig, so viel […] Kontextbezug wie möglich“77 abzielt, weit über das notwendige und sinnvolle Maß eingelöst.78 Der historische Stadtvergleich hat hierbei noch ein wesentlich grundlegenderes Problem: Niemand weiß, wie man Städte eigentlich vergleichen kann. Die theore­ tischen Grundlagen zum historischen Vergleich, die in Deutschland maßgeblich von Hartmut Kaelble, Heinz-Gerhart Haupt und Jürgen Kocka gelegt wurden79, helfen oftmals dann nicht weiter, wenn es um die praktische Umsetzung eines Städtevergleiches geht. Als Hauptproblem stellt sich Historikern hierbei, dass un­terschiedliche städtische Gesellschaften ganz unterschiedliche Quellen hinterlas­sen haben, die es nun zusammenzubringen gilt. Beim Vergleich zweier deutscher Städte, deren Verwaltungsstrukturen sich zumindest in ihren juristischen Grund­lagen ähneln, mag dieses Problem weniger deutlich zu Tage treten, als bei Städten aus unterschiedlichen nationalen Kontexten. Da jedoch der Mehrwert eines Verglei­ches gerade von den Unterschieden der Untersuchungsobjekte lebt, die mittels eines tertium comparationis sich in dem Band Alexander C. T. Geppert u. a. (Hg.), Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005. Unter Berücksichtigung der in den Debatten um den Raum zuweilen vergessenen Geographen siehe auch den Sammelband von Döring u. Thielmann, Spatial. 76 So beispielsweise in Daniel Siemens Untersuchung zur Gerichtsreportage in Berlin, Chicago und Paris. Vgl. Siemens, Metropole. 77 Heinz-Gerhard Haupt u. Jürgen Kocka, Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse internatio­nal vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt am Main 1996b, S. 9–45, hier S. 24. 78 Ein positives Gegenbeispiel zu dem allgemeinen Trend ist die Studie von Helke Rausch zu öffentli­chen Denkmälern in Paris, Berlin und London, die stets den strukturellen Kontext in ihre Analyse mit einbezieht und reflektiert. Vgl. Helke Rausch, Kultfigur und Nation. Öffentli­che Denkmäler in Paris Berlin und London 1848–1914, München 2006. 79 �������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main, New York 1999 und Heinz-Gerhard Haupt u. Jürgen Kocka (Hg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse inter­national vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt am Main 1996a.

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zusammengeführt werden, wäre eine Beschränkung auf Städte mit einem möglichst ähnlichen Quellenbestand ein Schritt in die falsche Richtung.80 Die Schwierigkeit des Städtevergleiches liegt daher weniger in der Auswahl der Städte, als in der Auswahl eines zu vergleichenden Dritten, das eine analytische Brücke zwischen zwei oder mehr Städten zu schlagen vermag. Bedau­erlicherweise sind die Diskussionen um den Aufbau eines solchen Vergleiches, der Anfang der 1990er Jahre noch rege geführt wurde, weitgehend zum Erliegen gekommen.81 Die pragmatische Lösung des Dilemmas um den richtigen Aufbau eines Städtevergleiches war zum einen ein Rückzug auf einzelne Stadtbiogra­phien82, und zum anderen die Hinwendung zur vergleichenden Metropolen­forschung. Die Metropolenforschung hat den zweifelhaften Vorzug, dass sich der Forschende keine Sorgen um eine Kritik an seiner Stadtauswahl machen muss und er daher auch Fragen zur ‚Repräsentativität‘ oder ‚Vergleichbarkeit‘ dieser Städte geflissentlich ignorieren kann. Denn kaum jemand würde die Bedeutung einer als Metropole anerkannten Stadt in Frage stellen, als seien Metropolen per se ‚reprä­ sentativ‘ und ‚vergleichbar‘, ganz unabhängig vom methodischen Zugriff. Da die deutsche Metropolenforschung den untersuchten Städtekanon zumeist auf Berlin, Paris und London reduziert und gelegentlich um Chicago, seltener um Washington erweitert83 und zugleich kaum über die Konsequenzen dieser Stadt­auswahl für den 80 Dies fordern Gunilla-Friederike Budde und Dagmar Freist in ihrem einführenden Artikel zum historischen Vergleich. Siehe Gunilla-Friederike Budde u. Dagmar Freist, Historischer Ver­gleich und Verflechtungsgeschichte, in: Gunilla-Friederike Budde u. a. (Hg.), Geschichte. Stu­dium – Wissenschaft – Beruf, Berlin 2008, S. 172–176. 81 ���������������������������������������������������������������������������������������� Dies zeigt sich auch an zwei Sammelbänden, die sich den städtischen Vergleich in den Titel geschrieben haben, aber weder in der Einleitung, noch in den Einzelbeiträgen über die Me­thode des Städtevergleiches nachgedacht wird. Vgl. Hans Manfred Bock u. Ilja Mieck (Hg.), Berlin – Paris (1900–1933). Begegnungsorte, Wahrnehmungsmuster, Infrastrukturprobleme im Vergleich, Bern 2005; Janatková u. Kozinska-Witt, Wohnen. Zur Diskussion der 1990er Jahre siehe exemplarisch den Artikel von Schaser, Paris. 82 So zum Beispiel das Münsteraner Institut für vergleichende Städteforschung, das sich in sei­nem Forschungsprogramm vor allem auf kunsthistorische und mediävistische „Städte­ geschichten“ und „Stadtbiographien“ beschränkt. 83 ������������������������������������������������������������������������������ Um hier nur eine Auswahl zu nennen: Florian Altenhöner, Kommunikation und Kontrolle. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten in Berlin und London 1914–1918, München 2008; Siemens, Metropole; Rausch, Kultfigur; Hagen Schulz-Forberg, London – Berlin. Authenticity, Modernity and the Metropolis in Urban Travel Writing from 1851 to 1939, Brüssel 2006; Andreas W. Daum u. Christof Mauch (Hg.), Berlin – Washington, 1800–2000. Capital Cities, Cultural Representation and National Identities, Cambridge, New York, Melbourne u. a. 2005. Kritisch zum Städtevergleich siehe auch die Rezension von Thomas Kailer zu Daniel Siemens „Metropole und Verbrechen“. Vgl. Thomas Kailer, Rezension von „Daniel Siemens, Metropole und Verbrechen. Die Gerichtsreportage in Berlin, Paris und Chicago 1919–1933“, in: Werkstatt Geschichte 52. 2009, S. 96–98.

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Vergleich und für das Ergebnis nachgedacht wird, ist dieses Ausweichverhalten der methodischen Weiterentwicklung des Städtevergleiches nicht gerade dienlich. Der vergleichenden Stadtforschung droht mit dieser Ent­wicklung genau das Gegenteil dessen, was Hartmut Kaelble für die Transfer- und Beziehungsgeschichte diagnostiziert hat: Während die Debatten der Transfer- und Beziehungsgeschichte Gefahr liefen, auf Grund fehlender empirischer Forschun­gen „luftleer zu werden“84, liegen im Bereich der vergleichenden Stadtgeschichte mittlerweile eine ganze Reihe an Studien vor, die, auch wenn sie sich zumeist auf die Städte Berlin, Paris und London beziehen, methodisch nicht mehr überprüft werden. Aktuell sind es erneut die Soziologen, die die Diskussionen um den Zugang zur Stadt neu zu beleben versuchen. Mit ihrem Konzept der „Eigenlogik der Städte“85 sind die Darmstädter Soziologen um Helmut Berking und Martina Löw darum bemüht, so etwas wie ‚die ganze Stadt‘ in ihre Raumsoziologie zu reintegrieren. Dabei versuchen sie es tunlichst zu vermeiden, auf Ansätze der älteren Stadt­soziologie rund um Hartmut Häußermann, Dieter Läpple und Walter Siebel ‚zu­rückzufallen‘, die aus empirischen Studien einzelner Städte eine gesamtgesell­schaftliche Soziologie abzuleiten suchten.86 Dass dies überhaupt möglich sei, wird von den ‚Eigenlogikern‘ grundlegend bestritten und in ihrer Arbeitshypothese gehen sie davon aus, dass die Gesellschaft einer Stadt erst einmal nur für sich selbst steht und sich so das städtische Leben nicht nur in Wanne-Eikel und New York grundlegend voneinander unterscheiden, sondern auch das in Kassel und Darmstadt.87 Auf der theoretischen Ebene mag diese Hervorhebung individueller städtischer Charakteristika eine Reaktion auf das aktuelle Problem der Stadt­soziologen sein, dass die Grenzen des städtischen Raumes und damit der Stadt-Land Gegensatz immer weiter verwischt und gleichsam alles

84 Hartmut Kaelble, Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt?, in: H-Soz-uKult, 8.2.2005, (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=574&type=artikel). 85 Helmuth Berking u. Martina Löw (Hg.), Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadt­forschung, Frankfurt am Main 2008. 86 Einer der wichtigsten Ideengeber für die Wiederentdeckung der ‚ganzen Stadt‘ war Gerd Held, der sich in seiner Arbeit „Territorum und Großstadt“ erfrischend vom gängigen Kanon der spatial turn Literatur gelöst hat. Vgl. Gerd Held, Territorium und Großstadt. Die räumliche Diffe­renzierung der Moderne, Wiesbaden 2005. Häußermann, Läpple und Siebel haben ihren For­schungsansatz jüngst selbst zusammengefasst. Siehe Hartmut Häußermann u. a., Stadtpoli­tik, Frankfurt am Main 2008. Zum Ansatz dieser ‚älteren‘ Stadtsoziologie siehe auch Hartmut Häußermann u. Walter Siebel, Stadtsoziologie. Eine Einführung, Frankfurt am Main 2004. 87 �������������������������������������������������������������������������������� Helmuth Berking u. Martina Löw, Wenn New York nicht Wanne-Eickel ist… Über Städte als Wissensobjekt der Soziologie, in: Helmuth Berking u. Alba Alexander (Hg.), Die Wirklichkeit der Städte, Baden-Baden 2005, S. 9–22.

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‚städtisch‘ wird88, auf der empirischen Ebene hat dies bislang nur zu Studien geführt, die sich mit der Bildung von ‚Stadtimages‘ auseinandersetzen, die hierbei auch noch die Diskussi­onen der Historiker um die Wahrnehmung der Großstadt aus den 1990er Jahren weitgehend ignorieren.89 Die Auswahl der Städte Frankfurt am Main und Philadelphia für diese Studie erfolgte sowohl aus theoretischen, als auch aus pragmatischen Beweggründen. Der deutsch-amerikanische Vergleich ermöglicht durch seinen Kontrast, zu ganz grundlegenden Einsichten zum Funktionieren städtischer Ordnungssysteme zu gelangen. Spezifische Charakteristika werden in der Betrachtung einzelner bzw. ähnlicher Städte leicht als selbstverständliche städtische Merkmale wahr­genommen. Erst durch eine kontrastierende Betrachtung treten lokalspezifische Charak­teristika auch als solche hervor. Nach der Definition von Hartmut Kaelble ist dieser Vergleich daher zum einen ein „analytischer“, der versucht, „bestimmte gesellschaftliche Strukturen […] aus ihren historischen Bedingungen“ zu erklären, und zum anderen ein „verstehender“, der zu einem besseren „Verständnis anderer Gesellschaften, ihrer Andersartigkeit, der anderen Logik ihrer Institutionen, Men­talitäten und Strukturen“ führen soll.90 Frankfurt am Main und Philadelphia wurden also nicht auf Basis einer angenommenen Verbundenheit bzw. Ähnlichkeit ausgewählt, sondern mit Blick auf ihre Unterschiedlichkeit. Um die beiden Städte in einem Vergleich zusammenzubringen, untersuche ich sie als einen Machtraum, in dem unterschiedliche Personen, Institutionen und Interes­ sengruppen um die Aneignung und Kontrolle des städtischen Raumes ringen. Zur Annäherung an die spezifischen städtischen Strukturen, werde ich vor allem vier Bereiche des städtischen Lebens betrachten, die im städtischen Machtraum zent­rale Funktionsstellen einnehmen: Die Narrative der Großstadt und damit die Frage nach dem ‚Recht auf die Stadt‘, die sozialen Fürsorge91, die städtische Polizei und die städ88 �������������������������������������������������������������������������������������� Kritisch dazu vor allem Friedrich Lenger, Urbanisierung als Suburbanisierung. Grundzüge der nordamerikanischen Entwicklung im 20. Jahrhundert, in: Friedrich Lenger u. Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung, Entwicklung, Erosion, Köln, Weimar, Wien 2006c, S. 437–476 und Lenger, Zukunft a. 89 Vgl. Martina Löw, Soziologie der Städte, Frankfurt am Main 2008. Weitgehend ignoriert werden Arbeiten wie die von Jürgen Reulecke u. Clemens Zimmermann (Hg.), Die Stadt als Moloch? Das Land als Kraftquell? Wahrnehmungen und Wirkungen der Großstädte um 1900, Basel 1999; Michael Bienert, Die eingebildete Metropole. Berlin im Feuilleton der Weimarer Repub­lik, Stuttgart 1992 und Ulrich Baehr, Mythos Berlin. Wahrnehmungsgeschichte einer industriel­len Metropole, Berlin 1984. 90 Kaelble, Vergleich, S. 49, 64. 91 Die Forschung zur sozialen Fürsorge wird in Deutschland maßgeblich von Christoph Sachße, in den USA von Michael B. Katz dominiert. Vgl. exemplarisch, mit weiteren Hinweisen auf ein­schlägige Literatur Michael B. Katz u. Christoph Sachße (Hg.), The

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tische Politik.92 Bei der Untersuchung dieser vier Bereiche soll es weniger um vier EinMixed Economy of Social Welfare. Public/Private Relations in England, Germany, and the United States, the 1870’s to the 1930’s, Baden-Baden 1996. Zur Fürsorge in Frankfurt am Main und Chicago siehe jüngst auch die Studie von Marcus Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat. Bürgerliche So­zialreform und Welfare State Building in den USA und in Deutschland 1880–1940, Göttingen 2009. Neue Maßstäbe setzte seinerzeit die Studie von Detlef Peukert, der das etab­lierte Modernisierungsnarrativ grundlegend in Frage gestellt hat. Vgl. Detlev J. Peukert, Grenzen der Sozialdisziplinierung. Aufstieg und Krise der deutschen Jugendfürsorge von 1878 bis 1932, Köln 1986. 92 Wohl vor allem auch auf Grund des einfacheren Quellenzuganges, sind die Bereiche der Krimino­logie und Kriminalistik wesentlich besser erforscht, als die Geschichte der praktischen Polizeiarbeit. Zu ersteren beiden Themen sei hier nur exemplarisch auf die Studien von Peter Becker, Verderbnis und Entartung. Eine Geschichte der Kriminologie des 19. Jahrhunderts als Diskurs und Praxis, Göttingen 2002 und Silviana Galassi, Kriminologie im Deutschen Kaiser­reich. Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung, Stuttgart 2004 verwiesen. Zur Ge­schichte der Polizei siehe die Studien von Jessen, Polizei und Hsi-huey Liang, Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik, Berlin u. a. 1977, sowie die Sammelbände von Alf Lüdtke (Hg.), „Sicherheit“ und „Wohlfahrt“. Polizei Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrhun­dert, Frankfurt am Main 1992; Hans-Jürgen Lange, Die Polizei der Gesellschaft. Zur So­ziologie der inneren Sicherheit, Opladen 2003 und George L. Mosse (Hg.), Police Forces in History, London 1975. Auch die amerikanische Forschung zur Polizei steckt weitgehend in ih­ren Erkenntnissen der 1970er und 1980er Jahre fest. Diese wurden von Eric Monkkone in um­fangreichen Sammelbänden leicht zugänglich gemacht. Siehe Eric H. Monkkonen (Hg.), Crime and Justice in American History. Historical Articles on the Origins and Evolution of American Criminal Justice (20 Bände), Munich, London, New York, Westport 1991–1992, hierbei vor al­ lem Eric H. Monkkonen (Hg.), Policing and Crime Control (3 Bände), Westport 1992. Grundle­gend zur Polizei in der städtischen Gesellschaft sind die Arbeiten von Harlan Hahn, Po­lice in Urban Society, Beverly Hills 1971 und vor allem Fogelson, Big. Zur städtischen Politik siehe jüngst den Sammelband Ralf Roth u. Robert Beachy (Hg.), Who Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1750–1940, Aldershot, Burlington 2007, sowie die zahlreichen Arbeiten zur bürgerlicher Herrschaft in der Stadt. Exemplarisch sei hier nur auf die einschlägigen Sammelbände von Lothar Gall (Hg.), Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, München 1993a; Peter Lundgreen (Hg.), Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsbereichs (1986–1997), Göttingen 2000 und Friedrich Lenger (Hg.), Stadt-Geschichten. Deutschland Europa und die USA seit 1800, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 2009 verwiesen. Die bis heute weitgehend unangetasteten Grundlagen zur ma­chine politics in den USA wurden bereits in den 1970er Jahren gelegt. Vgl. dazu die einschlä­gigen Sammelbände von Allswang, Bosses; Brownell u. Stickle, Bosses und Alexander B. Callow (Hg.), The City Boss in America. An Interpretive Reader, New York 1976. Jüngere Ar­beiten, wie die von Jessica Trounstine, Political Monopolies in American Cities. The Rise and Fall of Bosses and Reformers, Chicago, London 2008 und Kenneth Finegold, Experts and politicians. Reform

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zelgeschichten gehen, sondern vielmehr um eine Aufschlüs­selung der Schnitt- und Berührungspunkte dieser vier Bereiche, die uns so einen Einblick in das Funktionieren der unterschiedlichen Ordnungsstrukturen gewähren können. Auch wenn es sich bei den Ergebnissen des Vergleiches erst einmal um lokal begrenzte Ergebnisse handelt, besitzen die untersuchten Städte wichtige Struktur­ merkmale, die anderen deutschen oder amerikanischen Städten sehr ähnlich sind. Auf Basis dieser Ähnlichkeiten lassen sich begründete Vermutungen über die Entwicklung in anderen Städten anstellen. Frankfurt am Main ist beispielsweise in dem Sinne ‚repräsentativ‘, wenn es um den Aufbau einer von ‚Verwaltungs­experten‘ angeführten Stadt geht. Diese Stadtverwaltung stand hier­bei in regem Austausch mit anderen deutschen Städten, von denen dort erprobte Modelle, wie beispielsweise die weibliche Kriminalpolizei, übernommen und lo­kal adaptiert wurden. Die Frankfurter Erfahrungen haben dann auch wieder die Entwicklung anderer deutschen Städte beeinflusst, oder zumindest haben sich an­dere Städte über die Erfahrungswerte in Frankfurt am Main ausführlich informiert. In diesem Sinne besitzt auch Philadelphia Strukturen, die man als ‚repräsentativ‘ bezeichnen könnte, wenn man über die ‚feinen Unterschiede‘ hinwegsieht. So war Philadelphia eine typische ‚boss-ridden-city‘ unter der Kontrolle einer so genann­ten politischen Maschine. Dieses politische System, das zentral auf der Lenkung der Wählerstimmen in den immigrantenstarken Stadtteilen beruhte, findet sich ähnlich auch in Städten wie New York, Chicago oder Boston. Diese ‚Repräsentativität‘, die für beide Städte im Detail zu überprüfen und zu bestimmen wäre, sind jedoch nicht der einzige Grund für ihre Auswahl. Entscheidender für den Vergleich von Frankfurt am Main und Philadelphia ist, dass für beide Städte eine ‚kritische Masse‘ an Forschungsliteratur vorliegt, ohne die eine genaue Einordnung der vielfältigen Quellenstichproben aus den vier Untersuchungsberei­chen kaum möglich wäre.93 Auch ist der Vergleich auf einen reichen Quellen­bestand angewiesen, challenges to machine politics in New York Cleveland and Chicago, Princeton 1995, haben diese Erkenntnisse nur geringfügig erweitert. 93 Zu beiden Städten liegen hervorragende Sammelbände zur Stadtgeschichte vor. Vgl. Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträ­gen, Sigmaringen 1991; Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982. Darüber hinaus existieren eine Reihe an Einzelstudien, von denen hier nur die einschlägigsten genannt werden sollen. Zu Frankfurt siehe Ursula Bartelsheim, Bürgersinn und Parteiinteresse. Kommunalpolitik in Frankfurt am Main 1848–1914, Frankfurt am Main, New York 1997; Klaus Becker, Stadtkultur und Gesellschaftspolitik. Frankfurt am Main und Lyon in der Zwischenkriegszeit 1918– 1939, Frankfurt am Main 2005; Rainer Koch, Grundlagen bürgerli­cher Herrschaft. Verfassungs- und sozialgeschichtliche Studien zur bürgerlichen Gesell­schaft in Frankfurt am Main (1612–1866), Wiesbaden 1983; Gerd Kuhn, Wohnkultur und kommunale Wohnungspolitik in Frankfurt am Main 1880 bis 1930. Auf dem Wege zu einer plu­ralen

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der mit dem umfangreichen Archiv der Historical Society of Pennsylvania, das über eine ganz ungewöhnliche Sammlung privater Hinter­lassenschaften lokaler Familien und Persönlichkeiten verfügt, dem Urban Archive der Temple University in Philadelphia, dass sich seit Jahrzehnten der gezielten Sammlung historischen Materials zur Geschichte der Stadt widmet, und dem her­vorragend geführten und gepflegten Quellenbestandes des Institutes für Stadt­geschichte in Frankfurt am Main gesichert schien. Als Quellengrundlage dienen mir aus den vier Untersuchungsbereichen zum einen der rege Briefverkehr der unterschiedlichen städtischen und privaten Institutionen, zum anderen aber auch interne Untersuchungsberichte, die in beiden Städten zu unterschiedlichen An­lässen erstellt wurden, meist mit dem Auftrag, interne Missstände aufzudecken. Solche Berichte und Briefe sind besonders umfangreich für das Frankfurter städtische Wohlfahrtsamt und die Philadelphia Housing Association überliefert. Beide Institutionen waren eng in die städtischen Ordnungssysteme eingebunden und mit anderen städtischen und privaten Institutionen und Organisationen vernetzt. Der hier überlieferte Briefverkehr, unter dem sich auch zahlreiche Briefe einzelner Personen aus der städtischen Bevölkerung finden, vermag Einblicke zu liefern, die weit über eine reine Institutionsgeschichte hinausgehen. Die Analyse der städti­ schen Polizeiarbeit gestaltet sich dagegen wesentlich schwieriger, da der Quellen­bestand hier weitaus lückenhafter ist. In Philadelphia ist der Zugang zur Rolle der Polizei für die Frage nach der Aneignung und Kontrolle des städtischen Raumes zum einen über zeitgenössische Berichte und Untersuchungen zur politischen Ma­schine möglich, zum anderen über die stark ausgeprägte Berichterstattung in der Tagespresse. Die Akten der Polizei selbst sind jedoch weitgehend zerstört. In Frankfurt dagegen liefern sowohl Akten des Magistrates, des Frankfurter Polizei­präsidiums und der Schriftverkehr der Polizei mit anderen städtischen Gesellschaft der Individuen, Bonn 1998; Karl Maly, Geschichte der Frankfurter Stadt­ verordnetenversammlung. Band 2. Das Regiment der Parteien, 1901–1933, Frankfurt am Main 1995; Walter Prigge, Urbanität und Intellektualität im 20. Jahrhundert : Wien 1900, Frankfurt 1930, Paris 1960, Frankfurt am Main, New York 1996; Roth, Stadt; Schimpf, Geld; Weitensteiner, Karl. Zu Philadelphia siehe Edward Digby Baltzell, Puritan Boston & Quaker Philadelphia, New Brunswick 1996; Charles Pete T. Banner-Haley, To Do Good and to Do Well. Middle Class Blacks and the Depression, Philadelphia, 1929– 1941, New York 1993; Jerome P. Bjelopera, City of Clerks. Office and Sales Workers in Philadelphia, 1870–1920, Urbana 2005; Nathaniel Burt, The Perennial Philadelphians. The Anatomy of an American Aristocracy, Boston 1963; William W. Cutler (Hg.), The Divided Metropolis. Social and Spatial Dimensions of Philadelphia. 1800–1975, Westport 1980; Hepp, Middle; McCaffery, When; Gary B. Nash, First City. Philadelphia and the Forging of Historical Memory, Philadelphia 2002; Warner, Private. Weitere Spezialstudien führe ich an gegebener Stelle an.

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Institutio­nen Einblicke in die Polizeiarbeit, auch wenn diese weit weniger über die all­tägliche Arbeit der Polizisten verraten, als die in Philadelphia überlieferten internen Untersuchungen durch verdeckte Ermittler.94 Gleichermaßen unterschied­lich fallen die Quellenbestände zur städtischen Politik aus. Während hierbei in Frankfurt vor allem der interne Briefverkehr zwischen einzelnen städtischen In­stitutionen einen sehr präzisen Einblick in politische Aktivitäten einzelner Politi­ker jenseits der öffentlichen Debatten gewähren, müssen in Philadelphia Erkennt­nisse über interne Vorgänge erneut über interne Untersuchungsberichte gewonnen werden, die vor allem im Kontext politischer Spannungen zwischen rivalisieren­den politischen Gruppen angefertigt wurden. Als Glücksfall für die historische Überlieferung erweist sich die in Philadelphia etablierte Praxis einflussreicher Familien und Persönlichkeiten, ihren Nachlass der Historical Society of Pennsylvania zu hinterlassen, wie es auch J. Hampton Moore getan hat, der von 1920 bis 1923 und von 1932 bis 1935 Bürgermeister von Philadelphia war. Und schließlich wurde eine breite Auswahl unterschiedlicher Publikationen, Pamphle­ten und Handzetteln aus und über beide Städte herangezogen, um den Narrativen und Argumenten nachzugehen, mit denen unterschiedliche Institutionen und Inte­ressengruppen versuchten, ihre Ausübung von Macht zu legitimieren. Dieses Buch erzählt die Entwicklung der Ordnungssysteme von Frankfurt am Main und Philadelphia vor allem als eine Geschichte des Versagens. Es steht da­mit konträr zu der etablierten ‚Meistererzählung‘ des Modernisierungsprozesses, der die stadthistorische Forschung bis heute dominiert.95 Dass die hier erzählte Geschichte so anders ausfällt, ist vor allem der Quellenauswahl geschuldet, bei der ich mich zur Rekonstruktion der Ordnungssysteme vor allem auf Quellen der unteren Verwaltungsebene stütze, und damit auf eine Ebene, in der Menschen selbst als Kontrolleure im städtischen Raum aktiv wurden und nicht nur darüber redeten und/oder schrieben. Und erst auf dieser Ebene wird deutlich, was sich hinter so schillernden Begriffen wie „Professionalisierung“, „Modernisierung“ und „Bürokratisierung“, wie sie beispielsweise die Geschichtsschreibung der deutschen Sozialfürsorge prägen, in der Praxis verbarg. Diese hatte zwar tat­sächlich meist etwas mit Bürokratie zu tun, möglicherweise auch mit Moderne, aber eher selten etwas mit Professionalität. Die unterschiedlichen Schnittpunkte der einzelnen Analysebereiche in Frankfurt und Philadelphia lassen es hierbei kaum zu, die Ergebnisse in einer symmetrischen 94 �������������������������������������������������������������������������������������� Daher werde ich mich der Polizeiarbeit in beiden Städten vor allem in punktuellen Analysen zuwenden, jeweils dort, wo die Quellen Aussagen über Probleme und Debatten um die Kon­trolle des städtischen Raumes erlauben, die ja auch zugleich Teil des Aneignungsprozesses die­ses Raumes durch die Polizei war. 95 Dies konstatiert auch Christof Dipper, allerdings ohne einen Ausweg aus dem Dilemma nennen zu können. Siehe Dipper, Madrid, S. 389.

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Darstellung aufzubauen. Denn die unterschiedlichen Ordnungssysteme von Frankfurt und Philadelphia brachten ganz eigene Erscheinungen hervor, die sich so in der jeweils anderen Stadt nicht finden lassen, für die Frage nach der Aneignung und Kontrolle des städtischen Raumes jedoch von grundlegender Bedeutung sind. Für Philadelphia beispiels­weise die Ereignisse und Konsequenzen, die sich aus der Great Migration ergeben haben auszuklammern, nur weil es keine auch nur annähernd ähnliche Wande­rungsbewegung nach Frankfurt gegeben hat, wäre dem Verständnis der spezifi­schen Ordnungssysteme alles andere als dienlich. Ich werde daher versuchen, mit der Darstellung zum einen die grundlegenden Strukturen der beiden Städten deut­lich werden zu lassen, und zum anderen mittels der Analyse verschiedener Fall­ beispiele unterschiedliche Handlungsstrategien offen zu legen, um so das Ver­ständnis für den jeweiligen städtischen Kontext zu vertiefen. In der nun folgenden Analyse werde ich mich als erstes den Grundzüge der Machtstrukturen in Philadelphia und Frankfurt am Main widmen und mich der Frage zuwenden, wem das Recht zugesprochen wurde, gestaltend an der Stadt mitzuwirken, und wem nicht, oder, wie es eine Quelle auf den Punkt brachte: „Who makes the town we live in“ (Kapitel 1)? Im Anschluss daran möchte ich den grundlegenden Strukturen der sozialen Kontrolle des städtischen Raumes nachgehen, wie sie vor allem von der sozialen Fürsorge verfolgt wurde. Die Frage, wer soziale Fürsorgeleistungen erbringen darf beziehungsweise soll und damit einen zentralen Beitrag zur Überwachung des städtischen Raumes lie­fert, wurde in beiden Städten äußerst kontrovers diskutiert und ganz unterschied­lich beantwortet (Kapitel 2). Im dritten und vierten Kapitel widme ich mich den Kontrolleuren und Kontrollierten selbst. Unter dem Oberthema der „Nachbar­schaft“ wird es zum einen darum gehen, welche Rolle die sozialräumlichen Strukturen in der praktischen Durchführung von Kontrolle hatte, sowohl im Be­reich der sozialen Fürsorge, als auch in der Wohnungsfürsorge (Kapitel 3.1 bis 3.4), zum anderen möchte ich erörtern, wie sich ganz im Sinne von Foucaults „governmentality“96, Anwohner selbst in die Überwachung des städtischen Rau­mes eingebracht haben, insbesondere in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft (Ka­ pitel 3.5). An zwei individuellen Fallbeispielen möchte ich hierbei erörtern, wie spezifische Gruppen mit der Exklusion aus der städtischen Mehrheits-Gesellschaft umgegangen sind, von der sie ganz unterschiedlich betroffen waren. In Philadelphia sollen hierbei gezielt die Handlungsstrategien der schwarzen Mittel­klasse zur Diskussion stehen, die sich im Kontext der Great Migration zuneh­mend aus den gesellschaftli96 Michel Foucault, Governmentality, in: Graham Burchell u. a. (Hg.), The Foucault Effect. Studies in Governmentality, London 1991, S. 87–104. Siehe dazu auch Mitchell Dean, Governmentality. Power and Rule in Modern Society, London 2010 und als exemplarische Stu­die Patrick Joyce, The Rule of Freedom. Liberalism and the Modern City, London, New York 2003.

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chen Kreisen der weißen Mittel- und Oberschicht ausgeschlossen sahen und denen es zur gleichen Zeit nicht gelang, trotz der quan­titativen Zunahme der afroamerikanischen Bevölkerung selbst politische Macht zu erlangen (Kapitel 3.5.1). In Frankfurt dagegen möchte ich mich einem Sonderfall der Exklusion zuwenden: dem radikalen Ausschluss von ‚Zigeunern‘ aus dem städtischen Raum, der nicht von der städtischen Verwaltung, sondern vor allem von den Anwohnern selbst vorangetrieben wurde (Kapitel 3.5.2). Im abschließen­den Kapitel, „Momente der Erschütterung“, möchte ich mich zwei Fallbeispielen zuwenden, die die bestehenden Ordnungssysteme in ihren Grundfesten erschüt­terten: In Frankfurt dem „Fall Wiechmann“, in dem Friedrich Wiechmann mit der Tötung seiner Frau und seiner drei Kinder eine Grundsatzdebatte um das Funktio­nieren und Versagen der sozialen Fürsorge auslöste, in Philadelphia dem „Fall Butler“, in dem der Marinegeneral Smedley D. Butler als Leiter der städtischen Polizei das durch Korruption und Ungleichheit geprägte Ordnungssystem Phila­delphias grundlegend ins Wanken brachte (Kapitel 4).

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Who makes the town we live in? Narrative und Praktiken der Macht

1.1

Die „Great Leader“ Philadelphias

Im Jahr 1927 erschien die neue Ausgabe des „Who’s Who in Philadelphia“.1 Der Herausgeber Hartwell Stafford widmete das Buch all den Menschen, „who do not believe that all life is selfish”, und damit Männern und einer Hand voll Frauen, die Philadelphia zu dem gemacht hätten, was es zu dieser Zeit gewesen sei. Das Buch sollte das Leben Philadelphias in den Berufen, Clubs, Organisationen und Gesell­ schaften der Einwohner widerspiegeln, „who make the town we live in.”2 In kur­zen Skizzen porträtiert der Herausgeber Personen, die man als upper-class oder bourgeoisie Philadelphias bezeichnen könnte3, und damit vor allem hochausgebil­dete und/oder erfolgreiche Geschäftsmänner, Juristen und Bankiers, die leader Philadelphias. „Only through exceptional individuals, the leaders, man has been able to ascend“, schrieb schon 1900 der Industriemagnat Andrew Carnegie, und brachte damit den auch in Philadelphia grassierenden Glauben an herausragende leader als zentrale Personen in der städtischen Gesellschaft auf den Punkt, “[It] is the leaders who do the new things that count, all these have been individualistic to a degree beyond ordinary men and worked in perfect free­dom; each and every one a

1 Hartwell Stafford (Hg.), Who’s who in Philadelphia at the time of the Sesqui-Centennial, Philadelphia 1927. 2 Ebd., S. 2. 3 Für den Begriff der Bourgeoisie macht sich vor allem Sven Beckert stark. Vgl. Sven Beckert, The Monied Metropolis. New York City and the Consolidation of the American Bourgeoisie 1850–1896, Cambridge 2001 und Ders., Class and Politics. The Case of New York’s Bourgeoisie, in: Ralf Roth u. Robert Beachy (Hg.), Who Ran the Cities? City Elites and Urban Power Structures in Europe and North America, 1750–1940, Aldershot, Burlington 2007, S. 195–212. Nach Morten Reitmeyer ist der Elite-Begriff zumindest in den deutschen Debatten ein Kind der Nachkriegszeit. Vgl. Morten Reitmayer, Elite. Sozialgeschichte einer politisch-gesellschaft­lichen Idee in der frühen Bundesrepublik, München 2009. Dennoch eignet er sich für die Be­schreibung jener Gruppierungen, die selbst den Anspruch erhoben, auf sozialer, gesellschaft­licher, ökonomischer, wissenschaftlicher, technischer und/oder politischer Ebene führend zu sein und dies zumeist auch zum Anlass nahm, aus diesem Status Sonderrechte für sich abzulei­ten.

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character unlike anybody else; an original, gifted beyond most others of his kind, hence his leadership.”4

Der Glaube an außergewöhnliche leader beschränkte sich hierbei nicht auf die Oberschicht, allerdings wurde diesen in den populären Stadtpublikationen am meisten gehuldigt. Im Gegensatz zu jüngeren Städten der Vereinigten Staaten, wurde hierbei in Philadelphia nicht nur eine neue business elite glorifiziert, son­dern gleichermaßen erfolgreiche Akademiker, wie Juristen und Ärzte, sowie die alte ‚Aristokratie‘ der Stadt, die Old Philadelphians.5 Nach welchen Maßstäben Personen in die biographischen ‚Eliteführer‘ wie das „Who’s Who“ aufgenommen wurden, ist kaum nachzuvollziehen, in jedem Fall half es, weiß, männlich und wohlhabend zu sein, am besten native born, höchstens aber mit nordeuropäischem Migrationshintergrund. Nur wenigen Frauen war eine Aufnahme in diese Publikatio­nen vergönnt und Menschen afroamerikanischer Herkunft blieben ge­mäß der zeitgenössisch gängigen Diskriminierung gänzlich aus diesen ausgeschlossen, waren sie auch noch so erfolgreiche Wissen­schaftler, Ärzte oder businessmen. Als „Distinguished Men“6, „Popular Philadelphians“7 und „Makers of Philadelphia“8 wurde hier eine weiße ‚Elite‘ inszeniert, die zwar nicht repräsentativ für die vielschichtigen Machtstrukturen der städtischen Gesellschaft waren, deren Darstellung aber ein spezifisches Wunsch­bild der weißen Oberschicht zum Ausdruck brachte, wie sie und ‚ihre‘ Stadt wahr­genommen werden sollten. Denn schließlich war die Geschichte der Stadt nicht nur eng mit der Geschichte der Nation verzahnt, sondern war zugleich auch Aus­druck ihres persönlichen Erfolges. “The history of a city is, to a very considerable extent, the history of the men who, by their energy, ability, and public spirit, have made it what it is, the men to whose well-directed efforts is due the development of its municipal institutions, industrial interests, and standing in public estimation”,

4 Zitiert nach Michael McGerr, A Fierce Discontent. The Rise and Fall of the Progressive Move­ment in America 1870–1920, New York 2003, S. 8. 5 Nathaniel Burt u. Wallace E. Davies, The Iron Age. 1876–1905, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 471–523, hier S. 474. 6 George F. Lasher, Distinguished Men of Philadelphia and of Pennsylvania, Philadelphia 1913. 7 The North American (Hg.), Philadelphia and Popular Philadelphians, Philadelphia 1891. 8 Charles Morris, Makers of Philadelphia. An Historical Work Giving Sketches of the Most Emi­nent Citizens of Philadelphia From the Time of William Penn to the Present Day, Philadelphia 1894.

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schrieb Charles Morris einleitend zu seinem 1894 erschienenen Buch „Makers of Philadelphia“.9 Die Stadt, die diese weiße ‚Elite‘ dabei angeblich erschaffen hatte, wurde vor allem seit der Centennial Exposition im Jahr 1876 zunehmend ideali­siert. Auf dem rauschenden Fest mit über neun Millionen Besuchern10, das in Anleh­nung an die Weltausstellungen in London und Paris gestaltet und mit dem zugleich die 100-Jahrfeier der Unabhängigkeitserklärung begangen wurde, hatte Philadelphia die Gelegenheit „to demonstrate its muscularity and organizational genius.“11 Den zermürbenden Bürgerkrieg hinter sich lassend, inszenierte sich hier eine erfolgreiche amerikanische Nation und dazu eine geschichtsträchtige Stadt, deren Geschicke eng mit denen dieser Nation verbunden sei. In dieser Insze­nierung waren es in erster Linie weiße Amerikaner, die diese Geschicke be­stimmten. Zwar wurde den wirtschaftlich erfolgreichen Immigranten aus den Niederlanden, Deutschland oder Italien Platz für die Repräsentation ihrer Teilhabe am Aufbau des Landes und der Stadt eingeräumt, doch sozial schwächere und stärker diskriminierte Gruppen, wie die Ureinwohner oder Afroamerikaner, wur­den entweder marginalisiert oder aus dem historischen Gedenken gestrichen.12 Diese Exklusion wurde auch in den populären Publikationen zur Stadt fortgeführt und so erfuhr insbesondere die afroamerikanische Bevölkerung auch jenseits der biographischen ‚Eliteführer‘, zu denen sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr­hunderts zunehmend auch touristische Reiseführer gesellten, eine ähnliche Verdrän­g ung. Die gängigen Reiseführer führten all jene, die es sich leisten konn­ten, zu den Sehenswürdigkeiten der weißen Erfolgsgeschichte von Stadt und Nation und das Narrativ Philadelphias als eine City of Homes und City of Brotherly Love wurde wider alle Unzulänglichkeiten der städtischen Entwicklung stetig reproduziert und gefestigt.13 Die Diskrepanz zwischen diesen idealisierenden Narrativen und der städtischen Realität provozierte immer wieder harsche Gegenreaktionen und war Ausgangs­ punkt zahlreicher Skandalreportagen der muckraker, Großstadtjournalisten, denen 9 Ebd. o.S. 10 Jerome Hodos, The 1876 Centennial om Philadelphia. Elite Networks and Political Culture, in: Richardson Dilworth (Hg.), Social Capital in the City. Community and Civic Life in Philadelphia, Philadelphia 2006, S. 19–39, hier S. 19, 11 �������������������������������������������������������������������������������������� Gary B. Nash, First City. Philadelphia and the Forging of Historical Memory, Philadelphia 2002, S. 262. 12 Ebd., S. 266–268. 13 Siehe dazu beispielsweise George Erasmus Nitzsche, Philadelphia. Guide to the City, Philadelphia 1920; Francis Burke Brandt u. Henry Volkmar Gummere, Byways and Boulevards in and About Historic Philadelphia, Philadelphia 1925; George Barton, Little Journeys Around Old Philadelphia, Philadelphia 1926; John Wanamaker, A Friendly Guide to Philadelphia and the Wanamaker Store, Philadelphia 1926; George Barton, Walks and Talks About Old Philadelphia, Philadelphia 1928.

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es in erster Linie um die Aufdeckung der korrupten Strukturen hinter der idylli­schen Welt etablierter Großstadtnarrative ging.14 So überschreibt einer der bekann­testen muckraker der Jahrhundertwende, Lincoln Steffens, in seinem Buch „Shame of the Cities“ sein Kapitel zu Philadelphia mit den Worten, „Korrupt und zufrieden damit“ (corrupt and contented), und bezog sich damit auf den fehlenden Willen der meisten Einwohner Philadelphias, etwas an den korrupten Zuständen zu ändern.15 So soll einer dieser philadelphians auf Befragung zur politischen Maschine der Stadt gesagt haben: „At least you must admit that our machine is the best you have ever seen.“16 Aber nicht nur Außenstehende, wie der Journalist Steffens, sondern auch lokale Reformer der Mittelklasse wandten sich harsch ge­gen die etablierten Verdrängungsformen städtischer Probleme. So wetterte im Jahr 1919 die Women’s League for Good Government in ihrer Streitschrift „Facts about Philadelphia“ gegen diese ‚Weißwaschung‘ der Stadt: “We are told to keep up Philadelphia’s glory, even if a little white-washing is necessary in the process; to show the world how great is our school sys­tem, not how dirty our school buildings; to show the plans for parkway and art gallery, not the uncleaned alleys and thousands of illegal privy vaults; to put our best foot forward and become boosters, not knockers; in other words, to maintain a discreet silence.”17

Trotz dieser kritischen Töne, hatte die sich selbst als „Makers of Philadelphia“ inszenierende Oberschicht tatsächlich nicht nur das notwendige kulturelle und vor allem ökonomische Kapital, sondern auch den expliziten Willen, den Stadtraum Philadelphias zu gestalten, zumindest in Teilbereichen. Ihr tatsächlicher Gestaltungs­ spielraum beschränkte sich auf ganz bestimmte Zonen des städtischen Raumes. 14 Vgl. Rolf ���������������������������������������������������������������������������������� Lindner, Die Entdeckung der Stadtkultur. Soziologie aus der Erfahrung der Reportage, Frankfurt am Main 1990. 15 �������������������������������������������������������������������������������������� Lincoln Steffens, The Shame of the Cities, New York 1904, S. 193. Grundlegend zu Steffens siehe Charles A. Madison, Muckraker’s Progress, in: Virginia Quarterly Review 22. 1946, S. 405–420. 16 Steffens, Shame, S. 195. 17 The Committee on Public Information of the Women’s League for Good Government (Hg.), Facts about Philadelphia, Philadelphia 1919. Diese „Weiß“-Waschung, die hierbei durchaus wört­lich verstanden werden kann, ist ein Schicksal, das auch andere amerikanische Städte er­fuhren, wie beispielsweise Los Angeles, das seit seiner Gründung vor allem durch mexikani­sche Immigranten geprägt war. Doch auch Los Angeles wurde von seiner etablierten städtischen Elite zu einer ‚weißen‘ Stadt mit dem Label „most american of american cities“ umge­schrieben, ein Titel, den auch Philadelphia für sich beanspruchte. Siehe dazu auch Mark Wild, Street Meeting. Multiethnic Neighborhoods in Early TwentiethCentury Los Angeles, Berkeley 2005.

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Vor allem auf die einwanderungsstarken Distrikte der Stadt hatten sie nur geringen Einfluss. Sie entwickelten aber auch kaum Ambitionen, dort überhaupt Ein­fluss zu nehmen, denn in den zentralen und zentrumsnahen Stadtteilen machten meist Funktionäre der politischen Maschine als lokale leader ihren Einfluss gel­tend. Die politischen leader kamen nun gerade nicht aus den Reihen der weißen sozialen Elite, sondern waren häufig selbst in den Arbeiterdistrikten in engem Kontakt zur politischen Maschine aufgewachsen.18 Diese political professionals hatten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Einfluss auf die städtische Politik ausgebaut, während sich zur gleichen Zeit weite Teile der weißen Mittel- und Ober­schicht offiziell aus dem Bereich der städtischen Politik zurückzogen. Doch für die effektive Gestaltung des städtischen Raumes war die sich unpolitisch gerie­rende Oberschicht nicht auf politische Ämter angewiesen, selbst nicht in so zentralen Bereichen, wie dem Ausbau eines funktionierenden Verkehrssystem, dass sie von ihren Wohnhäusern am Stadtrand ins Zentrum bringen konnte. Diese wurden gemäß der etablierten Form städtischer Politik zumeist an private Unterneh­men abgegeben, eine Einstellung, mit der auch die amtierenden Bürger­meister Philadelphias der 1920er Jahre konform gingen. So versuchte der von 1928 bis 1932 amtierende Bürgermeister Harry A. Mackey das städtische contractor System, das 1929 über 425 Unternehmen in den Dienst der Stadt stellte, in mehreren Publikationen als eine gut organisierte „Business Corporation“ zu popularisieren. Auch sein Amtsnachfolger J. Hampton Moore, 1932 zum zweiten Mal zum Bürgermeister der Stadt gewählt, äußerte anlässlich eines forma­len Essens des North Philadelphia Real Estate Board: „It is the business of the Mayor and City Council, constituting the municipal government, to transact the business of government and not to meddle in private business, except to see that the laws are enforced.“19 Daneben engagierte sich die soziale Elite der Stadt vor allem in der Errichtung und Ausstattung prunkvoller (und meist exklusiver) Bil­dungs- und Kulturinstitutionen, der Gestaltung repräsentativer Bauten in repräsenta­tiven Stadtteilen und der Anlage weitläufiger Parks, was diese Elite zu­gleich auch zum Anlass nahm, sich als Philanthropen der Stadt zu präsentieren und inszenieren.20 18 Zahlreiche einschlägige Beispiele dafür schildert eingängig John Thomas Salter, Boss Rule. Portraits in City Politics, New York 1974 (1935). 19 Zitiert nach Robert Edward Drayer, J. Hampton Moore. An Old Fashioned Republican (= Univ. ���������������������������������������������������������������������������� Dis), Philadelphia 1961. Siehe dazu auch die Veröffentlichung von Bürgermeister Mackey: Harry A. Mackey, Philadelphia. The Business Corporation, Philadelphia 1929b; Harry A. Mackey, Greater Philadelphia, Philadelphia 1929a; Harry A. Mackey, The City’s Business up to Date, Philadelphia 1929c. 20 Biographische Einträge in den sozialen Führern zur Stadt verweisen insbesondere auch auf das ‚philantropische‘ Engagement einzelner Persönlichkeiten, hinter dem sich zumeist Projekte ver­bergen, die dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Elite selbst zu Gute kamen. Vgl. dazu beispielsweise die Portraits in Morris, Makers.

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Für ein erfolgreiches Agieren in den Reihen dieser ‚Elite‘, war vor allem die gesell­ schaftliche Vernetzung von grundlegender Bedeutung, die insbesondere über exklusive Clubs und Vereinigungen gepflegt wurde.21 Neben dem Familiennamen war die Clubzugehörigkeit ein zentraler Hinweis auf den sozialen Status einer Person in Philadelphia. So konnte man in „Polk’s Elite Directory“ wie in einem Telefonbuch die Mitgliederlisten der Oberschicht-Clubs nachschlagen.22 Für all jene, die über keinen ‚alten‘ Namen wie Biddle, Wharton oder Drexel verfügten, wurden Clubmitgliedschaften zu einer regelrechten Auszeichnung. Sogar einer der reichsten Männer Philadelphias, der zum Multimillionär aufgestiegene Investment­banker Edward T. Stotesbury, soll sich seine erste Einladung zu den Philadelphia Assemblies, dem traditionellen gesellschaftlichen Großereignis der Oberschicht Philadelphias, in einer beleuchteten Glasvitrine ausgestellt haben. In den Philadelphia Club dagegen, den „inner core of proper Philadelphia prestige and power“23, hat er es nie geschafft.24 Denn in der City of Brotherly Love war es nicht nur wichtig „whose brother you are, but whose son or daughter, whose grandson or granddaughter you are, who were your great-grandparents, even who were your great-great-grand­parents“25. Dieses Distinktionsverhalten wurde schon zeitge­nössisch als „Philadelphianism“26 bezeichnet. In den biographischen Skizzen der unterschiedlichen Eliteführer gehörte daher die Auflistung der Clubmit­gliedschaften zu den zentralen Informationen der vorgestellten Persönlich­keiten. Hartwell Stafford, der eingangs zitierte Herausgeber des „Who’s Who in Philadelphia“, war selbst erst 1915 nach Philadelphia gekommen, hatte sich aber innerhalb weniger Jahre mit der Oberschicht Philadelphias vernetzen können. Bis 1920 war er Mitglied des Philadelphia Chamber of Commerce, der Free and Accepted Masons, der Royal Arch Masons, der Royal and Selected Mas­ter Masons, der Knights Templar und des Lulu Shrine of the Ancient Arabic Order of the Nobles of the Mystic Shrine geworden.27 Stafford 21 ������������������������������������������������������������������������������������� Siehe dazu auch Nathaniel Burt, The Perennial Philadelphians. ����������������������� The Anatomy of an American Aristocracy, Boston 1963 und Fredric M. Miller, Introduction, in: Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995, S. 3–12. 22 R.L. Polk & Co. of Philadelphia (Hg.), Polk’s Philadelphia Blue Book. Elite Directory and Club List, Philadelphia 1927. 23 Edward Digby Baltzell, Upper-Class Clubs and Associations in Philadelphia, in: Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995, S. 1158–1162, hier S. 1160. 24 Siehe dazu auch Burt, Perennial, S. 162. 25 Robert Shackleton, The Book of Philadelphia, Philadelphia 1918, S. 1. 26 Sarah D. Lowrie, The Price Papers. Eli Kirk Price (Unveröffentlichtest Manuskript, HSP) 1936. 27 Hartwell Stafford (Hg.), Who’s Who in Philadelphia in Wartime, Philadelphia 1920, S. 162.

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selbst war zwar kein Old Philadelphian, aber auch er gehörte noch zu jener ‚Elite‘, die ihre amerikanische Abstammung bis in das 17.  Jahrhundert zurückverfolgen konnten und dies auch immer wieder gerne taten.28 Doch im Vergleich zu einem Old Philadelphian war die Liste seiner Clubmitgliedschaften geradezu verschwindend kurz. So gehörte Eli Kirk Price II., einer der „grandest old men“29 Philadelphias, allein 37 exklusi­ven Clubs und Organisationen der Oberschicht an.30 Diese ‚alte Elite‘ hatte sich mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes schon früh räum­ lich aus Philadelphia in Villenvororte entlang der main line zurückgezogen. Dies hielt sie aber nicht davon ab, das gesellschaftliche Leben der Oberschicht wei­terhin dominieren zu wollen.31 Ihre Beharrung auf den gesellschaftlichen Führungs­anspruch war recht erfolgreich, konnte allerdings den Aufstieg einer neuen Oberschicht, die sich seit dem Ende des Bürgerkrieges vor allem aus neurei­chen businessmen speiste, auch nicht verhindern und so mussten die Old Philadelphians zunehmend ihre führende Machtposition mit diesen Aufsteigern teilen.32 Wie man zwischen alter und neuer ‚Elite‘ unterscheiden konnte, wurde mit dem Wachstum der Stadt und damit auch der städtischen Oberschicht immer schwieriger. Der Familienname war lange Zeit Hauptindikator der Zugehörigkeit zu den Old Philadelphians und ein Einheiraten in deren Reihen war zwar schwie­rig, aber durchaus möglich und wurde zunehmend auch notwendig.33 Ein weiterer Indikator für die Anerkennung in den Reihen der Old Philadelphians, war eine Einladung zu den Philadelphia Assemblies, „for the Assembly places the Philadelphian as nothing else can“34, wie Elisabeth Robin Pennell 1914 festhielt. Von Außenstehenden wurde das Assembly häufig als ‚snobbish‘ ver-

28 So versieht sich Stafford selbst in seinem ersten „Who’s Who in Philadelphia“ mit einem der längsten Einträge zum Familienstammbaum. Vgl. ebd. Auch in dem 1911 herausgegebenen und knapp 1 760 Seiten umfassenden Werk „Colonial Families of Philadelphia”, wurde dieser ‚Aristo­kratie‘ Philadelphias die maßgebliche Rolle in der Erschaffung der Stadt zugesprochen. Vgl. John W. Jordan (Hg.), Colonial Families of Philadelphia. Volume I, New York 1911. 29 Burt, Perennial, S. 344. 30 Lowrie, Price, S.  60–61; Artikel: Eli Kirk Price, in: James Grant Wilson u. John Fiske (Hg.), Appletons‘ Cyclopaedia of American Biography. Revised Edition, New York 1888, S. 412–413, hier S. 412. 31 ������������������������������������������������������������������������������������������� Zur Sozialstruktur der alten Elite siehe Burt, Perennial, S. 69. Vgl. dazu auch die biographische Schilderung von Elizabeth Robins Pennell u. Joseph Pennell, Our Philadelphia, Philadelphia, London 1914. 32 Peter McCaffery, When Bosses Ruled Philadelphia. The Emergence of the Republican Machine, 1867–1933, University Park 1993, S. 2–9. 33 Baltzell, Upper, S. 1158. 34 Pennell u. Pennell, Our, S. 157.

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achtet, bis diese selbst eine Einladung erhielten.35 Ansonsten brachten die Aufsteiger für den in Philadelphia typischen Rückzug in Exklusivität nur wenig Neues. In den 1920er Jahren war das Exklusivitäts-Image der alten und neuen Oberschicht Philadelphias schon geradezu sprichwörtlich geworden, ein Image, das vor allem auch von diesen selbst gepflegt wurde. Eine geläufige Anekdote erzählt vom ver­zweifelten Versuch eines Ortsfremden mit (dem fiktiven) Mr. John Doe in Philadelphia Kontakt aufzunehmen, von dem er allein die Adresse eines Clubs in der Stadt hatte. Nach mehrfachen Telefonaten mit dem Sekretär dieses Clubs, der jegliche Auskunft über Mitglieder verweigerte, konnte der Ortsfremde den Sekre­tär schließlich davon überzeugen, für ihn bei zwei führenden Persönlichkeiten des Clubs vorzusprechen. Nach eingehender Beratung wurde für diesen Fall schließ­lich eine Ausnahme gestattet und der Ortsfremde erfuhr von dem Sekretär, dass Mr. John Doe im Dezember des vergangenen Jahres verstorben sei.36 Die Durchmischung von alter und neuer ‚Elite‘ hielt die Old Philadelphians, selbst wenn sie dies erst seit kurzem waren, nicht davon ab, auf ‚Parvenüs‘ herabzu­blicken, ein Gebaren, das bereits vor der Jahrhundertmitte eifrig zelebriert wurde. So klagte schon 1837 Sidney Fisher, Philadelphia sei geplagt von “vulgar, nouveau riche people who are […] crowding into society and are seen at all the parties. The good, respectable old-family society for which Phi­ladelphia was once so celebrated is fast disappearing and persons of low origin and vulgar habits are introduced because they are rich who a few years ago were never heard of. If they were agreeable, cultivated, intelligent or beautiful there would be some compensation, but they are all commonplace and uninteresting, many of them vulgar, stupid and ugly.”37

Weniger herablassend und mehr melancholisch resümierte Elizabeth Robins Pennel in ihrer biographischen Schrift zum Leben in Philadelphia: “I am one of those old-fashioned Americans, American by birth with many ge­nerations of American forefathers, who are rapidly becoming rare creatures among the hordes of newfashioned Americans who were anything and everything else no longer than a year or a week or an hour.”38 35 Ebd.; Baltzell, Upper, S.  1158. Zur Geschichte der Assemblies siehe Thomas Willing Balch, The Philadelphia Assemblies, Philadelphia 1916. 36 �������������������������������������������������������������������������������������� Horace Mather Lippincott, Early Philadelpiha. Its People, Life and Progress, Philadelphia, London 1917, S. 301f.; Horace Mather Lippincott u. Thornton Oakley, Philadelphia, Philadelphia 1926. Ähnlich auch Shackleton, Book, S. 204. 37 Zitiert nach Burt, Perennial, S. 26. 38 Pennell u. Pennell, Our, S. iv.

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Trotz des weitreichenden Einflusses der jungen business elite in Bereichen der städtischen Entwicklung, blieb ihr sozialer Einfluss in den Kreisen der upper-class immer ein Begrenzter. So hatte ein neureicher Wirtschaftsmagnat kaum die Chance, von den Old Philadelphians als wirklicher leader in ihren Reihen aner­kannt zu werden, erst recht nicht als social leader. Von den neureichen Geschäfts­männern grenzten sich die Old Philadelphians zudem dadurch ab, dass sie stetig betonten, dass leadership in ihren Reihen ganz und gar nicht von Reichtum ab­hängig sei. „There were other powers, as I was made quickly to understand“ schrieb Elizabeth Robin Pennell zu ihrem „Social Adventure“ als junge Frau in den Reihen der Old Philadelphians, “not only the powers that all Biddles, Cadwalladers, Rushes, Ingersolls, Whartons, in a word all members of approved Philadelphia families were by Philadelphia right, but a few had risen even higher than splendid throng and were accepted as their leaders. […] Had I been asked in the year of my co­ming out who was the greatest woman in the world, I should have answered, without hesitation, Mrs. Bowie. […] She was not rich and the fact is worth re­cording, so charateristic is it of Philadelphia. The names of leaders of so­ciety in near New York usually had millions attached to them […]. But Mrs. Bowie’s power depended upon her personal fascination – with family of course to back it […].”39

„Leaderhip“ war für die Old Philadelphians also in erster Linie „social leadership“ und wenn einer Persönlichkeit vergönnt war, leader auf wirtschaftli­cher oder politischer Ebene zu werden, so galt dies noch lange nicht für das gesell­schaftliche Leben in der Stadt. Die Diskrepanz zwischen dieser geradezu zelebrierten Ungleichheit und dem Stolz auf die Rolle der Stadt in ihrer Bedeutung für die Ausrufung der Gleichheit aller Menschen, veranlasste auch den Städtereisenden Robert Shackelton in sei­nem „Book of Philadelphia“ 1918 zu einem kritischen Kommentar: “Although it was here that the representatives of the people announced that all men are created equal, Philadelphia really believes that people are very unequal indeed; that they always have been unequal and that they are going to remain so.”40

Der Rückzug in Exklusivität und das Zelebrieren von Ungleichheit bedeutete je­doch keineswegs eine gänzliche Abschottung der unterschiedlichen Gruppie­rungen voneinander. Exklusive Clubs und Vereinigungen konnten gleichermaßen zu Ausgangpunkten der Vernetzung werden. Diese umging auch die Grenzen, die öffentlich immer wieder gezogen wurden, wie die Distanzierung der Mittel- und Oberschicht von 39 Ebd., S. 145–146. 40 Shackleton, Book, S. 397.

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den korrupten Strukturen der politischen Maschine. Network und leadership wurden in Philadelphia zu den zentralen Formen der Machtausübung, nicht nur in den Reihen der Oberschicht, sondern gleichermaßen auch in den so­zial schwächeren Reihen, in denen lokale leader zwar räumlich begrenzter, dafür aber nicht weniger machtvoll die Führung übernahmen. In den Elite-Führern der Stadt finden sich solche Persönlichkeiten unterdessen selbstverständlich nicht. Ein sprechendes Beispiel für die komplexen, fluiden und sich schichtenübergrei­ fend entfaltenden Machtstrukturen in der Stadt durch leadership und network, liefert die Entwicklung der Philadelphia Rapid Transit Company (PRT) Anfang des 20. Jahrhunderts. 1901 hatten sich die Philadelphia „traction magnates“41 Peter A. Brown Widener und William Elkins zusammengeschlossen, um unter der Philadelphia Rapid Transit Company den gesamten Schienenverkehr der Stadt zu kontrollieren. Doch der wirtschaftliche Erfolg blieb von Anfang an aus. Schon 1906 konnte das Unternehmen die Vereinbarungen mit der Stadt nicht mehr einhal­ten und stand kurz vor dem Bankrott. Trotz ihres Scheiterns wurde der PRT, vor allem auf Betreiben der Retail Merchants Association, zur Absicherung ihres Unternehmens die Monopolstellung im Bau und der Unterhaltung des lokalen Schienenverkehrs für weitere 50 Jahre übertragen.42 Als das Unternehmen bereits drei Jahre später erneut kurz vor dem Zusammenbruch stand, wandten sich die Aktionäre und Direktoren an den bereits erwähnten Multimillionär und Invest­ment-Bankier Edward T. Stotesbury und baten ihn, die Leitung der unglücklichen Unternehmung zu übernehmen, “in order to give this property not only the great practical advantage of your large experience in business and as a financier, but also because of the full measure of public confidence which will result from the participation of yourself and associates in the direction and control of the company.”43

Scheinbar erst jetzt, da die PRT kurz vor dem Aus stand, schien sich die Unterneh­ mensleitung der Bedeutung eines funktionierenden Verkehrssystems für das Wohl der Stadt zu entsinnen, zumindest als schlagkräftiges Argument. In den Jahren zuvor hatte sie die Klagen und Beschwerden der Verkehrsteilnehmer über die gra­vierenden Mängel des Schienenverkehrs geflissentlich ignoriert.44 Geradezu flehent­lich appellierte die PRT an den „civic pride“ des Multimillionärs Stotesbury: 41 Lloyd M. Abernethy, Progressivism. 1905–1919, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 524–565, hier S. 547. 42 Ebd. 43 John M. Shaw, Mitten. The Story of A Life (Unveröffentlichtes Manuskript. UA Acc.47 Box 1), Philadelphia o.D., o.S. 44 Abernethy, Progressivism, S. 547f.

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“We turn to you as the citizens [sic!] who, in our opinion, can accomplish most along these lines, and we appeal to your well known civic pride to give this public service corporation, and through it to the city, the benefit of your personal and business interest and association.”45

Stotesbury übernahm, nachdem er so bekniet worden war, nicht selbst die Leitung der PRT, sondern warb im Alleingang den Leiter des Chicagoer Verkehrssystems Thomas E. Mitten nach Philadelphia ab, damit dieser das Unternehmen wieder zu wirtschaftlichen Erfolg führe und die Verkehrsprobleme der Stadt löse. Mitten agierte jedoch nicht als ‚dienstbarer Experte‘ Stotesburys, sondern entwickelte ein herausragendes Maß an Eigeninitiative. So setzte er nicht nur gegen den Willen des Multimillionärs und der anderen Aktionäre seine eigene Linie der Geschäftsfüh­rung durch, sondern vernetzte sich auch mit politischen Machthabern und festigte so die Stellung ‚seines’ Unternehmens in der Stadt. Die anfängliche Begeisterung über den rasch eingetretenen wirtschaftlichen Er­ folg Mittens schlug nach einigen Jahren in Entsetzen gegenüber der Monopolstel­lung um, die sich Mitten und sein Stab enger Vertrauter, die Mitten Men, im Unter­nehmen und im Verkehrssystem der Stadt hatte sichern können. 1922 versuchten der amtierende Reformbürgermeister J. Hampton Moore und das Invest­ment-Unternehmen Drexel and Company, dessen Partner Edward T. Stotesbury war, gemeinschaftlich Mitten von seinem Führungsposten zu stürzen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an einer gänzlich unerwarteten Loyalität der Arbeiterschaft der PRT zu ihrem Präsidenten. Noch in den Jahren vor dessen Amts­übernahme war die PRT von blutigen Aufständen der Arbeiterschaft erschüt­tert worden. Mit höheren Löhnen und einer besseren Sozialabsicherung konnte Mitten die Arbeiter für sich gewinnen, für den Preis, dass im Unternehmen keine Gewerkschaftsinsignien getragen werden durften und der Arbeiterführer C.O. Pratt und seine Anhänger das Unternehmen verlassen mussten. Als es nun zu besag­tem Umsturzversuch kam, kauften die Angestellten der PRT zehntausend Anteile der Unternehmensaktien und übertrugen Mitten die Vollmacht darüber.46 Mitten, selbst bereits Großaktionär der PRT, konnte nun nicht nur seine eigene Stellung als Präsident im Unternehmen festigen, sondern auch seinen Sohn in den Vorstand holen und damit das Einflussnetzwerk der Mitten Men weiter ausbauen.47 Trotz dieser Loyalität der Arbeiterschaft, blieben die Erfolge Mittens für das Ver­ kehrssystem der Stadt äußerst umstritten. 1928 spitzten sich die Konflikte zwi­schen PRT und Verkehrsteilnehmern zu einem medial geführten Gefecht zu, in dem die 45 Shaw, Mitten, S. 251. 46 New York Times vom 12.02.1922. 47 Siehe grundlegend dazu Drayer, J, S. 190–201, 365.

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PRT immer wieder Radiosendungen schaltete, um einer nach ihrer An­sicht entstellenden Berichterstattung der Tagespresse entgegen zu wirken.48 Zu diesem Zeitpunkt sah sich Mitten keinem reformorientierten Bürgermeister mehr gegenüber, wie es J. Hampton Moore gewesen war, sondern dem machine-treuen Harry A. Mackey. Mackey versuchte seit 1927 dem durch einen schweren Schlagan­fall geschwächten Boss der republikanischen Partei Philadelphias, William S. Vare, die Führung streitig zu machen. Da Mitten in diesem heiklen Unterfangen zu seinen größten Unterstützern zählte, verteidigte er auch vehement die Arbeit der PRT.49 Doch wie der Erfolg Mackeys, blieb auch der Verteidigungs­wall für Mitten von nur kurzem Bestand. 1929 deckte der Finanzaufseher WillB Hadley umfassende Geschäftsmanipulationen und ein bis dahin ungeahntes Missmanagement Thomas E. Mittens auf. Mitten selbst erlebte die Konsequenzen seines Handelns nicht mehr, da er im Oktober 1929 in einem See nahe seines Land­sitzes ertrank, zu der Zeit, als ein Verfahren zur Enteignung seines Besitzes eingeleitet wurde, um die von ihm unterschlagenen Summen der PRT zurückzufüh­ren.50 Die Zusammenarbeit der Stadt mit den Mitten Men in Form des von Mitten gegründeten Unternehmens, der Mitten Management Inc., wurde auch nach dem tragischen Tod Thomas E. Mittens fortgeführt und noch bis in die dreißi­ger Jahre führte die Mitten Management Inc. die grundlegenden Studien zur Reorganisation des gesamten Straßenverkehrs Philadelphias durch, obwohl die Stadt mit ihrem Bureau of Surveys eigentlich eine Abteilung für genau solche Auf­gaben unterhielt.51 Das Interesse der Geschäftsleute Philadelphias beschränkte sich unterdessen nicht auf eine rein infrastrukturelle Organisation des Stadtraumes. Philadelphia war für viele nicht nur der Ort ihrer wirtschaftlichen Wertschöpfung, sondern zugleich auch die Materialisierung ihres Erfolges. Der Ruf, „Makers of Philadelphia“ zu sein, drückte daher nicht nur ihren Anspruch auf Macht aus, sondern nahm sie gleichermaßen in die Pflicht, Außenstehenden ihre Leistungen konkret vor Augen zu führen. So verwundert es auch nicht, dass in der Art Jury, die seit 1911 den städtischen Verwaltungsapparat Philadelphias ergänzte, neben drei Personen aus den Reihen der bildenden Künste, Vertreter der Wirtschaftelite leitende Positionen besetzten. Darunter 48 Shaw, Mitten, S. 249–254. Der Medienstreit wurde umfassend von John M. Shaw, VizePräsiden­ten der PRT in den 1920er Jahren, dokumentiert. Siehe dazu die Akte „Newspaper controversy – PRT Advertising Campaign Regarding Incapacity of Press To Properly report Tran­sit Matters With Particular Reference to Broad street subway November 1928“ (UA, Acc.47, Box 1). 49 ���������������������������������������������������������������������������������� Arthur P. Dudden, The City Embraces „Normalcy“. 1919–1929, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 566–600, hier S. 585. 50 Ebd., S. 600. 51 ���������������������������������������������������������������������������������������� Mitten Management Inc. (Hg.), Philadelphia Traffic Survey. Report No. 1. Plan for Philadelphia Approaches to Delaware River Bridge, Philadelphia 1929.

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befanden sich unter anderem auch Edward T. Stotesbury, sowie der Inhaber der Baldwin Locomotive Works Alba B. Johnson, der ehemalige Direktor der Farmers and Mechanics National Bank of Philadelphia John Frederick Lewis und Rodman Wanamaker, der Inhaber der Wanamaker-Einkaufshäuser.52 Diese Art Jury über­wachte umfassend den Erwerb und Verkauf städtischer Kunstschätze sowie die künstlerische Ausgestaltung des Stadtraumes. „No work of art […] can become the property of the city“, charakterisierte 1924 der Philadelphia Bulletin Alamanc die Arbeit der Jury, “by purchase, gift, or otherwise, without being approved by the jury; nor can any work of art be erected or placed in or upon any public building or place belonging to or under the control of the city. Neither can any existing work of art, in the possession of the city, be removed, relocated or altered in any way, without the approval of the jury.”53

Da in der Art Jury auch alle Leiter der städtischen Departments und Bureaus vertre­ ten waren, arbeiteten hier Funktionäre der republikanischen Maschine mit Vertretern der Wirtschaftselite und der gebildeten Mittelklasse eng zusammen. Gerade die künstlerische Gestaltung des Stadtraumes stellte für die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen leader der Stadt eine Prestigefrage dar, die weit über lokale Interessen der Herrschaftsrepräsentation hinausging. „The fame of a city”, fasste die Art Jury in ihrem Jahresbericht 1924 zusammen, “and consequently the fame of its citizens, depends upon its progressiveness, as evidenced by the actual construction of important public works that attract the attention of inhabitants of other cities, states and na­tions. […] A city is like a great merchant: if the latter would attract visitors, he must build an attractive structure, depending upon the art of the architect, as well as that of the sculptor and painter, to produce what will bring people to his store. […] cities are just beginning to realize that, if their citizens would secure the profit that comes from the money the tourists left among them, attractive cities must be created.”54

Engagierte Reformer versuchten bereits seit der Jahrhundertwende unter dem La­bel der City Beautiful Bewegung für die Gestaltung schöner Städte zu werben, die die 52 ����������������������������������������������������������������������������������� City of Philadelphia (Hg.), Fourth Annual Message of J. Hampton Moore Mayor of Philadelphia. Containing the Reports of the Various Departments of the City of Philadelphia for the Year Ending December 31, 1923, Philadelphia 1924; The Evening Bulletin Philadelphia (Hg.), The Bulletin Year Book for 1924 and Citizens’ Manual of Philadelphia, Philadelphia 1924. 53 The Evening Bulletin Philadelphia, Bulletin, S. 30. 54 ������������������������������������������������������������������������������������ City of Philadelphia (Hg.), First Annual Message of J. Hampton Moore Mayor of Philadelphia. Containing the Reports of the Various Departments of the City of Philadelphia for the Year Ending December 31, 1920, Philadelphia 1921.

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Grundlage moralischer Städte darstellen sollten.55 Von dieser Intention ist im Selbstverständnis der Art Jury in den 1920er Jahren nur noch wenig enthalten und die Aspekte „fame“ und „money“ sind deutlich in den Vordergrund getreten, ver­mutlich eher auf Betreiben der Wirtschaftselite als auf das der bildenden Künstler. In den Reihen der Wirtschaftselite fanden sich unterdessen durchaus auch reformwillige Personen, doch diese standen in zentralen Entscheidungsfragen der Stadtent­wicklung meist hinter konservativen Persönlichkeiten zurück. In Fragen der Stadtentwicklung waren diese aber vor allem an der Freiheit ihres unternehmeri­schen Handelns interessiert und reagierten recht ablehnend, sobald ihnen durch stärkere Regulierungsmaßnahmen Einschränkungen drohten. So blockierte unter anderem ein Teil der Wirtschaftselite in den 1920er Jahren immer wieder die Bemühungen der Zoning und City Planning Commissons. Diese wollten stärker stadt­planerisch in die Stadtentwicklung eingreifen und funktionsspezifische Stadtzonen schaffen, in denen Lage, Größe und Nutzung von Gebäuden vorge­schrieben sein sollten.56 Seit 1915 stand von staatlicher Seite aus der umfassenden Zonierung von Städten nichts mehr im Wege, allerdings lehnte der City Council die unterbreiteten Vorschläge von den unterschiedlichen Kommissionen immer wieder ab. Der Reformer und managing director der Philadelphia Housing Association (PHA), Bernard J. Newman, identifizierte die Immobilienmakler und großen Bankhäuser Philadelphias als die größte Opposition der Reformbewegung. „The real estate brokers are very much opposed to zoning and certain influential banks are conducting a campaign against it“, schilderte Newman 1923 in einem Schreiben an Lawson Purdy, den leitenden Sekretär der Charity Organization So­ciety in New York. „The town does not to seem to be alive to the significance of the ordinance while selfish interests, especially those who have realty holdings in the center of the city, are exceedingly active against it.“57 Newman fand in den Reihen der Wirtschaftselite Philadelphias aber durchaus auch Mitstreiter. So setzte sich Godfrey Knoos, Jr. als Vertreter der Northwest Business Men’s Association Philadelphia aktiv für eine umfassende Planung und Zonierung der Stadt ein. Knoos sah den Grund für das stetige Scheitern der Reformvorhaben in den auseinan­ derdriftenden Interessen der zahlreichen Assoziationen, die in die Planungs­arbeiten der Zoning und City Planning Commissions einbezogen wur­den. „In reference to my City Planning Ordinance“, beklagte sich Knoos 1926 bei Newman, „an attempt was made to introduce the ordinance but the attack is so well organized to combat any 55 Paul Boyer, Urban Masses and Moral Order in America. 1820–1920, Cambridge 1997. 56 William P. Gest, The Principles of Zoning. Being the Substance of an Adress Delivered Before the Forum of the Philadelphia Chapter of the American Institute of Banking. March 21, 1923 (UA, PamC 125–20), Philadelphia 1923. 57 Schreiben von Bernard J. Newman an Lawson Purdy vom 4.4.1923 (UA, URB 3, Box 30, F. 8, o.N.)

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attempt of Zoning persons, that the only way, that I see is to organize a small committee willing to prepare for battle, then battle.“58 Bis zum New Deal blieben die Bemühungen der Reformer in der Umsetzung einer besseren Stadtplanung auch weiterhin wenig erfolgreich. Die Opposition einflussrei­cher Geschäftsmänner, die geringe Unterstützung durch die verschiede­nen Bürgermeister und die Blockadehaltung des machine-kontrollierten Stadtrates ließen die Pläne der Kommissionen immer wieder scheitern. Der Rückzug der Wirtschaftselite aus politischen Ämtern zu Gunsten der political professionals bedeutete also keineswegs einen Rückzug aus der städtischen Poli­ tik, allerdings verlagerte sich deutlich die Form ihrer Ausübung von Macht.59 Ihre Einbindung in einflussreiche soziale Netzwerke, ein umfangreiches ökonomisches Kapital und vor allem der Faktor, dass zentralen Persönlichkeiten der Wirtschafts­ elite ein solcher Führungsanspruch zugesprochen und ihnen damit ein Freiraum in der Ausübung von Macht ermöglicht wurde, sicherte ihnen hierbei einen weitge­hend undemokratischen Zugriff auf politische Entscheidungen in der Stadt.60

1.2

Die Herrschaft der ‚Experten‘

In Frankfurt am Main driftete unterdessen die bürgerliche Elite im Laufe der zwei­ten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer weiter auseinander. Vereine, die zuvor Ausgangspunkt einer engen Vernetzung der bürgerlichen Schichten gewesen wa­ren, wurden „in immer rascherer Folge […] gegründet und in immer rascherer Folge auch wieder aufgelöst.“61 Das Bürgertum durchlief eine zunehmende Politisie­rung und damit auch parteiliche Spaltung62, auch wenn die Selbstverwal­tung der Stadt weiterhin als 58 Schreiben von Godfrey Knoos, Jr. an Bernard J. Newman vom 16.2.1926 (UA, URB 3, Box 52, F. 302, Bl. 4). 59 �������������������������������������������������������������������������������������� Auch Sven Beckert hat am Beispiel New Yorks deutlich zeigen können, dass sich die Ausübung von politischer Macht durch die business elite New Yorks in erster Linie verlagert hat und nicht als Rückzug aus der Politik zu interpretieren sei. Siehe dazu Beckert, Class. 60 Ebd., S. 204. 61 ������������������������������������������������������������������������������������� Ralf Roth, Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft, 1760–1914, München 1996, S. 578. 62 �������������������������������������������������������������������������������������� Zum Begriff der Politisierung in der Stadtgeschichte siehe Helmuth Croon, Das Vordringen der politischen Parteien im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, in: Helmuth Croon u. a. (Hg.), Kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1971, S. 15–54. Zur Kritik an der Vermengung von asynchronen Teilprozessen mit die­sem Begriff siehe Hans-Walter Schmuhl, Bürgertum und Stadt, in: Peter Lundgreen (Hg.), So­zial- und Kulturgeschichte des Bürgertums. Eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungs­bereichs (1986–1997), Göttingen 2000, S. 224– 248, hier S. 235. Zum Prozess der Parteienbildung in Frankfurt siehe Ursula Bartelsheim,

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politikfreier Raum postuliert wurde und hier insbeson­dere die liberalen Parteien jenseits sonstiger Parteiinteressen intensiv zusammenarbeiteten.63 Mit der zunehmenden Kommunalisierung und der „Errich­tung städtischer Regiebetriebe wie Gas-, Wasserund Elektrizitätswerke, Schlacht- und Viehhöfe, Straßenbahnen und Kanalisationsanlagen wuchsen vor allem die größeren Städte [Deutschlands] zu ausgedehnten Wirtschaftsunterneh­men heran“64, die im Gegensatz zu den größeren amerikanischen Städten selbst die Kontrolle über die infrastrukturellen Entwicklungen übernahmen. In diesem Aufbau eines Munizipal­sozialismus wurden zentrale Entscheidungskompetenzen über die Entwicklung und Gestaltung des städtischen Raumes immer stärker an städtische Verwaltungsbeamte und politische Amtsinhaber gebunden. Diese speis­ten sich anders als in den machine-kontrollierten amerikanischen Städten vor al­lem aus den Reihen des Bürgertums selbst. Erst seit der Jahrhundertwende konnten auch Sozialdemokraten in politische Ämter vordringen und damit die Interessen der Arbeiterschaft vertreten. In Philadelphia wurde die Einbindung arbei­tender Schichten in die städtische Politik wesentlich früher vollzogen und vor allem in den einzelnen wards konnten Personen sozial schwächerer Schichten politische Macht erlangen. Dies gelang nicht allein durch Korruption, sondern vor allem durch den Aufbau von Vertrauen und Anerkennung in ihren unmittelbaren Nachbarschaf­ten. Während unter den „Makers of Philadelphia“ das leadership-Narrativ an Bedeu­ tung gewann, wurde in Frankfurt wie auch in anderen deutschen Städten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend Bildung und insbesondere Fachbildung zum zentralen Kriterium für die Übernahme von Aufgaben in der städtischen Selbst­ verwaltung. „Bürger einer Stadt sein heißt nicht nur die Licht- und Schatten­seiten des Lebens dieser Stadt mehr oder weniger ruhig über sich ergehen lassen“, formulierten 1925 der Syndikus der Industrie- und Handelskammer Prof. Dr. Hans Trumpler und Stadtrat Prof. Dr. Julius Ziehen im Jahrbuch der Frankfurter Bürger­schaft, „sondern es bezieht auch eine ernste und bedeutungsvolle Verpflichtung: die Verpflichtung, an der Entwicklung des Heimatortes verständnisvollen Anteil zu nehmen und an dieser Entwicklung selbsttätig mitzuarbeiten“65. Durch ihr kom­munales Wahlrecht sei allen Bürgern die Möglichkeit geboten, an der Gestal­tung der Stadt Teil zu haben. „Wollen Bürgersinn und Parteiinteresse. Kommu­nalpolitik in Frankfurt am Main 1848–1914, Frankfurt am Main, New York 1997. 63 ��������������������������������������������������������������������������������������� Hans-Walter Schmuhl, Die Herren der Stadt. Bürgerliche Eliten und städtische Selbstverwaltung in Nürnberg und Braunschweig vom 18. Jahrhundert bis 1918, Gießen 1998. 64 ����������������������������������������������������������������������������������� Frank Bajohr, Vom Honoriatorentum zur Technokratie. Ambivalenz städtischer Daseinsvorsorge und Leistungsverwaltung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: ders. (Hg.), Zivilisa­tion und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne, Hamburg 1991, S. 66–82, hier S. 69. 65 Hans Trumpler u. Julius Ziehen, Vorwort der Herausgeber, in: dies. (Hg.), Jahrbuch der Frankfurter Bürgerschaft, Frankfurt am Main 1925, o.S.

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wir aber der soeben bezeichneten Verpflich­tung im vollen Sinne des Wortes Genüge leisten“, setzten die Autoren sofort hinzu, „so muß eine wesentliche und unerläßliche Voraussetzung dafür so gut als möglich erfüllt sein: wir müssen den Problemen der Entwicklung unserer Stadt mit einem gewissen Maße von einschlägigen Kenntnissen gegenüberste­hen, müssen einen Überblick gewinnen über die Fülle der Er­scheinungen, die dem Leben einer Großstadt zu Grunde liegen, müssen im Be­sitz einer ‚Heimatkunde‘ sein, die uns das Leben unseres Wohnortes nach den verschiedensten Seiten hin auf Grund geschichtlicher Betrachtung und fachmännischer theoretischer Belehrung nicht nur äußerlich auffassen, son­dern auch innerlich verstehen läßt.“66

Die Hervorhebung fachlichen Wissens als Voraussetzung für die aktiven Teilhabe an der Gestaltung der Stadt entließ die Frankfurter zwar nicht gänzlich aus ihrer Pflicht, „an der Entwicklung des Heimatortes verständnisvollen Anteil zu neh­men“, forderte aber direkt dazu auf, die aktive Teilhabe mit der Abgabe ihrer Stimme jemandem zu übertragen, ‚der sich damit auskennt‘. Bereits 1867 kommen­tierte die Elberfelder Zeitung die Zusammensetzung der ersten Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, dass in dieser zwar vier fähige Dokto­ren einen Platz gefunden hätten, „der Rest“ aber, „sei Nullen“.67 Kern und Ausgangspunkt dieses Wandels des städtischen Verwaltungsapparates, der in der Forschung häufig unter den Begriff der ‚Professionalisierung‘ sub­sumiert wurde, war insbesondere die Besetzung des Magistrats mit erfahrenen, meist externen Verwaltungsjuristen und -fachleuten68, auch wenn ehrenamtliche Laien für die städtische Selbstverwaltung weiterhin ein zentrales Element blie­ben.69 Gerade die 66 Ebd. 67 Karl Maly, Geschichte der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Band 1. Die Macht der Honorationen, 1867–1900, Frankfurt am Main 1992, S. 33. 68 Einen konzisen Überblick zu den Oberbürgermeistern Frankfurts zwischen 1868 und 1924 gibt erneut Wilfried Forstmann, Frankfurt am Main in Wilhelminischer Zeit 1866–1918, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 349–422, hier S. 369–377. Zur Zusammensetzung des Ma­gistrats siehe Maly, Geschichte, S. 33. Zur Professionalisierung der städtischen Verwaltung in rheinischen Großstädten siehe Friedrich Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung in rheini­schen Großstädten des 19. Jahrhunderts: Zu einem vernachlässigten Aspekt bürgerlicher Herr­schaft, in: ders. (Hg.), Stadt-Geschichten. Deutschland Europa und die USA seit 1800, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 2009a, S. 77–136, hier S. 103–136. 69 So schrieb Ludwig Landmann in seiner Skizzierung der Kommunalpolitik: „Denn nur durch die Wiederherstellung des Selbstverwaltungsrechtes nach außen gegenüber Reich und Staat und durch einen vernünftigen Gebrauch der Selbstverwaltung nach innen unter Heranziehung des eh­renamtlich tätigen Laienelementes aus der Bürgerschaft bekommen

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nach dem ersten Weltkrieg ausbrechende Massenarmut und Wohnungsnot erhöhte den Druck nach professioneller Führung. „Nur mit einem Beamtentum, das insbesondere in seinen führenden Kreisen die besten Köpfe verei­nigt, lassen sich die für den Wiederaufstieg der Gemeinden unerlässliche Höchstleistungen erzielen“, schrieb 1925 der Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann.70 Zwischen 1867 und 1912 hatte Frankfurt 34 bezahlte Magist­ratsmitglieder, von denen 23 in den Rechtsoder Geisteswissenschaften promoviert hatten. 21 kamen dabei nicht aus Frankfurt und 1912 fanden sich sogar nur noch drei gebürtige Frankfurter auf bezahlten Magistratsposten. 13 der bezahl­ten Magistratsmitglieder sind dabei direkt aus anderen Städten abgeworben wor­den.71 Von einer gänzlichen Ablösung der Honoratioren kann aber, wie gesagt, nicht die Rede sein, zu rege blieb deren soziales und kulturelles Engagement, auch noch in der Weimarer Republik. Und so finden sich unter den 38 unbezahlten Ma­gistratsmitgliedern, die zwischen 1867 und 1912 amtierten, 32 gebürtige Frankfurter (vorwiegend Kaufleute) mit meist nur geringer administrativer Erfah­rung.72 Die Kaufleute Frankfurts dominierten quantitativ im gesamten 19. und frühen 20.  Jahrhundert das städtische Bürgertum, was durchaus dem Charakter und vor allem der Charakterisierung Frankfurts als Handelsstadt und „Mutter aller Kauf­ mannsgewerbe“73 entsprach. Mit dem Erstarken des Bürgertums wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Patriziat, das um 1870 schließlich „so gut wie ver­schwunden“ 74 war, durch bürgerliche Juristen als die politisch dominanten Ak­teure abgelöst.75 „Nach wie vor“, schätzte allerdings Ralf Roth ein, könne „nicht davon ausgegangen werden“, dass diese Juristen „innerhalb der bürgerlichen Elite eine dominante Stellung innegehabt hätten, denn die größte geschlossene Gruppe bildete immer noch das Handelsbürgertum.“76 Der begrenzte Einfluss der bürgerli­chen Juristen im Frank-

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wir die Mittel an die Hand, den Gesundungsprozeß der Gemeinden und damit des Staates zu fördern.“ (Ludwig Landmann, Grundzüge der Kommunalpolitik, in: Hans Trumpler u. Julius Ziehen (Hg.), Jahr­buch der Frankfurter Bürgerschaft, Frankfurt am Main 1925.). Dies betont auch Schmuhl, Bür­gertum, S. 236. Ludwig Landmann, Grundzüge, o.S. Martin Herbert Dodge, The Government of the City of Frankfort-on-the Main, New York 1920, S. 43. Ebd., S. 45–46. Otto Ernst Sutter, Die Frankfurter Internationalen Messen, in: Hans Werner-Rades (Hg.), Stadt­almanach Frankfurt a. Main 1921, Frankfurt am Main 1921, S. 7–11, hier S. 7. Roth, Stadt, S. 523. Zum „Niedergang des adeligen Patriziats” siehe auch Rainer Koch, Grund­lagen bürgerlicher Herrschaft. Verfassungs- und sozialgeschichtliche Studien zur bürgerlichen Gesellschaft in Frankfurt am Main (1612–1866), Wiesbaden 1983. Ebd., S. 331 und 333. Roth, Stadt, S. 368–369.

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furter Bürgertum zeigt sich insbesondere auch darin, dass sich unter den bürgerlichen Mäzeninnen und Mäzenen der Stadt, die sich selbst meist nur geringfügig politisch engagierten, nur sehr wenige Juristen fanden.77 Für die Großkaufleute, Bankiers und Fabrikanten war das Mäzenatentum jedoch eine Möglichkeit, sich gestaltend in die Entwicklung Frankfurts einzubringen, „ohne sich den Mühen der Übernahme politischer Mandate auszusetzen.“78 Die domi­nante Stellung des Handelsbürgertums blieb unterdessen nicht unangefochten. Seit den 1870er Jahren war der Aufstieg der Bankiers und Fabrikanten zügig vorange­schritten und 1910 fanden sich unter den 552 in der Stadt lebenden Millionären immerhin 202 Bankiers und 64 Fabrikanten, während die Großkaufleute mit 126 Millionären nur noch die „Mitte“ der ökonomischen Spitze darstellten.79 Die Spaltung zwischen unpolitischen Mäzenen und einer immer stärker regulie­ rend wirkenden Stadtverwaltung resultierte im Gegensatz zur Entwicklung in Philadelphia nicht in einer grundlegenden normativen Trennung dieser beiden Sphären, auch wenn sich nach dem ersten Weltkrieg die bürgerlichen Mäzene im­mer weiter aus dem städtischen Kulturbetrieb zurückzogen.80 Mit Personen wie dem Oberbürgermeister Adickes, dem Bankier und Stadtverordneten Leopold Sonnemann oder dem Fabrikanten Wilhelm Merton traten in Frankfurt immer wieder Persönlichkeiten in Erscheinung, die mäzenatische Aktivitäten bündelten und sich federführend für spezifische Projekte mit den Staatsbehörden auseinander­setzten.81 Diese Kooperationen von städtischer Selbstverwaltung und bürgerlichen Mäzenen brachte zentrale Einrichtungen der Frankfurter Kulturland­schaft hervor, wie die Frankfurter Stiftungsuniversität oder den Städelschen Muse­umsverein, führte jedoch auch immer wieder zu grundlegenden Konflikten über Zuständigkeitsbereiche in der Gestaltung und Kontrolle des städtischen Raumes. Einen Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen in den Jahren unmittel­bar vor dem ersten Weltkrieg zwischen der von dem Industriellen Wilhelm Merton ins Leben gerufenen Centrale für private Fürsorge und dem Leiter des Waisen- und Armenamtes, Stadtrat Dr. Karl Flesch. Der Konflikt führte soweit, dass Karl Flesch den Kontakt mit der Centrale, die sich um die Organisation der freien Für­sorge Frankfurts bemühte, abbrach und als Beirats77 Ralf Roth, „Der Toten Nachruhm“. Aspekte des Mäzenatentums in Frankfurt am Main (1750–1914), in: Jürgen Kocka u. Manuel Frey (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhun­dert, Berlin 1998, S. 99–127, hier S. 112. 78 Ebd., S. 115. 79 Roth, Stadt, S. 577. 80 Gudrun-Christine Schimpf, Geld Macht Kultur. Kulturpolitik in Frankfurt am Main zwischen Mäzenatentum und öffentlicher Finanzierung 1866–1933, Frankfurt am Main 2007. 81 Roth, Toten, S. 113.

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mitglied aus der Vereinigung zurücktrat.82 Spätere Versuche der Centrale, die Zusammenarbeit wieder aufleben zu lassen, wurden von Flesch als „gut gemeint, aber nicht erforderlich“83 abge­lehnt. Diese Eiszeit zwischen der öffentlichen und privaten Fürsorge begann erst nach dem Tod Karl Fleschs und Wilhelm Mertons in den Jahren 1915 und 1916 langsam zu tauen, nicht zuletzt, weil der Centrale mit dem Tod ihres Gründers die finanzielle Grundlage wegbrach. Der grundlegende Konflikt wurde jedoch noch in den 1920er Jahren weiter ausgefochten. Die Forderung nach einer professionellen Stadtverwaltung zeichnete sich nicht nur in Frankfurt, sondern auch in den meisten anderen deutschen Großstädten ab, zwar in unterschiedlichem Tempo, dennoch stetig voranschreitend.84 Einherge­hend mit dieser Professionalisierung wurde insbesondere seit der Jahrhundert­wende auch der fachliche Austausch der städtischen Selbstverwaltungen immer weiter ausgebaut. Wichtigste Plattform dieses Austausches war der im Jahr 1905 gegründete Deutsche Städtetag, der aus der Deutschen Städteausstellung in Dresden zwei Jahre zuvor erwachsen war.85 Der systematische Austausch und die damit einhergehende regelmäßige Selbstrepräsentation der Städte brachten diese, ganz ähnlich der internationalen Rivalität der ‚Weltstädte‘, in eine direkte Konkur­renzsituation, in der die Handlungen der städtischen Selbstverwaltungen einer zwischen­städti­sch­en Beobachtung unterlagen. Gerade Städte wie Frankfurt am Main, die immer wieder ihre regional führende Position betonten, wurden so in den Zugzwang gestellt, sich und ihre professionelle Stadtverwaltung zu beweisen. In Philadelphia tauschten sich zwar auch lokale Experten mit denen anderer Städte intensiv aus, gingen auf Studienreisen und veranstalteten Tagungen und Kon­gresse, doch waren es vor allem Experten der progressive movement, die diese Anstrengungen unternahmen, und diese hatte wiederum nur wenig Einfluss auf die politischen Entscheidungsstrukturen der städtischen Verwaltung. Die zwischen­städtische Konkurrenz, die von der unpolitischen upper-class geführt wurde, bezog sich dagegen meist auf Aspekte wie die Größe und Pracht städti­scher Parkanlagen und Kulturinstitutionen, und weniger auf die Effektivität der städtischen Verwaltung. Diese war in New York bekanntermaßen ähnlich korrupt, wie in Philadelphia, denn auf den zentralen Posten der städtischen Administration saßen in Philadelphia nur selten die richtigen Fachleute. Das feh-

82 ����������������������������������������������������������������������������������� Schreiben von Karl Flesch an die Centrale für private Fürsorge vom 16.12.1911 (Konzept) (FWA 797, Bl. 108). 83 Schreiben von Karl Flesch an Wilhelm Polligkeit vom 10.7.1912 (Konzept) (FWA 797, Bl. 148). 84 Lenger, Bürgertum a, S. 104–109. 85 ��������������������������������������������������������������������������������������� Hermann Beckstein, Städtische Interessenpolitik. Organisation und Politik der Städtetage in Bayern Preussen und dem Deutschen Reich 1896–1923, Düsseldorf 1991.

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lende Know How der „dienstbaren Dilettanten“86 aus den Reihen der politischen Maschine wurde hierbei nach Bedarf durch private Expertisen eingeholt.87 Auch wenn in der For­schung zeitweise argumentiert wurde, dass trotz aller korrupten Strukturen die amerikanischen Städte die Herausforderungen der Moderne bewältigt hätten, hatte diese Besetzungspolitik in kritischen Zeiten teilweise katastrophale Auswirkun­gen. So war Wilmer Krusen, Leiter des Department of Public Health and Charities zur Zeit der spanischen Grippe im Jahr 1918, zwar Gynäkologe, hatte aber keiner­lei Erfahrung in der städtischen Gesundheitsvorsorge. In sein Amt war er vor al­lem auf Grund seiner Treue zur republikanischen Maschine gekommen.88 Trotz aller Vorwarnungen ignorierte und verharmloste Krusen lange Zeit die Gefahren der Krankheit, bis allein im Oktober 1918 annähernd 13 000 Menschen der Grippe­ welle zum Opfer gefallen waren, und damit mehr als in den meisten ande­ren amerikanischen Städten.89 Unterdessen brachte die in Frankfurt an Bedeutung gewinnende Forderung nach fachlich ausgebildeten Kräften, die die städtische Selbstverwaltung dominieren sollten, verschiedene Gruppierungen der städtischen Gesellschaft in Bedrängnis, von der nach Machtbeteiligung strebenden Arbeiterbewegung, über privat enga­gierte Bürgerinnen und Bürger, bis hin zum offiziellen Verwaltungsapparat selbst. Von Seiten der Arbeiterbewegung konnten die Forderungen nach fachlicher Bil­dung durchaus als Provokation verstanden werden. So verwundert auch der aggres­sive Tonfall des Dachdeckers und sozialdemokratischen Stadtverordneten Theodor Thomas in seinem Artikel zur Akademie der Arbeit aus dem Jahr 1925 kaum: „Gerade in diesen Tagen“, so Thomas, „zeigt sich, daß Kapitalismus und Demokratie, Kapitalisten und Proletarier einander immer noch in Todfeindschaft gegenüberstehen.“ Die Sklaverei sei zwar abgeschafft, aber der Unternehmer sei „heute noch Herr über seine ‚freien Arbeiter‘.“ Dies gelte

86 ��������������������������������������������������������������������������������������� Friedrich Lenger, Großstädtische Eliten vor den Problemen der Urbanisierung. Skizze eines deutsch-amerikanischen Vergleichs 1870 bis 1914, in: ders. (Hg.), Stadt-Geschichten. Deutsch­land Europa und die USA seit 1800, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 2009b, S. 174–201, hier S. 179. 87 Zu Frankfurter Verwaltungsentwicklung siehe die konzise Darstellung bei Forstmann, Frankfurt, S. 378–379. Zur Entstehung einer „Technokratie“ siehe auch Bajohr, Vom. Zur Rolle von Exper­ten in den Reihen der städtischen Elite am Beispiel New Yorks siehe David C. Hammack, Power and society. Greater New York at the Turn of the Century, New York 1982. 88 John M. Barry, The Great Influenza. The Story of the Deadliest Pandemic in History, London 2005, S. 199. 89 Alfred W. Crosby, America's Forgotten Pandemic. The Influenza of 1918, Cambridge 2003.

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„auch auf dem Gebiete der Bildung und des Wissens. Die wirtschaftlich Stär­keren haben sich hier immer in einer Vorzugsstellung befunden. Gymna­sien, Hochschulen, Akademien, Universitäten sind dem Nichtbesitzenden ver­schlossen, sie bilden Monopole derer, die uns auch wirtschaftlich beherrschen.“90

Das Vorstoßen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in die städtische Ver­ waltung gelang in Frankfurt recht früh und bereits 1900 „zog mit Max Quarck der erste sozialdemokratische Stadtverordnete in das bürgerliche Parlament ein“91. Max Quarck stammte jedoch selbst nicht aus den Reihen der Arbeiterschaft, sondern war bürgerlicher Akademiker.92 Doch trotz dieses Erfolges, den die SPD in den folgenden Jahren zunehmend ausweiten konnte und mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts zur stärksten politischen Partei der 1920er Jahre in Frankfurt avancierte, behielt der Verwaltungsapparat eine bürgerliche Prägung.93 Auch das Regiment des Arbeiter- und Soldatenrates im Jahr 1918 tat dieser Prä­g ung keinen Abbruch und die städtische Verwaltung überstand erstaunlich stabil diese unruhige Zeit. Der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung waren in den Wirren des Kriegsendes zügig auf die Forderung des Arbeiter- und Soldaten­rates eingegangen, diesen als „höchste Vertretung der Stadt“ anzuerken­nen. Doch in der Folgezeit traute sich der Rat weder die Kommunalverfassung, noch am Personal der städtischen Dienststellen etwas zu ändern. Allein den Dezernenten der einzelnen Verwaltungsabteilungen wurden Gesandte des Arbeiterrates zur Überwachung ihrer Arbeit zur Seite gestellt. Dies war den Dezernenten nicht ganz unwillkom­men, da so die Verantwortung in der schwierigen Nachkriegszeit nicht allein auf ihren Schultern lastete. Gerade in Bereichen, in denen es in erster Linie um zentrale Versorgungsleistungen und nicht um eine direkte Ausübung von Macht im Stadtraum ging, blieb der Handlungsspielraum der Amtsinhaber weitge­hend unangetastet oder wurde sogar ausgeweitet, „in dem Bewußtsein, daß die Versorgung der Bevölkerung wesentlich vom Funktionieren der Verwaltung ab­hing.“94 „Die jahrzehntelange Selbststilisierung“ dieser Verwaltungsbeamten „als unpolitische ‚Fachleute‘“, urteilte der Historiker Frank Bajohr, „vermochte

90 Theodor Thomas, Die Akademie der Arbeit, in: Hans Trumpler u. Julius Ziehen (Hg.), Jahrbuch der Frankfurter Bürgerschaft, Frankfurt am Main 1925, S. 81–84, hier S. 81. 91 Roth, Stadt, S. 623. 92 Ausführlich zur Karriere von Max Quarck siehe Kai Gniffke, Genosse Dr. Quarck. Max Quarck – Publizist Politiker und Patriot im Kaiserreich, Frankfurt am Main 1999. 93 ����������������������������������������������������������������������������������� Schimpf, Geld, S. 71–79; Dieter Rebentisch, Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918–1945, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 423–519, hier S. 434–438. 94 Rebentisch, Frankfurt, S. 425–427. Zitat auf Seite 427.

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offen­bar die vielfach unerfahrenen örtlichen Repräsentanten der Arbeiterbewegung nachhaltig zu beeindrucken.“95 Aber auch bürgerliche Gruppierungen, die engagiert an der städtischen Selbstver­ waltung mitwirkten, sahen sich im Kontext der Professionalisierung einem wachsen­ den Anspruch und damit auch einer wachsenden Erwartungshaltung an sie ausgesetzt. So war überhaupt nicht klar, was eine ausreichende fachliche Bildung zur direkten Teilhabe an der Gestaltung und Kontrolle des Stadtraumes eigentlich sein sollte. Besonders prekär wurde diese Frage in den Bereichen, in denen es auch noch keine etablierten und ausreichend zur Verfügung stehenden Ausbildungswege gab. Insbesondere um die fachliche Ausbildung der leitenden Angestellten des städtischen Fürsorgesystems wurde eine leidenschaftliche De­batte geführt. So veröffentlichte am 26.2.1928 das Frankfurter ‚Stadtblatt‘ einen Leserbrief, der angeblich aus den Kreisen der Fürsorgerinnen stammte, in dem es hieß: „Obwohl ein Ministerialerlass vor Jahren den Gemeinden die Anstellung staatlich anerkannter Wohlfahrtspflegerinnen empfiehlt, ist es Tatsache, daß Frankfurt mangelhaft ausgebildete Fürsorgerinnen beschäftigt. Nahezu die Hälfte der mehr als hundert Fürsorgerinnen ist, außer durch diesen Schnell­kurs, weder vorgebildet noch ausgebildet. Durch Zufall in die Wohlfahrtsar­beit hineingeraten, jahrelang bei den betreffenden Aemtern beschäftigt und da­durch zur Teilnahme am Schnellkurs berechtigt, sind die Betreffenden nun, nach absolviertem Kurs, sogar nach Gehaltsgruppe i (alte Gruppe) beför­dert worden. […] Kräfte, denen obige gründliche Ausbildung und selbst auch nur die Praxis in der Familienfürsorge fehlt, sollen nun in Frankfurt als Familienfürsorgerinnen beschäftigt werden. Man stellt sie vor eine Aufgabe, der sie einfach nicht gewachsen sein können. Andernorts wür­den diese Kräfte als soziale Hilfsarbeiter zur Unterstützung der Bezirks-Fami­lien­für­sor­ger­in beschäftigt, jedoch nicht zur leitenden Arbeit.“ 96

In den Reihen der Fürsorgerinnen und Fürsorger hatte dieses Schreiben „eine durch­aus begreifliche und berechtigte Empörung hervorgerufen“97, wie der Beam­ tenausschuss des Wohlfahrtsamtes und Jugendamtes an die Amtsleitung des städti­ schen Jugend- und Wohlfahrtsamtes am 1.3.1928 schrieb. Gerade die Fürsorgerinnen ohne Seminar hätten in der Nachkriegszeit Pionierdienst geleistet. Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung des Schreibens hatte die Beamtenschaft des Fürsorgeamtes eine Vollversammlung einberufen, auf der sie ihre „Erbitterung und Empörung” zum 95 Bajohr, Vom, S. 77. 96 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 26.2.1928 (FWA 190, Bl. 127). 97 Dieses und unmittelbar folgende Zitate aus dem Schreiben des Beamtenausschuss des Wohlfahrts­amtes und Jugendamtes an die Amtsleitung des städtischen Jugend- und Wohlfahrts­amtes vom 1.3.1928 (FWA 190, Bl. 126).

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Ausdruck brachten. „Angesichts der Stimmung, die der Auf­satz in den Kreisen der Fürsorger und Fürsorgerinnen hervorgerufen hat, und im Interesse der für unsere Arbeit dringend erforderlichen Einigkeit unter der gesam­ten Beamtenschaft“, baten „die unterzeichneten Unterausschüsse die Amtslei­tung“, dem Wunsch der Vollversammlung nachzukommen und einen Gegenauf­satz zu verfassen. Die Forderung nach einer professionellen Ausbildung der Fürsorgerinnen und Fürsorger war nun kein Phänomen, das sich auf Frankfurt oder auf deutsche Städte beschränkte. Auch in der privaten Fürsorge Philadelphias gehörte die professionelle Ausbildung der Sozialarbeiter zu den Grundforderun­gen der größeren und besser organisierten privaten Fürsorgeverbänden der Stadt, allerdings wurde diese Forderung vor allem in den Reihen der Fürsorgeorganisatio­nen selbst diskutiert und erreichten niemals den Rang einer in der Tagespresse offen geführten Debatte.98 Eines der Grundprobleme der städtischen Verwaltung Frankfurts war nun, dass so viele Fachleute, wie rein theoretisch gebraucht wurden, um dem selbst formulier­ten Anspruch gerecht zu werden, gar nicht existierten. Die umfassenden Reformie­rungen der städtischen Verwaltung schuf nicht nur neue Tätigkeitsfelder, für die noch keinerlei Ausbildungswege existierten, sondern erhöhte auch den Personalbedarf nach Menschen, die für diese äußerst schwierigen Aufgaben geeig­net waren. Nicht jeder konnte und wollte in eine Stellung, in der eine direkte Kon­frontation mit sozialer Not zur täglichen Arbeit gehörte. Dies war in den 1920er Jahren nur allzu häufig der Fall, vor allem in den Bereichen des Wohl­fahrts- und Wohnungsamtes, in denen sich die Mitarbeiter, die im direkten Kon­takt mit dem Publikum standen, stetigen Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt sahen. Aus der Forderung nach Professionalität erwuchs eine in der Tagespresse immer wieder zum Ausdruck gebrachte Erwartungshaltung, dass es in einem profes­sionell geführten Verwaltungsapparat auch gerecht und professionell zu­gehen müsse. Da aber der städtische Verwaltungsapparat zum einen mit kriegs­versehrten und nervenleidenden Beamten durchsetzt war und für die nachkommende Generation erst Ausbildungswege geschaffen werden mussten, ging es in den stetig reformierten Ämtern der städtischen Verwaltung alles andere als reibungslos zu, auch wenn in der Amtsführung eine hochgebildete Fachkraft saß. Im Aufeinanderprallen von Anspruch und Wirklichkeit in der täglichen Ar­beit kam es daher auch immer wieder zu öffentlichen Eklats. Dieses Aufeinander­prallen erhielt nun in der sozialen Fürsorge eine besondere Schärfe, da hier ein System, das zum 98 ������������������������������������������������������������������������������������� Einen zentralen Beitrag zu den Diskussionen um die Professionalisierung der Sozialarbeiter in Philadelphia lieferte Forrester B. Washington von der Armstrong Association of Philadelphia auf der Third All-Philadelphia Conference on Social Work vom 3. bis 5.3.1925. Siehe dazu Forrester B. Washington, What Professional Training Means to the Social Worker, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 121. 1925, S. 165–169.

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einen ganz wesentlich auf ehrenamtlichem Engagement beruhte und zum anderen seine Motivation aus dem Ideal der ‚freien Liebestätigkeit‘ speiste, auf eine Forderung traf, die genau diese Grundlagen in Frage stellte.99 Denn der ‚freien Liebestätigkeit‘ haftete in den Augen der städtischen Fürsorge, auch schon vor dessen sozialdemokratischer Leitung, immer etwas Willkürliches an, was dem neuen Ideal vom Recht der Armen auf Unterstützung grundlegend widersprach.100 Der immer komplexer werdende Verwaltungsapparat, der dem städtischen Fürsorge­system und der gesamten städtischen Administration zu Grunde lag, wurde unterdessen stetigen Reformen unterzogen, in denen nicht einmal die versier­testen Verwaltungsbeamten einen Überblick behalten konnten. So wurden allein im April 1927 den Mitarbeitern des Wohlfahrtsamtes 70 neue Einzelanwei­sungen in Rundverfügungen zugestellt, wie sie in einzelnen Fällen die rechtlichen Vorgaben anzuwenden hätten, Mitarbeitern, die ohnehin schon vollkommen über­arbeitet waren und stetig zwischen den Abteilungen querversetzt wurden.101 Der Anspruch, mit dieser Regulierungswut mehr Gerechtigkeit zu schaffen, wurde unterdessen ungebrochen aufrecht erhalten. Diese Bürokratisierung, die die For­schung zu Recht als einen der zentralen Prozesse der ‚Modernisierung‘ in Deutschland identifiziert hat, wurde für das private bürgerliche Engagement zu einem immer gravierenderen Problem, denn Initiativen, die sich auf einer privaten Basis aktiv in die Kontrolle und Gestaltung des städtischen Raumes einbrachten, wurden von der städtischen Verwaltung äußerst misstrauisch beäugt. So provo­zierte die Gründung einer Nachbarschaftshilfe in der Rothschildallee im Dezember 1923 die skeptische Nachfrage des Polizei-KanzleiInspektors Zens beim Wohlfahrtsamt: „Vor Kurzem haben sich die Bewohner verschiedener Straßen, beispiels­weise der Rothschild-Allee und der Gaustrasse zusammengetan, um durch ge­meinsame Hilfe die Not der Hilfsbedürftigen ihrer Strasse zu lindern und die Genehmigung nachgesucht, durch Ver99 ���������������������������������������������������������������������������������� Konzise fasste diesen Wiederspruch jüngst Marcus Gräser zusammen. Vgl. Marcus Gräser, Wohl­fahrtsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat. Bürgerliche Sozialreform und Welfare State Building in den USA und in Deutschland 1880–1940, Göttingen 2009, S. 235. 100 Mit dem Reichsgesetzes über den Unterstützungswohnsitz vom 6.6.1870 und dem für Preußen erlassenen Ausführungsgesetz vom 8.3.1871 wurde dieses Recht der Armen auf Unterstützung auch in Frankfurt eingeführt. Dort wurde es maßgeblich von Karl Flesch in seiner Position als Leiter des Armenamtes vorangetrieben. Vgl. dazu Karl Flesch u. Heinrich Bleicher, Beiträge zur Kenntnis des Armenwesens in Frankfurt am Main und zur Armenstatistik. Nebst einem Ver­zeichnis der daselbst bestehenden Armenstiftungen, Frankfurt am Main 1890. sowie die Ar­beit von Hans K. Weitensteiner, Karl Flesch – Kommunale Sozialpolitik in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1976. 101 Zu den Rundverfügungen siehe die Akte „Rundverfügungen des Wohlfahrtsamtes“ (FWA 1.138).

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anstaltung öffentlicher Sammlung die Mittel hierzu herbeischaffen zu dürfen. […] Es steht zu erwarten, dass die Bewohner anderer Strassen dieses Beispiel nachahmen werden. Ich ersu­che ergebenst um möglichst baldgefällige Mitteilung, welche Stellung grund­sätzlich zu diesen Organisationen dort eingenommen wird und ob nicht schließlich bei einem Ueberhandnehmen dieser Sonderunternehmen die allgemeine Wohlfahrtsorganisation gestört bezw. geschädigt wird.”102

Das Wohlfahrtsamt und vor allem dessen Leiter, der sozialdemokratische Bürger­ meister Gräf, standen der freien Entfaltung der Straßennotgemeinschaften tatsäch­ lich äußerst skeptisch gegenüber und er befürchtete eine ungerechte Verteilung der so frei werdenden Hilfsmittel, von denen vor allem die ärmeren Straßenzüge der Stadt kaum würden profitieren können. Auf einer Versammlung der ehrenamtli­chen Bezirksvorsteher des Wohlfahrtsamtes und der privaten Fürsorge im Januar 1924 bekannte sich Bürgermeister Gräf „als Anhänger der zentralistischen Me­thode und der zentralen Sammlung von der aus nach einheitlichen Richtlinien auch die Verteilung erfolgen“ könne. „Doch […] der Lokalpatriotismus der einzel­nen Stadtteile [müsse] im Interesse der Sache wohl berücksichtigt werden“, wes­halb Gräf eine Ausweitung der Straßennotgemeinschaften auf Bezirksnotgemein­schaften „als das kleinere von 2 Uebeln“103 bezeichnete. Diese Ausweitung hätte unter anderem die Einbindung der sich rasant ausbreitenden Notgemeinschaften in die bestehenden und von der Stadt angeführten Strukturen der öffentlichen Für­sorge zur Folge gehabt und würden sich somit auch wieder der regulierenden Auf­sicht des städtischen Wohlfahrtsamtes unterstellen. Da die Grundidee der Straßennotgemeinschaften war, der „Organisationswut vergangener Jahre“ zu begegnen, die „den Menschen von seiner Arbeit, seinem Werke getrennt, das Leben­dige ertötet und das Persönliche versachlicht“104 habe, wurde diese Idee den führenden Trägern der Notgemeinschaften nur mit wenig Begeisterung zur Kennt­nis genommen und auch weitgehend ignoriert. Mit der Umstrukturierung der direkten Machtkompetenzen verlagerten sich somit auch die Wege, in denen sich privat agierende Bürger aktiv in die Kontrolle und Gestaltung des Stadtraumes einbrachten. Bürgerliche Mäzeninnen und Mäzene zogen sich nach dem ersten Weltkrieg nicht nur aus dem Kulturbetrieb der Stadt zurück, weil ihnen die eigenen finanziellen Mittel weggebrochen waren, sondern auch, weil sich die Stadt selbst mehr und mehr im Kulturbereich engagierte. Damit wur-

102 Schreiben des Kanzlei-Inspektors Zens im Auftrag des Polizeipräsidenten an den Magist­ rat/Wohlfartsamt vom 4.12.1923 (FWA 398, Bl. 3). 103 Bericht über die am 30. Januar 1924 im Bürgersaal stattgefundenen Versammlung der ehrenamt­lichen Vorsteher und der priv. Fürsorge (FWA 398, Bl. 15). 104 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 15.3.1924 (FWA 398, Bl. 40).

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den zunehmend Teilbereiche dieses Betriebes als genuin kommunal angesehen.105 Bürgerliche Eigeninitiativen entfalteten sich nun zumeist in den Berei­chen, in denen Defizite der städtischen Selbstverwaltung erblickt wurden. Neben den Straßennotgemeinschaften, auf die später noch näher eingegangen werden soll, gehörten zu solchen Initiativen auch die Gründung des Bundes der tätigen Altstadtfreunde im Jahr 1922 unter der Leitung des Kunsthistorikers Fried Lübbecke. Im Kontext von Massenarmut und Wohnungsnot in den 1920er Jahren hatte die Stadt schon recht früh vor den Herausforderungen der Altstadt, die sich spätestens seit der preußischen Annektierung zum Elendsviertel Frankfurts ent­wickelt hatte, kapituliert und konzentrierte seine Wohnungsbauinitiativen vor al­lem auf Siedlungskolonien am Rande der Stadt, von denen vor allem die Bauten Ernst Mays Berühmtheit erlangten.106 Die Elendsquartiere der Altstadt, von denen viele meinten, dass sie nur noch „mit der Spitzhacke zu heilen“107 wären, wurden entweder ignoriert oder sollten abgerissen werden, was den Anwohnern ganz und gar nicht gefiel und sie auf ihrem Wohnsitz in den verwinkelten Gassen beharrten. Da aber die Stadt ohnehin meist kein Geld für aufwendige Abrissarbeiten hatte, blieben weite Teile der Altstadt vor der Abrissbirne verschont und erst die Zerstö­rungen durch den Zweiten Weltkrieg schaffte in dieser Streitfrage recht deutliche Tatsachen. Der Bund tätiger Altstadtfreunde organisierte Sammlungen für notlei­dende Kinder der Altstadt, versuchte Prostituierte aus ihr entfernen zu lassen, rich­tete Fassaden der Altstadthäuser wieder her und erstellte umfassende Studien für eine künftige Altstadtsanierung. Vor allem bei den kommunistischen Abgeordne­ten stieß das Gebaren des Bundes unterdessen immer wieder auf Ablehnung. Als 1925 der Magistrat dem Bund die Räume der Stadtverordnetenversammlung für einen Maskenball zu Gunsten der Altstadtsanierung zur Verfügung gestellt hatte, machte sich in der Stadtverordnetenversammlung in den Reihen der Opposition Empörung breit und insbesondere der kommunistische Stadtverordnete Lang bean­standete das „symptomatische Verhalten“ der „herrschenden Schichten“, tan­zen zu gehen, um sich anschließend zu sagen, wie wohltätig man gewesen sei. Solche Feste schärften die Krassen Gegensätze der Klassen und führten den Arbei­tern vor Augen, „wie die besitzenden Schichten und ihre Nachtraben und Zuhälter sich amüsieren“, „während die Arbeiter in den Löchern der Altstadt unwür­dig hausen“ müssten. Neben den allgemeinen Vorbehalten gegen den bürger­lich geprägten Bund der Altstadtfreunde, frappierte den kommunistischen Vertreter unter anderem die Tatsache, dass die würdevollen Räume der Stadtverord­netenversammlung für solche „Neppereien“ überhaupt zur Verfügung gestellt würden, zumal die Räumlichkeiten 105 Schimpf, Geld, S. 429f. 106 Vgl. Martin Ebert (Hg.), Das Neue Frankfurt. Der soziale Wohnungsbau in Frankfurt am Main und sein Architekt Ernst May, Weimar 2008. 107 Rebentisch, Frankfurt, S. 497.

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zuvor der kommunistischen Partei für eine Parteisitzung nicht zur Verfügung gestellt worden waren, mit dem Hinweis, dass man Beschädigungen fürchte.108 Während also in Philadelphia leadership zum zentralen Kompetenzmerkmal in der Übertragung von Machtpositionen in der Gestaltung der Stadt wurde, war es in Frankfurt am Main der erfahrene und (aus)gebildete Fachmann, der diesen An­spruch für sich geltend machte. Fachliche Bildung blieb für die Benennung zum leader in Philadelphia zweitrangig, ob in Schlüsselpositionen der städtischen Ver­waltung, oder in der politischen Führerschaft kleinerer Stadtdistrikte. Wirtschaft­licher Erfolg, herausragendes Engagement und persönliche Ausstrahlung waren von wesentlich grundlegenderer Bedeutung. So war der von 1924 bis 1928 amtie­rende Direktor des Department of Public Welfare Charles H. Grakelow in wirt­schaftlichen und sozialen Bereichen zwar äußerst engagiert und in insgesamt 58 Gesellschaften vertreten, dazu Leiter der Philadelphia Lodge of Elks und führen­des Mitglied einer Reihe anderer Bruderschaften, verdiente sein Geld vorher aber vor allem im Blumenhandel.109 Als die Besetzung der Direktorenposten der Depart­ments of Public Welfare und Public Safety zur Debatte standen, wurde er, als einer der engsten Freunde und Vertrauten des frisch gewählten Bürgermeisters W. Freeland Kendrick, in der Presse für beide Posten als Spitzenkandidat gehan­delt. Auf Nachfrage nach den kursierenden Gerüchten antwortete Grakelow dem ‚Philadelphia Evening Bulletin‘: „Ask Mr. Kendrick. I’ll do anything he says, but he’ll do the announcing.“110 Ob Grakelow auf Basis seines persönlichen Werde­ganges für eine der beiden Positionen geeignet war, spielte unterdessen in der medi­alen Berichterstattung keine Rolle, gerühmt wurde dagegen sein umfassendes und erfolgreiches Engagement in Wirtschaft und Gesellschaft. Ganz ähnlich ver­hielt es sich mit den lokalen leadern einzelner Wahldistrikte. Der Soziologe John Thomas Salter beschäftigte sich in den 1920er und 30er Jahren intensiv mit der Machtbasis dieser lokalen leader Philadelphias und führte hierzu zahlreiche Gesprä­che mit Funktionären der politischen Maschine und deren Unterstützern. „Why is Billy Campbell a great leader?“, fragte er den irischen Wardpolitiker Timothy Flanahan zu seinem alten Mentor, den leader des Hafenarbeiterdistrikes Richmod. „He knows his people by the first name“, anwortete Flanahan, „has an open door and office down there that anybody can go to.“ Ansonsten sei Campbell kein besonders gebildeter Mann. „He didn’t even graduate from grammar school. He is a

108 Diese und vorhergehende Zitate des Stadtverordneten Lang aus den Band: Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Frankfurt am Main. Band 58, hg.  v. Büro der Stadtverordneten-Versammlung, Frankfurt am Main 1926, S. 290–294. 109 The Evening Bulletin vom 19.11.1923. 110 Ebd.

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Who makes the town we live in?

self-made man.“111 In Frankfurt hätten diese Qualifikationsmerkmale kaum dazu ausgereicht, jemanden in eine leitende Position zu befördern, und die Zurückhaltung des Arbeiter- und Soldatenrates bei der Veränderung des Personals in der städtischen Verwaltung macht deutlich, dass auch diese sozialen Schichten größten Respekt vor den ‚Experten‘ dieses komplexen Apparates hatten.

111 Alle Zitate aus Salter, Boss, S. 115–116.

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Strukturen der sozialen Kontrolle

Die soziale Fürsorge ist einer der zentralen Bereichen der Kontrolle des städti­schen Raumes, denn in der sozialen Fürsorge kumulieren sich die Ängste der so­zial abgesicherten Schichten vor dem gesellschaftlichen und damit eigenen Nie­dergang mit den zumeist christlich geprägten Wunschvorstellungen einer gelebten Nächstenliebe. Beide münden in Strategien, Hilfsbedürftige nicht einfach nur ökonomisch zu unterstützen, sondern vor allem auch erziehend auf sie zu wirken. In Frankfurt wie in Philadelphia hatte die soziale Fürsorge ausgeprägte Wurzeln im privaten Engagement des städtischen Bürgertums beziehungsweise der städti­schen Mittelklasse. Obwohl sich diese Wurzeln in sehr unterschiedlichen Formen der Fürsorge manifestierten, wiesen sie teilweise frappierende Ähnlichkeiten auf.1 Diese resultierten aus den weitgehend im 19. Jahrhundert entstandenen transat­lantischen Kommunikationsnetzen, über die ein vielfältiger Ideentransfer zwi­schen einzelnen Städten und im Bereich der Fürsorge vor allem auch zwischen Deutschland, Großbritannien und den USA aufgebaut wurde.2 Diese Kommunika­tionsnetze wurden hierbei nicht nur über sich austauschende Expertengruppen geknüpft, die zweifellos mit der Professionalisierung der städtischen Verwal­tungsapparate an Bedeutung gewannen. Sie entstanden auch mit Migrations­bewegungen von Menschen, die über ausreichend kulturelles und ökonomisches Kapital verfügten, um an ihrem neuen Wohnort ihr Gedankengut in die Gesell­schaft wirkungsvoll einzubringen. Wenngleich in der lokalen Umsetzung der so gewanderten Ideen und Modelle deutlich nationale Tendenzen zu erkennen sind, gab es bis weit in das 20. Jahrhundert auch auf nationaler Ebene keine einheitli­chen Fürsorgesysteme – zu verschieden waren die historisch gewachsenen Struk­turen der einzelnen Städte in Deutschland und den USA, zu stark war der Wille der führenden Schichten, diesen lokalen Charakteristika gerecht zu werden und zu frei waren die Städte vor allem in ihrem Handlungsspielraum, diese auch umzu­setzen. Und während in Philadelphia die private Wohltätigkeit lange Zeit domi­nant blieb und erst mit der Weltwirtschaftskrise eine geringfügige Einschränkung erfuhr3, trat in Frankfurt 1 Michael B. Katz u. Christoph Sachße, Introduction, in: dies. (Hg.), The Mixed Economy of Social Welfare. Public/Private Relations in England, Germany, and the United States, the 1870’s to the 1930’s, Baden-Baden 1996, S. 9–22. 2 Siehe dazu Axel R. Schäfer, American progressives and German social reform, 1875–1920. Social ethics moral control and the regulatory state in a transatlantic context, Stuttgart 2000. 3 ���������������������������������������������������������������������������������������� Robert A. Gross, Giving in America: From Charity to Philanthropy, in: Lawrence J. Friedman u. Mark D. McGravie (Hg.), Charity, Philanthropy, and Civility in American History, Cambridge 2004, S. 29–48.

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Strukturen der sozialen Kontrolle

die Kommune mit der Übernahme der Fürsorge in Konkur­renz zu den privaten Einrichtungen und hier vor allem zu den milden Stiftungen, die bis dahin in Eigenregie die Hauptlast der städtischen Armen­für­sorge getragen hatten.4 In den Debatten um die Gestaltung einer „mixed eco­nomy of social welfare“5 wurden hierbei zwischen der privaten und öffentlichen Für­sorge sehr klare Grenzen gezogen, in der Praxis aber überschnitten sich beide Be­reiche personell wie strukturell. So war der Konflikt in der Reorganisation der Fürsorge kein rein dualer Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Einrichtun­gen, als vielmehr eine grundlegende Auseinandersetzung, in der es zum einen um die Machthoheiten in der sozialen und moralischen Überwachung des städtischen Raumes ging, und zum anderen um den Platz ‚bürgerlicher‘ Werte und Ideale in einer sich grundlegend wandelnden städtischen Gesellschaft.

2.1

Öffentlich vs. Privat: Strukturelle Konflikte in Frankfurt am Main

Dass in Frankfurt die kommunale Verwaltung die Führungsrolle in der Organisa­tion der Fürsorge übernehmen sollte, traf auch die Frankfurter selbst recht über­raschend. „Dieser Vorgang“, schrieb 1890 der Leiter des Armenamtes Karl Flesch, „bedeutet nichts weniger als den Bruch mit all‘ den Prinzipien und Ge­wohnheiten, die unser Armenwesen von jeher beherrscht hatten“6 – und dieser Bruch sollte das Verhältnis zwischen der öffentlichen und privaten Fürsorge für die nächsten Jahrzehnte prägen. Bis zur preußischen Annektierung im Jahr 1866 lag die Armenfürsorge fest in den Händen milder Stiftungen und zunehmend auch in denen privater Vereine.7 Eine gesetzliche Vorgabe, dass sich die Stadt selbst um ihre Armen zu kümmern habe, existierte bis dahin nicht.8 Dies entsprach auch der allgemein verbreiteten Grundüberzeugung, dass Fürsorge eben nicht Aufgabe der Stadt sei, eine Auffassung, die sich in amerikanischen Städten bis zum New Deal relativ unangefochten hielt.9 Die kommunale Übernahme der Leitung der Fürsorgesysteme in den deutschen Städten entsprach einer neuen ge4 Franz Benjamin Schaeffer, Frankfurter Armen- und Wohlfahrtspflege in alter und neuer Zeit, Frankfurt am Main 1927. 5 Katz u. Sachße, Introduction, S. 10. 6 Karl Flesch u. Heinrich Bleicher, Beiträge zur Kenntnis des Armenwesens in Frankfurt am Main und zur Armenstatistik. Nebst einem Verzeichnis der daselbst bestehenden Armenstiftungen, Frankfurt am Main 1890. 7 Schaeffer, Frankfurter, S. 90–124. 8 Am ausführlichsten schilderte dieses Verhältnis schon 1890 Karl Flesch. Vgl. Flesch u. Bleicher, Beiträge. 9 Zu Frankfurt siehe Hans K. Weitensteiner, Karl Flesch – Kommunale Sozialpolitik in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1976.

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setzlichen Vorgabe, die den Armen ein Recht auf Unterstützung einräumte, ein Gesetz, das in den preußischen Provinzen seit 1842 Gültigkeit hatte und 1871 schließlich auch für das übrige Reichsgebiet etabliert wurde.10 Den Gemeinden wurden mit dem Unterstützungswohnsitzgesetz die Bedingungen zur Gewährung und Rückerstat­tung von Unterstützungsgeldern genau vorgeschrieben und damit lag die Verant­wortung über die Beschaffung der Fürsorgegelder rechtlich bei der Stadt. Zwar hatte die Stadt auch schon in den Jahren zuvor die Stiftungen immer wieder finan­ziell unterstützt, doch eine vollständige Übernahme der Kosten für die Fürsorge war mit dem städtischen Haushalt nicht zu realisieren. Für den Magistrat war es daher auch naheliegend, das Vermögen der öffentlichen milden Stiftungen zur Kostendeckung der neuen Armenverordnungen mit heranzuziehen, ein Unterfan­gen, das Seitens der Stiftungen nur auf wenig Gegenliebe stieß.11 Denn die öffentli­chen milden Stiftungen handelten nach jahrzehntelanger Tradition eigen­ständig und unabhängig und gewährten meist nur einem ausgewählten Personen­kreis ihre Unterstützung, wie z. B. Altbürgern christlicher Konfession. Da sie das Stiftungsvermögen als Eigentum der christlichen Glaubensgemeinschaft ansahen – und somit eher der Kirche gehörig, denn der Stadt – fühlten sie sich auch nicht der gesetzlichen Vorgabe verpflichtet, die drei anerkannten Konfessio­nen gleich zu behandeln.12 Der seit 1880 amtierende Bürgermeister Miquel, dem an einer einheitlichen und kommunal angeführten Organisation der Fürsorge nach dem Muster des Elberfelder Systems gelegen war, widmete sich 1881 ausführlich die­sem Problem und leitete – wider die „durch Tradition allgemein gewordene An­ sicht“13 – historisch und juristisch einen öffentlichen Charakter der Stiftungen her, die demnach Gemeindeanstalten seien und sich entsprechend in die kommu­nale Verwaltung einzugliedern hätten.14 Da man in den darauf einsetzenden Debat­ten zu keiner 10 Für Frankfurt wurde dies erst mit dem Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz von 1870 und dem für Preußen erlassenen Ausführungsgesetz von 1871 wirksam. Vgl. dazu Flesch u. Bleicher, Beiträge, S. 2. 11 Zum Konflikt siehe die Ausführungen bei Johannes Miquel, Denkschrift betreffend der Reorgani­sation der Armen- und Wohltaetigkeits-Verwaltung der Stadt Frankfurt a. M, Frankfurt am Main 1881; Flesch u. Bleicher, Beiträge und Schaeffer, Frankfurter. Zu den öffentlichen mil­den Stiftungen zählten zu dieser Zeit der Allgemeine Almosenkasten, das Hospital zum Heiligen Geist, das Waisenhaus, das Catharinen- und Weissfrauenkloster, das Versorgungshaus und die Anstalt für Irre und Epileptische. 12 ���������������������������������������������������������������������������������������� Weitensteiner, Karl, S. 35. Die Auffassung der milden Stiftungen über die Eigentumsrechte des Stiftungsvermögens geht auch aus einem Rechtsgutachten hervor, das im Auftrag der milden Stiftungen von dem Juristen Carl Sartorius erstellt wurde. Vgl. Carl Sartorius, Die öffentlichen milden Stiftungen zu Frankfurt a. M. und ihr rechtliches Verhältniss zur Stadtgemeinde. Ein Rechtsgutachten, Marburg 1899. 13 Flesch u. Bleicher, Beiträge, S. 32. 14 Miquel, Denkschrift; Wilfried Forstmann, Frankfurt am Main in Wilhelminischer Zeit 1866–1918, in: Frankfurter Historische Kommission (Hg.), Frankfurt am Main. Die Ge-

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Strukturen der sozialen Kontrolle

Einigung gelangen konnte, drohte Miquel sogar mit einer voll­ständigen Aufhebung der Pflegeämter der Stiftungen.15 Soweit kam es jedoch nicht und 1883 setzte sich der Magistrat mit der Gründung einer Armenkommis­sion, in der neben Vertretern aus dem Magistrat und der Stadtverordneten­versammlung auch die Pflegeämter der Stiftungen beteiligt waren, zumindest formal durch und glie­derte die Stiftungen in den Rahmen der öffentlichen Armen­pflege ein. De facto allerdings blieb das Verhältnis zwischen Stiftungen und Kommune weiterhin an­gespannt.16 Die private Fürsorge in Form von Vereinen blieb unterdessen aus der städtischen Armenkommission grundlegend ausge­schlossen, da es nach der Städ­teordnung von 1867 „nicht statthaft war, private Institutionen oder einzelne ihrer Hilfskräfte als ‚Organe der Kommunalverwal­ tung‘ in Aktion treten zu lassen.“17 Das ungeklärte Spannungsverhältnis zwischen den milden Stiftungen und der Kommune einerseits, sowie der Ausschluss der privaten Fürsorge aus dem zentralen Entscheidungsgremium über die Gestaltung der Fürsorge in Frankfurt andererseits, prägte die Auseinandersetzungen um die Machthoheit der sozialen Überwachung des Stadtraumes bis in die 1920er Jahre. Doch die Nicht-Beteili­g ung der privaten Fürsorgeeinrichtungen an dem zentralen Organisationsgremium war kein Ausschluss freiwilligen bürgerlichen Engagements aus dem kommuna­len Fürsorgesystem, auch wenn sich die Befugnisse recht einseitig zu Gunsten der Kommune verlagerten. Denn das von der Armenkommission 1883 eingeführte Elberfelder System beruhte ganz zentral auf dem Mitwirken privater Pfleger, bis 1901 ausschließlich Männer18, die zumeist aus den Kreisen der Handwerksmeister und Kaufleute stammten.19 Dieses schichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 349–422, hier S. 413. Siehe dazu auch Dieter Eckhardt, „Soziale Einrichtungen sind Kinder ihrer Zeit …“. Von der Centrale für Private Für­sorge zum Institut für Sozialarbeit 1899–1999, Frankfurt am Main 1999. 15 Flesch u. Bleicher, Beiträge, S. 32. 16 ������������������������������������������������������������������������������������ Noch 1899 gaben die Pflegeämter der Stiftungen bei dem Marburger Universitätsprofessor Carl Sartorius ein Rechtsgutachten in Auftrag, um sich gegen den wachsenden Einfluss der Stadt zur Wehr zu setzen. Das Rechtsgutachten kam zu dem Schluss, dass die öffentlichen milden Stiftun­gen nicht Eigentum der Stadt, sondern selbständige öffentliche Anstalten für ausschließ­lich „christliche Angehörige der Stadt Frankfurt“ seien. Vgl. Sartorius, Die öffentlichen, S. 97. 17 Elsa Schlaudraff, Ein Vergleich zwischen dem Elberfelder, dem Straßburger und dem Frankfurter System in der Armenpflege, Nürnberg-Zirndorf 1932. Siehe dazu auch Forstmann, Frankfurt, S. 413; Eckhardt, Soziale, S. 25f; Weitensteiner, Karl, S. 41. 18 1888 wurden in Frankfurt erstmals Legitimationskarten für Frauen ausgegeben, die diesen erlaub­ten unterstützte Personen des Armenamtes zu besuchen. Vgl. Frankfurter Wohlfahrts­blätter, April 1923, S. 4 (FWA 1.344, Bl. 84). 19 ������������������������������������������������������������������������������������� Dies geht aus den Handbüchern des städtischen Wohlfahrtsamtes deutlich hervor, in denen die Pfle­ger samt Anschrift und Beruf für jeden einzelnen Fürsorgebezirk aufgelistet

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Elberfelder System hatte sich seit seiner Einfüh­rung in Elberfeld im Jahr 1853 langsam auch in anderen deutschen Städten etabliert, wenn auch immer in spezifisch lokalen Ausformungen.20 Auch wenn diese Pflegekräfte als Ehrenbeamte von der Stadtverordnetenversammlung ge­wählt wurden, verschwammen in ihrer Position die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Engagement. So waren zum einen die ehrenamtlichen Pfleger in keiner Form für ihren Dienst ausgebildet, was später nicht von der Kommune, sondern von den sich professionalisierenden privaten Fürsorgeorganisationen kri­tisiert wurde, und sie sahen sich zum anderen meist auch weniger als städtische Beamte denn als freiwillig engagierte Bürger für ihr Stadtviertel, zum Teil sogar als Lokalpatrioten. So schrieb der Architekt und Pfleger Conrad Grumbach an seinen Kreisvorsitzenden, als er von den Plänen hörte, den Pflegebezirk Ostend aufzulösen: „Zu meinem Bedauern hören mein Bezirk und ich von der Absicht, den Be­zirk aus dem Ostend zu verlegen, und zwar einer Kreisstelle in der Richard-Wagnerstrasse anzugliedern. Die Pfleger, welche grösstenteils alte Ostendler sind, mit gewissem Stolz Bürger der neuen Oststadt, sind darüber auf das Tiefste verstimmt. Sie können sich nicht denken, dass ein Bezirk, der im Ostend liegt, plötzlich entwurzelt werden soll, und erheben dagegen Ein­ spruch.“21

Die persönliche Verwurzelung der Ehrenbeamten in ihrem Einsatzgebiet unter­schied diese grundlegend von den Ermittlern der amerikanischen Charity Organization Societies, die meist aus einem anderen Stadtviertel kamen als ihre Klientel.22 Dieser Unterschied in der räumlichen Distanz zwischen Fürsorgern und deren „Schützlingen“23 sollte entscheidend das Verhältnis zwischen den beiden Seiten prägen und maßgeblich die Herausbildung alternativer Strukturen und Praktiken der Kontrolle und des Überlebens beeinflussen. Die Aufgabe der ehrenamtlichen Pfleger in Frankfurt bestand nun zwar darin, die Mindestversorgung Hilfsbedürftiger zu gewährleisten und damit gesetzlichen

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sind. Vgl. Wohlfahrtsamt Frankfurt am Main (Hg.), Handbuch des Städtischen Wohlfahrts-Amtes (I. Teil) und des Städti­schen Jugend-Amtes (II. Teil) zu Frankfurt am Main. Zusammengestellt von der Fürsorge-Abtei­lung, Frankfurt am Main 1922 (FWohA 691). Christoph Sachße u. Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 2. Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871 bis 1929, Stuttgart, Berlin, Köln u. a. 1988. Schreiben von Conrad Grumbach an den Kreisvorsitzenden der Kreisstelle Ostend vom 28.11.1924 (FWA 180, Bl. 56). Vgl. dazu Julia B. Rauch, Women in Social Work: Friendly Visitors in Philadelphia, 1880, in: Social Service Review 49. 1975, S. 241–259. Wohlfahrtsamt Frankfurt am Main (Hg.), Wo finde ich Hilfe für meine Schützlinge? Führer durch die Wohlfahrtseinrichtungen in Frankfurt a. M., Frankfurt am Main 19212.

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Vorgaben zu entsprechen, in der Praxis jedoch häuften sich die Vorfälle, dass Pfleger entweder über Gebühr unterstützten oder zu wenig gaben. Aus diesem Grund führte das Armen- und Waisenamt immer mehr Mechanismen ein, die Geldvergabe genauer zu regulieren. Die zunehmende Eingrenzung des Geldbetrages, den Pfle­ger eigenverantwortlich aushändigen durften, gehörte gleichermaßen dazu, wie die weitgehende Ersetzung das Elberfelder Systems durch das Straßburger System im Jahr 1908, das die ehrenamtlichen Pfleger unter eine stärkere Aufsicht der Kreisstellenleiter stellte. Trotz dieser stärkeren Regulierung blieb das Handeln der ehrenamtlichen Pfleger ein Drahtseilakt zwischen ‚Liebestätigkeit‘ und der Er­füllung rechtlicher Vorgaben. Ihr offizieller Einsatz für die öffentliche Fürsorge brachte die Pfleger unterdessen immer wieder in Konflikt mit den privaten Vereinen. Denn die in privaten Verei­nen engagierten Bürger äußerten recht schnell gegenüber den ehrenamtlichen Pflegern den etablierten Vorwurf herzloser Bürokratie, ein Vorwurf, den sich die Pfleger kaum gefallen lassen wollten. Auf einer Besprechung der Amtsmitglieder und Vorsteher der Fürsorgebezirke am 21.11.1921 hielten diese ausdrücklich fest: „Wenn nun gesagt werde, dass auf der einen Seite, nämlich der der öffentli­chen FürsorgeOrganisationen durch strenge Gesetze und starre Regeln, der für die Arbeit selbst erforderliche charitative Geist getötet wird und auf der anderen Seite der privaten und konfessionellen Fürsorge dagegen ein würdi­gendes Ermessen und Treu und Glauben bei der Behandlung des Einzel­fal­les eine bessere Form der Fürsorgetätigkeit darstelle, so müsse man doch daran denken, dass die Ausführung sowohl öffentlicher als auch privater Fürsorge Menschen übertragen sei. […] Beamte und Ehrenbeamte, deren sich öffentliche und private Fürsorge bedienen müssen, brauchen nicht not­gedrungen in ihrer Arbeit zu erkalten und zu erstarren, wenn auch zugege­ben ist, dass die sich immer wiederholende verhältnismässige Gleichheit der Fälle abstumpfend wirkt.“24

Das Problem der „abstumpfenden Wirkung“ bezog sich nun nicht allein auf die Mitarbeiter der öffentlichen Fürsorge, sondern wurde zunehmend auch in den sich immer mehr durchorganisierenden und professionalisierenden privaten Fürsorge­ einrichtungen gesehen – und dies nicht nur in Frankfurt und anderen deutschen Städten, sondern gleichermaßen auch in den USA. „Every person of intelligence and humanity who has seen the workings of Organised Charity, knows what a deadening and life-sapping thing it is, how unnecessarily cruel, how uncomprehending“, schrieb John Reed 1917 als Einleitung in Konrad Bercovicis „Crimes of Charity“, dessen Erfahrungsbericht aus der Charity Organization So­ciety in der Lower East Side von New York. „There is nothing of Christ the compassionate in the immense business of 24 ��������������������������������������������������������������������������������� Protokoll der Besprechung des Wohlfahrtsamtes mit den Amtsmitgliedern und Vorstehern der Fürsorgebezirke vom 21.11.1921 (FWA 527, Bl. 111)

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Organised Charity; its object is to get efficient results and that means, in practise, to just keep alive vast numbers of ser­vile, broken-spirited people.“25 Ihren direkten Gründungsanstoß hatten die amerika­nischen Charity Organization Societies aus Großbritannien erhalten, ihren Ursprung allerdings verortete sie selbst auch in der Idee des Elberfelder Sys­tems.26 Und während in den deutschen Kommunen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen die Kommunalverwaltungen das neue Modell der Fürsorge zur Anwendung brachten, waren es in den amerikanischen Städten private Vereine, die den Stadtraum in einzelne Distrikte unterteilten und in diese gezielt ehrenamt­ liche Pfleger zur möglichst individuellen Betreuung immer nur weniger Fürsorge­fälle entsandten. Diese systematische Erschließung des Stadtraumes war das Ziel sowohl deutscher wie auch amerikanischer Reformer der städtischen Fürsorge­systeme. „The System […] erects a scientific frontier for charity and draws a cor­don of posts about society for the control of pauperism“27, beschrieb 1880 Reverend Oscar McCulloch als Vertreter des Committee on Charitable Organizations in Cities die Idee hinter dem Elberfelder System und der Charity Organization Societies und formulierte damit einen der zentralen Grundgedanken der deutschen und amerikanischen Fürsorgeentwicklung in den nächsten 50 Jah­ren, die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Fürsorge „for the control of pauperism.“ Die „scientific frontier“ brach nun mit der bisherigen Praxis der privaten Fürsorge als relativ unsystematische ‚freie Liebestätigkeit‘, was mit den wachsenden städti­schen 25 John Reed, Introduction, in: Konrad Bercovici, Crimes of Charity, New York 1917, o.S. Zum Leben Konrad Berovicis, der ur­sprünglich aus Rumänien stammte und in Paris studiert hat, bevor er nach New York auswan­derte, siehe dessen Autobiographie Konrad Bercovici, It’s the Gypsy in Me, New York 1941. 26 Die erste Einrichtung dieser Art entstand 1869 in London, angestoßen von Octavia Hill, die auch noch für die Fürsorgeentwicklung Philadelphias eine entscheidende Rolle spielen sollte. Vgl.Oscar C. McCulloch, Associated Charities, in: F. B. Sanborn (Hg.), Proceedings of the Seventh Annual Conference of Charities and Correction, Held at Cleveland, June and July, 1880, Boston 1880, S. 122–135, hier S. 125–127; Edward T. Devine, Artikel: Charity Organization Societies, or Associated Charities, in: William Dwight Porter Bliss u. Rudolph Michael Binder (Hg.), The New Encyclopedia of Social Reform. Including All Social-Reform Movements and Activities, and the Economic, Industrial, and Sociological Facts and Statistics of all Countries and all Social Subjects, New York 1908, S. 158–159, hier S. 159; Daniel Levine, Die Charity Organization Societies in den Vereinigten Staaten 1869–1904: Von der Sozialdisziplinierung zur Sozialreform, in: Christoph Sachße u. Florian Tennstedt (Hg.), Sozi­ale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik, Frankfurt am Main 19916, S. 245–262. Wie das Elberfelder System für die COS in London umgesetzt wurde, schildert Octavia Hill ausführlich in einem Schreiben an James Stansfeld vom 10.1.1874. Vgl. Octavia Hill, Homes of the London Poor, New York 1875. 27 McCulloch, Associated, S. 127.

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Problemen zweifelsohne notwendig, aber keineswegs unumstritten und schon gar nicht immer „scientific“ war. In den Frankfurter Fürsorgevereinen voll­zog sich dieser Bruch erst mit einer 30-jährigen Verzögerung und erste Vereine, die sich der besseren Organisation der privaten Fürsorge widmeten, gründeten sich im Jahr 1899. Diese Verzögerung erscheint nun weniger durch ein mangeln­des Wissen um die Notwendigkeit zur Organisierung bedingt, als vielmehr durch den strukturellen Unterschied der Fürsorgesysteme. Denn während sich in den deutschen Städten bereits die öffentliche Fürsorge vollständig reorganisierte und systematisierte, konnten sich die privaten Fürsorgevereine weiterhin als flexible Helfer stilisieren, deren alleiniger Antrieb aus Nächstenliebe erwachse und eben nicht aus rechtlichen Vorgaben.28 Darüber hinaus existierten, wie Meinolf Nitsch für die privaten Fürsorgevereine in Berlin gezeigt hat, zwischen den einzelnen Organisationen zahlreiche Schnittpunkte, die diese zwar nicht systematisch mitei­nander verbanden, ihnen jedoch weitläufige Austauschmöglichkeiten boten und so einen eher unbürokratischen Vernetzungscharakter.29 Dieser – auch von der öffentli­chen Fürsorge – anerkannte Platz privaten Engagements im gesamtstädti­schen Fürsorgesystem, blieb allerdings nicht unproblematisch, da er auf Dauer vor den wachsenden Problemen der sich zunehmend industrialisierenden Großstadt zu versagen schien. Denn entweder erlahmte das personelle Engagement in den Ver­einen oder aber die finanziellen Mittel reichten zur Deckung der Kosten nicht mehr aus. In solchen Fällen, die in Frankfurt vor allem seit der Jahrhundertwende auftraten, gerieten viele der sich rasch mehrenden Fürsorge-Vereine in eine finan­zielle Abhängigkeit der Stadt, die dies nutzte, um Vertreter des Magistrats in die Vorstände der Vereine zu entsenden.30 „Der private Verein beschreitet einen neuen Weg, übernimmt neue soziale Aufgaben und schafft damit einen ganz neuen Zweig der Wohlfahrtspflege“, formulierte 1920 das Frankfurter Wohl­fahrtsamt (ehemals Armen- und Waisenamt). „Allmählich reichen die Mittel dieses Vereins zur Erfüllung seiner Aufga­ben nicht mehr aus und er benötigt der Subvention staatlicher und städti­scher Verwaltungen. Die Subvention wird schließlich die hauptsächliche Hilfsquelle der Vereinseinnahmen. Der Einfluß der Stadtverwaltung steigt, und schließlich wird das Arbeitsgebiet des Vereins in städti-

28 So betont auch Franz Benjamin Schaeffer in seiner Geschichte der Frankfurter Armenund Wohl­fahrtspflege aus dem Jahr 1927, dass vor allem Vertreter der privaten Fürsorge hervorhoben, die öffentliche Fürsorge sei eine Für­sorge rein aus gesetzlicher Verpflichtung. Siehe Schaeffer, Frankfurter, S. 145. 29 Meinolf Nitsch, Private Wohltätigkeitsvereine im Kaiserreich. Die praktische Umsetzung der bürgerlichen Sozialreform in Berlin, Berlin 1999. 30 Schaeffer, Frankfurter, S. 146f.

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sche Verwaltung übernommen. – Eine Tragik privater Fürsorgetätigkeit, die aber in sich be­gründet ist.“31

Die Häme, die in dieser rückblickenden Versagens-Geschichte aus der Feder der öffentlichen Fürsorge mitschwingt, ist symptomatisch für das Spannungs­verhält­nis zwischen öffentlicher und privater Wohlfahrtspflege in Frankfurt am Main. Mit der partiellen Kommunalisierung der Vereine in der Vorkriegszeit wurde die private Fürsorge im gesamtstädtischen Fürsorgesystem immer weiter einge­schränkt, nicht in ihrem quantitativen Umfang, aber in ihren Befugnissen zur sozi­alen Überwachung des Stadtraumes. So bedeutete der Einflussgewinn des Magistrats in den Stiftungen und Vereinen für diese vor allem auch, dass sich die Stadtverwaltung zunehmend kommentierend und regulierend in deren Angelegen­heiten einmischte. Das städtische Armen- und Waisenamt hatte sich seit seiner Neukonstituierung recht schnell an seine neuen Machtbefugnisse gewöhnt und beäugte das Vereins­wesen äußerst misstrauisch. Auf Grund der Freiwilligkeit des Helfens war die private Fürsorge in den Augen des Amtes vor allem eines: unzuverlässig, auch wenn die schnelle Reaktionsfähigkeit freiwilligen Engagements auf die sich rasch wandelnden städtischen Probleme durchaus anerkannt wurde.32 Noch 1908 be­schrieb Philipp Stein im Auftrag der Centrale für private Fürsorge die Zusammen­arbeit privater und öffentlicher Fürsorgeeinrichtungen lobend als „Frankfurter System“, was nur möglich war, indem er den wirtschaftlichen Zwang der ‚Koope­ration‘ herunterspielte. Wie gut aber die vom Magistrat entsendeten Vorstands­mitglieder mit den freiwillig engagierten Bürgern tatsächlich zusammen arbeite­ten, ist alles andere als klar.33 Dass sich die Bezeichnung als „Frankfurter System“ im Gegensatz zum Elberfelder- und StraßburgerSystem weder in Frankfurt noch anderswo hat durchsetzen können, ist aber schon ein recht deutlicher Hinweis darauf, dass es sich um kein wirkliches Erfolgsmodell

31 ������������������������������������������������������������������������������ Wohlfahrtsamt Frankfurt am Main (Hg.), Die Entstehung und der Aufbau des Wohlfahrtsamtes der Stadt Frankfurt a. M, Frankfurt am Main 19202, S. 4. 32 Vgl. dazu Christoph Sachße, Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit Sozialreform und Frauen­bewegung 1871–1929, Weinheim 2003; Christoph Sachße, Die freie Wohlfahrts­ pflege im System kommunaler Sozialpolitik. Aktuelle Probleme aus historischer Perspektive, in: ders. (Hg.), Wohlfahrtsverbände im Wohlfahrtsstaat. Historische und theoretische Beiträge zur Funk­tion von Verbänden im modernen Wohlfahrtsstaat, Kassel 1994, S. 11– 34, hier S. 14. 33 ��������������������������������������������������������������������������������������� Philipp Stein, Das Verhältnis der freiwilligen und zwangsgemeinschaftlichen Köperschaften in der Wohlfahrtspflege, in: Carl Johannes Fuchs (Hg.), Gemeindebetriebe. Neuere Versuche und Erfahrungen über die Ausdehnung der kommunalen Tätigkeit in Deutschland und im Ausland, Leipzig 1908, S. 427–440; Schlaudraff, Vergleich.

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handelte.34 Auch wird aus den immer wieder aufkommenden privaten Initiativen, die sich jenseits der kom­munalen Aufsicht bewegen wollten, deutlich, dass sich das städtische Bürgertum mit einer Zurückdrängung auf die Position von Zuarbeitern nicht abfinden, son­dern selbstbestimmt im Stadtraum aktiv werden wollte. Dieses Drängen nach selbstbestimmtem Handeln in der Durchführung sozialer Fürsorgetätigkeiten war grundlegender Bestandteil der Frage „who makes the town we live in“? Und wäh­ rend von kommunaler Seite in diesem Konflikt eben die Unbeständigkeit privater Organisationen betont wurde, warf die private Fürsorge der Kommune Behäbig­keit, Bürokratismus und Entmenschlichung vor. Bis zu einem gewissen Grad räumte auch Karl Flesch als Leiter des Armenamtes dieser Kritik Berechtigung ein und gestand der privaten Fürsorge durchaus einen zentralen Platz im städtischen Fürsorgesystem zu, allerdings nur unter Aufsicht der Kommune. Seit Beginn seiner Karriere engagierte sich Flesch als Reformer für eine rechtliche Besserstellung der ärmeren sozialen Klassen und war um eine dauerhafte, juristisch verankerte und dadurch in seinen Augen gerechtere Hilfe bemüht.35 Die Reformierung des Frankfurter Fürsorgesystems im Jahr 1883 war ein erster Schritt in diese Richtung. Eine befriedigende Regelung könne nur er­reicht werden, hielt der Magistrat in seinem Verwaltungsbericht des Jahres 1882/83 fest, „wenn auch die private Wohltätigkeit in ihrem vollen Umfang und in allen ihren Zweigen einheitlich organisiert, geregelt und mit der öffentlichen und gesetzlichen in unmittelbaren Zusammenhang gebracht“36 würde. Doch die Unstimmigkeiten zwischen der privaten und der städtischen Fürsorge spitzten sich in den Jahren nach der Reorganisation von 1883 immer weiter zu. Denn neben Karl Flesch sah sich auch der Großindustrielle Wilhelm Merton dazu berufen, organisierend in die Fürsorgearbeit einzugreifen, im Gegensatz zu Flesch jedoch als ein im Hintergrund wirkender Mäzene und damit vor allem als Privatmann.37 Flesch und Merton wurden geradezu zu Stellvertretern des strukturellen Konflik­tes um die soziale Überwachung des Stadtraumes, indem es ganz grundlegend um das institutionalisierte Mitspracherecht privater Vereinigungen in einer immer stärker kommunal verwalteten Stadt ging. Am Höhepunkte dieses Konfliktes im Jahr 1910 beendeten Flesch und Merton jegliche Zusammenarbeit miteinander und damit auch in weiten Teilen die Zusammenarbeit von Armen- und Waisenamt und organisierter privater Wohltätigkeit. Erst ihr Tod und die vollständige 34 ������������������������������������������������������������������������������������� Auch Schaeffer, der im Allgemeinen sehr verklärend positiv von der Zusammenarbeit berichtet, bemerkt, dass „das Hand-in-Hand-Arbeiten von Stadt und privater Liebestätigkeit noch viel zu wünschen übrig“ ließ. Vgl. Schaeffer, Frankfurter, S. 147. 35 Weitensteiner, Karl. 36 Zitiert nach ebd., S. 29. 37 Merton sagt von sich selbst, er habe stets versucht zu vermeiden „mit [seinen] Gaben hervorzutre­ten.“ Vgl. Hans Achinger, Wilhelm Merton in seiner Zeit, Frankfurt am Main 1965.

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Neu­formierung der Fürsorge in Folge des ersten Weltkrieges ermöglichte eine erneute Annäherung der beiden Seiten. 1923 resümierte eine der führenden Persönlich­keiten der privaten Fürsorge in Frankfurt, Wilhelm Polligkeit: „Ich hoffe, dass die unproduktiven Verhältnisse gegenseitiger Befehdung, wie sie in der Ära des sonst so verdienten Stadtrat Flesch herrschten und glücklicherweise in der Ära Luppe zu beidseitiger Befriedung überwunden worden sind, sich nicht wiederholen werden.“38

Der Konflikt entzündete sich hierbei nicht so sehr um das ‚Wie‘ der Fürsorge­orga­ nisation, sondern vielmehr um die Machthoheit im gesamtstädtischen Fürsor­ge­ system. Beide Seiten verfolgten hierbei das Prinzip einer systematischen, indi­viduellen Fürsorge, das eben maßgeblich mit dem Elberfelder System initiiert worden war. Eine unsystematische Unterstützung Hilfsbedürftiger, deren Kritiker immer wieder den Verdacht äußerten, dass sie unliebsame ‚Elemente‘ anlocken und die freien Geldmittel ungerecht verteilen würde, wurde einhellig als veraltet abgetan. Um diesem neuen Anspruch der individuellen Fürsorge gerecht zu wer­den, bedurfte es nicht nur eines hohen Personaleinsatzes, sondern auf Grund der zahlreichen Fürsorgegruppierungen auch eines hohen Maßes an Koordinations­leistung. Und gerade diese beanspruchte Flesch für die kommunale Verwaltung, die schließlich ihrer rechtlichen Verpflichtung im Namen der Stadt und im Namen der Hilfsbedürftigen nachzukommen habe. Die Aufgabe, die gesamtstädtische Fürsorge zu koordinieren, versuchte daher das städtische Waisen- und Armenamt bereits 1886 institutionell umzusetzen und gründete hierfür eine zentrale Aus­kunftsstelle.39 In dieser sollten Akten über öffentliche und private Fürsorgefälle hinterlegt und für angeschlossene Einrichtungen stets abfragbar sein, um so die unliebsamen Mehrfachunterstützungen zu vermeiden und die knapp bemessenen Ressourcen ‚richtig‘ verteilen zu können. Anfänglich schlossen sich 21 „der grö­ßeren Stiftungen“40 der Auskunftsstelle an, bei über 200 privaten Fürsorgeeinrich­tungen in der Stadt.41 Da weitere Quellen zur Auskunftsstelle nicht vorliegen, ist eine realistische Abschätzung ihrer Bedeutung und Akzeptanz schwierig. Sicher ist, dass sie es in den folgenden 15 Jahren nicht schaffte, sich zu einer allgemein anerkannten Instanz innerhalb der Fürsorgekoordination zu entwickeln.42 Und so wurden zur Jahrhundertwende erneut Versuche unternommen, die vielfältige pri­vat organisierte Fürsorge zu koordinieren und mit der öffentlichen Fürsorge zu­ sammen zu bringen, diesmal jedoch unter privater Führung. Im Jahr 1899 grün­dete 38 39 40 41 42

Schreiben von Wilhelm Polligkeit an Dr. Maier vom 9.2.1923 (FWA 286, Bl. 60). Schaeffer, Frankfurter, S. 146. Flesch u. Bleicher, Beiträge, S. 57. Ebd. Eckhardt, Soziale, S. 31.

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sich maßgeblich aus der Frankfurter Frauenbewegung der ‚Stadtbund der Vereine für Armenpflege und Wohltätigkeit‘, der sich als eine zentrale „Koordi­nationsinstanz zwischen dem öffentlichen und dem privaten Fürsorgebereich“43 verstand und „durch engen Zusammenschluß aller Frankfurter Vereine für frei­willige Fürsorge in Fühlung mit dem Armenamt eine Zersplitterung der sozialen Hilfskräfte vermeiden“44 wollte. Zur gleichen Zeit entstand die Centrale für pri­vate Fürsorge als Ableger des 1890 von Wilhelm Merton ins Leben gerufenen Institutes für Gemeinwohl, die gleichfalls beanspruchte eine solche Koordinati­onsinstanz zu sein. Der Stadtbund ließ sich hierbei in den Räumen der Centrale nieder, die durch den wohlhabenden Merton als Geldgeber über wesentlich mehr Kapital verfügte, und arbeitete mit ihr „in engster Verbindung“45, wie der Stadt­bund die Zusammenarbeit selbst beschrieb. Diese Vereine beriefen sich nun ihrer­seits wieder auf die anglo-amerikanischen Charity Organization Societies46, grif­fen dabei aber weniger den Aspekt der systematischen Aufteilung des Stadt­raumes auf – dieser wurde ja bereits mit dem Elberfelder System konsequent voll­zogen – als den der Rolle als Vermittler von Unterstützungsleistungen und als Auskunftsinstanz für Fürsorgeeinrichtungen und Hilfsbedürftige. Zu dieser Zeit (1899) war die Situation zwischen dem Leiter des Armen- und Waisenamtes und Wilhelm Merton noch nicht hoffnungslos zerstritten und so­wohl Flesch, als auch der Bankier und Philanthrop Charles Hallgarten, der seit 1886 beim städtischen Armenamt tätig war, waren Gründungsmitglieder der Centrale. Charles Hallgarten ist auch eines der prominenteren Beispiele für den sich vollziehenden Ideentransfer über Privatpersonen. Nachdem Hallgartens El­tern in die USA emigriert waren, wuchs er selbst in New York auf und gelangte dort als erfolgreicher Bankier zu ansehnlichem Reichtum.47 In den 1870er Jahren zwang ihn die Tuberkulose zum Verlassen der Stadt und er entschied sich für eine Rückkehr nach Deutschland.48 In Frankfurt angekommen, etablierte er sich schnell in der städtischen Gesellschaft als Mäzen, Philanthrop und engagierter Stadtbürger. Den Kontakt nach New York ließ er auch nach seiner Remigration niemals abbrechen und Zeit seines Lebens beharrte 43 Iris Schröder, Arbeiten für eine bessere Welt. Frauenbewegung und Sozialreform 1890– 1914, Frankfurt am Main 2001, S. 152. 44 Schaeffer, Frankfurter, S. 147. 45 Zitiert nach Achinger, Wilhelm, S. 157. 46 Sachße, freie, S. 15f. 47 Hans-Otto Schembs, Bankier in New York, in: Rachel Heuberger (Hg.), Ein Amerikaner in Frankfurt am Main. Der Mäzen und Sozialreformer Charles Hallgarten (1838–1908). Begleit­buch zur Ausstellung aus Anlaß des 100. Todestag in der Frankfurter Universitätsbibliothek 9. April bis 6. Juni 2008, Frankfurt am Main 2008a, S. 13–18. 48 Der Sohn Charles Hallgartens führte die Ansteckung seines Vaters mit Tuberkulose auf dessen fürsorgerische Besuche in den Elendsvierteln von New York zurück. Vgl. Robert Hallgarten, Charles L. Hallgarten, Frankfurt am Main 1915.

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er auf seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft, auch wenn ihn dies von den meisten städtischen Ämtern in Frankfurt ausschloss.49 In Frankfurt war Hallgarten nicht nur Mitglied im städti­schen Armenamt, sondern darüber hinaus – ganz in amerikanischer Tradition – in „unendlich viele[n] Vereinsämter[n]“ tätig, wie sein Sohn Robert formulierte.50 Dieses ausgeprägte Engagement wusste auch die Frankfurter tief zu beeindrucken und zu seiner Beerdigung im Jahr 1908 sollen über 20 000 Menschen den Weg seines Trauerzuges gesäumt haben.51 Hallgartens persönliche Verflechtung mit der öffentlichen wie der privaten Fürsorge war für die Frankfurter Fürsorgeland­schaft typisch. So war auch Anna Edinger, eine der führenden Vertreterin der Frankfurter Frauenbewegung, nicht nur Gründungsmitglied des Stadtbundes, son­dern seit 1907 auch Vorstandsmitglied der Centrale und seit 1908 stimmberech­tigtes Mitglied des Armen- und Waisenamtes.52 Doch trotz dieser personellen Verflochtenheit zwischen privater und öffentlicher Fürsorge, bestanden zwischen den beiden Bereichen tiefe Gräben der Distanz, denn die Vorstellungen von den Aufgaben, die die Centrale im System der städtischen Fürsorge übernehmen sollte, waren alles andere als einhellig. So schrieb Karl Flesch im Jahr 1910 in Reaktion auf den letzten Jahresbericht der Centrale: „Ich komme mehr und mehr zu der Ansicht, dass die Centrale für private Fürsorge einen prinzipiell falschen Weg verfolgt. Sie war ursprünglich ge­dacht als eine Vereinigung vermögender Leute hier, die für ihre grossartige private Wohltätigkeit ein gemeinschaftliches Büro mit geschulten Beamten zu haben wünschten anstatt, dass bisher jeder Einzelne für sich, teils unter Heranziehung eines Privatbeamten, teils im Vertrauen auf die Auskunft ir­ gend einer Stiftung oder eines Vereins Almosen gespendet hatte. Die Idee, diese Art der Ausübung der Wohltätigkeit durch eine einheitlich organisierte zu ersetzen, anstatt der vielen relativ kleinen Ausgabestellen für Almosen eine gemeinsame zu schaffen, war und 49 Hans-Otto Schembs, Mäzen und Sozialreformer, in: Rachel Heuberger (Hg.), Ein Amerikaner in Frankfurt am Main. Der Mäzen und Sozialreformer Charles Hallgarten (1838–1908). Begleit­buch zur Ausstellung aus Anlaß des 100. Todestag in der Frankfurter Universitätsbibliothek 9. April bis 6. Juni 2008, Frankfurt am Main 2008c, S. 25–29, hier S. 28. 50 Hallgarten, Charles, S. 30. 51 Hans-Otto Schembs, Charles Hallgarten – eine Einführung, in: Rachel Heuberger u. Helga Krohn (Hg.), Ein Amerikaner in Frankfurt am Main. Der Mäzen und Sozialreformer Charles Hallgarten (1838–1908). Begleitbuch zur Ausstellung aus Anlass des 100. Todestages in der Frankfurter Universitätsbibliothek 9. April bis 6. Juni 2008, Frankfurt am Main 2008b, S. 3–11, hier S. 3. 52 Schröder, Arbeiten, S. 155. Zum Wirken Anna Edingers in Frankfurt siehe auch Christina Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1997.

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ist sicher durchaus richtig. Falsch scheint mir aber, dass nach und nach die Centrale dazu übergegangen ist, nicht mehr die Geschäftsstelle für die Wohltätigkeit ihrer Mitglieder zu sein, sondern sich zu einer Organisation auszubilden, welche die Leitung der ge­samten hiesigen Armenpflege, sowohl der privaten als der vereinsmässigen und stiftungsmässigen, in die Hand nehmen will.“53

Bedrohlich empfand Flesch diese Entwicklung, da er eine gänzliche Entfernung der privaten von der öffentlichen Fürsorge befürchtete. Denn wie das städtische Armenamt 1883 die private Fürsorge ausgeschlossen hatte, schien die private Für­sorge nun gleichermaßen um keinen wirklichen Austausch mit der öffentlichen Fürsorge bemüht. So schrieb Flesch weiter: „Während also vor allen Dingen eine enge Beziehung zwischen der öffentli­chen und der privaten Armenpflege erfordert ist, hat die Centrale dazu ge­führt, diese Verbindung zu lockern und statt dessen die sämtlichen nicht-städtischen Organisationen untereinander, aber mit Ausschluss der öffentli­chen Armenpflege, zu einigen. Der neuste Jahresbericht bestätigt diese Auf­fassung gewissermassen unbewusst, indem er als Ideal die New-Yorker Ein­richtungen [die COS] bezeichnet, die nur um deswillen zur Entstehung ge­langten, weil dort insbesondere der Zweig der öffentlichen Armenpflege, den man als ‚offene Armenpflege‘ bezeichnet, gänzlich fehlt.“54

Und so beendete Flesch im Dezember 1911 seine Beiratstätigkeit in der Centrale und verweigerte sich bis zu seinem Tod im Jahr 1915 einer weiteren Unter­stüt­zung. Als 1912 die Centrale noch einmal den Austausch über die Unter­stützungs­fälle der öffentlichen und privaten Fürsorge anregte, antwortete Flesch recht schroff: „Der von Jhnen gemachte Vorschlag ist einfach unmöglich. Wir können nicht die Armenvorsteher zu Mitteilungen an die Armenpflege-Abteilung der Centrale veranlassen; wir halten im Gegenteil die fortwährenden Versu­che der Centrale und des Vereins Kinderschutz, sich als besondere Stelle ne­ben die öffentliche Armenpflege zu stellen, für zwar gut gemeint, aber nicht erforderlich.”55

Doch genau eine solche „besondere Stelle neben der öffentlichen Armenpflege“ war das Ziel der maßgeblich von Merton ins Leben gerufenen Einrichtung. Merton forderte schon Anfang der 1890er Jahre in scharfer Kritik an den beste­henden Zustän53 Schreibens des Waisen- und Armenamtes an die Centrale für private Fürsorge vom 1.6.1910 (Konzept) (FWA 797, Bl. 47). 54 Ebd. Bl. 48. 55 Schreiben von Karl Flesch an Wilhelm Polligkeit vom 10.7.1912 (FWA 797, Bl. 148).

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den der privaten Wohltätigkeit, die seiner Ansicht nach häufig nicht nur „überflüssig, sondern sogar lästig geworden“56 sei, dass es einer Einrichtung bedürfe, die „ordnend“ und „aufklärend“ wirke, und zwar nicht gelegentlich, son­dern „von Dauer“57. Dass er hierbei die bestehenden Organe der öffentlichen Für­sorge einfach ignorierte und eine vollständige Neugründung in privater Hand an­strebte, konnte auch von Flesch nur als Provokation verstanden werden, daran änderte auch das von ihm formulierte Ziel einer „harmonische[n] Zusammenarbeit mit der öffentlichen Fürsorge“ nur wenig. Damit strebte Merton für die Centrale eine Stellung an, die der öffentlichen Armenpflege in der fürsorgerischen Über­wachungshoheit des Stadtraumes den Rang abzulaufen drohte. Die Koordination der einzelnen Fürsorgeeinrichtungen war jedoch nicht das ein­ zige Ziel, dass die Centrale seit ihrer Gründung verfolgte. Die ‚berufsmässige‘ Bildung der in der Fürsorge tätigen Pflegerinnen und Pfleger war ein weiteres Ziel ihrer Arbeit, und auch diese geriet in direkten Konflikt mit der städtischen Für­sorge. Denn deren System beruhte ja auf der Mitarbeit freiwilliger und eben nicht ausgebildeter Helfer. Da dies mit der gängigen Forderung nach „Professionalität“ in Widerspruch stand, konnte hier die private Fürsorge recht wirkungsvoll den Hebel der Kritik ansetzen. Entsprechend erbost reagierte Flesch, als der Jahres­bericht der Zentrale aus dem Jahr 1905 indirekt einforderte, dass nur „berufs­mässig ausgebildete Persönlichkeiten“ Hausbesuche bei Hilfsbedürftigen durch­führen dürften.58 „Die Frage der Mittätigkeit der berufsmässig ausgebildeten Perso­nen kann hier vollständig dahingestellt bleiben“, schrieb Flesch als Antwort auf diesen Bericht und fuhr fort: „Wer lange in der Armenpflege arbeitet, ist berufsmäßig ausgebildet, der Feh­ler beim Armenverein war lediglich, dass er zu wenig Beamte hatte. Be­rufsmässige, d.h. bezahlte Beamte sind naturgemäss in der Privatwohltätig­keit in höherem Mass erfordert, als in der öffentlichen Armenpflege, weil der Zwang zur ehrenamtlichen Arbeit, der uns die regelmässige, nicht nach Laune oder den sonstigen Beschäftigungen der Betreffenden wechselnde, Mitwirkung von 5–600 Armenpflegern verschafft, fehlt.“59

Ob man einer solchen Argumentation folgen mag, sei dahingestellt. Die berufliche Ausbildung des in der Fürsorge engagierten Personals stellte aber auch noch in 56 Wilhelm Merton zitiert nach Achinger, Wilhelm, S. 111. 57 Ebd., S. 113. 58 ��������������������������������������������������������������������������������������� Jahresbericht der Centrale für private Fürsorge in Frankfurt am Main für das Rechnungsjahr 1. November 1904 bis 31. Oktober 1905 (FWA 797, Bl. 3, S. 14). 59 Schreiben von Karl Flesch an die Centrale für private Fürsorge vom 4.4.1906 (FWA 797, Bl. 8). Siehe dazu auch den Jahresbericht der Centrale für private Fürsorge in Frankfurt am Main für das Rechnungsjahr 1. November 1904 bis 31. Oktober 1905 (FWA 797, Bl. 3).

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den späteren Jahren einen zentralen Streitpunkt dar. So konnten sich zwar vor allem Frauen als beruflich ausgebildetes Fachpersonal in der öffentlichen wie pri­vaten Fürsorge etablieren, männliche Handwerksmeister waren allerdings kaum dazu zu bewegen, neben ihrer freiwilligen Tätigkeit im städtischen Fürsorge­system auch noch Schulungen zu besuchen.60 Das beruflich ausgebildete Fachperso­nal wurde daher vor allem von Frauen dominiert. Mit der mangelnden Nachfrage Seitens der männlichen Pfleger nach Ausbildung entstanden Aus­bil­dungsangebote auch erst einmal nur für Frauen, die sich dadurch ein eigenes be­rufliches Betätigungsfeld aufbauen konnten.61 In Frankfurt übernahm hierbei das 1913 gegründete Frauenseminar für soziale Berufsarbeit eine Vorreiterrolle und wurde zu einer zentralen Institution der Frankfurter Frauenbewegung.62 „Es ist kein Zufall”, war noch 1924 in der Frankfurter Zeitung zu lesen, „daß es in Deutschland annähernd 40 Wohlfahrtsschulen für Frauen gibt und keine gleich­artige Ausbildungsstätte für Männer. Die wohlfahrtspflegerische Arbeit ist in ei­nem hervorragenden Maße eine Frauenarbeit.”63 Trotz der Beschreibung der pflege­rischen Arbeit als „Frauenarbeit“ waren quantitativ die mittlerweile fast 2 000 Armenpfleger immer noch zu 4/5 Männer. Als 1901 formal und 1903 de facto die ersten Frauen zu Armenpflegerinnen gewählt wurden, hatten die männli­chen Fürsorger erhebliche Schwierigkeiten, Frauen als gleichberechtigte Pflege­kräfte neben sich zu akzeptieren.64 Noch problematischer wurde dies, als die Frauen die deutlich besser ausgebildeten Fachkräfte waren und damit auch die Arbeit der ihnen nun unterstellten Männer kontrollieren sollten. Die Konflikte, die durch die ausgebildeten Fürsorgerinnen entstanden, beschränk­ ten sich unterdessen nicht allein auf die Konfliktlinie zwischen Männern und Frauen, sondern bestanden gleichermaßen zwischen Frauen unterschiedlicher Insti­tutionen, da die anerkannten Tätigkeitsbereiche von Frauen in der städtischen Verwaltung sich zumeist auf soziale Bereiche beschränkten und sich daher oftmals überschnitten. So führte die Gründung des Frauenkommissariats in Frankfurt am Main im Jahr 1926 zu erheblichen Spannungen zwischen den weiblichen Kommissa­ren und den in der Fürsorge tätigen Frauen. Dabei versuchten die Initiato­ren des weiblichen Kommissariats gerade diese Überschneidung zu vermei­den, zumal in vielen Städten seit der Jahrhundertwende bereits Frauen als Polizeifürsorgerinnen beschäftigt wurden.

60 Dies formulierte unter anderem Magistratsrat Dr. Michel in den 1920er Jahren in einem Grundsatz­referat zu verschiedenen Typen von Fortbildungskursen und Konferenzen für neben­amtliche und ehrenamtliche Kräfte (FWA 199, B. 77). 61 Sachße, Mütterlichkeit. 62 Schröder, Arbeiten, S. 226. 63 Frankfurter Zeitung vom 19.3.1924 (FWA 199, Bl. 48). 64 Ebd., S. 154.

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„Bearbeitet werden in der Hauptsache Angelegenheiten krimineller Natur, die der Frau besonders nahe liegen, wie die Vernehmung von Frauen und Kin­dern, die sittlich gefährdet sind, also Arbeiten, die sonst die sogenannte Sittenpolizei zu erledigen hatte“,

beschrieb eine Frankfurter Tageszeitung im Juni 1926 die Arbeit der neuen Abtei­lung und fuhr fort: „Man geht dabei von dem Gesichtspunkte aus, daß Frauen, Mädchen und Kin­der, die in derartigen Fragen vor der Polizei erscheinen müssen, ihren Geschlechtsgenossinen gegenüber bei Aussagen viel mitteilsamer und vertrau­ensseliger sind als gegenüber Männern.“65

Die Gründung des Frauenkommissariats in Frankfurt, die auf Erlass des preußi­schen Innenministeriums erfolgt war und das zu den ersten seiner Art in Preußen gehörte, war unter anderem eine Reaktion auf die immer lauter werdenden Pro­teste vor allem seitens der Frauenbewegung gegen die anhaltende Diskriminierung von der Prostitution verdächtigten Mädchen und Frauen durch die Polizei.66 Daran konnten auch die Polizeifürsorgerinnen wenig ändern, die in der Praxis von ihren männlichen Kollegen immer wieder übergangen wurden. So beschwerte sich die Stadtverordnete Elsa Bauer von der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei am 12.3.1925 in der 7. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt laut­stark über die Behandlung eines Mädchens, das am Bahnhof von der Polizei aufge­griffen worden sei, nur weil es sich mit einem älteren Herren unterhalten habe. Während sich die Beamten dabei gar nicht um den Mann gekümmert haben sollen, wurde das Mädchen nach der Darstellung Bauers ohne Aufklärung über ihre Rechte von einem (männlichen) Arzt auf ihren „sittlichen Lebenswandel“ medizinisch untersucht. Dieser wurde auch einwandfrei festgestellt, dennoch hielt man das Mädchen zwei Tage im Gefängnis fest, ohne ihr die Gelegenheit zu ge­ben, ihre Eltern zu informieren.67 Empörte Zwischenrufe über das Verhalten der Polizei und eine lautstarke Zustimmung zu den Forderungen nach einer weniger diskriminierenden Behandlung von Frauen brachten die allgemeine Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung für eine Überwindung der geschlechtsspezifi­schen Diskriminierung in der Polizeiarbeit zum Ausdruck. 65 Zeitungsausschnitt handschriftlich datiert vom 5.6.1926 (FWA 1.155, Bl. 3). 66 ������������������������������������������������������������������������������������ Zur Geschichte der weiblichen Kommissariate, die ihren Ausgangspunkt 1923 im besetzten Köln nahmen, siehe Erika S. Fairchild, Women Police in Weimar: Professionalism, Politics, and Innovation in Police Organizations, in: Law & Society Review 21. 1987, S. 375–402 und Ursula Nienhaus, „Nicht für eine Führungsposition geeignet“. Josefine Erkens und die Anfänge weiblicher Polizei in Deutschland 1923–1933, Münster 1999. 67 Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Frankfurt am Main. Band 58, hg. v. Büro der Stadtverordneten-Versammlung, Frankfurt am Main 1926, S. 289–290.

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Doch der Zuständigkeits­bereich, der dem Frauenkommissariat für seine Tätigkeit einge­räumt wurde, war äußerst beschränkt. So sollte das weibliche Kommissariat vor allem eine der Fürsorge „zuleitende“ Funktion haben, „die Grenze“, so der Frankfurter Kriminal-Direktor Zimmermann am 27.4.1926, „wo die fürsorgeri­sche Tätigkeit beginnt“, dürfe „keinesfalls überschritten werden.“68 Darüber hi­naus sollte sich die Abteilung von jeglicher kriminalistischen Ermittlungstätigkeit fernhalten, um – so zumindest die offizielle Begründung – nicht das Vertrauen der Bevölkerung zu den weiblichen Kommissarinnen zu gefährden.69 In der Praxis jedoch waren diese Forderungen kaum umzusetzen und so war es nicht verwunder­lich, dass sich bereits nach einigen Monaten Arbeit die weiblichen Kom­missare über die zu lange Bearbeitungszeit einzelner Fälle durch anderer Ab­teilungen, insbesondere des Jugendamtes, beschwerten, bevor ihnen die Gelegen­heit gegeben wurde, tätig zu werden.70 Aber auch diese anderen Abteilun­gen fühl­ten sich durch die weiblichen Kommissarinnen gestört, da nun noch ne­ben dem Jugendamt, dem Wohlfahrtsamt und dem Stadtgesundheitsamt eine neue Gruppe häufig in den gleichen Fällen Untersuchungen anstellte, was bei den Betrof­fenen Personen sicherlich mehr Misstrauen und Ablehnung, denn Vertrauen erregte.71 Als auch Hamburg im Jahr 1928 ein Frauenkommissariat einzurichten gedachte und dafür die Frankfurter Hilfskommissarin Josefine Erkens72, die als Leiterin die Abteilung in Frankfurt aufgebaut hatte, abwarb, wies das Frankfurter Wohlfahrts­amt den Direktor des Hamburger Jugendamtes „auf die Schwierigkei­ten“ hin, die in Frankfurt „bei der Zusammenarbeit mit dem Kommissariat entstan­den“ seien. „Die Zusammenarbeit zwischen dem Frauenkommissariat und dem Jugendamt ließ sich anfänglich gut an“, schrieb das Frankfurter Wohlfahrtsamt am 12.4.1927, „nach einiger Zeit wurde aber von den Aussenbeamten wie auch von den Kreisstellen – kleine Jugendamts-Dienststellen in den verschiedenen Stadt­be­zirken – unserem Amt darüber geklagt, dass die Damen des Frauenkommis­sariats vielfach gleichfalls in die Familien und

68 ���������������������������������������������������������������������������������� Bericht des Kriminal-Direktors Zimmermann zur Einrichtung eines weiblichen Kommissariats vom 27.4.1926 (FWA 657, Bl. 192). 69 �������������������������������������������������������������������������������������� Diese den Frauen zugeschriebene Fähigkeit, soziale Distanzen besser überwinden zu können, als ihre männlichen Kollegen, findet sich gleichermaßen in der Wohnungsfürsorge, in der den tech­nisch ausgebildeten Wohnungsinspektoren sozial ausgebildete Wohnungsfürsorgerinnen zur Seite gestellt wurden. 70 Ergebnis der Besprechung am 19.11.1926 bei der Hauptstelle des Jugend-Amtes (FWA 1.155, Bl. 11). 71 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an Direktor Hertz des Jugendamtes Hamburg vom 12.4.1927 (FWA 1.155, Bl. 31). 72 Ausführlich zum Wirken von Josefine Erkens siehe Fairchild, Women und Nienhaus, Nicht.

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in die Schulen gingen um Ermittlungen anzustellen und dass dadurch unsere Ermittlungs­ tä­tigkeit vielfach gestört würde.“73

Auf Grund dieser als störend empfundenen Einmischungen seitens des Frauen­ kommissariats ließ das Jugendamt einen Bericht verfassen, um diese für die Zu­kunft zu unterbinden und damit de facto die Handlungsmöglichkeiten der weibli­chen Kommissare noch weiter einzuschränken. „Jedenfalls müssen wir Jugendäm­ter alles tun“, heißt es in diesem Bericht, „um die Polizei davon abzuhalten, störend in das von uns gesetzlich zugewie­sene Arbeitsgebiet einzugreifen. Die Gefahr wird überall bestehen, wo Weibliche Polizei eingerichtet wird, denn die Frau neigt nach ihrer beson­deren Veranlagung leicht zu einer fürsorgerischen Behandlung der ihr überwiesenen Aufgaben und sie wird hierin noch dadurch unterstützt, dass die Vorbildung der Beamtinnen des Frauen-Kommissariats weniger eine aus­ gesprochene polizeiliche als fürsorgerische ist, denn sie rekrutieren sich zur Zeit noch fast ausschließlich aus den Kreisen der Fürsorgerinnen.“74

Solche Konkurrenzkämpfe um Zuständigkeiten fanden sich auch in anderen Berei­ chen der Fürsorge, meist immer dann, wenn neue Funktionsstellen geschaf­fen wurden, die eigentlich mit den bestehenden Abteilungen zusammenarbeiten sollten, in der Praxis sich aber deren Aufgabengebiete aber weitgehend überschnit­ten. So berichtete Schwester Barbara, die erste Quartiersschwester in Frankfurt am Main, mit der in der Riederwaldkolonie das Prinzip der Familien­fürsorge erprobt werden sollte, am 17.11.1921 in der Besprechung der Fürsorgerin­nen des Wohlfahrtsamtes, dass weder das Personal der Tuberkulose­fürsorge, noch die Schulpflegerinnen mit ihr effektiv zusammenarbeiten würden. Insbesondere die Schulpflegerinnen würden sich weigern, Fälle an sie abzutreten. Von einer ähnlichen Erfahrung berichtete in der gleichen Sitzung die der Altstadt zugeteilte Quartiersschwester Freyland, die sogar den Verdacht hegte, dass ganze Abteilungen des Jugendamtes ihr entgegen arbeiten würden.75 In diesen Transformationsprozessen des städtischen Fürsorgesystems war der Erste Weltkrieg wohl einer der markantesten und prägendsten Einschnitte. Mit dem Krieg hatte sich das Verhältnis zwischen privater und öffentlicher Fürsorge grundlegend gewandelt, das Spannungsverhältnis um die private Einflussnahme im städtischen Raum 73 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an Direktor Hertz des Jugendamtes Hamburg vom 12.4.1927 (FWA 1.155, Bl. 31). 74 Undatierter Bericht, ca. Juni 1927 (FWA 1.155, Bl. 34). 75 Bericht zur Besprechung der Fürsorgerinnen des Wohlfahrtsamtes am 17.11.1921 (FWA 636, Bl. 40).

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blieb jedoch weiterhin bestehen und verschärfte sich in man­cher Hinsicht. Denn die sich ausbreitende Massennot der Nachkriegszeit und die Hyperinflation traf vor allem auch das Bürgertum, das nun selbst auf die Hilfs­organisationen angewiesen war, die es eigentlich für soziale Unterschichten ge­schaffen hatte. Damit waren nicht nur die öffentliche und private Fürsorge ge­zwungen, ihre Strategien grundlegend zu überdenken, auch das verarmte Bürger­tum musste sich mit seiner neuen Lebenssituation und vor allem den daraus be­schränkten Handlungsspielräumen abfinden.76 Die erste Reaktion der Stadt­verwal­tung auf das Elend der Nachkriegszeit war ein umfassender Kommunalisie­rungsprozess der privaten Fürsorgeeinrichtungen, zum einen, da die Vereine und Stiftungen über so gut wie kein Kapital mehr verfügten, zum anderen, da insbe­sondere die linken politischen Gruppierungen und hier vor allem auch die an die Macht gekommenen Sozialdemokraten den bürgerlichen Fürsorgevereinen kein Vertrauen entgegen brachten. Die Sozialdemokraten befanden sich nun in einer Position, in der sie dieses Misstrauen auf dem politischen Weg durch den Entzug von Einflussmöglichkeiten zum Ausdruck bringen konnten. Nicht nur in den Au­gen der Sozialdemokraten haftete der privaten Fürsorge ein Ruf der Überheblich­keit und des Dilettantismus an. Die Zeit des „gnädigen Gewährens“ aus der Epo­che bürgerlicher Herrschaft sollte endgültig überwunden werden.77 Sogar füh­rende Köpfe der privaten Wohltätigkeit befürworteten die Vorrangstellung der Stadt in der Leitung der Fürsorge, wie auch der Direktor des Berliner Zweiges der Centrale für private Fürsorge, der sich für eine kommunale Wohlfahrtsstelle aus­sprach, „in deren Hände man vertrauensvoll die wichtige Aufgabe gelegt hat, der freien Liebestätigkeit die richtigen Bahnen zu weisen und sie in den Ge­samtorganismus des Fürsorgewesens am richtigen Platz einzufügen und da­für zu sorgen, dass sie an diesem Platz zu höchsten Anforderungen ent­sprechend der Wirksamkeit gelangen kann.“78

Diese Haltung fand allerdings in der bürgerlich geprägten privaten Fürsorge nur begrenzt Anhänger und stieß insbesondere auf Seiten der konfessionellen Wohl­ fahrtspflege auf Skepsis.79 Denn eine gewisse Freiheit in der Gewährung von Unter­ stützung wollte man sich nicht nehmen lassen, zumal das verarmte Bürger­tum häufig lieber auf Unterstützung verzichtete, als den Gang zum Wohlfahrtsamt zu unternehmen. Um dem zu begegnen, ersuchten Anfang der 20er Jahre vermehrt Stiftungen und freie Fürsorgeeinrichtungen beim Wohlfahrtsamt, die finanzielle Unterstützung dieser „verschämten Armen“ diskret handhaben zu dürfen und ih­nen damit de facto 76 77 78 79

Sachße, Mütterlichkeit, S. 164f., 195f. Vgl. dazu Schaeffer, Frankfurter, S. 195. Zitiert nach Sachße, Mütterlichkeit, S. 195. Ebd., S. 196.

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Sonderrechte gegenüber nicht-bürgerlichen Armen einzuräu­men. Von dem nun sozialdemokratisch gelenkten Wohlfahrtsamt wurden solche Ersuche einstimmig abgelehnt. Die Ablehnung war aber nicht rein sozialdemo­kratischer Natur, sondern entsprach der städtischen Fürsorgepolitik, die bereits unter Karl Flesch und Bürgermeister Miquel eingeschlagen worden war.80 Mit dem wachsenden Einfluss der Sozialdemokraten in der städtischen Verwal­ tung und hier insbesondere bei der Besetzung der Posten des Polizeipräsidenten und des Leiters des Wohlfahrtsamtes, weiteten sich die Handlungsspielräume der Sozialdemokraten nicht nur, sondern wurden auch eingeschränkt, insbesondere in der Möglichkeit der Kritikführung. Ein offener, selbstkritischer Umgang mit der Entwicklung des Fürsorgesystems kam damit auf Seiten der Sozialdemokraten in weiten Teilen zum Erliegen, auch wenn dies bedeutete, die Augen vor der sich ausbreitenden Not zu verschließen. Die harscheste Kritik kam nun aus den Reihen der Kommunisten, die sich vor allem gegen die zunehmende Bürokratisierung richtete, die in vielerlei Hinsicht die Hilfsbedürftigen mehr gängelte, denn unter­stützte. Bevor die in Frankfurt gedruckte Zeitung „Neue freie Presse“ im Zuge der Bekämpfung von „Schundliteratur“ schon nach wenigen Ausgaben beschlagnahmt wurde, veröffentlichte sie ein Gedicht unter dem Titel „St. Bürokratius“, das den grassierenden Unmut über die Entwicklung der Fürsorge zum Ausdruck brachte. „Ein armes Weib zur Apothek sich schleppt Und bringt vom Armendoktor ein Rezept. Ganz müd und matt sinkt dort sie auf die Bank, Vom vielen Krankenpflegen selber krank. Ihr sagt ein Mann, indem er Pflaster streicht: ‚Ja, liebe Frau, das Ding ist nicht so leicht. Der Schein muß erst zu dem Bezirksvorstand, Der prüft, ob er sie auch bedürftig fand. Damit gehn Sie zur Armenkommission. Die fragt sie erst, wie hoch des Mannes Lohn. Und dort erklären Sie an Eidestatt, Daß Ihre Wohnung nichts zu pfänden hat.

80 Protokoll des Ausschusses für offene Unterstützung vom 28.7.1922 (FWA 286, Bl. 40).

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Dann bringen Sie den Schein zur Polizei, Die angibt ob ihr Leumund einwandfrei. Sodann bestätigt, wenn dies zu all trifft, Der Kreisarzt des Kollegen Unterschrift. Ist so erfüllt der Amtsvorschrift Begehr, Dann bringen Sie den Zettel wieder her.‘ Ein alter Herr mit langem weißen Haar, Der grade in der Apotheke war, Der sagt: ‚Die Frau, die kann ja kaum noch stehn, Nun soll sie noch die vielen Wege gehn? Damit die arme Frau ihr Kind behält, Bezahl ich das Rezept. Hier ist das Geld. Bis die erfüllt hat, was man ihr gebot, Da ist schon längst ihr krankes Kindchen tot. Und bis die Aemter alle fertig sind, Da hat die Frau schon längst ein neues Kind.‘“81

Während 1922 in diesem Gedicht noch recht sarkastisch mit den ganz alltags­ praktischen Problemen des sich neu formierenden Fürsorgesystems umgegangen wurde, wandelte sich diese Haltung in den nächsten Jahren zunehmend. Die Stimmung in der Stadt und vor allem unter den Unterstützungsbedürftigen wurde immer verzweifelter und damit auch aggressiver, eine Stimmung, die insbeson­dere die Kommunisten und später die Nationalsozialisten für sich nutzten, um sich als Sprachrohr der ihrer Ansicht nach unwürdig behandelten Arbeiterklasse zu gerieren. Dabei war der bürokratische Apparat ja unter anderem eingeführt wor­den, um mehr Gerechtigkeit in der Verteilung der knappen Ressourcen zu schaf­fen und Unterstützungsbedürftige nicht vom „gnädigen Gewähren“ bürgerlicher Fürsorgeorganisationen abhängig zu machen, sondern ihnen ihr Recht auf Unter­stützung zukommen zu lassen. Die privaten Fürsorgeeinrichtungen wurden unterdessen nicht alle kommunali­ siert, aber die Stadt bemühte sich um eine Einbindung der selbständig gebliebenen 81 Neue Freie Presse. Unabhängige Wochenschrift. Parteilos. 1. Jahrg. Nr. 5, Frankfurt am Main 1922, S. 3 (FWA 1.204, Bl. 137).

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Vereine in die städtische Fürsorge. Hierfür räumte man diesen drei von 18 Sitzen im Wohlfahrtsamt ein, „im Interesse des gemeinsamen Wirkens und eines engen Zusammenschlusses“82. Als führender Kopf der privaten Fürsorge im Frankfurt und ganz Deutschland etablierte sich zu dieser Zeit der Jurist Wilhelm Polligkeit. Dieser war von 1903 bis 1920 bereits Geschäftsführer der Centrale für private Fürsorge gewesen, um anschließend die Geschäftsführung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zu übernehmen. Er setzte sich energisch für eine eigenständige und wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung der privaten Fürsorge ein, zwar in enger Kooperation mit dem städtischen Wohlfahrtsamt, diesem aber niemals unterstellt. Dass die privaten Vereine jenseits behäbiger recht­licher Verordnungen flexibel agieren sollten, traf hierbei auf einhellige Zustim­mung und wurde auch immer wieder zum Ausdruck gebracht. Bildeten sich aber tatsächlich größere Initiativen, regte sich – wie im Fall der bereits angesprochenen Straßennotgemeinschaften – auf Seiten der Kommune Argwohn und Skepsis. Im städtischen Bürgertum entsprangen solche Initiativen dem Bedürfnis, der Fürsorge wieder etwas ‚menschliches‘ zu geben, „Engherzigkeit und Bürokratismus kommt nicht über unsere Schwelle“83, war eines der Prinzipien der Notselbsthilfe in der Rothschildallee, der ‚Keimzelle‘ der Straßennotgemeinschaften. Das städtische Wohlfahrtsamt warnte zu verschiedenen Anlässen vor sozialen Ungleichbehand­lungen und tat dies mal unwirsch, häufig aber auch sehr bedächtig, schließlich wollte man den persönlichen Antrieb, sich überhaupt zu engagieren, nicht gleich im Keim ersticken. „Es wurde allseits der hohe Wert dieser spontanen Mitarbeit der Bürgerschaft anerkannt und wärmstens begrüsst“84, lautete es im Protokoll aus einer der Sitzungen des Wohlfahrtsamtes, in der über den Sinn und Zweck der Bewegung diskutiert wurde, „wir halten die Errichtung von Strassennotgemein­ schaften nicht für zweckmäßig“85, schrieb der Leiter des Wohlfahrtsamtes Eduard Gräf nur wenige Wochen zuvor an den Polizeipräsidenten. Dieser hatte so etwas schon vermutet und über die ‚seltsamen‘ Machenschaften in der Rothschildallee beim Wohlfahrtsamt Bericht erstattet. Für viele freiwillige Fürsorger war die unmit­telbar erlebte Befriedigung, einem Menschen geholfen zu haben, der maß­gebliche Anreiz, überhaupt zu helfen. „Die Sache ist ja so furchtbar einfach und Ihr werdet Freude erleben, vorausgesetzt, wenn das Herz dabei ist und Liebe, Liebe und nochmals Liebe zu allen unseren hilfsbedürftigen Schwestern und Brü­dern“86, begeisterte man sich 82 Wohlfahrtsamt Frankfurt am Main, Entstehung, S. 10. 83 Frankfurter Zeitung vom 27.11.1923 (FWA 398, Bl. 2). 84 Kurzprotokoll zum Treffen des Wohlfahrtsamtes und der Strassennotgemeinschaften vom 30.1.1924 (FWA 398, Bl. 10). 85 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an das Polizei-Präsidium vom 21.12.1923 (FWA 398, Bl. 7). 86 Frankfurter Zeitung vom 27.11.1923 (FWA 398, Bl. 2).

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noch in den ersten Wochen der Bewegung, bis man an den Haustüren der Nachbarn Alkoholismus, Gewalt und allem anderen als „Liebe“ begegnete. Gleichermaßen verstimmt reagierte das städtische Wohlfahrtsamt, wenn private Einrichtungen versuchten, den kommunalen Einfluss wieder rückgängig zu ma­chen. So bemühte sich im Juni 1926 der Sohn des Stadtrates Flesch darum, den Frankfurter Hauspflegeverein wieder aus dem Wohlfahrtsamt auszugliedern, um autonom der Hauspflege nachkommen zu können. „Der Hauspflegeverein ist seinerzeit von meinem verstorbenen Vater begründet worden“, schrieb Dr. Flesch am 7.6.1926 an Bürgermeister Gräf, „er hat vor dem Krieg segensreich gewirkt, ist dann infolge der veränderten wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse zusammengebrochen; der Ver­ein besteht heute nur noch dem Namen nach insofern, als er im Vereinsre­gister noch nicht gelöscht ist, während praktisch die Durchführung der Hauspflege seit langem vom Wohlfahrtsamt übernommen ist. Ich stehe nun auf dem Standpunkt, dass die Hauspflege an sich nicht Sache des Wohlfahrtsamtes ist. Die Haupflege [sic!] ist eigenstes Gebiet privater Gemeinnützigkeit. Ich habe daher im Vorstand des Vaterländischen Frauen­vereins angeregt, eine besondere Abteilung des Vaterländischen Frauen­vereins für Hauspflege zu bilden, um gleichzeitig unserem Verein neue Be­tätigungsmöglichkeit zu geben, das Wohlfahrtsamt zu entlasten und die Hauspflege wieder auf den eigentlichen Boden privater Liebestätigkeit zu­rückzuführen.“87

Auf dieses Ansinnen reagierte Bürgermeister Gräf nicht unbedingt erfreut, noch mehr verstimmte ihn jedoch das Gebaren von Frau Prof. Hella Flesch, das diese drei Tage nach dem Schreiben ihres Mannes auf einer Tagung der Hauspflege in Düsseldorf an den Tag legte. „In verschiedenen Punkten trat mir Frau Prof. Hella Flesch mit ihrer Ansicht entgegen“, notierte Gräf in einem internen Tagungs­bericht, „und hob hervor, dass die Hauspflege zweckmässig in den Händen der pri­vaten Wohltätigkeit verbleiben müsse, da man die Erfahrung gemacht habe, dass allgemein die Leute sich scheuten, die städt. Wohlfahrtsämter wegen Gewährung von Hauspflege in Anspruch zu nehmen.“88

Gleichwohl Frau Prof. Flesch so die Leitung der Hauspflege in privater Hand an­ strebte, erwartete sie, dass sich das Wohlfahrtsamt weiterhin mit Subventionen daran beteilige. Dieses offensive Vorgehen des Ehepaares Flesch im Namen des Vaterländi87 Schreiben von Karl Flesch an Eduard Gräf vom 7.6.1926 (FWA 245, Bl. 209). 88 Bericht zur Tagung des Verbandes der Hauspflege in Düsseldorf am 10.6.1926 (FWA 245, Bl. 210).

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schen Frauenvereins erboste den Leiter des Wohlfahrtsamtes dermaßen, dass er drei Monate später den offiziellen Austritt des Wohlfahrtsamtes aus dem Verband der Hauspflege erklärte. Hella Flesch versuchte mehrfach, auch mit Un­terstützung der sozialdemokratischen Stadträtin Meta Quarck-Hammerschlag, Bürgermeister Gräf wieder umzustimmen, allerdings erfolglos. Immer noch äu­ßerst verstimmt schrieb Eduard Gräf am 26.11.1926 an Hella Flesch: „Nach der Einstellung des Verbandes zur kommunalen Hauspflege [haben wir] keine Veranlas­sung […], dem Verband weiterhin anzugehören, zumal er selbst anschei­nend keinen Wert auf die Mitgliedschaft kommunaler Hauspflege legt.“89 Das Ziel, Ordnung in das Chaos der Fürsorge zu bringen, wurde durch den ersten Weltkrieg weitgehend zerschlagen. Die schwierige Situation der Nachkriegszeit zwang das Fürsorgeamt, sich durch ständige Reformen den unvorhergesehen auf­ tauchenden Problemen anzupassen und konnte somit nur noch reagieren, niemals aber proaktiv handeln, wie es eigentlich dem neuen Ideal der Fürsorge ent­sprochen hätte. Nachdem 1914 erst das Jugendamt aus dem Armenamt ausgekop­pelt und 1918 das Frankfurter Wohlfahrtsamt grundlegend neu konstituiert wor­den war, begann man auch schon mit der Reorganisation. Bereits 1922 sprach man davon, das Jugendamt wieder in das Wohlfahrtsamt rückführen zu wollen, um so dem Ideal der „Familienfürsorge“ gerecht werden zu können. Diese Bewe­g ung hatte sich bereits um die Jahrhundertwende in amerikanischen Städten auszu­breiten begonnen und in den 1920er Jahren fasste sie auch in deutschen Städten Fuß. „It has been said that the home is not only the true unit of society, but that it is the charitable unit as well, and that when we deal with anything less than a whole family, we deal with fractions“90, schrieb Mary Richmond, die von 1900 bis 1909 Generalsekretärin der Philadelphia Societiy for Organizing Charity war und als ‚Mutter’ der Familienfürsorge galt91, in ihrem Handbuch „Friendly Visiting Among the Poor: A Handbook for Charity Workers“. Mit ganz ähnlichen Worten warb zwanzig Jahre später (1921) das Chemnitzer

89 Eduard Gräf an Hella Flesch vom 26.11.26 (FWA 245, Bl. 218). 90 ���������������������������������������������������������������������������������� Mary Ellen Richmond, Friendly Visiting Among the Poor. A Handbook for Charity Workers, New York 1903, S. 44. 91 Die SOC sollte sich 25 Jahre später in Family Society of Philadelphia umbenennen, zu einem Zeitpunkt, da sie schon längst nicht mehr für die Organisation von Fürsorge zuständig war. Diese hatten mittlerweile besser aufgestellte Einrichtungen für Philadelphia übernommen, wie die Philadelphia Housing Association. Zur Umbenennung der SOC siehe Philadelphia Society für Organiing Chatity (Hg.), Annual Report. Forty-Seventh Year. January 1 to December 31, 1924, Philadelphia 1925, S. 3 (HSP, Family Service, Box 73, F. 10). Zum Wirken Mary Richmonds siehe Elizabeth N. Agnew, From Charity to Social Work. Mary E. Richmond and the Creation of an American Profession, Urbana 2004, zur Familienfürsorge insbesondere Kapi­tel 4.

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Wohlfahrtsamt – auch in Frankfurt – für eine Umstrukturierung der städtischen Fürsorge in Deutschland im Sinne einer Familienfürsorge: „Die Familienfürsorge will einem planlosen Nebeneinanderarbeiten der ein­zelnen Fürsorgegebiete und damit verbundener unwirtschaftlicher Zersplit­terung […] vorbeugen. Sie will […] die gesamte Familie, nicht nur das ein­zelne Glied, in die Fürsorge einbeschließen.“92

Das System einer ausdifferenzierten Sonderfürsorge, das sich seit dem späten 19. Jahrhundert in den deutsche Städten breit gemacht hatte, sollte nun wieder abgeschafft werden.93 In Frankfurt allerdings dauerte dieser Umstrukturierungs­prozess bis 1928. In den Jahren dazwischen wurde man dennoch nicht müde, neue Abteilungen einzurichten, Verordnung über Verordnung zu erlassen und im all­gemeinen Chaos fast jegliche Orientierung zu verlieren, vor allem, weil das über­arbeitete Personal unter dem steigenden Andrang Unterstützungsbedürftiger und der Reorganisierungswut der Stadtverwaltung körperlich zusammenbrach. Ver­zweifelt schrieb das Wohlfahrtsamt an den Magistrat am 2.6.1926: „Die gesamten Beamten sind derart nervös und heruntergewirtschaftet, dass wir der allernächsten Zukunft mit grösster Sorge entgegensehen, wenn nicht umgehend Hilfe geschaf­fen wird.”94 Diese Hilfe zu schaffen, war der Magistrat allerdings nicht in der Lage. In der Kreisstelle IVa (Bornheim-West) wuchsen im Februar 1926 die Warte­zeiten der Unterstützungsbedürftigen auf viereinhalb Stunden an, nachdem drei Wochen zuvor der Beamte Bär verstorben und der Kreisvorsteher bereits seit zwei Wochen erkrankt war und sich nun auch der Beamte Reidinger krank gemel­det hatte.95 Die wenigen Mitarbeiter der Kreisstellen waren derart überlastet, dass sie nur für das Auffinden der richtigen Akten Überstunden leisten mussten. Eine angemessene Führung dieser Akten, auf deren Basis mittlerweile fast ausschließ­lich über die Zuweisung von Unterstützung entschieden wurde, war kaum noch möglich.96 Dass das Revisionsamt auf Grund der desolaten Aktenlage beständig Aktenrevisionen einforderte, machte die Sache für die Kreisstellenbeamten nicht besser. Und so schrieb auch der Beamtenausschuss des Wohlfahrtsamtes an das Wohlfahrtsamt: „Die Beamten der Kreisstellen sind seit geraumer Zeit mit Arbeit derart überlastet, dass eine sachgemässe Erledigung der ihnen übertragenen Aufga­ben 92 Blätter für das Chemnitzer Fürsorgeamt, Nr. 6, 1921 (FWA 636, Bl. 32). 93 ������������������������������������������������������������������������������������ Grundlegend zur Ausdifferenzierung der Fürsorge in Deutschland siehe Sachße u. Tennstedt, Geschichte, S. 184–198. 94 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an den Magistrat der Stadt Frankfurt am Main vom 2.6.1926 (FWA 601, Bl. 23) 95 Schreiben der Kreisstelle IVa (gez. Hofmann) an Kreisstellenzentrale vom 6.2.1926 (FWA 601, Bl. 292 und 293). 96 Schreiben der Kreisstelle IVa (gez. Gehb.) an das Wohlfahrtsamt vom 6.2.1926 (FWA 601, Bl. 295).

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unmöglich ist.”97 Auf die täglichen Probleme des Beamtenstabes und der Unterstützungsbedürftigen vor allem in der Konfrontation miteinander, wird noch zu sprechen zu kommen sein. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass trotz aller Bemühungen, die städtische Fürsorge in geordnete Bahnen zu lenken, in den Jahren der Weimarer Republik sowohl die private wie auch die öffentliche Für­sorge in Frankfurt nicht mehr wirklich Herr der Lage war. Blickt man allein auf die chaotischen Zustände in den Kreisstellen, wäre sogar zu hinterfragen, ob es sich bei der geleisteten Fürsorgearbeit noch um ein wirkliches „System“ handelte, oder ob es nicht der verzweifelte Versuch verzweifelter Mitarbeiter war, Akten­berge zu bewältigen. In Philadelphia, dem ich mich nun zuwenden möchte, zeichnet sich unterdessen ein ganz ähnliches Ringen der sozialen Fürsorge mit den sich mehrenden sozialen Problemen in der Stadt ab, jedoch in ganz anderer Form, als dies in Frankfurt am Main der Fall war.

2.2

Reformer vs. Machine: Das Ringen um den städtischen Raum in Philadelphia

Am 31.01.1923 berichtete das amerikanische Department of Labor von einer mögli­ chen Zunahme der Anzahl schwarzer Migrantinnen und Migranten aus dem Süden der Vereinigten Staaten, die in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten in den Städten des Nordens eintreffen sollten.98 Durch die Tagespresse rasch ver­breitet, aktivierten die führenden privaten Fürsorgeeinrichtungen Philadelphias ihr bestehendes Kommunikationsnetz und fanden sich zu einem Committee on Negro Migration zusammen.99 In der Folgezeit überwachten sie die städtischen Bahn­höfe, holten In97 Schreiben des Beamtenunterausschuss des Wohlfahrtsamtes an das Wohlfahrtsamt vom 24.3.1925 (FWA 601, Bl. 296). 98 Zeitungsauschnitt (Zeitung unbekannt) (UA, URB 31, F. 4). 99 ����������������������������������������������������������������������������������� Das Committee on Negro Migration hatte bereits anlässlich der ersten Einwanderungswelle nach Philadelphia im Jahr 1917 konstituiert. Am 13.2.1917 wurde das erste Komitee auf einer Sitzung der Round Table Conference for the Work Among Colored People gegründet. Vgl. Minutes of the Round Table Conference for the Work Among Colored People in Philadelphia, February 13, 1917 (UA, URB 3/II/124, Box 21). Zu den Mitgliedern gehörte die Armstrong Association, das Childrens Bureau, die Federation of Churches, das Inter-Racial Committee, das Mercy Hospital, ein Verbund der Negro Welfare Organizations, die Octavia Hill Association, die Philadelphia Housing Association, die Traveler’s Aid Society und die Society for Organizing Charity (Vgl. UA, URB 31, F. 1). Dass sich an diesem Komitee mit der Octavia Hill Association und der Philadelphia Housing Association gleich zwei Organisationen ange­schlossen hatten, die sich dezidiert der Wohnungsfürsorge widmeten, resultierte vor allem aus dem Problem, dass die Zuwanderer überwiegend in die sich ohnehin schon durch eine schlechte Bau-

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formationen bei afroamerikanischen Kirchen und Bruderschaften über Mitgliederzuwächse aus dem Süden ein, führten Interviews mit abgefange­nen Migrantinnen und Migranten, überprüften die Entwicklung des Arbeits­marktes und organisierten Stadtteilstudien. Auf Grundlage dieser Erhebungen und Recherchen verfasste William D. Fuller im Auftrag des Komitees eine „Negro Migrant Study“100, die wiederum den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Handlungsstrategie der privaten Fürsorgeorganisationen darstellen sollte. Dezidier­tes Ziel dieser Strategie war die Einführung der afroamerikanischen Mig­rantinnen und Migranten aus dem Süden in das städtische Leben.101 Um der Mig­ranten habhaft zu werden und sie mit den notwendigen Informationen des städti­schen Lebens zu versorgen – einerseits um sie vor den ‚Gefahren‘ der Groß­stadt zu bewahren, andererseits um sich selbst zu schützen –, versuchten die Fürsor­georganisationen sie möglichst direkt bei ihrer Einreise in die Stadt abzu­fangen.102 Ähnlich der Bahnhofsmissionen in deutschen Städten postierten sich Fürsorger vor allem der Traveller’s Aid Society am zentralen Bahnhof der Stadt, ein Unter­fangen, dass nur sehr begrenzte Erfolge aufweisen konnte. Denn viele Migranten wurden vor allem von der Furcht begleitet, wieder in den Süden zurück­ geschickt zu werden103, und so mieden die Neuzuwanderer bei ihrer Ein­reise eher den Kon­takt mit Fremden, als dass sie ihn suchten.104 Statt dessen stütz­ten sie sich substanz auszeichnenden „Negro Districts“ in South und North Philadelphia dräng­ten. Vgl. dazu Vincent P. Franklin, The Philadelphia Race Riot of 1918, in: Joe William Trotter u. Eric Ledell Smith (Hg.), African Americans in Pennsylvania. Shifting Historical Perspectives, Harrisburg 1997, S. 316–329. 100 Die Ergebnisse der Untersuchung wurden von William D. Fuller in einer 96-seitigen Studie zusammengefasst. Vgl. William D. Fuller, The Negro Migrant in Philadelphia, Philadelphia 1924 (UA, URB 31, F. 5). 101 ������������������������������������������������������������������������������������� Schon im Jahr 1907 war in Philadelphia auf die Initiative weißer und schwarzer Reformer die Armstrong Association gegründet worden, deren dezidiertes Ziel es war, vom Land in die Stadt migrierenden Afroamerikanern bei der Umstellung auf ihre neue Lebensumwelt zu unter­stützen. Die Armstrong Association verfolgte damit ein ähnliches Ziel, wie die 1911 in New York gegründete National Urban League. 1955 trat die Armstrong Association der National Urban League bei und änderte ihren Namen in Urban League of Philadelphia. Zur Geschichte der National Urban League siehe auch Touré F. Reed, Not Alms but Opportunity. The Urban League & the Politics of Racial Uplift, 1910–1950, Chapel Hill 2008. 102 Am umfassendsten mit der kritischen Wahrnehmung amerikanischer und europäischer Städte hat sich Andrew Lees auseinandergesetzt. Siehe vor allem Andrew Lees, Cities Perceived. Ur­ban Society in European and American Thought 1820–1940, Manchester 1985. 103 Fuller, Negro, S. 29. 104 Die Strategie der Traveller’s Aid Society geht u. a. aus dem „Memo of Discussion at Traveler’s Aid Society’s office” vom 30.2.1917 (UA, URB 3/II/124, Box 21) hervor.

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zumeist auf die Hilfe bereits etablierter sozialer Netzwerke, suchten alte Bekannte und Ver­wandte auf, denen sie in die Stadt nachgereist waren, oder ließen sich erst einmal in den Wohnungen nieder, die recruiter von ansässigen Industrie­unternehmen für sie vorbereitet hatten. Aus diesem Grund waren die Fürsorgeorga­nisationen, woll­ ten sie der Zuwanderer habhaft werden, auch dazu gezwungen, diese in ihren Stadt­ vierteln ausfindig zu machen. Die hatten sich für die weiße Mittel- und Oberschicht in den Jahrzehnten zuvor zu einer regelrechten „terra incognita“105 entwickelt. Einig war man sich hierbei im Committee on Negro Migration darüber, dass vor allem den afroamerikanischen Kir­chen eine Schlüsselfunktion zukom­men müsse, da viele der befragten Einwan­derer angaben, eben einer solchen anzu­gehören oder zumindest in ihrer Heimat angehört zu haben.106 „Being in a strange city and not having the protection of the church, they may drift away from it“, formulierte so auch der presbyterianische Reverend Charles Freeman die Angst vor der ‚Verrohung‘ der Zuwanderer in den städtischen Immigrantendistrikten in einer Ansprache anlässlich eines Treffens der farbigen presbyterian ministers: „The church is the best organization that can minister to them and protect them from the hazards of a large city, especially as they are unfamiliar with the ways of a large city.”107 Die Belehrungen der Neuankömmlinge um die „city ways“ waren in mehrfacher Hinsicht notwendig, vor allem im Bereich der alltäglichen Lebensführung. So führte beispielsweise bei den Zuwanderern aus Greenwood, South Carolina, die sich relativ geschlossen zwischen der Girard und Susquehanna Avenue in North Philadelphia niedergelassen hatten, deren Gewohnheit, sich mit Messern und Pisto­len zu bewaffnen, in ihrer Nachbarschaft zu erheblichen Spannungen und brachte der Gruppe rasch den Ruf ein, besonders gewalttätig zu sein.108 Auch kam es vielen Familien vom Land gar nicht in den Sinn, ihr Waschwasser nicht direkt auf der Straße zu entleeren, wie sie es auf dem Land getan hatten, oder aber sie gebrauchten ihren Abfluss im Haus als universalen Entsorgungskanal und mach­ten ihn damit rasch unbrauchbar.109 Am Zur Bahnhofs­mission in Deutschland am Beispiel Berlins siehe Bettina Hitzer, Im Netz der Liebe. Die protes­tantische Kirche und ihre Zuwanderer in der Metropole Berlin (1849–1914), Köln 2006. Die geringe Erfolgsquote im Abfangen von Neuzuwanderern am Hauptbahnhof wird vor allem an der niedrigen Anzahl geführter Interviews mit Einwanderern in der Negro Migrant Study deutlich. Siehe dazu Fuller, Negro. 105 Lees, Cities, S. 124. 106 Dies geht unter anderem aus dem „Negro Migration Report“ des Committee on Negro Migra­tion vom 9.7.1923 hervor (UA, URB 31, F. 2). 107 Redeentwurf (UA, URB 31, F. 1). 108 Allen B. Ballard, One More Day’s Journey. The Story of a Family and a People, New York 1984, S. 179. 109 ������������������������������������������������������������������������������� Vgl. dazu ebd. Die hygienischen Probleme mit den Zuwanderern gehen auch aus einem Bericht der städtischen Gesundheitsbehörde hervor. Vgl. Bureau of Health, Negro

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meisten jedoch bereiteten den Städtern die fehlenden Impfungen der Migrantinnen und Migranten Sorgen – und dies nicht zu Unrecht. Allein von Dezember 1922 bis Juli 1923 mussten in Philadelphia 46 Quarantänen gegen die Ausbreitung der Pocken eingerichtet werden, ein Umstand, der von der Tages­presse eifrig kommentiert wurde. Dass die städtische Gesundheitsbehörde die farbi­gen Einwanderer als die eigentliche Ursache der gesundheitlichen Bedrohung bezeichnete, trug nicht gerade dazu bei, die wachsenden rassistischen Spannungen in der Stadt abzumildern. In ihrem Bericht zum Jahr 1923 schrieb sie: “The increase in the number of cases for 1923 is directly attributed to the unusually heavy influx of the colored population from the South […]. The type of smallpox in this City has been of the mild modified type, imported from the South by the colored race […].”110

Die Philadelphia Housing Association (PHA) und die an afroamerikanische Leser gerichtete Wochenzeitung Philadelphia Tribune, bemühten sich unterdessen um Schadensbegrenzung und verbreitete die Einschätzung, dass die Gründe für die Infektionsherde nicht bei den farbigen Einwanderern per se, sondern in den Umstän­den ihrer Zuwanderung zu suchen sei. So seien vor allem die fehlenden Impfbestimmungen im Süden und die ungesunden Wohnungen in den Immigra­tionsdistrikten der Stadt die eigentlichen Ursachen der Misere.111 Die städtische Verwaltung hielt sich trotz dieser immensen Schwierigkeiten, die die Wanderungsbewegung der afroamerikanischen Südstaatler mit sich brachte, weitgehend aus der Bewältigung dieser Herausforderung für die Stadt heraus und überließ sie stattdessen privaten Fürsorgeeinrichtungen. Zwar betei­ligte sie sich in einem begrenzten Maß am Informationsaustausch über die Migra­tionswellen, eine Führungsrolle im Umgang mit diesem Prozess, der die städti­schen Strukturen grundlegend und einschneidend verändern sollte, versuchte sie jedoch niemals einzunehmen. Eine solche Haltung wäre für die städtische Verwaltung Frankfurts undenkbar gewesen. Das dominante Agieren privater Organisatio­nen bei einer gleichzeitigen Zurückhaltung der städtischen Verwaltung im Bereich der sozialen Kontrolle des städtischen Raumes war das Resultat einer Entwick­lung, die bereits im 18. Jahrhundert ihren Anfang genommen hatte. Ihren vorüberge­henden Schlusspunkt hatte diese Entwicklung Housing Situation in the City of Philadelphia, 18.8.1923 (UA, URB 31, F. 4). 110 ������������������������������������������������������������������������������������ City of Philadelphia (Hg.), Annual Report of the Bureau of Health. Department of Public Health of the City of Philadelphia for the Year Ending December 31, 1923, Philadelphia 1924. 111 Zur Siedlungsstruktur der „colored people” in Philadelphia siehe die Studie von Thomas Jackson Woofter u. Madge Headley Priest, Negro Housing in Philadelphia, hg. v. Institute of Social and Religious Research, Philadelphia 1927 (UA, PamC 341/2).

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im Jahr 1879 gefunden, als die Stadt offiziell den Bereich der public outdoor relief aus ihrem Verantwortungsgebiet strich. Allein die geschlossene Fürsorge, also der Bereich der Armen- und Waisenhäuser, blieb Teil des städtischen Fürsorgeprogrammes. Doch auch hier waren die Verantwortlichen kaum um eine effektive Weiterent­wicklung ihres Angebotes bemüht, obwohl die voranschreitende Industrialisierung und die geradezu explodierenden Bevölkerungszahlen das Ausmaß sozialer Not erheblich verschärften und eine Anpassung der Fürsorgeleistungen an die ‚Mo­derne‘ dringend geboten schien.112 Dass die Stadt das Aufgabengebiet der offenen Fürsorge aufgab, war nicht nur das Resultat einer sich durch Dilettantismus auszeichnenden städtischen Verwaltung in den Händen der republikanischen Maschine. Es war auch die Erfüllung einer Forderung, die private Fürsorgeorganisationen – und hierbei insbesondere die in der Fürsorge Philadelphias omnipräsenten Quäker – bereits seit dem 18. Jahrhundert immer wieder gefordert hatten. Insbesondere in wirtschaftlichen Kri­senzeiten wurde der public outdoor relief nicht nur Wirkungslosigkeit unterstellt, sondern dezidiert vor ihren negativen Konsequenzen gewarnt.113 Wie in den Frankfurter Fürsorgedebatten die Angst zum Ausdruck gebracht wurde, dass eine unkontrollierte private Fürsorge, ‚asoziale‘ Personen erst anlocken würde, unter­stellten in Philadelphia vor allem die Quäker der public outdoor relief diese Wir­kung. Die Position der privaten Organisationen Philadelphias in diesen Debatten um die ‚richtige‘ Form der Fürsorge unterschied sich hierbei jedoch grundlegend von der Position der privaten Organisationen Frankfurts. Denn in Philadelphia wurde das Recht privater Einrichtungen, sich in die ‚soziale Kontrolle‘ des Stadt­raumes einzubringen, niemals grundlegend in Frage gestellt. Prinzipiell war die Stadt immer gerne bereit, Aufgaben abzutreten und sah sich hierbei auch viel we­niger an juristische Vorgaben beziehungsweise deren Auslegung gebunden, als dies in Frankfurt am Main der Fall war. Juristische Argumentationskniffe, wie sie Oberbürgermeister Miquel mit den milden Stiftungen vollführte, und deren Er­gebnis ja auch alles andere als juristisch eindeutig waren, waren in den Fürsorge­debatten Philadelphias kaum denkbar. So kam es in Philadelphia auch wesentlich leichter und häu-

112 Im Gegensatz zu Frankfurt und den meisten anderen deutschen Städten, dominierte in den 1920er Jahren in den Großstädten der Vereinigten Staaten die privat organisierte Fürsorge. Levine, Charity, S. 245. 113 Grundlegend zur Kritik an der öffentlichen offenen Fürsorge siehe Michael B. Katz, In the Shadow of the Poorhouse. A Social History of Welfare in America, New York 1996. Insbe­sondere zu Philadelphia siehe Benjamin J. Klebaner, The Home Relief Controversy in Philadelphia, 1782–1861, in: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 78. 1954, S. 413–423.

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figer zu gemeinsamen Unternehmungen öffentlicher und privater Einrichtungen, auch wenn die Stadt hierbei selten die treibende Kraft war.114 Das städtische Fürsorgesystem Philadelphias, das bis 1879 unter der Leitung der so genannten „Guardians of the Poor“ stand, hatte die Stadt in seinen Grundzügen von dem englischen und walisischen Vorbild übernommen. Seit seiner Einführung um 1700 hatte es die Zeit in seinen Grundstrukturen bis 1879 mit nur geringfügi­gen Modifikationen überstanden.115 In diesem System betreuten die „Guardians“ Hilfsbedürftige getrennt in den Bereichen der „indoor relief “, dem klassischen Armenhaus, und der „outdoor relief “, der offenen Fürsorge. Hierbei waren sie nicht nur für die Aufwendungen der steuerlichen Mittel zuständig, sondern glei­chermaßen auch für deren Eintreibung. So konstant wie das Fürsorgesystem, hielt sich jedoch auch die Kritik, die private Vereinigungen an diesem immer wieder anbrachte. Vor allem an der offenen Fürsorge wurde die Kritik geübt, dass sie sich maßgeblich auf die Zahlung kleinerer Geldbeträge beschränke und in keiner Weise ‚erziehend‘ auf die Unter­ stützten zu wirken versuche, wie es sich vor allem die Quäker wünschten. Als sich mit der Wirtschaftskrise des Jahres 1873 die sozialen Zustände in Philadelphia rapide verschlechterten, erhielt auch die Kritik am städtischen Für­sorgesystem erneut Aufwind. Mittlerweile hatten sich jedoch nicht nur die politi­schen Machtstrukturen zu Gunsten der political professionals im Apparat der re­publikanischen Maschine verschoben, auch war mittlerweile die private Für­sorge zum zentralen Betätigungsfeld der neuen, politikfernen städtischen Mittel­klasse und Elite geworden, die offiziell mit der korrupten politischen Maschine nicht in Ver­bindung gebracht werden wollte. So existierten um 1870 in Philadelphia neben 270 freien allein 550 religiösen Gruppierungen, 114 Zur Zusammenarbeit öffentlicher und privater Einrichtungen in den amerikanischen Städten siehe Katz, In, S. 43–47. Auch die Historikerin Pricilla Ferguson Clement urteilte in ihrer Stu­die zum Fürsorgesystem Philadelphias im 19. Jahrhundert: „Private- and public-welfare officials rarely competed and instead generally cooperated with one another.“ Vgl. Priscilla Ferguson Clement, Welfare and the Poor in the Nineteenth-Century City. Philadelphia, 1800–1854, Rutherford 1985. Zu den Grenzen der Kooperation zwischen „civic groups“ und politi­scher Maschine am Beispiel New Yorks siehe auch Richard Skolnik, Civic Group Progressivism in New York, in: New York History 51. 1970, S. 411–439. 115 Zwar gab es auch hier durchaus Unterbrechungen und Reformen, die Grundstruktur des Fürsorge­systems hatte jedoch weitgehend Bestand. Zur Geschichte des Fürsorgesystems Philadelphias im 18. Jahrhunderts siehe ausführlich John K. Alexander, Render Them Submissive. Responses to Poverty in Philadelphia, 1760–1800, Amherst 1980 und John K. Alexander, The Functions of Public Welfare in Late-Eighteenth-Century Philadelphia. Regulating the poor?, in: Social welfare or social control? 1983, S.  15–34. Zur Fürsorge­geschichte Philadelphias in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert siehe Clement, Welfare und Priscilla Ferguson Clement, The Philadelphia Welfare Crisis of the 1820s, in: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 105. 1981, S. 150–165.

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die private Fürsorgeleistungen erbrachten.116 Und diesmal war es auch nicht mehr nur die Gesellschaft der Freunde, die Quäker, die harsche Kritik an der städtischen Fürsorge übten, son­dern auch zahlreich Re­formgruppen der progressive movement, die die gesamt­städtische Fürsorge der republikanischen Maschine zu entreißen und unter ihre Kontrolle zu bringen suchte.117 Am 18.2.1878 riefen 26 führende Vertreter der vor allem von Quäkern angeführten soup societies zu einer Versammlung „to discuss, and, if possible, determine on a method by which idleness and beggary, now so encouraged, may be supressed, and worthy, self-respecting poverty be discovered and relieved at the smallest cost to the benevolent.“118 Resultat der Versammlung war die Zusam­menstellung eines Komitees, das die Gründung einer Charity Organization So­ciety nach britischem Vorbild vorbereiten sollte, mit dem dezidier­ten Ziel, die Aufgabe der offenen Fürsorge vollständig in privater Hand zu übernehmen. Im Winter 1878 nahm nicht nur die Philadelphia Society for Organizing Charitable Relief and Repressing Mendicany (SOC) diese Arbeit auf, auch übertrug die Stadt ohne großen Widerwillen die volle Verantwortung der offenen Fürsorge auf die neue Organisation und strich sie offiziell aus ihrem Auf­gabengebiet. Allein die geschlossene Fürsorge blieb Teil des städtischen Verwal­tungsapparates.119 Damit folgte Philadelphia dem Vorbild New Yorks, das bereits vier Jahre zuvor die pub­lic outdoor relief weitgehend beseitigt und in die Hände privater Vereinigungen gelegt hatte.120 Formell blieb in der SOC der Übergang zwischen ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ jedoch unscharf. So lag die Organisation der SOC zwar vollständig in privater Hand, doch in den Statuten war sie eng an die städtische Verwaltung geknüpft. Denn als Präsident ex officio wurde per Satzung der „Mayor of the City“ eingetragen, ein allerdings mehr symbolisches, denn wirklich genutztes Zugeständnis. Denn zu dieser Zeit war der ehemalige Süßwarenhändler „Sweet William“ Stokley Bür­germeister der Stadt, 116 Frank Dekker Watson, The Charity Organization Movement in the United States. A Study in American Philanthropy, New York 1971 (1922), S. 187. 117 Dieses Motiv hat Barry J. Kaplan vor allem für die Abschaffung der public outdoor relief in New York herausgearbeitet. Vgl. Barry J. Kaplan, Reformers and Charity: The Abolition of Pub­lic Outdoor Relief in New York City, 1870–1898, in: Social Service Review 52. 1978, S. 202–214. 118 First Annual Report of the Central Board of the Philadelphia Society for Organizing Charitable Relief and Repressing Mendicancy. October 1, 1879, in: Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for Organizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879a, hier S. 6. 119 Watson, Charity, S. 187–196; Klebaner, Home, S. 423. 120 Zu New York siehe Kaplan, Reformers. Zur Entstehung der Philadelphia SOC siehe grund­legend Rauch, Women, S. 242 und Sonya Calabrese, Family Service of Philadelphia, in: Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995, S. 366–369, hier S. 367.

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dessen politischer Stil schon gar nichts mehr mit dem „gentlemanly, old-family style of leadership“121 zu tun hatte, wie er bis dahin zu­mindest als Ideal formuliert worden war, sondern schon voll und ganz der neuen Ära der machine politics entsprach.122 Und in dieser hatten die Politiker der ma­chine meist nur ein geringes Interesse an einer Einmischung in die Angelegenhei­ten privater Fürsorge­organisationen der reformorientierten Mittelklasse. Die Gründungsmitglieder der SOC und vor allem auch die dort engagierten „Visitors“, die ehrenamtlichen Armenpfleger, kamen im Gegensatz zu den „Guar­dians of the Poor“, deren Aufgabe sie ja übernahmen, nicht aus der sozialen Schicht kleinerer Händler und Handwerker – wie auch die ehrenamtlichen Ar­menpfleger in Frankfurt am Main – sondern vor allem aus der weißen Oberschicht Philadelphias und hierbei vor allem aus den Reihen der Quäker.123 Annähernd 78% der 763 Pflegerinnen, die sich im Jahr 1880 in der SOC engagierten, hatten eigene Dienstboten und 52% von ihnen waren im Blue Book Philadelphias, dem Führer zur sozialen Elite der Stadt, aufgeführt.124 Die gehobene soziale und gesellschaftli­che Stellung ihrer Mitglieder nutzte die SOC, um freiwillige Kräfte aus den Reihen der Oberschicht für die anstehende Arbeit zu mobilisieren. In der Anfangsphase konnten damit durchaus große Erfolge auf­gewiesen werden. Deren Bestand war jedoch, wie sich schon nach wenigen Jahren her­ausstellte, nur von kurzer Dauer.125 Nach eigener Auskunft startete die Unternehmung der SOC sehr erfolgreich und auf den ersten Blick scheint sich dies auch in den Zahlen zu bestätigen. Da die Stadt schon im Winter 1878 alle öffentlichen Gelder für die offene Fürsorge ge­strichen hatte und jeden Antragsteller an die neue Organisation weiter verwiesen wurde, erwarteten Kritiker der Umstrukturierung eine Überschwemmung der Ar­menhäuser. 121 Dorothy Gondos Beers, The Centennial City 1865–1876, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 417–470, hier S. 440. 122 ������������������������������������������������������������������������������������� Zur Politik von „Sweet William” Stokley siehe ebd., S. 439–441 und Ellis Paxson Oberholtzer, Philadelphia. A History of the City and its People, a Record of 225 Years. Volume II, Philadelphia, Chicago 1912b, S. 401. 123 Siehe dazu grundlegend Julia B. Rauch, Quakers and the Founding of the Philadelphia Society for Organizing Charitable Relief and Repressing Mendicancy, in: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 98. 1974, S. 438–455. 124 Rauch, Women, S. 243, 248. 125 So heißt es im ersten Jahresbericht des Central Boards in Bezug auf die Einrichtung von „Auxiliary Associations“ in Randgebieten der Stadt: „The purpose of enterng these districts has not been forgotten, and studious efforts have been revived this fall to plan Auxiliary Associations in the 17th, 18th, 19th, 21st, 25th, 28th and 31st wards, negotiations with promi­nent citizens in most of them being already well advanced.” Siehe Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for Organizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879.

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Diese blieb jedoch aus, stattdessen sank sogar die Zahl der Insas­sen.126 Nach einem Jahr war die Philadelphia SOC bereits die größte Charity Organization Society der Vereinigten Staaten. Ihre finanzielle Grundlage bezog sie hierbei von freiwilligen Beiträgen der städtischen Elite, von insgesamt 9 000 zahlenden Unterstützern.127 Hierbei war die SOC von Anfang an nicht nur um eine bessere Organisation der bestehenden Fürsorgeeinrichtungen bemüht, son­dern erbrachte auch selbst Fürsorgeleistungen. Insbesondere diese eigenen Leis­tungen wurden nicht vom central board der SOC gelenkt, sondern von anfäng­lich 24 und später sogar 42 einzelnen ward associations, die weitgehend auto­nom, nach eigenen Statuten und vor allem auch mit eigenen Vorgehensweisen in ihren Bezirken aktiv wurden. „It has scrupulously respected the free action of its auxiliary societies, perceiving that experience is the best educator, and wishing to encourage the greatest spontaneity of suggestion and method throughout its constituency“128, beschrieb das central board den Sinn dieser Zersplitterung. Schon im ersten Jahr des Bestehens, als die Begeisterung unter allen Beteiligten noch hohe Wellen schlug, wurden allerdings die Schwachstellen dieser Aufteilung offenbar, auf der wohl vor allem auch die Quäker beharrten.129 Denn die einzelnen ward associations sammelten jeweils ihre eigenen finanziellen Zuwendungen ein, was genau zu der Erscheinung führte, die Bürgermeister Gräf in Frankfurt bei der Gründung der Straßennotgemeinschaften befürchtet hatte, nämlich das die Ein­richtungen in wohlhabenden Distrikten zu viel und die in ärmeren Distrikten zu wenig Geld zur Verfügung hatten. In den ersten Jahren konnte diese Schieflage noch durch großzügige Spenden einzelner wohlhabender Persönlichkeiten ausge­glichen werden, die ihre Zuwendungen „irrespective of ward boundaries“130 erteil­ten, doch mit der zunehmenden Segregation der sozialen und ethnischen Gruppen in der Stadt sollte dies noch zu einem gravierenden Problem werden. Die einzelnen ward associations unterteilten ihr Gebiet wiederum in einzelne Distrikte, in die – ganz ähnlich zum Elberfelder System – ehrenamtliche Armen­pfleger entsandt wurden, um sich den Problemen der dort lebenden armen Bevöl­kerung anzunehmen. Wie im Elberfelder System sollten hierbei nicht mehr als sechs Familien 126 ���������������������������������������������������������������������������������� Watson, Charity, S. 191. Am 23.10.1883 schrieb der Generalsekretär der SOC auf Anfrage an Mrs. Josephine Shaw Lowell, die eine Studie über „Public Relief and Private Charity“ an­stellte: „At the time it was abolished, we, for a few weeks, felt an increased pressure for re­lief upon the private charities; but that was only temporary, and although the population of the city has increased during the past three years, the numbers of the in-door poor have decreased.” Vgl. Josephine Lowell, Public Relief and Private Charity, New York, London 1884, S. 62. 127 Rauch, Women, S. 243; Rauch, Quakers, S. 441. 128 First a, S. 23. 129 Siehe dazu Agnew, From, S. 109f. und Rauch, Quakers, S. 451. 130 First a, S. 23:14.

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auf einen Pfleger kommen, die sich im Gegensatz zu Frankfurt ausschließlich aus Frauen, meist aus der sozialen Oberschicht, rekrutierten. An­ders auch als im Elberfelder System, in dem die ehrenamtlichen Pfleger vor allem einen angemessenen Unterstützungsbetrag für die hilfsbedürftige Familie festzu­setzen hatten, war es dezidierte Aufgabe der fast ausschließlich weiblichen Besu­cher, ‚Moral‘ und ‚Kultur‘ in die Familien zu tragen. „The primary objects of this Corps shall be to improve the sanitary, social and moral life of the poor“131, hieß es dann auch in den „Suggested Rules for Women’s Volunteer Corps of Visitors“ aus dem Jahr 1879. Dementsprechend hielt Albert B. Williams in seinem ersten Jahresbericht der Thirteenth Ward Association zur Bedeutung der „Women Visitors“ fest: “The subtle influence of culture and refinement are powerful and far-reaching; and we are satisfied that many homes have been brightened, and that new impulses have been given to lives worth saving, by the frequent presence of the visitors in the homes of the poor.”132

In der Euphorie der Gründungsjahre fiel es der SOC noch recht leicht, Menschen für die Arbeit in der neuen Fürsorgeorganisation zu mobilisieren, so dass aus dem Stehgreif die Gründung von 24 einzelnen ward associations mit über 700 „Visitors“ gelang. Diese anfängliche Begeisterung spiegelt sich deutlich in den Berichten der ersten Monate. So schrieb auch die Second Ward Association be­geistert von ihrer Hoffnung, die ‚dunklen Winkel‘ des Hafenviertels im zweiten Bezirk der Stadt zu durchdringen und dort die ‚Gefallenen‘ zu erretten. „The So­ciety aims to penetrate into these dark recesses“, schrieben 1879 George M. Sangram und M.Y. Gilboy in ihrem ersten Jahresbericht, „discern its true courses, assist in preventing it, and at the same time minister sympathy and necessary re­lief to the worthy and attempts to reclaim the fallen from sin and shame.“133 Doch das Hochgefühl der Pfleger, die sich ausgestattet mit einem ganz neuen Ve­rantwortungsgrad in ihre Arbeit stürzten, war nicht von Dauer. In den ersten Jah­ren konnte man Misserfolge und Widerstände noch mit mangeln131 Suggested Rules for Women’s Volunteer Corps of Visitors, in: Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for Organizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879e, hier S. 1. 132 ������������������������������������������������������������������������������������� Thirteenth Ward Association of the Philadelphia Society for Organizing Charitable Relief and Repressing Mendicany. First Annual Report, in: Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for Organizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879f, hier S. 9f. 133 First Annual Report of the Second Ward Association of the Philadelphia Society for Organizing Charitable Relief and Repressing Mendicancy. 1st October, 1879, in: Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for Organizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879c, hier S. 7.

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der Erfahrung begründen und in fast allen Berichten dieser Zeit finden sich Formeln der Recht­fertigung. „Errors doubtless have occured through lack of experience, and in some cases by imposition”, schrieben Sangram und Gilboy im bereits zitierten Jahresbe­richt, „but that much good has been accomplished and much suffering relieved, is an established fact”134, war die fast immer hinterhergeschobene Relativierung dieses Monitums. Allerdings stellten sich wider Erwarten mit der zunehmenden Erfahrung nicht mehr Erfolge ein, vielmehr verschärften sich mit dem massiven Bevölkerungswachstum gegen Ende des 19. Jahrhunderts die sozialen Schwierig­keiten der Stadt. Anfang des 20. Jahrhunderts drohte die Organisationsstruktur der SOC unter diesem Druck zu versagen. Zu den größten Schwierigkeiten der SOC gehörte hierbei nicht nur die fehlende fachliche Ausbildung der Fürsorgerinnen, sondern vor allem die Verpflichtung der SOC zur konstanten Leistungserbringung, die aus dem Rückzug der städtischen Verwaltung aus der offenen Fürsorge erwachsen war. Insbesondere in den Sommer­ monaten drohte die Gefahr, dass die SOC dieser selbstauferlegten Pflicht mit ih­ren vorwiegend freiwillig tätigen Kräften nicht nachkommen konnte. Denn wenn es in der Stadt unerträglich heiß wurde, zogen sich viele der Pfleger, die als ausführende Organe einen der wichtigsten Grundpfeiler der Organisation dar­stellten, wie gewohnt zum Sommeraufenthalt auf das Land zurück. „The season is at hand“ erinnerte die Zentralorganisation der SOC am 24. März 1879 vorsorglich die ward associations an die Grundprinzipien der Organisation, die auch im Sommer fortbestand haben sollten, “when our visitors can exert more personal and moral influence than when they are known to be pointing the way to the free procuring of fuel, clothes and food. And this personal influence it is the especial aim of this Society to secure by its system of visitation.”135

Ein Jahr später berichtete man eingeschränkt positiv über den wohl bescheidenen Erfolg dieser Bemühungen. „Some ladies gave up their usual summer visits to the country, and remained in town to pursue their self-imposed labors, animating others by their enthusiasm and example.”136 Doch allein dieser Enthusiasmus konnte die SOC nicht auf Dauer tragen, da er, wie auch die anfängliche Begeiste­rung in den Reihen der Frankfurter Straßennotgemeinschaften, nach den ersten Jahren intensiver Arbeit rapide abflaute. Hierbei ließ nicht nur das Engagement der einzelnen Pfleger nach, 134 Ebd. 135 ��������������������������������������������������������������������������������������� Order No. 23, in: Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for Organizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879d, hier S. 3. 136 First c, S. 5.

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auch zogen sich die Familien, aus denen sich diese rekrutierten, immer weiter aus den zentralen Stadtdistrikten und damit ihrem Haupteinsatzgebiet zurück. 20 Jahre nach ihrer Gründung sahen sich die freiwilli­gen Helfer der SOC mit grundlegend veränderten städtischen Raum- und Sozial­strukturen konfrontiert und befassten sich mit dem Gedanken der Selbstauflösung. Als Alternative zu diesem radikalen Schritt, der freilich nicht die sozialen Prob­ leme der Stadt beseitigt hätte, sahen die Verantwortlichen nur noch eine grund­ legende Reform der bestehenden Organisationsstrukturen. Mit der Aufgabe diese durchzuführen wurde im Frühjahr des Jahres 1900 Mary Richmond beauftragt, die als Leiterin der Charity Organization Society von Baltimore in der Reformbewe­g ung zu Rang und Namen gelangt war.137 In Philadelphia traf Richmond – glaubt man ihren eigenen Erinnerungen – auf eine Organisation, die kaum den selbst formulierten Zielen und Idealen entsprach, die man sich zu Gründungszeiten ein­mal gesetzt hatte. In einem Distrikt weigerte sich angeblich der verantwortliche Leiter, bei schlechtem Wetter vor die Tür zu gehen und gab im Winter jedem An­tragsteller einfach nur noch zehn Cent. „Another district office“, erinnerte sich Richmond weiter, „had not been entered by a member of the local committee for fifteen month“, und in einem anderen Büro, das in einem italienischen Quartier lag, hat der Leiter Italiener angeblich nicht ausstehen können und diese auch dem­entsprechend behandelt.138 Auch wenn sich solche Fälle, die durchaus auch Einzel­fälle gewesen sein können, auf Grund fehlender Quellen heute nicht mehr eindeutig rekonstruieren lassen, scheinen Probleme in der alltäglichen Fürsorge­arbeit nicht von der Hand zu weisen zu sein. Ansonsten hätte man weder mit dem Gedanken der Selbstauflösung gespielt, noch hätte man Mary Richmond Befug­nisse für die grundlegende Restrukturierung einer Organisation gegeben, die ei­gentlich auf dem Konzept der Dezentralität beruhte. Doch so wie die Mitarbeiter in den einzelnen Fürsorgedistrikten augenscheinlich überfordert waren, hatte auch die Leitung der SOC ihr hochgestecktes Ziel verfehlt, die privaten Fürsorge­organisationen Philadelphias besser zu koordinieren. 1903 bestand das Fürsorge­netz Philadelphias nach Richmond aus einer Ballung an Einrichtungen, die so wenig miteinander kooperierten, dass sie Richmond nur noch mit einem „stupid giant“ zu vergleichen wusste. Insgesamt zählte sie “96 separate charities for the relief of the rich, 78 homes for adult, 62 children’s charities, 103 relief societies, 47 moral reform agencies, 50 physical and sanitary reform agencies,

137 Grundlegend zu Leben und Wirken von Mary Richmond siehe Agnew, From. 138 Mary Richmond in einem New Year Letter aus dem Jahr 1906, zitiert nach Joanna C. Colcord u. Ruth Z. S. Mann, Introduction, in: dies. (Hg.), The Long View. Papers and Addresses, New York 1930, S. 175–185, hier S. 178.

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180 social improvement agencies, 105 educational charities, 4 legal protection charities, 20 humane societies, 865 churches and missions, and 265 other religious associations.”139

Unter der Führung von Marry Richmond wurde die SOC weitgehend restrukturiert. Dabei stärkte Richmond die Organisation vor allem im Bereich des „case working“, der möglichst individuellen Betreuung einzelner Fürsorgefälle nach den von ihr maßgeblich entwickelten Prinzipien einer Familienfürsorge. Gleichzeitig begann sie mit einer grundlegenden Reformierung der zahlreichen ward associations, die sie einer weitaus stärkeren Leitung durch das central board unterstellte. Die in der SOC dominanten Quäker hatten bis zuletzt auf eine möglichst dezentrale Organisationsstruktur beharrt, die ihrem Ideal einer nachbar­schaftlichen Fürsorge weitaus näher kam, als eine zentralistische Struktur.140 Zwar befürwortete Richmond auch eine Form der Fürsorge, in der die soziale Distanz zwischen Fürsorgern und Hilfsbedürftigen vor allem durch nachbarschaftliche Nähe überwunden werden sollte, diese nachbarschaftliche Nähe unterschiedlicher sozialer Schichten war allerdings mit den Segregationsprozessen im Kontext der massiven Zuwanderungen aus Europa weitgehend aufgelöst worden. „As I go in and out of the homes of those of my friends who are not necessarily well-to-do but are at least in no danger of want,” schrieb Richmond 1908 in der Einleitung zu ihrem Buch „The Good Neighbor“, in das maßgeblich ihre Erfahrungen aus Philadelphia eingeflossen waren, „I cannot avoid noticing how cut off they seem from association with any but their own sort of people. Their fathers and others came in daily contact as a matter of course with many kinds of people.”141 Diese neue Distanz, die in der Generation zuvor noch nicht bestanden habe, sollte nach Richmond von den „Friendly Visitors“ überwunden werden, die sich nicht nur mit der Familie, sondern mit deren gesamten Umfeld auseinanderzusetzen hätten, um so die zahlreichen „Neighborhood Forces“142, wie Kirchen, Bruderschaften oder auch Settlements, in die Fürsorgearbeit mit einbeziehen zu können. „The trolley and the train carry us away from sights and sounds that we associate with distress, and we have not discovered that the lines travel both ways“, formulierte sie 1907 in einem Re-

139 Mary Ellen Richmond, Philadelphia’s Philathropic Giant, in: Joanna C. Colcord u. Ruth Z. S. Mann (Hg.), The Long View. Papers and Addresses, New York 1930c, S. 209–213, hier S. 209. 140 Siehe dazu Agnew, From, S. 109f. und Rauch, Quakers, S. 451. 141 Mary Ellen Richmond, The Good Neighbor in the Modern City, Philadelphia, London 1907, S. 20. 142 Mary Ellen Richmond, Charitable Co-Operation, in: Joanna C. Colcord u. Ruth Z. S. Mann (Hg.), The Long View. Papers and Addresses, New York 1930a, S. 186–202, hier S. 186.

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ferat auf der National Conference of Charities and Correction.143 Was Richmond in ihrer Umgestaltung der SOC vor allem vollzog, war eine Anpassung der Organisationsstruktur an den sich grundlegend gewandelten städtischen Raum. Neben der Stärkung des central departments, setzte Richmond die einzelnen Distriktleitungen neu zusammen, mit Rechtsanwälten, Bewährungshelfern, Geistli­chen, settlement workers und auch farbigen Mitarbeitern.144 Diese schulte sie in wöchentlichen Kursen, um so durch eine Zentralisierung und Professionalisierung das Überleben der Organisation zu sichern und vor allem deren Wirksamkeit in der sozialen Überwachung des städtischen Raumes zu erhöhen. Doch auch die Umstrukturierung der SOC konnte nicht verhindern, dass die Or­ganisation ihre führende Stellung in der Fürsorgelandschaft Philadelphias immer weiter verlor. Diesen Prozess beschleunigte Richmond mit ihrer Ausrichtung auf die Familien­fürsorge und die Erbringung eigener Fürsorgedienstleistungen eher noch, als dass sie ihn verhinderte. Neben ihrem Engagement für die SOC hatte sich Richmond maßgeb­lich an der Reformierung und Neugründung zahlreicher anderer Fürsorgeeinrichtungen Philadelphias beteiligt.145 Dabei versuchte sie weniger, die SOC in ihrer eigentlichen Rolle als zentraler Organisator privater Fürsorge­einrichtungen zu retablieren, als vielmehr professionalisierend und vernetzend auf die gesamtstädtische Fürsorgelandschaft zu wirken. Richmond war, erinnerte sich Ethel Rupert, die 1904 Schatzmeisterin der SOC war, „frequently the controlling mind and usually the guiding hand […] [in] every sound movement for social betterment and progress undertaken in [Philadelphia] during the nine years of her incumbency.“146 Ihre Umstrukturierung besiegelte die SOC mit einer vollständi­gen Neuformulierung ihrer Satzung im Jahr 1919. Das Leitziel „to reduce vagrancy and pauperism“ wurde durch den Satz „to foster the development of wholesome family life“ ersetzt147, und mit der Umbenennung in „Family Service of Philadelphia“ im April 1925 wurde der Prozess endgültig abgeschlossen.148 An die Stelle der SOC als führende Fürsorgeeinrichtung der Stadt traten zunehmend andere Organisationen, von denen sich die Philadelphia Housing Association (PHA) unter ihrem Leiter Bernard J. Newman zu der wirkungsmächtigsten in Philadelphia entwickeln sollte. 143 Mary Ellen Richmond, Friendly Visiting, in: Joanna C. Colcord u. Ruth Z. S.  Mann (Hg.), The Long View. Papers and Addresses, New York 1930b, S. 254–261, hier S. 255. 144 Agnew, From, S. 113. 145 Ebd. 146 Zitiert nach ebd. 147 Die Dokumente zur Neufassung der Gründungsurkunde sind hinterlegt in der HSP, FamS, Box 101, F. 3. 148 Zur Umbenennung der Organisation vgl. Family Society of Philadelphia (Hg.), Annual Report. Forty-Seventh Year. January 1 to December 31, 1925, Philadelphia 1926 (HSP, FamS, Box 73, F. 10).

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Der Prozess der Zentralisierung und Professionalisierung der privaten Fürsorge, der in Philadelphia maßgeblich von Marry Richmond angestoßen worden war, war nicht mehr aufzuhalten. Denn die verbesserte Organisation der privaten Für­sorge versprach den Reformern einen Zugang zu den Bevölkerungsschichten, von denen man sich in den Jahrzehnten zuvor vor allem auch räumlich zurückgezogen hatte. Da die zentralen Immigrantendistrike schon zeitgenössisch in den Reihen der Mittel- und Oberschicht nicht nur als die Sündenpfuhle der Stadt, sondern auch als die eigentlichen Träger der als korrupt verrufenen politischen Maschine galten, versprach ein „social“ und „moral uplift“ der armen Bevölkerung zugleich eine Reform des korrupten politischen Systems. Die von der sich selbst als unpo­litisch inszenierenden Mittel- und Oberschicht herbeigeführte Trennung der offe­nen Fürsorge von der städtischen Verwaltung bot diesen nun die Möglichkeit ei­ner direkten Beteiligung am städtischen Ordnungssystem und damit an der aktiven sozialen, moralischen und hygienischen Überwachung des Stadtraumes, ohne dass ihr Engagement sie in die Nähe der politischen Maschine rückte. In den Jahren nach Richmonds Wechsel nach New York, wo sie seit 1909 die Leitung des Charity Organization Departments der Russel Sage Foundation über­ nommen hatte, verschärften sich vor allem durch den Ersten Weltkrieg und die einsetzende Great Migration erneut die sozialen Probleme in der Stadt und eine ganze Serie an Ereignissen führte den reformorientierten Gruppen der Ober- und Mittelklasse die Notwendigkeit für weitere grundlegende Umstrukturierungen ihrer privaten Fürsorgeeinrichtungen vor Augen. So erschütterten im September 1917 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen zwei konkurrierenden republi­ kanischen Kandidaten und deren Schlägergruppen – zu denen auch die lokalen Po­lizisten gehörten – um die politische Führerschaft des fünften Bezirkes die ganze Stadt und brachten dem Bezirk den Ruf des „Bloody Fifth“ ein.149 Ein Jahr später, im Juni 1918, brachen die schlimmsten Rassenunruhen seit Jahren aus150, nur we­nige Monate bevor die Spanische Grippe in Philadelphia um sich greifen und in kürzester Zeit über 12 000 Einwohnern das Leben kosten sollte, nicht zuletzt, da die städtische Gesundheitsbehörde unter ihrem Direktor Wilmer Krusen die Ge­fahr vollkommen falsch beurteilt hatte.151 Neben diesen Ausbrüchen von Gewalt, Krank­heit und sozialer Not, die die Stadt kaum zur Ruhe kommen ließen, hatten mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges viele vermögende Einwohner ihre fi­nanzielle Unterstützung sozialer Hilfseinrich149 Im Urban Archive der Temple University findet sich eine umfassende Sammlung lokaler Zei­tungsberichte über die Ereignisse (UA, MC, Box 157, F. Phila-Wards-Number 5-Political Row). 150 Vgl. dazu ausführlich Franklin, Philadelphia. 151 Zur Spanischen Grippe in Philadelphia siehe Alfred W. Crosby, America’s Forgotten Pandemic. The Influenza of 1918, Cambridge 2003.

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tungen reduziert, denen damit ihre wichtigste Geldquelle versiegte.152 Um der für die private Fürsorge fatalen Ent­wicklung entgegen zu wirken, mussten sich die Organisationen grundlegend neu positionieren, um überhaupt noch weiter handlungsfähig zu bleiben. Die Reform der privaten Fürsorgelandschaft Philadelphias erfolgte hierbei vor allem in drei Bereichen, die ich im Folgenden an den drei größten institutionellen Aus­formungen dieses Reformprozesses erörtern möchte: Erstens in der Etablierung eines neuen Finanzierungsmodelles mit der Welfare Association of Philadelphia, zweitens im Ausbau eines institutionalisierten Informationsaustausches mit dem Social Service Exchange und drittens, in der Sicherung des Professionalisierungs­ prozesses mit der Gründung der All Philadelphia Conference on Social Work. Zur finanziellen Absicherung der privaten Fürsorge wurde nach einer knapp zehnjährigen Planungsphase im Jahr 1921 die Welfare Association of Philadelphia ins Leben gerufen.153 Nach Vorbild bereits existierender kleinerer Verbünde, wie der 1901 gegründeten Jewish Welfare Federation, sollten einzelne Fürsorgeorga­nisationen, und hier waren es vor allem protestantische Einrichtungen, nicht län­ger für sich alleine, sondern gemeinschaftlich in einer jährlichen Spendenaktion ihre Gelder einwerben, um so die Kosten der aufwendigen Spendeneinwerbung zu senken. Das Führungsgremium der Föderation, das Board of Trustees, setzte sich aus einer ganzen Reihe namhafter Größen der weißen Elite der Stadt zusammen, die teilweise gezielt auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung für diese Position eingeworben worden waren.154 Diese stammten zumeist aus den Reihen der „pro­gressive business men“155, wie schon Theodore Roosevelt reformorientierte Wirt­schaftsgrößen bezeichnet hat, darunter Zeitungsverleger wie Edward W. Bok, Ju­risten wie George W. Pepper und Wirtschaftsgrößen, wie der J.P. Morgan Partner Horatio G. Lloyd.156 Bereits bei Gründung der Föderation gehörten dieser 124 soziale Einrichtungen an und in der ersten Kampagne, die fünf Tage dauerte, sammelten sie 2,1 Millionen US-Dollar. Dies war zwar deutlich weniger, als man sich erhofft hatte (man hatte mit ca. vier 152 The Child Federation (Hg.), They Believe in Co-operation. Reprinted from The Public Ledger. February 15, 1920, Philadelphia 1920 (UA, PamC, Box 374, F. 17). 153 ���������������������������������������������������������������������������������������� Wie intensiv in diesen zehn Jahren tatsächlich ‚geplant‘ wurde, oder ob nur die Idee immer mal wieder zur Sprache kam, kann aus der Quellenlage kaum geschlossen werden. Die Angabe über die Planungszeit stammt von dem Präsidenten der Föderation, Richter J. Martin, anläss­lich eines Interviews des Evening Bulletin vom 8.2.1921 (UA, MC, Box 253, F. Welfare Federa­tion of Phila Misc, Bl. 1). 154 ������������������������������������������������������������������������������������ Dies geht aus einem Zeitungsartikel vom 1.10.1921 hervor, der im Public Ledger abgedruckt wurde. Vgl. den Nachdruck des Artikels „Leading Citizens rush to assist welfare project“ in den Akten der PHA (UA, URB 3/III/473, Box 65), S. 626. 155 Theodore Roosevelt, An Autobiography, Charleston 2008 (1913). 156 Zur Zusammensetzung des ersten Board of Trustees siehe (UA, MC, Box 253, F. Welfare Federa­tion of Phila. Misc., Bl. 1).

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Millionen US-Dollar gerechnet), aber immer noch eine Millionen US-Dollar mehr, als die einzelnen Einrichtungen bis­her getrennt voneinander hatten einsammeln können.157 Der gesammelte Spenden­betrag wurde dann auf die einzelnen Mitglieder nach deren Größe und Bedarf aufgeteilt. Der Föderation schlossen sich hierbei nicht nur Einrichtungen aus dem Kernbereich der Fürsorge an, sondern auch soziale Organisationen im weiteren Sinne, wie die Y.M.C.A.s oder die Boy Scouts, was durchaus auch kritische Re­aktionen hervor rief. 1924 gehörten der Welfare Association 130 Einrichtungen an, was sie zu einer der größten „philanthropic organization in the world“158 machte. Doch allein das jährliche Sammeln von Spendengeldern sicherte den Einrichtun­ gen noch keine effektive Kooperation im Bereich ihrer praktischen Tätigkeit. Um die Vielfalt der zahlreichen Fürsorgeeinrichtungen in Philadelphia, die zeitgenös­sisch auf über 1  000 geschätzt wurden, zusammen zu bringen, wurde die Social Service Exchange (SSE)-Einrichtung ins Leben gerufen.159 Erwachsen war die Organisation aus dem 1911 gegründeten Registration Bureau, das die Aufgabe einer besseren Koordination von Fürsorgeleistungen und damit den eigentlichen Kernbereich der Charity Organization Societies übernommen hatte. Das Registra­tion Bureau versuchte systematisch alle ihr gemeldeten Unterstützungsfälle pri­vater Fürsorgeeinrichtungen zu erfassen, um als zentrale Auskunftsinstanz Dop­pelunterstützungen von Hilfsbedürftigen zu vermeiden. Doch das Finanzierungsmodell des Büros drohte bereits nach dem Ersten Weltkrieg zu ver­sagen. Nur die finanzielle Unterstützung durch einige wohlhabende Unternehmer, darunter insbesondere die Burnham-Familie, die ihr Vermögen vor allem mit dem Bau von Eisenbahnen erworben hatten, und die Bankier- und Stahlproduzenten-Familie Lewis sicherte deren Existenz, bis ein neues Finanzierungsmodell erar­beitet und in die Praxis umgesetzt worden war.160 Zu die157 Lucy M. Sayre, United Way of Southeastern Pennsylvania, in: Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995, S. 1243–1247, hier S. 1243. 158 Bericht der Welfare Federation „What the 130 Charities in the Welfare Federation are doing“ (UA, URB 3/III/476, Box 65). 159 Diese Schätzung wurde in einem Editorial der Zeitung „The North American“ vom 26.7.1921 geäußert. Ein Nachdruck findet sich in den Archivunterlagen der Philadelphia Housing Association. Siehe Artikel „The Welfare Federation“ (UA, URB 3/III/473, Box 65). 160 Zur Liste der Geldgeber siehe The Philadelphia Social Service Exchange (Hg.), The Philadelphia Social Service Exchange. 1920, Philadelphia 1920 (HSP), o.S. Der 1907 verstorbene George Burnham war Mitinhaber der Baldwin Locomotive Works und Mitglied des Committee of One-Hundred, einer Eliteformation zur Reform städtischer Politik. Siehe dazu Ellis Paxson Oberholtzer, Philadelphia. A History of the City and its People, a Record of 225 Years. Volume III, Philadelphia, Chicago 1912a. Sein Sohn, George Burnham Jr., war Mitglied der Reform­gruppen Committee of Seventy und Mu-

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sem Zweck trafen sich am 19.3.1920 106 Vertreter von 63 sozialen Einrichtungen der Stadt, um über die Zukunft des Registration Bureau zu entscheiden. Man beschloss eine vollständige Umstrukturierung der Einrichtung, wobei die wichtigste der Aufbau eines neuen Finanzierungsmodells war. Fortan sollte nicht mehr jede einzelne Anfrage in Rechnung gestellt, sondern eine jährliche Mitgliedsgebühr entrichtet werden, die sich nach Größe und Budget der angeschlossenen Organisation richtete. Die Dienstleistung selbst erfolgte kostenfrei, wobei in begründeten Fällen auch nicht angeschlossene Einrichtungen von ihr Gebrauch machen konnten.161 Nach dem Vorbild der Charity Organization Societies – und ganz ähnlich zur 1886 in Frankfurt gegründeten kommunalen Auskunftsstelle und der 1899 gegründeten Auskunftsstelle der Centrale für private Fürsorge – legte das SSE systematisch Karteikarten über jeden einzelnen Unterstützungsfall an, der ihr von den ange­schlossenen Einrichtungen gemeldet wurde. „The purpose of the Philadelphia Social Service Exchange“, formulierte die Einrichtung in ihrer Eröffnungspubli­kation “is ‚to promote the welfare of families and individuals through the estab­lishment and operation of a clearing house for the names of persons known to social agencies in and near Philadelphia, and through otherwise aiding such agencies regarding problems of recordkeeping and co-operation.’”162

In den Reihen des leitenden Gremiums der Organisation, dem Board of Directors, fanden sich neben dem Old Philadelphian E. Lewis Burnham sowohl Vertreter der settlements wie auch der Society for Organizing Chatity, die sich in den De­batten über die ‚richtige‘ Methode von Fürsorgearbeit meist kritisch gegenüber standen.163 1920 verwaltete das SSE allein 280 000 Fallkarten, die jeweils eine Familie oder ein Individuum repräsentierten, die oder das in Kontakt mit einer sozialen, medizinischen oder religiösen Einrichtungen getreten war. Über die Verlässlichkeit dieser Kartei in dem sich stetig wandelnden städtischen Raum ist jedoch nichts bekannt. Im Gegensatz zu Frankfurt, in dem diese Datensammlung eine entscheidende und nicipal Leage of Philadelphia. Siehe dazu Peter McCaffery, When Bosses Ruled Philadelphia. The Emergence of the Republican Machine, 1867–1933, University Park 1993, S. 168f. Der „steel manufacturer“ Theodore J. Lewis war ebenfalls Mit­glied des Committee of Seventy. Siehe dazu ebd., S. 174. 161 The Philadelphia Social Service Exchange, Philadelphia, o.S. 162 Ebd. 163 So war neben dem 1920 zum Präsidenten des SSE gewählte Jurist Robert R.P. Bradford, der nicht nur Mitbegründer des Lighthouse Settlements, sondern auch maßgeblich am Aufbau der Greater Philadelphia Federation of Settlements beteiligt war, auch der Generalsekretär der Philadelphia SOC, Karl de Schweinitz, konstituierendes Mitglied des Board of Directors.

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verbindliche Rolle in der Bewilligung von Unter­stützungsleistungen spielte, behielten sich die Organisationen in Philadelphia ei­nen freieren Handlungsspielraum vor. „If the Exchange informs the Society that another agency is working with the family the Society is then in a position either to withdraw or to co-operate, as the occasion demands”164, hielt die SOC in ihrem Jahresbericht zum Jahr 1920, dem Gründungsjahr des Social Service Exchange, ausdrücklich fest. Die dritte zentrale Institution des Reformierungsprozesses der privaten Fürsorge Philadelphias war die Gründung der All Philadelphia Conference of Social Work. Diese Konferenz wurde die bis dahin größte Fachtagung der lokalen Fürsorge­ organisationen. Bereits auf der ersten Konferenz im Jahr 1923 kamen 157 soziale Einrichtungen der Stadt zusammen, die sich vier Tage lang mit den zentralen Problemen der städtischen Fürsorge auseinandersetzten.165 Ein Jahr später waren es schon 295 Organisationen.166 Mit der Konferenz startete man nicht nur den Versuch, sich untereinander weiter zu vernetzen und gemeinschaftlich an der so­zialen Überwachung des Stadtraumes zu arbeiten, sondern auch die Professiona­lität, die man über die vergangenen Jahrzehnte erworben hatte, in die auf diesem Gebiet weitgehend dilettierende städtische Verwaltung zu tragen. „Let us […] believe“, formulierte Mary Jump, Vorsitzende der Konferenz in ihrer Eröffnungs­rede im Jahr 1924, „that human achievement must be engineered by the most competent and well-trained people.“167 Dass man allein über Resolutionen gegen die politische Maschine nicht ankam, hatte man selbst unter reformorientierten Bürgermeistern wie Rudoplh Blankenburg und J. Hampton Moore schmerzlich erfahren müssen168, daher versuchte man nun, die machine politicians selbst in das ‚professional engineering‘ des städtischen Lebens ein164 ����������������������������������������������������������������������������������� Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Constructive Service. Annual Report. Forty-Second Year. October 1, 1919, to September 30, 1920, Philadelphia 1920 (HSP, FamS, Box 73, F. 7). Siehe auch den Bericht „First Meeting After Incorporation of the Philadelphia Social Service Exchange“ aus dem Jahr 1920 (UA, URB 21/I/31). 165 All-Philadelphia Conference on Social Work (Hg.), First All-Philadelphia Conferende on Social Work. The Findings: A Summary and Abstract of the Addresses and Discussions, Philadelphia 1923.(UA, PamC, Box 540, F. 9) 166 �������������������������������������������������������������������������������� All-Philadelphia Conference on Social Work (Hg.), Second All-Philadelphia Conference on Social Work. The Findings: A Summary and Abstract of the Addresses and Discussions, Philadelphia 1924.(UA, PamC, Box 354, F. 22) 167 Eröffnungsrede von Mary Jump (UA, URB 3/III/8, Box 30). 168 Zur Amtszeit Blankenburgs siehe knapp Lloyd M. Abernethy, Progressivism. 1905– 1919, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 524–565, hier S. 50–57, zu Moore siehe Arthur P. Dudden, The City Embraces „Normalcy“. 1919–1929, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 566–600, hier S. 568–571 und vor allem die Dissertation von Robert Edward Drayer, J. Hampton Moore. An Old Fashioned Republican (= Univ. Dis), Philadelphia 1961.

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zubinden und sich dafür auch die Konferenz zu Nutzen zu machen. „The Chairman asked the judgment of the Committee“, heißt es in einem Sitzungsprotokol zur Planung der Konferenz, “as to how much attention should be given to the fact that we are about to enter upon a new city administration and the Conference might chrystallize [sic] certain recommendations as to need developments within the city. It was the general agreement that such recognition of the new city administra­tion should not take the form of formal resolutions, but attention should be given to this question indirectly throughout the program.”169

Um die Einflussnahme auf die Politiker zu gewährleisten, lud man 1924 den jüngst zum Bürgermeister gewählten W. Freeland Kendrick ein, die Eröffnungs­rede der Konferenz zu halten und gewann auch die Direktoren der Departments of Public Welfare und Health, Charles H. Grakelow und Wilmer Krusen, für die Diskussionsrunden ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche „Family Welfare“ und „Health“. Insbesondere Grakelow bestätigte hierbei die Vorbehalte, die die priva­ten Fürsorgeeinrichtungen gegenüber der städtischen Verwaltung hegten. „The most important efforts of the Department of Welfare, according to Mr. Grakelow are to be spent in the reorganization of an institution which does not concern the child life of the city, […] the House of Correction“170, fasste dann auch der Ta­g ungsbericht die deplatzierten Ausführungen Grakelows fast schon desavouierend zusammen. Auch wenn die geplante Einbindung der politischen Maschine in Re­formprogramme erneut misslang, war die Konferenz ein wichtiger Teil der Neu­aufstellung der privaten Fürsorge. Sie wurde zu einer institutionalisierten Platt­form des Austausches und förderte damit entscheidend die Bemühungen um deren Vernetzung, Kooperation und Professionalisierung. Anlässlich der achten Konfe­renz stellte Karl de Schweinitz, der Generalsekretär der ehemaligen SOC, den Gründungsplan eines „All-Philadelphia Community Council“ vor, das eine „coordinated movement“ aller sozialen Einrichtungen der Stadt ermöglichen und das Konzept des „social planning“ in einer fest institutionalisierten Einrichtung umsetzen sollte: „City planning and regional planning are today recognized necessities, essential factors in preparedness for metropolitan growth“, formulierte er in seiner Ansprache, „Why not social planning as well?”171 Dieser Glaube an die Mach169 Protokoll des Program Committee der All-Philadelphia Conference on Social Work, City Club, 12:30 Monday, January 14, 1924 (UA, URB 3/III/8, Box 30, Bl. 1). 170 All-Philadelphia Conference on Social Work, Second, S. 13 (UA, PamC, Box 354, F. 22). 171 Karl de Schweinitz, The All-Philadelphia Community Council, Philadelphia 1930 (UA, URB 3/III/8, Box 30). Die Gründung des Councils war während der siebten All-Philadelphia Confe­rence beschlossen worden. (Siehe Resolution vom 23.3.1929, UA, URB 3/III/8, Box 30).

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barkeit einer systematischen Kontrolle des gesamten Stadtraumes, an ein „social planning“ durch Experten, kennzeichnete eine neue Generation an Fürsor­gern, zu denen auch der Leiter der Philadelphia Housing Association, Bernard J. Newman, gehörte. Für diese Fürsorger spielte eine persönliche Nähe zu einzelnen Individuen keine Rolle mehr, wie sie noch zentraler Motivationsfaktor für Frauen wie Mary Richmond oder die Quäkerinnen Susan Wharton, Helen Parrish und Hanna Fox gewesen war, die seit den 1890er Jahren an der Spitze der privaten Fürsorgebewegung Philadelphias gestanden hatten. Die Reorganisation des privaten Fürsorgenetzwerkes in Philadelphia wurde nicht nur in diesen drei Reformbereichen institutionell vorangetrieben, sondern fand in der Errichtung des Social Service Buildings ihren materiellen Niederschlag im städtischen Raum. Das Gebäude sollte, zentral gelegen, den wichtigsten Fürsorge­einrichtungen nicht nur ein gemeinsames Dach über dem Kopf bieten, sondern vor allem auch die Kommunikation zwischen diesen fördern. „Education and religion have for centuries been a source of architectural inspiration“, kommentierte 1925 die Society for Organizing Charity, die zusammen mit der Children’s Aid Society zentraler Initiator des Projektes war, „why should not social work as the expres­sion of one of the aspirations of mankind be housed with adequacy and beauty?“172 Die Dimensionen des Gebäudes wussten durchaus zu beeindrucken: “It is ten stories high, faced with dark red brick and of modern steel and concrete fire proof construction. Occupying most of the first floor is an au­ditorium that seats five hundred persons. The floor is flat and the walls have been specially prepared so that exhibits, placards, and other educational material may be hung from them as occasion arises. Built into the rear wall is a motion picture booth. A room at the back of the stage has been equipped for serving of luncheon or dinners. A large lobby separates the auditorium from Juniper Street so that the noise of traffic does not reach the hall.”173

Schon vor der Eröffnung des Gebäudes im April 1924, genau ein Jahr nach dem ersten Spatenstich, hatten sich 23 Fürsorgeorganisationen eingemietet, nach einem Jahr waren es 27.174 Unter diesen befanden sich die wichtigsten privaten Fürsorge­ einrichtungen der Stadt, darunter die Welfare Federation of Philadelphia, die All Phi172 Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Social Work With Families. Annual Report. Forty-Sixth Year. January 1 to December 31, 1924, Philadelphia 1925 (HSP, FamS, Box 73, F. 10). 173 �������������������������������������������������������������������������������������� Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Social Service Building. Annual Report. Forty-Fifth Year. January 1 to December 31, 1923, Philadelphia 1924 (HSP, FamS, Box 73, F. 9). 174 Vgl. dazu das Dokument „Prospectus of the Social Service Building” (UA, URB 3/ III/384, Box 59).

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ladelphia Conference of Social Work, die Family Society (ehemals SOC) und die Philadelphia Housing Association. Die Anzahl der in den Büros dieser Orga­nisationen beschäftigten Personen war in Anbetracht der entfalteten Aktivitäten überraschend gering. So beschäftigte die Philadelphia Housing Association im Jahr 1922 gerade einmal acht „paid workers“175, schaffte es aber nach eigenen Angaben in einem Jahr 23 850 Hausinspektionen durchzuführen, 126 öffentliche Lesungen zu halten, sowie zwei Radiogespräche und vier Ausstellungen zur Wohnungsproblematik zu veranstalten. Sie veranlasste die Beseitigung von 5 138 „unwholesome conditions“176, fertigte Studien zur Mietsituation, zum Wohnungs­mangel und zur Wasserversorgung an und kooperierte bei all dem mit 52 anderen Fürsorgeorganisationen der Stadt.177 Der Ursprung der PHA geht zurück auf eine Initiative der 1896 gegründeten Octavia Hill Association (OHA), an deren Spitze die Quäkerinnen Hellen Parrish und Hannah Fox standen. Die OHA kaufte nach ihrem Londoner Vorbild und ih­rer Namensgeberin Octavia Hill in Slumgebieten der Stadt Häuser, die sie reno­vieren ließ und anschließend weitervermietete.178 1916 verwalteten die OHA über 400 solcher Häuser in Philadelphia, doch dem zunehmenden Verfall vor allem von Mietshäusern und den sich ausbreitenden Elendsgebieten in der Stadt, konn­ten auch sie nicht entgegen wirken. Um eine systematischere Bekämpfung dieser Zustände zu erreichen, die man sich vor allem auch durch die Reformierung der Gesetzeslage versprach, initiierte Hellen Parrish zusammen mit dem Direktor des Department of Public Health 175 Schreiben von Bernard J. Newman an Karl de Schweinitz vom 13.6.1922 (UA, URB 3/ III/384, Box 59). 176 Brief Statement of 1921 Activities of the Philadelphia Housing Association. 13.2.1922 (UA, URB 3/III/474, Box 65). Die „unsanitary conditions” reichten hierbei von „privy vaults in kitchens, foul flooded cellars to overcrowded living and dangerously unsafe buildings.” (Ebd.). 177 Siehe den Campaign Service Report der Welfare Federation of Philadelphia für das Jahr vom 1.September 1922 bis zum 31. August 1923, ausgefüllt von der Philadelphia Housing Association (UA, URB 3/III/475, Box 65). Vor allem die Anzahl an Hausinspektionen über­raschen auf Grund ihres Umfanges. Da Bernard J. Newman bei der Propagierung dieser Zahlen deren Zusammensetzung nicht offen legt, kann nur vermutet werden, was sich dahinter ver­birgt. Und so scheint es, dass Newman großzügig alle Hausbesuche der mit der PHA kooperie­renden Fürsorgeeinrichtungen, die sich über ein Jahr erstreckten, zu diesen „Hausinspektionen“ gezählt hat. Die Anzahl besuchter Haushalte würde damit weit unter den genannte 23 850 lie­gen. 178 Zur Geschichte der OHA siehe John F. Sutherland, A City of Homes: Philadelphia. Slums and Reformers, 1850–1918 (= Univ. Dis), Philadelphia 1973 und Julie Johnson, Octavia Hill Association, in: Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995, S. 416– 420. Zu Octavia Hill siehe grund­legend John Nelson Tarn, Five Per Cent Philanthropy. An Account of Housing in Urban Areas Between 1840 and 1914, Cambridge 1973.

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and Charities, Joseph Neff, die Gründung der Philadelphia Housing Commission (PHC). 1909 kamen 27 wohltätige Einrich­tungen zusammen “to aid the public authorities in the enforcement of existing laws affecting the housing conditions of the people, […] to secure the enactment of such laws and ordinances [and] to cooperate in every way possible in the de­velopment of wholesome surroundings and proper home conditions throughout the city and especially in the most neglected neighborhoods.”179

So vielversprechend diese Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung auch war, so schnell war sie auch wieder beendet. Schon kurz nach der Gründung der Kommission zog sich Joseph Neff von seinem Posten als Präsident zurück, „to devote full attention to his public responsibilities.“180 Sein Nachfolger wurde der demokratische Jurist und engagierte Reformer George W. Norris. Norris war nicht nur Mitglied des reformorientierten Committee of Seventy, sondern auch zeit­weise Direktor der SOC gewesen. Nach der Wahl des reformorientierten Quäkers Rudolph Blankenburgs zum Bürgermeister Philadelphias, bei der sich dieser als Republikaner auf der demokratischen Liste gegen die republikanische Maschine hatte durchsetzen können, wurde er bereits im Jahr 1911 als Direktor des Department of Wharves, Docks and Ferries in die städtische Verwaltung abberufen. Dieser Vor­marsch der progressives in die städtische Verwaltung löste für kurze Zeit eine regelrechte Euphorie unter den Reformern aus, die jedoch in der direkten Kon­frontation mit der politischen Maschine wieder schnell auf den Boden der Tatsachen zurück geholt wurden. Denn auch wenn Blankenburg ganz im Sinne der Reformer die städtische Verwaltung mit „technical experts“181 durchsetzte und damit erheblich zur Modernisierung des städtischen Apparates beitrug, wurden legislative Än­derungen, unter die auch der housing code fiel, weiterhin vom machine-domi­nierten Stadtrat blockiert. Nach Norris übernahm Bernard J. Newman, der auch schon unter seinen Vorgängern als Sekretär den größten Teil der eigentlichen Verwaltungs- und Koordinationsarbeit erledigt hatte, die Leitung der PHC. Newmann gelang es, die Kommission in kürzester Zeit als eine der führenden privaten Fürsorgeeinrichtungen Philadelphias zu etablieren, nicht zuletzt, weil namhafter Vertreter der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite der Stadt, wie Helen Parrish oder der erfolgreiche Geschäftsmann

179 Constitution of the Philadelphia Housing Commission, zitiert nach Sutherland, City, S. 159f. 180 Ebd., S. 160. 181 Abernethy, Progressivism, S. 553.

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Samuel S. Fels, im Board of Directors vertreten waren, auch wenn sie mit dem Tagesgeschäft der Einrich­tung nur wenig zu tun hatten.182 Was die PHA unter Newmanns Leitung in den 1920er Jahren vor allem auch leis­tete, war eine bis dahin ungesehene Vernetzung mit den anderen privaten Fürsor­ geeinrichtungen, nicht nur in Philadelphia selbst, sondern in den gesamten USA. Neben zahlreichen Einzelkorrespondenzen mit führenden Persönlichkeiten ande­rer Einrichtungen, verschickte Newman immer wieder gezielte Aufrufe an poten­tielle Kooperationspartner. Nur durch diese gezielte Vernetzung war es Newman überhaupt möglich, die Hausmängel Philadelphias so umfangreich zu erfassen. Im Mai 1921 schrieb er an 69 Fürsorgeeinrichtungen: “The Philadelphia Housing Association is making a special effort to eliminate certain insanitary conditions existing in our city, such as water in the cellar, obstructed water closets, privy vaults, and surface drainage on sewered streets. You have always cooperated so splendidly with us in our work we would ask you to instruct your workers to make a special effort, at this time, in reporting these conditions. We want these conditions cleaned up, and we know you do also, and feel assured you will assist us in this matter.”183

Dieses Schreiben blieb nicht ohne Reaktionen und im Jahr 1921 meldeten sich 49 Fürsorgeorganisationen bei der PHA, um solche baulichen Missstände anzuz­eigen, insgesamt 3 928 an der Zahl. Im Gegenzug dafür versorgte die PHA die kooperierenden Einrichtungen mit Materialien für deren eigene Arbeit. „The Lighthouse will gladly cooperate with the Philadelphia Housing Association”, antwortete das Lighthouse Settlement auf die Anfrage der PHA am 20. Mai, „we appreciate heartly the work which the Housing Association is doing and take the greatest pleasure in being associated with you in it even in a small way.”184 Nur wenige Monate später notierte die PHA in einem internen Bericht unter der Rubrik „Special Inspection etc.“: “Two maps were made for Miss Lewis, of The Lighthouse, to be used by the NorthEast Council of Social Workers, to clean up the districts from Edgemont to Melvale sts., Cambria to Elkhart sts., and from Seltzer to Somerset, Edgemont to Richmond sts.”185

182 ����������������������������������������������������������������������������������� Zu Samuel S. Fels siehe Evelyn Bodek Rosen, The Philadelphia Fels, 1880–1920. A Social Portrait, Madison 2000, S. 93ff. 183 Schreiben von Bernard J. Newman an Miss Eraduski vom 19.5.1921 (UA, URB 3/ III/86, Box 34). 184 Schreiben von E.W.K. Bradford an Bernard J. Newman vom 20.5.1921 (UA, URB 3/ III/86, Box 34). 185 Interner Bericht der Philadelphia Housing Association vom 31.12.1921 (UA, URB 3/ III/88, Box 34).

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In den 1920er Jahren erarbeitete sich die PHA eine Stellung in der städtischen Fürsorgelandschaft, deren Bedeutung weit über die Kontrolle des Wohnraumes hinaus ging. Die anfängliche Verquickung der PHC mit der städtischen Verwal­tung blieb unterdessen nur eine kurzzeitige Episode. Effektive Änderungen des housing codes oder die Einführung umfassender Reformen im Bereich der Stadt­planung scheiterten an der dominanten Position der reformfeindlichen politischen Maschine im Stadtrat. Die offizielle Abschaffung der public outdoor relief war unterdessen keine fakti­ sche Abschaffung derselben, sondern vielmehr eine Neuformierung, wenn auch nun in informeller Form. Denn der Rückzug öffentlicher Organe aus der offenen Fürsorge und die durch Segregation bedingte Entfremdung privater Fürsorger von den ärmeren Distrikten der Stadt führten zu einem Vakuum, das von der politi­schen Maschine genutzt werden konnte, um ihr Einfluss- und Abhängigkeits­netzwerk auszubauen. „The politician plays his trump card just here and wins“186, formulierte Mary Richmond 1907, um den Vorteil der persönlichen Nähe von ward politicians zu ihren Nachbarn zum Ausdruck zu bringen, eine Nähe, die zwi­schen den reformorientierten Fürsorgern und den Bewohnern der armen Stadt­gebiete meist nicht gegeben war. Die relative Abgeschlossenheit der armen Stadt­viertel, die sich mit dem Ausbau der Verkehrsnetze vor allem auch räumlich ausprägte, bot den Bewohnern dieser Distrikte zugleich die Möglichkeit (und Notwendigkeit), in ihren Stadtvierteln eigene Strategien des Überlebens und damit vor allem auch einen Lebensstil zu entwickeln, der nur wenig mit den moralischen Vorstellungen der Fürsorger aus den Reihen der Mittel- und Oberschicht zu tun hatte. Dies erkannte auch in Chicago Jane Addams, die 1899 über die alltägliche Konfrontation der Moralvorstellungen der Fürsorgerinnen mit der ihnen so frem­den Lebenswelt berichtete: “Because of this diversity in experience the visitor is continually surprised to find that the safest platitudes may be challenged. She refers quite naturally to the ‚horrors of the saloon,’ and discovers that the head of her visited family, who knows the saloons very well, does not connect them with ‘horrors’ at all. He remembers all the kindnesses he has received there, the free lunch and treating which go on, even when a man is out of work and not able to pay up; the poor fellows who are allowed to sit in their warmth when every other door is closed to them; the loan of five dollars lie got there, when the charity visitor was miles away, and he was threatened with eviction.”187

Diese so positiv geschilderten Erfahrungen mit dem Saloon dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alkoholismus zu den gravierendsten Problemen in den är­ 186 Richmond, Friendly b, S. 255. 187 Jane Addams, Subtle Problems of Charity, in: The Atlantic Monthly, 1899, S. 163–179, hier S. 167f.

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meren Distrikten der Stadt gehörte, auch noch in den Zeiten der Prohibition.188 Doch an den Ausführungen von Addams wird deutlich, dass der Saloon wesentlich mehr war, als ein Ort zum Konsum von Alkohol. Er war zugleich auch zentraler Funktionsort der sozialen Absicherung. Dies war er vor allem auch dadurch, dass der Saloon schon frühzeitig von der politischen Maschine als Ort der Kontaktauf­nahme mit den Wählern, als political club funktionalisiert wurde, in Philadelphia erstmals in den 1880er Jahren von dem einflussreichen ward leader Israel Durham. Dieser etablierte erfolgreich ein ‚duales System‘ der Kontrolle der schwarzen Wählerschaft im siebten Bezirk der Stadt, indem er zum einen führen­de Vertreter der schwarzen Elite, darunter den Journalisten Christopher Perry, zum anderen Saloon-Betreiber wie Gil Ball für sich gewann. Gil Ball wurde für Durham zum zentralen Kontaktmann zum schwarzen Proletariat des siebten Be­zirkes und damit zu einem der einflussreichsten schwarzen Politiker seiner Zeit in Philadelphia, während er durch Perry den Kontakt zur etablierten schwarzen Mit­telklasse herstellen konnte. Die Nachfolge Balls als Mittelsmann zwischen ma­chine und der afroamerikanischen Bevölkerung trat unter den Vare-Brüdern Amos Scott an, der es vom Preisboxer zum Saloonbesitzer und schließlich zum ersten afroamerikanischen magistrate Philadelphias schaffte. Vor allem auf Grund seines politischen Erfolges und trotz seiner ‚dubiosen‘ Herkunft gelang es Scott, dass sich auch die Philadelphia Tribune, die elitäre afroamerikanische Wochenzeitung der educated black middle-class hinter ihn stellte.189 „The saloon keeper was the common man’s friend“, erinnerte sich der afroamerikanische Physiker N.F. Mossell aus Philadelphia, „and virtually anything the saloonkeeper asked him to do, the common man was glad to do.“190 Um die Jahrhundertwende existierten allein im siebten Bezirk 15 solcher political clubs, von denen die meisten „saloon-based“ waren.191 Die Saloons waren somit nicht nur ein wichtiger Funktionsort im Apparat der politischen Maschine, sondern auch Ausgangspunkt gegenseitiger Unterstützung in einer Nachbarschaft, eine Rolle, die sich jeglicher Zuordnung zu Kategorien wie ‚privat‘ oder ‚öffentlich‘ verwehrt. Die Verbindung von machine und Nachbarschaft knüpfte sich in Philadelphia unterdessen nicht nur über einzelne Politiker, sondern auch über die lokalen Poli­ zeieinheiten. So verband viele der lokalen Polizisten eine familiäre oder freund­ schaftliche Bindung zu den Einwohnern ihres Einsatzdistriktes. Ihre Stellung, die 188 Zur Vernetzung der politischen Maschine mit dem Handel von Alkohol am Beispiel New Yorks siehe Michael A. Lerner, Dry Manhattan. Prohibition in New York City, Cambridge 2007, S. 7–39. 189 Charles Ashley Hardy, III., Race and Opportunity: Black Philadelphia during the Era of the Great Migration, 1916–1930. Volume 1 (= Univ. Dis), Philadelphia 1989. 190 Zitiert nach ebd., S. 28. Das Zitat stammt aus einem Interview aus dem Jahr 1945. 191 Ebd., S. 27f.

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ihnen vor allem auch selbst ein sicheres Einkommen gewährte, bekamen sie hier­ bei meist durch den Einfluss eines lokalen politischen Bosses. Auf Grund der Ein­ flussmöglichkeiten der politischen Bosse auf die Ernennung und Entlassung der Polizisten in ihren jeweiligen Einflussgebieten, war die Stellung dieser Polizisten in den Machtstrukturen der politischen Maschine sehr fragil und hing wesentlich vom Willen dieser politischen Führer ab. Dieses komplexe Beziehungsverhält­nis zwischen den Bewohnern zentraler Quartiere und den Akteuren der politi­schen Maschine ist schon zeitgenössisch von Reformern und Wissenschaftlern vielfältig beschrieben worden. In Philadelphia war es vor allem der Soziologie­professor John Thomas Salter, der mit den Amtsträgern der Maschine auf ihrer untersten Ebene viele vertraute Gespräche geführt hat. So berichtet er auch von dem Klavierverkäufer Tony Nicollo, dessen schulische Bildung nicht über die einer elementary school hinaus ging und der sich in den 1920er Jahren zum füh­renden Vertreter der italienischstämmigen Bevölkerung eines kleinen Distriktes von 520 Einwohnern empor gearbeitet hatte. „Many of my voters come to my home to ask favors“, erzählte er in einem seiner Gespräche mit Salter, „sometimes they sit there and I sit in the next room at my desk and take them one by one just like a doctor.“192 Salter betont hierbei, dass den leadern der einzelnen Distrikte nahezu jeder Wähler mit Namen bekannt war und dass diese häufig zum Beweis ihre Loyalität und Dankbarkeit für die erhaltenen Unterstützungen offen vor den Distriktführern ihre Stimme abgaben. „The average division leader can always be found at a certain place – the corner cigar store, the drug store, or some such place“, sagte so auch der Boss William S. Vare im August 1931 in einerm per­sönlichen Interview mit Salter, „he goes there every night. When the voter wants him, he knows where to find him.“193 Trotz dieser Kooperation sollte die politi­sche Maschine in ihrer Einbindungskraft sozial Schwacher nicht überbewertet werden194, denn diese ging meist auf Kosten derjenigen, die sich nicht dem politi­schen Willen der Maschine fügen wollten.195 „Some you must bully; some you are nice to; some you must buy; some you coax; some you threaten; and others you can make happy by taking them for a ride in your automobile“196, beschrieb Tony Nicollo seine Form lokalen ‚leaderships‘, die ganz in Tradition des Glaubens an erfolgreiche „Leader“ stand, wie sie auch in den Reihen der upper-class zu be­obachten war. 192 John Thomas Salter, Boss Rule. Portraits in City Politics, New York 1974 (1935), S. 78. 193 ����������������������������������������������������������������������������������� Zitiert nach John Thomas Salter, The Ward Committeeman, in: American Political Science Review 27. 1933, S. 618–627, hier S. 621. 194 ���������������������������������������������������������������������������������� So ganz offensiv Jon C. Teaford, The Unheralded Triumph. City Government in America 1870–1900, Baltimore 1984. 195 Vgl. dazu auch Marcus Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat. Bürgerliche Sozial­reform und Welfare State Building in den USA und in Deutschland 1880–1940, Göttingen 2009. 196 Salter, Boss, S. 78.

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Die Unterstützung durch die division leader beschränkte sich weitgehend auf die Gewährung von „favors“, die zu einem Großteil darin bestanden, jemandem ‚ju­ ristischen‘ Beistand zu gewähren, wobei dieser juristische Beistand mehr durch die persönliche Einflussnahme auf amtierende Richter und Polizisten bestand, denn in einer fundierten Rechtsvertretung. „About 75 per cent of Rosie’s work is concerned with magistrate cases“, beschrieb Salter das Engagement Rosie Popovits, einer der wenigen Frauen unter den division leaders Philadelphias.197 „A voter is arrested, and Mrs. Popovits speaks to the ‚judge‘ for the voter in trouble.“198 Die ‚Richter‘ (magistrates) verfolgten bei ihrem Urteil – das dann meist gemäß dem Willen der division leader ausfiel – häufig selbst politische Inte­ressen. „All twenty-eight of the magistrates are politicians and nearly all of them are either ward or division leaders“199, beschrieb Salter den Zustand der frühen dreißiger Jahre.200 Wie wichtig die intensive und vor allem auch effektive Hilfe der division leader für ihre Wähler auch war, so wenig änderten sie an den strukturellen Problemen in den armen Stadtvierteln. Mit grundlegenden Reformen der hygienischen oder wohnräumlichen Situation beschäftigten sich die wenigsten lokalen politischen Führer der ärmeren Stadtteile. Auch die Politiker der City Hall sahen scheinbar keinen Grund in einem solchen Engagement. Dennoch bot das System der Ma­schine den armen Bevölkerungsteilen eine Sicherheit, die ihnen Fürsorger, ob nun aus den Reihen der Organized Charity oder der Settlement-Bewegung nicht bieten konnten, und die lag vor allem auch in der Vermittlung von Arbeit. So schrieb schon M.J. Stroud für das Women’s Auxiliary Committee der Eight Ward Charity Organization in ihrem ersten Jahresbericht aus dem Jahr 1879: “It was a constant source of regret to the Visitors that, when applied to for work they had none to give, and had to supply the pressing need of relief by giving orders for coal and groceries, thus, by their own act, degrading the worthy poor who would gladly have earned what they had to receive as charity.”201 197 1933 gab es in Philadelphia insgesamt sieben weibliche division leader. Vgl. Salter, Ward, S. 619. 198 Salter, Boss, S. 199. 199 Ebd. 200 ��������������������������������������������������������������������������������������� Ein ganz ähnliches Bild des Beziehungsverhältnisses der „division leader“ zu den Anwohnern ‚ihres‘ Stadtteiles geht aus Protokollen verdeckt ermittelnder Frauen hervor, die im Auftrag des 1920 gewählten Reformbürgermeisters J. Hampton Moore die korrupten Strukturen dessen Erzrivalen Charles B. Hall, dem Meinungsführer des machine-treuen City Council, ausspionie­ren sollten. 201 First Annual Report of the Eights Ward Association of the Philadelphia Society for Organizing Charitable Relief and Repressing Mendicancy. 1st October, 1879, in: Philadelphia Society for Organizing Charity (Hg.), Papers of the Philadelphia Society for

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An dieser Situation hatte sich auch in den 1920er Jahren noch wenig geändert. Grundlegende Basis des Systems war, dass die unterstützten Personen an der Wahlurne der machine auch ihre Stimme gaben. Da auch die division leader von ihren Bossen nur im Amt belassen wurden, so lange sie ein entsprechendes Wahlergebnis herbeiführten, standen diese unter erheblichem Druck. Ent­sprechend empört reagierten sie, wenn einer ihrer Schützlinge die stillschwei­gende Abmachung nicht einhielt und trotz gewährleisteter Unterstützungs­maßnahmen den politischen Gegner wählte. „Hell, the only thing he could do for me was to register right“, ärgerte sich der afroamerikanische division leader David Nelson, als sich ein Anwohner seines Distriktes für die Demokraten re­gistrieren lies. Ein Jahr zuvor hatte er ihm noch zu einer vorzeitigen Behandlung in einem Krankenhaus verholfen, auf den er trotz seines zu dieser Zeit schlechten Gesundheitszustandes noch sechs Monate hätte warten müssen. „The only reason I did the favor was to get his vote“, setzte Nelson unverhohlen seiner Klage hinzu.202 Ein solcher Vertrauensbruch mit dem eigenen division leader konnte recht unangenehme Konsequenzen für die abtrünnigen Wähler nach sich ziehen. Geradezu vorbeugend kursierten in den einzelnen Bezirken Geschichten was mit solchen Personen passierte. „Even the sleepy constituents heard the story of the number-writer who, when asked how he was going to vote in 1932, told Dave he was voting for Roosevelt“, berichtet erneut John Thomas Salter aus seinen Erkun­dungen in David Nelsons Distrikt. „Dave did not argue, but a week later the writer was arrested for selling numbers (gambling slips). He called Dave on the tele­phone and begged for help. Dave calmly told him to get Roosevelt to speak to the magistrate in the case.“203 Im Laufe der 1920er Jahre etablierte sich zunehmend die Praxis, dass die Wähler für ihre Stimme von ihrem division leader einen Geldbetrag erhielten, eine Praxis, die zwar bei den politischen Führern auf Ablehnung stieß, da die direkte Hilfe in Notsituationen zu ihrem eigentlichen Tagesgeschäft gehörte, aber gegen die auch sie nicht ankamen. „Tough fighting against the customs of a neighborhood is uphill work“, hielt David Nelson fast schon resignierend zum Kauf der Wähler­stimmen fest.204 Dass es schon den einflussreichen Funktionären der politischen Maschine schwer viel, gegen die etablierten Praktiken ihres Umfeldes anzu­kommen, macht deutlich, vor welcher Schwierigkeit nun Fürsorgeorganisationen wie die settlements standen, die teilweise versuchten sich in den sozial schwachen Stadtteilen als politische Alternative zur machine zu etablieren. Wollten sie ge­wählt werden, mussten sie die ihren Wählern wegfallenden Hilfeleistungen der machine kompensieren. Doch dazu waren sie manOrganizing Charity to the Close of its First Fiscal Year, October 1, 1879, Philadelphia 1879b, S. 13. 202 Salter, Boss, S. 180f. 203 Ebd., S. 181. 204 Ebd., S. 185.

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gels persönlichen Einflusses auf die korrupten juristischen Strukturen und auf den in weiten Teilen von der ma­chine kontrollierten lokalen Arbeitsmarkt kaum in der Lage. Dementsprechend erfolglos fiel auch das politische Engagement der meisten Reformorganisationen in solchen machine-kontrollierten Distrikten der Stadt aus.205 Was die Funktionäre der machine in ihrer Machtausübung im Gegensatz zu den privaten Reform- und Fürsorgeorganisationen insbesondere auszeichnete, war, dass sie die Bewohner der ärmeren Stadtdistrikte nicht stetig für ihre Lebens­führung moralisch rügten und auch nicht versuchten, moralisch kontrollierend in diese einzugreifen. Auch wenn politische Machtkämpfe immer wieder zu Razzien und Schließungen von Kabaretts, Saloons und Bordellen führte, war der Grund für diese Schließungen, der den Betroffenen vollkommen klar war, keine Kritik an der Lebensweise der Besucher und Betreiber dieser Einrichtungen, sondern Resultat eines „political war“, für den sie selbst zunächst nicht verantwortlich waren. Mit den Folgen solch politischer Machtkämpf, an denen die leidtragenden Anwohner erst einmal nur wenig ändern konnten, konnten sie sich durchaus arrangieren, ohne ihre eigene Persönlichkeit in Frage gestellt zu sehen. Der provokative Antrag eines machine-treuen und reformkritischen Chicagoer Stadtrates zur Einrichtung eines „Bureau of Dont’s“, das von den Reformern, „hypocrits, bigots [and] assorted nincompoops“ gewählt und damit beauftragt werden solle „the right to live, die, breathe, laugh, cry, eat, sleep, love, hate [and] dance206“ zu regulieren, bringt den spannungsreichen Gegensatz zwischen machine- und Reformpolitik plakativ zum Ausdruck. Für die Reformer, die immer wieder auch verdeckte Ermittler in die ihnen so frem­den Stadtteile schickten und die dort auf ein reichhaltiges kulturelles Angebot trafen, waren der dort zu beobachtende freizügige Umgang von Männern und Frauen miteinander geradezu schockierend. So empörten sich verdeckte Ermitt­ler in Chicago darüber, dass sich zu so genannten „amateur nights“, die weib­lichen und männlichen Akteure vor ihrem Auftritt in Gemeinschaftskabinen umzogen.207 In Philadelphia zeigte sich eine Ermittlerin darüber entsetzt, dass sich die Besucher eines Tanzlokales populäre Tänze der Mittelklasse angeeignet und sich in diesem Zuge vor allem vom körperlich distanzierten Verhalten der miteinan­der Tanzenden, wie es in 205 Grundlegend zum politischen Engagement von settlements siehe Allen Freeman Davis, Spearheads for Reform. The Social Settlements and the Progressive Movement, 1890– 1914, New Brunswick 1984 und Allen F. Davis, Settlement Workers in Politics, 1890– 1914, in: Blaine A. Brownell u. Warren E. Stickle (Hg.), Bosses and Reformers. Urban Politics in America, 1880–1920, Boston 1973, S. 106–118. Konzise dazu auch Gräser, Wohlfahrts­gesellschaft, S. 162. 206 Zitiert nach Robert M. Fogelson, Big-City Police, Cambridge 1979, S. 69. 207 The Vice Commission of the City of Chicago (Hg.), The Social Evil in Chicago. A study of Existing Conditions with Recommendations by the Vice Commission of Chicago, Chicago 1911, S. 248.

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der Ober- und Mittelklasse üblich war, ent­ledigt hatten. „Found the upper cafe crowded with people and dense with smoke, a real jazz orchestra of four pieces provided the entertainment during which music sutiable for dancing was played at intervals“ berichtete die Ermittlerinnen aus Hamilton’s Cafe zwischen der Lombard und 16th Street. „At such times the dancing became general, was a most vile interpretation of popular dances and the very vulgar shimmy dance.“ 208 In den Augen der verdeckten Ermittlerinnen und Ermittler galt es zumeist schon als anstößig, wenn Veranstaltungen vergleichs­weise unkontrolliert und ohne stetiges Eingreifen von Aufsehern abliefen. Als eine Ermittlerin eines Abends beim Olympia Theater, Ecke South und Broad Street in Philadelphia vorbei kam, fand dort gerade eine der berüchtigten „Amateur Nights“ statt, die auf Grund des regen Publikumsandranges ihre Aufmerksamkeit erregte. „I heard the boisterous crowd inside so went in and found what appeared to be almost the entire under-world“, hielt sie in ihrem Tagesprotokoll vom 6.1.1921 fest. Das Publikum mache hierbei „all sorts of remarks at the various acts, howling sometimes to show their pleasure and hissing to show their displeasure.“209 Entsetzt war die Ermittlerin nicht nur darüber, dass kein Aufseher um eine Kontrolle des Publikums bemüht war, sondern dass auch anwesende Poli­zisten sich augenscheinlich mit den anderen Gästen an den Aufführungen erfreu­ten und nicht kontrollierend eingriffen. „After the amateur show“, ergänzte sie abschließend, „pictures were shown. While they could not be said to be bad, they were not helpful in creating a respect for law and order.“210 Was die Ermittlerin unter einer angemessenen Organisation einer Abendveranstaltung verstand, macht sie in ihrem Bericht einen Tag darauf deutlich, als sie eine Tanzveranstaltung in Claver’s Auditorium, Ecke Lombart und 12th Street besuchte. „There was neither loud talking nor bad language used, neither was anyone allowed to loiter in the halls. A floor manager directed the dancing. Music and dancing were of the kind usually permitted in first class dance halls.“211

208 ������������������������������������������������������������������������������������� Philadelphia Surveillance Reports, S. 72 (HSP, Col. 1541, Box 219, F. 10). Solche Berichte weisen darauf hin, dass der innerstädtische Kulturtransfer nicht einseitig verlief und z. B. nur Jazz-Musiker dazu gebracht wurden, für den europäisch geprägten Musikgeschmack der wei­ßen Mittelklasse eine etwas geradlinigere Musik aufzuspielen, sondern sich die Bewohner der ärmeren Stadtteile gleichermaßen kulturelle Formen der middleclass aneigneten. Siehe dazu auch Burton William Peretti, The Creation of Jazz. Music, Race, and Culture in Urban America, Urbana 1994; Chadwick Hansen, Social Influences on Jazz Style: Chicago, 1920–30, in: American Quarterly 12. 1960, S. 493–507; David W. Stowe, Jazz in the West: Cultural Frontier and Region During the Swing Era, in: The Western Historical Quarterly 23. 1992, S. 55–73, hier S. 56. 209 Philadelphia Surveillance Reports, S. 3 (HSP, Col. 1541, Box 219, F. 9). 210 Ebd., S. 3f. 211 Ebd., S. 9.

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Dieser durch die räumliche Konstellation entstehende alternative Lebensraum zu den Stadtteilen und sub-urbs der weißen Ober- und Mittelklasse stieß diese städti­sche Oberschicht nicht nur ab, sondern faszinierte sie gleichermaßen. Und so etablierten sich die tenderloins Philadelphias, die maßgeblich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit den europäischen Migrationswellen und der Einführung der segregierten Prostitution entstanden waren, als abenteuerliche Erkundungsorte für ihr abendliches Unterhaltungsprogramm.212 Denn die Rotlicht-Milieus lagen nur einen kurzen Fußmarsch von den zentralen und touristisch attraktiven Orten, wie der populären Chestnut Street entfernt, und stellten auf Grund ihrer günstigen Preise für Essen und Trinken nicht nur für Einheimische, sondern insbesondere auch für Touristen eine attraktive Abwechslung dar.213 „A full meal for what the average man tosses away for a tip; a shave for a nickel; a haircut for a dime and a bath for fifteen cents“, bewarb so auch im Januar 1926 der Evening Bulletin den tenderloin um die Vine- und RaceStreet. „These are no pre-war prices but present rates for eating and keeping clean in the dull gray atmosphere of the ‚tenderloin‘.“ In solchen Berichten konnten die in weiten Teilen herunterge­kommenen Stadtteile geradezu romantisiert und zugleich exotisiert werden. „As one wanders through the neighborhood“, beschrieb der Reporter seinen Besuch im 13. Bezirk, „it gives him the general impression of the past fighting with the present.“ Russische, griechische, spanische und türkische Badehäuser würden die Straßen säumen und Scharenweise „gypsy seers“ böten ihre Dienstleistung feil. „So, for one whole dollar a man could create quite a splash in this part of the city.“214 Dabei entsprachen diese Stadtteile allem anderen, als den gängigen Klischees der „city beautiful“-Narrative, die Mitte der 1920er Jahre in Philadelphia eine neue Hochzeit erlebten. So kommentierte 1925 ein Au­tor der afroamerikanischen Philadelphia Tribune recht gehässig all jene, die Philadelphia als eine solche „city beautiful“ zu stilisieren suchten: “I wish I could drag all of them down to South Street […]. How their feathers would fall. […] I would equip them with gas masks for the smell of putrifying vegetables, the odor from 212 Zur segregierten Prostitution siehe grundlegend Neil Larry Shumsky, Tacit Acceptance: Respectable Americans and Segregated Prostitution, 1870–1910, in: Journal of Social History 19. 1986, S. 665–679. Eine ähnliche Bedeutung gewann in den 1920er Jahren in New York der Stadtteil Harlem. Vgl. dazu Lewis A. Ehrenberg, Steppin’ out. New York Nightlife and the Trans­formation of American Culture 1890–1930, Westport, London 1981. 213 So führten gleich mehrere sight-seeing-touren der 1920er Jahre den Besucher in die Chestnut Street, die nur zwei Blöcke von der South Street entfernt lag. Vgl. dazu beispielsweise die Tou­ren in Francis Burke Brandt u. Henry Volkmar Gummere, Byways and Boulevards in and About Historic Philadelphia, Philadelphia 1925. 214 The Evening Bulletin vom 20.1.1926.

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the dirty restaurants […] and the stench from chicken coops and stores would suffocate them sure. […] The city beatutiful! Bunk!”215

Doch der schlechte Zustand der zentrumsnahen Slumdistrikte tat der touristischen Attraktivität keinen Abbruch und auch weiße Geschäftsleute erkannten rasch deren wirtschaftliches Potential. So warb der in der Bainbridge Street gelegene Club Alabama im siebten Bezirk, dem älteste „negro district” Philadelphias, 1927 für die „biggest colored show in town“, zu der ausschließlich ein weißes Publi­kum zugelassen war. Gleichermaßen erlaubte auch der Cotton Club, dessen Name, wie auch der „Cotton State“ Alabama, eine Anspielung auf die Baumwollplanta­gen des Süden war, in South Philadelphia nur einem weißen Publikum den Ein­tritt, gleichwohl er im Kellergeschoss des rein afroamerikanisch bewohnten Douglass Hotels lag. Solche exklusiven weißen Clubs und Cafés im ansonsten ‚schwarzen‘ South Philadelphia waren keine Ausnahme, sondern verbreiteten sich rasant seit der Mitte der 1920er Jahre. „They are infesting South Philadelphia like the plagues of Egypt“, erboste sich die Philadelphia Tribune über diese jüngste Entwicklung in ‚ihrem‘ Stadtteil und forderte eine vollständige Entfernung dieser Einrichtungen. „If it is for white exclusively it should be conducted at Chestnut Hill or some other exclusive white neighborhood.“216 Dass solche Einrichtungen, die auf die Nähe zur ‚Unterwelt‘ mitten im Tenderloin der Stadt setzten, in weißen Stadtteilen Interessenten gefunden oder überhaupt von der Nachbarschaft geduldet worden wären, bleibt jedoch anzuzweifeln. Denn gerade der Besuch von Elendsvier­teln eignete sich, ganz nach dem Vorbild populärer literarischer Erzählun­gen und muckraker-Artikel, im Nachhinein über den persönlichen Kon­takt mit dieser ‚Unterwelt‘ zu berichten. Für viele Großstadtbewohner war der Tenderloin „too far away to be dangerous yet close enough to be exiting.“217

215 The Philadelphia Tribune vom 5.9.1925. 216 The Philadelphia Tribune vom 19.3.1927. 217 Ehrenberg, Steppin.

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Nachbarschaft

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In den Fürsorgesystemen, die sich in Frankfurt und Philadelphia seit der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten, zeichneten sich ganz unterschiedliche Konfliktlinien ab, die bisher vor allem strukturell auf der Ebene der unterstützen­den Einrichtungen erörtert wurden. Doch in dem Restrukturierungsprozess der städtischen Fürsorgesysteme Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden Konflikte nicht nur zwischen den Einrichtungen selbst, sondern vor allem zwischen den ‚Kontrolleuren‘ und den ‚Kontrollierten‘ in der täglichen Fürsorgepraxis. Auch hier nahmen diese Konflikte in Frankfurt und Philadelphia auf Grund der unter­schiedlichen stadt- und sozialräumlichen Strukturen ganz eigene Formen an. Denn während sich in Philadelphia die gesellschaftlichen Schichten, aus denen die meisten in der Fürsorge engagierten Personen kamen, aus den zentralen Stadt­tei­len und damit auch räumlich von den sozial schwachen Schichten zurückgezo­gen hatten, blieb in Frankfurt auf Grund der recht milden Segregation eine räum­liche Nähe zwischen Fürsorgern und Hilfsbedürftigen in den meisten Stadtgebieten be­stehen. Trotz dieses Unterschiedes in der räumlichen Distanz zur umsorgten Kli­entel, versuchten sich Fürsorgeorganisationen beider Städte den Hilfsbedürftigen vor allem auch persönlich anzunähern, umso besser moralisch erziehend auf diese wirken zu können. Neben der unterschiedlichen räumlichen Distanz spielte also die soziale Distanz zwischen Fürsorgern und Hilfsbedürftigen eine zentrale Rolle.1 Eine Überwindung der sozialen Distanz galt als Garant dafür, den hilfsbe­dürftigen Menschen mehr geben zu können, als nur eine finanzielle Unterstüt­zung. Obwohl zwischen den ehrenamtlichen Pflegern und Hilfsbedürfti­gen in Frankfurt eine räumliche Nähe gewährleistet schien, blieb die Aufgabe ei­ner ef­ fektiven Fürsorgearbeit dennoch schwierig. Denn in der stadtgesellschaft­lichen Konstellation Frankfurts, mit einer aus bürgerlichem Geist herrührenden Fürsorge, einer gerade an die Macht gekommenen sozialdemokratischen Partei und einer aggressiv auftretenden kommunistischen Fraktion, blieb des Zusammen­treffen von Fürsorgern und Hilfsbedürftigen äußerst spannungsreich. Während das Bürgertum um die Rettung bürgerlicher Werte in das neue System der Fürsorge rang, die SPD mit der bürgerlichen Tradition des ‚gnädigen Gewährens‘ zu brechen suchte und die KPD die ‚wahre‘ Nähe zur arbeitenden Klasse propagierte, konnte die Begegnung von Fürsor1 Zum Konzept der sozialen Distanz vgl. die Grundgedanken bei Robert Ezra Park, The Concept of Social Distance as Applied to the Study of Racial Attitudes and Racial Relations, in: Journal of Applied Sociology 8. 1924, S. 339–344.

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gern und Hilfsbedürftigen immer wieder zu ge­waltsamen Auseinander­setzungen führen. Eine zusätzliche Komplexität erreichte diese Konstellation dadurch, dass durch die Folgen des Ersten Weltkrieges nun auch zahlreiche Bürger selbst in finanzielle Not gelangt waren und das erniedri­gende Gefühl, um Unterstützung zu bitten, am eigenen Leib erfahren mussten. Während so das Errichten des „cordon of posts“2 der Fürsorge, wie Oscar McCulloch 1880 die systematische Verteilung fürsorgender Kräfte im städtischen Raum nach dem Muster des Elberfelder Systems bezeichnet hatte, in Frankfurt auf Grund der nur milden Segregation weitgehend unproblematisch umgesetzt werden konnte, waren die Verhältnisse in den wards von Philadelphia ganz andere. Mit der sich ausprägenden Segregation und dem Rückzug der weißen Mittelklasse aus dem Stadtzentrum, hatte diese einen Möglichkeitsraum geschaffen, in dem die verbliebenen Anwohner aus ethnischen Minoritäten und/oder sozial schwächeren Schichten ganz eigene Strukturen und Praktiken der sozialen Absicherung heraus­bilden konnten. Diese hatten mit den christlich-puritanisch geprägten Vorstellun­gen der Ober- und Mittelschicht einer ‚richtigen‘ Lebensführung nur wenig ge­mein und wurden so zu einem Stachel im Fleisch der Reformer.3 Die in diesem Möglichkeitsraum entstehenden „community standards“ (Mary Richmond) waren nun vor allem auch auf Grund der ethnischen Heterogenität recht vielfältig. „In a large city“, schrieb Mary Richmond, die Leiterin der Philadelphia Society for Organizing Charity (SOC) im Jahr 1907, „we have not one community standard, we have twenty, each competing for recognition with all the others.“4 Mit dem sie überspannenden Netzwerk der politischen Maschine und deren Form der Macht­ausübung besaßen die zahlreichen communities jedoch zugleich eine sie verbin­dende Struktur. Denn die politische Maschine verstand es sehr geschickt, die vie­len unterschiedlichen Gemeinschaften durch ein intensiv gepflegtes Patronage­system und die Einbindung einzelner einflussreicher Persönlichkeiten als Sprecher ihrer jeweiligen Gruppe indirekt zusammen zu bringen. Die Vermittlung von Ar­beit gehörte hierbei zu den wichtigsten Unterstützungsleistungen der politischen Maschine, genauso wie der Beistand in juristischen Konfliktfällen – meist durch korrupte Einflussnahme – finanzielle Hilfe oder die Versorgung

2 Oscar C. McCulloch, Associated Charities, in: F. B. Sanborn (Hg.), Proceedings of the Seventh Annual Conference of Charities and Correction, Held at Cleveland, June and July, 1880, Boston 1880, S. 122–135, hier S. 127. 3 ���������������������������������������������������������������������������������� Vgl. dazu auch die pointierte Zusammenfassung bei Marcus Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat. Bürgerliche Sozialreform und Welfare State Building in den USA und in Deutschland 1880–1940, Göttingen 2009, S. 156–167. 4 Mary Ellen Richmond, The Good Neighbor in the Modern City, Philadelphia, London 1907, S. 24.

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mit Truthähnen zum Thanksgiving-Fest.5 Diese Form der Unterstützung war sehr persönlich und kurzzeitig sehr effektiv, auch wenn sie strukturell nur wenig an den häufig unhy­gienischen und damit meist auch gesundheitsbedrohlichen Lebensumständen der Anwohner änderte. „The successful candidate […] must be a good man according to the standards of his constituents“, charakterisierte schon 1898 Jane Addams aus ihre achtjährige Erfahrungen im Hull-House-Settlement Chicagos die politischen Grundstrukturen in einem Bezirk der Stadt. „He must not attempt to hold up a morality beyond them, nor must he attempt to reform or change the standard. His safety lies in doing on a large scale the good deeds which his constituents are able to do only on a small scale.“6 Da es sich bei den meisten lokalen Politikern in den einzelnen ‚Divisionen‘ der Stadt, also in den kleinräumigen Untereinheiten der wards, selbst um soziale Aufsteiger handelte, die ihre politische Karriere nicht selten als Laufburschen der politischen Maschine begonnen hatten, mussten diese im Gegensatz zu den Reformgruppen der Mittelklasse zu den Anwohnern ihrer Stadtteile keine soziale Distanz überwinden, was Marry Richmond treffend als die „trump card“7 der Politiker bezeichnet hat.8 Die Politiker der wards und divisions waren sich ihrer Rolle in der Gewährung zentraler Unterstützungsleistungen für die arme Bevölkerung durchaus bewusst. Ihre kaum anzuzweifelnde Bedeutung für die Bewältigung alltäglicher Probleme wurde so von manchen Bossen auch gezielt eingesetzt, um den häufig lautstark auftretenden Reformern, die an der städtischen Verwaltung selten Gutes fanden, selbst mit Kritik entgegen zu treten. So wandte sich der Leiter des Stadtrates Philadelphias, Charles B. Hall, der selbst auch ward leader des siebten Bezirkes der Stadt war, anlässlich des dritten „Welfare Drive“ der Welfare Federation of Philadelphia an die Presse, um dort seine grundlegende Kritik an jeglicher Form der „organized charity“ zu platzieren 5 Diese Form der Fürsorge schilderte schon 1898 Jane Addams, die Begründerin des einfluss­ rei­chen Hull-House-Settlemets in Chicago. Vgl. dazu Jane Addams, Ethical Survivals in Municipal Corruption, in: International Journal of Ethics 8. 1898, S. 273–291. Ganz ähnliche Er­fahrungen für Philadelphia beschreibt 35 Jahre später der Soziologe John Thomas Salter in sei­ner zusammenfassenden Studie „Boss Rule“ zu den Funktionen der politischen Maschine Philadelphias auf ihrer untersten Ebene im direkten Kontakt der lokalen Leader mit der städtischen Bevölkerung. Vgl. John Thomas Salter, Boss Rule. Portraits in City Politics, New York 1974 (1935). 6 Addams, Ethical, S. 276. 7 Mary Ellen Richmond, Friendly Visiting, in: Joanna C. Colcord u. Ruth Z. S.  Mann (Hg.), The Long View. Papers and Addresses, New York 1930a, S. 254–261, hier S. 255. 8 Einen Sonderfall bilden hier vor allem die afroamerikanischen Reformer, die auf Grund der sich seit der Jahrhundertwende verschärfenden Segregationstendenzen in Philadelphia selbst noch zu einem Großteil in den zentralen Stadtgebieten lebten. Um ihren etablierten Status in der städti­schen Gesellschaft nicht zu gefährden, wahrten sie in den zentralen Stadtdistrikten die Distanz zu den sozial schwächeren Schichten.

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und damit Aktionen, wie die groß angelegte Spendensammlung schon im Vorfeld zu desavouieren. „If somebody needs a dol­lar for relief,“ äußerte Hall im November 1926, “the organized charity associations take seventy-five cents to conduct an in­vestigation and when they are ready to give the other twenty-five cents the person needing the relief is either dead or something else has happened to him. People wonder why the politicians are so popular but it is because when a poor, sick person is in need of a dollar the politician gives it to him.”9

Die Kritik Halls weißt geradezu frappierende Ähnlichkeiten zu kritischen Äuße­ rungen gegenüber dem Frankfurter Fürsorgesystem auf. Dort wurde die Skepsis gegenüber einer durchorganisierten Fürsorge nicht nur in populären Texten wie dem bereits zitierten Gedicht „St. Bürokratius“ (siehe S. 91f.) zum Ausdruck gebracht, sondern vor allem auch von den Frankfurter Kommunisten. Diese forderten ganz ähnlich wie Hall, Hilfsbedürftige zu unterstützen, ohne sie unter den Generalverdacht des Betrugsversuches zu stellen, am besten aber, ohne überhaupt jegliche Überprü­ fungen durchzuführen.10 „Man stelle sich vor“, schrieb in diesem Sinne am 1.5.1928 die kommunistischen ‚Arbeiter-Zeitung‘, „aus purer Vorsicht ein oder das andere Mal einem Zuhälter oder sonstigen Ausnutzer der Wohlfahrtsfürsorge etwas zu geben, hält man an dem Prinzip fest, nichts zu geben, ehe man die Be­weise der Not nicht in den Händen hat.“11 Grund für diese Parallele war nun keines­wegs eine auch nur annähernd ähnliche politische Gesinnung, sondern vielmehr eine ähnliche Stellung beider zum jeweiligen Fürsorgesystem im Ge­samtkomplex der städtischen Machtstrukturen. Denn beide hatten an dem etab­lierten Fürsorgesystem keinen Anteil und konnten und wollten sich nicht mit die­sem identifizieren. In Philadelphia hatte der politische Boss, der sich aktiv für die Menschen eines Stadtteiles einsetzte, die in der Mittel- und Oberschicht besten­falls als „primitiv“12 galten, nur wenig mit den Reformbemühungen der meist christ­lich geprägten Organisationen zu tun. Gleiches galt für die Mei9 The Evening Bulletin vom 16.11.1926 (UA, MC, Box 253, Welfare Federation of Phila Critcism, Bl. 1). 10 Dies hatte die kommunistische Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung in Folge des Falles Wiechmann beantragt. Vgl. dazu den Artikel der Frankfurter Post vom 26.7.1928 (FWA 473, Bl. 44). 11 Arbeiter Zeitung vom 1.5.1928 (FWA 1.408, Bl. 100). 12 So deutete z. B. auch Jane Addams, die eigentlich eine verständnisvolle Haltung gegenüber den ärmeren Schichten von den Settlement Bewohnern abverlangte, die Bewohner ärmerer Stadt­distrikte Chicagos. Siehe dazu Jane Addams, Why the Ward Buss Rules, in: Bruce M. Stave (Hg.), Urban Bosses, Machines, and Progressive Reformers, Lexington, Toronto, London 1972, S. 10–15, hier S. 10.

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nungsführer der Frankfurter Kommunisten, deren Vorstellung von einer gerechten Behandlung der Arbeiterklasse mit dem aus bürgerlichen Wurzeln erwachsenen öffentlichen Fürsorgesystem nicht in Einklang zu bringen war. Die gemeinsame Opposition zur bürgerlich beziehungsweise middle-class-geprägten Fürsorge einte sie daher in ihrer Kritik, die bei den zahlreichen Schwierigkeiten der Fürsorgearbeit auch sehr naheliegend war. Denn in Philadelphia wie in Frankfurt führte die Furcht unter den Fürsorgern, „unworthy poor“ oder „unverschämte Arme“ zu unterstüt­zen, vor allem auch zu langwierigen und für die Antragsteller peinlichen Untersu­chungen, die alles andere als vertrauenerweckend waren. Sowohl die Kommunisten, wie auch die ward-Politiker beanspruchten nun für sich, in ihrer Kritik an den etablierten Fürsorgesystemen den Hilfsbedürftigen nä­ her zu sein und mehr Verständnis für deren Notlage zu haben als ihre politischen Konkurrenten, und damit mögen sie in mancherlei Hinsicht sogar recht gehabt haben. Denn die Hilfsbedürftigen sahen sich spätestens seit den 1880er Jahren ständig wandelnden Systemen gegenüber, an die sie immer auch ihre Überlebens­strategien und Formen der Selbstbehauptung anpassen mussten. Hierbei verhielten sie sich selten so, wie es sich die fürsorgenden und überwachenden Gruppierun­gen wünschten. Dies war zum einen durch den Willen dieser Menschen bedingt, sich einen gewissen Grad an Selbstbestimmung zu bewahren, zum anderen aber auch dadurch, dass die Unterstützungsmaßnahmen der verschiedenen Fürsorge-Gruppierungen alles andere als reibungslos funktionierten. Die Fürsorge in Form einer unbürokratischen und direkten Unterstützung, wie sie Charles B. Hall und auch die meisten anderen politischen Bosse in Philadelphia verfolgten, kam den akuten Bedürfnissen Hilfsbedürftiger wesentlich direkter nach, als von außen auf­gesetzte Maßnahmen durch Reformorganisationen, wie das Abreißen baufälliger Häuser zu Gunsten von Spielplätzen, wie sie in der playground movement voran­getrieben wurden.13 Sofern solche Errichtungen nicht aus der Initiative lokaler Bevölkerungsteile erwachsen waren, riefen sie bei vielen Bewohnern der ärmeren Stadtviertel eher Argwohn denn Wertschätzung hervor, zumal für solche Maß­nahmen häufig mittellose Bewohner aus ihren Häusern vertrieben werden muss­ten. „Think of it, a playground being built in the heart of this big sporting district, where there are so few children“14, kommentierte verärgert eine

13 Siehe dazu Ocean Howell, Play Pays. Urban Land Politics and Playgrounds in the United States, 1900–1930, in: Journal of Urban History 34. 2008, S. 961–994; Paul Boyer, Urban Masses and Moral Order in America. 1820–1920, Cambridge 1997 und Howard P. Chudacoff, Children at play. An American history, New York 2007. 14 Philadelphia Surveillance Reports, S. 7 (HSP, Col. 1541, Box 219, F. 9).

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Anwohnerin der South Street im Herzen des Rotlicht-Milieus Philadelphias15, als sie von einem solchen Eingriff in ihr Umfeld erfuhr. Hier wie dort war die Kritik durch politische Bosse und Kommunisten weit ent­ fernt vom etablierten Konsens unter den führenden Vertretern der Fürsorge, wie ‚professionelle‘ Fürsorgearbeit auszusehen habe. Doch sie brachte das Empfinden derer zum Ausdruck, die sich auf der anderen Seite der ‚professionellen‘ Apparate befanden. Diese Haltung war leicht einzunehmen und fiel wohl auch daher, trotz der grundlegend verschiedenen Konstellationen der Macht in Philadelphia und Frankfurt, so ähnlich aus. Innerhalb der unterschiedlichen Fürsorgesysteme der beiden Städte waren die Akteure beider Seiten, die Unterstützenden und die Un­terstützten, dazu genötigt, ganz unterschiedliche Handlungsstrategien zu ent­wickeln. Auf der einen Seite, um die „deserving poor“ zu erreichen, auf der ande­ren, um sich im städtischen Raum zurecht zu finden und seinen täglichen Exis­tenzkampf erfolgreich zu bewältigen. In Frankfurt wurde hierbei seit dem Ende des Ersten Weltkrieges der Besuch der Kreisstellen des Wohlfahrtsamtes zu einem obligatorischen Gang all jener, die dazu genötigt waren, ihren Anspruch auf Un­terstützung geltend zu machen, ein Zwang, der so in Philadelphia nicht exis­tierte. In Philadelphia dagegen mussten die Fürsorgeeinrichtungen ganz eigene Strate­gien zur Überwindung der sozialen und räumlichen Distanz entwickeln. Ihre selbstauferlegte Aufgabe war ja nicht die rechtmäßige Gewährung von Unterstüt­zungsleistungen, sondern eine grundlegende Verbesserung des städtischen Le­bens, ein sozialer und moralischer „uplift“ der ärmeren Schichten. Diesen strebten sie nicht nur auf Grund einer ethischen Selbstverpflichtung an, sondern auch zum eigenen Schutz, auf Grund der Angst vor der vollständigen Entfremdung von der eigenen Stadt. Um mich diesem Problemkomplex der praktischen Fürsorgearbeit in den unter­ schiedlichen städtischen Kontexten weiter anzunähern, werde ich im Folgenden insbesondere drei Aspekte behandeln, die sich unter dem Oberbegriff der „Nach­ barschaft“ zusammenfassen lassen: Der sozialen und räumlichen Nähe und Dis­tanz zwischen Fürsorgern und Hilfsbedürftigen (3.1), der Überwachung und der Planung des persönlichen Wohnraumes durch private und städtische Institutionen, kurz: der Wohnungsfürsorge (3.2), und drittens exemplarischen Formen der Be­teiligung an den etablierten Systemen der Kontrolle von Menschen, die den offizi­ellen Institutionen außen vor standen, also den Bewohnern der so intensiv stu­dierten und überwachten Nachbarschaften selbst (3.3). Hierbei geht es weniger um eine dezidierte Analyse einzelner Quartiere in Frankfurt oder Philadelphia, als vielmehr um eine Untersuchung der unterschiedlichen Kräfte, die auf die Gestal­tung von Nachbarschaften 15 Grundlegend zur playground movement siehe Howell, Play; Boyer, Urban, S. 220–251; Chudacoff, Children, S. 111–116; Steven A. Riess, City Games. The Evolution of American Ur­ban Society and the Rise of Sports, Urbana 1989.

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in der Stadt einzuwirken suchten. Auf Grund der grundlegenden Unterschiede, die zwischen Frankfurt und Philadelphia in den drei genannten Untersuchungsbereichen existieren, habe ich die untersuchten Fall­beispiele vor allem danach ausgewählt, inwiefern sie Einblicke in das Funktionie­ren der jeweiligen städtischen Ordnungssysteme eröffnen können. Mit der Kont­rastierung unterschiedlicher Fallbeispiele möchte ich diesen keine Ähnlichkeit unterstellen, sondern sie vielmehr in ihrer Eigentümlichkeit für das Verständnis der jeweiligen Stadt fruchtbar machen. 3.1.1 „We care for them personally“: Grenzen der Fürsorgepraxis in Philadelphia

Ein Versuch, sowohl die räumliche, wie auch die soziale Distanz zwischen Für­ sorgern und den Bewohnern der ärmeren Stadtdistrikte zu überwinden, war die bereits erwähnte settlement-Bewegung, die wie auch die Charity Organization Societies (COS) ihren Gründungsanstoß aus London erhalten hatten. In dieser Form der Fürsorge, die sich dezidiert von den friendly visitors der COS abgrenzte, errichteten Organisationen, meist christlicher Prägung, in den Slumvierteln der Stadt sogenannte settlement houses und bezogen diese, um die Stadtbezirke ‚von innen‘ zu reformieren.16 Doch so einfach die Überwindung der räumlichen Dis­tanz durch die settlements bewerkstelligt werden konnte, so schwierig war die Überwindung der sozialen Distanz. Denn die meisten settlement-Bewohner hielten entgegen ihrer Idealisierung persönlicher Nähe in der Fürsorgearbeit an einem moralischen Überlegenheitsgebaren fest.17 Darin waren sie den friendly visitors der Charity Organization Societies sehr ähnlich, auch wenn der Grundgedanke dieser Form der Fürsorge eine andere war. Denn während die friendly visitors „case work“ betrieben, um einzelne Familien möglichst individuell zu betreuen und dabei moralisch zu erziehen, strebten die settlements einen festen Platz in den lokalen Gesellschaften an, „to reform or 16 Grundlegend zur settlement Bewegung vgl. Michael B. Katz, In the Shadow of the Poorhouse. A Social History of Welfare in America, New York 1996. Zur Einschätzung der settlements in ih­rer Bedeutung für den städtischen Kontext siehe Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft, S.  161–167, 181–186. Einen Überblick zu den settlement Gründungen in Philadelphia gibt S. Allen Bacon, Federated Settlements in Philadelphia, in: Jean Barth Toll u. Mildred S. Gillam (Hg.), Invisible Philadelphia. Community Through Voluntary Organizations, Philadelphia 1995, S. 436–442. 17 Daniel J. Walkowitz, Working with class. Social workers and the politics of middle-class iden­tity, Chapel Hill, London 1999; Boyer, Urban, S. 155f. Das Ideal einer neuen Fürsorge formu­lierte beispielsweise Jane Addams in ihrem Aufsatz „Subtle Problems of Charity“. Vgl. Jane Addams, Subtle Problems of Charity, in: The Atlantic Monthly, 1899, S. 163–179.

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change the standard.“18 Gemeinsam war beiden, dass sie eine ‚wahre‘ Überwindung der sozialen Grenzen anstrebten. „We know that our neighbors consider us their honest friends“, berichtete Fannie W. McLean, die spätere Leiterin des Philadelphia College Settlements, im Jahr 1893 aus ihrer Arbeit in einem New Yorker settlement in der Rivington Street. “They believe that we care for them personally – that we are interested in their individual joys and sorrows, and share our own with them. Our out-stretched hands have met in the warm clasp of friendship, and we no longer realize that there is supposed to be a gulf between the different classes of society. No lines are drawn; all are friends alike – the poorest and the most well-to-do […].”19

In einem ganz ähnlichen Tonfall formulierte Mary Richmond das Ideal der friendly visitors: „We have aimed to send each family that needs an uplifting hand”, formulierte sie schon 1890 anlässlich eines Jahrestreffens der COS von Baltimore, „a patient, preserving, faithful friend, who, by the power of that strongest thing on earth, personal influence, will gradually teach them habits of industry and self-control.”20 Solche Formulierungen sind typisch für die amerikani­schen Fürsorgeinitiativen, die vorwiegend in den 1880er Jahren erwach­sen waren. Sie brachten jedoch mehr die Sehnsucht der Fürsorgerinnen und Für­sorger nach einer gelebten christlichen Nächstenliebe zum Ausdruck, die von den Hilfsbedürftigen auch als solche erkannt und mit persönlicher und aufrichtiger Dankbarkeit entlohnt werden sollte, als ein Verlangen nach einer klassenübergrei­fenden Freundschaft auf Augenhöhe. Denn ganz anders erzählte der rumänische Immigrant Konrad Bercovici, später einer der schärfsten Kritiker jeglicher Form der „Organized Charity“, von dem von Fanny McLean so idealisierten settlement in der New Yorker Rivington Street. Dieses hatte ihn als Gastredner für eine abendliche Unterhaltung eingeladen. Nach der Beendigung seiner Ausführungen zu den elenden Lebensbedingungen der polnischen Immigranten unterhalb der Second Avenue und Fifth Street, sollen die Leiter des settlements geradezu ent­setzt gewesen sein, da sie eigentlich erwartet hatten, von ihm etwas über die „‚colorful‘ side of the immigrants“ und deren Volkstänzen zu hören. „You should have told him what you wanted him to talk to us about“, soll Mr. Clark zu seiner Frau gesagt haben, „really he has ruined our evening.“21 18 Addams, Ethical, S. 276. 19 Fannie W. McLean u. Jean Fine Spahr, Tenement Neighborhood Idea, in: Frances Abigail Goodale (Hg.), The Literature of Philanthropy, New York 1893, S. 23–34, hier S. 28f. 20 Mary Ellen Richmond, The Friendly Visitor, in: Joanna C. Colcord u. Ruth Z. S. Mann (Hg.), The Long View. Papers and Addresses, New York 1930b, S. 39–42, hier S. 40. 21 Konrad Bercovici, It’s the Gypsy in Me, New York 1941, S. 75.

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Eine Begegnung jenseits der sozialen Differenzen beruhte also vor allem auf der Erwartung der Fürsorger, dass die Umsorgten mit ihren bisherigen Gewohnheiten und Sitten brachen und sich den moralischen Werten ihrer ‚Retter‘ anpassten. Diese Erwartung wurde selten erfüllt und führte daher immer wieder zu ambivalenten Beschreibungen von Ideal und Realität. „Every corner of a city ought to be a fit place for a refined and educated family life to live in, in brotherhood with their neighbors“, formulierte der in Philadelphia ansässige Charles S. Daniel 1911 im „Handbook of Settlements“. 1893 war er mit seiner Familie in die Addison Street gezogen und hatte dort das Neighborhood House etabliert, in einem Stadtteil, de­ren Anwohner das „Handbook of Settlements“ als „generally degenerated“ cha­rakterisierte.22 Dieses Nebeneinander idealisierter Vorstellungen von Nähe, wie sie Daniel mit dem Begriff der „brotherhood“ ausdrückte, und der kollektiven Herabwürdigung der Nachbarn als „degeneriert“ oder „primitiv“ ist geradezu ty­pisch für diese sich nach ‚Nähe‘ und ‚Freundschaft‘ sehnenden Fürsorgeformen der settlements und des friendly visiting.23 In ihrer paternalistischen Rolle ent­wickelten viele Fürsorgeorganisationen die Erwartungshaltung, dass sich unter­stützte Personen auch gemäß der eigenen Moralvorstellungen zu verhalten hatten. Diese Erwartung hatte oftmals zur Folge, dass all jene, die ihr nicht entsprachen, aus sozialen Angeboten ausgeschlossen wurden. Dies mussten auch die Jugend­lichen erfahren, die die öffentliche Lobby der central branch der Young Man Christian Association (YMCA) als Treffpunkt nutzen wollten, ohne sich aber an die strikten Verhaltensregeln der YMCA zu halten. „The non-member lobby is a source of considerable annoyance to the women to come into the building in the evenings, if not of insult“, hielt die central branch in ihrem Monatsbericht im März 1924 fest, „the users thereof seem to believe that it is a ‚use of right‘ rather than a mere use of sufferance. I believe this can be reminded by the House Detective cleaning them out every day or so.“24 Gleichermaßen hatte die central branch im August 1921 ihre freie Essensausgabe eingestellt, da diese zu viele „‚bums‘ who simply were seeking a free hand out“25 angelockt habe. Die morali­sche Anpassung des Kli22 ����������������������������������������������������������������������������������� Beide Ziate aus Robert Archey Woods u. Albert J. Kennedy (Hg.), Handbook of Settlements, New York 1911, S. 269. 23 ���������������������������������������������������������������������������������������� Diese Ambivalenz findet sich auch bei Jane Addams, die einerseits die individuellen Leistungen armer Menschen zur Grundlage ihrer moralischen Bewertung machen möchte, um die herkömm­liche Gleichstellung von Armut und Sündhaftigkeit zu durchbrechen, andererseits aber auch nicht vor der Charaktersierung von Bewohnern ganzer Stadtdistrikte als „primitive people“ zurückschreckt. Vgl. dazu Addams, Subtle und Addams, Ethical, S. 276. 24 Report on March 1924. Lobby Situation (UA, Acc. 151/173, Box 14, Central Branch Service Department Reports). Hervorhebung im Original. 25 Service Department Report August 1921 (UA, Acc. 151/173, Box 14, Central Branch Service Department Reports).

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entels wurde so zu einem der wichtigsten Kriterien, ein angebotenes Programm als Erfolg zu bewerten. Das YMCA und auch die Young Womens Christian Association (YWCA) legten nun ihrerseits ein besonderes Augenmerk auf den gesitteten und vor allem über­ wachten Kontakt zwischen jungen Männern und Frauen. Für diese boten sie dem­ entsprechend immer wieder Tanzveranstaltungen mit Limonade statt Alkohohl und ‚kultivierter‘ Musik statt ‚lärmenden‘ Jazz an. „Educationally and morally I believe it has been a very good thing“, hielt L.O. Bell vom service department der central branch im Mai 1920 zum „Dancing Club“ fest: “It has kept the men out of the cheap dance halls, and has given them a pleasurable entertainment among refined surroundings; and introduced them to a group of girls, carefully selected in reference to culture and refinement. Often lads about 20, who are just forming their social tastes, natively remark: ‚I used to go regularly to such and such a dance hall but I don‘t like it any more. It is noisy and jazzy and common,‘ which is just one more reason why we should consider social education as important.”26

Doch solche überwachten Tanzveranstaltungen erlaubte meist nur einer Handvoll Jugendlicher die Teilnahme, allein um die Aufsicht gewährleisten zu können. Weitaus reger besucht waren dagegen die freizügigeren Tanzlokale, Kabaretts und Theater, die neben Jazzmusik häufig noch ein breiteres Kulturprogramm anboten, wie zum Beispiel die bereits angesprochenen Amateur-Abende. „At about 11:00 P.M. I entered [Hamilton’s Cafe], found it fairly packed with people“, berichtete so beispielsweise eine verdeckte Ermittlerin von einem nächtlichen Besuch eines Kabaretts in South Philadelphia: “The four piece orchestra with two female entertainers provided the amusement. Alice, one of the entertainers, with hair dressed high and over the ears, with her rogued face, resembled pictures of barbaric African wo­men, sang and danced in a vile and suggestive manner. The place was a re­g ular bedlam [= Chaos]. The manager, Mr. Duncan, a stout brown skinned man with gray hair, walked among the crowd, laughed and talked with some in an effort to make all feel at home. During part of the time some of the couples danced in a very indecent manner. Women openly solicited the men. […] Really the place is the last word in deviltry.”27

26 Service Department Report May 1920. Dancing Classes (UA, Acc. 151/173, Box 14, Central Branch Service Department Reports). 27 Philadelphia Surveillance Reports, S. 37 (HSP, Col. 1541, Box 219, F. 9).

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Die Existenz eines solchen Ortes im siebten Bezirk, in dem trotz Prohibition offen Alkohol und Drogen konsumiert und gehandelt wurden, war vor allem durch die Schutzmechanismen der politischen Maschine möglich. Nach Aussage einer Be­ dienung war Captain Soder, der Leiter der lokal zuständigen Polizeieinheit, selbst regelmäßiger Gast des Kabaretts. Recht peinlich muss für Bürgermeister J. Hampton Moore, der der Auftraggeber der hier berichtenden verdeckten Ermittle­rin war, gewesen sein, dass die Anwohner des Stadtteiles einhellig davon ausgin­gen, dass das Café nur existieren könne, da der Betreiber, Vic Hamilton, ein „Moore man“ sei. „You know Hamilton’s is the only place in this ward that is supposed to run“, äußerte einer der lokalen Polizisten gegenüber der Ermittlerin, die sich als Prostituierte ausgab und so recht schnell Vertrauen zur lokalen Bevölke­rung hat fassen können, „he is Mayor Moore’s man in the ward.“28 In den afroamerikanisch dominierten Stadtvierteln Philadelphias sahen sich die Reformer nicht nur mit dem Problem der räumlichen und sozialen Distanz konfrontiert, sondern auch mit der Barriere der ‚color line‘. Um diese zu überwin­den, suchten schon frühzeitig weiße Reformer, vor allem aus den Reihen der Quäker, den Kontakt zur schwarzen Mittelklasse, um gemeinschaftlich settlements zu errichten. 1911 existierten in Philadelphia bereits vier settlements in afroameri­kanisch geprägten Stadtteilen. Diese stellten gezielt farbiges Personal ein, um der Skepsis der Anwohner gegenüber den weißen ‚Eindringlingen’ zu begegnen. „While our white visitors have been welcomed at the homes of more than 1 000 families during the past twenty years, and have gained their confidence“ schrieb 1914 Susan Wharton im Jahresberich des Whittier Centre, um die Einstellung ei­ner „colored nurse“ zu rechtfertigen, „yet in taking new workers it has seemed good sense to look to the colored race themselves for help.“29 Als im Laufe der 1920er Jahre die wohlhabenderen Afroamerikaner die Nachbarschaft des Whittier Centres in South Philadelphia verließen, um sich in sozial gehobeneren Stadtteilen in West und North Philadelphia niederzulassen, verließ damit auch jene Bevöl­kerungsschicht die Nachbarschaft, die das Angebot des Settlements am regsten genutzt hatte. Zurückgeblieben ohne ihr Klientel, entschlossen sich die Leiter des Zentrums, der innerstädtischen Migrationsbewegung zu folgen und das settlement als eine rein afroamerikanisch geführte Einrichtung in North Philadelphia neu zu gründen. In Gedenken an die 1929 verstorbene Susan Wharton nannten sie es in ‚Susan Parrish Wharton Settlement‘ um. Doch die Besetzung eines settlements mit afroamerikanischen Mitarbeitern si­ cherte diesem noch lange nicht den Zugang zur lokalen Bevölkerung, den man sich dadurch erhoffte. Die Erfahrung, dass die gleiche Hautfarbe nicht automa­tisch eine 28 Philadelphia Surveillance Reports, S. 95 (HSP, Col. 1541, Box 219, F. 10). 29 The Whittier Centre (Hg.), The Whittier Centre 1914, Philadelphia 1915 (?) (UA, URB 30, Box 1).

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Überwindung sozialer Distanzen bedeutete, musste schon der afroameri­kanische Soziologe W.E.B. Du Bois machen, der 1899 im Auftrag des Philadelphia College Settlements eine soziologische Untersuchung der „Philadelphia Negroes“30 im siebten Bezirk übernahm. In seinen Erinnerungen hielt er fest: „The colored people of Philadelphia received me with no open arms. They had a natural dislike to being studied like a strange species.“31 Auch die Mitar­beiter des Wharton Center kamen vor allem aus den Reihen der „college-bred Negroes“ (W.E.B. du Bois)32, wie es typisch für die college settlements war und so blieb auch in dem rein afroamerikanisch geführten settlement die soziale Distanz der Bewohner zu ihren Nachbarn erhalten.33 Doch selbst eine Ablehnung eines settlements durch die lokale Gemeinschaft vermochte dieses oftmals nicht daran zu hindern, sich als deren Repräsentanten zu verstehen und auch als solche aufzutreten. So berichtete beispielsweise das 1906 in einem afroamerikanisch ge­prägten Stadtteil gegründete Spring Street Settlement noch fünf Jahre nach seiner Gründung von Problemen, die Eltern der Umgebung für ihre Arbeit und ihr An­gebot zu begeistern, dennoch sahen sie sich berufen, „to aid the colored race, by representing it in a measure before the public.“34 30 W. E. B. Du Bois, The Philadelphia Negro. A Social Study, Philadelphia 1899. 31 Zitiert nach Tukufu Zuberi, W. E. B. Du Bois’s Sociology: The Philadelphia Negro and Social Science, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 595. 2004, S. 146–156, hier S. 149. 32 ������������������������������������������������������������������������������������� Zu den „college-bred Negroes“ im Wharton Settlement siehe Vincent P. Franklin, Operation Street Corner. The Wharton Centre and the Juvenile Gang Problem in Philadelphia, 1945–1958, in: Michael B. Katz u. Thomas J. Sugrue (Hg.), W.E.B. DuBois, Race, and the City. The Philadelphia Negro and its Legacy, Philadelphia 1998, S. 195–216, hier S. 203. Nach W.E.B. du Bois war es die dezidierte Aufgabe dieser „Aristokratie“ der afroamerikanischen Rasse, die Führerschaft aller „Negroes“ zu übernehmen. Damit unterschied sich der „racial uplift“-Ansatz von du Bois grundlegend von dem afroamerikanischen Reformer Booker T. Washington, der sich vor allem für eine fundierte industrielle Ausbildung der Arbeiter einsetzte. Siehe dazu grundlegend Jacqueline M. Moore, Booker T. Washington, W. E. B. Du Bois, and the Struggle for Racial Uplift, Wilmington 2003. 33 Die jungen Akademiker bezogen hierbei das settlement meist unmittelbar nach ihrem Studien­abschluss und blieben dort im Schnitt für ein halbes Jahr. Mit Blick auf die kurzen Besuche der friendly visitors war dies zwar vergleichsweise lang, reichte jedoch kaum aus, wirklicher Teil einer Nachbarschaft zu werden. Vgl. dazu Katz, In, S. 166; Michael B. Katz u. Thomas J. Sugrue, The Context of The Philadelphia Negro. The City, the Settlement House Movement, and the Rise of the Social Sciences, in: dies. (Hg.), W.E.B. DuBois, Race, and the City. The Philadelphia Negro and its Legacy, Philadelphia 1998, S. 1–37, hier S. 12. 34 Woods u. Kennedy, Handbook, S.  271. Solche indirekten Formen der Abwertung der sozialen Unterschichten als unmündige Teile der Gesellschaft waren Bestandteil des unter weißen wie schwarzen Reformern verbreiteten Programmes eines „social“ und „racial uplift“, in dem vor allem die afroamerikanischen Unterschichten zwar nicht länger als

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Das Wharton Centre strebte nun in seinen ersten Jahren vor allem danach, soziale Not mit einem Angebot zur Freizeitbeschäftigung in Form von „athletic teams, handicraft classes, hobby clubs, and other groups“ zu bekämpfen. Dieses Angebot stieß unter den Kindern- und Jugendlichen durchaus auf rege Nachfrage, doch schon schnell musste man sich im Zentrum eingestehen, dass „recreation“ allein nicht half, soziale Missstände in einem Stadtviertel dauerhaft zu beseitigen. „As the early years passed by“, erinnerte sich die 1940 zur Leiterin des Zentrums ge­wählte Claudia Grant in einem Interview mit der Philadelphia Tribune, „the workers and directors of the Wharton Settlement realized that merely providing recreation for masses of people was not doing particular much good for anyone.“35 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Wharton Centre die gleiche Erfahrung machen musste wie zur gleichen Zeit G. Bromley Oxnam mit seiner Church of All Nations in Los Angeles, in der die Jugendlichen ab einem bestimmten Alter das Angebot des settlements einfach nicht mehr wahrnahmen. „Away from the club members I’ve always been the same“, erinnerte sich einer der ehemaligen „boys club“ Mitglieder. „You ought to know what that means.“36 Und so blieben viele settlements, auch wenn sie es schafften, zahlreiche Menschen für ihre Kino­vor­stellungen und „boys clubs“ zu begeistern, häufig eine ‚Kolonie‘37, ein Fremd­körper in ihrem sozialen Umfeld. Denn der Zuspruch der Nachbarn bezog sich meist auf das Unterhaltungsangebot selbst und weniger auf die damit einher­ge­henden Versuche der moralischen Belehrung. Insbesondere die Vorführung mora­lisch ‚wertvoller‘ Filme konnte zwar immer wieder ein großes Publikum an­locken, vom Besuch anderer Filme, die den moralischen Kriterien der settlements nicht entsprachen, hielt es die Jugendlichen dennoch nicht ab.38 minderwertige, jedoch aber als erziehungsbedürftige Rasse charakterisiert wurde. Zum „racial“ und „social uplift“ in Philadelphia ausgehend von der settlement-Bewegung siehe Maria Farland, W.E.B. Du Bois, Anthropometric Science, and the Limits of Racial Uplift, in: American Quarterly 58. 2006, S. 1017–1044, hier S. 1034–1041. Grundlegend zum „racial uplift“ siehe auch Kevin Kelly Gaines, Uplifting the Race. Black Leadership Politics and Culture in the Twentieth Century, Chapel Hill, London 1996. 35 Zitiert nach Franklin, Operation, S. 203. 36 Zitiert nach Mark Wild, Street Meeting. Multiethnic Neighborhoods in Early TwentiethCentury Los Angeles, Berkeley 2005, S. 88. Das Umsichgreifen der Gang-Problematik seit den 1920er Jahren in Philadelphia spricht zumindest für eine ähnliche Entwicklung und in den 1940er Jahren rief das Wharton Center ihre „Operation Street Corner“ ins Leben, um die Gewaltbereitschaft der sich bekämpfenden Gangs zu reduzieren. Siehe dazu Franklin, Operation, S. 203. 37 ������������������������������������������������������������������������������������ John P. Rousmaniere, Cultural Hybrid in the Slums: The College Woman and the Settlement House, 1889–1894, in: American Quarterly 22. 1970, S. 45–66, hier S. 47. 38 �������������������������������������������������������������������������������������� Dies zeigte beispielsweise auch Thomas Lee Philpott am Beispiel von Chicago. Vgl. Thomas Lee Philpott, The Slum and the Ghetto. Neighborhood Deterioration and MiddleClass Reform, Chicago, 1880–1930, New York 1978.

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In ihrem Vordringen in die ärmeren Stadtviertel stießen die settlements nicht nur auf die politische Maschine, sondern vor allem auch auf zahlreiche religiöse Gruppierungen. 1897 existierten in Philadelphia allein 55 afroamerikanische „mainstream churches“39, 1913 waren es bereits über 100.40 Die Kirchengemein­den waren hierbei nicht nur religiöse Einrichtungen, sondern vor allem auch sozi­ale Zentren ihrer Nachbarschaft. „Without wholly conscious effort the Negro church has become a centre of social intercourse to a degree unkown in white churches even in the country“41, hielt schon 1899 W.E.B. Du Bois fest, zwanzig Jahre vor dem rasanten Wachstum der afroamerikanischen Bevölkerung Philadelphias. Mit der Great Migration entstanden zusätzlich zu bereits etablier­ten Kirchen zahlreiche storefront congregations42, kleine Kirchengemeinden, in denen sich die Zuwanderer meist wesentlich wohler fühlten, als in den ‚urbanen‘ Kirchengemeinden, die ihre religiösen Praktiken in weiten Teilen an die der wei­ßen Kirchen angepasst hatten. Die skeptische Grundhaltung der Zuwanderer gegenüber den ‚Fremden ‘ wurde von vielen der angestammten Kirchenmitglieder geteilt. Die Kirchenleitungen dagegen hatten schon frühzeitig versucht, in der Fürsorgearbeit für die Migrantin­nen und Migranten eine führende Rolle einzunehmen. „These churches are seeking out newcomers in their districts and making them welcome, offering advices and assistance where needed, acquainting them with city ways“43, fasste am 9.7.1923 das Committee on Negro Migration die Tätigkeit der Kirchen zusam­men. Neben Predigten zum Leben in der Stadt verfassten diese auch Zeitungsarti­kel und Pamphlete, um migrationswillige afroamerikanische Südstaatler auf die Veränderungen im Norden vorzubereiten. Dies taten sie nicht, um sie vor der Stadt zu warnen, sondern vor allem auch um den Verunglimpfungen des Großstadt­lebens durch Zeitungen in den Südstaaten entgegen zu wirken. Doch so enthusias­tisch sich die Kirchenleitungen um die Unterstützung und ‚Befreiung‘ ihrer ‚Brü­der‘ aus dem ländlichen Süden bemühten, mit der tatsächlichen Ankunft der Zuwan­derer mussten sie feststellen, dass sich eine persönliche Annäherung und Einbindung wesentlich schwieriger gestaltete, als man sich dies erhofft hatte. Vor allem die eigenen Kirchenmitglieder selbst mussten rasch feststellen, dass sie mit den Zuwanderern nicht allzu viel gemeinsam hatten. Und so schotteten sich die alteingesessenen Kirchenmitglieder zunehmend gegen Teile der 39 Roger Lane, William Dorsey’s Philadelphia and Ours. On the Past and Future of the Black City in America, New York 1991, S. 229. 40 ������������������������������������������������������������������������������������ John T. Emlen, The Movement for the Betterment of the Negro in Philadelphia, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 49. 1913, S. 81–92, hier S. 84. 41 Du Bois, Philadelphia, S. 203. 42 Milton C. Sernett, Bound for the Promised Land. African American Religion and the Great Migra­tion, Durham 1997, S. 190. 43 Bericht des Committee on Negro Migration vom 9.7.1923 (UA, URB 31, F. 2).

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Zuwanderer ab. Denn in diesen erblickten sie vor allem auch eine Gefahr für den Ruf ihrer ‚Rasse‘ und damit für ihre gesellschaftliche Stellung in Philadelphia, die sie sich über die vergangenen Jahrzehnte mühevoll erarbeitet hatten.44 „Of late years“, schrieb schon um die Jahrhundertwende der afroamerikanische Reverend H.L. Phillips, „our northern cities have been overrun with a lot of scum that is rapidly affecting the status of the colored people of this section.“45 Aber auch in den sozial besser gestellten Schichten, die insbesondere mit der zweiten Migrationsswelle seit 1921 nach Philadelphia drangen, sah die black upper- und middle-class Philadelphia eine Bedrohung. Bei diesen jedoch nicht, weil sie ihrem sozialen Status schaden könnten, sondern weil sie eine Konkurrenz darstellten. Im Gegensatz zu den sozial schwachen Migranten schlossen sich diese „negroes of the high type“46, wie sie von den Fürsorgeorganisationen bezeichnet wurden, den etablierten gesellschaftli­chen Organisationen an und drohten, angestammte Persönlichkeiten aus ihren Positi­onen zu verdrängen. Um dies zu verhindern, verlangten viele der langjähri­gen Kirchenmitglieder von den Migranten Empfehlungsschreiben, in denen sich diese von ihren vorherigen Pastoren ihren aufrichtigen Charakter bescheinigen lassen sollten. Diese Furcht vor einer Entfremdung mit der eigenen Gemeinde stand einerseits in Konflikt mit der ethischen Verpflichtung zu helfen, wie sie die meisten Pastoren empfanden, andererseits aber auch mit den finanziellen Nöten der Kirchen, die auf zahlungskräftige Mitglieder angewiesen waren. Viele Pasto­ren gerieten so in ihrem Engagement für die Migranten in Streit mit ihrer eigenen Gemeinde.47 Als Pastor Robert J. Williams von der Mother Bethel A.M.E. Church in einigen Südstaaten massiv für die Migration nach Philadelphia warb und er damit auch einen beachtlichen Erfolg erreichen konnte, fühlten sich führende Ge­meindemitglieder derart provoziert, dass sie nachdrücklich den Ausschluss ihres Pastors verfolgten.48 Mit der Aufnahme von Kirchenmitgliedern aus den 44 Allen B. Ballard, One More Day’s Journey. The Story of a Family and a People, New York 1984. 45 Zitiert nach Lane, William, S. 258. 46 ����������������������������������������������������������������������������������� Philadelphia Housing Association (Hg.), Know Your City. Housing Negro Migrants. August 1923, Philadelphia 1923 (URB 31, F. 2). 47 Robert Gregg, Sparks from the Anvil of Oppression. Philadelphia’s African Methodists and Southern migrants, 1890–1940, Philadelphia 1993, S. 175–192. 48 Williams hatte den Ruf zur Mother Bethel Church vor allem in Florida, Georgia und South Carolina auf Handzetteln verbreiten lassen. Einer lautete: „Mother Bethel sends you these greetings, and if you come to Philadelphia we invite you to come within her fold. The members of the Mother Church of the African Methodist Episcopal Connection will do everything in their power to help you, and to make you welcome to their church and their homes.“ Zitiert nach Robert S. Gregg, The Earnest Pastor’s Heated Term: Robert J. Williams’s Pastorate at „Mo­ther“ Bethel, 1916–1920, in: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 113. 1989, S. 67–88, hier S. 73.

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Südstaa­ten allein aus Glaubensgründen und ohne jegliche Referenzen war Williams zu weit gegangen.49 Trotz des großen Erfolges, den er in der Werbung neuer Mitglie­ der hatte, erklärte der Kirchenvorstand im Jahr 1920 in einer Resolution: „Under no circumstances do we want Reverend Robert J. Williams returned to Bethel A.M.E. as pastor.“50 Auch die Migranten selbst suchten die etablierten Kirchen nicht gerade enthusias­ tisch auf. Vor allem die ärmeren Landarbeiter, sofern sie religiös waren, bevorzug­ten Einrichtungen, die mehr ihren bisherigen religiösen Praktiken entsprachen. Wenn überhaupt, fanden sie diese vornehmlich in kleinen und unabhängigen store­front congregations, mit denen weder die etablierten urbanen Kirchengemein­den noch die weißen Reformer viel Kontakt pflegten.51 In den Ge­sprächen, die William D. Fuller für seine „Negro Migrant Study“ führte, gaben von 119 religiösen Personen nur 37 an, auch nach der Übersiedlung noch einer Kirche anzugehören. Als Grund für ihre Abwendung von der Kirche nannten sie meist, dass ihnen keine Gemeinde bekannt sei, die der ihrigen entsprach.52 An dem Aufeinandertreffen der urbanen Kirchen mit den Zuwanderern aus dem länd­lichen Süden wird noch einmal deutlich, was W.E.B. du Bois schon 1897 bei sei­ner Studie im siebten Bezirk Philadelphias hatte feststellen müssen, nämlich dass die Kirchengemeinden kein zusammenhaltendes Organ einer großen ‚black commu­nity‘ waren, sondern vielmehr differenzierend wirkten.53 „Each church forms its own social circle, and not many stray beyond its bounds“, formulierte er und beschrieb damit einen Zustand, der sich mit der Wanderungsbewegung aus den Südstaaten noch einmal intensivierte.54 So wird auch verständlich, weshalb das Whittier Centre mit diesen lokalen Kir­ chen fast überhaupt nicht kooperierte, und dies, obwohl (oder gerade weil) im leitenden Gremium des Zentrums mit Reverend Henry L. Philips und Reverend Philip Mercer Rhinelander führende Vertreter der afroamerikanischen Episkopalkir­che Philadelphias saßen. Diese bestehende Distanz der Fürsorger des Zentrums zu den lokalen Kirchen bringt eine kurze Notiz der medizinisch ausgebil­deten Sozialarbeiterin Mrs. E.W. Tyler zum Ausdruck: „On visiting the colored churches one could hear the telltale cough, note the symptoms in physique and carriage, but this was not the time nor place to win the confidence of those who needed advice.“55 Doch die so investigierende Sozialarbeiterin war den An­wohnern nicht nur in ihrer Kirche, sondern 49 50 51 52 53 54 55

Zu diesem Urteil kam auch schon Robert S. Gregg. Vgl. ebd., S. 76. Zitiert nach ebd., S. 84. Sernett, Bound, S. 182. William D. Fuller, The Negro Migrant in Philadelphia, Philadelphia 1924 (UA, URB 31). Gregg, Sparks, S. 1. Du Bois, Philadelphia, S. 204. The Whittier Centre, Whittier, S. 5 (UA, URB 30, Box 1).

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auch auf der Straße nicht ganz ge­heuer. So versicherte ihr auch jede auf der Straße angesprochene Person, die deutliche Krankheitssymptome der Tuberkulose aufwies, bei bester Gesundheit zu sein. „This was manifestly not the way to reach them“56, hielt Tyler fest. 3.1.2 „Das braucht die Nachbarschaft doch nicht zu wissen“: Konfliktpotential durch räumliche Nähe in Frankfurt am Main

In Frankfurt am Main gestaltete sich das Problem der ‚Nähe‘ im Kontext fürsorgeri­ scher Arbeit ganz anders, denn die räumliche Nähe zwischen fürsorge­risch engagierten Menschen und Hilfsbedürftigen war auf Grund der sozialräum­lichen Struktur meist gegeben. In der Nachkriegszeit veränderten sich die Fürsorge­bemühungen in Frankfurt am Main nicht zuletzt dadurch grundlegend, dass jetzt auch Menschen in soziale Abhängigkeit gelangt waren, die zuvor über ein sicheres Einkommen verfügt hatten. Viele empfanden die Abhängigkeit vom Fürsorgeamt als demütigend und ehrrührig, und tatsächlich konnte sie insbeson­dere in den Reihen des Bürgertums gesellschaftliche Konsequenzen nach sich zie­hen. So beschwerte sich die Offizierswitwe Maria Probst im Mai 1926 beim Wohl­fahrtsamt darüber, dass dieses Informationen über ihre Akten beim Wohl­fahrtsamt an den ersten Vorsitzenden des Vereins ehemaliger 81er herausgege­ben habe. „Er [Herr Frank] erklärte mir“, sagte Frau Probst am 17.5.1926 bei den Ver­handlungen zu ihrer Beschwerde aus, „dass ich nicht Vorsitzende der Frauengruppe sein könne, weil ich als ein­zige Offizierswitwe Akten beim Wohlfahrtsamt habe. Er hätte die Akten des Wohlfahrtsamtes eingesehen. Nach mir zugegangenen Mitteilungen hat Herr Frank dieselben Äusserungen auch in der Versammlung des Vereins getan. Er soll dabei geäussert haben, es sei undenkbar, dass eine Vorsitzende der Frauengruppe des Vereins Akten beim Wohlfahrtsamt habe, zumal das Wohl­fahrtsamt links stehe.“57

Eine Woche später erklärte das Wohlfahrtsamt zwar offiziell, dass es niemals dem Herrn Frank Einsicht in die Akten gewährt habe58, am beschädigten Ruf von Frau Probst änderte dies jedoch wenig. Dass sich ein Großteil der Bevölkerung dafür schämte, in die Abhängigkeit von sozialen Zuwendungen geraten zu sein, war nicht neu. Auch schon vor der Ver­armung 56 Ebd. 57 Verhandlungsprotokoll Frau Hauptmann Maria Probst vom 17.5.1926 (FWA 609, Bl. 259). 58 Mitteilung Wohlfahrtsamt an Maria Probst vom 25.5.1926 (FWA 609, Bl. 260).

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weiter Teile des Bürgertums wurde die Abhängigkeit vom Amt als ehren­rührig empfunden, doch in der Nachkriegszeit erreichte das Problem der ‚verschäm­ten Armen‘, die es vorzogen in sozialer Not zu leben und in einzelnen Fällen sich das Leben nahmen59, ein bis dahin unbekanntes Ausmaß. Dieser Um­stand führte zu einer wesentlichen Verschärfung der Debatten um die Fürsorge, da die ‚verschämten Armen‘ vor allem im Kontrast mit den ‚unverschämten Armen‘ zu rettungswürdigen Menschen stilisiert wurden. Als ‚unverschämte Arme‘ wur­den all jene betrachtet, die sich unter Angabe falscher Tatsachen eine möglichst hohe Unterstützung durch Fürsorgeeinrichtungen erschwindelten, also potentiell all jene, die einen Antrag auf Unterstützung beim Wohlfahrtsamt oder einer priva­ten Fürsorgeeinrichtung stellten. Zu einer Zeit, in der die erstarkende Arbeiterbewe­g ung immer lauter auf ihr Recht auf Unterstützung pochte, führte diese negativ geprägte Wahrnehmung von Unterstützungsempfängern nicht nur zu erheblichen Spannungen zwischen den politisch aktiven Gruppierungen, sondern beeinflusste auch grundlegend den Umgang der Schalterbeamten des Wohlfahrts­amtes mit Antragstellern auf den einzelnen Kreisstellen. Schon 1911 ließ das Ar­men- und Waisenamt in seinem Mitteilungsblatt verlautbaren, dass in Erwiderung auf die stetigen Angriffe gegen das Amt öffentlich bekannt gemacht werden müsse, „in welcher unverschämten, verlogenen und heuchlerischen Weise manche Bittsuchende vorgehen.“60 In Folge der Kindstötungen und des Selbstmordes in der Familie Wiechmann im Jahr 1928 eskalierten diese Debatten, die aggressiver denn je in der Tagespresse und in der Stadtverordnetenversammlung geführt wur­ den. Zur Verteidigung des vor allem von Kommunisten harsch kritisierten Wohl­ fahrtsamtes veröffentlichte am 28.4.1928 der bürgerliche Generalanzeiger einen Artikel, der sich allein damit auseinandersetzte, „wie manche Elemente die Not­lage ausbeuten.“ „Wir glauben“, heißt es dort, „deshalb nur einem Gebot der Objektivität zu entsprechen, wenn wir der Oeffentlichkeit einmal einen Bericht über die fast täglich sich ereignenden Vorgänge dort geben, wie wir ihn aus authentischer Quelle zu hören be­kommen. Es wäre zu bedauern, wenn das Wohlfahrtswesen, dem man nur jede Förderung zuteil werden lassen kann, durch das Treiben asozialer Ele­mente, wie nachstehend geschildert, auf Kosten der wirklich Bedürftigen beeinträchtigt würde.“61 59 ������������������������������������������������������������������������������������ Zur steigenden Zahl an Selbstmorden in der Weimarer Republik siehe auch Moritz Föllmer, „Good-bye diesem verfluchten Leben“. Kommunikationskrise und Selbstmord in der Weimarer Republik, in: ders. (Hg.), Sehnsucht nach Nähe. Interpersonale Kommunikation in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 109–125. 60 Mitteilungen des Waisen- und Armen-Amts für die Armenvorsteher, Armenpfleger und Waisen­pflegerinnen und für die Verwaltungen der Wohltätigkeits-Anstalten, Stiftungen und Vereine, Nr. 57, Dezember 1911 (FWA 526, Bl. 181). 61 General-Anzeiger vom 28.4.1928 (FWA 473, Bl. 13).

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Noch aggressiver schrieb der Stadtverordnete Albert Dobler von der Deutschnatio­ nalen Volkspartei in der nationalistischen ‚Frankfurter Post‘ von „Psy­chopathen, Simulanten und Säufer[n] in jeder Schattierung“, die das Wohl­fahrtsamt in einer Weise belasten würden, „die das erträgliche Maß längst über­schritten“62 habe. Die Debatten schwankten in der Tagespresse meist zwi­schen der Verunglimpfung des Wohlfahrtsamtes auf Grund ihrer bürokratischen Herzlosig­keit und der Betonung der Unverschämtheit der Hilfsbedürftigen, die „immer mehr“63 wollten. Während hierbei die Position der kommunistischen ‚Ar­beiter Zeitung‘ eindeutig zu Gunsten der Unterstützungsempfänger ausfiel, war insbeson­dere die sozialdemokratische ‚Volksstimme‘ hin- und hergerissen, da ja seit dem Ende des Ersten Weltkrieges mit Eduard Gräf auch ein Sozialdemokrat maßgeblich für die Entwicklungen im Wohlfahrtsamt verantwortlich war. „Dank der Mitarbeit der Gewerkschaften“, schrieb die ‚Volksstimme‘ am 16.8.1928 zur Verteidigung des Amtes, „[und] dank der rührigen Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt, sind heute in allen ehrenamtlichen Fürsorgebezirken der Wohlfahrtspflege der Großstädte sozia­listische Pflegerinnen und Pfleger zu finden, die für eine wirkliche huma­nitäre und soziale Ausübung öffentlicher Fürsorge an berufener, verant­wortlicher Stelle mit tätig sind.“64

Doch unabhängig von der genauen Positionsbeziehung der stark politisierten Tages­ zeitungen, trugen diese Debatten maßgeblich dazu bei, das die Antragssteller beim Wohlfahrtsamt erst einmal potentiell als ‚unverschämte Arme‘ wahrzuneh­men. Diese Grundskepsis gegenüber der Ehrlichkeit der Antragsteller wurde dann zu einem gravierenden Problem, als die Fürsorgebeamten mit ihrer Arbeit vollkom­men überlastet und eine fehlerfreie Bearbeitung der einzelnen Fälle kaum noch möglich war. Zu diesem Zeitpunkt waren die Akten bereits zur letzten kon­stanten Informationsquelle über einzelne Unterstützungsfälle und damit auch zur maßgeblichen Grundlage der Entscheidung für oder wider die Gewährung von Unterstützung geworden, da die überarbeiteten, schlecht ausgebildeten und häufig für diese Form der Arbeit auch untauglichen Beamten der Kreisstellen stetig zwi­schen unterschiedlichen Abteilungen querversetzt wurden. Fehler, die sich so in die Akten eingeschlichen hatten, konnten auf Grund des Personalmangels kaum noch nachgeprüft werden, so dass die Akten alles andere als eine sichere Grund­lage für die Gewährung von Unterstützungsleistungen waren.65

62 63 64 65

Frankfurter Post, Nr. 220, Morgenblatt vom 10.8.1928 (FWA 473, Bl. 52). Frankfurter Nachrichten, Nr. 256 vom 14.9.1928 (FWA 473, Bl. 92). Volksstimme vom 16.8.1928 (FWA 473, Bl. 51). Siehe dazu ausführlich Kapitel 4.1 Der ‚Fall Wiechmann‘.

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Wenn sich nun Notleidende überwunden hatten und den Weg zum Wohlfahrtsamt suchten, tat dies dem beschämenden Gefühl der Abhängigkeit keinen Abbruch, vor allem aber auch nicht der Furcht, von den Nachbarn als ein ‚unverschämter Armer‘ stigmatisiert zu werden. Für viele blieb der Kontakt mit dem Amt eine Peinlichkeit, von der bestenfalls niemand erfahren sollte, ein Wunsch, der zum einen durch die umfassenden Investigationen der ehrenamtlichen Pfleger, unter anderem auch beim Arbeitgeber, vor allem aber auch durch deren nachbar­schaftliche Nähe zu den Unterstützten nur schwierig zu erfüllen war. Unter den Pflegerinnen und Pflegern der öffentlichen, insbesondere aber auch der privaten Fürsorge, gewannen unterdessen die ‚verschämten Armen‘ eine besondere Bedeu­tung. Hier bot sich diesen die Möglichkeit, dem bürgerlichen Ideal des ‚Liebes­ dienstes‘ zumindest in ihrer Vorstellung nahe zu kommen. Denn die Vehemenz, mit der die Arbeiterbewegung in den vergangenen Jahren auf ihr Recht auf Unter­ stützung gepocht und dabei auch noch Unterstützung von bürgerlichen Juristen erhalten hatte, passte so gar nicht in das Bild bürgerlicher ‚Liebestätigkeit‘. „Viel­leicht liesse sich doch ein Weg finden“, schrieb der evangelische Volksdienst im September 1921 an Eduard Gräf, den Leiter des Wohlfahrtsamtes, „wie gerade solche Fälle in möglichst diskreter Weise behandelt werden könnten, damit denen, die in bitterer Not sind, geholfen wird, ohne dass sie befürchten müssen, in ihrem Ansehen Schaden zu leiden.“66 Bei seinem Anliegen bezog sich der Volksdienst schon dezidiert auf „Familien […], die früher nicht daran gedacht hätten, Unterstüt­zung von anderer Seite, und am wenigsten vom Wohlfahrtsamt, in An­spruch zu nehmen“67, also auf das verarmte Bürgertum, was für den Sozialdemo­kraten Gräf schon Grund genug war, das Ersuchen abzulehnen. Keinesfalls wollte man sich vorwerfen lassen, ein Mehrklassensystem in der Fürsorge zu schaffen, ein Vorwurf, der den Kommunisten zum Ärger der Sozialdemokraten allzu leicht über die Lippen kam. In Philadelphia war nun nicht nur der Ruf, von einer Fürsorgeeinrichtung Unter­ stüt­zung zu erhalten, nicht so belastet wie in Frankfurt, auch beschränkten sich hier die Begegnungen von Hilfsbedürftigen mit friendly visitors oder sonsti­gen Vertretern privater Fürsorgeeinrichtungen der offenen Fürsorge weitgehend auf die Visiten dieser Fürsorger in den armen Stadtvierteln. Die Überwindung die­ser räumlichen Distanz durch vereinzelte settlements blieb für das Fürsorgesystem im Gesamten von relativ geringer Bedeutung, da die Nachbarn dieser settlements immer auch die Wahl hatten, das Angebot nicht wahrzunehmen. In Frankfurt empfanden dagegen die Hilfsbedürftigen die räumliche Nähe zu den ehrenamtlichen Pflegern nicht unbedingt als angenehm, da sie einer alltäglichen Be66 Evangelischer Volksdienst an Bürgermeister Gräf /Wohlfahrtsamt vom 21.9.1921 (FWA 286, Bl. 37). 67 Ebd.

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gegnung mit den Pflegern beim Einkaufen oder auf der Straße kaum aus dem Weg gehen konnten. So beschwerte sich im Oktober 1924 die arbeits­lose Stenotypistin Anny Hayder, deren Mann, ein ehemaliger Polizei-Oberwachtmeister, seit einigen Monaten im Gefängnis saß, über den Pfleger Banspach. Dieser habe nicht nur ihre erste Unterredung in dessen Schlafzimmer abgehalten, was Frau Hayder äußerst unangenehm gewesen sei, sondern sich auch in einem öffentlichen Geschäft über ihren bedürftigen Bruder geäußert und schließlich, wie sie in ihrer Beschwerde schrieb, brauche „die Nachbarschaft […] doch […] nicht zu wissen, dass man vom W.A. unterstützt“68 werde. Eine Verstär­kung erfuhr diese räumliche Nähe der Pfleger zu ihren „Schützlingen“69 vor allem dadurch, dass die Ehepartner der Pflegerinnen und Pfleger häufig mit in das Bezie­hungsverhältnis zu den unterstützten Personen eingebunden waren. So klagte im November 1910 Frau Klüber über die Einmischung der Ehefrau ihres Pflegers in ihr Bittgesuch. „Die gleichzeitig anwesende Frau Uffenwasser“, berich­tete sie, „sagte mir nun in vorwurfsvoller Weise: ‚Sie lesen ja auch die Volks­stimme, für das Geld könnten Sie lieber in die Krankenkasse gehen‘; ich erwiderte: ‚man muss doch eine Zeitung lesen‘, worauf sie meinte, es könnte doch aber dann eine andere Zeitung sein als die Volksstimme.“70 Frau Uffenwasser wies zwar vehement von sich, der Frau Klüber in die Zeitungslektüre geredet haben zu wollen, eine Einmischung in die Angelegenheiten der ‚Pflegelinge‘ bestritt aber weder sie, noch ihr Mann. „Ich mache meiner Frau immer Vorwürfe, das sie viel zu gut ist“, verteidigte sich der Pfleger Uffenwasser gegen die Vorwürfe der Frau Klüber, jeder Bittsteller bekäme von seiner Frau Essen, Kleider und sogar Weih­nachtsgeschenke. Andererseits aber schimpfe seine „Frau auch auf die Alumnen, die schmutzig sind und nichts auf sich und die Kinder“71 hielten. Der negative Ruf, den die Abhängigkeit vom Wohlfahrtsamt mit sich brachte, be­ reitete auch den beruflich ausgebildeten Fürsorgerinnen, die seit den 1920er Jah­ren zunehmend an den Kreisstellen beschäftigt und dort den ehrenamtlichen Kräf­ten beratend zur Seite gestellt wurden, immer wieder Probleme. Denn auch sie wurden von den Hilfsbedürftigen nicht gerade mit offen Armen empfangen. Was die Arbeit der Fürsorgerinnen im Vergleich mit den ehrenamtlichen Pflegern beson­ders schwierig gestaltete, war, dass sie ein weitaus umfangreicheres Klientel zu betreuen hatten, mit dem sie auch nur sporadisch in Kontakt traten. Wie bei ihren Kolleginnen in Philadelphia wurde für sie die räumliche Distanz zu einem gravierenden Problem. Während die ehrenamtlichen Fürsorger ihre Klienten schon häufig seit Jahren kannten, 68 Schreiben der Anny Heyder an den Bürgermeister vom 22.10.1924 (FWA 178, Bl. 61). 69 Wohlfahrtsamt Frankfurt am Main (Hg.), Wo finde ich Hilfe für meine Schützlinge? Führer durch die Wohlfahrtseinrichtungen in Frankfurt a. M., Frankfurt am Main 19212. 70 Bericht über Beschwerde der Frau Klüber vom 21.11.1910 (FWA 654, Bl. 212 und 213). 71 Ebd.

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wurden die Fürsorgerinnen insbesondere für die so genannte Erstinvestigation neuer Fälle eingesetzt, für deren Bewertung sie inten­sive Nachforschungen anstellen und in das Privatleben der Antragsteller ein­dringen mussten. Das mangelnde Wissen um die genauen nachbarschaftlichen Zustände konnte diese Nachforschungen mitunter recht schwierig gestalten. So legte im August 1928 Fräulein Marie Spiess offiziell gegen die Fürsorgerin Lindt Beschwerde darüber ein, dass diese einer Cafébetreiberin in ihrer Nachbarschaft, der Fräulein Zinke, erzählt habe, dass sie nicht nur ihr Kind vernachlässige, son­dern auch der „gewerbsmäßigen Unzucht“ nachgehe. Grund für die Vermutung der Fürsorgerin war, dass sie das Fräulein Spiess „wiederholt in Lokalen und auf der Strasse und zwar in sehr auffallender Weise gesehen“ habe. „So sprach sie einmal“, erklärte die Fürsorgerin Lind am 21.8.1928, „in auffallender Weise einen Herrn in einem Lokal, ein ander Mal einen Herrn auf der Strasse an.“72 Um die­sem Verdachtsmoment nachzugehen, vertraute sie sich der besagten Fräulein Zinke an, wovon das Fräulein Spiess schließlich auch erfuhr. Die so in ihrem Ruf gekränkte Marie Spiess wandte sich umgehend an die zuständige Kreisstelle, um ihren Zorn über diese Rufschädigung zum Ausdruck zu bringen. Dort traf sie auch die Fürsorgerin Lindt an, die sie sogleich dem Amtsvorsteher vorführte, der nun begann, sie um den Zustand ihres Kindes zu befragen. Zur Überraschung der Fürsor­gerin Lindt kam hierbei allerdings heraus, dass das angeblich vernachläs­sigte Kind der Frau Spiess bereits acht Jahre zuvor verstorben war.73 Dass sich die Fürsorgerin Lindt in ihren Erklärungen auf einen Vertrauensbruch Seitens der Frau Zinke zurückziehen wollte, vermochte die empörte und ehrgekränkte Frau Spiess nicht zu beruhigen. Nachdem vom Wohlfahrtsamt keine weitere Stellungnahme zu dem Fall erfolgte, wandte sie sich direkt an den Regierungspräsidenten, der sich auch in den Fall einschaltete. Daraufhin erklärte die Fürsorgerin Lindt zwar, dass es niemals ihre Absicht gewesen sei, Fräulein Spiess zu beleidigen, aber auch dies genügte der Frau Spiess nicht und sie forderte eine schriftliche Erklärung über die Unwahrheit der von der Fürsorgerin Lindt getätigten Äußerungen und eine schriftli­che Rücknahme aller Behauptungen „von Amts wegen.“74 Diese Erfahrung der Fürsorgerin stand im Gegensatz zur eigentlichen Hoffnung, dass der Einsatz von Frauen in der Fürsorgearbeit soziale Distanzen überwinden helfen könne, und dies nicht nur im Bereich des Wohlfahrtsamtes, sondern auch in der Wohnungsfürsorge und in der Polizeiarbeit. Insbesondere die Frauenbewegung stilisierte die ‚Mütterlichkeit‘ der Frau als eine ideale Voraussetzung für die Arbeit in der

72 Erklärung der Fürsorgerin Lindt vom 21.8.1928 (FWA 189, Bl. 62). 73 Beschwerdeprotokoll von Marie Spiess gegen die Fürsorgerin Lind vom 15.8.1928 (FWA 189, Bl. 60). 74 Schreiben von Marie Spiess an das Wohlfahrtsamt vom 5.11.1928 (FWA 189, Bl. 74).

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Fürsorge.75 So wurde in den 1920er Jahren auch im Bereich der Wohnungs­fürsorge insbesondere Frauen die Aufgabe der sozialen Begutachtung von Fami­lien zugewiesen, während den männlichen Wohnungsinspektoren vor allem die Aufgabe der bautechnischen Begutachtung von Wohnungen zugedacht wurde. „Durch die Tätigkeit der Armenpflegerinnen sei ihnen ein besserer Einblick in die Verhältnisse vieler Leute gewährt“, hielt schon 1910 das Kaiserliche Statistische Amt in einem Bericht zur Wohnungsfürsorge in deutschen Städten fest, „das Zu­trauen und Ansehen sei größer, und es könne daher auch mit größerem Erfolg in wohnungspflegerischem Sinn gearbeitet werden.“76 Doch die zahlreichen Berei­che, in denen sich nun Frauen ehrenamtlich und beruflich engagierten, überschnit­ten sich immer wieder. So drangen Frauen für das Wohlfahrtsamt, das Jugend­amt, das Wohnungsamt, den städtischen Polizeiapparat, für einen privaten Verein oder eine religiöse Einrichtung in die Wohnungen anderer Menschen vor und ka­men sich hierbei immer wieder gegenseitig in die Quere. „Von allen diesen Behör­den, Verbänden und Vereinen werden die betreuten Familien zu Hause aufgesucht, wobei die Schwestern, Fürsorgerinnen und Aufsichtsdamen in ihren Ratschlägen sich zuweilen widersprechen oder auch gegeneinander ausgespielt werden“, hielt schon 1919 Hans Maier, Assessor des Frankfurter Wohlfahrtsamtes, in seiner Über­blicksschrift zur Situation der sozialen Wohnungsfürsorge in Frankfurt fest.77 Als Lösung dieses Dilemmas schlug Maier eine Umstellung der Fürsorge auf das System der Quartiersfürsorge vor, das im Grunde dem Konzept der Familien­fürsorge sehr ähnlich war. Testweise wurde dieses Quartierssystem dann auch be­reits im Jahr 1919 eingeführt, allerdings blieb es zum einen auf Grund der massi­ven finanziellen Probleme, zum anderen aber auch auf Grund des Mangels geeigne­ten Personals bis 1928 in der Erprobungsphase hängen. Die Wohnungs­pflegerin müsse, so die Vorstellung des Fürsorgetheoretikers Maier, „einen klaren Blick besitzen und ein geübtes Auge für die notwendigen Hilfeleistungen.“ So könne sie die Aufgaben der vielen einzelnen Fürsorgerinnen der „Spezialfürsorge“ mit übernehmen. „Diese Quartiersfürsorgerin oder Stadtschwester wird sich allmäh­lich das Vertrauen ihres Sprengels erwerben und die freundschaftliche Berate­rin der Hilfsbedürftigen ihres Arbeitsgebietes werden.“78 Dass diese „freund­schaftliche Beraterin“ dann aber ihrem „Sprengel“ unter anderem an­drohte, ihnen ihre Kinder wegnehmen zu lassen, wenn diese ihrer 75 Zur „Mütterlichkeit“ in der Fürsorgearbeit siehe Christoph Sachße, Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit Sozialreform und Frauenbewegung 1871–1929, Weinheim 2003. Für den Bereich der Wohnungspflege siehe Gerd Kuhn, Wohnkultur und kommunale Wohnungspolitik in Frankfurt am Main 1880 bis 1930. Auf dem Wege zu einer pluralen Gesellschaft der Indivi­duen, Bonn 1998. 76 Zitiert nach ebd., S. 74. 77 ������������������������������������������������������������������������������������� Hans Maier, Soziale Wohnungsfürsorge unter besonderer Berücksichtigung der kinderreichen Familien, Frankfurt am Main 1919. 78 Ebd., S. 13.

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Meinung Ge­fahr liefen, in sittlicher und körperlicher Hinsicht zu verwahrlosen, wie es die Quar­tiersschwester Barabra in der Riederwaldkolonie tat, muss den Anwohnern ihre Quartiersschwester nicht unbedingt als „freundschaftlich“ erschienen lassen ha­ben, ganz unabhängig vom Zustand der Kinder.79 Auch im Bereich der Mittelstands­fürsorge, in der es in erster Linie um die Gewährung von Darlehen ging, war das Vorgehen der Schwester Barbara nicht unbedingt vertrauener­weckend. Denn nachdem sie einen Antrag auf ein Darlehen erhalten hatte, wandte sie sich zuerst an die Arbeitgeber der Antragsteller, um dort deren Redlichkeit zu überprüfen und verbreitete damit zwangsweise das Wissen um die soziale Not der betroffenen Familien.80 Die tatsächliche Konfrontation zwischen den mit der Für­sorge beauftragten Frauen und den hilfsbedürftigen Klienten gestaltete sich also erheblich schwieriger, als es sich Theoretiker wie Hans Maier vorstellten. „Mütter­ lichkeit“ half bei solch konkreten Auseinandersetzungen für eine Annähe­rung an die Klienten eher wenig, entsprach aber der bevormundenden Rolle, den die Fürsorgerinnen einzunehmen gedachten. Das Ideal der ‚Liebestätigkeit‘ und die damit einhergehende Überwindung der sozialen Distanz hatte im liberalen Frankfurt insbesondere von Sozialdemokraten und Kommunisten schon frühzeitig vehemente Kritik erfahren. Denn diese wehr­ten sich gegen solch ein ‚bürgerliches‘ Gebaren, in dem sie vor allem eine Demüti­g ung der Arbeiterschaft durch die besitzende Klasse sahen. Bürgerliche Juristen, wie der Leiter des Armen- und Waisenamtes Karl Flesch, schlossen sich dieser Kritik zumindest indirekt an und arbeiteten an einer Umgestaltung des Für­sorgewesens im Sinne eines nach strikten Regularien arbeitenden Apparates. Dies taten sie nicht nur, um die Stadt vor zu hohen Kosten einer unsystematischen Für­sorge zu bewahren, sondern auch, um das Recht der Armen auf Unterstützung in die Praxis umzusetzen. Teile des Bürgertums beobachteten diese Bürokratisierung der Fürsorge, die zudem vor dem Massenelend der Nachkriegszeit zu versagen schien, äußerst wehmütig. Mit dieser sei, wie das bürgerlich-liberale ‚Stadtblatt der Frankfurter Zeitung‘ sich am 15.3.1924 ausdrückte, „die Kultur des Helfens, das persönliche Verpflichtungs- und Verantwortungsgefühl des Einzelnen verloren gegangen.“ Die Hilfeleistung sei „versachlicht und eine unüberwindliche Entfer­nung zwischen Helfende und Unterstützte gelegt worden.“81 Dass sich viele der betroffenen Menschen für ihre neue Armut schämten und in Folge dessen aus der Öffentlichkeit zurückzogen, blieb in den Reihen des Bürger­ tums nicht unbemerkt. Sie führte immer wieder zu Solidaritätsbekundungen, wie 79 ������������������������������������������������������������������������������������� Tätigkeitsbericht der Quartiersschwester im Riederwaldbezirk (Frankfurter Wohlfahrtsblätter vom 1.7.1921) (FWA 1.373, Bl. 7). 80 Ebd. 81 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 15.3.1924 (FWA 398, Bl. 40).

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sie sich auch in dem Ansinnen des evangelischen Volksdienstes ausdrückte, der Behandlung von Anträgen aus dem verarmten Bürgertum eine besondere Diskre­tion zukommen zu lassen. Die breitenwirksamste dieser Bekundungen war die Entstehung der Straßen- und Bezirksnotgemeinschaften, die nicht zuletzt den Sinn haben sollte, die durch die Bürokratie forcierte Distanz zwischen Helfenden und Unterstützten zu überwinden. „Viele, die sich früher eines gewissen Wohlstandes erfreuten, sind verarmt und darben“, heißt es in einem Flugzettel zur Bewerbung einer Bezirks-Notgemeinschaft im Stadtteil Bockenheim. „Tausende fleißige Arbeiter können keine Arbeit mehr finden. Daher die große Not auch in unserem Stadtteil, wo die Zahl derjenigen, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen, die übergroße Mehrheit der Bevölkerung bil­det. Die öffentliche Wohlfahrtspflege ist solchen Notständen gegenüber machtlos. Wirksame Hilfe ist nur möglich, wenn alle Bürger unseres Be­zirks, die ein Herz für die Not ihrer Mitmenschen haben, sich zu gemeinsa­mer Tat zusammenschließen. Deshalb richten wir an alle unsere Mitbürger des Stadtbezirkes Bockenheim die herzliche und dringende Bitte: Helfen Sie uns eine Bezirks-Notgemeinschaft für Bockenheim bilden, wie sie bereits in anderen Stadtteilen bestehen.“82

Ihren Ausgang nahmen die Straßen- und Bezirksnotgemeinschaften in der Rothschildallee, in der auf Betreiben eines Herrn Hartig die erste Straßennotgemein­schaft gegründet worden war. Bei den Vertretern des städtischen Wohlfahrtsamtes erregte dieser Vorgang jedoch vor allem erst einmal Misstrauen. Die Notgemeinschaften distanzierten sich hierbei grundlegend von den etablierten Einrichtungen der privaten und öffentlichen Fürsorge. „Die Nachbarhilfe durch­dringt mit lebendigem Geist die gesamte Gemeinschaft“, heißt es am 14.2.1924 in den ‚Frankfurter Nachrichten‘, „sie bezieht Leute ein, die sonst offiziellen Hilfs­organisationen mißtrauisch gegenüberstehen, wächst sich immer breiter und tiefer aus zu einem idealen Werk alles umfassender und durchdringender praktischer Nächstenliebe.“83 Auch das ‚Stadtblatt der Frankfurter Zeitung‘ berichtete über die Arbeit der Notgemeinschaften. „Die Organisation in den einzelnen Straßen ist so einfach als möglich“, hieß es dort im März 1924, „um den Obmann scharen sich die Helfer, unter die die Straße aufgeteilt ist. Und nun gehen die Helfer in den Häusern, die Ihnen zugeteilt werden, treppauf, treppab, die Hilfsbedürftigen zu suchen, die ihrer bedürfen.“84 Die Idee der tätigen Nachbarschaftshilfe, in der der Jurist den Kleinrentner berät, der Zahnarzt und die Klavierlehrerin kostenlose Dienste anbieten, andere eine lohnende Beschäftigung vermitteln und zur bedürfti­gen Frau im Wochenbett „abwechselnd die Frauen der 82 Flugzettel der Bezirks-Notgemeinschaft Bockenheim (FWA 398, Bl. 1). 83 Frankfurter Nachrichten vom 14.2.1924 (FWA 398, Bl. 27). 84 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 15.3.1924 (FWA 398, Bl. 40).

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Nachbarschaft“85 kommen, weckte eine bis dahin ungesehene Begeisterungswelle unter den Bürgerin­nen und Bürgern Frankfurts, eine Begeisterungswelle, die von den Sozial­demokraten kritisch beobachtet und von den Kommunisten höchstens als neue Auswucherung ‚bürgerlicher Wohltätigkeit‘ gesehen wurde.86 Nur vier Mo­nate nach der Gründung der ersten Notgemeinschaft waren 26 weitere Gemein­schaften entstanden, ein Jahr später waren es 83 und im September 1924 existier­ten in mehr als 120 Straßen mit insgesamt über 1 000 Helfern solche Notgemein­schaften.87 Damit waren sie eine Größe in der Fürsorge, die auch das Wohlfahrts­amt nicht länger nur beobachten konnte, sondern in die es regulierend eingreifen wollte. Denn eines der Hauptprobleme der Notgemeinschaften war, dass sich die Gemeinschaften ungleichmäßig über den Stadtraum verteilten und es in ärmeren Straßenzügen, wie in der Altstadt, kaum zu Gründungen von solchen Gemeinschaf­ten kam. Als Ausweg aus diesem Dilemma wurde eine Umgestaltung der Straßennotgemeinschaften in Bezirksnotgemeinschaften vorgeschlagen. Unter den Initiatoren der Straßennotgemeinschaften stieß dieser Vorschlag jedoch nur bedingt auf Gegenliebe, da die Meisten sich gerade auf Grund der Unmittelbarkeit ihrer Hilfe für diese Form der Fürsorge begeistern konnten.88 Doch die Euphorie, die die verheißungsvolle Nähe zu den Notleidenden hervorrief und die noch einen tatsächlichen ‚Liebesdienst am Nächsten‘ jenseits aller bürokrati­schen „Organisationswut“89 versprach, war nur von kurzer Dauer. Denn an den Türen der Nachbarn musste man erfahren, dass das formulierte Ideal der Nähe zwischen Helfenden und Unterstützten jenseits bürokratischer Vorschriften es weder schaffte, soziale Distanzen zu überwinden, noch dauerhaft zur Lösung der schwierigen Situation ihrer Nachbarn beizutragen. „Der Außenstehende kann sich keinen Begriff machen, welche Bilder von Not sich dort den Einzelnen enthül­len“, hieß es erneut im ‚Stadtblatt der Frankfurter Zeitung‘, „die Berichte in den Helfersitzungen sind erschreckend.“90 Schon zwei Jahre nach dem großen Gründungsboom kämpften die Notgemeinschaften mit deutlichen Ausfallerschei­nungen der freiwilligen Helfer, während die städtische Verwaltung zunehmend ihren Einfluss auf die Nachbarschaftshilfen ausbaute. So fragte im September 1926 das Wohlfahrtsamt von Neumünster in Frankfurt an, wie denn die Kooperation des Frankfurter Wohlfahrtsamtes mit den 85 Frankfurter Nachrichten vom 14.2.1924 (FWA 398, Bl. 27). 86 Arbeiter Zeitung vom 1.5.1928 (FWA 1.408, Bl. 100). 87 Zahlen aus: Frankfurter Nachrichten vom 14.2.1924 (FWA 398, Bl. 27), Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 15.3.1924 (FWA 398, Bl. 40), Einladung zur WohltätigekeitsVeran­staltung der Straßen-Notgemeinschaft „Günthersburg-Allee“ am 20. Sept. 1924, (FWA 398, Bl. 48). 88 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 15.3.1924 (FWA 398, Bl. 40). 89 Ebd. 90 Ebd.

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Notgemeinschaften funktioniere. „Die Verbin­dung mit der öffentlichen Wohlfahrtspflege ist durch Personalunion herge­stellt“ beantwortete der Magistrat die Anfrage, „da eine grosse Anzahl der Helfer und Helferinnen der Strassen- und Bezirksnotgemeinschaften zugleich Pfleger und Pflegerinnen in den ehrenamtlichen Bezirken des Wohlfahrtsamtes sind.“91 1927 war die Anzahl der Gemeinschaften auf 41 Straßenund 5 Bezirksnotgemein­schaften zurückgegangen, nach insgesamt fünfjährigem Beste­hen waren noch gerade einmal 250 Helferinnen und Helfer aktiv. 1929 schließlich war aus den Notgemeinschaften weitgehend das geworden, was sie anfangs nie­ mals hatten sein wollen, nämlich nur ein paar weitere Einrichtungen in der priva­ten Fürsorgelandschaft Frankfurts, die, wie so viele andere private Einrichtungen auch, personell eng mit dem Wohlfahrtsamt verwoben waren.

3.2

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3.2.1 Von emotionaler Nähe zu intellektueller Distanz: Die Wohnungsfürsorge in Philadelphia

In Frankfurt wie in Philadelphia war neben der sozialen Fürsorge die Kontrolle des städtischen Wohnraumes ein zentrales Anliegen. Doch in Philadelphia war eine munizipale Stadtplanung und Wohnungsfürsorge genauso wenig existent, wie eine öffentliche Sozialfürsorge. Zwar beschäftigte die Stadtverwaltung seit der Einführung einer neuen city charter im Jahr 1919 einen Stadtarchitekten, doch dieser befasste sich weitgehend mit der architektonischen Gestaltung repräsentati­ver Verwaltungsbauten und nicht mit einer strukturellen Planung größerer Stadt­gebiete oder der gezielten Bekämpfung von Wohnungsmangel und Wohnungs­elend.92 Eine Kommission für Stadtplanung, die diese Aufgabe hätte erfüllen kön­nen, war zwar vorgesehen, wurde aber niemals einberufen.93 Und die so ge­nannte Zoning Commission, die sich mit einer umfassenden Zonierung der Stadt in Funkti­onsgebiete beschäftigte, arbeitete über Jahre hinweg an Entwürfen, die schlussendlich immer wieder als Fehlentwicklung abgelehnt wurden. Allein die Verkehrsplanung hatte in der städtischen Verwaltung einen festen Platz, doch auch diese wurde nicht wie in Frankfurt munizipal ge91 Magistrat der Stadt Frankfurt an das städtische Wohlfahrtsamt Neumünster vom 14.9.26 (FWA 398, Bl. 63). 92 The Mayor of Philadelphia (Hg.), The New Charter of Philadelphia. Act No. 274 for the Better Government of Cities of the First Class. Signed by the Governor the 25th day of June, 1919, Philadelphia 1920. 93 ��������������������������������������������������������������������������������������� The Mayor of Philadelphia, New, S. 5; The Evening Bulletin Philadelphia (Hg.), The Bulletin Year Book for 1924 and Citizens’ Manual of Philadelphia, Philadelphia 1924, S. 31.

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lenkt, sondern in die Hände des Privatunternehmers Thomas E. Mitten gegeben94, dessen Monopolstellung und Fehlleistungen in der Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs jahre­lang für öffentliche Kontroversen und medial geführte Auseinandersetzungen in Rundfunk und Tagespresse geführt hatten. Und so war es auch hier eine sich zuneh­mend professionalisierende und in privaten Vereinigungen organisierte Mittel­klasse, die sich zentralen Aufgaben der Stadtplanung und Wohnungsfür­sorge annahm. Die führende Rolle übernahm hierbei die 1911 begründete Philadelphia Housing Association (PHA).95 Diese hatte in wenigen Jahren ein landesweites Experten-Netzwerk aufgebaut und sich an die Spitze der privaten Fürsorgeeinrichtungen Philadelphias gesetzt. Mit ihrem Engagement im gesamten Fürsorgebereich trieb sie deren Professionalisierung und Verwissenschaftlichung maßgeblich voran. Auf Grund der Blockadehaltung der städtischen Verwaltung gegenüber einer umfassen­deren Stadtplanung blieb der Einfluss der PHA in diesem Bereich jedoch sehr begrenzt. In der Überwachung der Wohnsituation entwickelte sie allerdings eine Professionalität und Systematik, die die munizipal gelenkte Wohnungs­fürsorge in Frankfurt bei weitem übertraf. Und dieses Engagement war auch not­wendig, denn während die städtische Verwaltung am Image Philadelphias als einer „city of homes“ festhielt, litten tausende Menschen unter einer Wohnsituation, die insbesondere in den Arbeiter- und Immigrantenbezirken der Stadt nur als katastro­phal zu bezeichnen war. Ihre erste institutionalisierte Ausformung hatte die privat organisierte Wohnungs­ fürsorge Philadelphias in der Octavia Hill Association (OHA) genommen. Die 1896 gegründete und von Hellen Parrish und Hannah Fox geleitete Organisation war ein Ableger der von Octavia Hill in London ins Leben gerufenen friendly landlord-Bewegung.96 Zwar hatte in Philadelphia auch schon in den Jahren zuvor die housing movement Fuß gefasst, einer Reformbewegung, die kurz vor der Jahr­hundertwende in Chicago und New York angestoßen worden war und die sich dezidiert mit der Wohnsituation in den Slums der Großstädte auseinandersetzte97, aber auf Grund der 94 ����������������������������������������������������������������������������������� So wurde die Untersuchung des städtischen Verkehrs zur Neuregulierung der Verkehrsführung im jahr 1929 von der Mitten Inc. ausgeführt. Siehe Mitten Management Inc. (Hg.), Philadelphia Traffic Survey. Report No. 1. Plan for Philadelphia Approaches to Delaware River Bridge, Philadelphia 1929. 95 Zur PHA siehe grundlegend John F. Bauman, Public Housing, Race, and Renewal. Urban Planning in Philadelphia, 1920–1974, Philadelphia 1987. 96 Vgl. grundlegend dazu Anthony S. Wohl, The Eternal Slum. Housing and Social Policy in Victorian London, New Brunswick 2002 und John F. Sutherland, A City of Homes: Philadelphia. Slums and Reformers, 1850–1918. (= Univ. Dis), Philadelphia 1973. 97 Grundlegend zur housing movement am Beispiel Chicagos siehe Philpott, Slum, S. 89– 111, am Beispiel New York siehe Roy Lubove, The Progressives and the Slums. Tenement House Re­form in New York City, 1890–1917, Westport 1974.

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geringen Sichtbarkeit des Wohnungselends in Philadelphia fand diese bis 1907 nur vergleichsweise wenige Unterstützer. Denn in Philadelphia waren elende Wohnungsbedingungen meist dem direkten Sichtfeld entzogen, da diese weitge­hend in schlecht einzusehenden Seitengassen entstanden waren. Auch gab es die von der housing movement maßgeblich kritisierten „tenements“, wie sie in New York und Chicago entstanden waren, in diesem Umfang nicht in Philadelphia.98 Die Leiterinnen der OHA, Fox und Parrish, gehörten beide ‚alten‘ Quäkerfamilien an, die traditionell in den Bereichen reform und charity engagiert waren.99 Auch ihre gemeinsame Cousine Susan Wharton gehörte zu dieser sozialen Elite der Stadt und war eine Pionierin der settlement-Bewegung in Philadelphia. Nach ih­rem Londoner Vorbild, Octavia Hill, bei der Parrish und Fox im Jahr 1888 sechs Monate studiert hatten, kaufte die OHA gezielt in armen Stadtgebieten Häuser, renovierte diese und vermietete sie an hilfsbedürftige Menschen weiter. Ihr für­sorgerisches Engagement lag hierbei zwischen der Idee der settlement-Bewegung, deren Fürsorger selbst in die armen Stadtdistrikte zogen, um dort mit den „poor people“ zu leben, und der Idee der friendly visitors, wie sie die Charity Organization Societies bevorzugten. In der OHA war es der „friendly rent collector“ oder eben der „friendly landlord“, der den Bewohnern der renovierten Häuser zur Einsammlung der Miete einen Besuch abstattete und dabei vor allem auch auf die hygienischen und moralischen Lebensbedingungen achten sollte. „We strive for the betterment of the individual, the home and the neighborhood“, hielt die OHA programmatisch fest. “Very important mediums in the work are our Friendly Rent Collectors – women that are experienced social workers – some paid, others volunteers. Our tenants, ordinaily, do not bring the rent to us. We go after it. Thus the Friendly Rent Collector gets into the home and through it – into the hearts of the people (many of them foreign born), and becomes their counsel in many things.”100

Helen Parrish und Hannah Fox blieben hierbei stets ihrer paternalistischen Ein­ stellung gegenüber den sozialen Unterschichten treu, gleichermaßen wie ihre en­gen Vertrauten Susan Wharton und Mary Richmond.101 Nach außen hin repräsen­tierte die OHA hierbei vor allem auch ihre strikte Orientierung an moralischen Werten der Mittelklasse, auch in Bezug auf die Auswahl ihrer Mieter. Diese Kri­terien der Auswahl waren auch den mit der OHA kooperierenden Einrichtungen bekannt, 98 Siehe dazu Sutherland, City, S. 114 und Philpott, Slum, S. Kapitel I. 99 Sutherland, City, S. 45. 100 Americanizing the Foreign Born through Friendly Rent Collectors (UA, URB 46/II/16, Box 2b). 101 Sutherland, City, S. 125.

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zu denen unter anderem das städtische Department of Public Health and Charities zählte. Als einer der wenigen Ermittler des Departments auf eine Fami­lie in einem heruntergekommenen Haus in der Wood Street stieß, in der neben dem Vater auch zwei Söhne arbeiten gingen und diese nach Möglichkeit auch noch Geld zur Seite legten, dachte er sofort an die Philadelphia Housing und Octavia Hill Association. „It occured to me that probably the Philadelphia Housing Association or the Octavia Hill Association would be interested in this case and could secure decent living quarters for the family.“102 Eine solch unver­bindliche Kooperation zwischen den städtischen departments und privaten Ein­richtungen war typisch für das Fürsorgesystem Philadelphias, gleichermaßen wie der Sachverhalt, dass die Stadt die eigentliche Unterstützungsleistung eines mehr zufällig entdeckten Missstandes den privaten Organisationen überließ. Die Teile der Bevölkerung, die ihr Leben nicht an solchen Werten der Mittel­ klasse ausrichteten, hatten scheinbar nur geringe Chancen, in einem Haus der OHA unter zu kommen, so zumindest deutete auch der Historiker John F. Sutherland in seiner Philadelphia-Studie „A City of Homes“ die Arbeit der OHA.103 In einem Polizeibericht zeigt sich jedoch ein konträres Bild zu dieser Annahme und auch zu der Selbstinszenierung der OHA. Veranlasst durch eine anonyme Anzeige, besuchten die Polizisten James E. Clegg und Harry Smith drei Häuser auf der Lombard Street, die sich, wie sie nach einer Überprüfung fest­stellten, im Besitz der OHA befanden. „All […] are alleged speakeasies and are under police surveillance“, hielten die Polizisten in ihrem Bericht fest. „Julius Spencer, colored, 742 Lombard Street, owned by Octavia Hill Estate, is a known disorderly house frequented by dope peddlers and users, prostitutes and an alleged speakeasy.“104 Inwiefern die friendly tax collectors der OHA hier noch ihren mora­lisch erziehenden Einfluss geltend machen konnten oder dies überhaupt ver­suchten, ist aus den Quellen nicht zu ersehen, bleibt jedoch äußerst fragwürdig. Da weitere Quellen fehlen, die Einblick in die Lebensumstände in den Häusern der OHA jenseits der plakativ aufbereiteten Monatsberichte liefern könnten, in denen immer wieder die wohlgekleideten Damen der Organisation neben armen Kindern und Familien posierten, muss diese Frage vorerst unbeantwortet bleiben. Festzuhalten bleibt, dass auch die OHA gegen den rasanten Verfall zahlreicher Wohnblöcke in den immigrantenstarken Stadtteilen machtlos war. Solange deren Besitzer noch Mieter fanden, die sich mit den verfallenden Häusern und Wohnun­gen begnügten, hatten sie meist auch nur ein geringes Interesse, etwas an den ma­roden Zuständen zu ändern. Da in den Jahren 1923 und 1924 jeweils ca. 10 000 afroameri102 Bericht von William J. Wahl an James F. McCrudden, Chief der Division of Housing and Santation vom 6.6.1917 (UA URB 3/II/125, Box 21). 103 So auch Sutherland, City, S. 126. 104 Bericht zur Beschwerde Nr. 180 vom 28.7.1922 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 4).

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kanische Migranten nach Philadelphia gedrängt waren und sich hierbei vorwiegend in den „old and densley populated Negro centers“105 niedergelassen hatten, hatten die Hausbesitzer bei der allgemeinen Wohnungsknappheit auch kaum Probleme, Untermieter ausfindig zu machen. Dieses Verhalten der Vermieter, sowie die Zurückhaltung der städtischen Ver­ waltung regulierend einzuschreiten, weckte bei den Reformern der Jahrhundert­ wende den immer drängenderen Wunsch, sich durch systematische Stu­dien einen genauen Überblick über das wahre Ausmaß des Wohnungselends zu verschaffen. 1901 setzte Robert Hunter, ein Bewohner des Chicago Hull House Settlements, mit seiner umfassenden Untersuchung zur Wohnsituation in den Mietshäusern Chicagos Standards für die in den folgenden Jahren immer reger durchgeführten housing surveys, die sich zu einer regelrechten survey movement entwickelten.106 Auch in Philadelphia begann die OHA, angeregt durch die Nachbar­schafts-Studien der college settlements solche Untersuchungen anzu­stellen und musste hierbei schnell feststellen, dass die Bewältigung der Wohn­problematik in Philadelphia bei weitem ihre Einflussmöglichkeiten überstieg.107 Im Gegensatz zur sozialen Fürsorge waren sich die privaten Organisationen weit­gehend darin einig, dass sich die städtische Verwaltung zumindest mit der Set­zung und Kontrolle eines angemessenen rechtlichen Rahmens in die Gestaltung des städtischen Wohnens mit einbringen sollte. Ein von der OHA vorangetriebenes Gesetz zur systematischen Überwachung und Inspektion des städtischen Wohn­raumes konnte, trotz der Unterstützung durch die reformorientierte Stadtverwal­tung unter Bürgermeister Rudolph Blankenburg, erst nach mehreren Anläufen und dann auch nur stark verkürzt gegen den reformresistente Stadtrat durchgesetzt werden.108 Schlussendlich bewirkte das Gesetz lediglich die Einstellung von zwei Hausinspektoren, deren Einfluss über die einfache bauliche Inspektion von Häu­ sern nachdem (!) eine Beschwerde eingegangen war, nicht hinaus ging. Schon allein personell hatten diese Inspektoren keine Chance, das städtische Wohnungselend in den Griff zu bekommen. 1909 erhöhte die Stadt die Anzahl der Inspektoren auf fünf und bis weit in die 1920er Jahre wurden keine neuen Inspektoren eingestellt, und dies ob­wohl die Bevölkerung zwischen 1909 und 1924 um 400 000 Menschen ange­ 105 Bernard J. Newman, Housing of the Negro Immigrants in Philadelphia. Jan. 1924 (UA, URB 3/III/259, Box 47). 106 Siehe grundlegend dazu Olivier Zunz, Why the American Century?, Chicago 1998 und Bauman, Public, S. 3–21. Eine der einflussreichsten „housing surveys“ stellte die Pionierstudie des Journalisten Jacob Riis aus dem Jahr 1890 dar, die allerdings noch stark in der Tradition der muckracker-Literatur stand. Vgl. Jacob A. Riis, How the Other Half Lives. Studies Among the Tenements of New York, Cambridge 2010 (1890). 107 Sutherland, City, S. 129–137. 108 Ausführlich zur „housing bill“ der OHA siehe ebd., S. 137–153.

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wachsen war und annähernd 75 000 neue Häuser errichtet worden waren.109 Mitte der 1920er Jahre waren diese fünf Inspektoren für eine geschätzte Anzahl von 20 000 bis 30 000 Mietshäusern und Pensionen zuständig. Die Anzahl kann nur geschätzt werden, da schon zeitgenössisch sowohl die städtische Verwaltung, als auch die in der Wohnungsfürsorge und Stadtplanung privat enagierten Organisati­onen den Überblick über die Entwicklung der Mietshäuser verloren hatten. 1926 zählte die Stadt offiziell gerade einmal 9 050 Mietshäuser in ganz Philadelphia, eine Anzahl, die weit unter den realen Zuständen lag und dennoch die städtischen Inspektoren überforderte.110 An eine systematische Erhebung aller illegalen Miets­häuser und Pensionen in der Stadt war von offizieller Seite aus kaum zu denken. Aus der Enttäuschung der gescheiterten Reform des housing codes beteiligte sich die OHA zentral an der Gründung der Philadelphia Housing Commission (PHC), mit der im Jahr 1909 die erste unabhängige Housing Association in einer US-ame­ rikanischen Großstadt ins Leben gerufen wurde. Ziel der PHC war es zum einen, mit privaten Inspektionen von Gebäuden das zuständige städtische Department auf gravierende Mängel an Häusern und damit auf Verstöße gegen die Baube­stimmungen aufmerksam zu machen. Zum anderen war es ihr dezidiertes Ziel, die sich in Sicherheit wiegende städtische Mittelklasse, die zu weiten Teilen immer noch an Philadelphia als eine „city of homes“ glaubte, wachzurütteln und ihnen die elenden Lebensumstände in den Stadtteilen vor Augen zu führen, aus denen sie sich in den Jahren und Jahrzehnten zuvor zurückgezogen hatten.111 Die fakti­sche Leitung der PHC übernahm von Anfang an Bernard J. Newman, der nicht nur den Bereich der Wohnungsfürsorge, sondern weite Teile des Fürsorgenetz­werkes Philadelphias in den 1920er Jahren prägen sollte, dann allerdings als der führende Kopf der Philadelphia Housing Association (PHA), in die die PHC im Jahr 1916 übergegangen war.112 Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die sich im Bereich der Wohnungsfürsorge engagierten, kam Newman nicht aus den Reihen der settlement-Bewegung, sondern war studierter Theologe. Nach seiner Ausbil­dung am Union Theological Seminar, hatte Newman die New York School of Philanthropy besucht und während dieser Zeit 109 Bernard J. Newman am 28.5.1924 (UA, URB 3/III/192E, Box 42). 110 Schreiben von Bernard J. Newman an W. Freeland Kendrick vom 10.5.1926 (UA, URB 3/III/192D, Box 42). 111 Sutherland, City, S. 164. 112 Zwischen 1916 und 1921 übernahm Newman den Direktorenposten der Pennsylvania Training School for Social Services an der University of Pennsylvania. Während dieser Zeit hatte ein en­ger Mitarbeiter des New Yorker Housing-Pioneers Laurence Veiller, John Ihlder, die Leitung der PHA inne. Auch nach der Rückkehr Newmans als Leiter der PHA und Ihlders Rückkehr nach New York, blieben beide in engem Kontakt und bildeten zentrale Knotenpunkte im nationa­len Netzwerk der Housing-Reform-Bewegung. Zu Ihlder siehe auch Sutherland, City, S. 224.

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Reisen nach Großbritannien unter­nommen, um dort die Lebensumstände in den Slums zu untersuchen.113 Newman gehörte zu einer neuen Generation von Reformern, deren professioneller An­spruch im Vordergrund ihrer Arbeit stand. „Well, I think for most of these people“, antwortete die PHA-Mitarbeiterin Dorothy Montgomery in einem Zeitzeu­geninterview auf die Frage, wie Newmann zu den Armen und den Schwar­zen stand, „lets say it was an intellectual exercise.“ Auf diese Antwort fragte der Interviewer ( John F. Sutherland) zurück: „Do you sense a lack of personal involvement with the people they were trying to help“, und Montgomery antwor­ tete: „Oh, sure! They never went to the slums, hardly ever, never saw them.“114 Der Schwerpunkt in Newmans Arbeit lag dementsprechend, und dies wird auch in dem umfassend überlieferten Briefverkehr der PHA deutlich, nicht in der eigenen Konfrontation beziehungsweise Kontaktaufnahme mit den Menschen, für die er sich so engagiert einsetzte, sondern vor allem in der systematischen Überwachung und Analyse der Wohnungssituation in Philadelphia. „The forces of evil are always well organized and entreched, the forces of good must be similarly engaged“115, formulierte Newman selbst seinen systematischen Ansatz der Fürsorge­arbeit, die für ihn in erster Linie Wohnungs- und Stadtraum-Fürsorge war. Das systematische Vorgehen Newmans zielte nicht nur auf eine punktuelle Verbes­serung der Wohnsituation in einzelnen Stadtteilen ab, wie sie bis dahin von den meisten bestehenden Fürsorgeeinrichtungen, vor allem in der settlement-Bewe­ gung, verfolgt wurde, sondern auf eine grundlegende Verbesserung des Woh­nens und Lebens in der gesamten Stadt. Newman engagierte sich zur Verfol­g ung dieses Ziels vor allem in drei Bereichen: Der systematischen Erfassung und Beseitigung von baulichen Mängeln und unhygienischen Lebensumständen, dem Publikmachen der Bedeutung von gesundem Wohnen für den sozialen, morali­schen und hygienischen Zustand der städtischen Gesellschaft und der grundlegen­den Reform des städtischen Raumes in Form einer vollständigen Zonierung der Stadt in Funktionsgebiete für Wohn-, Einkaufs- und Industriezwecke. Während Newman in den ersten beiden Bereichen äußerst erfolgreich agierte, stieß das Zonie­rungsprojekt auf vehementen Widerstand, vor allem von Seiten der Immobi­lienbranche, die sich gegen einen solch fundamentalen Eingriff in ihr Geschäft zur Wehr setzte. Doch auch wenn diese Bemühungen Newmans zum Scheitern verur­teilt waren, baute er mit der PHA eine Einrichtung auf, deren zentrale Funktions­stellung im Netzwerk der städtischen Fürsorgelandschaft durchaus zu beein­drucken weiß. Allein im Jahr 1923 stellte die PHA in knapp 27  000 Wohnungs­inspektionen über 8  400 „insanitary conditions“ fest, 113 Bauman, Public, S. 7. 114 Dorothy Montgomery interviewed by John F. Sutherland, 3.11.1969 (UA, WP T– 1:T.42 T3). 115 Zitiert nach Sutherland, City, S. 168.

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von denen defekte Wasser­leitungen (ca. 30%) und marode Bauzustände (ca. 21%) zu den Haupt­problemen gehörten.116 Diese gewaltige Anzahl an Inspektionen von einer Organisa­tion, die gerade einmal ein Dutzend Personen beschäftigte117, war nur dadurch möglich, dass Newman die zahlreichen privaten Fürsorgeeinrichtungen, die sich in den ärme­ren Stadtgebieten Philadelphias engagierten, für seine Zwecke gewann und als freiwillige Inspektoren einspannte. Erst das dichte Netz, das die privaten Fürsor­geeinrichtungen durch den städtischen Raum gezogen hatten, machte die umfassende Arbeit der PHA möglich. So waren beispielsweise in ei­nem zentralen Siedlungsblock der Stadt, der im Jahr 1924 Raum für 179 Familien in 83 Wohn­ häusern bot, insgesamt 52 unterschiedliche private Fürsorgeeinrich­tungen tätig, die 402 Fallakten über die dort knapp 350 lebenden Menschen ange­legt hatten.118 Somit kam auf fast jede dritte Familie in diesem Stadtteil eine ei­gene Fürsorgeorga­nisation. Wohl auch in Reaktion auf dieses Überangebot an Einrichtungen, die häufig nicht nur unterstützen, sondern auch im persönlichen Kontakt ihre Klienten belehren wollten, zogen die so umsorgten Menschen ganz eigene Grenzen, wenn es darum ging, jemandem einen Einblick in die von ihnen als privat angesehenen Bereiche ihres Lebens zu gewähren. So konnte der Student Fred Heins, der unter Aufsicht der PHA in diesem Siedlungsblock eine Sozialstudie anstellen wollte, in seinem Bericht zu den persönlichen Verhältnissen der Familien nur vermerken: “From families themselves information regarding delinquency or relief is practically unobtainable as it is naturally considered a personal matter. […] even the police do not know the amount of crime committed in this section, which is hushed up by mutual agreement of the inhabitants.”119

Die offiziellen Wohnungsinspektoren der PHA, die sich nach der Anzeige von „unsanitary conditions“ um eine Begutachtung und Abstellung solcher Zustände bemüh116 Philadelphia Housing Association (Hg.), Housing in Philadelphia 1923, Philadelphia 1924. 117 Im Jahr 1922 vermerkte die PHA für die Planung ihres Bürobedarfes im Social Service Building genau „eight paid workers“ als Mitarbeiterstab. Die Anzahl der unter „Staff “ aufgeführ­ten Mitarbeiter im Impressum der Jahresberichte umfasst im Jahr 1924 21 Personen, von denen allerdings die Hälfte nur eine projektbezogene Anstellung hatten. Vgl. das Schreiben von Bernard J. Newman an Karl de Schweinitz vom 13.6.1922 (UA, URB 3/III/384, Box 59) und Philadelphia Housing Association (Hg.), Housing in Philadelphia 1924, Philadelphia 1925. 118 Ebd., S. 19. Das bewohnte Areal umfasste ca. 5 400 qm und beherbergte darüber hinaus eine Kirche, eine Drogerie, ein Lebensmittelgeschäft, einen Friseur, einen Saloon, ein Restaurant, eine kommerzielles Parkhaus und eine Flaschen-Abfüllanlage. 119 Ebd.

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ten, lag unterdessen nichts an einer persönlichen Annäherung an die Fami­lien, auch nicht an einer direkten moralischen Erziehung. Das Ziel der PHA war es in erster Linie, durch die Beseitigung wohnräumlicher Mängel ein gesundes Wohn­umfeld zu schaffen, das bestenfalls aus sich selbst heraus sozial und mora­lisch erziehend auf die Bewohner wirken, zumindest aber die „anti-social consequences of bad housing“120 beseitigen sollte. Mit diesem Ansatz stand die PHA ganz in Tradition der positive environmentalism-Bewegung, die seit der Jahr­hundertwende unter den Reformern zunehmend Anklang fand, und in die auch die Aktionen der OHA oder der playground movement einzuordnen sind.121 Eine per­sönliche Nähe zu den Hilfsbedürftigen, wie sie von settlement-Bewohnern, friendly visitors und friendly tax collectors angestrebt wurde, spielte für Newman keine Rolle. Die Bewohner der armen Stadtviertel waren für ihn nicht das Prob­lem selbst, sondern waren Teil eines vor allem strukturellen Problems des bestehen­den städtischen Raumes, sie waren für ihn Teil untersuchter Wohnob­jekte, deren negativen Auswirkungen er auf die Bewohner sowie auf die umlie­gende Siedlungen zu beseitigen suchte. Diese neue Distanz zu den armen Bevölke­rungsschichten unterschied sich grundlegend von dem morali­schen Überlegenheitsgefühl, das die friendly visitors in ihren Fürsorgebestrebun­gen zum Ausdruck brachten. Es war eine intellektuelle Distanz, nicht dezidiert ge­genüber den Menschen selbst, sondern gegenüber stadtstrukturellen Problemen, von denen die betroffenen Menschen ein Teil waren. Das Denken Newmans äh­nelte damit mehr dem Denken des Frankfurter Stadtbaurates Ernst May als bei­spielsweise dem Denken Mary Richmonds. Für Newman war es die Herausfor­derung der Moderne und nicht das Leiden Einzelner, die ihn motivierte. „The Housing Association realizes the need for certain relief organizations to care for defective, delinquents and dependents“, beschrieb 1925 die PHA in ihrem Jahres­bericht, wie sie ihre Rolle im städtischen Fürsorgenetzwerk sah, „but it further recognizes that such agencies, to render the highest and most effective service, must utilize other organizations which work to eliminate conditions that are direct causes for break-downs in family health and morals.“122 Dieses rein wohnrauminspizierende Vorgehen ermöglichte es nun vor allem auch den Bewohnern der ärmeren Stadtgebiete, bauliche Mängel an ihren Wohnräumen, unter denen sie zu leiden hatten, anzuzeigen, ohne dass sie damit genötigt wurden, andere private Angelegenheiten offen zu legen oder sich erzieherischen Bemühungen aussetzen zu müssen. Bestenfalls kamen die Inspektoren, registrierten die bau­lichen Mängel und kümmerten sich um deren Beseitigung. „We turn into a narrow street“,

120 Ebd., S. 14. 121 Grundlegend dazu siehe Boyer, Urban, S. 220–251. 122 Philadelphia Housing Association (Hg.), Housing in Philadelphia 1925, Philadelphia 1926.

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erzählen ganz in diesem Sinne die Wohnungsinspektoren in einem Erlebnis­bericht einer ihrer Touren durch die Stadt, “Groups of women […] are discussing neighborhood gossip. […] We are greeted with many smiles and signals to enter their homes. With delight they show us the ‚new white sinks‘ in the first floor room. ‚Here I’ve been livin‘ in this here house for twenty-nine years and carried all my water from that there hydrant. A couple of months ago this little snip of a girl from the Housing Association come around. You say we should have water in house. I laff at you, I say I live here 29 year, we got no water. You leave, but soon after man come roun‘ and put in sinks.”123

Auch wenn dieser Bericht der Inspektoren in vielerlei Hinsicht den Erfolgsbekun­ dungen anderer Fürsorgeeinrichtungen ähnelt, unterscheidet er sich in einem zentra­ len Aspekt: Er bekundet keine persönliche und emotionale Nähe zu den Men­schen, denen man helfen möchte. So erscheinen auch die Berichte darüber glaubhaft, dass Mieter immer wieder Wohnungsinspektoren der PHA, wenn sie diese bei ihrer Tour erblickten, gezielt in ihre Wohnungen holten, um sie auf beste­hende Mängel aufmerksam zu machen.124 Dennoch blieb es nicht aus, dass sich die Wohnungsinspektoren zuweilen auch gegen den Widerstand der Bewohner Zugang zu deren Räumlichkeiten verschaff­ten. „An inspector of the Philadelphia Housing Association visited 829 Wood street (on complaint of co-operating agency) had difficulty in gaining admission because the father had deserted and the woman was out at work – five children, the oldest 10 years, were alone at home“125, lautet es in einem Bericht vom 28.5.1917. Dass die Inspektoren bei ihren Rundgängen auf den Versuch verzichte­ten, sich den Bewohnern auch persönlich anzunähern, erwuchs also weniger aus einem neuen Respekt vor deren Privatsphäre, als aus ihrem methodischen Ansatz der Bekämpfung sozialer und moralischer ‚Gefahren‘. Da die Menschen in diesem Konzept nur Teil eines vor allem strukturellen Problems waren, war es auch einfa­cher, rigoros mit Einzelschicksalen umzugehen, solange dies der Beseitigung des strukturellen Problems diente. Diese Rigorosität im Umgang mit Einzelschicksa­len schlägt sich auch deutlich in den Plänen nieder, die Newman vor allem seit Ende der 1920er Jahre verfolgte, näm123 Ebd., S. 13f. 124 So z. B. in einem Bericht vom 28.5.1917, in dem es heißt: „On seeing inspector at 829 Wood street, the man at 827 asked him that he come in and see his house. […] The water closet was defective and flowed constantly – was also obstructed. The tenant claimed that the agent had promised to repair and remove all filth, but had done nothing.“ (UA, URB 3/II/125, Box 21) 125 Bericht „Matters of Interest – Negro Migration“ vom 28.5.1917 (UA, URB 3/II/125, Box 21).

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lich die zielgerichtete Beseitigung von „sub­normal areas“ und deren Ersetzung durch großflächige Parkanlagen. „Subnormal areas attract families subject to social defects“, schrieb Newman 1929 ganz in diesem Sinne, “and, because subnormal themselves, bad housing conditions such as are found in this block cause them ultimately to break down and need of treat­ment. […] Whether the conditions described in this block are causative or accentuative factors, nevertheless, they are a menace to society and chal­lenge the attention of the public, requiring a constructive program for their elimination. The transformation of the block will remove such houses as are unfit hygienically or are socially undesirable, reducing to that extend the num­ber of such in the city. Their replacement by a public park will have a wholesome effect upon adjacent blocks, stimulating their improvement and removing other houses in the neighborhood which are likewise undesirable.”126

Mit diesem Ansatz rückte Newman immer weiter in die Nähe von Stadtplanern, die großflächige Umbaumaßnahmen des städtischen Raumes als das beste Mittel zur Bekämpfung sozialer Probleme sahen. Zu deren prominentesten Vordenkern gehörten Architekten und Stadtplaner wie Ebenezer Howard, Frank Lloyd Wright und Charles Jeanneret alias Le Corbusier.127 Doch während solche Stadtplaner die Zukunft der Stadt vor allem in dezentralisierten und durchgeplanten Siedlungs­blöcken sahen, strebten housing professionals wie Bernard J. Newman oder der in New York wirkende Lawrence Veiller, gezielte Reformen bestehender Siedlungs­einheiten an. Für die kommunitarischen Stadtplaner, wie der Historiker John F. Bauman Architekten vom Schlage Le Corbusiers bezeichnete, blieben solche lo­kale Reformen „a mere facial uplift“128. Doch im Gegensatz zu deren meist utopi­schen Plänen einer grundlegend neuen Wohnform für eine neue Gesellschaft, ge­wann die gezielte Reform bestehender Siedlungseinheiten auch jenseits der Reform­bewegung zunehmend Rückhalt und wurde mit dem New Deal sogar von städtischer Seite in der slum clearance-Bewegung forciert.129 Abgesehen von die­sem grundlegenden Unterschied, teilten kommunita126 Bernard J. Newman, Housing Conditions in the Block Bounded by Lombard, Juniper, Rodman, & S. 13 Streets. December 1929, S. 8f. (UA, URB 3/III/42, Box 32, F. 42). 127 ���������������������������������������������������������������������������������� Vgl. grundlegend dazu Robert Fishman, Urban Utopias in the Twentieth Century. Ebenezer Howard, Frank Lloyd Wright, LeCorbusier, Cambridge 19976. 128 So der Architekt Henry S.  Churchill, zitiert nach John F. Bauman, Safe and Sanitary without the Costly Frills: The Evolution of Public Housing in Philadelphia, 1929–1941, in: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 101. 1977, S. 114–128, hier S. 117. 129 Zum Politkwechsel siehe Gail Radford, The Federal Government and Housing During the Great Depression, in: John F. Bauman u. Roger Szylvian Kristin Biles (Hg.), From tenements to the Taylor homes. In search of an urban housing policy in twentieth-century

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rische Stadtplaner und housing professionals eine äußerst distanzierte und auch theoretisierte Perspektive auf den städtischen Raum, die mit einer persönlichen Annäherung an die so verplanten Bewohner der Slums nichts mehr zu tun hatte.130 3.2.2 Von der Zwangswirtschaft zum Neuen Bauen: Die Kontrolle des Wohnraumes in Frankfurt am Main

Ganz ähnlich wie Bernard J. Newman in Philadelphia, strebte auch in Frankfurt der Architekt und Städteplaner Ernst May an, durch den gebauten Raum erziehend auf die Bewohner der von ihm errichteten Häuser zu wirken.131 Im Gegensatz zu Newman saß May jedoch als Stadtbaurat in einer Position, in der er seine Utopien eines ‚neuen Wohnens‘ zumindest ansatzweise umsetzen konnte. May ging es ganz im Sinne kommunitarischer Stadtplaner bei seinen Plänen weniger um eine Sanierung der verfallenden Elendsviertel als vielmehr um die Schaffung vollstän­dig neuer Siedlungsblöcke, die er an den Rand des Stadtgebietes verlagerte.132 Die schwierige Sanierung der Altstadt, die nicht nur hohe Kosten verursacht, sondern auch zahlreiche Konflikte mit den dort ansässigen Bewohnern und lokalpatrioti­schen Vereinen bedeutet hätte, zog May bei seinen Plänen augenscheinlich nicht ernsthaft in Erwägung. Schon 1923, zwei Jahre vor seinem Amtsantritt in Frankfurt am Main, äußerte May: „Wir müssen uns aber darüber klar sein, dass die Großstadt im alten Sinne heute schon als überholt angesehen werden muss.“133 Die Maßnahmen, die May ergriff um sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen und inner­halb von fünf Jahren 10 000 gesunde und günstige WohnunAmerica, University Park 2000, S. 102–120, speziell zu Philadelphia vgl. John F. Bauman, Public Housing in the De­pression. Slum Reform in Philadelphia Neighborhoods in the 1930s, in: William W. Cutler (Hg.), The Divided Metropolis. Social and Spatial Dimensions of Philadelphia. 1800–1975, Westport 1980, S. 227–248. 130 �������������������������������������������������������������������������������� Zu den „communitarians“ siehe auch Roy Lubove, New Cities for Old: The Urban Reconstruction Program of the 1930’s, in: The Social Studies 53. 1962. 131 Konzise Überblicke zum erzieherischen Gedanken des „Neuen Bauens“ in besonderer Berück­sichtigung von Frankfurt am Main geben Alexander Ruhe, Der Sozialwohnungsbau in Frankfurt am Main zwischen 1925 und 1933, in: Martin Ebert (Hg.), Das Neue Frankfurt. Der soziale Wohnungsbau in Frankfurt am Main und sein Architekt Ernst May, Weimar 2008, S. 9–116, hier S. 36–48; Kuhn, Wohnkultur, S. 113–115 und Jan Abt, Ernst May und das Neue Frankfurt. Siedlungsbau zwischen 1925 und 1930, in: Martin Ebert (Hg.), Das Neue Frankfurt. Der soziale Wohnungsbau in Frankfurt am Main und sein Architekt Ernst May, Weimar 2008, S. 117–176, hier S. 136–139. 132 Ebd., S. 140f. Dass die ersten Siedlungsprojekte Mays innerhalb bestehender Quartiere lagen, lag vor allem darin begründet, dass diese bereits vor Mays Amtsantritt begonnen worden wa­ren. Vgl. dazu ebd., S. 146. 133 Zitiert nach ebd., S. 140.

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gen für die arbeitende Klasse zu schaffen, stießen jedoch vor allem bei konservativen Stadtverordneten auf vehemente Kritik. Insbesondere mit dem architektonischen Stil des Neuen Bauens konnte sich diese nicht anfreunden.134 „Wenn ich mir die Praunheimer Siedlung vergegenwärtige“, brachte so auch der deutschnationale Stadtverordnete Albert Dobler am 23.2.1927 in der Stadtverordnetenversammlung vor, „so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, eine Kaserne mit einem Stockwerk vor mir zu haben.“135 Bei der Kritik an den Plänen Mays ging es jedoch nicht nur um eine ästhetische Kritik, sondern auch um eine Interessenvertretung all der Berufs­gruppen, deren Berufsstand sich durch die neue Fertigbauweise bedroht sahen, hierunter vor allem die Dachdecker. „Machen Sie es genauso wie die Droschken­kutscher, die haben sich auch umgestellt“136, soll der Leiter des Hochbauamtes den Beschwerdeführern der Dachdecker erwidert haben. Auch der nationalsozialisti­sche Stadtverordnete Gemeinder warf Ernst May vor, dass er statt die Bodenpreise zu senken, „mit revolutionärer Kunstform, mit neuer Gestaltung“ komme. „Wir sollen uns diese Häuser, die wie Gefängnisse anmuten, ansehen und das schaffende Volk soll solche Häuser beziehen“, äußerte er in der Stadtverordne­tenversammlung. Nach empörten Zurufen vom linken Flügel setzte er hinzu: „Wenn Ihnen das paßt, so gehen Sie doch in diese Häuser hinein. Das tun Sie aber nicht.“137 Während May sich in seinen ersten zwei Amtsjahren maßgeblich der Fertigstel­ lung bereits begonnener Siedlungsprojekte widmete, wurden heruntergekommene Wohnungen in der Altstadt, die wegen ihrer katastrophalen baulichen Mängel be­ reits geräumt worden waren und eigentlich abgerissen werden sollten, auf Grund fehlender Geldmittel und der allgemeinen Wohnungsknappheit erneut als Wohnun­gen freigegeben. So schrieb am 25.2.1928 das Wohnungsamt an das Hoch­bauamt: „In der mir freundlichst übermittelten Abschrift des Protokolls über die ge­meinschaftliche Besprechung vom 17.d.M. zwischen Herren Stadtrat Franck, Direktor Menzel, Oberinspektor Ihn und mir vermisse ich eine Erwäh­nung der in der Besprechung getroffenen Vereinbarung, dass die soge­nannten Abbruchhäuser in der Metzgergasse und Schlachthausgasse, de­ren beabsichtigte Niederlegung wegen Geldmangels bis auf weiteres aufge­schoben

134 ��������������������������������������������������������������������������������� Knapp dazu: Ruth Diehl, Die Tätigkeit Ernst Mays in Frankfurt am Main in den Jahren 1925–30 unter besonderer Berücksichtigung des Siedlungsbaus, Frankfurt am Main 1976. 135 Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Frankfurt am Main. Band 60, hg. v. Büro der Stadtverordneten-Versammlung, Frankfurt am Main 1928, S. 124. 136 Ebd., S. 395. 137 Ebd.

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ist, vom Wohnungsamt wieder neu mit Wohnungssuchenden belegt werden können. Nach meiner Erinnerung wurde diese Vereinbarung endgültig getroffen.“138

Solche Neubelegungen von bekanntermaßen für Wohnzwecke ungeeigneten Räumen waren keine Ausnahme, sondern eher die Regel, auch wenn sie jeglichen hygieni­ schen und moralischen Richtlinien, die sich schon seit der Mitte des 19. Jahrhun­ derts unter den Wohnraum- und Städteplanern etabliert hatten, widersprachen.139 So wurde noch 1929 eine geräumte Realschule im Stadtteil Rödelheim zu mehre­ren Wohnungen umgebaut, um dort Wohnräume für Exmittierte einzurichten. Diese dichte Zusammenlegung von Familien, die sich in äußerster sozialer Not befanden, in ungeeigneten und mangelhaften Wohnräumen, führte immer wieder zu intensiven Spannungen zwischen den Familien. „Bei uns im Hause (Real­schule) ist sehr schlimm geworden“, schrieb am 19.6.1929 der Bewohner Wilhelm Schrod in gebrochenem Deutsch an das Hochbauamt. „Ich habe Ihnen eine Erfah­rung bringen, die nicht ganz uninteressiert ist. Ich habe es nämlich erfahren, dass Frau Schwalbach, 6 monatliche Frühgeburt in den Backofen gebraten und zer­schnitten.“140 Solche extremen Beispiele der Denunziation eines unliebsamen Nach­barn, die in diesem Fall durchaus erfolgreich war, da Frau Schwalbach nur wenig später umgesiedelt wurde, waren nun nicht alltäglich. Spannungen zwi­schen Nachbarn gab es jedoch immer wieder, insbesondere in den zunehmend entstehenden Armensiedlungen der Stadt, denn dort mussten all jene unter­kom­men, die sich die neuen Wohnungen Ernst Mays nicht leisten konnten. Nicht nur der bestehende und improvisierte Wohnraum war als äußerst problema­ tisch zu bezeichnen. Auch in der neue Typenbauweise Mays traten schon nach kurzer Zeit erhebliche Mängel und Nachteile zu Tage. So waren diese Wohnungen extrem anfällig für Schimmelbildung und im Jahr 1928, nachdem die Errichtung der Trabantensiedlungen Praunheim und Römerstadt weitgehend abgeschlossen waren, gestand May schließlich auch ein, dass die Wohnungen dort für die armen Bevölkerungsschichten, die am meisten unter der Wohnungsnot litten, immer noch zu teuer seien.141 Die Schuld für die vermehrte Schimmelbildung in den neuen Wohnungen 138 Wohnungsamt an Hochbauamt, Abteilung Vermietung vom 25.2.1928 (FWohA 894, Bl.128). 139 ������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. dazu Marianne Rodenstein, Stadt und Hygiene seit dem 18. Jahrhundert, in: Dittmar Machule (Hg.), Macht Stadt krank? Vom Umgang mit Gesundheit und Krankheit, Hamburg 1996, S. 19–46; Jürgen Reulecke, Gesundheitsfür- und -vorsorge in den deutschen Städten seit dem 19. Jahrhundert, in: Dittmar Machule (Hg.), Macht Stadt krank? Vom Umgang mit Gesund­heit und Krankheit, Hamburg 1996, S. 17–83; Manuel Frey, Der reinliche Bürger. Entste­hung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760–1860 von Manuel Frey, Göttingen 1997. 140 Wilhelm Schrod an Hochbauamt vom 12.6.1929 (FWA 1.614, Bl. 55). 141 Kuhn, Wohnkultur, S. 137.

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suchte May jedoch nicht in der Architektur, sondern in der „mangelhaften Bewohnung“. „Ich habe wiederholt beantragt“, verteidigte er sich am 15.11.1927 in der Stadtverordnetenversammlung gegen zahlreiche Angriffe, „Baupfleger anzustellen, um den Leuten Anleitung zu geben, wie man gesund wohnt.“142 Die Bauten, die die Stadt schließlich für die ärmsten sozialen Schichten der Stadt errichtete, entbehrten jeglicher Qualitätsstandards, die die professionali­sierte Wohnungsfürsorge in den Jahren zuvor entwickelt hatte. Dies berichtete auch die Fürsorgerin Marianne Jost aus der Exmittierten-Siedlung Altenheimer Block im Gallusviertel. Die zwischen zwei „steil aufeinander zulaufenden Bahn­gleisen“ errichtete Siedlung „bestand aus Einfachst-Reihenhäusern, fast alle einstöckig mit Dachpappen­flachdächern. Baumaterial: ein paar qm Betonplatten, dick und porenlos, alsoluftundurchlässig [sic!] und daher immer nass und mit Schimmel über­zogen. Zum Heizen nur ein Küchenherd in der Wohnküche. Zwischen den Häusern war schmieriger Lehmboden.“143

Im Altenheimer Block wurden vor allem Menschen untergebracht, die zuvor in den zerfallenden Häusern und Wohnungen der Altstadt gelebt hatten, „Bettler, Säufer, Zuhälter, Dirnen, Vorbestrafte“, wie sie Jost charakterisierte. „Hier machte ich also täglich Hausbesuche“, berichtete die Fürsorgerin, „Betten waren fast nirgends vorhanden, in genügender Menge. Man schlief zu zweit oder zu dritt in einem Bett, meist auf dreckigem Inlet in einem Bett. Für genügend Betten war auch kein Platz; Wanzen waren fast überall.”144 Auf Grund der desolaten Lage des städtischen Haushaltes und der hohen Kosten für die Instandsetzung baufälliger Wohnungen hatte die Stadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit versucht, mittels der Wohnungszwangswirtschaft zumindest den vorhandenen Wohnraum kontrolliert zu vergeben. Die Beschlagnahmung und Aufteilung größerer Wohnungen gehörte hierbei gleichermaßen zum Aufgaben­feld des vielseits gehassten und gefürchteten Wohnungsamtes, sowie der provisori­sche Umbau freistehender Zweckgebäude, die eigentlich niemals als Wohn­räume geplant waren. In der Praxis führten diese Maßnahmen der städti­schen Verwaltung zu einer regen Schwarzwirtschaft auf dem Wohnungs­markt und darüber hinaus immer wieder zu Skandalen rund um Korruptionsfälle und Korrup­tionsvermutungen gegenüber den Beamten des Wohnungsamtes. Beson­ders kon­fliktträchtig war hierbei vor allem auch die politische Konstellation der städti­schen Verwaltung, denn das Wohnungsamt 142 Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Frankfurt am Main. Band 60, hg. v. Büro der Stadtverordneten-Versammlung, Frankfurt am Main 1928, S. 1074. 143 Marianne Jost, Fürsorgeskizzen aus dem Gallus 1929–1962, S. 1. (SF S5/538) 144 Ebd.

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unterlag bis 1926 der Kon­trolle des sozialdemokratischen Stadtrates Zielowski, was vor allem bei den bürger­lichen Parteien Missmut und Misstrauen gegenüber der eingeführten Woh­nungszwangs­wirtschaft hervorrief. Die Debatten über Sinn und Unsinn, Gerechtigkeit und Un­recht der Wohnungszwangswirtschaft erhielten dadurch eine besondere Schärfe, dass niemand so recht die Kriterien verstand, nach denen Woh­nungen beschlag­nahmt und wieder vergeben werden sollten, nicht einmal die ausführenden Beam­ten selbst. So hielt auch der Magistrats-Syndikus Tietz, der schon am 11.5.1920 von der Stadtverordnetenversammlung mit einer Sonderunter­suchung der Vor­gänge auf dem Wohnungsamt beauftragt wurde, in seinem Abschlussbericht fest: „Was sowohl beim Studium der zahlreichen Akten, zu dem das Verfahren Veranlassung bot, sowie bei den vielen Zeugenvernehmungen immer wieder in der denkbar krassesten Weise in die Erscheinung trat, war der Mangel ei­ner hinreichenden Organisation des Geschäftsganges. Es war geradezu an der Tagesordnung, dass verschiedene Dienststellen in der gleichen Angele­genheit nacheinander, manchmal aber auch fast gleichzeitig, gänzlich wider­sprechende Verfügungen trafen. Man hatte beim Lesen der Akten manchmal den Eindruck, dass die einzelnen Angestellten, ohne sich der Grenzen ihrer Zuständigkeit bewusst zu sein, und ohne sich durch Einblick in die Vor­gänge darum zu kümmern, was in der von ihnen zu bearbeitenden Angele­genheit bereits geschehen war, blindlings darauf los verfügten. Anders ist es gar nicht zu erklären, wie immer wieder nacheinander mehrere verschiedene Einweisungen in die gleiche Wohnung vorkommen konnten, die sich in ei­ nigen Fällen, wie z. B. im Falle Schweizerstr. 22a oder im Falle Gartenstr. 44 bis zu fünf Mal wiederholten.“145

Ganz ähnlich, wie es sich auch bei den Beamten des Wohlfahrtsamtes abzeichnen sollte, erschienen Tietz die Angestellten des Wohnungsamtes für ihre Aufgabe als weitgehend ungeeignet. Dies galt nicht nur für die Beamten des Innendienstes, deren Beantwortung schriftlicher Anfragen nach Tietz Ansicht mehr nach dem Zufallsprinzip erfolgte denn allem anderen, sondern auch für die Beamten des Außendienstes, die für die Beschlagnahmung von Wohnung zuständig waren.146 So liefen beim Wohnungsamt immer wieder Beschwerden über Beamte ein, die in recht unhöflicher Weise in Häuser und Wohnungen eingedrungen seien und dort in unverschämter Art und Weise herumstolziert wären.147 Trotz der eingehenden Unter­suchung durch

145 Untersuchungsbericht Tietz, Bl. 102f. (FWohA 731, Bl. 75ff.). 146 Ebd., Bl. 105f. 147 ��������������������������������������������������������������������������������� Beschwerde gegen Mitarbeiter des Wohnungsamtes (FWohA 731, Bl. 307). Eine positive Wahr­nehmung von Beamten, die mit dem Auftrag und der Autorität die Stadt durch-

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Tietz, war es diesem nicht möglich festzustellen, inwiefern „Schiebung“148 Eingang in die Vergabepraktiken des Wohnungsamtes gefunden hatte. Bis auf die bereits durch die Tagespresse publik gemachten Wohnungsskan­dale konnte er keine weiteren Korruptionsfälle nachweisen. Dies lag jedoch weni­ger daran, dass diese nicht existent waren, als vielmehr an der Kooperationsverwei­gerung der beim Wohnungsamt beschäftigten Beamten. Denn diese waren mit ihren dortigen Aufgaben, für die sie gar nicht ausgebildet worden waren, maßlos überfordert. Daher konnten sie sich auch nicht sicher sein, ob das, was sie getan hatten, mit dem gültigen Recht zu vereinbaren war und zogen es vor, über ihre Arbeit zu schweigen.149 Auch wenn sich Stadtrat Zielowski entschieden gegen die Vorwürfe von Tietz zur Wehr setzte, dass das Wohnungsamt unrechtmäßig vorgehen würde, räumte er ein, dass die Personalsituation mehr als unbefriedigend sei. „Wären dem Wohnungs­amt während seines durch die Einrichtung der erforderlichen Abteilungen beding­ten Anwachsens rechtzeitig die entsprechenden geeigneten und besonders tüchti­gen Beamten zur Verfügung gestellt worden“, schrieb er am 20.10.1921 an den Magistrat, „so wären die gerügten Zustände bei dem Wohnungsamt nie eingetre­ten.“150 Das Personal des Wohnungsamtes war in kürzester Zeit von 12 auf 165 Mitarbeiter aufgestockt worden, zu 75% mit Hilfsbeamten151, während zur glei­chen Zeit auch andere Ämter der Stadt, insbesondere das Wohlfahrtsamt, eine grundlegende Umstrukturierung erfuhren und gleichermaßen nach besonders ‚tüch­tigem‘ Personal verlangten. Dass von den eingesetzten Hilfsbeamten im Amt keine ‚professionelle‘ Arbeit verlangt werden konnte, liegt auf der Hand, scheint aber den Verwaltungsreformern nicht in den Sinn gekommen zu sein, als sie mit dem weitreichenden Umbau des städtischen Verwaltungsapparates begannen. Die Auseinandersetzungen um das Wohnungsamt, die sich sowohl in den Medien, als auch in der Stadtverordnetenversammlung und hierbei vor allem zwischen den Sozialdemokraten und den Linksliberalen der DDP zuspitzte, war daher nicht nur Ausdruck eines strukturellen und parteipolitisch geprägten Konfliktes um die Machthoheit in der Kontrolle des städtischen Raumes, sondern drehte sich gleicher­maßen um die Kompetenz und die Professionalität des städtischen Verwal­tungsapparates. Dass die Sozialdemokraten hierbei für diesen Apparat und deren regulierende Eingriffe eintraten, war dem Umstand geschuldet, dass diese erst kürzlich in ihre neue Machtposition gelangt und daher auch auf Erfolge ange­wiesen waren. In der Tages-

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streifen, gezielt bewohnten wie unbewohnten Raum zu erfassen und dem Wohnungsamt verfügbar zu machen, ist in dieser Situation auch kaum wahrscheinlich. Wohnungsamt (Zielowski) an Magistrat vom 20.10.1921 (FWohA 731, Bl. 1). Untersuchungsbericht Tietz, Bl. 75 (FWohA 731, Bl. 75ff.). Wohnungsamt (Zielowski) an Magistrat vom 20.10.1921 (FWohA 731, Bl. 1). Vgl. Kuhn, Wohnkultur, S. 223 Anm. 59.

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presse spitzte sich hierbei der Konflikt vor allem zwi­schen der sozialdemokratischen ‚Volksstimme‘ und der bürgerlich-liberalen ‚Frankfurter Zeitung‘ zu. Zielowski, der vor seiner Zeit als Stadtrat Chefredakteur der ‚Volksstimme‘ gewesen war, nutze diese Plattform, um sich gegen die vehe­menten Angriffe gegen das Wohnungsamt zu wehren, die vor allem von der Stadt­verordneten Frau Dr. Schulz von der DDP und der ihr nahestehenden ‚Frankfurter Zeitung‘ vorgebracht wurden.152 Bei diesen stießen die Zwangsmaßnahmen des Wohnungsamtes vor allem auch daher auf Widerstand, da hier ein Amt in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß in bürgerliches Privatleben eingriff, ein Vor­gang, den sich eigentlich das Bürgertum zur Kontrolle und Überwachung der arbei­tenden Klasse vorbehalten hatte. „Vor allem möchten wir das eine betonen“, schrieb die ‚Frankfurter Zeitung‘ am 6.7.1922, „daß wir uns ein ersprießliches Wirken des Amtes auf die Dauer nicht vor­stellen können, wenn es nicht in ganz anderem Maße als bisher mit der Oef­fentlichkeit zusammenarbeitet. Ein ängstliches Verkriechen hinter den Ak­ten, ein buerokratisches Arbeiten mit Paragraphen und Verfügungen ist ei­ner derartig tief in persönliche Verhältnisse eingreifenden Institution nicht angemessen und macht aus dem voraussichtlich noch recht lange Zeit not­wendigen Instrument der allgemeinen Wohlfahrt mehr und mehr eine von aller Welt bekämpfte feindselige Macht.“153

Dass sich nun bürgerliche Kreise in einem gleichen Maße bevormundenden Ein­ griffen in ihr privates Lebensumfeld ausgesetzt sahen, wie sie es eigentlich nur für die Behandlung der ihrer Ansicht nach sozial und moralisch bedrohten und be­ drohlichen Klassen andachten, scheint für die Autoren der ‚Frankfurter Zeitung‘ zu viel des Guten gewesen zu sein, auch wenn sie dem Vorwurf, mit ihrer Pole­mik nur die „bürgerliche Gesellschaft“ verteidigen zu wollen, vehement wider­sprachen. Der Streit um die Arbeit des Wohnungsamtes spitzte sich in den Jahren von 1924 bis 1926 immer weiter zu. Auf Grund eines öffentlichen Briefes, in dem der Di­rektor des Wohnungsamtes, Dr. Gresser, der Wohnungsschieberei bezichtigt wurde, veranlasste die Staatsanwaltschaft 1925 seine Festnahme und leitete wei­tergehende Untersuchungen ein.154 Doch wie die Untersuchungen des Dr. Tietz verliefen auch die Ermittlungen gegen Dr. Gresser im Sande und mussten mangels eindeutiger Beweise eingestellt werden; allein ein Tadel wurde ihm gegenüber ausgesprochen. Auch dieses Untersuchungsergebnis bedeutete keineswegs, dass das Wohnungsamt nicht in die korrupte Vergabe von Wohnungen verwickelt war, da vier niedere Beamte den Zeu152 Zu der Auseinandersetzung siehe auch ebd., S. 222–227. 153 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 6.7.1922 (FMA T796 Bd.5a). 154 Zum Fall Gresser siehe die Dokumentation in den Akten des Wohnungsamtes (FWohA 733).

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geneid verweigerten. Verurteilt wurden nach dem Verfahren schließlich zwei Stadtsekretäre wegen Schiebertätigkeit und Amts­unterschlagung, worüber sich die ‚Arbeiter Zeitung‘ lautstark empörte. Denn für sie war klar, dass hier die Köpfe der „Kleinen“ rollen mussten, während man die „Großen“ nur rügte.155 Die Stadtverordneten nutzten die Spekulationen um die Korruption des Woh­ nungsamtes zum einen, um sich gegen den politischen Gegner zu empören. Zum anderen konnten sie sich immer wieder für einzelne Wähler engagieren, die in Streit mit dem Amt geraten waren, natürlich stets unter dem Vorwand, Gerechtig­keit zu schaffen, wo das Wohnungsamt versagt habe. Der omnipräsente Korrup­tionsverdacht gegen das städtische Amt gab ihnen hierbei ausreichend Beweg­gründe an die Hand, beim Amt zu „interpellieren“. „Die Zuschrift des Herrn Vogler gibt uns aber Anlass dem Magistrat zu be­richten, dass das Eingreifen einzelner Stadtverordneter in den Geschäfts­gang des Wohnungsamtes und die das Mass des Zulässigen häufig überschrei­tenden Beeinflussungsversuche derart überhand nehmen, dass es dringend wünschenswert erscheint, den Herren Stadtverordneten durch eine Mitteilung die Grenzen ihrer Befugnisse ins Gedächtnis rufen zu lassen“156,

beschwerte sich am 17.8.1925 der Stadtrat Franck von der Magistrats Deputation für das Wohnungswesen beim Magistrat. Franck bezog sich bei seiner Be­schwerde auf ein Schreiben des Stadtverordneten Nikolaus Vogler von der Deut­schen Wirtschaftspartei, der angedroht hatte, gegen den „widerrechtlichen Ein­zug“ in eine Wohnung durch einen gewissen Peter Wilhelm Treinen Strafanzeige zu stellen. Solche Beschwerden gegen widerrechtlichen Einzug in eine Wohnung kamen nicht von ungefähr, da die meisten Vermieter entgegen den Vorgaben der Wohnungszwangswirtschaft lieber selbst ihre Untermieter aussuchen wollten, als auf eine Zuweisung vom Amt zu warten. Denn hierbei befürchteten diese vor allem die Zuweisung von armen und kinderreichen Arbeiterfamilien, weshalb sie lieber das Risiko einer Strafzahlung eingingen, als den Vorgaben des Amtes zu folgen.157

155 Arbeiter Zeitung vom 19.8.1926, Nr. 192. 156 Magistrats Deputation für das Wohnungswesen an den Magistrat vom 17.8.1925 (FMA T796 Bd.5a). 157 ���������������������������������������������������������������������������������������� Über einen solchen Fall berichtete beispielsweise am 18.1.1923 das Stadtblatt der Frankfurter Zeitung. Das Problem wird aber auch an den besorgten Briefen des Stadtrates Zielowski deut­lich, als gegen Ende seiner Amtszeit im Jahr 1926 den Vermietern immer mehr Freiraum in der Auswahl ihrer Mieter eingeräumt wurde, was deutlich zu Lasten besonders armer Familien ging. Vgl. dazu das Schreiben von Stadtrat Zielowski vom 12.5.1926 (FWohA 691, Bl. 39).

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„Der derzeitige Leiter des Wohnungsamtes ist in den viereinhalb Monaten sei­ner gegenwärtigen Tätigkeit von mindestens einem Dutzend Stadtverord­neter, zum Teil wiederholt, telefonisch oder mündlich in Sachen einzelner Wohnungsuchender interpelliert worden“158,

fuhr der Stadtrat Franck in seiner Beschwerdeschrift an den Magistrat fort. Insbe­ sondere der kommunistische Stadtverordnete Lang, der Zentrums-Abgeordnete Nelles und die Abgeordnete Dr. Schultz von der Demokratischen Partei scheinen sich besonders häufig und penetrant in einzelnen Angelegenheiten an das Woh­nungsamt gewendet zu haben. Die Wohnungssuchenden selbst wurden sich dieser Unterstützung durch einzelne Stadtverordnete schnell bewusst und beriefen sich bei ihren Beschwerden immer wieder gezielt auf diese. „Es vergeht kaum ein Tag“, hielt die Magistrats-Deputa­tion für das Wohnungswesen in einem Schreiben fest, „an dem nicht Zuschriften an das Wohnungsamt gelangen, in denen bei Nichterfüllung der geäusserten Wün­sche mit einer Beschwerde bei diesem oder jenem Stadtverordneten gedroht wird.“159 Darüber hinaus sprachen auch andere städtische Beamte, die sich für einen Termin beim Wohnungsamt angemeldet hatten, immer wieder in Angelegen­heiten für „gute Bekannte“ vor, ohne diese Absicht bei iher Anmeldung angegeben zu haben. Denn die städtischen Beamten bekamen bei solchen Amtsgängen meist Sondertermine außerhalb der regulären Sprechzeiten zugewiesen, um sie so nicht zu lange dem „städtischen Dienst“ zu entziehen. Um den eigenwilligen Einmischun­gen der Stadtverordneten entgegen zu wirken, erließ der 1924 zum Oberbürgermeister gewählte Ludwig Landmann am 17.9.1925 eine Verfügung, die solche „Interpelationen“ untersagte. Für diese Anordnung scheinen sich die Stadtverordneten jedoch augenscheinlich nur wenig interessiert zu haben. Denn knapp fünf Monate später wandte sich die MagistratsDeputation für das Woh­nungswesen erneut an den Magistrat, und diesmal direkt an Oberbürgermeister Landmann. Die Stadtverordneten begründeten ihren Wunsch, sich in die Angelegen­heiten des Wohnungsamtes direkt einmischen zu wollen, zum einen damit, „daß die Bürgerschaft es nun einmal erwartete“ und zum anderen, „daß es ja nun schon so lange mit ihrer Mitarbeit gegangen sei, und daß nicht jeder Dezernentenwechsel zu einem Systemwechsel führen könne.“160 Der Mitte der 1920er Jahre einsetzende Abbau des Wohnungsamtes und die Locke­rung der Wohnungszwangswirtschaft, der insbesondere von Ludwig Landmann voran getrieben wurde, bereitete vor allem auch dem Sozialdemokra­ten Zielowski er158 Magistrats Deputation für das Wohnungswesen an den Magistrat vom 17.8.1925 (FMA T796 Bd.5a). 159 Ebd. 160 Deputation für das Wohnungswesen an Oberbürgermeister vom 23.2.1926 (FMA T796 Bd. 6, Bl. 6).

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hebliche Sorgen. Denn der Abbau des Amtes bedeutete keines­wegs, dass der Wohnungsnotstand auch nur ansatzweise überwunden wor­den war. Die offizielle Zahl der Wohnungssuchenden stieg zwischen 1920 und 1926 von 19 416 auf 31 509, wobei sich die Zahl der als „dringend“ eingestuften Fälle von 13 981 auf 14 675 erhöhte.161 „Es liegt auf der Hand“, schrieb am 12.5.1926 Stadt­rat Zielowski zur anstehenden Lockerung der Wohnungszwangswirt­schaft, „dass jeder Hauseigentümer aus den acht Bewerbern sich lediglich denjeni­gen aussuchen wird, der ihm nach allen Richtungen hin finanziell und mora­lisch als am vertrauenswürdigsten erscheint. Infolgedessen werden alle die Elemente, die wirtschaftlich hilfsbedürftig sind oder die sich irgend etwas ha­ben zu Schulden kommen lassen, zu dauernder Wohnungslosigkeit verur­teilt werden sein, und es wird schliesslich ein Rückstand von Wohnungs­suchenden dieser Art verbleiben, für die allein die Stadtgemeinde als Haus­herr in Frage kommen kann.“162

Mit dieser Einschätzung sollte Stadtrat Zielowski Recht behalten. Denn die Neubau­ projekte Ernst Mays boten vor allem Mietern mit einem mittleren Einkom­men neuen Wohnraum und auch diese konnten nur in einem sehr begrenzten Maße fertig gestellt werden. „Die Wohnungsfrage wird immer mehr zu einer Mietpreis­frage“, schrieb am 6.9.1928 das Wohnungsamt an den Oberbürgermeister, als eine erneute Kürzung des Personals auf dem Wohnungsamt drohte. „Solange es nicht möglich ist, Neubauwohnungen zu Mietpreisen abzuge­ben, die für das Gros der Wohnungssuchenden erschwinglich sind, solange wird beachtliche Abhilfe durch Neubautätigkeit nicht geschaffen. Die meis­ten der in Neubauwohnungen Unterkommenden haben zwar – rein subjektiv betrachtet – auch Wohnungsnot, sie gehören aber nicht zu den wirklich und im ureigentlichen Sinn dringlichen Wohnungssuchenden, deren Not zum Himmel schreit und deren Unterbringung aus wohnungspflegerischen, sozia­len, hygienischen und sittlichen Gründen geboten ist. Diese in solchem Sinne wirklich dringenden Fälle kommen in der weitaus grössten Mehrzahl nicht in Neubauwohnungen unter, sondern werden aufgrund des jetzt gelten­den Systems vom Wohnungsamt in Altbauwohnungen untergebracht, und ihre Unterbringung in den nach Sachlage einzig für sie in Betracht kommen­den Altwohnungen ist weiterhin nur möglich, wenn dieses System der Verge­bung von Mittel- und Kleinwohnungen beibehalten wird.”163

161 Vgl. dazu die Vierteljahresberichte über den Stand des Wohnungsmarktes in Frankfurt am Main (FMA T815 Bd. 1). 162 Schreiben des Stadtrates Zielowski vom 12.5.1926 (FWohA 691, Bl. 39). 163 Wohnungsamt an Oberbürgermeister vom 6.9.1928 (FMA T817 Bd. 2).

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Dem Frankfurter Wohnungsamt drohte zu dieser Zeit eine Kürzung der Mitarbei­ ter von 64 auf 15 Personen, bei einer Einwohnerzahl von ca. 500 000 und 25 000 Wohnungssuchenden. In Leipzig kamen unterdessen 104 Mitarbeiter des Woh­ nungsamtes auf 20  000 Wohnungssuchende und einer Einwohnerzahl von knapp 700 000.164 Auf Grund dieser Situation warnte auch das Wohnungsamt vor einer weiteren Lo­ckerung der Wohnungszwangswirtschaft, weil es dann kaum noch Hoffnung hatte, insbesondere kinderreiche Arbeiterfamilien in hygienische und den Umständen angemessene Wohnungen zu vermitteln.165 Tatsächlich entwickelten sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre die Wohnsituation der ärmsten Bevölkerungs­gruppen besonders katastrophal und Barackensiedlungen, die ursprünglich als Übergangslösung für solche Familien gedacht waren, wurden mangels Alternati­ven zu dauerhaften Behausungen tausender Frankfurter. Auch das Stadtgesundheits­amt wies im April 1929 auf die fatale Entwicklung der Wohnungsmarktpolitk hin: „Die Häufung wirtschaftlich schwächster Familien auf engem Raum hat in der Vergangenheit zu schweren Unzuträglichkeiten geführt, so dass es dringend geboten erscheint, nun endlich den ursprünglich beabsichtigten Zweck der Obdachlosenwohnungen rein herauszuarbeiten.“ Die Räumung müsse „umsomehr gefordert werden, als bei den seither gebauten und für die wirt­schaftlich schwächsten Bevölkerungsschichten zu teuren Wohnungen diesen Personengruppen jede Selbsthilfe unmöglich war. Schlägereien, Mietzahlver­weigerung sind in den ObdachlosenKolonien beinahe täglich zu beobachtende Erscheinungen, da die sozial-feindliche Mentalität einer An­zahl von asozialen Familien im Kreis der minderbemittelsten Familien, wie sie die Obdachlosen-Kolonien beherbergen, naturgemäss ansteckend wir­ken muss. Nur durch Weiterleitung der obdachlosen Familien in reguläre Wohnungen kann hier wirksame Abhilfe geleistet werden.“166

Während also in Frankfurt diejenigen an der Macht saßen, die Reformen durchfüh­ ren wollten und konnten, dabei aber deutlich an die Grenzen der Realisier­barkeit sowohl „bürgerlicher“ Ideale, wie auch moderner Architektenuto­pien stießen, bemühten sich in Philadelphia Reformer wie Newman mit Nach­druck um die Einführung solcher Reformen gegen eine sich weitgehend durch Desinteresse und Reformresistenz auszeichnende politische Maschine. Mögli­cher­weise ersparte diese Reformresis164 Ebd. 165 Schreiben des Wohnungsamtes an den Oberbürgermeister vom 31.8.1928 (FMA T817 Bd. 2). 166 Stadtgesundheitsamt/Städtisches Fürsorgeamt an Magistrat vom 18.4.1929 (FMA T817 Bd. 2).

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tenz der städtischen Verwaltung Newman die gleiche Erfahrung, wie sie May und die liberale Stadtverwaltung in Frankfurt ma­chen mussten, aber zweifellos beflügelte sie das Engagement Newmans im Auf­bau eines umfassenden Netzwerkes, um seine Ideen voran zu bringen.

3.3

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Während es in den vorhergehenden Abschnitten vor allem um Strategien, Prakti­ken und Problemfelder der sozialen Fürsorge und der Wohnungsfürsorge ging, wende ich mich nun exemplarischen Formen der Beteiligung der urbanen Bevöl­kerung an den lokalen Machtstrukturen zu. Zentrales Mittel von Städtern, sich in die Kontrolle des städtischen Raumes und hierbei insbesondere ihrer unmittelba­ren Nachbarschaft einzubringen, war das Verfassen von Beschwerde- oder Denun­ziationsbriefen, die zum einen an städtische Institutionen, zum anderen aber auch an die Tagespresse geschickt wurden. Welche unterschiedlichen Formen diese Briefe in Frankfurt und Philadelphia annahmen, soll in einem ersten Schritt erör­tert werden (3.3.1), um anschließend die Perspektive auf die Formen der Beteili­g ung anhand zweier Fallbeispiele zu erweitern: Als erstes mit Blick auf Philadelphia und die dort um Anerkennung und um Teilhabe ringende black middle-class (3.3.2), als zweites mit Blick auf Frankfurt, und den dort von der Bevölkerung ausgeübten Druck auf die städtische Verwaltung, die in der Stadt lebenden ‚Zigeuner‘ aus dem städtischen Raum auszuschließen (3.3.3). Auch wenn diese ganz unterschiedlichen Beispiele nichts miteinander zu tun haben, gewähren sie uns in ihrer Eigenart Einblicke in die jeweiligen städtischen Struktu­ren und die dortigen Grenzen und Möglichkeiten, sich an etablierten Ordnungs­systemen zu beteiligen. Denn in Philadelphia sah sich die schwarze Mittelklasse in Folge einer zunehmenden rassistischen Diskriminierung mehr und mehr aus der weißen Gesellschaft ausgeschlossen, wurde aber zur gleichen Zeit auch nicht von den Zuwanderern aus dem Süden als politische Führungsgruppe anerkannt. Für diese black middle-class war das Ringen mit der politischen Maschine um die Meinungsführerschaft in einer herbeigesehnten black community ein Ringen um gesellschaftliche Beteiligung, um die Findung eines neuen Platzes in der städti­schen Gesellschaft. Am Beispiel der Exklusion der in Frankfurt am Main lebenden ‚Zigeuner‘, zeigt sich dagegen, welche zentrale Rolle die städtische Bevölkerung selbst in der Ausübung von Macht durch die städtische Verwaltung spielen konnte, und dies in einer Stadt, die sich selbst eigentlich als besonders liberal verstand.

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3.3.1 „My Dear Mr. Mayor“ “Honorable, Mr. Hampton Moore, Mayor of City Philadelphia. […] I want to bring attention to the effect that my husband spends mostly of his money on whiskey in a speakeasy runed [sic] by Sam Hitchen 5233 Girard Avenue 2nd floor apartment. If an investigator would go Saturday afternoon […] he would find evidence enough in wine, Beer, + whiskey wholesale in proof. […] I have four children + am compelled to bring it to a stop.”167

Mit diesen Worten beschuldigte im Jahr 1922 „a worrying wife + mother“ einen ihrer Nachbarn, illegal Alkohol zu verkaufen. Folge solcher und ähnlicher Briefe an J. Hampton Moore war meist, dass Moore Polizisten der von der city hall aus kontrollierten detective division zu den Beschuldigten entsandte, um den Anschul­digungen auf den Grund zu gehen. Nicht immer konnten die Detectives vor Ort Hinweise auf Prostitution, Glücksspiel oder den Verkauf von Alkohol fin­den, der seit der Einführung der Prohibition im Jahr 1920 weitgehend für illegal erklärt worden war.168 Auch befragte Nachbarn der Beschuldigten verweigerten entweder die Aussage oder gaben an, dass es sich bei den in Frage stehenden Perso­nen um anständige Leute von gutem Ruf handele.169 Ob diese Beschuldigungen nun zu Unrecht erfolgt waren, die Nachbarn sich aus Solidarität gegenseitig oder aber die Polizisten selbst die Beschuldigten deckten, kann aus den Quellen nicht mehr herausgelesen werden. In den privaten Akten von J. Hampton Moore finden sich hunderte solcher Briefe, die ihm meist anonym zugestellt worden waren und dezidiert den Zweck verfolgten, einem Nachbarn eine polizeiliche Razzia zu bescheren. Die meisten Briefe kamen aus einem der zentralen städtischen Distrikte, wurden von ungeübter Hand geschrieben und/oder weisen gravierende sprachliche Mängel auf. Bürgermeister Moore befand sich in seiner ersten Amtszeit als Bürgermeister Philadelphias mitten in einem ‚political war‘, den er gegen die ward leader der republikanischen Maschine um die Brüder Edwin und William S. Vare führte. Denn Moore hatte sich als Kandidat der Fraktion um den Senatoren Boies Penrose mit einer breiten Unterstützung städti­scher Reformgruppen gegen die Vare-machine, die im Begriff war, ihre Macht von South Philadelphia aus über den gesamten städtischen Raum auszuweiten, durchge­setzt.170 Wie die Reformgruppen 167 Beschwerde Nr. 143 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 8). 168 ������������������������������������������������������������������������������������ Zur Prohibtion in den USA vgl. beispielsweise Michael A. Lerner, Dry Manhattan. Prohibition in New York City, Cambridge 2007. 169 So zum Beispiel im Report zur Beschwerde Nr. 168 vom 18.7.1922 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 7). 170 Grundlegend zu Moores erster Amtszeit als Bürgermeister siehe Robert Edward Drayer, J. Hampton Moore. An Old Fashioned Republican (= Univ. Dis), Philadelphia 1961

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jedoch recht schnell feststellen mussten, war Moore nicht der Reformpolitiker, den sie sich erhofft hatten, auch wenn er sich als solcher inszenierte. Moore war durch und durch ein political professional und sein Vorgehen in den zentralen Distrikten Philadelphias zielte vor allem auf die Machtbasis seiner politischen Konkurrenz im Stadtrat, nicht, um dauerhaft etwas an den Strukturen zu ändern, sondern vielmehr, um sich seine eigene Macht­position zu sichern. Sein einflussreichster Gegenspieler war hierbei Charles B. Hall, der nicht nur Meinungsführer im Stadtrat, sondern auch ward leader im siebten Bezirk der Stadt war. Für die Auseinandersetzung sammelte Moore akri­bisch Informationen aus den Stadtteilen, in denen die ward leader der Vare-Frak­tion ihre größte Machtbasis hatten, und diese lag vor allem in den immigranten­starken Distrikten South Philadelphias. Dass Mayor Moore eifrig Informationen über die Vare-machine und insbesondere über das System rund um Charles B. Hall sammelte, war den Bewohnern der betrof­ fenen Stadtteile nur allzu bekannt. Denn zum einen war es Teil der geradezu schon traditionellen Selbstinszenierung neuer Bürgermeister, öffentlich anzukündi­gen, die Stadt ‚aufräumen‘ zu wollen, was sich unmissverständlich auf die korrupten Strukturen der politischen Maschine und insbesondere auf die politi­sche Kontrolle der städtischen Polizei bezog. Zum anderen merkten die Be­wohner der ärmeren Stadtteile, in denen viele ihren Unterhalt mit dem Verkauf illegal gebrannten Alkohols verdienten, recht schnell, wer sein Geschäft behalten durfte und wer nicht. Innerparteiliche Auseinandersetzungen bekamen die Bewoh­ner dieser Stadtteile, in denen die politische Maschine einen wichtigen Teil des täglichen Lebens darstellte, wesentlich direkter zu spüren, als in den Stadtteilen, in die sich die Mittel- und Oberschicht zurückgezogen hatte und in denen die An­wohner zur Sicherung ihrer Existenz auch nicht auf die Dienstleistungen der politi­schen Maschine angewiesen waren. In ihren Schreiben nahmen so die Be­schwerdeführer immer wieder Bezug auf die öffentlichen Ankündigungen Moores, nun endgültig mit den korrupten Strukturen der politischen Maschine aufräumen zu wollen. „I was so glad to read in our daily paper you were determined to clean up every district in the City“, schrieb so auch ein „business man“ aus dem 15. Distrikt der Stadt. „I hope you will not forget the 15th. District the one Judge Brown is sole Ruler.“171 In Philadelphia hatte sich das Schreiben denunzierender Briefe spätestens in den 1920er Jahren als eine derart gängige Praxis durchgesetzt172, dass sich manche Beschul­ und Arthur P. Dudden, The City Embraces „Normalcy“. 1919–1929, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 566–600. 171 Beschwerde Nr. 147 vom 17.7.1922 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 7). 172 Auf Grund fehlender Untersuchungen zum Zeitraum vorher, kann hier keine genauere Aussage zur historischen Entstehung dieser Praxis getroffen werden. Zu vermuten wäre, dass sie mit der in den 1880er Jahren erstarkenden progressive movement an Bedeutung

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digten kaum überrascht zeigten, wenn plötzlich Polizisten vor ihrer Haus­tür standen. So verdächtigte die denunzierte Mrs. Lois Perkins gleich ihren Ex-Mann, Frank Hall Perkins, den anonymen Brief an den Bürgermeister gesandt zu haben. Dieser sei nach Aussage von Mrs. Perkins und ihrer Tochter „a professio­nal letter writer as they have known him to write anonymous letters about them, he has also threatened to drive them both out of the neighborhood.“173 In den Frankfurter Quellen werden solche denunzierenden Schreiben, wie sie J. Hampton Moore zu hunderten erreichten, normalerweise als „Beschwerden“ bezeichnet. Auch hier hatte sich die Denunziation von Nachbarn zu einer weit verbreiteten Praxis und gängigen Form der Beteiligung an den Kontrollsystemen der Stadt etab­liert, auch wenn die Adressaten diese weitaus kritischer zur Kenntnis nahmen, als Bürgermeister Moore. Denn dieser ließ vor allem auch auf Grund seiner Unge­wissheit, wem er in dem politischen Apparat der Stadt vertrauen konnte, fast jede Anzeige durch die detective division untersuchen, und war sie noch so unglaubwür­dig formuliert. „My Dear Mr Mayor!“ hatte so zum Beispiel der Denun­ziant von Miss Perkins an Moore geschrieben, “From the late Results we can see that you are very much interested in cleaning out the City of Phila. and getting rid of all sorts of Gambling and disorderly houses. It is very nice of you indeed but why dont the police raid 138 also 140s, 11th street?”174

Frankfurter Institutionen, wie die städtische Polizei, das Wohlfahrts- oder das Woh­ nungsamt, bei denen die meisten solcher Beschwerden über Nachbarn eingin­gen, brandmarkten Beschwerdeführer dagegen häufig als „Querulanten“. Damit hat­ten sie auch eine wirkungsvolle Begründung zur Hand, solche Anzeigen nicht ernst nehmen zu müssen, vor allem dann nicht, wenn sie selbst über solche Be­schwerden in den Fokus der Kritik gerieten.175 Denn in Philadelphia wie in Frankfurt bezogen sich gewonnen hat, da mit dieser zunehmend Politiker auftraten, die grundlegende Reformen am bestehenden politischen System der machine versprachen. 173 Bericht zu Beschwerde Nr. 18 vom 20.6.1922 (HSP, Col. 1541, Box 221, F. 9). 174 Beschwerde Nr. 18 (HSP, Col. 1541, Box 221, F. 9). 175 Das Schreiben von Briefen an die städtische Obrigkeit hatte sich in Philadelphia wie auch in Frankfurt zu einer festen Form der Beteiligung von Anwohnern an den Kontrollsystemen der Stadt etabliert. Der Definition von Sheila Fitzpatrick und Robert Gellately zu Folge waren sol­che Beschuldigungen „to the state or to another authotity such as the church“ (Fitzpatrick/Gellately) Denunziationen in Reinform. Doch dem Begriff der „Denunziation“ haf­tet, wie Achim Landwehr treffend formuliert hat, ein „sehr unangenehmer Beigeschmack“ an und rückt die Beschwerdeführer in ein äußerst negatives Licht. Da sich hinter den Beschwer­den jedoch häufig auch Sorgen um die eigene und um die Existenz der Familie verbar­gen, wird diese negative Konnotation dem tatsächlichen Motivationsgrund kaum ge­recht. Wenn der Begriff daher hier zur Anwendung kommt,

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zahlreiche der denunzierenden und/oder beschwerde­füh­ren­den Schreiben zugleich auch auf eine städtische Behörde, die die angezeigten Zustände angeblich ignorierte oder sogar förderte. Der zentrale Unterschied im Schreiben solcher Briefe bestand in Frankfurt und Philadelphia darin, dass die in Frankfurt überlieferten Briefe fast alle namentlich unterzeichnet waren, während ein Großteil der Schreiben in Philadelphia anonym eingesandt wurde. „Man kann sich des Empfindens nicht erwehren“, hielt so bei­ spielsweise das Frankfurter Wohlfahrtsamt in einem internen Bericht zu einer Be­ schwerde fest, „dass der Schreiber dieses Briefes ein gleichartig grosser Querulant zu sein scheint, was sich noch dadurch bestätigt, dass er nicht einmal seinen vol­len Namen unter den Brief setzt.“176 In Philadelphia trauten sich die Beschwerdefüh­rer dagegen meist nicht, ihren Namen zu nennen, entweder, so steht zu vermuten, weil ihre Anschuldigungen nicht der Wahrheit entsprachen, oder aber, weil sie Racheakte aus dem Kreis der denunzierten Personen fürchte­ten. Viele unterzeichneten ihren Brief stattdessen mit deskriptiven Bezeichnungen ihrer angeblichen Person, wie „a Poor Woman“177 oder „a Booster for Cleaner Phila“178. „I would sign my name to this letter, but I am afraid for the gang they would kill me“ schloss so beispielsweise der Brief von „a Neighbor“, dem vermeint­lichen Ex-Mann von Miss Perkins.179 Die Angst vor Racheakten der „Gang“ war nicht nur eine praktische Ausrede, um seinen richtigen Namen nicht nennen zu müssen, sondern war vor allem auch eine durchaus berechtigte Sorge. Denn weite Teile des Polizeiapparates, bis hin zu den Direktoren

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dann ohne diesen negativen „Beigeschmack“. Vgl. Sheila Fitzpatrick u. Robert Gellately, Introduction to the Practices of Denunciation in Modern European History, in: The Journal of Modern History 68. 1996, S. 747–767, hier S. 747 und Achim Landwehr, „… das ein nachbar uff den andern heimblich achtung gebe.“‚Denunciatio‘, Rüge und ‚gute Policey‘ im frühneuzeitlichen Württemberg, in: Friso Ross u. Achim Landwehr (Hg.), Denunziation und Justiz. Historische Dimensionen eines sozialen Phänomens, Tübingen 2000, S. 25–54, hier S. 25. Dem Anliegen einer Vielseitigen Be­trachtung der Denunziation als Form der Machtbeteiligung widmete sich unter anderem das Graduiertenkolleg „Europäische antike und mittelalterliche Rechtsgeschichte, neuzeitliche Rechtsgeschichte und juristische Zeitgeschichte“ mit einer Tagung im Juli 1998, dessen Bei­träge uns in dem Sammelband „Denunziation und Justiz“ vorliegen. Siehe Friso Ross u. Achim Landwehr (Hg.), Denunziation und Justiz. Historische Dimensionen eines sozialen Phänomens, Tübingen 2000. Bericht zur Sache vom 2.8.1927 (FWA 189, Bl. 2). Zwar kann hieraus nicht geschlossen wer­den, dass in Frankfurt anonyme Briefe nicht existent waren, was sogar anzuzweifeln wäre, doch deutet die Quellenlage deutlich darauf hin, dass nur unterzeichneten Beschwerden auch von Amts wegen nachgegangen wurde. Beschwerde Nr. 131 vom 5.7.1922 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 8). Beschwerde Nr. 158 vom 7.7.1922 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 8). Beschwerde Nr. 18 (HSP, Col. 1541, Box 221, F. 9)

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des Departments of Public Safety, waren selbst an illegalen Geschäften rund um den Verkauf von Alkohol, Glücksspiel oder Prostitution beteiligt, so dass sich die Denunzianten in den Slum­distrikten der Stadt kaum auf den Rückhalt von Seiten der lokalen Polizis­ten stützen konnten. Sie mussten vielmehr befürchten, dass die Polizisten selbst Teil der „Gang“ waren. Dem Beschwerdebrief des „business man“ aus dem 15. Distrikt der Stadt zu Folge, war so auch der „sole Ruler“ Judge Brown direkt an der Unterhaltung illegaler Saloons beteiligt. „His influence over the Police causes these conditions to exist here“, heißt es in seiner Beschwerdeschrift. „On 15th st. between Wood and Carlton Streets four Speak-Easys are running day and night and Sundays included, […] the police are aware of this but are told by their Lieutenants ‚Hands off ‘ and attend to their own business.“180 Diese Verwicklung der lokalen Polizisten in die Unterhaltung illegaler Etablissements war ein offenes Geheimnis und jeder, der mit offenen Augen durch die Slumdistrikte ging, konnte selbst Zeuge werden, wie Polizisten gemeinsam mit den Anwohnern in den Sa­loons Alkohol konsumierten oder aber diesen Konsum stillschweigend beobachte­ten. Im Falle des Judge Brown-Briefes zumindest scheinen die Beschuldigungen gegenüber den denunzierten illegalen Saloons zutreffend gewesen zu sein, dies zumindest stellten die Polizisten nach eingehender Untersuchung fest, auch wenn die unmittelbaren Anwohner eine Auskunft ihnen gegenüber verweigerten.181 Doch Mayor Moore hatte kaum eine andere Wahl als solchen anonymen Beschul­ di­g ungen nachzugehen, da er sich auf Grund der korrupten Strukturen der politischen Maschine, die die städtischen Machtstrukturen auf nahezu allen Ebe­nen durchdrungen hatte, kaum auf jemanden im städtischen Verwaltungsapparat verlassen konnte. Gerade diese Unsicherheit der Macht, die charakteristisch für die ‚bossridden cities‘ der USA war, bot den Anwohnern die Möglichkeit, aus lauteren und unlauteren Gründen einen Nachbarn zu denunzieren. „In reference to attached letter of complaint, would state that we searched these premises and no signs of any liquor or apparatus for the making of same could be found“, hielten so auch die detectives Edward Garr und James Clegg nach einer erfolglosen Durch­suchung einer beschuldigten Einrichtung in ihrem Bericht fest und kamen zu dem Schluss: „This complaint is based on business competition and jealousy through other stire keepers in the same vicinity.“182 Solche scheinbar unlauteren Beschuldigungen gab es durchaus auch in Frankfurt. So stellte zum Beispiel der Vermieter einer kleinen Mansardenwohnung, Herr Sommer, der in Streit mit sei­nem Untermieter Friedrich Wiechmann geraten war, sowohl bei den lokalen Händ­lern dessen Kreditwürdigkeit in Frage, als auch dessen allgemeine Vertrauens­würdigkeit bei den zuständigen Sozialbehörden. 180 Beschwerde Nr. 147 vom 17.7.1922 (HSP, Col. 1541, Box 220, F. 7). 181 Ebd. 182 Bericht zu Beschwerde Nr. 249 vom 22.8.1922 (HSP, Col. 1541, Box 221, F. 1).

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Dies hatte dann auch tatsächlich zur Konsequenz, dass die Händler Wiechmann den Verkauf von Waren auf Kredit versagten. Auch beim Wohlfahrtsamt scheint der Ruf der Wiechmanns deutlich lädiert gewesen zu sein. So bemerkte Frau Wiechmann gegenüber einem Beamten des Jugendamtes, der sie in ihrer finanziellen Not an das Wohlfahrtsamt verwiesen hatte: „Ach, beim Wohlfahrtsamt brauche ich nicht vorzusprechen, da bin ich von Frau Sommer schlecht gemacht worden!“183 Zwar kam es in der städti­schen Verwaltung und in den Reihen der Polizei von Frankfurt am Main auch hin und wieder zu Korruptionsfällen und die Kommunisten wurden auch nicht müde, der Stadtverwaltung zu jeder Gelegenheit bürgerlichen ‚Snobbismus‘ zu unterstellen184, doch dort war die Korruption im Gegensatz zu Philadelphia kein so inhärenter Bestandteil der städtischen Machtstrukturen. Dementsprechend scheint auch das Vertrauen der meisten Frankfurter Bürger in den Verwaltungsappa­rat wesentlich ausgeprägter gewesen zu sein als in Philadelphia. Hier bezog sich das mit den Denunziationsschreiben zum Ausdruck gebrachte Vertrauen, dass der Autor in den Adressaten legte, dezidiert auf einen leader, in den hier untersuchten Fällen vor allem auf J. Hampton Moore, und nicht auf sei­nen Verwaltungsapparat, geschweige denn auf das polizeiliche System der Stadt. Doch auch dieses Vertrauen reichte meist nicht einmal so weit, dem Bürgermeister auch noch den eigenen Namen mitzuteilen. Wie bereits angedeutet, richteten sich die beschwerdeführenden Schreiben nicht immer nur gegen einen unliebsamen Nachbarn, sondern auch gegen einzelne Berei­ che des städtischen Verwaltungsapparates selbst. In Frankfurt war hierbei die meist letzte Instanz der außergerichtlichen Beschwerdeführung der Regierungspräsi­dent in Wiesbaden, der sich tatsächlich immer wieder in einzelne Fälle einschaltete und versuchte, den Klagen auf den Grund zu gehen. So schrieb am 7.4.1921 die der Prostitution denunzierte Hermine Wienke an den Regierungs­präsidenten: „Seit ungefähr 8 Wochen werde ich fortgesetzt Tag und Nacht von der Krimi­nalpolizei belästigt und zwar auf eine Anzeige eines Mieters im glei­chen Hause namens Karl Dusch, einem gewalttätigen Menschen, den ich we­gen Körperverletzung, und Hausfriedensbruch anzeigen musste und der die Kriminalpolizei über meine Person falsch informirte [sic].“185

183 Aussage der Fürsorgerin Margarethe Maurer vom 6.3.1928 (FWA 1.408, Bl. 37). 184 So stand beispielsweise im Jahr 1914 der Polizeikommissar Schmidt unter Verdacht „von Bordell­besitzern unterhalten“ zu werden und diesen gegen Zahlung eines geringen Bestechungs­geldes „Begünstigungen“ gewährt zu haben. (Siehe dazu die Akte „Bestechung ei­nes Kriminalbeamten“ im HHStAW, Abt. 407, Nr. 972). 185 �������������������������������������������������������������������������� Hermine Wienke an den Regierungspräsidenten zu Wiesbaden vom 7.4.1921 (HHStAW, Abt. 405, Nr. 8957, Bl. 93).

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Der Regierungspräsident wandte sich auf dieses Schreiben hin direkt an die Poli­zei, um Aufklärung über den Sachverhalt zu bekommen. Die zuständige Polizei­dienststelle legte dann dem Regierungspräsidenten ausführlich dar, weshalb Frau Wienke unsittlichen Verhaltens verdächtigt wurde und stellte dabei zugleich ihre Redlichkeit und Glaubwürdigkeit in Frage. Sowohl in den Akten des Frankfurter Polizeipräsidiums, wie auch in den Akten des Frankfurter Magistrates und des Wohlfahrtsamtes, finden sich immer wieder Hinweise auf solche Schreiben aus der Bevölkerung, die den Regierungspräsidenten zur Intervention bewegt hatten. Das Schreiben der Hermine Wienke verdeutlicht anschaulich das Wechselspiel zwischen städtischen Institutionen und einzelnen Personen aus der Bevölkerung, die sich mit ihrer Denunziation in die Kontrolle des städtischen Raumes wirkungs­voll einbrachten. Ob solche Schreiben nun irgendwann juristische Konse­quenzen nach sich zogen, bleibt hierbei zweitrangig, da allein schon die Schädigung des Rufes durch eine solche Denunziation weitreichende Konsequen­zen für das Leben der denunzierten Personen in der Stadt haben konnte. Neben solchen persönlichen Beschwerdeführungen an eine städtische Institution nahm in Frankfurt am Main die Tagespresse einen besonderen Stellenwert ein, der so in Philadelphia nicht zu beobachten ist. In Frankfurt wurden die Tageszeitun­ gen immer wieder dazu benutzt, in Leserbriefen allgemeine Bereiche des städti­schen Zusammenlebens zu thematisieren und hierbei insbesondere auf die Fähig­keit oder vielmehr Unfähigkeit städtischer Institutionen einzugehen, den ihnen übertragenen Aufgaben gerecht zu werden. Solche Leserbriefe sind zwar auch in der Tagespresse Philadelphias zu finden, doch während in den Tageszeitungen Philadelphias selten etwas über die Reaktionen der kritisierten Institutionen zu erfahren ist, etablierte sich in Frankfurt eine lebhafte Diskussionskultur, in der die kritisierten Einrichtungen direkt auf Vorwürfe reagierten und öffentliche Antwor­ten verfassten. So machte am 8.4.1923 ein Leser des ‚Stadtblattes‘ auf die „Radlerplage“ in der Frankfurter Innenstadt aufmerksam, ein Problem, dem man unweigerlich ausgesetzt war, wenn man sich morgens zu Fuß, mit dem Auto oder einer Kutsche durch eben diese bewegte. „Diese Frage bedarf einer öffentlichen Aufklärung und ich möchte die Redaktion des ‚Stadtblattes‘ bitten, sich ihrer anzu­nehmen“, schrieb so der Leser „L.S.“: „Ganz entschieden weiß auch die Polizei nicht Bescheid, wie sie den Rad­verkehr zu dirigieren hat und welche Vorschriften für ihn gelten. Die Polizei­behörde sollte wohl also darauf hingewiesen werden, ihr Verkehrs-Reglement in dieser Hinsicht einer Prüfung zu unterziehen.“186

186 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 8.4.1923, S. 2.

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Zwei Wochen später veröffentlichte das ‚Stadtblatt‘ die Reaktion des Polizeipräsidi­ ums zu diesem öffentlichen Vorwurf, in dem dieses auf den 8. Paragraphen der Polizeiverordnung des Regierungspräsidenten Cassel vom 2.  Juli  1908 verwies, in dem genau das Verhalten der Radfahrer geregelt sei. „Im übrigen wird dem Publikum empfohlen“, schloss das Präsidium seine Antwort, die zugleich auf die Disziplinierung der Fußgänger abzielte, „vorzugsweise den Bürgersteig für den Verkehr zu Fuß zu benutzen und not­wendige Überquerungen des Fahrdammes möglichst rechtwinkelig zum Fahr­damm vorzunehmen. Durchaus verwerflich ist es jedenfalls, in verkehrs­reichen Straßen den Fahrdamm als Standplatz für private Unterhal­tungen auszuwählen.“187

Das ausgeprägt rücksichtslose Verhalten der zahlreichen Radfahrer scheint ein Frankfurter Spezifikum gewesen zu sein, zumindest kam es dem Briefschreiber L.S. so vor, der seine Frankfurter Erfahrungen mit denen im naheliegenden Darmstadt verglich, ähnlich wie die „bolzenden“ Fußballjungen, die insbesondere in Sachsenhausen „Leib und Leben“ der Passanten gefährdeten.188 Nicht immer antworteten die Polizei oder andere städtische Einrichtungen so öffentlich auf Vor­würfe, doch es ist überraschend, auf was sie alles reagierten. So veröffentlichte die Frankfurter ‚Volksstimme‘ am 22.6.1921 einen Artikel, in dem sie sich über das polizeiliche Verbot empörte, seine Bettwäsche an Fenstern, die einer Straße zuge­wandt waren, zu lüften.189 Fünf Tage später hatte die ‚Volksstimme‘ aus verschiede­nen Kreisen der Bevölkerung, auch von anderen städtischen Ämtern, Reaktionen auf den Artikel erhalten und veröffentlichte diese. Unter der Über­schrift „Aus Angestelltenkreisen des Wohnungsamtes wird uns geschrieben”, heißt es dort am 27.6.1921: „Die Notiz in der ‚Volksstimme‘, wonach die Polizeiorgane ganz rücksichts­los gegen all die ‚Verbrecherinnen‘ vorgehen, die in der Morgenstunde ihre Betten auf Fenstern und Balkonen sonnen, die nach der Straße gelegen, hat in unserem Amte nicht wenig Kopfschütteln verursacht. Man fragt sich, ob die Herren im Präsidium, die für solch scharfe Instruktionen die Verantwor­tung tragen, noch nie von einer Wohnungsnot und einem Wohnungselend ge­hört haben. Oder existiert am Hohenzollernplatz keine Wohnungsnot, weil sie nicht po-

187 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 22.4.1923, S. 2. 188 In den Akten der Frankfurter Straßenpolizei finden sich vorwiegend Delikte, die von fußball­spielenden Jungen oder zu rasant fahrenden Automobilisten begangen wurden. Vgl. die Akten der Straßenpolizei im HHStAW, Abt. 407 Nr. 608–611. 189 Volksstimme Nr. 143 vom 22.6.1921 (HHStAW, Abt. 407 Nr. 608–611, Akte 608, Bl. 74).

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lizeilich genehmigt, und sind nur wohnungslos, die von den nächt­lichen Streifpatrouillen am Hauptbahnhof oder in den Anlagen aufgegrif­fen werden? Fast scheint es so.“190

Auf diesen und weitere Artikel in verschiedenen Tageszeitungen hin scheint sich das Polizeipräsidium zur Sachlage beraten zu haben, denn am 15.7.1921 veröffent­lichte die ‚Volksstimme‘ eine Stellungnahme. So wolle die Polizei zwar grundlegend an der Verordnung festhalten, im Falle von Wohnungsnot jedoch von einer Bestrafung absehen. Ein Auslegen der Wäsche bis sieben Uhr würde von den beratenden Dezernenten in Erwägung gezogen werden.191 Dieser unterschiedliche Umgang mit öffentlicher Kritik in Frankfurt am Main und Philadelphia scheint vor allem durch zwei Sachverhalte bedingt zu sein: Zum ei­ nen war in Philadelphia weitgehend bekannt, dass die städtische Verwaltung „corrupt and conteded“ war, wie Lincoln Steffens Philadelphia in seiner großen Korruptionsreportage charakterisiert hat. Wenn Teile der städtischen Verwaltung öffentliche Antworten auf die stetig von muckrakern und Reformern meist recht harsch vorgetragene Kritik formulieren würden, hätten sie kaum noch Zeit, andere Arbeiten zu erledigen. In Frankfurt dagegen war es gängiges Narrativ, dass es sich bei der städtischen Verwaltung um einen professionell geführten Apparat handele. Kritik an einzelnen Bereichen bedeutete Kritik an dieser Professionalität, die je­doch eines der zentralen Rechtfertigungsargumente zur Ausübung ihrer Macht war. Machtausübung in Philadelphia war im Gegensatz zu Frankfurt nicht abhän­gig von Professionalität. Zum anderen war der offene Austausch zwischen Bevölke­rung und Verwaltung über die Medien in Frankfurt vor allem dadurch möglich, dass die Frankfurter Tagespresse wesentlich übersichtlicher war als die Philadelphias. Denn die meisten Frankfurter Zeitungen hatten selten mehr als fünf Seiten pro Ausgabe und waren meist recht eindeutig einer vor allem politisch defi­nierten Zielgruppe zuzuordnen, sowohl von ihrer Autoren- als auch von ihrer Leser­schaft. Die großen Tageszeitungen Philadelphias, wie der ‚Evening Bulletin‘, der ‚Philadelphia Inquirer‘ oder der ‚Public Ledger‘, umfassten dagegen mehr als 40 eng bedruckten Seiten, die allein auf Grund ihres Umfanges wesent­lich unübersichtlicher waren. Auch definierten sich deren Zielgruppe eher sozial und/ oder ethnisch, was nicht zuletzt auf den geringeren Politisierungsgrad der städtischen Bevölkerung zurückzuführen war. Dieser resultierte unter anderem aus der öffentlichen Distanzierung der Mittel- und Oberschicht von der als korrupt verrufenen städtischen Politik. Viele Journalisten in Philadelphia nahmen daher auch zwischen der politischen Front von Reformern und politischer Maschine eine andere Rolle ein, 190 Volksstimme Nr. 147 vom 27.6.1921 (HHStAW, Abt. 407 Nr. 608–611, Akte 608, Bl. 83). 191 Volksstimme Nr. 163 vom 15.7.1921 (HHStAW, Abt. 407 Nr. 608–611, Akte 608, Bl. 87).

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als es ihre Kollegen in der Frankfurter Tagespresse taten. Zeitun­gen wie der ‚Evening Bulletin‘ oder der ‚Philadelphia Inquirer‘ berichteten dement­sprechend sowohl über die Korruption der Polizei in den ‚Fängen‘ der politi­schen Maschine, brachten aber auch gleichermaßen recht unkritische Artikel über den von der Polizei angeführten „war on vice“, gleichwohl ohne den inhären­ten Widerspruch zu reflektieren oder zu kommentieren. Sie brachten reform-kriti­sche Kommentare von politischen Bossen genauso wie machine-kritische Aufrufe von Reformern. Viele Journalisten in Philadelphia repräsentierten damit eher ihre eigene journalistische Zunft, die weniger stark in politische Graben­kämpfe eingebunden war, als ihre Frankfurter Kollegen, deren parteipolitischer Hintergrund in der Berichterstattung weitaus deutlicher präsent war. Der geringere Umfang der Zeitungen in Frankfurt ermöglichte nun den unter­ schiedlichen politischen Fraktionen, sich einen raschen Überblick über die Meinung der eigenen Partei, aber auch über die ‚Propaganda‘ der politischen Geg­ner zu verschaffen. Diese Austauschkultur in der Frankfurter Bevölkerung führte insbesondere in der Stadtverordnetenversammlung immer wieder zu hitzigen Ausei­ nandersetzungen.192 Denn die stetige Anwesenheit von Reportern in den Sitzungen gab den Debatten einen kaum zu unterschätzenden öffentlichen Charak­ter, da sie bei kontroversen Themen immer wieder den direkten Weg auf die Titel­seiten der Tageszeitungen fanden, und dies oftmals nicht als Nacherzählung der Reporter, sondern als Abdruck der stenographisch erfassten und aufbereiteten Proto­kolle. Die Tageszeitungen nahmen hierbei nicht nur als Öffentlichkeits-Me­dium eine zentrale Rolle in den Debatten ein, sondern wurden von den Politikern mit in ihre Redebeiträge eingebunden. So wurden einzelne Zeitungsausgaben ei­nes politischen Gegners immer wieder während einer empörten Rede über die dort verbreitete Propaganda in den Reihen der Versammlung herumgereicht. Sarkas­tisch kommentierte der Stadtverordnete Rohde im Februar 1925 diese Praxis: „Es scheint ja jetzt Mode zu werden, hier Zeitungen zu verbreiten, ich bitte höflichst darum, daß das immer geschieht, dann 192 Gezielte Analysen der handlungspraktischen Auswirkung der Zeitungslektüre auf das Leben in der Stadt sind in der stadthistorischen Forschung immer noch selten. Peter Fritzsches Pionierstudie „Reading Berlin“ hat bedauerlicherweise noch zu wenige Nachfolger gefunden. Vgl. Peter Fritzsche, Reading Berlin 1900, Cambridge 1996. Dennoch gibt es gute Beispiele, wie der Blick auf den Zusammenhang von Medien und Praktiken im städtischen Le­ben auf ganz unterschiedliche Weise fruchtbar gemacht werden kann. Siehe dazu den Aufsatz von Karl Christian Führer, Stadtraum und Massenmedien. Medienstandorte als urbane zentrale Orte in Hamburg in der Zwischenkriegszeit, in: Clemens Zimmermann (Hg.), Zentralität und Raumgefüge der Großstädte im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 105–134 und die Arbeit von Philipp Müller, Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs, Frankfurt am Main 2005.

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braucht man nicht zu abonnieren.“193 Ob sich eine solche Einbindung der Zeitungen in die Diskussionen des city councils von Philadelphia auch entwickelt hat, kann auf Grund fehlender Quellen nicht beant­wortet werden, wobei eines sicher erscheint: In dem machine-dominierten Gre­mium hätte sie einen ganz anderen Stellenwert gehabt. Die öffentliche Kommunikation über die Tageszeitungen verlief in Philadelphia dagegen meist einseitig und öffentliche Antworten auf einen Leserbrief durch eine städtische Einrichtung kamen so gut wie gar nicht vor.194 Weitaus intensiver als in Frankfurt nutzten hier vor allem verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen die Tageszeitungen als eine Plattform, um netzwerkrelevante Informationen zu verbrei­ ten, zum Beispiel darüber, welche Persönlichkeit der ‚Gesellschaft‘ aus dem sommerlichen Landaufenthalt zurückgekehrt sei und welch köstliche Abend­gesellschaft diese oder jene Familie am Tage zuvor gegeben habe. In der weißen Tagespresse, wie dem ‚Philadelphia Inquirer‘ oder dem ‚Public Ledger‘, be­schränkte sich dieser Austausch vor allem auf die weiße Oberschicht Philadelphias und wie üblich hatten afroamerikanische Gesellschaftskreise keinen Zugang zu dieser Kommunikationsplattform, ganz unabhängig von ihrem sozialen Status. Diesen Ausschluss kompensierte die afroamerikanische ‚Philadelphia Tribune‘. Zentrale Austauschrubrik war die sogenannte „Bo-Peep“-Columne, die im Vergleich zu den weißen Pendants, in denen vor allem von gesellschaftlichen Ereignissen wie Verlobungen, Geburten und Hochzeiten berichtet wurde, einen ganz eigenen und wesentlich persönlicheren Charakter hatte. „Miss R.S. had a tall brown to put her on the 13th street car Saturday night. We will keep it quiet, girlie, but don’t let it happen again as Sulty might get wise“, hieß es so beispielsweise am 24.4.1920. “Miss J.C., you must not sleep so much. You are loosing out. Mr. G.R., of N., 43rd street, was seen Monday evening at the Dunbar with Miss A.G., of South 20th street“, lautete eine Anzeige vom 1.5. des gleichen Jahres.195 Die ‚Philadelphia Tribune‘ entwickelte sich mit solchen Rubriken zur zentralen Kom­ munikationsplattformen der afroamerikanischen Mittelklasse Philadelphias, tatsäch­ lich wollte sie jedoch ein Sprachrohr für die gesamte black community sein, die sie vor allem politisch zu einen suchte.

193 Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Frankfurt am Main. Band 58, hg. v. Büro der Stadtverordneten-Versammlung, Frankfurt am Main 1926, S. 96–125. Einen konzisen Überblick zur Struktur der Tagespresse in der Weimarer Republik gibt Gerd Meier, Die Regionalpresse der Weimarer Republik – Innovation und Tradition, in: Cle­mens Zimmermann (Hg.), Politischer Journalismus, Öffentlichkeiten und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2006, S. 169–192. 194 ������������������������������������������������������������������������������������ Zumindest sind sie bei der zwangsweise in Stichproben erfolgten Quellensichtung niemals aufgefallen, auch haben sich in anderen Arbeiten zur Tagespresse in den USA keine konkreten Hinweise auf eine solche Form der Kommunikation gefunden. 195 The Philadelphia Tribune vom 1.5.1920.

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3.3.2 Das Ringen um Teilhabe – Die ‚Philadelphia Tribune‘ als Sprachrohr einer black community?

“The blind begin to see.“ Mit dieser Überschrift eröffnete die ‚Philadelphia Tribune‘ im März 1927 einen Artikel, in dem sie mal wieder der republikanischen Maschine den politischen Kampf ansagte. Grund für ihren hoffnungsvollen Ausruf war eine Versammlung der afroamerikanischen Active Workers Association, auf der diese ihren Unmut über die politische Behandlung afroamerikanischer Interes­sen durch die politische Maschine, und hierbei vor allem durch Partei-Boss William S. Vare und ward leader Charles B. Hall zum Ausdruck gebracht hatte. Denn in den Augen der Tribune-Autoren vertraten diese weißen Politiker nur sehr selektiv die Interessen der afroamerikanischen Bevölkerung, meist dann, wenn es darum ging, sich deren Wählerstimmen zu sichern. Und tatsächlich konnten zwar auf den unteren Machtebenen der politischen Maschine Afroamerikaner wichtige Positionen besetzen, höhere Ämter wurden jedoch fast ausschließlich an Weiße vergeben. Aus dem Bericht der ‚Tribune‘ wird deutlich, dass die Zeitung selbst von der Versammlung nur über Umwege erfahren hatte, also weder selbst Zeuge der Unmutsbekundung durch die Active Workers Association gewesen war, noch eine Stellungnahme eines Vertreters abdrucken konnte. Dies macht recht deutlich, welch distanziertes Verhältnis die afroamerikanische Wochenzeitung zur schwar­zen Arbeiterschicht hatte. Um eine wirkliche Annäherung war sie auch gar nicht bemüht, zumindest können ihre belehrenden Worte gegenüber der Arbeiter­organisa­tion kaum als eine solche gedeutet werden. “During the election just past“, schrieb sie, “when THE TRIBUNE was fighting for more recognition for colored citizens these same people were holding up those, who they now condemn, as the friends of the Negro race. The conditions are not any worse now than they were then. It is possible that the blind are beginning to see? We hope so.”196

Die ‚Philadelphia Tribune‘ war 1884 von Christopher James Perry gegründet wor­den, der knapp 15 Jahre zuvor als junger Mann und Sohn von „freeborn blacks“ aus Baltimore, Maryland nach Philadelphia gekommen war. Mit einem Fokus auf die Sorgen der afroamerikanischen Bevölkerung in South Philadelphia ent­wickelte sich die Tribune rasch zur größten afroamerikanischen Zeitung der Stadt, mit einer Auflage von knapp 20 000 Exemplaren in den 1920er Jahren.197 Perry genoss insbesondere auch bei den Migranten aus den Südstaaten ein gewisses Ver­trauen, da er selbst auch 196 The Philadelphia Tribune vom 12.3.1927, S. 16. 197 Charles Ashley Hardy, III., Race and Opportunity: Black Philadelphia during the Era of the Great Migration, 1916–1930. Volume 1. (= Univ. Dis), Philadelphia 1989, S. 3.

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aus dem Süden kam, doch faktisch beschränkte sich die­ses rasch auf die schwarze Mittelklasse.198 Die belehrende Haltung, die die ‚Tribune‘ gegenüber der schwarzen Arbeiterschicht einnahm, war symptomatisch für das distanzierte Verhältnis der schwarzen Mittel- zur schwarzen Arbeiter­klasse, ein Verhältnis, das vor allem die afroamerikanischen Reformer sehr belas­tete. Der Kampf, den diese der politischen Maschine angesagt hatten, basierte vor allem auch auf der Enttäuschung darüber, dass es der afroamerikanischen Bevölke­rung trotz ihres quantitativen Anstieges und damit ihrer wachsenden Be­deutung für die Entscheidung politischer Wahlen nicht gelingen wollte, neben gehobenen Positionen an Universitäten oder Krankenhäusern, sich auch in politi­schen Ämtern zu etablieren. Bis zur great depression und der damit einhergehen­den politischen Neuformierung in den amerikanischen Städten gab es in Philadelphia mit Edward W. Henry nur einen einzigen afroamerikanischen ward leader199, und das, obwohl in einer ganzen Reihe von Bezirken vor allem in South und North Philadelphia ‚Negroes‘ die dominante ethnische Gruppe darstellten.200 Ganz ähnlich verhielt es sich in den anderen amerikanischen Städten. Allein in Chicago gelang der dortigen afroamerikanischen Bevölkerung der Aufbau und die Etablierung einer afroamerikanischen politischen Maschine, die nicht nur erfolg­reich Wunschkandidaten aus den eigenen Reihen durchsetzen konnte, sondern auch der einflussreichste afroamerikanische politische Apparat des Landes war.201 Doch darin war Chicago eine Ausnahmeerscheinung unter den ‚boss-ridden ci­ties‘. Ziel afroamerikanischer Reformer der educated black-middle class, wie sie für die ‚Tribune‘ schrieben, war es nun, die afroamerikanische Bevölkerung aus ihrer politischen Ohnmacht zu befreien und der ‚Rasse‘ nicht nur zu einem uplift zu verhelfen, einer sozialen und moralischen Erziehung nach den Maßstäben klassi­scher bürgerlicher Werte, sondern auch zu einer race consciousness, einem Einheitsgefühl aller ‚Negroes‘ in einer weitgehend rassistischen Umwelt. In ihren Bemühungen um ein racial uplift standen die afroamerikanischen Reformer der weißen progressive movement meist näher als ihren 198 ����������������������������������������������������������������������������������� Zu Christopher James Perry siehe den ausführlichen Artikel zu ihm und seine Schwiegerson und Nachfolger Eugene Washington Rhodes von John N. Ingham u. Lynne B. Feldman, Afri­can-American business leaders. A biographical dictionary, Westport 1994. 199 Die Geschichte Henrys konnte wohl vor allem auf Grund der schlechten Quellenlage bisher nur sehr dürftig erschlossen werden. Kurze Ausführungen zu Henry vor allem im Kontext des Zu­sammenbruches der republikanischen Maschine unter der Führung von William S. Vare finden sich bei Salter, Boss, S. 232f; Dudden, Dudden 1982, S. 589, und Irwin F. Greenberg, Philadelphia Democrats Get a New Deal: The Election of 1933, in: The Pennsylvania Maga­zine of History and Biography 97. 1973, S. 210–232, hier S. 227. 200 Vgl. dazu Hardy, III., Race, S. 133. 201 Vgl. dazu Ira Katznelson, Black men, white cities. Race politics and migration in the United States 1900–30 and Britain 1948–68, Chicago 1976 und Hardy, III., Race, S. 479–569.

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sozial schwächeren ‚Brüdern‘, deren Wortführer zu sein sie für sich beanspruchten.202 „The race newspaper enter the home on the terms of a friend and welcome visitor, not as a stranger“, bewarb sich die ‚Tribune‘ selbst in einem Artikel im Dezember 1923: “It comes to the home bringing with it inspiration and encouragement to those who long for information of what the race is doing along commendabale lines for its social, industrial, political, and religious uplift, In­formation looked for but seldom found in the daily contemporaries published by the Anglo-Saxon race.”203

Das Ziel des racial uplift war genauso typisch für die Tribune, wie ihr feindlicher Tonfall gegenüber der „Anglo-Saxon race“. Die zunehmende Ghettoisierung der Philadelphia blacks gab ihr immer wieder Ereignisse an die Hand, um den feindli­chen Tonfall begründet anbringen zu können. Diese Ghettoisierung resultierte vor allem aus der starken Wanderungsbewegung, die bei der weißen Bevölkerung die Angst vor der Entfremdung mit der eigenen Stadt schürte. Auch vor dem Einset­zen der Great Migration war Philadelphia kein Ort gewesen, an dem sich die afro­a­merikanische Bevölkerung frei von Diskriminierung bewegen konnte204, doch mit dem Einsetzen der Migrationsbewegung wurden ihr zunehmend auch jene Möglichkeiten der Teilhabe am städtischen Raum und am gesellschaftlichen Le­ben entzogen, die sie sich in den Jahrzehnten zuvor mühevoll erarbeitet hatte. Die Segregationstendenzen verschärften sich hierbei nicht nur in Bezug auf die Ansiedlungsmöglichkeiten, sondern vor allem auch in der alltäglichen Nutzung öffentlicher Räume, wie Schulen, Kinos, Theatern und Restaurants. In diesen wur­den Schwarze zunehmend diskriminiert und vom weißen Publikum segregiert.205 Die Exklusion und Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung vollzog sich hierbei nicht nur im städtischen Raum, sondern auch in der Art und Weise wie über Afroamerikaner in den Medien berichtet wurde.206 Während zwischen 1908 und 1930 der schwarze Bevölkerungsanteil Phila202 Grundlegend zum racial uplift in den 1920er Jahren siehe Gaines, Uplifting, S. 234–260. Zur afroamerikanischen Mittelklasse in Philadelphia siehe Charles Pete T. Banner-Haley, To Do Good and to Do Well. Middle Class Blacks and the Depression, Philadelphia, 1929–1941, New York 1993. 203 The Philadelphia Tribune vom 1.12.1923, S. 4. 204 Dies geht unter anderem eindrücklich aus der 1898 von W.E.B. du Bois angestellten Studie „The Philadelphia Negro“ hervor, in der sich du Bois in einem Kapitel allein der rassistisch moti­vierten Diskriminierung der Philadelphia Negroes widmet. Vgl. Du Bois, Philadelphia, Kapitel 16. Ausführlich dazu siehe auch die Studie von Roger Lane, Roots of Violence in Black Philadelphia. 1860–1900, Cambridge, London 1986. 205 Hardy, III., Race, S. 199. 206 Grundlegend zu der sich ausbildenden Segregation im frühen 20. Jahrhundert siehe Douglas S. Massey u. Nancy A. Denton, American Apartheid. Segregation and the Ma-

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delphias um 185% anstieg, sank gleichzeitig der Umfang, in dem die größten weißen Tageszeitungen über diesen berichteten. Rein quantitativ sank so der dezidiert afroamerikanische Nach­richtenanteil im Verhältnis zur Bevölkerung um 73%.207 Darüber hinaus engten die weißen Medien die Themenauswahl immer weiter ein und wenn über die schwarze Bevölkerung der Stadt geschrieben wurde, dann meist in einem kriminel­len Kontext. Im Durchschnitt behandelten 60% aller ‚schwarzen‘ Nachrich­ ten ‚Negroes‘ im Zusammenhang mit einem Verbrechen. Im Kontrast dazu lag der allgemeine Anteil der Kriminalitätsberichterstattung gerade einmal bei 10%. „Daily Press is silent in accord with expressed policy“ überschrieb die ‚Tribune‘ groß einen Artikel über die Vergewaltigung eines 14-jährigen afroameri­kanischen Mädchens.208 „A Reporter for a Philadelphia daily newspaper refused to write up a story where three white men were accused of rape on a colored woman“, erklärte sie, nachdem sie den grausamen Hergang der Tat erörtert und auf ähnliche Fälle verwiesen hatte und fuhr fort: „He further said that no white paper in Philadelphia would carry such a story because it was against their policy.“209 Ganz ähnlich verschwieg die weiße Presse den Fall um das schwarze Dienstmädchen Smith, das von drei weißen Männern betäubt und anschließend vergewaltigt worden war. Als ein Reporter der ‚Daily News‘ von dem Rechtsanwalt des Opfers gefragt wurde, weshalb er nicht über den Fall berichten würde, antwortete dieser, „that his paper would not handle cases where white men were accused of attacking colored women and […] that no white paper would handle it.“210 Und als Weißer hielte er selbst diesen Grundsatz auch für den Richtigen. Die ‚Tribune‘ schrieb nun mit aller Vehemenz gegen die so weit verbreitete An­ sicht an, dass es sich bei den „Negroes“ um eine ‚kriminelle Rasse‘ handele. „We have

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king of the Underclass, Cambridge 2003. Charles Banner-Haley vertritt in seiner Studie zur schwarzen Mit­telklasse Philadelphias die These, dass die Segregation in Philadelphia geringer als in an­dern Städten ausgeprägt gewesen sei und begründet dies unter anderem damit, dass zum einen in jedem Bezirk der Stadt afroamerikanische Familien wohnten, und dass zum anderen im Jahr 1923 über 20% der schwarzen Bevölkerung einen weißen Nachbarn hatte. Kehrt man diese zah­lenmäßige Angabe jedoch einfach um und hält fest, dass annähernd 80% aller afroamerikani­schen Bewohner Philadelphias keinen weißen Nachbarn hatte, also zu einem Zeit­punkt, zu dem die Segregation erst noch zunehmend forciert werden sollte, scheint die Verteilung der schwarzen Bevölkerung Philadelphias jenseits ihrer statistischen Präsenz in je­dem Bezirk sehr wohl ausgeprägt gewesen zu sein. Vgl. dazu Banner-Haley, To, S. 46. Die Zahlen entstammen der 1936 veröffentlichten Dissertation von George Eaton Sipmson zur Thematisie­rung von „Negroes“ in den Tageszeitungen Philadelphias zwischen 1908 und 1932. Siehe George E. Simpson, The Negro in the Philadelphia Press, Philadelphia 1936. The Philadelphia Tribune vom 11.6.1925, S. 1. Ebd., S. 4. The Philadelphia Tribune vom 27.6.1925, S. 1.

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sufficient burdens to bear without being branded as a bunch of lawless children who carry long knives to rip each other through the ribs or slash everybody with razors“211, erregte sie sich so auch über die Aussage des Richters Edwin O. Lewis, dass 80% aller Verbrechen in Philadelphia von Schwarzen ver­übt würden. „Any such statements are absolutely false and they come from a heart that is black and a mind that is too lazy to ascertain the facts.“212 Der ‚Tribune‘ war bei ihrer Kritik an dieser Aussage sehr bewusst, dass es weitaus schlimmere Anfeindungen gegen die afroamerikanische Bevölkerung gab als diese, was sie jedoch insbesondere empörte, war die Breitenwirkung, die Aussagen wie die von Richter Lewis hatten. Denn diese wurden von zahlreichen weißen Zeitungen aufge­griffen, reproduziert und dabei meist noch zugespitzt. „Time to Bar Nero [sic!] Rush Into this City“213 schrieb eine andere Tageszeitung nur einen Tag spä­ter in Reaktion auf die Äußerungen des Richters. Die kollektive Verurteilung der afroamerikanischen Bevölkerung durch die weiße Gesellschaft erregte nun insbesondere den Unmut all jener, die entweder schon seit mehreren Generationen in Philadelphia lebten und/oder einer sozial besser gestellten Schicht angehörten. Denn diese wollten unter keinen Umständen mit dem „Abschaum“214 aus den Südstaaten gleichgesetzt werden, der in Massen in die schwarzen Quartiere der Stadt drangen und ihr gesellschaftliches Ansehen zu bedrohen schienen. Gleichermaßen wie die weiße Bevölkerung der Stadt zelebrier­ten sie ausgiebig ihre gesellschaftlichen Unterschiede und differenzierten sich hierbei oftmals auch selbst rassistisch nach dem Helligkeitsgrad ihrer Haut­farbe. „If you hadn’t been here two generations and even if you had, if you were dark-skinned and from the other side of the tracks, then you just didn’t belong“215, erinnerte sich ein Zeitgenosse an die color line, die die afroamerikanische Bevölke­rung selbst zog. Diese war teilweise so ausgeprägt, dass Afroamerikaner mit dunklerer Hautfarbe in manchen Kirchen getrennt von ihren hellhäutigeren Glau­bensgenossen platziert wurden.216 Hierbei war es nicht nur eine schwarze Elite, die den Anspruch erhob, Teil der Old Philadelphians zu sein, sondern gleicherma­ßen die alteingesessene Dienerschaft der weißen Mittel- und Oberschicht, die sich wie ihre Arbeitgeber zur Elite der Stadt zählten und dezidiert von den afroamerikani­schen Migranten distanzierten. 1937 fand diese Verhaltensform als eines die Stadt prägendes Charakteristikum sogar Eingang in die

211 The Philadelphia Tribune vom 10.11.1927, S. 16. 212 Ebd. 213 Ebd., S. 16. 214 �������������������������������������������������������������������������������� Als „scum“ bezeichnete um die Jahrhundertwende schon der afroamerikanische Reverend H.L. Phillips Migranten aus den Südstaaten. Vgl. Lane, William, S. 258. 215 Ballard, One, S. 198. 216 Ebd., S. 199.

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„American Guide Series“, einer populärwissenschaftlichen Serie zur Geschichte des Landes und der amerikanischen Städte. „When the influx began“, heißt es dort, “‘old Philadelphians’ Negroes that had been serving aristocratic Philadelphia families for years regarded the newcomers with disfavor, partly because Northern Negroes were better educated and their standard of living was much higher. This created among Negroes a classconsciousness that still exists.”217

Das Klassenbewusstsein und vor allem die Orientierung vieler Afroamerikaner an der weißen Gesellschaft wurden von der reformorientierten schwarzen Mittelklasse immer wieder kritisiert, auch wenn sie sich selbst dieser Haltung nicht entziehen konnten. So pflegten insbesondere auch die afroamerikanischen Reformer, wie sie sich in der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) organisierten, ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein. Der Historiker H. Viscount Nelson paraphrasierte treffend das Ziel der NAACP als „to make the Negro Middle Class socially free from the disrepute of the black masses.“218 Auch die ‚Tribune‘ unterstützte rassistische Differenzierungen nach dem Helligkeitsgrad der Hautfarbe, indem sie großformatige Werbeanzeigen für Pflegeprodukte brachte, die vor allem solch ethnischen Merkmalen entgegen wirken sollten. Eine helle Hautfarbe wurde hierbei von den Inserenten sogar als Ausdruck eines racial pride propagiert: „You are judged by your personal appearance. The Race is judged by you“, lautete die Überschrift zu einer solchen Serie an Pflegeprodukten. „Your pride in the Race demands that you ALWAYS look your best“, fuhr die An­zeige fort: „If you would have the clear, bright skin that is the birthright of the Race […], Golden-Brown Beauty Preperations will help you.“219 Ganz ähnlich bewarb die Plough Chemical Co. ihre „Black & White“ Pflegeserie. „My skin used to be pimply, rough and dark until someone told me about that wonderful creamy Skin Bleach“220, äußerte in der Anzeige eine fiktive Nutzerin des Produk­tes. 217 ������������������������������������������������������������������������������������������� Federal Writers’ Project, Philadelphia. A Guide to the Nation’s Birthplace, hg. v. Pennsylvania Historical Commission, Philadelphia 1937, S. 108. 218 ������������������������������������������������������������������������������� Viscount H. Nelson, The Philadelphia NAACP. Race Versus Class Consciousness During the Thirties, in: Journal of Black Studies 5. 1975, S. 255–276, hier S. 255. Die Ziele und die Strate­gien der NAACP unterschieden sich grundlegend von den Bestrebungen des afroamerikani­schen Reformers Booker T. Washingtons. Während die NAACP und ihr angeschlossene Refor­mer wie W.E.B. du Bois ein „racial uplift“ durch eine möglichst hohe Ausbildung unter der Führung der „Talented Tenth“ anstrebte, vertrat Washington die Auffassung, dass die afroameri­kanische working-class sich ihre Existenz vor allem durch eine solide Grundausbil­dung und harte Arbeit schaffen sollten. Zum Grundlegenden Konflikt zwischen den afroamerika­nischen Reformgruppen siehe Moore, Booker. 219 The Philadelphia Tribune vom 12.4.1924, S. 2. Hervorhebung im Original. 220 The Philadelphia Tribune vom 19.3.1921, S. 7.

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Zu wenig racial pride bei der afroamerikanischen Bevölkerung diagnostizierten unterdessen sowohl die Autoren, als auch manche Leser der Tribune, und dies vor allem in zwei Bereichen: Zum einen in der politischen Orientierung der afroameri­ kanischen Unterschichten an der republikanischen Maschine, zum anderen in der aktiven Unterstützung der Segregation durch Afroamerikaner selbst. „Before we can stand on our feet as other peoples and Nations of the earth“, schrieb im Novem­ber 1925 Pastor P. P. Samuel in einem offenen Brief an die ‚Tribune‘, „the Negro race will have to rise to the greatness of self-respect and not allow a corrupt Negro preacher, lawyer nor doctor to trade him off for a few hundred dollars.“221 Unmittelbarer Anlass des Schreibens war die anstehende Neuwahl des ward leaders im 30. Bezirk der Stadt gewesen, die die Tribune im Vorfeld mit reißerisch formulierten Artikeln wie „Colored People Must Take Thirtieth Ward“222 kommen­tierte. Bisher war es vor allem „colored people“ aus den Reihen der politi­schen Maschine gelungen, in vereinzelte Machtpositionen aufzusteigen, doch diese hatten mit den Wunschkandidaten der ‚Tribune‘ aus den Reihen der „talented tenth“, wie W.E.B. du Bois die afroamerikanische Elite bezeichnet hatte, nur wenig gemein. „I would rather serve a term in the penitentiary the rest of my days, than to support prize-fighters, keepers of houses of ill-repute, saloon-keepers [or] people with bad morals, whether they be preachers, lawyers, doctors or what not“223, schrieb in diesem Sinne auch Pastor Samuel. Sein Wettern gegen „prize-fighters“ und „keepers of houses of ill-repute“ bezog sich für die Zeitgenossen recht unmissverständlich auf Amos Scott. Scott war ein ehemaliger Preisboxer, Saloonbesitzer und Jugendfreund von William S. Vare, der im Jahr 1921 zum ers­ten afroamerikanischen magistrate (ein Richteramt) der Stadt gewählt worden war. Der mehrfach vorbestrafte Scott imponierte in seinen politischen Anfängen seine Zeitgenossen wohl vor allem durch seine körperliche Größe und seine persön­ liche Nähe zur politischen Maschine um die Vare-Brüder, und weniger durch seine fachliche Kompetenz.224 Zwar gelang es Scott, nachdem er sich mit seinem Saloon im siebten Bezirk einen festen Platz als leader der dortigen afro­amerikanischen Bevölkerung erarbeitet hatte, auch die schwarze Mittelklasse und die ‚Philadelhpa Tribune‘ auf seine Seite zu ziehen, ihr wirklicher Wunschkandi­dat für die Rolle eines black leaders war er jedoch ganz und gar nicht.225 Für die Autoren der Tribune war die politische Ohnmacht der afroamerikanischen Mittelklasse umso enttäuschender, da sie sich stetig die Größe der afroamerikani­schen Bevölkerung Philadelphias bewusst machte. „200,000 Potential Power“ überschrieb 221 222 223 224 225

The Philadelphia Tribune vom 14.11.1925, S. 4. The Philadelphia Tribune vom 10.10.1925, S. 4. The Philadelphia Tribune vom 14.11.1925, S. 4. Hardy, III., Race, S. 487. Ebd., S. 487f.

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sie so auch am 6.6.1925 einen ihrer Artikel. „An Army of 200,000 colored people live in Philadelphia awaiting direction and leadership.“ Dass die Masse der afroamerikanischen Einwohner der Stadt auf „direction and leadership“ warten würde, entsprang jedoch eher dem Wunschdenken der Autoren und weni­ger einer tatsächlichen Sehnsucht dieser Gruppe nach leadership. Mit martiali­schen Aufrufen und einem Vokabular, das sich vor allem der Kriegsmetaphorik bediente, versuchte die ‚Tribune‘ die breite afroamerikanische Wählerschaft weg von der politischen Maschine auf ihre Seite zu ziehen. „Colored Philadelphians, we have much power“, leitete sie am 12.9.1925 ihren Aufruf zu einem „War of Protest“ gegen die voranschreitende Segregation an den öffentlichen Schulen ein. „Let us put on our war clothes, mobilize our forces and declare a war of protest on our opressors.“226 Mit einem ganz ähnlichen Vokabular schrieb sie am 15.8.1925 vor der anstehenden Neuwahl eines district attorney: „In Philadelphia there are fifty thousand strong warriors ready to battle for justice and right.“ Der amtie­rende weiße Kandidat hatte die Gunst der ‚Organisation‘ verloren und sollte ausge­tauscht werden, was bei den Autoren der ‚Tribune‘ die Hoffnung weckte, mit der Unterstützung der lokalen afroamerikanischen Bevölkerung einen eigenen Wunschkandidaten platzieren zu können. „A new day has come. The faithful blacks are beginning to question the existing order of things“, schrieb sie hoffnungs­ voll: “We have the opportunity to gain in political power. […] Rub in the dust and break on the wheel of any pussyfooting Negro politician who comes pleading for harmony. […] We have been puppets dancing by the music of false friends too lang [sic]. Let’s Fight!”227

Die lokalen afroamerikanischen leader der politischen Maschine, die die ‚Tribune‘ hier so herabwürdigend als „pussyfooting Negroes“ diffamierten, waren tatsächlich kaum an einer grundlegenden Reform der städtischen Zustände interes­siert, sondern vielmehr an einem Erhalt des Status quo. Doch sie behandelten ihre Nachbarn und ihre Wähler im Gegensatz zur ‚Tribune‘ oder zu afroamerikani­schen Reformorganisationen der Mittelklasse nicht wie eine unmündige und un­moralische Unterschicht, sondern wie Menschen auf Augenhöhe. Die „Army of 200,000 colored people“, die sich die ‚Tribune‘ zur Unterstützung ihrer Sache ersehnte, gab es nicht. Erst die wirtschaftliche Not der großen Depression in den 1930er Jahren, die vor allem die schwarze Bevölkerung der Stadt traf, führte zu einer Annäherung der unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen afroameri­kanischen Gruppierungen Philadelphias.

226 The Philadelphia Tribune vom 12.9.1925. 227 The Philadelphia Tribune vom 15.8.1925, S. 4.

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3.3.3 Die ‚totale‘ Exklusion: „Zigeuner“ in Frankfurt am Main

Im direkten Vergleich mit Philadelphia war die Zahl der Immigranten und damit auch der ethnischen Minoritäten in Frankfurt am Main geradezu verschwindend gering. Dementsprechend beschäftigten sich weder die städtische Verwaltung, noch private und öffentliche Fürsorgeeinrichtungen besonders ausgiebig mit die­sen.228 Auch entwickelte sich in Frankfurt keine vergleichbare Entfremdung der weißen Mittelklasse mit ganzen Stadtteilen und so waren umfassende Lokal­studien, wie sie in Philadelphia vor allem von Reformorganisationen durchgeführt wurden, um die ihnen fremd gewordenen Bereiche der Stadt überwachen und kon­trollieren zu können, in Frankfurt eher eine seltene Maßnahme. Den vereinzelten Berichten über ganze Massen jüdischer, russischer und polnischer „Schieber“, Schwarzhändler und Verbrecher, die sich in den Gassen der Altstadt verborgen halten sollten, wurde von der städtischen Verwaltung kaum Beachtung ge­schenkt.229 Zwar wetterten auch hier einzelne völkisch gesonnene Personen gegen osteuropäische Juden und stilisierten diese als eine Bedrohung für die ganze Stadt230, aber meist wurde dies als rassistisch

228 ������������������������������������������������������������������������������������� Es gab zwar durchaus einige Wohltätigkeitsorganisationen, die sich dezidiert spezifischen Immigrantengruppen widmeten, doch diese spielten für die städtische Fürsorge eine eher unterge­ordnete Rolle. In den Quellen der Stadtverwaltung treten sie fast nie in Erscheinung. 229 ����������������������������������������������������������������������������� So berichtete der General Anzeiger vom 1.9.1919: „Eine unangenehme Massenwanderung nach Frankfurt hat seit einigen Wochen eingesetzt. Es sind Russen und Polen, die nachgerade zu ei­ner Gefahr für unser Volksleben zu werden drohen. Es handelt sich um oft vielfach vorbestrafte Leute, denen der heimatliche Boden zu heiss geworden ist, und die sich jetzt hier als Schieber und Schleichhändler, noch mehr aber als Diebe gemeingefährlichster Art betätigen. Ihre Dieb­stähle führen die Burschen, die meistens zu zweien oder dreien gemeinsam arbeiten, an Orten mit starken Menschensammlungen, in den Strassenbahnen oder an deren Haltestellen, aus, oder sie verüben die verwegensten D-Zugdiebstähle. Der Kriminalpolizei ist es nun gelungen, in kur­zer Zeit eine grosse Anzahl dieser Diebe auf frischer Tat festzunehmen. Bis jetzt sind 20 Per­sonen im Alter von 13 (!) bis 45 Jahren in Haft. Zahlreichen anderen Mitgliedern dieser Ban­den ist die Polizei auf der Spur.“ 230 So zum Beispiel in dem Schreiben des Polizei-Präsidenten an Regierungspräsident Abt. Nassau in Cassel vom 15.12.1919 (FWohA 892, Bl. 153), in dem es hieß: „In der Altstadt sind ganze Stra­ßen von ausländischen Juden bewohnt, wo sie unter den ärmlichsten Wohnungsverhältnis­sen dicht gedrängt zusammen wohnen und den Herd für ansteckende Krankheiten und Epide­mien bilden. Von allen zuziehenden Ausländern entfallen etwa 6/10 auf polnische und galizische Juden. Unberücksichtigt sind hierbei diejenigen, die sich unangemeldet hier aufhal­ten und Schiebereien und sonstige dunkle Geschäfte betreiben.“

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motivierte Hetzkampagne abgetan und nicht weiter verfolgt.231 Doch so liberal sich die meisten Frankfurter in der Frage osteuropäischer Flüchtlinge auch gaben, so gänzlich unliberal reagierten weite Teile der städtischen Bevölkerung auf umherziehende ‚Zigeuner‘.232 Diese wurden in Frankfurt nicht nur angefeindet, sondern partei- und schichtenübergrei­fend verfolgt, mit dem dezidierten Ziel, sie aus dem städtischen Raum entfernen zu lassen. Die Diskriminierung der ‚Zigeuner‘ war auch in Frankfurt in den 1920er Jahren kein neues Phänomen, doch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre erreichte sie eine neue Qualität. Auf Grund der Wohnungszwangswirtschaft war es den Zigeu­nern, die schon seit Jahren nach Frankfurt kamen, um dort den Winter zu verbrin­gen, nicht mehr möglich, in ihre sonst üblichen Quartiere in der Altstadt zu zie­hen. Stattdessen waren sie gezwungen, offene Lagerplätze anzumieten und dort in ihren Wohnwagen

231 So schrieb ein Beamter des Wohnungsamtes zu den antisemitischen Berichten in einem Brief an Direktor Gresser vom 14.7.1920: „Der Bericht des Polizei-Präsidenten vom 5.12.19 befleissigt sich äusserlich der Objektivität, jedoch bedürfen die angegebenen Ziffern, welche die Haupt­grundlage für die Eingabe bilden, der Nachprüfung. Die Zahlen scheinen weit übertrieben. […] Der Entwurf des Berichts des Wohnungsamtes (scheinbar herrührend von Assessor Dallwig) zeigt deutlich einen antisemitischen Unterton, der sich teilweise unangenehm bemerkbar macht. Auch die hier angegebenen Ziffern bedürfen der Nachprüfung. Dieser Bericht eignet sich schon der Form wegen nicht zur Weitergabe.“ (FWohA 892, Bl. 199) Dass ostjüdische Immigranten von der städtischen Verwaltung nun nicht als die von den völkischen Kollegen her­aufbeschworene Bedrohung wahrgenommen wurden, mag auch an der Anordnung des Minis­ters des Inneren gelegen haben, der ausdrücklich dazu aufforderte, Verständnis für die in ihrer Heimat verfolgten Flüchtlinge zu haben und diese unter keinen Umständen auszuweisen. S. Verordnung IVb.2719 des Ministers des Innern (FMA R 1.376). 232 ���������������������������������������������������������������������������������� Der ethnische Hintergrund der in Frankfurt mit ‚Zigeuner‘ fremdbezeichneten Personengruppen ist uns weitgehend unbekannt. In den hier untersuchten Quellen der 1920er Jahre werden mit dem Begriff vor allem soziologische Merkmale der Lebensführung und keine ethnischen Merk­male in Verbindung gebracht. Ich folge daher dem Ansatz von Leo Lucassen und sehe die in den Quellen beschriebenen Personengruppen vor allem als soziologische Gruppen, ohne damit Aussagen über deren ethnischen Hintergrund treffen zu wollen oder überhaupt zu können. Vgl. dazu Leo Lucassen, „Zigeuner“ in Deutschland 1870–1945: ein kritischer historiographischer Ansatz, in: 1999 – Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 10. 1995, S. 82–100. Weit ausführlicher siehe dazu auch Leo Lucassen, Zigeuner. Die Geschichte eines poli­zeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland 1700–1945, Köln, Weimar, Wien 1996. Zum möglichen ethnischen Hintergrund der in Frankfurt als ‚Zigeuner‘ bezeichneten Personengrup­pen siehe Herbert Heuß (Hg.), Darmstadt. Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti in Darmstadt, Darmstadt 1995.

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zu überwintern.233 Diese neue Sichtbarkeit der umherziehenden Familien blieb weder bei den unmittelbaren Anwohnern, noch bei der Polizei un­bemerkt, zumal letztere schon seit der Verschärfung der preußischen „Zigeuner­politik“ in den 1880er Jahren zur Beobachtung des „Zigeunerunwesens“234 angehal­ten war.235 „In letzter Zeit sind auf dem Platze des landwirtschaftlichen Vereins […] und auf einem städtischen Platz in der Sonnemannstraße […] ca. 20 Zigeunerfamilien mit Wagen (ca. 120 Personen) zugezogen“, hielt das 7. Polizei­revier Frankfurts am 16.12.1926 in einem internen Bericht unter der Betreffangabe „Zigeunerplage“ fest.236 „Die Zigeuner belästigen durch Betteleien, musizieren usw. die Anwohner, so­daß im Revier dauernd Beschwerden eingehen. Auch stehen die Wagen der Zigeuner in unmittelbarer Nähe von Ställen, Holzlagern, Schuppen usw. sodaß erhöhte Feuergefahr besteht.“237

Die erhöhte Feuergefahr ging hierbei, so zumindest nach Wahrnehmung der Nach­ barn, vor allem von den Kohleöfen der Wohnwagen aus. Die städtischen Institutionen, die so immer wieder von der Bevölkerung zum Ein­ greifen aufgefordert wurden, konnten nicht ohne weiteres eine Lösung des Prob­lems bieten. Denn weder die Polizei, noch die städtische Verwaltung sah sich recht­lich befugt, den Beschwerden aus der Bevölkerung nachzukommen, da die in Frankfurt wohnenden ‚Zigeuner‘ nicht nur ausnahmslos Reichsdeutsche waren, sondern sie ihre Standplätze meist legal bei den Grundstückbesitzern angemietet hatten. Dies schränkte nicht nur die Möglichkeit ein, sie willkürlich an einen ande­ren Ort zu vertreiben, wie es beispielsweise das Land Hessen tat, sondern nahm die Stadt obendrein in die Pflicht, die schulpflichtigen Kinder in das städti­sche Schulsystem zu integrieren. Die für die Frankfurter Städter befremdliche Le­bensweise der Familien weckte bei den meisten Anwohnern jedoch in erster Linie den Wunsch, sie möglichst rasch und möglichst weit aus ihrem Umfeld entfernen zu lassen. Allein schon über ihren Anblick empörten sich viele Frankfurter. So wandte sich im November 1929 Heinrich Wenzel persönlich an den Magistrat, um sich über einen „Zigeunerwagen“ zu beschweren, der im Hof zu seiner Miet­wohnung mit Einverständnis des Hausei233 ����������������������������������������������������������������������������� Auch Peter Sander deutet die Wohnungszwangswirtschaft als Auslöser der Zigeunerverfolgung in Frankfurt in der Weimarer Republik. Vgl. Peter Sandner, Frankfurt. Auschwitz. Die national­sozialistische Verfolgung der Sinti und Roma in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1998. 234 Akte „Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ (1909–1919) (HHStAW Abt. 407 Nr. 284). 235 Ausführlich dazu Marion Bonillo, „Zigeunerpolitik“ im Deutschen Kaiserreich 1871– 1918, Frankfurt am Main, Berlin, Bern u. a. 2001. 236 Abschrift VII. Polizei-Revier vom 16.12.1926 (FMA R1377, Bl. 1). 237 Ebd.

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gentümers abgestellt worden sei. „Da sich mein Hauseingang auf der Rückseite des Hauses befindet“, schrieb er am 24.11.1929, „kann niemand ein noch ausgehen, ohne durch den Anblick des Zigeu­nerwagens, der etwa 10 Schritte vom Eingang entfernt steht, unangenehm berührt zu werden.“238 Seine Beschwerde rechtfertigte Wenzel damit, dass er jähr­lich schließlich über 3 000 RM Steuern zahle und fragte daher an, ob denn der Stadt „keine Mittel und Wege zur Verfügung stehen, um eine derartige Belästi­g ung welche eine so unmittelbare Nähe und Nachbarschaft eines Zigeunerwagens mit Familie darstellt, zu beseitigen.“239 Zum Ärger des Herrn Wenzel sah sich die Stadt jedoch nicht in der Lage, ihm in irgendeiner Weise in diesem Fall zu Hilfe kommen zu können, da die Grundstücke ordnungsgemäß an die Besitzer der Wohn­ wagen vermietet worden waren. Die städtische Verwaltung befand sich mit dem „Zigeunerproblem“, dass sich für den gesamten Frankfurter Stadtraum mit einer halben Million Einwohnern nicht einmal auf 300 Personen in insgesamt 54 Wagen bezog240, zunehmend in einem Dilemma. Denn von den unmittelbaren Nachbarn der entstandenen Wagensiedlun­gen trafen sowohl bei den Polizeirevieren, als auch bei der Stadtverwaltung stetig neue und immer vehementere Beschwerden ein, samt der Aufforderung, die Sied­lungen möglichst umgehend aufzulösen. Sogar das 7. Polizeirevier bat nach den eingegangenen Beschwerden von Anwohnern „um geeignete Maßnahmen“, dass die Platzeigentümer „keine Zigeuner aufnehmen“. „Durch Anweisung eines Plat­zes durch den Magistrat außerhalb der Stadt, dürfte dem Übelstand abzuhelfen sein“241, schlug das Polizeirevier als Lösung des Problems vor, was jedoch einfa­cher gesagt als getan war. Denn wohin genau die Familien ziehen sollten, wusste keiner so recht. Überall, wo man auch nur andachte den Wagen einen Siedlungs­platz einzuräumen, gründeten sich in kürzester Zeit Ortsgruppen und liefen gegen die Überlegungen Sturm. „Wie wir erfahren haben, und wie uns Herr Bürgermeister Gräf auf Anfrage persönlich bestätigte, soll der gesamte Wagen-Park der Zigeuner von der Mainzerlandstrasse nach dem Gelände gegenüber unserem Kronthalerblock verlegt werden“,

schrieb am 15.3.1929 die Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen an den Magistrat.

238 Heinrich Wenzel an Magistrat vom 24.11.1929 (FMA R1377, Bl. 156). 239 Ebd. 240 ���������������������������������������������������������������������������������� Die Anzahl an Familien und Wagen geht aus einer Erhebung des städtischen Fürsorgeamtes aus dem Jahr 1929 hervor. Vgl. Schreiben des Städtischen Fürsorgeamtes an die Stadtkanzlei vom 29.4.1929 (FMA R1377, Bl. 92). 241 Abschrift VII. Polizei-Revier vom 16.12.1926 (FMA R1377, Bl. 1).

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„Unsere Mieter der dortigen Siedlung, die schon seit langem fortgesetzt mit Beschwerden über die Exmittierten-Kolonie an uns herantreten, und auf de­ren Bitten wir Tore anbringen lassen, die tagsüber geschlossen sind, werden nun aufs neue durch die Zigeuner-Ansiedlung erregt und gefährdet. Aus Sicherheitsgründen für unsere Mieter sowie besonders in Anbetracht der Tat­sache, dass die dortige Ansiedlung der Zigeuner den Wert unserer Häuser auf ein Minimum herabdrückt, zwingt uns, Einspruch gegen diese Mass­nahme zu erheben. Wir bitten den Magistrat, sofort zu veranlassen, dass die geplante Ansiedlung rückgängig gemacht wird.“242

Nur einen Tag nach diesem Schreiben versammelten sich die Anwohner der Mainzerlandstrasse, um gemeinsam gegen die Zigeunersiedlung im Stadtteil Süd­west zu protestieren. „Die Bevölkerung aller anliegenden Strassen, insbesondere der Sodenerstrasse“ empfände die Ansiedlung der ‚Zigeuner‘ „als unerträgliche Belästigung“, schrieb der Bezirksverein Südwest e.V. am 18.3.1929 an den Magist­rat, und dies nicht nur, weil der Rauch der Wohnwagen ihre eigenen Woh­nungen beschmutzen und der Funkenflug sie einer erhöhten Feuergefahr aussetzen würde, sondern auch, weil ihre Gesundheit und Sittlichkeit durch den „umliegen­den Schmutz und Kot“ und die öffentliche Verrichtung der Notdurft durch die ‚Zigeuner‘ gefährdet sei.243 „Dass die sittlichen Gebräuche dieser Volksgenossen für die Kinder unseres Stadtviertels eine Gefahr bedeuten, ist ohne weiteres klar“, schloss sich der Mieterausschuss des Hellerhofblocks am 19.3.1929 der Be­schwerde an. „Die Zigeunerplage ist eine dauernde Quelle der Beunruhigung der Bevölkerung und insbesondere der Bewohner unseres Blocks“ fuhr der Beschwerde­führer fort. „Eine Umsiedlung ausserhalb der Stadt würde die Sache zur allgemeinen Zufriedenheit lösen, bevor die anhaltende Verschärfung der Ver­hältnisse zu unliebsamen Vorgängen führen.“244 Bevor sich der Magistrat tatsächlich dazu entschließen sollte, die Wagengruppen aus der Stadt auszulagern, versuchte er zunächst das existierende Hygieneproblem zu lösen. Dieses war nun nicht auf die ‚Zigeuner‘ selbst zurückzuführen, als viel­mehr auf den Umstand, dass die ihnen angebotenen Siedlungsplätze weder über flie­ßendes Wasser, noch über Latrinen verfügten. Und so machte die Stadt den Vermie­tern der Siedlungsplätze zur Auflage, sanitäre Anlagen einzurichten, eine Auflage, der die Vermieter jedoch meist gar nicht oder nur zögerlich nachkamen. Viele kündigten stattdessen ihren Mietern den Vertrag, da ihnen die Umbaumaß­nahmen zu kostenintensiv 242 Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen an den Magistrat vom 15.3.1929 (FMA R1.377, Bl. 62). 243 Bezirksverein Südwest e.V. (Bahnhofsviertel) Frankfurt a.M. an den Magistrat vom 18.3.1929 (FMA R1.377, Bl. 67). 244 Mieterausschuss des Hellerhofblocks an Magistrat vom 19.3.1929 (FMA R1.377, Bl. 68).

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erschienen. Auch wenn die Zigeuner sich nun zur Freude der Nachbarn einen neuen Platz suchten, löste das noch lange nicht das ‚Problem‘ ihrer generellen Anwesenheit. Für die oftmals vorgeschlagene Auswei­sung aus der Stadt gab es abgesehen von den Beschwerden der unmittelbaren An­wohner weder Anlass, noch eine rechtliche Handhabe. Denn bei näheren Nachprü­fungen der Lebensgewohnheiten mussten die städtischen Ämter feststellen, dass diese kein Eingreifen seitens der städtischen Verwaltung rechtfertigten. So konnte auch das Jugendamt dem Magistrat diesbezüglich nicht weiter helfen. „Die Kinder liefen wohl schmutzig und ungepflegt umher“, hielt so im Januar 1927 das Jugend­amt in einem Bericht fest, „machten aber sonst einen heiteren und fröhli­chen Eindruck, was darauf schließen lässt, dass diese Kinder sich an ihren Zu­stand gewöhnt haben.“245 Von härteren Maßnahmen nahm das Jugendamt Abstand, da es den Kindern bei ihren Eltern nicht nur sehr gut gehe, sondern die Eltern auch sehr an ihren Kindern hängen und dem Amt bei jedem Einschreitungs­ versuch mit dem vehementesten Widerstand begegnen würden.246 Bei dem wachsen­ den Druck aus der städtischen Bevölkerung, die nicht nur von Haus­besitzer-, Mieterund Bezirksvereinen ausging, sondern auch von der Industrie- und Handelskammer, die pauschal alle Zigeuner des Ladendiebstahls verdächtigte und mit Nachdruck deren vollständige Abschiebung aus dem Stadtgebiet ver­langte247, sah sich jedoch auch der Magistrat genötigt, rechtliche Lücken ausfindig zu machen, um eine solche Exklusion zu rechtfertigen. Daher beantragte der Magist­rat im Sommer 1929 beim preußischen Staatsministerium „zur Beseitigung der Zigeunerplage die Ansiedlung der Zigeuner in geeignete Gegenden vorzuneh­men“, ein Antrag, der von der Stadtverordnetenversammlung „mit Genugtuung“ zur Kenntnis genommen wurde.248 In den folgenden Wochen suchte eine Sonderkommission nach einem geeigneten Gelände, wohin man die ‚Zigeuner‘ am besten aussiedeln könne. Allerdings regte sich der Unmut lokaler Ortsvereine, sobald auch nur ein Gelände für einen solchen Zweck angedacht wurde. Entsetzt reagierte der Bezirksverein Bonames, als er aus den ‚Frankfurter Nachrichten‘ von den Plänen einer „Zigeunersiedlung“ in ihrer Gemarkung erfuhr, eine Nachricht, die einschlug „wie eine Bombe.“249 Im August 1929 schlossen sich die Bezirksvereine von ganz Groß-Frankfurt zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um gemeinschaftlich gegen die Errichtung eines solchen Lagers im Stadtgebiet von Frankfurt am Main Front zu machen. Sie vertra­ten die Ansicht, „dass es Aufgabe des Magistrats und der Stadtverordneten­versammlung wäre, die Zigeuner 245 Jugendamt betr. Zigeunerplage vom 12.1.1927 (FMA R1.377, Bl. 5). 246 Ebd. 247 Industrie- und Handelskammer Frankfurt a.M.-Hanau an Magistrat vom 26.1.1929 (FMA R1.377, Bl. 150). 248 Abschrift des Stadtverordneten-Beschlusses vom 12.7.1929 (FMA R1.378, Bl. 2). 249 Bezirksverein Bonames an Magistrat vom 9.8.1929 (FMA R1.378, Bl. 39).

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überhaupt aus Frankfurt/Main abzuschieben.“ Dabei versuchte die Kommission zur Unterbringung der Zigeuner bei ihrer Suche nach einem geeigneten Siedlungsplatz den Bedenken der Anwohner schon im Vor­feld zu begegnen. Zur Bewertung des Grundstückes in der Gemarkung Bonames notierte die Kommission in einem Protokoll vom 17.6.1929: „Es besteht Uebereinstimmung dahin, dass dieses Grundstück für die Unter­bringung der Zigeuner deshalb geeignet […] ist, weil es von den Niederlassun­gen (mit Ausnahme der erwähnten, aber fest umzäunten Ka­serne) weit entfernt ist, weil es auch von der Chaussee und der Eisenbahn nicht eingesehen werden kann.“250

Bedingung für die Bereitstellung des Grundstücks sei aber, „dass es völlig umzäunt wird, Wasserversorgung und Abort eingerichtet wird. Wasserleitung kommt nicht in Frage, es sollen 1–2 Brunnen gebohrt wer­den. Als Aborte sollen ganz einfache Latrinen hergerichtet werden. Das Grundstück soll ausserdem mit einem Zaun umgeben werden, um Belästigun­gen der Nachbarschaft möglichst zu vermeiden.“251

Nach Aussage der Kommission erwies sich das Grundstück nach eingehender Prü­ fung dann doch als ungeeignet, so dass man sich dafür entschied, das „ZigeunerKonzentrationslager“, wie es mittlerweile genannt wurde, auf dem sogenannten „Russlandgelände“ am Rande der Frankfurter Gemarkung an der Grenze zu Vilbel zu errichten, eine Gegend, die fernab jeglicher Siedlungen lag. Doch auch hier fühlten sich Anwohner von den ‚Zigeunern‘ gestört. So reagierten nicht nur die Landwirtschaft betreibenden Grundbesitzer des umliegenden Landes äusserst er­regt auf die Errichtung des Konzentrationslagers, sondern auch der Bürgermeister von Vilbel, der aus der Zeitung von den Frankfurter Plänen erfahren musste, und einige Frankfurter Bürger, die sowohl das Vilbeler, als auch das Frankfurter Naher­holungsgebiet gefährdet sahen.252 „Es bedarf keiner besonderen Erörte­rung“, schrieb am 26.8.1929 die Bürgermeisterei Vilbel beschwerdeführend an die Provinzialdirektion Oberhessen, 250 Protokoll der Kommission zur Unterbringung der Zigeuner vom 17.6.1929 (FMA R1.377, Bl. 123). 251 Ebd. 252 ��������������������������������������������������������������������������������� So schrieb ein Leser an die Frankfuter Zeitung: „Und nun kommt man auf den Gedanken, ge­rade an einer Stelle, wo Frankfurt Erholungsgebiet mit einem zukunftsreichen geplanten Villen­viertel des Bades Vilbel zusammenstößt, wo sich die ersten Ansätze einer Frankfurter Wo­chenendzuflucht für die weniger begüterte Bevölkerung zeigen, ein Zigeunerlager aufzutun. Hier hatten sich wirklich Aussichten eröffnet, daß man über die Grenzpfähle hinweg sich gegen­seitig zu Hilfe komme, indem Vilbel seine Heilquellen

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„daß die Anwesenheit von Hunderten solcher Pußtasöhne einmal nicht zur Verschönerung der Gegend beiträgt, und weiter die starke Zahl der Spazier­gänger einer erheblichen Belästigung ausgesetzt wird ebenso die in aller­nächster Nähe liegende Bewohnerschaft der Stadt Vilbel diesen unangeneh­men Besuchen nachher ständig ausgesetzt sein wird.“253

Als Mitte September das Lager schließlich eingerichtet, wenn auch nicht fertig­ gestellt worden war, waren die betroffenen ‚Zigeuner‘ alles andere als erfreut über ihre neue Lagerstätte fernab jeglicher Einkaufs- und Verkaufsmöglichkeiten, fernab aber auch jeglicher Wasserversorgung. „Die Zigeuner erklären“, berichtete dann auch die Frankfurter ‚Volksstimme‘, „daß sie es vorziehen würden, den Win­ter in Frankfurt selbst zu verbringen. Sie wollen in der Nähe städtischer Wohnun­gen bleiben, um dort auf ihre Weise besser für den Unterhalt ihrer Familien sorgen zu können.“254 Auch die Polizei sah sich nicht in der Lage, die Umsiedlung der ‚Zigeuner‘ zu erzwingen, da sich diese ja rechtmäßig auf privaten Grundstücken eingemietet hatten. Erst nachdem sich die größten Familien, Weiß und Rosenberg, freiwillig bereiterklärt hatten, den neuen Siedlungsplatz testweise zu beziehen, verließen noch mehr Familien ihren Siedlungsplatz in der Stadt, wenn auch nicht alle. Christian Winterstein, ebenfalls einer der Frankfurter ‚Zigeuner‘ schaltete sogar einen Rechtsanwalt ein und verlangte zu erfahren, auf Grund welcher Bestim­mungen er sein ordnungsgemäß angemietetes Privatgelände in der Turmstraße zu verlassen habe.255 Auf diese Anfrage konnte der Magistrat nur ant­worten, dass eine Auflage für den Umzug nicht bestünde.256 Nach dem erfolgten Umzug der Familien Weiß und Rosenberg, die eskortiert von der berittenen Polizei die Stadt verlassen hatten257, regte sich erst recht der lokale Bezirksverein von Berkersheim in der Nähe des neuen Siedlungsplatzes und reichte Beschwerde nach Beschwerde beim Magistrat ein. Auch die Ortsbauern­schaft versammelte sich und beschloss einmündig, den Magistrat für alle Schäden, die die ‚Zigeuner‘ an ihren Obstwiesen und Feldern anrichten würden, haftbar zu machen. „Für die Errichtung eines Zigeunerlagers [kommt] in erster Linie Oed­land in Frage“, war der Standpunkt der Bauernschaft, gleichwohl ohne einen solch abgelegenen Ort

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für die Erholungsbedürftigen der Großstadt aus bequem erreichbarer Nähe anbieten.“ (Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 4.9.1929, FMA R1.378, Bl. 21). Hessische Bürgermeisterei Vilbel an die Provinzialdirektion Oberhessen (Gießen) vom 26.8.1929 (FMA R1.378, Bl. 12). Volksstimme vom 14.9.1929 (FMA R1.378, Bl. 22). Rechtsanwalt Dr. Jur. Kurt Möhring an Stadtgemeinde vom 27.8.1929 (FMA R1.377, Bl. 143). Schreiben Magistrat an Rechtsanwalt Dr. Jur. Kurt Möhring vom 21.10.1929 (FMA R1.377, Bl. 149). Stadtblatt der Frankfurter Zeitung, 2. Morgenblatt vom 15.9.1929 (FMA R1.378, Bl. 23).

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überhaupt nennen zu können. Es könne ihnen „aus reinem Rechts­gefühl nicht zugemutet werden […] was man anderen Einwohnern Frankfurts ersparen möchte.“258 Tatsächlich hatten die Ortsbauern von Berkersheim in den folgenden Wochen nach dem Umzug einen Teilverlust ihrer Ernte zu beklagen, gleichwohl die Angaben über den Umfang desselben vom Ma­gistrat als weit überzogen eingestuft wurden.259 Die im „Konzentrationslager“ angesiedelten ‚Zigeuner‘ mach­ten unterdessen keinen wirklichen Hehl daraus, dass sie es waren, die sich am Obst der Bauern bedient hatten. Denn die Versprechungen, die ihnen die Stadt bezüglich des neuen Siedlungsplatzes gemacht hatte, waren niemals wirklich umge­setzt worden. So existierten weder Aborte, noch Brunnen, noch wurde den Kindern der Besuch der naheliegenden Volksschule ermöglicht. Stattdessen stießen alle Tätigkeiten, denen die ‚Zigeuner‘ nachgingen, um sich ihre Existenz am Rande der Stadt zu sichern, bei den naheliegenden Dorfbewohnern auf lautstark zum Ausdruck gebrachten Missmut. Da den Lagerbewohnern die unmittelbare städtische Kundschaft für ihre Waren und Dienstleistungen fehlten, hielten sie sich zum einen an die lokale Bevölkerung, zum anderen aber auch an Vorbeifahrende, was nicht nur die Anwohner, sondern vor allem auch die zuständige Feldpolizei störte, die mit Beschwerden überhäuft wurde.260 Fernab von der alltäglichen Begegnung und unmittelbaren Nachbarschaft, schien das Lager nun aber die Neugier einiger Frankfurter und Vilbeler Bürger geweckt zu haben und so berichteten die ‚Frankfurter Nachrichten‘ im Oktober 1929 von regelrechten „Massenbesuchstagen“ im Lager.261 Die Stadt kam unterdessen ihren Versprechungen zur Lagerausstattung, die sie den Familien Weiß und Rosenberg gegeben hatten, nur sehr zögerlich nach. Doch die Bewohner des Lagers fanden sich damit nicht einfach ab und bereits im August 1929 wandten sie sich schrift­lich an das Polizeipräsidium und forderten neben der Anlage von Brunnen eine Versorgung mit Brennholz, sowie die reguläre Beschulung ihrer Kinder.262 Da sich die städtische Verwaltung schwer tat, diesen Forderungen nachzukommen und der ungeschützte und zugige Landstrich alles andere als ein angenehmer Lagerplatz war, setzten – glaubt man den Berichten des lokalen Bezirksvereines – einige der ‚Zigeuner‘ auf bewusste Provokation. „Die Zigeuner selbst erklären“, hielt der Bezirksverein Berkersheim in einem Schreiben an den Magistrat am 23.9.1929 fest, „dass sie mit Absicht die Diebstähle ausführen um eine Verlegung, des in­folge seiner Lage allen Witterungsbe-

258 Bezirks-Verein Berkersheim an Magistrat und Stadtverordnetenversammlung vom 19.8.1929 (FMA R1.378, Bl. 42). 259 Notiz des städtischen Fürsorgeamt (FMA R1.378, Bl. 126). 260 Feldpolizei an den Polizeipräsidenten vom 23.9.1929 (FMA R1.378, Bl. 71). 261 Sandner, Frankfurt, S. 46. 262 Polizei-Präsident an Magistrat vom 2.8.1929 (FMA R1.378, Bl. 62).

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dingungen stark ausgesetzten Lagers zu errei­chen.“263 Als im Winter 1929 der Regierungspräsident das Konzentrationslager besuchte, zeigte er sich entsetzt über die Bedingungen, unter denen die ‚Zigeuner‘ zu leben hatten und forderte eine umgehende Schließung.264 Mangels geeigneter Alternativen, die auf weniger Widerstand in der Bevölkerung stoßen würden, sprach sich der Magistrat in einem Antwortschreiben jedoch für den Erhalt des Lagers aus und entschuldigte mit einer Reihe an Ausflüchten den Zustand zum Zeitpunkt des Besuches des Regierungspräsidenten. So sei der Boden nur auf Grund von Brunnenbohrarbeiten sehr schlammig gewesen, Bohrarbeiten, die eigent­lich vier Monate zuvor hätten bereits abgeschlossen sein sollen. Nicht ohne Grund hatten die Lagerbewohner bereits im August darauf hingewiesen, dass ihnen im Winter das Wasser in den Fässern gefrieren würde und sie daher unbedingt auf Brunnen angewiesen seien.265 Auch Aborte waren im Dezember 1929 noch nicht eingerichtet, doch auch dies erklärte der Magistrat für unbedenklich, da die „Zigeu­ ner“ als „Wandervolk“ ohnehin ein härteres Leben gewöhnt seien.266 Über die Einrichtung der Brunnen und Aborte ist in den darauffolgenden Monaten nichts weiter überliefert, doch noch ein halbes Jahr später wandte sich die Schul­behörde beschwerdeführend an den Magistrat und wies diesen darauf hin, dass die Kinder der ‚Zigeuner‘ immer noch nicht beschult würden.267 Grund dafür war vor allem der vehemente Widerstand, den die Berkersheimer Bevölkerung der Beschu­lung der „Zigeunerkinder“ in ihrer Volksschule entgegen setzte. „Die Berkersheimer Schule“, schrieb der Bezirksverein am 23.9.1929 an den Magistrat, „seit Bestehen für den Ort Berkersheim und nach der Eingemeindung für den in ländlicher Abgeschlossenheit sich haltenden und noch eine Einheit bildenden Stadt­bezirk, ist wohl am wenigsten dazu geeignet unliebsame und ungebetene Gäste der Großstadt Frankfurt aufzunehmen.“268 263 264 265 266

Bezirksverein Berkersheim an Magistrat vom 23.9.1929 (FMA R1.378, Bl. 46). Regierungspräsident Erler an den Magistrat vom 5.12.1929 (FMA R1.378, Bl. 153). Polizei-Präsident an Magistrat vom 2.8.1929 (FMA R1.378, Bl. 62). Schreiben des Magistrats an Regierungspräsident Erler vom 9.1.1930 (FMA R1.378, Bl. 160–161). 267 Schulbehörde an Magistrat vom 8.6.1930 (FMA R1.378, Bl. 218). 268 Bezirksverein Berkersheim an Magistrat vom 23.9.1929 (FMA R1378, Bl. 47). Schon zu Zei­ten, da die „Zigeunerkinder“ noch städtische Schulen besuchten, waren sie den Anfeindungen der anderen Schüler und vor allem Eltern ausgesetzt. So schrieb am 28.12.1928 die städtische Schulbehörde an den Oberbürgermeister: „Schon seit 2 Jahren etwa laufen bei den Schulen des Gallusviertels Klagen und Beschwerden der Eltern darüber ein, dass in den von ihren Kindern besuchten Klassen auch Zigeunerkinder sässen, die durch ihre Unsauberkeit und ihren üblen Ge­ruch die übrigen Kinder abstiessen. […] Die Zigeunerkinder selbst fühlen sich in den Klas­sen zusammen mit den übrigen Kindern nicht wohl, da sie deutlich bemerken, dass sie bei die­sen Anstoss erregen.“ (Städt. Schulbehörden an den Oberbürgermeister vom 28.12.1928. FMA R1.377, Bl. 44).

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Beteiligt an dieser nahezu geschlossenen Front, die eine weitgehende Exklusion der ‚Zigeuner‘ aus der städtischen Gesellschaft und aus dem städtischen Raum forderten, waren vor allem die Menschen gewesen, die in Nachbarschaft zu den ‚Zigeunern‘ lebten oder denen eine solche Nachbarschaft bevorstand. Erst auf ihren lautstarken Druck in Form von Protestmärschen, Bezirksversammlungen, Beschwerdeschriften und Petitionen hin, suchten auch die Amtsinhaber der städti­schen Verwaltung nach Mitteln und Wegen, die ‚Zigeuner‘ aus dem städtischen Raum zu entfernen und so das „Zigeunerproblem“ zu lösen. Stadtverordnete und Magistratsmitglieder fast aller politischen Richtungen waren hierbei einhellig der Meinung, dass so gegen das ‚fahrende Volk‘ vorgegangen werden müsse. Auch die sich ansonsten liberal gerierende ‚Frankfurter Zeitung‘ schloss sich der Exklu­sionsbewegung an. Geradezu schuldbewusst räumte sie in ihrem ‚Stadtblatt‘ ein, dass die in Frankfurt lebenden ‚Zigeuner‘ ausnahmslos Reichsdeutsche seien und ihnen eigentlich der gleiche rechtliche Schutz zustehen müsse, wie jedem anderen Bürger. „So wenig man Zigeuner verjagen solle, als seien sie keine Menschen“, schob sie dann aber doch diesen Überlegungen hinterher, „so wenig kann geduldet werden, daß sie im alten Zustand beharren, wenn geeignetes Aufenthaltsgelände für sie zur Verfügung steht.“269 Inwiefern das „Konzentrationslager“ nun tatsäch­lich geeignet war, die Wagensiedlungen aufzunehmen, darüber machte sich der Autor keine Gedanken, auch nicht über den Umstand, dass alternativer Wohn­raum, den die ‚Zigeuner‘ in den Jahren zuvor vor allem in der Altstadt genutzt hatten, zur Zeit der Wohnungsnot und Wohnungszwangswirtschaft auch nicht mehr zur Verfügung stand.270 Allein die kommunistische Fraktion ergriff mit aller Vehemenz Partei für die so angefeindeten Familien. „Diese sogenannte Zigeuner­plage könnte mit Leichtigkeit gelöst werden, wenn man dazu übergehen wollte, diese Menschen, mit Frauen und Kindern wie andere Staatsbürger auch leben zu lassen“, brachte der kommunistische Stadtverordnete Münch am 28.1.1929 in der Stadtverordnetenversammlung vor. „Nachdem man diese Leute jetzt monatelang in einem Stall hat hausen las­sen, der so erbärmlich war, daß er allen sozialen und hygienischen Forde­rungen Hohn sprach, will man ihnen jetzt fern von Frankfurt, in einem Loch, in einer Höhle Unterkunft geben. Wenn

269 Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 15.9.1929 (FMA R1.378, Bl. 23). 270 ������������������������������������������������������������������������������������ Dies geht aus einer Umfrage unter den deutschen Städten hervor, deren Beantwortungsbogen uns überliefert wurde, deren Auftraggeber jedoch unbekannt ist. Üblicherweise wurden solche Rundfragen vom Deutschen Städtetag gestellt. Siehe Beantwortungsbogen zur Rundfrage vom 11.3.1930 (FMA R1.377, Bl. 178).

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man diese Leute dorthin bringt, dann sind wiederum keine Aborte, keine Badegelegenheiten, keine Schule oder sonstige soziale Einrichtung vorhanden.“271

Damit wies Münch schon ein halbes Jahr vor der Errichtung des „Konzentrati­ onslagers“ auf die zentralen Probleme hin, die dieses mit sich bringen würde und die eigentlich jedem hätten klar sein müssen. Doch wie auch sonst wurde die Kritik der kommunistischen Fraktion als ideologisch überformte Schimpftiraden abge­tan. Und so hatte auch der Antrag der kommunistischen Fraktion, „für eine Unter­bringung der Zigeuner aus Menschlichkeitsgründen im Einvernehmen mit den Zigeunern zu sorgen“272 in der Stadtverordnetenversammlung keine Chance auf Erfolg. Da für die Familien Weiß und Rosenberg kein Zwang bestand, das Lager zu bewohnen, verließen sie es im Laufe des Jahres 1930 wieder, worauf es zeit­weise leer stand. Stattdessen etablierten sich erneut in der Stadt selbst verschie­dene Zigeunersiedlungen, bis 1936 die städtische Polizei und die städtische Verwal­tung ihr Vorgehen gegen die ‚Zigeuner‘ verschärfte. Nach der Frankfurter Zigeunerkonferenz im Jahr 1936 errichtete die Stadt ein Jahr später in der Diesel­straße ihr erstes Zwangslager, das nur zwei Jahre später Ausgangspunkt zahlrei­cher Deportationen in nationalsozialistische Konzentrationslager werden sollte.273 Der Ausschluss der Frankfurter ‚Zigeuner‘ aus der städtischen Gesellschaft und aus dem städtischen Raum war ein Extremfall, doch er macht deutlich, wie ausge­ prägt nachbarschaftliche Kontrolle durch Anwohner selbst war. Erst auf Grund des Druckes der Bevölkerung auf die städtische Verwaltung, ergriff diese Maßnahmen gegen die ungewünschten Nachbarn und suchte nach Mitteln und Wegen, die ‚Zi­ geuner‘ weitestmöglich aus dem städtischen Raum entfernen zu lassen. Die Praxis der nachbarschaftlichen Überwachung selbst, war jedoch kein Sonderfall, sondern fester Bestandteil der städtischen Ordnungssysteme, in Frankfurt am Main, wie in Philadelphia. Die Überwachung des städtischen Raumes war daher kein reines top down System, sondern wurde in der Praxis maßgeblich durch die Beteiligung der städtischen Bevölkerung selbst geprägt.

271 Stadtverordneten-Versammlung vom 28.1.1929, 2. Sitzung, S.  72–75 (SF SV 1.723 Zigeunersied­lung). 272 Ebd. 273 Ausführlich dazu siehe die Quellendokumentation von Wolfgang Wippermann, Die nationalsozia­listische Zigeunerverfolgung. Darstellung, Dokumente, didaktische Hinweise, Frankfurt am Main 1986 und die Studie von Sandner, Frankfurt.

4

Momente der Erschütterung

Die städtischen Ordnungssysteme, die sich in den 1920er Jahren etabliert hatten, standen unter einem stetigen Wandlungsdruck. Immer wieder kam es zu Ereignis­sen, die diese Systeme in einem besonderen Maße herausforderten. Im Folgenden möchte ich zwei solcher Belastungsproben erörtern, denn die Entstehung, der Ab­lauf und das Resultat solcher Momente der Erschütterung zeigen in vielfältiger Form auf, wie die Systeme ‚arbeiteten‘, wo sie versagten und wer zentral an ihnen und ihrem Erhalt mitwirkte. Die ausgewählten Untersuchungsfälle setzen hierbei ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Während es beim ‚Fall Wiechmann‘ (4.1) in Frankfurt am Main vor allem um das System der sozialen Fürsorge geht, thematisiert der ‚Fall Butler‘ (4.2) in Philadelphia vor allem das System der politischen Maschine und den städtischen Polizeiapparat. Wie in den Kapiteln zuvor deutlich geworden ist, sind diese Bereiche eng mit den gesamtstädtischen Strukturen verwo­ben und so spielen in beiden Fällen sozialräumliche Strukturen, politische Praktiken und mediale Inszenierungen eine zentrale Rolle.

4.1

Der Fall Wiechmann

„Gestern nachmittag 1 Uhr erschien der Erwerbslose Josef Willcomm nach dreimaliger Rücksprache bei der Unterstützungsabteilung des Arbeitsamtes bei dem zuständigen Vermittlungssekretär Peter Ennenbach, zog den Revol­ver und schoß demselben mit den Worten: ‚Du bist an allem schuld, wenn man mir keine Unterstützung gibt!‘ eine Kugel in den Kopf, die nach Durch­bohrung der Wange hinter dem Ohr stecken blieb.“1

Dies berichtete am 4. August 1928 die ‚Arbeiter Zeitung‘ in Frankfurt am Main. Einen Tag später schrieb dazu die bürgerlich-konservative Zeitung ‚Frankfurter Nachrichten‘: „Die Schüsse auf dem Arbeitsamt zeigen schlaglichtartig die Verzerrung der Anschauung in asozialen Köpfen. […] Eine Aerztin konnte nach solchem Kampfe kaum noch die nächste Straßebahnhaltestelle erreichen. Einer schreibenden Fürsorgerin wird der Kopf auf den Tisch gestoßen, daß das Gesicht blutüberströmt ist. Drohbriefe, sich mit dem Revolver ‚Recht‘ zu holen, sind an der Tagesordnung. Höhere Beamte sehen sich verfolgt und umlauert. Man erpreßt auf falsche Behauptungen hin sofortige Unter­stüt­zungen mit der täg1 Arbeiter Zeitung Nr. 181 vom 4.8.1928 (FWA 1.408, Bl. 202).

Der Fall Wiechmann

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lich wiederholten Drohung: ‚Ich mach’s wie Wiechmann, ich schneide Frau und Kindern den Hals ab!‘ – Selbst Men­schen, bei denen man es nicht glauben möchte, stehen unter der Wiechmann-Psychose.“2

Die „Wiechmann-Psychose“ grassierte zu diesem Zeitpunkt seit einem halben Jahr durch Frankfurt. Anfang März hatte der Kaufmann und Familienvater Friedrich Wiechmann laut der Anklageschrift des Schwurgerichtes „I. gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau durch drei selbständige Handlungen seine Kinder Wolfgang, Hans und Friedrich vorsätzlich getötet […] und zwar indem er die Tötung mit Überlegung ausführte, II. durch eine weitere selbständige Handlung vorsätzlich seine Ehefrau getötet […], und zwar in­dem er durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen der Getöteten zur Tötung bestimmt worden war.“3

Diese Mordtat war in dem krisengezeichneten Frankfurt am Main an sich nichts Neues. Immer wieder war in den Zeitungen von Selbstmorden, Familienselbst­morden und Kindstötungen zu lesen4, zwischen 1924 und 1927 war die Zahl der Selbstmorde in Deutschland von 14 338 auf 16 800 angestiegen.5 Doch im Fall Wiechmann erzeugte die Tat eine bisher nicht dagewesene Medienresonanz und machte den Namen Wiechmann zu einer regelrechten Verbalisierung der Verzweif­lung tausender notleidender Frankfurter. Neu an dieser Tat war nicht das Ausmaß der Tötungen. Neu war zum einen die Tatsache, dass der Grund für die Tat nicht auf zerrüttete Familienverhältnisse, Alkoholismus oder innerfamiliäre Gewalt zurückgeführt werden konnte, und zum anderen, dass Friedrich Wiechmann den Familienselbstmord überlebte, da, wie er selbst später aussagte, nach einem erfolglosen Erhängungsversuch „der Lebenswille in ihm zu stark gewor­den“ sei.6 In ihrem Abschiedsbrief machte Margot Wiechmann, Friedrichs Frau, nicht nur die Tatenlosigkeit der städtischen Fürsorge für ihr Handeln verant­wortlich, sondern auch ihre Nachbarn, Verwandten und Mitmenschen, die sie schi­kaniert und sich auf Grund ihrer Armut von ihnen abgewandt hätten.7 Nur wenige Tage nachdem die Leichen in der kleinen Mansarde entdeckt worden waren, wurde Wiechmann auf seiner Flucht in der Pfalz festgenommen, ver2 Frankfurter Nachrichten Nr. 216 vom 5.8.1928 (FWA 1.408, Bl. 201). 3 Bruno Fürst u. a. (Hg.), Der Fall Wiechmann. Zur Psychologie und Soziologie des Familien­mordes, Stuttgart 1928. 4 ������������������������������������������������������������������������������������ Moritz Föllmer, „Good-bye diesem verfluchten Leben“. Kommunikationskrise und Selbstmord in der Weimarer Republik, in: ders. (Hg.), Sehnsucht nach Nähe. Interpersonale Kommunikation in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 109–125. 5 Fürst u. a., Fall, S. 86. 6 Ebd., S. 18. 7 Ebd., S. 125.

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Momente der Erschütterung

hört, sexual- und kriminalpsychologisch studiert und einem Schwurgericht vorgeführt. „Dieser Angeklagte“, verkündete Wiechmanns Rechtsanwalt Steinschneider in seinem abschließenden Verteidigungsplädoyer, „der es gewissermaßen gewagt hat, sich seiner Bestimmung zu entziehen, der hier vor uns steht, da ihm zum Selbstmord die Kraft oder der Mut ge­fehlt hat, stellt eine Zufallserscheinung dar, und ich frage mich nur, ob es sich bei diesem Zufall um einen glücklichen oder unglücklichen handelt. […] Denn dieser Angeklagte ist zugleich ein drohender Ankläger, der An­klage erhebt gegen die Gesellschaft, und auch dort (auf die Zeugenbank zei­gend) sitzt mehr als einer, der eher auf die Anklage- als auf die Zeugenbank gehört.“8

Die „Anklage gegen die Gesellschaft“, die der Fall Wiechmann für viele Zeitgenos­ sen darstellte, ließ die Debatten zum Verhältnis der sozialen Schichten neu aufleben. Diese waren in den Jahren zuvor mit der Einbindung der SPD in die städtische Verwaltung von bürgerlichen Gruppen und Sozialdemokraten gerne als überwunden dargestellt worden. Während der Fall Wiechmann den kritikfreudigen Kommunisten nun zahlreiche Argumente an die Hand gab, um noch lauter gegen die herrschenden Zustände zu „hetzen“9, entledigten sich die Sozialdemokraten jeglicher Selbstkritik und beschlossen wider besseres Wissen, das Missstände im Fürsorgeapparat der Stadt gar nicht vorhanden seien. In diesen Debatten um das Verhältnis der ‚herrschenden Klassen‘ zu den Hilfsbedürftigen nahmen die Kreis­stellen des Wohlfahrtsamtes eine zentrale Rolle ein: Sie wurden zum Konfronta­tionsort von Hilfsbedürftigen, städtischer Verwaltung und politischen Interessen­vertretern. Die Begegnungen auf den Kreisstellen verliefen hierbei meist alles andere als spannungsfrei, denn das Fürsorgesystem, das in den Köpfen seiner Kon­strukteure für mehr Gerechtigkeit sorgen sollte, versagte schlichtweg in der Praxis. Weder das angestellte Personal des Wohlfahrtsamtes, noch die Hilfsbedürfti­gen kamen mit den an sie gestellten Anforderungen zurecht. Neben der ausgeprägten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, war einer der Haupt­gründe für das Versagen des Fürsorgesystems, dass die personellen Grundlagen, auf denen das System aufgebaut werden sollte, gar nicht existierten. Während im Elberfelder System die Last der Fürsorgearbeit und vor allem auch die Verantwor­tung über die Zuweisung von Unterstützungsleistungen weitgehend in den Hän­den der ehrenamtlichen Pfleger lag, waren diese Anfang des 20.  Jahrhunderts mit der Einführung des Straßburger Systems zunehmend entmachtet und die Zuwei­sung von Unterstützungsleistungen immer stärker reglementiert worden. Mit der Umstellung des Fürsorgesystems mussten Anträge auf Unterstützung nicht länger bei den Pfle8 Ebd., S. 86, 87. 9 Frankfurter Post Nr. 220, Morgenblatt vom 10.8.1928 (FWA 473 Bl. 52).

Der Fall Wiechmann

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gern selbst, sondern auf einer der zuständigen Kreisstellen gestellt werden.10 Nach einer ersten formalen Prüfung durch einen Sozialbeamten im Innen­dienst, wurden die Anträge an den zuständigen Bezirksvorsteher weitergelei­tet, der entweder direkt über die Unterstützungs­leistungen entschied, oder aber dem Antragsteller einen seiner Ansicht nach angemessenen Pfleger zuwies, um den Fall näher zu überprüfen.11 Auf der Bezirksversammlung wurde dann schließ­lich über die Höhe der Unterstützungsleistung entschieden, wobei es auch hier feste Richtsätze gab, deren Überschreitung nur im Ausnahmefall erfolgen sollte.12 In der Praxis wurde in diesem Verfahren vor allem die Bedeutung der Sozialbeam­ten des Innendienstes gestärkt, die mit den Hilfsbedürftigen entweder gar nicht, oder nur auf der Kreisstelle in Kontakt kamen.13 Anfänglich hatten sich die ehren­amtlichen Pfleger noch gegen jegliche Einmischung des Armenamtes in ‚ihre‘ Angelegenheiten gewehrt14, dieser Protest ließ jedoch spätestens mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges weitgehend nach, wohl auch, weil die Fürsorgelast für die Pfle­ger immer bedrückender wurde und man ihnen damit auch die schwere Bürde der Ver­antwortung weitgehend abnahm. Die personelle Trennung von Innen- und Außendienst veränderte das bestehende Fürsorgesystem grundlegend. Zum einen weitete es den Personenkreis derer aus, die in die Bearbeitung von Unterstützungsanträgen involviert waren, und verän­derte zum anderen die im Elberfelder System so strikt verankerte räumliche Nähe zwischen den Personen, die Unterstützung gewähren konnten und jenen, die sie erhielten. In Frankfurt fiel diese Trennung etwas milder aus als in den Städten, die sich näher am ursprünglichen Straßburger System orientierten. In diesen musste ein Antrag auf Unterstützung auf einer Zentralstelle eingereicht werden und nicht, wie in Frankfurt, bei 10 Elsa Schlaudraff, Ein Vergleich zwischen dem Elberfelder, dem Straßburger und dem Frankfurter System in der Armenpflege, Nürnberg-Zirndorf 1932. 11 �������������������������������������������������������������������������������������� Schreiben des Wohlfahrtsamtes an den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge vom 1.4.1925 (FWA 451, Bl. 95). 12 So durfte 1925 auf einer Bezirksversammlung ein Unterstützungsbetrag bis zu 50% über dem Richtsatz zugewiesen werden, eine Überschreitung zwischen 50% und 100% konnte nur durch einen Entschluss der Kreisstellenversammlung erfolgen und einer Überschreitung darüber nur durch einen Beschluss des Unterstützungsausschusses des Wohlfahrtsamtes. Siehe dazu das Schreiben des Wohlfahrtsamtes an den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge vom 1.4.1925 (FWA 451, Bl. 95). 13 ��������������������������������������������������������������������������������� Grundlegend zur Einführung des Straßburger Systems siehe Christoph Sachße u. Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Band 2. Fürsorge und Wohlfahrts­pflege 1871 bis 1929, Stuttgart, Berlin, Köln u. a. 1988. 14 ������������������������������������������������������������������������������� So beschwerte sich im November 1907 eine Kreisstelle beim Armenamt mit den Worten: „Wir protestieren ganz entschieden gegen die Art und Weise, wie das Armen-Amt zu wiederholtem Male gegen die Beschlüsse des Distrikts handelt und das Ansehen der Armenpfleger […] unter­gräbt.“ (Vgl. Schreiben an das Armenamt vom 28.11.1907, FWA 526, Bl. 85).

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Momente der Erschütterung

einer räumlich immer noch recht nahen Kreisstelle. „Es han­delt sich also um ein abgekürztes Verfahren“, beschrieb 1932 Elsa Schlaudraff das „Frankfurter System“, „das an die alte Elberfelder Methode erinnert, da die räum­liche Zuständigkeit gewahrt“15 bliebe. Der für die Hilfsbedürftigen zentrale Unter­schied zwischen dem Elberfelder und Frankfurter System war jedoch, dass sie ihre Not nicht mehr nur einem Pfleger regelmäßig offenbaren mussten, sie mussten ihre Armut darüber hinaus einem ihnen fremden und häufig auch wesentlich jünge­ren Schalterbeamten erklären und belegen. Für viele Hilfsbedürftige war dies ein beschämender Vorgang, gegen den sie sich immer wieder zur Wehr setz­ten.16 In den Jahren der Etablierung des Frankfurter Systems war das Wohlfahrts­amt auf einen personell vergleichsweise gut ausgestatteten Verwaltungsapparat angewachsen. In Frankfurt fielen 1927 auf 10 000 Einwohner 13,5 Personen in den sozialen Ämtern, in Nürnberg waren es gerade einmal 7,3 und in Köln 6,3 Personen. Die­ses Mehr an Personal im Fürsorgewesen Frankfurts fand sich hierbei nicht im Au­ßen-, sondern vor allem im Innendienst, was die Kreisstellen dennoch nicht daran hinderte, weiterhin über Personalknappheit zu klagen. Vergleicht man die Vertei­lung der Angestellten des Frankfurter Fürsorgewesens mit anderen deutschen Städ­ten, wird diese Diskrepanz besonders deutlich. So kamen in Frankfurt auf eine Person im Außendienst 7,3 Personen im Innendienst, in Köln und Nürnberg lag dieses Verhältnis gerade einmal bei eins zu 1,6 und 1,4.17 Diese personelle Überladung des Amtes im Innendienst war dem städtischen Personaldezernat, das ansonsten recht wenig mit der praktischen Fürsorgearbeit in Kontakt kam, durchaus bewusst und so forderte es immer wieder Personalkürzungen ein. Die Vorschläge zur Personal­kürzung beruhten hierbei meist auf rein theoretischen Berechnungen des Personal­bedarfs und Vergleichszahlen mit anderen Städten. „Aus der Tatsache nämlich“, schrieb das Personaldezernat am 13.7.1925 an das Wohlfahrts­amt, „dass in einer ganzen Reihe von Kreisstellen auf einen Bearbeiter mehr als 200 Akten entfallen, kann geschlossen werden, dass im Durchschnitt von 1 Angestellten 200 Akten bear15 Schlaudraff, Vergleich, S. 60. 16 Die Problematik der jungen Schalterbeamten war dem Wohlfahrtsamt durchaus bekannt und es bemühte sich immer wieder um die Zuweisung angemessenen Personals. So schrieb Eduard Gräf am 22.11.1927 an den Magistrat um diesen auf die Schwierigkeiten auf den Kreisstellen hin­zuweisen: „Es sei beispielsweise an die oft wiederkehrende Beschwerde darüber erinnert dass Frauen und Männer, die hilfesuchend bei den sozialen Aemtern vorstellig werden, ihre Ver­hältnisse ganz jungen Beamten und Anwärtern darlegen müssen, was für sie eine schwere psy­chologische Belastung bildet.“ Siehe Schreiben von Eduard Gräf an den Magistrat vom 22.11.1927 (FWA 1.691, Bl. 52). 17 ���������������������������������������������������������������������������������� Dr. Ing. Eicke über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Umorganisation des Wohlfahrtsamtes vom 21.11.1927 (FWA 1.691, Bl. 121).

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beitet werden können. Legt man dieses Verhält­nis zu Grunde, so wären für die Gesamtzahl von 4 396 Akten 22 Angestellte erforderlich. Bei einer derartigen Verteilung könnten also 3 Kräfte einge­spart werden.”18

Die theoretischen Berechnungen zur Arbeitslast auf den Ämtern hatten jedoch recht wenig mit den dort nahezu kollabierenden Zuständen zu tun. Denn diese Berechnungen gin­gen dann an der Realität vorbei, wenn die Beamten wegen nervlicher und körperli­cher Überlastung zusammenbrachen und sich wochenlang krankschreiben ließen19, auch berücksichtigte sie in keiner Weise die unterschiedlichen Sozialstruk­ turen der Stadtteile, in denen die Kreisstellen gelegen waren. So klagte insbesondere die Kreisstelle Nordwest über die überdurchschnittliche Bearbeitungs­zeit, die sie für ihre Klienten benötigen würden, da diese zum Groß­teil aus den „besseren Schichten“ der Gesellschaft kamen. In der Bearbeitung ih­rer oftmals komplexen Besitzverhältnisse mit Wertpapieren, teurem Mobiliar oder Immobilien verursachten diese einen erheblichen Mehraufwand. Aber auch der persönliche Kontakt mit den „sehr empfindlichen Gebildeten“20 erwies sich als besonders zeitaufwendig. Nach Aussage der Kreisstellenmitarbeiter dauerte dieser zwei- bis dreimal so lang als mit Menschen aus ärmeren Bevölkerungsgruppen. Auf Grund „gehobener Allgemein- und Spezialbildung sowie guten Verbindungen mit massgeblichen Kreisen“, sei es „ausgeschlossen, sich ihrer durch Halbheiten oder sonstigen Abwimmelungspraktiken zu entledigen, um sich etwa dadurch selbst zu entlasten“21, äußerte ein Mitarbeiter der Kreisstelle Nord in einem Be­schwerdebrief an die Kreisstellenzentrale. Diese Aussage macht vor allem zwei Punkte deutlich: Zum einen, dass kulturelles Kapital in der Bearbeitung von Fürsor­gefällen eine zentrale Rolle spielte und aus der von Sozialdemokraten gelei­teten Fürsorge keine Fürsorge ohne Klassenunterschiede geworden war, zum ande­ren, dass Klienten aus unteren sozialen Schichten sich zu Recht von Kreisstel­ lenmitarbeitern herabgewürdigt fühlten. Der obligatorisch gewordene Gang von Hilfsbedürftigen zu einer Kreisstelle setzte nicht nur die Klienten des Wohlfahrtsamtes einer grundlegend neuen Situa­ tion aus, sondern auch die Beamten des Innendienstes, denn diese mussten nun in direkten Kontakt mit hilfsbedürftigen Menschen treten. Auf diese Aufgabe waren sie 18 Personaldezernent an das Wohlfahrtsamt vom 13.7.1925 (FWA 470, Bl. 359). 19 ��������������������������������������������������������������������������������������� So schrieb am 2.6.1926 das Wohlfahrtsamt an den Magistrat: „In letzter Zeit sind mehrere Be­amte und Beamtinnen infolge nervöser Erschöpfung krankgeschrieben worden, die den Arzt aber erst in Anspruch genommen haben, nachdem sie direkt zusammengebrochen waren.“ Vgl. Schreiben des Wohlfahrtsamtes an Magistrat vom 2.6.1926 (FWA 601, Bl. 24). 20 Beschwerde der Kreisstelle Nordwest bei der Kreisstellenzentrale vom 11.7.1925 (FWA 601, Bl. 1). 21 Ebd.

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jedoch weder vorbereitet worden, noch eigneten sich alle Mitarbeiter dafür. Spätestens seit 1926 ersuchte das Wohlfahrtsamt regelmäßig das Personaldezernat um die Zuweisung von Beamten, deren Nerven die Last der Sozialarbeit ertragen könnten. Noch 1923 wehrte sich der Betriebs- und Angestelltenrat gegen Kritik am Personal des Wohlfahrtsamtes, dem unterstellt wurde „seine Pflicht gröblich“ zu verletzen. „Die Angestellten von der Centrale, sowie in den Kreisstellen“, er­klärte der Rat am 28.9.1923, „sind meist ältere Leute, die infolge ihrer langjähri­gen Tätigkeit im Publikumsverkehr bewandert und sich auch die passenden Um­gangsformen im Verkehr mit den Pfleglingen und Antragstellern am Wohlfahrts­amt angeeignet haben.“22 Ganz anders sah diese Einschätzung aus, als das Wohl­fahrtsamt fünf Jahre später bei der Zusammenlegung von Jugend- und Wohlfahrts­amt dazu angehalten war, alle als ungeeignet erachteten Personen zwecks Zusammenstreichung des Personalstabes anzuzeigen und zahlreiche Kurz­bemerkun­gen wie, „ist für den schweren Dienst des WA., insbes. des grossen Publikumverkehrs wegen gesundh. nicht geeignet. Sehr nervös, Besserung ist nicht eingetr.“, „für den soz. Dienst auf Grund seiner inneren Einstellung nicht besond. geeignet“ oder „nicht geeignet für Publikumsverkehr, es fehlt ihm an der nöt. Energie, die Anträge mit der notw. Einstellung zu behandeln“23 zu einzelnen Personen notierte. Die Untauglichkeit vieler Schalterbeamten war dem Publikum auf den Ämtern durchaus bekannt, auch schon vor dem Fall Wiechmann.24 Doch auf Grund des medialen Aufruhrs, den der Fall erzeugte, häuften sich nach diesem die Berichte über unlautere Vorgänge auf den Sozialämtern der Stadt. Auch zum eingangs zitier­ten Fall Willcomm meldeten sich Leser bei den Zeitungen, um sich dem Pro­test gegen die Zustände auf den Ämtern anzuschließen. „Ennenbach, ein früherer Gewerkschaftsangestellter, erfreute sich, wie uns aus Kreisen der Erwerbslosen mitgeteilt wird, einer außerordentlichen Unbeliebtheit“, schrieb die ‚Arbeiter Zei­tung‘ im August 1928, „er soll die Erwerbslosen, deren Schicksal an sich schon traurig genug ist, in einer Weise schikaniert haben, die uns zu dem Schluß kommen läßt, daß der Mann entweder völlig nervenkrank ist und anstatt an einen Schalter des Ar­beitsamtes in eine Nervenheilanstalt gehört.“25 22 Erklärung des Betriebs- und Angestelltenrats des Wohlfahrtsamtes vom 28.9.1923 (FWA 609, Bl. 158). 23 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an Magistrats-Personal-Dezernenten vom 12.1.1928 (FWA 601, Bl. 169). 24 Schon zwei Jahre vor dem Fall Wiechmann findet sich in den Akten des Wohlfahrtsamtes eine „Auflistung untauglichen Personals“ (FWA 601, Bl. 316). 25 �������������������������������������������������������������������������������������� Arbeiter Zeitung vom 4.8.1928 (FWA 1.408, Bl. 202). In dieser Art machte sich die ‚Arbeiter Zeitung‘ die Situation auf den Kreisstellen immer wieder zu Nutzen und stilisierte die Beamten des Innendienstes als bürgerlich-arrogante Bürokraten.

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Die Schwierigkeiten mit dem Innendienst in der Bewertung von Fürsorgefällen war der städtischen Verwaltung durchaus bewusst und so trug man sich schon Mitte der 1920er Jahre mit dem Gedanken, die Trennung von Innen- und Außen­dienst wieder abzuschaffen, was jedoch vor allem in Ermangelung geeigneten Personals scheiterte.26 Problematisch an der Trennung war nicht nur, dass der Innen­dienst mit seiner Arbeit überfordert war, sondern auch, dass die Einbindung ausgebildeter Fürsorgerinnen, die eine Brücke zwischen Innen- und Außendienst schlagen sollte, sich in der Realität wesentlich schwieriger gestaltete, als man er­wartet hatte. „Die Fürsorgerin wirft dem Bürobeamten vor, daß er ihre Arbeit nicht versteht und würdigt, weil er den Außendienst nicht kennt, der Bürobeamte wirft ihr wiederum vor, daß sie nichts von Verwaltung und Aktenführung ver­steht“27, fasste 1925 die Fürsorgejuristin Hilde Eisenhardt vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge den Konflikt zusammen. 1912 hatte das Ar­men- und Waisenamt Frankfurts seine erste Fürsorgerin eingestellt28, 1926 waren es 32.29 Die ausgebildeten Fürsorgerinnen mussten im Gegensatz zu den über 2 000 ehrenamtlichen Pflegern im städtischen Fürsorgesystem nach allen Seiten um die Anerkennung ihrer Arbeit ringen und gerieten hierbei immer wieder in Konflikt mit ihren meist männlichen Kollegen.30 Denn trotz aller Debatten um eine ‚Professionalisierung‘ der Fürsorgearbeit, wurde den ausgebildeten Frauen auf den Kreisstellen anfänglich nur eine beratende Funktion zugestanden, bei der Zuweisung der einzelnen ehrenamtlichen Pfleger auf die Unterstützungsfälle wur­den sie nicht einmal zu Rate gezogen. Die Verantwortung über die Zuweisung von Unterstützungsfällen lag ganz in den Händen der Bezirksvorsteher, die sich aus den Reihen der ehrenamtlichen Pfleger rekrutierten und die damit ihr fürsorgeri­sches Können allein aus ihrer jahrelangen praktischen Erfahrung bezogen.31 Ob die praktische Erfahrung ein Kriterium für ‚Professionalität‘ war, war durchaus umstritten, da 26 �������������������������������������������������������������������������������� Diese Rückführung zu einer ganzheitlichen Fürsorge nach den Prinzipien der Familienfürsorge sollte in Frankfurt im Jahr 1928 realisiert werden. Doch schon im Vorfeld der Pläne schrieb der Leiter des Wohlfahrtsamtes, Eduard Gräf, an den Magistrat: „Die grundsätzlich für richtig gehal­tene Beseitigung des Innen- und Außendienstes, die zur Rationalisierung des Gesamtbetrie­bes viel beiträgt, kann bei der Durchschnittsqualifikation der heutigen Personal­besetzung keineswegs verwirklicht werden.“ Vgl. Schreiben von Eduard Gräf an den Magistrat vom 22.11.1927 (FWA 1.691, Bl. 53). 27 Hilde Eisenhardt, Das Zusammenwirken der Organe des Innen- und Außendienstes in der wirt­schaftlichen Fürsorge eines Wohlfahrtsamtes, Frankfurt am Main 1925. 28 Frankfurter Wohlfahrtsblätter. April 1923, S. 5 (FWA 1.344, Bl. 85). 29 Zur Anzahl der Fürsorgerinnen siehe Schreiben des Wohlfahrtsamtes Frankfurt an das Wohl­fahrts- und Jugendamt Darmstadt vom 29.10.1926 (FWA 169, Bl. 121). 30 Zur Anzahl der ehrenamtlichen Pfleger siehe Schreiben des Wohlfahrtsamtes Frankfurt an Wohl­fahrtsamt Leipzig vom 4.6.1926 (FWA 169, Bl. 81). 31 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge vom 1.4.1925 (FWA 451, Bl. 95).

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sie im Falle der ehrenamtlichen Pfleger zumeist von den theoreti­schen Fachdiskussionen unberührt blieb. Diese „ehrenamtlichen Kräfte [dürfen] in Zukunft die Fürsorge nicht mehr beherrschen“, schrieb 1920 Stadtrat Dr. Heimerich in den Schriften des Frankfurter Wohlfahrtsamtes. Allerdings kam er nicht herum einzugestehen, dass „für die fachliche Ausbildung von Berufskräften, vor allem für die männlichen Kommunalbeamten […] noch viel getan werden“ müsse.32 Die Situation fehlender Ausund Fortbildungsmaßnahmen änderte sich in den folgenden Jahren insofern zum Positiven, da das Wohlfahrtsamt zuneh­mend Lehrgänge und Nachschulungskurse für seine Mitarbeiter anbot.33 Doch ganz unabhängig von diesen Schulungsmaßnahmen blieb das Grundproblem unge­löst, dass geeignetes Personal zur Besetzung der anspruchsvollen Stellen beim Wohlfahrtsamt äußerst rar war. Am 22.11.1927, also nur wenige Monate vor dem Fall Wiechmann, schrieb der Leiter des Wohlfahrtsamtes Eduard Gräf an den Magistrat: „Es muss mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass in der ver­gangenen Zeit dem Wohlfahrtsamt und dem Jugendamt zahlreiche Arbeits­kräfte überwiesen worden sind, die den notwendigerweise an sie zu stellen­den Ansprüchen nicht genügen. […] Die Personalbesetzung der beiden sozi­alen Aemter ist heute eine solche, dass nicht einmal alle qualifizierten Stel­len (selbständige Sachbearbeiter als Bezirksbeamte oder in der Jugend­für­ sorge) mit wirklich hierfür geeigneten Persönlichkeiten besetzt werden können.“34

In seinem Schreiben wies Eduard Gräf noch auf ein weiteres zentrales Problem hin, dass eine kontinuierliche Arbeit auf gleichbleibendem Niveau nahezu un­möglich machte: Selten blieben Beamte länger als ein Jahr bei einer Kreisstelle und Mitarbeiter, die mühevoll eingearbeitet und auf Lehrgängen nachgeschult worden waren, wurden nach kürzester Zeit wieder zu anderen Ämtern quer­ver­setzt. So beschwerte sich im August 1925 die Kreisstelle 1b beim Wohlfahrts­amt, dass von den neun überwiesenen Beamten seit der Gründung der Kreisstelle im Dezember 1924 nur noch drei übrig geblieben wären.35 Und auch die Kreis­stelle V hatte im September 1927 innerhalb von nur wenigen Monaten „vier Be­amte und zwei Diätare abgeben müssen“, und zwei Anwärter auf Beamtenstellen stün­den kurz vor ihrer nächsten Abbe32 Stadtrat Dr. Heimerich, Die Fortbildung des Elberfelder Systems, in: Wohlfahrtsamt Frankfurt am Main (Hg.), Aufgaben und Organisation der städtischen Wohlfahrtsämter. Ergebnisse des Lehrgangs über städtische Wohlfahrtsämter, Frankfurt am Main 1921, S. 11–13, hier S. 12. 33 Siehe dazu Beispielsweise den Antrag auf Finanzmittel für Schulungsmaßnahmen vom 12.8.1926 (FWA 199, Bl. 1). 34 Schreiben von Eduard Gräf an den Magistrat vom 22.11.1927 (FWA 1.691, Bl. 35). 35 Schreiben der Kreisstelle 1b an das Wohlfahrtsamt vom 3.8.1925 (FWA 470, Bl. 272).

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rufung.36 Die Ausbildung solcher Anwärter war ein weiteres Problem. Denn während bei den Beamtenprüfungen Wissen über das gesamte städtische Amtssystem abgefragt wurde, kamen die Anwärter in ihrer praktischen Ausbildung auf den Kreisstellen fast ausschließlich mit der Fürsorge­arbeit in Berührung. Auf Grund der starken Überlastung der Ämter wurden die Anwärter so stark in die Abwicklung der täglich anfallenden Aufgaben eingebun­den, dass ihnen die Zeit fehlte wichtige Prüfungsinhalte nachzulernen. Dies hatte zur Folge, dass nur wenige Anwärter für eine Stelle beim Wohlfahrtsamt ihre Prü­fungen überhaupt bestanden und sich nach einem misslungenen Versuch meist anderen Bereichen zuwandten.37 Die querversetzten Beamten, die den Kreisstellen zugewiesen wurden, kamen unterdessen nicht nur aus anderen Abteilungen, sondern waren teilweise mit der Art der Arbeit, die sie erledigen sollten, gar nicht vertraut. So wurden dem Wohl­fahrtsamt im August 1925 für vier Monate drei Straßenbahner überwiesen, um in der zentralen Registratur tätig zu werden, in der es nicht minder als um die Organi­sation und Auffindung der Fürsorgeakten ging, auf deren Grundlage die Schalterbeamten ihr Urteil über die Gewährung von Fürsorge zu fällen hatten. Eine fehlerhafte Bearbeitung oder Ablage dieser Akten konnte die Bearbeitung eines Antrages erheblich verzögern, Zeit, die den Hilfsbedürftigen häufig nicht zur Verfügung stand. 38 Die Akten hatten sich mit der Trennung von Innen- und Außendienst zu einem zentralen Faktor im Bearbeitungsprozess von Fürsorgeanträgen entwickelt. Wäh­rend die ehrenamtlichen Pfleger ihre Klienten zumeist über Jahre kannten, muss­ten sich die stetig wechselnden Sozialbeamten des Innendienstes vor allem auf die bestehende Aktenlage stützen und so hatte die Qualität der Aktenführung einen kaum zu überschätzenden Stellenwert im städtischen Fürsorgesystem. Umso drama­tischer wirkte sich das Aktenchaos aus, das aus den stetigen Querversetzungen und der personellen Fehlbesetzung resultierte. Dieses Chaos wurde auch wiederholt vom Revisions­amt festgestellt, das daraufhin von den Kreisstellen immer wieder grundlegende Aktenrevisionen forderte. Da die Mitarbeiter aber allein schon mit der Akten­füh­rung überlastet waren, war eine solche Revision, die eine Nachprüfung aller Fürsor­gefälle bedeutet

36 Kreisstelle Ostend an Kreisstellenzentrale vom 22.9.1927 (FWA 601, Bl. 357). 37 Ebd. 38 Da dem Personaldezernat kein anderes Personal zur Verfügung stand, beantragte das Wohlfahrts­amt sogar eine Verlängerung der „bürounkundigen Straßenbahner“ in ihrem Amt, da die Arbeit schließlich „nicht von geschickten und findigen Registraturbeamten ausgeführt“ würde und sie daher, mangels anderen Fachpersonals, noch länger benötigt würden. Siehe Schreiben des Wohl­fahrtsamtes an den Personal-Dezernenten vom 3.8.1925 (FWA 470, Bl. 344).

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hätte, neben dem Tagesgeschäft kaum zu realisieren.39 Am 6.2.1926 schrieb die Kreisstelle IVa an das Wohlfahrtsamt: „Die Aktenführung liegt schon seit Jahren so sehr im Argen, dass die Verant­wortung weder vom Vorsteher noch von seinen Mitarbeitern getragen wer­den kann. Die Lage hat sich jetzt so zugespitzt, dass die regelmässigen Dienst­stunden vielfach zur Abfertigung des Publikums nicht mehr ausrei­chen. Alle Beamten und Angestellten der Kreisstelle leisten regel­ mässige Ueberarbeit, um nur während der nächsten Sprechstunden wieder Akten fin­den zu können. […] An das Amt ergeht daher letztmals die drin­gende Bitte, so­fort Abhilfe zu schaffen, wenn der vollständige Zusammen­bruch verhin­dert werden soll.“40

Problematisch an der unzuverlässigen Aktenführung war nicht nur, dass Akten fehler- und lückenhaft geführt, nicht aufgefunden oder erst gar nicht angelegt wur­den41, sondern auch, dass Beamte, die allein für die Büroarbeit ausgebildet waren, Eintragungen in Bezug auf den Charakter von Hilfsbedürftigen vornahmen. Denn solche Eintragungen waren unter anderem entscheidend, wenn es um die Bewer­tung ging, ob ein Antragsteller ein „unverschämter Armer“ sei und man daher des­sen Aussagen grundlegend bezweifelte. So versuchten am 27.7.1927 einer der Gebrüder Mugdan „in einer dringenden Angelegenheit betr. einer 3.ten notleiden­den Person das Wohlfahrtsamt“42 aufzusuchen. Dabei seien sie gleich zweimal in einer Woche bereits um 12.25 Uhr auf verschlossene Türen gestoßen, also fünf Minuten vor dem eigentlichen Ende der Besuchszeit. Auch der Türwächter Pfütz habe sie nach mehrfachem Klingeln an der Tür zurückgewiesen. Von dieser Abwei­sung, so die Brüder Mugdan 39 ��������������������������������������������������������������������������������������� Am 1.6.1928 schrieb eine Kreisstelle an das Wohlfahrtsamt: „Alle Bitten und Klagen wurden von der Amtsleitung wohl als berechtigt anerkannt, aber es ist von ihr bis heute zur Abstellung der Mängel so gut wie nichts erreicht worden. Im Gegenteil auf Drängen des Rechnungs­revisions-Büros verlangt das Amt von den Kreisstellen in einer Zeit, wo nur Massenarbeit mög­lich ist, Präzisionsarbeit. Es bürdet täglich durch Anforderung von Statistiken usw. neue Arbei­ten auf. Dazu kommt, dass durch die wiederholte Herabsetzung der Richtsatzüberschreitungsbefugnis eine erhebliche Anzahl der laufenden Unterstützungsfälle der Bezirks- oder Kreisversammlung oder dem Unterstützungsausschuss zur Beschlussfassung unter­breitet werden muss, was ebenfalls erhebliche Mehrarbeit verursacht.“ (Schreiben an Wohl­fahrtsamt vom 1.6.1926, FWA 470, Bl. 405). 40 Schreiben der Kreisstelle IVa an das Wohlfahrtsamt vom 6.2.1926 (FWA 601, B. 295). 41 So wehrte sich am 31.10.1922 der Bezirksvorsteher Stiefel gegen den Vorwurf, Anfragen des Jugendamtes nur sehr zögerlich zu beantworten mit dem Gegenvorwurf, dass ihm immer wie­der die falschen Akten zugesandt werden, was die Bearbeitungszeit von Anfragen erheblich ver­zögere. Siehe Schreiben des Bezirksvorstehers Stiefel an den Magistrat vom 31.10.1922 (FWA 1.344, Bl. 44). 42 Schreiben der Gebrüder Mugdan an das Wohlfahrtsamt vom 28.7.1927 (FWA 189, Bl. 1).

Der Fall Wiechmann

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in ihrem Beschwerdeschreiben, sei auch eine Frau Günsberg betroffen gewesen, die zur gleichen Zeit vor verschlossenen Türen stand. Dass die Gebrüder Mugdan die besagte Frau Günsberg in ihrer Beschwerde­führung erwähnten, war allerdings ihrem Anliegen nicht unbedingt dienlich. „Wenn man Rückschlüsse zieht auf die in dem Schreiben angegebene notleidende Person, – Frau Guinsburg“, heißt es wenige Tage später im „Bericht zur Sache“ dieses Falles, „so kann man nur sagen, dass diese als eine ganz verlo­gene Person aktenmässig bekannt ist, die dem Amt und dem Hausherrn nur Schwie­rigkeiten bereitet.”43 „Aktenmäßig bekannt“ zu sein, war eine heikle Angele­ genheit, je nachdem, welche Eintragungen die stetig wechselnden Beamten vorgenommen hatten. Schon vor den Fall Wiechmann war das psychiatrisch-kriminologische Experten­ wissen nicht nur in die Gerichtspraxis durchgesickert44, sondern spätestens seit dem spektakulären und medienwirksamen Gerichtsprozess um den Serienmörder Fritz Haarmann in Hannover im Jahr 1924 Bestandteil des von der Tagespresse getragenen populären Halbwissens um Mörder und Triebtäter geworden.45 „Wie Bürgermeister Gräf weiter ausführte“, lautete es dann auch in der Frankfurter Zei­tung am 24.4.1928, „hat der Fall Wiechmann die Folge, daß asoziale Elemente, unter denen sich viele Psychopathen befinden, unter Berufung auf den Fall Wiechmann bei den Kreisstellen und bei den Armenpflegern zudringlich wurden und sowohl die Pfleger bedrohten als auch mit Ermordung ihrer Familie drohten.“46

Wer also auf einer Kreisstelle seinen Frust und seiner Angst um die eigene Exis­tenz lautstark zum Ausdruck brachte, konnte schnell in den Verdacht geraten, ein „Psychopath“ zu sein, zumindest aber „asozial“ und ein „Querulant“. Wenn diese Meinung nun schriftlich in einer Akte festgehalten wurde, war es spätestens mit dem nächsten Austausch des Personals der Kreisstelle kaum möglich, die Gründe solcher Eintragungen zurückzuverfolgen, die alles andere, als ‚professionell‘ wa­ren. Dass man nun auch Friedrich Wiechmann unmittelbar als Psychopathen ein­ schätzte, war nicht wirklich verwunderlich. Daher wurde ihm auch erst einmal 43 Bericht zur Sache vom 2.8.1927 (FWA 189, Bl. 2). 44 ������������������������������������������������������������������������������������� Urs Germann, Der Ruf nach der Psychiatrie. Überlegungen zur Wirkungsweise psychiatrischer Deutungsmacht im Kontext justizieller Entscheidungsprozesse, in: Désirée Schauz u. Sabine Freitag (Hg.), Verbrecher im Visier der Experten. Kriminalpolitik zwischen Wissenschaft und Praxis im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 2007, S. 273–319, hier S. 274. 45 Thomas Kailer, Werwölfe, Triebtäter, minderwertige Psychopathen. Bedingungen von Wissens­popularisierung: Der Fall Haarmann, in: Carsten Kretschmann (Hg.), Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel, Berlin 2003, S. 323–359. 46 Frankfurter Zeitung vom 24.4.1928 (FWA 1.408, Bl. 92).

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Momente der Erschütterung

kein Glaube geschenkt, als er aussagte, mehrfach vergeblich nicht nur beim Wohl­ fahrtsamt, sondern auch bei einer kirchlichen Einrichtung vorgesprochen zu ha­ ben. Man glaubte ihm selbst dann nicht, als ein Nachbar seine Aussage bestätigte. Stattdessen zog man die Aussage des Nachbarn in Zweifel, weil dieser gleicher­maßen ein „Psychopath“ sei. „Im Übrigen gestatte ich mir darauf aufmerksam zu machen“, kommentierte ein Kreisstellenmitarbeiter im Vernehmungsprotokoll die Aussage des Nachbarn Philipp Bachmann, „dass alle Angaben des in Frage stehenden Philipp Bachmann, Hahnstrasse, mit der grössten Vorsicht aufzunehmen sind. B. ist mir dienstlich als Bara­ckenbewohner durch meine frühere Tätigkeit bekannt. Seine Behauptungen sind in der Regel nicht ernst zu nehmen. Er ist als Wichtigtuer, Querulant und Psychopath bekannt.“47

Das Urteil der Sozialbeamten des Innendienstes, es bei den verzweifelten Klienten in den Wartehallen der Kreisstellen mit zahlreichen Psychopathen und Querulan­ ten zu tun zu haben, war augenscheinlich schnell gefällt und belastete die Begeg­nung beider Seiten erheblich. Und so häufen sich in den Akten des Wohlfahrts­amtes die Beschwerden über despektierliches Verhalten Seitens der Beamten gegen­über den Klienten. Die Beschwerden wurden von den Beamten meist entwe­der damit gerechtfertigt, dass die Klienten zuerst unverschämt geworden seien, oder dass diese beim Amt als notorische Querulanten bekannt seien. „Ich weise die von Herrn Hofmann gegen mich erhobene Beschuldigung, dass ich ihn in gehäs­siger Weise anfeindete und belästigte, als bewusste Unwahrheit zurück“ lau­tet es beispielsweise in einem Beschwerdebericht vom 1.9.1927, „die Ursache der zwischen uns bestehenden Zwistigkeiten sind bei Herrn Hofmann selbst zu su­chen, der nicht nur mit mir, sondern mit allen benachbarten Familien in Unfrieden lebt.“48 Drei Monate später heißt es in einem anderen Beschwerdefall: „Ich muss die Angaben der Frau Wagner ganz entschieden bestreiten, ich habe in keiner Weise gegen die Frau irgendwelche anzüglichen Reden ge­führt und ich habe auch bereits Herrn Wagner gegenüber erklärt, dass die von seiner Frau gemachten Angaben unwahr seien […].“49

Als ergänzender Hinweis findet sich die Anmerkung, dass „nach telefonischer Rücksprache mit der Kreisstelle 6a“, dort die Familie nicht nur als vollständiger Unterstützungsfall bekannt sei, sondern dass der Ehemann auch sehr leicht erregt und an47 Aussage Philipp Bachmann auf der Kreisstelle vom 5.3.1928 (FWA 1.408, Bl. 9). 48 Beschwerdebericht vom 1.9.1927 (FWA 189, Bl. 32). 49 Beschwerdebericht vom 19.12.1927 (FWA 189, Bl. 33, 34).

Der Fall Wiechmann

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maßend würde, sobald man seinen Wünschen nicht entsprach. Wohl auch auf Grund dieser Einschätzung der Familie wurde eine weitere Verfolgung der Vorkommnisse abgelehnt. Die unzulänglichen räumlichen Gegebenheiten trugen ihren Teil dazu bei, dass die Begegnung von Sozialbeamten und Hilfsbedürftigen alles andere als entspannt verlaufen konnten. „Der Andrang des Publikums ist ein derartiger geworden“, schrieb das Wohlfahrtsamt am 2.6.1926 an den Magistrat, „dass durchschnittlich in den meisten Kreisstellen während der ersten Hälfte des Monats mittags um 12 Uhr noch 60–80 Leute in den Warteräumen der Abfertigung entgegensehen.“ Durch die lange Wartezeit „in den gänzlich unzureichenden und schlecht zu lüf­t enden Warteräumen“, sei das „Publikum derart erregt, und laut, dass ein ver­nünftiges Verhandeln bezw. Arbeiten in den Zimmern kaum noch möglich“50 sei. Dass die Kreisstellen überhaupt über Warteräume verfügten, war nicht einmal die Regel. So leitete der Zentral-Verband der Angestellten im April 1926 Beschwer­den von den Klienten der Kreisstellen an das Wohlfahrtsamt weiter, in denen diese über die lange Wartezeit in engen Korridoren ohne ausreichende Sitzgelegenhei­ten, zusammengedrängt mit Epileptikern, Lungenleidenden und Frauen mit Kin­dern klagten.51 In dieser vor allem für die Wartenden unangenehmen Situation, versuchten diese immer wieder außer der Reihe zu den Vorstehern der Kreisstelle zu gelangen, um so ihr Anliegen bei der ihrer Meinung nach wichtigsten Person vorzubringen. Um dieses Eindringen, das die Vorsteher bei ihrer eigentlichen Ar­beit stetig unterbrach, zu unterbinden, plante man, deren Büro „für den unmittelba­ren Eintritt des Publikums zu schliessen und den Eintritt nur durch ein benachbartes Zimmer und die Vermittlung des Ordners mit Anmeldung stattfinden zu lassen.“52 Solche Reglementierungen erregten bei den Wartenden jedoch meist noch mehr Ärger, als das es sie effektiv zur Räson brachten. „Die Amtsleitung hat sich in wiederholten Fällen in den Kreisstellen davon überzeugt“, schrieb das Wohl­fahrtsamt am 26.4.1924 an den Magistrats-Personal-Dezernenten mit der Bitte um Zuweisung von mehr Personal, „dass das Publikum ungeduldig ob des langen Wartens fortgesetzt die Bürotüre aufmachte, hineinschrie und sich gegen­seitig aufreizte und beklagte, dass es abgefertigt sein wollte und des langen War­tens müde sei.“53 Die Kreisstellenmitarbeiter waren in dieser ohnehin schon belastenden Situation alles andere als froh, wenn sich der Fürsorge ferne Abteilungen oder einzelne politi­sche Persönlichkeiten in ihre Arbeit einmischten. Als das Revisionsamt mal wieder eine Aktenrevision in Auftrag gab und zusätzlich in Zusammenarbeit mit 50 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an Magistrat vom 2.6.1926 (FWA 601, Bl. 23). 51 Schreiben des Zentral-Verbandes der Angestellten an das Wohlfahrtsamt vom 19.4.1926 (FWA 609, Bl. 264). 52 Schreiben des städtischen Fürsorgeamtes vom 6.12.1928 (FWA 1.851, Bl. 52). 53 Wohlfahrtsamt an Magistrats-Personal-Dezernent vom 26.7.1924 (FWA 470, Bl. 272).

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der Magistrats-Finanz-Kommission dem Wohlfahrtsamt noch Anweisungen geben wollte, wie es Unterstützungsfälle zu untersuchen habe und wie hoch die Richt­sätze für die Unterstützungsgelder festzusetzen seien, lehnte sich das Wohlfahrts­amt auf und verweigerte die Befolgung dieser Dienstanweisungen „von nicht fach­kundigen Personen“, „es sei denn“, räumte es ein, „dass der Magistrat dies ausdrücklich“54 anordne. Für die tägliche Arbeit aber noch wesentlich störender waren stetige Anrufe und persönliche Auftritte von Stadtverordneten, die für ihre „Alumnen“ einzutreten suchten. Diese Praxis der Stadtverordneten, persönlich auf den Kreisstellen vorstellig zu werden um sich in einzelne Fälle einzumischen, nahm nach dem Fall Wiechmann derart überhand, dass sich der Oberbürger­meis­ter genötigt sah, sich einzuschalten. Über den Polizeipräsidenten veranlasste er die Polizeiorgane „im Bedarfsfalle den städtischen Dienststellen schnell und ausrei­chend Schutz zu gewähren. Ehrenkränkungen und Beleidigungen der Beam­ten und Ehrenbeamten [seien] unnachsichtig zu verfolgen.“ Gleichzeitig ersuchte der Oberbürgermeister die Kreisstellen ihm Material vorzulegen, aus welchem hervor­geht, „dass Stadtverordnete in den Dienststellen des Fürsorgeamtes Anord­nungen getroffen bezw. das dort anwesende Publikum aufgehetzt haben.“55 Um das persönliche Engagement der Stadtverordneten in „gesunde Bahnen“56 zurück­zuführen, forderte das Wohlfahrtsamt eine Aussprache über diese Angelegenheit im Ältestenausschuss. Unmittelbarer Anlass war ein Fall auf der Kreisstelle Ostend gewesen, im dem vier verschiedene Stadtverordnete innerhalb einer Stunde sieben Mal zu „interpellieren“ gesucht hatten.57 Bei ihren Interpellations­ versuchen kündigten die Stadtverordneten unter anderem an, die Angelegenheit in der Stadtverordnetenversammlung anzusprechen. Da in der Stadtverordneten­ versammlung immer auch die Presse zugegen war, konnte eine Thematisierung des Falles bedeuten, dass der Name involvierter Beamten in Zeitungen publik ge­macht wurde. Auf Grund der zahlreichen gewaltsamen Übergriffe gegen Beamte war diese Ankündigung eine unmissverständliche Drohung, die von den Angestell­ten der Kreisstellen auch genau als solche verstanden wurde.58 Drohgebär­den wurden von Stadtverordneten jedoch oftmals noch viel direkter vorgebracht, meist von der kommunistischen Fraktion. So soll der Stadtverordnete Aschenbrenner, nachdem er in der Auseinandersetzung um den Fall der Familie Schiller auf der Kreisstelle nicht weitergekommen war, das Büro des Vorstehers ver54 ��������������������������������������������������������������������������������� Kommentar des Wohlfahrtsamtes zu den Mitteilungen der Magistrats-Finanz-Kommission vom 26. 1.1926 (FWA 601, Bl. 271). 55 Schreiben des Oberbürgermeisters in Abdruck dem Fürsorgeamt vom 30.8.1928 (FWA 1.841, Blatt 44). 56 Schreiben des Fürsorgeamtes an den Oberbürgermeister vom 27.10.1928 (FWA 1.841, Bl. 45). 57 Ebd. 58 Abschrift Städt. Jugend- u. Wohlfahrtsamt vom 25. 6. 1928 (FWA 1.841, Bl. 47).

Der Fall Wiechmann

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lassen und in den Flur der Kreisstelle gerufen haben: „Leute, hat hier jemand eine Beschwerde gegen die Kreisstelle vorzubringen?“59 Noch aggressiver war der Stadtverordnete Lang, ebenfalls von der kommunistischen Fraktion. Am 1.10.1928 rief er nach Aussage eines Mitarbeiters auf der Kreisstelle an, um sich für die Erhöhung des Unterstützungssatzes des Herrn Wiesmeier einzusetzen. „Er hätte jetzt einen Fall gehabt, in dem ein Kaufmann sofort von einer Kreisstelle M 125.-- nach vorheriger Ablehnung erhalten habe, nachdem der Antragsteller dem betreffenden Beamten eine ins Gesicht geschlagen habe“, soll Lang zu dem Mit­arbeiter am Telefon gesagt und hinzugefügt haben: „Wollen Sie das auch?“60 Die Gegenmaßnahmen des Magistrats gegen solche „agitatorischen“61 Einmischungen Seitens der Stadtverordneten blieben weitgehend erfolglos, auch die Einrichtung einer Zentralstelle, an die sich die Stadtverordneten beschwerdeführend wenden sollten. Waren im Oktober 1928 die Kreisstellenleiter noch gewillt, die Auseinander­setzung mit den Stadtverordneten zu einem versöhnlichen Ende zu bringen, sahen sie ein halbes Jahr später nur noch die Möglichkeit gegen einzelne Stadtverordnete Hausverbote auszusprechen, eine Maßnahme, die der Magistrat mit der Androhung von Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch aktiv unter­stützte.62 In diesem Szenario der Verzweiflung, Überforderung und Aggressivität sowohl auf Seiten der Hilfsbedürftigen, als auch auf Seiten der Kreisstellenmitarbeiter, kam es zum ‚Fall Wiechmann‘. Die Tat selbst ereignete sich in der Nacht vom 29.2. auf den 1.3.1928, an dem Tag, an dem die Wiechmanns auf Anordnung des Wohnungsamtes ihre illegal angemietete Mansarde zu verlassen hatten. Als die drei erdrosselten Kinder im Alter von vier, zwei und einem Jahr, und die erdros­selte Margot Wiechmann einen Tag später gefunden wurden, befand sich Friedrich Wiechmann bereits auf der Flucht. Auf einem Tisch hatte das Ehepaar vier Briefe hinterlegt, einen an die Mord59 Ebd. Siehe zu dem Fall auch das Schreiben des Stadtverordneten Aschenbrenner an Bürger­­meis­ter vom 16.8.1928 (FWA 473, Bl. 81). 60 Aussage vom 3.10.1928 (FWA 1.841, Bl. 49). Als der gleiche Herr Wiesmeier zwei Wochen später beim Amt vorsprach und per Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses einen Wintermantel be­antrage, bestellte ihn der Beamte entsprechend der Richtlinien für eine weitere ärztliche Untersu­chung am kommenden Mittwoch. Das völlige Ignorieren der vorgelegten Bescheini­g ung und das Beharren auf bürokratischen Richtlinien scheinen für Wiesmeier zu viel gewesen zu sein. Denn dieser stürzte sich auf den Beamten, würgte und kratzte ihn und konnte nur mit der Hilfe weiterer Beamten von dem Angegriffenen losgerissen werden. Die Menschen, die sich während dieses Vorfalles tumultartig um die Amtsstube versammelten, ergriffen spontan Partei für den Arbeiter Wiesmann, der unverhohlen mit weiteren Gewalttaten drohte. Siehe dazu die Erklärung des a.pl. Stadtassistent Roth 12.10.1928 (FWA 1.841, Bl. 50). 61 Sonderverfügung des Oberbürgermeisters vom 10.11.1928 (FWA 1.841, Bl. 55). 62 Ludwig Landmann an die Stadtverordnetenversammlung am 14.6.1929 ((FWA 1.841, Bl. 112).

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kommission, einen an die Staatsanwaltschaft und zwei an die Familien des Paares, in denen sie die ihrer Ansicht nach Schuldigen benannten, die sie in ihre Verzweiflungstat getrieben hätten.63 Der letzte Auslöser für ihr Handeln sei, so das Ehepaar Wiechmann in ihren Briefen, der Verlust ihrer Wohnung gewesen. Das Leben, das Friedrich Wiechmann bis zu diesem Zeitpunkt geführt hatte, war kein leichtes gewesen, aber es war auch kein Einzelschicksal. Wiechmann selbst war mit 16 Jahren in den Krieg gezogen und dort rasch zum Unteroffizier aufgestie­gen. Mit viel Glück überlebte er die Grauen des Krieges, einmal nur, weil er im Kampfgetümmel gegen eine Ghurka-Abteilung der britischen Armee das Bewusstsein verlor, als er mit ansehen musste wie diese seinen Kammeraden die Kehlen durchschnitten.64 Nach dem Krieg begann er eine Ausbildung bei der Reichsbahn und auch hier wurde ihm rasch Verantwortung übertragen. Mit 26 war er bereits Abteilungsleiter der Güterabfertigung am Frankfurter Hauptbahnhof mit 400 Beamten und Arbeitern unter sich, bezog aber weiterhin nur das Gehalt eines Assistenten von etwa 250.- Mark, zu dem er noch eine freie Dienstwohnung mit sechs Zimmern gestellt bekam. Da er nicht über das notwendige Kapital verfügte die Zimmer zu möblieren, entnahm er, mittlerweile verheiratet und Vater eines Kindes, „von den ihm anvertrauten Geldern in 3 Beträgen insgesamt 8 185.07 RM. und kaufte sich […] Möbel im Wert von 5 973.- RM.“65 Der Diebstahl wurde schon kurz darauf entdeckt und Wiechmann bat seinen Vater um ein Darlehen, um durch Rückzahlung des entwendeten Geldbetrages inklusive einer Entschädigung eine offizielle Anklage zu vermeiden. Wiechmann wurde jedoch – wohl von einem älteren Dienstkollegen – bei der Staatsanwaltschaft denunziert und in der darauf folgenden Verhandlung zu einer Gefängnisstrafe von neun Mona­ten verurteilt. Mit Unterstützung seiner früheren Vorgesetzten erwirkte Wiechmann eine Aussetzung der Gefängnisstrafe gegen eine dreijährige Bewäh­ rungsfrist. Danach lebte Wiechmann in Höchst, in Mörfelden und schlussendlich wieder in Frankfurt und verdiente sein Geld mit meist schlecht bezahlten Arbei­ten, die nie von Dauer waren. Zweimal verlor er seine Stellung, weil ihn der Ver­mieter seiner Frankfurter Mansarde, Herr Sommer, des Betruges bezichtigte: Das erste Mal als Wiechmann als Vertreter der Gisela Lebensversicherungsgesellschaft einen Vertrag des Sohnes Sommers einreichte, den dessen Vater später als ge­fälscht darstellte, das zweite Mal, als Sommer zum neuen Arbeitgeber Wiechmanns, der Germania Versicherungs-A.-G., ging, um dort die direkte Aushän­digung von Wiechmanns Lohn als Mietzahlung zu fordern. Wiechmanns Arbeitgeber ersuchte ihn daraufhin direkt, seine Tätigkeit für die Gesellschaft einzu­stellen.66 Zu Weihnachten 1927 63 64 65 66

Fürst u. a., Fall, S. 125. Ebd., S. 88. Ebd., S. 128. Ebd., S. 22, 132f.

Der Fall Wiechmann

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belief sich sein Verdienst als Provisionsvertre­ter der Wäschefabrik Kümmel auf ca. 110.- Mark, von denen er nicht nur seine mittlerweile fünfköpfige Familie ernähren, sondern allein 40.- Mark als Miete an Sommer abtreten musste. Sommer hatte den Wiechmanns ein Mansardenzimmer seiner Dreizimmerwohnung untervermietet, für die er selbst insgesamt nur 44.- Mark Miete an die Stadt bezahlte, da sie vom Wohnungsamt bezuschusst wurde.67 Als Wiechmann die Miete nicht mehr zahlen konnte, begann Sommer ihn zu diffamieren und zu schikanieren. Beispielsweise versperrte er den Wiechmanns den Zugang zum Klosett, so dass diese Gezwungen waren, ihre Not­durft in ihrer Mansarde auf einem Eimer zu verrichten, worüber sich der Vermie­ ter Dritten gegenüber belustigte.68 Darüber hinaus versperrte er ihnen die Tür zum Münzgasautomaten, was die Benutzung der Küche unmöglich machte, stellte ih­nen das Wasser ab, verschmierte ihre Türklinke mit Kot und riss die Kleidung ihrer Kinder von der Trockenleine in den Schmutz. Bei den Lebensmittelgeschäf­ten der Nachbarschaft verleumdete Sommer die Wiechmanns, so dass diese ihnen ihre bisherigen Lebensmittelkredite verweigerten.69 Auch die öffentlichen Stellen waren den Wiechmanns keine Hilfe. Sowohl Margot, als auch Friedrich Wiechmann suchten mehrfach das Wohlfahrtsamt auf, um Unterstützung zu beantragen. Obwohl Friedrich Wiechmann den ihm aufer­legten Gängen zum Arbeitsamt und zur Arbeitsvermittlungsstelle stets nach­kam, lehnte der bearbeitende Beamte Bode auf der Kreisstelle nicht nur seinen Antrag auf Unterstützung ab, sondern legte erst gar keine Akte zum Gesuch der Wiechmanns an. Hauptproblem des Antragsverfahrens war nun vor allem ein büro­kratisches, da der Oberstadtsekretär Bode die Vorlage einer Verdienstbescheini­g ung verlangte, die eine Unterstützungsbedürftigkeit Wiechmanns nachweisen solle. Als Friedrich Wiechmann darauf hinwies, dass ihm als Provisionsvertreter niemand eine beweiskräftige Bescheinigung ausstellen könne, interessierte sich Bode für diesen Sachverhalt recht wenig und ging auch nicht auf die Bitte ein, eine Pflegerin zur Wohnung der Wiechmanns zu entsenden, um deren Not vor Ort zu überprüfen.70 Von seinem Arbeitgeber, dem Generalver­treter Frisch, versuchte Wiechmann vergeblich einen Provisionsauszug seiner Ein­künfte zu erhalten, so dass er die bürokratische Auflage der Kreisstelle nicht erfül­len konnte. Als er das Wohlfahrtsamt darum bat, ihm wenigstens für ein Unterstüt­zungsgesuch bei der Reichsbahn seine Notlage zu bescheinigen, wurde auch die­ses Ersuchen abgelehnt, mit Begründung, dass das Amt für solche Dinge nicht zuständig sei.

67 68 69 70

Ebd., S. 97, 135. Ebd., S. 70, 136. Ebd., S. 71. Ebd., S. 142.

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Momente der Erschütterung

Mitte Februar des Jahres 1928 erfuhren die Wiechmanns, dass ihnen zusätzlich zu ihrer finanziellen Not der Verlust ihrer Wohnung drohte. Das Hochbauamt hatte mitbekommen, dass der Vermieter Sommer seine Mansarde illegal untervermietet hatte und hatte ihm daraufhin die Wohnungsräumung zum 1.3. angekündigt. Auf diese Nachricht wandte sich Margot Wiechmann ein letztes Mal (am 25.2.) an die Kreisstelle VII, wo ihr der Beamte Ries eine Unterbringung in einem Obdachlosen­ heim anbot. Für Margot Wiechmann hätte dies eine Tren­nung der Familie bedeutet, und kam schon rein finanziell für sie nicht in Frage. Kurz zuvor hatte sie beim Jugendamt erfahren, dass eine Unterbrin­g ung ihrer Kinder durch das Jugendamt monatlich 70.- RM pro Kind kosten würde. Hierbei vergaß das Amt augenscheinlich Margot Wiechmann darüber zu informieren, dass solche Kosten in besonderen Fällen auch vorgestreckt und teil­weise erlassen werden konnten.71 Den Hinweis, sich an das Wohlfahrtsamt zu wenden, schlug Margot Wiechmann mit dem Kommentar aus, dass sie dort ohne­hin nichts bekämen, da die Sommers sie beim Amt in Verruf gebracht hätten.72 Tatsächlich hatte ein Beamter der Kreisstelle VII am 3.2.1928 einen Besuch des Vermieters Sommer vermerkt, in dem sich dieser unter anderem darüber be­schwerte, dass Wiechmann keine Unterstützung bekäme und ihm daher die Miete schuldig bliebe. Der Beamte war aus zweierlei Gründen über diese Beschwerde Sommers verwundert: zum einen, da ihm nichts von einem Gesuch der Wiechmanns bekannt war (eine Akte war ja nicht angelegt worden), zum anderen, da Sommer vorher in seinen Schimpftiraden auf die Wiechmanns sogar angedroht habe, diesen zu erschießen.73 All diese Erfahrungen mit ihren Nachbarn und den Ämtern setzten Margot Wiechmann sehr zu, so dass sie in ihrem Abschiedsbrief auch schrieb: „Auf die Straße lasse ich mich mit meinen Kindern von solchen Menschen nicht jagen. Lieber in den Tod, in den gehe ich gerne!“74 Auch bei den privaten sozialen Einrichtungen hatten die Wiechmanns kaum mehr Erfolg in ihrer Suche nach Unterstützung, was nicht zuletzt daran lag, dass sie sich ihrer Armut sehr schämten. Und weil es ihnen so außerordentlich schwer viel, andere um Hilfe zu ersuchen, sprachen sie nur bei einer einzigen kirchlichen Ein­ richtung vor. Ein Diakon unterstützte die Wiechmanns daraufhin ohne formale Prüfung mit ein paar Lebensmitteln, erwartete aber gemäß den etablierten Regularien über die Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Fürsorge­einrichtungen, dass 71 Diese Nachlässigkeit entsprach nach Einschätzung der Herausgeber der Publikation „Der Fall Wiechmann“, dass dies zu den Gepflogenheiten des Amtes gehörte, um nicht mit solchen Ge­suchen überrannt zu werden. Vgl. ebd., S. 103. 72 Ebd., S. 145. 73 Vermerk zu Gespräch mit Wiechmann-Vermieter Sommer auf der Kreisstelle vom 3.2.1928 (FWA 1.408, Bl. 1). 74 Fürst u. a., Fall, S. 72.

Der Fall Wiechmann

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Wiechmann auch bei der zuständigen Kreisstelle vorsprach. Als er sich telefonisch bei der Kreisstelle über die Wiechmanns informieren wollte, wurde ihm auf Grund der fehlenden Akte nur mitgeteilt, dass die Wiechmanns dem Amt gänzlich unbekannt seien. Darüber war der Diakon äußerst erregt, warf dem ohnehin schon in seiner Ehre stark verletzten Friedrich Wiechmann Betrug vor und stellte seine Unterstützung vollständig ein.75 In der unmittelbaren Nachbarschaft der Familie Wiechmann erregten die Ereig­ nisse einen besonderen Aufruhr, nicht zuletzt, da sich die Presse um möglichst intime Informationen aus der Nachbarschaft bemühte und der Vermieter Sommer hierbei besonders forsch auftrat. „Es empört nicht nur uns“, sagte am 6. März Wilhelm Kratz, ein Nachbar der Wiechmanns aus, „sondern sämtliche Anwohner der Bischofsheimerstrasse, dass S.[ommer] sich als Mittelpunkt der überaus traurigen Ereignisse fühlt und bei allen er­denklichen Gelegenheiten belehrend über den Vorfall auftritt. Am Samstag, dem 3. ds.Mts., liess sich das geschiedene Ehepaar Sommer an der Haustür des Mordhauses photographieren, vermutlich zur Veröffentlichung in einer il­lustrierten Zeitung.“76

Er selbst und auch die Bewohner der ganzen Straße hätten jedoch nichts von der Not der Wiechmanns gewusst, „weil dieselbe äusserlich nicht in Erscheinung“ getreten sei. „Wir hielten Frau Wiechmann niemals für hilfsbedürftig und beurtei­len sie heute als verschämte Arme“77, äußerte er in einer Aussage beim Wohlfahrts­amt. Tatsächlich hatten die Wiechmanns versucht, ihre Armut vor den Nachbarn möglichst geheim zu halten, um nicht noch mehr in Verruf zu geraten. Allein schon der jahrelang zurückliegende Diebstahl Wiechmanns bei der Reichs­bahn beschämte nicht nur das Ehepaar, sondern deren ganze Familie. Als die Mut­ter von Margot Wiechmann verstarb, informierte ihr Vater seine Tochter nicht ein­mal über deren Tod, da er die Anwesenheit Friedrichs auf der Beerdigung befürch­tete und damit Gerede unter seinen eigenen Nachbarn.78 Noch in beiden Abschieds­briefen an die Verwandtschaft war der „Fehltritt“ Wiechmanns präsent: „Wenn Fritz auch den Fehltritt getan hat“, schrieb Margot Wiechmann an ihre Verwandten, „meine Kinder und mich hättet Ihr besser behandeln dürfen, vor allen Dingen Vater.“79 Noch härter brachte Wiechmann seine lebendige Erinnerung an die erfahrene Zurückweisung zum Ausdruck. „Und noch eine Bitte“, schrieb er an den Schwiegervater und seine Schwägerinnen, „niemand von 75 76 77 78 79

Ebd., S. 105f. Aussage von Wilhelm Kratz vom 6.3.1928 (FWA 1.408, Bl. 33). Ebd. Fürst u. a., Fall, S. 92. Ebd., S. 74.

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Momente der Erschütterung

Euch soll hinter uns hergehen, ihr schämt Euch dann auch noch, und das sollt Ihr Alle nicht mehr.“80 Die verschämte Armut der Wiechmanns war nun eine Gelegenheit, die auch bür­ gerliche Kreise nicht ungenutzt ließen, um für alte bürgerliche Tugenden einzu­stehen und ein Zurück zur christlichen Nächstenliebe in der Fürsorgearbeit zu fordern, um die verschämten Armen zu retten. „Aber eins hat dieser Prozeß ge­zeigt“ kommentierten in diesem Sinne die bürgerlich-konservativen ‚Frankfurter Nachrichten‘ am 5.7.1928 das Urteil über Friedrich Wiechmann, „daß eine büro­kratische Organisation niemals die Hilfe von Mensch zu Mensch ersetzen kann.“ Die „Kommunalisierung der Wohlfahrtspflege, wie sie heute durchgeführt ist“, könne „niemals das ersetzen […], was 1919 beseitigt wurde – die individuelle pri­vate Fürsorge, die gemeinnützige Hilfsbereitschaft der vielen, die nicht be­amtete Armenpfleger, sondern warmherzig empfindende Menschen waren, Menschen, denen Betätigung in der sozialen Fürsorge eine sittliche Pflicht des Dienstes am hilfsbedürftigen Nächsten war. Hätte Wiechmann das Glück gehabt, solche Menschen zu finden, dann lebte heute seine Familie noch, vorausgesetzt, daß diese Hilfe in der Lage gewesen wäre, die Lebens­kraft der Frau und Mutter wieder aufzurichten.“81

Der Hinweis auf die „Lebenskraft“ von Margot Wiechmann entsprach dem Deu­ tungsmuster, dass sich während der Verhandlung als einer der zentralen Punkte für die öffentliche Erklärung der Tat herauskristallisiert hatte, die vor allem durch die sexualpsychologischen Gutachten von Magnus Hirschfeld und Walther Riese herausgestellt worden waren. Im vierten Schlusssatz seines Gutachtens machte Magnus Hirschfeld nämlich in erster Linie Margot Wiechmann für die Tat ver­antwortlich. „Der aktive Einfluß zu dem Familienselbstmord ging von Frau Wiechmann aus“, heißt es im Fazit des Gutachtens. „Der charakterologisch mehr passiv geartete Mann“ habe sich in „seelischer und sexueller Abhängigkeit“ von seiner Frau befunden. „Ihrem energischen Drängen zum gemeinsamen Freitod der Familie vermochte er umso weniger Widerstand zu leisten, als er mit den Nerven zusammengebrochen war und keine Aushilfsmittel mehr sah.“ 82 Die „sexuelle Veranlagung“ Wiechmanns war für Hirschfeld „der eigentliche Schlüssel, um das Wesen des Angeklagten und seine Tat zu verstehen“83 und auch der Frankfurter Privatdozent Walter Riese bescheinigte ihm für die Beziehung mit seiner

80 81 82 83

Ebd., S. 45. 1. Beiblatt der Frankfurter Nachrichten vom 5.7.1928 (FWA 1.408, Bl. 122). Fürst u. a., Fall, S. 34. Ebd., S. 27.

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Frau eine „sexuelle Unterlegenheit“84. Das Gericht allerdings ließ sich von der diagnostizierten „völligen sexuellen Hörigkeit“ durch die Psychologen nicht überzeugen. Es stellte sogar deren Methoden grundlegend in Frage und hielt im Urteilsspruch ausdrücklich fest, dass die Aussagen Wiechmanns zu seinem Sexual­leben erst durch die „Befragungen in die Vorstellungswelt des Angeklagten hineingetragen worden“85 seien. Dennoch entschloss sich das Gericht für ein mil­des Urteil über Wiechmann von acht Jahren Haft.86 Unter Verweis auf alle entlasten­den Momente für Friedrich Wiechmann, zu denen das Gericht seine finan­zielle Not, die Behandlung bei den Wohlfahrtsbehörden, die Schikanen sei­nes Vermieters, die Erwartung des Wohnungsverlustet und schließlich auch das Drängen seiner Frau auf die Tat zählten, wurden bei der Strafzumessung, so das Gericht in seinem Urteilsspruch, „alle Gesichtspunkte berücksichtigt, die für eine milde Strafe überhaupt nur herangezogen werden konnten.“87 Die direkte Beschuldigung des Wohlfahrtsamtes in dem Gerichtsurteil erregte insbe­sondere bei den regierenden Sozialdemokraten und den Kreisstellenvor­ste­hern Aufruhr. So schrieb das Wohlfahrtsamt knapp eineinhalb Monate nach dem Urteil am 16.8.1928 an den Oberlandesgerichtspräsidenten: „Wenn der Untersuchungsrichter um sich ein Bild von der heutigen Praxis der öffentlichen Fürsorge machen zu können, Gelegenheit genommen hätte, eine unserer Kreisstellen einmal persönlich aufzusuchen, um durch eine sol­che Art Ortsbesichtigung die Schwierigkei84 Ebd., S. 47. 85 ��������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., S. 159. Gegen diesen Vorwurf setzten sich die Psychologen zu wehr und unterstellten ihrerseits dem Gericht, dass dies die psychologischen Gutachten gar nicht verstanden hätte. In Bezug auf den Vorwurf, dass Wiechmann erst auf Grund der Befragung Aussagen zur sexuellen Hörigkeit getroffen hätte kommentieren sie: „Hier irrt das Urteil wieder. Ganz allgemein inso­fern, als gewisse innerseelische Zusammenhänge natürlich erst durch Befragung festgestellt wer­den können. Der Explorant kann zunächst von sich aus ja nicht wissen, was zur Beurteilung seiner Person wichtig, was bedeutungslos ist. Aber selbst wenn man sich den zwar naheliegen­den, aber wenig tiefen Gesichtspunkt zu eigen macht, gewissen Vorstellungen seien erst durch Befragung ‚in die Vorstellungswelt des Angeklagten hineingetragen worden‘, so bliebe immer noch zu erklären, warum denn bestimmte Vorstellungen in die Vorstellungswelt des Angeklag­ten hineingetragen werden können, andere dagegen nicht. Der Angeklagte ließ sich keineswegs alles wahllos ‚suggerieren‘, auch nichts, was zu seinen Gunsten hätte ausgelegt werden kön­nen. So lehnte er es dem Sachverständigen Riese gegenüber wiederholt und entschieden ab, daß die vielen Tötungen, zu denen er während des Krieges und der vielen Nahkämpfe be­stimmt war, die Tötung der Frau und Kinder etwa irgendwie erleichtert hätten. Man konnte eben nur das in ihn hineintragen, was in ihm lag“. Vgl. ebd., S. 160. 86 1. Beiblatt der Frankfurter Nachrichten vom 5.7.1928 (FWA 1.408, Bl. 122). 87 Ebd., S. 163f.

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ten der gesamten Materie, insbeson­dere die Behandlung eines vielfach asozialen Publikums aus persön­li­cher Augenscheinnahme kennen zu lernen, so wäre aller Voraussicht nach mit einer, dem wirklichen Tatsachenverhalt näheren Beleuchtung der ganzen Sachlage zu rechnen gewesen.“88

Sogar für die ansonsten aus den eigenen Reihen so viel gescholtenen und immer wieder als untauglich festgestellten Mitarbeiter sprach sich das Wohlfahrtsamt gegenüber dem Oberlandesgerichtspräsidenten aus. „Es darf in diesem Zusammen­hang der Hinweis nicht versäumt werden”, heißt es in dem Schreiben, „dass die vernommenen Zeugen seit Jahr und Tag in der schwierigen Frontarbeit der öffentlichen Fürsorge, d.h. in ständiger, unmittelbarer Berührung mit den Hilfe­suchenden tätig sind und sich in jeder Beziehung durchaus bewährt hatten.“89 Auch der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung hielten nunmehr stand­haft daran fest, dass das Frankfurter Fürsorgesystem zu den Besten des Landes gehöre und beschlossen sogar offiziell, dass der Fall Wiechmann kein Defizit des Frankfurter Fürsorgesystems aufgezeigt habe.90 Der sozialdemokratische zweite Bürgermeister und Leiter des Wohlfahrtsamtes Eduard Gräf warf sich, um es mit den Worten der ‚Arbeiter Zeitung‘ wiederzugeben, „in die Brust und erklärte, daß er für seine Beamten einstehe und daß das bisherige System sich bewährt habe.“91 Die Kreisstellenleiter erließen unterdessen am 24.7. eine Resolution, in der sie erklärten, dass nichts an der Organisation des Fürsorgewesens geändert werden müsse, auch eine andere Organisation hätte den Fall nicht verhindern können.92 Der Fall Wiechmann war im Ausmaß seiner Auswirkungen sicherlich ein Sonder­ fall, doch er war der Kulminationspunkt einer Entwicklung, die bereits Jahre zu­vor eingesetzt hatte. Der desolate Zustand des Fürsorgesystems war hierbei nicht nur den Kreisstellenmitarbeitern, sondern nahezu allen Beteiligten der städtischen Verwaltung bekannt. Die bürokratischen Grundlagen, auf denen das „Frankfurter System“ der Fürsorge beruhte und die für eine gerechte Gleichbehandlung aller Hilfsbedürftigen führen sollte, scheiterten in ihrer praktischen Umsetzung. Die bürokratischen Regularien waren weder ein Garant für Gleichbehandlung, noch für Verlässlichkeit. Die Hauptursache für das Versagen scheint vor allem in drei Aspekten zu suchen zu sein: Dem Mangel an geeignetem Personal, der Unfähig­keit der städtischen Verwal-

88 Schreiben des Wohlfahrtsamtes an den Oberlandesgerichtspräsidenten vom 16.8.1928 (FWA 1.408, Bl. 227). 89 Ebd., Bl. 227f. 90 Arbeiter Zeitung vom 9.8.1928 (FWA 473, Bl. 48). 91 Ebd. 92 Resolution der Kreisvorsitzenden vom 24.7.1928 1928 (FWA 1.408, Bl. 232).

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tung, das vorhandene Personal effektiv einzusetzen und das Versagen der Verwaltung im Aufbau formaler Regularien, die in der Praxis überhaupt umzusetzen waren. Die Ereignisse machen auch deutlich, dass die aktive Umgestaltung der städti­ schen Ordnungsstrukturen durch die Verwaltung eng mit Lern- und Aneignungs­ prozessen verbunden waren, nicht nur auf Seiten des Publikums, sondern auch auf Seiten der Verwaltung. So musste die städtische Verwaltung unter anderem lernen, wie man wartende Menschenmengen auf den Kreisstellen durch die Gestaltung von Wartesälen und die Einführung spezieller Regularien davon abhalten konnte, die Mitarbeiter der Kreisstellen immer wieder bei ihrer Arbeit zu unterbrechen. Das Publikum musste dagegen lernen, sich diesen neuen Regularien zu unter­wer­fen, was es zum einen selten freiwillig tat und zum anderen immer wieder Mit­tel und Wege suchte, diese Regularien zu umgehen. An den Ausweichstrate­gien wird auch deutlich, in welch empfindlichen Bereich die städtische Verwaltung hier ope­rierte, denn soziale Abhängigkeit wurde fast immer als eine Ehrkränkung und De­mütigung empfunden.

4.2 Der Fall Butler „The tenderloin is closed.“ Mit diesen Worten eröffnete der ‚Philadelphia Evening Bulletin‘ am 9.1.1924 seinen Artikel „Tenderloin Heart Broken By Butler.” Der Reporter bezog sich dabei auf die zahlreichen Razzien, die von der Philadelphia Police Force unter Leitung des von der Navy beurlaubten Brigadegenerals Smedley D. Butler, dem neuen Direktor des Departments of Public Safety, in der Stadt durchgeführt worden waren. “The gamblers have gone; the bookmakers are out of luck; and every saloonkeeper has been tipped off the police may descend upon his establish­ment. This was the situation in Philadelphia today after General Smedley D. Butler’s evidence in action of his intention to clean the town.”93

Grundlegend neu war diese Nachricht nicht, sie reihte sich vielmehr in eine gera­dezu traditionelle Berichterstattung über einen neuen Leiter der Polizeikräfte unter einem neuen Bürgermeister, die nun gemeinschaftlich und endgültig mit den kor­rupten Strukturen und den ‚Sündenpfuhlen‘ der Stadt aufzuräumen gedachten.94 Ursprünglich waren diese „vice crusades“ vor allem ein Anliegen der progressive movement ge93 Evening Bulletin vom 9.1.1924 (UA, MC Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1924, Bl. 1). 94 So hieß es dort am 15.1.1919 in der Kommentar-Kolumne „Men and Things“: „One of those periodical commotions over ‚vice‘ which have been in the habit of springing up in

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wesen, die das ‚Laster‘ in den zentralen städtischen Distrikten als Grundlage allen Übels der modernen städtischen Gesellschaft sahen. Doch schon frühzeitig verstand es die politische Maschine diese ‚Kreuzzüge‘ in ihre eigene Politikführung einzubinden und als effektives Mittel zur politischen Selbstinszenie­rung und Machtausübung zu gebrauchen. Noch bevor die anti-vice Bewegung der Reformer in zahlreichen offiziellen Vice Commissions seit 1910 ihren landesweiten Höhepunkt erreichte95, war der „war on vice“ schon ein Teil des politischen Instrumentariums der politischen Maschine geworden. Der „war on vice“, wie er in zahlreichen amerikanischen Städten zunehmend seit der Jahrhundertwende initiiert und vor allem inszeniert wurde, basierte ganz wesent­ lich auf den sozialräumlichen Strukturen, die sich parallel zur Machtentfal­tung der politischen Maschine in Städten wie Philadelphia oder New York ausge­prägt hatten. Denn in den Einwanderungsdistrikten, die eine Grundlage der Macht der politischen Maschine darstellten, hatten sich mit dem Rückzug der Mittel­klasse und den dort entstehenden Ordnungsstrukturen die von der Mittelklasse verdammten ‚houses of ill fame‘ konzentrieren können, zu denen vor allem Bor­delle, Glücksspielstätten und Saloons gezählt wurden. Das Grundmuster dieser sozialräumlichen Segregation hatte sich bereits mit der Errichtung der ersten Villen­vororte entlang der main line herauszubilden begonnen. Mit dieser setzte zugleich eine mediale Überformung der zentralen städtischen Arbeiter- und Immig­rantendistrikte ein, die die Wahrnehmungsmuster dieser Orte grundlegend veränderten. Während sich noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Prostitu­ierte über den gesamten städtischen Raum verteilten und hierbei durchaus auch in den ersten Vororten der Mittel- und Oberschicht lebten96, bildeten sich in der zwei­ten Jahrhunderthälfte zunehmend informelle und zentrumsnahe vice districts heraus, um deren Existenz und Lage viele Städter nicht nur wussten, sondern diese auch guthießen, da sie sich so eine bessere Kontrollierbarkeit des ‚Lasters‘ versprachen.97 Die mediale Wahrnehmung dieser Distrikte entsprach jedoch selten der Realität. So war Philadelphias tenderloin in den 1910er Jahren weit weniger sozial segre­giert, als dies so manche Zeitgenossen vermuteten. Über diesen Umstand war die unter Philadelphia once or twice a year as far as anyone can remember is now under way.“ (UA, MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids–1919–1922, Bl. 3). 95 ���������������������������������������������������������������������������������� Zu den Vice Commissions siehe grundlegend Roy Lubove, The Progressive and the Prostitute, in: The Historian 24. 1962, S. 308–330. 96 Timothy J. Gilfoyle, The Urban Geography of Commercial Sex. Prostitution in New York City, 1790–1860, in: Journal of Urban History 13. 1987, S. 371–393, hier S. 372. 97 ������������������������������������������������������������������������������������ Neil Larry Shumsky, Tacit Acceptance: Respectable Americans and Segregated Prostitution, 1870–1910, in: Journal of Social History 19. 1986, S. 665–679, hier S. 665. Zu der Kontroverse zwischen Vertretern und Gegnern der segregierten Prostitution siehe auch Lubove, Progressive.

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dem „Old Dutch Cleanser“98 Rudolph Blankenburg ins Leben gerufene Philadelphia Vice Commission (1913), nicht nur überrascht, sondern geradezu entsetzt. „The houses are […] mingled indiscriminately with dwellings of respectable people, whose wives and families constantly meet the inmates and their visitors at every turn“, heißt es im Abschlussbericht der Kommission. „Indeed, so familiar have the children of this district become with the life of vice that our investigators were frequently accosted by small boys offering to show them a bawdy-house for a nickle.“99 Die Vice Commission Philadelphias hatte mit Hilfe erfahrener Ermittler der American Vigilance Association, die auch schon in Chicago tätig geworden waren100, monatelang die zentralen Arbeiter- und Im­mig­rantendistrikte studieren lassen, um den Ursachen und Folgen der Prostitution auf den Grund zu gehen, vor allem im Zusammenhang mit den korrupten Struktu­ren der politischen Maschine und den lokalen Polizeieinheiten. In der Praxis rich­tete sich der „crusade on vice“ gegen alle Bereiche, die man verdächtigte, Prostitu­tion zu befördern, sei es durch den ungehemmten Kontakt zwischen Männern und Frauen in Tanzlokalen, sexuelle Freizügigkeit in Kabaretts, ‚unmorali­sche‘ Filmvor­führungen oder den unkontrollierten Konsum von Alkohol in illegalen Saloons, den so genannten „speak easies“. „We have in our possession a mass of evidence showing that in saloons, cafés, restaurants, hotels, clubs and dance-halls prostitution is being constantly engendered and fostered“, wurde so auch von der Philadelphia Vice Commission unter der Kapitelüberschrift „Places and Conditions Responsible for the Downfall of Girls“ festgehalten. „Many public dance halls, moving picture shows, and other amusement centers are the breeding-places of vice – the rendezvous of men who entrap girls and of girls who solicit men.“101 Seit 1894 waren in amerikanischen Städten angestoßen von der progressive move­ ment eine ganze Serie an Untersuchungskommissionen ins Leben gerufen worden, die medienwirksam der städtischen Öffentlichkeit, und hierbei insbesondere der zentrumsfernen Mittel- und Oberschicht, die Beteiligung der städtischen Verwal­tung an illegalen Geschäften ins Bewusstsein riefen. Neu war das Wissen um die Korruption der eigenen städtischen Verwaltung nicht, doch oft wurde dies als längst überwundene Erscheinungen der Vergangenheit aus dem Bewusstsein ver­drängt. Schon 1883 hatte George Vickers in seinem Buch über die Reformbewe­g ung des 1880 in Philadelphia gegründeten Committee of One Hundred geschrie­ben: 98 Lloyd M. Abernethy, Progressivism. 1905–1919, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 524–565, hier S. 551. 99 ����������������������������������������������������������������������������������� The Vice Commission of Philadelphia (Hg.), A Report in Existing Conditions with Recommendations to the Honorable Rudolph Blankenburg, Mayor of Philadelphia, Philadelphia 1913. 100 Ebd., S. 2. 101 Ebd., S. 21.

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“The year 1880 will be memorable in Philadelphia’s political history. It found public affairs in their worst stage of mismanagement, extravagance and corruption. The public departments […] were the centres of all that was dishonest, vicious and demoralizing in public life.”102

Den Auftakt der großen Untersuchungsserien machte in New York 1894 das Lexow Committee103, dem nur ein Jahr später in Philadelphia das Andrews Investi­gation Committee folgen sollte. Obwohl das Ergebnis beider Kommissio­nen, dass die illegalen Saloons und „houses of ill fame“ von Polizisten beschützt, verteidigt und öffentlich besucht wurden104, nur wenig überraschend war, zeigte man sich in den Medien darüber äußerst schockiert. Trotz dieser Empörung über die erneut offen gelegten korrupten Strukturen der städtischen Machtpolitik, blie­ben in New York wie auch in Philadelphia weitreichende Konsequenzen aus. Wäh­rend sich in Philadelphia die Herrschaft der republikanischen Maschine noch festigte105, hatte sich in New York nach einem kurzzeitigen Erfolg der Reformer die Herrschaft Tammany Halls, der demokratischen Maschine New Yorks, nach zwei Jahren wieder stabilisiert.106 Richard Croker, der „Master of Manhatten“107 und bis 1901 führender ‚Boss‘ Tammany Halls, war einer der ersten Politiker der Maschine, der gezielt die Rheto­ rik der anti-vice-Bewegung aufgriff und selbst einen „crusades on vice“ erklärte. „Vice Crusade Begun By Richard Croker“ titelte am 16.11.1900 die ‚New York Times‘ und verbreitete damit die Ankündigung Crokers, dass nun Tammany Hall selbst vehement gegen das ‚Laster‘ vorzugehen gedachte. Gera­dezu musterhaft verstand es Croker, sein persönliches Entsetzen über die korrup­ten Zustände in den Slumdistrikten 102 George Edward Vickers, The Fall of Bossism. A History of the Committee of one Hundred and the Reform Movement in Philadelphia and Pennsylvanina, Philadelphia 1883, S. 3. 103 Vgl. grundlegend dazu, wenn auch etwas moralisch überformt Warren Sloat, A Battle for the Soul of New York. Tammany Hall, Police Corruption, Vice, and Reverend Charles Parkhurst’s Crusade Against Them, 1892–1895, New York 2002. Zum Lexow Committee siehe Jay S. Berman, The Taming of the Tiger: The Lexow Committee Investigation of Tammany Hall and the Police Department of the City of New York, in: Police Studies 3. 1981, S. 55–65. Gewinn­bringend zu lesen sind immer noch die zeitnahen Berichte von C. H. Parkhurst, Our Fight with Tammany, New York 1895. und Gustavus Myers, The history of Tammany Hall, New York 1901. 104 New York Times vom 17.12.1895. 105 Peter McCaffery, When Bosses Ruled Philadelphia. The Emergence of the Republican Ma­chine, 1867–1933, University Park 1993. 106 Jeremy P. Felt, Vice Reform as a Political Technique: The Committee of Fifteen in New York, 1900–1901, in: New York History 54. 1973, S. 24–51, hier S. 25f. 107 ����������������������������������������������������������������������������������� Lothrop Stoddard, Master of Manhattan. The Life of Richard Croker, New York, Toronto 1931.

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der Stadt öffentlichkeitswirksam und vor allem auch überzeugend in Szene zu setzen. In einer scheinbar überraschenden Ent­schluss hatte Croker den deutsch-jüdischen Immigranten Isidor Strauß, Präsident der Educational Alliance, einem settlement zur Integration jüdischer Immigranten in der New Yorker East Side, eingeladen, um vor einer Versammlung der division leader Tammany Halls von den korrupten Zuständen rund um das settlement zu berichten. „When I told Mr. Croker of this condition he was greatly surprised, and I was surprised at his ready desire to come to our aid“108, berichtete Strauss nach der Versammlung. Ob Strauss naiv war oder seine Haltung gegenüber Croker sei­ner Loyalität zur demokratischen Partei entsprang ist schwierig abzuschätzen, doch mit Strauss hatte Croker genau den richtigen Reformer für seine Inszenie­rung gefunden, denn Strauss gab als überzeugter Demokrat und selbst demokrati­scher Politiker nicht grundlegend Tammany Hall die Schuld an den Zuständen. „If ever the light of sincerity shone in a man’s eye in this world, it shone in Croker’s when he was talking to the Executive Committee of Tammany Hall“109, kommen­tierte er in der New York Times und verlieh damit Crokers „war on vice“ vor al­lem eines: Glaubwürdigkeit. Croker war selbst als irischer Immigrant in den New Yorker Slumdistrikten aufgewachsen und hatte sich über die verschiedenen Hierarchieebenen der machine emporgearbeitet. Dass er nichts von der alltägli­chen Kooperation von lokalen Politikern, Polizisten, Bordellbetreibern und ande­ren Charakteren der ‚Unterwelt‘ gewusst hat, wie er selbst beteuerte, ist also sehr unwahrscheinlich.110 Wenig verwunderlich war es daher auch, dass das von Croker einberufene Tammany Anti-Vice Committee entgegen aller öffentlichen Ankündigungen hinter verschlossenen Türen tagte und damit der Öffentlichkeit keinen Einblick gewährte, über was es sich eigentlich beriet.111 In seinem Vorge­hen nutzte Croker vor allem aus, dass eine große Ungewissheit darüber herrschte, wer genau wie an dem korrupten System beteiligt war. Auch die Untersuchungs­kommissionen betonten in ihren Berichten immer wieder, dass nicht alle lokalen Polizisten und Politiker von ihren Vorwürfen betroffen seien. Diese Ungewissheit ermöglichte es den Politikern der Maschine, sich selbst als Kämpfer gegen die Korruption in den eigenen Reihen zu inszenieren, solange sie selbst nicht eindeu­tig überführt waren. Die von New York angestoßene ‚Mode‘, einen „vice crusade“ vom Zaun zu bre­ chen, griff schon 1901 der Chicagoer Humorist Finley Peter Dunne in seinen Sati­ren auf und lies seinen fiktiven Mr. Dooley sagen:

108 109 110 111

New York Times vom 16.11.1900. New York Times vom 17.11.1900. Alfred Henry Lewis, Richard Croker, New York 1901. New York Times vom 17.11.1900.

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“Th‘ city iv Noo York sets th‘ fashion iv vice an‘ starts th‘ crusade again it. Thin ivrybody else takes it up. They’se crusades an‘ crusaders in ivry hamlet in th‘ land an‘ places that is cursed nawthin‘ worse thin pitchin‘ horseshoes sinds to th‘ neighborin‘ big city f ’r a case iv vice to suppress. We’re in th‘ mist iv a crusade now, an‘ there is n’t a policeman in town who isn’t thremblin‘ f ’r his job.”112

Dass die ‚Kreuzzüge‘ auch schon vor Crokers Einberufung des Tammany Anti-Vice Committees mehr politischem Kalkül, denn tatsächlichem Reformwillen entsprangen, vermutete schon im Oktober 1900 der Politiker, Jurist und Geistliche Hugh Owen Pentecost. „All New York knows the vice crusade is a political trick“, äußerte er in einer Ansprache, „I am willing to believe that the ministers and a few others are sincere, but the centre of the movement has clear reference to election day.“113 In Philadelphia setzten größer inszenierte ‚Kreuzzüge‘ gegen das ‚Laster‘ maßgeb­ lich unter dem bereits genannten deutsch-amerikanischen Reformbürger­meister Rudolf Blankenburg und dessen Direktoren des Departments of Public Saftey, George D. Porter, ein. In diesem Fall war der ‚Krieg‘ noch angetrieben durch einen wirklichen Reformwillen, bevor sich Blankenburgs Nachfolger, Thomas B. Smith, als treuer Verbündeter der republikanischen Maschine vor al­lem auf Scheingefechte zurückzog. Blankenburg wurde vor und kurz nach seiner Wahl noch als „Warhorse of Reform“ gefeiert, jedoch waren seine Neuerungsvorha­ben, bei denen er sich vor allem von den Verwaltungsstrukturen deutscher Städte inspirieren ließ, auf Grund des Widerstandes konservativer Kräfte im Stadtrat zum Scheitern verurteilt.114 Denn diese waren von Blankenburgs Selbstdarstellung als unparteiischer Bürgermeister nach deutschem Vorbild genauso wenig begeistert, wie von seinen Verwaltungsreformen, die sie als „munizipal­sozialisti­sche“ Vorstöße verurteilten.115 Neben dem misslungenen Transfer deutscher Stadtverwaltungstugenden, blieben auch die Maßnahmen George D. Porters, dem maßgeblich die Aufgabe des „war on vice“ übertragen war, eher oberflächlicher Natur. Denn außer den üblichen Razzien versuchten we­der Blankenburg noch Porter einen grundlegenden Wandel der städtischen Macht­strukturen herbeizuführen, die der politischen Maschine ihren entscheidenden Einfluss auf die Polizeieinheiten sicherten. Die Reform der städtischen Polizei beschränkte sich im Wesent112 Finley Peter Dunne, Mr. Dooley’s Opinions, New York 1901, S. 151. 113 New York Times vom 10.10.1900. 114 So äußerte Blankeburg einmal gegenüber Edward Marshall von der New York Times in einem Interview: „The American is as honest as the German, and, eventually, we shall have municipal governments as honest and intelligent as German city governments.“ (Vgl. New York Times vom 10.11.1912). Eine ähnliche Einschätzung zu Blankenburgs Amtszeit äußerte Abernethy, Progressivism, S. 555f. 115 Donald W. Disbrow, Reform in Philadelphia under Mayor Blankenburg, 1912–1916, in: Pennsylvania History 27. 1960, S. 379–396, hier S. 386.

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lichen auf formelle Anordnungen, beispielsweise, dass Polizisten ‚ihre‘ ward leader nicht mehr um Erlaubnis zu fragen hätten, wenn sie privat in einem anderen Stadtteil wohnen wollten. Solche Anordnungen beeinträch­tigten jedoch kaum die etablierten Formen und Praktiken der Machtaus­übung, die weitgehend informeller Natur waren.116 Dass Blankenburg selbst die Wirkung seiner Anordnungen vollkommen überschätzte, kann schon als symptoma­tisch für die Reformbewegung bezeichnet werden. „We have made our policemen American freeman“, äußerte er 1912 überschwänglich in einem Inter­view, „formerly they were organization slaves.“117 Erst in den letzten beiden Jah­ren seiner Amtszeit versuchte George D. Porter stärker in die stadträumlichen Strukturen einzugreifen und die tenderloins aufzulösen. Damit folgte Porter zum einen der Empfehlung der von Blankenburg eingesetzten Vice Commission118, zum anderen aber blickte er auch auf seine eigene Kandidatur als Bürgermeis­ter.119 „In less than six months after the crusade started, 154 disorderly houses […] were closed“, begeisterte sich der Präsident der Bürgervereinigung des 15. Bezir­kes, Edward D. Swift, für den scheinbaren Erfolg der Polizeimaßnahmen im Au­g ust 1915, „good people are moving in all sides and the former Tenderloin is fast becoming a manufacturing centre.“120 Doch so optimistisch Swift diesen Erfolg des durchgeführten „crusades on vice“ einschätzte, so kritisch kommentierte ein Reporter des Evening Bulletin die Maßnahmen und brachte damit den kursieren­den Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Aufhebung der segregierten Prostitution zum Ausdruck. „About 2,000 hopeless women have disappeared gradually from those same streets as the neighborhoods were tortured back into respectability, where they went no one knows for certain.“121 Wie wenig die von Blankenburg und Porter eingeführten Reformen geändert hatte, wurde der Bevölkerung jenseits der zentralen städtischen Distrikte ein Jahr 116 Zu der Reformmaßnahme siehe ebd., S.  386 und den Artikel „Municipal Miracles in a Corrupt and Contented City“ von Edward Marshall in der New York Times vom 10.11.1912. 117 New York Times vom 10.11.1912. 118 The Vice Commission of Philadelphia, Report, S. 19–21. 119 New York Times vom 23.4.1923. 120 Philadelphia Evening Bulletin vom 12.8.1915 (UA, Clip, Tenderloin – Philadelphia). 121 Philadelphia Evening Bulletin vom 12.8.1915 (UA, Clip, Tenderloin – Philadelphia). Zu einem ähnlichen Ergebnis führten Zerschlagungsversuche der Rotlichtviertel in San Francisco. „The major result of this crusade against prostitution was geographic and not social“, halten die Histo­riker Neil Larry Shumsky und Larry M. Springer in ihrer Untersuchung zur „Zone of Pros­titution“ in San Francisco pointiert fest: „The anti-vice movement on the early twentieth cen­tury did not accomplish its major goal – ending prostitution in American cities. It did result in a fundamental redistribution of prostitutes throughout the city.“ (Vgl. Neil Larry Shumsky u. Larry M. Springer, San Francisco’s Zone of Prostitution, 1880–1934, in: Journal of Historical Geography 7. 1981, S. 71– 89, hier S. 71.)

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nach dem Ende der Blankenburg-Administration mit dem Ausbruch der blutigen Ausei­nandersetzungen im „Bloody Fifth Ward“ überdeutlich vor Augen geführt.122 In den republikanischen Vorwahlen um die Besetzung des select councils, einem legislativen Organ der städtischen Verwaltung, forderte Isaac Deutsch, common councilman und Metzger von der South Street, den langjährigen ward leader und ehemaligen Polizeileutnant James T. Carey heraus. Hinter beiden standen sich zwei konkurrierende Fraktionen der republikanischen Maschine Philadelphias gegenüber, auf Careys Seite die Unterstützer des Senatoren McNichol und auf Isaac Deutschs Seite die politische Maschine um die Brüder Edwin und William Vare. Letztere hatten ein Jahr zuvor mit der Wahl ihres Verbündeten Thomas B. Smith zum Bür­germeister in der städtischen Politik gegenüber der McNichol Fraktion die Ober­hand gewonnen und versuchten nun ihren Einfluss in der Stadt weiter auszu­bauen.123 „Carey has always had the police with him, […] and the consequence was that his leadership was never seriously questioned“, erklärte ein Reporter des ‚Evening Bulletin‘ seinen Lesern die lokalen Auseinandersetzungen, „but since Thomas B. Smith became Mayor, and since the Vares pull the strings of government, the police are against Carey. If he loses the fight to Deutsch no one in the Fifth Ward will believe that it was due to anything but this fact.“124 Kurz vor der Wahl hatte Bürgermeister Smith 30 Polizisten des Bezirkes versetzen lassen, nachdem sich diese offen geweigert hatten, Isaac Deutsch bei der Wahl zu unterstüt­ zen.125 Mit einem Streich hatte damit Smith alle Bemühungen Blankenburgs, Polizisten von der Last politischer Verpflichtungen zu befreien, zunichte und den anderen Polizisten des Bezirkes klar gemacht, was er von ihnen erwartete. Am 19. September, dem Tag der Wahl, eskalierte die Auseinanderset­zung. Schon seit Tagen lieferten sich Anhänger beider Fraktionen offene Auseinan­dersetzungen auf den Straßen, um den Registrierungsprozess für die anste­hende Wahl zu ihren Gunsten zu beeinflussen. „Battle lines have been drawn“, kommentierte der ‚Bulletin‘ am 7. September, „and the little war is being waged with all the vigor and fixings of an old-time combat.“126 Dieses Verhalten der Polizei hatte nur recht wenig mit den Werten zu tun, die Re­ former den Immigranten in Amerikanisierungskursen versuchten beizubringen. Entsprechend erbost reagierten auch lokal engagierte Organisationen, wie die Big Sisters Society, eine Gruppe jüdischer Frauen, die um die soziale und moralische Erziehung jüdischer Einwanderer bemüht war. „The lawlessness, which we desire to complain 122 Zu den blutigen Auseinandersetzungen im fünften Bezirk im Jahr 1917 siehe Abernethy, Progressivism, S. 561–563. 123 Ebd., S. 561. 124 ��������������������������������������������������������������������������������� The Evening Bulletin vom 9.9.1927 (MC, Box 157, F. Phila – Wards – Number 5 – Political Row, Bl. 3). 125 New York Times vom 30.9.1917. 126 ��������������������������������������������������������������������������������� The Evening Bulletin vom 7.9.1927 (MC, Box 157, F. Phila – Wards – Number 5 – Political Row, Bl. 2).

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of “, schrieb die Präsidentin der Big Sisters, Marion L. Cohen-Polak, in einem offenen Brief an den Bürgermeister, “is being committed in the sight of hundreds of foreign Jewish people, who are trying to learn American ways, and get American ideas. While taking up these studies, they are confronted with an exhibition of police power that is revolting, in which neither a woman or children appear to be safe”127.

Am Vorabend des Wahltages stürmte eine Gruppe von mehr als 50 Polizisten und Schlägertruppen den Finletter Republican Club, das Hauptwahlkampfbüro James A. Careys. „Dozens of persons were beaten into insesibility“ berichtete am Tag darauf der ‚Bulletin‘. Das wesentlich medienwirksamere Ereignis dieser Auseinan­dersetzungen spielte sich jedoch erst am Nachmittag des folgenden Ta­ges ab, als eine Polizei- und Schlägertruppe der Deutsch-Fraktion die direkte Kon­frontation mit Carey suchte. In der Auseinandersetzung fiel ein Schuss und traf den Vice Squad-Polizisten George Eppley, der zur Überwachung der Situation von der City Hall abgestellt worden war, tödlich in die Brust. Der Todesfall erschüt­terte in den folgenden Tagen und Wochen die politische Landschaft Philadelphias und zog auch den amtierenden Bürgermeister Thomas B. Smith unmittelbar mit in die Ereignisse hinein, weil er verdächtigt wurde, eine zentrale Rolle in der ‚politi­schen Verschwörung‘ gespielt zu haben.128 Doch trotz aller Verdachtsmomente gegen Smith wurde er am Ende von der Anklage freigesprochen.129 Zwar gelang es der durch die Ereignisse beflügelten Reformbewegung, eine neue city charter auf den Weg zu bringen und schließlich auch durchzusetzen, doch weder konnte dies den Siegeszug der politischen Maschine um die Vare-Brüder aufhalten, noch erwiesen sich die Reformen als so weitreichend, dass der Einfluss der politischen Maschine damit gebrochen werden konnte.130 Obgleich oder gerade weil Thomas B. Smith selbst in den Verdacht geraten war, eine zentrale Figur des korrupten Systems der politischen Maschine zu sein, be­gann er selbst einen „war on vice“, dies vor allem auch auf Grund staatlichen Druckes. Bei den herrschenden Zuständen in den Hafenstädten an der Ostküste machte sich die Regierung ernsthafte Sorgen um die sichere Stationierung ihrer Soldaten. „The Government has nothing to do with moral conditions of Philadelphia“, betonte der offizielle Untersuchungsleiter zur „moral situation“ in Philadelphia im Juli 1917, „excepting

127 ���������������������������������������������������������������������������������� The Evening Bulletin vom 10.9.1927 (MC, Box 157, F. Phila – Wards – Number 5 – Political Row, Bl. 5). 128 New York Times vom 12.10.1917. 129 New York Times vom 16.11.1917. 130 Ebd., S. 563.

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as they touch upon the life of the men enlisted in the Army or Navy.“131 Gemäß der Anordnung, die Stadt für die sichere Stationierung der Soldaten von der Prostitution und anderen ‚Lastern‘ zu befreien, begann Smith verstärkt gezielte Razzien zu veranlassen. Diese wurden jedoch so selektiv durchgeführt, dass sie kaum zu einer Veränderung der Situation beitrugen. Im April 1918 verschärfte sich das angespannte Verhältnis zwischen dem Untersuchungsleiter der Navy, Josephus Daniels, und Bürgermeister Smith durch einen neuen Untersuchungsbericht. „This report charges, in effect“, hielt der ‚Bulletin‘ das Ergebnis des so genannten Fosdick-Reportes fest, “that Philadelphia is the only first-class city failing to restrict vice and to pro­tect uniformed men adequately, and that inefficient and corrupt police and collusion between responsible officials and backers of evil resorts are responsible for conditions.”132

Die Vare-Brüder selbst erklärten diesen Bericht zu 95% für unwahr und äußerten von Anfang an die Vermutung, dass es sich bei dem Vorgehen der Navy um einen plumpen Versuch der Demokraten handele, die republikanische Partei Philadelphias zu schädigen. Dies änderte jedoch nichts an dem Umstand, dass Bürgermeister Smith zumindest versuchen musste, den Schein eines umfassenden „crusades on vice“ zu wahren. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Repor­tes ordnete er eine vollständige Auflösung des tenderloins an. „Vice must vanish in 48 hours“133 lautete die herausgegebene Maxime, ein Vorhaben, das jeglichen Realitätssinn entbehrte aber typisch für die medialen Inszenierungen im „war on vice“ war. Die Ankündigungen bewirkten bei den betroffenen Geschäftsführern illegaler Einrichtungen nur wenig und nicht einmal die Veröffentlichung der von Untersuchungsleiter Roymand B. Fosdick erstellten Liste mit einer genauen Nen­nung der illegalen Etablissements konnte diese dazu bewegen, ihr Geschäft aufzuge­ben.134 Am 13. April schließlich setzte der Navy Lieutenant-Colonel Charles B. Hatch das Ultimatum „Clean up the city in a week or the Government will!“135, wie es der ‚Evening Bulletin‘ zusammenfasste. Und tatsächlich entzog die Navy der Smith-Administration eine Woche später die Leitung der städtischen Polizei und unterstellte sie dem Befehl von Lieutenant-Colonel 131 The Evening Bulletin vom 1.7.1917 (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1917, Bl. 1). 132 The Evening Bulletin vom April 1918 (genaues Datum unbekannt) (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1918, Bl. 2). 133 ���������������������������������������������������������������������������������� The Bulletin vom April 1918 (genaues Datum unbekannt) (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1918, Bl. 2). 134 The Bulletin vom 18. April 1918 (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1918, Bl. 13). 135 The Evening Bulletin vom 13. April 1918 (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1918, Bl. 11).

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Hatch.136 Die in den folgenden Monaten durchgeführten Razzien und Überwachungsmaßnahmen führten zwar dazu, dass sich die Betreiber von Bordellen, Saloons und Glücksspiel­stätten bedeckt hielten, am etablierten System änderten sie jedoch nichts, so dass nach dem Ende des Krieges der korrupte „Normalzustand“137 weitge­ hend wieder hergestellt wurde. Der Inszenierungsgrad des „war on vice“ scheint hierbei den meisten Zeitgenos­ sen durchaus bewusst gewesen zu sein, doch leider sind private Rezeptionszeug­nisse jenseits der kommentierenden Tagespresse nicht überliefert, so dass diese weitgehend im dunklen liegen. Festzuhalten bleibt, dass die Inszenierung nicht nur von den Medien selbst ausging, sondern von unterschiedlichen Interessengrup­pen vorangetrieben wurde. Zumindest hin und wieder publizierten die Tageszeitungen selbst Artikel jenseits ihrer üblichen Sensationsgeschichten, in denen die Autoren sehr reflektiert und selbstkritisch mit den immer wiederkehren­den ‚Kriegen‘ gegen das ‚Laster‘ umgingen. „One of those periodical commotions over ‚vice‘ which have been in the habit of springing up in Philadelphia once or twice a year as far back as anyone can remember, is now under way“, schrieb so auch der ‚Evening Bulletin‘ am 15.1.1919. “Sometimes political or factional motives enter into them; sometimes a merely sensational spirit of newspaper exaggeration; at other times an ho­nest purpose of good men and women in effecting moral benefits along the line of religious zeal or of social welfare. But whatever the motive, there is almost invariably a great beating of the tom-toms.”138

Die Skandale um Thomas B. Smith und die politische Maschine beflügelten er­ neut kurzzeitig die Reformbewegung. Dies verhalfen schließlich auch dem republi­ kanischen Politiker J. Hampton Moore, der sich als Gegner der politischen Maschine um die Vare-Brüder inszenierte und damit die Unterstützung der Reform­kräfte hinter sich einen konnte, erfolgreich in das Amt des Bürger­meis­ters.139 Moore war bei Amtsantritt überaus motiviert, selbst die Macht der politi­schen Maschine mittels eines groß angelegten „war on vice“ an ihrer Basis zu brechen, dies jedoch weniger aus moralischen Beweggründen, als vielmehr um seine eigene Machtstellung im poli136 The Evening Bulletin vom April 1918 (genaues Datum unbekannt) (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1918, Bl. 14). 137 ������������������������������������������������������������������������������������ „The City Embraces ‚Normalcy‘“ überschrieb auch der Historiker Arthur P. Dudden seinen Artikel zur Geschichte Philadelphias in der Nachkriegszeit. Vgl. Arthur P. Dudden, The City Embraces "Normalcy". 1919–1929, in: Russell Frank Weigley u. a. (Hg.), Philadelphia. A 300 Year History, New York 1982, S. 566–600. 138 The Evening Bulletin vom 15.1.1919 (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1919– 1922, Bl. 3). 139 Grundlegend zu Wahl Moores siehe Robert Edward Drayer, J. Hampton Moore. An Old Fashioned Republican. (= Univ. Dis), Philadelphia 1961.

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tischen System der Stadt zu sichern. Dies wird zum einen daran deutlich, dass Moore selbst den Kontakt zu einzelnen Größen der ‚Unterwelt‘ pflegte und deren Etablissements während seiner rege durchgeführten Razzien unter seinen Schutz stellte, und zum anderen dadurch, dass Moore bei seiner dritten Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters im Jahr 1931 nicht mehr auf die Unterstützung der Reformer baute, sondern als Kandidat der republikani­schen Maschine antrat und auch gewählt wurde.140 Während seiner ersten Amts­zeit jedoch zählte der politische Anführer des siebten Bezirkes der Stadt, Charles B. Hall, der auch die Meinungsführerschaft im Stadtrat inne hatte, zu seinen größ­ten Widersachern. Um das Funktionieren des ‚Systems‘ um Charles B. Hall aufzudecken und zentra­le Akteure der politischen Maschine zu identifizieren, entsandte Moore eine afro­amerikanische Ermittlerin, getarnt als Prostituierte141, in den siebten Bezirk, um dort über drei Monate zu leben und ausführliche Studien anzustellen. Der Einsatz solcher Ermittlerinnen, häufig Studentinnen der Soziologie142, war nichts grundle­ gend Neues und war bereits im Jahr 1912 anlässlich einer Studie zur „Commercialized Prostitution in New York City“143 erfolgt.144 Was Moores Ermittle­rin in Philadelphia vor allem auch herausfand, war, dass die Straßenpolizis­ten „on the beat“, ein sehr vertrautes Verhältnis zur lokalen Bevölke­rung pflegten und diesen halfen, sich auch in politisch unruhigen Zeiten, die meist eine Zunahme von Razzien bedeuteten, über Wasser zu halten. „There is a political war on in this town and South Philadelphia is the battle ground“145 ver­suchte so auch ein Streifenpolizist den Barkeeper eines Saloons zu beruhigen, der seit Jahren schon Bestechungsgelder zahlte, um in Ruhe seinem Geschäft nachge­hen zu können. Da er sich jedoch hierbei auf die Netzwerke Charles B. Halls ver­ließ, brachte ihm dies nach dem Amtsantritt von J. Hampton Moore nur noch we­nig. Denn Moore ging gezielt gegen Einrichtungen vor, die unter Halls Schutz standen, stellte aber zugleich Etablissements lokal einflussrei-

140 Ebd., S. 299f. 141 Auch wenn sich die Frauen Prostituierten und Zuhältern gegenüber stets so verhielten, als seien sie selbst Prostituierte, unternahmen sie den Berichten zufolge keinen Versuch, selbst in Kon­takt mit Kunden zu treten oder gar selbst eine sexuelle Dienstleistung zu erbringen. 142 Paul Boyer, Urban Masses and Moral Order in America. 1820–1920, Cambridge 1997. 143 George J. Kneeland u. a., Commercialized Prostitution in New York City, New York 1913. 144 Aus den Protokollen zu ihrer Untersuchung für J. Hampton Moore geht hervor, dass sie bereits zwei Jahre zuvor eine ganz ähnliche Aufgabe in Philadelphia übernommen hatte. Für welchen Auftraggeber sie zu dieser Zeit unterwegs war, ist allerdings unbekannt. Vgl. Surveillance Re­ports Jan-Feb 1921 (HSP, Moore Papers, Box 219, F. 9, 10). 145 Surveillance Reports Jan-Feb 1921 (HSP, Moore Papers, Box 219, F. 9, Bl. 7)

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cher Persönlichkei­ten unter Schutz, die ihm wohlgesonnen waren.146 „I’m all through with the Police Department,“ schimpfte der sich betrogen fühlende Barkeeper. “I want nothing to do with them. They haven’t had a ticket to sell, there hasn’t been a carnival, an appeal for their pension fund or anything else that I haven’t helped them out and I’ve done lots of personal favors too, for man of this District as well as some of the fellows at the front, and they’re no good. They’re all a bunch of bastards.”147

Da Moore um diese enge Verbindung der lokalen Polizisten mit dem ward leader wusste, setzte er gegen die lokalen Netzwerke der politischen Maschine gezielt Polizisten ein, die entweder nicht aus diesem städtischen Distrikt oder sogar aus einer anderen Stadt kamen. „They’ve got men from other cities watching things in all these wards, particularly this ward, and Fenn’s [der lokale Polizei-Leutnant] got to do or they’ll be after him”148, erklärte der Polizist dem verärgerten Bar­keeper die Situation seines Vorgesetzten, was diesen keineswegs zu beruhigen vermochte. Trotz dieser gelegentlichen Spannungen, fiel die Meinung der Anwohner über die lokalen Streifenpolizisten meist positiv aus, da sie recht gut um den Druck wuss­ ten, dem diese von allen Seiten ausgesetzt waren. „The police [is] all right“, sagte so auch der Kellner des ‚Rathskellers‘ auf der South Street, „what they [are] doing they [have] to do, to save themselves.“149 Die Polizisten unterstützen hierbei nicht nur die Anwohner, indem sie sie vor Razzien warnten oder Diebstähle deckten, sie waren teilweise auch selbst Besitzer von Mietshäusern, in denen sie den Prostituier­ten einen Schutzraum für ihre sexuellen Dienstleistungen anboten. „There [is] an advatage in living here“, umwarb so der Portier einer möblierten Pension die eigenen Zimmer gegenüber der verdeckten Ermittlerin und vermeintli­chen Prostituierten, „the proprietor of the house is a constable, a fine man and very good to his roomers.“ „If you are alone“, setzte er hinzu, „and should happen to get in trouble all you would need to do is to appeal to him and he would help you out.“150 Ganz ähnlich war auch J. Werner neben seiner Tätig­keit als Polizist nicht nur Besitzer eines Zigarrenladens, sondern unterhielt gleich mehrere der gerade beschriebenen „furnished room houses.“ „As long as he gets his rent, he is satisfied“ erzählte frei heraus seine Hausmeisterin Miss Alice. „He is known to be very good in case any of his roomers get in trouble, 146 Zu diesen zählte unter anderem „King“ Vic Hamilton, dessen Lokale und Kabartes unter Moore weiter betrieben werden durften. Vgl. Surveillance Reports Jan-Feb 1921 (HSP, Moore Papers, Box 219, F. 9, Bl. 21). 147 Surveillance Reports Jan-Feb 1921 (HSP, Moore Papers, Box 219, F. 9, Bl. 7). 148 Ebd. 149 Ebd., Bl. 19. 150 Ebd., Bl. 9.

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to help them out.“151 Damit bezahlten die Prostituierten nicht nur die Miete für ihre Zimmer, sondern zugleich auch für den ‚juristischen‘ Beistand. Dieses vertraute Verhältnis zwischen Polizisten und lokaler Bevölkerung entstand unter anderem daraus, dass diese Polizisten oftmals selbst aus der lokalen Bevölkerung kamen und sie auf Grund ihres Einflusses auf die Anwohner von einem division oder ward leader zur Polizei berufen wurden. Einer der wichtigsten Männer Charles B. Halls im siebten Bezirk, der diese Funktion als direkter Kontakt- und zugleich Schutzmann einnahm, war James B. Johnson, genannt „Buddie Johnson“, ein Polizist, Zuhälter und Spieler. Auf seine Stellung im Apparat der politischen Maschine war „Buddy“ äußerst stolz und hielt sich auch nicht zurück, diesen Stolz gegenüber der verdeckten Er­ mittlerin, mit der er gleich mehrfach zusammentraf, immer wieder zum Ausdruck zu bringen. „After taking a few drinks he began boasting of his influence and posi­tion in this ward“, hielt so die Ermittlerin in ihrem Tagesprotokoll fest, “said any colored person who got in trouble in the ward would do well to see him if they want to square things real easy, if they come across right he could beat anything short of murder, said even some white people try to get smart with him, think because he is a black man he has no power”.152

Dass Johnson bereits sechs Mal vor Gericht gestanden, ein Jahr im Gefängnis gesessen und drei Monate im House of Correction zugebracht hatte – meist wegen Diebstahl – war kein Hinde­rungsgrund gewesen, ihn als Polizisten einzustellen. Schon vor seiner Ernennung war Johnson für die republikanische Maschine tätig geworden und hatte vor allem durch seinen lokalen Einfluss seinem ‚Boss‘ Hall Wählerstimmen aus der afroameri­kanischen Bevölkerung sichern können. „His backers knew that they could depend upon him when they needed votes to deliver them because he took care of his crowd at all times“, fasste die Ermittlerin die prahlenden Worte Johnsons zusammen, „said he had a plenty of money and that if a guy was with him and needed help he knew just where to get it.“153 Doch die Reformer, die sich so hoffnungsvoll hinter Moore gestellt hatten, konn­ten nur erneut enttäuscht werden. Denn abgesehen davon, dass Moore keine grund­legende Reform des politischen Systems anstrebte, hatte Moore trotz neuer city charter kaum eine Chance, grundlegende legislative Reformen gegen die politi­sche Maschine durchzusetzen. Dass es durchaus möglich gewesen wäre, das städtische Ordnungssystem auch ohne juristische Reformen ins Wanken zu bringen, bewies zwischen 1924 und 1926 der Marinegeneral Smedley D. Butler. Denn dieser strebte keine 151 Ebd. 152 Ebd., Bl. 59. 153 Ebd.

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juristischen Reformen an, wie zu­meist die Akteure der progressive movement, sondern setzte auf eine radikale Durch­setzung der bestehenden Gesetze. Der grundlegende Unterschied Butlers zu seinen Vorgängern im Department of Public Safety lag nun vor allem darin, dass Butler es wirklich ernst meinte, als er bei seinem Amtsantritt ankündigte, Philadelphia ‚aufzuräumen‘. Für Butler war diese Aufgabe alles andere, als ein politisches Schaustück oder ein zweckentfremdetes Machtinstrumentarium, wie es bei Croker, Smith und Moore der Fall gewesen war, für ihn war es eine Mission. Dass Butler mit dieser Einstellung in den obersten Reihen der städtischen Verwal­tung weitgehend alleine stand, wurde Butler im Laufe seiner Amtszeit immer be­wusster. „I was […] the only one who believed he meant war“154 äußerte Butler später zu seiner Fehleinschätzung der Beweggründe des Bürgermeisters W.  Freeland  Kendrick, ihn nach Philadelphia zu holen. Kendrick selbst hatte kein wirkliches Interesse an einem umfassend erfolgreichen „war on vice“, der auch die lokalen Verwicklungen von Politikern, Polizisten und der ‚Unterwelt‘ zerschla­gen hätte. Denn Kendrick war nicht nur als Wunschkandidat des republika­nischen Bosses William S. Vare zum Bürgermeister gewählt geworden, sondern war auch ein enger Vertrauter und Freund von Charles B. Hall, dem Lei­ter und Meinungsführer des Stadtrates. Und Hall hatte als politischer Führer des siebten Bezirkes in South Philadelphia, in dem sich ein Großteil der Prostituierten niedergelassen hatten und ebenso zahlreiche illegale Saloons und Glücksspielstät­ten eröffnet worden waren, nur ein sehr selektives Interesse an der Schließung dieser Einrichtungen. Denn diese sicherten Hall maßgeblich die Loyalität der An­wohner, die unter seinem Schutz relativ ungestört ihren Geschäften nachgehen und sich damit ihren Lebensunterhalt und vor allem auch ihr Freizeitvergnügen sichern konnten. Butler drohte nun den Balanceakt der politischen Maschine zwi­schen der Inszenierung des „crusade on vice“ und der Erhaltung von etablierten Machtmechanismen ins Wanken zu bringen. Dass die Berufung Butlers diese Kon­sequenz mit sich bringen würde, hatte Kendrick bei seiner Entscheidung nicht einmal geahnt. Er schien sich vielmehr darauf zu verlassen, mit Butler, dessen Familie bekennende Republikaner waren, einen öffentlichkeitswirksame und den­noch kontrollierbare Figur zur Inszenierung seines eigenen „war on vice“ gewon­nen zu haben. Doch Butler verstand weder etwas von den offiziellen noch von den inoffiziellen Strukturen städtischer Machtpolitik, er wusste nicht einmal, was eigent­lich zu dem Aufgabengebiet in seinem neuen Amt gehörte, als er sich mit seiner Berufung einverstanden erklärte.155 „I didn’t know that

154 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 1, in: The Evenig Bulletin. Night Extra vom 7.4.1926, S. 21. 155 City of Philadelphia (Hg.), Address by Mayor W. Freeland Kendrick to Members of City Coun­cil, Tuesday, December 30, 1924, Philadelphia 1925.

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the Director of Pub­lic Safety had other bureaus to direct, in addition to the Police“156, gestand er selbst später ein. Der Grund, weshalb General Butler sich überhaupt von Kendrick nach Philadelphia auf die für ihn so gänzlich neue Aufgabe abwerben ließ, war für den Marinegeneral denkbar simpel: „I wanted action“, begründete er selbst, und „in Philadelphia I believed I would have action.“157 Ihm sei zwar bereits vor seinem Amtsantritt bewusst gewesen, dass sich Philadelphia fest im Griff der republikani­schen Maschine befand und dass er dadurch nur wenige Möglichkeiten haben würde, Einfluss auf die Berufung des Polizeistabes zu nehmen158, aber das Aus­maß an Komplexität städtischer Machtpolitik war ihm vollkommen fremd. Unter völligem Ignorieren der sozialen und kulturellen Verflechtungen der einzelnen Stadtgebiete versuchte Butler mit militärischer Härte die korrupten Strukturen der politischen Maschine zu durchbrechen. „It was drive, drive, drive and raid, raid, raid“, fasste er seine ersten sechs Arbeitstage zusammen, in denen er allein 480 Razzien durchführen ließ, von denen die 48-StundeRazzien zu den spektakulärs­ten gehörten.159 „Speakeasies, saloons, disorderly houses, gambling dens and dives frequented by criminals and underworld characters, all were raided. Prisoners were taken by the hundreds, Gambling paraphernalia was smashed.“ 160 „There was purpose behind this“, bewertete er seinen Aktionismus im Nachhinein, „the activity was to show the forces of evil the police meant business.“161 Die von General Butler gestartete Aufräumaktion wirkte sich unterdessen nicht nur auf Philadelphia, sondern auch auf umliegende Städte aus. Denn eine Strategie 156 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 3, in: The Evening Bulletin (Night Extra) vom 9.4.1926, S. 34. 157 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 2, in: The Evening Bulletin (Night Extra) vom 8.4.1926, S. 15. 158 ������������������������������������������������������������������������������������ Dies schrieb er nach eigener Aussage kurz nach seinen ersten Gesprächen mit W. Freeland Kendrick über den Posten als Director of Public Safety an seinen „good friend“ Colonel Cyrus S. Radford am 22.11.1923. „You know as well as you are born that the Civil Service Commis­sion which selects all the policemen, is elected by the Council. I have gone over the list of Councilmen and know whom they represent; nearly all of them are absolutely controlled by ‘ward-heelers’ and ‘bosses’.” (Vgl. Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 2, in: The Evening Bulletin (Night Extra) vom 9.4.1926, S. 15.) Ob Butler diesen Brief tatsäch­lich so geschrieben und sich zwei Jahre später noch an den exakten Wortlaut erinnert oder eine Kopie für sich selbst angefertigt hat, ist nicht nachzuprüfen. Da die Kontrollmechanismen der po­litischen Maschine jedoch der Öffentlichkeit nicht unbekannt waren, ist zumindest glaubhaft, dass er im Vorfeld zumindest in Ansätze über diese bescheid wusste. 159 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 4, in: The Evening Bulletin (Night Extra) vom 10.4.1926, S. 14. 160 Ebd., S. 1. 161 Ebd.

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der betroffenen Saloon-Besitzer war es nicht nur, sich während solcher Krisenzei­ten bedeckt zu halten, sondern sich zeitweise auch in benachbarte Städte abzuset­zen. Am 10.1.1924 berichtete der ‚Evening Bulletin‘: „General  Butler’s cleanup of Philadelphia has aroused the entire country. Proof of this is seen in the complaints emanating from nearby and distant cities to which many of the underworld charac­ters have fled to escape the vice net here.“162 Die benachbarten Städte lie­ßen daraufhin aktiv ihre Bahnhöfe und Häfen überwachen, um bekannte ‚Gau­ner‘ umgehend festnehmen zu lassen. „We have been put on our guard by the drastic activity of Director Butler in Philadelphia“163, kommentierte der Polizei­chef Vance der Stadt Chester. Doch so unermüdlich Butler mit der Durchführung zahlreicher unangekündigter Razzien auch war, dauerhafte Erfolge trugen diese nicht von sich. Häufig eröffne­ten Cafe-Besitzer ihr Geschäft wieder, sobald sich die Polizisten zurückgezogen hatten. So antwortete der Barkeeper des Venice Cafe gegenüber einem Reporter des ‚Public Ledger‘ auch recht unverblümt, obwohl er schon zum fünften Mal einer Razzia unterzogen worden war, „Sure, we got beer.“164 Die kurzfristigen Verbesserungen in den Verbrechensstatistiken, die vor allem die Anzahl der Ver­haftungen aufführten, bedeuteten keineswegs, dass die sozialen Probleme der Stadt gelöst waren, nicht einmal, dass das Durchgreifen Butlers tatsächlich eine Verbesserung der innerstädtischen Zustände mit sich brachte. „He congratulates himself in the following chapter on his success in his energetic raids upon evil-doers and their resorts“, kommentierte der ‚Bulletin‘ gehässig die Memoiren Butlers, die er unter dem Titel „Smashing Crime and Vice“ nach seiner unrühm­lichen Entlassung im Dezember 1925 in den großen Tageszeitungen der Stadt in Serie publizieren ließ. „Prisoners were taken by the hundreds, Convictions were few. It was civil, not martial law, General Butler encountered, and the civil law insisted upon evidence sufficient to condemn.“165 Insbesondere in den ersten Monaten seiner Amtszeit verortete Butler die „forces of evil“ entsprechend der gängigen Narrative um die korrupten Strukturen der politischen Maschine vor allem in den immigrantenstarken Distrikten im und um das Stadtzentrum. Dementsprechend konzentrierte er sein Vorgehen vorerst auf diese Stadtteile. Sein pauschales Vorgehen, das typisch für die bisherigen „crusades on vice“ war, weckte hierbei durchaus auch kritische Stimmen und dies nicht nur bei der afroamerkianischen ‚Philadelphia Tribune‘, die auf Grund Butlers latenten Ras162 The Evening Bulletin vom 10.01.1924 (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1924, B. 3). 163 Ebd. 164 Evening Pbulic Ledger vom 14.1.1924, zitiert nach Fred D. Baldwin, Smedley D. Butler and Prohibition Enforcement in Philadelphia, 1924–1925, in: The Pennsylvania Magazine of History and Biography 84. 1960, S. 352–368, hier S. 356. 165 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 4, in: The Evening Bulletin (Night Extra) vom 10.4.1926, S. 1.

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sismus dessen Methoden ohnehin grundsätzlich ablehnte.166 Vor allem der Richter („magistrate“) Edward P. Carney kritisierte Butler vehement für seine einseitige Perspektive auf das ‚Laster‘ in der Großstadt, die grundsätz­lich die soziale Mittel- und Oberschicht ausklammerte. Während seines ersten Amtsjahres wurde Butler jedoch immer bewusster, dass nicht allein die politi­schen ‚Bosse‘ aus den Arbeiter- und Immigrantendistrikten an der Korruption der Polizei schuld waren, sondern sich die soziale Elite der Stadt in den Jahrzehnten zuvor zahlreiche Privilegien gesichert hatte. „The privilege-demanding classes really demand privileges – not merely expect and request them“,167 empörte sich Butler im Nachhinein über das Verhalten der sozialen Elite Philadelphias. „Some­thing must be done to teach these big fellows that they must obey the law as well as the little fellows.“168 So versuchte Butler unter anderem der Praxis entgegen zu wirken, dass länger stationierte Verkehrspolizisten gegen Geldzahlung Verstöße der Verkehrsteilnehmer übersahen. Auch zog Butler die Polizisten, die von Ban­ken auf Basis persönlicher Absprachen als Wachmannschaften für ihre Filialen eingesetzt wurden, von diesen wieder ab. Darüber hinaus verweigerte er einzelnen Persönlichkeiten der Stadt ihre Sonderprivilegien, insbesondere was die Behand­ lung ihrer Parkrechte in der Innenstadt anging.169 Diese für Philadelphia untypi­sche rechtliche Gleichbehandlung aller sozialer Gruppen nach dem Motto „treat em‘ all alike“170, stieß diese städtische Elite vor den Kopf. Kritisch wurde die Situa­tion jedoch erst, als Butler im Januar 1925 begann, seine Razzien auf Hotels und Clubs der sozialen Oberschicht auszuweiten, und dies nicht nur in der Innen­stadt, sondern auch in den Randbezirken Philadelphias, den eigentlichen Rückzugs­orten dieser Schicht.171 Dem Majestic Hotel wurde hierbei nicht der illegale Aus­schank von Alkohol zum Verhängnis, sondern vielmehr ein Formfehler, der für Butler gleichermaßen ausreichend rechtfertigte, gegen das Hotel vorzugehen. So besaß das Majestic zwar eine Lizenz zur Ausrichtung von Tanzveranstaltungen, beherbergte jedoch unter seinem Dach noch ein Cafe, in dem auch getanzt wurde, das aber selbst über keine eigene Tanzlizenz verfügte. Da dies den rechtlichen Bestimmungen widersprach, ließ er das 166 So titelte die Tribune am 7.11.1925, als es an die Verlängerung seiner Amtszeit ging: „The Butler Episode, Ridiculously Absurd.“ Vgl. The Philadelphia Tribune vom 7.11.1925. 167 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 7, in: The Evening Bulletin vom 14.4.1926, S. 34. 168 Philadelphia Inquirer vom 5.12.1925, zitiert nach ebd., S. 366. 169 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 7, in: The Evening Bulletin vom 14.4.1926, S. 34. 170 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 1, in: The Evening Bulletin vom 7.4.1926, S. 21. 171 The Evening Bulletin vom 10.01.1924 (MC, Box 247, F. Vice-Philadelphia-Raids 1924, B. 1). Siehe dazu auch Hans Schmidt, Maverick Marine. General Smedley D. Butler and the Contradictions of American Military History, Lexington 1987.

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Hotel stürmen und entzog dem Besitzer bei der Gelegenheit seine einzige Tanzlizenz. Das Majestic Hotel wandte sich da­raufhin umgehend an Bürgermeister Kendrick, und bewegte diesen erfolgreich zur Intervention. Kendrick übernahm zum Ärger Butlers nicht nur die Untersuchung, sondern versuchte hierbei auch möglichst diskret vorzugehen.172 Dies war dem Sachverhalt des Verstoßes gegen eine Lizenzpflicht sicherlich angemessen, ver­stieß aber grundsätzlich gegen Butlers neu gewonnenes Gerechtigkeitsempfinden in seinem Kampf gegen das ‚Böse‘. „The privilege demanding classes“, beschrieb Butler die Reaktion der sozialen Oberschicht auf sein Vorgehen, „soon transfered their allegience from police headquarters to the magistrates, who could and did help them evade punishment for their transgressions.“173 In Folge von Butlers Neuausrichtung des „war on vice“ begann die soziale Elite der Stadt Druck auf Kendrick auszuüben. Auf eine Konfrontation mit der „privilege-damnding-class“ konnte und wollte Kendrick es jedoch kaum ankommen lassen, da im Jahr 1926 die Feier der Sesqui-Centennial International Exposition anstand, einem Großereig­nis mit einem Millionenpublikum, auf das man sich bereits seit Jahren vorbereitete und für das man vor allem auch auf die großen Hotels angewiesen war. Mit seinem Vorgehen gegen die soziale Elite der Stadt begann Butler zugleich den Versuch, das Abhängigkeitssystem der Polizisten von der politischen Maschine aufzulösen. Als Hauptursache dieser Abhängigkeit hatte er die weitgehende Über­ schneidung der 48 Wards mit den 42 Polizeidistrikten identifiziert, so dass er sich aus einer vollständigen Neugestaltung der Polizeidistrikte eine Auflösung dieser Abhänigkeit versprach.174 Die Haltung Kendricks und der „Gang“, wie Butler die ‚Bosse‘ der politischen Maschine zu nennen pflegte, zu Butlers Plänen ist aller­dings nur schwierig nachzuvollziehen. Butler deutete jegliche Kritik Seitens der ward leader an der Neuordnung als plumpe Versuche des Machterhalts. So sah er auch die Ablehnung seines Antrages von 25 000 $ zur Finanzierung der neuen Verkabelung, die die Neueinteilung der Polizeidistrikte notwendig gemacht hätte, als eine panikhafte Abwehrreaktion. „The mere talk of redistricting did not affect the politicians, but when I started actually to redistrict, they became panic-striken and started out for me in earnest“175, erinnerte sich Butler später. Doch ganz zur Überraschung Butlers sprach sich Charles B. Hall, den Butler eigentlich als einen seiner Erzfeinde ausge-

172 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 14, in: The Evening Bulletin vom 22.4.1926, S. 44. 173 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 7, in: The Evening Bulletin vom 14.4.1926, S. 34. 174 Robert M. Fogelson, Big-City Police, Cambridge 1979. 175 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 14, in: The Evening Bulletin vom 22.4.1926, S. 44.

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Momente der Erschütterung

macht hatte, im Stadtrat für die Neuordnung aus.176 Gegen­über dem ‚Evening Bulletin‘ erklärte Hall die Ablehnung der finanziellen Mittel für die Restrukturierung damit, dass Butler zuvor schon Unsummen für realitäts­ferne Experimente in der Verkehrsorganisation und in der Verbrechensbekämp­fung ausgegeben habe.177 Tatsächlich erinnern so manche Maßnahmen Butlers mehr an Schilderungen aus pulpMagazinen, denn an Methoden moderner Polizeiar­beit. So plante Butler kurz nach seinem Amtsantritt die Errichtung von gewaltigen Suchscheinwerfen auf dem Turm der City Hall, um mit diesen Polizis­ten zum Ort eines Verbrechens zu lotsen. „Five giant movable searchlights in City Hall tower constitute the next step of Director Butler of Public Safety in his war on bandits“, titulierte der ‚Evening Bulletin‘ am 18.3.1924 diese niemals realisier­ten Pläne. „They are five feet in diameter and have a light spread 500 feet wide“ beschrieb Butler die Suchlichter, “at three miles they are bright enough to pick out the figure of a man wal­king, and they will throw a clear beam seven miles. […] When a robbery occurs the light will be turned on to show the quarter of the city in which it took place. That will be a signal for every policeman in the city to run to his box and learn the trouble.”178

Die Skepsis des Stadtrates gegenüber Butlers Großprojekten schienen also durch­aus angebracht. Doch Butler hatte bereits Ende seines ersten Amtsjahres eine gera­dezu paranoide Angst vor Intrigen der politischen Maschine entwickelt, ihn aus dem Amt entfernen zu lassen – eine Angst, die durchaus berechtigt war, auch wenn sie die Geduld der politischen Maschine unterschätzte, Reformer wie ihn einfach auszusitzen. Welche Strategie Hall verfolgte, als er sich für die Neueintei­lung der Distrikte aussprach, die noch während Butlers zweitem Jahr in Philadelphia eingeführt worden war, bleibt jedoch unklar. Wirklich überraschend war es aber nicht, als unter dem Nachfolger Kendricks, Harry A. Mackey, der als Wunschkandidat der republikanischen Maschine zum Bürgermeister gewählt wor­den war, das alte Polizeidistrikt-System wieder hergestellt wurde.179 Ende 1925 lief das zweite Jahr aus, für das Butler von seinem Dienst bei der Ma­ rine freigestellt worden war. Butler stellte sich auf eine Rückkehr zur Navy ein, zumal im Oktober 1925 ein erneutes Verlängerungsgesuch seiner Dienstbefreiung von Prä176 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 11, in: The Evening Bulletin vom 19.4.1926, S. 28. 177 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 14, in: The Evening Bulletin vom 22.4.1926, S. 44. 178 ��������������������������������������������������������������������������������� The Evening Bulletin vom 18.3.1924. (UA, MC, Box 180, Police – Phila – Communications–1969 + Prior, Bl. 2) 179 Schmidt, Maverick, S. 158; Fogelson, Big, S. 77.

Der Fall Butler

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sident Coolidge abgelehnt worden war. Nach Butlers Aussage hatte Kendrick ihm gegenüber jedoch immer die Option offen gehalten, ihn im Falle eines Ausscheidens aus der Navy wieder als Direktor des Departments of Public Safety aufzunehmen.180 Im Dezember 1925 kam es jedoch zum endgültigen Bruch zwischen Kendrick und Butler. Am 3.12.1925 beantragte der Richter Carney, dem die Privilegierung der sozialen Oberschicht schon seit längerem ein Dorn im Auge war, bei Butler die polizeiliche Aushebung eines Debütantinnenballs.181 Butler ließ das Ritz-Carlton Hotel stürmen und durchsuchen, während der Ball in vollem Gange war. Da hierbei große Mengen an Alkohol gefunden wurden, beantragte er die dauerhafte Schließung des Hotels.182 Zur allseitigen Überraschung erklärte Butler kurz darauf auch seinen Austritt aus der Navy, um seinen ‚Krieg‘ in Philadelphia zu Ende führen zu können. Doch mit dieser Aktion war Butler für Kendrick endgültig unhaltbar geworden und er enthob ihn fristlos seines Amtes. Die Nachfolge Butlers trat dessen Assistent George W. Elliott an, eine Wahl, mit der Butler durchaus zufrieden war, da sich dieser in seinen zwei Amtsjahren als zuverlässiger Mitarbeiter erwiesen hatte. Elliott war im Gegensatz zu Butler selbst in South Philadelphia aufgewachsen, stand schon unter Rudolph Blankenburg als Fire Marshall in städtischen Diensten und engagierte sich neben seiner berufli­chen Tätigkeit rege in der religiösen Erziehung. Im Laufe seiner Dienstzeit hatte er das Vertrauen und die Freundschaft Butlers gewonnen und der Satz „Take his name, Elliott“ galt in der Presse als eine der bekanntesten Phrasen zwischen den beiden Männern.183 Doch drei Jahre später, im Oktober 1928, zu einem Zeitpunkt als Elliotts schon nicht mehr im Amt war, stellte sich heraus, dass dieses Vertrauen alles andere als angebracht gewesen war. In einer Untersuchung der Grand Jury kam nicht nur zu Tage, dass Elliott selbst an führender Stelle an einem illegalen Glücksspielring beteiligt war, sondern wurde erneut bestätigt, dass die von Butler ins Leben gerufene Spezialeinheit zu Bekämpfung des ‚Lasters‘, die Unit No. 1, sich zur zentralen Organisation der Schutzgelderpressung in Philadelphia ent­wickelt hatte. „I found“, sagte 1928 Eugene Harry

180 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 24, in: The Evening Bulletin vom 4.5.1926, S. 31. 181 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 25, in: The Evening Bulletin vom 5.5.1926, S. 29. Siehe dazu auch Schmidt, Maverick, S. 156 und Baldwin, Smedley, S. 366. 182 Smedley D. Butler, Smashing Crime and Vice. Chapter 26, in: The Evening Bulletin vom 6.5.1926, S. 30. 183 The Evening Bulletin vom 16.10.1928 (UA, Clip, Elliott, George W. – Civiv Leader – Grand Jury Investigation 1928).

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Momente der Erschütterung

Tabbutt, ehemaliges Mitglied der Unit No. 1 vor der Grand Jury aus, „that the Unit was the most crooked organization I had ever seen.“184 Dass es die von Butler eingerichtete Spezialeinheit zur Zerschlagung des Lasters in der Stadt war, die sich als zentraler Akteur in der Erpressung von Schutzgeldern etablierte, zeigt überdeutlich, dass Butler nicht einmal ansatzweise mit seinen poli­zeiinternen Reformen am etablierten System der politischen Maschine rütteln konnte. Auch die Restrukturierung der Polizeidistrikte scheint keine wirklichen Bedenken bei den politischen Bossen ausgelöst zu haben, dass dies ihren Einfluss auf die Polizei abschwächen würde. Denn der Schlüssel ihrer Macht lag zum ei­nen in ihrem Einfluss auf die magistrates, die lokal agierenden Richter, die schluss­endlich darüber entschieden, wer ins Gefängnis kam und wer nicht, auf das city council, das durch eine Kontrolle der Geldmittel nahezu alle unerwünschten Reformversuche blockieren konnte, und auf die civil service commission, die für die Einstellung und Entlassung des städtischen Personals zuständig war. Beendet wurde Butlers Zeit in Philadelphia daher nicht, weil er so wirksam gegen das ‚Las­ter‘ im tenderloin vorging, sondern vor allem, da er im zweiten Jahr seiner Amtszeit begann, massiv die Privilegien der gesellschaftlichen Oberschicht einzu­schränken und diese Schicht gleichermaßen an den Pranger zu stellen, wie die sozial Schwachen in den zentralen städtischen Distrikten. Das System, das Butler also ins Wanken brachte, war nicht die Abhängigkeit der Polizei von der Politik, sondern war die Machtausübung der sozialen Oberschicht, die vor allem auch über gesellschaftliche Netzwerke und gegenseitige Gefälligkeiten funktionierte. Butler störte das grundlegende Prinzip der Ungleichheit, das das Leben und Herrschen in der City of Brotherly Love auszeichnete.

184 ������������������������������������������������������������������������������������ Ebd. Bereits im Sommer 1926 wurde der Unit No. 1 vorgeworfen, zentral in die Erpressung von Schutzgeldern involviert zu sein. Vgl. dazu beispielsweise The Evening Ledger vom 18.8.1926 (UA, MC, Box 182, Police – Phila – Rum Raiders Unit, Bl. 3).

5

Schluss

Die vergleichende Analyse von Frankfurt am Main und Philadelphia hat deutlich gezeigt, dass die Städte sich nicht nur in ihrer Größe, der ethnischen Zusammensetzung ihrer Bevölkerung und ihren sozial­räum­lichen Strukturen unterschieden. Die Unterschiede waren (und sind) weitaus tiefgreifen­der und im Folgenden gilt es noch einmal, diese Unterschiede zusammenzufassen und zu überlegen, was sie für die Methode des städtischen Vergleiches bedeuten. „Who makes the town we live in?“ Auf diese Frage gab Hartwell Stafford im Jahr 1927 in seinem Buch „Who’s Who in Philadelphia“1 eine eindeutige Antwort: Die weiße, männliche Elite der Stadt, die „great leader“ Philadelphias. Diese Form der Darstellung Philadelphias war kein Einzelfall, sondern wiederholte sich in ihrem Grundtenor in einer ganzen Reihe weiterer Publikationen zur Geschichte, zum Zustand und zur Zukunft der Stadt. Mit gutem Grund kann also behauptet werden, dass diese Art der Darstellung einem bestimmten Muster folgte. Dieses Erzählmus­ter war jedoch mehr als ein sich wiederholendes Narrativ, es war Aus­druck und Teil eines spezifischen städtischen Ordnungssystems, in dem formuliert wurde, wem das Recht auf die Stadt zugesprochen wurde und wem nicht. Um in Philadelphia für die Besetzung einer Machtposition geeignet zu sein – sei es an der Spitze eines städtischen Departments, als Leiter der Philadelphia Rapid Transit Company oder als division leader in einem Arbeiterdistrikt in South Philadelphia – zählte vor allem die Fähigkeit sich durchzusetzen, sich zu vernet­zen und dabei Erfolge zu erzielen, ob in wirtschaftlicher Hinsicht oder in der Gewin­nung von Wählerstimmen. Wie die Untersuchung von Frankfurt gezeigt hat, konnte die Frage nach jenen, die die Stadt ‚machen‘ auch ganz anders beant­wortet werden. In Frankfurt waren es die (männlichen) ‚Experten‘, deren Aufgabe es sein sollte, die Stadt planvoll anzuleiten. Wie wirkungsvoll der Glaube an diese Experten war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass sich die Arbeiterbewegung nicht einmal in der revolutionären Nachkriegszeit traute, die städtischen Verwal­ tungsexperten aus ihren Ämtern zu entlassen. Eine Solche Einengung des Rechtes, wer in der Stadt Macht ausüben durfte und wer nicht, regte in Frankfurt wie in Philadelphia den Widerstand der gesellschaft­ lichen Gruppen, die zuvor Zugriff auf Positionen der Macht hatten und sich nun ihrer Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Stadt beraubt oder darin einge­schränkt sahen. In Frankfurt war dies insbesondere das sich privat engagierende Bürgertum, das mit dem Ausbau des Munizipalsozialismus und dem Abbau des Honoratioren1 Hartwell Stafford (Hg.), Who’s who in Philadelphia at the time of the Sesqui-Centennial, Philadelphia 1927.

256

Schluss

tums zunehmend aus städtischen Verantwortungspositionen gedrängt wurde. Die Auseinandersetzung um die Machthoheit in der Kontrolle des städti­schen Raumes wurde vor allem an dem strukturellen Konflikt zwischen der priva­ten und öffentlichen Fürsorge deutlich, in der das städtische Bürgertum in privaten Initiativen immer wieder versuchte, seinen Anspruch auf die Stadt zum Ausdruck zu bringen. Am Beispiel der Straßennotgemeinschaften zeigte sich deutlich, wel­che Begeisterungswellen solche Initiativen schlagen konnten, die eine Reintegra­tion bürgerlicher Werte in die Kontrolle des städtischen Raumes verhießen. In der nur kurzen Lebensdauer der Notgemeinschaften zeigte sich jedoch auch, wie sehr sich das städtische Ordnungssystem schon gewandelt hatte und wie wenig das privat engagierte Bürgertum in der Lage war, den städtischen Verwaltungsexper­ten ein längerfristig funktionierendes Alternativmodell entgegen zu setzen, das allein auf bürgerlichen Idealen beruhte. In Philadelphia war es vor allem jene städti­sche Mittel- und Oberklasse, die sich mit dem Erstarken der politischen Ma­schine aus der städtischen Politik zurückgezogen hatte, die nun in Form zahlrei­cher Reformorganisationen in Verantwortungspositionen zurückzudrängen suchte. Hierbei versuchten sie dem Patronagesystem der politischen Maschine ein Netz­werk von Experten entgegen zu setzen, um so ihren verlorenen Einfluss auf die Gestaltung der Stadt wieder herzustellen. Vor allem im Bereich der sozialen Für­sorge, begannen Reformer frühzeitig sich zu spezialisieren und Expertennetz­werke aufzubauen, die weit über die Grenzen der Stadt und sogar die der Nation hinaus reichten. Im Aufbau von Netzwerken waren die Reformer also sehr erfolg­reich, dennoch blieb ihr Einfluss auf politische Entscheidungen in der Stadt äu­ ßerst gering. Dies lag vor allem an der reformresistenten Haltung der republikani­ schen Maschine. Selbst wenn es vereinzelten Reformern gelang in politische Machtpositionen vorzurücken, wie beispielsweise dem deutschstämmigen Bürgermeisters Philadelphias, Rudolph Blankenburg, der es bis in das Amt des Bürgermeisters geschafft hatte, behielt die republikanische Maschine mit der Kontrolle des Stadtrates die Ober­hand in der politischen Machtausübung. Die grundlegenden Unterschiede der Ordnungssysteme in Frankfurt am Main und Philadelphia kamen insbesondere auch darin zum Ausdruck, wie unterschiedlich einzelne städtische Institutionen miteinander vernetzt waren. Während in Philadelphia die Bereiche der Polizei und der Politik im System der politischen Maschine nicht voneinander zu trennen waren und die Forderung, „to get the po­lice out of politics“ ein immer wieder zum Ausdruck gebrachter aber niemals erfüll­ter Wunsch blieb, waren in Frankfurt die Bereiche der sozialen Fürsorge und der Politik miteinander verschränkt. In Philadelphia war hierbei die städtische Polizei nicht nur auf der Ebene der einzelnen Stadtbezirke eng mit den politischen Strukturen der Stadt verwoben. Auch auf gesamtstädtischer Ebene war die Polizei zentraler Teil der politisch motivierten Inszenierungen des „war on vice“ und zugleich war sie eine wichtige Stütze des lokalen Ungleichheits-Sys­tems, das für Philadelphia schon zeit-

Der Fall Butler

257

genössisch sprichwörtlich geworden war. Die Frankfurter Polizei war dagegen weitaus stärker an die landesweite Entwicklung städtischer Polizeieinheiten gebunden und war auf Grund dieser engeren Bindung auch weitaus weniger in stadtpolitische Strukturen eingeflochten, als dies in Philadelphia der Fall war. Die Neudefinition der Polizei als „Freund und Helfer“ war so auch Teil einer landesweiten Weiterentwicklung städtischer Polizeiarbeit und keine rein lokale Erscheinung. Dagegen wurde die soziale Fürsorge in Frankfurt von den Sozialdemokraten als ein entscheidender Weg gesehen, sich dem als entwürdigend empfundenen ‚gnädigen Gewähren‘ von Fürsorgeleistun­gen durch das Bürgertum zu entledigen. Eines der wichtigsten Ziele sozial­demokra­tischer Politiker war damit der Aufbau eines Fürsorgesystems, in dem Unterstützungsleistungen als die Erfüllung eines Rechts auf Unterstützung ge­sehen wurde, und nicht als das Gewähren von Almosen. Kritik an dem Fürsorge­system von Frankfurt bedeutete damit zugleich Kritik an der sozialdemo­kratischen Politik. Für die politische Maschine und die städtische Verwaltung Philadelphias spielte die soziale Fürsorge dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Der Haupt­grund für diese Zurückhaltung ist vor allem darin zu suchen, dass der Gedanke eines Rechtes auf Unterstützung in Philadelphia kaum Fürsprecher fand, sondern sogar in den Reihen der Reformbewegung für Entsetzen sorgte. Auch ermöglichte diese Zurückhaltung der Reformbewegung auf ‚unpolitischen‘ Wegen Einfluss auf die Kontrolle des städtischen Raumes und der städtischen Bevölke­rung zu nehmen, während die politische Maschine durch die Kompensierung fehlen­der öffentlicher Unterstützungsleistungen sich die Loyalität der sozialen Unter­schichten sichern konnte. Für beide Seiten war es daher in Philadelphia nur wenig attraktiv, etwas an den bestehenden Grundstrukturen der Fürsorge zu ändern. Am Bereich der sozialen Fürsorge wird auch deutlich, dass es weder in Frankfurt, noch in Philadelphia nur um die Unterstützung Hilfsbedürftiger ging, sondern immer auch um die Grundfrage der Machthoheit in der Kontrolle des städtischen Raumes, um die Aushandlung der Frage um das Recht auf die Stadt. Zentral für die effektive Ausübung von Kontrolle war hierbei in Frankfurt wie auch in Philadelphia die Überwindung räumlicher und sozialer Distanzen. In Frankfurt war die räumliche Entfernung der Fürsorger zu den Hilfsbedürftigen das geringere Problem, da die Grundstrukturen des Elberfelder Systems in dem nur mild segre­gierten Frankfurt eine weitgehende räumliche Nähe gewährleisteten. Weitaus schwieriger blieb die Überwindung der sozialen Distanz. Diese sollte auf Drängen bürgerlicher und sozialdemokratischer Sozialreformer im Laufe der 1920er Jahre durch eine bürokratische Distanz ersetzt werden, die das Recht Hilfsbedürftiger auf Unterstützung wahren und zugleich der städtischen Verwaltung Schutz vor Ausbeutung bieten sollte. In der Praxis jedoch wurde die soziale Distanz zumeist nur durch die bürokratische Distanz ergänzt und nicht beseitigt. In Philadelphia dagegen schaffte es die Reformbewegung mit der Gründung von settlements zwar räumliche Distanzen zu überwinden, das

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Schluss

Festhalten der meisten Reformgruppen an einem Überlegenheitsgebaren verhinderte jedoch weitgehend eine Begegnung von Fürsorgern und Hilfsbedürftigen auf Augenhöhe. Wesentlich erfolgreicher agierte hingegen die politische Maschine in der Annäherung an soziale Unter­schichten und die zahlreichen unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen. Der Erfolg der politischen Maschine beruhte hierbei insbesondere auf der Integrations­fähigkeit des Patronagesystems, in dem die Lebensweise sowohl der sozialen Unter­schichten, als auch anderer ethnischer Gruppierungen, weitgehend akzeptiert und nicht moralisch verurteilt wurde. Durch die gezielte Einbindung einzelner Persönlichkeiten aus den Reihen der unterschiedlichen Gruppierungen überwand die republikanische Maschine räumliche, soziale und ethnische Grenzen, auch wenn sie in ihrem politischen Handeln kaum um eine dauerhafte Verbesserung des Lebens in den Arbeiter- und Immigrantendistrikten der Stadt bemüht war. Welche Systeme der Kontrolle auch immer in den beiden Städten erdacht wurden, sei es vom Frankfurter Wohlfahrtsamt oder von der republikanischen Maschine Philadelphias, in der Umsetzung waren diese niemals einfache top down Systeme. Denn an einem geregelten Zusammenleben in der Stadt hatte nicht nur die Obrig­keit oder eine sich auf christliche Werte berufende Mittelklasse Interesse, sondern auch der Großteil der städtischen Bevölkerung. In der Form ihrer Aneignung der Kontrollmechanismen der unterschiedlichen städtischen und privaten Institutionen trug die Bevölkerung selbst entscheidend zur Konstituierung der städtischen Ord­nungssysteme bei, sei es durch das Schreiben denunzierender Briefe an den Bürger­meister, die Druckausübung durch Zuhilfenahme der eigenen Partei oder die Vorteilnahme durch persönliche Beziehungen. Diese praktische Realisierung theoretisch entworfener Systeme wurde hierbei nicht nur von der Bevölkerung ‚jenseits‘ der Kontrollinstanzen vollzogen, sondern vor allem auch von den system­tragenden Akteuren selbst, also von Personen wie den Sozialbeamten des Innendienstes im Frankfurter Wohlfahrtsamt oder den Straßenpolizisten des Depart­ment of Public Safety in Philadelphia. Denn nicht der theoretische Entwurf, sondern erst die praktische Umsetzung von Maßnahmen der Kontrolle durch diese systemtragenden Akteure erweckte ein städtisches Ordnungssystem ‚zum Leben‘. In Frankfurt wurde die Diskrepanz von Theorie und Praxis vor allem am Versagen der bürokratischen Apparate des Wohnungs- und Wohlfahrtsamtes deutlich. Diese Apparate waren eigentlich geschaffen worden, um eine regulierte Kontrolle des städtischen Raumes zu gewährleisten und dies auf Basis einer schichtenübergrei­fende Gleichbehandlung der Bevölkerung. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass Bürokratie in Händen überarbeiteter und überforderter Beamter weder half, die Ungleichbehandlung unterschiedlicher sozialer Schichten zu beseitigen, noch ge­währleistete sie eine effektive Kontrolle des städtischen Raumes und der städti­schen Bevölkerung. In Philadelphia zeigte sich die Diskrepanz von Theorie und Praxis vor allem in der Arbeit der städtischen Polizei. Hier hatten Regularien zur Kriminalitätsbekämpfung, wie sie in Handbüchern an die Polizisten ausgeteilt

Schluss

259

wurden2, nur recht wenig mit der täglichen Arbeit der Polizisten auf Streife zu tun. Diese Polizisten „on the beat“ waren eng in die politischen und sozialen Struktu­ren ihres Einsatzbezirkes eingebunden und so in ihrer täglichen Arbeit eher ihrer Nachbarschaft verpflichtet, als ihren normativen Aufgaben. Waren die städtischen Ordnungssysteme einmal etabliert, erwiesen sie sich in Frankfurt wie auch in Philadelphia als erstaunlich stabil. Wandlungsprozesse die­ser Systeme, wie sie der städtischen Bevölkerung immer wieder aufgezwungen wurden, sei es durch einschneidende Ereignisse (z. B. Kriege), durch dynamische Entwicklungen (z. B. Migrationsbewegungen) oder durch gezielte Maßnahmen der städtischen Eliten (z. B. Verwaltungsreformen), machten es unabdingbar, dass die Regeln des Zusammenlebens neu ausgehandelt werden mussten und führten so vor allem zu Spannungen zwischen den in der Stadt lebenden Gruppierungen. Denn die Wandlungsprozesse störten in einem erheblichen Maße die täglichen Routinen der in der Stadt lebenden Menschen und zwangen ihnen neue und zumeist uner­wünschte Lernprozesse auf. So mussten beispielsweise in Frankfurt die Hilfs­bedürf­tigen lernen, sich auf den Kreisstellen des Wohlfahrtsamtes einzufin­den und den dort gültigen Regularien zu unterwerfen, um soziale Unterstützung zu erhalten. Auch die Sozialbeamten des Innendienstes sahen sich nun mit verzwei­felten, wütenden und ungeduldigen Menschen in einer face-to-face Situa­tion konfrontiert, die sie so bisher nicht kannten. In Philadelphia musste die schwarze Mittelklasse mit der zunehmenden Exklusion im Kontext der Great Migration umzugehen lernen, während zugleich soziale Fürsorgeorganisationen stetig neue Strategien entwarfen, um sich den rasant wandelnden städtischen Struk­turen anzupassen. Insbesondere die sozialen Fürsorgeorganisationen waren im Kontext solcher Wandlungsprozesse darum bemüht, die Lernprozesse anderer zu beeinflussen, seien es Migranten oder sozial Bedürftige. Die Beeinflussung der Lernprozesse zielte zum einen darauf ab, diesen Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen, zum anderen dienten sie aber auch dem eigenen Schutz vor realen und imaginierten Gefahren von Krankheit, moralischem Verfall und sozia­ler Revolte. In diesen Lernprozessen und der Anpassung der städtischen Bevölke­rung an sich verändernde Strukturen griffen die Prozesse der Aneignung und Kon­trolle eng ineinander und bildeten eine sich ergänzende und zugleich voneinander abstoßende Einheit. Die Untersuchung der städtischen Ordnungssysteme von Frankfurt am Main und Philadelphia hat deutlich gemacht, dass an diesen nicht nur private und städtische Institutionen und Organisationen beteiligt waren, sondern vor allem auch die städti­sche Bevölkerung selbst. Dies gilt in den hier untersuchten Städten ebenso wie in Wanne-

2 �������������������������������������������������������������������������������������� Department of Public Safety (Philadelphia) (Hg.), Rules and Regulations. Bureau of Police Philadelphia, Philadelphia 1925.

260

Schluss

Eickel und New York.3 Doch zwischen Frankfurt und Philadelphia erschöpfen sich darin auch schon weitgehend die Gemeinsamkeiten. Der kontrastie­rende Vergleich hat nicht nur die Unterschiede der beiden Städte deutlich gemacht, sondern vor allem auch gezeigt, wie tief diese Unterschiede wurzelten und wie weitreichend sie wirkten. Die Fragestellung Henry Lefebvres nach dem Recht auf die Stadt ermöglichte es, die sehr unterschiedlichen Städte mit grundverschiedenen Quellenbeständen in einem Vergleich zusammen zu bringen. Das Problem der unterschiedlichen Quellenbestände ließ sich damit nicht nur kompensieren, sondern sogar gewinnbringend in Erkenntnisse umsetzen, da die unterschiedlichen Quellen schon etwas über die Unterschiede der Ordnungs­systeme aussagen. Dass Frankfurt und Philadelphia nach ganz eigenen Logiken funktionierten, kann also zweifellos behauptet werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Logiken nur für die jeweilige Stadt stehen, oder ob sie Typen repräsentieren. Diese Frage kann der Vergleich von Frankfurt und Philadelphia nicht direkt beantworten. Allerdings verdeutlichten die Seitenblicke auf andere deutsche und nordamerikanische Städte, dass in den nationalen Kontexten stark ausgeprägte Parallelitäten zwischen den Städten existierten. Die Zuordnung von Städten zu Stadtypen scheint mir daher naheliegend und sinnvoll zu sein. Eine solche Typologisierung erleichtert es auch, Detailunterschieden zwischen vermeintlich ähnlichen Städten zu identifizieren und zu formulieren. Der systematische Vergleich weiterer Städte – ähnlicher und unterschiedlicher – würde helfen, städtische Ordnungssysteme weiter zu differenzieren und damit immer besser zu verstehen. Problematisch an einer breit angelegten Perspektive auf städtische Ordnungs­ systeme bleibt jedoch, dass über viele Detailentwicklungen in einzelnen Untersu­ chungsbereichen hinweggesehen werden muss. Auch vermag selbst eine weite Per­ spek­tive auf die Stadt niemals wirklich die ‚ganze‘ Stadt zu erfassen. Daher wäre es zur weiteren Analyse von städtischen Ordnungssystemen notwendig, auch andere Zugänge zu diesen zu suchen, beispielsweise über die Bereiche des Konsums, der Wirtschaftsentwicklung oder der juristischen Grundlagen. Zentral bliebe auch bei anderen Zugängen dennoch, den Blick sowohl mit sozialhistorischen, als auch mit kulturalistischen Fragestellungen auf die ‚ganze‘ Stadt zu richten. Denn erst über die Untersuchung des dynamischen Wechselverhältnisses von Akteuren und Strukturen lassen sich die vielschichti­gen Ebenen städtischer Ordnungssysteme erfassen.

3 �������������������������������������������������������������������������������� Helmuth Berking u. Martina Löw, Wenn New York nicht Wanne-Eickel ist… Über ���������� Städte als Wissensobjekt der Soziologie, in: Helmuth Berking u. Alba Alexander (Hg.), Die Wirklichkeit der Städte, Baden-Baden 2005, S. 9–22.

6

Anhang

6.1

Abkürzungsverzeichnis

Organisationen COS KPD OHA PHA PHC PRT SOC SPD

Charity Organization Society Kommunistische Partei Deutschlands Octavia Hill Association Philadelphia Housing Association Philadelphia Housing Commission Philadelphia Rapid Transit Company Philadelphia Society for Organizing Charity Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Archivalien (Verweise in Fußnoten) CA Clip

City Archive of Philadelphia Zeitungsartikel aus der George D. McDowell Philadelphia Evening Bulletin Newsclipping Sammlung des Urban Archive Col. Collection F. Folder FMA Magistratsakten der Stadt Frankfurt am Main FWA Akten des Wohlfahrtsamtes der Stadt Frankfurt am Main FWohA Akten des Wohnungsamtes der Stadt Frankfurt am Main FS Stadtarchiv Frankfurt am Main HHStAW Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden HSP Historical Society of Pennsylvania MC Mounted Clipping Files aus der George D. McDowell Philadelphia Evening Bulletin Newsclipping-Sammlung des Urban Archive PamC The General Pamphlet Collection des Urban Archive SF Stadtarchiv Frankfurt am Main UA Urban Archive der Temple University in Philadelphia WP Walter Philips Oral History Project des Urban Archive

262

Anhang

6.2 Quellen- und Literaturverzeichnis 6.3

Archivalien

Stadtarchiv Frankfurt am Main (nach Bestandsnamen) Fürsorgeamt / Wohlfahrtsamt (1910–1933) Magistratsakten (1919–1933) Stadtverordnetenversammlung (1919–1933) Wohnungsamt (1919–1933)

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 405 Abt. 407

Preußisches Regierungspräsidium Wiesbaden (1910–1933) Polizeipräsidium Frankfurt am Main (1910–1933)

Historical Society of Pennsylvania Col. 1541 Col. 1813 Col. 1961

J. Hampton Moore Papers (1915–1935) Civic Club of Philadelphia (1915–1935) Family Service of Philadelphia (1879–1935)

Urban Archive (Temple University of Philadelphia) Acc. 47 John M. Shaw Acc. 151/173 Young Man’s Christian Association of Philadelphia Acc. 280 Young Woman’s Christian Association of Germantown The General Pamphlet Collection George D. McDowell Philadelphia Evening Bulletin Newsclipping Collection URB 3 Philadelphia Housing Association / Housing Association of Delaware Valley URB 19 Walter C. Beckett URB 30 Wharton Centre URB 31 Negro Migrant Study, 1923 URB 35 John Ihlder URB 46 Octavia Hill Association The Walter Phillips Oral History Project

262

Anhang

6.2 Quellen- und Literaturverzeichnis 6.3

Archivalien

Stadtarchiv Frankfurt am Main (nach Bestandsnamen) Fürsorgeamt / Wohlfahrtsamt (1910–1933) Magistratsakten (1919–1933) Stadtverordnetenversammlung (1919–1933) Wohnungsamt (1919–1933)

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 405 Abt. 407

Preußisches Regierungspräsidium Wiesbaden (1910–1933) Polizeipräsidium Frankfurt am Main (1910–1933)

Historical Society of Pennsylvania Col. 1541 Col. 1813 Col. 1961

J. Hampton Moore Papers (1915–1935) Civic Club of Philadelphia (1915–1935) Family Service of Philadelphia (1879–1935)

Urban Archive (Temple University of Philadelphia) Acc. 47 John M. Shaw Acc. 151/173 Young Man’s Christian Association of Philadelphia Acc. 280 Young Woman’s Christian Association of Germantown The General Pamphlet Collection George D. McDowell Philadelphia Evening Bulletin Newsclipping Collection URB 3 Philadelphia Housing Association / Housing Association of Delaware Valley URB 19 Walter C. Beckett URB 30 Wharton Centre URB 31 Negro Migrant Study, 1923 URB 35 John Ihlder URB 46 Octavia Hill Association The Walter Phillips Oral History Project

Quellen- und Literaturverzeichnis

263

Philadelphia City Archives RG 60–1 RG 81 RG 83 RG 84 6.4

Office of the Mayor (1915–1935) Department of Public Health and Charities (1915–1935) Department of Public Safety (1915–1935) Department of Human Services / Public Welfare (1915–1935)

Periodika

In Stichproben und auf Basis von Sammlungen von Zeitungsausschnitten in den Archivalien (1915–1933) Arbeiter Zeitung (Frankfurt am Main) The Evening Bulletin (Philadelphia) Frankfurter Nachrichten Frankfurter Zeitung und Handelsblatt The Philadelphia Inquirer The Philadelphia Tribune Public Ledger (Philadelphia) Stadtblatt der Frankfurter Zeitung Die Volksstimme (Frankfurt am Main) 6.5

Literatur und publizierte Quellen vor 1945

Jane Addams, Ethical Survivals in Municipal Corruption, in: International Journal of Ethics 8. 1898, S. 273–291. Dies., Subtle Problems of Charity, in: The Atlantic Monthly, 1899, S. 163–179. Dies., Why the Ward Buss Rules, in: Bruce M. Stave (Hg.), Urban Bosses, Machines, and Progressive Reformers, Lexington, Toronto, London 1972, S. 10–15. All-Philadelphia Conference on Social Work (Hg.), First All-Philadelphia Conferende on Social Work. The Findings: A Summary and Abstract of the Addresses and Discussions, Philadelphia 1923. Dies. (Hg.), Second All-Philadelphia Conference on Social Work. The Findings: A Summary and Abstract of the Addresses and Discussions, Philadelphia 1924. Artikel: Eli Kirk Price, in: James Grant Wilson u. John Fiske (Hg.), Appletons’ Cyclopaedia of American Biography. Revised Edition, New York 1888, S. 412–413. Thomas Willing Balch, The Philadelphia Assemblies, Philadelphia 1916. George Barton, Little Journeys Around Old Philadelphia, Philadelphia 1926. Ders., Walks and Talks About Old Philadelphia, Philadelphia 1928.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Philadelphia City Archives RG 60–1 RG 81 RG 83 RG 84 6.4

Office of the Mayor (1915–1935) Department of Public Health and Charities (1915–1935) Department of Public Safety (1915–1935) Department of Human Services / Public Welfare (1915–1935)

Periodika

In Stichproben und auf Basis von Sammlungen von Zeitungsausschnitten in den Archivalien (1915–1933) Arbeiter Zeitung (Frankfurt am Main) The Evening Bulletin (Philadelphia) Frankfurter Nachrichten Frankfurter Zeitung und Handelsblatt The Philadelphia Inquirer The Philadelphia Tribune Public Ledger (Philadelphia) Stadtblatt der Frankfurter Zeitung Die Volksstimme (Frankfurt am Main) 6.5

Literatur und publizierte Quellen vor 1945

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Periodika

In Stichproben und auf Basis von Sammlungen von Zeitungsausschnitten in den Archivalien (1915–1933) Arbeiter Zeitung (Frankfurt am Main) The Evening Bulletin (Philadelphia) Frankfurter Nachrichten Frankfurter Zeitung und Handelsblatt The Philadelphia Inquirer The Philadelphia Tribune Public Ledger (Philadelphia) Stadtblatt der Frankfurter Zeitung Die Volksstimme (Frankfurt am Main) 6.5

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