Handbuch Arbeitsrecht in Restrukturierung und Insolvenz 9783814558219

Zielgruppe für dieses Handbuch sind Berater und Unternehmer, aber auch Betriebsräte, die sich in das Gebiet und die Denk

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Handbuch Arbeitsrecht in Restrukturierung und Insolvenz
 9783814558219

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Göpfert/Schöne (Hrsg.) Handbuch Arbeitsrecht in Restrukturierung und Insolvenz

Handbuch Arbeitsrecht in Restrukturierung und Insolvenz – Tranformation, Restrukturierung, Insolvenz –

2., neu bearbeitete Auflage

herausgegeben von Dr. Burkard Göpfert, LL.M. Steffen Schöne bearbeitet von Michael Baur, Tobias Frommhold, Dr. Tom Gellrich, Katja Giese, Dr. Andree Gossak, Dr. Burkard Göpfert, Miguel Grosser, Dr. Karl-Friedrich Gulbins, Dr. Jens Günther, Dr. Rüdiger Helm, Ottmar Hermann, Dr. Eva Heup, Dr. Burghard Hildebrandt, Michael Huber, Patrik Sven Jacob, Christian Köhler-Ma, Dr. Elena Lutz, Jakob Lutzenberger, Dr. Andreas von Medem, Lars Christian Möller, Stephan Rohrmoser, Hendrik Röger, Max Scholz, Steffen Schöne, Carolin Sigle, Dr. Matthias Tresselt, Dr. Sven-Holger Undritz, Thomas Witt

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH ˜ Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck

Vorwort zur 2. Auflage Geänderte Gesetzeslage und Rechtsprechung machen mit gebührendem Abstand eine Neuauflage erforderlich. Dankbar konnten die Herausgeber viele bisherige Autoren für eine Überarbeitung und neue Beiträge hinzugewinnen. Der „Gelbe Göpfert“ (so ein Gewerkschafts-Anwalt) wird auch im Herausgeberkreis erweitert, angesichts der Stoffmenge ebenfalls unumgänglich. Was also ändert sich? Angesichts von bald zehn Jahren Hochkonjunktur und sinkenden Insolvenzen geht der Blick immer weiter ins Vorfeld – operative Sanierung, Transformation und Restrukturierung außerhalb der Insolvenz. Und selbst im Falle einer Insolvenz steht mit der Eigenverwaltung und vorgelagertem Schutzschirm eine Alternative zur Verfügung, die auch in das Arbeitsrecht abstrahlt. Dass das künftige vorinsolvenzliche Verfahren dabei die operative Sanierung vernachlässigt, wird sich noch als Fehler erweisen. Und wenn große Insolvenzen eintreten – das zeigen die Beispiele Airberlin und Wörl – wird auch im Insolvenzarbeitsrecht gefochten. Genug Gründe also für die Neuauflage. Die Herausgeber danken allen Autorinnen und Autoren, die – wie schon bisher – mit großen Engagement und fachlicher Schärfe an dieser Neuauflage gearbeitet haben. Die Autoren stehen inhaltlich für ihre Beiträge, die Herausgeber haben – wo nötig – vereinheitlicht. Frau Katja, Giese, die für die Betreuung der Manuskripte verantwortlich war und gleichzeitig einen die Neuauflage sehr bereichernden Beitrag als Autorin verantwortet, sei an dieser Stelle besonders gedankt. Die Zusammenstellung, Formatierung und Redaktion der Beiträge vor Abgabe an den Verlag wäre schließlich nicht ohne die Unterstützung von Frau Stephanie Braun möglich gewesen, die die zahlreichen Sonderwünsche, Korrekturrunden und Umstellungen der Herausgeber so geduldig ertragen und mit unerschütterlicher Zielstrebigkeit umgesetzt hat. Herrn Dr. Bruno M. Kübler danken die Herausgeber für die erneute Aufnahme des Buches in das RWS Verlagsprogramm. Alle Hinweise, besonders aus der Praxis, sind willkommen. München, Dresden im Mai 2019

Burkard Göpfert Steffen Schöne

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Vorwort zur 1. Auflage Das Sanierungsarbeitsrecht war in den letzten Jahren vermehrt Gegenstand der juristischen Literatur, u. a. auch in Monographien. Dabei zeigte sich aber, dass entweder die Personalmaßnahmen vor der Insolvenzreife oder aber die Personalmaßnahmen im Insolvenzverfahren beschrieben wurden. Die Realität personalwirtschaftlicher Planung, Beratung und Umsetzung liegt aber gerade darin, die „Brücke“ von der Krise in die möglicherweise nicht mehr vermeidbare Insolvenz zu schlagen und dabei vor allem aufzuzeigen, wie eine mögliche Insolvenz bereits im Vorfeld arbeitsrechtliche „Vorwirkungen“ entfalten kann, auf Verhandlungserwartungen, Verhandlungsmöglichkeiten, Verhandlungspsychologie der Beteiligten und nicht zuletzt auf das zu erwartende Verhandlungsergebnis. Mit der Einführung des ESUG, insbesondere der Möglichkeit eines Schutzschirmverfahrens, ist dieses Bedürfnis noch einmal gestiegen. Der vorliegende Band greift eine Anregung von Herrn Dr. Bruno Kübler dankbar auf und bringt führende Praktiker der „operativen Sanierung“ quasi an „einen Tisch“. Dabei stehen – naturgemäß – die juristischen Rahmenbedingungen im Vordergrund. Allerdings hat es alle Beteiligten sehr gefreut, dass sich gerade auch namhafte Praktiker der Sanierung bereit erklärt haben, ihr operativ-strategisches Wissen den juristischen Kapiteln voranzustellen. Allen Autoren gilt mein herzlichster Dank. Jeder Autor verantwortet seinen Beitrag und bei der Fülle der Themen sind Überschneidungen und ggf. auch einmal unterschiedliche Herangehensweisen und Ansichten nur zu begrüßen – variatio delectat! Anregungen der Leser sind hochwillkommen, verfolgen doch alle Beteiligten das Ziel, durch kluge und intelligente Lösungen – auch in schwerer Krise – so viele Beschäftigungsverhältnisse wie möglich zu erhalten. Neben dem Dank an den Verlag und die redaktionelle Betreuung, gilt allen voran mein Dank Frau Nadine Hilbich für die große Unterstützung und meiner Assistentin, Frau Manuela Sperl, für die Betreuung des Manuskripts. München, im August 2013

Burkard Göpfert

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Vorwort zur 2. Auflage ....................................................................................... V Vorwort zur 1. Auflage ................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. XI Autorenverzeichnis .................................................................................. XXXIII Literaturverzeichnis ................................................................................ XXXVII Teil I Rechtsgrundlagen ..................................................................................... 1 § 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft ..... 3 § 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise .............................................................................................................. 23 Teil II Operative personalwirtschaftliche Sanierung außerhalb der Insolvenz ......................................................................................... 43 § 3 Aufhebungsvertrag in der Krise: Freiwilligen- und Anspracheprogramme, Vorschaltevereinbarungen zur Kündigungsvermeidung ............. 45 § 4 Taktik und Strategie bei der Durchführung und Planung von modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen ................................ 65 § 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren ........... 77 § 6 Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan ............................................................. 89 § 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen ........................ 97 § 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht ...................................................................................... 121 § 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“ – Beschäftigungssicherung nach § 92a BetrVG – ................................................................. 141 IX

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung und Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz ...................................................................... 163 § 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht ............................................... 193 Teil III Sanierungsarbeitsrecht in der Insolvenz ........................................ 217 § 12 Case Study: Der Fall Airberlin – Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz von Luftfahrtunternehmen – ....................................... 219 § 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick ......................... 229 § 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag .............................................................................. 307 § 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren ................................................. 325 § 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung ................................ 337 § 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung ........................................ 361 § 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan ....................................... 393 § 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis .............................................. 441 § 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen ... 459 § 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht .................................................... 473 § 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts ................ 487 Teil IV Besondere Formen der Beendigung von Arbeitsverträgen in der Sanierung und Insolvenz ............................................................ 515 § 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften .............................................. 517 § 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang – ein Umgehungsthema? – ...................................................................... 529 § 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz ....................... 537 Stichwortverzeichnis ....................................................................................... 571

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Vorwort zur 2. Auflage ....................................................................................... V Vorwort zur 1. Auflage ................................................................................... VII Autorenverzeichnis .................................................................................. XXXIII Literaturverzeichnis ................................................................................ XXXVII Teil I Rechtsgrundlagen ..................................................................................... 1 § 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft ..... 3 I. Einleitung ........................................................................................................ 3 II. Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit ......... 3 1. Das Kündigungsschutzgesetz .................................................................. 3 2. Interessenausgleich und Sozialplan nach dem BetrVG .......................... 8 3. Der Betriebsübergang nach § 613a BGB ............................................... 11 III. Sanierungsarbeitsrecht außerhalb der Insolvenz: Interessenausgleich mit Namensliste ............................................................................................ 13 IV. Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren ..................................... 14 1. Verkürzung der Kündigungsfristen und Kündigungserleichterungen in der InsO ................................................................................. 14 2. Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz ............................ 15 3. Besonderheiten zum Kündigungsschutz in der Insolvenz ................... 17 4. Betriebsveräußerung in der Insolvenz ................................................... 18 5. Das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung ................................... 20 V. Fazit ............................................................................................................... 22 § 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise ........................................................................................................ 23 I. Einleitung ...................................................................................................... 23 II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung .............. 24 1. Mitarbeiterbezogene Überlegungen ...................................................... 24

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2. Mitarbeiterbezogene Maßnahmen mit Verlust des Arbeitsplatzes ..... a) Standort-/Betriebsschließung ......................................................... b) Namensliste ...................................................................................... c) Sozialauswahl .................................................................................... d) Freiwilligenprogramm ..................................................................... 3. Mitarbeiterbezogene Maßnahmen ohne Verlust des Arbeitsplatzes ..................................................................................................... a) Umorganisation/Umzug von Abteilungen .................................... b) Gründung neuer Standorte .............................................................. c) Transfer-Agentur/Transfer-Gesellschaft ........................................ d) Weitere Maßnahmen und Leistungskürzungen ............................. e) Exkurs: Schutz bzw. Identifikation von Leistungsträgern ............ 4. Überlegungen bezüglich der Maßnahmen-Finanzierung .................... a) (Transfer-)Kurzarbeitergeld ............................................................ b) Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung ...... c) Europäische Sozialfonds .................................................................. d) Eingliederungs-Zuschuss ................................................................. e) Förderung der beruflichen Weiterbildung ......................................

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III. Plausibilisierung ............................................................................................ 34 1. Indirekte Personalkosten ....................................................................... 34 2. Direkte Personalkosten ......................................................................... 35 IV. Das Weißbuch als zentrale Dokumentation von Personalabbauprogrammen in Deutschland ............................................................................. 1. Herausforderungen beim Personalabbau .............................................. 2. Weißbuch als zentrales Dokument im Personalabbau ......................... a) Unternehmerische Entscheidung .................................................... b) Erforderliche Maßnahmen ............................................................... 3. Strukturierung der Informationsphase ................................................. 4. Systematische Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen ...................................................................................................... 5. Übersicht der Verhandlungsbausteine .................................................. 6. Erfolgsfaktoren bei komplexen Personalabbauprogrammen ............... a) Datentransparenz ............................................................................. b) Einbindung der Interessengruppen .................................................

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V. Fazit ............................................................................................................... 42

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Teil II Operative personalwirtschaftliche Sanierung außerhalb der Insolvenz .......................................................................................... 43 § 3 Aufhebungsvertrag in der Krise: Freiwilligen- und Anspracheprogramme, Vorschaltevereinbarungen zur Kündigungsvermeidung ....... 45 I. Einführung .................................................................................................... 45 II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme ..................................................... 47 1. Praktischer Bedarf ................................................................................... 47 2. Angebotsverfahren ................................................................................. 48 3. Strategische Gestaltung einer Personalmaßnahme mit „Vorschaltevereinbarungen“ ...................................................................................... 50 4. Rechtliche Aspekte von Freiwilligenprogrammen ................................ 52 5. Kollektivrechtliche Aspekte ................................................................... 53 6. Sozialversicherungsrechtliche- und steuerliche Folgen ........................ 55 7. Umsetzung und Kommunikation .......................................................... 55 III. Aufhebungsvertrag und Insolvenzrisiko ..................................................... 56 IV. Rücktritt vom Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich .......................... 58 1. Anwendbarkeit des § 323 BGB .............................................................. 59 2. Besonderheiten in der Insolvenz ............................................................ 59 3. Fristsetzung ............................................................................................. 61 V. Rechtsfolgen des wirksamen Rücktritts ...................................................... 62 VI. Möglichkeiten der Vertragsgestaltung ......................................................... 64 § 4 Taktik und Strategie bei der Durchführung und Planung von modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen ............................ 65 I. Einführung .................................................................................................... 65 II. Grundfall Freiwilligenprogramm ................................................................. 66 III. Einzelne Rechtsfragen .................................................................................. 66 1. „Doppelte Freiwilligkeit“ ....................................................................... 66 2. Gleichbehandlungsgrundsatz ................................................................. 67 a) Auswahlentscheidung ....................................................................... 67 b) Herausnahme von Leistungsträgern ................................................ 67 c) Definition des persönlichen Anwendungs- oder Geltungsbereichs .............................................................................. 68 d) Spätere betriebsbedingte Kündigungen ........................................... 68 XIII

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e) Diskriminierung ............................................................................... 69 3. Mitbestimmung nach § 111 BetrVG ..................................................... 69 4. Benachteiligung nach § 7 AGG ............................................................. 70 IV. Taktik ............................................................................................................ 1. Recht ....................................................................................................... 2. Strategie .................................................................................................. 3. Taktik ...................................................................................................... 4. Kommunikation ..................................................................................... a) Beteiligung der zuständigen Mitarbeiter ......................................... b) Bedarf an externer Hilfe bei Durchführung der Personalgespräche ............................................................................ c) Bewertung und Abschluss ............................................................... 5. Emotion .................................................................................................. a) Monitoring – Erfolgsquote .............................................................. b) Druck ................................................................................................ aa) Quorum ................................................................................... bb) Entscheidungsfenster .............................................................. c) Arbeitsverdichtung ..........................................................................

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V. Alternativen zum Ansprache- und Freiwilligenprogramm ........................ 75 1. Tarifvertrag über die „Vermittlung in gute Arbeit“ ............................. 75 2. Matching-Verfahren ............................................................................... 75 VI. Zusammenfassung ........................................................................................ 76 § 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren ..... 77 I. Allgemeines ................................................................................................... 77 II. Voraussetzungen einer Massenentlassung .................................................. 79 1. Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG ................................................ 79 2. Entlassungsbegriff .................................................................................. 79 III. Beteiligungsrechte des Betriebsrats ............................................................. 1. Information ............................................................................................ 2. Konsultation ........................................................................................... 3. Rechtliche Wirkung des Konsultationsverfahrens ...............................

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IV. Massenentlassungsanzeige ........................................................................... 84 1. Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige ............................... 84 2. Rechtliche Wirkung der Massenentlassungsanzeige ............................ 86

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§ 6 Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan .......................................................... 89 I. Begriffsbestimmung ...................................................................................... 89 II. Das Gebot der Rechtsquellenklarheit als Problem bei mehrgliedrigen Vereinbarungen ............................................................................................. 91 III. Mögliche Inhalte tariflicher Vereinbarungen .............................................. 92 IV. Interessenausgleich und Sozialplan .............................................................. 95 § 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen .................... 97 I. Ausgangs- und Rahmenbedingungen .......................................................... 97 1. Strategische Krise, Ertrags- und Liquiditätskrise .................................. 97 2. Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen ......................................... 98 II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept ............................................. 100 1. Strukturelle Maßnahmen ...................................................................... 100 a) Liquidation ...................................................................................... 101 b) Standortschließung ......................................................................... 104 c) Reorganisation und Kapazitätsanpassung ..................................... 106 2. Operative Maßnahmen ......................................................................... 108 3. Personalpolitische Maßnahmen ........................................................... 109 4. Vorrausetzungen für die Implementierung ......................................... 111 III. Stakeholder Management ........................................................................... 118 IV. Fazit ............................................................................................................. 120 § 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht .................................................................................... 121 I. Einführung .................................................................................................. 121 II. Die Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräte: Notwendige Experten in der Insolvenz ........................................................................... 123 1. Beschäftigte als Experten in eigener Sache .......................................... 123 2. Die besondere Rolle des Betriebsrats als Vermittler, Interessenvertreter und unvorbelasteter Unternehmensexperte ........................ 124 3. Gewerkschaften und Betriebsräte als Begleiter der Sanierung, Stilllegung und des Insolvenzgeldbezugszeitraums ............................ 125 XV

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III. Potentielle Gestaltungsbedarfe (insbesondere) im Insolvenzgeldbezugszeitraum ........................................................................................... 1. Die Arbeitszeit ..................................................................................... 2. Kurzarbeit ............................................................................................. 3. Urlaub ................................................................................................... 4. Prämien ................................................................................................. 5. Arbeits- und Gesundheitsschutz ......................................................... IV. Interessenausgleich- und Sozialplan .......................................................... 1. Interessenausgleich .............................................................................. a) Allgemeines .................................................................................... b) Interessenausgleich in der Insolvenz ............................................ aa) Der Interessenausgleich: Drei mögliche Wege .................... bb) Der Unterlassungsanspruch ................................................. cc) Die Vermittlung durch die Bundesagentur .......................... dd) Sinnvolle begleitende Inhalte ................................................ 2. Der Sozialplan in der Insolvenz ........................................................... a) Die Zuständigkeit ........................................................................... b) Die Bedeutung der freien Verteilungsmasse ................................ c) Förderfähige Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit .............................................................................. d) Die bessere Lösung: Der Sozialtarifvertrag .................................. e) Leistungen von dritter Stelle ......................................................... f) Mögliche weitere Inhalte ...............................................................

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V. Sachverständigenzuziehung ....................................................................... 137 VI. Weitere Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten .................................... 138 1. Die Mitgliedschaft im (vorläufigen) Gläubigerausschuss .................. 139 2. Die Benennung des Verwalters ............................................................ 140 § 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“ – Beschäftigungssicherung nach § 92a BetrVG – ............................................................... 141 I. Einführung .................................................................................................. 142 II. § 92a Abs. 1 BetrVG – Vorschlagsrecht „zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung“ ................................................................... 1. Betriebs- und beschäftigtenbezogenes Vorschlagsrecht .................... 2. Die Vorschlagsrechte des § 92a Abs. 1 BetrVG im Einzelnen .......... a) Flexible Gestaltung der Arbeitszeit .............................................. b) Förderung von Teilzeitarbeit und Altersteilzeit .......................... c) Neue Formen der Arbeitsorganisation .........................................

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d) Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe ................ 147 e) Qualifizierung der Arbeitnehmer .................................................. 147 f) Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe an andere Unternehmen .................................................. 148 g) Vorschläge zum Produktions- und Investitionsprogramm ......... 149 III. Vorschlagsinhalte „der Zukunft“ ............................................................... 149 IV. Das Verhältnis zu anderen Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten ..... 150 1. Maßnahmen der Berufsbildung ............................................................ 151 2. Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG .......................................... 151 3. Einbettung in die laufende Mitbestimmung ........................................ 152 V. Ablauf des Verfahrens nach § 92a BetrVG ................................................ 152 1. Phase I – Aufforderung zur Beratung ................................................. 153 2. Phase II – Die Beratung mit dem Betriebsrat ..................................... 153 3. Phase III – Abschluss der Beratung und Stellungnahme .................... 154 VI. Rechtsfolgen des Vorschlagsrechts ............................................................ 155 1. Erzwingbare Einleitung des Verfahrens nach § 92a BetrVG? ............ 156 2. Ungenutzte Vorschläge als Argument im Kündigungsschutzverfahren? ................................................................................................... 156 VII. Die Rolle des § 92a BetrVG im Zusammenhang mit Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen ....................................................... 158 1. Moderne Personalanpassungen kombinieren reaktive und präventive Maßnahmen ........................................................................ 158 2. Eigenständiges, aber parallel laufendes Verfahren .............................. 158 3. Verschleppungsschutz .......................................................................... 160 VIII. Ausblick .................................................................................................... 160 § 10 Haftung von Geschäftsführung und Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz ..................................................................... 163 I. Haftung der Geschäftsführung .................................................................. 165 1. Einführung ............................................................................................ 165 2. Haftung im Innenverhältnis ................................................................. 166 a) Masseschmälerung nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG) ...... 166 aa) Begriff der Zahlung ................................................................ 167 bb) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ............................ 169 (1) Zahlungsunfähigkeit ....................................................... 170 (2) Überschuldung ............................................................... 171

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cc) Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 64 Satz 2 GmbHG) ........................................................... dd) Verschulden ........................................................................... ee) Eröffnung des Insolvenzverfahrens ..................................... ff) Darlegungs- und Beweislast .................................................. b) Insolvenzverursachung durch Zahlungen an Gesellschafter (§ 64 Satz 3 GmbHG) ................................................................... aa) Zahlungsempfänger ............................................................... bb) Kausale Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft .................... c) Insolvenzverschleppung (§ 43 Abs. 2 GmbHG) ......................... aa) Frist zur Insolvenzantragstellung ......................................... bb) Verschulden ........................................................................... cc) Gesellschafterweisung ........................................................... dd) Weitere Folgen für den Geschäftsführer ............................. d) Weitere Haftungstatbestände (§ 43 Abs. 2 GmbHG) ................. 3. Haftung im Außenverhältnis ............................................................... a) Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO) ..................................................................................... b) Vorsätzliche sittenwidrige Insolvenzverschleppung (§ 826 BGB) ................................................................................... c) Verschulden bei Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 BGB) .... d) Weitere Haftungstatbestände ........................................................ II. Haftung von Beratern ................................................................................ 1. Haftung gegenüber der Gesellschaft ................................................... a) Vertragliche Haftung ..................................................................... b) Vertragliche Haftungsbeschränkungen ........................................ 2. Haftung gegenüber dem Geschäftsführer .......................................... a) Vertragliche Haftung ..................................................................... b) Haftung aufgrund Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ............................................................................................. 3. Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ............................... a) Vertragliche Haftung ..................................................................... b) Deliktische Haftung/strafrechtliche Relevanz .............................

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht ........................................... 193 I. Einleitung .................................................................................................... 194 II. Beihilfen in Sanierungssituationen – Förderungen für „Unternehmen in der Krise“ ................................................................................................ 194 1. Allgemein: Europarechtliche Rahmenbedingungen ........................... 195

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a) Grundsatz ........................................................................................ 195 b) Ausnahmen ..................................................................................... 196 c) Mögliche Sanktionen ...................................................................... 196 2. Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen ....................................... 197 3. Fazit ....................................................................................................... 199 III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen ............ 200 1. GRW-Zuschüsse ................................................................................... 200 a) Rechtliche Grundlagen ................................................................... 201 b) Wesentliche arbeitsplatzbezogene Verpflichtungen des Zuwendungsempfängers ................................................................ 201 c) Sanktionsmöglichkeiten ................................................................. 203 d) In der Praxis typische Rückforderungsszenarien/ -konstellationen .............................................................................. 204 aa) Verfehlung von Arbeitsplatzvorgaben .................................. 205 bb) Veräußerung des Unternehmens bzw. von Unternehmensteilen .............................................................. 207 cc) Sonderproblem: Insolvenz .................................................... 209 e) Gestaltungsmöglichkeiten/praktische Hinweise .......................... 210 aa) Frühzeitige und pro-aktive Abstimmung mit den Förderbehörden .............................................................. 210 bb) Konkrete Lösungsmöglichkeiten .......................................... 211 2. Förderungen für Forschung und Entwicklung ................................... 212 a) Rechtliche Grundlagen und wesentliche Verpflichtungen, Sanktionsmöglichkeiten ................................................................. 212 b) In der Praxis typische Rückforderungsszenarien/ -konstellationen .............................................................................. 214 c) Gestaltungsmöglichkeiten/praktische Hinweise .......................... 215 Teil III Sanierungsarbeitsrecht in der Insolvenz ......................................... 217 § 12 Case Study: Der Fall Airberlin – Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz von Luftfahrtunternehmen – ................................... 219 I. Einleitung .................................................................................................... 219 II. Auskunfts- und Unterlassungsansprüche im einstweiligen Rechtsschutz ........................................................................................................... 220 1. Sperrwirkung des § 122 InsO ............................................................... 220 2. Auskunftsansprüche ............................................................................. 221 3. Unterlassungsansprüche ....................................................................... 222

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III. Der Antrag nach § 122 InsO ..................................................................... 1. Allgemeines .......................................................................................... 2. Besondere Problemfelder ..................................................................... a) Anwendbarkeit auf Vertretungen gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG .... b) Beginn der Drei-Wochen-Frist ..................................................... c) Wirtschaftliche Lage des Unternehmens ...................................... d) Rechtsschutzinteresse .................................................................... aa) Verstoß gegen § 117 Abs. 2 BetrVG .................................... bb) Verstoß gegen § 113 Abs. 3 BetrVG .................................... cc) Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG ........................................ dd) Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ...........................

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick ...................... 229 I. Einführung .................................................................................................. 230 II. Beendigung von Arbeitsverhältnissen ....................................................... 231 III. Besonderheiten im Insolvenzantragsverfahren ......................................... 232 IV. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen ...................................................... 1. Grundsatz ............................................................................................. 2. Insolvenzforderungen/Masseforderungen ......................................... a) Sonderleistungen und sonstige Einmalzahlungen ........................ b) Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld ................................................... c) Vergütung bei Altersteilzeit im Blockmodell................................ d) Teilvergütung und Schadensersatz bei fristloser Kündigung ...... e) Provisionen ..................................................................................... 3. Vergütungsansprüche bei Masseunzulänglichkeit ..............................

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall ............................................. 1. Insolvenzgeld ........................................................................................ a) Lohnersatz als Versicherungsleistung ........................................... b) Anspruch ........................................................................................ c) Antrag und Ausschlussfrist ........................................................... d) Umfang und Höhe ......................................................................... e) Gesetzlicher Anspruchsübergang ................................................. 2. Beendigung von Arbeitsverhältnissen ................................................. a) Freistellungsbefugnis ..................................................................... aa) Arten der Freistellung ........................................................... bb) Rechtsfolgen einer erklärten Freistellung ............................ (1) Arbeitspflicht und Vergütung .......................................

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3.

4. 5. 6.

(2) Urlaubsansprüche ........................................................... 250 (3) Anderweitiger Zwischenverdienst ................................. 251 (4) Wettbewerbsverbot im Freistellungszeitraum ............. 251 (5) Gleichwohlgewährung ................................................... 252 b) Kündigungsbefugnis ....................................................................... 253 aa) Lösungsklausel ....................................................................... 253 bb) Vertretung und Vollmacht .................................................... 253 c) Kündigungsfristen .......................................................................... 255 d) Verfrühungsschaden ....................................................................... 259 e) Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen ............................ 261 Interessenausgleich und Sozialplan ...................................................... 262 a) Interessenausgleich ......................................................................... 262 b) Betriebsänderung ............................................................................ 265 c) Namensliste .................................................................................... 267 d) Sozialplan ........................................................................................ 277 aa) Altersgruppen ........................................................................ 278 bb) Sozialplanpflicht ..................................................................... 279 cc) Scheitern der Sozialplanverhandlungen ................................ 279 dd) Sozialplan nach Verfahrenseröffnung (§ 123 InsO) ............ 280 ee) Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) .............. 284 Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) ......................................................................... 287 Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO .......... 293 Massebelastende Kollektivvereinbarungen .......................................... 299

VI. Insolvenzanfechtung ................................................................................... 303 § 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag ............................................................................ 307 I. Bestandsaufnahme der tariflichen Situation .............................................. 307 1. Tarifpolitische Ausgangslage ............................................................... 307 a) Tarifbindung ................................................................................... 308 b) Der Organisationsgrad als Parameter ............................................ 310 c) Einbeziehung des Arbeitgeberverbands? ...................................... 312 d) Die Gewerkschaft und der Betriebsrat – kommunizierende Röhren ............................................................. 312 e) Was soll geändert werden? ............................................................. 313 2. Alternativszenarien ............................................................................... 313 a) Austritt aus dem Arbeitgeberverband ........................................... 314 b) Kündigung des Tarifvertrags .......................................................... 314

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II. Inhalte eines Sanierungstarifvertrags ......................................................... 1. Modifizierung der Vergütung .............................................................. 2. Verlängerung der Arbeitszeit .............................................................. 3. Kurzarbeit ............................................................................................. 4. Gegenleistungen für Verzichtsbeiträge ...............................................

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III. Praxisbeispiele ............................................................................................. 318 1. Muster 1: Sanierungstarifvertrag ......................................................... 318 2. Muster 2: Firmenbezogener Verbandstarifvertrag ............................. 321 § 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren ............................................. 325 I. Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO ..................................... 325 1. Überblick und Zweck des Schutzschirmverfahrens ........................... 325 2. Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens ................................... 326 II. Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren ................. 1. Die Vorbereitung des Insolvenzplans im Schutzschirmverfahren .... 2. Begründung von Masseverbindlichkeiten ........................................... 3. Insbesondere: Sozialversicherungsbeiträge im Schutzschirmverfahren ............................................................................................... 4. Vorfinanzierung von Insolvenzgeld .................................................... 5. Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Schutzschirm- und Planverfahren ........................................................................................ 6. Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der Eigenverwaltung ...................................................................................

328 328 330 331 332 333 334

III. Zusammenfassung ...................................................................................... 335 § 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung ........................... 337 I. Vorbemerkung ............................................................................................ 338 II. Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung .................................... 1. Allgemeines .......................................................................................... 2. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt ........... 3. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis .............................................................................

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung .................................. 341 1. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt ........... 341 a) Auswirkungen im Individualarbeitsrecht ..................................... 341 XXII

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aa) Arbeitgeberkündigungen ....................................................... 341 bb) Abschluss von Arbeits- und Aufhebungsverträgen ............. 343 cc) Direktionsrecht ...................................................................... 343 dd) Urlaub ..................................................................................... 343 ee) Zeugnisse ................................................................................ 345 ff) Rechtsstreite ........................................................................... 345 gg) Betriebliche Altersvorsorge ................................................... 346 hh) Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG .................... 347 b) Auswirkungen im Kollektivarbeitsrecht ....................................... 348 aa) Keine Anwendung der §§ 122, 123, 125 InsO ..................... 348 bb) Beginn von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen (§ 111 BetrVG, § 122 InsO) ............................. 348 cc) Interessenausgleich und Kündigungsschutz (§ 125 InsO) ........................................................................... 348 dd) (Sonstige) Beschlussverfahren (§ 126 InsO) ....................... 349 ee) Erstattung von Sachverständigenkosten des Betriebsrats als Masseverbindlichkeiten .................................................... 349 2. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ....................................................................................... 350 a) Auswirkungen im Individualarbeitsrecht ...................................... 350 b) Auswirkungen im Kollektivarbeitsrecht ....................................... 351 aa) Beginn von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen (§ 111 BetrVG, § 122 InsO) ............................. 352 bb) Vor Insolvenzeröffnung aufgestellte Sozialpläne (§ 123 InsO) ........................................................................... 352 IV. Insolvenzgeldvorfinanzierung .................................................................... 353 V. Mitarbeiterkommunikation ........................................................................ 354 1. Bedeutung für die Sanierung ................................................................ 354 2. Formen der Kommunikation ............................................................... 354 a) Betriebsversammlungen ................................................................. 355 b) Frage- und Antwortlisten .............................................................. 356 c) Direkte Ansprechbarkeit ................................................................ 356 d) Betriebsrat ....................................................................................... 357 3. Beispiel für einen Frage- und Antwortkatalog .................................... 357 § 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung ..................................... 361 I. Übertragende Sanierung als rettender Neustart ........................................ 362 II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen ..................................................... 364 1. Übertragung von Einzelvermögenswerten (Asset Deal) ................... 364

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2. Sanierungshindernis § 613a BGB ........................................................ 3. Betriebsübergang in Abgrenzung zur Betriebsstilllegung ................. a) Betriebsübergang ............................................................................ b) Betriebsstilllegung .......................................................................... aa) Kriterien für die Stilllegung .................................................. bb) Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsansprüche bei übertragender Sanierung ....................................................... c) Vermeidung eines Betriebsübergangs bei übertragenden Sanierungen .................................................................................... 4. Eingeschränkte Rechtsfolge des § 613a BGB in der Insolvenz ......... a) Reduzierte Haftung des Erwerbers ............................................... b) Sonderfall Urlaubsansprüche ......................................................... c) Sonderfall Altersteilzeit ................................................................. d) Betriebliche Altersversorgung ....................................................... III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung ..................................................................................................... 1. Gestaltung von Kaufvertragsklauseln ................................................. 2. Umsetzung eines Personalabbaus ....................................................... a) Erwerberkonzept ........................................................................... aa) Vereinbarkeit mit § 613a Abs. 4 BGB .................................. bb) Anforderungen an ein Erwerberkonzept ............................. cc) Kombination mit anderen arbeitsrechtlichen Instrumenten ......................................................................... b) Zwischenschaltung von Transfergesellschaften (BQG-Modell) ............................................................................... 3. Beteiligung der Arbeitnehmervertretung ............................................ 4. Unterrichtung der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang .......... a) Form der Unterrichtung ................................................................ b) Inhalt der Unterrichtung ............................................................... c) Rechtsfolgen ...................................................................................

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IV. Ausblick ...................................................................................................... 390 § 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan ................................... 393 I. Insolvenzplanverfahren im Verhältnis zum Arbeits- und Gesellschaftsrecht ....................................................................................... 395 II. Übertragender Insolvenzplan .................................................................... 396 III. Übertragende Sanierung versus Insolvenz ................................................ 397

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IV. Arbeitsrechtliche Vorbereitung eines Insolvenzplanverfahrens .............. 399 1. Arbeitsrechtliche Betriebsspaltung ...................................................... 399 2. Individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern/ Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen/Sanierungstarifverträge ............................................... 400 a) Individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern ................. 400 b) Betriebsvereinbarungen .................................................................. 401 c) Tarifverträge .................................................................................... 401 d) Verknüpfung ................................................................................... 402 3. Abbau von Arbeitsplätzen .................................................................... 402 4. Einbeziehung in den Insolvenzplan ..................................................... 403 V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren ................................................... 403 1. Grundstrukturen des übertragenden Insolvenzplans ......................... 403 a) Regelungen auf Schuldnerseite ...................................................... 403 b) Annahmeerklärung ......................................................................... 404 c) Eingriff in Aus- und Absonderungsrechte .................................... 405 d) Übernahmeverpflichtung ............................................................... 405 2. Übertragende Sanierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens ............ 406 a) Regelungen im Insolvenzplan ........................................................ 406 b) Arbeitsrechtliche Auswirkungen ................................................... 407 3. Gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens ....................................................................................... 407 a) Tatbestände ..................................................................................... 407 aa) Regelungsfähigkeit in dem Insolvenzplan ............................ 408 bb) Erfordernis der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung sowie Wahrung der Verhältnismäßigkeit ............................. 408 b) Prüfung durch Insolvenzgericht und Handelsregister/Vollzug im Handelsregister ......................................................................... 409 aa) Prüfung durch das Insolvenzgericht ..................................... 409 bb) Eintragung in das Handelsregister/Prüfungskompetenz des Registergerichts ............................................................... 410 cc) Besonderes Risiko Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung ........................................... 411 c) Arbeitsrechtliche Auswirkungen gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungsmaßnahmen/Mitwirkung des Betriebsrats ....... 412 aa) Auswirkungen des Gesellschafterwechsels/Besonderheiten nach dem UmwG ................................................................... 412 bb) Mitwirkung des Betriebsrats ................................................. 413 VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens auf Arbeitnehmerschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften ............................ 414

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1. Gläubigerstellung der Arbeitnehmer in einem Insolvenz- und Insolvenzplanverfahren ........................................................................ a) Stellung als Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO .............. aa) Eigenschaft als Insolvenzgläubiger ....................................... bb) Eingriffsmöglichkeiten durch den Insolvenzplan ............... b) Als Anteilseigner ............................................................................ c) Als Massegläubiger ......................................................................... 2. Teilnahmerecht der Arbeitnehmer, des Betriebsrats im Insolvenzplanverfahren im Abstimmungs- und Erörterungstermin ................. a) Arbeitnehmerschaft ....................................................................... aa) Stimmrecht als Insolvenzgläubiger, Anteilseigner, Massegläubiger ...................................................................... bb) Teilnahmerechte/Vertretungsbefugnisse ............................. b) Teilnahmerecht des Betriebsrats ................................................... 3. Einbeziehung des Betriebsrats bei Aufstellung und Einreichung des Insolvenzplans ................................................................................ 4. Stellung der Arbeitnehmer in dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss .................................................................................................... a) Endgültiger Gläubigerausschuss ................................................... b) Vorläufiger Gläubigerausschuss .................................................... 5. Gruppenbildung ................................................................................... a) Bildung der Arbeitnehmergruppe(n) gemäß § 222 Abs. 3 InsO als Insolvenzgläubiger .................................................................... aa) Grundsätzliche Einbeziehung in eine Gruppe ..................... bb) Gleichbehandlung innerhalb einer Gruppe .......................... cc) Erörterungs- und Abstimmungstermin ............................... b) Gruppe der Anteilseigner .............................................................. c) Gruppenbildung bei Masseunzulänglichkeit ................................ VII. Der PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger im Insolvenzverfahren ...... 1. Stellung des PSVaG als Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO .......... 2. Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten im Insolvenzplanverfahren ............................................................................................... a) Vertikale Aufteilung ...................................................................... b) Horizontale Aufteilung ................................................................. c) Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 Satz 2, 3 BetrAVG im übertragenden Insolvenzplan – Einschränkungen durch § 613a BGB ..................................................................................... 3. Besserungsklausel ................................................................................. 4. Gruppe PSVaG ..................................................................................... 5. Misslingen der Sanierung .....................................................................

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VIII. Weitere Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin/Scheitern des Insolvenzplans .............. 437 a) Gerichtliche Bestätigung ................................................................ 437 b) Aufhebung des Insolvenzverfahrens ............................................. 438 c) Scheitern des Insolvenzplans ......................................................... 438 § 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis .......................................... 441 I. Einführung .................................................................................................. 441 1. Anwendbarkeit des § 613a BGB in Krise und Insolvenz .................... 444 2. Die Regelung des § 613a BGB im Überblick ...................................... 445 II. Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang ................................... 447 1. Zulässigkeit von Kündigungen trotz Betriebsübergang ..................... 448 2. Kündigungen aufgrund eines Erwerberkonzepts ................................ 449 3. Interessenausgleich mit Namensliste ................................................... 451 4. Einsatz einer Transfergesellschaft ....................................................... 452 5. Änderung der Arbeitsbedingungen vor Betriebsübergang ................. 453 6. Kollektiver Widerspruch gemäß § 613a Abs. 4 BGB .......................... 454 III. Insolvenzrechtliches Haftungsprivileg ...................................................... 455 § 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen .......................................................................... 459 I. Einführung .................................................................................................. 459 II. Inhalt der Unterrichtung ............................................................................ 460 1. Person des Erwerbers ........................................................................... 460 2. Gegenstand des Betriebsübergangs ...................................................... 462 3. (Geplanter) Zeitpunkt des Übergangs ................................................ 462 4. Grund für den Übergang ...................................................................... 463 5. Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer ...................................... 463 6. In Aussicht genommene Maßnahmen ................................................. 466 III. Verpflichteter und Adressat der Unterrichtung ....................................... 467 IV. Form und Zeitpunkt der Unterrichtung ................................................... 467 V. Folgen der fehlerhaften Unterrichtung ..................................................... 468 VI. Prozessuale Lage ......................................................................................... 470 XXVII

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht .................................................. 473 I. Einführung .................................................................................................. 473 II. Rechtsquellen .............................................................................................. 474 III. Art. 13 EuInsVO ........................................................................................ 1. Anwendungsbereich ............................................................................. 2. Voraussetzungen .................................................................................. a) Arbeitsvertrag/Arbeitsverhältnis .................................................. b) Relevanter Zeitpunkt ..................................................................... c) „Ausschließliche Geltung“ ............................................................ 3. Rechtsfolge ........................................................................................... a) Verweis auf allgemeines Kollisionsrecht ....................................... b) Internationales Arbeitsrecht .......................................................... aa) Rom I-VO und EGBGB ....................................................... bb) Das Arbeitsvertragsstatut ..................................................... c) Reichweite der Sonderanknüpfung ............................................... 4. Arbeitsvertragsstatut – Einzelfälle ...................................................... a) Beendigung des Arbeitsverhältnisses ............................................ b) Betriebsübergang ............................................................................ c) Kollektives Arbeitsrecht, insbesondere Betriebsverfassungsrecht ............................................................................. d) Betriebliche Altersversorgung ....................................................... 5. Insolvenzstatut – Einzelfälle ................................................................ a) Insolvenzgeld ................................................................................. b) Lohnforderungen/Sozialplanansprüche/Rangfragen ................... aa) Grundsatz .............................................................................. bb) Änderungen bzgl. des Rangs der Arbeitnehmerforderungen durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ............................................................... c) Pfändungsschutz ............................................................................

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IV. § 337 InsO .................................................................................................. 485 § 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts ............ 487 I. Einführung: Art. 13 EuInsVO als „Dreh- und Angelpunkt“ des europäischen Insolvenzarbeitsrechts .................................................. 1. Frage- und Problemstellung ................................................................ 2. Neufassung der EuInsVO ................................................................... 3. Eröffnungszuständigkeit am Centre of Main Interests .....................

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO ............................................................................. 490 1. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO als Sonderanknüpfung ................................ 490 2. Normzweck ........................................................................................... 491 3. Tatbestandliche Voraussetzungen ....................................................... 492 a) Insolvenzverfahren ......................................................................... 492 b) Arbeitsverhältnis ............................................................................. 492 c) Zeitpunkt ........................................................................................ 495 4. Sachliche Reichweite: Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis ............................................ 495 5. Verweis auf das allgemeine Kollisionsrecht ......................................... 495 a) Bestimmung des Arbeitsvertragsstatuts nach der Rom I VO ..... 496 aa) Objektive Anknüpfung ......................................................... 496 bb) Rechtswahl ............................................................................. 497 cc) International zwingende Eingriffsnormen (Art. 9 Rom I-VO) ................................................................ 498 b) Kollisionsrecht bezüglich des kollektiven Arbeitsrechts ............. 498 6. Ausschließlichkeit ................................................................................. 498 7. Sonderproblem: Vereinbarung von ausländischem Recht im Arbeitsvertrag ....................................................................................... 498 8. Praxisrelevante Fallgruppen aus Sicht des deutschen Rechts: Zur Reichweite des Verweises in Art. 13 Abs. 1 EuInsVO ................ 499 a) Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und Kündigungsmöglichkeiten in der Insolvenz (§§ 108, 113 InsO) ..................... 500 b) Änderungen des Arbeitsverhältnisses i. R. einer Unternehmenssanierung (§§ 120–128 InsO) ........................................................ 501 c) Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf das Arbeitsverhältnis (§ 613a BGB) ..................................................... 502 aa) Betriebsübergang in der Insolvenz nach der Richtlinie 2001/23/EG ............................................................................ 502 bb) Betriebsübergang in der Insolvenz nach deutschem Recht ....................................................................................... 503 cc) Betriebsübergang in der Insolvenz und Art. 13 Abs. 1 EuInsVO .................................................................... 503 d) Rang der Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis ....................... 504 aa) Rangfrage unterliegt lex fori concursus ................................ 504 bb) Auslandsforderungen in einem deutschen Insolvenzverfahren ................................................................................. 505 e) Insolvenzgeld .................................................................................. 506 aa) Sonderanknüpfung für das Insolvenzgeld ............................ 506 bb) Insolvenzgeld nach ESUG .................................................... 507 III. Internationale Zuständigkeit (Art. 13 Abs. 2 EuInsVO) ......................... 507 1. Grund für die Neuregelung .................................................................. 508 XXIX

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2. Niederlassung ....................................................................................... 3. Zustimmungserfordernis ..................................................................... a) Arbeitsvertrag ................................................................................. b) Gericht oder Behörde .................................................................... c) Rechtsgrundlage des Zustimmungserfordernisses ....................... d) Beispiele aus dem deutschen Recht ............................................... e) Ausschließliche Zuständigkeit ......................................................

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IV. Sekundärinsolvenzverfahren ...................................................................... 510 V. Zusammenfassung ...................................................................................... 511 Teil IV Besondere Formen der Beendigung von Arbeitsverträgen in der Sanierung und Insolvenz ............................................................ 515 § 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften ........................................... 517 I. Einführung .................................................................................................. 517 II. Voraussetzungen ........................................................................................ 1. Betriebliche Voraussetzungen ............................................................. a) Vorliegen einer Betriebsänderung ................................................. b) Einrichtung einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit ............................................................................................. c) Organisation und Mittelausstattung sowie System zur Qualitätssicherung ................................................................... 2. Persönliche Voraussetzungen .............................................................. a) Bedrohung von Arbeitslosigkeit ................................................... b) Fortsetzen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ........... c) Arbeitssuchendmeldung und Teilnahme am Profiling ................ 3. Beratung durch die Bundesagentur für Arbeit ................................... 4. Massenentlassungsanzeige ...................................................................

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III. Ausgestaltung der Beschäftigungsgesellschaft .......................................... 524 IV. Kosten ......................................................................................................... 1. Transferkurzarbeitergeld ..................................................................... 2. Remanenzkosten und Kosten des Dienstleisters ............................... 3. Qualifizierungskosten .......................................................................... 4. Overheadförderung ..............................................................................

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V. Transfermaßnahmen ................................................................................... 527 XXX

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§ 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang – ein Umgehungsthema? – ..................................................................... 529 I. Einführung .................................................................................................. 529 II. Entwicklung der Rechtsprechung .............................................................. 529 1. Die Dörries Scharmann-Entscheidung ................................................. 529 2. Die Jahre 1998 bis 2010 ........................................................................ 531 3. Rechtsprechung seit 2011 ..................................................................... 532 III. Zukünftige Vorgehensweise ....................................................................... 533 1. Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Abschluss der dreiseitigen Verträge ............................................................................. 534 2. Dauer der Befristung in der Beschäftigungsgesellschaft .................... 534 3. Umgehung der Sozialauswahl .............................................................. 535 IV. Haltung der Agenturen für Arbeit zur genannten Vorgehensweise ........ 536 § 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz ................... 537 I. Einleitung .................................................................................................... 538 II. Rechtsgrund für Versorgungsansprüche ................................................... 538 1. Individualrechtliche Rechtsgrundlagen ............................................... 539 a) Echte Individualzusage ................................................................... 539 b) Reine Beitragszusage ...................................................................... 540 c) Betriebliche Einheitsregelung ........................................................ 540 d) Gesamtzusage ................................................................................. 540 e) Betriebliche Übung ........................................................................ 541 2. Kollektivrechtliche Rechtsgrundlagen ................................................. 542 a) Zusage durch Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG) ..................... 542 b) Zusage durch Tarifvertrag .............................................................. 542 c) Ansprüche aufgrund Gleichbehandlungsgesichtspunkten ........... 543 3. Der Anpassungsanspruch gemäß § 16 BetrAVG ................................ 544 III. Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung ........................ 545 1. Die Versorgungszusage ........................................................................ 545 a) Klassische Versorgungszusage ....................................................... 545 b) Treuhandmodelle ............................................................................ 546 2. Direktversicherung ............................................................................... 547 3. Pensionskasse ........................................................................................ 547 4. Pensionsfonds ....................................................................................... 548 5. Unterstützungskasse ............................................................................ 548 XXXI

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IV. Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG ........................................ 549 V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise ....................................................... 1. Einseitige Änderung von Zusagen der betrieblichen Altersversorgung ............................................................................................ a) Widerruf ......................................................................................... b) Kündigung von Betriebsvereinbarungen ...................................... c) Änderungskündigung .................................................................... d) „Gegenläufige“ betriebliche Übung .............................................. 2. Einvernehmliche Anpassung ............................................................... a) Änderungsvertrag ........................................................................... b) Abschluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung ...................... c) Ablösung durch Tarifvertrag ......................................................... d) Außergerichtliches Vergleichsverfahren ....................................... 3. Die Abdingbarkeit des BetrAVG für Organmitglieder .....................

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VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren ....................................... 1. Die Versorgungszusage im Insolvenzantragsverfahren ..................... 2. Einstandspflicht des PSVaG ................................................................ 3. Schicksal der einzelnen Versorgungszusagen im Insolvenzverfahren ............................................................................................... a) Direktzusage ................................................................................... b) „Reine“ Beitragszusage .................................................................. c) Direktversicherung ........................................................................ d) Pensionskasse ................................................................................. e) Pensionsfonds ................................................................................ f) Unterstützungskassen ................................................................... 4. Die Abfindung von Versorgungszusagen durch den Insolvenzverwalter ................................................................................................ 5. Die Versorgungszusage bei Betriebsübergang nach Insolvenzeröffnung .............................................................................................. 6. Besonderheiten bei der Sanierung im Insolvenzplanverfahren ..........

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Stichwortverzeichnis ....................................................................................... 571

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Autorenverzeichnis Michael Baur ....................................................................................................... § 7 EMEA Business Unit Leader – Managing Director AlixPartners GmbH, München Tobias Frommhold, LL.M. (Münster) ...................................................... §§ 15, 25 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Kebekus et Zimmermann Rechtsanwälte, Düsseldorf Dr. Tom Gellrich ................................................................................................ § 2 Diplom-Kaufmann Partner Roland Berger GmbH, Frankfurt a. M. Katja Giese, LL.M. (University of Connecticut) ............................................... § 9 Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Counsel Attorney-at-Law (New York) KLIEMT.Arbeitsrecht, München Dr. Andree Gossak ................................................................................ §§ 3, 13, 19 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Gossak Rechtsanwälte, Stuttgart Dr. Burkard Göpfert, LL.M. (Columbia University, New York) ............... §§ 4, 9 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Partner KLIEMT.Arbeitsrecht, München Lehrbeauftragter an der Universität Passau Miguel Grosser ................................................................................................... § 16 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Insolvenzrecht JAFFÉ Rechtsanwälte/Insolvenzverwalter, Frankfurt a. M. Dr. Karl-Friedrich Gulbins, LL.M. (London) ................................................. § 21 Rechtsanwalt PLUTA Rechtsanwalts GmbH, Stuttgart Dr. Jens Günther ............................................................................................... § 10 Rechtsanwalt Partner Rechtsanwälte Gleiss Lutz, München

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Autorenverzeichnis

Dr. Rüdiger Helm, LL.M. (Kapstadt) ............................................................... § 8 Rechtsanwalt kanzlei huber.mücke.helm, München/Kapstadt Ottmar Hermann ............................................................................................. § 18 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater Hww hermann wienberg wilhelm Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater Dr. Eva Heup, LL.M. (Wellington) ................................................................ § 10 Rechtsanwältin Rechtsanwälte Gleiss Lutz, München Dr. Burghard Hildebrandt ............................................................................... § 11 Rechtsanwalt Rechtsanwälte Gleiss Lutz, Düsseldorf Michael Huber .................................................................................................... § 8 Rechtsanwalt kanzlei huber.mücke.helm, München Patrik Sven Jacob ................................................................................................ § 7 Director AlixPartners GmbH, Düsseldorf Christian Köhler-Ma, MPA (Harvard) ............................................................. § 1 Partner GT Restructuring, Berlin Dr. Elena Lutz ............................................................................................ §§ 5, 20 Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin), Fachanwältin für Arbeitsrecht ERGO Group AG, Düsseldorf Jakob Lutzenberger ............................................................................................. § 4 Jurist (Univ.) München Dr. Andreas von Medem ................................................................................... § 22 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Seitz Rechtsanwälte Steuerberater, Köln XXXIV

Autorenverzeichnis

Lars Christian Möller ........................................................................................ § 12 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Counsel KLIEMT.Arbeitsrecht, Berlin Stephan Rohrmoser, LL.M. (corp. restruc.) ........................................................ § 2 Senior Consultant, M.Sc. Management Roland Berger GmbH, Frankfurt a. M. Hendrik Röger ................................................................................................... § 17 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Partner White & Case LLP, Hamburg Max Scholz ........................................................................................................... § 2 Diplom-Volkswirt Senior Partner Roland Berger GmbH, Frankfurt a. M. Steffen Schöne .............................................................................................. §§ 6, 14 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht KÜBLER Rechtsanwälte, Dresden Carolin Sigle .............................................................................................. §§ 23, 24 Rechtsanwältin PEAG Transfer GmbH, Dortmund Dr. Matthias Tresselt ......................................................................................... § 22 Rechtsanwalt Partner Gleiss Lutz Rechtsanwälte, Stuttgart Dr. Sven-Holger Undritz .................................................................................. § 17 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Betriebswirt (WA) Partner White & Case Insolvenz GbR, Hamburg Thomas Witt ........................................................................................................ § 1 Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht LEONHARDT RATTUNDE, Berlin

XXXV

Literaturverzeichnis Weitere themenspezifische Literatur, Zeitschriften- und Festschriftbeiträge sind in den Literaturübersichten der jeweiligen Paragrafen aufgeführt Andres/Leithaus Insolvenzordnung, Kommentar, 4. Aufl., 2018 Annuß/Lembke/Hangarter Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl., 2016 Ascheid/Preis/Schmidt Kündigungsrecht, Kommentar, 5. Aufl., 2017 (zit.: Bearbeiter in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht) Bauer/Göpfert/Krieger AGG, Kommentar, 3. Aufl., 2011 Bauer/Haußmann/Krieger Umstrukturierung, 3. Aufl., 2015 Bauer/Krieger/Arnold Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl., 2014 Baumbach/Hueck GmbHG, Kommentar, 21. Aufl., 2017 Beck/Depré Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., 2017 (zit.: Bearbeiter in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz) Beck’sches Mandatshandbuch Arbeitsrecht in der Insolvenz hrsg. v. Regh/Fanselow/Jakubowski//Kreplin, 2. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter in: MAH ArbR in der Insolvenz) Beck’scher Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht hrsg. v. Franzen/Gallner/Oetker, 2. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter in: Europäisches ArbR) Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht hrsg. v. Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 51. Ed. 1.3.2019 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-ArbR) Beck’scher Online-Kommentar GmbHG hrsg. v. Ziemons/Jaeger, 38. Ed. 1.2.2019 (zit.: Bearbeiter in: BeckOKGmbHG)

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Teil I Rechtsgrundlagen Einführung der Herausgeber Für Juristen wie Nicht-Juristen gleichermaßen gilt: Ohne einen Blick ins Gesetzbuch – und wenn auch nur im Wege eines Überblicks – keine Rechtsfindung. Gerade der Grenzbereich vor und nach Insolvenzeröffnung birgt erhebliche Handlungsspielräume, die vor allem aus einem Paradigmenwechsel des Insolvenzarbeitsrechts folgen, also den arbeitsrechtlichen Erleichterungen in der eröffneten Insolvenz. Das nachfolgende Kapitel gibt hierzu einen guten Praktiker-Überblick als Einführung für alle Leser dieses Sammelbandes.

§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

Köhler-Ma/Witt

Übersicht I. Einleitung........................................... 1 II. Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit .................................... 2 1. Das Kündigungsschutzgesetz............ 2 2. Interessenausgleich und Sozialplan nach dem BetrVG..................... 19 3. Der Betriebsübergang nach § 613a BGB ....................................... 29 III. Sanierungsarbeitsrecht außerhalb der Insolvenz: Interessenausgleich mit Namensliste ............. 35 IV. Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren ......................... 38

I.

1.

Verkürzung der Kündigungsfristen und Kündigungserleichterungen in der InsO .......................... 39 2. Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz........................ 43 3. Besonderheiten zum Kündigungsschutz in der Insolvenz .......... 50 4. Betriebsveräußerung in der Insolvenz........................................... 51 5. Das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung ............................... 58 V. Fazit .................................................. 64

Einleitung

Sanierung und Arbeitsrecht stehen in enger Wechselbeziehung. Einerseits führen 1 wegen der tatsächlichen oder vermeintlichen Schwierigkeiten des Arbeitsrechts unterlassene oder aufgeschobene Personalentscheidungen oft erst in eine Situation, in der Sanierungen erforderlich werden. Auf der anderen Seite bietet das Arbeitsrecht vor allem nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens als Sanierungsarbeitsrecht eine Reihe von Instrumentarien, die wesentlich zum Gelingen einer Sanierung beitragen können. Hier sollen deshalb für den eiligen Leser zunächst die Regelungskomplexe des Arbeitsrechts skizziert werden, welche die unternehmerische Freiheit bei der Umsetzung von Sanierungsentscheidungen einschränken und sich damit auf die Kosten eines Unternehmens erheblich auswirken. Danach werden die Vorschriften erläutert, die Ausnahmen oder Einschränkungen zu den vorgenannten Regelungen zulassen, damit durch Kostenentlastungen Sanierungen möglich werden. In den Folgekapiteln werden diese Themen dann vertieft und detailliert. II.

Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit

1.

Das Kündigungsschutzgesetz

Der Abbau von Arbeitsplätzen i. R. einer Sanierung ist nur in Kleinstbetrieben 2 ohne kündigungsschutzrechtliche Einschränkungen möglich. Sobald in einem Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden, greift der

Köhler-Ma/Witt

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

allgemeine Kündigungsschutz der Arbeitnehmer nach dem KSchG (siehe hierzu Rz. 5).1) 3 Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss zwar in allen Betrieben ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme bei einer Kündigung beachtet werden,2) damit werden aber nicht die Maßstäbe des KSchG auf kleine Betriebe übertragen. Das verfassungsrechtlich geforderte Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme verbietet lediglich willkürliche Kündigungen. 4 Der besondere Kündigungsschutz schützt bestimmte Umstände oder Eigenschaften eines Arbeitnehmers und gilt unabhängig von der Betriebsgröße. Hier gibt es eine Vielzahl von Sonderkündigungsschutzbestimmungen, die sich sowohl in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung als auch in Gesetzen außerhalb des Arbeitsrechts finden.3) Die am häufigsten vom Arbeitgeber zu beachtenden besonderen Kündigungsschutzregelungen sind die für schwerbehinderte Personen4), Schwangere5), Arbeitnehmer in der Elternzeit6) und Betriebsratsmitglieder7). 5 Überschreitet die Betriebsgröße den Schwellenwert von zehn Arbeitnehmern, so gilt für alle Arbeitsverhältnisse,8) die zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung länger als sechs Monate mit dem Unternehmen bestanden haben, das Kündigungsschutzgesetz. Eine Kündigung ist gemäß § 1 KSchG nur noch dann wirksam, wenn hierfür ein betriebsbedingter Grund besteht, die Sozialauswahlkriterien ausreichend berücksichtigt worden sind und der zu kündigende Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann.9) 6 Ein betriebsbedingter Kündigungsgrund setzt immer eine Organisationsentscheidung des Arbeitgebers voraus, mit der er auf eine bestimmte wirtschaftliche ___________ 1) Bis zum 31.12.2003 lag der Schwellenwert, ab dem die Arbeitsverhältnisse in dem Betrieb dem allgemeinen Kündigungsschutz unterlagen, sogar noch bei fünf Arbeitnehmern. Dieser Altschwellenwert gilt aus Gründen des Bestandsschutzes nach wie vor für solche Arbeitsverhältnisse, die im Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits Kündigungsschutz hatten und nach der alten Regelung jetzt immer noch Kündigungsschutz hätten. Dieser darf aber nicht dadurch verloren gegangen sein, dass – wenn auch nur vorübergehend – die Belegschaftsstärke unter die Grenze von fünf Arbeitnehmer gefallen ist. 2) BVerfG, Beschl. v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, ZIP 1998, 705 = NJW 1998, 1475. 3) Z. B. §§ 6 f. BDSG ggf. i. V. m. § 38 Abs. 2 BDSG: Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten. 4) §§ 168 ff. SGB IX; siehe hierzu Koch in: Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., § 179. 5) § 17 MuSchG; siehe hierzu Linck in: Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., § 169. 6) §§ 18 ff. BEEG; siehe hierzu Linck in: Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., § 172 Rz. 49 ff. 7) § 15 KSchG; siehe hierzu Linck in: Schaub, Arbeitsrechts-HdB., § 143. 8) Ob es sich um eine geringfügige Beschäftigung oder etwa nur einen Nebenerwerb handelt, ist irrelevant. 9) Die Möglichkeit, Arbeitnehmer wegen individuellen Fehlverhaltens oder Gründen, die in seiner Person liegen, zu kündigen, wird hier im Kontext des Sanierungsarbeitsrechts nicht weiter erörtert.

4

Köhler-Ma/Witt

II. Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit

Situation des Betriebs reagieren will. Es ist also nicht die wirtschaftliche Situation selbst, die nach der Konzeption des KSchG zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt, sondern die Entscheidung des Arbeitgebers, Arbeitsplätze abzubauen. Nicht die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens schafft den betriebsbedingten Grund, sondern die Umsetzung eines Sanierungskonzepts, das den Abbau bestimmter Arbeitsplätze beinhaltet. Die Entscheidung, Arbeitsplätze abzubauen, darf von den ArbG nur eingeschränkt überprüft werden und zwar darauf, ob x

diese Entscheidung im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung vorlag,

x

der Beschäftigungsbedarf für den konkreten Arbeitnehmer entfallen ist und ob

x

die Umsetzung der Entscheidung nicht gegen sonstige Gesetze oder Tarifverträge verstößt.

x

Sie beschränkt sich des Weiteren darauf, ob die Entscheidung für den konkreten Arbeitsplatzabbau offenbar unvernünftig, willkürlich oder unsachlich ist.10)

Ob die unternehmerische Entscheidung als wirtschaftlich sinnvoll oder notwen- 7 dig erscheint, darf in einem Arbeitsgerichtsprozess nicht überprüft werden. Es ist nicht Sache der Gerichte, dem Unternehmen ein besseres oder richtigeres Sanierungskonzept vorzuschreiben und damit in seine Kostenkalkulation einzugreifen.11) Hat der Unternehmer eine innerbetriebliche Organisationsentscheidung einmal beschlossen und auch konsequent durchgeführt, so wird grundsätzlich vermutet, dass diese Entscheidung auch aus sachlichen Gründen und nicht etwa rechtsmissbräuchlich erfolgt ist. Es gehört zu der vom Grundgesetz garantierten unternehmerischen Freiheit, darüber zu entscheiden, welche Größenordnung ein Unternehmen haben soll und auch festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder ausgelagert werden sollen. Deshalb muss in einem Kündigungsschutzprozess auch der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass eine Sanierungsmaßnahme tatsächlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ein fundiertes und schlüssiges Sanierungskonzept sollte vor dem ArbG einer Überprüfung nach den oben genannten Kriterien eigentlich stets standhalten. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass gerade in der ersten Instanz die Gerichte oft die Grenzen dieses eingeschränkten Prüfungsrahmens überschreiten, indem etwa an ein Sanierungskonzept, mit dem der Wegfall der fraglichen Arbeitsplätze begründet wird, überzogene Anforderungen gestellt werden. ___________ 10) St. Rspr. vgl. BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139 ff. 11) BAG, Urt. v. 26.9.2002 – 2 AZR 636/01, ZIP 2003, 733 = NJW 2003, 2116, dazu EWiR 2003, 779 (Moll).

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

8 Ist der Unternehmer in seiner Entscheidung weitgehend frei, ob eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen abzubauen ist, so endet diese Freiheit an dem Punkt, an dem es um die Frage geht, welche Arbeitnehmer von dem Arbeitsplatzabbau betroffen sind. Hier muss sich der Arbeitgeber nahezu ausschließlich an der gesetzlich definierten sozialen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer orientieren. Diese soziale Schutzbedürftigkeit nach dem KSchG richtet sich nach den Faktoren Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Die Auswahlkriterien muss der Arbeitgeber zwar nicht perfekt, aber angemessen und ausgewogen berücksichtigen. 9 Bewährt haben sich hier vom BAG bestätigte Punkteschemata, mit denen eine Sozialauswahl in einem Kündigungsschutzprozess nachvollziehbar darlegt werden kann.12) Die frühere Rechtsprechung, nach der bei Anwendung eines Punktesystems die fehlerhafte soziale Auswahl eines Arbeitnehmers zu einem Dominoeffekt geführt hat, so dass auch die Sozialauswahl aller anderen Arbeitnehmer gekippt ist, selbst wenn sich der Fehler auf deren soziale Auswahl gar nicht ausgewirkt hat, wurde inzwischen aufgegeben.13) Dadurch hat sich das Risiko für den Arbeitgeber erheblich reduziert. Nunmehr gilt, dass sich ein konkreter Fehler in der Sozialauswahl bei der Anwendung eines Punktesystems auf die Kündigung des jeweils gekündigten Arbeitnehmers auch konkret ausgewirkt haben muss. 10 Das Bedürfnis des Arbeitgebers, für das Unternehmen wichtige Arbeitnehmer zu halten, die in Folge einer Sozialauswahl den Betrieb verlassen müssen, wird im KSchG fast nicht berücksichtigt. Es gibt zwar mit § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die sog. „Leistungsträgerregelung“, die Arbeitnehmer, welche von hoher Bedeutung für den Betrieb sind, nur eingeschränkt unter die eigentliche Sozialauswahl fallen lässt, jedoch setzt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an diese Voraussetzung. Hier zeigt sich, dass die allgemeinen Regeln des Arbeitsrechts das Bedürfnis nach einem speziellen Sanierungsarbeitsrecht erzeugen: Die Betonung des Arbeitsplatz- bzw. Besitzstandschutzes für die Arbeitnehmer, die letztlich für schwer vermittelbar am Arbeitsmarkt gehalten werden, kann dazu führen, dass bei einer ernsten Unternehmenskrise ganz überwiegend diese im Unternehmen verbleiben müssen. Die oft drohende Folge, dass dadurch alle Arbeitnehmer ihre Beschäftigung verlieren, weil so die Krise nicht zu bewältigen ist, findet zu wenig Berücksichtigung. 11 Da die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nur dann wirksam sein kann, wenn nicht die Möglichkeit einer Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz besteht, schließen sich Arbeitsplatzabbau und Umstrukturierungen, die mit der Einstellung neuer Arbeitnehmer verbunden sind, in aller Regel aus. Im ___________ 12) Nicht beanstandetes Punkteschema etwa: BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549 = NJW 2007, 2429. 13) BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549 = NJW 2007, 2429.

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II. Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit

Zeitpunkt der Kündigung darf kein freier gleichwertiger Arbeitsplatz vorhanden und nicht absehbar sein, dass bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein anderer Arbeitsplatz im Unternehmen vakant wird. Sogar Arbeitsplätze, die noch in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden könnten, können zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen. Würde etwa ein freier Arbeitsplatz i. R. einer Restrukturierung entstehen, so müsste dieser angeboten werden, wenn er dem bisherigen Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers gleichwertig ist. Ist der Arbeitnehmer nicht hinreichend qualifiziert, so wäre der Arbeitgeber verpflichtet, zumutbare Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten. Die Frage nach der Wirksamkeit der Sozialauswahl und der Möglichkeit der 12 Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien oder frei werdenden Arbeitsplatz sind in aller Regel die größten Unsicherheitsfaktoren für den Unternehmer in einem Kündigungsschutzprozess. Wird gerichtlich festgestellt, dass die Kündigung unwirksam war, so bedeutet 13 dies nicht nur, dass das Arbeitsverhältnis weiterbesteht, sondern auch, dass der Arbeitgeber die seit Ablauf der Kündigungsfrist aufgelaufenen Gehälter nachzahlen muss, ohne eine Arbeitsleistung zu erhalten (§ 615 BGB). Dieses Verzugslohnrisiko wird nur insoweit eingeschränkt, als dass sich der Arbeitnehmer zwischenzeitlich anderweitig erzielten Verdienst anrechnen lassen muss. Die Anrechnung gilt zwar auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer es einfach nur unterlassen hat, sich um einen zumutbaren Zwischenverdienst zu bemühen, jedoch ist diese Einschränkung in der Praxis ohne Relevanz. Hier müsste der Arbeitgeber nachweisen, dass der Arbeitnehmer anderweitig zwar hätte arbeiten können, aber dies einfach nicht wollte. Dies ist in der Praxis meist unmöglich. Da sich ein Kündigungsschutzverfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung oft ein oder zwei Jahre – bei einer Revision zum BAG noch länger – hinziehen kann, ist das Verzugslohnrisiko beträchtlich. Solange ein Sanierungskonzept nicht eindeutig schlüssig, die Sozialauswahl 14 schulbuchmäßig ist und sich die Frage nach dem Vorhandensein anderer Arbeitsplätze nicht stellt, wird der Arbeitgeber schnelle Rechtssicherheit nur dadurch erreichen, dass er einen Vergleich mit dem Arbeitnehmer abschließt. Diese Rechtssicherheit gibt es in den allermeisten Fällen nur gegen eine entsprechende Abfindung. Tatsächlich werden dann auch die allermeisten Kündigungsschutzprozesse durch einen Abfindungsvergleich beendet. 15

Praxishinweis Im Allgemeinen gilt eine Abfindung, welche die Zahlung eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr vorsieht, als angemessen. Abfindungen sind jedoch stets Verhandlungssache und nach oben hin offen.

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

16 Einen Anspruch auf Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung sieht das KSchG nur ausnahmsweise dann vor, wenn das Arbeitsverhältnis zerrüttet ist. 17

Praxishinweis Rechtssicherheit über die Wirksamkeit der Kündigung erhält der Arbeitgeber dann schnell, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang einer Kündigung keine Kündigungsschutzklage erhebt (§ 4 KSchG). In diesem Fall gilt die Kündigung als wirksam (§ 7 KSchG). Ist die Drei-Wochen-Frist verstrichen, so gibt es für den gekündigten Arbeitnehmer nur noch in sehr engen Grenzen die Möglichkeit der nachträglichen Zulassung einer Klage (§ 5 KSchG).

18 Im Ergebnis bewirken die Regelungen des KSchG, dass eine Reduktion der Personalkosten unter Beibehaltung einer funktionierenden Personalstruktur für Unternehmen selbst bei einer unstreitigen Unternehmenskrise nur sehr schwer durchsetzbar und mit erheblichen Risiken dahingehend verbunden ist, dass eine Reduktion des Personalbestandes entweder gar nicht gelingt oder mit prohibitiv hohen Vergleichszahlungen verbunden ist. 2.

Interessenausgleich und Sozialplan nach dem BetrVG

19 In Unternehmen mit mehr als 20 regelmäßig beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmern,14) in denen ein Betriebsrat gewählt worden ist, hat dieser gemäß §§ 111 ff. BetrVG bei Betriebsänderungen ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Ob ein geplanter Personalabbau in solchen Unternehmen eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung ist, hängt von der Größe des innerhalb des Unternehmens von dem Personalabbau betroffenen Betriebs und der Anzahl der hiervon betroffenen Arbeitnehmer ab:15) x

Betriebsgröße bis 59 Arbeitnehmer: sechs Arbeitnehmer und mehr;

x

Betriebsgröße 60 bis 499 Arbeitnehmer: 10 % der Arbeitnehmer oder 26 Arbeitnehmer und mehr;

x

Betriebsgröße 500 – 599 Arbeitnehmer: 30 Arbeitnehmer und mehr;

x

Betriebsgröße ab 600 Arbeitnehmern: 5 % der Arbeitnehmer und mehr.

20 Liegen diese Voraussetzung für eine Betriebsänderung vor, so muss der Arbeitgeber den Betriebsrat umfassend über die beabsichtigte Betriebsänderung unterrichten und mit ihm Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs aufnehmen. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen Interessenausgleich müssen dem Betriebsrat alle Gründe, welche die Betriebsänderung nach Auffassung des Unternehmers erfordern, konkret dargelegt ___________ 14) Mitgezählt werden gemäß § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG auch Leiharbeitnehmer. 15) Maßgebend sind die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG – jedoch ohne Mindestbetriebsgröße, vgl. BAG, Urt. v. 9.11.2011 – 1 AZR 708/09, ZIP 2011, 730 = NZA 2011, 466, dazu EWiR 2011, 269 (Joost); Modifizierung bei größeren Betrieben – erheblicher Personalabbau ab 5 %, vgl. BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NJOZ 2005, 5103

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II. Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit

werden. Der Betriebsrat muss Zugang zu allen entsprechenden Informationen des Unternehmers erhalten. Gegenstand eines Interessenausgleichs ist, ob und wie die geplante Betriebsänderung durchgeführt wird. Irrelevant ist, ob der geplante Arbeitsplatzabbau von vornherein wirtschaftlich alternativlos ist.16) Verletzt der Unternehmer die Verhandlungspflicht, so macht dies etwaige Kündigungen zwar nicht unwirksam, die von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer können aber gemäß § 113 BetrVG einen Nachteilsausgleich in Form einer Abfindung verlangen. Des Weiteren kann die Verletzung dieser Pflicht eine Ordnungswidrigkeit sein.17) Zwischen Betriebsrat und Unternehmer soll eine Einigung über einen Interessen- 21 ausgleich zustande kommen, sie muss es aber nicht. Einigen sich die Betriebsparteien nicht kurzfristig, kann die Bundesagentur für Arbeit vermitteln, wenn eine Partei dies will. Sofern auch dieser Vermittlungsversuch ergebnislos bleibt, können Unternehmer oder Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Diese Gremien werden bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Unternehmer und Betriebsrat gebildet und paritätisch unter dem Vorsitz einer neutralen Person besetzt.18) Die Einigungsstelle kann jedoch nicht durch einen bindenden Spruch eine Regelung für die geplante Betriebsänderung treffen. Scheitern die Verhandlungen auch vor der Einigungsstelle, so hat der Unter- 22 nehmer das Zustandekommen eines Interessenausgleichs versucht und damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beachtet. Geplante Kündigungen können dann sanktionslos19) ausgesprochen werden. An welchem Punkt aber i. S. der §§ 111, 112 BetrVG das Notwendige versucht worden ist, lässt sich in der Verhandlungssituation oft nur schwer feststellen. Hier kann der Betriebsrat durchaus auch versuchen, die Verhandlungen hinzuziehen, um den Arbeitgeber zeitlich unter Druck zu setzen um damit etwa Zugeständnisse in dem Interessenausgleich (z. B. Verzicht auf zukünftige betriebsbedingte Kündigungen, Umschulungen für die von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer oder Abfindungszahlungen per Sozialplan; siehe dazu gleich Rz. 23), vor allem aber beim Sozialplan durchzusetzen. Denn grundsätzlich führt eine Betriebsänderung auch zur Pflicht zum Abschluss 23 eines Sozialplans. Während der Betriebsrat hinsichtlich des Interessenausgleichs nur einen Anspruch auf Unterrichtung und Beratung mit dem evtl. Ziel einer Einigung hat, kann er den Abschluss eines Sozialplans erzwingen (sog. erzwingbare Mitbestimmung). Anders als bei gescheiterten Interessenausgleichverhandlungen entscheidet bei einem Scheitern der Verhandlungen über die Aufstellung eines Sozialplans gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle. Diese ___________ 16) 17) 18) 19)

Vgl. BAG, Urt. v. 9.7.1985 – 1 AZR 323/83, NJW 1986, 2454. § 121 BetrVG i. V. m. § 111 BetrVG – Geldbußen bis zu 10.000 €. § 76 BetrVG. Ob eine Kündigung dann auch wirksam ist, ist eine andere Frage.

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

ersetzt dann eine nicht zustande gekommene Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch einen bindenden Spruch. 24 Nicht selten werden Betriebsräte erst dann gewählt, wenn sich Schließung und Personalreduktion abzeichnen, um insbesondere einen Sozialplan zu erreichen. Entscheidend ist in diesem Fall, ob das Wahlergebnis noch vor oder nach dem Beginn der Betriebsänderung bekannt gegeben worden ist. Hat der Unternehmer bereits mit der Umsetzung der Betriebsänderung konkret begonnen, kann der Betriebsrat weder Interessenausgleichsverhandlungen einfordern noch einen Sozialplan erzwingen.20) 25 Besteht die geplante Betriebsänderung allein aus einem Personalabbau, also ohne dass damit eine weitere Betriebsänderung, wie etwa eine Betriebsschließung, einhergeht, müssen für die Sozialplanpflicht gemäß § 112a Abs. 1 BetrVG aber noch einmal besondere Schwellenwerte erreicht werden.21) Generell von der Sozialplanpflicht ausgenommen werden gemäß § 112a Abs. 2 BetrVG Betriebe von Unternehmen in den ersten vier Jahren ab ihrer Gründung. Diese Privilegierung gilt auch dann, wenn ein in diesem Sinne junges Unternehmen einen Betrieb übernimmt, der länger als vier Jahre besteht.22) 26

Praxishinweis Zeichnet sich eine mitbestimmungspflichtige Sanierungsmaßnahme ab, so sollten die Verhandlungen mit dem Betriebsrat so früh wie möglich begonnen werden.

27 Inhalt und Umfang des Sozialplans können frei vereinbart werden, soweit er nicht allgemeine Normen und Rechtsgrundsätze verletzt. Kern eines jeden Sozialplans sind in der Praxis Abfindungsregelungen. Ein Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan darf aber nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt, da dadurch die Betriebsparteien in individuelle Rechte der Arbeitnehmer eingreifen würden.23) Ein Sozialplan eröffnet also nicht die Möglichkeit, durch die Kopplung von Abfindung und Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage Arbeitnehmer vom Beschreiten des Rechtswegs abzuhalten und so schnelle Rechtssicherheit über die Wirksamkeit der Kündigung zu erhalten. 28 In mitbestimmten Betrieben erhöhen sich damit die Kosten, die bei einem Personalabbau durch individuelle Kündigungsschutzklagen einzelner Arbeitnehmer ___________ 20) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235 = NZA 2004, 220. 21) Betriebe bis 60 Arbeitnehmern: 20 %, mindestens aber 6 Arbeitnehmer; Betriebe mit 60 bis 249 Arbeitnehmern: 20 % oder mindestens 37 Arbeitnehmer; Betriebe mit 250 bis 499 Arbeitnehmern: 15 % oder mindestens 60 Arbeitnehmer; Betriebe mit 500 und mehr Arbeitnehmern: 10 %, mindestens aber 60 Arbeitnehmer, die aus dem Betrieb planmäßig ausscheiden sollen. 22) BAG, Beschl. v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, ZIP 2007, 39 = NZA 2007, 106. 23) BAG, Urt. v. 31.5.2010 – 1 AZR 254/04, ZIP 2005, 1468 = NZA 2005, 997, dazu EWiR 2005, 653 (Wißmann).

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II. Arbeitsrecht und seine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit

entstehen, um die per Sozialplan kollektiv für alle betroffenen Arbeitnehmer erzwingbaren Abfindungen. 3.

Der Betriebsübergang nach § 613a BGB

Wird ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft von dem bisherigen 29 Inhaber auf einen neuen Inhaber übertragen, so knüpft § 613a BGB an diesen Vorgang zwingende Folgen (siehe § 20 [Lutz]). Es gehen in diesem Fall gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB sämtliche Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber über. Dieser tritt von Gesetzes wegen in die bisherige Rechtsstellung des alten Arbeitgebers ein und übernimmt dessen Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverträgen. Ohne diesen gesetzlichen Übergang ihres Arbeitsverhältnisses würden die Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang ihren Arbeitsplatz verlieren. Denn der bisherige Arbeitgeber hätte nach einer Übertragung eines Betriebs keine Möglichkeit mehr, die bisherigen Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, sodass ein betriebsbedingter Kündigungsgrund bestünde. Der Erwerber dagegen hätte mit den Arbeitnehmern keine Vertragsbeziehung und müsste sie daher nicht beschäftigen. Mit dem Eintritt des Erwerbers in die Arbeitsverhältnisse wird dieser nach 30 § 613a BGB von Gesetzes wegen Schuldner für alle Verbindlichkeiten aus den Arbeitsverhältnissen, und zwar auch für solche Ansprüche, die bereits vor dem Betriebsübergang entstanden sind. x

Der Veräußerer haftet gegenüber den Arbeitnehmern neben dem Erwerber noch für alle im Zeitpunkt des Betriebsübergangs fälligen Ansprüche.

x

Sind Ansprüche zwar vor dem Betriebsübergang entstanden, werden aber erst innerhalb eines Jahres danach fällig, so trifft den Veräußerer nur noch eine anteilige Haftung.

Normen von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, die im Zeitpunkt 31 des Betriebsübergangs für das Arbeitsverhältnis bestanden haben, gelten nun bei dem Erwerber fort. Der rechtliche Status quo für kollektivrechtliche Normen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bleibt für die Dauer eines Jahres erhalten. Innerhalb dieses Zeitraums dürfen die arbeitsvertraglichen Regelungen, die ihren Ursprung in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung haben, nicht einseitig zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Der Grundsatz der Fortgeltung der Tarifnormen und Betriebsvereinbarungen gilt dann nicht, wenn die Rechte und Pflichten, die bei dem Betriebsveräußerer in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung geregelt sind, auch bei dem Erwerber entsprechend kollektivrechtlich geregelt werden. Ein bei dem Erwerber geltender Tarifvertrag wird aber nur dann auf das übergegangene Arbeitsverhältnis angewendet, wenn der Arbeitnehmer kraft Mitgliedschaft oder durch Allgemeinverbindlichkeit an diesen Tarifvertrag gebunden ist.24) ___________ 24) BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, ZIP 1994, 1797 = NZA 1994, 1140.

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

32 Der bisherige oder der neue Inhaber müssen den jeweiligen Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang vollständig, umfassend und verständlich unterrichten (siehe § 20 [Lutz]). Der Arbeitnehmer muss anhand dieser Informationen in der Lage sein zu entscheiden, ob er mit dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses einverstanden ist oder diesem widersprechen möchte. Die Rechtsprechung stellt hier aber so hohe Anforderungen, dass in vielen – wenn nicht sogar den meisten – Fällen die Unterrichtungen einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten bzw. nicht standhalten würden. Wurde der Arbeitnehmer ordnungsgemäß unterrichtet, so kann er gemäß § 613a Abs. 6 BGB innerhalb eines Monats dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses schriftlich widersprechen. Erfolgte keine oder keine ordnungsgemäße Unterrichtung, so wird diese Monatsfrist nicht in Gang gesetzt mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht bis zur Verwirkung erhalten bleibt. Verwirkung tritt ein, wenn der Arbeitnehmer längere Zeit dem Übergang nicht widersprochen (Zeitmoment) und den Eindruck vermittelt hat, er werde auch zukünftig nicht mehr widersprechen (Umstandsmoment). Zeit- und Umstandsmoment wirken wie kommunizierende Röhren. Je länger der Übergang des Betriebs zurückliegt, umso geringer sind die Anforderungen an das Umstandsmoment. Umgekehrt können bestimmte Umstände, die sich aus dem Verhalten des Arbeitnehmers ergeben, dazu führen, dass das Recht auf Widerspruch schon kurz nach dem Betriebsübergang verwirkt worden ist.25) Arbeitet der Arbeitnehmer nach einer Unterrichtung, die zwar die grundlegenden Informationen über den Betriebsübergang enthält, nicht aber den gesetzlichen Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB entspricht, beim neuen Betriebsinhaber widerspruchslos weiter, so ist das Recht zum Widerspruch regelmäßig nach sieben Jahren verwirkt.26) 33 Alle individualrechtlichen oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen, sei es zwischen Erwerber und Veräußerer oder mit den jeweiligen Arbeitnehmern, mit dem Ziel, die gesetzlichen Folgen eines Betriebsübergangs zu umgehen, sind gemäß § 134 BGB nichtig.27) 34

Praxishinweis § 613a BGB ist von der Rechtsprechung sehr weit ausgelegt und angewandt worden. Bei jeder Übernahme eines Betriebs oder Teilbetriebs, auch wenn er eventuell schon geschlossen ist, sollte hierzu unbedingt vorher anwaltlicher Rat eingeholt werden. Ansonsten können den Übernehmer ganz erhebliche ungeplante Verpflichtungen aus alten Arbeitsverhältnissen belasten, die existenzbedrohend sein können.

___________ 25) Verwirkung sechs Monate nach Unterrichtung vgl. BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774. 26) BAG, Urt. v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, ZIP 2018, 193 = NZA 2018, 168, dazu EWiR 2018, 217 (Greiner/Bitzenhofer). 27) BAG, Urt. v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, ZIP 2009, 1733 = NZA 2009, 1091, dazu EWiR 2009, 709 (Greiner).

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III. Sanierungsarbeitsrecht außerhalb der Insolvenz: Interessenausgleich mit Namensliste

III.

Sanierungsarbeitsrecht außerhalb der Insolvenz: Interessenausgleich mit Namensliste

Ist der Arbeitgeber in einem mitbestimmten Betrieb (siehe Rz. 19 ff.) verpflich- 35 tet, wegen des geplanten Personalabbaus mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu verhandeln, so besteht die Möglichkeit, in dem Interessenausgleich die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich zu benennen. Gelingt es dem Arbeitgeber, mit dem Betriebsrat solch einen Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen, so erlangt der Arbeitgeber in einem späteren Kündigungsschutzverfahren erhebliche Vorteile. Gemäß § 1 Abs. 5 KSchG wird in diesem Fall vermutet, dass für die Kündigung der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer dringende betriebliche Gründe i. S. des § 1 Abs. 1 KSchG vorliegen. Diese Vermutung bezieht sich auch darauf, dass in dem Unternehmen keine andere Beschäftigungsmöglichkeiten für den betroffenen Arbeitnehmer bestehen.28) In einem Kündigungsschutzprozess muss nunmehr der Arbeitnehmer darlegen 36 und beweisen, dass dringende betriebliche Gründe, die seiner Weiterbeschäftigung entgegenstehen, eben gerade nicht existieren.29) Er muss den vollen Gegenbeweis erbringen, wobei verbleibende Zweifel zu seinen Lasten gehen.30) Dieser Gegenbeweis wird dem Arbeitnehmer in aller Regel nicht gelingen. Neben der gesetzlichen Vermutung des betriebsbedingten Grundes gilt nunmehr auch, dass die Sozialauswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann, und zwar hinsichtlich des gesamten Sozialauswahlprozesses. Daher kann auch die Bildung von Altersgruppen, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt wird, hier nur noch auf grobe Fehler hin überprüft werden. Als grob fehlerhaft gilt eine Sozialauswahl erst dann, wenn ein ins Auge springender schwerwiegender Fehler vorliegt und jede Ausgewogenheit fehlt.31) Eine auf einem Interessenausgleich mit Namensliste basierende Kündigung soll 37 dem Arbeitgeber von vornherein Rechtssicherheit geben und die Überprüfung der Kündigung nur noch auf Ausnahmefälle beschränken.32) Die Kündigung auf Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste ist der einzige Weg, außerhalb der Insolvenz i. R. einer Sanierung einen Personalabbau mit hinreichender Rechtssicherheit umzusetzen. Ob ein Betriebsrat aber bereit ist, diesen Weg mitzugehen, ist eine andere Frage. Ohne dass die Krise des Unternehmens durch einen Insolvenzantrag offen erkennbar geworden ist, wird ein Betriebsrat ___________ 28) BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633. 29) BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, ZIP 1998, 1809 = NJW 1998, 3586. 30) BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, ZIP 2007, 2136 = NJOZ 2008, 108, dazu EWiR 2008, 11 (Lindemann). 31) BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, ZIP 2012, 1623 = NZA 2012, 1044, dazu EWiR 2012, 535 (Wank). 32) BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, DB 2013, 880 ff.

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

den Arbeitnehmern, deren Interessen er vertritt, solch eine weitgehende Beschneidung des Kündigungsschutzes in den allermeisten Fällen nicht vermitteln können und folglich nicht mittragen wollen. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens gibt es jedoch für den Arbeitgeber keine weiteren vom Gesetz direkt vorgesehenen Möglichkeiten, bei einer Sanierung relative Rechtssicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit von Kündigungen zu erlangen. Damit bliebe nur die Option, einzelnen Arbeitnehmern Aufhebungsverträge mit Abfindungen anzubieten. In einer Krisensituation wird es aber bei einem breiter angelegten Personalabbau in aller Regel an den notwendigen finanziellen Mitteln hierzu fehlen. IV.

Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren

38 Erst mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gelten mit den §§ 113 und 120 – 128 InsO Bestimmungen, die man als „Sanierungsarbeitsrecht“ bezeichnen kann. (siehe § 13 [Gossak]). 1.

Verkürzung der Kündigungsfristen und Kündigungserleichterungen in der InsO

39 Grundsätzlich gelten auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Bestimmungen über die Kündigung von Arbeitsverhältnissen unverändert fort. Jedoch ändert § 113 InsO mit Verfahrenseröffnung die geltenden Kündigungsfristen grundlegend ab. Nach Verfahrenseröffnung kann der Insolvenzverwalter jedes Arbeitsverhältnis mit einer Frist von maximal drei Monaten kündigen. Längere Kündigungsfristen, gleich ob gesetzliche, einzel- oder tarifvertragliche, gelten nicht mehr. Läge die Kündigungsfrist aber ohnehin unter drei Monaten, so bleibt es bei der kürzeren Frist. 40 In der Insolvenz wird jedoch nicht nur die Kündigungsfrist verkürzt, sondern auch ein etwaiger Ausschluss der Kündigung aufgehoben. Nunmehr ist jedes Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar, auch wenn der Arbeitsvertrag selbst eine Kündigungsmöglichkeit nicht vorsieht, etwa bei einem auf bestimmte Dauer geschlossenen Arbeitsverhältnis. Auch eine durch Tarifvertrag geregelte Unkündbarkeit eines Arbeitsverhältnisses wird durch § 113 InsO aufgehoben.33) Eine Verpflichtung des Arbeitgebers in einer Betriebsvereinbarung, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, bindet den Insolvenzverwalter aufgrund der Vorschrift des § 113 InsO ebenfalls nicht mehr.34) 41 Da § 113 InsO alle Dienstverhältnisse betrifft, gilt die Regelung auch für die Anstellungsverhältnisse von Vorständen und Geschäftsführern. Die Abkürzung ___________ 33) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387, dazu EWiR 2007, 363 (Grimm/Michaelis). 34) BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, ZIP 2006, 631 = NZA 2006, 658.

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IV. Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren

der Kündigungsfrist auf maximal drei Monate wird für die gesamte Dauer des Insolvenzverfahrens angewendet, soweit das Dienstverhältnis nicht erst nach Eröffnung des Verfahrens begründet worden ist. Die Vergütung, die durch die Abkürzung der Frist weggefallen ist, kann der 42 Betroffene gemäß § 113 InsO nur als Schadensersatz und diesen nur als Insolvenzforderung geltend machen, dann allerdings ungekürzt für die gesamte vertragliche Restlaufzeit.35) 2.

Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz

Auch der Insolvenzverwalter muss alle Beteiligungsrechte des Betriebsrats be- 43 achten. So trifft auch den Insolvenzverwalter von Unternehmen mit mehr als 20 regelmäßig beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmern bei beabsichtigten Betriebsänderungen die Pflicht zum Abschluss eines Interessenausgleichs. Der Verwalter kann sich nicht darauf berufen, dass eine Beteiligung des Betriebsrats wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation nicht erforderlich oder möglich sei und es zu der beabsichtigten Betriebsänderung ohnehin keine Alternative gäbe. Unterlässt der Insolvenzverwalter den Versuch eines Interessenausgleichs, so haben auch hier Arbeitnehmer gemäß § 113 BetrVG grundsätzlich einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, der dann eine Masseverbindlichkeit wäre.36) Die Insolvenzsituation selbst ist bei der Höhe des Nachteilsausgleichs ohne Belang, da die Funktion dieses Anspruches auch darin liegt, ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers zu sanktionieren, auch wenn es der Insolvenzverwalter ist. In der Insolvenz wird das Interessenausgleichsverfahren gestrafft. Kommt es 44 zu keiner Einigung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat, so kann gemäß § 121 InsO direkt die Einigungsstelle angerufen werden. Die Zwischenstufe im Verhandlungsablauf außerhalb eines Insolvenzverfahrens, der Vermittlungsversuch der Bundesagentur für Arbeit, entfällt. Des Weiteren ist der Insolvenzverwalter nicht gezwungen, die Einigungsstelle 45 anzurufen. Stattdessen kann er gemäß § 122 Abs. 1 InsO beim ArbG beantragen, dass die Betriebsänderung ohne Einigungsstellenverfahren durchgeführt wird. Voraussetzung für den Antrag ist, dass innerhalb von drei Wochen nach Aufnahme der Verhandlungen und nach vollständiger Unterrichtung des Betriebsrats über alle Aspekte der Betriebsänderung kein Interessenausgleich zustande gekommen ist. Erteilt das ArbG die Zustimmung zur Betriebsänderung, so kann der Insolvenzverwalter die geplante Betriebsänderung umsetzen, ohne Nachteilsausgleichsansprüchen gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG ausgesetzt zu sein. ___________ 35) OLG Celle, Urt. v. 24.10.2018 – 9 U 35/18), ZIP 2018, 2281, dazu EWiR 2019, 117 (Undritz/Röger). 36) BAG, Urt. v. 7.11.2017 – 1 AZR 186/16, ZIP 2018, 848 = NZA 2018, 464, dazu EWiR 2018, 349 (Klasen).

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

Eine Beschwerde an das LAG gegen die Entscheidung des ArbG ist durch § 122 Abs. 3 InsO ausgeschlossen. Allein wenn das ArbG die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen hat, wird die arbeitsgerichtliche Entscheidung in einer höheren Instanz überprüft. 46

Praxishinweis Zumeist wird der Verwalter parallel zum Beschlussverfahren nach § 122 InsO auch das Einigungsstellenverfahren betreiben. Kommt es vor einer Entscheidung des ArbG zu einer Einigung oder enden die Verhandlungen nach allen erforderlichen Schritten ergebnislos, dann hat sich das Beschlussverfahren erledigt. Im Hinblick darauf, dass der Betriebsrat damit rechnen muss, dass ein Beschluss des ArbG ihm sein Beteiligungsrecht „wegnehmen“ kann, wird er in aller Regel irgendwann einigungsbereit sein.

47 Die kündigungsrechtlichen Folgen eines Interessenausgleichs mit Namensliste werden in § 125 InsO geregelt, der sich im Wesentlichen mit der Bestimmung des § 1 Abs. 5 KSchG deckt. § 125 InsO geht nur insoweit über die außerhalb des Insolvenzverfahrens geltenden Bestimmungen über den Interessenausgleich mit Namensliste hinaus, als dass nunmehr über die Sozialauswahl auch eine ausgewogene Personalstruktur geschaffen werden kann und nicht nur die Erhaltung der Personalstruktur möglich ist. Dies ermöglicht weitestgehend, auch Leistungsträger im Unternehmen zu halten und ein niedrigeres Durchschnittsalter der Belegschaft nach einer Sanierung zu erreichen. Es reicht aber nicht, einfach nur das Durchschnittsalter der Beschäftigten ohne konkreten Grund senken zu wollen.37) Des Weiteren gilt in der Insolvenz bei einem Interessenausgleich mit Namensliste nicht nur die Vermutung, dass die Kündigung aus dringenden betriebsbedingten Gründen erklärt wurde, sondern gemäß § 128 InsO auch, dass die Kündigung nicht wegen eines Betriebsübergangs erfolgt ist, was gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam wäre. Diese weitere, wiederlegbare Vermutung nach § 128 InsO ist aber letztlich überflüssig, da bei einem Interessenausgleich mit Namensliste ohnehin der gekündigte Arbeitnehmer die Vermutung widerlegen müsste, dass betriebsbedingte Gründe vorliegen. 48 Auch im Insolvenzverfahren besteht Sozialplanpflicht. Der Sozialplan wäre auch hier durch einen Spruch der Einigungsstelle erzwingbar, sofern es zu keiner Einigung zwischen den Betriebsparteien kommt. Allerdings finden Verwalter und Betriebsrat in den allermeisten Fällen zueinander, da der Umfang eines Sozialplanes in der Insolvenz gesetzlich stark eingeschränkt ist. Das Sozialplanvolumen wird gemäß § 123 Abs. 1 InsO auf maximal 2,5 Monatsgehälter aller von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt, sodass der Verwalter von vornherein nur bis zu dieser Grenze des Erlaubten gehen kann. Damit die Insolvenzmasse nicht von den Sozialplanansprüchen aufgezehrt wird, begrenzt ___________ 37) Vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 = ZInsO 2014, 730, dazu EWiR 2014, 295 (Mückl).

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IV. Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren

§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO zudem den auf die Sozialplanansprüche zu verwendenden Anteil der Masse. Maximal 1/3 der Insolvenzmasse, die an die Gläubiger zu verteilen wäre, wenn es keinen Sozialplan gäbe, darf für die Erfüllung der Sozialplanansprüche ausgegeben werden. Sozialpläne, die bis zu drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden sind, können vom Insolvenzverwalter über § 124 Abs. 1 InsO widerrufen werden. Über § 120 Abs. 1 InsO kann ein Sozialplan, wie jede andere vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossene Betriebsvereinbarung auch, gekündigt werden, sofern ansonsten die Masse belastet würde. In diesen beiden Fällen wird dann typischerweise vom Verwalter ein neuer und nach § 123 InsO betragsmäßig beschränkter Sozialplan abgeschlossen. 49

Praxishinweis Es bietet sich an, die von § 123 InsO vorgegebenen Obergrenzen zum Bestandteil des Sozialplans zu machen und dem Betriebsrat weitgehend freie Hand dabei zu lassen, wie diese Beträge verteilt werden sollen (Punktesystem). Auch die Einrichtung von Härtefallfonds, in den ein Teil des Sozialplanvolumens eingezahlt wird und der vom Betriebsrat nach Ermessen zur Linderung von Härtefällen verwendet werden kann, hat sich bewährt.

3.

Besonderheiten zum Kündigungsschutz in der Insolvenz

In § 126 InsO erhält der Insolvenzverwalter die Möglichkeit, durch das ArbG 50 vorab bindend feststellen zu lassen, ob Kündigungen bestimmter namentlich aufgelisteter Arbeitnehmer betriebsbedingt und sozial gerechtfertigt i. S. des § 1 KSchG sind. Diese Möglichkeit, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht existiert, ergibt sich für den Fall, dass der Betriebsrat nicht bereit ist, mit dem Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich mit Namensliste abzuschließen oder dies schon deshalb nicht möglich ist, weil ein Betriebsrat nicht gewählt worden ist. In diesem besonderen insolvenzrechtlichen Beschlussverfahren gibt es für den Verwalter aber keinerlei Beweiserleichterungen, sondern nur die Aussicht auf eine relativ schnelle38) bindende Feststellung zur Betriebsbedingtheit und sozialen Rechtfertigung.39) Auch wenn das Verfahren durch die Bündelung einer Vielzahl von Kündigungen und die starke Beschränkung des Instanzenzugs erst einmal verfahrensökonomisch sinnvoll erscheint, wird dieser Vorteil durch das Risiko des Unterliegens, wodurch evtl. alle betroffenen Kündigungen mit einer einzigen nicht überprüfbaren Entscheidung für unwirksam erklärt wer___________ 38) Die Schnelligkeit ergibt sich objektiv nur daraus, dass mehrere Kündigungen gebündelt zur Überprüfung gestellt werden können und der Instanzenweg gekürzt worden ist (keine Beschwerde an das LAG – Rechtsbeschwerde an das BAG nur nach Zulassung durch das ArbG). 39) Alle anderen möglichen Unwirksamkeitsgründe (z. B. mangelhafte Betriebsratsanhörung, Nichtbeachtung von besonderen Kündigungsschutzgründen wie Schwangerschaft etc.) werden nicht überprüft und können in einem späteren Kündigungsschutzprozess noch vom Arbeitnehmer vorgebracht werden.

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

den, wieder nivelliert. Gegenüber solch einem Masseverfahren lassen sich einzelne Kündigungsschutzprozesse besser steuern, zumal in diesem die Wirksamkeit der Kündigung insgesamt überprüft wird. Dieses besondere Beschlussverfahren spielt in der Praxis daher auch keine Rolle, wie die äußerst überschaubare Rechtsprechung zu der Norm zeigt. 4.

Betriebsveräußerung in der Insolvenz

51 Auch im eröffneten Insolvenzverfahren gilt § 613a BGB. Allerdings haftet der Erwerber nicht für solche rückständigen Lohnansprüche, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind.40) Andernfalls wären die Chancen für eine übertragende Sanierung in der Insolvenz nahezu null. Aber auch mit dieser Beschränkung stellt diese Vorschrift ein ganz erhebliches Hindernis für Sanierungen dar, denn auch in der Insolvenz gehen sämtliche Beschäftigten mit ihrem gesamten sozialen Besitzstand auf einen Betriebserwerber über. Können deren Kosten mit dem realistischerweise zu erwartenden Umsatz nicht gedeckt werden, würde der Erwerb sofort an diesem Umstand scheitern (siehe § 23 [Sigle]). 52 Dieses Problem kann häufig mit einem weiteren Instrument gelöst werden, das im weiteren Sinne zum Sanierungsarbeitsrecht gehört, der sog. Transfergesellschaft.41) Transfergesellschaften, auch Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften genannt, sind Instrumente der Arbeitsförderung. Sie verfolgen das Ziel, konkret von Entlassung und Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer aufzunehmen und sie durch Qualifizierungsmaßnahmen in eine neue Beschäftigung zu vermitteln. Eine Überführung von Arbeitnehmern in eine Transfergesellschaft kann in, aber auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens und grundsätzlich unabhängig von der Betriebsgröße und dem Bestand eines Betriebsrats erfolgen. Allerdings machen Transfergesellschaften nur in Betrieben, die dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegen, Sinn. Ob ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beenden und in eine Transfergesellschaft überwechseln möchte, ist und muss seine freie Entscheidung sein. 53 In einer Transfergesellschaft herrscht Kurzarbeit null. Die in die Gesellschaft transferierten Arbeitnehmer erhalten Transferkurzarbeitergeld für maximal ein Jahr. Der Unternehmer bzw. Insolvenzverwalter wird in aller Regel, um die Attraktivität eines Wechsels in die Transfergesellschaft zu erhöhen, das Kurzarbeitergeld auf bis zu 80 % des bisherigen Entgelts aufstocken. Die Sozialversicherungsbeiträge trägt grundsätzlich der bisherige Arbeitgeber, wie bei „normaler“ Kurzarbeit auch. Die Kosten für die Qualifizierungsmaßnahmen, welche den Arbeitnehmern in der Transfergesellschaft angeboten werden, übernehmen in ___________ 40) Vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, BB 2007, 1281. 41) Sozialrechtliche Grundlage: § 110 SGB III „Transfermaßnahmen“ und § 111 SGB III „Transferkurzarbeitergeld“.

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IV. Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren

aller Regel der bisherige Arbeitgeber und die Bundesagentur für Arbeit gemeinsam. Scheiden die Arbeitnehmer oder zumindest ein Teil der Belegschaft aus dem 54 Betrieb aus und treten in eine Transfergesellschaft ein (siehe hierzu auch § 23 [Sigle]), so werden diese Arbeitsverhältnisse von einem späteren Betriebsübergang nicht mehr erfasst. Dem Erwerber steht es aber frei, Mitarbeiter aus der Transfergesellschaft für den übernommenen Betrieb zu rekrutieren. Damit kann über eine Verkettung von Verträgen eine schnelle und rechtssichere Personalreduktion erreicht werden: x

Dies geschieht, indem einerseits ein Kaufvertrag über den zu kaufenden Betrieb geschlossen wird, der durch den Übergang aller oder fast aller Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft bedingt ist.

x

In aller Regel werden Erwerber und Veräußerer dabei auch eine Mindestzahl an zu übernehmenden Arbeitnehmern vereinbaren.

x

Um die Bedingung „Übergang der Arbeitnehmer in die Transfergesellschaft“ erfüllen zu können, verpflichtet sich der Veräußerer seinerseits gegenüber der Transfergesellschaft, diese mit den nötigen finanziellen Mitteln für Sozialleistungen, Aufstockung der Gehälter und Qualifizierung für die in der Transfergesellschaft verbleibenden Arbeitnehmer auszustatten.

x

Gemeinsam müssen dann Veräußerer und Transfergesellschaft die Arbeitnehmer davon überzeugen, dass ein Übergang in eine Transfergesellschaft für sie attraktiver ist als die sofortige Arbeitslosigkeit, was häufig aber auf der Hand liegt.

x

Gelingt dies, heben Veräußerer und Arbeitnehmer den zwischen ihnen bestehenden Arbeitsvertrag auf. Gleichzeitig begründen Arbeitnehmer und Transfergesellschaft ein neues Beschäftigungsverhältnis.

x

Als letzter Akt bietet der Erwerber dann gezielt den wirtschaftlich erfolgreich zu beschäftigenden Arbeitnehmern einen neuen Vertrag an, so dass diese nach wenigen Tagen wieder aus der Transfergesellschaft ausscheiden. Ein Arbeitsvertrag mit dem Erwerber ist dann ein neuer Arbeitsvertrag, der keine rechtlichen Bindungen mehr zu dem bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer hat. Hier können also auch Probezeiten, sachgrundlose Befristungen und ein geringeres Gehalt vereinbart werden.

Die Überführung von Arbeitnehmern in eine Transfergesellschaft stellt keine 55 Umgehung der in § 613a BGB zwingend vorgeschriebenen Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs dar. Entscheidend ist aber, dass der Arbeitnehmer endgültig aus dem bisherigen Betrieb ausgeschieden ist. Ihm dürfen keine konkreten Zusagen dahingehend gemacht werden, dass er nach einem Übertritt in die Transfergesellschaft wieder in den, dann auf einen Erwerber übergegangenen, Betrieb zurückkehren kann. Macht sich der Arbeitnehmer lediglich allgemein Hoff-

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

nungen auf eine Rückkehr in den Betrieb, ohne dass ihm irgendwelche konkreten Zusagen gemacht worden sind, so ändert dies nichts daran, dass der Arbeitnehmer mit Abschluss des dreiseitigen Vertrags endgültig aus dem Betrieb ausscheidet.42) Zwischen der Beendigung des alten Arbeitsverhältnisses und dem damit verbundenen Eintritt in die Transfergesellschaft sowie dem Abschluss eines neuen Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber muss aber mehr als nur eine logische Sekunde liegen. Eine Zeitspanne von wenigen Tagen genügt jedoch. 56

Praxishinweis Vor Wirksamwerden aller diesbezüglichen Verträge darf Mitarbeitern in keiner Weise zugesagt oder angekündigt worden sein, dass sie später weiterbeschäftigt werden. Auch die Betriebsleitung oder -organisation darf nicht vor dem vertraglich vereinbarten Ausscheiden des Arbeitnehmers vom Erwerber übernommen worden sein, da dann bereits ein Betriebsübergang erfolgt wäre.

57 Die Zwischenschaltung einer Transfergesellschaft zur Vermeidung der Folgen des § 613a BGB außerhalb eines Insolvenzverfahrens wird in aller Regel daran scheitern, dass gegenüber den Arbeitnehmern das Ausscheiden aus dem Unternehmen und der Übertritt in eine Transfergesellschaft schwer vermittelbar sein werden. In dieser Situation, in der die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (noch) nicht beantragt ist, wird die ansonsten drohende „Schließung des Betriebs“ für die Arbeitnehmer weit weniger akut und greifbar erscheinen. Um einen schnellen und rechtssicheren Arbeitsplatzabbau zu erreichen, der nicht im Zusammenhang mit einer Veräußerung des Betriebs steht, kann eine Transfergesellschaft aber auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens sehr hilfreich sein und eine Alternative zu Sozialplanabfindungen darstellen. 5.

Das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung

58 Das in den §§ 165 ff. SGB III geregelte Insolvenzgeld soll vor allem die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers für die Arbeitnehmer abmildern. Als Arbeitnehmer i. S. des Sozialrechts gelten alle „klassischen“ Arbeitnehmer, aber auch GmbH-Geschäftsführer, soweit diese nicht auch auf Gesellschafterebene die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich bestimmen. Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft werden jedoch nicht als Arbeitnehmer eingeordnet.43) 59 Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld entsteht, wenn eines der in § 165 Abs. 1 SGB III genannten Insolvenzereignisse eintritt. Als Insolvenzereignis gelten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse sowie die vollständige Beendigung der Betriebs___________ 42) BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643. 43) Ausführlicher hierzu: Witt in: Rattunde, FB für Sanierung und Insolvenzverwaltung, Rz. 2234 ff.

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IV. Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren

tätigkeit, ohne dass ein Insolvenzantrag gestellt worden ist, der mangels Masse abgelehnt worden wäre. Anspruch auf Insolvenzgeld besteht gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III für die 60 letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis. Das Insolvenzgeld deckt also entweder die unmittelbar vor dem Insolvenzereignis liegenden drei Monate ab oder bei einer vorherigen Beendigung die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Zum insolvenzgesicherten Arbeitsentgelt gehören alle Gegenleistungen, die 61 der Arbeitgeber für die im Insolvenzgeldzeitraum erbrachte Arbeit schuldet. Damit Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Krise nicht zulasten der Bundesagentur schnell noch Vereinbarungen eingehen, die das Insolvenzgeld erhöhen, wird gemäß § 166 Abs. 1 Nr. 1 – 3 SGB III für entsprechende Tatbestände der Insolvenzgeldanspruch von vornherein ausgeschlossen. Auch wenn die Arbeitsentgeltansprüche durch das Insolvenzgeld gesichert sind, 62 so kann dieses erst nach dem Insolvenzereignis ausbezahlt werden, also häufig erst Monate später. Arbeitnehmer können aber wegen rückständiger Arbeitsentgelte ihre Arbeitsleistung bis zum Ausgleich der Rückstände verweigern oder auch das Arbeitsverhältnis fristlos kündigen. Im vorläufigen Insolvenzverfahren wäre die Aufrechterhaltung eines Geschäftsbetriebs somit kaum möglich. Für den vorläufigen Insolvenzverwalter besteht daher die Möglichkeit, über den Insolvenzgeldanspruch die Gehälter vorzufinanzieren, um diese dann möglichst schnell an die Arbeitnehmer auszuzahlen und den Geschäftsbetrieb weiterführen zu können. In der Praxis wird den Arbeitnehmern angeboten, ihren Arbeitsentgeltanspruch an eine mit dem vorläufigen Verwalter zusammenarbeitende Bank zu verkaufen. Als Kaufpreis erhält der Arbeitnehmer den Betrag, der dem verkauften Arbeitsentgeltanspruch entspricht. Die Bank wird durch den Ankauf des Arbeitsentgeltanspruchs Inhaber des späteren Insolvenzgeldanspruchs, den sie dann gegenüber der Bundesagentur für Arbeit geltend macht. Diese Vorfinanzierung des Insolvenzgelds bedarf gemäß § 170 Abs. 4 SGB III der Zustimmung der Arbeitsagentur. Die Zustimmung darf nur dann erteilt werden, sofern durch diese Vorfinanzierung voraussichtlich ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze gerettet werden kann. 63

Praxishinweis Erfahrungsgemäß behandeln die zuständigen Arbeitsagenturen das Zustimmungsverfahren schnell, flexibel und sanierungsfreundlich. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung bringt vor allem bei personalkostenintensiven Unternehmen eine erhebliche Kostenentlastung mit sich. Gerade dann ist der Weg über das Insolvenzverfahren die effektivste Sanierung.

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§ 1 Überblick: Die wichtigsten Regelungen bzgl. der Arbeitnehmerschaft

V.

Fazit

64 Insgesamt stellen die oben geschilderten Punkte erhebliche Modifikationen der ansonsten geltenden, eher sanierungsfeindlichen Vorschriften des deutschen Arbeitsrechts dar und ermöglichen Kostenreduktionen, die deutlich zu einer Sanierung eines Unternehmens beitragen können. Ganz überwiegend setzt dies jedoch voraus, dass das Unternehmen sich zur Stellung eines Insolvenzantrags entschließen kann. Dies wird sicher immer eine schwere Entscheidung sein, die aber durch die Reform des deutschen Insolvenzrechts im Jahr 2012 durch das ESUG44) erheblich erleichtert worden ist.

___________ 44) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, BGBl. I 2011, 2582, mit erheblich erweiterten Rechten für Insolvenzschuldner und -gläubiger.

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

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Übersicht I. Einleitung........................................... 1 II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung....... 3 1. Mitarbeiterbezogene Überlegungen................................................. 6 2. Mitarbeiterbezogene Maßnahmen mit Verlust des Arbeitsplatzes......... 14 a) Standort-/Betriebsschließung .... 14 b) Namensliste ............................... 15 c) Sozialauswahl ............................. 19 d) Freiwilligenprogramm............... 22 3. Mitarbeiterbezogene Maßnahmen ohne Verlust des Arbeitsplatzes ...... 28 a) Umorganisation/Umzug von Abteilungen ........................ 28 b) Gründung neuer Standorte ....... 32 c) Transfer-Agentur/TransferGesellschaft................................ 35 d) Weitere Maßnahmen und Leistungskürzungen .................. 37 e) Exkurs: Schutz bzw. Identifikation von Leistungsträgern ..... 40 4. Überlegungen bezüglich der Maßnahmen-Finanzierung............... 42 a) (Transfer-)Kurzarbeitergeld ..... 43 b) Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung........................................ 46 c) Europäische Sozialfonds ........... 47

I.

d) Eingliederungs-Zuschuss.......... 49 e) Förderung der beruflichen Weiterbildung............................ 50 III. Plausibilisierung.............................. 54 1. Indirekte Personalkosten................. 56 2. Direkte Personalkosten ................... 58 IV. Das Weißbuch als zentrale Dokumentation von Personalabbauprogrammen in Deutschland ........ 60 1. Herausforderungen beim Personalabbau ............................................ 60 2. Weißbuch als zentrales Dokument im Personalabbau.................... 64 a) Unternehmerische Entscheidung ................................... 64 b) Erforderliche Maßnahmen........ 65 3. Strukturierung der Informationsphase............................................ 68 4. Systematische Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen ....................................... 69 5. Übersicht der Verhandlungsbausteine ........................................... 71 6. Erfolgsfaktoren bei komplexen Personalabbauprogrammen ............. 74 a) Datentransparenz ...................... 74 b) Einbindung der Interessengruppen ...................................... 75 V. Fazit .................................................. 81

Einleitung

Im Jahr 2017 haben allein Großkonzerne 53.300 Stellen in Deutschland abgebaut. 1 Zwar sind Ergebnis- oder Liquiditätskrisen bzw. Insolvenzen gesamtwirtschaftlich – noch – kein grundsätzliches Problem (die gesamtwirtschaftlichen Indikatoren lassen jedoch einen Abschwung in naher Zukunft durchaus erwarten), gleichwohl ist der Anpassungsbedarf, den Unternehmen derzeit erleben, hoch. Weiter intensivierter Wettbewerb durch Globalisierung, hohe Investitionen in Digitalisierung oder neue Geschäftsmodelle veranlassen viele Unternehmen, auf Kostendisziplin zu achten.

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

2 Dabei rücken vorrangig Verwaltungstätigkeiten in den Fokus, bei denen Sachkostenoptimierung naturgemäß nur begrenzt möglich ist. Stattdessen sind in aller Regel Personalkosten der wesentliche Faktor. Deswegen beleuchtet dieser Artikel die verschiedenen Möglichkeiten, um Personalkosten je nach Krisenstadium vorrübergehend oder permanent zu reduzieren. Er stellt dem Leser dabei einen Optionenraum zur Verfügung, indem verschiedene Maßnahmen vorgestellt und deren Anwendung charakterisiert wird. II.

Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung

3 Bei Programmen zur Reduktion der Personalkosten haben Entscheider grundsätzlich verschiedene Optionen, die vielfach miteinander kombinierbar sind. 4 Typischerweise lassen sich die Optionen entlang der drei Dimensionen Mitarbeiter,1) Maßnahmen und Finanzierung kategorisieren. Es stellt sich demnach immer die Frage: x

„Welche Mitarbeiter sind von der Maßnahme betroffen?“,

x

„Welche Maßnahme bzw. welches Vertragswerk ist anzuwenden?“ sowie

x

„Welche Art der Finanzierung bzw. welche Fördermaßnahme soll genutzt werden?“.

5 Die Kombination der verschiedenen Optionen ist ein komplexer Strukturierungsund Entscheidungsprozess und immer auf die Situation des jeweiligen Unternehmens individuell abzustimmen. Im Folgenden werden die Optionen weiter beleuchtet. 1.

Mitarbeiterbezogene Überlegungen

6 Grundsätzlich unterscheiden wir bei mitarbeiterbezogenen Überlegungen nach den Auswirkungen – also Maßnahmen, die einen Jobverlust nach sich ziehen und Maßnahmen, die organisatorischen oder strukturellen Einfluss haben, aber nicht den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. 7 Es unterliegt immer einer arbeitsrechtlichen Prüfung und ggf. auch einer Einzelfall-Abwägung, welche Mitarbeiter besonders schutzwürdig sind, und daher von der Maßnahme nicht (direkt) betroffen sind (z. B. Betriebsräte, Schwerbehinderte, Dauerkranke, Teilzeitkräfte etc.). 8 Ein Personalabbau ist nicht zwingend gleichbedeutend mit „betriebsbedingten Kündigungen“. Es kann sich alternativ auch um innerbetriebliche Versetzungen, Personalentwicklung durch Weiterbildung bzw. Umschulung oder Verkürzung der Arbeitszeit durch Kurzarbeit handeln. Häufig finden auch Maßnahmen Anwendung, wie das Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge, die Weiterbeschäf___________ 1) Der Einfachheit halber wird im Folgenden immer von „Mitarbeitern“ gesprochen – damit sind alle Arbeitskräfte innen im Unternehmen gemeint.

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II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung

tigung von Mitarbeitern in anderen Verwendungen bzw. an anderen Standorten oder die Zahlung von Abfindungen i. R. von Aufhebungsvereinbarungen mit freiwilligen Mitarbeitern (siehe § 3 [Gossak]). Ist die angestrebte Kostenstruktur auf diesem Weg jedoch nicht zu erreichen, so kann das Unternehmen dennoch betriebsbedingt kündigen. Grundsätzliche Gemeinsamkeit dieser Maßnahmen ist, dass Stellen gestrichen werden, um Kosten zu reduzieren oder Überkapazitäten abzubauen. Als betriebsbedingt gilt eine Kündigung dann, wenn einem Mitarbeiter ordentlich 9 gekündigt werden muss, da dem Arbeitgeber aufgrund „dringender betrieblicher Erfordernisse“, welche eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht erlauben, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich ist. In der Praxis werden solche Kündigungen vor allem bei Schließung oder Auslagerung von Abteilungen, anderen Arten der Umstrukturierung oder Stilllegung eines Betriebs ausgesprochen (siehe § 1 [Köhler-Ma/Witt]). Eine Schließung oder eine Auslagerung bzw. Betriebsstilllegung liegt allerdings 10 nicht vor, wenn das Unternehmen lediglich plant, einen Teil des Betriebs zu verkaufen. In diesem Fall handelt es sich um einen „Betriebsübergang“. Hierbei sind Kündigungen gesetzlich ausgeschlossen. Die Mitarbeiter gehen nach § 613a BGB auf den Erwerber über. Ist jedoch tatsächlich eine Einschränkung des Betriebs beabsichtigt, so kann Mit- 11 arbeitern betriebsbedingt gekündigt werden. Jedoch ist durch das Unternehmen vorher zu prüfen, ob es keine andere Möglichkeit gibt, die jeweiligen Mitarbeiter im Unternehmen weiterzubeschäftigen. Gibt es diese nicht, muss anhand einer „Sozialauswahl“ entschieden werden, welchen Arbeitnehmern gekündigt werden kann. Beschränkt sich eine Betriebsänderung allein auf den Personalabbau, so kann 12 der Betriebsrat nach § 112a BetrVG einen Sozialplan erzwingen, wenn die festgeschriebenen Schwellenwerte überschritten werden. Dies ist grundsätzlich davon abhängig, wie groß der Anteil der von der Betriebsänderung Betroffenen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Mitarbeiter ist. Bei einer Firma mit bis zu 59 Mitarbeitern kann der Betriebsrat einen Sozialplan erzwingen, wenn mindestens sechs Arbeitnehmer versetzt oder gekündigt werden. Bei Firmen mit bis zu 499 Angestellten wird ein Sozialplan zur Pflicht, wenn entweder 10 % oder mehr als 25 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren. Bei Großunternehmen mit mehr als 600 Mitarbeitern sinkt die Quote auf 5 %. Bei Firmen mit weniger als 20 Mitarbeitern und in Firmen, in denen kein Betriebsrat gewählt wurde, besteht keine Pflicht für einen Interessenausgleich, von dem auch der Sozialplan abhängig ist (siehe § 1 [Köhler-Ma/Witt]). Im Sozialplan wird in erster Linie die Höhe der Abfindungen für gekündigte 13 Mitarbeiter geregelt. Abfindungen sind typischerweise meist nur ein Baustein des Sozialplans. Verhandelt wird auch, wie das Unternehmen die Mitarbeiter bei der

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

Suche nach einem neuen Job unterstützt. Dies können bezahlte Schulungen und Fortbildungen sein oder auch eine Weiterqualifizierung in einer Beschäftigungsgesellschaft. Im Zentrum des Interessenausgleichs steht die Frage nach einer Verständigung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer-Vertretern über das „Ob und Wie“ einer geplanten Betriebsänderung. Hier werden hauptsächliche Regelungen über die Art und Weise der Durchführung des Personalabbaus getroffen. Im Folgenden werden die mitarbeiterbezogenen Maßnahmen detailliert erläutert. 2.

Mitarbeiterbezogene Maßnahmen mit Verlust des Arbeitsplatzes

a)

Standort-/Betriebsschließung

14 Bei der Standort- oder Betriebsschließung werden einzelne Betriebe oder betriebliche Einheiten (typischerweise ring-fenced-entities) geschlossen. Die Unternehmen und Arbeitnehmer-Vertreter einigen sich auf einen Sozialplan. Unter zeitlichen Aspekten ist für eine derartige Maßnahme die Vorbereitungszeit eher länger (drei bis acht Monate), grundsätzlich aber abhängig vom Handlungsdruck und der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Aufstellung. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung zeigt, dass typischerweise relativ hohe Abfindungen angeboten werden müssen, um Sozialverträglichkeit zu sichern und damit das Angebot attraktiv für die Arbeitnehmer zu gestalten. Grundsätzlich ist hierbei nur der Sozialplan zu verhandeln, kein Interessenausgleich. Auf der anderen Seite bietet diese Maßnahme insgesamt ein gutes Restrukturierungspotenzial, da nicht mehr benötigte/ineffiziente Standorte/Betriebe mit dem gesamtem Stellenpotential geschlossen werden und zusätzlich weitere, indirekte Kosten (z. B. Miete, Wachdienste, Strom etc.) eingespart werden können. Das mit den Maßnahmen verbundene Prozessrisiko ist überschaubar, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass keine der Aufgaben am zu schließenden Standort, an anderen Standorten durchgeführt werden kann. Hingegen besteht grundsätzlich das Risiko von „brain drain“ – also dem Verlust von wichtigen Mitarbeitern bzw. relevantem Know-how und Kompetenzen. b)

Namensliste

15 Unter einer Namensliste verstehen wir in diesem Zusammenhang eine Liste der Stellenabbau betroffenen Mitarbeiter, die auf Basis betrieblicher Notwendigkeiten, unter Berücksichtigung sozialer Kriterien aber ohne reine Sozialauswahl zustande kommt. Diese muss zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern (ggf. auch der Gewerkschaft; Aufhebung des tariflichen Sonderkündigungsschutzes durch die Gewerkschaft ist möglich) vereinbart werden. Bei Kündigung per Namensliste wird vermutet, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse begründet ist. Vor Gericht muss ggf. „nur noch“ dargelegt werden, dass eine Betriebsänderung vorliegt, die die Kündigung zur Folge hatte. Somit muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eben keine Kündigungsgründe vorlagen (Beweislast26

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II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung

umkehr). Die Umsetzung kann relativ schnell erfolgen, je nach Unternehmenssituation und Verhandlungen – nach unserer Erfahrung innerhalb von bis zu vier Monaten. Wirtschaftlich benachteiligte Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Abfindung. 16

Praxishinweis Unter Kosten-Nutzen-Aspekten ist festzuhalten, dass ein hoher Anteil an wichtigen Mitarbeitern im Unternehmen gehalten werden und ein hoher Anteil an sog. „Low Performern“ gekündigt werden kann (siehe § 1 [Köhler-Ma/Witt]).

Prozessual wird die Namensliste als Entwurf zur Vorlage beim Betriebsrat durch 17 den Arbeitgeber erstellt; der Betriebsrat kann den Entwurf dann auf (soziale) Härtefälle prüfen und diese von der Namensliste entfernen, Nachrücker werden in der Regel gemäß sozialer Schutzwürdigkeit (Sozialpunkte) identifiziert. Eine Namensliste ist normalerweise nur in seltenen Ausnahmefällen verhandel- 18 bar; normalerweise wird diese nur im Tausch mit Zusagen zum Standorterhalt erstellt (d. h. es gibt eine „feste“ Verbindung zum abzuschließenden Interessenausgleich). Das Prozessrisiko ist insgesamt als sehr gering einzustufen; in der Regel haben die zu kündigenden Mitarbeiter keine Chance auf ein positives Gerichtsurteil im Falle einer Klage. c)

Sozialauswahl

Die abzubauenden Mitarbeiter werden abhängig von ihrer sozialen Schutz- 19 würdigkeit nach rechtlich anerkannten Kriterien ausgewählt (z. B. Alter, Betriebszugehörigkeit, Anzahl der Kinder etc.) Das genaue Punktevergabesystem muss im Vorfeld zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Vertretern vereinbart werden. Nach einmal getroffener Einigung ist die Umsetzung der Maßnahme relativ schnell (innerhalb weniger Wochen) möglich. Vorab ist allerdings prozessual sicherzustellen, dass die Mitarbeiter ihre aktualisierten Sozialdaten i. R. einer Erhebung entsprechend hinterlegt haben (siehe § 13 [Gossak]. Der Arbeitgeber kann den abzubauenden Mitarbeitern eine gesetzliche Abfin- 20 dung von in der Regel mindestens einem halben Monatsgehalt pro Dienstjahr anbieten – unserer Erfahrung nach liegen die Faktoren aber typischerweise zwischen 0,8 bis 1,2. Der Mitarbeiter kann dieses Angebot annehmen oder eine Kündigungsschutzklage erheben. Da aufgrund des Auswahl-Algorithmus häufig Mitarbeiter mit geringem Dienstalter ausgewählt werden, sind die Abfindungen in der Regel relativ gering. Grundsätzlich hat diese Methodik eine relativ hohe soziale Akzeptanz. Ein weiterer Vorteil der Maßnahme liegt darin, dass es möglich ist, vorab Leistungsträger zu definieren, die von der Sozialauswahl ausgenommen werden können. Hierfür ist eine stichhaltige Begründung notwendig.

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

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Praxishinweis Auf der anderen Seite ist teilweise die unternehmerische Flexibilität etwas eingeschränkt, da Mitarbeitern mit Sonderkündigungsschutz nicht gekündigt werden darf. Generell ist festzuhalten, dass bei geeigneter Gestaltung der Vergleichsgruppen der Mitarbeiter das Unternehmen Gestaltungsspielräume bezüglich der Personalstruktur geschickt nutzen kann.

d)

Freiwilligenprogramm

22 Bei einem Freiwilligen-Programm einigen sich Arbeitgeber- und ArbeitnehmerVertreter auf einen Sozialplan für eine ausgewählte Einheit oder eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern. Häufig wird dieses Programm mit der Annahme eines Quorums verbunden, d. h. mit einer bestimmten Mindestannahmequote durch die Mitarbeiter (siehe § 3 [Gossak]). 23 Jeder Mitarbeiter der ausgewählten Einheit (z. B. Business Unit oder Standort) ist (bis zu einer bestimmten Anzahl oder in einem bestimmten Zeitraum) berechtigt, das Unternehmen zu verlassen. Typischerweise lässt sich diese Maßnahme nach Verhandlung relativ schnell umsetzen; nach unserer Erfahrung bewegt sich der Annahme-Zeitraum häufig in einem Zeitraum von zwei bis sechs Wochen. 24 Um das Angebot attraktiv für die Arbeitnehmer auszugestalten, werden typischerweise relativ hohe Abfindungen angeboten. Die Gesamtkosten der Maßnahme sind davon abhängig, wie viele Mitarbeiter das Angebot annehmen; d. h., im Vorfeld ist die Maßnahme nicht komplett kalkulierbar und steuerbar. 25 Das Risiko des Verlusts von wichtigen Mitarbeitern lässt sich durch die Klausel der „doppelten Freiwilligkeit“ arbeitgeberseitig gut steuern – d. h., dass das Unternehmen immer zustimmen muss, bevor ein Mitarbeiter die Leistungen aus dem Programm erhält und das Unternehmen verlassen kann. Ein Spezialfall der Maßnahme ist ein Freiwilligenprogramm mit Vereinbarung einer sog. „KeyPlayer-Liste“. Beide Verhandlungsparteien einigen sich hierbei, zusätzlich zum eigentlichen Sozialplan, auf eine Liste mit Key-Playern. Diese Mitarbeiter sind explizit vom Sozialplan ausgeschlossen. 26 Optional kann man hierbei auch die Möglichkeit des sog. „Ringtauschs“ vereinbaren. Hierbei kann ein Mitarbeiter, der gerne das Unternehmen verlassen möchte, aber nicht darf, mit einem Mitarbeiter tauschen, der nicht möchte, aber dürfte. 27

Praxishinweis Insgesamt ist die Maßnahme als relativ „geräuschlos“ und sozialverträglich mit hoher sozialer Akzeptanz zu bewerten. Das Prozessrisiko ist bei einem Freiwilligenprogramm als gering einzuschätzen; da das Angebot typischerweise offen für alle Mitarbeiter ist, d. h. es ist weder eine bestimmte Mitarbeitergruppe aus dem Sozialplan ausgeschlossen, noch gezwungen ist, diesen zu akzeptieren.

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II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung

3.

Mitarbeiterbezogene Maßnahmen ohne Verlust des Arbeitsplatzes

a)

Umorganisation/Umzug von Abteilungen

Bei einer Umorganisation bzw. einem Umzug von Abteilungen ziehen die aus- 28 gewählten Abteilungen an einen anderen Standort; jeder Mitarbeiter erhält eine Änderungskündigung mit veränderten Beschäftigungsbedingungen. Die Vorbereitung für diese Maßnahmen dauert relativ lange (bis zu einem Jahr), da eine detaillierte Umzugsplanung für alle ausgewählten Abteilungen vom Arbeitgeber bereitzustellen ist. Die Übernahme von Umzugskosten bzw. Entfernungspauschalen sind durch den 29 Arbeitgeber zu regeln. Insgesamt besteht bei dieser Maßnahme grundsätzlich ein hohes Potenzial zur Mitarbeiterreduktion, wenn viele Mitarbeiter nicht umziehen möchten und daher entweder selbst kündigen oder gekündigt werden können. Es ist jedoch mit hohen Einmalzahlungen (Abfindungskosten) zu rechnen, da 30 jeder Mitarbeiter, der sich weigert umzuziehen, auf eine Abfindung nach Sozialplan klagen kann. Im Vorfeld ist daher die Steuerbarkeit der Maßnahme nicht immer gegeben; abhängig von Entfernung, Attraktivität des neuen Standorts bzw. Ausgestaltung der Kompensation gehen die Mitarbeiter nur in eingeschränktem Umfang an den neuen Standort mit. Bei Umsetzung der Maßnahme besteht nach unserer Erfahrung ein mittleres Pro- 31 zessrisiko, da der Arbeitgeber die Sinnhaftigkeit der Maßnahme klar belegen und begründen muss. Bei einer guten Begründung jedoch ist die Umsetzung ohne große Widerstände möglich. b)

Gründung neuer Standorte

Die Ausgründung einer neuen Gesellschaft mit neuen Betrieben kann entweder 32 an neuen oder an schon bestehenden Standorten erfolgen. Dies ist typischerweise verbunden mit dem Übergang von existierenden Funktionen, Kunden- und Lieferantenverträgen sowie Pensionsverpflichtungen der übergehenden Mitarbeitern auf die neue Gesellschaft. Der Mitarbeiterübergang ist entweder i. R. eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) oder durch Übergang per Positivliste (Namensliste) geregelt. Dadurch ist prinzipiell von einer guten Steuerbarkeit der Maßnahme auszugehen. Bei Widerspruch gegen den Betriebsübergang verbleiben die Mitarbeiter in der 33 Alt-Gesellschaft (Umsetzungsrisiko – ggf. sind dann für die neue Gesellschaft neue Mitarbeiter mit entsprechendem Recruiting-Aufwand zu rekrutieren). Wird diese geschlossen, können die Mitarbeiter (ggf. gemäß Sozialplan) gekündigt werden. Wenn sich die Aufgaben in der neuen Gesellschaft von denen in der alten Gesellschaft unterscheiden, kann ein Betriebsübergang nach § 613a BGB vermieden werden; grundsätzlich ist ein Verkauf bzw. ein Outsourcing als sog. „ringfenced-entity“ einfacher zu gestalten.

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

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Praxishinweis Insgesamt ist bei dieser Maßnahme mit langen Vorlaufzeiten (bis zu einem Jahr) zu rechnen, da eine Vielzahl von operativen Themen zu klären ist (z. B. Gründung, Anmietung, Klärung von Schnittstellen und Prozessen, Mitarbeiterübergang, Kommunikation, Information von Kunden und Lieferanten, Aufsatz interner Systeme, ERP, Datenmigration etc.)

c)

Transfer-Agentur/Transfer-Gesellschaft

35 Ein weiteres wichtiges Element für einen sozialverträglichen Personalabbau ist der Einsatz einer Transfer-Agentur/Transfer-Gesellschaft. Hierdurch lässt sich häufig für die Betroffenen die Vermittlungsquote am Arbeitsmarkt deutlich steigern. Beide Instrumente verfolgen den Zweck, von der Maßnahme betroffene Mitarbeiter wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern bzw. in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Im Rahmen von Verhandlungen sorgt dieser Ansatz oft für positive Innen- und Außenwirkung; häufig kann rasch ein Verhandlungsergebnis erzielt werden und die Umsetzungsgeschwindigkeit des Programms insgesamt gesteigert werden. Zudem wird beim Einsatz dieser Maßnahme die Planungs- und Rechtssicherheit insgesamt erhöht; das Risiko von Kündigungsschutzklagen sinkt (siehe § 23 [Sigle]). 36 Während bei der Transfer-Agentur (TA) die Mitarbeiter üblicherweise während der Kündigungsfrist im Unternehmen verbleiben, scheiden sie bei der TransferGesellschaft (TG) aus dem Unternehmen aus und gehen auf einen neuen Rechtsträger über. Typische Laufzeiten liegen in der Regel bei vier bis sechs Monaten bei der TA und bei zwölf Monaten für die TG (in Ausnahmefällen auch bei 24 Monaten). Die Kosten für die Mitarbeiter der TA liegen meist zwischen 1.500 € und 2.500 € pro Monat plus reguläres Gehalt; im Gegensatz dazu liegen die Kosten für Mitarbeiter der TG normalerweise bei ca. 50 % der Kosten einer regulären Beschäftigung. Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die TA mit einem Zuschuss i. H. von 50 % der Maßnahmenkosten (pro Mitarbeiter jedoch max. 2.500 €). Die TG wird anteilig für bis zu zwölf Monate durch die AfA finanziert, weitere Fördermittel z. B. durch ESF (Europäischer Sozialfonds) sind möglich. d)

Weitere Maßnahmen und Leistungskürzungen

37 Im Folgenden werden weitere Maßnahmen und Leistungskürzungen überblickartig dargestellt. Hierbei unterscheiden wir Maßnahmen mit direkter monetärer Wirkung und Maßnahmen mit arbeitszeitbezogener Wirkung. Da die Maßnahmen selbsterklärend sind, werden sie i. R. einer Checkliste – ohne weitere Erläuterungen – aufgeführt. 38 Maßnahmen mit direkter monetärer Wirkung: x Temporäre Lohnkürzung, x

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unbezahlter Sonderurlaub/Ausweitung Urlaub gegen verzögerten Lohnausgleich, Scholz/Gellrich/Rohrmoser

II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung

Streichung oder Kürzung von Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, sonstige Lohnnebenleistungen, x Betriebsferien statt Kurzarbeit, x temporäres Homeoffice mit gleichzeitigem Lohnverzicht, bzw. Arbeitszeitverdichtung (setzt Betriebsvereinbarung voraus), x Beendigung von Verträgen mit temporären Arbeitskräften/Leiharbeitern/Aushilfen/geringfügig Beschäftigten, x Rückkehrer zeitlich schieben (z. B. bei Mutterschutz, Elternzeit), x Neueinstellungen zeitlich schieben, x keine Übernahme von Azubis, x Absage von Trainings und Ausbildungsmaßnahmen. Maßnahmen mit arbeitszeitbezogener Wirkung: 39 x

x

Kurzarbeit,

x

Abbau von Überstundenkontingenten/Abbau aufgelaufener Ferientage,

x

Abbau von Langzeitarbeitskonten,

x

Arbeitszeiten verlängern ohne Lohnausgleich,

x

temporäre individuelle Arbeitszeitverkürzung (z. B. Verkürzung Tagesarbeitszeit, Sabbatical),

x

Ausweitung von Teilzeitmodellen,

x

temporäre Verkürzung von Kündigungsfristen,

x

Frühpensionierung.

e)

Exkurs: Schutz bzw. Identifikation von Leistungsträgern

Gemäß § 1 KSchG können bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl he- 40 rausgenommen werden, gleichwohl trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Es muss dargelegt werden, dass das betriebliche Interesse an der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers schwerer wiegt als das soziale Schutzinteresse des gekündigten Arbeitnehmers. Besondere Qualifikationen sind Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Unternehmen sonst nicht vorhanden sind und die sich, eigentlich schutzwürdigere Arbeitnehmer, nicht in angemessener Zeit (” 1 Jahr) aneignen können. Aber auch Mitarbeiter mit einem besonderen Kundenkontakt (Netzwerk) oder besonders herausstechender Leistung können die Kriterien erfüllen. 41

Praxishinweis In der Abstimmung mit den Arbeitnehmer-Vertretern ist für jeden identifizierten Key-Player ein Profil zu erstellen, dass u. a. darlegt, warum der Anstellungsbereich für das Unternehmen wichtig ist und warum genau dieser Arbeitnehmer dafür erfolgsrelevant ist.

Scholz/Gellrich/Rohrmoser

31

§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

4.

Überlegungen bezüglich der Maßnahmen-Finanzierung

42 Unternehmen stehen verschiedene Optionen sowie staatliche Fördermittel zur Finanzierung der Restrukturierung zur Auswahl. Im Folgenden gehen wir nur auf staatliche Fördermittel (i. R. der Außenfinanzierung) ein. a)

(Transfer-)Kurzarbeitergeld

43 Transferkurzarbeitergeld (Transfer-KuG) hat das Ziel, Entlassungen von Arbeitnehmern und den Bezug von Arbeitslosengeld zu vermeiden sowie die Vermittlungsaussichten während der Beschäftigung in einer Transfergesellschaft zu verbessern. Ziel ist möglichst der Transfer aus Arbeit in Arbeit („job to job“). Wenn Arbeitnehmer, die von dauerhaft unvermeidbarem Arbeitsausfall mit Entgeltausfall betroffen sind, in eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit des Betriebs oder eine Transfergesellschaft eintreten, wird ihnen daher durch die Bundesagentur für Arbeit Transfer-KuG gewährt. Die Leistung wird von der Bundesagentur für Arbeit erbracht. 44 Anders als beim herkömmlichen KuG muss ein Arbeitnehmer „von einem dauerhaften unvermeidbaren Arbeitsausfall mit Entgeltausfall betroffen sein – bspw. bei der Insolvenz des Arbeitgebers. Erforderlich ist zudem, dass sich der Arbeitgeber und der Betriebsrat von der Bundesagentur für Arbeit vor der Vereinbarung von Transfermaßnahmen beraten lassen. 45 Die Berechnung des Transfer-KuG entspricht dem regulären (konjunkturellen) KuG. Die Bezugsdauer ist auf maximal zwölf Monate begrenzt. (KuG ist erst einmal auf sechs Monate begrenzt, kann dann aber noch einmal um weitere sechs Monate verlängert werden; Transfer-KuG hingegen ist direkt auf zwölf Monate begrenzt). Während des Bezugs von Transfer-KuG muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Vermittlungsvorschläge bezüglich einer neuen Beschäftigung machen (siehe § 23 [Siegle]). b)

Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung

46 Der Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) fördert Qualifizierungen, Beratung und Unterstützung für Personen die arbeitslos geworden sind. Es werden Arbeitnehmer in Europa unterstützt, die ihren Job aufgrund von großen strukturellen Veränderungen verloren haben wie bspw. die Verlagerung von Produktionsstätten außerhalb Europas oder Betriebsschließungen. Voraussetzung ist, dass mehr als 500 Personen in einem Unternehmen gekündigt werden oder in einer Region eine große Zahl an Personen in derselben Branche den Arbeitsplatz verliert. Meist beträgt die Unterstützung bis zu zwei Jahren. Die Mitgliedstaaten der EU können dann finanzielle Unterstützung aus dem EGF beantragen. Damit werden Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung, Mobilitätsbeihilfen oder Unterstützung bei der Arbeitssuche für die Betroffenen gefördert.

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Scholz/Gellrich/Rohrmoser

II. Optionenraum – Möglichkeiten der Personalkostenreduzierung

c)

Europäische Sozialfonds

Der Europäische Sozialfonds (ESF) ist das wichtigste Instrument der EU zur För- 47 derung der Beschäftigung in Europa. Er soll verbesserten Zugang zu Arbeitsplätzen, höher Qualifizierung und verbesserte soziale Integration bieten. Der ESF hat sich zum Ziel gemacht, in Europa bis 2020 die dynamischste und wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaft der Welt zu schaffen. Dafür wird u. a. in Projekte zur Beschäftigungsförderung investiert. 48

Praxishinweis Die Begünstigten können z. B. einzelne Arbeitnehmer, Personengruppen, Industriezweige, Gewerkschaften, öffentliche Verwaltungen oder einzelne Firmen sein.

d) Eingliederungs-Zuschuss Arbeitgeber können einen Eingliederungszuschuss erhalten, wenn sie Arbeitneh- 49 mer mit Vermittlungshemmnissen einstellen, deren Vermittlung wegen in ihrer Person liegenden Umständen erschwert ist. Bei Eingliederungszuschüssen für Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, muss kein Vermittlungshemmnis vorliegen, wenn der Arbeitnehmer vorher mindestens sechs Monate arbeitslos war. Der Zuschuss kann in einer Höhe von bis zu 50 % des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts und bis zu einer Dauer von zwölf Monaten erbracht werden. e) Förderung der beruflichen Weiterbildung Die Bundesagentur für Arbeit fördert Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung 50 für Beschäftigten, deren gegenwärtige Tätigkeit durch Technologien ersetzt werden kann bzw. in sonstiger Weise vom Strukturwandel bedroht wird oder für Beschäftigte, die eine Umschulung anstreben. Für geringqualifizierte Beschäftigte, also Arbeitnehmer ohne (verwertbaren) Be- 51 rufsabschluss, werden dabei bis zu 100 % der Lehrgangs- bzw. Weiterbildungskosten bezahlt und zwar unabhängig davon, ob die Maßnahme innerhalb des Betriebs oder extern stattfindet. Externe Lehrgangs- bzw. Weiterbildungskosten für Beschäftigte, die seit mindestens vier Jahren einen Berufsabschluss haben, werden von der Agentur für Arbeit ebenfalls bezuschusst. Die Höhe des Zuschusses richtet zum einen nach der Personengruppe (z. B. ältere oder schwerbehinderte Beschäftigte), zum anderen nach der Betriebsgröße. Im Ergebnis beträgt der Zuschuss der Agentur für Arbeit in der Regel zwischen 15 % und 100 %. Dabei muss die Maßnahme über eine arbeitsplatzbezogene kurzfristige Anpassungsfortbildung hinausgehen und darf nicht im überwiegenden Interesse des Unternehmens liegen. Unternehmen können diese Förderung somit zum einen nutzen, um Qualifi- 52 zierungslücken ihrer Belegschaft zu schließen, ohne spezifisches Wissen über Produkte oder Kunden zu verlieren. Zum anderen können Weiterbildungen genutzt werden, um Beschäftigte für neue Tätigkeiten außerhalb des Unternehmens vorzubereiten.

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33

§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

53 Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: x Bei Programmen zur Reduktion der Personalkosten haben Entscheider grundsätzlich verschiedene Optionen, die vielfach miteinander kombinierbar sind. x Die Optionen lassen sich entlang der drei Dimensionen Mitarbeiter, Maßnahmen und Finanzierung kategorisieren. x Es gibt bezüglich der Maßnahmenstrukturierung keinen „Königsweg“. Die Kombination der verschiedenen Optionen ist ein komplexer Strukturierungsund Entscheidungsprozess und immer auf die Situation des jeweiligen Unternehmens individuell abzustimmen. III. Plausibilisierung 54 Je nach Krisenstadium (Strategie-, Absatz-, Ertrags-, Liquiditätskrise oder Insolvent) können die vorweg dargestellten Maßnahmen genutzt werden, um proaktiv – bspw. i. R. eines Performance Improvement Programms – oder reaktiv – z. B. i. R. einer Sanierung aus der Insolvenz heraus – zu handeln. 55 Ausgang der Betrachtung sollte ein ganzheitlicher Überblick über die Personalstruktur sowie der finanziellen Lage des Unternehmens sein, um zu bestimmen, ob und in welchem Umfang Restrukturierungsmaßnahmen geboten sind. Insbesondere lässt sich so auch die durchschnittliche Amortisierungszeit feststellen und eine Priorisierung der Maßnahmen ableiten. Nachstehend erfolgt eine Einordnung verschiedener Restrukturierungsmaßnahmen zur nachhaltigen Senkung der direkten und indirekten Personalkosten, anhand der Klassifizierung proaktiv/reaktiv. 1. Indirekte Personalkosten 56 Zu den indirekten Personalkosten bzw. den Personalnebenkosten zählen die gesetzlichen (z. B. Sozialversicherungsbeiträge), tariflichen (z. B. Weihnachtsgelder), freiwilligen und sonstigen (z. B. Weiterbildungen) Personalkosten. Mit diesen Maßnahmen können in aller Regel die Personalkosten gesenkt werden, ohne Zugleich Personalkapazitäten zu reduzieren. Abb. 1: Indirekte Personalkosten

57

Übergeordnete Maßnahme

Beispiel

Kündigung/Neuabschluss von Betriebsvereinbarungen

Kündigung des Tarifvertrags/ Abschluss eines Haustarifvertrags

34

Proaktiv

Reduzierung Zuschläge (z. B. Kantine)

x

Reduzierung Betreuungsaufwand für Gremien

x

Reduzierung freiwillige Leistungen

x

Reduzierung von Sonderzahlungen

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Reaktiv

x

III. Plausibilisierung

2.

Direkte Personalkosten

Zu den direkten Personalkosten zählen die Grundentgelte, variable und leistungs- 58 abhängige Vergütungsbestandteile sowie Zuschläge. Insofern zielen Maßnahmen zur Reduktion der direkten Personalkosten meistens darauf ab, Überkapazitäten zu reduzieren, um so die absoluten Personalkosten zu senken. Vereinzelt gibt es allerdings Maßnahmen, mit denen sich auch die relativen, direkten Personalkosten reduzieren lassen. Dies ist dann der Fall, wenn die Arbeitszeit erhöht oder die Grundentgelte reduziert werden können. Abb. 2: Direkte Personalkosten Übergeordnete Maßnahme

Beispiel

Kündigung des Tarifvertrags/ Abschluss eines Haustarifvertrags

Anpassung des Arbeitsorts/ Reallokation von Personalkapazitäten

Anpassung der Arbeitszeit

Reduzierung der Personalkapazitäten

59

Proaktiv

Reaktiv

Aussetzen von Tariferhöhungen

x

Änderungen der Arbeitszeiterfassung

x

x

Aussetzen/Änderung von Incentives

x

x

Einführung unentgeltliche Mehrarbeit

x

Vereinbaren eines Freiwilligenprogramms

x

x

Einführung Telearbeit

x

x

Dauerhafte Versetzung (auch durch Änderungskündigungen)

x

Förderung von Teilzeit

x

Einführung Kurzarbeit

x

Einführung von dauerhafter Kurzarbeit

x

Einführung Freiwilligenprogramm

x

Förderung von Altersteilzeiten

x

Förderung von Sabbaticals u. Ä.

x

Verhängen von Einstellungsstopps

x

Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen

x

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

IV.

Das Weißbuch als zentrale Dokumentation von Personalabbauprogrammen in Deutschland

1.

Herausforderungen beim Personalabbau

60 Das Ziel, einen geplanten Stellenabbau erfolgreich, reibungslos, schnell und dabei so geräuschlos wie möglich durchzuführen, scheitert in vielen Unternehmen an einer Vielzahl von Faktoren: x

Personalabbau ist keine alleinige Aufgabe des Human-Resources-Bereichs, sondern interdisziplinär aufzusetzen und erfordert die Unternehmensleitung als Treiber der gesamten Maßnahme.

x

Theoretisches Top-down Vorgehen (häufig auf Basis angreifbarer Benchmarks) anstelle von praxisorientiertem Bottom-up-basiertem Vorgehen.

x

Ausschließliche Fokussierung auf einen abstrakten Business Case anstelle der Definition von Maßnahmen mit eindeutiger monetärer Wirkung – nur dann erfolgt Überführung in den Business Case.

x

Restrukturierungserfolg verpufft, da keine Überführung der Maßnahmen in die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) des Unternehmens erfolgt.

x

Kompliziertes und umfangreiches Reporting verführt den Vorstand zum Glauben an „Power-Point-Euros“ anstelle der tatsächlichen mit dem Personalabbau verbundenen Kosten und Einsparungen.

x

Verlust von Transparenz durch Vielzahl von Einzelmaßnahmen.

x

Nicht oder unzureichend synchronisiertes Vorgehen verhindert die Realisierung von Zusatzeffekten.

x

Kein Überblick über die wesentlichen Stellhebel: Gesetzliches monetäres Minimum, Bindungswirkung von Betriebsvereinbarungen, konsequentes Begrenzen von Budgets für Abfindungen etc.

61 Die Beherrschbarkeit dieser Risikofaktoren erfordert ein integriertes Vorgehensmodell, das die Maßnahmenwirksamkeit durch Überführung in die GuV, die Schaffung von Transparenz und Sicherstellung klarer Verantwortlichkeiten bei der Maßnahmenumsetzung in den Vordergrund stellt. 62 Wesentlich für den Erfolg eines Personalabbauprogramms ist das Zusammenspiel zwischen Unternehmen, Restrukturierungsberater und Rechtsanwälten. Verfügt der interne Personalbereich nicht über relevante Erfahrungen in der Durchführung von komplexen Personalrestrukturierungen, so ist zu überlegen, ob man Vorstand und Personalleitung für einen klar begrenzten Zeitraum einen erfahrenen Restrukturierungsexperten als Chief Restructuring Officer (CRO) zur Seite stellt.

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IV. Das Weißbuch als zentrale Dokumentation von Personalabbauprogrammen

63

Praxishinweis Ein wesentlicher Treiber für die Komplexität von Personalabbauprogrammen ist die Frage, ob das Programm auf Deutschland begrenzt ist, oder international ausgerollt wird. Unterschiedliche rechtliche Anforderungen, lokale Spezifika, der Einfluss eines europäischen Betriebsrats, Auswirkungen internationaler Entscheidungen auf lokales Arbeitsrecht, sowie nicht zuletzt Sprachbarrieren und die Zeitzonenproblematik erschweren internationale Abbauprogramme in erheblichem Umfang.

2.

Weißbuch als zentrales Dokument im Personalabbau

a)

Unternehmerische Entscheidung

Ausgangspunkt einer Personalrestrukturierung ist stets die unternehmerische Ent- 64 scheidung durch das Top-Management. Die Entscheidung des Arbeitgebers kann dabei wirtschaftliche, technische, organisatorische und auch personalpolitische Aspekte beinhalten, die ggf. zu einem reduzierten Stellenzielbild führen – allerdings nie die Kündigung selbst. Der Erläuterung dieses Konzepts, z. B. der Begründung, wie durch Entgeltkürzungen betriebsbedingte Kündigungen oder Betriebsschließungen vermieden werden können, kommt entscheidende Bedeutung zu. Der Arbeitgeber hat insofern die finanzielle Situation des Unternehmens bzw. der von der Restrukturierung betroffenen Betriebe, den Anteil der Personalkosten und die Effekte der geplanten Kostensenkungen zu erläutern. Ferner muss dargelegt werden, warum keine anderen als die angestrebten Maßnahmen in Betracht kommen. b)

Erforderliche Maßnahmen

Das Weißbuch deckt zwei Ebenen ab: die strategische Gesamtunternehmensebene 65 und die operative Ebene der einzelnen Einheiten/Abteilungen. Neben der unternehmerischen Entscheidung, dem Anlass der Restrukturierung und der neuen strategischen Ausrichtung werden so sämtliche geplanten Maßnahmen zunächst allgemein auf der Ebene der Unternehmensleitung und später konkretisiert auf den nachgelagerten Ebenen, inklusive der Auswirkung auf jeden betroffenen Mitarbeiter, beschrieben. Egal, ob es sich um eine Fokussierung auf bestimmte Produktbereiche, eine Ausrichtung auf neue Märkte, einen Rückzug aus bestimmten Regionen oder Ländern, Standortschließungen, Aufhebung oder Zusammenlegung bestimmter Einheiten oder Abteilungen, Umorganisationen, Funktionsverlagerungen oder den Abbau von Mitarbeitern quer über alle Standorte und Einheiten handelt – das Weißbuch ist das zentrale Dokument, in dem alle diese Veränderungen/Maßnahmen dokumentiert werden. Dabei ist entscheidend, dass auch auf den nachgelagerten Ebenen für alle Maßnahmen, die Standorte, Einheiten oder Funktionen betreffen, eine stichhaltige wirtschaftliche Begründung durch den Standort- oder Einheitsverantwortlichen aufgenommen wird. Basis für die spätere detaillierte Beschreibung auf Mitarbeiterebene ist zunächst eine detaillierte Analyse der Aktivitäten und bestehenden Funktionsbereiche. Hierbei werden die Kosten je Funktion und Standort ermittelt. Scholz/Gellrich/Rohrmoser

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

66 Basierend auf internen wie externen Benchmark-Vergleichen und Best-PracticeErfahrungen werden organisatorische Optimierungspotentiale ermittelt und nachfolgend über Anpassung und Verteilung der Funktionen bzw. Aufgaben entschieden (Erarbeitung der Aufgaben-Bewegungs-Bilanz, ABB). In diesem Zusammenhang wird auch die Zieldimensionierung für die jeweilige Aufgabe definiert. Im nächsten Schritt erfolgt die Entscheidung, welche Aufgaben zukünftig an welchem Zielstandort erbracht werden. Hieraus lässt sich die Verteilung der Mitarbeiter innerhalb von Aufgaben und Aufgabenclustern auf Standorte final ableiten (Erstellung der Mitarbeiter-Bewegungs-Bilanz, MBB). Die MBB ordnet damit jedem Mitarbeiter eines Nicht-Zielstandorts genau einen Zielstandort zu. Im Nachhinein werden ggf. notwendige Einzelfälle (Abweichungen von der MBB) berücksichtigt. Bei Abweichungen wird eine exakte Begründung anhand der ökonomischen Logik von den beantragenden Führungskräften gefordert. 67

Praxishinweis Aufgabe des Weißbuchs ist es letztendlich damit auch ein Zielbild zu zeichnen, wie das Unternehmen nach der Restrukturierung aussehen soll. Hierzu gehören mindestens Organisations-, Standort- und Funktionenplan, in den meisten Fällen auch noch Transitions- und Stellenplan. Das Weißbuch ist das führende Dokument während der Informations- und der Verhandlungsphase.

3. Strukturierung der Informationsphase 68 In der Informationsphase werden i. R. eines strukturierten und klar getakteten Frage-und-Antwort-Prozesses alle Fragen der Arbeitnehmergremien zu der geplanten Maßnahme auf Basis des Weißbuchs aufgenommen und ausführlich zeitnah beantwortet. Ziel ist es, den Arbeitnehmergremien die geplanten Maßnahmen verständlich und nachvollziehbar zu erläutern und so eine valide Basis für die nachfolgende Verhandlungsphase zu schaffen. Diese Phase wird durch eine kontinuierliche und professionelle Kommunikation mit den Arbeitnehmern begleitet. Grundsätzlich steht den Arbeitnehmer-Vertretern nach Übergabe des Weißbuchs die Möglichkeit für Fragen und Klärung offener Punkte zu. Üblicherweise werden dafür drei offizielle Frage- und Antwortrunden seitens des Arbeitgebers angeboten und auch so von der Arbeitnehmer-Seite akzeptiert. Die Dauer einer Fragerunde wird für gewöhnlich mit 14 Tagen vom Eingang der Fragen bis zur persönlichen Besprechung der Antworten mit den Betriebsräten und weiteren Arbeitnehmer-Vertretern (wenn benötigt) festgesetzt. Zur Beantwortung der Fragen empfiehlt es sich, auf Arbeitgeber-Seite ein dediziertes Team zu bilden und dies bei Bedarf um Fach-Experten zu erweitern. Die Einhaltung der Prozesstreue sowie die Sammlung und Aufbereitung aller Fragen und Antworten kann durch das zentrale Projektmanagement-Büro sichergestellt werden. 4. Systematische Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen 69 Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmer-Vertretern erfolgen in der Regel mit einem gemischten Team, bestehend aus mandatierten Vertretern der Arbeitgeber38

Scholz/Gellrich/Rohrmoser

IV. Das Weißbuch als zentrale Dokumentation von Personalabbauprogrammen

Seite, externen Managementberatern und Arbeitsrechtlern. Die ArbeitgeberSeite sollte Ort, Zeit und Ablauf der Verhandlungen festlegen und mit dem Betriebsrat Vereinbarungen über die gemeinsame Mitarbeiterinformation oder die Hinzuziehung externer Rechtsbeistände treffen. Möchte auch der Betriebsrat wirtschaftliche und rechtliche Berater hinzuziehen, muss er diese dem Arbeitgeber im Vorfeld anzeigen. Der Arbeitgeber kann dabei u. U. Einfluss auf die Auswahl der externen Berater nehmen, z. B. bei einer unverhältnismäßig hohen und nicht marktgerechten Kostenplanung, denn über das Budget für die Berater des Betriebsrats muss Einigkeit bestehen. Im Vorfeld der tatsächlichen Verhandlungen werden von Arbeitgeberseite die spe- 70 zifischen Verhandlungsbausteine definiert und bewertet. Gemeinsam mit der Unternehmensleitung werden mögliche Handlungsspielräume in der Maßnahmengestaltung vereinbart. Dabei sind – i. S. eines schnelleren Verhandlungsabschlusses – auch gleich die absoluten „No Gos“ im Vorfeld zu definieren, d. h. die Themen, die nicht verhandelbar sind bzw. die Maßnahmen, auf die nicht verzichtet werden kann. Hierzu kann z. B. die maximale Höhe des für Restrukturierungsmaßnahmen zur Verfügung stehenden Budgets zählen. Um Diskussionen hierüber vorzubeugen kann der finanziell und wirtschaftlich vertretbare Rahmen bereits im Vorfeld durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft festgestellt werden. Sind der grundsätzliche Verhandlungsrahmen sowie die wesentlichen Verhandlungsbausteine durch die Arbeitgeberseite festgelegt, erfolgt i. R. von Management-Meetings pro Baustein die Ausgestaltung der minimalen und maximalen Verhandlungsposition, die Definition des Gesamtangebots und (sofern nicht vorab als Rahmenparameter definiert) des maximalen Budgetrahmens für die Verhandlungen. 5.

Übersicht der Verhandlungsbausteine

Grundsätzlich lassen sich die wesentlichen Verhandlungsbausteine bei Perso- 71 nalabbauprogrammen in die beiden Kategorien Transfer (Umzug) und Exit (Ausstieg aus dem Unternehmen) unterscheiden. Die transferbezogenen Maßnahmen setzen sich aus den Bausteinen „Umzug“, 72 „Mobilität“ und „Sonstige“ zusammen. x Wesentliche Gestaltungsparameter für den Baustein „Umzug“ sind der zu gewährende Betrag, der Gewährungszeitraum, die Zahlungsmodalität sowie ggf. anfallende weitere Umzugsunterstützung. x Für den Baustein „Mobilität“ lassen sich die Höhe und Auszahlungsdauer des Mobilitätsbetrags sowie die ggf. später erfolgende Anrechnung gegen eine Umzugspauschale als wesentliche Gestaltungsparameter identifizieren. x Als „Sonstige“ Bausteine sind vor allem die Elemente Qualifizierung und Telearbeit zu nennen. Qualifizierungsmaßnahmen sind vor allem anzusetzen, wenn es aufgrund von Verschiebungen in der Aufgaben-Bewegungs-Bilanz (ABB) oder der Mitarbeiter-Bewegungs-Bilanz (MBB) zu Know-how-Lücken kommt und diese durch entsprechende Trainings abgefedert werden können. Scholz/Gellrich/Rohrmoser

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

73 Die exit-bezogenen Maßnahmen setzen sich aus monetären Bausteinen (Abfindungen), den Bausteinen „Arbeitszeit“ (im Wesentlichen Maßnahmen zur Altersteilzeit und Vorruhestand) sowie sonstigen Maßnahmen (Qualifizierung, Outplacement und einer möglichen Transfergesellschaft) zusammen: x Im „monetären Bereich“ liegt der Schwerpunkt auf der Ausgestaltung der Abfindungen. Arbeitgeberseitige Flexibilität besteht vor allem in der Definition des (absoluten) Deckelbetrags und der Gestaltung der Abfindungsformel. Zudem kann eine Deckelung der Abfindungen auf einen Maximalbetrag vereinbart werden. Auf Abfindungen entfallen keine Sozialabgaben. x Die beiden wesentlichen Elemente des Bausteins „Arbeitszeit“ sind die Ausgestaltung von Altersteilzeit- und Vorruhestands-Modellen. Bei der Einführung von Altersteilzeit ist vor allem zu definieren, ab welcher Jahrgangsstufe der Berechtigungskreis beginnt und zu welchem Zeitpunkt frühestens der Eintritt in die Passivphase des Modells möglich ist. Bei Vorruhestandsregelungen ist entsprechend festzulegen, zu welchem Zeitpunkt Anspruchsberechtigte mit welchem prozentualen Abschlag auf ihre bisherigen Bezüge in den Genuss des Modells kommen können. Zu klären ist hier auch, ob die Administration der Altersteilzeit über einen externen Anbieter erfolgen kann. x Im Rahmen der „sonstigen“ Bausteine ist für das Element Outplacement zu klären, welche Outplacement-Beratung gewählt werden soll und wie das Beratungsangebot zu gestalten ist. Besondere Berücksichtigung sollte in diesem Zusammenhang auch die Prüfung der Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer Transfergesellschaft finden. 6. a)

Erfolgsfaktoren bei komplexen Personalabbauprogrammen Datentransparenz

74 Entscheidend für den Erfolg von Personalabbauprogrammen ist die Sicherstellung umfassender Planungssicherheit durch die ständige Verfügbarkeit aller relevanten Informationen. Die frühzeitige Ermittlung der mit der Maßnahme verbundenen Restrukturierungskosten, jederzeitige Transparenz über Rückstellungsbedarfe, der Forecast von Bilanzpositionen sowie die Simulation der CashOut-Planung sichern der Arbeitgeberseite die erforderliche finanzielle Transparenz. In diesem Zusammenhang sollte sich jedes von einem Personalabbau betroffene Unternehmen folgende kritische Fragen stellen: x Verfügt das Unternehmen über die erforderliche Datentransparenz, um fundierte Entscheidungen treffen zu können und gleichzeitig kritischen Fragen der Arbeitnehmerseite Stand zu halten? x

40

Sind die entsprechenden finanzwirtschaftlichen Modelle etabliert, um die erforderliche Transparenz und Planungssicherheit erreichen zu können (z. B. automatisierte Kalkulation der Restrukturierungskosten inkl. Break-EvenAnalyse, Modellierung von Rückstellungen und Verbindlichkeiten)?

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IV. Das Weißbuch als zentrale Dokumentation von Personalabbauprogrammen

x

Sind alle Methoden und Tools vorhanden und anwendbar, um während der Planungs- und Verhandlungsphase jederzeit auf Kopfdruck auskunftsfähig zu sein (z. B. monetäre Bewertung unterschiedlicher Verhandlungsparameter, automatisierte Sozialplansimulation)?

x

Sind die Schnittstellen zwischen HR und Finance, Accounting und Controlling abgedeckt und etabliert und damit die laufende Verbindung zu Finanzplanung und GuV sichergestellt?

b)

Einbindung der Interessengruppen

Ein hauptsächlicher Erfolgsfaktor für alle Restrukturierungsaktivitäten ist der intensive Umgang mit den unterschiedlichen Interessengruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Vor allem hier kommt der Kompetenz und neutralen Position von externen Beratern und Arbeitsrechtlern entscheidende Bedeutung zu. Externe Berater sind in der Lage, den nötigen Druck aufzubauen, um die verschiedenen Betroffenen an einen Tisch zu bringen bzw. in die erforderlichen Maßnahmen aktiv oder zumindest informativ einzubinden. Bei Personalabbaumaßnahmen stehen dabei besonders folgende Interessengruppen im Fokus: Mitarbeiter, Betriebsrat und Gewerkschaft, Politik und Medien. Die Mitarbeiter sind (nach der offiziellen Bekanntgabe der unternehmerischen Entscheidung) frühzeitig in die aktive Kommunikation bezüglich Zielen und Zeithorizonten einzubeziehen, da sie in der Regel die Situation zumindest erahnen und sich ob ihrer persönlichen Konsequenzen im Ungewissen befinden. Die Notwendigkeit von möglicherweise harten Schritten ist zeitnah, präzise und transparent zu kommunizieren. Es muss Klarheit herrschen, welche Leistungsträger das Unternehmen auf jeden Fall halten möchte, damit deren Abwanderung bestenfalls verhindert werden kann. Kürzungen bei Gehältern und Sozialleistungen sowie Forderungen nach Mehrarbeit sind sinnvoll zu begründen und offen zu kommunizieren. Können die Mitarbeiter von der Sinnhaftigkeit der arbeitgeberseitig getroffenen Entscheidungen überzeugt werden, so werden sie der Restrukturierung nicht mit massivem Widerstand begegnen – sondern sie sogar bestenfalls aktiv begleiten und vorantreiben. Bei aller Härte, die mit einer Restrukturierung zwangsläufig verbunden ist, zahlt sich Offenheit und Ehrlichkeit der Unternehmensleitung gegenüber Arbeitnehmervertretern und Mitarbeitern mittel- und langfristig immer aus. Betriebsrat und Gewerkschaft sind ebenfalls frühzeitig einzubeziehen. Sie müssen von der Notwendigkeit harter Maßnahmen überzeugt werden, um die Restrukturierung von der Mitarbeiterseite her weiter zu unterstützen. Es gilt, Interessenkonflikte zwischen lokalen und überregionalen Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten oder – bei internationalen Konzernen – unterschiedlichen Ländergewerkschaften zu berücksichtigen und zu moderieren. Ein nicht unwesentlicher Faktor kann die Politik sein. Städte und Gemeinden, in denen das Unternehmen aktiv ist, sollten nicht erst aus den Medien erfahren, dass Scholz/Gellrich/Rohrmoser

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§ 2 Case Study zur Planung personalwirtschaftlicher Maßnahmen in der Krise

eine umfangreiche Restrukturierung ansteht. Das Gespräch mit Lokal- und Regionalpolitik, Industrie- und Handelskammern und Verbänden sowie den relevanten Ämtern sollte frühzeitig aktiv gesucht werden. Hat das Unternehmen Größe und Bedeutung über die Region hinaus und geht es darum, möglicherweise öffentliche Fördergelder in Anspruch zu nehmen, muss ebenso aktiv und frühzeitig auf das Wirtschaftsministerium des jeweiligen Bundeslandes zugegangen werden. 79 Nicht zu unterschätzen in einem Restrukturierungsprozess ist der Einfluss der Medien. Niemand liest gerne in der Zeitung über seine Probleme. Mit einer aktiven und frühzeitigen, vor allem aber stimmigen und umfassenden Informationspolitik, kann die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Darstellung der Unternehmenssituation erhöht werden. Kritik ist damit nicht ausgeschlossen, jedoch sichert sich die Unternehmensleitung damit wesentlichen Einfluss auf Kommunikation- und Kommunikationsfluss. Ansonsten versorgen sich die Medien mit Informationen aus Zweit- und Drittquellen, sodass von Anfang an ein verzerrtes Bild der Situation und der geplanten Schritte entstehen kann. Mit systematischer und – soweit möglich – offener Kommunikation lässt sich Vertrauen gewinnen – so weit, dass lokale Medien die erforderlichen Maßnahmen i. S. der regionalen Arbeitsplatzsicherung sogar unterstützen. 80 Vor der öffentlichen Bekanntmachung ist genau zu überlegen, wer, wann, wo und wie informiert wird. Um unnötigen Widerständen aus persönlicher Verärgerung heraus vorzubeugen, ist bspw. darauf zu achten, dass wichtige Stakeholder wie Aufsichtsrat, Gewerkschaft, Betriebsrat und Politik vor der offiziellen Pressemitteilung und der Mitarbeiterversammlung informiert werden. Darüber hinaus ist gerade in internationalen Konzernen zu entscheiden, welcher Informationsgehalt global, auf europäischer Ebene, national und lokal freigegeben wird. V.

Fazit

81 Der Erfolg von Personalabbauprogrammen in Deutschland hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die umfassende Kenntnis über kurz- bis langfristig anwendbaren Hebel und möglichen Maßnahmen, alternative und innovative Lösungen sowie die verfügbaren Fördermöglichkeiten, erleichtern es Unternehmen, Personalanpassungen auch außerhalb der klassischen Restrukturierung durchzuführen. Gerade in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums ist die Vorbereitung auf einen zu erwartenden zukünftigen gesamtwirtschaftlichen Abschwung, die personelle Anpassung aufgrund laufender Optimierungen, bzw. Auswirkung der Digitalisierung ein Standardprogramm im Baukasten jedes CEOs. Diese Programme möglichst geräuschlos, effizient und sozialverträglich durchzuführen erfordert eine sorgfältige Vorbereitung (z. B. mittels des Weißbuchs), die jederzeitige finanzielle Transparenz über die mit der Restrukturierung verbundenen Kosten, Rückstellungen, Cash-OutPlanung sowie eine Optimierung der Sozialauswahl. Darüber hinaus erfordern Personalanpassungen umfangreiche interne und externe Kommunikationsprogramme sowie die enge und partnerschaftliche Einbindung der Sozialpartner. 42

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Teil II Operative personalwirtschaftliche Sanierung außerhalb der Insolvenz Einführung der Herausgeber Transformation und Restrukturierung vor der Liquiditätskrise und ggf. notwendiger Insolvenz stehen heute im Mittelpunkt der personalwirtschaftlichen Sanierungspraxis. Dem widmet sich der II. Teil des Buches. Transformation ist dabei nicht lediglich ein „Euphemismus“ zur Restrukturierung, sondern ein viel umwälzender, von Disruption und kompletter Anpassung des Geschäftsmodells geprägter Prozess.

§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise: Freiwilligen- und Anspracheprogramme, Vorschaltevereinbarungen zur Kündigungsvermeidung

Gossak

Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme......................................... 8 1. Praktischer Bedarf ............................ 11 2. Angebotsverfahren ........................... 12 3. Strategische Gestaltung einer Personalmaßnahme mit „Vorschaltevereinbarungen“ .................... 23 4. Rechtliche Aspekte von Freiwilligenprogrammen.............................. 32 5. Kollektivrechtliche Aspekte ............ 35 6. Sozialversicherungsrechtlicheund steuerliche Folgen ..................... 43

7. III. IV. 1. 2. 3. V. VI.

Umsetzung und Kommunikation ................................................ 48 Aufhebungsvertrag und Insolvenzrisiko......................................... 52 Rücktritt vom Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich......... 60 Anwendbarkeit des § 323 BGB ....... 60 Besonderheiten in der Insolvenz..... 64 Fristsetzung ...................................... 71 Rechtsfolgen des wirksamen Rücktritts ......................................... 72 Möglichkeiten der Vertragsgestaltung......................................... 79

Literatur: Abele, Kein Rücktritt vom Aufhebungsvertrag nach Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, NZA 2012, 487; Bauer, Neue Spielregeln für Aufhebungsund Abwicklungsverträge durch das geänderte BGB, NZA 2002, 169; Besgen/Velten, Der Rücktritt vom Aufhebungsvertrag in der Insolvenz, NZA-RR 2010, 561; Göpfert, Business Transformation – die Anpassung des Geschäftsmodells arbeitsrechtlich begleiten, ZIP 2016, 803; Huber, Gegenseitige Verträge und Teilbarkeit von Leistungen in der Insolvenz, NZI 2002, 467; Meyer/Röger, Freiwillige vor? Rechtliche und strategische Aspekte von Freiwilligenprogrammen beim Personalabbau, NZA-RR 2011, 393; Reinfelder, Der Rücktritt von Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich, NZA 2013, 62; Völksen, Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei interessensausgleichspflichtigen Betriebsänderungen – Entscheidungshilfe aus Erfurt?, RdA 2010, 354.

I.

Einführung

Der Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen erfolgt auch in Krisen- 1 zeiten oftmals nur als letztes Mittel zur Personalreduzierung und zwar dann, wenn mit einem dauerhaften Beschäftigungsrückgang zu rechnen ist. Kündigungen werden zudem ganz allgemein als stigmatisierend empfunden und deshalb nur ausgesprochen, wenn andere Maßnahmen zur substantiellen Kostenanpassung vollständig ausgeschöpft sind. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen mittels betriebsbedingter Kündigung von Teilen der eigenen Stammbelegschaft wird sich zumeist als die risikoreichste sowie zeit- und kostenintensivste Handlungsalternative zur Umsetzung einer erforderlichen Personalrestrukturierung darstellen. Bei reinen konjunkturellen Schwankungen kommt neben der Möglichkeit zur 2 Anordnung von Betriebsferien im Krisenzeitraum zunächst auch eine intensive Nutzung flexibler Arbeitszeitmodelle in Betracht: In konjunkturellen „Hochzeiten“ wird mehr gearbeitet und ein Arbeitszeitguthaben erworben, welches dann Gossak

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

in Krisenzeiten wieder abgebaut werden kann. Da das Arbeitsentgelt regelmäßig jeden Monat in unveränderter Höhe anfällt, bringen flexible Arbeitszeitmodelle zwar keine unmittelbare finanzielle Entlastung für den Arbeitgeber. Flexible Arbeitszeitmodelle haben allerdings den großen Vorteil, sehr kurzfristig und anpassungsfähig auf Schwankungen beim Arbeitsanfall reagieren zu können. 3 Bei nur zeitweiligem Beschäftigungsmangel sollte vorrangig geprüft werden, ob im gesamten Betrieb oder in einzelnen Abteilungen zunächst Kurzarbeit zur vorübergehenden Absenkung der Arbeitszeit eingeführt oder mit einzelnen Mitarbeitern ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitraum oder die Gewährung von unbezahltem Langzeiturlaub oder einem Sabbatical vereinbart werden kann. In diesen Fällen bleiben die Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum dem Unternehmen fern, obgleich damit das Beschäftigungsverhältnis nicht beendet wird. Wird das Ruhen des Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitraum vereinbart, ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitserbringung verpflichtet und erhält deshalb andererseits grundsätzlich auch keine Vergütung. Sofern sich der Beschäftigungsbedarf im Unternehmen wieder erhöht, stehen diese Mitarbeiter ohne längere Einarbeitungszeiten wieder zur Verfügung. 4 Ist es jedoch geboten, den Personalbestand dauerhaft zu reduzieren, müssen Beschäftigungsverhältnisse beendet werden. Bevor die eigene Stammbelegschaft reduziert wird, werden nach dem Prinzip der ultimo ratio zunächst Leiharbeiter freizusetzen sein. Befristete Arbeitsverträge werden nicht (mehr) verlängert. In Betracht kommen ferner der Abschluss von Altersteilzeitvereinbarungen sowie die Einrichtung einer Transfergesellschaft. 5 Kommt die Arbeitgeberseite zu der Prognose, dass der Beschäftigungsmangel dauerhaft oder zumindest für eine unüberschaubar lange Zeitdauer bestehen wird und entschließt sie sich zur Personalreduzierung mittels betriebsbedingter Kündigungen, ist bei Überschreiten des Schwellenwerts in § 23 Abs. 1 KSchG sowie nach Erreichen der sechsmonatigen Wartezeit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG das KSchG anzuwenden. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. 6 Praxishinweis Die betrieblichen Erfordernisse müssen zu einer Unternehmerentscheidung führen, aufgrund derer der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers wegfällt. Wie bei allen Kündigungen ist weiterhin i. R. der ultima ratio die Möglichkeit einer Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen zu prüfen.1)

7 Zudem hat der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchzuführen, § 1 Abs. 3 KSchG. Dabei geht es nicht mehr um die Frage, ob gekündigt werden darf, sondern wem gegenüber der Arbeitgeber die Kündigung auszusprechen hat. Im Rahmen der für eine betriebsbedingte Kündigung erforderliche Sozialauswahl sind derzeit ins___________ 1) Oetker in: ErfK, § 1 KSchG Rz. 245 ff.

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II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme

besondere die Kriterien Alter bzw. die Bildung von Altersgruppen in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten und stellen für den Arbeitgeber, der eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen möchte, erhebliche Risikofaktoren dar. II.

Freiwilligen- und Anspracheprogramme

Der Nachweis, dass Beschäftigungsmöglichkeiten im Falle komplexer, mitunter 8 aus vielen Einzelmaßnahmen bestehender Personalabbauprogramme entfallen, bleibt in der Praxis somit schwierig. Gerade bei großen Belegschaften mit einer Vielzahl vergleichbarer Arbeitnehmer sind die Risiken einer Sozialauswahl nur schwer zu kontrollieren. Führt der Arbeitgeber keine oder keine ausreichende Sozialauswahl durch, so ist die Kündigung trotz dringender betrieblicher Erfordernisse sozialwidrig und damit unwirksam.2) Das Unternehmen kann daneben aus ganz unterschiedlichen Gründen ein besonderes praktisches Interesse daran haben, eine Kündigung zu vermeiden und den Personalabbau durch eine strategische Gestaltung von Aufhebungsverträgen i. R. von Freiwilligenprogrammen bzw. „vorgeschalteten“ Freiwilligenprogrammen umzusetzen.3) 9

Praxishinweis Ein Freiwilligenprogramm hat in der Praxis folgende Vorteile: Scheiden Mitarbeiter freiwillig, einvernehmlich und mit maßgeschneiderten Konditionen aus, lässt sich der Personalabbau gegenüber der Belegschaft und Öffentlichkeit leichter rechtfertigen. Der Abbau geht schnell und lässt sich zeitlich und – jenseits der Sozialauswahl – sogar inhaltlich steuern. Durch den Abschluss einvernehmlicher Aufhebungsverträge kann das Unternehmen die rechtlichen Risiken von betriebsbedingten Kündigungen umgehen.

Erreicht der Arbeitgeber seine Personalabbauziele nicht bereits durch Abschluss 10 von in der Regel attraktiv dotierten freiwilligen Ausscheidevereinbarungen mit wenigstens einem Teil der Arbeitnehmer („Freiwilligen- und Anspracheprogramme“), so kann er im Anschluss daran – ergänzend – immer noch betriebsbedingte Kündigungen zum Erreichen der Abbauziele aussprechen. Hierzu schließen die Betriebsparteien häufig eine sog. „Vorschaltevereinbarung“, in der geregelt wird, dass betriebsbedingte Kündigungen zur Erreichung der Abbauziele erst nach Ablauf eines festgelegten Zeitraums erfolgen dürfen, in dem ein „vorgeschaltetes Freiwilligenprogramm“ durchgeführt wurde. Für die Dauer des Freiwilligenprogramms wird der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen dann ausgesetzt (siehe § 3 [Gossak] sowie § 4 [Göpfert/Lutzenberger]). 1.

Praktischer Bedarf

Aufhebungsverträge sind bereits aus Gründen der Rechtssicherheit ein geeignetes 11 Mittel, um die Unwägbarkeiten des § 1 KSchG in Bezug auf die soziale Recht___________ 2) BAG, Urt. v. 17.1.2002 – 2 AZR 15/01, DB 2003, 50. 3) Göpfert, ZIP 2016, 803.

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

fertigung einer Kündigung und die sich hieraus ergebenden rechtlichen und finanziellen Risiken einer Kündigungsschutzklage zu vermeiden. Schließlich können auch bestehende Beschäftigungsgarantien den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen verhindern oder erschweren, so dass ein zu Personalabbaumaßnahmen gezwungenes Unternehmen zwangsläufig auf freiwillige Vereinbarungen ausweichen muss. Auch bei Unternehmen, die wegen ihrer Unternehmenskultur in besonderer Weise im Fokus der Öffentlichkeit stehen, werden häufig gesteigerte Anforderungen an eine sozialverträgliche Umsetzung einer Personalabbaumaßnahme gelegt, die betriebsbedingte Kündigungen als nicht opportun ausschließen. Diese unternehmenspolitischen Erwägungen zwingen dann bereits aus Imagegründen den Arbeitgeber dazu, bei der Planung eines Personalabbaus den Weg über den Abschluss von freiwilligen Aufhebungsverträgen suchen. 2.

Angebotsverfahren

12 In der Praxis werden Aufhebungsverträge zur Kündigungsvermeidung regelmäßig i. R. von Freiwilligen- und Anspracheprogrammen angeboten. 13

Praxishinweis Die Kriterien, wann der Arbeitgeber den Wunsch eines Mitarbeiters, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, ablehnen darf, sollten möglichst konkret beschrieben werden. Dann kann auch der Mitarbeiter für sich prüfen, ob er zu der Gruppe der „Berechtigten“ zählt. Möglich ist auch, den sachlichen Anwendungsbereich des Freiwilligenprogramms auf bestimmte Betriebe, Abteilungen oder Hierarchieebenen zu beschränken, um so den Personalabbau zu steuern. Zwischen den Betriebsparteien kann auch eine (oftmals vertrauliche) „Leistungsträgerliste“ vereinbart werden, in der diejenigen Arbeitnehmer aufgeführt sind, die im Unternehmen verbleiben sollen und mit denen kein Aufhebungsvertrag geschlossen wird. Denkbar und vom Unternehmen regelmäßig favorisiert ist die Vereinbarung eines „doppelten Freiwilligkeitsvorbehalts“. Dabei wird der Abschluss eines Aufhebungsvertrags unter den Vorbehalt einer „doppelten Freiwilligkeit“ gestellt, wobei ein freiwilliges Ausscheiden durch Aufhebungsvertrag nur zu Stande kommt, wenn sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber hiermit einverstanden sind, ohne dass der Arbeitgeber seine Ablehnung im Einzelfall objektiv nachprüfbar begründen muss.

14 In der Sache geht es darum, geeignete Anreize zum freiwilligen Ausscheiden einer bestimmen Anzahl von Arbeitnehmern bzw. einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern zu bieten („Freiwilligenprogramm“) oder aber ein vom Arbeitgeber gesteuertes Verfahren anzuwenden, bei dem die Initiative zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber ausgeht, indem er einen oder mehrere konkrete Arbeitnehmer gezielt auf ein freiwilliges Ausscheiden anspricht („Anspracheverfahren“). In beiden Konstellationen soll der Personalabbau i. R. von Freiwilligkeit möglichst planbar, also rechts- und kostensicher gestaltet werden. 15 Kerngegenstand solcher Freiwilligen- und Anspracheprogramme ist dabei regelmäßig ein Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer, der für sein schnelles und

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II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme

freiwilliges Ausscheiden ein gegenüber einer einseitigen Kündigung attraktiveres „Abfindungspaket“ erhält. 16

Praxishinweis Damit das Freiwilligenprogramm schnelle Erfolge erzielen und das Unternehmen die geplanten Reorganisationsmaßnahmen zeitnah und ohne lange Überlegungen der Arbeitnehmer umsetzen kann, empfehlen sich zeitlich abgestufte Turboprämien, die schnelle Entscheidungen der Mitarbeiter zusätzlich belohnen.

Das Abfindungspaket soll die vom Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer ent- 17 weder zu einer Eigenkündigung oder zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit zuvor feststehenden Konditionen motivieren. In all diesen Fällen geht die Initiative für eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber aus. 18

Praxishinweis Dabei muss sich das Unternehmen allerdings bewusst sein, dass Leistungsträger und junge, flexible Arbeitnehmer mit guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt eher bereit sind, eine Aufhebungsvereinbarung abzuschließen. Da sie häufig dem Betrieb noch nicht lange angehören, haben sie vielfach eine geringere emotionale Bindung an das Unternehmen. Es werden sich deshalb viele Mitarbeiter für eine Aufhebungsvereinbarung entscheiden, die der Arbeitgeber eigentlich halten will.

Beim Freiwilligenprogramm wird in der Regel allen Beschäftigten oder einer 19 bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern bis zum Erreichen des Abbauziels, welches bis zu einem bestimmten Stichtag erreicht werden soll, die Möglichkeit zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages auf Basis eines vorverhandelten Abfindungspaktes angeboten, ohne dabei eine Vorentscheidung in Bezug auf den konkreten einzelnen Arbeitnehmer getroffen zu haben. Wird das Freiwilligenprogramm unternehmensseitig als völlig offenes Verfahren ausgestaltet, spricht man von einem „offenen Angebotsverfahren“. Ein solches offenes Angebotsverfahren, das allen Arbeitnehmern gleichermaßen den Zugang zu dem Abfindungspaket einräumt, dürfte dabei nur in Ausnahmefällen, insbesondere in Fällen einer geplanten Betriebsstilllegung, ein geeignetes Mittel sein. 20

Praxishinweis Die Situation, dass die Zahl der Freiwilligen die Zahl der abzubauenden Arbeitsplätze erheblich übersteigt, kommt in der Praxis immer wieder vor. Deshalb ist es vor allem beim offenen Angebotsverfahren wichtig, das Programm zahlenmäßig und zeitlich zu begrenzen. Laufzeit des Programms und Inkrafttreten (Stichtagsregelung, Erreichen der Abbauzahlen) sind dabei exakt festzulegen. Anderenfalls muss das Unternehmen möglicherweise zu viele Mitarbeiter mit Abfindung gehen lassen und ist anschließend gezwungen wieder neue Arbeitskräfte zu rekrutieren. Es sind Kriterien zu vereinbaren, wann das Unternehmen dem Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen zustimmt. Dabei sollte das Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“ (siehe unten Rz. 32) beachtet werden.

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

21 Bedingungen der Aufhebungsvereinbarungen sind zu regeln, insbesondere x

Beendigung mit/ohne Einhaltung der Kündigungsfrist

x

Abfindungsformel

x

sonstige Leistungen (z. B. Qualifizierungsangebote, Newplacement-Beratung),

x

Vereinbarung von „Turboprämien“,

x

Ausgleich für eine etwaige Sperrzeit beim Arbeitslosengeld,

x

ggf. Ausgleich etwaiger Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung.

22 Wenn die Intention des Unternehmens darin besteht, den Personalabbau auf bestimmte defizitäre Geschäftsbereiche, Abteilungen oder bestimmte Positionen mit einem Personalüberhang zu beschränken, ist es sinnvoller, von vornherein festzulegen, bei welchen konkreten Positionen in welcher Anzahl ein freiwilliger Abbau erfolgen soll („selektives Angebotsverfahren“). Eine häufig in Freiwilligen- oder Anspracheprogrammen genutzte Variante besteht darin, dass die auf ein freiwilliges Ausscheiden angesprochenen Arbeitnehmer zwar grundsätzlich den Abschluss eines Aufhebungsvertrags verlangen können, der Arbeitgeber dieses Ansinnen jedoch bei Vorliegen bestimmter Qualifikationskriterien („Skills“), die im Voraus vom Unternehmen konkret festgelegt werden, ablehnen kann („eingeschränktes Angebotsverfahren“).4) 3.

Strategische Gestaltung einer Personalmaßnahme mit „Vorschaltevereinbarungen“

23 Wichtig ist es, Freiwilligenprogramme in ein umfassendes Personalabbaukonzept einzubinden und auch die Höhe des Abfindungspakets richtig zu budgetieren. 24

Praxishinweis Der Erfolg des Freiwilligenprogramms hängt ganz entscheidend davon ab, dass der Arbeitgeber bereits im Planungsstadium die strategischen Weichen richtig gestellt hat. Zunächst ist es wichtig, durch eine klare Kommunikation einen konkreten Bezug zu den „Betroffenen“ herzustellen. Bei der richtigen Budgetierung des Abfindungspaketes kann zunächst die Historie im eigenen Unternehmen oder Konzern eine Rolle spielen. Gab es bereits in der Vergangenheit vergleichbare Programme, sollte der Arbeitgeber auch in finanzieller Hinsicht an diese anknüpfen. Denn Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften vergleichen das Abfindungsniveau sofort mit dem aus zurückliegenden Programmen und bemessen daran seine Attraktivität. Auch Vergleichswerte aus der Branche sind zu berücksichtigen. Gerade hier zeigt sich, dass Mitarbeiter und Arbeitnehmervertretungen sehr gut vernetzt und informiert sind und für ihre Entscheidung sofort Vergleichsdaten parat haben.

___________ 4) Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394.

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II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme

Die Praxis zeigt nämlich, dass viele Arbeitnehmer ohne eine konkrete Betrof- 25 fenheit von einem Personalabbau oftmals trotz attraktiver Dotierung des Abfindungspakts häufig nicht bereit sind, freiwillig einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zuzustimmen. Insbesondere bei einem (offenen) Freiwilligenprogramm zur Absenkung der Personalgröße wird man betroffene Arbeitnehmer allenfalls dann für ein Ausscheiden motivieren können, wenn das Abfindungspaket besonders attraktiv dotiert ist oder wenn man bei der Auswahl der Arbeitnehmer, die man i. R. eines Anspracheverfahrens anspricht, nicht besonders wählerisch ist. Die konkrete Betroffenheit kann dabei insoweit hergestellt werden, als mit dem 26 Betriebsrat bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt i. R. von konkreten Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans (§§ 111 ff. BetrVG) die Reduzierung der Personalbestands etwa auf Grundlage einer geplanten Massenentlassung verhandelt oder zumindest informell vorbesprochen wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Unternehmen die reduzierte Personalgröße nicht vollständig erreicht oder aber überwiegend diejenigen Arbeitnehmer nicht erreicht werden, von denen sich der Arbeitgeber wegen bestimmter Merkmale und Eigenschaften trennen wollte. Um die gewünschten Abbauziele erreichen zu können, empfiehlt sich in der Praxis 27 oftmals ein dreistufiges Vorgehen durch eine zeitliche Staffelung, bei der sich im Anschluss an ein zeitlich befristetes Freiwilligen- und Anspracheprogramm betriebsbedingte Kündigungen anschließen („Vorschaltevereinbarung“). Die konkrete Betroffenheit der Arbeitnehmer wird durch die Ankündigung des Unternehmens hergestellt, dass auch betriebsbedingte Kündigungen zur Erfüllung der Personalabbauziele ausgesprochen werden, soweit diese nicht bereits durch freiwillige Ausscheidevereinbarungen zu erreichen sind. Eine solche „Vorschaltevereinbarung“ kann von den Betriebsparteien auch für den Zeitraum vor Abschluss der eigentlichen Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen vereinbart werden. In der ersten Stufe versucht das Unternehmen zunächst, eine bestimmte Anzahl 28 von Arbeitnehmern durch ein attraktives Abfindungspaket zur Teilnahme an einem Freiwilligenprogramm zu motivieren. Hierbei wird in der Regel ein begrenzter Zeitraum für eine verbindliche Entscheidung vorgegeben, innerhalb dessen die Personalabbauziele durch den Abschluss freiwilliger Aufhebungsverträge mit einem Teil der Belegschaft erreicht werden sollen. Anschließend werden in einer zweiten Stufe diejenigen Arbeitnehmer konkret 29 vom Unternehmen angesprochen, mit denen der Arbeitgeber weitere Ausscheidevereinbarungen abschließen möchte. Erst in einer dritten Stufe wird der Arbeitgeber nach Einigung mit dem Betriebs- 30 rat über den Abschluss eines Interessenausgleichs betriebsbedingte Kündigungen zur Erfüllung der Personalabbauziele aussprechen.

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

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Praxishinweis Der Vorteil bei einem solchen Vorgehen liegt für das Unternehmen darin, dass es schnell und rechtssicher einen Teil seiner Abbauziele erreicht. Für den Betriebsrat ist das Modell deswegen interessant, weil sich hierdurch der Umfang der einseitig (gegen ihren Willen) abzubauenden Arbeitnehmer reduziert.5)

4.

Rechtliche Aspekte von Freiwilligenprogrammen

32 Für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses ist gemäß § 623 BGB die gesetzliche Schriftform (§ 126 BGB) zu wahren. Das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrages ist auch bei Freiwilligenprogrammen freiwillig. Diese regeln in der Praxis häufig einen „doppelten Freiwilligkeitsvorbehalt“, bei dem es dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber gleichermaßen freisteht, einen Aufhebungsvertrag einzugehen. Die Vereinbarung eines doppelten Freiwilligkeitsvorbehalts ist wegen der Parteiautonomie rechtswirksam. Es ist die Freiheit des Arbeitgebers, ob und wem er ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages macht, soweit er bei der Auswahl des anzusprechenden Arbeitnehmers keine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder aus sonstigen Gründen unzulässige Auswahlentscheidung trifft. Auch eine Auswahlentscheidung nach dem Windhundprinzip ist neben dem Losverfahren in gleicher Weise zulässig und stellt keine treuwidrige Auswahlentscheidung an sich dar.6) Damit können die Betriebsparteien frei entscheiden, ob sie bei einem offenen Freiwilligenprogramm für die Auswahl bspw. die Lostrommel oder das Prioritätsprinzip entscheiden lassen. 33 Verletzt ein Freiwilligenprogramm allerdings das AGG, indem das Programm nur bestimmte Arbeitnehmergruppen anspricht und dabei nach Diskriminierungsmerkmalen i. S. des § 1 AGG unterscheidet, kann ein für das Freiwilligenprogramm nicht berücksichtigter und damit von der Diskriminierung betroffener Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags als Erfüllungsanspruch gemäß § 7 AGG haben. Als solcher unterliegt er nicht der Frist des § 15 Abs. 4 AGG. Ein Erfüllungsanspruch kann sich gleichermaßen auch aus der Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ergeben. 34

Praxishinweis Auch für den Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen greift der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Soll das Programm nur für bestimmte Mitarbeiter bzw. Mitarbeitergruppen gelten oder sollen einzelne Arbeitnehmer ausgeschlossen bleiben, bedarf es hierfür an sich eines rechtfertigenden sachlichen Grundes. Liegt keiner vor, besteht das Risiko, dass ein Arbeitnehmer, dem der Abschluss der Aufhebungsvereinbarung verweigert wurde, diesen „einklagt“.

___________ 5) Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394. 6) LAG Düsseldorf, Urt. v. 12.4.2016 – 14 Sa 1344/15, ZIP 2016, 1691, dazu EWiR 2016, 677 (Gossak).

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II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme

5.

Kollektivrechtliche Aspekte

Bei der Vereinbarung von Aufhebungsverträgen bestehen unmittelbar keine be- 35 triebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können ohne Mitwirkung des Betriebsrats ihr Vertragsverhältnis jederzeit einvernehmlich beenden. 36

Praxishinweis Die Erfahrung zeigt, dass das Freiwilligenprogramm nur erfolgreich ist, wenn der Betriebsrat es aktiv unterstützt und nicht behindert. Entscheidend ist dabei auch, in welchem Gesprächsklima der Arbeitgeber die Verhandlungen führt und ob er den Betriebsrat einbezieht. Wichtig ist natürlich auch, wie das Programm finanziell ausgestaltet wird. Der Betriebsrat wird ein Freiwilligenprogramm nur mittragen, wenn es aus seiner Sicht attraktiv ist und die Arbeitnehmer nicht „über den Tisch gezogen“ werden. Zudem wird er seine Unterstützung davon abhängig machen, dass die Arbeitnehmer, die freiwillig aus dem Unternehmen ausscheiden, auch tatsächlich „freiwillig“ gehen. Einem selektiven Angebotsverfahren, bei dem bestimmte Arbeitnehmer gezielt angesprochen werden, steht die Arbeitnehmervertretung regelmäßig skeptisch gegenüber.

Mittelbar spielen betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte des Betriebs- 37 rats in Freiwilligenprogrammen aber dann eine praktische Rolle, wenn diese in eine interessenausgleichspflichtige Restrukturierungsmaßnahme nach §§ 111 ff. BetrVG eingebunden sind und dabei die Zahlengrenzen und Prozentangaben für eine Massenentlassung nach § 17 KSchG überschritten werden. Für den in § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG geregelten Mitbestimmungstatbestand der Einschränkung des Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile und die dabei herangezogenen Zahlengrenzen des § 17 KSchG sind nämlich nicht nur Arbeitnehmer, die durch betriebsbedingte Kündigungen ihren Arbeitsplatz verlieren, mitzuzählen, sondern auch solche, die sich auf Veranlassung des Arbeitgebers zu Aufhebungsverträgen entschließen (siehe § 5 Rz. 7 [Lutz]). Auf Veranlassung des Arbeitgebers geschlossene Aufhebungsverträge stellen 38 eine „Entlassung“ i. S. von § 17 KSchG dar. Werden dabei die in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG aufgeführten Schwellenwerte (innerhalb von 30 Tagen) überschritten, sind die Aufhebungsverträge nur wirksam, wenn es vorher eine entsprechende Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit erstattet hat. In diesem Fall ist auch bei einem Freiwilligenprogramm eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten und der Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 und 3 KSchG vor der Abgabe der Anzeige zu beteiligen. 39

Praxishinweis Es empfiehlt sich, bei jedem Freiwilligenprogramm, das – zumindest in der Planung – die entsprechenden Schwellenwerte erreicht, eine vorsorgliche Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten. Für diese Anzeige wird unterstellt, dass der gesamte Abbaubedarf durch das Freiwilligenprogramm realisiert werden kann.

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

40 Beteiligt der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht im Zusammenhang mit den erforderlichen Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs, so riskiert er Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG oder den Erlass einer vom Betriebsrat beantragten einstweiligen Verfügung, sofern das jeweilige LAG, in dessen Gerichtsbezirk das Unternehmen fällt, dies zulässt.7) 41

Praxishinweis Will das Unternehmen mit dem Freiwilligen-Programm schon beginnen, bevor es mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt hat, kommt eine Duldungsvereinbarung in Betracht. In dieser erklärt sich die Arbeitnehmervertretung mit dem Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen i. R. des Freiwilligenprogramms vorübergehend einverstanden, z. B. mithilfe einer Vorschaltevereinbarung.

42 Wird ein Freiwilligenprogramm zwischen den Betriebsparteien vereinbart, müssen die den freiwillig ausscheidenden Arbeitnehmern zugutekommenden Leistungen den betriebsverfassungsrechtlich gesetzten Grenzen, insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 75 BetrVG, entsprechen. Wenn Freiwilligenprogramme etwa bestimmte finanzielle Leistungen davon abhängig machen, dass der Arbeitnehmer seine (drohende) Kündigung akzeptiert oder verspricht, keine Kündigungsschutzklage zu erheben, kann eine Verletzung von § 75 BetrVG vorliegen. Leistungen in Sozialplänen i. S. von § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die dem Ausgleich oder der Abmilderung der mit einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen, dürfen nämlich nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Soweit in einem Freiwilligenprogramm zusätzliche Anreize zum Sozialplan für Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags geschaffen werden, sollten diese Regelungen nicht in den Sozialplan selbst, sondern in eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG aufgenommen werden.

___________ 7) Umstrukturierungen auf betrieblicher Ebene werden häufig begleitet von Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, in denen Betriebsräte einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist seit etwa drei Jahrzehnten außerordentlich umstritten, vgl. etwa Völksen, RdA 2010, 354. Teilweise wird ein Unterlassungsanspruch wegen der fehlenden gesetzlichen Regelung und unter Hinweis auf den Nachteilsausgleich in § 113 BetrVG grundsätzlich verneint (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 27.8.2014 – 4 TaBVGa 4/14, Rz. 41, NZA 2015, 700; LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.10.2009 – 20 TaBVGa 1/09, Rz. 4 ff., LAG Nürnberg, Beschl. v. 9.3.2009 – 6 TaBVGa 2/09, Rz. 29 ff.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 24.11.2004 – 9 TaBV 29/04, Rz. 37 ff. Nach a. A. steht dem Betriebsrat hingegen ein Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Zustandekommen oder endgültigen Scheitern eines Interessenausgleichs zu, da nur auf diese Weise der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nach § 112 BetrVG hinsichtlich des Interessenausgleichs gesichert werden könne (LAG Hamm, Beschl. v. 17.2.2015 – 7 TaBVGa 1/15, Rz. 29, LAG Hamm, Beschl. v. 20.4.2012 – 10 TaBVGa 3/12, Rz. 46; LAG SchleswigHolstein, Beschl. v. 15.12.2010 – 3 TaBVGa 12/10, Rz. 22, BB 2011, 1588; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.12.2013 – 17 TaBVGa 2058/13, Rz. 22).

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II. Freiwilligen- und Anspracheprogramme

6.

Sozialversicherungsrechtliche- und steuerliche Folgen

Der in einem Freiwilligenprogramm geschlossene Aufhebungsvertrag hat sowohl 43 sozialversicherungsrechtliche- als auch steuerliche Folgen. Da ein Arbeitnehmer mit einem Aufhebungsvertrag an der Lösung seines Arbeits- 44 verhältnisses mitwirkt und das Beschäftigungsverhältnis löst, ruht der Arbeitslosengeldanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III für eine Sperrzeit von regelmäßig zwölf Wochen. Zudem kürzt sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III. Nach der Rechtsprechung des BAG hat ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer 45 nur in Ausnahmefällen aufgrund der ihn treffenden vertraglichen Nebenpflichten gemäß § 242 BGB über diese sozialversicherungsrechtlichen Folgen eines Aufhebungsvertrags zu belehren. Die Rechtsfolgen einer Sperrzeit lassen sich allerdings vermeiden, wenn der 46 Arbeitnehmer für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses einen wichtigen Grund (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III) hat. In Fällen eines Freiwilligenprogramms liegt nach der Verwaltungspraxis der Arbeitsagentur insbesondere dann ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses und somit kein Fall einer Sperrzeit vor, wenn die folgenden speziellen Voraussetzungen erfüllt sind: x

Dem Arbeitnehmer muss vom Arbeitgeber eine auf betriebliche Gründe gestützte Kündigung mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt worden sein.

x

Das nicht unkündbare Arbeitsverhältnis hätte bei einer solchen, die anwendbare Kündigungsfrist wahrenden fiktiven Kündigung nicht erst später als im Aufhebungsvertrag vereinbart geendet.

x

Die im Freiwilligenprogramm für ein einvernehmliches Ausscheiden gewährte Abfindung liegt um mindestens 10 % höher als die bei einer einseitigen Kündigung zu beanspruchende Abfindung.

x

Die durch den Aufhebungsvertrag vermiedene Kündigung durch den Arbeitgeber wäre sozial gerechtfertigt gewesen.

Bei einem Freiwilligenprogramm gewährte Abfindungszahlungen sind grund- 47 sätzlich steuerpflichtig. Als Entlassungsentschädigungen können sie aber gemäß §§ 24 Nr. 1 a, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG steuerbegünstigt sein (sog. FünftelRegelung). 7.

Umsetzung und Kommunikation

Für die Umsetzung des Freiwilligenprogramms selbst gibt es mehrere Mög- 48 lichkeiten. Üblich ist die Implementierung durch eine Betriebsvereinbarung (siehe oben Rz. 42) Vorschaltvereinbarung. Indem der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertretung bei der Ausgestaltung mit einbezieht, kann er sich regelmäßig deren Unterstützung sichern. Das hat enorme Vorteile für das spätere „Bewerben“ des Programms gegenüber den Arbeitnehmern. Wegen der unmittelbaren Gossak

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

und zwingenden Wirkung der Betriebsvereinbarung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer (vgl. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) ist bei der Formulierung aber besondere Vorsicht geboten: Die in ihr definierten Ansprüche der Beschäftigten lassen dem Arbeitgeber für individuelle Aufhebungsvereinbarungen nur begrenzt Spielraum. 49 Der Erfolg eines Personalabbaus hängt neben den Konditionen für das Abfindungspaket entscheidend von der richtigen Kommunikation der Maßnahme ab. Dies betrifft auch die Verständigung im Hinblick auf die Erforderlichkeit des anstehenden Personalabbaus zur Herstellung einer konkreten Betroffenheit. 50

Praxishinweis Wird die Möglichkeit betriebsbedingter Kündigungen im Zusammenhang mit einem Freiwilligenprogramm für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen, ist es zwingend geboten, deutlich darauf hinzuweisen, dass der Personalabbau aus Sicht des Unternehmens alternativlos ist und unbeirrt umgesetzt werden wird. Einschränkende Aussagen („Es wird schon nicht so schlimm.“) sind unbedingt zu vermeiden.

51 Wichtig ist, bei der Abstimmung und Umsetzung der Kommunikation nicht nur das Management und die Personalabteilung, sondern alle Führungsebenen miteinzubeziehen. Gerade den unmittelbaren Führungskräften kommt hierbei oftmals eine Schlüsselfunktion zu, da sie gegenüber ihren Mitarbeitern zu vermitteln haben, dass und weswegen eine freiwillige Trennung sinnvoll sein kann. Solche Gespräche empfehlen sich regelmäßig als sog. „Coffee-talk“ in Einzelgesprächen In diesen Gesprächen sollte insbesondere bei offenen Freiwilligenprogrammen strikte Vertraulichkeit herrschen, damit das Interesse am möglichen Ausscheiden eines Arbeitnehmers nicht „torpediert“ wird. Bei Ansprachevereinbarungen ist umgekehrt darauf zu achten, dass der Arbeitnehmer nicht von falscher Stelle erfährt, dass sein Vorgesetzter ihn auf die „Liste“ für eine freiwillige Ausscheidevereinbarung gesetzt hat. III.

Aufhebungsvertrag und Insolvenzrisiko

52 Freiwilligen- und Anspracheprogramme werden durch Abschluss von Ausscheidevereinbarungen i. R. eines Aufhebungsvertrages umgesetzt. Beim Aufhebungsvertrag vereinbaren die Parteien die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt. Allerdings wird der Arbeitnehmer einer Vertragsauflösung nur zustimmen, wenn als Gegenleistung für sein freiwilliges Ausscheiden eine entsprechende Abfindung, oder die sog. Turboprämie vereinbart wird. Typischerweise wird das Arbeitsverhältnis nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages noch für eine bestimmte Zeitdauer fortgesetzt und die Abfindung erst am Ende der Auslauffrist, d. h. zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Beim Aufhebungsvertrag tritt der Arbeitnehmer also regelmäßig zunächst in Vorleistung und trägt deshalb das Insolvenzrisiko des Arbeitgebers.

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III. Aufhebungsvertrag und Insolvenzrisiko

Dieses Insolvenzrisiko trägt der Arbeitnehmer auch beim Abschluss einer Aus- 53 scheidevereinbarung durch Prozessvergleich, wenn der Arbeitnehmer i. R. einer gerichtlichen Einigung die Beendigung des gekündigten Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung akzeptiert und damit seinen Arbeitsvertrag und sein Klagerecht endgültig aufgibt. Nach ganz h. M. ist der Prozessvergleich ein Vertrag mit sog. Doppelnatur. Er ist Prozesshandlung und materiell-rechtliches Rechtsgeschäft in einem. Prozesshandlung ist der Vergleich, weil er den Rechtsstreit unmittelbar beendet. Er ist materielles Rechtsgeschäft, weil er als privatrechtlicher Vertrag, die materiell-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien (unabhängig von der tatsächlichen Rechtslage) neu ordnet. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer im Falle der späteren Insolvenz des Arbeitgebers seinem Arbeitsplatz verliert, ohne dass er seine Abfindung realisieren kann. Auf die Abfindung erhält der Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) – 54 nach ordnungsgemäßer Forderungsanmeldung (§§ 174 ff. InsO) – nur die Insolvenzquote, § 108 Abs. 3 InsO. Auf dieses Insolvenzrisiko ist der Arbeitnehmer vom beratenden Anwalt hinzuweisen. Denn ein Rücktritt vom Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag sowie vom Prozessvergleich gemäß §§ 323 ff. BGB scheidet ohne besondere Vertragsgestaltung in aller Regel aus. 55

Praxishinweis Schließt der Arbeitnehmer im vorläufigen Insolvenzverfahren mit einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter einen Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag oder einen Prozessvergleich, so ist der Abfindungsanspruch Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 Satz1 InsO. Entsprechendes gilt, wenn der Vertrag oder die gerichtliche Einigung erst nach Verfahrenseröffnung erfolgt, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. In diesen Fällen bleibt dem Arbeitnehmer jedoch das Risiko der späteren Masseunzulänglichkeit, §§ 208, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, da Altmasseverbindlichkeiten nur anteilig getilgt werden dürfen.

Dem Arbeitnehmer steht bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags kein Schadens- 56 ersatzanspruch nach § 113 Satz 3 InsO („Verfrühungsschaden“) zu. Für einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers ist erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung des Insolvenzverwalters endet. Diese Voraussetzung ist selbst dann nicht erfüllt, wenn es im Kündigungsschutzprozess zu einem Vergleich kommt, nach dem das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf der dreimonatigen Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt endet. Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz des Arbeitgebers ist 57 selbst bei baldiger Stilllegung des Geschäftsbetriebes durch den Insolvenzverwalter vorteilhaft. Denn es besteht zumindest für drei Monate vor Verfahrenseröffnung Anspruch auf Insolvenzgeld gemäß §§ 165 ff. SGB III sowie die Möglichkeit, an einem etwaigen Sozialplan nach § 123 InsO teilzunehmen. Die Auslauflöhne nach Verfahrenseröffnung sind ferner Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

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Praxishinweis In der Praxis sollte deshalb stets geprüft werden, ob sich der Arbeitnehmer von einem vor Insolvenz geschlossenen Aufhebung- oder Abfindungsvertrag oder von einem Prozessvergleich lösen kann.8)

59 Unabhängig vom Insolvenzrisiko, bei der der Arbeitnehmer die vereinbarte Abfindung nur als Insolvenzgläubiger nach Anmeldung und Feststellung zur Insolvenztabelle gemäß §§ 174 ff. InsO beanspruchen kann, können Aufhebungsverträge, die i. R. einer sog. „übertragenden Sanierung“ geschlossen werden, wegen Umgehung der Rechtsfolgen des § 613a BGB im Zuge krisenbedingter Umstrukturierungen rechtsunwirksam sein. Ein Aufhebungsvertrag ist nur dann in Anbetracht eines nachfolgenden Betriebsübergangs wirksam, wenn er auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist. Das ist nicht der Fall, wenn ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber gleichzeitig verbindlich in Aussicht gestellt worden war.9) Ein verbindliches Inaussichtstellen eines neuen Arbeitsplatzes liegt auch dann vor, wenn die Arbeitsplätze beim Betriebserwerber durch ein Losverfahren besetzt werden sollen („Arbeitsplatztombola“). IV.

Rücktritt vom Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich Zum Aufhebungsvertrag: Der Rücktritt eines Arbeitnehmers von einem mit dem Arbeitgeber geschlossenen Aufhebungsvertrag wegen Nichtzahlung der vereinbarten Abfindung ist ausgeschlossen, wenn das Insolvenzgericht dem Arbeitgeber nach dem Eröffnungsantrag derartige Zahlungen gemäß § 21 InsO untersagt hat. BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205 Zum Abwicklungsvertrag: Der Umstand, dass ein Abfindungsanspruch aus einem Prozessvergleich durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers zur Insolvenzforderung wird, begründet kein Rücktrittsrecht des Arbeitnehmers nach § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Voraussetzung für das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 323 BGB ist die Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Forderung. Ein durch einen zuvor mit dem Schuldner geschlossenen Prozessvergleich begründeter Abfindungsanspruch ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr durchsetzbar. Der Arbeitnehmer kann nicht mehr auf Leistung der Abfindung klagen, sondern nur noch gemäß §§ 174 ff. InsO die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle verlangen. BAG, Urt. v. 11.7.2012 – 2 AZR 42/11, NZA 2012, 1316

___________ 8) So auch Besgen/Velten, NZA-RR 2010, 561. 9) Vgl. zur sog. „Lostrommelentscheidung“: BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152, dazu EWiR 2012, 41 (Joost).

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IV. Rücktritt vom Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich

1.

Anwendbarkeit des § 323 BGB

„Pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten. Der Grundsatz der Ver- 60 tragstreue gilt auch für einen Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag sowie für einen Prozessvergleich. Der typische Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag begründet ebenso wie der Prozessvergleich mit seiner Doppelnatur Rechtspflichten für beide Vertragsparteien. Wird eine beiderseitige Vereinbarung nicht eingehalten, besteht regelmäßig die Möglichkeit zum Rücktritt, es sei denn, die Parteien haben das Rücktrittsrecht ausgeschlossen. § 323 BGB ist dispositiv.10) Nach § 323 BGB besteht ein gesetzliches Rücktrittsrecht dann, wenn der Schuld- 61 ner eines gegenseitigen Vertrages eine Haupt- oder Nebenpflicht nach Fristsetzung, die in bestimmten Fällen entbehrlich sein kann (§ 323 Abs. 2 BGB), nicht oder nicht vertragsgemäß erfüllt. Gleiches gilt im Fall der Unmöglichkeit (§ 326 Abs. 5 i. V. m. § 275 BGB); einer Fristsetzung bedarf es dann nicht.11) Beim Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag werden im Vergleich zum Arbeits- 62 vertrag ganz andere Haupt- und Nebenpflichten wie die Beendigung des Arbeitsvertrages gegen Zahlung einer Abfindung sowie Modalitäten zur weiteren Abwicklung geregelt. Das gesetzliche Rücktrittsrecht tritt in diesen Fällen nicht hinter das grundsätzlich vorrangige Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen zurück. Die Parteien eines Aufhebungsvertrages oder eines Prozessvergleichs können 63 das dispositive gesetzliche Rücktrittsrecht jedoch ausdrücklich oder stillschweigend ausschließen. Nach hier vertretener Ansicht kann ohne besondere Anhaltspunkte nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder beim Prozessvergleich das gesetzliche Rücktrittsrecht regelmäßig abbedungen wird.12) Das BAG hat diese Frage bisher offengelassen.13) 2.

Besonderheiten in der Insolvenz Das BAG hat sowohl für den Aufhebungsvertrag als auch für den Prozessvergleich das gesetzliche Rücktrittsrecht abgelehnt: BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205

Schließt der Arbeitnehmer in der Krise seines Arbeitgebers einen Aufhebungs- 64 vertrag oder Prozessvergleich, tritt er mit seiner Hauptleistungspflicht, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Austrittstermin, regelmäßig in Vorleistung. Denn die vereinbarte Abfindung wird oftmals erst nach ___________ 10) Palandt-Grünberg, BGB, § 323 Rz. 2. 11) Reinfelder, NZA 2013, 62. 12) LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.6.2011 – 12 Sa 1/10, BeckRS 2011, 77577; Reinfelder, NZA 2013, 62; Besgen/Velten, NZA-RR 2010, 561. 13) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205, dazu EWiR 2012, 105 (Greiner).

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

der vereinbarten Auslauffrist, also mit tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung fällig. Selbst für den Fall, dass die Abfindung sofort fällig ist, trägt der Arbeitnehmer gleichwohl das Erfüllungs- oder Insolvenzrisiko seines Arbeitgebers. Die Zwangslage des Arbeitnehmers besteht also darin, dass es eigentlich seinem wirtschaftlichen Interesse entspricht, möglichst lange Auslauffristen zu vereinbaren. Damit erhöht sich aber gleichzeitig das Ausfall- und Insolvenzrisiko in Bezug auf die Abfindung. 65

Praxishinweis Ein Ausweg aus dieser Zwangslage kann darin gefunden werden, dass die Arbeitnehmerseite z. B. in Sozialplanverhandlungen oder Sozialtarifverträgen verstärkt auf die Vereinbarung von „Sprinterprämien“ besteht. Dabei wird dem Arbeitnehmer ein vorzeitiges Kündigungsrecht eingeräumt sowie durch eine Zusatzabfindung ein weiterer Anreiz für ein sofortiges oder schnelles Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geschaffen.14)

66 Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 323 BGB bzw. § 326 Abs. 5 BGB und somit weitere Voraussetzung für einen Rücktritt ist nach einhelliger Auffassung die Durchsetzbarkeit der Forderung. Kommt es nach Abschluss der Vereinbarung oder des Prozessvergleichs zum Insolvenzantrag über das Vermögen des Arbeitgebers, kann der Arbeitnehmer seine Forderung aber rechtlich nicht mehr durchsetzen. Denn das Insolvenzgericht ordnet vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO an, so dass der Arbeitgeber als Schuldner die Abfindung nicht mehr ausbezahlen kann. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht § 108 Abs. 3 InsO der Bezahlung der Abfindung aus der Masse entgegen. Aus diesem Grunde hat das BAG15) sowohl für den Aufhebungsvertrag als auch für den Prozessvergleich das gesetzliche Rücktrittsrecht in der Insolvenz abgelehnt. 67 Eine Ausübung des Rücktrittsrechts nach Stellung des Insolvenzantrags dürfte gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO jedenfalls dann regelmäßig anfechtbar sein, wenn der Arbeitnehmer entweder die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Der Durchsetzbarkeit seines Zahlungsanspruchs aus dem Auflösungsvertrag oder dem Prozessvergleich steht nämlich im Falle der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit die „dolo-petit-Einrede“ des § 242 BGB entgegen.16) Denn der Arbeitnehmer müsste die erhaltene Abfindung nach § 143 Abs. 1 InsO wieder alsbald an die Insolvenzmasse zurückzahlen. 68 Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich des Abfindungsbetrages in aller Regel wirtschaftlich ausfällt und nur als Insolvenzgläubiger befriedigt werden kann. Das BAG hat dabei die weitere Frage offengelassen, ob es im Falle der unbestrittenen Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle bereits an einer ___________ 14) Göpfert, ArbR Aktuell 2012, 94, Anm. zu BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205. 15) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205. 16) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205.

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IV. Rücktritt vom Aufhebungsvertrag und Prozessvergleich

Nichterfüllung i. S. des § 323 Abs. 1 BGB fehlt oder jedenfalls ein einmal begründetes Rücktrittsrecht dadurch untergeht.17) Da es sich auch bei der Auflösung des Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages 69 um einen gegenseitigen Vertrag handelt, können im eröffneten Insolvenzverfahren auf das Rückabwicklungsschuldverhältnis die Regelungen der §§ 103 ff. InsO zur Anwendung kommen. Seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 25.4.200218) ist davon auszugehen, dass die offengebliebenen Ansprüche nicht erlöschen, sondern jedenfalls bis zur Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter fortbestehen. Diese offenen Ansprüche verlieren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich ihre Durchsetzbarkeit.19) Nur für den Fall der Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter wird die Abfindung zur Masseverbindlichkeit, §§ 103 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO. Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllungsverweigerung, erhält der Arbeitnehmer hingegen nur einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach §§ 103 ff. InsO kann nur dann ausge- 70 übt werden, wenn auch der Arbeitnehmer seinen eigenen Verpflichtungen aus dem Aufhebungsvertrag zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht oder nicht vollständig nachgekommen ist (… vom Schuldner und vom anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt …). Besteht die Erfüllungspflicht des Arbeitnehmers jedoch ausschließlich in der Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so ist der Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO nur eröffnet, wenn die Aufhebungsvereinbarung neben seiner Zustimmung zur Vertragsbeendigung weitere Pflichten, wie z. B. die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots bestimmt.20) Da der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht nach freiem Ermessen ausüben kann, kann der Arbeitnehmer bei der Rückabwicklung des Aufhebungsvertrages in aller Regel nur auf eine möglichst hohe Insolvenzquote hoffen. Die Fälle, in denen der Insolvenzverwalter Erfüllung wählen und dadurch die Abfindung zum Masseanspruch gestaltet, sind praktisch kaum vorstellbar. 3.

Fristsetzung

Nach § 323 Abs. 1 BGB setzt der Rücktritt regelmäßig die Setzung einer ange- 71 messenen Frist zur Leistung oder Nacherfüllung voraus. Nach § 323 Abs. 2 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten nicht nachkommen. Dies ist dann der Fall, wenn der Schuldner sich von einer Fristsetzung unter keinen Umstän___________ 17) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205. 18) BGH, Urt. v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093 = NJW 2002, 2783, dazu EWiR 2003, 1093 (Tintelnot). 19) Huber, NZI 2002, 467. 20) Abele, NZA 2012, 487.

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

den umstimmen lassen würde.21) Die Ausübung des Rücktrittsrechts kann gemäß § 323 Abs. 6 BGB und § 242 BGB ausgeschlossen sein, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist oder sich in Annahmeverzug befindet. Dies kann etwa dann relevant sein, wenn eine Mitwirkungshandlung des Arbeitnehmers erforderlich ist, wie etwa bei einer Beschäftigung.22) V.

Rechtsfolgen des wirksamen Rücktritts

72 Durch die Ausübung des Rücktritts entsteht ein Rückgewährschuldverhältnis und die primären Leitungspflichten erlöschen. Nach § 346 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und gezogene Nutzungen herauszugeben. Die Vertragsparteien sind dabei so zu stellen, als wenn der Vertrag, von dem eine Partei zurücktritt, nicht abgeschlossen worden wäre. Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben unberührt, § 325 BGB. 73 Dies kann bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu größeren dogmatischen Schwierigkeiten führen. In Betracht kommt, dass das zunächst beendete Arbeitsverhältnis durch den wirksamen Rücktritt wieder auflebt oder dass es im Wege der Rückabwicklung des Aufhebungsvertrages neu begründet werden muss. Das BAG hat die dogmatische Konstruktion der „Wiederherstellung“ des Arbeitsverhältnisses in seiner Entscheidung vom 10.11.2011 leider ausdrücklich offengelassen.23) 74 Zu unterscheiden ist die Situation danach, ob das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag ohne vorangegangene Kündigung beendet wurde oder ob nach erfolgter Kündigung ein Abwicklungsvertrag geschlossen worden ist. 75 Wurde das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag ohne vorangegangene Kündigung beendet, so kann der Rücktritt vom Vertrag zwanglos zur Wiederherstellung des Arbeitsvertrages führen. Denn die Beendigungswirkung im Aufhebungsvertrag kann durch den Rücktritt beseitigt werden.24) Nach hier vertretener Ansicht könnte deshalb folgender Antrag gestellt werden: Beispiel Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom … [Datum] nicht beendet worden ist. 76 Dogmatisch schwieriger ist die Situation beim Abwicklungsvertrag, da durch den Rücktritt nicht die ausgesprochene Kündigung und deren Beendigungswirkung ___________ 21) Palandt-Grünberg, BGB, § 323 Rz. 19 m. w. N. 22) Vgl. die Fallgestaltung LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.6.2011 – 12 Sa 1/10, BeckRS 2011, 77577. 23) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205. 24) Bauer, NZA 2002, 169; Linck in: Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., § 122 Rz. 37; Reinfelder, NZA 2013, 62.

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V. Rechtsfolgen des wirksamen Rücktritts

in Bezug auf den Arbeitsvertrag beseitigt werden kann und bei Ausübung des Rücktrittsrechts in aller Regel die Klagefrist nach § 4 KSchG sowie die Frist des § 5 KSchG zur nachträglichen Zulassung einer verfristeten Klage bereits abgelaufen sein dürften. In solchen Fällen gilt die Kündigung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an wirksam, so dass meines Erachtens nur die Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis rückwirkend zum Zeitpunkt der Beendigung neu zu begründen. Konsequenterweise müsste dann auch die Klagefrist des § 4 KSchG bzw. die Frist des § 5 KSchG erst mit Erklärung des Rücktritts zu laufen beginnen.25) Dieser „systemwidrige“ Ansatz ist jedenfalls im Ergebnis interessengerecht, weil der Arbeitnehmer die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nur im Hinblick auf den Abwicklungsvertrag verstreichen ließ. Nach hier vertretener Ansicht könnte folgender Antrag gestellt werden: Beispiel Der Beklagte wird verurteilt, das Vertragsangebot des Klägers auf rückwirkende Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses mit Wirkung ab dem … [Datum] zu den Bedingungen des vormaligen Arbeitsvertrages vom … [Datum] anzunehmen. 77

Praxishinweis Solange die Wirkungen des Rücktritts vom Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag sowie vom Prozessvergleich höchstrichterlich nicht geklärt sind, sollten die möglichen Anträge in einem Hilfsverhältnis verbunden werden, wobei der Hauptantrag naturgemäß auf das Fortsetzen des bisherigen Arbeitsverhältnisses gerichtet sein muss.26)

Dogmatisch einfacher wiederum ist die Rückabwicklung des Prozessvergleichs, 78 wenn also der Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage eingereicht hat. Denn in diesem Fall war die Wirksamkeit der Kündigung bereits vor dem Zeitpunkt der Einigung in der Schwebe. Dieser Zustand kann durch den Rücktritt vom Prozessvergleich wieder hergestellt werden.27) Der Rücktritt vom Prozessvergleich beseitigt jedenfalls nach der Rechtsprechung des BAG nicht nur die materiell-rechtlichen Folgen der Einigung, sondern auch die prozessbeendigende Wirkung des Vergleichs.28) Das BAG29) sowie einzelne Instanzgerichte30) begründen diese Ansicht in Abweichung zur Rechtsprechung des BGH31) und des BVerwG32) mit prozesswirtschaftlichen Aspekten und dem besonderen ___________ Vgl. Reinfelder, NZA 2013, 62. So auch Reinfelder, NZA 2013, 62. Bauer, NZA 2002, 169. BAG, Urt. v. 28.3.1985 – 2 AZR 92/84, BeckRS 1985, 30713418; zust. Bauer, NZA 2002, 169. BAG, Urt. v. 28.3.1985 – 2 AZR 92/84, BeckRS 1985, 30713418. LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 26.6.2012 – 5 Sa 253/11, BeckRS 2012, 71602; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.6.2011 – 12 Sa 1/10, BeckRS 2011, 77577; LAG Köln, Urt. v. 5.1.1996 – 4 Sa 909/94, NZA-RR 1997, 11. 31) BGH, Urt. v. 15.4.1964 – Ib ZR 201/62, NJW 1964, 1524. 32) BVerwG, Urt. v. 27.10.1993 – 4 B 175/93, NJW 1994, 2306 m. w. N.

25) 26) 27) 28) 29) 30)

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§ 3 Aufhebungsvertrag in der Krise

arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz. Mit Hinblick auf das Fristensystem des KSchG führt die Rechtsprechung des BAG zu einer praxistauglichen Lösung. Denn dadurch, dass durch den Rücktritt vom Prozessvergleich nicht nur die materiellen Wirkungen der Einigung, sondern darüber hinaus auch der prozessbeendigende Vergleich selbst „rückabgewickelt“ wird, kann der Prozess in der Lage fortgeführt werden, in der er sich bei Vergleichsabschluss befunden hat.33) VI.

Möglichkeiten der Vertragsgestaltung

79 Den Arbeitsvertragsparteien steht es frei, zu vereinbaren, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer für die einvernehmliche Aufgabe des Arbeitsplatzes eine Abfindung erhalten soll.34) Welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sein müssen, um einen vertraglichen Abfindungsanspruch entstehen zu lassen, richtet sich deshalb nach dem Parteiwillen. Damit bleibt es grundsätzlich zulässig, die Wirksamkeit des Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrags sowie den Prozessvergleich etwa unter eine auflösende Bedingung zu stellen für den Fall, dass der Abfindungsvertrag nicht zu einem bestimmten Termin bezahlt werden sollte.35) Alternativ könnte für den Fall der Nichtzahlung auch ein zeitlich bedingtes Widerrufsrecht oder ein vertragliches Rücktrittrecht vereinbart werden. 80 Eine diesbezügliche Vertragsgestaltung schützt den Arbeitnehmer naturgemäß nicht vor dem Risiko der Insolvenzanfechtung.36) Eine Auszahlung der Abfindung in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag ist gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, wenn der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig war und der Arbeitnehmer die Zahlungsunfähigkeit kannte oder zumindest Umstände kannte, welche auf die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zwingend schließen ließen. 81 Ein vertragliches Rücktritts- oder Widerrufsrecht ist umso mehr dem Anfechtungsrisiko ausgesetzt, je enger es mit einer drohenden Insolvenz in Verbindung gebracht wird. Eine ebensolche Vertragsgestaltung beseitigt deshalb nicht das Risiko einer Insolvenzanfechtung, sie kann es dem Arbeitnehmer aber erleichtern, seinen Arbeitsvertrag zunächst zu „retten“. Dann bliebe dem Arbeitnehmer zumindest der Anspruch auf das Insolvenzgeld sowie ggf. die spätere Teilnahme an einem Insolvenzsozialplan erhalten. Die Auslauflöhne nach Verfahrenseröffnung sind Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. ___________ 33) Reinfelder, NZA 2013, 62. 34) BAG, Urt. v. 16.5.2000 – 9 AZR 277/99, ZIP 2000, 2126 = NZA 2000, 1236, dazu EwiR 2001, 105 (Thüsing). 35) Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, I., Rz. 92 f.; Wolf, FD-InsR 2012, 327377, Urteilsanm. zu BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, ZIP 2012, 91 = NZA 2012, 205; ebenso Siebert, GWR 2012, 69 (Urteilsanm.). 36) M. E. zu weitgehend Abele, NZA 2012, 487, der unterstellt, dass der Arbeitnehmer bei einer derartigen Vertragsgestaltung der Liquidität seines Arbeitgebers latent misstraue.

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§ 4 Taktik und Strategie bei der Durchführung und Planung von modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

Göpfert/Lutzenberger

Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. Grundfall Freiwilligenprogramm........................................... 2 III. Einzelne Rechtsfragen ...................... 3 1. „Doppelte Freiwilligkeit“................... 3 2. Gleichbehandlungsgrundsatz ............ 5 a) Auswahlentscheidung ................. 5 b) Herausnahme von Leistungsträgern................................. 6 c) Definition des persönlichen Anwendungs- oder Geltungsbereichs ......................... 8 d) Spätere betriebsbedingte Kündigungen ............................... 9 e) Diskriminierung ........................ 11 3. Mitbestimmung nach § 111 BetrVG.............................................. 12 4. Benachteiligung nach § 7 AGG ....... 15 IV. Taktik................................................ 16 1. Recht ................................................. 17 2. Strategie............................................. 18

3. 4.

Taktik................................................ 21 Kommunikation ............................... 22 a) Beteiligung der zuständigen Mitarbeiter ................................. 23 b) Bedarf an externer Hilfe bei Durchführung der Personalgespräche ..................... 24 c) Bewertung und Abschluss ........ 26 5. Emotion ............................................ 27 a) Monitoring – Erfolgsquote....... 27 b) Druck ......................................... 28 aa) Quorum ..................................... 29 bb) Entscheidungsfenster................ 30 c) Arbeitsverdichtung ................... 31 V. Alternativen zum Anspracheund Freiwilligenprogramm ........... 32 1. Tarifvertrag über die „Vermittlung in gute Arbeit“ .................. 33 2. Matching-Verfahren......................... 34 VI. Zusammenfassung .......................... 35

Literatur: Dzida, Einstweilige Verfügung auf Unterlassung einer Betriebsänderung, ArbRB, 2015, 215; Ege, Mitarbeiter abfinden – Einführung eines Freiwilligen-Programms, AuA 2009, 340; Meyer/Röger, Freiwillige vor? Rechtliche und strategische Aspekte von Freiwilligenprogrammen beim Personalabbau, NZA-RR 2011, 393; Pauken, Freiwilligenprogramme in der betrieblichen Praxis, ArbRAktuell 2016, 400; Schipp/Aberle, Freiwilligenprogramme als Alternative zu betriebsbedingten Kündigungen, ArbRB 2015, 212.

I.

Einführung Rechtsprechungshinweise: BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273 = ArbRAktuell 2010, 97, m. Anm. Sacher LAG München, Urt. v. 9.12.2015 – 5 Sa 591/15, ZIP 2016, 836 = ArbRAktuell 2016, 121, m. Anm. Klagges LAG München, Urt. v. 3.3.2009 – 6 Sa 927/08, BeckRS 2009, 67478

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§ 4 Taktik und Strategie bei modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

1 Warum Freiwilligenprogramme? – Wir leben schließlich in einem wirtschaftlichen Umfeld einer Quasi-Vollbeschäftigung in Deutschland.1) Unternehmen können es sich beim aktuellen Bewerbermarkt nicht leisten, mit dem Begriff „betriebsbedingte Kündigung“ in Zusammenhang gebracht zu werden. Um trotzdem den Umstrukturierungsbedarf zu decken, werden Freiwilligenprogramme durchgeführt. Die Entscheidung, an einem Programm teilzunehmen, hängt davon ab, ob der Mitarbeiter persönlich überzeugt ist, am Arbeitsmarkt ohne weiteres einen neuen Job zu finden oder bereits einen neuen gefunden hat. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Mitarbeiter merkt, dass der Arbeitsmarkt für über 50-Jährige in Wirklichkeit nicht so rosig ist wie erwartet, wird es schwierig, Freiwilligenprogramme erfolgreich durchzuführen. II.

Grundfall Freiwilligenprogramm

2 Bei einem „Freiwilligenprogramm“ schließt der Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitern einvernehmlich Aufhebungsverträge, damit diese das Unternehmen freiwillig verlassen. Das Unternehmen geht dabei auf den einzelnen Mitarbeiter zu und teilt ihm mit, dass er am Programm teilnehmen kann. „Sie können am Programm teilnehmen“ – ist juristisch noch kein Antrag des Arbeitgebers i. S. von § 145 BGB, vielmehr fehlt der Rechtsbindungswille und die Mitteilung ist als invitatio ad offerendum zu bewerten.2) Gleiches gilt, wenn dem Mitarbeiter ein Aufhebungsvertrag zugeschickt wird, solange dieser nicht bereits unterschrieben ist. Der Vertrag kommt erst zustande, wenn der Mitarbeiter das unterschriebene Exemplar zurücksendet und es von einem Vertreter des Arbeitgebers gegengezeichnet wird. III.

Einzelne Rechtsfragen

1.

„Doppelte Freiwilligkeit“

3 Im Zusammenhang mit Ansprache- und Freiwilligenprogrammen wird man häufig mit dem Begriff der „doppelten Freiwilligkeit“3) konfrontiert. Was ist „doppelte Freiwilligkeit“? – Sowohl dem Arbeitnehmer, als auch dem Arbeitgeber steht es – als Ausfluss ihrer Privatautonomie – frei, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen.4) Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags. Als actus contrarius dazu kann es auch keinen Anspruch auf Beendigung des Arbeitsvertrags geben.5) ___________ 1) Arbeitslosenquote insgesamt in Deutschland im Monat Mai 2019 bei 4,9 %, abrufbar unter https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Regionen/PolitischeGebietsstruktur-Nav.html (Abrufdatum: 29.5.2019). 2) Etwa Ege, AuA 2009, 340, 341. 3) Etwa Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394; Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212 f. 4) LAG München Urt. v. 3.3.2009 – 6 Sa 927/08, BeckRS 2009, 67478; BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273, 276 = ArbRAktuell 2010, 97, m. Anm. Sacher. 5) LAG München, Urt. v. 3.3.2009 – 6 Sa 927/08, BeckRS 2009, 67478.

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III. Einzelne Rechtsfragen

Der Arbeitgeber kann bei seiner Entscheidung nach dem Windhundprinzip6) 4 verfahren und bestimmen, dass etwa nur die ersten 50 Angebote angenommen werden. Zulässig ist auch die Festlegung einer Maximalziffer unabhängig vom Zeitpunkt des Angebots.7) Will der Arbeitgeber zunächst abwarten, wer alles ein Angebot macht und dann entscheiden, wen er gehen lässt und wen nicht, muss er hinreichend verdeutlichen, dass er sich noch überlegt, ob er den Vertrag annimmt, also quasi einen Vorbehalt aufnehmen.8) 2.

Gleichbehandlungsgrundsatz

a)

Auswahlentscheidung

Bisher nicht zufriedenstellend geklärt ist die Frage, nach welchen Grundsätzen bei 5 der Auswahl, welche Angebote angenommen werden, vorzugehen ist.9) Diese Klippe kann zum einen dadurch umschifft werden, dass der Berechtigtenkreis vor Programmbeginn klar definiert wird oder der Arbeitgeber einen entsprechenden, deutlichen Vorbehalt formuliert.10) Zum anderen kann im Interessenausgleich oder einer anderen Vereinbarung (z. B. Vorschaltevereinbarung) mit dem Betriebsrat das Vorgehen festgelegt werden, wenn sich mehr Mitarbeiter melden, als das Unternehmen bereit ist, gehen zu lassen. Als weitere Möglichkeit können die Betriebsparteien in einer Paritätischen Kommission (PARICO) zu einer gemeinsamen Auswahlentscheidung kommen.11) Insoweit handelt es sich um eine Maßnahme i. S. des § 75 BetrVG, die die Betriebspartner festgelegt haben und die nur in sehr beschränktem Umfang gerichtlich auf Unbilligkeit überprüfbar ist.12) b)

Herausnahme von Leistungsträgern

Die Mitarbeiter, die im Unternehmen verbleiben, werden oft stiefmütterlich 6 behandelt. Ziel des Unternehmens muss es sein, die Leistungsträger zu identi___________ 6) LAG Düsseldorf, Urt. v. 12.4.2016 – 14 Sa 1344/15, ZIP 2016, 1691, dazu EWiR 2016, 677 (Gossak). 7) Ege, AuA 2009, 340, und Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394, bezeichnen dies als „selektives Angebotsverfahren“. 8) BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger, dazu EWiR 2010, 341 (Reichold); BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273 = ArbRAktuell 2010, 97, m. Anm. Sacher. 9) Für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes etwa Ege, AuA 2009, 340, 342; Arnold in: Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, Rz. E 41; Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 395 f.; dagegen wohl Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212 ff. 10) BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger; BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273 = ArbRAktuell 2010, 97, m. Anm. Sacher; auch Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 396. 11) Zur Möglichkeit ein gemeinsames Vorgehen mit dem Betriebsrat zu vereinbaren, LAG Düsseldorf Urt. v. 12.4.2016 – 14 Sa 1344/15, ZIP 2016, 1691. 12) Vgl. LAG München, Urt. v. 9.12.2015 – 5 Sa 591/15, ZIP 2016, 836 = ArbRAktuell 2016, 121, m. Anm. Klagges.

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§ 4 Taktik und Strategie bei modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

fizieren und zum Bleiben zu motivieren, schließlich sind das die Mitarbeiter, mit denen das Unternehmen (erfolgreich) neu ausgerichtet werden soll. Als ersten Schritt kann der Arbeitnehmer eine sog. Leistungsträgerliste erstellen.13) Die Mitarbeiter, die auf der Liste stehen, sind (möglicherweise gegen ihren Willen) von der Teilnahme am Programm ausgeschlossen. Um dem Gleichbehandlungsgebot zu genügen, muss der Arbeitgeber begründen können, warum gerade diese Mitarbeiter auf der Liste stehen. Ausreichend ist, wenn Name, Funktion und Personalnummer benannt und zur Person folgende Fragen beantwortet werden: x

Welche Aufgabe hat der Mitarbeiter im Unternehmen?

x

Warum ist diese wichtig und vielleicht sogar existentiell für das Unternehmen?

x

Was passiert, wenn der Mitarbeiter ausscheidet?

7 Wenn der Arbeitgeber diese Fragen substantiiert beantworten kann, ist dem Gleichbehandlungsgrundsatz an dieser Stelle Genüge getan. c)

Definition des persönlichen Anwendungs- oder Geltungsbereichs

8 Eine zusätzliche Stolperfalle ist die (zu) breite Aufstellung des Programms im persönlichen Anwendungs- oder Geltungsbereich. Es empfiehlt sich konkret zu bezeichnen, welche Abteilungen oder Bereiche, sogar konkret welche Funktionen und Positionen in dem Programm berechtigt sind und welche nicht.14) Dies darf (und muss) der Arbeitgeber entscheiden.15) Wer hier einen geringen Aufwand betreibt, erfährt spätestens dann Widerstände, wenn aufgezeigt werden muss, welche Mitarbeiter im Falle eines Interessenausgleichs oder Sozialplans von der Maßnahme betroffen gewesen wären und jetzt auch aus dem Programm berechtigt sind bzw. welche gerade nicht. Dies wird gefährlich, wenn ein Mitarbeiter später, weil das Ansprache- oder Freiwilligenprogramm nicht erfolgreich war, kündigt und einen Abfindungsanspruch nicht auf Basis eines Sozialplans, sondern des Ansprache- und Freiwilligenprogramms geltend macht, weil er „unbillig abgelehnt“ wurde.16) d)

Spätere betriebsbedingte Kündigungen

9 In Programmen mit „Leistungsträgerliste“ kann es dazu kommen, dass ein Mitarbeiter als Leistungsträger kein Angebot erhält, im Ansprache- und Freiwilligenprogramm auszuscheiden, er aber später dennoch von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen ist. Diesen so abzufinden, als hätte er am Programm teil___________ 13) 14) 15) 16)

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Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212; Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394. Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212, 213. Ege, AuA 2009, 340, 341; Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.2.2013 – 1 Sa 211/12; Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212, 213.

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III. Einzelne Rechtsfragen

genommen, gebietet wohl nicht nur die Billigkeit, auf jeden Fall ist es eine übliche Regelung im Sozialplan. 10

Praxishinweis Es lohnt sich, bei der Beratung darauf hinzuweisen, dass möglicherweise im Nachhinein eine Gruppe von Mitarbeitern noch abfindungsberechtigt wird, die der Budgetverantwortliche in den seltensten Fällen eingeplant oder gar budgetiert hat.

e)

Diskriminierung

Differenziert der Arbeitgeber bei seiner Auswahlentscheidung nach Merkma- 11 len i. S. des § 1 AGG, löst dies keinen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags wegen Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus.17) Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet keine Anwendung, wenn der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern individuelle Vereinbarungen über die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses durch Zahlung einer Abfindung trifft, sofern das Programm dem Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“ unterliegt, da es an einer verteilenden Entscheidung des Arbeitgebers fehlt.18) 3.

Mitbestimmung nach § 111 BetrVG

Teilweise wird bezweifelt, dass die Durchführung von Ansprache- und Freiwil- 12 ligenprogrammen nach § 111 BetrVG konsultationspflichtig ist.19) Bei einem Ansprache- und Freiwilligenprogramm zur Verringerung des Personalstands werde keine organisatorische Entscheidung getroffen, letztlich liege schon keine Betriebsänderung vor.20) Allenfalls könne das Mitbestimmungsrecht nach § 111 BetrVG über den Begriff des Personalabbaus ausgelöst werden.21) Das wiederum sei eine Frage der Schwellenwerte.22) Der Personalabbau müsse zudem gerade vom Arbeitgeber veranlasst sein, §§ 111, 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG.23) Dies ist nur dann der Fall, wenn beim Mitarbeiter die berechtigte Erwartung hervorgerufen wurde, mit der Eigeninitiative komme er einer sonst notwendig ___________ 17) Anders Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 395; Pauken, ArbRAktuell 2016, 400, 402. 18) BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger; auch Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 396. 19) Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rz. 72; Ege, AuA 2009, 340, 341; Arnold in: Bauer/ Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, Rz. E 36. 20) Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rz. 72. 21) Ege, AuA 2009, 340, 341. 22) Ege, AuA 2009, 340, 341; zur Frage wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind vgl. BAG, Urt. v. 6.6.1978 – 1 AZR 495/75, BB 1978, 1362; BAG, Beschl. v. 22.5.1979 – 1 ABR 17/77, NJW 1980, 83; BAG, Urt. v. 27.6.2002 – 2 AZR 489/01, NZA 2002, 1304 (LS); Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rz. 73. 23) Arnold in: Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, Rz. E 36.

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§ 4 Taktik und Strategie bei modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

werdenden betriebsbedingten Kündigung zuvor.24) Dabei genügt der bloße Hinweis auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendig werdende Betriebsänderungen und die nicht auszuschließende Möglichkeit des Arbeitsplatzverlusts nicht, um in diesem Sinne einen vom Arbeitgeber gesetzten Anlass anzunehmen.25) Wenn sich die Mitarbeiter beim Unternehmen melden, die gehen wollen, dann sei der Personalabbau technisch gesehen nicht vom Arbeitgeber veranlasst.26) Die Mitarbeiter gingen aus freien Stücken und das Unternehmen gebe ihnen Geld dafür. Schutzzweck der §§ 111 ff. BetrVG sei dagegen die Abmilderung von nachteiligen Folgen gerade einer unternehmerischen Maßnahme durch einen Sozialplan und setze voraus, dass der Personalabbau notfalls gegen den Willen der Belegschaft durchgeführt wird.27) 13 Diese Sichtweise überzeugt aus mehreren Gründen nicht. Aus personalpolitischer Sicht wird ein Programm, das nicht gemeinsam mit dem Betriebsrat aufgelegt und bei der Belegschaft vorgestellt wird, nicht erfolgreich sein.28) Die Unterstützung des Betriebsrats ist essentiell für einen positiven Verlauf. Letztlich ist das Programm im Grunde eine vom Arbeitgeber veranlasste Personalabbaumaßnahme mit dem Ziel, dass die Mitarbeiter ihm Aufhebungsverträge „anbieten“. Eine andere Beurteilung stellt eine künstliche Aufspaltung dar. Wenigstens über den Personalabbau kommt man somit in die Interessenausgleichspflicht. Zudem ist allein wegen des Unwirksamkeitsrisikos bei Verletzung von § 17 KSchG die „kalte Durchführung“ eines Ansprache- und Freiwilligenprogramms im Zweifel keine Option.29) 14

Praxishinweis Aus diesem Grund, und um langwierige Verzögerungen bei der Durchführung bzw. spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, ist es ratsam, ein Konsultationsverfahren durchzuführen, und zwar spezifisch über die Durchführung des Ansprache- und Freiwilligenprogramms.

4.

Benachteiligung nach § 7 AGG

15 Mitarbeiter, die aufgrund einer Differenzierung nach Merkmalen i. S. des § 1 AGG nicht am Programm teilnehmen dürfen, werden regelmäßig nicht benachteiligt i. S. des § 7 AGG. Entscheidend hierbei ist, dass nach objektivem Maßstab keine ___________ 24) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 575/02, ZIP 2003, 2220, dazu EWiR 2004, 49 (Grimm/ Brock); BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 1 AZR 169/02, NZA 2004, 64 (LS). 25) BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 1 AZR 169/02, NZA 2004, 64 (LS). 26) Arnold in: Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, Rz. E 36. 27) Arnold in: Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, Rz. E 36, 39. 28) So auch Ege, AuA 2009, 340, 341 f. 29) Dieses Risiko besteht selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass das BAG (BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822, dazu EWiR 2012, 707 (Hützen)) nicht entschieden hat, dass Aufhebungsverträge bei Nichtdurchführung des Massenentlassungsverfahrens unwirksam sind.

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IV. Taktik

weniger günstige Behandlung der betroffenen Person vorliegt.30) Höchstrichterlich entschieden ist dies für die gänzliche Herausnahme von älteren Arbeitnehmern aus dem Programm.31) Telos des Diskriminierungsschutzes ist es, ältere Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis zu halten.32) Die ausgenommenen Mitarbeiter stehen nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis, das bei Vorliegen der Voraussetzungen des KSchG bestandsgeschützt ist, und sind folglich nicht dem Arbeitsmarktrisiko ausgesetzt, keine Beschäftigung mehr zu finden.33) Diese Argumentation lässt sich auf die anderen Merkmale des § 1 AGG übertragen. Im Besonderen gilt dies für eine geschlechtsspezifische Ausgestaltung des Programms.34) Der ausgenommenen Geschlechtergruppe verbleibt weiterhin (im Nachhinein) die Möglichkeit bis zum Ende der Erwerbstätigkeit im Beschäftigungsverhältnis zu verbleiben. Eine Benachteiligung durch die Herausnahme liegt folglich nicht vor. IV.

Taktik Recht

Strategie

Taktik

Emotion

Nahezu jedes Programm kann anhand dieses Bildes behandelt werden. Negativ 16 formuliert: Wenn ein Element vernachlässigt wird, wird die Maßnahme keinen Erfolg haben. 1.

Recht

Wer die rechtlichen Vorgaben nicht hinreichend beachtet, wird das Programm 17 nicht zufriedenstellend umsetzen. Die Rechtsecke kann wie folgt gegliedert werden: x

Genügt das Programm in belastbarer Weise dem Grundsatz der doppelten Freiwilligkeit?

x

Wurden die Konsultationspflichten erfüllt?

x

Gibt es eine klare und rechtlich belastbare Differenzierung zwischen dem Angebot im Ansprache- und Freiwilligenprogramm und einem späteren Sozialplan?

___________ 30) Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 3 Rz. 8; BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 364/11, NZA 2012, 1345 = ArbRAktuell 2012, 348, m. Anm. Bauer. 31) BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger. 32) BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger. 33) BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, ZIP 2010, 1145 = ArbRAktuell 2010, 272, m. Anm. Krieger. 34) Anders Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 395; Pauken, ArbRAktuell 2016, 400, 402.

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§ 4 Taktik und Strategie bei modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

2.

Strategie

18 Es gilt an vorderster Stelle herauszufinden: Was will der Mandant, was ist sein Ziel? x

„Schnell“ – das soll jetzt alles ganz schnell gehen.

x

„Kommunikation nach vorne“ – ich möchte die Mitarbeiter, die bleiben, davon überzeugen, dass wir ein guter Arbeitgeber sind.

x

„Es sollen die „Richtigen“ gehen – ich will nicht, dass die „guten“ Leute gehen.

x

„Ruhe“ – es muss ganz ruhig ablaufen.

19 Teils werden Ansprache- und Freiwilligenprogramme im „Gießkannenverfahren“ durchgeführt, getreu dem Motto: „Jeder der gehen will, kann sich melden“. Problematisch daran ist, dass – aus Unternehmersicht – oftmals die „Falschen“ das Angebot annehmen.35) Das Unternehmen läuft Gefahr seine „besten“ Mitarbeiter zu verlieren und mitunter Leute, die bereits einen neuen Job haben, für das Ausscheiden noch zu entlohnen.36) Auf Managementebene begegnet man Ansprache- und Freiwilligenprogrammen daher oft skeptisch. Bei der Beratung gilt es eine Spannung auf der Zeitachse (möglichst schnelle Umsetzung der Maßnahme) und im Managingboard (negative Erfahrung mit Anspracheund Freiwilligenprogrammen) aufzulösen. Durch die Implementierung der Maßnahme als sog. Anspracheprogramm kann erreicht werden, dass die – aus Unternehmersicht – „Richtigen“ das Unternehmen verlassen. Zunächst wird festgelegt, welche Mitarbeiter das Unternehmen verlassen sollen und erst im Anschluss erfolgt die direkte Ansprache.37) Das ermöglicht dem Unternehmen ein gezieltes Vorgehen. 20 In Notsituationen kann es erforderlich werden, Mitarbeitern bereits unterschriebene Angebote zuzuschicken. Dadurch kann einer drohenden einstweiligen Verfügung gegen die vorzeitige Durchführung von Betriebsänderungen zuvorgekommen werden38) (zum einstweiligen Rechtsschutz gegen Betriebsänderungen siehe vertiefend § 12 [Möller]). Wenn eine unterschriebene Version eines Aufhebungsvertrags dem Mitarbeiter übergeben wird und der einzige Akt des Mitarbeiters das Unterschreiben ist, dann kann jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutz nichts mehr untersagt werden.39) Dies ist jedoch keinesfalls der Normalfall, sondern möglicherweise eine einmalige Kampfoption, stets unter Berücksichtigung des Nachteilsanspruchs. ___________ 35) 36) 37) 38) 39)

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So auch Ege, AuA 2009, 340 f. Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212, 213. Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 394; Schipp/Aberle, ArbRB 2015, 212; Ege, AuA 2009, 340. Zum Streitstand Kania in: ErfK, § 111 BetrVG Rz. 27; Dzida, ArbRB, 2015, 215. Dies gilt allerdings lediglich für die Aufhebungsverträge, eine Untersagung der weiteren geplanten Maßnahmen ist trotzdem denkbar und möglich.

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IV. Taktik

3.

Taktik

Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Wo müssen Nebelkerzen gezündet werden, 21 wo lässt man Truppen aufmarschieren, die in Wirklichkeit gar nicht kämpfen und wo führt man am Ende die Schlacht? Zur Taktik gehört, dass die Leistungsträger im Vorlauf des Programms identifiziert wurden. Das Programm muss in einen Konsultationsprozess eingebettet werden (siehe § 3 Rz. 23 ff. [Gossak]). Ein Erfolg im Programm muss unbedingt mit allen Mitarbeitern geteilt werden. 4.

Kommunikation

Der Erfolg eines Ansprache- und Freiwilligenprogramms hängt maßgeblich 22 von der Kommunikation im Unternehmen ab.40) a)

Beteiligung der zuständigen Mitarbeiter

Die zuständigen Mitarbeiter, die die Gespräche durchführen sollen, dürfen 23 nicht erst am letzten Tag beteiligt werden. Sie müssen ab dem ersten Tag mitentscheiden, was die „Message“ des Programms ist. Ein Programm, welches nicht von den Durchführenden getragen wird, kann nicht erfolgreich sein.41) b)

Bedarf an externer Hilfe bei Durchführung der Personalgespräche

Praktisch keine Personalabteilung kann – neben den täglichen Aufgaben – die 24 anstehende Flut von Aufhebungsvertragsverhandlungen selbstständig bewältigen. Helfen kann professionelle Unterstützung beim Führen der Personalgespräche. 25

Praxishinweis Dem Argwohn des Betriebsrats hiergegen kann dadurch begegnet werden, dass er bei der Entscheidung, wer als Unterstützung eingeschaltet wird, mit einbezogen wird.

c)

Bewertung und Abschluss

Häufig übersehen werden die Bewertung und der Abschluss des Programms. 26 Wenn das Programm am Ende positiv verlaufen ist, muss der „Erfolg“ mit dem Betriebsrat und der Belegschaft geteilt werden. Es ist schwierig darüber zu sprechen, dass der Abbau von Personal ein Erfolg ist. Trotzdem haben bei der Durchführung viele Personen mitgewirkt, deren Anstrengungen honoriert werden müssen.

___________ 40) So auch Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 398; Ege, AuA 2009, 340, 343. 41) Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 398.

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§ 4 Taktik und Strategie bei modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

5.

Emotion

a)

Monitoring – Erfolgsquote

27 Sind wir „on track“? – Erforderlich sind eine konsequente Führung und ein Monitoring, dessen Erkenntnisse direkt kommuniziert werden. Es muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, welche Mitarbeiter bereits angesprochen wurden und unterschrieben haben bzw. welche nicht. Dies verschafft nicht nur einen Überblick über den Verlauf des Programms, sondern lässt auch eine Leistungskontrolle der Führungskräfte/Ansprechenden zu. Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass das Unternehmen lange Zeit im Unklaren über den Fortschritt des Programms bleibt.42) b)

Druck

28 Ein teures Programm, das zu 60 % Abbau führt und im Anschluss betriebsbedingter Kündigungen bedarf, ist kein Erfolg. Um diese Situation zu vermeiden, kann Druck auf die Mitarbeiter ausgeübt werden. aa)

Quorum

29 Großer Druck lässt sich über Quoren erzeugen. Der Arbeitgeber stellt von Beginn an klar, das Programm nur gegenzuzeichnen, wenn bspw. 90 % der Angesprochenen mitgemacht haben. Dabei kann auch vereinbart werden, dass der Arbeitgeber einseitig auf das Quorum verzichten kann. Die Entscheidung darüber wird in der Regel allerdings erst am Tag nach Ablauf des Programms getroffen. bb)

Entscheidungsfenster

30 Der Arbeitgeber muss klare Deadlines definieren und sich zwingend an seine Fristen halten.43) Von jeglichen Verlängerungen ist eindringlich abzuraten. Festlegen sollten die Parteien im Besonderen bis wann die Mitarbeiter ihr Angebot einreichen können. Finanzielle Anreize können geschaffen werden, indem etwa in Woche 1 des Programms keine Deckelung des Abfindungsbetrags gilt oder durch entsprechende Prämienzahlungen (Turboprämie).44) c)

Arbeitsverdichtung

31 Das Unternehmen muss gegenüber dem Betriebsrat und seinen verbleibenden Mitarbeitern einen Plan aufzeigen, auf wen und auf welche Weise die anfallende Arbeit verteilt werden soll.45) Dabei ist schlüssig zu erklären, wie dieselbe Ar___________ 42) 43) 44) 45)

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So etwa Ege, AuA 2009, 340, 343. Pauken, ArbRAktuell 2016, 400, 403. Ege, AuA 2009, 340, 342 f. Meyer/Röger, NZA-RR 2011, 393, 397 f.

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V. Alternativen zum Ansprache- und Freiwilligenprogramm

beit mit weniger Personal innerhalb der gegebenen Arbeitszeit abgearbeitet werden kann. Diese Elemente der Personalplanung sind unverzichtbar, um nicht die verbleibenden Mitarbeiter im Nachgang eines solchen Programms gegen sich aufzubringen. V.

Alternativen zum Ansprache- und Freiwilligenprogramm

Letztlich sollen noch zwei Alternativen zum klassischen Ansprache- und Frei- 32 willigenprogramm aufgezeigt werden. 1.

Tarifvertrag über die „Vermittlung in gute Arbeit“

Statt langwierige Interessenausgleichsverhandlungen zu führen, können die 33 Betriebsparteien einen tariflichen Anspruch auf „Vermittlung in gute Arbeit“ schaffen. Inhalt des Anspruchs ist, dass der Berechtigte für einen bestimmten Zeitraum das Recht hat, eine professionelle Vermittlung in sog. gute Arbeit zu bekommen. Diese „gute Arbeit“ wird zuvor definiert und kann umfassen: unbefristete Stelle, kein sekundärer Arbeitsmarkt und (nach Möglichkeit) Tarifgehalt. Teil der Vereinbarung sollte eine Ausgleichsregel für die Mitarbeiter sein, die nicht das Tarifgehalt erzielen können, mit dem Inhalt, dass diese für einen gewissen Zeitraum die Differenz vom ursprünglichen Arbeitgeber ausgezahlt bekommen, um den Übergang zu erleichtern. Essentiell ist es den Berechtigtenkreis genau zu definieren, wobei vereinbart werden kann, dass das Unternehmen neue Berechtigtenkreise hinzufügen darf. 2.

Matching-Verfahren

Vor einer (vorschnellen) Durchführung von Personalabbaumaßnahmen kann 34 durch ein Matching-Verfahren ermittelt werden, ob der Personalbedarf nicht doch durch den aktuellen Mitarbeiterbestand gedeckt werden kann. Im besten Falle wird die Restrukturierung in sechs Wochen erfolgreich durchgeführt, nicht genutztes Mitarbeiterpotential wird aktiviert, Betriebsloyalität gehalten und letztlich bietet das Matching-Verfahren enormes Kosteneinsparungspotential.46) Das Verfahren kann in drei Phasen untergliedert werden. x

1. Phase: Jeder Mitarbeiter hat das Recht seinen Lebenslauf, mit externer Unterstützung, zu überarbeiten und anschließend einzureichen. Man kann sogar darüber hinausgehen und die Mitarbeiter dazu auffordern, Stellen zu nennen, für die sie sich geeignet halten.

x

2. Phase: Der Arbeitgeber überprüft, ob einer der Mitarbeiter auf die offene Stelle passt.

___________ 46) Vgl. zum Ganzen Mühge, Personalvermittlung im internen Arbeitsmarkt S. 36, 103 ff.

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§ 4 Taktik und Strategie bei modernen Ansprache- und Freiwilligenprogrammen

x

VI.

3. Phase: Bei den Mitarbeitern für die keine passende Stelle gefunden wird, wird simuliert, ob Erfolgsaussichten in einem fiktiven Arbeitsgerichtsprozess bestehen. Zusammenfassung

35 Ansprache- und Freiwilligenprogramme sind ein taugliches Instrument, um Restrukturierungsbedarf „geräuschlos“ zu decken. Bei der Umsetzung gilt es, genau definierte Anwendungsbereiche zu schaffen, um für spätere Streitigkeiten gewappnet zu sein. Mit der Schaffung eines tariflichen Anspruchs auf Vermittlung in gute Arbeit oder der Durchführung eines Matching-Verfahrens vor der Durchführung einer Personalabbaumaßnahme stehen Arbeitgebern Alternativen zum klassischen Ansprache- und Freiwilligenprogramm zur Verfügung.

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§ 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren

Lutz

Übersicht I. Allgemeines ....................................... 1 II. Voraussetzungen einer Massenentlassung........................................... 5 1. Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG ................................................. 5 2. Entlassungsbegriff .............................. 7 III. Beteiligungsrechte des Betriebsrats ............................................. 9 1. Information ...................................... 12

2. 3.

Konsultation ..................................... 17 Rechtliche Wirkung des Konsultationsverfahrens .............................. 21 IV. Massenentlassungsanzeige ............. 23 1. Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige ........................... 23 2. Rechtliche Wirkung der Massenentlassungsanzeige ........................... 29

Literatur: Commandeur/Kleinebrink, Der Status des Geschäftsführers als Arbeitnehmer – Geschäftsführer als Subjekt unionsrechtlicher Schutzvorschriften, NZA-RR 2017, 449; Hohenstatt/Naber, Sind Fremd-Geschäftsführer Arbeitnehmer im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie?, NZA 2014, 637; Klumpp/Holler, Die Berufsgruppe nach § 17 KSchG, NZA 2018, 408; Lunk/Hildebrand, GmbH-Geschäftsführer und Massenentlassungen – Konsequenzen der Balkaya-Entscheidung des EuGH für Geschäftsführer, Arbeitnehmer und Gesellschafter, NZA 2016, 129; Schramm/Kuhnke, Das Zusammenspiel von Interessenausgleichs- und Massenentlassungsanzeigeverfahren, NZA 2011, 1071; Spelge, Die Massenentlassungsrichtlinie – Vom Schattendasein zum Hot Spot des Kündigungsschutzrechts, EuZA 2018, 67; Weber, Neuere Rechtsprechung des EuGH zur Massenentlassungsrichtlinie, NZA 2016, 727; Wolff/Köhler, Neues zur Massenentlassungsanzeige: Mehr administrativer Aufwand und Risiken für Arbeitgeber!, BB 2017, 1078.

I.

Allgemeines

Unabhängig davon, welchen langfristigen Zweck ein krisengeplagtes Unterneh- 1 men mit seiner Restrukturierung verfolgt, wird diese immer auch der Kostensenkung dienen. Einen wesentlichen Anteil an den Gesamtkosten eines Unternehmens machen in der Regel die Personalkosten aus – auch wenn dieser Anteil von Branche zu Branche variiert. Effektive Sanierung setzt daher in den meisten Fällen auch an einer Reduzierung der Personalkosten an. Dies schlägt sich häufig in der Entlassung von Arbeitnehmern nieder, mag sich der Umfang der Entlassungen im Einzelnen auch von Konzept zu Konzept unterscheiden. In vielen Fällen krisenbedingter Restrukturierung erreicht diese jedoch die Schwelle einer Massenentlassung, für die nicht nur die allgemeinen Beschränkungen des deutschen Kündigungsschutzrechts, sondern nach §§ 17 ff. KSchG zusätzliche Verpflichtungen gelten. Diese Verpflichtungen des Arbeitgebers bestehen gegenüber einem Betriebsrat (Konsultationsverfahren) und der Agentur für Arbeit (Anzeigeverfahren). Das Konsultations- und das Anzeigeverfahren sind zwei grundsätzlich voneinander getrennt zu betrachtende,1) aber an manchen Stellen miteinander ___________ 1) BAG, Urt. v. 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, ZIP 2016, 633 = NZA 2016, 490, dazu EWiR 2016, 281 (Mehrens/Römer).

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§ 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren

verzahnte Verfahren. Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen in beiden Verfahren nicht ordnungsgemäß nach, kann sich dies nach der jüngeren Rechtsprechung des BAG auf die Wirksamkeit einer im Zuge der Massenentlassung durchgeführten Maßnahme auswirken.2) Die Vorschriften über die Massenentlassung haben damit in den letzten Jahren erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen. 2 §§ 17 ff. KSchG dienen der Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie – MERL).3) Im Zweifel sind sie daher anhand der europäischen Vorschriften auszulegen. Dies gilt nach der neueren Rechtsprechung des EuGH insbesondere für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs. Dieser bestimmt sich allein unionsrechtlich. 3 Dies wirkt sich insbesondere auf § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG aus, wonach Mitglieder eines Vertretungsorgans einer juristischen Person nicht als Arbeitnehmer gelten. Dies verstößt nach Auffassung des EuGH für Fremdgeschäftsführer gegen Unionsrecht.4) Ob diese nach wie vor existierende Vorschrift von deutschen Gerichten weiterhin anzuwenden ist oder ob sie richtlinienkonform unangewendet bleiben kann, ist allerdings noch ungeklärt.5) Die überzeugendste praktische Lösung dürfte in diesem Zusammenhang sein, Fremd- und Minderheitsgeschäftsführer bei der Berechnung der Schwellenwerte mitzuzählen und sie auch in die Massenentlassungsanzeige aufzunehmen, sie aber i. R. des Konsultationsverfahrens mit dem (für sie nicht zuständigen) Betriebsrat nicht zu berücksichtigen.6) 4 Eine weitere in diesem Zusammenhang aktuell diskutierte Frage ist, ob Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb als Arbeitnehmer zu zählen sind. Das BAG hatte sie jüngst dem EuGH vorgelegt, durch Rücknahme der Revision erledigte sich das Verfahren dann jedoch.7) Richtigerweise sollte sie verneint werden, da eine „Entlassung“ von Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb unmittelbar nur dazu führt, dass sie zu ihrem Verleiher zurückkehren, aber nicht dazu, dass ihr Arbeitsverhältnis beendet wird oder sie dem Arbeitsmarkt zur Last fallen. ___________ 2) BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, ZIP 2013, 742 = DB 2013, 1029, dazu EWiR 2013, 395 (Göpfert/Pfister). 3) Ausführlich zu den relevanten Bestimmungen der Massenentlassungsrichtlinie Spelge, EuZA 2018, 67. 4) EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – Rs. C-229/14 (Balkaya), ECLI:EU:C:2015:455 = ZIP 2015, 1555, dazu EWiR 2015, 553 (Lindemann). 5) Für die Anwendung: Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637; Weber, NZA 2016, 727. 6) So etwa Lunk/Hildebrand, NZA 2016, 129, und wohl auch Commandeur/Kleinebrink, NZARR 2017, 449. 7) S. zunächst BAG, Beschl. v. 16.11.2017 – 2 AZR 90/17 (A), ZIP 2018, 241 = NZA 2018, 245, dazu EWiR 2018, 189 (Wolff/Stemmler); s. schließlich BAG, Pressemitteilung Nr. 31/18 v. 12.6.2018 zum Verfahren (Az.: 2 AZR 90/17).

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II. Voraussetzungen einer Massenentlassung

II.

Voraussetzungen einer Massenentlassung

1.

Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG

Eine Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG liegt vor, wenn in einem 5 Zeitraum von 30 Kalendertagen folgende Grenzwerte überschritten sind: x Entlassung von mehr als fünf oder mehr Arbeitnehmern in Betrieben in einer Größe von in der Regel mehr als 20, aber weniger als 60 Arbeitnehmern; x Entlassung von 10 % oder mehr als 25 Arbeitnehmern in einem Betrieb von in der Regel 60 bis weniger als 500 Arbeitnehmern; x Entlassung von mindestens 30 Arbeitnehmern in einem Betrieb von in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern. Grundsätzlich liegt eine Massenentlassung nur dann vor, wenn die Entlassungen 6 innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen veranlasst werden. Dies soll auch im Falle einheitlich geplanter, jedoch stufenweise umgesetzter Entlassungen gelten. Hier scheint das BAG – anders als im Zusammenhang mit § 111 BetrVG8) – jede Entlassungsstufe als eigenständige Maßnahme zu begreifen, für die grundsätzlich ein eigenes Konsultations- und Anzeigeverfahren durchzuführen ist. Es ist jedoch zulässig, diese Verfahren miteinander zu verbinden; nur solange die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 und 2 KSchG durchgeführt werden, bedarf es gemäß § 18 Abs. 4 KSchG einer erneuten Anzeige.9) 2. Entlassungsbegriff Unter dem Begriff der Entlassung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist sachlich jede 7 Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitgebers zu verstehen. Dies kann nicht nur durch Beendigungskündigung, sondern auch durch Ausspruch einer Änderungskündigung geschehen. Dies gilt nicht nur, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot des Arbeitgebers ablehnt,10) sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot vorbehaltlos annimmt und das Arbeitsverhältnis damit nicht endet, da der Arbeitgeber auch in diesem Fall eine „echte“ Kündigung erklärt hat, auch wenn diese mit einem Angebot eines geänderten Arbeitsvertrags verbunden ist.11) Auch einem Aufhebungsvertrag kann eine Entlassung zugrunde liegen, wenn sein Abschluss vom Arbeitgeber veranlasst wurde.12) Dies hat zur Folge, dass auch Freiwilligenprogramme oder ___________ 8) Vgl. BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, BAGE 117, 296 = ZIP 2006, 1460, dazu EWiR 2006, 583 (Oetker). 9) BAG, Urt. v. 9.6.2016 – 6 AZR 638/15, ZIP 2016, 2037 = NZA 2016, 1202, dazu EWiR 2016, 773 (Stütze). 10) Vgl. BAG, Urt. v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, BAGE 38, 106 = AP Nr. 2 zu § 2 KSchG 1969. 11) BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, ZIP 2014, 1691 = NZA 2014, 1069, dazu EWiR 2014, 635 (Schubert). 12) BAG, Urt. v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, BAGE 91, 107 = ZIP 1999, 1568, dazu EWiR 1999, 853 (Wertheimer).

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§ 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren

ähnliche Maßnahmen eine Massenentlassung darstellen und die Verpflichtungen des § 17 KSchG auslösen können. Eigenkündigungen des Arbeitnehmers stellen nach der Rechtsprechung des BAG dann Entlassungen dar, wenn der Arbeitnehmer mit ihrem Ausspruch einer Kündigung des Arbeitgebers zuvorkommen wollte.13) Keine Entlassung stellt die bloße Einstellung der Geschäftstätigkeit oder die Freistellung von Arbeitnehmern dar.14) 8 Zeitlich ist die Entlassung im Falle einer Kündigung abgeschlossen, wenn diese vom Arbeitgeber erklärt worden ist.15) Dies gilt ausnahmsweise jedoch nicht für Arbeitnehmer in Elternzeit; ihnen gegenüber gilt bereits der Eingang des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung bei der zuständigen Behörde als Entlassung.16) Im Falle eines Aufhebungsvertrags wird dementsprechend die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung des Arbeitgebers die Entlassung darstellen. Unklar ist, wann nach jetzigem Rechtsstand im Falle einer Eigenkündigung eine Entlassung vorliegen soll. Die Junk-Entscheidung17) des EuGH legt nahe, dass die Entlassung auch in diesem Fall an das Verhalten des Arbeitgebers, das zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt, anknüpft.18) Dies kann allerdings zu rechtlicher Unsicherheit führen, da ex ante kaum erkennbar ist, durch welches Verhalten des Arbeitgebers sich der Arbeitnehmer zur Kündigung veranlasst gefühlt hat und wie sich dies zu dem i. R. von § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG relevanten Dreißig-Tages-Zeitraum verhält. III.

Beteiligungsrechte des Betriebsrats

9 Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Massenentlassung durchzuführen, hat er den nach den Vorschriften des BetrVG zuständigen Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unter Mitteilung x

der Gründe für die geplanten Entlassungen,

x

der Anzahl der zu entlassenden und in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und deren Berufsgruppen,19)

___________ 13) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029, dazu EWiR 2012, 707 (Hützen); BAG, Urt. v. 6.12.1973 – 2 AZR 10/73, BAGE 25, 430 = AP Nr. 1 zu § 17 KSchG 1969. 14) BAG, Urt. v. 14.4.2015 – 1 AZR 794/13, ZIP 2015, 1406 = NZA 2015, 1147, dazu EWiR 2015, 587 (Stütze). 15) EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03 (Junk), Slg. 2005, I-885-992 = ZIP 2005, 230, dazu EWiR 2005, 213 (Grimm/Brock); BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281 = ZIP 2006, 1644. 16) BAG, Urt. v. 26.1.2017 – 6 AZR 442/16, ZIP 2017, 692 = NZA 2017, 577, dazu EWiR 2017, 347 (Klasen). 17) EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03 (Junk), Slg. 2005, I-885-992 = ZIP 2005, 230. 18) Offengelassen von BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 19) Zum Begriff der Berufsgruppe ausführlich Klumpp/Holler, NZA 2018, 408.

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III. Beteiligungsrechte des Betriebsrats

x

des geplanten Zeitraums der Entlassungen sowie

x

der vorgesehenen Kriterien für eine Sozialauswahl und für die Berechnung von Abfindungen

zu unterrichten (Information). Er hat mit ihm nach § 17 Abs. 1 Satz 2 die Möglichkeit zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassung sowie der Milderung ihrer Folgen zu beraten (Konsultation). Dies gilt auch, wenn i. R. einer Betriebsstilllegung alle Arbeitnehmer entlassen werden.20) Das Konsultationsverfahren entspricht seiner Zwecksetzung, seinen Voraus- 10 setzungen und seinem Ablauf nach weitgehend, aber nicht vollständig den für Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen geltenden Regelungen.21) So wird § 111 BetrVG anhand der Schwellenwerte des § 17 KSchG ausgelegt,22) eine Massenentlassung stellt daher regelmäßig auch eine Betriebsänderung dar. Beide Verfahren enthalten jeweils eine Unterrichtungs- und eine Beratungsphase, auch wenn die Anrufung der Einigungsstelle nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht vorgesehen und das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG zeitlich auf zwei Wochen begrenzt ist. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, dass der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren parallel mit der Einleitung des Interessenausgleichsverfahrens durch Übermittlung der nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG vorgesehenen Informationen beginnt.23) Eine solche Verbindung verletzt keine unionsrechtlichen Vorgaben.24) 11

Praxishinweis Der Arbeitgeber sollte das Konsultationsverfahren jedoch bewusst durchführen und nicht als unselbständigen Annex zu den Verhandlungen über die Betriebsänderung betrachten, da seine Durchführung Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige und die in der Folge umgesetzten Entlassungen ist (siehe hierzu noch Rz. 21 f.). Eine Verbindung beider Verfahren muss dem Betriebsrat außerdem unmissverständlich angezeigt werden.25)

___________ 20) Zuletzt BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, ZIP 2017, 193 = NZA 2017, 175, dazu EWiR 2017, 153 (Laskawy). Der einzige im europäischen Raum entschiedene Ausnahmefall (Beendigung aller Arbeitsverhältnisse durch Tod des Arbeitgebers) dürfte aufgrund der Vermutung des § 672 Satz 1 BGB in Deutschland kaum eine Rolle spielen. 21) Vgl. zu Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen bei Betriebsänderungen § 13 Rz. 149 ff., 160 ff.; zur Nutzung von Synergieeffekten bei der Durchführung von Konsultations- und Interessenausgleichsverfahren s. Schramm/Kuhnke, NZA 2011, 1071. 22) BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, BAGE 117, 296 = ZIP 2006, 1460. 23) So auch Schramm/Kuhnke, NZA 2011, 1071. 24) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32, dazu EWiR 2013, 85 (Wank). 25) BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, dazu EWiR 2015, 423 (Fuhlrott).

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§ 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren

1.

Information

12 Die Informations- oder Unterrichtungsphase wird mit Übermittlung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG genannten Daten eingeleitet. Die Übermittlung hat hiernach schriftlich zu erfolgen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass hierbei die strenge Schriftform des § 126 BGB einzuhalten wäre; die Rechtsprechung des BAG lässt die Textform des § 126b BGB für eine ordnungsgemäße Information genügen.26) 13 Darüber hinaus hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG außerdem auch alle sonstigen zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen. Die Informationsverpflichtung des Arbeitgebers beschränkt sich nicht auf die in § 17 Abs. 2 Nr. 1 – 6 KSchG genannten Informationen. Welche Angaben des Arbeitgebers als zweckdienlich anzusehen sind, richtet sich nach dem Verlauf der Beratungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.27) 14 Unter besonderen Umständen kann eine nicht ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats, die erkennen lässt, dass er seinen Unterrichtungs- und Beratungsanspruch als erfüllt ansieht, geheilt werden. Das BAG hat in einem Fall angenommen, in dem der Arbeitgeber die Berufsgruppen der betroffenen Arbeitnehmer nicht angegeben hatte, in dem aber ohnehin eine vollständige Schließung des Betriebs im Raum stand.28) 15 Der Agentur für Arbeit ist nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG gleichzeitig mit der Unterrichtung des Betriebsrats eine – von der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG zu unterscheidende – Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten. Die vollständige Unterrichtung des Betriebsrats sollte sorgfältig dokumentiert werden, da sie den Fristenlauf des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG in Gang setzt und ggf. gegenüber der Agentur für Arbeit bei Anzeige der Massenentlassung glaubhaft gemacht werden muss. 16

Praxishinweis In der Praxis geben manche Arbeitsagenturen zu erkennen, dass sie eine Zuleitung dieser Abschrift vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige nicht für nötig erachten, oder fordern explizit dazu auf, alle Informationen aus Effizienzgründen gemeinsam mit der Massenentlassungsanzeige zu übermitteln. Das Erfordernis des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist indes nicht durch Abrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitsagentur abdingbar, so dass solchen Ersuchen nicht nachgekommen werden sollte.

___________ 26) BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, ZIP 2017, 193 = NZA 2017, 175. 27) EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – Rs. C-44/08 (Keskusliitto), Rz. 53, Slg. 2009, I-8188 = ZIP 2009, 2255, dazu EWiR 2009, 725 (Forst). 28) BAG, Urt. v. 9.6.2016 – 6 AZR 405/15, ZIP 2016, 1885 = NZA 2016, 1198, dazu EWiR 2016, 675 (Göpfert).

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III. Beteiligungsrechte des Betriebsrats

2.

Konsultation

Ebenfalls dokumentiert werden sollten die Beratungen mit dem Betriebsrat, denn 17 auch sie müssen gegenüber der Agentur für Arbeit ggf. glaubhaft gemacht werden. Ebenso wie im Interessenausgleichsverfahren unterliegt der Arbeitgeber im Konsultationsverfahren keinem Einigungszwang. Es reicht aus, wenn er mit dem ernstlichen Willen zur Einigung in die Verhandlungen mit dem Betriebsrat geht und bereit ist, sich mit dessen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Der Arbeitgeber kann die Vermeidung oder Einschränkung von Entlassungen auch vom Vorliegen bestimmter Bedingungen abhängig machen. Auch eine absolute Verhandlungsmindestdauer ist nicht vorgeschrieben. Den Konsultationsanspruch des Betriebsrats darf der Arbeitgeber dann als erfüllt ansehen, wenn er den Betriebsrat zuvor vollständig informiert hat und dieser keine Bereitschaft zu zielführenden Verhandlungen erkennen lässt.29) Das Konsultationsverfahren wird nach der Konzeption des § 17 Abs. 3 Satz 1 18 KSchG nach Abschluss der Beratungsphase durch eine Stellungnahme des Betriebsrats zu den geplanten Entlassungen abgeschlossen. Auch wenn diese Stellungnahme nicht zwingend in einem eigenen Schriftstück niedergelegt sein muss und auch in einem Interessenausgleich enthalten sein kann,30) so genügt doch nicht jede Äußerung des Betriebsrats gegenüber der Arbeitsverwaltung unabhängig von ihrem Inhalt den Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.31) Vielmehr muss die Stellungnahme sich auf die geplanten Kündigungen beziehen und eine abschließende Meinungsäußerung hierzu enthalten; ausreichend ist auch die eindeutige Äußerung, nicht Stellung nehmen zu wollen.32) Wurde zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen, so ersetzt dieser nach § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG die Stellungnahme im Konsultationsverfahren. Auch in der Insolvenz ersetzt nach § 125 Abs. 2 InsO nur ein Interessenausgleich mit Namensliste, nicht aber der Spruch der Einigungsstelle die Stellungnahme.33) Diese Stellungnahme des Betriebsrats ist entbehrlich, wenn die Entlassungen mit 19 dem Betriebsrat beraten wurden und seit der ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zwei Wochen vergangen sind.

___________ 29) Ausführlich zum Beratungserfordernis BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, ZIP 2017, 193 = NZA 2017, 175. 30) BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, ZIP 2013, 742 = DB 2013, 939. 31) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 32) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 33) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, juris.

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§ 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren

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Praxishinweis Der in der Praxis häufig anzufindende (bloße) „Beratungsvermerk“ zu § 17 KSchG im Interessenausgleich ist häufig wirkungslos. Zwar kann die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats in einen Interessenausgleich integriert werden. Diese Stellungnahme muss sich jedoch eindeutig auf die geplante Massenentlassung beziehen und eine Meinungsäußerung in Bezug auf die angezeigten Kündigungen enthalten. Mehrdeutige oder pauschale Formulierungen genügen nicht. Es hat sich bewährt, die Stellungnahme des Betriebsrats in den Interessenausgleich zu integrieren und deutlich als solche zu kennzeichnen. Scheitern jedoch die Verhandlungen zum Interessenausgleich, wird die Stellungnahme nicht wirksam und muss separat abgegeben werden.

3.

Rechtliche Wirkung des Konsultationsverfahrens

21 Anders als im Falle von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen, deren (Nicht-)Durchführung die Wirksamkeit der individualrechtlichen Maßnahmen nicht berührt, ist die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung für die im Nachgang vorgenommenen Entlassungen.34) 22 Die Darlegungs- und Beweislast für die Durchführung des Konsultationsverfahrens in einem Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitnehmer. Greift er die Kündigung an, muss er erstinstanzlich Fehler im Konsultationsverfahren rügen. Es genügt aufgrund der Eigenständigkeit von Konsultations- und Anzeigeverfahren nicht, wenn er lediglich Fehler im Anzeigeverfahren rügt. Das BAG wendet in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht die im Zusammenhang mit der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG entwickelten Grundsätze zur abgestuften Darlegungslast an,35) die den Arbeitgeber zum substantiierten Vortrag auch auf eine nur pauschale Rüge des Arbeitnehmers zwingen, soweit es sich um Vorgänge handelt, die sich in der Sphäre des Arbeitgebers abgespielt haben. IV.

Massenentlassungsanzeige

1.

Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige

23 Zeitlich nach Durchführung des Konsultationsverfahrens und vor Umsetzung der Entlassungen im obigen Sinne ist der Agentur für Arbeit die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 – 5 KSchG zu erstatten. Die Massenentlassungsanzeige muss nach § 17 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 – 5 KSchG die an den Betriebsrat übermittelten Angaben (siehe hierzu Rz. 9) mit Ausnahme der Angaben zur Abfindungsberechnung enthalten. Zur besseren Unterstützung der Agentur für Arbeit bei der Arbeitsvermittlung soll die Anzeige in Absprache mit dem Betriebsrat Angaben enthalten über Geschlecht, Beruf, Alter und Staats___________ 34) BAG, Urt. v. 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, ZIP 2016, 633 = NZA 2016, 490. 35) Ausführlich zu prozessualen Aspekten BAG, Urt. v. 20.1.2016 – 6 AZR 601/14, ZIP 2016, 633, NZA 2016, 490.

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IV. Massenentlassungsanzeige

angehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer (§ 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG). In der Praxis empfiehlt es sich, die von der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellten Formblätter zu verwenden.36) Die Massenentlassung ist nach den internen Regelungen der Bundesagentur bei 24 der örtlich zuständigen Arbeitsagentur zu erstatten. Dies ist regelmäßig die Arbeitsagentur, in deren Bezirk der Betrieb liegt, in dem die Maßnahme vorgenommen werden soll und nicht diejenige, an der sich der Unternehmenssitz befindet. Bei Großunternehmen mit mehreren von der Maßnahme betroffenen Filialbetrieben soll aber auch die Möglichkeit bestehen, eine Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur zu erstatten, in welcher der Sitz des Unternehmens liegt. Besteht Unklarheit über die örtliche Zuständigkeit, kann die Massenentlassungsanzeige auch bei mehreren in Frage kommenden Arbeitsagenturen erstattet werden – hierbei muss allerdings auf die mehrfache Einreichung unter Mitteilung der für die Zuständigkeitsbestimmung maßgebenden Tatsachen hingewiesen werden.37) Die endgültige Zuständigkeitsbestimmung obliegt dann den Arbeitsagenturen. Die Massenentlassungsanzeige muss nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG schriftlich 25 erstattet werden. Das BAG hat bisher offengelassen, ob sie damit der Schriftform des § 126 BGB genügen muss.38) Bis zur Klärung dieser Frage sollte der Arbeitgeber vorsichtshalber die Schriftform wahren, d. h. die Massenentlassungsanzeige sollte vom Arbeitgeber oder einem Vertreter unterzeichnet werden. Ihr ist nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG die Stellungnahme des Betriebsrats aus 26 dem Konsultationsverfahren beizufügen. Hat der Betriebsrat keine Stellungnahme abgegeben, so ist gegenüber der Agentur für Arbeit glaubhaft zu machen, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Anzeige unterrichtet hat; außerdem ist der Stand der Beratungen darzulegen (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG). 27

Praxishinweis Diese Vorgehensweise sollte hilfsweise auch gewählt werden, wenn zwar eine Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt, aber Zweifel bestehen, ob diese den Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG genügt.

Der Arbeitgeber hat nach § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG dem Betriebsrat wiederum 28 eine Abschrift der Massenentlassungsanzeige zuzuleiten. Dieser kann gegenüber der Agentur für Arbeit – ggf. erstmals – Stellung nehmen; in diesem Fall erhält der Arbeitgeber die Stellungnahme des Betriebsrats ebenfalls in Abschrift (§ 17 Abs. 3 Satz 7 und 8 KSchG). Diese Beteiligung des Betriebsrats im Anzeigeverfahren ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Massenentlassungs___________ 36) Eingehend zum neuen Formblatt Wolff/Köhler, BB 2017, 1078. 37) BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, ZIP 2017, 193 = NZA 2017, 175. 38) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32.

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§ 5 Information, Konsultation und Massenentlassungsanzeigeverfahren

anzeige. Sie dient allein der Information des – bereits im Konsultationsverfahren eingebundenen – Betriebsrats über den Fortgang des Verfahrens gegenüber der Agentur für Arbeit. 2.

Rechtliche Wirkung der Massenentlassungsanzeige

29 Eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige setzt mit ihrem Eingang bei der Agentur für Arbeit die Fristen des § 18 KSchG in Gang. 30 Das bedeutet, dass die Arbeitsverhältnisse mit den zu entlassenden Arbeitnehmern im Regelfall39) innerhalb eines Monats beendet werden dürfen (§ 18 Abs. 1 KSchG). Diese Entlassungssperre stellt die Mindestfrist dar, die zwischen der Massenentlassungsanzeige und dem Eintritt der Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt liegen muss und verlängert damit das Arbeitsverhältnis bei Eingreifen einer im Einzelfall kürzeren Kündigungsfrist.40) Sie dient Allgemeininteressen und soll der Agentur ermöglichen, den Sachverhalt aufzuklären und sich auf die Betreuung der Arbeitnehmer organisatorisch vorzubereiten.41) 31 Die nach § 18 Abs. 4 KSchG vom Arbeitgeber zu beachtende Freifrist, wonach Kündigungen nur innerhalb von 90 Tagen nach Ablauf der Sperrfrist ausgesprochen werden dürfen,42) soll verhindern, dass Kündigungen zu unvorhergesehenen Terminen erklärt werden und hierdurch die Arbeit der Agentur für Arbeit beeinträchtigt wird. Die Freifrist ist gewahrt, wenn die Kündigungserklärung dem Arbeitnehmer bis zu ihrem Ablauf zugeht. 32 Die ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige eröffnet dem Arbeitgeber nur einmal die Möglichkeit zur Kündigung.43) Macht der Arbeitgeber hiervon Gebrauch, so wird die Kündigungsmöglichkeit verbraucht.44) Für eine Nachkündigung muss beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG erneut eine Massenentlassungsanzeige erstattet werden.45) 33 Welche Folgen eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige hat, hängt davon ab, aus welchen Gründen sie fehlerhaft ist. Besteht der Unwirksamkeitsgrund in der Unvollständigkeit der ansonsten fehlerfreien Massenentlassungsanzeige, führt dies nicht dazu, dass die Anzeige insgesamt unwirksam wäre. Vielmehr können sich allein die in der Anzeige fehlerhaft nicht aufgeführten Arbeitneh___________ 39) Die Frist kann nach § 18 Abs. 2 KSchG auf bis zu zwei Monate verlängert werden. 40) BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, BAGE 128, 256 = ZIP 2009, 487, dazu EWiR 2009, 279 (Roock/Fuhlrott). 41) Vgl. Moll in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 18 KSchG Rz. 3. 42) Vgl. zur Auslegung der missverständlichen Formulierung des § 18 Abs. 4 KSchG Weigand in: KR, § 18 KSchG Rz. 34. 43) BAG, Urt. v. 22.4.2010 – 6 AZR 948/08, BAGE 134, 176 = ZIP 2010, 1566, dazu EWiR 2010, 683 (Ostermaier). 44) BAG, Urt. v. 22.4.2010 – 6 AZR 948/08, BAGE 134, 176 = ZIP 2010, 1566. 45) BAG, Urt. v. 22.4.2010 – 6 AZR 948/08, BAGE 134, 176 = ZIP 2010, 1566.

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IV. Massenentlassungsanzeige

mer auf die Unwirksamkeit berufen.46) Wurde jedoch ein grundlegender Verfahrensfehler begangen, etwa das Konsultationsverfahren nicht durchgeführt oder keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt, so ist die Massenentlassungsanzeige insgesamt unwirksam; in diesem Fall ist jede auf ihrer Basis durchgeführte Entlassung nichtig.47) Auch hinsichtlich der ordnungsgemäßen Durchführung des Anzeigeverfahrens trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer die Darlegungsund Beweislast (siehe bereits Rz. 22 für die Darlegungs- und Beweislast im Konsultationsverfahren). Ist die Massenentlassungsanzeige unwirksam, so kommt eine Heilung durch die 34 Entscheidung der Agentur für Arbeit über die Verlängerung der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1, 2 KSchG entgegen der früheren Rechtsprechung des BAG nicht in Betracht. Auch wenn der Arbeitsgerichtsbarkeit die Überprüfung eines bestandskräftigen, nicht offensichtlich unwirksamen Verwaltungsakts verwehrt sein kann: Die Entscheidung nach § 18 Abs. 1, 2 KSchG wird lediglich dem Arbeitgeber bekannt gegeben und entfaltet deswegen Dritten gegenüber keine materielle Bestandskraft; darüber hinaus enthält sie inhaltlich auch nicht die Feststellung, dass die Massenentlassung wirksam angezeigt worden sei.48) Die Voraussetzung für eine das ArbG bindende Drittwirkung liegt damit nicht vor.

___________ 46) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 47) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, juris; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, ZIP 2013, 742 = DB 2013, 939. 48) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029, dazu EWiR 2012, 707 (Hützen).

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§ 6 Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan

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Übersicht I. Begriffsbestimmung ......................... 1 II. Das Gebot der Rechtsquellenklarheit als Problem bei mehrgliedrigen Vereinbarungen .............. 8

III. Mögliche Inhalte tariflicher Vereinbarungen ..................................... 15 IV. Interessenausgleich und Sozialplan ................................................... 26

Literatur: Ginal/Funke, Drum prüfe, wer sich bindet – Mögliche Folgen von Standortsicherungsvereinbarungen und Beschäftigungssicherungen, ArbRAktuell 2017, 478; Göpfert/ Rottmeier, Business Judgment bei Standort- und Beschäftigungszusagen, ZIP 2014, 1259; Grau/Döring, Unwirksamkeit dreigliedriger Standortsicherungsvereinbarungen bei unklarem Normcharakter als Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung, NZA 2008, 1335; Thüsing, Dreigliedrige Standortvereinbarungen, NZA 2008, 201.

I.

Begriffsbestimmung

Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen1) gewährleisten den Fort- 1 bestand des Betriebs, indem einerseits das Unternehmen Regelungen zur Fortentwicklung des Standorts verbindlich vereinbart und andererseits die Belegschaft hierfür Zugeständnisse macht. Um die nötige Verbindlichkeit für beide Seiten zu erreichen, wird eine Stand- 2 ortsicherungsvereinbarung als Tarifvertrag abgeschlossen. Eine Betriebsvereinbarung könnte die Regelungsbereiche nur teilweise abdecken und wäre keine ausreichende Grundlage, um die gewünschte Beteiligung der Belegschaft an den Kosten zu generieren. Denn es geht auch um Einschnitte in tarifliche Besitzstände, die nur durch die Tarifvertragsparteien zulässigerweise vereinbart werden können (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Bei der Formulierung der einzelnen Regelungen muss entschieden werden, in- 3 wieweit ein durchsetzbarer Anspruch der Tarifparteien festgelegt werden soll. Denn die Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen verlassen das Terrain üblicher tariflicher Regelungskomplexe. Dann stellt sich natürlich auch die Frage, ob es sich bei den Regelungen um normative oder nur schuldrechtliche Bestimmungen handelt. Dies ist dann von besonderer Bedeutung, wenn bestimmte unternehmerische Entscheidungen (wie etwa ein geplantes Outsourcing) für die Laufzeit des Tarifvertrags ausgeschlossen werden, aber keine Regelung zur Nachwirkung getroffen ist. Beispiel2) Anlässlich einer Privatisierung vereinbarten die Tarifparteien, dass Maßnahmen des Outsourcings ausgeschlossen sind, es sei denn, dass diese zur Vermeidung betriebs___________ 1) Früher auch bekannt unter „Bündnis für Arbeit“ bzw. „Beschäftigungspakt“. 2) Nach BAG, Urt. v. 26.1.2011 – 4 AZR 159/09, NZA 2011, 808.

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§ 6 Standortsicherungsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan

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bedingter Kündigungen zwingend erforderlich sind, wobei alle Maßnahmen des Outsourcings zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung der Tarifvertragsparteien bedurften. Das Unternehmen kündigte fristgemäß den Tarifvertrag und beschloss, die bisher selbst betriebene Wäscherei stillzulegen und die Aufgaben der Wäscherei an einen Dritten auszulagern. Die Gewerkschaft verlangte die Unterlassung dieser Maßnahme. Auch der Verzicht auf ein Outsourcing kann Gegenstand einer tariflichen Vereinbarung sein, wenn die unternehmerische Freiheit nach Maßgabe des Art. 12 GG beachtet wird, was bei zeitlich begrenzten Ausschlüssen der Fall ist. Beim Ausschluss des Outsourcings im konkreten Fall handelte es sich aber nicht um eine Rechtsnorm über betriebliche Fragen gemäß § 3 Abs. 2 TVG (sog. Betriebsnorm), weil es aufgrund des Zustimmungsvorbehalts der Tarifparteien an einer normativen Regelung des betrieblichen Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Belegschaft fehlte.3) Damit war das Verbot des Outsourcings lediglich eine schuldrechtliche Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, die mit dem Ablauf des Tarifvertrags endete. Der Arbeitgeber konnte das Outsourcing ohne Zustimmung der Gewerkschaft umsetzen. Dieser Fall zeigt deutlich, dass bei der Formulierung der Inhalte von Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen das Spannungsverhältnis zwischen gewollter Durchsetzbarkeit und nötiger Handlungsfreiheit beachtet werden muss. Sollen bestimmte unternehmerische Maßnahmen unterbleiben, ist auf eine zeitliche Begrenzung zu achten, was entweder selbst in den Tarifvertrag formuliert werden kann oder durch einen Ausschluss der Nachwirkung.4) Investitionsentscheidungen werden ohnehin zeitlich begrenzt abgegeben werden, so dass sich das Problem der Nachwirkung dort nicht stellt. Die Regelungen von Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen unterscheiden sich von den Regelungen eines klassischen Sanierungstarifvertrags. Denn es geht im besten Fall darum, das Unternehmen vor einer möglichen Krise zu bewahren. Hier ist noch die Zeit, um auch strategische Entscheidungen zu treffen, die erst mittel- oder langfristig zum Erfolg führen werden. Ein Sanierungstarifvertrag enthält diese Punkte in der Regel nicht, weil es dort um schnell wirkende, kostensenkende Maßnahmen geht, die auch Personalabbauszenarien begleiten. Gerade mit tariflichen Standortsicherungsvereinbarungen können als Idealfall einer betriebsnahen Tarifpolitik die Erfordernisse des einzelnen Unternehmens berücksichtigt werden. Sicherlich gibt es bei den Flächentarifverträgen eine Reihe von Öffnungsklauseln, die Entscheidungskompetenzen auf die Betriebsparteien verlagern. Im hier interessierenden Bereich der Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen geht es aber nicht um solche punktuellen Regelungen, son___________ 3) BAG, Urt. v. 26.1.2011 – 4 AZR 159/09, NZA 2011, 808. 4) Die Nachwirkung kann nach h. M. im Tarifvertrag ganz oder für Teile des Tarifvertrags ausgeschlossen werden, nur: BAG v. 22.10.2008 – 4 AZR 789/07, NZA 2009, 265; Höpfner in: Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 9 Rz. 37 m. v. N.

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II. Das Gebot der Rechtsquellenklarheit als Problem bei mehrgliedrigen Vereinbarungen

dern i. S. einer umfassenden Lösung um eine spürbare Modifikation flächentariflicher Standards. Ziel ist also die Sicherung und der Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und damit zusammenhängend die Sicherung des Standorts und somit eben auch der Beschäftigung.5) II.

Das Gebot der Rechtsquellenklarheit als Problem bei mehrgliedrigen Vereinbarungen

Besonders zu beachten ist bei Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinba- 8 rungen das Gebot der Rechtsquellenklarheit, also das Erfordernis einer eindeutigen Normurheberschaft der getroffenen Regelungen. Hiernach müssen für den Rechtsanwender die Rechtsgrundlage und damit auch die Rechtsqualität einer Vereinbarung unzweifelhaft erkennbar sein.6) Problematisch ist dies insbesondere bei gemischten Vereinbarungen, die von Arbeitgeber, Betriebsrat und Gewerkschaft (und zum Teil noch vom Aufsichtsrat einer Gesellschaft) abgeschlossen werden und Regelungen einer Betriebsvereinbarung, eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans mit denen eines Tarifvertrags kombinieren. Zuordnungsprobleme können dann entstehen, wenn Vereinbarungen auch von 9 Personen unterzeichnet werden, deren Regelungskompetenz sich nicht auf alle Regelungsgegenstände erstreckt. Dabei führt zwar die Mitunterzeichnung eines kollektiven Normenvertrags durch eine hierfür nicht zuständige Person oder Stelle nicht zwingend zur Unwirksamkeit der Regelung.7) Denn wenn sich erkennen lässt, wer in welcher Funktion welche Regelungen unterzeichnet hat, ist dem Gebot der Rechtsquellenklarheit Genüge getan. Kann der Normadressat aus der Vereinbarung jedoch nicht zweifelsfrei entnehmen, um welche Rechtsquelle es sich bei den jeweiligen Regelungsgegenständen handelt, ist die Vereinbarung entweder insgesamt oder jedenfalls hinsichtlich solcher Regelungskomplexe unwirksam, deren Rechtsqualität unklar ist.8) 10

Praxishinweis Mehrgliedrige Vereinbarungen sind also zur Vermeidung von Unklarheiten und damit folgender Unwirksamkeit möglichst nicht abzuschließen. Dies ist in der Praxis auch kein Problem, da die mehrgliedrige Vereinbarung ohnehin nur eine Zusammenfassung verschiedener, wenn auch ineinander greifender, Regelungsbereiche ist. Es ist unproblematisch möglich, den Tarifvertrag sowie einen flankierenden Interessenausgleich und Sozialplan oder andere Betriebsvereinbarungen getrennt abzuschließen und in gesonderten Dokumenten zu vereinbaren.

___________ 5) Zu eng: Heuschmid/Klein in: Däubler, TVG, § 1 Rz. 885, die Standortsicherungstarifverträge nur bei einer konkret angedrohten Standortverlagerung annehmen. 6) BAG, Urt. v. 26.9.2017 – 1 AZR 717/15, NZA 2018, 803; BAG, Urt. v. 15.4.2008 – 1 AZR 86/07, ZIP 2008, 1544, dazu EWiR 2009, 5 (Oetker). 7) Thüsing, NZA 2008, 201, 202. 8) BAG, Urt. v. 15.4.2008 – 1 AZR 86/07, ZIP 2008, 1544; hierzu Grau/Döring, NZA 2008, 1335.

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§ 6 Standortsicherungsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan

11 Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen können somit durchaus gestufte Verantwortlichkeiten enthalten. Denkbar ist z. B. dass die Regelungen zur Produktivitätssteigerung im Tarifvertrag vereinbart sind, die Einzelheiten zur Gewichtung und Messung der Produktivitätsentwicklung aber die Betriebsparteien in Betriebsvereinbarungen regeln. 12 Es sei an dieser Stelle noch hingewiesen, dass gerade im Falle von angedrohten Standortschließungen damit gerechnet werden muss, dass die Gewerkschaft den Abschluss eines Tarifsozialplans verlangt und hier auch zu Arbeitskampfmaßnahmen greift. Anders als tarifliche Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen ist Ziel eines Tarifsozialplans die wirtschaftliche Kompensation des Arbeitsplatzverlusts, etwa durch Abfindungen oder verlängerte Kündigungsfristen. Die Gefahr für das Unternehmen ist dann, dass es von zwei Seiten „in die Zange genommen wird“. Einerseits durch die Gewerkschaft, notfalls mit einem Streik, und andererseits durch die Einigungsstelle i. R. der Verhandlungen um einen (betriebsverfassungsrechtlichen) Sozialplan. Dass der beabsichtigte Abschluss eines Tarifsozialplans ein zulässiges Kampfziel eines Streiks ist, hat das BAG bereits 2007 entschieden.9) 13 Einige Zeit war es ruhig geworden, doch im Jahr 2018 wurde diese Art von Arbeitskampf bei drohender Betriebs(teil)schließung wieder angewandt. 14 Tarifliche Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen setzen vor einer Betriebs(teil)stilllegung, -einschränkung oder -verlagerung an und gestalten die unternehmerischen Maßnahmen mit. III.

Mögliche Inhalte tariflicher Vereinbarungen10)

15 Die Inhalte von Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen sind vielfältig. Je nachdem, wo das Unternehmen Freiräume braucht, ist zu handeln. Dies wiederum hängt davon ab, wo das Management des Unternehmens Entwicklungsbedarf sieht. In Anlehnung an IDW S 6 kommen hier insbesondere die Bereiche Strategie, Produkt und Absatz in Frage. 16 Entwicklungsvereinbarungen sind Teil der Lösung von erkannten potentiellen Strategiekrisen. Das Unternehmen muss auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren. Sinkende Marktanteile zwingen zu Änderungen in vielen Bereichen. Damit können auch Änderungen des Betriebszwecks oder sonstige Reorganisationen einhergehen, die jedenfalls interessenausgleichspflichtig sind, aber auch generell die Anforderungen an die Mitarbeiter verändern. Insofern können durch kollektive Regelungen z. B. nötige Bildungsmaßnahmen umgesetzt werden, um ___________ 9) BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, ZIP 2007, 1768, dazu EWiR 2007, 657 (Weller). 10) Aus jüngster Zeit: Zukunftstarifvertrag Opel (befristeter Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, Investitionszusagen, Begrenzung des Personalabbaus durch Freiwilligenprogramm, Altersteilzeit oder Vorruhestand); Zukunftstarifvertrag HKM (Absenkung Arbeitszeit, Ausweitung Arbeitszeitkonten, Beschäftigungsgarantie, Ausschluss Fremdvergabe).

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III. Mögliche Inhalte tariflicher Vereinbarungen

die Beschäftigten bei bestehendem Arbeitsverhältnis zu qualifizieren. Durch Tarifvertrag kann dann wiederum die Beteiligung der Beschäftigten an dieser Qualifizierung geregelt werden, etwa durch das Einbringen von Arbeitszeitguthaben. Bedeutsamer sind die Handlungsfelder in den Bereichen Produkt und Absatz. 17 Teil von Produkt- und Absatzkrisen sind nicht ausreichende Deckungsbeiträge, Schwächen in der Qualität sowie im Bereich Marketing und Vertrieb. Der Absatz der Produkte sinkt auch in absoluten Zahlen und damit sinkt in der Regel auch der Beschäftigungsbedarf. Hierauf kann zwar auch mit Kurzarbeit reagiert werden. Dies gilt aber nur bei temporären Schwankungen, tiefergehende Probleme müssen mit längerfristig wirkenden Regelungen gelöst werden, die auch auf schwankenden Beschäftigungsbedarf intelligent reagieren können. Eine intelligente Lösung in Bezug auf Beschäftigungsprobleme vereinbart den Schutz der Belegschaft bei aktueller Minderauslastung mit dem Interesse des Unternehmens am Erhalt qualifizierter Fachkräfte zur Bewältigung der zukünftig angestrebten Auslastungssteigerung. Arbeitnehmer- und Unternehmensinteresse greifen also wie folgt ineinander: Abb. 1

18

– Unterauslastung

Nutzung Fluktuation Verleih von Beschäftigten Arbeitszeitkontenabbau Auslauf von Befristungen Abmeldung Leiharbeiter

Mehrarbeit Arbeitszeitkontenaufbau Befristete Einstellung Einsatz Leiharbeiter

+ Beschäftigungsbedarf

Denkbar ist, die Arbeitszeit an die Auslastung so zu koppeln, dass bei einer 19 höheren Auslastung die Arbeitszeit steigt und bei einer geringeren Auslastung

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§ 6 Standortsicherungsvereinbarungen, Interessenausgleich und Sozialplan

die Arbeitszeit sinkt. Dabei wird die Gewerkschaft darauf achten, dass die Arbeitszeit eine bestimmte Dauer nicht unterschreitet. 20 Parallel dazu kann vereinbart werden, dass bestimmten Aufgaben nicht fremdvergeben werden, um Beschäftigung im Betrieb zu halten (Verbot des Outsourcings). Andererseits könnte auch die Verpflichtung vereinbart werden, ausgelagerte Aufgaben wieder in das Unternehmen zurückzuholen (Pflicht zum Insourcing), um Beschäftigung zu sichern. 21 Im Hinblick auf anstehende Personalanpassungen ist es sinnvoll, eine Untergrenze des Personalbestands zu vereinbaren, die für den Fortbestand des Standorts als zwingend notwendig angesehen wird. Dies wird insbesondere flankierend bei freiwilligen Ausscheidensvereinbarungen oder der Nutzung von Altersteilzeit sowie sonstigen vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand der Fall sein. 22 In der Regel wird ein weiterer (befristeter) Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen Ziel der Arbeitnehmerseite sein. Denkbar ist auch, dass sich das Unternehmen dazu verpflichtet, bestimmte Betriebsabteilungen am Standort zu lassen. Dies gilt insbesondere für den Erhalt des Know how, um den Risiken der „verlängerten Werkbank“ zu entgehen. Dazu muss es belastbare Zusagen des Unternehmens zu Art und Umfang von Investitionen am Standort geben.11) Ob das Unternehmen auch Bestandsgarantien für einzelne Standorte erteilen kann, muss in Anbetracht der Laufzeit des Tarifvertrags entschieden werden.12) Bei lang laufenden Tarifverträgen erscheint eine unkonditionierte Existenzgarantie bedenklich. 23 Gegenleistung der Arbeitnehmerseite könnte neben der Koppelung der Arbeitszeit an die Auslastung auch der Verzicht auf tarifliche Sonderzahlungen sein (z. B. zusätzliches Urlaubsgeld, 13. Monatsentgelt). Milderes Mittel wäre die Verschiebung dieser Einmalzahlungen oder ein Teilverzicht. Eine Verschiebung von Entgelterhöhungen ist zwar denkbar. Der wirtschaftliche Vorteil für das Unternehmen ist aber in der Regel gering, da nur eine zeitliche Verschiebung, nicht aber ein dauerhafter Entfall wirtschaftlicher Belastungen durch die Lohnkostensteigerung eintritt. 24 Hinsichtlich der Auslastungsschwankungen werden flächentarifliche Arbeitszeitregelungen zum Teil als zu unflexibel empfunden. Interessant ist die teilweise Verlagerung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos auf die Belegschaft, indem Zeiten geringer Auslastung und Zeiten starker Auslastung so kombiniert werden, dass das Unternehmen kostengünstig wirtschaften kann. Dies kann gelingen, wenn über Arbeitszeitkonten oder Modifikationen der tariflichen, wöchentlichen Arbeitszeit die Kosten der Arbeit reduziert werden, weil z. B. Mehr___________ 11) Zu Investitionszusagen und Business Judgment Rule vgl. Göpfert/Rottmeier, ZIP 2014, 1259, 1261. 12) Hierzu: Ginal/Funke, ArbRAktuell 2017, 478.

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IV. Interessenausgleich und Sozialplan

arbeitszuschläge in Zeiten starker Nachfrage nicht anfallen oder andererseits in Zeiten schwacher Auslastung nicht zu Mitteln wie Kurzarbeit gegriffen werden muss. Arbeitszeitkonten sind sicherlich eines der besten Instrumente dieser gewünsch- 25 ten Flexibilisierung, müssen jedoch in der Ausgestaltung sorgfältig administriert werden. Dies gilt im Rechtlichen wie auch im Praktischen. Zu bedenken sind etwa die Themen: Insolvenzsicherung der Wertguthaben, Ober- und Untergrenze und Störfälle. Auch an die sozialversicherungsrechtlich korrekte Behandlung der Arbeitszeitkonten muss gedacht werden. IV.

Interessenausgleich und Sozialplan

Sind die unternehmerischen Maßnahmen eine Betriebsänderung i. S. des § 111 26 BetrVG ist das Interessenausgleichsverfahren durchzuführen. Dies wird dann unproblematisch sein, wenn der Betriebsrat – wie es in der Regel der Fall ist – i. R. der Tarifverhandlungen um den Abschluss der Standortsicherungs- und Entwicklungsvereinbarungen beteiligt ist, womit dann der Abschluss des betrieblichen Interessenausgleiches lediglich Formsache ist. Wie bereits oben (siehe Rz. 8) ausgeführt, ist es wegen des Gebots der Rechtsquellenklarheit nicht zu empfehlen, den Interessenausgleich zum Teil des Tarifvertrags zu machen, sondern es sollte eine gesonderte Vereinbarung getroffen werden. 27

Praxishinweis Ob die Betriebsänderung dann noch mit einem Sozialplan flankiert wird, ist eine Frage des Einzelfalls. Wenn wirtschaftliche Nachteile durch die unternehmerische Maßnahme eintreten sollten, muss das Unternehmen hierfür nicht zwangsläufig Abfindungen zahlen. Auch die Qualifikation der Beschäftigten für andere Arbeitsplätze oder (befristete) Arbeitsplatzgarantien sind Kompensationsleistungen.

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

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Übersicht I.

Ausgangs- und Rahmenbedingungen ...................................... 1 1. Strategische Krise, Ertrags- und Liquiditätskrise ................................... 3 2. Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen......................................... 8 II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept ................................... 16 1. Strukturelle Maßnahmen ................. 19 a) Liquidation................................. 23

b) Standortschließung ................... 32 c) Reorganisation und Kapazitätsanpassung............................. 41 2. Operative Maßnahmen .................... 48 3. Personalpolitische Maßnahmen ...... 51 4. Vorrausetzungen für die Implementierung........................................ 62 III. Stakeholder Management .............. 80 IV. Fazit .................................................. 91

Literatur: Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder-Management in der Restrukturierung, 2. Aufl., 2015; Bickhoff/Blatz/Eilenberger/Haghani/Kraus, Die Unternehmenskrise als Chance, 2004.

I. Ausgangs- und Rahmenbedingungen Im Rahmen der operativen Sanierung und den damit einhergehenden Personalthe- 1 men sind eine Vielzahl von Ausgangs- und Rahmenbedingungen zu beachten. In diesem Zusammenhang kommt es ganz entscheidend auf das Krisenstadium des jeweiligen Unternehmens an, da je nach Ausprägung der Krise die notwendige Restrukturierung und die damit einhergehenden finanziellen und operativen Einschnitte sowohl in der Intensität als auch bei der notwendigen Implementierungsgeschwindigkeit sehr unterschiedlich sein können und müssen. Die wesentlichen Gesichtspunkte und Kernelemente der operativen Restruktu- 2 rierung, die jeweiligen Prozesse sowie deren Bezug zu personalseitigen Themen sollen im Folgenden erörtert werden. Dabei wird teilweise auch Bezug genommen auf entsprechende Praxisfälle und die jeweiligen erfolgskritischen Parameter sowie mögliche Lösungswege. Rechtliche Erwägungen sollen dabei nur am Rande erwähnt bzw. erörtert werden. Es wird unterstellt, dass die beschriebenen Maßnahmen einer Interessenausgleichspflicht gemäß § 111 BetrVG i. V. m. § 17 Abs. 1 KSchG unterliegen bzw. Betriebsräte oder ggf. auch Gewerkschaften auf der Basis existierender Mitbestimmungsrechte zu beteiligen sind. 1. Strategische Krise, Ertrags- und Liquiditätskrise Ausgangspunkt einer Sanierung ist in der Regel die Krise des Unternehmens. 3 Diese wird sehr oft erst in einem fortgeschrittenen bzw. bereits akuten Zustand von den Beteiligten erkannt und häufig auch von den Verantwortlichen erst einmal ignoriert, um der kurzfristigen Umsetzung unangenehmer Maßnahmen aus dem Weg zu gehen.

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

4 Hier gilt es zwischen internen und externen Beteiligten zu differenzieren, da diese in der Regel über höchst unterschiedliche Voraussetzungen zur Krisenerkennung verfügen. Oft sind externe Beteiligte wie z. B. Banken, Kreditversicherer oder Gewerkschaften im Hinblick auf unternehmensspezifische Finanzinformationen gegenüber den internen Beteiligten deutlich im Nachteil, zumindest zu Beginn einer Krise. 5 Im Hinblick auf die Intensität einer Krise wird in der gängigen Literatur ein Drei-Phasen-Modell1) beschrieben, beginnend mit der strategischen Krise, gefolgt von der Ertragskrise und der stärksten Ausprägung, der Liquiditätskrise. Abb. 1: Phasen des Krisenzyklus

6 hoch

Insolvenzgefahr

Liquiditätskrise

Ertragskrise

Strategische Krise

niedrig niedrig

Grad der Krise

hoch

Quelle: AlixPartners.

7 Spätestens in der Liquiditätskrise befindet sich das Unternehmen in akuter Insolvenzgefahr, dann sind kurzfristige Maßnahmen zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit nicht mehr abzuwenden. 2.

Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen

8 Unabhängig von der Intensität einer Krise werden unterschiedliche Maßnahmen zur Abwendung dieser Krise und zwecks Rückkehr zur nachhaltigen Profita___________ 1) Vgl. dazu u. a. Knecht/Hommel/Wohlenberg, Hdb. Unternehmensrestrukturierung, Bd. 1, S. 12 ff.; Bickhoff/Eilenberger in: Bickhoff/Blatz/Eilenberger/Haghani/Kraus, Die Krise als Chance, S. 9.

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I. Ausgangs- und Rahmenbedingungen

bilität innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens von zwei bis drei Geschäftsjahren notwendig sein. Hier werden zum einen Finanzthemen adressiert, zum anderen aber auch Maßnahmen in den operativen Bereichen des Unternehmens. Zunächst gilt es, die kurz- und mittelfristige Finanzierung des Unternehmens zu sichern. Für den Fall einer akuten Liquiditätskrise liegt die Priorität auf der Sicherstellung der kurzfristigen Finanzierung. Der Schwerpunkt liegt dabei in vielen Fällen auf einer Brückenfinanzierung, um die notwendige Liquidität für den Zeitraum zur Erstellung eines umfangreichen Sanierungsplans zu sichern. Dieser Zeitraum sollte nicht zu kurz bemessen sein, da zum einen die Konzepterstellung mit einem entsprechenden Businessplan und zum anderen auch die notwendige Prüfung des Sanierungskonzepts entsprechend IDW S 62) sowie hinreichend Zeit für Verhandlungen mit den entsprechenden Finanzierungspartnern umfasst sein sollten. Dies ist in jedem Fall zwingend, wenn die Umsetzung des Sanierungskonzepts eine Refinanzierung bzw. finanzielle Restrukturierung erforderlich macht und das Unternehmen zusätzliche finanzielle Mittel in Form von Liquidität und ggf. sogar zusätzlichem Eigenkapital benötigt.3) Parallel zu möglichen Maßnahmen der finanziellen Restrukturierung wird ein Sanierungsplan immer auch operative Sanierungsmaßnahmen beinhalten müssen. In diesem Zusammenhang werden auf der Basis einer umfassenden Analyse der wesentlichen Kostenarten Maßnahmen zur Kostensenkung definiert. Dies umfasst sowohl den Materialaufwand als auch die sonstigen betrieblichen Aufwendungen. Im Bereich des Materialaufwands können dies u. a. Verhandlungen mit Lieferanten über Preisreduzierungen oder auch produktbezogene technische Änderungen sein, im Bereich der sonstigen betrieblichen Aufwendungen z. B. die Reduzierung der Anzahl von Dienstwagen oder auch die Nutzung günstigerer Fahrzeuge. Ein wesentlicher Schwerpunkt jeder operativen Restrukturierung ist und bleibt auch der Personalaufwand, der nach wie vor in den meisten Industrien – je nach entsprechender Wertschöpfungstiefe und Personalintensität – einen signifikanten Kostenblock darstellt. Auch in diesem Bereich wird es in der Regel Verbesserungsbedarf geben. Die typischen Hebel dafür sind x strukturelle Maßnahmen (etwa Standortschließungen oder -verlagerungen), x Produktivitätssteigerungen oder Prozessverbesserungen in existierenden Strukturen oder x personalpolitische Maßnahmen, wie z. B. temporäre Verzichte oder Stundungen seitens der Belegschaft. ___________ 2) Zu den Details vgl. IDW, Fragen und Antworten zur Erstellung und Beurteilung von Sanierungskonzepten nach IDW S 6 ( F&A zu IDW S 6), v. 16.5.2018, IDW Life 8/2018, 826. 3) Zu den Einzelheiten der finanziellen Restrukturierung vgl. u. a. Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder-Management in der Restrukturierung, S. 63 ff., Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, S. 281 ff.

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

13 Entsprechende Ziele für die strukturelle und operative Dimensionierung des Unternehmens werden häufig auf der Basis von entsprechenden Benchmarks vergleichbarer Unternehmen oder interner Zeitreihenvergleiche erarbeitet. 14 Die folgende Abbildung verdeutlicht am Beispiel des Maschinenbaus die Maßgeblichkeit der Personalkosten als einen der wesentlichen Hebel zur Reduzierung struktureller und operativer Kosten i. R. eines Sanierungskonzepts. 15

Abb. 2: Anteil Personalaufwand an der Gesamtleistung im Maschinenbau Bis 2 Mio. EUR Umsatz

36,5 % 32,8 %

2 bis 9 Mio. EUR Umsatz 10 bis 49 Mio. EUR Umsatz

29,3 % 22,5 %

Ab 50 Mio. EUR Umsatz Alle Unternehmen

24,0 %

Quelle: Statistisches Handbuch für den Maschinenbau, Ausgabe 2018, S. 77.

II.

Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

16 Personalmaßnahmen stellen typischerweise einen wesentlichen Bestandteil der operativen Sanierung dar. Solche Maßnahmen betreffen in den meisten Fällen die gesamte Organisation und Wertschöpfungskette des Unternehmens und zielen auf die Verbesserung der Produktivität und Prozesse. 17 Wesentlich ist der Unterschied zu nur ergebnisverbessernden Projekten bzw. Maßnahmen, die auch eine Steigerung der Profitabilität zum Ziel haben, aber im Unterschied zu einer Sanierungssituation deutlich anderen Determinanten unterliegen. Im Rahmen einer Sanierung müssen Einschnitte aufgrund der herrschenden Verlustsituation und eines ggf. bereits vorhandenen Liquiditätsengpasses erheblich drastischer ausfallen. Sie betreffen das gesamte Unternehmen und müssen in einem engen zeitlichen Korsett umgesetzt werden, um die Verlustursachen zügig und nachhaltig zu beseitigen. 18 Ein Sanierungskonzept wird häufig sowohl Maßnahmen struktureller als auch operativer Natur sowie ggf. auch personalpolitische Maßnahmen enthalten. 1.

Strukturelle Maßnahmen

19 Im Bereich der strukturellen Maßnahmen sind unterschiedliche Konstellationen zu unterscheiden. x Zum einen die Liquidation von Unternehmen oder Funktionseinheiten,

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

zum anderen die Fälle einer vollständigen oder teilweisen Schließung von einzelnen Standorten. Beide bedeuten in der Regel den vollständigen Abbau der betroffenen Arbeits- 20 plätze. In anderen Fällen geht es um einschneidende Reorganisationen und Kapazitätsanpassungen. Die Konsequenzen solcher unternehmerischen Entscheidungen, vor allem im 21 Hinblick auf die öffentliche Wirkung und daraus resultierende Konsequenzen für die Unternehmen, verdeutlichen eine Vielzahl von Beispielen. Aus der jüngeren Vergangenheit sei hier die öffentlich umfänglich diskutierte Betriebsschließung bei Siemens am Standort Görlitz genannt. Solche Maßnahmen sind nach einer Entscheidung dann auch konsequent umzusetzen 22 Praxishinweis x

In Einzelfällen ist der Arbeitgeber gut beraten, den Zeitpunkt für die Bekanntgabe etwaiger Schließungsmaßnahmen vorab genau zu beleuchten. Beispielhaft sind hier Unternehmen mit einem klassischen Saisongeschäft zu nennen. Es wäre nicht ratsam, eine Schließungsmaßnahme in einer Phase hoher Produktionsauslastung zu kommunizieren bzw. zu implementieren. Gleiches gilt auch für die Liquidation von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen.

a)

Liquidation

Die Liquidation von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen stellt aus Sicht der 23 Arbeitnehmer den wohl signifikantesten Einschnitt dar. Hier steht mit der Bekanntgabe der Entscheidung fest, dass es in jedem Fall nur noch eine zeitlich begrenzte Perspektive gibt und dass letztendlich alle Stellen gestrichen werden. Dies gilt auch für Fälle einer schrittweisen Liquidation unternehmerischer Aktivitäten, die z. B. durch noch abzuschließende Projektarbeiten oder Aufträge gekennzeichnet sind. Beispiel (schrittweise stille Liquidation) Das betroffene Unternehmen war im Bereich Projektentwicklung und Anlagenbau tätig und beschäftigte ca. 1.000 eigene Mitarbeiter und weitere ca. 200 Leiharbeiter an insgesamt drei Standorten im Inland. Alle wesentlichen Teile der Wertschöpfung, Herstellung der Komponenten, Aufbau der Anlagen sowie Wartung/Service wurden aus einer Hand geleistet. Mit Eintritt der akuten Krise wurde zur Abwendung der Insolvenz die Finanzierung des noch laufenden einzigen Projekts durch die finanzierende Bank sichergestellt, gleichzeitig aber auch ein Konzept zur schrittweisen stillen Liquidation des Unternehmens entsprechend dem Projektfortschritt für den Fall verabschiedet, dass der angestrebte Verkauf des Unternehmens nicht realisiert werden konnte. Nach dem Scheitern des Gesamtverkaufs der Unternehmensgruppe wurde das Konzept der schrittweisen stillen Liquidation umgesetzt. Herausforderung der personalseitig notwendigen Maßnahmen nach Scheitern des Gesamtverkaufs war die pünktliche Fertigstellung des Auftrags trotz mangelnder Perspektive für die betroffenen Mitarbeiter.

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

24 In dieser Fallkonstellation spielte die Kommunikation durch die verantwortliche Geschäftsführung eine entscheidende Rolle. Diese hatte sich zu jedem Zeitpunkt an den entsprechenden Fakten zu orientieren und die Sachlage transparent und neutral darzustellen, um überzogene Erwartungen bei den Mitarbeitern zu vermeiden (Expectation Management). Dies bedeutete, dass zum einen die Belegschaft in entsprechend kurzen Zeitabständen über die jeweilige Sachlage zu informieren war und zum anderen, dass die Informationen so vollständig sein mussten, dass sich die Mitarbeiter ein klares Bild über die jeweilige Situation und mögliche Konsequenzen machen konnten. 25 Im konkreten Fall war eindeutig, dass das Scheitern des möglichen Gesamtverkaufs der Unternehmensgruppe – dieser hätte ggf. für einen größeren Teil der Mitarbeiter eine Perspektive bedeutet – umgehend, bei gleichzeitiger Bekanntgabe der entsprechenden Konsequenzen, nämlich der schrittweisen Stilllegung, an die Belegschaft zu kommunizieren war. Dies umfasste zumindest eine grobe Skizzierung des weiteren Vorgehens mit den entsprechenden Terminen für die schrittweise Stilllegung der betrieblichen Tätigkeit. Dies war für die Geschäftsführung eine Frage der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit, die auch im weiteren Prozess eine entscheidende Rolle spielten. 26 Entscheidend war vor allem die zeitliche Perspektive der betroffenen Mitarbeiter, die Planungssicherheit benötigten im Hinblick auf den Bestand ihrer Arbeitsplätze. Wenn diese Planungssicherheit nicht gegeben ist, steigt das ohnehin bereits gegebene Risiko von Eigenkündigungen weiter an. Dies war vor dem Hintergrund des noch abzuschließenden Projekts unbedingt zu vermeiden. Von wesentlicher Bedeutung war in diesem Zusammenhang auch der Gleichklang der Nachrichten, unabhängig von Medium und Zielgruppen. 27 Einer der wesentlichen Meilensteine i. R. der Umsetzung war die Implementierung eines Retention-Programms zur Absicherung der Zugehörigkeit der für die Fertigstellung des Projekts wesentlichen Mitarbeiter: x Zunächst wurden die einzelnen Gesellschaften bzw. Bereiche im Hinblick auf die Bedeutung für die Fertigstellung des Projekts bewertet. Im Vordergrund stand dabei der direkte Einfluss auf die noch zu leistende Bautätigkeit und an zweiter Stelle die Bedeutung für die im Anschluss daran durchzuführende Abwicklung. x Im zweiten Schritt wurde zwischen Managementfunktionen und Mitarbeitern differenziert. Im Bereich des Managements wurden individuelle Vereinbarungen geschlossen, die an projektrelevante, messbare Meilensteine geknüpft waren. x Die Mitarbeiter der relevanten Bereiche wurden im nächsten Schritt in drei Kategorien unterteilt, u. a. anknüpfend an projektspezifisches Know-how. Hier lag der Schwerpunkt der Gewährung von Bonuszahlungen auf den Mitarbeitern der Kategorie A. Diese Zahlungen wurden anders als beim Mana-

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

gement als reine Honorierung der Betriebstreue ausgestaltet, um die Zahlung vom Bestand eines entsprechenden ungekündigten Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Zahlung abhängig machen zu können.4) x

Für die Mitarbeiter der Kategorien A und B wurden darüber hinaus Leistungen i. R. der Weiterbildung/Umschulung definiert. Dies sollte ebenfalls die Bereitschaft zum Verbleiben bis zum Ende des Projekts fördern und gleichzeitig das mögliche Nachrücken von Mitarbeitern der Kategorie B unterstreichen. Hier galt es ein klares Signal für die Bereitschaft des Unternehmens zu setzen, die Mitarbeiter auch im Hinblick auf eine zukünftige berufliche Tätigkeit in anderen Unternehmen zu unterstützen und zu fördern. 28

Praxishinweis Darüber hinaus wurde ein weiterer „Topf“ mit finanziellen Mitteln zur Verfügung gestellt, um über die definierten und vereinbarten Maßnahmen hinaus, zu späteren Zeitpunkten weitere individuelle Maßnahmen umsetzen zu können. Dies empfiehlt sich in jedem Fall, da die i. R. eines Retention-Konzepts notwendigen finanziellen Mittel finanziert sein müssen und dadurch auch zu späteren Zeitpunkten noch „trockenes Pulver“ zur Verfügung steht, um kurzfristig individuell reagieren zu können.

Abb. 3: Beispiel Eckpunkte Retention-Programm

29

Bereiche/ Mitarbeiter

• Fokus auf die für die Fertigstellung des Projekts notwendigen Bereiche/Mitarbeiter der Gruppe • Fokus auf Managment bzw. den Mitarbeitern der Kategorie A, z. B. Projektleiter, Gruppen- oder Teamleiter • In begrenztem Umfang auch die Holdingstrukturen, soweit notwendig für die Liquidationsphase

Leistungen

• Individualvereinbarungen für das Managment, gekoppelt an quantifizierte Projektziele • Retention-Boni für Mitarbeiter der Kategorie A – In den operativen Schlüsselbereichen (50 % eines Jahresgrundgehalts) – In den für die Abwicklung wesentlichen Bereichen (40 % eines Jahresgrundgehalts) – Ausgestaltung als Honorierung der Betriebstreue • In der Kategorie B Weiterbildungsmaßnahmen für einzelne Mitarbeiter, mögliche „Nachrücker“ in die Kategorie A • Kategorie C keine Leistungen • Definition nicht zugeordneter „Topf“ für ggf. später notwendige Individualmaßnahmen

Quelle: AlixPartners.

___________ 4) Vgl. dazu die Rspr. des BAG zu Stichtagsklauseln bei Sonderzahlungen mit Mischcharakter: BAG, Urt. v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, ZIP 2012, 938, dazu EWiR 2012, 339 (Köhler); BAG, Urt. v. 18.1.2012 – 10 AZR 667/10, ZIP 2013, 1093, dazu EWiR 2012, 445 (Reichold).

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

30 Im Zusammenhang mit den umzusetzenden einzelnen Schließungsschritten wurden zusätzlich weitere Prämien bzw. Bonuszahlungen ausgeschüttet. Diese wurden allerdings in zeitlich sehr engem Zusammenhang mit den Einzelmaßnahmen vereinbart bzw. zugesagt. Entweder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Maßnahme oder i. R. der Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan. Hier empfehlen sich eine Kopplung mit entsprechenden Produktionsplänen sowie eine monatliche oder quartalsweise Auszahlung, um eine entsprechende Bindungswirkung zu realisieren. Solche Prämien sind keine Garantie für die erfolgreiche Umsetzung von Produktionsplänen, da einzelne Mitarbeiter, unabhängig davon, andere Arbeitsstellen mit einer längeren Perspektive suchen und ggf. auch annehmen werden. Dies ist auch abhängig von der jeweiligen Situation auf den entsprechenden regionalen Arbeitsmärkten. Dabei ist es hilfreich, die Höhe möglicher Incentives und die Attraktivität für die Mitarbeiter zu validieren. 31 Wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch die Sicherstellung von Kontinuität, insbesondere, wenn punktuelles Know how einzelner Mitarbeiter auch zu späteren Zeitpunkten i. R. der Fertigstellung eines Projekts noch benötigt wird. Dabei kann man z. B. Mitarbeiter aus zu schließenden Einheiten schrittweise in die verbleibende Restorganisation integrieren. Dies ist vor allem dann von großer Bedeutung, wenn ein zunächst erfolgloser Verkaufsprozess für Teile des Unternehmens parallel weiterbetrieben wird. b)

Standortschließung

32 Davon zu unterschieden ist die Schließung oder Verlagerung von Standorten bzw. Teilbereichen einzelner Standorte oder Funktionen. Hier werden die Arbeitsplätze zumindest teilweise an andere Standorte verlagert. Aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer wird dieser Unterschied häufig nur eine untergeordnete Rolle spielen, da für sie die Verlagerung die gleichen Konsequenzen – den Verlust des Arbeitsplatzes – nach sich zieht, es sei denn, sie wären zu einem Umzug bereit. 33 Insoweit gestalten sich solche Konstellationen, in denen keine Komplettschließung beabsichtigt ist, sondern zumindest Teile eines Standorts verlagert werden sollen, in der Praxis etwas anders. Beispiel (Standortschließung bei teilweiser Verlagerung von Funktionen an einen anderen Standort) Als Beispiel dient hier die Schließung eines Standorts i. R. der Restrukturierung eines Chemieunternehmens. Es handelte sich um einen über lange Jahre betriebenen Standort mit ca. 60 Mitarbeitern. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten am Standort lag in den Bereichen Vertrieb, Anwendungsberatung, Labortätigkeiten und Administration. Kern der konzeptionellen Überlegungen waren im Wesentlichen die Reduzierung der Strukturkosten durch die Schließung des Standorts und der Abbau der administrativen Tätigkeiten. Darüber hinaus sah das Konzept die Verlagerung eines Großteils der Arbeitsplätze im Bereich Vertrieb und technischer Anwendungsberatung an einen anderen Standort im Inland vor. 104

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

Einer der erfolgskritischen Punkte war die möglichst kontrollierte Abwicklung 34 des Standorts ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs. Das Risiko von Verlusten aufgrund von Betriebsunterbrechungen durch Streiks bzw. von Qualitätsmängeln aufgrund nachlassender Motivation der Mitarbeiter tritt bei vielen Betriebsschließungen auf. Solche Verluste können in kurzer Zeit einen signifikanten Umfang erreichen, wenn aufgrund von nicht erfüllten Lieferverpflichtungen, sowohl quantitativ als auch qualitativ, seitens der Kunden Nachbesserungs- oder auch Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Insbesondere Streiks stellen ein erhebliches Druckmittel in der Hand der beteiligten Betriebsräte dar. Von wesentlicher Bedeutung im oben genannten Beispiel war bereits die Art und 35 Weise der Kommunikation der beabsichtigten Maßnahme. Der Arbeitgeber hat von Beginn an immer wieder nachdrücklich betont, alle i. R. des Möglichen liegenden Unterstützungsmaßnahmen für die betroffenen Mitarbeiter wohlwollend zu prüfen. Unter anderem wurden auch für Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze am betroffenen Standort ersatzlos entfielen, Arbeitsplätze an anderen Standorten angeboten. Die angebotenen Arbeitsplätze waren zwar nicht zwingend vergleichbar, boten aber dennoch eine Perspektive. In diesem Zusammenhang wurden umfangreiche Gespräche mit den einzelnen be- 36 troffenen Mitarbeitern geführt und – soweit gewünscht – auch Besuche der anderen in Frage kommenden Standorte organisiert und finanziert. Darüber hinaus wurden im Sozialplan detaillierte Regelungen getroffen im Hinblick auf die mögliche Annahme eines funktional oder wirtschaftlich unzumutbaren Arbeitsplatzes, u. a. die Teilnahme an erforderlichen Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen oder der Ausgleich von entstehenden Einkommensdifferenzen für einen Zeitraum von zumindest zwölf Monaten. Dadurch wurde von Beginn an der Schwerpunkt der Auseinandersetzung von der 37 bevorstehenden Schließung hin zu einer mehr perspektivischen Diskussion für die einzelnen Mitarbeiter verlagert. Damit konnte auch die typischerweise eintretende und auf eine Lösung negativ einwirkende Emotionalisierung begrenzt werden. Ein weiterer entscheidender Faktor war der frühzeitige Beginn und zügige Ab- 38 schluss der Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan. Somit wird sichergestellt, dass das berechtigte Interesse der Mitarbeiter an einem Interessenausgleich und an Inhalt und Höhe von Sozialplanleistungen frühzeitig befriedigt wird. Sollten sich diese Prozesse verzögern, steigt das Risiko der Emotionalisierung bis hin zu ggf. irrationalen Reaktionen. Hier ist stets zu bedenken, dass die Betriebsräte ebenfalls einem exponentiell steigenden Druck durch die Belegschaft ausgesetzt sind. Wesentlich war auch die erfolgreiche Umsetzung der konzeptionell geplanten 39 Verlagerung der Arbeitsplätze in den Bereichen Vertrieb und technischer An-

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

wendungsberatung. Hier wurden bereits in der Konzeptionsphase die entsprechenden Stellen in der Organisation festgelegt, die geeigneten Kandidaten identifiziert und umgehend nach Bekanntgabe der Schließung individuelle Angebote unterbreitet. Darüber hinaus wurden im Sozialplan umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen für den notwendigen Umzug definiert, u. a. x

Ersatz von Maklerkosten für Wohnungssuche,

x

Ersatz von Umzugskosten,

x

Umzugskostenpauschale („Gardinenprämie“) für die Einrichtung einer neuen Wohnung,

x

temporärer Ersatz von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung bzw. Pendeln, wenn der bisherige Wohnsitz zunächst beibehalten wurde.

40 Auch temporäre Wechsel an einen neuen Arbeitsplatz wurden unterstützt, um zumindest für einen Übergangszeitraum die notwendige Kontinuität zu sichern und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter zu ermöglichen. Dieses Angebot fand hohe Akzeptanz bei rentennahen Mitarbeitern, die damit ohne zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Verluste bei den Rentenansprüchen das Rentenalter erreichen konnten. c)

Reorganisation und Kapazitätsanpassung

41 Anders gelagert sind die Fälle, in denen es um die Reorganisation bestehender Strukturen oder die notwendige Anpassung von Kapazitäten geht. Hier werden Standorte weder geschlossen noch verlagert, sondern verkleinert oder Strukturen bzw. Prozesse neu definiert. Aus Sicht der Mitarbeiter bedeutet dies, dass zwar ein Teil der Arbeitsplätze verloren geht, die verbleibenden Mitarbeiter perspektivisch aber unter weitgehend unveränderten Bedingungen am gleichen Standort ihre Arbeit fortsetzen können. Beispiel (Reorganisation und Kapazitätsabbau) Das betroffene Unternehmen war im Bereich der Satelliten- und Kommunikationstechnik tätig. Im Rahmen des Erwerbs durch einen Wettbewerber sollte angesichts der wirtschaftlichen Situation vor Abschluss eines Kaufvertrags ein Restrukturierungskonzept erstellt und wesentliche Voraussetzungen für die Umsetzung erfüllt werden. Die Umsatzerlöse des Unternehmens hatten sich im Zeitraum von zwei Jahren um ca. 17 % reduziert, EBITDA und EBIT waren deutlich negativ. Im gleichen Zeitraum war der Personalbestand aber um ca. 13 % gewachsen. Eine der wesentlichen Ursachen für die Verlustsituation war die für ein mittelständisches Unternehmen erheblich zu komplexe Organisation mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Funktionen und Schnittstellen sowie ineffizienten Prozessen. Darüber hinaus hatte man den Personalbestand nicht der entsprechenden Umsatzgröße angepasst. 42 Wesentlicher Kern des Konzepts zur Restrukturierung war eine umfassende Vereinfachung der Organisation bei gleichzeitiger signifikanter Reduzierung der Personalkapazitäten.

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

x

Im ersten Schritt wurde die Anzahl der Geschäftsführungsbereiche von drei auf zwei reduziert, um der mittelständischen Größe des Unternehmens Rechnung zu tragen und die entsprechenden Leitungsspannen der Geschäftsführer auf gängige Verhältnisse auszudehnen.

x

Im zweiten Schritt wurde die Anzahl der Abteilungen unterhalb der Geschäftsführung von 18 auf 11 reduziert. Die Abteilungen wurden aufgelöst bzw. in andere Abteilungen integriert. Dadurch wurde zum einen die Anzahl der Leitungspositionen weiter reduziert, zum anderen die Anzahl der Schnittstellen zwischen den einzelnen Abteilungen signifikant verkleinert. Dies trug erheblich zu einer Reduzierung der Komplexität und Vereinfachung der Prozesse bei. Abb. 4: Beispiel Organisationsstruktur vor und nach Restrukturierung Vor Reorganisation CEO

CFO

43

Nach Reorganisation COO

18 Abteilungen

CEO/COO

CFO

11 Abteilungen

Quelle: AlixPartners.

Unter Einbeziehung des notwendigen Abbaus der Kapazitäten konnte der Per- 44 sonalbestand während der Restrukturierungsphase schrittweise um ca. 30 % verringert werden. Damit waren wesentliche Kosteneinsparungen verbunden. Die dem Konzept zugrunde liegenden Personalmaßnahmen wurden noch vor 45 Abschluss eines Kaufvertrags über den Erwerb des Unternehmens mit dem zuständigen Betriebsrat diskutiert und verhandelt sowie ein entsprechender Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart. Da in den Folgejahren das Risiko eines weiteren Umsatzrückgangs nicht ausge- 46 schlossen werden konnte, wurden in einer Zusatzvereinbarung mit dem Betriebsrat weitere Maßnahmen abgesichert. Einerseits wurden für die Dauer der Sanierung Lohn- und Gehaltserhöhungen ausgeschlossen, andererseits gab es die

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

Möglichkeit, weiteres Personal abzubauen, wenn dies aus Sicht der neuen Eigentümer notwendig sein sollte. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit einer noch weitergehenden Anpassung des Interessenausgleichs für den Fall vereinbart, dass die Ziele des dem Konzept zugrunde liegenden Businessplans nicht erreicht würden. 47 Aus Sicht des Erwerbers war damit bereits vor Kaufvertragsabschluss eine ganz wesentliche Bedingung für einen Erwerb erfüllt. Die Verhandlungen mit dem zuständigen Betriebsrat wurden dabei auch durch entsprechende Berater der Käuferseite unterstützt und inhaltlich flankiert. 2.

Operative Maßnahmen

48 In der Krise können neben den strukturellen Maßnahmen auch kurzfristige operative Maßnahmen zur Reduzierung der Personalaufwendungen ergriffen werden. Dazu zählen u. a. x

Abbau von Überstunden – wird erreicht durch eine veränderte Verteilung der vorhandenen Arbeit und führt zu einer Reduzierung der in der Regel teureren Mehrarbeit.

x

Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen – vorbehaltlich der Zustimmung der Arbeitnehmer führt eine vertragliche Anpassung der Arbeitszeit zu einer Kostenentlastung.

x

Auslaufen von Befristungen, Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Probezeit – können relativ kurzfristig und ohne außerordentlichen Aufwand umgesetzt werden.

x

Reduzierung von Leiharbeit – sehr kurzfristig umsetzbar, wird in der Regel auch von Betriebsräten gefordert vor Maßnahmen bei der Stammbelegschaft.

x

Einstellungsstopp – die Verhängung eines Einstellungsstopps verbunden mit der Versetzung/Umsetzung anderer Mitarbeiter auf freie Stellen bremst die weitere Erhöhung von Kosten.

49 In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass solche Maßnahmen nicht geeignet sind, eine bereits weiter fortgeschrittene Krise zu beseitigen, sondern lediglich als flankierende Schritte in einem Paket von Maßnahmen zu sehen sind. 50 Im Zusammenhang mit möglichen kurzfristigen operativen Maßnahmen soll auch das Instrument der Kurzarbeit5) zumindest erwähnt werden. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Arbeitsausfall lediglich vorübergehender Natur ist und der Arbeitgeber begründeten Anlass für die Vermutung hat, dass sich die Lage bessern wird. Diese Voraussetzung wird in Restrukturie___________ 5) Das Instrument der strukturellen Kurzarbeit und die Nutzung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften wird an anderer Stelle erörtert, s. u. § 23 und § 24 [Sigle].

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

rungssituationen in der Regel nicht erfüllt sein, da notwendige Kapazitätsreduzierungen eher dauerhafter Natur sind. Allerdings können in Einzelfällen die Voraussetzungen durchaus für einzelne Betriebsbereiche – auch für diese kann ggf. Kurzarbeit beantragt werden – gegeben sein. Zumindest empfiehlt sich eine grobe Prüfung der Voraussetzungen eines Antrags auf Kurzarbeitergeld. Auch hier sind – sollten die Voraussetzungen erfüllt sein – die Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu beachten. 3.

Personalpolitische Maßnahmen

Häufig werden i. R. von Restrukturierungskonzepten und der Umsetzung auch 51 Beiträge der Mitarbeiter berücksichtigt und mit entsprechenden Vereinbarungen umgesetzt. Diese werden nicht zuletzt auch von Fremdkapitalgebern gefordert, in der Regel getragen von der Forderung, alle Beteiligten an einer möglichen Sanierung finanziell zu beteiligen. Darunter fallen u. a. Verzichte der Mitarbeiter auf entgeltliche Leistungen des 52 Arbeitgebers, wie z. B. die monatlichen Lohn- und Gehaltszahlungen, Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Dies führt zu dauerhaften Kosten- bzw. Liquiditätsentlastungen beim Arbeitgeber. In diesem Zusammenhang sind allerdings einige wesentliche Gesichtspunkte zu beachten. x Zum einen die Unterscheidung zwischen monatlichen Zahlungen wie Lohn und Gehalt, bei denen Verzichte der Mitarbeiter grundsätzlich eher schwierig sind, da die Mitarbeiter die monatlichen Lohn- und Gehaltszahlungen zu einem großen Anteil für den eigenen Lebensunterhalt verplant haben und daher ein Verzicht – wenn überhaupt – nur in einem sehr geringen Umfang möglich sein dürfte. Sollte hingegen ein monatlicher Verzicht zwingend sein, sollte dieser möglichst für die Mitarbeiter finanziell darstellbar sein. Aufgrund der Probleme gerade im Hinblick auf Mitarbeiter in niedrigeren Gehaltsstufen ist dies nicht empfehlenswert. Wenn überhaupt, dann z. B. durch die temporäre Kürzung von Überstundenzuschlägen. Da diese in der Regel nicht permanent anfallen, dürfte dies auch aus Sicht der Mitarbeiter eher tragbar sein. x Anders ist dies für einmalige Leistungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld zu beurteilen. Diese dienen häufig nicht dem Bestreiten des monatlichen Lebensunterhalts und sind daher möglichen Verzichten eher zugänglich. Dabei dürfte ein Totalverzicht der betroffenen Mitarbeiter schwierig sein, da regelmäßig davon auszugehen ist, dass diese Gelder zumindest teilweise ebenfalls verplant sind, z. B. für zu leistende Einmalzahlungen für Lebensversicherungen oder vergleichbare Verpflichtungen. x Ebenfalls anders ist dies für den Verzicht auf anstehende Tariferhöhungen zu beurteilen. Hier erfolgt kein direkter Eingriff in den bereits vorhandenen Bestand, sondern in zukünftige Ansprüche. Vor dem Hintergrund der finanziellen Möglichkeiten der Mitarbeiter, dürfte dies sicherlich leichter umzusetzen sein (§ 6 [Schöne]). Baur/Jacob

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

53 Allerdings kommt es hier sicherlich auch auf den Zeitpunkt der Vereinbarung eines möglichen Verzichts an. Dieser sollte einen möglichst großen Zeitabstand zum Auszahlungszeitpunkt haben, um den Mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, dieses bei ihren individuellen finanziellen Planungen zu berücksichtigen und entsprechende Vorsorge zu treffen. 54 Sollte es primär um eine liquiditätsseitige Entlastung des Unternehmens gehen, kommt auch die temporäre Stundung von Forderungen der Arbeitnehmer in Betracht. Hier wären dann spätere Auszahlungstermine zu vereinbaren. Etwaige spätere Zahlungstermine sollten so vereinbart werden, dass diese dann mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch eingehalten werden können. Anderenfalls hätte das negative Auswirkungen auf das Vertrauen der Mitarbeiter in das Unternehmen und sein Management. 55 Häufig anzutreffen ist auch der Vorschlag der Betriebsräte, unentgeltliche Mehrarbeit zu leisten. Dies schafft zusätzliche Kapazität ohne entsprechende Kosten. In diesem Zusammenhang ist immer die individuelle Situation des Unternehmens zu berücksichtigen. Wenn es sich um eine vor allem marktseitig verursachte Restrukturierung handelt, wird das Unternehmen in der Regel keinen Bedarf an zusätzlichen Kapazitäten haben, sondern eher Bedarf an Kapazitätsabbau. In diesen Fällen ist die Vereinbarung unentgeltlicher Mehrarbeit für beide Seiten nicht sinnvoll. Dieses ließe sich dann nur über einen verstärkten Personalabbau bei gleichzeitiger unentgeltlicher Mehrarbeit der verbleibenden Belegschaft lösen, dürfte aber nur in seltenen Fällen im Interesse der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter liegen. 56

Praxishinweis In diesem Zusammenhang soll auch auf ein weiteres Risiko verwiesen werden. Häufig sehen solche Vereinbarungen vor, dass die geleistete unentgeltliche Mehrarbeit für den Fall einer späteren Kündigung der Arbeitnehmer nachträglich bezahlt werden muss. Sollte dann zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Welle von Personalabbau notwendig sein, dann kann die Vereinbarung und Leistung unentgeltlicher Mehrarbeit zu einem finanziellen Bumerang für das Unternehmen werden.

57 Bei der Vereinbarung von Beiträgen der Mitarbeiter ist immer die rechtlich korrekte Art der Vereinbarung maßgeblich. Hier ist vor allem die ggf. notwendige Einbindung der Gewerkschaften zu beachten, wenn das Unternehmen tarifgebunden ist und tarifliche Leistungen tangiert werden. An dieser Stelle ist die rechtzeitige Einbindung aller Beteiligten – Mitarbeiter, Betriebsrat und ggf. Gewerkschaften notwendig. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang auch, mögliche Interessenkonflikte der Beteiligten im Auge zu haben. Hier kann es durchaus auch zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften kommen. Die Betriebsräte haben primär betriebliche Belange und die Sicherung der Arbeitsplätze im Auge, die Gewerkschaften verfolgen möglicherweise übergeordnete tarifliche Prioritäten. (§ 6 [Schöne]). 58 Darüber hinaus sind bei solchen Sanierungsvereinbarungen bzw. Sanierungstarifverträgen weitere wesentliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen wie z. B. die 110

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

Einbeziehung der außertariflichen Mitarbeiter. Hier wird in der Regel eine Beteiligung in gleicher Höhe verlangt, die dann in individuellen Vereinbarungen zu regeln ist. Daneben werden i. R. eines Personalabbaus verbunden mit individuellen Verzichts- 59 leistungen der verbleibenden Mitarbeiter häufig von Gewerkschaften bzw. Betriebsräten Garantien für die verbleibenden Standorte und Mitarbeiter gefordert. Die Garantien beziehen sich oft auf bestimmte Standorte oder auf die Festschreibung einer bestimmten Anzahl von Stellen im gesamten Unternehmen oder auch an einzelnen Standorten. In der Regel ist dies aus Sicht der Arbeitnehmervertreter eine legitime Forderung, vor allem im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Gegenleistung für die Zustimmung zu einschneidenden Maßnahmen des Arbeitgebers. Gängig sind auch sog. Besserungsscheine oder -vereinbarungen, die eine Betei- 60 ligung der Mitarbeiter am zukünftigen Sanierungserfolg vorsehen. Diese dienen dann als partieller Ersatz für die durch die Arbeitnehmer geleisteten Verzichte, wenn die Sanierung erfolgreich umgesetzt wird. Aus Sicht des Arbeitgebers sind in solchen Vereinbarungen verschiedene Ge- 61 sichtspunkte zwingend zu berücksichtigen: x Garantien sollten durch den Arbeitgeber nicht in jedem Fall strikt abgelehnt werden, sondern im Detail beleuchtet und durchdacht werden. Vielmehr sollten diese – so man sich dafür entscheidet – für einen begrenzten Zeitraum ausgesprochen werden. Üblich ist hier die Anknüpfung an den eigentlichen Sanierungszeitraum, in der Regel zwei bis drei Jahre. Darüber hinaus ist die Anknüpfung an den die Basis für die Restrukturierung bildenden Businessplan unabdingbar. Die gegenseitigen Verpflichtungen der Parteien einer Sanierungsvereinbarung oder eines Sanierungstarifvertrags können nur Geltung beanspruchen, wenn der entsprechende Businessplan erreicht oder sogar übertroffen wird. x Insoweit ist immer auch eine Vereinbarung für den Fall der Nichterreichung der entsprechenden Ziele zu treffen. Aus Sicht des Unternehmens kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Krise erneut verschärft und man zu weiteren personalseitigen Maßnahmen gezwungen wird. Der Businessplan und das zugrunde liegende Konzept bilden die Geschäftsgrundlage für entsprechende Vereinbarungen. Sollte diese empfindlich gestört sein oder gar entfallen, muss der Arbeitgeber in der Lage sein, sich von seinen Zusagen befreien zu können. Zumindest muss aber die Möglichkeit bestehen, die entsprechenden Vertragspartner auf Arbeitnehmerseite zu Gesprächen und Verhandlungen über weitere notwendige Maßnahmen aufzufordern und möglicherweise sogar zu zwingen. 4. Vorrausetzungen für die Implementierung Im Rahmen der Vorbereitung entsprechender Maßnahmen ist eine Vielzahl von 62 Gesichtspunkten zu bedenken. Baur/Jacob

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

63

Abb. 5: Übersicht Parameter für die Vorbereitung von Interessenausgleich und Sozialplan 1

Vorbereitung ist essentiell – einsammeln aller relevanten Basisdaten, detaillierte Beschreibung aller Restrukturierungsmaßnahmen inklusive finanzieller Aspekte und Auswirkungen auf Mitarbeiter

2

Externe Rechtsberatung – Gleich zu Anfang die beste Rechtsberatung einbeziehen, ggf. auch Einbeziehen einer Kommunikationsagentur, um Reputationsschäden zu vermeiden

3

Definition und Durchdenken von Risikoszenarien – potentielle Risiken (z.B. Streik) müssen von Anfang an analysiert werden inklusive potentieller Aktionen und risikobegrenzender Maßnahmen

4

Definierte Reduktion sollte Puffer enthalten – hilft um Platz für Kompromisse zu schaffen, erlaubt dem Betriebsrat/den Gewerkschaften, einen Erfolg für sich zu reklamieren

5

Offene Kommunikation – alle Stakeholder müssen zu jeder Zeit involviert sein und regelmäßige Updates erhalten; kein Ausspielen von Parteien untereinander, keine „Salamitaktik“

6

Unterstützung des Betriebsrates – insbesondere wenn der Betriebsrat eigene Berater beauftragen will, sollte die Atmosphäre nicht durch unwesentliche Auseinandersetzungen vergiftet werden

7

Konsistente Information – es sollte eine zentrale Informationsstelle geben, die alle Informationen konsolidiert und an die Arbeitnehmerseite weiter gibt

8

Verhandlungskomittee – sollte von Anfang an definiert sein und Mitglieder des Top Managements enthalten, damit während der Verhandlungen schnell eskaliert werden kann

9

Verhandlungskorridor – sollte von vorne herein festgelegt sein, um schnelle Reaktionen sicherzustellen und Verzögerungen zu vermeiden

10

Unterstützung von sozial akzeptierten Instrumenten – werden oft von Gewerkschaften und Betriebsräten vorgeschlagen (z.B. Transfergesellschaft), kostet Geld, aber spart häufig Zeit

Quelle: AlixPartners.

64 Grundvoraussetzung für die Implementierung personeller Maßnahmen ist ein detailliertes und durchdachtes Konzept. Die erforderlichen Inhalte gehen dabei an einigen Stellen noch deutlich weiter ins Detail. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die personellen Maßnahmen einer noch weitergehenden Begründung bedürfen, u. a. sehr tiefgehender Analysen im Hinblick auf operative Arbeitsprozesse, geplante Veränderungen sowie die erwarteten Einsparungen daraus. Wenn solche Maßnahmen einer kritischen Diskussion i. R. eines Interessen-

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II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

ausgleichs standhalten sollen, ist eine detaillierte Analyse des Ist-Zustands sowie der entsprechenden Kosten bzw. der zukünftig geplanten Veränderungen unumgänglich. Es empfiehlt sich in jedem Fall, die entsprechenden Unterlagen bereits vor Be- 65 ginn von Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan vorzubereiten. Anderenfalls ist mit deutlichen Verzögerungen zu rechnen, da nicht auszuschließen ist, dass sich ein Betriebsrat – aus seiner Sicht sicherlich mit guten Gründen – auf den Standpunkt stellt, Gespräche erst zu beginnen bzw. fortzusetzen, wenn qualifizierte Unterlagen über die geplanten Maßnahmen zur Verfügung stehen, die Begründungen hierfür sowie die entsprechenden, der unternehmerischen Entscheidung zugrunde liegenden Analysen und Auswirkungen enthalten. Hier werden u. a. detaillierte Prozessbeschreibungen oder Funktionsanalysen benötigt. Abb. 6: Beispiel Funktions-/Prozessanalyse

66

Quelle: AlixPartners.

Von wesentlicher Bedeutung ist auch die Konsistenz dieser Informationen. Aus 67 diesem Grund sollte es einen Verantwortlichen, z. B. der Personalleiter, für die Zusammenstellung und Weitergabe der Informationen i. R. des Konsultationsprozesses geben. Im Rahmen der Vorbereitung sollte sich das Unternehmen auch mit möglichen 68 Risikoszenarien auseinandersetzen, wie z. B. einem möglichen Streik der Belegschaft und den wirtschaftlichen Auswirkungen. Solche Szenarien sollten immer vorab geprüft und beleuchtet werden. Dazu gehört in jedem Fall auch die Untersuchung möglicher Reaktionen oder präventiver Maßnahmen, wie z. B. die

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

Erhöhung von Beständen einzelner kritischer Produkte am betroffenen Standort vor Durchführung einer Personalmaßnahme, um die Lieferfähigkeit abzusichern oder die zeitweise Herstellung einzelner Produkte an nicht durch Maßnahmen betroffenen Standorten. 69 In der Regel ist es auch hilfreich, bereits vor Beginn der Verhandlungen auf Arbeitgeberseite ein entsprechendes Verhandlungsgremium zu benennen. Dazu sollten, neben der anwaltlichen und einer betriebswirtschaftlichen Unterstützung, die Personalleitung des Unternehmens sowie die operativ Verantwortlichen der hauptsächlich betroffenen Bereiche gehören, um sicherzustellen, dass entsprechende Fragen der Arbeitnehmerseite schnell und kompetent beantwortet werden können. Neben den fachlichen Qualifikationen sollte auch darauf geachtet werden, dass Erfahrung im Umgang mit vergleichbaren Verhandlungssituationen hinreichend repräsentiert ist. Das Top-Management, Vorstände oder Geschäftsführer, sollten in der Regel nicht sofort beteiligt werden, jedenfalls nicht das gesamte Gremium, um noch entsprechende Eskalationsstufen i. R. der Verhandlungen zu haben. 70 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sowohl Arbeitgeberals auch Arbeitnehmerseite in der Regel gut beraten sind, nicht jede Meinungsverschiedenheit in extenso auszufechten. In diesem Zusammenhang sei z. B. auf den häufig vorgetragenen Wunsch von Betriebsräten nach externer betriebswirtschaftlicher Beratung verwiesen. Dies ist in vielen Fällen der eigentliche Auftakt eines Verhandlungsprozesses. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße steht dem Betriebsrat dieses Recht zu (vgl. § 111 Satz 2 BetrVG, § 80 Abs. 3 BetrVG) und sollte seitens des Arbeitgebers auch eher großzügig gesehen und beschieden werden, allerdings unter Vereinbarung klarer Bedingungen zu Inhalt und Dauer einer solchen Beauftragung. Anderenfalls droht bereits zum Auftakt eine Auseinandersetzung mit signifikantem Konfliktpotential. 71

Praxishinweis Das Verhandlungsgremium sollte sich i. R. der gemeinsamen Vorbereitung auch einen Zeitrahmen für die zu führenden Verhandlungen stecken. Dieser sollte sowohl einzelne Termine, mindestens fünf bis sechs, als auch die anlässlich der Termine zu besprechenden Inhalte vorsehen. Der Terminplan sollte in jedem Fall direkt zu Beginn mit der Arbeitnehmerseite besprochen und vereinbart werden. Erfahrungsgemäß erstrecken sich solche Verhandlungen – abhängig von der Komplexität der Maßnahmen – über einen Zeitraum von ca. 6 – 14 Wochen, in Einzelfällen auch darüber hinaus.

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B

C

D

E

Verhandlung Sozialplan

H

Detaillierung Maßnahmen, Definition Taktik für Verhandlungen über Interessenausgleich/Sozialplan

Mitteilung über die Maßnahmen an Betriebsrat, Mitarbeiter und andere wesentliche Stakeholder

Verhandlungen mit Betriebsrat – Informationsphase/Diskussion möglicher Alternativvorschläge des Betriebsrats

Verhandlungen über Abfindungen sowie andere Ausgleichsleistungen des Arbeitgebers

Zwingend erforderlich, wenn gesetzliche Grenzen überschritten werden, bei Nichtbeachtung Kündigungen nicht rechtmäßig

Notwendig vor Aussprache der Kündigungen der einzelnen Mitarbeiter

Entsprechende individuelle Kündigungsfristen sowie Zustellungserfordernisse sind zwingend zu beachten

Individuellen Fristen, Kündigungsschutzklagen, Aufhebungsverträge, Zeugnisse etc.

C

D

E

F

G

H

I

I

Abwicklung der Arbeitsverhältnisse

Aussprache der Kündigungen

B

Anhörungen Betriebsrat

G

Erstellung Konzept, Maßnahmen zum Personalabbau, Begründung für Abbau sowie Projekt- und Zeitplan

Massenentlassungsanzeige bei Agentur für Arbeit

F

A

Verhandlung Interessenausgleich

Kommunikation der geplanten Maßnahmen

Finale Definition der Maßnahmen

Konzeptphase

A

II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

Abb. 7: Übersicht Verhandlungsprozess

Baur/Jacob

72

Quelle: AlixPartners.

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

73 In Einzelfällen können die Konsultationen allerdings auch länger dauern, insbesondere dann, wenn sich die Gespräche sowohl inhaltlich als auch atmosphärisch konfliktär entwickeln. Beide Seiten sollten daher immer darauf vorbereitet sein, Verhandlungen abzubrechen und in einer Einigungsstelle fortzusetzen, wenn deutlich wird, dass ohne Unterstützung und Moderation einer neutralen Instanz keine Einigung erzielt werden kann. Wenn dies bereits vor Beginn von Gesprächen absehbar sein sollte, sollte die Arbeitgeberseite bereits zu einem frühen Zeitpunkt auf eine Regelung zu einer möglichen Einigungsstelle hinwirken, um die spätere Einrichtung der Einigungsstelle zu erleichtern und eine Verzögerung des Verhandlungsprozesses zu verhindern. 74 Im Hinblick auf mögliche Verhandlungskorridore empfiehlt sich i. R. der Vorbereitung personeller Maßnahmen auch eine, zumindest grobe, Budgetierung der zu erwartenden Kosten für einen zu vereinbarenden Sozialplan. Hier kann man zunächst auf bereits in der Vergangenheit im Unternehmen vereinbarte Sozialpläne zurückgreifen und die dort vereinbarten Kompensationsmaßnahmen als Berechnungsbasis heranziehen. Allerdings sollte man dabei immer bedenken, dass es eher unwahrscheinlich ist, einen weiteren Sozialplan zu den gleichen Bedingungen abschließen zu können. Erfahrungsgemäß steigen die seitens der Betriebsräte geforderten Abfindungshöhen und sonstigen Leistungen mit jeder weiteren Restrukturierungswelle an. Man ist also gut beraten, mit entsprechenden Sicherheitszuschlägen zum Budget zu arbeiten. 75 Alternativ kann man auch externe Benchmarks für eine mögliche Validierung der Aufwendungen heranziehen. Dies ist immer dann zu empfehlen, wenn keine internen Vergleichsgrößen verfügbar sind. Beispiel (Restrukturierungskosten i. R. des Unternehmenserwerbs) Im vorliegenden Fall ging es um den möglichen Erwerb eines Unternehmens im Bereich der Automobilzuliefererindustrie mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Die Eigentümer hatten im Laufe der Due Diligence ein, durch den neuen Eigentümer zu implementierendes Restrukturierungskonzept vorgelegt, das umfangreiche strukturelle und operative Maßnahmen zur Sanierung an inländischen und ausländischen Standorten vorsah. Das durch externe Berater erstellte Konzept sah für die Restrukturierung einmalige, außerordentliche Aufwendungen i. H. von ca. 45 Mio. € vor und beinhaltete sowohl Abfindungen für Maßnahmen im In- und Ausland als auch Zahlungen für ein zu implementierendes Retention-Konzept. 76 Aufgrund der Höhe der prognostizierten außerordentlichen Aufwendungen für den Sozialplan war die Verifizierung des Aufwands einer der Kernpunkte der Due Diligence. Auf Käuferseite wurden mit externer Unterstützung zunächst die entsprechenden Annahmen überprüft. Eine erste Analyse ergab, dass die für den Sozialplan budgetierten Faktoren unterhalb von bereits im Unternehmen vereinbarten Sozialplänen lagen und zusätzliche Kosten, wie z. B. Aufwand i. R. der notwendigen Rechtsberatung nicht berücksichtigt worden war. Auch die geplanten Aufwendungen für das Retention-Konzept waren zu niedrig angesetzt. 116

Baur/Jacob

II. Personalmaßnahmen im Sanierungskonzept

In einem zweiten Schritt wurden aus unterschiedlichen Quellen verschiedene 77 Benchmarks untersucht. Hierbei wurde auf vergleichbare Maßnahmen in verschiedenen Branchen Bezug genommen sowie vergleichbare Maßnahmen in der betroffenen Industrie und innerhalb der entsprechenden Region untersucht. Auf der Basis der so ermittelten Durchschnittswerte im Hinblick auf die jeweils vereinbarten Sozialplanfaktoren wurden mit jeweils personenbezogenen Ist-Daten die zu erwartenden Kosten extrapoliert. So entstand eine Bandbreite von zu erwartenden Kosten, die mit ca. 50 % signifikant über denen, im ursprünglichen Businessplan budgetierten Kosten lagen. Diese eklatante Differenz führte dann zum endgültigen Abbruch der Verhandlungen über den Erwerb des Unternehmens. Abb. 8: Beispiel Benchmarking Sozialplankosten

78

Region

Branche

Jahr Maßnahme Mitarbeiter1) Faktor2) Dauer3) [Anz.] [Monate]

Thüringen

Maschinenbau

2012 Schließung 100

0,80

4,0

Bayern

Automobilzulieferer 2013 Schließung 120

0,90

3,5

2014 Schließung 150

1,00

3,0

Automobilzulieferer 2015 Schließung 150

1,10

4,0

2016 Schließung 150

1,10

2,5

Nordrhein-Westfalen Automobilzulieferer 2016 Schließung 180

1,20

3,0

Nordrhein-Westfalen Automobilzulieferer 2016 Schließung 200

1,30

3,5

Nordrhein-Westfalen Maschinenbau

1,30

2,5

Durchschnitt

1,09

3,3

Durchschnitt Nordrhein-Westfalen

1,23

2,9

Durchschnitt Automobilzulieferer

1,13

3,5

Baden-Würtemberg Maschinenbau Niedersachsen

Nordrhein-Westfalen Maschinenbau

2017 Schließung 250

1) Anzahl der durch die Maßnahme betroffenen Mitarbeiter 2) Sozialplanfaktor 3) Prozess von Kommunikation der Maßnahme bis Abschluß Interessenausgleich und Sozialplan

Quelle: AlixPartners.

Bei komplexeren Betriebsänderungen empfiehlt sich immer eine entsprechende 79 externe rechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung. Diese sollte bereits in der Vorbereitungsphase beginnen. Die Implementierung von Betriebsänderungen beinhaltet eine Vielzahl von möglichen Weichenstellungen im Verlauf des Prozesses sowie inhaltliche und rechtliche Fallstricke, die ohne kompetente Beratung häufig nicht gemeistert werden können. Angesichts der drohenden Folgekosten bei Nichtbeachtung der einschlägigen rechtlichen Regelungen sollte darauf in keinem Fall verzichtet werden. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für Betriebsräte, die die Interessen einer Vielzahl von Mitarbeitern vertreten und daher auf fachliche „Waffengleichheit“ bedacht sein sollten. Baur/Jacob

117

§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

III.

Stakeholder Management

80 Bereits in weniger kritischen wirtschaftlichen Phasen ist das „Orchestrieren“ der mit einem Unternehmen verbundenen Beteiligten schwieriger geworden.6) Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass sich die Anzahl der Akteure, z. B. Hedge oder Distressed Debt Funds, erhöht hat. Darüber hinaus haben sich Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen weiter professionalisiert, bspw. durch die Nutzung entsprechender externer rechtlicher und betriebswirtschaftlicher Berater. 81 In der Krise des Unternehmens wird diese Entwicklung weiter verstärkt, da die Positionen der einzelnen Stakeholder und die Einflussmöglichkeiten sich verschieben. So nimmt z. B. der Einfluss der Fremdkapitalgeber im Verhältnis zu den Eigenkapitalgebern deutlich zu. 82 Im Rahmen der Umsetzung von Personalmaßnahmen ist eine Vielzahl von möglichen Akteuren bzw. Interessengruppen zu berücksichtigen. Dies hängt entscheidend von der Konstellation im Einzelfall ab. 83

Abb. 9: Stakeholder bei Personalmaßnahmen in der Restrukturierung

Umfassendes Kommunikationskonzept Staat (z. B. Agentur für Arbeit)

Mitarbeiter

Unternehmen

EK

FK Gewerkschaft

Betriebsrat

PensionsSicherungsVerein1)

1) Soweit Pensionsverpflichtungen bestehen

Quelle: AlixPartners.

84 Hier empfiehlt sich die Erstellung eines umfassenden Kommunikationskonzepts, das alle betroffenen Interessengruppen berücksichtigen sollte. In diesem Zusammenhang ist seitens des Unternehmens neben einer umfassenden und gleichlau___________ 6) Stakeholder Management als zentraler Erfolgsfaktor, Baur/Kantowsky/Schulte, Stakeholder Management in der Restrukturierung, S. 493 ff.

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III. Stakeholder Management

tenden Information für alle Stakeholder auch zu bedenken, dass verschiedene Gruppen auch in einem anderen Zusammenhang eine entscheidende Rolle für das Gelingen einer Restrukturierung spielen können. Dies kann sich z. B. auf die verantwortliche Landesregierung beziehen, die für ei- 85 ne Landesbürgschaft zur Absicherung einer Refinanzierung benötigt wird oder auf den Pensions-Sicherungs-Verein, der einen Beitrag zur Absenkung möglicher Pensionsverpflichtungen des Unternehmens leisten soll. Es ist für diese Beteiligten erheblich einfacher, die Restrukturierung eines Un- 86 ternehmens zu begleiten und zu unterstützen, wenn sie möglichst frühzeitig und umfassend informiert und eingebunden werden. Dies gilt insbesondere bei signifikanten personellen Einschnitten mit großer Publizitätswirksamkeit. Niemand wird gerne öffentlich zu einer solchen Maßnahme Stellung nehmen wollen, wenn er erst kurz vorher aus indirekten Quellen davon Kenntnis erlangt hat. Natürlich bleibt bei interessenausgleichspflichtigen Betriebsänderungen der zu- 87 ständige Betriebsrat der wesentliche Stakeholder. Er vertritt die Interessen aller Mitarbeiter, unabhängig davon, ob diese persönlich von geplanten Maßnahmen des Unternehmens betroffen sind oder nicht. Er ist allen Mitarbeitern gegenüber informationspflichtig. Arbeitgeber sind daher grundsätzlich gut beraten, den Betriebsrat frühzeitig und umfassend zu informieren und die notwendige Transparenz herzustellen. Der Mangel an Information kann sowohl Verhandlungsprozesse bremsen als auch zu einer echten Belastung für das Verhältnis zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat werden, insbesondere dann, wenn die Belegschaft sich genötigt sieht, Druck auf den Betriebsrat auszuüben, den dieser dann weitergeben muss. Die Rolle des Betriebsrats auch als Mittler zwischen Unternehmen und Mitarbeitern sollte stets bedacht werden. Insoweit sollten auch Alternativvorschläge des Betriebsrats zu geplanten Maß- 88 nahmen ernsthaft diskutiert und unvoreingenommen geprüft werden. Solche Vorschläge können ggf. zu vergleichbaren wirtschaftlichen Ergebnissen führen, für den Betriebsrat aber, der betroffenen Belegschaft gegenüber, leichter zu vermitteln sein (siehe § 9 [Giese/Göpfert]). Unter dem Strich sollte es für die Beteiligten nicht um Sieg oder Niederlage 89 gehen, sondern um die nachhaltige Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens und damit der verbleibenden Mitarbeiter. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die detaillierte und umfangreiche Vorbereitung von Verhandlungen einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren.

Baur/Jacob

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§ 7 Case Studies zur operativen Sanierung – Personalthemen

90

Praxishinweis Das Erzeugen von zeitlichem Druck ist häufig eher kontraproduktiv, denn Betriebsräte und auch Gewerkschaften sind sehr wohl in der Lage, das „scharfe Schwert“ der Verzögerung zu nutzen und damit ihrerseits Druck aufzubauen. Dies kann dann im Hinblick auf die Kosten von Personalmaßnahmen zu deutlichen Verschlechterungen führen, wenn Fortschritte im eigentlichen Prozess durch finanzielle Zugeständnisse erkauft werden müssen. Die möglichen Konsequenzen wirtschaftlicher Art können von erheblicher Tragweite für alle Beteiligten sein.

IV.

Fazit

91 Personalkosten sind ein bedeutender Kostenfaktor für die Mehrzahl der Unternehmen. Jede operative Restrukturierung muss entsprechende Maßnahmen zur Reduzierung des Personalaufwands enthalten. Dabei unterscheidet man im Wesentlichen strukturelle Maßnahmen, wie die Schließung von Standorten, operative Maßnahmen, z. B. Kurzarbeit, sowie personalpolitische Maßnahmen, wie z. B. die Vereinbarung eines Verzichts der Mitarbeiter auf entgeltliche Leistungen. In diesem Zusammenhang sind die entsprechenden Betriebsparteien regelmäßig umfassend zu informieren und zu beteiligen. 92 Die reibungslose und zügige Umsetzung solcher Maßnahmen beginnt mit einer detaillierten Analyse der Situation sowie einer möglichst umfassenden Begründung der geplanten Maßnahmen. Notwendige Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan oder auch tarifliche Belange können nur gelingen, wenn sie gut vorbereitet sind und durch entsprechende externe Experten – betriebswirtschaftlich und rechtlich – unterstützt werden. 93 Dabei sind alle Beteiligten – interne wie externe – entsprechend zu berücksichtigen unter Abwägung aller Interessen. Unternehmen sind gut beraten, sich mit den jeweiligen Interessenlagen vorab intensiv zu beschäftigen und diese bei Entscheidungen einzubeziehen, insbesondere im Hinblick auf mögliche Risikoszenarien und deren ökonomische Konsequenzen, die eine erfolgreiche Restrukturierung erheblich erschweren oder gar unmöglich machen können.

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Baur/Jacob

§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

Helm/Huber

Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. Die Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräte: Notwendige Experten in der Insolvenz ............................................ 6 1. Beschäftigte als Experten in eigener Sache....................................... 6 2. Die besondere Rolle des Betriebsrats als Vermittler, Interessenvertreter und unvorbelasteter Unternehmensexperte........................ 9 3. Gewerkschaften und Betriebsräte als Begleiter der Sanierung, Stilllegung und des Insolvenzgeldbezugszeitraums ............................... 12 III. Potentielle Gestaltungsbedarfe (insbesondere) im Insolvenzgeldbezugszeitraum......................... 14 1. Die Arbeitszeit ................................. 16 2. Kurzarbeit ......................................... 20 3. Urlaub ............................................... 21 4. Prämien ............................................. 22 5. Arbeits- und Gesundheitsschutz..... 24 IV. Interessenausgleich- und Sozialplan ................................................... 28 1. Interessenausgleich........................... 29

a) Allgemeines ............................... 29 b) Interessenausgleich in der Insolvenz ................................... 33 aa) Der Interessenausgleich: Drei mögliche Wege.................. 33 bb) Der Unterlassungsanspruch ..... 34 cc) Die Vermittlung durch die Bundesagentur........................... 35 dd) Sinnvolle begleitende Inhalte.... 37 2. Der Sozialplan in der Insolvenz ...... 39 a) Die Zuständigkeit...................... 39 b) Die Bedeutung der freien Verteilungsmasse....................... 41 c) Förderfähige Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit.............................. 43 d) Die bessere Lösung: Der Sozialtarifvertrag ........................... 47 e) Leistungen von dritter Stelle .... 50 f) Mögliche weitere Inhalte .......... 53 V. Sachverständigenzuziehung .......... 55 VI. Weitere Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten ............................ 60 1. Die Mitgliedschaft im (vorläufigen) Gläubigerausschuss.................. 61 2. Die Benennung des Verwalters ....... 68

Literatur: Schütte, Transfergesellschaft und Einigungsstelle, NZA 2013, 249; Wroblewski, Das „ESUG“ aus Arbeitnehmersicht – erster Teil, AuR 2012, 188.

I.

Einführung

Das geschriebene Recht kennt nicht den einen richtigen Weg, sondern eine Platt- 1 form mit verschiedenen Optionen, die entweder klug genutzt oder deren Möglichkeiten verkannt werden können. In der Insolvenz können Schuldner ihren Verpflichtungen gegenüber Gläubigern nicht nachkommen. Der Regelfall ist die fehlende Möglichkeit Kredite weiterhin bedienen zu können. Für Beschäftigte besteht hier höchste Gefahr für ihre Arbeitsplätze und finanziellen Ansprüche. Die Insolvenz aus Beschäftigtensicht ist daher eine oft von diesen vorhergesehene Entwicklung verbunden mit schwerwiegenden Zukunftsängsten. Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräten kommt aber eine Schlüsselfunktion in der In-

Helm/Huber

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

solvenz zu, ohne deren Berücksichtigung eine Unternehmenssanierung ausgeschlossen ist. Die Beschäftigten von Fairchild-Dornier würden heute nicht weiterhin in Oberpfaffenhofen (bei München) Airbus-Teile produzieren und Hubschrauber warten, wenn es nicht dem Betriebsrat und der IG Metall gelungen wäre, die Belegschaft über fast ein Jahr zusammenzuhalten und Transfermaßnahmen mit politischer Unterstützung für den Überbrückungszeitraum zu organisieren. 2 Mit ausreichendem Investitionskapital lassen sich notwendige Sachmittel beschaffen; dagegen wird man die Menschen und ihr kollektives Wissen dauerhaft verlieren, wenn sich die Beschäftigten neu orientieren oder – und das gehört leider auch dazu – durch die oft erst in der Insolvenz erlebte Missachtung ihrer Integrität in die „innere Kündigung“ getrieben werden. Da sich dies nicht grundlos ereignet, lässt sich in einem klug geführten Insolvenzverfahren auch das Gegenteil erreichen. Die Unternehmensleitung hat oft versagt und die Insolvenz zu verantworten. Sie ist ggf. auch mit Forderungen der Insolvenzverwaltung konfrontiert. Die Insolvenzverwaltung muss sich in die Unternehmensstrukturen hineindenken und ist letztendlich neu im Betrieb. Die Beschäftigten sind dagegen die einzig stabile Kraft des insolventen Unternehmens. Die Belegschaft kennt das Unternehmen und dessen Geschichte, sie bleibt – bei sich reduzierendem Personalbestand – in entscheidenden Zeiträumen zusammen. Das Wissen der Beschäftigten und deren Kompetenz können entscheidend sein. Ohne das Engagement von Gewerkschaft und Betriebsräten wäre bei der Schlecker-Insolvenz weder das leider gescheiterte Fortführungskonzept entwickelt worden noch überhaupt ein Abverkauf der Waren – der letztendlich im Schwerpunkt den Kreditgebern und nicht den Beschäftigten zufließt – möglich gewesen. Ohne das Engagement von Gewerkschaft und Betriebsräten wäre bei der Fairchild Dornier-Insolvenz der noch heute fortbestehende Erhalt so vieler Arbeitsplätze nicht möglich gewesen. 3 Unterteilt man die Insolvenz in drei Phasen, x

die Phase zwischen der Antragstellung und Eröffnung,

x

die Phase nach Eröffnung und der Entscheidung über das ob und wie der Fortführung und

x

die regelmäßig lange Phase der Abwicklung,

so ist die wichtigste Phase die erste Phase, in der es gilt, der Belegschaft zeitnah Orientierung zu geben. In dieser Phase gewinnt oder verliert die Insolvenzverwaltung ihre Akzeptanz gegenüber den Beschäftigten. Um dies zu verstehen, muss man sich Folgendes vergegenwärtigen: Zur Beschreibung positiver wie negativer Folgen von Personalführungsverhalten hat die Arbeitswissenschaft verschiedene Erklärungsmodelle. Hier soll das die Bedeutung des Umgangs der Insolvenzverwaltung mit den Beschäftigten an dem Modell des psychologischen Arbeitsvertrages1) erläutert werden. ___________ 1) Vgl. Helm, Arbeitsschutz als absolute Grenze für Befristungen, D. III. 5.1, S. 158.

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Helm/Huber

II. Die Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräte

Beschäftigte schließen – so die Arbeitswissenschaft – sowohl einen schriftlichen, 4 juristischen als auch einen ungeschriebenen, psychologischen Arbeitsvertrag mit ihrem Arbeitgeber. Bei dem neben dem geschriebenen Arbeitsvertrag immer bestehenden psychologischen Arbeitsvertrag handelt es sich um die von individuellen Anschauungen und Überzeugungen (beliefs) geprägte, bezüglich des wechselseitigen Gebens und Nehmens zwischen Individuum und Organisation geprägte Beziehung. Es handelt sich um Hoffnungen, auf die juristisch betrachtet kein Anspruch besteht, die aber von Erwartungen auf respektvollen Umgang und „Wahrgenommen-Werden“ geprägt sind. Sie bilden eine entscheidende Grundlage für die Motivation und das Engagement von Beschäftigten. Psychologische Arbeitsverträge haben die Kraft selbsterfüllender Prophezeiungen: Sie gestalten Zukunft. Diese können sich erfüllen oder sie tun dies nicht. Dieser zweite Moment eines Arbeitsvertrags kommt einer ungeschriebenen Vereinbarung gleich. Diesem zweiten Moment ist umso mehr Bedeutung beizumessen, je schwächer der erste Moment, der formelle Arbeitsvertrag, ausgestattet ist. In der Insolvenz, in der der geschriebene Vertrag an Wert verliert, wächst die Bedeutung des psychologischen Vertrages; Beschäftigte erwarten, dass ihr Interessen in dieser schwierigen Lage mit Respekt erkannt und bei allen gerade von Beschäftigten anerkannten Schwierigkeiten einer Insolvenz mit der gebührenden Aufmerksamkeit Beachtung finden. Von einem Bruch des psychologischen Arbeitsvertrags kann dann gesprochen 5 werden, wenn sich eine subjektiv wahrgenommene Diskrepanz zwischen dem Ist- und dem (versprochenen oder erwarteten) Soll-Zustand einstellt. In der Insolvenz ist der formelle Arbeitsvertrag aus Beschäftigtensicht weitgehend entwertet. Äußere Faktoren, wie das Gefühl der Beschäftigten, Betriebsräte und ihrer Gewerkschaften, in Entscheidungsprozesse mit einbezogen und fair behandelt worden zu sein, kann die individuelle Verarbeitung des „Vertragsbruchs“ des formellen Vertrags beeinflussen. Umgekehrt kann das Gefühl, nicht fair behandelt zu werden, mit erheblichem Enttäuschungspotential verbunden sein und von Vornherein eine Sanierung vereiteln. Eine Insolvenzverwaltung, die dies nicht bei Übernahme ihrer Aufgabe erkennt, macht es nicht nur den Beschäftigten schwer, sie gefährdet auch die von ihr benötigte notwendige Unterstützung aus der Belegschaft und erhöht das Risiko des Scheiterns einer Sanierung. Gelingt die Sanierung nicht, verlagert sich das Risiko in die Qualität der Verwertung. II.

Die Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräte: Notwendige Experten in der Insolvenz

1.

Beschäftigte als Experten in eigener Sache

Im Insolvenzfall tritt der Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung ein. 6 Für den Betriebsrat und die zuständige Gewerkschaft ist er bereits mit Insolvenzantragstellung ein wichtiger Gesprächspartner. Denn auch wenn er mit Antragstellung oft noch nicht die Stellung eines „starken“ Insolvenzverwalters Helm/Huber

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

hat, werden in dieser Zeit doch die entscheidenden Gespräche begonnen. Hier unterscheidet sich die Stellung des Betriebsrats ganz wesentlich von seiner Stellung außerhalb der Insolvenz. Denn während Unternehmer aufgrund der Insolvenz unter einem Rechtfertigungsdruck und gelegentlich auch unter einem Verdacht stehen, ist der Betriebsrat eine betriebliche Institution, die unvorbelastet ins Insolvenzverfahren eintritt. Weil gleichzeitig die Insolvenzverwaltung das Unternehmen in der Regel nicht von innen kennt, ist der Betriebsrat ein wichtiger Vermittler von Kenntnissen über die inneren Abläufe und kann schnell die entscheidenden Betriebsangehörigen benennen, die „als Experten in eigener Sache“ nicht nur darstellen können, welche Fehlentwicklungen sie vor der Insolvenz beobachtet haben, sondern auch wo sie die Insolvenzursachen sehen und welche Zukunftskonzepte sie anraten würden. 7 In der Regel überrascht es Außenstehende, dass es zumeist die Betriebsräte sind, die sich über Jahre gegen ein „weiter so“ gewehrt haben und diese Fehlentwicklungen und bereits seit Jahren notwendigen Korrekturen benennen können. Werden Betriebsräte in der Insolvenz als Verhandlungspartner ernst genommen, gelingt es oft, mit diesen auch schwierige Korrekturen zu organisieren. Betriebsräte sind sich dabei regelmäßig bewusst, dass ein Sanierungskonzept zeitnah zu entwickeln ist. Der entscheidende Zeitraum ist dabei der Bezugszeitraum für das Insolvenzgeld. Wenn innerhalb dieses Zeitraums ein Interessenausgleich und Sozialplan erarbeitet worden ist, kann er mit Insolvenzeröffnung unterzeichnet werden. 8 Die hier vertretene Auffassung ist auch Gegenstand der Gesetzesbegründung zum ESUG.2) Der Gesetzgeber begründete u. a. das Gebot, dass Beschäftigtenvertreter im Gläubigerausschuss vertreten sein müssen (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO n. F.), wie folgt: „In der Praxis hat sich in den vergangenen Jahren seit dem Inkrafttreten der InsO die Beteiligung eines Vertreters der Arbeitnehmer im Gläubigerausschuss durchweg als sinnvoll erwiesen. Die Arbeitnehmer verfügen meist über vertiefte Kenntnisse des Unternehmens. Insbesondere bei einer Fortführung und Sanierung im Insolvenzverfahren ist die Einbindung von Vertretern der Arbeitnehmer unerlässlich. Künftig soll dem Gläubigerausschuss ebenso wie die anderen genannten Gläubigergruppen stets ein Vertreter der Arbeitnehmer angehören.“3)

2.

Die besondere Rolle des Betriebsrats als Vermittler, Interessenvertreter und unvorbelasteter Unternehmensexperte

9 Eine Besonderheit ist die häufig integrierend wirkende Funktion des Betriebsrats. Beschäftigte, die in der Insolvenz neue Stellen finden scheiden häufig kurzfristig aus. Dies sind gerade auch Vorgesetzte, wie bei den unterschiedlichsten In___________ 2) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 3) Begr. RegE ESUG z. Nr. 10 (Änderung von § 67 InsO), BT-Drucks. 17/5712, S. 27.

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II. Die Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräte

solvenzen zu beobachten war (z. B. Fairchild Dornier, Möbel Hess, Möbel Unger, Schlecker, Weltbild oder Praktiker). Betriebsräte übernehmen in solchen Fällen oft andernfalls verwaiste Aufgaben, wie die Erstellung von Dienstplänen oder die Vermittlung von Sachständen gegenüber den Beschäftigten. Dies ist keine Rolle, die sie anstreben. Aber bei allen vorgenannten Insolvenzen kam es zu solchen Entwicklungen. Letztlich sind es dann oft die Betriebsräte, die anlässlich einer Auflösung von Leitungsstrukturen durch Ausscheiden von Vorgesetzten „den Laden zusammenhalten.“ Auch Stimmungen und Chancen versteht die Insolvenzverwaltung oft erst nach dem Dialog mit dem Betriebsrat. So ist es nicht nur möglich, sondern in der Regel anzuraten, gerade in der Insol- 10 venz Leistungsanreize z. B. durch „Abverkaufsprämien“ zu schaffen. Denn wenn die Beschäftigten an ihrem eigenen Arbeitsplatzabbau mitwirken müssen, ist Respekt und Anerkennung für die oft sehr belastenden Umstände notwendig. So müssen in der Regel Restarbeiten in knapper Zeit, bei ausgedünnter Belegschaft und individuellen Zukunftssorgen bewältigt werden. Instrumente zur Motivation durch z. B. attraktive Prämien zeigen den Beschäftigten nicht nur Wertschätzung, sondern schonen gleichzeitig die Masse, weil sie oft erst den Druck durch die Mobilisierung der letzten Reserven aus der Belegschaft entschärfen. Für den Betriebsrat entsteht ein Spannungsfeld. Einerseits wirkt er – häufig aus 11 eigener Überzeugung – an oft schmerzhaften Sanierungsmaßnahmen mit, andererseits sieht er sich in der Verpflichtung gegenüber den Beschäftigten seine Schritte zu erläutern. Daher bedeutet die Sanierung in der Insolvenz für ihn oft eine noch intensivere Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, die ggf. auch notwendige Kontakte zur Politik (Fairchild Dornier) oder zu potenziellen Investoren (Möbel Hess, Hettlage) öffnen. Betriebsräte und Gewerkschaften sind es oft, die gleichzeitig harte Maßnahmen der Belegschaft vermitteln (Walter Bau, Fairchild Dornier) und so überhaupt erst Fortführungskonzepte ermöglichen. Besonders schwierig sind dabei für Betriebsräte Maßnahmen, wie durch eine Namensliste begleitete Interessenausgleichsverhandlungen. Dennoch kommt es immer wieder zu entsprechenden Lösungen, wenn die Insolvenzverwaltung die Bedeutung des Beschäftigtenwissens erkennt. 3.

Gewerkschaften und Betriebsräte als Begleiter der Sanierung, Stilllegung und des Insolvenzgeldbezugszeitraums

Gerade wegen dieser Stellung und dem Bedürfnis der Belegschaft eingebunden 12 zu sein, ist die Insolvenz für Betriebsräte und Gewerkschaften darüber hinaus eine arbeitsintensive Zeit. Betriebsversammlungen müssen durchgeführt, Verhandlungen geführt und die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitsrechts oft erst erlernt, geprüft und nach Möglichkeit in Vorschläge eingearbeitet werden. Welche Instrumente können dies sein? x

Neben den klassischen Möglichkeiten des Interessenausgleichs und Sozialplan/Sozialtarifvertrag bis hin zur Namensliste kommen Helm/Huber

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

x

Transfermaßnahmen verbunden mit Strukturkurzarbeitergeld eine wichtige Rolle zu;

x

aber auch die Anpassung betrieblicher Regelungen in der Insolvenz, wie die Arbeitszeitregelung oder die Aufstellung einer Vereinbarung über eine Abverkaufs- oder Abwicklungsprämie sind wichtige Maßnahmen.

13 Kommt es zur Stilllegung, ist die Situation für die Beschäftigtenvertretung noch belastender. Zusätzliche Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern sind sinnvoll und notwendig. x

Einerseits sind es die Betriebsräte, die im Regelfall darauf drängen noch weitere Sanierungsbemühungen zu prüfen und mit ihren Gewerkschaften an der Entwicklung alternativer Lösungen arbeiten (siehe § 9 [Giese/Göpfert]),

x

andererseits sind diese gleichzeitig die Adressaten der Sorgen und Ängste aus der Belegschaft, obwohl sie selbst die gleichen Empfindungen erleben.

III.

Potentielle Gestaltungsbedarfe (insbesondere) im Insolvenzgeldbezugszeitraum

14 Am Anfang jeder Insolvenz steht aber der Insolvenzgeldbezugszeitraum. Dieser Zeitraum ist für die Beschäftigten wirtschaftlich geschützt und in der Regel notwendig, um Mittel für die Masse zu generieren. Betriebliche Regeln müssen ggf. bezogen auf diesen Zeitraum angepasst werden. 15 Betriebsräte werden sich bei Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter immer vergegenwärtigen, dass ihre Mitbestimmungsrechte in der Insolvenz ohne Einschränkung fortbestehen. 1.

Die Arbeitszeit Müssen Minusstunden nachgeleistet werden? Zur Notwendigkeit, rechtliche Vorgaben bei flexiblen Arbeitszeitmodellen zu beachten: BAG, Urt. v. 26.1.2011 – 5 AZR 819/09, ZIP 2011, 1022

16 In der mutmaßlich überwiegenden Mehrzahl der Betriebe gelten flexible Betriebsvereinbarungen zu Arbeitszeitkonten. Zum Zeitpunkt des Beginns des Insolvenzgeldbezugszeitraums ist der Stand der Arbeitszeitkonten und der betrieblichen Arbeitszeitregelung zu beurteilen. Es kann und wird in vielen Fällen eine unverzügliche Neugestaltung der Arbeitszeitregelung empfehlenswert sein. Falls z. B. die betriebliche Arbeitszeitregelung bei der zwischenzeitlich insolventen Firma zu einer erheblichen Zahl von Minusstunden geführt hat und Beschäftigte so den Insolvenzgeldbezugszeitraum mit einem negativen Arbeitszeitkonto beginnen würden, hätte dies für die Betriebsangehörigen einen oft frustrierenden Effekt. Minusstunden, die oft gegen ihren Wunsch aufgrund Arbeitsmangels entstanden sind und für die nach dem Regelfall des § 615 BGB keine Nachleis-

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Helm/Huber

III. Potentielle Gestaltungsbedarfe (insbesondere) im Insolvenzgeldbezugszeitraum

tungspflicht besteht, müssten in der ohnehin stark belastenden Insolvenzphase nachgeleistet werden. Hinzu kommt die erhebliche Anzahl unwirksamer Betriebsvereinbarungen zu 17 flexiblen Arbeitszeitmodellen. Häufig wird übersehen, dass eine flexible Arbeitszeitregelung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nur i. R. der Anforderungen des ArbZG, der zugrunde liegenden EU-Richtlinie und tariflicher Vorgaben zulässig ist. Das setzt in vielen Fällen die Definition von Verteilzeiträumen und/oder die Festsetzung systematischer Rahmenbedingungen voraus. Andernfalls fehlt es an einer klaren Abgrenzung von anderen Verteilzeiträumen für die Regelarbeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und im Einzelfall mitbestimmungspflichtiger Mehrarbeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. 18

Praxishinweis Gerade um hier Risiken zu vermeiden und den Insolvenzgeldbezug auf eine rechtssichere Basis zu stellen, empfiehlt sich die Prüfung und in der Regel Neufassung der Arbeitszeitregelung gerade auch in Hinblick auf den Insolvenzgeldbezugszeitraum und dessen Besonderheiten. Für beide Seiten erhöht dies die Rechtssicherheit, dass im Insolvenzgeldbezugszeitraum geleistete Arbeit bezahlt wird.

Auch notwendige Überstunden könnten in dem Insolvenzgeldbezugszeitraum 19 und der darauf folgenden Phase Gegenstand einer Vereinbarung sein. Auch hier könnte eine bisher bestehende betriebliche Regelung zu überarbeiten sein. Ziel einer Regelung für den Insolvenzgeldbezugszeitraum wäre auch hier die rechtssichere Auszahlung von geleisteter Mehrarbeit mit dem Insolvenzgeld. 2.

Kurzarbeit

Wenn sich die Suche nach einem Investor verzögert, aber eine Stilllegung noch 20 nicht angebracht ist, weil das Unternehmen tatsächlich fortführbar, aber die Investorensuche sich aufgrund objektiver Umstände, wie z. B. ungeordneter Unterlagen verzögern muss, kann es sein, dass der Betrieb vorübergehend nicht ausgelastet ist. Hier können Betriebsrat und Insolvenzverwaltung die Initiative ergreifen und sich für die Einführung von Kurzarbeit stark machen. Kurzarbeit als Instrument der vorläufigen Kapazitätsreduzierung ist in Abgrenzung zur dauerhaften Kapazitätsreduzierung durch Personalabbau – ähnlich wie dies eine mittelfristig angelegte Transfergesellschaft sein kann (Fairchild Dornier ein Jahr) – ein adäquates Mittel zur Überbrückung von Zeiten geringer Auslastung. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats leitet sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ab. 3.

Urlaub

Die Insolvenzeröffnung bedeutet auch eine Verunsicherung in Hinblick auf be- 21 reits beantragte, aber noch nicht genommene Urlaube. Für die Beschäftigten und ihre Betriebsräte ist es wichtig, zeitnah Rechtssicherheit zu erlangen und ggf. notwendige Anpassungen der Urlaubsplanung zu kennen. Das Insolvenzverfah-

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

ren beginnt aus Beschäftigtensicht grundsätzlich mit der Bestandsaufnahme, also der Erfassung und Bewertung der bestehenden Situation. Zu diesem Zeitpunkt sind die Beschäftigten zumeist noch vollständig. Wegen des in jeder Insolvenz stattfindenden sukzessiven Ausscheidens von Beschäftigten im weiteren Verlauf des Insolvenzgeldbezugszeitraums und nach der Insolvenzeröffnung, kann es sinnvoll sein, Urlaubsansprüche möglichst frühzeitig zu erfüllen. Außerdem wird dadurch vermieden, dass die Beschäftigten, die zumeist in der Insolvenz den größten Schaden nehmen, nicht noch den Eindruck gewinnen, dass auch die Insolvenzverwaltung ihre Anliegen und Rechte vernachlässigt. Eine frühzeitige Befassung mit den Urlaubsansprüchen ist tatsächlich eine stabilisierende und motivationserhaltende Maßnahme. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG ist die Urlaubsplanung Gegenstand der notwendigen Mitbestimmung. Mit Insolvenzantragstellung sollte die vorläufige – in der Regel noch „schwache“ – Insolvenzverwaltung frühzeitig eine erste Weichenstellung veranlassen (siehe § 13 Rz. 32 f. [Gossak]). 4.

Prämien

22 In der Insolvenz sind Geldmittel knapp. Den Gläubigern und dem Gläubigerausschuss gegenüber muss eine jede Mittelverwendung erklärt werden. Zusätzliche Zahlungen an die Beschäftigten lassen sich aber rechtfertigen und dürften notwendig sein, wenn es um die Sicherung der Motivation und Stabilisierung des Personalstands im Insolvenzbezugszeitraum und der Abwicklungsphase geht. Denn Beschäftigte, die in der Regel bei reduziertem Personalstand z. B. einen Abverkauf organisieren müssen, erbringen oft eine über ihre eigentlichen Vertragspflichten hinausgehende Arbeitsleistung. Wenn aber mehr als die vertraglich geschuldete Arbeit eingefordert wird und Ersatzkräfte nur unter erheblichem Aufwand gefunden werden können, muss auch über die sachgerechte Honorierung des Mehrwerts verhandelt werden. Wenn hier auch tariflichen Lösungen der Vorzug zu geben ist, sollten falls eine tarifliche Möglichkeit nicht zeitnah umsetzbar ist, mit dem Betriebsrat sachgerechte Anreize, wie Abverkaufs-, Anwesenheits-, Mehrarbeitsprämien oder Arbeitsverdichtungsausgleiche erörtert und vereinbart werden. 23 Mitbestimmt sind Regelungen in diesem Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG und in Hinblick auf den Auszahlungszeitpunkt nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Gelegentlich wird von Seiten der Insolvenzverwaltung eingewendet, dass diese Maßnahmen wegen des Grundsatzes der Masseschonung keine zusätzlichen Kosten verursachen dürfen. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um zusätzliche Ausgaben, sondern um Einsparungen. Der Aufwand, die Stammbelegschaft zusammenzuhalten und zu motivieren wird ungleich geringer und kostengünstiger sein, als die Kosten für neue Beschäftigte. Jede Insolvenzverwaltung befasst sich mit der Notwendigkeit bestimmte Schlüsselfunktionen, wie den IT-Support zu si-

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III. Potentielle Gestaltungsbedarfe (insbesondere) im Insolvenzgeldbezugszeitraum

chern. Tatsächlich stellt sich diese Frage aber für alle Aufgaben vor der Abwicklung. Wie hätte der Abverkauf bei Schlecker und Praktiker, wie hätten die Abschlussarbeiten bei Walter Bau erfolgen sollen, wenn nicht wesentliche Teile der Belegschaft hätten gehalten werden können? 5.

Arbeits- und Gesundheitsschutz Zum Initiativrecht (zutreffender Initiativpflicht) des Arbeitgebers (in dessen Funktion der Insolvenzverwalter eintritt) im Arbeitsschutz: BAG, Urt. v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, Rz. 32, BAGE 127, 205

Arbeits- und Gesundheitsschutz wird seit Ablösung des überholten Arbeits- 24 schutzrechts durch das ArbSchG ganzheitlich verstanden. Sein Ziel ist es Fehlbelastungen weitestmöglich zu vermeiden. Gerade in der Insolvenz sind aber Belastungen durch Beschäftigungsunsicherheit besonders hoch. Eine hierauf abgestimmte Arbeitsschutzstrategie wäre sowohl i. S. der Beschäftigten als auch der Insolvenzverwaltung. Dabei wird es im Kern um eine an den Zielen der Belastungsreduzierung orientierte Kommunikationsstrategie gehen, die Vorgänge für die Beschäftigten durch eine zeitnahe, möglichst vollständige Information transparent zu machen. Insolvenzverwaltungen verhalten sich oft in der Anfangsphase der Insolvenz offen und beschreiben auf Betriebsversammlungen die nächsten Schritte. 25

Praxishinweis Von Beschäftigten wird hier wiederholt beobachtet, dass dies im Laufe der Insolvenz nachlässt. Eine anfänglich als richtig erkannte Vorgehensweise könnte durch die Festlegung des Kommunikationskonzepts mit der Gewerkschaft oder dem Betriebsrat über den gesamten Zeitraum des Verfahrens aufrechterhalten werden.

Ein weiteres Element wäre eine gute Erreichbarkeit der Insolvenzverwaltung, 26 deren Glaubwürdigkeit für die Beschäftigten deutlich höher ist, als die des – oft für die Insolvenz mitverantwortlichen – vormaligen Managements. Belastungen durch Unsicherheiten können so reduziert werden. Brüche des Eingangs vorgestellten psychologischen Arbeitsvertrags durch die Insolvenzverwaltung können so vermieden oder verringert werden. Das ist die eigentliche Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Belegschaft und ihren Gewerkschaften, die der Insolvenzverwaltung wiederum die Möglichkeit gibt das Verfahren auch ökonomisch betrachtet bestmöglich durchzuführen. Der nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmte Arbeits- und Gesundheits- 27 schutz ist ausweislich § 3 Abs. 2 Nr. 2 ArbSchG eine bei allen betrieblichen Angelegenheiten zu beachtende Querschnittaufgabe. Nach § 89 BetrVG handelt es sich darüber hinaus um eine Pflichtaufgabe der Betriebsparteien. Die Insolvenzverwaltung oder der Betriebsrat sind berechtigt die Initiative ergreifen.

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

IV.

Interessenausgleich- und Sozialplan

28 Nur ausnahmsweise gelingt es in einer Insolvenz, das Unternehmen und die Arbeitsplätze zu unveränderten Beschäftigungsbedingungen insgesamt zu erhalten. Der Regelfall ist dagegen, dass auch bei Erhalt von Arbeitsplätzen ein Personalabbau durchgeführt wird und/oder eine Änderung der Beschäftigungsbedingungen erfolgt. Nach den §§ 111 ff. BetrVG müssen diese Sachverhalte Gegenstand eines Interessenausgleichs sein. Aufgrund des nur befristeten Zeitraums des Insolvenzgeldbezugs ist es regelmäßig Ziel der Insolvenzverwaltung mit Insolvenzeröffnung ggf. erforderliche Personalabbaumaßnahmen abschließend vorbereitet zu haben. Für den Betriebsrat ist es hier entscheidend, sich in kürzester Zeit das erforderliche Wissen zur Erfüllung seiner Aufgaben anzueignen sowie Rat durch Sachverständige und entscheidungsbefugte Ansprechpersonen durch die Insolvenzverwaltung zu erhalten. 1.

Interessenausgleich

a)

Allgemeines

29 Jede sog. Betriebsänderung, also durch einen Arbeitgeber – dies ist hier der Insolvenzverwalter – eingeleitete Veränderung eines oder mehrerer Betriebe, die mit erheblichen Nachteilen für die gesamte oder wesentliche Teile der Belegschaft verbunden sein kann, ist nach der Betriebsverfassung durch ein Interessenausgleichsverfahren nach den §§ 111 ff. BetrVG vorab zu begleiten. Hierzu gehören x

der Beschäftigtenabbau,

x

die Stilllegung,

x

die Abspaltung bzw. Zerschlagung und

x

die Umorganisation.

30 Für die Insolvenzverwaltung liegt hier der Vorteil, dass sie nicht mit den einzelnen Beschäftigten, sondern nur mit dem Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat Verhandlungen führen und Ergebnisse erarbeiten muss. 31 Typisch für die Insolvenz ist nun, dass die Verhandlungen vor der Eröffnung möglichst final geführt und die Vereinbarung dann mit Eröffnung umgesetzt wird. Mit der Betriebsverfassungsreform 2001 hat der Gesetzgeber in § 112 Abs. 5 BetrVG aufgenommen, dass Maßnahmen der Arbeitsförderung Teil des Sozialplans sein können. Dies erscheint juristisch nicht ganz systematisch, denn verkürzt dargestellt enthält der Interessenausgleich die Beschreibung, wann was geschieht und wie es umgesetzt werden soll, der Sozialplan enthält dagegen die wirtschaftlichen Ausgleichsmaßnahmen (in der Regel Zahlungen), die an die Beschäftigten für näher definierte Sachverhalte (Versetzung, Kündigung, Abgruppierung) geleistet werden. Die Zuordnung der Transfermaßnahmen zu den Sozialplanregelungen ist hier unsystematisch. Der Gesetzgeber hat hierdurch aber

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IV. Interessenausgleich- und Sozialplan

vorgegeben, dass diese Maßnahmen in der Einigungsstelle „spruchfähig“ sind.4) Vor der Betriebsverfassungsreform 2001 wurden Transfermaßnahmen in der Regel in einer dritten Vereinbarung geregelt, waren aber bereits damals ein wichtiges Instrument zur Abfederung oder Überbrückung von Nachteilen für die Belegschaft (Fairchild Dornier). Gestaltungspotential leitet sich auch aus § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO ab. Diese Norm 32 gestattet, dass durch Namensliste eine geeignete Altersstruktur geschaffen wird. Außerhalb der Insolvenz ist die Sicherung der ausgewogenen Personalstruktur ein legitimes Ziel, nicht jedoch deren Schaffung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG).5) Die Namensliste ist nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat möglich, kann aber in der Insolvenz ein Gestaltungsmittel sein (Weltbild). b)

Interessenausgleich in der Insolvenz

aa)

Der Interessenausgleich: Drei mögliche Wege

Nach der Betriebsverfassung ist der Interessenausgleich abschließend zu versu- 33 chen. Das bedeutet, dass über die Maßnahme eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat zustande kommt oder zumindest abschließend versucht wird. Unter „abschließend versuchen“ wird verstanden, dass entweder eine Einigung über die durchzuführenden Maßnahmen besteht oder ein Scheitern der Verhandlungen durch die Einigungsstelle festgestellt wurde (§§ 111, 112 Abs. 1 bis 3 BetrVG). Eine „dritte“ Option ist die „einvernehmliche“ Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen. Dieser Weg ist betriebsverfassungsrechtlich unproblematisch und wird in der Praxis nicht selten gewählt. Zwischen der Betriebsrats- und der Insolvenzverwalterseite kommt ein Konsens zustande, dass zum aktuellen Zeitpunkt „nichts mehr geht“. Die Meinungsverschiedenheiten darüber aber, was hätte getan werden können, sind tiefgreifend. Da fällt es der Betriebsratsseite einerseits schwer, eine Regelung – die faktisch keinen Wert für die Beschäftigten hat – gegenzuzeichnen. Andererseits hält der Betriebsrat die Maßnahmen für falsch, sieht aber auch keinen Weg mehr sich diesen zu widersetzen. Man sieht keine weitere Möglichkeit, einer Maßnahme, wie z. B. einer Stilllegung durch die Insolvenzverwaltung, entgegenzuwirken. Im Ergebnis bedeutet dies, dass man sich einig ist, daher die Verhandlungen gescheitert sind und es nicht der Anrufung der Einigungsstelle bedarf. bb)

Der Unterlassungsanspruch

Ohne einen Interessenausgleich ist die Durchführung einer Betriebsänderung 34 nicht nur nicht sinnvoll, sondern auch unzulässig. Dies ergibt sich außerhalb der Insolvenz daraus, dass der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nach § 111 ___________ 4) Schütte, NZA 2013, 249, 253. 5) BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, ZIP 2012, 1623, dazu EWiR 2012, 535 (Wank).

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

BetrVG andernfalls vereitelt würde und dieser ausweislich des Unionsrechts wirksam gewährleistet sein muss, Art. 4 Abs. 4 lit. e, Art. 8 RL 2002/14/EG6). Darüber hinaus gestattet § 122 InsO die Durchführung der Betriebsänderung mit Zustimmung des ArbG. Untersagen Gerichte7) im Wege der einstweiligen Verfügung die Durchführung der Betriebsänderung bereits außerhalb der Insolvenz wegen der Missachtung des Verhandlungsanspruch des Betriebsrats und dem unionsrechtlichen effet utile (Effizienzgebot), so muss dies in der Insolvenz erst recht gelten (siehe auch § 3 Rz. 35 ff. [Gossak]). Denn ein Insolvenzverwalter würde nicht nur den Verhandlungsanspruch des Betriebsrats verletzen, wenn er ohne Interessenausgleich die Betriebsänderung durchführt. Er würde in einem solchen Fall zusätzlich die Rechte der Arbeitsgerichtsbarkeit aus § 122 InsO missachten, denn den ArbG hat der Gesetzgeber das ausnahmsweise Recht eingeräumt, nach § 122 InsO eine Betriebsänderung ohne abschließende Verhandlung eines Interessenausgleichs durchzuführen. Es ist daher besonders problematisch und rechtlich angreifbar, wenn der Insolvenzverwalter das Verhandlungsgebot aus den §§ 111 ff. BetrVG, Art. 4 Abs. 4 lit. e RL 2002/14/EG übersieht. cc)

Die Vermittlung durch die Bundesagentur

35 Selten wird auf die Möglichkeit der Vermittlung durch die Bundesagentur nach § 112 Abs. 2 BetrVG zurückgegriffen. Dies ist aus zwei Gründen im Einzelfall zu hinterfragen: x

Besteht ein erheblicher Konflikt zwischen Insolvenzverwaltung und Betriebsratsseite und ruft eine Seite die Bundesagentur zur Vermittlung an, kann eine Einigungsstelle erst nach erfolglosem Vermittlungsversuch zusammentreten.8) Das Risiko wird mit Anrufung der Bundesagentur vermieden.

x

Darüber hinaus sind gerade bei unter Zeitdruck stehenden Veränderungen – und dies gilt für Maßnahmen in der Insolvenz fast immer – öffentlich geförderte Maßnahmen hilfreich. Hier kann die Bundesagentur helfen.

36 Wenn nun die Bundesagentur – mit der bei Transfermaßnahmen immer eine Beratungspflicht besteht – frühzeitig beigezogen wird, kann hier schneller eine Rechtssicherheit erreicht werden. Ziel beider Betriebsparteien wird es immer sein, dass bei öffentlich bezuschussten Leistungen, wie Transfermaßnahmen, zeitnah bekannt ist, ob diese geleistet werden. Hier kann auch ein (einvernehmlicher) Vermittlungsversuch durch die Bundesagentur helfen. ___________ 6) Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft – Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zur Vertretung der Arbeitnehmer – Informations- und Konsultationsrichtlinie, ABl. (EG) L 80/29 v. 23.3.2002. 7) LAG München, Beschl. v. 22.12.2008 – 6 TaBVGa 6/08, BB 2010, 896. 8) ArbG München, Beschl. v. 2.4.2009 – 30 BV 81/09.

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IV. Interessenausgleich- und Sozialplan

dd)

Sinnvolle begleitende Inhalte

Zusätzlich zu den notwendigen Inhalten eines Interessenausgleichs, wird in die- 37 sem sinnvollerweise bei Arbeitsplatzverlusten festgelegt, wie die Beschäftigten die notwendigen Arbeitspapiere und Zeugnisse erhalten, auf welchem Weg sie sich ggf. an den Insolvenzverwalter wenden können (feste Ansprechpersonen sind da hilfreich). Es könnte festgehalten werden, wie Tabellenansprüche der Beschäftigten möglichst effektiv erfasst und anerkannt werden. So ist es möglich, dass die Insolvenzverwaltung mit der Gewerkschaft und/oder dem Betriebsrat die ihr bekannten offenen Ansprüche erfasst und diese zur Anmeldung zur Tabelle den Beschäftigten vorformuliert und mit einer entsprechenden Ergänzungsmöglichkeit zuleitet. Es könnte aufgenommen werden, welche offenen Ansprüche die Insolvenzverwaltung nicht bestreiten wird. Alle diese „kleinen Details“ können die Belastung der Beschäftigten in der Insolvenz reduzieren. Im Zusammenhang mit dem Interessenausgleich sollte geprüft werden, ob und 38 inwieweit durch die Insolvenzverwaltung auf tarifliche Ausschluss- und Verjährungsfristen vorsorglich verzichtet werden kann. Dies kann die Abwicklung erheblich erleichtern, weil so die vorsorgliche Geltendmachung und Klagen vermieden werden, zumal die Anwendung solcher Fristen in Abhängigkeit von der einzelnen Forderung nicht immer in Betracht kommt, aber natürlich erheblichen Streit auslösen kann. 2.

Der Sozialplan in der Insolvenz

a)

Die Zuständigkeit Zuständigkeit für Sozialplan: BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596

Für die Sozialplanverhandlungen stellt sich in größeren Unternehmen zunächst 39 die Zuständigkeitsfrage. Mit welchem Gremium ist dieser zu verhandeln? Nach der Rechtsprechung ist dies im Zweifel der lokale Betriebsrat und nicht der Gesamtbetriebsrat.9) Für Betriebsräte stehen in aller Regel zwei Fragen bei der Verhandlung des So- 40 zialplans im Vordergrund: x

Wie hoch wird die freie Verteilungsmasse voraussichtlich ausfallen, wie werden die beiden Grenzen des § 123 InsO wirken?

x

Können Auslaufgehälter i. R. von Transfermaßnahmen zeitnah genutzt werden oder fehlen insoweit die Mittel zum Zeitpunkt des Endes von Arbeitsverträgen?

___________ 9) BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596.

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

b)

Die Bedeutung der freien Verteilungsmasse

41 Mit § 123 InsO hat der Gesetzgeber gleich zwei Schranken für das außerhalb der Insolvenz oft sehr streitige Sozialplanvolumen gesetzt. Das Sozialplanvolumen darf x weder durchschnittlich 2,5 Gehälter (Jahreseinkommen der betroffenen Beschäftigten dividiert durch 12*2,5) überschreiten x

noch darf es mehr als ein Drittel der freien Verteilungsmasse betragen.

42 Nun lässt sich die erste Grenze aus den Gehältern ableiten. Schwieriger ist die Ermittlung der freien Verteilungsmasse. Deren Höhe steht oft erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt nach den notwendigen Verwertungen fest. Für den Inhalt und die Ausgestaltung des Sozialplans sind dem Betriebsrat daher Schätzungen über das mögliche Volumen der freien Verteilungsmasse wichtig. Davon abhängig kann es zu einem „klassischen“ Sozialplan kommen, der eine von Betriebszugehörigkeit und weiteren Faktoren abhängige Verteilung des Sozialplanvolumens vorsieht. Ist das Sozialplanvolumen dagegen wegen sehr geringer freier Verteilungsmasse niedrig, so kommen andere Überlegungen für dessen Aufstellung in Betracht. Dann kommt es vor, dass der Sozialplan nur Leistungen für die am härtesten betroffenen Beschäftigten vorsieht. Auch bei dem in der Insolvenz kraft Gesetz überaus geringen Sozialplanvolumen leiten Betriebsräte Gerechtigkeitserwägungen an. Um ihnen hier ihre Aufgabenwahrnehmung zu ermöglichen, sollte ihm frühzeitig eine Prognose der Insolvenzverwaltung zugeleitet werden. c)

Förderfähige Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit

43 In einigen Insolvenzverfahren (Fairchild Dornier, Quelle und Schlecker) erfährt die Diskussion um Transfermaßnahmen erhebliche Aufmerksamkeit. Hinter dieser Diskussion stehen zwei Aspekte. Grob betrachtet kennt § 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG zwei Arten von förderfähigen Maßnahmen, x die Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung durch Agenturen, also die Hilfe im Bewerbungsverfahren und x

den Wechsel in eine Transfermaßnahme, in der Regel (nicht aber notwendigerweise) verbunden mit dem Wechsel in eine Transfergesellschaft.

44 In der Insolvenz ist letztere Maßnahme in der Praxis am bedeutendsten. Beschäftigte können bei bevorstehendem Arbeitsplatzwegfall für einen begrenzten Zeitraum in eine Transfermaßnahme bei einer Transfergesellschaft wechseln. Sie beziehen bei der Transfergesellschaft in der Regel Strukturkurzarbeitergeld. Dies entspricht zwar der Höhe des Arbeitslosengelds, wird aber nicht auf den Arbeitslosengeldbezugszeitraum (Alg 1) angerechnet. Damit ist der erste Effekt einer solchen Maßnahme, dass die Betriebsparteien das Risiko des Abstürzens von Beschäftigten in Hartz IV (Alg 2) zeitlich hinausschieben. Der zweite Effekt ist, dass empirische Erkenntnisse belegen, dass in solchen Maßnahmen zusammengefasste Beschäftigte erheblich bessere Vermittlungserfolge auf dem Ar134

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IV. Interessenausgleich- und Sozialplan

beitsmarkt erfahren. Die Betreuung ist in der Regel intensiver und die Vermittlung kann auf das Beschäftigtenprofil besser konzentriert werden. Darüber hinaus verdienen Transfergesellschaften daran, dass sie schnell vermitteln, was ebenfalls das Engagement der Vermittler fördert. Nach einer „Faustformel“ lassen sich nun mit einem Monatsgehalt unter Be- 45 rücksichtigung der öffentlichen Zuschüsse etwa zwei Monate Transfergesellschaft finanzieren. Häufig werden auch noch längere Zeiträume erreicht. Und wenn Beschäftigte nach dem Bezug von Strukturkurzarbeitergeld arbeitslos werden, berechnet sich das Arbeitslosengeld nach dem letzten Gehalt des Arbeitnehmers vor Eintritt in die Transfergesellschaft, § 131 Abs. 3 Nr. 1 SGB III. Damit ist gewährleistet, dass Beschäftigte keine leistungsrechtlichen Nachteile erfahren, wenn sie nach der Transfergesellschaft arbeitslos werden. Nachdem nun in der Insolvenz die Kündigungsfristen durch § 113 InsO auf 46 drei Monate zum Monatsende „gedeckelt“ sind, stellt sich bei den Sozialplanverhandlungen die Frage, ob dieses Geld kurzfristig bereitgestellt werden kann. Denn nur dann ist ein Wechsel in eine Transfergesellschaft möglich. Dagegen scheidet dies aus, wenn die Mittel zeitlich verzögert zur Verfügung stehen. Dies anerkennend werden gelegentlich Maßnahmen öffentlich bezuschusst, also der Eigenanteil des Insolvenzverwalters von der öffentlichen Hand übernommen (Fairchild-Dornier, Maxhütte). In anderen Fällen kommt es auch zu Bürgschaften für eine Zwischenfinanzierung, wie sie auch i. R. der Schlecker-Insolvenz diskutiert wurde.10) Entscheidend bleibt aber, dass eine Transfergesellschaft, die gleichzeitig die Vermittlungsaufgaben einer Transferagentur wahrnimmt in der Insolvenz eine Möglichkeit ist, die die Tristesse von Insolvenzsozialplänen ein wenig überstrahlen kann. d)

Die bessere Lösung: Der Sozialtarifvertrag

Während sich bei Sozialplänen Fragen der Zuständigkeit stellen, Ermessensge- 47 sichtspunkte eine erhebliche Rolle spielen und auch sonst die Rechtsprechung hierzu nicht ganz leicht überschaubar ist, könnte man für Tarifverträge geradezu das Gegenteil annehmen. Hier orientiert sich die Rechtsprechung an einem Erhaltungsgedanken. Tarifverträge sollen möglichst wirksamkeitserhaltend angewendet und ausgelegt werden. Durch (Haus-)Tarifverträge ist es darüber hinaus möglich eine Regelung aufzustellen, bei der sich der Arbeitgeber (Insolvenz___________ 10) Bei der Schlecker-Insolvenz ging es ausschließlich um eine Bürgschaft, die i. R. der komplizierten Pleite des insolvenzrechtlich privilegierten Einzelkaufmanns die Fortführung eines verkleinerten (modernisierten) Unternehmens nach Einschätzung aller Beteiligten möglich gemacht hätte. Die Bürgschaft hätte auch nach Veräußerung des Spaniengeschäfts nachweislich einschließlich der Zinsen zurückgezahlt werden können. Dies war immer bekannt. Die Bürgschaft scheiterte letztendlich am politischen Widerstand aus einem Bundesland eines Hauptkonkurrenten des Pleitiers. Der Arbeitsplatzerhalt steht nicht immer im Vordergrund eines Insolvenzverfahrens, für die Konkurrenz überwiegt oft das Interesse an der Marktbereinigung.

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

verwalter) dahingehend festlegt, dass dieser auch auf Außenseiter Anwendung findet oder kann dies nachträglich durch Gesamtzusage der Belegschaft versprechen. Der Betriebsrat kann wiederum die Position einnehmen, dass er keinen eigenen Sozialplan verlangt, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass er nicht mehr durchsetzen kann, als der Sozialtarifvertrag zum Inhalt hat. 48 Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft, die sich an den Grenzen des § 123 InsO orientieren werden, haben darüber hinaus ganz praktische Vorteile. Die Verhandlungspartner sind Tarifkommissionen aus der Belegschaft, das sind zumeist Betriebsratsmitglieder, in der Regel geführt durch hauptamtliche Gewerkschaftsbeauftragte. Diese kennen zumeist die Beschäftigten sehr gut, haben die Insolvenz begleitet, befinden sich aber nicht in einer Neuorientierungsphase und können so den Prozess professioneller begleiten. Gleichzeitig genießen Tarifverträge eine höhere Akzeptanz; auch mit späteren Überraschungen vor Gericht braucht man nicht in gleicher Weise zu rechnen, wie dies bei Betriebsvereinbarungen aufgrund der zu beachtenden Vorgaben der Betriebsverfassung der Fall ist. 49 Praxishinweis Die Förderung von Transfermaßnahmen durch Tarifvertrag unterscheidet sich nicht von der Förderung von Transfermaßnahmen in Sozialplänen.

e)

Leistungen von dritter Stelle

50 Nach der Insolvenz der Buchhandlung Kaiser wurde die Strafe wegen der Insolvenzverschleppung unter der Auflage zur Bewährung ausgesetzt, dass eine festgelegte Geldsumme fristgerecht für Abfindungsleistungen an die Beschäftigten geleistet wird. Bei der Insolvenz von Weltbild wurden von dritter Seite Mittel für einen außerhalb einer Insolvenz üblichen Sozialplan zur Verfügung gestellt. 51 Zahlungen von dritter Seite zweckgebunden ausschließlich zugunsten der Beschäftigten sind nur möglich, wenn sie nicht mit der Masse verschmolzen werden. Rechtlich lässt sich dies umsetzen, indem ein treuhänderisch verwaltetes, von der Insolvenzmasse getrenntes Sondervermögen aufgrund eines Tarifvertrags (Weltbild) eingerichtet wird. 52 Durch Tarifvertrag ist für Zuwendungsgeber und Beschäftigten die zweckgebundene Verwendung der Mittel sicherzustellen. Dabei ist bis einschließlich dem Auszahlungsvorgang zu gewährleisten und treuhänderisch abzusichern, dass eine Vermischung mit der Insolvenzmasse unterbleibt. Dies kann dadurch gelingen, dass die Insolvenzverwaltung die Insolvenzmasse getrennt von dem treuhänderisch überwachten Sondervermögen hält. Eine andere Alternative ist die direkte Zahlung außerhalb der Vergütung von dritter Seite aus dem treuhänderisch verwalteten Sondervermögen (Buchhandlung Kaiser).11) ___________ 11) Bei einer direkten Auszahlung von einer anderen Stelle als der Insolvenzverwaltung müssen die steuerlichen Folgen geprüft werden (Schenkungssteuer?).

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V. Sachverständigenzuziehung

f)

Mögliche weitere Inhalte

Inhaltlich unterscheidet sich ein Sozialplan in der Insolvenz nicht von Sozial- 53 plänen außerhalb der Insolvenz. Es wird ein Geltungsbereich, eine abstrakte Verteilungsregelung nach objektiven Kriterien und häufig eine auf § 123 InsO abgestimmte Klausel aufgenommen, da die Insolvenzverwaltung das Berechnungsrisiko nicht übernehmen möchte. Sinnvoll sind darüber hinaus Regelungen zu einem Vorschuss, zur Kommuni- 54 kation, zu Verfalls- und Verjährungsfristen. Denn der Sozialplan kann erst nach Feststehen der freien Verteilungsmasse abschließend bedient werden. Dies kann eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Zu empfehlen ist daher, festzulegen, ob und wann eine Abschlagszahlung auf den Sozialplan erfolgen wird, wie die Beschäftigten durch die Insolvenzverwaltung über die Höhe und den Auszahlungszeitpunkt ihres Anspruchs unterrichtet werden und, dass die Insolvenzverwaltung vorsorglich auf die Geltendmachung von tariflichen Verfalls- und gesetzlichen Verjährungsfristen gegenüber den Beschäftigten verzichtet (siehe oben Rz. 39). V.

Sachverständigenzuziehung Das BAG betrachtete die Sachverständigentätigkeit in der dortigen Fallkonstellation als teilbare Leistung und die vor Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeit für den Interessenausgleich als Tabellenforderung: BAG, Beschl. v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, ZIP 2010, 588

Zusagen der Insolvenzverwaltung frühzeitig Sachverständige zu akzeptieren run- 55 den eine sinnvolle Vorgehensweise ab. Denn ohne Sachverständige wird ein Betriebsrat kaum in der Lage sein, das Insolvenzverfahren unter dem gebotenen Zeitdruck zu begleiten und an den sich ggf. als notwendig herausstellenden Maßnahmen mitzuwirken. Beschäftigte und ihre Vertretungen tragen die sehr schmerzhaften Entscheidungen mit, oft bis hin zu den Namenslisten, die für Betriebsräte eine außerordentlich schwierige Entscheidung bedeuten (Schlecker, Modehaus Wagner). Die vorzitierte Rechtsprechung schafft jedoch keine Rechtssicherheit bei Bera- 56 tungskosten. Wenn Insolvenzverwaltungen sich weigern, nach Insolvenzeröffnung entgegengenommene Leistungen der Sachverständigen i. R. der Sanierung mit den vor dem Eröffnungstermin entstandenen Sachverständigenkosten der Betriebsratsseite (Modehaus Wagner) auszugleichen, können sie die Rechtsprechung auf ihrer Seite haben, sie gefährden aber ihre Sanierungsfähigkeit für die Zukunft. Denn wie soll betriebsverfassungskonform mit Beschäftigten und ihren Vertretern umgegangen werden, wenn diese notwendige Maßnahmen und/ oder Vereinbarungen nicht verstehen und nicht mittragen können, weil ihnen die gesetzliche Aufgabe erschwert oder unmöglich gemacht wird. Eine Störung und – bei Vorsatz – strafbare Behinderung von Betriebsverfassungsorganen läge

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

auf der Hand. Die Insolvenzverwaltung schädigt sich darüber hinaus für die Zukunft selbst. Zusätzliche Kosten können darüber hinaus durch Einigungsstellenund Gerichtsverfahren im zeitlichen Zusammenhang mit dem Eröffnungstermin entstehen und Lösungen zusätzlich erschweren. 57 Zu einer möglichst optimalen Verfahrensführung gehört von Seiten der Insolvenzverwaltung, die Kostentragung zu bestätigen und zeitnah Schulungen zu ermöglichen (Schlecker, Fairchild Dornier, Möbel Hess). Dies wird helfen, dass Betriebsräte ihren Aufgaben in der Insolvenz nachkommen können und – dies ist i. S. des Verfahrens – Verzögerungen zu vermeiden. 58 Darüber hinaus kann die Zuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten ein weiteres notwendiges Element sein (Fairchild Dornier, Schlecker, Möbel Unger, Möbel Hess, Hettlage, Praktiker). Dies ist nicht nur für die Beschäftigten wichtig, die so besser versichert sein können, dass ihre Interessen Berücksichtigung finden. Es ist auch im objektiven Interesse der Insolvenzverwaltung, die einen entscheidungsfähigen Betriebsrat als Verhandlungsgegenüber benötigt. Da auch der Betriebsrat mit der Insolvenzsituation vor neue Aufgaben gestellt wird, kann er seiner Aufgabe nicht ohne externe Unterstützung gerecht werden. Für die Beschäftigten und die Insolvenzverwaltung ist die Einbindung ihrer Gewerkschaftsvertreter auch aus einem weiteren Grund hilfreich: Die mit der Insolvenz verbundenen Fragen, die sich notwendigerweise stellen, können den Beschäftigten besser und zutreffender beantwortet werden. 59 Zuletzt kann auch die Erstellung eines Sozialtarifvertrags anstelle eines Sozialplans in der Sache qualitativ gleichwertig, aber zeitökonomisch und in seiner Umsetzung deutlich einfacher sein. Man bedenke nur, dass nach jüngerer Rechtsprechung nach § 50 Abs. 2 BetrVG der Betriebsrat und nicht der Gesamtbetriebsrat in der Regel für den Sozialplan zuständig ist.12) Damit wäre eine Summe von Verhandlungen zu führen. Mit der zuständigen Gewerkschaft lassen sich dagegen Vereinbarungen mit einem Adressaten schließen. Dass in solchen Verhandlungen von der Gewerkschaft vertretene Beschäftigteninteressen zusätzlich besonderes Gewicht erhalten, könnte die Verhandlungen weiter bündeln und die Wahrnehmung von Gesprächen auf gleicher Augenhöhe nur bestärken. VI.

Weitere Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten

60 Falls die Praxis die verbesserten Regelungen in geeigneten Fällen aufgreift, kann das auch den Beschäftigten nützen: Mehr Arbeitsplätze bleiben erhalten und das Arbeitsrecht kann bei Betriebsfortführungen nicht mehr so leicht „umgangen“ werden.

___________ 12) BAG, Beschl. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596.

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VI. Weitere Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten

1.

Die Mitgliedschaft im (vorläufigen) Gläubigerausschuss

§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO lässt mit der Reform durch das ESUG ausdrücklich 61 zu, dass mit Einleitung des Insolvenzverfahrens bereits ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingerichtet wird. Dies ist nach Maßgabe des § 22a Abs. 1 InsO grundsätzlich verpflichtend, aber, wenn die Mindestvoraussetzungen (z. B. 50 Beschäftigte im Jahresdurchschnitt) unterschritten werden nach § 22a Abs. 2 InsO eine Soll- und in bestimmten Konstellationen eine Kann-Bestimmung.13) Ausweislich des neu gefassten § 67 InsO soll dem Ausschuss ein Arbeitnehmer- 62 vertreter angehören. Hintergrund dieser Regel ist nicht eine mögliche Gläubigerstellung, sondern die Bedeutung der Beschäftigten für die Unternehmenssanierung. „Insbesondere bei einer Fortführung und Sanierung im Insolvenzverfahren ist die Einbindung von Vertretern der Arbeitnehmer unerlässlich …“14)

so der Gesetzgeber. Sinnvoll ist hier die Benennung der Gewerkschaft, die selbst als Organisation dem 63 Gläubigerausschuss angehören kann und wegen ihrer in Art. 9 Abs. 3 GG bestimmten Rolle für die Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen auch sollte.15) Hilfsweise können auch Beauftragte von Gewerkschaften benannt werden. Auch Betriebsratsmitglieder können für den Gläubigerausschuss benannt werden. Denn der Betriebsrat ist zwar nicht Vertreter der Beschäftigten im Individualrecht, also Vertreter einer Forderung, wie dies Gewerkschaften für ihre Mitglieder sind, das Gesetz meint hier aber begrifflich den Interessenvertreter und nicht den Vertreter in der Forderung. Bei der Benennung von Betriebsratsmitgliedern ist aber Zurückhaltung angera- 64 ten und Gewerkschaftsbeauftragten der Vorzug zu geben. Gläubigerausschüsse unterliegen nicht der Aufsicht des Insolvenzgerichts oder dem Weisungsrecht des Insolvenzverwalters. Diese Rechte auch i. S. des Gesetzes wahrzunehmen und nicht auf durchaus vorkommenden „sanften Druck“, z. B. mit einem Haftungsargument seitens der Insolvenzverwaltung oder des Insolvenzgerichts, nachgebend zu reagieren, verlangt von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses möglichst Erfahrung und Wissen mit Interessenkonflikten umgehen zu können. Die Überwachung der Insolvenzverwaltung verlangt darüber hinaus die sowohl nachträgliche aber auch vorausschauende Kontrolle seines Handelns auf Recht- und Zweckmäßigkeit hin, inkl. der Wirtschaftlichkeit.16) Die Aufgaben im Gläubigerausschuss sind auf lange Zeit angelegt und verlangen, 65 will man der Funktion gerecht werden, durch Erfahrung gewonnenes Wissen. ___________ 13) 14) 15) 16)

Wroblewski, AuR 2012, 188, 189 f. Begr. RegE ESUG z. Nr. 10 (Änderung von § 67 InsO), BT-Drucks. 17/5712, S. 27. Wroblewski, AuR 2012, 188, 191 f. Wroblewski, AuR 2012, 188, 192.

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§ 8 Die Betriebsratsperspektive: Sanierungsarbeitsrecht aus Arbeitnehmersicht

Für den betroffenen Betriebsrat handelt es sich in der Regel um die erste Insolvenz, eine Gewerkschaft dagegen verfügt über Erfahrungswerte. Für das Verfahren selbst ist es darüber hinaus ein Glaubwürdigkeitsgewinn, wenn man sich nicht durch ggf. bestehende Vorurteile gegenüber Gewerkschaften blenden lässt und das Anliegen des Gesetzgebers und des Grundgesetzes aufgreift und Erfahrung aus der Beschäftigtenseite im Gläubigerausschuss fest installiert. Diese ist in unserer Gesellschaft bei den Gewerkschaften konzentriert, die seit Bestehen regelmäßig Insolvenzen begleiten müssen. 66

Praxishinweis Sinnvoll ist es, zwei Beschäftigtenvertreter in den Gläubigerausschuss aufzunehmen. Dies rechtfertigt sich aus der besonderen Rolle der Beschäftigten in der Insolvenz. Sie sind letztendlich diejenigen, die die Beschäftigungssicherung am nachhaltigsten verfolgen. Um aber – i. R. der Verschwiegenheitsverpflichtungen im Gläubigerausschuss – eine dem Verfahren dienende Diskussion auf der Beschäftigtenseite besser zu gewährleisten, ist dort die Einbindung von zwei Personen besser. Beschäftigungssicherungs- und Fortführungskonzepte werden in vielen Fällen von der Beschäftigtenseite entwickelt. Es wäre eine verpasste Chance, das Beschäftigtenwissen nicht einzubinden.

67 Auch wenn dies gesetzlich nicht zwingend ist, besteht für die Beschäftigtenseite ein Interesse an der Amtskontinuität im Gläubigerausschuss. Das bedeutet, dass der oder die Beschäftigtenvertreter im mit Antragstellung eingerichteten vorläufigen Gläubigerausschuss, im nach der Insolvenzeröffnung vom Gericht bestellten Zwischenausschuss und in dem von der Gläubigerversammlung bestellten endgültigen Ausschuss personenidentisch sind. 2.

Die Benennung des Verwalters

68 Beschäftigte haben Interesse daran, dass Insolvenzverwalter besonders unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigungsorientierung benannt werden. Hier sollten bevorzugt Personen benannt werden, die vorurteilsfrei auf die Belegschaft und ihre Gewerkschaften zugehen und mit diesen Lösungen anstreben. Tatsächlich sind Insolvenzverwaltungen, die den Dialog mit den Beschäftigten anstreben und in diesen Verbündete im Wunsch nach einem erfolgreichen Verfahren erkennen am erfolgreichsten. Das ist, wie der Gesetzgeber bei der ESUG-Reform zutreffend hervorgehoben hat, nach ganz allgemeiner Erfahrung eine notwendige Säule. 69 Notwendig ist darüber hinaus, dass alle Insolvenzgerichte die für den Betrieb zuständige Gewerkschaft als Vertretung der Beschäftigten in Hinblick auf die Auswahl der Person einer/-s (vorläufigen) Insolvenzverwalter-in/-s vor dem Beschluss über die (vorläufige) Bestellung anhören. Derzeit ist dies nur ausnahmsweise der Fall.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“ – Beschäftigungssicherung nach § 92a BetrVG –

Göpfert/Giese

Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. § 92a Abs. 1 BetrVG – Vorschlagsrecht „zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung“ .................................................. 5 1. Betriebs- und beschäftigtenbezogenes Vorschlagsrecht.................... 8 2. Die Vorschlagsrechte des § 92a Abs. 1 BetrVG im Einzelnen ........... 10 a) Flexible Gestaltung der Arbeitszeit ...................................... 12 b) Förderung von Teilzeitarbeit und Altersteilzeit....................... 14 c) Neue Formen der Arbeitsorganisation ............................... 15 d) Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe......... 16 e) Qualifizierung der Arbeitnehmer ....................................... 17 f) Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe an andere Unternehmen....................................... 18 g) Vorschläge zum Produktionsund Investitionsprogramm ....... 21 III. Vorschlagsinhalte „der Zukunft“ .... 22 IV. Das Verhältnis zu anderen Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten .................................. 25 1. Maßnahmen der Berufsbildung ....... 27

2.

Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG.............................................. 28 3. Einbettung in die laufende Mitbestimmung ...................................... 29 V. Ablauf des Verfahrens nach § 92a BetrVG ................................... 30 1. Phase I – Aufforderung zur Beratung ................................................ 31 2. Phase II – Die Beratung mit dem Betriebsrat......................................... 35 3. Phase III – Abschluss der Beratung und Stellungnahme .................. 40 VI. Rechtsfolgen des Vorschlagsrechts ................................................ 44 1. Erzwingbare Einleitung des Verfahrens nach § 92a BetrVG? ............ 45 2. Ungenutzte Vorschläge als Argument im Kündigungsschutzverfahren? ......................................... 48 VII. Die Rolle des § 92a BetrVG im Zusammenhang mit Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen ................................ 53 1. Moderne Personalanpassungen kombinieren reaktive und präventive Maßnahmen ......................... 54 2. Eigenständiges, aber parallel laufendes Verfahren ......................... 55 3. Verschleppungsschutz ..................... 59 VIII. Ausblick......................................... 62

Literatur: Autor/Salomons, Is automation labor-displacing? Productivity growth, employment, and the Labor Share, v. 7/2018, NBER Working Paper 24871; Bauer, Neues Spiel bei der Betriebsänderung und der Beschäftigungssicherung?, NZA 2001, 375; Däubler/ Klebe, Crowd-work: Die neue Form der Arbeit – Arbeitgeber auf der Flucht?, NZA 2015, 1032; Göpfert/Giese, Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung – New Rules of the Game für Personalabbaumaßnahmen?, NZA 2016, 463; Göpfert/Meyerhans, Agile Workspace – Co-Location und Co-Operation in agilen Arbeitsmodellen, in: Baker McKenzie, Arbeitswelt 4.0, 2017, S. 143; Göpfert/Rottmeier, Business Judgement bei Standort- und Beschäftigungszusagen, ZIP 2014, 1259; Haipeter/Röhrig/Röwer/Thünken, Das Initiativrecht nach § 92a BetrVG zur Beschäftigungssicherung – ein hilfreiches Instrument für die Mitbestimmung?, Eine explorative Studie zur Mitbestimmungspraxis von Betriebsräten auf Grundlage des § 92a BetrVG, Arbeitspapier, 2015 (zit.: Arbeitspapier 2015); Hötte,

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“ Crowdsourcing – Rechtliche Risiken eines neuen Phänomens, MMR 2014, 795; Konzen, Der Regierungsentwurf des Betriebsverfassungsgesetzes, RdA 2001, 76; Raab, Betriebliche und außerbetriebliche Bildungsmaßnahmen, NZA 2008, 270; Wendeling-Schröder/ Welkoborsky, Beschäftigungssicherung und Transfersozialplan – Neue Handlungsfelder auf Grund BetrVG-Novelle und EG-Recht, NZA 2002, 1370.

I.

Einführung

1 Es ist ein seit Beginn des 19. Jahrhunderts von allen gesellschaftlichen Schichten, allen Branchen und allen Generationen geteiltes Gefühl. Eine diffuse, manchmal konkrete Furcht, die früher sog. „Maschinenstürmer“ dazu brachte, mit radikalen Mitteln gegen ihren Feind vorzugehen: Die Angst vor dem technischen Fortschritt. An der Befürchtung, dass der technische Fortschritt das Ende der Arbeit, das Ende unserer Existenzgrundlage und das Ende unserer konservativen Vorstellung von „Erwerbstätigkeit“ bedeutet, hat sich bis heute nicht viel geändert. Zwar geht man nicht mehr mit Waffen auf neue Erfindungen los. Dafür vergeht kein Tag und keine Ausgabe einer Tageszeitung, an dem nicht über die Folgen des technischen Fortschritts spekuliert und Verlustangst geschürt wird. Die Angstmacher heißen heute Künstliche Intelligenz, Roboter, Digitalisierung, Automatisierung und Transformation. Nur selten wird in Frage gestellt, woher diese Angst eigentlich kommt oder was hinter ihr steckt. Fest steht jedenfalls, dass eine seit zwei Jahrhunderten andauernde Angst vor dem Verlust unserer Beschäftigung wegen technischen Fortschritts nur dazu geführt hat, dass wir immer noch arbeiten, und zwar nicht bedeutend weniger.1) 2 Diese entwaffnende Bilanz sagt jedoch nicht aus, dass unsere Beschäftigung mit den möglichen Folgen technischen Fortschritts reine Zeitverschwendung oder gar eine ignorante Marotte war und ist. Sie wirft vielmehr die Frage auf, welche Auswirkungen denn stattdessen und tatsächlich der technische Fortschritt auf die Entwicklung des Arbeitsmarkts hat. Die Ökonomen David Autor und Anna Salomons2) haben die Daten von 18 OECD-Ländern seit 1970 ausgewertet und kommen zu dem Ergebnis, dass Automatisierung und technischer Fortschritt insgesamt dazu führen, dass sich der Beschäftigungsbedarf sogar erhöht. Allerdings verteilt und verändert sich die Art der Beschäftigung. Manche Tätigkeiten verschwinden ganz (z. B. der Lagerist), andere neue entstehen und werden wichtiger (z. B. der Scrum Master). Zentrales Thema unseres Fortschritts ist also vielmehr die Frage, ob unser Arbeitsmarkt, der einzelne Beschäftigte und schließlich die jeweiligen Arbeitgeber flexibel, mobil und offen genug sind, um sich möglichst vollzählig auf die Gewinnerseite dieser Entwicklung stellen zu können. 3 In einem Zeitalter ständiger Innovation, sich überholender Technologien und einer verselbstständigten Digitalisierung bedeutet dabei jedes Zögern ein Schritt ___________ 1) Beck, Wir sind so unersetzlich, FASZ v. 5.8.2018. 2) Autor/Salomons, v. 7/2018, NBER Working Paper 24871.

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II. § 92a Abs. 1 BetrVG – Vorschlagsrecht

in Richtung Verliererseite. Um gegenzusteuern und Schritt zu halten, sind alle Beteiligten gefragt, selbst die Initiative zu ergreifen, sich neuen Anforderungen zu stellen und auf die Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten. Im arbeitsrechtlichen Kontext gilt es für die Protagonisten – Arbeitnehmer, Arbeitgeber wie auch Betriebsräte – die richtigen Mittel zu richtigen Zeit zu wählen und die Führung zu übernehmen, wenn es darauf ankommt. Insbesondere für Betriebsräte, deren Rolle in diesem Beitrag im Fokus steht, hält das Betriebsverfassungsrecht eine Reihe (oft unterschätzter) Instrumente bereit, gezielt und aktiv in den Kurs des Arbeitgebers einzugreifen, bevor es schlimmstenfalls zu spät ist. Derzeit lässt sich noch beobachten, dass Betriebsräte die ihnen eingeräumten 4 Rechte eher zögerlich oder nur reaktiv einsetzen. Das Verfahren nach § 92a BetrVG zur Beschäftigungssicherung, um das es in diesem Kapitel zentral geht, wird bspw. oft erst dann eingeleitet, wenn ein Personalabbau konkret geplant ist, bereits im Wirtschaftsausschuss beraten oder sogar schon in einem konkreten Vorschlag für einen Interessenausgleich und Sozialplan verarbeitet wurde. Es ist dann sicherlich ein sinnvolles Verfahren, das den Gesamtkonsultationsprozess begleiten kann (siehe dazu Rz. 53 ff.). Es greift aber zu spät und mit Blick auf den Gesetzeszweck daneben, der ein Instrument für die Planung künftiger Arbeitsanforderungen vermitteln wollte. Angesichts der derzeitigen Vollbeschäftigung in Deutschland sowie den rückläufigen Fällen eines erforderlich werdenden Personalabbaus darf man allerdings erwarten, dass sich der Einsatz und Fokus dieses Verfahrens von einem reaktiven hin zu einem proaktiven Instrument verändert. II.

§ 92a Abs. 1 BetrVG – Vorschlagsrecht „zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung“

Der Abschnitt „Personelle Angelegenheiten“ findet sich schon seit dem Jahr 1972 5 im damals novellierten Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Der Gesetzgeber hatte hier sicherlich noch nicht im Blick, dass technischer Fortschritt einmal die gegenwärtigen Formen der Beschäftigung in Frage stellen könnten. Wohl hat er aber aus der Wirtschaftskrise der 60er Jahre gelernt. Diese hat gezeigt, wie schnell eine nicht rechtzeitige Personalplanung und ein deshalb erforderlicher abrupter Personalabbau ein wirtschaftliches Erdbeben auslösen können. Um künftig auf betrieblicher Ebene vorbeugen zu können, sollte die betriebliche Mitbestimmung im Hinblick auf solche personellen Angelegenheiten gestärkt werden. Der Gesetzgeber verfolgte das Ziel, Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern die Grundlage und den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen, menschliche Arbeitskraft gezielt und vorausschauend einzusetzen und zu planen. Im Einzelnen schaffte der Gesetzgeber die Vorschriften §§ 92 bis 95 BetrVG, die sich der Planung künftiger Arbeitsanforderungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht widmen. Die Betriebsparteien sind seitdem – eingebettet in diese Vorschriften – gemeinsam dafür verantwortlich, dass die Qualifikation und Anzahl des

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

künftig eingesetzten Personals diesen Anforderungen entspricht. Die Vorschriften stehen im engen Zusammenhang mit den Regelungen zur betrieblichen Berufsbildung (§§ 96 bis 98 BetrVG). 6 Erst im Jahr 2001, in Reaktion auf den angespannten Arbeitsmarkt, hat der ehemalige Arbeitsminister Riester seinen Reformvorschlag des BetrVG durch das Gesetzgebungsverfahren geführt, das u. a. den Beteiligungskatalog bei personellen Angelegenheiten weiter ergänzt. Das Gesetz erkannte den „Personalabbau in den Unternehmen als das zentrale Problem betriebsrätlicher Tätigkeit.“ Um sich hier stärker einschalten zu können, sollte der Betriebsrat neue Rechte im Bereich der Beschäftigungssicherung und der „Qualifizierung der Arbeitnehmer“ erhalten, um selbst „planerisch und gestalterisch“ eigene Vorschläge und Lösungsansätze entwickeln zu können.3) 7 Dieser Ansatz findet sich konkret im neu eingefügten § 80 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG wieder, der die allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats um die Aufgabe ergänzt, „die Beschäftigung im Betrieb zu fördern und zu sichern“. Für die Durchsetzung dieser Aufgaben sollte sich der Betriebsrat nach dem Willen des Reformgesetzgebers jedoch nicht auf den allgemeinen Unterrichtungsanspruch des § 80 Abs. 2 BetrVG beschränken müssen. Als weiteres Werkzeug wurde § 92a BetrVG „Beschäftigungssicherung“ neu aufgenommen. Die Vorschrift bildet die Grundlage für ein echtes Initiativ- und Vorschlagsrecht des Betriebsrats, sowie die Pflicht des Arbeitgebers, sich mit diesen Vorschlägen auseinanderzusetzen. Damit verdeutlichte der Gesetzgeber seine Zielsetzung der Reform, die Beschäftigungssicherung zu einem Schwerpunkt der Betriebsratsarbeit zu machen, auch wenn die Vorschläge bislang vom Betriebsrat unberührte Bereiche der Unternehmensführung betreffen.4) Die Möglichkeiten der Einflussnahme deutete der Gesetzgeber nur beispielhaft an. Sie reichen von Vorschlägen für die Einführung neuer Formen der Arbeitsorganisation oder der Erarbeitung von Alternativkonzepten zu geplantem Outsourcing bis hin zur Präsentation von (Gegen-)Vorschlägen zum Investitions- oder Produktionsprogramm des Unternehmens. Mit der nicht abschließenden Ausgestaltung des Vorschlagsrechts in § 92a Abs. 1 BetrVG bleibt die Vorschrift bis heute ein flexibles Werkzeug für den Betriebsrat, sich mit zeitgemäßen, beschäftigungsrelevanten Initiativen einzubringen. 1.

Betriebs- und beschäftigtenbezogenes Vorschlagsrecht

8 Das Recht des Betriebsrats, Vorschläge zu unterbreiten, ist betriebsbezogen zu verstehen. Der Betriebsrat darf also nur solche Vorschläge unterbreiten, die sich auf die aktuelle und künftige Beschäftigungssituation in ihrem Betrieb beziehen. ___________ 3) Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 1, 24. 4) Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49.

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II. § 92a Abs. 1 BetrVG – Vorschlagsrecht

Er hat kein allgemeines arbeitsmarktpolitisches Mandat.5) Aus der Zuordnung zum Abschnitt „Personelle Maßnahmen“ folgt richtigerweise auch, dass sich die Vorschläge nur auf die Belegschaft im Betrieb beziehen dürfen.6) Nicht richtig ist jedoch, dass der Gesetzgeber nur solche Vorschläge im Sinn hatte, die den im Betrieb vorhandenen Arbeitsplätzen zugutekommen. Das Vorschlagsrecht muss sich zwingend auch auf die künftigen und zu erwartenden Arbeitsplätze beziehen und dabei so weit gehen, dass verschiedene Entwicklungsszenarien einbezogen und analysiert werden dürfen. Betriebsratsarbeit beschränkt sich nicht mehr allein darauf, auf feststehende Vorstellungen des Arbeitgebers zu reagieren, sondern erfordert darüber hinaus die Wahrnehmung planerischer und gestalterischer Aufgaben, wobei hier eigene Vorschläge und Lösungsalternativen entwickelt und prozessorientiert umgesetzt werden sollen.7) 9

Praxishinweis Der Beratungsvorschlag des Betriebsrats muss einen Bezug zum (örtlichen) Betrieb haben. Enthält der Vorschlag lediglich eine allgemeine Wunschliste an die Unternehmensleitung, kann der Arbeitgeber die Beratung ablehnen. Der Betriebsrat hat kein allgemeines arbeitsmarktpolitisches Mandat und darf auch nicht in unternehmerische Entscheidungen eingreifen.

2.

Die Vorschlagsrechte des § 92a Abs. 1 BetrVG im Einzelnen

Der Gesetzgeber erläutert kaum, was er unter dem Begriff der „Sicherung“ und 10 „Förderung“ der Beschäftigung versteht. Er beschränkt sich auf eine nur beispielhafte Aufzählung von sechs möglichen Vorschlagskategorien zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung: x

flexible Gestaltung der Arbeitszeit,

x

Förderung von Teilzeitarbeit und Altersteilzeit,

x

neue Formen der Arbeitsorganisation,

x

Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe,

x

Qualifizierung der Arbeitnehmer,

x

Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe an andere Unternehmen und

x

Produktions- und Investitionsprogramm.

Bei einer nicht abschließenden Aufzählung wie dieser sind der Kreativität be- 11 züglich möglicher Vorschlagsinhalte kaum Grenzen gesetzt. Vor allem die Oberbegriffe „Qualifizierung der Arbeitnehmer“ oder „Änderung der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe“ lassen viel Raum für Interpretation. Zwar hat sich die Aus___________ 5) Raab in: GK-BetrVG, § 92a Rz. 13. 6) Konzen, RdA 2001, 76, 91. 7) Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 24.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

gangslage des Reformgesetzgebers – ein deutlich angespannter Arbeitsmarkt – längst zum Positiven geändert. Die Vorschrift geht jedoch lange nicht ins Leere, sondern bietet eine vielversprechende Grundlage für die geänderten Voraussetzungen und neuen Herausforderungen des Arbeitsmarkts. Es ist zu erwarten, dass diese Möglichkeiten zunehmend ausgeschöpft werden (siehe unter Rz. 22 ff.). Wie und in welchem Umfang das geschieht, wird entscheidend von den handelnden Personen, dabei insbesondere von den Beratern auf Betriebsratsseite, abhängig sein.8) Bislang bewegen sich die einzelnen Initiativen noch ganz überwiegend i. R. des Katalogs, den der Gesetzgeber in seinen Kategorien „vorformuliert“ und gemeint hat. a)

Flexible Gestaltung der Arbeitszeit

12 Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle findet sich als häufig genutztes Vorschlagsrecht ganz oben im Katalog. Der Gesetzgeber hatte bei diesem Vorschlagsrecht ursprünglich im Sinn, dass sich durch eine flexiblere Arbeitszeit „Kapazitäten besser nutzen“ ließen.9) Heute beschäftigen sich die Vorschläge der Betriebsräte eher mit den Folgen einer globalisierten und flexibilisierten Arbeitswelt, die nach gezielten Maßnahmen verlangt, damit Beruf und Privatleben vereinbar bzw. getrennt bleiben. Ein arbeitnehmerfreundliches Flexibilitätskonzept kann etwa zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten, die Einführung von Home-Office oder die Umstellung von einer festen Arbeitszeit auf Gleit- bzw. Vertrauensarbeitszeit umfassen. Auch kann eine Entwicklung hin zu projektbezogener Tätigkeit vom Betriebsrat angestoßen werden. Der Betriebsrat bringt i. R. dieser Vorschläge häufig seinen Auftrag zum Ausdruck, die sog. Work-Life-Balance zu verbessern und die persönlichen Grenzen der Arbeitnehmer zu verteidigen. 13

Praxishinweis Der Betriebsrat hat gegenüber dem Arbeitgeber allerdings deutlich zu machen, ob er mit der Initiative von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch machen will, oder aber sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG in Anspruch nimmt, oder ob er sogar „zweigleisig“ fahren möchte (siehe dazu unter Rz. 25 ff.).

b)

Förderung von Teilzeitarbeit und Altersteilzeit

14 Teilzeitarbeit ist eine wirkungsvolle und allgemein geschätzte Methode, um Menschen in der Erwerbstätigkeit zu halten. Sie greift die Bedürfnisse von Arbeitnehmern auf, die neben ihrer Erwerbstätigkeit noch einer intensiven privaten Verpflichtung nachkommen müssen, wie z. B. der Betreuung von Kindern oder Angehörigen. Daneben wirkt das Instrument der Altersteilzeit dahingehend, einen Generationenwechsel zu ermöglichen, jüngere Arbeitnehmer einzustellen bzw. ___________ 8) Haipeter/Röhrig/Röwer/Thünken, Arbeitspapier 2015. 9) Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49.

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II. § 92a Abs. 1 BetrVG – Vorschlagsrecht

diesen einen freien Karriereweg zu ermöglichen.10) Der Betriebsrat kann und darf nach dem Willen der Vorschrift entsprechende Konzepte erarbeiten und vorschlagen. Praktisch dürfte der Anwendungsbereich eher klein sein, da die meisten Arbeitgeber von Haus aus über Teilzeitkonzepte verfügen und diese auch von der Belegschaft genutzt werden. c)

Neue Formen der Arbeitsorganisation

Mit diesem Vorschlagsrecht meinte der Gesetzgeber v. a. „Anregungen für die 15 Einführung neuer Arbeitsorganisation wie z. B. Gruppenarbeit“.11) Vorschläge dieser Art beinhalten – in schlechteren Zeiten – häufig die Einführung von Kurzarbeit.12) Inhalte können auch Konzepte zur Dezentralisierung und Bildung von externen Servicestellen und Nachbarschaftsbüros, aber auch die Änderung der Führungsstruktur sein, wie die Aufgabe strenger Hierarchien zugunsten flexibler, projektbezogener Strukturen. Dabei ist es Kernüberlegung und Aufgabe der Beratung über einen solchen Vorschlag, die bisherigen Strukturen und Abläufe und mögliche Verbesserungen zu überprüfen. Das kann beinhalten, dass in einem ersten Schritt die Arbeitsauslastung einzelner Mitarbeiter analysiert wird. Hierfür kann der Betriebsrat einen Datenanforderungskatalog erstellen.13) d)

Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe

Vorschläge zur „Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe“ sollten 16 nach dem Willen des Gesetzgebers v. a. dazu genutzt werden, um die betrieblichen Kosten zu senken und ohne Personalabbau wettbewerbsfähig zu bleiben.14) Gemeint sind alle Vorschläge und Ideen bezüglich der zeitlichen und räumlichen Anordnung von Arbeitsprozessen im Betrieb, der Übergang zu Schicht- und Fließbandarbeit, Just-in-time-Produktion, Automatisierung, Digitalisierung, JobRotation, Qualitätsmanagement oder arbeitsablaufbezogene Managementsysteme.15) Auch hier sind Überschneidungen zum Beratungsrecht des Betriebsrats nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG und – bei der Einführung technischer Einrichtungen – mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beachten. e)

Qualifizierung der Arbeitnehmer

Die Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitnehmern ist bereits in einem 17 eigenen, darauf gerichteten Mitbestimmungsrecht nach § 97 Abs. 2 i. V. m. § 98 ___________ 10) 11) 12) 13) 14) 15)

Richardi-Thüsing, BetrVG, § 92a Rz. 6. Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49. Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 9. Lerch/Portnjagin-Portnjagin, Betriebsänderungen, Muster 7. Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49. Richardi-Thüsing, BetrVG, § 90 Rz. 6.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

Abs. 1 BetrVG geregelt. Unabhängig vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dieses Mitbestimmungsrechts ist der Betriebsrat nach § 92a BetrVG berechtigt, Konzepte zur Durchführung von außerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen vorzuschlagen, um die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer zu stärken.16) Qualifizierungsmaßnahmen sind regelmäßig immer dann sinnvoll, wenn Arbeitsplätze mit eher geringeren Anforderungen gefährdet sind, wohingegen die Nachfrage nach qualifizierteren Arbeitskräften in absehbarer Weise steigen wird.17) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll der Betriebsrat dieses Vorschlagsrecht nutzen, um bei einer sich abzeichnenden Betriebsänderung unabhängig von § 111 BetrVG Vorschläge zur Beschäftigungssicherung zu unterbreiten.18) f)

Alternativen zur Ausgliederung von Arbeit oder ihrer Vergabe an andere Unternehmen

18 Diese Aufzählung regt an, dass der Betriebsrat bei drohenden oder geplanten Ausgliederungen bestimmter Tätigkeiten oder Betriebsteile in Form eines Outsourcings Alternativvorschläge unterbreitet, wie die Arbeit im Unternehmen verbleiben kann. Der Betriebsrat kann hier ein Konzept entwickeln, welches die Belassung von Arbeit im Unternehmen dadurch fördert, dass die zukünftige Auslagerung von Unternehmensaufgaben von der Erfüllung bestimmter inhaltlicher Vorgaben abhängig gemacht wird und der jeweils betroffenen Einheit die Möglichkeit eingeräumt wird, durch Änderungen in den Arbeitsabläufen oder bei sonstigen Bedingungen die dem Unternehmen entstehenden Kosten zu verringern.19) 19 Anstelle des klassischen Outsourcings kann der Betriebsrat auch alternative Formen fremdvergebener Aufgaben entwickeln und vorstellen, etwa das sog. Crowdsourcing bzw. Croudworking.20) Hierbei wird die zu erledigende Unternehmensaufgabe über Internetplattformen einer unbekannten Zahl Internetnutzern übertragen, die global und ortsunabhängig ihre Arbeitskraft anbieten.21) 20 Denkbar ist jedoch auch, dass der Betriebsrat bei bereits in fremder Hand befindlichen Tätigkeiten Vorschläge entwickelt, wie diese in den Betrieb zurückgeführt werden können. Ein sog. Backsourcing, also die Rückführung zuvor ausgelagerter Aufgaben, bietet sich an, wenn eine (zu) weitgehende Abhängigkeit von einem einzelnen Dienstleister droht und der Betriebsrat dies erkennt (oder jedenfalls befürchtet). Das hier vom Betriebsrat vorgelegte Konzept könnte auf___________ 16) 17) 18) 19) 20) 21)

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Fitting, BetrVG, § 92a Rz. 9. Däubler/Kittner/Klebe/Wedde-Däubler, BetrVG, § 92a Rz. 8. Fitting, BetrVG, § 92a Rz. 9. Däubler/Kittner/Klebe/Wedde-Däubler, BetrVG, § 92a Rz. 9. Zum Ganzen Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032, 1032 f. Hötte, MMR 2014, 795 f.; Fitting, BetrVG, § 92a Rz. 8.

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III. Vorschlagsinhalte „der Zukunft“

zeigen, wie die anfallende Arbeit in Zukunft bearbeitet werden soll, welches Personal dafür erforderlich ist und inwiefern etwa Unterstützung durch den Auftragnehmer bei der Rückführung benötigt wird. g)

Vorschläge zum Produktions- und Investitionsprogramm

Das Vorschlagsrecht des Betriebsrats kann zudem Alternativen zum „Produk- 21 tions- und Investitionsprogramm“ des Unternehmens zum Gegenstand haben. Vorschläge in diesem Kontext erfordern vom Betriebsrat ein hohes Maß an Sachkunde.22) Der Betriebsrat macht hier sinnvollerweise von seiner Möglichkeit Gebrauch, externe Berater hinzuzuziehen. Inhaltlich wird vom Vorschlagsrecht zum „Produktions- und Investitionsprogramm“ bspw. die Erweiterung des Dienstleistungsangebots, der Produktpallette, der Produktion oder der Geschäftsfelder erfasst.23) Alternativ kann der Betriebsrat auch Investitionskonzepte vorlegen, die ein effektiveres Arbeiten ermöglichen, indem etwa klassische Strukturen der Lagerung von Betriebsmitteln durch Just-in-Time-Lieferungen ersetzt werden. Hingegen sind Vorschläge für eine umweltbewusstere Produktion zwar zu begrüßen, jedoch grundsätzlich mangels direkter Auswirkung auf die Beschäftigungssituation nicht vom Vorschlagsrecht umfasst;24) anderes gilt – wenn überhaupt –, falls dadurch die Nachfrage erhöht werden soll.25) III.

Vorschlagsinhalte „der Zukunft“

Kernelement des Vorschlagsrechts des Betriebsrats ist die Möglichkeit, dass die 22 Arbeitnehmervertreter nicht erst personelle Probleme oder bevorstehende Maßnahmen abwarten müssen, sondern dass sie präventiv tätig werden können. Dies umfasst die Möglichkeit, dem Arbeitgeber einen Beschäftigungsplan ohne die aus §§ 111 ff. BetrVG folgenden Beschränkungen zu unterbreiten.26) Dadurch kann der Betriebsrat auf bestehende oder aufkommende Missstände in der Personalplanung hinweisen. Der dadurch entstandene Zeitgewinn eröffnet den Betriebsparteien somit Handlungsspielraum um geänderten Anforderungen ohne einschneidende Restrukturierungen, oft auch verbunden mit einem Personalabbau, rechtzeitig zu bewältigen.27) Das präventive Vorschlagsrecht besteht, anders als bei §§ 111 ff. BetrVG, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber eine entsprechende, konkrete Personalmaßnahme plant.28) Der Betriebsrat kann jederzeit ___________ 22) 23) 24) 25)

Däubler/Kittner/Klebe/Wedde-Däubler, BetrVG, § 92a Rz. 10. Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49. a. A. Fitting, BetrVG, § 92a Rz. 8. Mit entsprechender Einschränkung Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/ 5741, S. 49; auch Richardi-Thüsing, BetrVG, § 92a Rz. 7. 26) Fitting, BetrVG, § 92a Rz. 8. 27) Wendeling-Schröder/Welkoborsky, NZA 2002, 1370, 1374. 28) Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

ein entsprechendes Konzept erarbeiten und vorstellen, mit dem sich der Arbeitgeber auseinanderzusetzen hat und dessen Ablehnung er zumindest begründen muss. 23 Mit Blick auf die „Arbeitswelt der Zukunft“ bietet sich den Arbeitnehmervertretern i. R. von § 92a BetrVG ein geeignetes Verfahren, um den Arbeitgeber mit eigenen Vorschlägen auf neue Konzepte, Arbeitsmethoden oder zusätzliche Qualifikationen aufmerksam zu machen, die die Belegschaft von morgen benötigen wird. So kann der Betriebsrat als „Änderung der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe“ die Einführung von agilen Arbeitsmodellen vorschlagen.29) Er kann analysieren und vorschlagen, dass bestimmte Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen mit Blick auf eine zunehmende Digitalisierung weitergebildet oder geschult werden. Er kann anregen, die eventuell unentdeckt vorhandenen Fähigkeiten der Mitarbeiter (z. B. der Systemadministrator, der in seiner Freizeit Apps programmiert) zu fördern und für ein Beschäftigungskonzept der Zukunft zu nutzen. Mit anderen Worten, das Verfahren nach § 92a BetrVG eröffnet dem Betriebsrat den Weg, mit zeitgemäßen, beschäftigungsrelevanten Initiativen den Arbeitgeber zu unterstützen und zu fordern, sich rechtzeitig den Veränderungen zu stellen. Die Beschäftigungssicherung hat heute stärker denn je die Aufgabe, den Betrieb und die Belegschaft auf die neue Verteilung und Veränderung von Arbeit vorzubereiten. 24

Praxishinweis Das Verfahren nach § 92a BetrVG ist ein bloßes Initiativrecht. Der Betriebsrat kann im Streitfall nicht die Einigungsstelle anrufen oder anderweitig erzwingen, dass der Arbeitgeber bestimmten Vorschlägen folgt.

IV.

Das Verhältnis zu anderen Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten

25 Das Recht des Betriebsrats, dem Arbeitgeber eigene Vorschläge zur Beschäftigungssicherung zu unterbreiten, hat zahlreiche Berührungspunkte zu anderen Beteiligungsrechten, darunter echte Mitbestimmungstatbestände. Deshalb ist § 92a BetrVG aber keinesfalls „überflüssig“.30) Vielmehr ergänzt die Vorschrift die bestehenden Beteiligungsrechte durch eine präventive Eingriffsmöglichkeit des Betriebsrats, ohne allzu enge Voraussetzungen vorzugeben. Der Gesetzgeber ermöglicht dem Betriebsrat so ein „freies Einmischen“, ein kreatives Initiativrecht und ein präventives Handeln, selbst wenn es den Bereich der Unternehmensführung betrifft.31)

___________ 29) Dazu Göpfert/Meyerhans in: Arbeitswelt 4.0, S. 143 f. 30) So aber Bauer, NZA 2001, 375, 378. 31) Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49

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IV. Das Verhältnis zu anderen Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechten

26

Praxishinweis Für den Arbeitgeber bietet sich – jedenfalls in einem gesunden Betriebsklima – eine Gelegenheit, in einem Verfahren nach § 92a BetrVG mit dem Betriebsrat über Themen zu diskutieren und zu beraten, die vielleicht einmal akut werden. Bei später erforderlich werdenden Maßnahmen profitiert der Arbeitgeber dann davon, dass der Betriebsrat nicht einfach „vor vollendete Tatsachen“ gestellt wird und sich erst einmal mühsam in die Hintergründe und Auswirkungen der Planungen einarbeiten muss, was häufig einen enormen Zeitverlust mit sich bringt. Eine vorherige Beratung in einem nach § 92a BetrVG geordneten Prozess kann die betriebliche Mitbestimmung insofern erleichtern, auch wenn sie sich thematisch in anderen Vorschriften und ggf. erzwingbaren Verfahren wiederholt.

1.

Maßnahmen der Berufsbildung

Berührungspunkte sind v. a. in Bezug auf das Mitbestimmungsrecht zu Maßnah- 27 men der Berufsbildung nach §§ 97 Abs. 2, 98 BetrVG spürbar. Grundsätzlich stehen die Regelungen aufgrund unterschiedlicher Wirkrichtungen nebeneinander. So stellt § 97 Abs. 2 BetrVG einerseits ein eigenständiges Mitbestimmungsrecht dar, welches sich auf die Einführung von betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen beschränkt und davon abhängig ist, dass der Arbeitgeber Maßnahmen geplant oder durchgeführt hat, worauf sich die Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert und deren berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr ausreichen.32) Die Vorschrift gibt dem Betriebsrat allerdings kein Recht, losgelöst von konkreten, tätigkeitsändernden Maßnahmen dem Arbeitgeber Vorschläge über Qualifizierungsmaßnahmen zu machen. § 97 Abs. 2 BetrVG bietet insofern eben gerade kein echtes Initiativrecht.33) Im Gegensatz dazu gewährt § 92a BetrVG ein umfassendes Initiativrecht, ist jedoch kein echtes Mitbestimmungsrecht und gerichtlich nur begrenzt durchsetzbar. Aufgrund ihres unterschiedlichen Anwendungsbereichs steht deshalb einer Kombination der beiden Vorschriften nichts im Weg.34) So könnte der Betriebsrat über § 92a BetrVG eine Initiative für ein betriebliches Berufsbildungskonzept vorlegen und, sobald der Arbeitgeber den Vorschlag aufgreift und eine entsprechende Maßnahme plant, sein echtes Mitbestimmungsrecht aus § 97 Abs. 2 BetrVG aktivieren. Dies gilt allerdings nur, soweit die Maßnahme nach § 92a BetrVG der Maßnahme nach § 97 Abs. 2 BetrVG zeitlich vorgeht. In diesem Fall ist § 92a BetrVG uneingeschränkt anzuwenden. Andernfalls, sobald der Arbeitgeber bereits tätigkeitsändernde Maßnahmen umgesetzt hat, ist allein § 97 Abs. 2 BetrVG anwendbar, § 92a BetrVG hingegen nicht mehr. 2.

Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG

Der Gesetzgeber hat ähnliche Doppelungen auch bei den Vorschlagsrechten 28 bezüglich der Arbeitsorganisation, Arbeitsverfahren sowie der Arbeitszeit er___________ 32) Däubler/Kittner/Klebe/Wedde-Buschmann, BetrVG, § 97 Rz. 9. 33) So aber Raab, NZA 2008, 270, 272. 34) So etwa Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 9.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

kannt. Dem Betriebsrat steht bei Ideen oder Vorschlägen zu diesem Thema das Verfahren nach § 92a BetrVG zur Verfügung. Alternativ kann er auch sofort sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 oder Nr. 6 BetrVG in Anspruch nehmen und den Arbeitgeber zur Durchsetzung einer Regelung sogar in die Einigungsstelle zwingen. Wenngleich es auch hier wohl auf das generelle betriebliche Klima ankommen wird, welchen Weg der Betriebsrat geht, könnte er im Zweifel auch zweigleisig fahren. 3.

Einbettung in die laufende Mitbestimmung

29 So eignet sich das Verfahren nach § 92a BetrVG zunächst auch, um bestimmte Vorfragen zu klären, Daten zu sammeln oder Empfehlungen von außen einzuholen, um dann mit einem konkreten Vorschlag in die Mitbestimmung zu gehen. Fest steht jedenfalls, dass es auch für den Arbeitgeber eine Erleichterung sein kann, bestimmte Themen mit dem Betriebsrat zunächst außerhalb der erzwingbaren Mitbestimmung zu diskutieren. Selbst in einem laufenden Mitbestimmungsprozess kann der Betriebsrat zusätzlich Vorschläge nach § 92a BetrVG einbringen und eine thematische Auseinandersetzung außerhalb der Verhandlungsgruppe oder Einigungsstelle verlangen. Dann muss das Verfahren nach § 92a BetrVG in die Verhandlung eingebettet werden, was auch mit einem Pausieren der Verhandlungen verbunden sein kann.35) Es mag zwar zutreffen, dass so „über die Hintertür“ auch Verfahrensschritte hinzugefügt werden, die sich aus dem Mitbestimmungsrecht eigentlich nicht ergeben – wie bspw. die Hinzuziehung eines Vertreters der Bundesagentur für Arbeit oder die zwingende schriftliche Stellungnahme des Arbeitgebers zu den Vorschlägen des Betriebsrats.36) Aufgrund des – in Bezug auf §§ 111, 112 BetrVG gerichtlich festgestellten37) – Verschleppungsverbots, darf es allerdings nicht zu Verzögerungen kommen. Zum Spezialfall des Konsultationsverfahrens nach §§ 111, 112 BetrVG siehe unten Rz. 53 ff. V.

Ablauf des Verfahrens nach § 92a BetrVG

30 Der Gesetzgeber gibt kaum Formalien vor, wie ein Verfahren nach § 92a BetrVG abzulaufen hat. Die Betriebsparteien sind hierin also weitestgehend frei. Der Ablauf lässt sich in drei Phasen gliedern: x

Phase I – Aufforderung zur Beratung über einen Vorschlag,

x

Phase II – Beratung über den Vorschlag,

x

Phase III – Schriftliche Stellungnahme des Arbeitgebers.

___________ 35) Göpfert/Giese, NZA 2016, 463, 465. 36) So die Kritik von Raab in: GK-BetrVG, § 92a Rz. 38. 37) LAG Hamm, Beschl. v. 20.3.2009 – 10 TaBV 17/09, juris.

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Göpfert/Giese

V. Ablauf des Verfahrens nach § 92a BetrVG

1.

Phase I – Aufforderung zur Beratung

Das Gesetz enthält keine spezifischen Anforderungen, in welcher Form oder in 31 welchem Rahmen ein Verfahren nach § 92a BetrVG eingeleitet werden muss. Üblicherweise beginnt das Verfahren mit dem Vorschlag des Betriebsrats, über ein bestimmtes Thema zu sprechen, z. B. Arbeitszeitmodelle im Unternehmen (proaktiv) oder die Suche nach Alternativen zum vorgestellten Restrukturierungsvorhaben (reaktiv). Nicht immer wird das Verfahren nach § 92a BetrVG namentlich genannt. Dann liegt es am Arbeitgeber, den Beratungsinhalt in eine solche Struktur zu überführen. Macht der Betriebsrat von seinem Vorschlagsrecht Gebrauch und legt sein er- 32 arbeitetes Konzept dem Arbeitgeber vor, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Vorschläge mit dem Betriebsrat zu beraten (§ 92a Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Der Vorschlag muss sich auf die aktuelle oder künftige Beschäftigungssituation im Betrieb beziehen. Der Betriebsrat muss dabei substantiiert darlegen, inwiefern sich aus der vorgeschlagenen Maßnahme direkte Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation ergeben.38) Allgemeinpolitische Themen, wie etwa Maßnahmen zur Verbesserung der Altersstruktur oder Qualifikationsmaßnahmen am Standort, werden von einer konkret absehbaren Standortmaßnahme nicht gedeckt, wenn sie keinen Beschäftigungszweck aufweisen. Als inhaltliche Grenze des Vorschlagsrechts muss zudem der Kernbereich der 33 unternehmerischen Entscheidung beachtet werden. Auch wenn die Gesetzesbegründung explizit duldet, dass die Vorschläge in den Bereich der Unternehmensführung eingreifen, bleiben bestimmte Kernbereiche der unternehmerischen Verantwortung vorbehalten. Ein Vorschlag auf vollständige Aufgabe des Geschäftsmodells dürfte bspw. nicht vom Vorschlagsrecht gedeckt sein. Der Vorschlag darf sich außerdem nicht auf Bereiche beziehen, bei denen eine 34 Entscheidung bereits gefallen bzw. die echte Mitbestimmung bereits abgeschlossen ist. Der Betriebsrat darf das Verfahren nach § 92a BetrVG nicht dazu missbrauchen, bereits getroffene Entscheidungen noch einmal in Frage zu stellen. 2.

Phase II – Die Beratung mit dem Betriebsrat

Die Betriebsparteien sind inhaltlich frei, über Ort und Ablauf der Beratungen 35 zu bestimmen. Angelehnt an die Beratungen mit dem Wirtschaftsausschuss oder dem Betriebsrat zu konkreten Betriebsänderungen bietet es sich an, dass sich die Betriebsparteien in halb- oder ganztägigen Sitzungen zusammenfinden, um über die Vorschläge zu beraten. Auch ein Sitzungsprotokoll sowie ein schriftlicher Austausch zur Vor- und Nachbereitung dieser Treffen empfiehlt sich zu Dokumentationszwecken und zur Vorbereitung der abschließenden Stellungnahme. ___________ 38) Richardi-Thüsing, BetrVG, § 92a Rz. 7.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

36 Zeitliche Vorgaben macht das Gesetz nicht. Jedoch ist Sinn und Zweck der Beratungspflicht, dass der Betriebsrat i. R. einer Erörterung Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers nehmen kann.39) Abhängig davon, wie substantiiert der Vorschlag des Betriebsrats ist sowie welche Themen er behandelt, muss die Beratung intensiver gestaltet werden und kann länger ausfallen. Ein sozialer Dialog i. S. des Gesetzgebers erfordert zumindest, dass der Arbeitgeber seine Erwägungen darlegt und so dem Betriebsrat die Möglichkeit gibt, auf dessen Einwände einzugehen.40) Es ist jedoch dann eine zeitliche Grenze zu ziehen, wenn parallel zu diesem Themengebiet bereits ein „echtes“ Konsultationsverfahren läuft oder pausiert wurde. Ein laufendes Verfahren nach § 92a BetrVG darf den Abschluss einer Konsultation über eine Betriebsänderung nicht verschleppen.41) Siehe dazu weiter unter Rz. 53 ff. 37 Zur Beratung und Analyse der Vorschläge kann der Betriebsrat einen wirtschaftlichen Berater nach §§ 40, 80 BetrVG hinzuziehen. Die Kosten hierfür trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Inwiefern die anfallenden Kosten erforderlich sind, richtet sich vorrangig nach dem Umfang der konkret absehbaren beschäftigungspolitischen Maßnahmen sowie der genauen Beschreibung des Beratungsumfangs.42) 38

Praxishinweis In der Praxis werden hier oft Forderungen von weit über 100.000 € für reine Beraterkosten aufgestellt, wenn in Wirklichkeit 10.000 – 25.000 € völlig ausreichen. Der Arbeitgeber sollte sich deshalb einen Kostenvoranschlag zu Beginn der Beratungen vom Betriebsrat vorlegen lassen und diesen genau prüfen.

39 Letztlich können die Beteiligten jeweils selbstständig einen Vertreter der Bundesagentur für Arbeit hinzuziehen. Ziel ist es, das Potential an innerbetrieblichem Wissen über Sicherung und Ausbau von Beschäftigung mit überbetrieblichen Kenntnissen und Erfahrungen insbesondere über Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie deren Unterstützung durch die Arbeitsverwaltung zu kombinieren.43) Dieser Berater soll darüber hinaus, nach der Intention des Gesetzgebers, als neutrale Instanz bei Meinungsverschiedenheiten der Betriebsparteien vermittelnd unterstützen. 3.

Phase III – Abschluss der Beratung und Stellungnahme

40 Teilweise wird das Vorschlagsrecht als „zahnlos“ abgetan, schließlich verschafft es dem Betriebsrat „nur“ einen Beratungsanspruch. Es bietet v. a. kein echtes ___________ 39) 40) 41) 42) 43)

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Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 13. Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 14. LAG Hamm, Beschl. v. 20.3.2009 – 10 TaBV 17/09, juris; Göpfert/Giese, NZA 2016, 463, 465. Göpfert/Giese, NZA 2016, 463, 464. Begr. RegE BetrVerf-Reformgesetz, BT-Drucks. 14/5741, S. 49.

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VI. Rechtsfolgen des Vorschlagsrechts

Mitbestimmungsrecht, sondern wirkt nur in Bezug auf das Verfahren selbst unmittelbar, begründet also Rechte und Pflichten nur zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber.44) Es muss außerdem nicht so lange diskutiert werden, „bis sich alle einig sind“. Kommt der Arbeitgeber zu dem Ergebnis, dass er die Vorschläge des Betriebsrats nicht umsetzen will, kann er sie schlicht ablehnen. Der Betriebsrat hat keine Möglichkeit, die Umsetzung zu erzwingen. Die ablehnende Entscheidung ist allerdings zu begründen, in Betrieben mit mehr 41 als 100 Arbeitnehmern sogar schriftlich (§ 92a Abs. 2 Satz 20 BetrVG). Inhaltlich muss die Begründung nachvollziehbar und aus sich heraus verständlich sein. Analog zum Umfang der Beratungspflicht des Arbeitgebers bestimmen sich die Anforderungen an die Begründung je nach Art und Struktur des Vorschlags, wobei auch hier gilt, je konkreter und differenzierter der Vorschlag, desto konkreter die erforderliche Ablehnungsbegründung.45) Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat darauf, dass ein Vorschlag konkret 42 umgesetzt wird, kann die Einigung grundsätzlich formlos erfolgen, das Gesetz macht hierfür keine Vorgaben. In Betracht kommt eine einfach Absichtserklärung des Arbeitgebers, oder der Abschluss konkreter Regelungsabreden oder freiwilliger Betriebsvereinbarungen.46) Durch eine Regelungsabrede verpflichtet sich der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat lediglich insoweit, dass er die Maßnahme durchführt. Wollen die Betriebsparteien allerdings unmittelbar Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer begründen, müssen sie hierzu eine Betriebsvereinbarung abschließen. Die Betriebsparteien sollten bei ihren Abreden jedenfalls deutlich die Art der getroffenen Vereinbarung klarstellen.47) 43

Praxishinweis Zu beachten ist allerdings, dass sich der Arbeitgeber durch eine schriftliche Vereinbarung an eine bestimmte Vorgehensweise bindet. Er muss sich an seinen Verpflichtungen ggf. später in anderen Zusammenhängen messen lassen, bspw. im Kündigungsschutzverfahren (siehe dazu Rz. 44 ff.). Diese Selbstbindung ist in der Praxis nicht selten Anlass für den Arbeitgeber, einen Vorschlag nur zu „hören“, sich aber nicht zu einer konkreten Maßnahme zu verpflichten.

VI.

Rechtsfolgen des Vorschlagsrechts

Auch wenn der Betriebsrat seine Vorschläge nicht einseitig durchsetzen kann, 44 ist das Verfahren nach § 92a BetrVG bei weitem kein stumpfes Schwert. Zum einen fördert und – nötigenfalls – zwingt das Verfahren die Betriebsparteien, sich mit den künftigen Veränderungen und Anforderungen ihres Geschäftsumfelds ___________ 44) 45) 46) 47)

Richardi-Thüsing, BetrVG, § 92a Rz. 19. Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 15. Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 19. So auch Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 19.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

auf ihre Belegschaft frühzeitig auseinanderzusetzen. Lässt der Arbeitgeber die in den Beratungen beschlossenen Maßnahmen einfach „verpuffen“, könnte ihm dies in einem späteren Kündigungsschutzprozess noch auf die Füße fallen. 1.

Erzwingbare Einleitung des Verfahrens nach § 92a BetrVG?

45 Besteht zwischen den Betriebsparteien Streit darüber, ob eine ordnungsgemäße Beratung nach § 92a BetrVG stattgefunden hat, kann der Betriebsrat diese Frage im Beschlussverfahren von dem ArbG überprüfen lassen. Hat der Arbeitgeber keine oder eine nur unzureichende Stellungnahme zu den Vorschlägen des Betriebsrats abgegeben, kann das Gericht den Arbeitgeber ggf. zur Beratung zwingen.48) 46 Bisher gerichtlich nicht entschieden ist die Frage, ob der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend machen kann. Dies ist im Ergebnis abzulehnen.49) Zwar besteht eine gesetzliche Beratungsund Begründungspflicht des Arbeitgebers, diese bezieht sich allerdings auf präventive Vorschläge des Betriebsrats außerhalb einer konkreten Maßnahme. Ist eine konkrete Maßnahme bereits geplant, wird ggf. das „echte“ Mitbestimmungsrecht zur Beratung über diese Maßnahme aktiviert. Für § 92a BetrVG bleibt dann kein Raum mehr. Ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung einer konkreten Maßnahme kann dann allenfalls – und soweit überhaupt zulässig – im Zusammenhang mit dem einschlägigen Mitbestimmungstatbestand geltend gemacht werden (siehe § 3 Rz. 40 [Gossak]). Der Versuch des Betriebsrats, das Verfahren nach § 92a BetrVG im Wege einer einstweiligen Verfügung durchzusetzen, wäre ohnehin wenig zielführend, da der Arbeitgeber den Vorschlägen jederzeit mit einer Stellungnahme begegnen und damit den Beratungsanspruch erfüllen könnte.50) 47 Im Ordnungswidrigkeitenkatalog des § 121 Abs. 1 BetrVG ist § 92a BetrVG nicht genannt. Auch eine Konstruktion als Ordnungswidrigkeit51) über § 23 Abs. 3 BetrVG scheidet aus, da ein grober Verstoß i. S. dieser Vorschrift angesichts der bloßen Beratungspflicht schon systematisch nicht vorliegen kann. 2.

Ungenutzte Vorschläge als Argument im Kündigungsschutzverfahren?

48 Dem Arbeitgeber steht es frei, den Vorschlägen des Betriebsrats nicht zu folgen. Ihm drohen dadurch weder Sanktionen oder Unterlassungsansprüche noch wird ___________ 48) Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 34 m. w. N. 49) So im Ergebnis auch Richardi-Thüsing, BetrVG, § 92a Rz. 20; Düwell-Schulze-Doll, BetrVG, § 92a Rz. 34. 50) Richardi-Thüsing, BetrVG, § 92a Rz. 20. 51) So Mauer in: BeckOK-ArbR, § 92a Rz. 2.

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VI. Rechtsfolgen des Vorschlagsrechts

er dadurch in seinem Kündigungsrecht unmittelbar beschränkt. Diese beruhigende Abgrenzung wird im Kern vom BAG (derzeit noch) aufrechterhalten: „§ 92a BetrVG begründet Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Dagegen entfaltet die Vorschrift keine unmittelbaren Rechtswirkungen für das Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer. Eine Beschränkung des Kündigungsrechts ergibt sich deshalb nicht allein daraus, dass der Arbeitgeber zum Beispiel seiner Beratungs- oder Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist.“52)

Im gleichen Atemzug öffnet das Gericht allerdings auch Türen für Kündigungs- 49 situationen, in denen ungenutzte Vorschläge des Betriebsrats vielleicht doch zu einer unwirksamen Kündigung führen können: „Das Verfahren nach § 92a BetrVG kann allenfalls im Einzelfall dazu führen, dass betriebsbezogen entwickelte Vorstellungen zu berücksichtigen sind, die für die Arbeitnehmer weniger belastend sind als betriebsbedingte Kündigungen, gleichwohl jedoch keine unzumutbare Alternative für den Arbeitgeber darstellen.“53)

Im konkreten Fall war der Vorschlag des Betriebsrats, als Reaktion auf den Auf- 50 tragsrückgang allen beschäftigen Druckern einen Teilzeitvertrag anzubieten, kein rettender Anker für den klagenden Mitarbeiter. Der Arbeitgeber habe sich rechtmäßig auf seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit bezogen und durfte die Kündigung aussprechen. Für einen Kündigungsschutzprozess, in dem ein § 92a BetrVG Einwand geführt 51 wird, bedeutet diese Entscheidung allerdings Folgendes: Das Gericht kann überprüfen, ob die Kündigung als ultima ratio gerechtfertigt ist und dabei die konkreten Vorschläge des Betriebsrats, die vom Arbeitgeber abgelehnt worden sind, heranziehen. Das Gericht kann in diesem Fall hinterfragen, ob der Arbeitsplatz nicht hätte erhalten werden können, wenn der Arbeitgeber bspw. den Vorschlag des Betriebsrats angenommen hätte. Das ist der Fall, wenn sich der Arbeitgeber entweder zu einer bestimmten Maßnahme verpflichtet hat oder einen Vorschlag ungenutzt lässt, obwohl dieser für den Arbeitgeber keine belastende Alternative darstellt. Das wäre bspw. anzunehmen, wenn der Betriebsrat Fortbildungen oder Umschulungen für Mitarbeiter vorschlägt, deren Beschäftigungsanforderungen sich so dramatisch ändern (werden), dass ohne die nötigen Fertigkeiten eine Kündigung droht. Bei der Prüfung, ob ein Vorschlag „zumutbar“ war oder in den Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit eingreift, wird sich ein Gericht auch die Stellungnahme des Arbeitgebers zu den Vorschlägen des Betriebsrats ansehen dürfen. Einmal mehr empfiehlt sich deshalb eine saubere Dokumentation und gewissenhafte Stellungnahme.

___________ 52) BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552. 53) BAG, Urt. v. 18.10.2006 – 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

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Praxishinweis Geht der Arbeitgeber nicht ausreichend auf die Vorschläge des Betriebsrats ein, kann dies Folgen in einem späteren Kündigungsschutzprozess haben. Nämlich dann, wenn es den Arbeitgeber nicht belastende Alternativen, wie z. B. Weiterbildungsmaßnahmen, gegeben hätte, die eine betriebsbedingte Kündigung vermeidbar gemacht hätten.

VII. Die Rolle des § 92a BetrVG im Zusammenhang mit Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen 53 Als der US-Konzern General Electric im Januar 2016 verkündete, in Deutschland rund 1.700 Arbeitsplätze zu streichen, kündigten Beschäftigte und IG-Metall „Widerstand mit allen Mitteln“ an – und hielten ihr Wort. Über ein Jahr lang hat es schließlich gedauert, bis das Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren nach mühsamen Verhandlungsrunden abgeschlossen war. Die Stellungskämpfe wurden von der regionalen54) und überregionalen Öffentlichkeit engmaschig begleitet und kommentiert. Nahezu unbemerkt war jedoch das Verfahren nach § 92a BetrVG, das die Betriebsparteien „zwischengeschoben“ hatten. Der eigenständige Prozess wurde möglicherweise als weitere Verzögerungstaktik vom Betriebsrat vorgeschlagen und vom Arbeitgeber auch als eine solche empfunden. Vielleicht waren es aber gerade die eigenen Vorschläge des Betriebsrats und seiner Berater zur Standort- und Beschäftigungssicherung, die am Ende doch allen Parteien vor Augen führten, dass die Abbaumaßnahmen unvermeidbar sind. 1.

Moderne Personalanpassungen kombinieren reaktive und präventive Maßnahmen

54 Die klassische Personalanpassungsmaßnahme über einen Interessenausgleich und Sozialplan ist schon längst aus der Mode gekommen. Zunehmend ersetzen sog. Transformationsvereinbarungen, Standortsicherungsvereinbarungen oder Beschäftigungsbrücken den klassischen Interessenausgleich55). Oft entstehen solche „Mischvereinbarungen“ aus einer Kombination des klassischen Konsultationsverfahrens nach §§ 111, 112 BetrVG (siehe oben § 5 Rz. 9 ff. [Lutz]) mit einem Beratungsverfahren über „Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung“ nach § 92a BetrVG. Das Verfahren verbindet dann einen reaktiven („Die Personalsituation ist schon schlecht, wie gehen wir damit um?“) und einen proaktiven („Wie vermeiden wir, dass uns das gleich wieder passiert?“) Ansatz. 2.

Eigenständiges, aber parallel laufendes Verfahren

55 Einen vorgegebenen Standardprozess gibt es nicht, da die richtige Vorgehensweise ganz entscheidend von der Art der geplanten Maßnahme und – oft noch ___________ 54) „Ein unbeugsames Werk in Mannheim“, titelte der Bergsträßer Anzeiger am 31.12.2016. 55) Göpfert/Rottmeier, ZIP 2014, 1259.

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VII. Die Rolle des § 92a BetrVG

viel wichtiger – von dem Vertrauensverhältnis der Betriebsparteien abhängt. Ganz typisch ist jedoch, dass das mit der Gesamtkonsultation befasste Gremium (z. B. Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat) auch Partei in einem etwaigen begleitenden § 92a BetrVG-Verfahren ist, auch wenn dabei nicht nur standortübergreifende, sondern auch rein standortbezogene Themen besprochen werden. Der Wunsch, zeitgleich zu den Beratungen nach § 111 BetrVG auch über künftige 56 Personalthemen und alternative Lösungsansätze zu sprechen, wird häufig schon zu Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen geäußert. In komplexen Reorganisationen kann auch schon der Wirtschaftsausschuss das Verfahren anstoßen. Im besten Fall erfolgt dann eine einvernehmliche Abstimmung über den Ablauf, den Zeitplan, die Agenda sowie die voraussichtlichen Kosten des Verfahrens nach § 92a BetrVG. Falls sich die Konsultation schon in der Einigungsstelle befindet, kann hier auch der Vorsitzende der Einigungsstelle verfahrensleitend unterstützen.56) Die gemeinsame Einigung über ein gleichzeitiges Verfahren nach § 111 BetrVG und § 92a BetrVG führt sinnvollerweise dazu, dass die Beratungen über das „Ob“ der Maßnahme als abgeschlossen angesehen werden.57) Wann genau über das „Ob“ der Maßnahme abschließend entschieden wird, ist ins- 57 besondere entscheidend für die Frage der Abfindungsberechtigung aus einem späteren Sozialplan. Ein Abfindungsanspruch besteht generell auch für Mitarbeiter, die auf Veranlassung des Arbeitgebers selbst gekündigt oder einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben.58) Eine Eigenkündigung kann allerdings nur dann vom Arbeitgeber veranlasst sein, wenn dieser dem Arbeitnehmer zuvor mitgeteilt hat, dass für ihn nach Durchführung der Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht.59) Dieser Zeitpunkt tritt frühestens mit Abschluss der Beratungen über das „Ob“ der Maßnahme, also erst nach Abschluss der Beratungen nach § 92a BetrVG und § 111 BetrVG ein. Eine Eigenkündigung löst nur dann einen Sozialplananspruch aus, wenn sie durch 58 den Arbeitgeber veranlasst war. Der Arbeitgeber kann sich gegen den späteren Vorwurf, eine Veranlassung für die Eigenkündigung habe es schon vor Abschluss der Beratungen nach § 92a BetrVG oder §§ 111 BetrVG gegeben, zusätzlich mit Hinweisen in den Beratungsunterlagen wehren. Formulierungsbeispiel „Diese Unterlage wurde ausschließlich zur Beratung mit … erstellt. Sie gibt eine vorläufige Planung wieder und steht unter dem Vorbehalt der Beratungen. Aus diesem Grund kann diese Unterlage bis zum Abschluss dieser Beratungen keine Grundlage ___________ 56) Zum Ganzen: Göpfert/Giese, NZA 2016, 463. 57) Göpfert/Giese, NZA 2016, 463, 465. 58) BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 10 AZR 323/93, ZIP 1994, 1548; BAG, Urt. v. 20.5.2008 – 1 AZR 203/07, NZA-RR 2008, 636. 59) BAG, Urt. v. 12.4.2011 – 1 AZR 505/09, ZIP 2011, 2074, dazu EWiR 2011, 695 (Hützen) – auch zur Zulässigkeit einer Stichtagsklausel im Sozialplan.

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§ 9 Die „Lobby der zukünftigen Arbeitsplätze“

dafür sein, im Falle einer Eigenkündigung Vertrauensschutz und damit möglicherweise eine Abfindungsberechtigung abzuleiten.“ 3.

Verschleppungsschutz

59 Es kommt vor, dass eine einvernehmliche Lösung nicht möglich ist, weil sich der Arbeitgeber einer weiteren Ablenkung oder Verzögerung nicht öffnen will, oder weil der Betriebsrat nicht klar genug eingrenzt, worüber er sprechen möchte. In den allermeisten Fällen führt das streitige Auseinandergehen dazu, dass der Betriebsrat das Verfahren nach § 92a BetrVG dennoch betreibt. Es steht dann grundsätzlich neben der laufenden Beratung nach § 111 BetrVG und kann jedenfalls solange frei gestaltet werden, wie die Beratung nach § 111 BetrVG dabei nicht verzögert wird. Hierzu hat das LAG Hamm klar entschieden: „Betriebsänderungen nach §§ 111 ff. BetrVG können nicht über § 92a BetrVG verzögert oder blockiert werden.“60) Das Gericht betont, dass das Verfahren nach § 92a BetrVG subsidiär zu einschlägigen Mitbestimmungsrechten ist. 60 Zwar lässt sich daraus ableiten, dass in einem parallel laufenden Verfahren nach § 92a BetrVG auch nur solche Vorschläge diskutiert werden dürfen, die nicht gleichzeitig Gegenstand eines laufenden Mitbestimmungsverfahrens sind. Es dürfte praktisch jedoch an der Tagesordnung sein, dass ein – aus einer Betriebsänderung geborenes – Verfahren nach § 92a BetrVG inhaltliche Überschneidungen aufweist. So sind aktuelle, aufgrund der laufenden Personalanpassungsmaßnahme entstandene „lessons learned“ zumeist Treiber der Vorschläge, die i. R. von § 92a BetrVG besprochen werden. Solange sich der Betriebsrat daran hält, diese Beratungen zeitlich in das Verfahren nach § 111 BetrVG einzubetten und die laufende Konsultation nicht zu verzögern, sind solche Überschneidungen sogar wünschenswert, führen sie doch oft zum besseren Verständnis für die Erforderlichkeit der aktuell anstehenden Maßnahmen.61) 61

Praxishinweis Das Verfahren des § 92a BetrVG kann nicht dazu missbraucht werden, eine Personalmaßnahme zu verzögern, über die der Arbeitgeber bereits mit dem Betriebsrat nach §§ 111, 112 BetrVG berät. Der Arbeitgeber sollte darauf hinwirken, dass das Verfahren nach § 92a BetrVG parallel zur bereits laufenden Konsultation durchgeführt wird. Er kann am Ende davon profitieren, dass allen Beteiligten klar wird, dass die geplante Maßnahme alternativlos und tatsächlich erforderlich ist.

VIII. Ausblick 62 In einer parallel zum Interessenausgleichsverfahren geführten Beratung zur „Sicherung und Förderung der Beschäftigung“ wird oft deutlich, was in der Vergangenheit hätte besser gemacht werden müssen, um die nun erforderliche Per___________ 60) LAG Hamm, Beschl. v. 20.3.2009 – 10 TaBV 17/09, juris; Göpfert/Giese, NZA 2016, 463, 465. 61) Göpfert/Giese, NZA 2016, 463, 465.

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Göpfert/Giese

VIII. Ausblick

sonalanpassung zu vermeiden. Im besten Fall erkennen die Betriebsparteien, was sich künftig ändern muss. Sie steigen in die Analyse ein, wie sich das Beschäftigungsumfeld in ihrer Branche entwickeln wird, wie sich der technische Fortschritt auf aktuelle Tätigkeitsprofile auswirkt und welche Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich sind, um heutige Beschäftigte auf diese Veränderungen vorzubereiten. Wünschenswert wäre darüber hinaus, dass für eine solche Initiative nicht erst personelle Probleme oder bevorstehende Maßnahmen auftreten müssen, sondern dass die Betriebsparteien bereits präventiv in den Dialog über ihre künftige Beschäftigungssituation treten. Das verbessert nicht nur die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Betriebsparteien, es kanalisiert und behandelt auch die diffuse Angst vor dem technischen Fortschritt und der damit verbundenen Angst vor der Umverteilung und Veränderung unserer Arbeit.

Göpfert/Giese

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung und Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

Günther/Heup

Übersicht I. 1. 2.

Haftung der Geschäftsführung ....... 1 Einführung.......................................... 1 Haftung im Innenverhältnis .............. 5 a) Masseschmälerung nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG) ..................................... 6 aa) Begriff der Zahlung ..................... 7 bb) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung .......................... 11 (1) Zahlungsunfähigkeit.................. 12 (2) Überschuldung .......................... 16 cc) Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 64 Satz 2 GmbHG)............... 17 dd) Verschulden ............................... 19 ee) Eröffnung des Insolvenzverfahrens................................... 21 ff) Darlegungs- und Beweislast...... 22 b) Insolvenzverursachung durch Zahlungen an Gesellschafter (§ 64 Satz 3 GmbHG)............... 24 aa) Zahlungsempfänger ................... 27 bb) Kausale Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ......................... 30 c) Insolvenzverschleppung (§ 43 Abs. 2 GmbHG) .............. 33 aa) Frist zur Insolvenzantragstellung....................................... 34 bb) Verschulden ............................... 36 cc) Gesellschafterweisung............... 37 dd) Weitere Folgen für den Geschäftsführer .............................. 38

d) Weitere Haftungstatbestände (§ 43 Abs. 2 GmbHG).............. 39 3. Haftung im Außenverhältnis........... 42 a) Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO)................................ 43 b) Vorsätzliche sittenwidrige Insolvenzverschleppung (§ 826 BGB) .............................. 46 c) Verschulden bei Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 BGB) .............................. 48 d) Weitere Haftungstatbestände .... 51 II. Haftung von Beratern .................... 52 1. Haftung gegenüber der Gesellschaft................................................. 53 a) Vertragliche Haftung ................ 53 b) Vertragliche Haftungsbeschränkungen......................... 56 2. Haftung gegenüber dem Geschäftsführer..................................... 58 a) Vertragliche Haftung ................ 58 b) Haftung aufgrund Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.................................. 59 3. Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern.............................. 65 a) Vertragliche Haftung ................ 65 b) Deliktische Haftung/strafrechtliche Relevanz ................... 66

Literatur: Bellen/Stehl, Pflichten und Haftung der Geschäftsführung in der Krise der GmbH – Ein Überblick, BB 2010, 2579; Bitter, Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH, Teil 2, ZInsO 2010, 1561; Bork, Pflichten der Geschäftsführung in Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Casper, Die Haftung für masseschmälernde Zahlungen nach § 64 Satz 1 GmbHG: Hat der BGH den Stein der Weisen gefunden?, ZIP 2016, 793; Commandeur/Kusch, Geschäftsführerhaftung gem. § 64 GmbHG bei Zahlungseingängen auf debitorischen Konten, NZG 2009, 1103; Commandeur/Utsch, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzrecht – Haftung des Steuerberaters für Insolvenzverschleppungsschäden, NZG 2012, 1376; Cymutta, Neue Regeln für Insolvenzanträge – Haftungsrisiken der antragspflichtigen Organe und deren Berater, BB 2012, 3151; Dahl/ Schmitz, Probleme von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nach FMStG und Mo-

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz MiG, NZG 2009, 567; Dauner-Lieb, Die Berechnung des Quotenschadens, ZGR 1998, 617; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 7. Aufl., 2013; Ehlers, „Notwendig“ frühzeitige Insolvenzverfahren, BB 2013, 1539; Erne, Praxisleitfaden für GmbH-Geschäftsführer zur Haftungsvermeidung bei Cash Pooling-Systemen, GWR 2009, 387; Fischer, Aktuelle Rechtsprechung des BGH zur Haftung der rechts- und steuerberatenden Berufe, VersR 2013, 526; Frege, Grundlagen und Grenzen der Sanierungsberatung, NZI 2006, 545; Goette, Zur Frage, welche Anforderungen an die Geschäftsleitung und ihre Berater bei der Fertigung einer Fortführungsprognose zu stellen sind, Teil I, DStR 2016, 1684, und Teil II, DStR 2016, 1752; Gräfe, Haftungsgefahren des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers in der Unternehmenskrise des Mandanten, Teil I, DStR 2010, 618, und Teil II, DStR 2010, 669; Greulich/Bunnemann, Geschäftsführerhaftung für zur Zahlungsunfähigkeit führende Zahlungen an die Gesellschafter nach § 64 II 3 GmbHG-RefE – Solvenztest im deutschen Recht?, NZG 2006, 681; Haarmann/Vorwerk, Rechtliche Anforderungen an die Feststellung der positiven Fortführungsprognose – insbesondere im Hinblick auf Start-up-Unternehmen, BB 2015, 1603; Habersack/Foerster, Debitorische Konten und Massezuflüsse im Recht der Zahlungsverbote, ZGR 2016, 153; Heeg, Die Kündigung von Patronatserklärungen in der Krise der Gesellschaft, BB 2011, 1160; Janssen, Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 64 GmbHG und an den Insolvenzverwalter abgetretener Steuerberaterhaftungsanspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (unter ergänzender Betrachtung der Anspruchsverjährung), ZInsO 2017, 1299; Kaiser-Oetjen, Die Pflicht des Beraters zur Mandatskündigung in der Krise des Mandanten, DStR 2011, 2488; Kleindiek, Geschäftsführerhaftung in der Krise, in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 617; Knof, Die neue Insolvenzverursachungshaftung nach § 64 Satz 3 RegE-GmbHG, DStR 2007, 1536; Krause, Managerhaftung und Strategien zur Haftungsvermeidung, BB 2009, 1370; Krieger/Günther, Die arbeitsrechtliche Stellung des Compliance Officers, NZA 2010, 367; Lange, Schadensersatzpflicht des Steuerberaters wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung eines GmbH-Geschäftsführers, DStR 2007, 954; Mader/Seitz, Hinweispflichten bei der Jahresabschlusserstellung – Bilanzrichtlinie(n) und „Fortführungsprognose“, DStR-Beiheft 2018, S. 1; Meixner, Haftung des GmbH-Geschäftsführers und des Steuerberaters für Insolvenzverschleppungsschäden, Teil I, DStR 2018, 966, und Teil II, DStR 2018, 1025; Moehlmann-Mahlau/Schmitt, Der „vorübergehende“ Begriff der Überschuldung, NZI 2009, 19; Neuberger, Haftung bei Insolvenzverschleppung: Ein Tatbestand, vier verschiedene Rechtsfolgen, ZIP 2018, 909; Niesert/Hohler, Die Haftung des Geschäftsführers für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen und ähnliche Leistungen, NZI 2009, 345; Pape, Hinweis- und Warnpflichten des Steuerberaters bei Insolvenzreife des Mandanten, NZI 2019, 260; Poertzgen, Geschäftsführerhaftung aus § 64 Satz 1 GmbHG – Anwendungspraxis und rechtspolitische Kritik, ZInsO 2011, 305; Poertzgen, Insolvenzverschleppungshaftung der Geschäftsführer c. i. c.?, Teil 1, ZInsO 2010, 416; Rodewald, Alte und neue Haftungsrisiken für GmbH-Geschäftsführer vor und in der Krise oder Insolvenz, GmbHR 2009, 1301; Schaaf/Mushardt, Zur Hinweispflicht des Steuerberaters bezüglich einer insolvenzrechtlichen Überschuldung, DB 2013, 1890; Schmidt/Gundlach, Zwischenstand Insolvenzantragspflicht – aktuelle Rechtslage zum Pflichtenkreis der Geschäftsführung, DStR 2018, 198; Schmidt/Roth, Die Bewertung von streitigen Verbindlichkeiten bei der Ermittlung der Insolvenzeröffnungsgründe, ZInsO 2006, 236; Schwarz, Steuerberaterhaftung bei unterlassener Aufklärung über die Insolvenzantragspflicht bei Insolvenzreife einer GmbH/AG, NZI 2012, 869; Spliedt, MoMiG in der Insolvenz – ein Sanierungsversuch, ZIP 2009, 149; Statter/Jacoby, Schuldanerkenntnis mit Vollstreckungsunterwerfung und Verjährung der zugrunde liegenden Forderung, JZ 2010, 464; Strohn, Organhaftung im Vorfeld der Insolvenz, NZG 2011, 1161; Uhlenbruck, Zahlungsunfähigkeit wegen vorläufig vollstreckbarer Zahlungstitel?, ZInsO 2006, 338; Wagner/Bronny, Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers für Insolvenzgeld, ZInsO 2009, 622; Wertenbruch, Gesellschafterbeschluss für Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit?, DB 2013, 1592; Zugehör, Uneinheitliche Rechtsprechung des BGH zum (Rechtsberater-)Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, NJW 2008, 1105; Zugehör, Haftung des Steuerberaters für Insolvenzverschleppungsschäden, NZI 2008, 652.

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I. Haftung der Geschäftsführung

I.

Haftung der Geschäftsführung

1.

Einführung

Geschäftsführende Organmitglieder haben laufend die wirtschaftliche Lage der 1 Gesellschaft zu beobachten. Bei Anzeichen einer kritischen Entwicklung ist schnelles Krisenmanagement gefordert.1) Der Geschäftsführer muss daher – ggf. unter fachkundiger Beratung – stets einen Überblick über den Vermögensund Liquiditätsstand der Gesellschaft haben.2) In Abhängigkeit von Größe, Branche und konkreter Risikoexposition sind geeignete Kontrollsysteme einzurichten.3) Bereits das Fehlen geeigneter Corporate-Compliance-Strukturen kann eine persönliche Haftung des Geschäftsführers auslösen. Jedenfalls tragen derartige Frühwarnsysteme dazu bei, dass der Geschäftsführer seinen Pflichten i. R. der operativen Abwicklung vor einer Insolvenz – z. B. rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags – nachkommen kann. Grundsätzlich gilt bei mehrköpfigen Geschäftsführungsgremien das Prinzip der 2 Gesamtverantwortung. So trifft z. B. jedes Mitglied der Geschäftsführung gleichermaßen die Pflicht, durch organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass Unternehmenskrisen zeitnah gegengesteuert werden kann. Durch Geschäftsverteilungspläne kann die Haftung innerhalb des Geschäftsführungsgremiums modifiziert werden. Werden die Aufgaben eines Ressorts einem Mitglied der Geschäftsführung wirksam zugewiesen, trifft dieses die primäre Handlungsverantwortung für diesen Bereich. Eine vollständige Pflichtendelegation scheidet aber aus. Vielmehr bleiben die übrigen Geschäftsführer in einer „Restverantwortung“. Sie haben Überwachungs- und Eingriffspflichten. Liegen konkrete Anhaltspunkte für eine sorgfaltswidrige bzw. nicht rechtmäßige Geschäftsführung des ressortverantwortlichen Organmitglieds vor, haben die übrigen Geschäftsführer ein Recht und eine Pflicht zum Einschreiten (Interventionsrecht bzw. -pflicht).4) Sämtliche Mitglieder der Geschäftsführung sind daher ungeachtet einer internen Ressortzuständigkeit verpflichtet, sich fortlaufend untereinander über alle wichtigen Ereignisse in ihrem Ressort zu unterrichten und gegenseitig zu überwachen und ggf. – sofern sich Anhaltspunkte für ein Versagen des ressortzuständigen Geschäftsführers ergeben – die Zuständigkeit wieder an sich zu ziehen.5) Zudem können einzelne Mitglieder der Geschäftsführung von wesentlichen Pflichten in der Krise der Gesellschaft – z. B. Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenz___________ 1) BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski). 2) Ehlers, BB 2013, 1539, 1540; BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 = DStR 2012, 1713, EWiR 2012, 559 (Schodder). 3) Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rz. 33; Ehlers, BB 2013, 1539, 1540; Bork, ZIP 2011, 101 ff. 4) Krause, BB 2009, 1370, 1372; Krieger/Günther, NZA 2010, 367, 369, zur vertikalen Delegation von Verantwortung auf Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführung. 5) Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rz. 26 und § 35 Rz. 33.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

antragstellung und zur Massesicherung – nicht durch eine interne Ressortverteilung entbunden werden.6) Hier bleibt es stets bei der Gesamtverantwortung. 3 Im Vorfeld einer Insolvenz wird der unternehmerische Ermessensspielraum des Geschäftsführers oftmals stark eingeengt sein. Trifft den Geschäftsführer kraft Gesetzes eine konkrete Pflicht zu bestimmtem Verhalten (z. B. Verbot der Masseschmälerung), hat er keinen haftungsfreien Handlungsspielraum. Es fehlen insoweit Handlungsalternativen.7) 4 Bei der Haftung des Geschäftsführers wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Krise oder Insolvenz der Gesellschaft ist zwischen der Haftung gegenüber geschädigten Dritten (Außenverhältnis) und gegenüber der Gesellschaft bzw. der Insolvenzmasse (Innenverhältnis) zu unterscheiden. 2.

Haftung im Innenverhältnis

5 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Bestellung eines Insolvenzverwalters steigt das faktische Risiko des Geschäftsführers, wegen eines Fehlverhaltens von der Gesellschaft in persönliche Haftung genommen zu werden.8) Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Gesellschaft über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen liegt in einer solchen Situation bei dem Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter hat die Aufgabe, die Gläubiger aus der Insolvenzmasse bestmöglich zu befriedigen und hierzu erforderlichenfalls Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. Zudem richtet sich der Regelsatz seiner Vergütung nach dem Wert der Insolvenzmasse zum Zeitpunkt der Beendigung des Insolvenzverfahrens, vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO. Im Regelfall nimmt der Insolvenzverwalter daher die Tätigkeit der Geschäftsführung „unter die Lupe“ und zögert nicht lange, bei Anhaltspunkten für Pflichtverletzungen etwaige Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen.9) a)

Masseschmälerung nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG)

6 Der Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH – auch der kommissarische10) und der faktische11) – unterliegt der Massesicherungspflicht und darf nach § 64 Satz 1 GmbHG grundsätzlich keine Zahlungen mehr vornehmen.12) Eine Aus___________ 6) BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891 = DStR 1994, 1092, dazu EWiR 1994, 789 (Schneider). 7) Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rz. 22b. 8) Ebenso Ehlers, BB 2013, 1539. 9) Ebenso Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2580. 10) OLG München, Urt. v. 5.10.2016 – 7 U 1996/16, GmbHR 2017, 147. 11) LG Krefeld, Urt. v. 16.3.2016 – 7 O 119/13, BeckRS 2016, 114641; Baumbach/HueckHaas, GmbHG, § 64 Rz. 16. 12) Entsprechende Normen sind § 93 Abs. 3 Nr. 6 i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG und § 130a Abs. 1 HGB.

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I. Haftung der Geschäftsführung

nahme gilt nach § 64 Satz 2 GmbHG bei Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Bei einem Verstoß gegen die Massesicherungspflicht hat der Geschäftsführer der Gesellschaft Ersatz zu leisten. Ein Schaden muss der Gesellschaft nicht entstanden sein.13) Die Ersatzpflicht umfasst den gesamten gezahlten Betrag abzüglich der in die Masse geflossenen und dort wertmäßig erhalten gebliebenen Gegenleistung.14) Die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG ist als „Ersatzanspruch eigener Art“15) nicht von einem D&O-Versicherungsschutz für Schadensersatz gedeckt.16) aa)

Begriff der Zahlung

Zahlungen i. S. von § 64 Satz 1 GmbHG sind zunächst einmal sämtliche geldlichen 7 Leistungen, die aus dem Konto- oder Barbestand der Gesellschaft stammen.17) Der Begriff ist aber nicht auf Geldleistungen begrenzt, sondern erfasst grundsätzlich jede Leistung, die die verteilungsfähige Vermögensmasse mindert.18) Somit fallen auch Sachleistungen, die Erbringung von Diensten, die Übertragung von Rechten und die Verrechnung von Forderungen mit Schulden unter den Zahlungsbegriff.19) Gegebenenfalls hat der Geschäftsführer darauf zu achten, Lastschriften im Einziehungsermächtigungsverfahren für kreditorische Konten zu widerrufen.20) Nach h. M. liegt in der unterbliebenen Geltendmachung von Forderungen21) sowie in der Begründung von Verbindlichkeiten22) keine tatbestandsrelevante Zahlung. Besondere Vorsicht ist aus Sicht des Geschäftsführers bei der Rückführung 8 eines Kontokorrentkredits durch Einzahlungen Dritter auf ein debitorisches Konto geboten.23) Der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen GmbH auf ein debitorisches Konto und die anschließende Verrechnung mit dem Soll___________ 13) Wicke-Wicke, GmbHG, § 64 Rz. 19. 14) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 71 ff.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb. vorläufige Insolvenzverwaltung, § 13 Rz. 106. 15) Etwa BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 = NZG 2011, 624, dazu EWiR 2011, 503 (Kort). 16) OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2018 – I-4 U 93/16, ZIP 2018, 1542 = DB 2018, 1913, dazu EWiR 2018, 553 (Schneider/Hardung). 17) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb. vorläufige Insolvenzverwaltung, § 13 Rz. 102; Poertzgen, ZInsO 2011, 305. 18) Strohn, NZG 2011, 1161, 1165; Statter/Jacobi, JZ 2010, 464. 19) Poertzgen, ZInsO 2011, 305, 306; OLG Thüringen, Urt. v. 25.5.2016 – 2 U 714/15, GmbHR 2017, 1269. 20) Haarmeyer/Wutzke/Förster, Hdb. vorläufige Insolvenzverwaltung, § 13 Rz. 103. 21) Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 147. 22) BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 = NJW 1998, 2667; Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 147; Meixner, DStR 2018, 966, 970 f.; Neuberger, ZIP 2018, 909, 910. 23) Eingehend Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

saldo ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich eine vom Geschäftsführer veranlasste masseschmälernde Zahlung i. S. von § 64 Satz 1 GmbHG, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zulasten ihrer Gläubigergesamtheit und zum Vorteil der Bank geschmälert wird.24) Dies gilt nicht, wenn die eingezogene Forderung schon vor Insolvenzreife zur Sicherheit an die Bank abgetreten sowie entstanden und werthaltig geworden ist oder die als Gegenleistung an den Forderungsschuldner gelieferte Ware im Sicherungseigentum der Bank stand.25) Denn zur Sicherheit übereignete bewegliche Sachen bzw. zur Sicherheit abgetretene Forderungen stehen der Gläubigergesamtheit von vornherein nicht als freie Masse zur gleichmäßigen Befriedigung zur Verfügung. Eine masseschmälernde Zahlung liegt ebenfalls nicht vor, soweit in Folge der Verminderung des Debetsaldos durch die Einziehung und Verrechnung eine Gesellschaftssicherheit (z. B. abgetretene Forderung) frei wird, die sodann zur Verwertung zugunsten aller Gläubiger zur Verfügung steht.26) Schließlich stellen Vorauszahlungen auf ein debitorisch geführtes Konto keine masseschmälernde Zahlung dar, denn diese Zahlungen wären auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Geschäftsführers nicht in die Insolvenzmasse gelangt. Hätte der Geschäftsführer pflichtgemäß nach Eintritt der Insolvenzreife einen Insolvenzantrag gestellt und damit zu erkennen gegeben, dass die Gesellschaft nicht mehr leistungsfähig ist, ist es nach Ansicht des OLG Hamburg ausgeschlossen, dass die Geschäftspartner der Gesellschaft noch Vorschusszahlungen an die Gesellschaft geleistet hätten.27) 9

Praxishinweis Nach Eintritt der Insolvenzreife kann der Geschäftsführer daher verpflichtet sein, ein kreditorisches Konto einzurichten, auf dem Zahlungen entgegengenommen werden können, ohne dass die Masse verkürzt wird.28)

10 Kommt der Gesellschaft eine Gegenleistung für die Zahlung zugute, handelt es sich nach z. T. vertretener Auffassung bereits nicht um eine Zahlung i. S. von § 64 Satz 1 GmbHG.29) Nach a. A. entfällt eine Haftung, weil die Zahlung auch unter Berücksichtigung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vorge___________ 24) BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 = NZI 2014, 813, dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch); BGH, Urt. v. 14.6.2016 – II ZR 77/15, ZInsO 2016, 1934, dazu EWiR 2017, 105 (Spliedt) – zu § 92 Abs. 2 AktG; OLG Hamm, Urt. v. 22.12.2008 – 8 U 65/01, NZG 2009, 1116; Strohn, NZG 2011, 1161, 1165; Commandeur/Kusch, NZG 2009, 1103. 25) BGH, Urt. v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480, dazu EWiR 2015, 565 (Kleindiek); BGH, Urt. v. 8.12.2015 – II ZR 68/14, NZI 2016, 272 = ZIP 2016, 364, m. Anm. Altmeppen, dazu EWiR 2016, 263 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 14.6.2016 – II ZR 77/15, ZInsO 2016, 1934 – zu § 92 Abs. 2 AktG; Casper, ZIP 2016, 793, 799 ff. 26) BGH, Urt. v. 23.6.2015 – II ZR 366/13, ZIP 2015, 1480; Casper, ZIP 2016, 801 f. 27) OLG Hamburg, Urt. v. 9.11.2018 – 11 U 136/17, ZIP 2019, 416. 28) BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006; OLG Brandenburg, Urt. v. 12.1.2016 – 6 U 123/13, ZIP 2016, 923; OLG Hamburg, Urt. v. 9.11.2018 – 11 U 136/17, ZIP 2019, 416. 29) Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 149; Baumbauch/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 75; Casper, ZIP 2016, 793, 796.

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I. Haftung der Geschäftsführung

nommen worden wäre (§ 64 Satz 2 GmbHG)30) bzw. der von § 64 Satz 1 GmbHG verfolgte Zweck, im Interesse der Gläubiger die noch vorhandene Masse zu erhalten, erreicht ist.31) Jedenfalls wirkt sich die Gegenleistung positiv auf die Haftung aus und ist in Anrechnung zu bringen.32) Voraussetzung ist, dass ein unmittelbarer wirtschaftlicher – nicht notwendig zeitlicher33) – Zusammenhang mit der Zahlung besteht und die Gegenleistung für eine Verwertung durch die (hypothetischen) Insolvenzgläubiger geeignet wäre, wenn zum Zeitpunkt des Ausgleichs der Masseschmälerung das Insolvenzverfahren eröffnet wäre.34) Letzteres ist bei Arbeits- oder Dienstleistungen sowie geringwertigen Verbrauchsgütern in der Regel nicht der Fall.35) Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die Gegenleistung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich noch im Gesellschaftsvermögen vorhanden ist.36) Für nicht zurechenbare, insbesondere zufällige Verschlechterungen des Ausgleichsgegenstandes bei der Gesellschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens haftet der Geschäftsführer nicht.37) bb)

Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

In zeitlicher Hinsicht verbietet § 64 Satz 1 GmbHG Zahlungen nach Eintritt 11 der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung. Dabei ist nicht erst die förmliche Feststellung der Überschuldung haftungsauslösend. Es genügt deren Eintreten.38) Das Zahlungsverbot greift ab Insolvenzreife, also ab dem objektiven Bestehen einer Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, nicht erst ab Ablauf der Frist zur Stellung des Insolvenzantrags.39) ___________ 30) BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088; OLG Hamburg, Urt. v. 13.10.2017 – 11 U 53/17, ZIP 2017, 2197 = DStR 2017, 2621, dazu EWiR 2018, 141 (Ruppert); OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.10.2015 – I-17 U 26/15, BeckRS 2015, 122066; Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153, 181. 31) So nun BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 = NZI 2017, 809; BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133, dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt) – zu § 130a HGB. 32) Poertzgen, ZInsO 2011, 305, 308. 33) § 142 InsO ist auf die Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG nicht entsprechend anwendbar: BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 = NZI 2017, 809. 34) BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 = NZI 2017, 809; Mätzig in: BeckOKGmbHG, § 64 Rz. 52. 35) BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 = NZI 2017, 809; OLG München, Urt. v. 22.6.2017 – 23 U 3769/16, ZIP 2017, 1368 = NZI 2017, 723, dazu EWiR 2017, 753 (Kleindiek). 36) BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133 – zu § 130a HGB; Neuberger, ZIP 2018, 909, 910; Casper, ZIP 2016, 793, 798. 37) BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133 – zu § 130a HGB. 38) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 60, 84. 39) BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/ Giershausen).

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

(1)

Zahlungsunfähigkeit Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit: BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426

12 Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit richtet sich nach § 17 Abs. 2 InsO.40) Danach liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungspflichten sind ausschließlich Geldschulden. Sach- oder Dienstleistungspflichten, z. B. Lieferpflichten, sind daher nur zu berücksichtigen, soweit sie bei Nicht- oder Schlechtleistung in eine Zahlungspflicht (in Form von Schadensersatz) übergangen sind.41) Der insolvenzrechtliche Fälligkeitsbegriff setzt voraus, dass über die Fälligkeit gemäß § 271 BGB hinaus der Gläubiger die geschuldete Zahlung „ernsthaft einfordert“. Dazu genügt jede Handlung des Gläubigers, aus der sich der Wille ergibt, die Erfüllung möglicher Zahlungsansprüche zu verlangen (z. B. Übersendung einer Rechnung).42) 13 Der BGH hat für die Zahlungsunfähigkeit eine Wesentlichkeitsschwelle aufgestellt. Eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich in kurzer Zeit beheben lässt, stellt demnach nur eine Zahlungsstockung dar.43) Dagegen ist von einer relevanten Zahlungsunfähigkeit auszugehen, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Gesamtverbindlichkeiten benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt wird, und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Beträgt die Liquiditätslücke der Gesellschaft weniger als 10 % ihrer fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist von der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft auszugehen, es sei denn, aufgrund konkreter Umstände ist absehbar, dass die Liquiditätslücke demnächst auf über 10 % steigt.44) 14 Um die Zahlungsunfähigkeit zu prüfen, sind die verfügbaren sowie die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Zahlungsmittel einerseits und die am Stichtag fälligen und eingeforderten sowie die innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten andererseits gegenüberzustellen.45) Hierzu hat der Geschäftsführer erforderlichenfalls fachkundige Berater ___________ 40) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 8.10.2009 – IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253, dazu EWiR 2010, 63 (Koza). 41) Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 9; Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, Vor § 64 Rz. 4. 42) BGH, Beschl. v. 16.5.2017 – 2 StR 169/15, ZInsO 2017, 1364. 43) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 44) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 45) BGH, Urt. v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, ZIP 2018, 283 = NZI 2018, 204, dazu EWiR 2018, 179 (K. Schmidt).

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I. Haftung der Geschäftsführung

hinzuzuziehen. Zahlungsmittel sind alle im Zeitpunkt der Überprüfung verfügbaren Mittel der Gesellschaft. In Anlehnung an die Höchstfrist von drei Wochen bei der Abgrenzung zur Zahlungsstockung können alle innerhalb dieser Zeit sicher kurzfristig verwertbaren Gegenstände zu den Aktiva gezählt werden.46) Von den Zahlungsverpflichtungen der Gesellschaft sind nach einhelliger Auffassung einrede- und einwendungsbehaftete Forderungen, z. B. gestundete Forderungen,47) ausgenommen.48) Streitige Zahlungsverpflichtungen bleiben außer Betracht, wenn „ernsthafte Zweifel“ an ihrem Bestand oder ihrer Durchsetzbarkeit bestehen.49) Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO wird Zahlungsunfähigkeit – unabhängig von der 15 Darlegung anhand einer Liquiditätsbilanz – vermutet, wenn der Schuldner die Zahlungen einstellt. Die Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung aus, wenn die noch geleisteten Zahlungen im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden unwesentlich sind. Je nach Höhe und Anteil an den fälligen Gesamtverbindlichkeiten kann auch schon die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit eine Zahlungseinstellung begründen.50) Zudem ist nach der Rechtsprechung eine Zahlungseinstellung anzunehmen, wenn fällige Verbindlichkeiten bestanden haben, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr beglichen worden sind.51) Die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit kann widerlegt werden. Dies kann z. B. gelingen, wenn nachgewiesen wird, dass die Gesellschaft ausreichend Zahlungsmittel hatte und lediglich zahlungsunwillig war, weil sie die Forderung für unbegründet hielt.52) (2)

Überschuldung

Der Begriff der Überschuldung richtet sich nach § 19 Abs. 2 InsO. Eine Über- 16 schuldung liegt grundsätzlich vor, wenn die bestehenden Verbindlichkeiten einer Gesellschaft von deren Vermögen nicht gedeckt sind. Um eine Überschuldung ___________ 46) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, Vor § 64 Rz. 12 m. w. N. 47) OLG Thüringen, Urt. v. 25.5.2016 – 2 U 714/15, GmbHR 2017, 1269; Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 198, 201. 48) Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 84, 114 ff. 49) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, Vor § 64 Rz. 8; vgl. auch BGH, Beschl. v. 29.3.2007 – IX ZB 141/06, ZIP 2007, 1226 = NZI 2007, 408; nach a. A. sind sie stets außer Betracht zu lassen (so Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338) oder mit einem Schätzbetrag anzusetzen (so Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 236). 50) BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482; OLG Thüringen, Urt. v. 25.5.2016 – 2 U 714/15, GmbHR 2017, 1269. 51) BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 = NZI 2011, 589, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel). 52) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 = NZI 2012, 567, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); OLG Thüringen, Urt. v. 25.5.2016 – 2 U 714/15, GmbHR 2017, 1269.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

zu ermitteln, ist eine sog. Überschuldungsbilanz aufzustellen.53) Eine Handelsbilanz hat lediglich indizielle Bedeutung.54) Die Aktivierung einer Forderung in der Überschuldungsbilanz setzt voraus, dass die Forderung einen realisierbaren Vermögenswert darstellt und durchsetzbar ist.55) Ergibt sich aus der Überschuldungsbilanz eine Unterdeckung, ist eine Fortführungsprognose durchzuführen.56) Die Fortführungsprognose fällt positiv aus, wenn nach sorgfältiger Finanzplanung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Gesellschaft entgegen der derzeitigen Krise in nächster Zeit die bestehenden Verbindlichkeiten erfüllen kann.57) Welche Zeitspanne eine solche Prognose umfassen muss, wird letztlich nicht einheitlich beurteilt. Nach der wohl h. M. werden Zeiträume befürwortet, die sowohl das laufende als auch das kommende Geschäftsjahr berücksichtigen.58) cc)

Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 64 Satz 2 GmbHG) Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung: BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468

17 Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind, sind auch bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zulässig. Solche Zahlungen lösen keine Haftung aus. Dies ist nach z. T. vertretener Ansicht bei für die Gesellschaft günstigen Geschäften der Fall, die keine Masseverkürzung bewirken, da im Gegenzug für die Zahlung unmittelbar ein kompensierender Zufluss eintritt (siehe dazu Rz. 10). Erlaubt sind ferner regelmäßig Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs notwendig sind.59) Eine Entlastung des Geschäftsführers über § 64 Satz 2 GmbHG ist auch denkbar, wenn die Zahlung i. R. eines schlüssigen und Erfolg versprechenden Sanierungskonzepts erfolgt, da derartige Zahlungen in der Regel den Gläubigerinteressen ent___________ 53) Wicke-Wicke, GmbHG, § 64 Rz. 5; vgl. zu Aktiva und Passiva der Überschuldungsbilanz Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, Anh. zu § 64 Rz. 39 ff.; Moehlmann-Mahlau/ Schmitt, NZI 2009, 19, 22; Heeg, BB 2011, 1160, 1162. 54) OLG München, Urt. v. 18.1.2018 – 23 U 2702/17, DB 2018, 570 = GmbHR 2018, 368; OLG Hamm, Beschl. v. 17.4.2018 – 9 U 161/17, ZInsO 2018, 1678. 55) OLG Hamburg, Urt. v. 13.10.2017 – 11 U 53/17, ZIP 2017, 2197 = DStR 2017, 2621. 56) Terlau in: Münch-AHB GmbHR, § 10 Rz. 151; eingehend Goette, DStR 2016, 1684 und DStR 2016, 1752. 57) Ulmer/Habersack/Löbbe-Casper, GmbHG, § 64 Rz. 55; s. zu weiteren Einzelheiten der Fortführungsprognose, Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, Vor § 64 Rz. 31 ff.; zur Fortführungsprognose bei Start-up-Unternehmen Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603. 58) OLG Hamburg, Urt. v. 9.11.2018 – 11 U 136/17, ZIP 2019, 416; Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, Vor § 64 Rz. 38; Ulmer/Habersack/Löbbe-Casper, GmbHG, § 64 Rz. 55; nach OLG Brandenburg, Urt. v. 11.1.2017 – 7 U 87/14, BeckRS 2017, 100542, darf der Zeitraum zwei Jahre nur im Ausnahmefall überschreiten. 59) Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2584; BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72 = NZI 2008, 1226.

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I. Haftung der Geschäftsführung

sprechen werden.60) Zahlungen zur Erhaltung der Sanierungschancen sind jedoch nur für einen kurzfristigen Zeitraum privilegiert. In der Regel müssen die Sanierungsbemühungen innerhalb von drei Wochen abgeschlossen sein.61) Zulässig sind schließlich Zahlungen zur Erfüllung steuerlicher Pflichten sowie Zahlungen, bei deren Verweigerung strafrechtliche Sanktionen drohen.62) Hierunter fällt z. B. die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung.63) 18

Praxishinweis Das Vorenthalten von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung ist hingegen nicht strafbedroht nach § 266a Abs. 1 StGB. Zahlt der Geschäftsführer nach Insolvenzreife der Gesellschaft solche Beiträge, kann dies eine Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 GmbHG auslösen.64)

dd)

Verschulden

Bereits ein fahrlässiger Verstoß gegen das Zahlungsverbot führt zu der Haftung 19 des Geschäftsführers. Dieser muss insbesondere keine positive Kenntnis der Insolvenzreife haben. Eine Erkennbarkeit genügt insofern.65) Dabei muss sich der Geschäftsführer auch solche Kenntnisse über die Verhältnisse der GmbH zurechnen lassen, die er anderweitig und nicht in seiner Eigenschaft als GmbHGeschäftsführer, z. B. als Geschäftsführer der Muttergesellschaft der GmbH, erlangt hat.66) Ein schuldhaftes Handeln des Geschäftsführers scheidet grundsätzlich aus, wenn 20 er bei fehlender eigener Sachkunde den Rat eines sachkundigen Dritten einholt, diesen ausreichend über alle wesentlichen zur Beurteilung erforderlichen Sachverhalte informiert und anschließend dessen Rat nach eigener Plausibilitätskontrolle befolgt.67) Die den Geschäftsführer entlastende Beauftragung eines sachkundigen Dritten muss nicht ausdrücklich auf die Prüfung der Insolvenzreife bezogen sein, sofern der Geschäftsführer sich nach den Umständen der Auftragserteilung darauf verlassen durfte, dass der sachkundige Dritte i. R. der anderweitigen Beauftragung auch die Frage der Insolvenzreife rechtzeitig prüfen und ___________ 60) Strohn, NZG 2011, 1161, 1166; Bunnemann in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Rz. 240. 61) OLG München, Urt. v. 18.1.2018 – 23 U 2702/17, DB 2018, 570 = GmbHR 2018, 368; OLG München, Urt. v. 22.6.2017 – 23 U 3769/16, ZIP 2017, 1368 = NZI 2017, 723; OLG Hamburg, Urt. v. 25.6.2010 – 11 U 133/06, ZIP 2010, 2448 = NZG 2010, 1225. 62) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 126, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BFH, Urt. v. 26.9.2017 – VII R 40/16, ZIP 2018, 22 = NZI 2018, 117. 63) BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468, dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann). 64) BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468. 65) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 104. 66) OLG München, Urt. v. 5.10.2016 – 7 U 1996/16, GmbHR 2017, 147. 67) BGH, Urt. v. 14.4.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265.

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ihn gegebenenfalls unterrichten werde.68) Der Geschäftsführer darf sich bei der Hinzuziehung sachkundiger Dritter aber nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss ggf. auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken.69) ee)

Eröffnung des Insolvenzverfahrens

21 Der Anspruch nach § 64 Satz 1 GmbH entsteht bereits mit Vornahme der verbotenen Zahlung.70) Da die Vorschrift aber darauf abzielt, das Gesellschaftsvermögen im Interesse einer ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller künftigen Insolvenzgläubiger zu erhalten, setzt die Geltendmachung des Ersatzanspruchs im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus.71) Der Anspruch ist vom Insolvenzverwalter geltend zu machen; die Gläubiger sind selbst nicht aktivlegitimiert. Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber mangels Masse abgelehnt, können die Gläubiger den Anspruch nach § 64 Satz 1 GmbH (jeder in vollem Umfang) pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.72) ff)

Darlegungs- und Beweislast

22 Die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trifft die Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter.73) Für den Geschäftsführer günstige Tatsachen hat hingegen dieser darzulegen und zu beweisen. Dies gilt insbesondere für eine kompensierende Gegenleistung,74) die positive Fortführungsprognose trotz rechnerischer Überschuldung,75) die Einhaltung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes76) und fehlendes Verschulden.77) ___________ 68) BGH, Urt. v. 26.1.2016 – II ZR 394/13, ZIP 2016, 1119 = NZI 2016, 588, dazu EWiR 2016, 587 (Kleindiek). 69) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 = NZI 2012, 567; OLG München, Urt. v. 22.6.2017 – 23 U 3769/16, ZIP 2017, 1368 = NZI 2017, 723. 70) BGH, Beschl. v. 23.9.2010 – IX ZB 204/09, ZIP 2010, 2107 = NZI 2011, 73, dazu EWiR 2010, 759 (U. Keller). 71) BGH, Urt. v. 15.3.2016 – II ZR 119/14, ZIP 2016, 821 = NZG 2016, 550, dazu EWiR 2016, 329 (Seidel); OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.9.2017 – 8 U 97/16, juris; Müller in: MünchKommGmbHG, § 64 Rz. 173. 72) BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896 = NJW 2001, 304, dazu EWiR 2000, 1159 (Keil); Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 22. 73) BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/ Breßler). 74) Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 41. 75) BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09 (Fleischgroßhandel), ZIP 2010, 2400 = DStR 2011, 130, dazu EWiR 2011, 353 (Freitag); OLG München, Urt. v. 18.1.2018 – 23 U 2702/17, DB 2018, 570 = GmbHR 2018, 368. 76) BGH, Urt. v. 18.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468. 77) OLG München, Urt. v. 28.11.2007 – 7 U 5444/05, GmbHR 2008, 320, dazu EWiR 2008, 275 (M. Klein).

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I. Haftung der Geschäftsführung

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Praxishinweis Der Geschäftsführer kann sich in der Regel nicht damit entlasten, dass er lediglich einen Gesellschafterbeschluss zur Zahlung ausgeführt habe, da der Ersatzanspruch grundsätzlich zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sein wird.78)

b)

Insolvenzverursachung durch Zahlungen an Gesellschafter (§ 64 Satz 3 GmbHG)

Der Geschäftsführer haftet für Zahlungen an Gesellschafter, die erkennbar in 24 die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft münden.79) Mit diesem Erstattungsanspruch aus § 64 Satz 3 GmbHG soll der Gläubigerschutz ausgeweitet werden. In Ergänzung zu § 30 GmbHG sollen Vermögensverschiebungen zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern verhindert werden, die zwar das Stammkapital der Gesellschaft unberührt lassen, jedoch zur Illiquidität der Gesellschaft führen.80) Anders als bei § 64 Satz 1 GmbHG muss sich die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Zahlung nicht bereits in der Krise befinden.81) Der Begriff der Zahlung in § 64 Satz 3 GmbHG ist nach h. M. ebenso auszulegen wie bei § 64 Satz 1 GmbHG (siehe hierzu ausführlich oben Rz. 7).82) Zahlungen sind demnach nicht nur Geldleistungen, sondern auch sonstige vergleichbare Leistungen zulasten des Gesellschaftsvermögens.83) Ein Schaden ist keine Haftungsvoraussetzung.84) Etwaig geflossene Gegenleistungen sind von dem Erstattungsanspruch in Abzug zu bringen.85) Den Geschäftsführer muss für eine Haftung Verschulden treffen, wobei Fahr- 25 lässigkeit ausreicht (siehe auch bereits Rz. 19).86) Eine Haftung scheidet aus, wenn für den Geschäftsführer auch unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennbar war, dass eine Zahlung die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft bedeutet.87) Steht § 64 Satz 3 GmbHG einer Zahlung entgegen, ändert auch ein Gesellschafterbeschluss über die Zahlung nichts an der Haftung.88)

___________ 78) Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2584; vgl. §§ 64 Satz 4, 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG. 79) Vgl. auch § 130a Abs. 1 Satz 3 HGB, §§ 92 Abs. 2 Satz 3, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG. 80) Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2584; Bunnemann in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Rz. 182 ff. 81) Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 198, 203. 82) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 125; Knof, DStR 2007, 1536, 1537. 83) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. 84) Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 63. 85) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 86) Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 61. 87) Bunnemann in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Rz. 238. 88) Scholz-K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rz. 104, s. a. § 64 Satz 2 GmbHG i. V. m. § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG.

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Eine entsprechende Weisung durch die Gesellschafter bindet den Geschäftsführer insofern nicht.89) 26 Die Darlegungs- und Beweislast für eine mögliche Exkulpation trifft den Geschäftsführer. Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind vom Anspruchsinhaber – hier in der Regel dem Insolvenzverwalter – darzutun und zu beweisen.90) aa)

Zahlungsempfänger

27 Nach dem Wortlaut von § 64 Satz 3 GmbHG löst nur die Zahlung an einen Gesellschafter den Ersatzanspruch aus. Eine Haftung kann daher insbesondere bei Konzernbeziehungen relevant werden, da in solchen Konstellationen häufig Zahlungen an Gesellschafter, z. B. i. R. von Cash-Pooling oder konzerninternen Leistungsbeziehungen, vorzunehmen sind.91) 28

Praxishinweis Insbesondere beim Cash-Pooling hat der Geschäftsführer nicht nur die Liquidität der eigenen Gesellschaft im Auge zu behalten. Vielmehr ist er gehalten, die Liquidität der Gesellschafter dahingehend zu beurteilen, ob sie in der Lage sind, die in den Cash-Pool eingebrachten Gelder bei Bedarf zurückzuzahlen.92)

29 Werden Verbindlichkeiten eines Gesellschafters bei Dritten beglichen, die mit diesem in einem wirtschaftlichen Näheverhältnis stehen, kommen die Leistungen ebenfalls dem Gesellschafter zugute, so dass auch solche Auskehrungen als Leistungen an den Gesellschafter zu qualifizieren sein können. Zu denken ist insoweit an Zahlungen i. R. eines Management-Buy-Outs oder nicht an die Mutter-, sondern an eine Schwestergesellschaft.93) Dasselbe wird auch mit Blick auf Zahlungen an Personen, zu denen der Gesellschafter ein besonderes persönliches Näheverhältnis hat, diskutiert, z. B. bei Zahlungen an enge Verwandte.94) bb)

Kausale Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft Zahlung auf fällige und durchsetzbare Forderungen der Gesellschafter: BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391

30 Die Zahlung muss ursächlich für die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gewesen sein (zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit siehe Rz. 12). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers muss die Zahlung ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zur ___________ BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391, dazu EWiR 2013, 75 (Bork). Bunnemann in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Rz. 242. Bunnemann in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Rz. 185. Erne, GWR 2009, 387; Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2582. Niesert/Hohler, NZI 2009, 345, 439; Knof, DStR 2007, 1536, 1538; Ulmer/Habersack/ Winter-Caspar, GmbHG, § 64 Rz. 141. 94) Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 164.

89) 90) 91) 92) 93)

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Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen.95) Die Zahlung an den Gesellschafter braucht zwar weder der alleinige Grund für die Illiquidität zu sein, noch muss die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar mit der Auszahlung eintreten. Es muss sich aber klar abzeichnen, dass die Gesellschaft unter normalem Verlauf der Dinge ihre Verbindlichkeiten nicht mehr wird erfüllen können.96) Außergewöhnliche Ereignisse und Zwischenschritte sind dem Geschäftsführer nicht zuzurechnen.97) Ist die Gesellschaft bereits vor der Zahlung an die Gesellschafter zahlungsunfähig, 31 scheidet eine Haftung nach § 64 Satz 3 GmbHG aus.98) Dies ist nach jüngster Rechtsprechung des BGH der Fall bei Zahlungen auf im insolvenzrechtlichen Sinne fällige und durchsetzbare Forderungen eines Gesellschafters, deren Berücksichtigung in der Liquiditätsbilanz bereits zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führt.99) Nach weit verbreiteter Literaturansicht sollten solche Gesellschafterforderungen bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit auszublenden sein.100) Dem ist der BGH nicht gefolgt. Eine Schutzlücke entsteht insoweit aus Sicht der Gesellschaft auch nicht. Der Geschäftsführer haftet nach § 64 Satz 1 GmbHG für geleistete Zahlungen, wenn die Gesellschaft unter Berücksichtigung der Gesellschafterforderung bereits zahlungsunfähig ist.101) Um nicht in die persönliche Haftung zu geraten, hat der Geschäftsführer eine 32 Solvenzprognose vorzunehmen, um beurteilen zu können, ob eine Zahlung zur Zahlungsunfähigkeit führen muss. Ist nach einer solchen Prognose die Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich, darf die Zahlung nicht erfolgen.102) Das Gesetz schreibt die Art und Weise der Solvenzprüfung nicht vor. Voraussetzung für eine wirksame Prognose wird aber ein ordnungsgemäß erstellter Finanz- und Liquiditätsplan sein müssen.103) c)

Insolvenzverschleppung (§ 43 Abs. 2 GmbHG)

Der Geschäftsführer haftet der Gesellschaft über § 43 Abs. 2 GmbHG für Schä- 33 den, die dieser dadurch entstanden sind, dass er der Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung104) nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig nachgekommen ist. ___________ 95) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 f.; vgl. auch Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 58. 96) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 97) OLG Celle, Urt. v. 9.5.2012 – 9 U 1/12, ZIP 2012, 2394 = DStR 2013, 55, dazu EWiR 2013, 203 (Giedinghagen/Göb) – Stützungszahlungen einer Muttergesellschaft. 98) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391. 99) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391. 100) Vgl. z. B. Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 167; Spliedt, ZIP 2009, 149, 159; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 567, 569. 101) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11; ZIP 2012, 2391. 102) Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 59; Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681, 685. 103) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 138. 104) S. hierzu Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 198.

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aa)

Frist zur Insolvenzantragstellung

34 Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Insolvenzantrag ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit siehe bereits Rz. 12) oder Überschuldung (zum Begriff siehe Rz. 16) zu stellen. Diese Höchstfrist soll nur dann ausgeschöpft werden dürfen, wenn Aussicht auf eine Sanierung besteht und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.105) Die Frist beginnt bereits bei fahrlässiger Unkenntnis oder Erkennbarkeit der insolvenzauslösenden Tatbestände.106) 35

Praxishinweis Der Geschäftsführer sollte daher möglichst frühzeitig die Hilfe eines fachkundigen Beraters einholen, um nicht durch ein Fristversäumnis in die persönliche Haftung zu geraten. Fehlt der Geschäftsführung ausreichende persönliche Kenntnis und Fachkunde, ist sie sogar verpflichtet, sich entsprechend beraten zu lassen.107)

bb)

Verschulden

36 Die Haftung wegen Insolvenzverschleppung setzt Verschulden voraus, wobei einfache Fahrlässigkeit ausreicht.108) Das Verschulden wird vermutet. Der Geschäftsführer kann sich jedoch exkulpieren. Er muss in diesem Fall darlegen und beweisen, dass die Insolvenzreife ausnahmsweise nicht erkennbar war.109) Eine Erleichterung der Darlegungslast nach der sog. Business Judgement Rule110) scheidet aus, weil die Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine unternehmerische Entscheidung ist.111) cc)

Gesellschafterweisung

37 Offen ist, ob der Geschäftsführer auch dann haftet, wenn die verzögerte oder unterbliebene Antragstellung auf einer Weisung der Gesellschafter beruht.112) ___________ 105) Ulmer/Habersack/Winter-Caspar, GmbHG, § 64 Rz. 160; Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 198, 201. 106) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15a Rz. 14 m. w. N.; ähnlich BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184 = NJW 2000, 668. 107) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 = NZI 2012, 567. 108) Müller in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rz. 181. 109) BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 = NZI 2012, 708; Strohn, NZG 2011, 1161, 1162. 110) S. hierzu Baumbach/Hueck-Zöllner, GmbHG, § 43 Rz. 22. 111) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121, EWiR 2013, 483 (Jakobs/ Hoffmann); Fleischer in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rz. 82, und Müller in: MünchKommGmbHG, § 64 Rz. 25, billigen der Geschäftsführung in Insolvenzsituationen aber gewisse Diskretionsspielräume zu. 112) Offengelassen von BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891 = DStR 1994, 1092; für eine Insolvenzantragspflicht trotz ausstehender oder anderslautender Entscheidung der Gesellschafterversammlung Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 198, 201 f.

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I. Haftung der Geschäftsführung

Eine solche Weisung kann die Ersatzpflicht des Geschäftsführers jedenfalls wegen § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG nicht ausschließen, wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist.113) dd)

Weitere Folgen für den Geschäftsführer

Die Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen und richtigen Antragstellung auf 38 Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist strafbewehrt mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (bei Fahrlässigkeit) bzw. bis zu drei Jahren (bei Vorsatz) oder einer Geldstrafe, vgl. § 15a Abs. 4 und Abs. 5 InsO.114) Ein wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung verurteilter Geschäftsführer kann zudem für die Dauer von fünf Jahren ab Rechtskraft des Urteils kein Geschäftsführer einer Gesellschaft sein (sog. Inhabilität), vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. a GmbHG. Der Geschäftsführer verliert seine Organstellung mit Rechtskraft des Urteils kraft Gesetzes. Eine Abberufung ist nicht nötig.115) d)

Weitere Haftungstatbestände (§ 43 Abs. 2 GmbHG)

§ 43 Abs. 1 GmbHG verpflichtet den Geschäftsführer generell zur Einhaltung der 39 Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Aus dieser allgemeinen Sorgfaltspflicht der Geschäftsführung entspringen auch Pflichten, die insbesondere während der wirtschaftlichen Krise des Unternehmens relevant werden. Kommt der Geschäftsführer diesen Pflichten schuldhaft nicht nach, haftet er gegenüber der Gesellschaft persönlich für einen dieser daraus entstandenen Schaden nach § 43 Abs. 2 GmbHG. So folgt aus § 43 Abs. 1 GmbHG mittelbar die Pflicht der Geschäftsführung, sich fortlaufend über alle wesentlichen Angelegenheiten der Gesellschaft zu informieren. Nur auf ausreichender und aktueller Informationsgrundlage lassen sich Risiken frühzeitig erkennen und ist es der Geschäftsführung möglich, rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Insofern wird angenommen, die Geschäftsführung habe die Organisation der Gesellschaft so zu strukturieren, dass jederzeit eine taggenaue Liquiditätsdarstellung verfügbar ist. Erforderlichenfalls sollen geeignete Corporate-Compliance-Strukturen implementiert werden müssen.116) Bei der konkreten Ausgestaltung der Unternehmensorganisation kann der Geschäftsführer i. R. seines unternehmerischen Ermessens handeln.117) Des Weiteren kommt eine Haftung des Geschäftsführers in Betracht, falls er ge- 40 eignete Sanierungsmaßnahmen nicht unternommen oder zumindest geprüft ___________ 113) S. hierzu auch Baumbauch/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 165; Meixner, DStR 2018, 1025, 1026. 114) S. hierzu Schmidt/Gundlach, DStR 2018, 198, 203 f. 115) Bunnemann in: Bunnemann/Zirngibl, Die GmbH in der Praxis, § 3 Rz. 173. 116) Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rz. 17; Bellen/Stehl, BB 2010, 2579, 2580. 117) Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, GmbHG, § 43 Rz. 17.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

hat.118) Schließlich können Verstöße gegen ausdrücklich normierte Kapitalschutzpflichten eine persönliche Inanspruchnahme des Geschäftsführers über § 43 Abs. 2 GmbHG bedeuten. Insoweit ist insbesondere das Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zu nennen. So ist vor allem in Phasen der Unternehmenskrise zu prüfen, ob das Gesellschaftsvermögen unter Einbeziehung der Verbindlichkeiten ausreicht, um das Stammkapital abzudecken.119) Weisungen der Gesellschafter über Auszahlungen sind in solchen Fällen nicht bindend.120) 41 Im Zusammenhang mit der Insolvenzantragstellung kommt eine Haftung des Geschäftsführers nicht nur in Betracht, wenn er einen solchen Antrag trotz Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig stellt (siehe hierzu bereits oben Rz. 33 ff.). Vielmehr kann eine schuldhafte Pflichtverletzung gerade auch darin liegen, dass der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag stellt, ohne dass eine Antragspflicht oder nur ein Antragsrecht bestand.121) Der zu ersetzende Schaden kann z. B. in der Vergütung des Insolvenzverwalters und den Kosten des Insolvenzverfahrens bestehen.122) Eine solche Ersatzpflicht kann insbesondere bei drohender Zahlungsunfähigkeit relevant werden. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit besteht – anders als nach § 15a InsO bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit – keine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags. § 18 Abs. 3 InsO räumt organschaftlichen Vertretern und persönlich haftenden Gesellschaftern in einer solchen Lage lediglich ein Antragsrecht ein. Nach der h. M. in der Literatur123) und einer Entscheidung des OLG München124) soll der Geschäftsführer von diesem Antragsrecht nur Gebrauch machen dürfen, wenn er zuvor einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss eingeholt hat. Besteht ein Entscheidungsspielraum, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird, solle dieser durch die wirtschaftlichen Eigentümer der Gesellschaft ausgefüllt werden, da aus deren Sicht eine Insolvenzverfahrenseröffnung letztlich einer Auflösung der Gesellschaft gleichkomme.125) 3.

Haftung im Außenverhältnis

42 Grundsätzlich haftet die Gesellschaft geschädigten Dritten bei Pflichtverletzungen von Geschäftsführern, da dieser das Handeln ihrer Organmitglieder zugerechnet ___________ 118) Kleindiek in: FS Schneider, S. 617, 619 ff.; Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 221. 119) Gogger, Insolvenzgläubiger-Hdb., § 3 Rz. 571. 120) OLG München, Urt. v. 9.8.2018 – 23 U 2936/17, BeckRS 2018, 20350; Gogger, Insolvenzgläubiger-Hdb., § 3 Rz. 571. 121) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121. 122) S. OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121. 123) Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593 m. w. N. 124) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121. 125) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121; zustimmend Wertenbruch, DB 2013, 1592, 1593.

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I. Haftung der Geschäftsführung

wird. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers kommt aber in Betracht, wenn er gegen drittschützende Normen verstößt oder z. B. i. R. von Vertragsverhandlungen besonderes persönliches Vertrauen des Geschäftspartners in Anspruch nimmt. a)

Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO) Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Neugläubigerschadens: BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 = NZG 2011, 624

Die Regelung zur Insolvenzantragspflicht ist nach ständiger Rechtsprechung des 43 BGH ein Schutzgesetz zum Wohle der Gesellschaftsgläubiger.126) Die schuldhafte verspätete oder nicht ordnungsgemäße Antragstellung (siehe hierzu bereits ausführlich oben Rz. 33 ff.) kann daher zu einer Inanspruchnahme des Geschäftsführers durch die Gläubiger der Gesellschaft nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO führen. Mit Blick auf den Haftungsumfang ist zwischen Alt- und Neugläubigern zu un- 44 terscheiden. Altgläubiger haben ihre Forderung vor dem Zeitpunkt erworben, zu dem die Gesellschaft Insolvenz hätte anmelden müssen. Neugläubiger sind dementsprechend alle Gläubiger, die ihre Forderung nach diesem Zeitpunkt erworben haben.127) x

Altgläubiger erleiden einen Schaden, weil sich die Quote, die sie auf ihre Forderung erhalten, durch die Insolvenzverschleppung verschlechtert hat. Sie können daher nur die Differenz zwischen der bei rechtzeitiger Antragstellung erreichbaren und der tatsächlich erzielten Insolvenzquote (sog. „Quotenschaden“) vom Geschäftsführer ersetzt verlangen.128)

x

Dagegen können Neugläubiger den Ersatz ihres gesamten Schadens verlangen, den sie durch die verspätete Antragstellung erlitten haben. Ersatzfähig ist das sog. negative Interesse (Vertrauensschaden).129) Das ist typischerweise der Schaden, der dadurch entsteht, dass der Neugläubiger gegenüber der insolvenzreifen Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz in Vorleistung tritt, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine ent-

___________ 126) BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 = NZG 2011, 624; BGH, Urt. v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, NJW 1959, 623. 127) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 = NJW 1994, 2220; BGH, Urt. v. 15.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 790, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); Schmidt/ Gundlach, DStR 2018, 198, 202. 128) Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 75; Strohn, NZG 2011, 1161, 1162; zur Berechnung des Quotenschadens etwa Meixner, DStR 2018, 966, 967 f.; Neuberger, ZIP 2018, 909, 910. 129) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 = NJW 1994, 2220; BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 = NZG 2009, 750, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); Meixner, DStR 2018, 966, 967.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

sprechende Gegenleistung zu erlangen, oder infolge des Vertragsschlusses Aufwendungen erbracht hat.130) Erfasst ist aber auch ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns, wenn der Neugläubiger ohne den Vertragsschluss mit der insolventen Gesellschaft einen anderweitigen Gewinn hätte erzielen können.131) Der geltend gemachte Schaden muss mit der Insolvenzreife der Gesellschaft in einem inneren Zusammenhang stehen.132) Mit dem BGH ist davon auszugehen, dass ausschließlich vertragliche Ansprüche dem besonderen Neugläubigerschutz unterfallen.133) Für die Haftung gegenüber Neugläubigern genügt es, wenn die Insolvenzreife für einen Zeitpunkt vor dem Vertragsschluss bewiesen ist, der Vertragsschluss relativ zeitnah (innerhalb von acht bis zwölf Monaten) nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgt und der Geschäftsführer nicht seinerseits darlegen kann, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Insolvenzantragspflicht wieder entfallen war.134) 45 Neugläubiger sind befugt, ihre Ansprüche gegenüber dem Geschäftsführer selbst geltend zu machen.135) Altgläubiger hingegen sind nicht selbst prozessführungsbefugt. Ihre Ansprüche werden gemäß § 92 InsO vom Insolvenzverwalter für eine Sondermasse zugunsten der Altgläubiger verfolgt.136) Nur bei Verfahrensabweisung mangels Masse können Altgläubiger ihre Ansprüche eigenständig verfolgen.137) b)

Vorsätzliche sittenwidrige Insolvenzverschleppung (§ 826 BGB) Ersatz gezahlten Insolvenzgelds: BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361 = NZI 2008, 242

46 Einer vorsätzlichen sittenwidrigen Insolvenzverschleppung kommt insbesondere dann Relevanz zu, wenn der Geschädigte nicht vom Schutzbereich des § 823 ___________ 130) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 = NZI 2015, 234, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel). 131) OLG Brandenburg, Urt. v. 11.1.2017 – 7 U 87/14, BeckRS 2017, 100542; Meixner, DStR 2018, 966, 969. 132) Dies ist nach BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 = NZI 2015, 234, nicht der Fall, wenn der Schaden auf einer unerlaubten Handlung eines Dritten beruht, der zudem in keiner Beziehung zur insolventen Gesellschaft steht. 133) BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734 = NJW 2005, 3137; BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 = NZI 2012, 708; so auch Rodewald, GmbHR 2009, 1301, 1303, a. A. Wagner/Bronny, ZInsO 2009, 622, 623. 134) OLG Brandenburg, Urt. v. 11.1.2017 – 7 U 87/14, BeckRS 2017, 100542. 135) BGH, Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 108/93, NJW 1995, 398, 399 = ZIP 1995, 211; OLG München, Urt. v. 18.5.2017 – 23 U 5003/16, BeckRS 2017, 112376; Meixner, DStR 2018, 966, 969. 136) BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 = NJW 1998, 2667; Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617, 627. 137) Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 Rz. 76.

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I. Haftung der Geschäftsführung

Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO erfasst ist. Dies gilt z. B. für den Fall, dass die Bundesagentur für Arbeit, die in Folge von Lohnrückständen Insolvenzgeld an die Arbeitnehmer der insolventen Gesellschaft ausgezahlt hat, den Geschäftsführer wegen verspäteter Insolvenzantragstellung in Anspruch nehmen möchte.138) Eine Haftung scheidet mangels Schaden aber aus, wenn die Arbeitsverwaltung Insolvenzgeld auch bei rechtzeitiger Antragstellung in derselben Höhe hätte zahlen müssen.139) Dabei ist es unerheblich, ob das tatsächlich gezahlte Insolvenzgeld bei einer früheren Antragstellung für dieselben Arbeitnehmer hätte bezahlt werden müssen. Die Zahlung von Insolvenzgeld an nach Kenntnis der Insolvenzreife neu eingestellte Arbeitnehmer begründet also nur dann einen Schaden der Bundessagentur für Arbeit, wenn eine rechtzeitige Antragstellung dazu geführt hätte, dass Insolvenzgeld insgesamt nicht oder nur in geringerem Umfang hätte gezahlt werden müssen.140) Eine Haftung aus § 826 BGB entfällt generell, wenn der Geschäftsführer einen 47 Antrag unterlassen hat, weil er die Unternehmenskrise nach den konkreten Umständen für überwindbar bzw. Sanierungsbemühungen als erfolgversprechend ansehen durfte.141) Hierfür trägt er die Darlegungslast.142) Im Rahmen von § 826 BGB ist nicht nur der Vertrauensschaden, sondern auch das positive Interesse zu ersetzen.143) c)

Verschulden bei Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 BGB)

Eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (§§ 280 Abs. 1, 48 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB) kann greifen, wenn der Geschäftsführer Verbindlichkeiten für die Gesellschaft eingeht und dabei die Insolvenzreife verschweigt.144) Grundsätzlich ist Anspruchsgegner in diesem Fall die Gesellschaft, da diese vom Geschäftsführer beim Vertragsschluss vertreten wird. Der Geschäftsführer haftet nach der Rechtsprechung nur dann persönlich, wenn er entweder ein wirtschaftliches Eigeninteresse an dem Rechtsgeschäft hatte oder besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat.145) ___________ 138) BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361 = NZI 2008, 242; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.10.2017 – 1 U 20/16, ZInsO 2017, 2757; Wagner/Bronny, ZInsO 2009, 622, 624. 139) BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361 = NZI 2008, 242; OLG Frankfurt, Urt. v. 26.10.2017 – 1 U 20/16, ZInsO 2017, 2757; LG Köln, Urt. v. 4.3.2015 – 17 O 162/14, BeckRS 2016, 09522. 140) BGH, Beschl. v. 20.6.2017 – VI ZR 629/16, BeckRS 2017, 118551; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.10.2017 – 1 U 20/16, ZInsO 2017, 2757. 141) BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140 = NJW-RR 1991, 1312. 142) BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361 = NZI 2008, 242. 143) Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 301. 144) Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 852; Poertzgen, ZInsO 2010, 416. 145) BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140 = NJW-RR 1991, 1312.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

49 Eine Eigenhaftung des Geschäftsführers wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses kommt praktisch nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. So genügt nach der Rechtsprechung für die Annahme eines wirtschaftlichen Eigeninteresses nicht, dass der Geschäftsführer Allein- oder Mehrheitsgesellschafter ist,146) eine Provision für den Abschluss eines bestimmten Rechtsgeschäfts erhalten soll,147) dingliche Sicherheiten stellt oder Bürgschaften übernimmt.148) 50 In Betracht kommt eine Inanspruchnahme wegen Verschuldens bei Vertragsschluss eher, wenn der Geschäftsführer besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat, welches über das bei Verhandlungen übliche Vertrauen hinausgeht.149) Behauptet der Geschäftsführer etwa nur, dass er bestimmte Zahlungsvorgänge persönlich überwachen wird, nimmt er kein besonderes Vertrauen in Anspruch, da solche Handlungen zu seinem üblichen Arbeitsbereich zählen.150) Gleiches gilt, wenn der Geschäftsführer erklärt, dass finanzielle Mittel für das Unternehmen kein Problem seien oder dass keine finanziellen Schwierigkeiten bestünden.151) Erklärt er aber darüber hinaus explizit, er habe vor Übernahme der persönlichen Haftung als Gesellschafter die Vermögenssituation überprüft und sei sich sicher, dass eine bestimmte Zahlung geleistet werden kann, wird von der Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens auszugehen sein.152) Dasselbe gilt, wenn der Geschäftsführer ausdrücklich Garantien abgibt. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer verspricht, bei Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in jedem Fall Kapital nachzuschießen.153) Schließlich ist eine persönliche Haftung denkbar, wenn der Geschäftsführer bei Vertragsgesprächen seine außergewöhnliche Sachkunde über Gebühr betont oder explizit darauf hinweist, dass ein maßgebliches Herstellungsverfahren von ihm persönlich entwickelt wurde.154) d)

Weitere Haftungstatbestände

51 Eine Außenhaftung des Geschäftsführers kann sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. strafrechtlichen Schutzgesetzen ergeben. Zu nennen sind hier insbesonde___________ 146) BGH, Urt. v. 15.7.2002 – II ZR 225/00, DStR 2002, 1541; OLG Köln, Urt. v. 10.7.1996 – 27 U 109/95, BB 1997, 12. 147) BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, ZIP 1992, 694 = DStR 1992, 954. 148) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 = NJW 1994, 2220. 149) Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführer, Rz. 859. 150) OLG Köln, Urt. v. 1.9.1999 – 2 U 19/99, DStR 2000, 1662. 151) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 = NJW 1994, 2220; OLG Köln, Urt. v. 10.7.1996 – 27 U 109/95, BB 1997, 112. 152) OLG Zweibrücken, Urt. v. 25.10.2001 – 4 U 71/00, NZG 2002, 423. 153) BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 248/99, ZIP 2001, 1496 = NZG 2001, 888; Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 867 ff. 154) Drescher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 864 ff.

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II. Haftung von Beratern

re Betrug (§ 263 StGB) und Bankrott (§ 283 StGB).155) Praktische Relevanz hat vor allem die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB wegen des Nichtabführens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (siehe hierzu bereits Rz. 17). Dabei soll der Geschäftsführer nicht für entstandene Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV haften.156) Zudem haftet der Geschäftsführer nach §§ 34, 69 AO für vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht abgeführte Steuern der GmbH. Diese Haftung soll auch dann nicht ausgeschlossen sein, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO fällt.157) II.

Haftung von Beratern

Eine Haftung von Beratern kommt in der Krise insbesondere in Betracht, wenn 52 die Insolvenzreife der Gesellschaft nicht oder nicht rechtzeitig erkannt wird. Eine Pflichtverletzung des Beraters kann aber z. B. auch vorliegen, wenn er gegenüber der Gesellschaft in Krisenzeiten i. R. der Prüfung verschiedener Handlungsmöglichkeiten nur eine Variante als alternativlos darstellt, obwohl verschiedene Wege aus der Krise heraus möglich sind.158) Auch die Haftung des Beraters kennt mehrere Richtungen. Berater können grundsätzlich gegenüber der Gesellschaft, dem Geschäftsführer oder aber auch gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ersatzpflichtig sein. 1.

Haftung gegenüber der Gesellschaft

a)

Vertragliche Haftung Aufklärungspflichten des Rechtsanwalts bei Zahlungsunfähigkeit: BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33 = NJW 2001, 517

Die fehlerhafte Beurteilung der Insolvenzreife durch den Berater kann dessen 53 Haftung aus positiver Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) auslösen. Entscheidend kommt es dabei auf die konkret im Geschäftsbesorgungs- oder Werkvertrag vereinbarte Leistungspflicht an. Ist eine Gesellschaft erkennbar zahlungsunfähig und besteht die Aufgabe des Beraters (auch) darin, sich mit dieser Zahlungsunfähigkeit zu befassen, obliegt es ihm, die Geschäftsleitung über die Pflicht zur Insolvenzantragstellung und das Verbot, Zahlungen zu leisten, aufzuklären.159) Eine diesbezügliche Pflichtverletzung wird eindeutig zu bejahen sein, wenn die ___________ 155) Vgl. hierzu ausführliche Darstellung bei Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1568 ff. 156) BFH, Urt. v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, DStR 2008, 2169, 2170 = ZIP 2008, 2075, dazu EWiR 2009, 79 (Kuhn). 157) BGH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122. 158) Ehlers, BB 2013, 1539. 159) BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33 = NJW 2001, 517.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

explizite Frage nach der Insolvenzreife falsch beantwortet wird.160) Aus Sicht des Beraters kommt es daher maßgeblich darauf an, Inhalt und Umfang der geschuldeten Beratungsleistungen exakt abzugrenzen. Die mündliche Unterredung über die Insolvenzantragspflicht kann als Prüfauftrag mit entsprechenden Haftungsfolgen gewertet werden.161) 54 Fraglich ist, ob der Berater, der anlässlich seines Auftrags – z. B. Steuerberater bei der Bilanzerstellung – die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft erkennt, verpflichtet ist, die Geschäftsführung hierauf hinzuweisen, auch wenn kein expliziter Prüfauftrag mit Blick auf die Pflicht zur Insolvenzantragstellung vorliegt. Der BGH hat eine solche Nebenpflicht kraft überlegenen Wissens mit der Begründung, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft handele es sich um eine originäre Geschäftsführungsaufgabe, zunächst abgelehnt.162) Davon ist der BGH mit Entscheidung vom 26.1.2017163) nun teilweise abgerückt. Ein (nur) mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragter Steuerberater, der die Gesellschaft trotz offenkundiger Anhaltspunkte nicht auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinweist, haftet der Gesellschaft auch, wenn er nicht ausdrücklich mit dieser Prüfung beauftragt war, sofern er annehmen musste, dass die mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft nicht bewusst ist.164) Offenkundige Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund bestehen z. B., wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen oder die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt. Diese Rechtsprechung dürfte auch auf die Tätigkeit andere Berater, etwa Abschlussprüfer, übertragbar sein.165) Sie soll hingegen – unabhängig von der Art des Beraters – nicht für Verträge über eine Sanierungsberatung gelten.166) Im Zusammenhang mit Sanierungsversuchen kann daher weiter angenommen werden, dass eine Hinweis- und ___________ 160) BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); Commandeur/Utsch, NZG 2012, 1376. 161) BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165, EWiR 2012, 509 (Westermann). 162) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 = DB 2013, 928, EWiR 2013, 477 (Baumert); vgl. auch OLG Celle, Urt. v. 6.4.2011 – 3 U 190/10, DStR 2012, 539; KaiserOetjen, DStR 2011, 2488, 2489. 163) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 427 = NZI 2017, 312, dazu EWiR 2017, 173 (Wagner); zur Entwicklung der Rspr. Pape, NZI 2019, 260. 164) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 427 = NZI 2017, 312; so schon OLG Schleswig, Urt. v. 2.9.2011 – 17 U 14/11, NZG 2012, 307, dazu EWiR 2012, 11 (Wagner); Gräfe, DStR 2010, 618, 621; Zugehör, NZI 2008, 652, 654; kritisch Mader/Seitz, DStRBeiheft 2018, S. 1, 16 ff. 165) Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2017 – 13 O 481/14, NZI 2018, 332. 166) OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 17.1.2018 – 4 U 4/17 (Arcandor/KPMG), ZIP 2018, 488, dazu EWiR 2018, 311 (Wagner).

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Günther/Heup

II. Haftung von Beratern

Warnpflicht mit Blick auf einen möglichen Insolvenzgrund nur besteht, wenn der Berater mit der Prüfung ausdrücklich beauftragt war. Weiter haftet der Berater der Gesellschaft, wenn er nach dem Inhalt des Prüf- 55 auftrags zwar keinen Hinweis auf die Pflicht zur Insolvenzantragstellung schuldet, aber gleichwohl zu dieser Frage Stellung nimmt und fehlerhaft eine insolvenzrechtliche Überschuldung ablehnt.167) Der Berater läuft daher auch dann Gefahr, für die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben einstehen zu müssen, wenn er über seinen eigentlichen Auftrag hinausgehend berät.168) b)

Vertragliche Haftungsbeschränkungen

Der Berater muss die Verletzung des Beratungsvertrags zu vertreten haben. Sein 56 Verschulden wird nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Für eine mögliche Exkulpation trägt er die Darlegungs- und Beweislast. Aufgrund des erheblichen Haftungsrisikos bietet es sich an, die Haftung vertraglich zu beschränken. Möglichkeiten und Reichweite solcher Haftungsbeschränkungen sind allerdings begrenzt. Da Inhalt des Beratervertrags eine möglichst gute und richtige Beratung ist, kommt eine vereinbarte Haftungsbeschränkung wegen einer Falschberatung nur in stark eingeschränktem Maße in Betracht. Der Ausschluss oder die Beschränkung einer Haftung für vorsätzliches Verhalten scheitert an § 276 Abs. 3 BGB.169) Haftungsausschlüsse für grob fahrlässige Verhaltensweisen verstoßen im Regelfall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.170) Aber auch die Haftung für einfache Fahrlässigkeit soll nur bei Nennung eines besonderen Grundes ausgeschlossen werden können.171) Bei fahrlässigem Fehlverhalten hat der Gesetzgeber jedenfalls Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern die Möglichkeit eröffnet, durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall den Schadensersatz bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme zu beschränken.172) In allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine Freizeichnung für grob fahrlässige 57 Pflichtverletzungen von vorneherein unwirksam, vgl. § 309 Nr. 7 lit. b BGB. Bei leichter Fahrlässigkeit lässt das Berufsrecht bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern in allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Haftungsausschluss bis zur Höhe des vierfachen Betrags der Mindestversicherungssumme zu, wenn insoweit Versicherungsschutz besteht.173) ___________ 167) BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 = DB 2013, 1542, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe). 168) Schaaf/Mushardt, DB 2013, 1890, 1891. 169) Mader/Seitz, DStR-Beiheft 2018, S. 1, 21. 170) Riering in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 22 Rz. 60. 171) Riering in: Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 22 Rz. 61. 172) Vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BRAO, § 67a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StBerG, § 54a Abs. 1 Nr. 1 WPO. 173) § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BRAO, § 67a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StBerG, § 54a Abs. 1 Nr. 2 WPO; dazu Mader/Seitz, DStR-Beiheft 2018, S. 1, 21.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

2.

Haftung gegenüber dem Geschäftsführer

a)

Vertragliche Haftung

58 Der Beratungsvertrag wird in der Regel zwischen der Gesellschaft und dem Berater geschlossen. Vertragliche Ansprüche zwischen Geschäftsführer und Berater bestehen daher grundsätzlich nicht. Der Beratervertrag ist in der Regel auch kein sog. Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB), da der Geschäftsführer nicht Empfänger der geschuldeten Leistung ist und auch nicht berechtigt ist, diese an sich zu fordern.174) b)

Haftung aufgrund Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Drittschutz aus Steuerberatervertrag: BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165

59 In Betracht kommt allerdings eine Haftung gegenüber der Geschäftsführung wegen der mangelnden Aufklärung über die Insolvenzreife nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.175) Die notwendige Leistungsnähe von Geschäftsführern wird in der Regel ebenso anzunehmen sein wie das Einbeziehungsinteresse und die jeweilige Erkennbarkeit, da Haftungsrisiken des Geschäftsführers vorliegen und die Stellung des Insolvenzantrags maßgebliche Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Gesellschaft hat. Diese Umstände – insbesondere die haftungsrechtlichen Risiken – sind dem Berater normalerweise bekannt bzw. sollten es sein.176) 60 Ob auch die erforderliche Schutzbedürftigkeit des Geschäftsführers vorliegt, hängt im Wesentlichen vom Gegenstand des jeweiligen Beratervertrags ab. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Geschäftsführer jedenfalls dann in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen, wenn gerade die Prüfung der Insolvenzreife geschuldet ist.177) Eine Schutzbedürftigkeit liegt in diesem Fall nahe, weil im Regelfall nur der Geschäftsführer zur Insolvenzantragstellung befugt (und verpflichtet) ist. Das Ergebnis der Prüfung ist damit „für dessen Gebrauch“ bestimmt.178) ___________ 174) Ebenso Gräfe, DStR 2010, 669, 671. 175) Ausführlich zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beim Beratervertrag Fischer in: Fischer/Vill/Fischer/Rinkler/Chab, Hdb. Anwaltshaftung, § 10; Zugehör, NJW 2008, 1105; Meixner, DStR 2018, 1025, 1028 f. 176) Commandeur/Utsch, NZG 2012, 1376, 1378; Janssen, ZInsO 2017, 1299, 1302. 177) BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165. 178) BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165; LG Wuppertal, Urt. v. 6.7.2011 – 3 O 359/10, NZI 2011, 877, dazu EWiR 2011, 731 (Goetsch); ähnlich auch bereits BGH, Urt. v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, ZIP 2011, 2475 = DStRE 2012, 844, dazu EWiR 2012, 75 (Wagner), für die Einbeziehung des Geschäftsführers in ein Umsatzsteuermandat bei steuerlicher Inhaftungnahme des Geschäftsführers.

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II. Haftung von Beratern

61

Praxishinweis Im Rahmen eines bestehenden Mandats kann eine mündliche Abrede ausreichen, um die Prüfung der Insolvenzreife zum Vertragsgegenstand zu machen.179)

Bei Fällen, in denen die Prüfung der Insolvenzreife z. B. in einem allgemeinen 62 Dauermandat hingegen nicht ausdrücklich Gegenstand des Beratervertrags ist,180) lehnte der BGH die Haftung nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bislang ab. Es fehlte nach Auffassung des BGH bereits an einer Hinweispflicht gegenüber der Gesellschaft, so dass erst recht keine solche Pflicht gegenüber Dritten bestehen könne.181) Ob der BGH an dieser Rechtsprechung auch nach seiner Entscheidung vom 26.1.2017182) (siehe dazu Rz. 54) festhalten wird, erscheint fraglich.183) Der BGH geht nunmehr davon aus, dass ein (nur) mit der Bilanzerstellung beauftragter Steuerberater die Gesellschaft dennoch auf einen möglichen Insolvenzgrund hinweisen muss, wenn hierfür offenkundige Anhaltspunkte bestehen und der Steuerberater davon ausgehen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft nicht bewusst ist. In diesen Fällen, in denen den Berater auch ohne ausdrücklichen Prüfauftrag eine Hinweispflicht gegenüber der Gesellschaft trifft, wäre es mit den Erwägungen des BGH zum Drittschutz bei einem expliziten Prüfauftrag (siehe dazu oben Rz. 60) nur konsequent, den Geschäftsführer, der letztlich für die Insolvenzantragstellung verantwortlich ist, in den Schutzbereich des Beratervertrags einzubeziehen.184) 63

Praxishinweis Nach Ansicht des BGH können die Vertragsparteien wirksam vereinbaren, dass Dritte nicht in den Schutzbereich des Vertrags eingebunden werden sollen.185) Berater können das Risiko, von dem Geschäftsführer der Gesellschaft wegen eines unterbliebenen Hinweises auf eine mögliche Insolvenzreife in Anspruch genommen zu werden, folglich dadurch minimieren, dass sie im Beratervertrag mit der Gesellschaft die Haftung gegenüber Dritten ausschließen.186) Bei einem Ausschluss der Dritthaftung in allgemeinen Geschäftsbedingungen empfiehlt sich jedoch eine Abstufung nach dem Verschuldensgrad (siehe oben Rz. 56).

___________ 179) BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165; Schwarz, NZI 2012, 869, 873; Cymutta, BB 2012, 3151, 3156. 180) Nach BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, ZIP 2014, 583 = NZI 2014, 308, dazu EWiR 2014, 385 (Zilkens), besteht eine vertragliche Hinweispflicht des Beraters auch i. R. eines allgemeinen steuerrechtlichen Mandats bereits dann, wenn er mit dem Vertretungsorgan in konkrete Erörterungen über eine etwaige Insolvenzreife der von ihm beratenen Gesellschaft eintritt. 181) BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 = DB 2013, 928; ebenso OLG Köln, Urt. v. 23.2.2012 – 8 U 45/11, NZG 2012, 504, dazu EWiR 2012, 373 (Goetsch). 182) BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, ZIP 2017, 427 = NZI 2017, 312. 183) Vgl. Meixner, DStR 2018, 1025, 1028. 184) Janssen, ZInsO 2017, 1299, 1302 f.; Pape, NZI 2019, 260, 264 f. 185) BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZIP 2012, 1353 = NJW 2012, 3165. 186) Mader/Seitz, DStR-Beiheft 2018, S. 1, 21.

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§ 10 Haftung von Geschäftsführung/Beratern bei der operativen Abwicklung vor Insolvenz

64 Ist der Geschäftsführer in den Schutzbereich eines Vertrags einbezogen, hat er auch die Prozessführungsbefugnis inne, da es sich um einen sog. Individualschaden handelt. Der Schadensersatzanspruch ist eventuell um den Teil zu kürzen, den der Geschäftsführer i. S. eines Mitverschuldens nach § 254 BGB selbst zu vertreten hat.187) 3.

Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern

a)

Vertragliche Haftung

65 Eine vertragliche Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft kann sich nur in Ausnahmefällen ergeben, wenn diese entweder selbst mit dem Berater einen (ausdrücklichen oder konkludenten) Auskunftsvertrag abgeschlossen haben oder als Dritte in den Schutzbereich eines Beratervertrags zwischen dem Berater und der Gesellschaft einbezogen sind.188) Ein originärer Auskunftsvertrag zwischen Gesellschaftsgläubiger und Berater kommt bspw. in Betracht, wenn der Gläubiger den Berater unmittelbar zur Auskunft heranzieht.189) Ein Beratervertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Insolvenzgläubiger wird in der Rechtsprechung nur sehr zurückhaltend bejaht.190) In der Regel wird der Berater ausschließlich im Interesse der Gesellschaft, nicht (auch) im Interesse des einzelnen Gläubigers tätig. Ausnahmsweise kann ein Beratervertrag drittschützende Wirkung entfalten, wenn die bei dem Berater mit staatlich anerkannter Sachkunde in Auftrag gegebene Ausarbeitung zur Vorlage gegenüber den Gläubigern (Kreditgebern, Käufern, Kapitalanlegern etc.) bestimmt ist und diesen als Entscheidungsgrundlage dient.191) In diesem Fall kommt der Ausarbeitung eine besondere Beweiskraft zu, für die der Berater auch gegenüber den Gläubigern einstehen muss. b)

Deliktische Haftung/strafrechtliche Relevanz

66 Gegenüber Gesellschaftsgläubigern kann der Berater insbesondere durch eine Beihilfe zur Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 830 Abs. 2 BGB) in die Haftung geraten. Die Voraussetzungen für die Beihilfe richten sich nach strafrechtlichen Grundsätzen.192) Im Falle der Insolvenzverschleppung bedarf es dabei seitens des Beraters sowohl des Vorsatzes hinsichtlich der Insolvenzverschleppung selbst auch hinsichtlich des Hilfeleistens.193) Der ___________ Fischer, VersR 2013, 526, 531. Meixner, DStR 2018, 1025, 1027. Gräfe, DStR 2010, 669; Meixner, DStR 2018, 1025, 1027. BGH, Urt. v. 18.2.1987 – IVa ZR 232/85, GmbHR 1987, 463; Gräfe, DStR 2010, 669; Zugehör, NZI 2008, 652, 658. 191) BGH, Urt. v. 26.11.1986 – IVa ZR 86/85, ZIP 1987, 376. 192) BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734 = NJW 2005, 3137; Meixner, DStR 2018, 1025, 1028. 193) Lange, DStR 2007, 954, 959.

187) 188) 189) 190)

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Günther/Heup

II. Haftung von Beratern

Grat zwischen strafloser Beratung und strafrechtlich relevanter Beihilfe soll bereits überschritten sein, wenn der Haupttäter darauf abzielt, strafbare Handlungen vorzunehmen und der potenzielle Gehilfe dies weiß.194) Dabei ist auch die psychische Hilfeleistung zugunsten des Antragspflichtigen erfasst.195) Erkennt der Berater, dass die Gesellschaft überschuldet bzw. zahlungsunfähig ist und der Geschäftsführer den Antrag nicht stellen will, kann es ratsam sein, vorsichtshalber das Mandat niederzulegen, um keine zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 15a Abs. 4 und Abs. 5 InsO) zu riskieren.196) Die Haftung eines Beraters als Teilnehmer einer Insolvenzverschleppung erstreckt sich dabei nicht auf Neugläubigerschäden, die ohne sein Wissen durch den Geschäftsführer während der Dauer der Insolvenzverschleppung verursacht worden sind.197)

___________ 194) Frege, NZI 2006, 545, 551. 195) Cymutta, BB 2012, 3151, 3156, wonach die Hilfe zur Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs bereits als Bestärkung gewertet werden kann, den Insolvenzantrag nicht zu stellen. 196) Baumbach/Hueck-Haas, GmbHG, § 64 Rz. 242. 197) BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734 = NJW 2005, 3137.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

Hildebrandt

Übersicht I. Einleitung........................................... 1 II. Beihilfen in Sanierungssituationen – Förderungen für „Unternehmen in der Krise“........................ 3 1. Allgemein: Europarechtliche Rahmenbedingungen.......................... 4 a) Grundsatz .................................... 5 b) Ausnahmen .................................. 6 c) Mögliche Sanktionen................... 8 2. Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen ..................................... 9 3. Fazit................................................... 13 III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen ...... 16 1. GRW-Zuschüsse............................... 19 a) Rechtliche Grundlagen ............. 20 b) Wesentliche arbeitsplatzbezogene Verpflichtungen des Zuwendungsempfängers ........... 23 c) Sanktionsmöglichkeiten............ 29 d) In der Praxis typische Rückforderungsszenarien/ -konstellationen......................... 33

2.

aa) Verfehlung von Arbeitsplatzvorgaben ............................ 36 bb) Veräußerung des Unternehmens bzw. von Unternehmensteilen.................................. 41 cc) Sonderproblem: Insolvenz........ 48 e) Gestaltungsmöglichkeiten/praktische Hinweise........... 51 aa) Frühzeitige und pro-aktive Abstimmung mit den Förderbehörden............................... 52 bb) Konkrete Lösungsmöglichkeiten.......................................... 57 Förderungen für Forschung und Entwicklung .............................. 58 a) Rechtliche Grundlagen und wesentliche Verpflichtungen, Sanktionsmöglichkeiten............ 58 b) In der Praxis typische Rückforderungsszenarien/ -konstellationen......................... 65 c) Gestaltungsmöglichkeiten/ praktische Hinweise.................. 69

Literatur: Bartosch, Das Risikopotenzial der Beihilferechtswidrigkeit staatlicher Bürgschaften für den Kreditgeber, EuZW 2001, 650; Ehricke, Grundprobleme staatlicher Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, WM Sonderbeilage 3/2001, S. 3; Fehr, Die neuen Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ZIP 2004, 2123; Fischer, Rechtsfolgen des Beihilfeverbots für öffentliche Bürgschaften, WM 2001, 277; Gennen, Ausstiegsszenarien bei öffentlich geförderten FuE-Projekten, IPRB 2016, 9; Hildebrandt, Inkrafttreten des 28. Rahmenplanes der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur für den Zeitraum 1999 bis 2002 (2003), LKV 1999, 441; Kahlert, Aktuelle Entwicklungen zu § 8c KStG: Nichtanwendung des § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG für 2008 bis 2015 und Wiederanwendung des § 8c Abs. 1a KStG in Planung, ZIP 2018, 1709; Kleinbrink, Arbeitsrechtliche Möglichkeiten zur Verringerung des Volumens der Arbeitszeit, DB 2009, 342; Koenig/Schramm, „Wirtschaftliche Kontinuität” bei privatisierungsbedingten Unternehmensspaltungen als EU-beihilfenrechtliches Rückforderungsrisiko, EWS 2013, 267; Koenig/Wetzel, Beihilfenrückforderung nach einer Neuvergabe der Betriebsprüfung, EuZW 2006, 653; Möhlenkamp, Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten – Die neuen Leitlinien der EU-Kommission im System des europäischen Beihilfenrechts, ZIP Beilage Heft 44/2014, S. 1; Petrak, Kurzarbeit, NZA Beilage 2/2010, S. 44; Soltész/ Marquier, Härtere Zeiten für notleidende Unternehmen? – Die neuen Kommissionsleitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen, EWS 2005, 241; Tetsch/Benterbusch/ Letixerant, Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, 1996.

Hildebrandt

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

I. Einleitung 1 Beihilfen, also staatliche Förderungen an gewerbliche Unternehmen, können im Zusammenhang mit dem Sanierungsarbeitsrecht erhebliche Bedeutung erlangen. In der Praxis spielen in Situationen, in denen ein Unternehmen Sanierungsbedarf hat, typischerweise zwei Konstellationen insoweit eine Rolle: x Zum einen stellen sich solche Unternehmen zumeist die Frage, ob sie i. R. anstehender Sanierungen staatliche Unterstützung bekommen können. Häufig wird dies verbunden mit dem Hinweis, dass anderenfalls ein Abbau von Arbeitsplätzen drohe. x Zum anderen kommt es im Sanierungsfall immer wieder auch zu möglichen Rückforderungsszenarien hinsichtlich bereits gewährter Förderungen: Hat ein Unternehmen in der Vergangenheit staatliche Förderungen erhalten, die etwa an die Schaffung und Besetzung einer bestimmten Anzahl von Arbeitsplätzen oder an die Durchführung bzw. Fortsetzung bestimmter Projekte geknüpft sind, kann es infolge einer Sanierung zu einer Rückforderung dieser Förderungen kommen. 2 Diese beiden typischen Konstellationen sollen im Folgenden aus beihilfe- und förderrechtlicher Sicht näher dargestellt werden. II.

Beihilfen in Sanierungssituationen – Förderungen für „Unternehmen in der Krise“ 3 So naheliegend der Ruf nach staatlicher Unterstützung für Unternehmen in der Krise sein mag, so eng sind die rechtlichen Voraussetzungen hierfür: Staatliche Unterstützungen für Unternehmen unterliegen allgemein einem strengen europarechtlichen Rahmen, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen führen können (siehe dazu Rz. 4 ff.). Dies gilt insbesondere für Unternehmen in der Krise: Wird ein Unternehmen zum Sanierungsfall, basiert dies entweder auf Managementfehlern oder aber auf strukturellen Marktveränderungen. Erhält ein solches Unternehmen staatliche Unterstützung, kann dies im Ergebnis dazu führen, dass notwendige Anpassungsprozesse unterbleiben oder aber „überkommene“ Marktverhältnisse perpetuiert werden.1) Insofern ist das europäische Beihilfenrecht ausgesprochen restriktiv bei staatlichen Unterstützungen in Sanierungsfällen.2) ___________ 1) Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz. 746 m. w. N. 2) Eine zeitweise Lockerung hat es etwa i. R. der Finanzkrise ab 2008 gegeben; vgl. den sog. „Temporary Framework“ der Kommission, Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise, ABl. (EU) C 83/1 v. 7.4.2009, verlängert durch die Mitteilung der Kommission, Vorübergehender Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise, ABl. (EU) C 6/5 v. 11.1.2011; auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung in 2008/2009 erhebliche Finanzhilfen i. R. der sog. „Konjunkturpakete“ bereitgestellt, auch für Unternehmenssanierungen. Der „Temporary Framework“ ist mittlerweile aber abgelaufen, ebenso wie die „Konjunkturpakete“, vgl. Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 185 – 187.

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II. Beihilfen in Sanierungssituationen – Förderungen für „Unternehmen in der Krise“

Generell sind staatliche Unterstützungsmaßnahmen für Sanierungsfälle nur nach den sehr engen Voraussetzungen für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen zulässig (siehe dazu Rz. 9 ff.). 1.

Allgemein: Europarechtliche Rahmenbedingungen

Jedwede staatliche Förderung für Unternehmen muss sich an die europarecht- 4 lichen Rahmenbedingungen der Art. 107, 108 AEUV halten.3) Die Systematik dieser Regelungen lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen:4) a)

Grundsatz Abgabenbefreiung als Beihilfe: EuGH, Urt. v. 15.3.1994 – Rs. C-387/92 (Banco Exterior de España), Slg. 1994, I-877 = EWS 1994, 132 EuGH, Urt. v. 15.11.2011 – Rs. C-106/09 (Kommission/Government of Gibraltar), Rz. 71, Slg. 2011, I-11113 EuG, Urt. v. 22.4.2016 – Rs. T-50/06 RENV II (Irland und Aughinish Aluminia/ Kommission), ECLI:EU:T:2016:227

Art. 107 Abs. 1 AEUV enthält in der Sache ein grundsätzliches Beihilfeverbot: 5 Staatliche Beihilfen sind mit dem Binnenmarkt in der Regel unvereinbar und daher unzulässig. Der Beihilfebegriff i. S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dabei weit: Hierunter unterfällt jede Maßnahme gleich welcher Art, die einen selektiven wirtschaftlichen Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt, der den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen droht.5) Staatliche „Finanzspritzen“ in Form direkter Zahlungen an Unternehmen in Sanierungssituationen fallen unstreitig hierunter, aber auch sonstige staatliche Unterstützungsmaßnahmen, etwa öffentliche Bürgschaften.6)

___________ 3) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV, BGBl. II 2009, 1223. 4) Vgl. allgemein zu Art. 107, 108 AEUV etwa Calliess/Ruffert-Cremer, EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rz. 1 ff.; Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 16 f.; Werner in: MünchKomm-WettbR, Bd. 5, Art. 108 AEUV Rz. 1 ff. 5) St. Rspr.; vgl. etwa EuGH, Urt. v. 15.3.1994 – Rs. C-387/92 (Banco Exterior de España), Slg. 1994, I-877, 907 = EWS 1994, 132, 133; EuGH, Urt. v. 4.6.2015 – Rs. C-5/14 = NVwZ 2015, 1122; Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. (EU) C 262/1 v. 19.7.2016; w. N. bei Soltész/Hildebrandt in: MünchPFormB VerwR, D. V. 3. Anm. 4. 6) Zum Beihilfecharakter einer öffentlichen Bürgschaft vgl. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 des EG-Vertrags aufstaatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, ABl. (EU) C 155/10 v. 20.6.2008, berichtigt durch ABl. (EU) C 244/32 v. 25.9.2008. Zu den Rechtsfolgen eines Beihilfeverbots für öffentliche Bürgschaften Fischer, WM 2001, 277; Bartosch, EuZW 2001, 650.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

b)

Ausnahmen

6 Von diesem Grundsatz des Beihilfeverbots lässt das Europarecht zwei Ausnahmen zu: x

Zum einen die Legalausnahmen in Art. 107 Abs. 2 AEUV.7) Diese sind in ihrem Anwendungsbereich allerdings sehr eng und spielen in der Praxis, insbesondere in Sanierungsfällen, keine große Rolle.8)

x

Von erheblich größerer praktischer Bedeutung ist die Möglichkeit der Freistellung einer Beihilfe durch die Kommission nach Art. 107 Abs. 3 AEUV: Hiernach kann die Kommission entscheiden, dass unter den dort genannten Voraussetzungen eine Beihilfe ausnahmsweise als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen wird. Grundsätzlich muss daher die Gewährung einer neuen Beihilfe bei der Kommission angemeldet werden (sog. „Notifizierung“, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Solange die Kommission die angemeldete Beihilfe aber nicht genehmigt hat, darf diese nicht durchgeführt werden (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV – sog. „Durchführungsverbot“).9)

7 Diese grundsätzlich bestehende Notifizierungspflicht entfällt wiederum in zwei Konstellationen: x

Zum einen, wenn die konkrete Einzelbeihilfe i. R. eines Beihilfeprogramms gewährt wird, welches seinerseits bereits von der Kommission genehmigt worden ist.10)

x

Und zum anderen, wenn die Beihilfe von einer Gruppenfreistellungsverordnung gedeckt ist. In der Praxis ist hier insbesondere die „Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung“ (AGVO)11) von Bedeutung.

c)

Mögliche Sanktionen Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Europäisches Beihilferecht: BGH, Urt. v. 4.4.2003 – V ZR 314/02, EuZW 2003, 444 = VIZ 2003, 340 BGH, Urt. v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, BGHZ 196, 254 = EuZW 2013, 753

___________ 7) Hierzu Geiger/Khan/Kotzur-Khan, EUV/AEUV, Art. 107 AEUV Rz. 17 ff.; Calliess/RuffertCremer, EUV/AEUV, Art. 107 Rz. 42 ff. 8) Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 138. 9) Vgl. hierzu etwa Soltész/Hildebrandt in: MünchPFormB VerwR, D. V. 3. Rz. 4 m. w. N; Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 147 ff.; Art. 108 AEUV Rz. 88 f. 10) EuGH, Urt. v. 30.6.1992 – Rs. C-47/91, Slg. 1994, I-4647, 4654 f. = EuZW 1995, 54, 55; Calliess/Ruffert-Cremer, EUV/AEUV, Art. 108 Rz. 9. 11) Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. (EU) L 187/1 v. 26.6.2014; Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 108 AEUV Rz. 16.

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II. Beihilfen in Sanierungssituationen – Förderungen für „Unternehmen in der Krise“

Wird eine Beihilfe vor einer Genehmigung durch die Kommission, also unter Ver- 8 stoß gegen das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV gewährt, ist die Beihilfe rechtswidrig. Die Durchsetzung des Durchführungsverbots erfolgt dabei nach Maßgabe des nationalen Rechts des jeweiligen Mitgliedstaats und obliegt den nationalen Gerichten.12) Der BGH hat bislang hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ein Vertrag, welcher eine staatliche Beihilfe unter Verletzung des Durchführungsverbots gewährt, gemäß § 134 BGB i. V. m. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV insgesamt nichtig sei.13) Dies ist europarechtlich allerdings nicht zwingend: So folgt aus der inzwischen ergangenen Rechtsprechung des EuGH, dass der Zweck des unionsrechtlichen Durchführungsverbots, Wettbewerbsvorteile des Beihilfeempfängers zu verhindern, nicht notwendigerweise die Gesamtnichtigkeit des Vertrags gebietet. Zur Beseitigung des rechtswidrig erlangten Wettbewerbsvorteils reicht es aus, wenn der tatsächliche Vorteil, der durch die vorzeitige Gewährung entsteht, abgeschöpft wird.14) 2.

Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen15)

Ein spezifisches Beihilfeprogramm, auf dessen Grundlage nach den oben genann- 9 ten europarechtlichen Vorgaben ein Unternehmen gerade in Sanierungssituationen zulässigerweise mit Beihilfen i. S. des EU-Rechts gefördert werden kann, gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Kommission hat sehr strenge Vorgaben aufgestellt, die Förderungen von „Unternehmen in Schwierigkeiten“ stark einschränken und auf ein Minimum reduzieren: Nämlich die „Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten“.16) Nach diesen Leitlinien ist ein Unternehmen etwa dann in Schwierigkeiten, wenn 10 die nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfüllt sind oder ___________ 12) EuGH, Urt. v. 11.7.1996 – Rs. C-39/94, Rz. 39, Slg. 1996, I-3547, 3549 = EuZW 1996, 564, 567. 13) Grundlegend BGH, Urt. v. 4.4.2003 – V ZR 314/02, EuZW 2003, 444, 445 = VIZ 2003, 340, 341 f. 14) EuGH, Urt. v. 12.2.2008 – C-199/06 (CELF I), Slg. 2008, I-486; Grabitz/Hilf/Nettesheimv. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 108 AEUV Rz. 78 f.; Calliess/Ruffert-Cremer, EUV/AEUV, Art. 108 Rz. 12-16. Zumindest so auch BGH, Urt. v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, Rz. 33 ff., BGHZ 196, 254 = EuZW 2013, 753. 15) Vgl. hierzu im Einzelnen Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz. 744 ff.; Soltèsz/Marquier, EWS 2005, 241 ff.; Fehr, ZIP 2004, 2123, 2125 ff.; Ehricke, WM Sonderbeilage 3/2001, S. 3, 7; Möhlenkamp, ZIP Beilage Heft 44/2014, S. 1. 16) Früher: Kommission, Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. (EU) C 244/2 v. 1.10.2004; seit 1.8.2014: Kommission, Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. (EU) C 249/1 v. 31.7.2014; im Folgenden: „Leitlinien“.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

wenn bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung mehr als die Hälfte des gezeichneten Kapitals infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist (Rz. 20 der Leitlinien).17) 11 An „Unternehmen in Schwierigkeiten“ i. S. der Leitlinien dürfen grundsätzlich keine Beihilfen im Rechtssinne nach anderen Förderprogrammen gewährt werden.18) Staatliche Förderungen dürfen hingegen zunächst nur in Form von Rettungsbeihilfen erfolgen, welche den Zeitraum bis zur Vorlage eines detaillierten Umstrukturierungs- oder Liquidationsplans überbrücken sollen (Rz. 26 der Leitlinien). Im Zusammenhang mit einem solchen Plan können dann weitere – auch längerfristige – Umstrukturierungsbeihilfen vergeben werden. Die Voraussetzungen, unter denen staatliche Beihilfen für „Unternehmen in Schwierigkeiten“ als mit dem Binnenmarkt vereinbar genehmigt werden können, sind in Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV dargelegt (Rz. 36 der Leitlinien). Nach Maßgabe der Leitlinien muss eindeutig nachgewiesen werden, dass mit der Beihilfe ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt wird (Rz. 43 der Leitlinien). Voraussetzung für die Genehmigung einer Rettungsbeihilfe ist u. a., dass Liquiditätshilfen nur in Form von Darlehensbürgschaften oder Darlehen gewährt werden, wobei das Darlehen spätestens sechs Monate ab Auszahlung der ersten Rate an das Unternehmen zurückgezahlt werden muss, sofern der Mitgliedstaat nicht einen Umstrukturierungsplan vorgelegt hat (Rz. 55 der Leitlinien). Eine Umstrukturierungsbeihilfe setzt etwa voraus, dass ein Umstrukturierungsplan die Wiederherstellung der langfristigen Rentabilität des Unternehmens ohne weitere Beihilfen innerhalb einer angemessenen Frist ermöglicht (Rz. 45 ff. der Leitlinien). Dies kann in der Praxis sehr häufig dazu führen, dass das Unternehmen sich in dem Umstrukturierungsplan verpflichten muss, seine Geschäftstätigkeit zu verringern, Personal abzubauen oder sich von Beteiligungen zu trennen. Weiterhin muss das begünstigte Unternehmen einen Eigenbeitrag zu den Umstrukturierungskosten leisten (Rz. 62 ff. der Leitlinien).19)

___________ 17) Zum Begriff „Unternehmen in Schwierigkeiten“ Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/ Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 236. 18) Vgl. etwa Art. 1 Abs. 4 lit. c Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission v. 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO), ABl. (EU) L 187/1 v. 26.6.2014; Nr. 3.2 lit. a der Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 des EG-Vertrags auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften, ABl. (EU) C 155/10 v. 20.6.2008, berichtigt durch ABl. (EU) C 244/32 v. 25.9.2008; Nr. 2.1 Rz. 17, Nr. 1.1. Rz. 10 des Unionsrahmens für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, ABl. (EU) C 198/1 v. 27.6.2014. 19) Möhlenkamp, ZIP Beilage Heft 44/2014, S. 1; für kleine und mittlere Unternehmen i. S. des Europarechts – KMU – gelten erleichterte Bestimmungen, vgl. Rz. 104 ff. der Leitlinien.

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II. Beihilfen in Sanierungssituationen – Förderungen für „Unternehmen in der Krise“

12

Praxishinweis Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen kommen in der Praxis zwar recht häufig vor.20) Angesichts der engen Voraussetzungen, unter denen die Kommission nur eine Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe genehmigt und der damit zumeist verbundenen harten Einschnitte in die „Substanz“ des Unternehmens ist die Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe im Sanierungsfall für das betroffene Unternehmen aber kein leichter Weg.

3.

Fazit

Beihilfen für Unternehmen im Sanierungsfall kommen nur unter engen Vor- 13 aussetzungen in Betracht. Handelt es sich um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ i. S. der Leitlinien der Kommission, sind Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen zwar grundsätzlich möglich, bedürfen aber in jedem Einzelfall der Genehmigung der Kommission und sind in der Praxis häufig mit einem Personalabbau verbunden. In der Praxis kommt damit die Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe zumeist nur als „Ultima Ratio“ in Betracht und kann grundsätzlich nur einmal innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren an ein Unternehmen vergeben werden („one time, last time“, Rz. 70 ff. der Leitlinien). Ein Unternehmen sollte sich daher gut überlegen, ob es Rettungs- und Um- 14 strukturierungsbeihilfen beantragt. Eine solche Beihilfe hat häufig irreversible Folgen. Insoweit lassen sich die strengen Anforderungen der Kommission für „Unternehmen in Schwierigkeiten“ auch nicht vermeiden. Eine Umgehung, also die Gewährung von staatlichen Förderungen im Sanierungsfall unter Außerachtlassung der beschriebenen Vorgaben der Leitlinien, wäre eine unzulässige „adhoc-Beihilfe“,21) die mangels Genehmigung durch die Kommission dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV unterfällt (hierzu und zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot siehe oben Rz. 8). 15

Praxishinweis In der Praxis häufiger und für das Unternehmen „schonender“ sind hingegen allgemeine sozialpolitische Maßnahmen.22) Von diesen kann das Unternehmen im Sanierungsfall zumindest mittelbar auch profitieren; und solche Maßnahmen stellen

___________ 20) Vgl. hierzu aus der Rspr. etwa EuG, Urt. v. 14.2.2012 – T-115/09, T-116/09, ABl. (EU) C 89/21 v. 24.3.2012; EuG, Urt. v. 3.3.2010 – T-102/07, T-120/07, ABl. (EU) C 100/37 v. 17.4.2010, EuG, Urt. v. 17.7.2014 – T-457/09, ECLI:EU:T:2014:683; dies gilt insbesondere in jüngerer Zeit für den Finanzsektor (Stichwort: „Bankenkrise“), vgl. hierzu aus der Rspr. etwa Entscheidung der Kommission v. 21.10.2008 über die staatliche Beihilfe C 10/08 (ex NN 7/08), die Deutschland für die Umstrukturierung der IKB Deutsche Industriebank AG gewährt hat – K(2008) 6022 (IKB), ABl. (EU) L 278/32 v. 23.10.2009; Entscheidung der Kommission v. 12.5.2009 über die staatliche Beihilfe C 43/08 (ex N 390/08), die Deutschland zur Umstrukturierung der WestLB AG gewähren will – K(2009) 3900 (WestLB), ABl. (EU) L 345/1 v. 23.12.2009. 21) Hierzu allgemein Jestaedt in: Heidenhain, Hdb. Europ. Beihilferecht, § 15 Rz. 55 ff. 22) Etwa Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. SGB III.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht mangels Selektivität bereits tatbestandlich keine Beihilfe im Rechtssinne dar, unterliegen also grundsätzlich auch nicht dem strengen Rechtsregime der Art. 107, 108 AEUV.23) Entsprechendes gilt für steuerliche Vergünstigungen, die Unternehmen nach § 8c Abs. 1a KStG („Sanierungsklausel“) nunmehr erhalten können: Auch diese sind keine Beihilfe i. S. des EU-Rechts.24)

III.

Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

16 Hat ein Unternehmen in der Vergangenheit staatliche Beihilfen erhalten und gerät es dann in eine Sanierungssituation, können sich Rückforderungsrisiken ergeben: In aller Regel sind staatliche Förderungen mit „Gegenleistungen“ des Zuwendungsempfängers verbunden. So muss dieser etwa eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen bzw. sichern oder für einen bestimmten Zeitraum die geförderte Betriebsstätte am Laufen halten. Verstößt er gegen diese Vorgaben, droht eine Rückforderung der empfangenen Fördergelder. 17

Praxishinweis Dies kann in Sanierungssituationen den Entscheidungsspielraum des Unternehmens, welches Sanierungsmaßnahmen plant, erheblich einschränken.

18 Dieses Szenario soll im Folgenden anhand zweier in der Praxis außerordentlich bedeutsamer Formen staatlicher Unternehmensförderung dargestellt werden. 1.

GRW-Zuschüsse

19 GRW-Zuschüsse (bis 2009: GA-Zuschüsse) stellen finanziell eine der bedeutendsten Wirtschaftsförderungen in Deutschland dar. Insbesondere in den neuen Bundesländern wurden und werden eine Vielzahl von Investitionen hiermit unterstützt. Ihr Hauptziel liegt in der Schaffung neuer und der Sicherung vorhandener Arbeitsplätze. ___________ 23) Vgl. etwa Lübbig/Martín-Ehlers, Beihilfenrecht, Rz. 232. Grabitz/Hilf/Nettesheimv. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 42; Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. (EU) C 262/1 v. 19.7.2016. 24) Der EuGH hat im Urt. v. 28.6.2018 – Rs. C-203/16 P den Beschluss der Kommission, die sog. Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG i. d. F. v. 22.12.2009 stelle eine unzulässige Beihilfe i. S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, für nichtig erklärt; zur Begründung führt er aus, die Kommission habe bei der Prüfung der Selektivität bereits das Referenzsystem fehlerhaft bestimmt, sodass die gesamte Selektivitätsprüfung von einem Mangel durchzogen gewesen sei und nicht zum richtigen Ergebnis habe führen können. Der EuGH hat zwar nicht ausdrücklich festgestellt, dass § 8c Abs. 1a KStG keine unzulässige Beihilferegelung darstellt; es ist aber davon auszugehen, dass die Sanierungsklausel bei Anwendung des richtigen Referenzsystems künftig den Anforderungen an das Beihilferecht entspricht; eine gewisse Klärung bringt auch die Stellungnahme der Kommission in einem sog. Letter of Comfort v. 8/2018 zu der Frage der Vereinbarkeit von § 3a EStG (Sanierungserträge) mit dem Binnenmarkt; so hat sie festgestellt, dass die Regelung dem EU-Beihilfenrecht vereinbar ist; vgl. zur „Sanierungsklausel“ auch Kahlert, ZIP 2018, 1709.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

a)

Rechtliche Grundlagen25)

GRW-Zuschüsse sind (Regional-)Beihilfen, die i. R. der Gemeinschaftsaufgabe 20 „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gewährt werden. Sie basieren auf Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG i. V. m. dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.26) Die Einzelheiten der Förderung ergeben sich aus dem auf dieser gesetzlichen Grundlage erlassenen „Koordinierungsrahmen“27) (früher: GA-Rahmenplan) i. V. m. den jeweils von den einzelnen Bundesländern hierzu erlassenen Ausführungsrichtlinien.28) Der Koordinierungsrahmen sowie die zu seiner Ausführung erlassenen Richt- 21 linien der Bundesländer sind ein von der Kommission genehmigtes bzw. unter die AGVO fallendes Beihilfeprogramm; auf der Grundlage des Koordinierungsrahmens erlassene Einzelförderungen sind daher mit dem Europarecht vereinbar und müssen grundsätzlich nicht mehr im Einzelnen von der Kommission genehmigt werden (siehe dazu oben Rz. 6 f.). Die Gewährung des konkreten GRW-Zuschusses erfolgt in aller Regel durch 22 einen Zuwendungsbescheid der jeweils zuständigen Landesbehörde (Verwaltungsakt i. S. des § 35 VwVfG des jeweiligen Landes). b)

Wesentliche arbeitsplatzbezogene Verpflichtungen des Zuwendungsempfängers GRW-Zuschüsse werden in der Regel für die Errichtung, Erweiterung oder Mo- 23 dernisierung einer Betriebsstätte gewährt (sog. „Erstinvestitionen“). Für die mit dem Investitionsvorhaben anfallenden Investitionskosten erhält der Zuwendungsempfänger einen nicht rückzahlbaren (verlorenen) Zuschuss,29) der je nach Größe des Unternehmens und Investitionsstandort derzeit bis zu 30 % betragen kann.30) Im Gegenzug ist der Zuwendungsempfänger u. a. verpflichtet, für einen Bin- 24 dungszeitraum von fünf Jahren nach Abschluss des Investitionsvorhabens eine ___________ 25) Vgl. hierzu Soltész/Hildebrandt in: MünchPFormB VerwR, D. V. 1. Anm. 1; Hildebrandt, LKV 1999, 441, 442; Tetsch/Benterbusch/Letixerant, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, S. 9 f. 26) Gesetz v. 6.10.1969, BGBl. I 1969, 1861, zuletzt geändert durch Gesetz v. 31.8.2015, BGBl. I 2015, 1474. 27) Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab 17.9.2018, BAnz AT v. 5.10.2018 B2; der Koordinierungsrahmen ist von seiner Rechtsnatur kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsvorschrift; vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschl. v. 12.2.2007 – 3 B 9.07, Rz. 3, juris. 28) Z. B. im Freistaat Sachsen: Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft einschließlich der Tourismuswirtschaft im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW RIGA), v. 12.2.2019, SächsABl. 2019 Nr. 9, S. 385. 29) Sog. „sachkapitalbezogener“ Zuschuss; alternativ kann das Unternehmen auch einen „lohnkostenbezogenen“ GRW-Zuschuss beantragen (vgl. Nr. II. A. 2.7.1. des Koordinierungsrahmens); dies ist in der Praxis aber eher die Ausnahme. 30) Vgl. Nr. II. A. 2.6.1. des Koordinierungsrahmens.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

bestimmte, im Zuwendungsbescheid genau festgelegte Anzahl von Dauerarbeitsplätzen zu schaffen und tatsächlich zu besetzen. Weiterhin muss er für diesen Bindungszeitraum die geförderte Betriebsstätte eigenbetrieblich nutzen und darf die bezuschussten Wirtschaftsgüter nicht veräußern, vermieten oder anderweitig aus der Betriebsstätte entfernen. Für die Förderung kommen zudem nur solche Investitionen in Betracht, die ausgehend vom Investitionsvolumen oder von der Zahl der geschaffenen Dauerarbeitsplätze eine besondere Anstrengung des Zuwendungsempfängers erfordern.31) Verwaltungsverfahrensrechtlich handelt es sich bei diesen Bindungen, insbesondere bei der Verpflichtung zur Schaffung und Besetzung von Dauerarbeitsplätzen, entweder um Auflagen i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG oder – je nach Formulierung des konkreten Zuwendungsbescheids – um den eigentlichen Verwendungszweck der Förderung. 25 „Dauerarbeitsplätze“ i. S. der GRW-Förderung sind solche Arbeitsplätze, die von vorneherein auf Dauer, mindestens aber für die Verbleibensfrist von fünf Jahren angelegt sind.32) 26

Praxishinweis Die Anzahl der zu schaffenden Dauerarbeitsplätze ist nicht nur eine verbindlich im Zuwendungsbescheid festgelegte „Zielvorgabe“; sie ist auch wichtig für die Berechnung der Bemessungsgrundlage der GRW-Förderung und damit unmittelbar auch für die Höhe des bewilligten Zuschusses: Investitionskosten können nur i. H. von max. 0,75 Mio. € pro neu geschaffenem Dauerarbeitsplatz oder i. H. von 0,5 Mio. € pro gesichertem Dauerarbeitsplatz mit GRW-Zuschüssen gefördert werden.33)

27 Weiterhin ist der Zuwendungsempfänger verpflichtet, die Zuwendungsbehörde unverzüglich über subventionserhebliche Tatsachen zu informieren, also über alle Umstände, die für die Auszahlung oder den Bestand der GRW-Zuschüsse von Bedeutung sind. Diese Verpflichtung ist regelmäßig als Auflage in dem jeweiligen Zuwendungsbescheid festgeschrieben. 28

Praxishinweis Eine Missachtung der Informationspflichten stellt in aller Regel einen Auflagenverstoß dar. Dieser kann bereits für sich genommen nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG zu einem Widerruf führen (dazu unten unter Rz. 29 ff.). Überdies ist hier zu beachten, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Verstoß gegen die Informationspflichten auch strafbar sein kann.34)

___________ 31) Zu den einzelnen Bindungen vgl. Nr. II. A. 2. des Koordinierungsrahmens; weitergehende Bindungen und Verpflichtungen können sich aus den jeweiligen GRW-Landesrichtlinien ergeben. 32) Nr. II. A. 1.1.4., 2.7.2 (4) des Koordinierungsrahmens. 33) Nr. II. A. 2.7.2. (5) des Koordinierungsrahmens; mitunter enthalten die jeweiligen GRWRichtlinien der Länder hier niedrigere Beträge. 34) Vgl. § 264 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Subventionsbetrug in Form einer Nichtanzeige subventionserheblicher Tatsachen; vgl. hierzu allgemein Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Hellmann, StGB, § 264 Rz. 99 ff.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

c)

Sanktionsmöglichkeiten Ausübung von „gelenktem/intendiertem Ermessen“: BVerwG, Urt. v. 16.6.1997 – 3 C 22.96, BVerwGE 105, 55, 57 f. = NJW 1998, 2233, 2234 BVerwG, Urt. v. 10.12.2003 – 3 C 22.02, NVwZ-RR 2004, 413, 415 BVerwG, Urt. v. 16.6.2015 – 10 C 15.14, BVerwGE 152, 211 OVG Sachsen, Urt. v. 10.3.2017 – 1 A 461/14

Erfüllt der Zuwendungsempfänger die Vorgaben aus dem Zuwendungsbescheid 29 nicht, schafft er also z. B. nicht die entsprechend festgesetzte Zahl neuer Dauerarbeitsplätze, so kann die Zuwendungsbehörde den GRW-Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG widerrufen35) sowie die bereits ausbezahlten Zuschüsse zurückfordern (§ 49a Abs. 1 VwVfG). Der zurückgeforderte Betrag ist vom Zuwendungsempfänger mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich zu verzinsen (§ 49a Abs. 3 Satz 1 VwVfG);36) die Verzinsung beginnt grundsätzlich mit Wertstellung des zurückgeforderten GRW-Zuschusses beim Zuwendungsempfänger zu laufen. 30

Praxishinweis Je nach Zeitpunkt von Widerruf und Rückforderung können also zusätzlich zu dem zurückgeforderten Zuschuss erhebliche Zinsen auflaufen.

Die Entscheidung, ob und ggf. in welchem Umfang bei einem Verstoß gegen 31 die Förderbedingungen der Bescheid widerrufen wird, steht im Ermessen der Behörde. Hier ist allerdings zu beachten, dass die Rechtsprechung im Bereich der §§ 48, 49 VwVfG zumindest bei Zweckverstößen (§ 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG) von einem „gelenkten“ bzw. „intendierten Ermessen“ ausgeht: Die haushaltsrechtlichen Grundsätze der sparsamen und effizienten Verwendung von Haushaltsmitteln geböten regelmäßig eine Rücknahme bzw. einen Widerruf der Bewilligung nicht zweckentsprechend verwendeter Förderungen.37) Das bedeutet: Bei einem Verstoß gegen die im Zuwendungsbescheid festgelegten Bindungen (i. S. des Zuwendungszwecks) ist im Regelfall der (zumindest anteilige) Widerruf des Zuwendungsbescheids die vom Gesetz vorgezeichnete Rechtsfolge. ___________ 35) Soweit die Arbeitsplatzvorgabe als Auflage i. S. des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG formuliert ist; benennt der Zuwendungsbescheid hingegen die Schaffung und Besetzung der jeweiligen Dauerarbeitsplätze als Zuwendungszweck, wäre Grundlage für einen rückwirkenden Widerruf des GRW-Bescheids § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG. 36) Die Bundesländer können in ihren Landes-VwVfG auch andere Zinssätze festlegen; etwa in Art. 49a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG: drei Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. 37) BVerwG, Urt. v. 6.6.1997 – 3 C 22.96, BVerwGE 105, 55, 57 f. = NJW 1998, 2233, 2234; BVerwG, Urt. v. 10.12.2003 – 3 C 22.02, NVwZ-RR 2004, 413, 415; OVG Münster, Urt. v. 13.6.2002 – 12 A 693/99, Rz. 47, NVwZ-RR 2003, 803, 805; OVG Bautzen, Urt. v. 29.10.2015 – 1 A 348/14, Rz. 29, SächsVBl 2016, 85; OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.7.2009 – 10 LA 278/07, AUR 2009, 362, 365; VGH Mannheim, Urt. v. 28.9.2011 – 9 S 1273/10, VBlBW 2012, 221, 223.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

Dies entbindet die Bewilligungsbehörde jedoch nicht davon, im Einzelfall entgegenstehende Belange des Begünstigten zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in ihre Ermessensabwägung einzubeziehen. Die Rechtsprechung zum „intendierten Ermessen“ führt also nicht dazu, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung über den Widerruf eines Zuwendungsbescheids auf Ermessensausübungen komplett verzichten darf.38) Es ist stets ein Mindestmaß an Sachverhaltsaufklärung geboten: Die Behörde muss zumindest feststellen, ob überhaupt ein Regelfall vorliegt, der nach dem „intendierten Ermessen“ grundsätzlich zum Widerruf führt.39) Soweit besondere Umstände, welche ausnahmsweise ein Absehen von dem Widerruf und der Rückforderung rechtfertigen könnten, im konkreten Fall nicht vorliegen, ist die Behörde grundsätzlich berechtigt, auch bei „geringfügigen“ Verstößen die Förderung insgesamt zurückzufordern.40) Insbesondere bei geringfügigen Auflagenverstößen kann aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einem Widerruf des gesamten Bescheids entgegenstehen.41) 32 Allerdings enthält der GRW-Koordinierungsrahmen seinerseits aber auch ermessenslenkende Regelungen für einen möglichen Widerrufsfall: So kann die Behörde ihr Ermessen zugunsten des Zuwendungsempfängers ausüben und von einem Widerruf zumindest anteilig absehen, etwa wenn der Verstoß gegen die Förderbestimmungen auf einer unvorhersehbaren Änderung der marktstrukturellen Verhältnisse basiert.42) Diese ermessenslenkenden Bestimmungen des GRWKoordinierungsrahmens sowie die ständige Verwaltungspraxis der jeweiligen Behörde43) können im Einzelfall eine Entscheidung der Behörde rechtfertigen, ja sogar gebieten, trotz eines Verstoßes gegen die Zuwendungsbestimmungen den Zuschuss nicht zu widerrufen. d)

In der Praxis typische Rückforderungsszenarien/-konstellationen

33 Wie hervorgehoben, besteht das wesentliche wirtschaftspolitische Ziel der GRWFörderung in der Schaffung neuer und Sicherung bestehender Arbeitsplätze.

___________ 38) BVerwG, Urt. v. 16.6.2015 – 10 C 15.14, BVerwGE 152, 211 – 219; VGH Kassel, Urt. v. 31.10.1989 – 11 UE 2363/84, Rz. 96, NVwZ 1990, 879, 881 f.; VGH München, Urt. v. 10.12.2015 – 4 B 15.1831, DÖV 2016, 788; Krämer/Schmidt, Zuwendungsrecht, G. II. 4.1. Rz. 28. 39) OVG Greifswald, Urt. v. 20.2.2002 – 2 L 212/00, NVwZ-RR 2002, 805, 806 = GewArch 2002, 464, 465. 40) Vgl. VGH München, Beschl. v. 24.9.1990 – 22 B 90/609, NVwZ-RR 1991, 451, 452. 41) BGH Urt. v. 28.4.2009 – XI ZR 86/08, Rz. 41, BeckRS 2009, 13526; VGH München, Urt. v. 15.10.2008 – 22 B 06.986, BayVBl. 2009, 754 = BeckRS 2009, 30183; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.10.2010 – I-23 U 173/09, VergabeR 2011, 257, 262 = BauR 2011, 734. 42) Vgl. Nr. II. A. 4.2.2 des Koordinierungsrahmens; s. dazu näher Rz. 37 ff. 43) Zur Selbstbindung der Verwaltung über Art. 3 GG vgl. Stelkens/Bonk/Sachs-Sachs, VwVfG, § 40 Rz. 103 ff.; Sachs-Osterloh, GG, Art. 3 Rz. 118.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

34

Praxishinweis „Sanierungssituationen mit Arbeitsplatzrelevanz“ haben daher immer Auswirkungen auf GRW-Förderungen, die das betreffende Unternehmen in der Vergangenheit erhalten hat.

Im Folgenden sollen einige typische, in der Praxis besonders relevante Konstel- 35 lationen skizziert werden, die ein mit GRW-Zuschüssen gefördertes Unternehmen im Sanierungsfall beachten sollte:44) aa)

Verfehlung von Arbeitsplatzvorgaben

Verschiedene Konstellationen sind denkbar, in denen das geförderte Unterneh- 36 men die in dem Zuwendungsbescheid festgelegten Arbeitsplatzvorgaben nicht erfüllt: x

Zum Projektabschluss wird nicht die erforderliche Anzahl von neuen Dauerarbeitsplätzen geschaffen bzw. die erforderliche Anzahl von bereits vorhandenen Arbeitsplätzen gesichert.

x

Das Unternehmen hat zwar zum Projektabschluss die Vorgaben erfüllt; es gelingt ihm aber nicht, die Arbeitsplatzzahl während des Bindungszeitraums von fünf Jahren nach Projektabschluss dauerhaft zu halten.

Wie beschrieben, kann die Zuwendungsbehörde in einer solchen Konstellation 37 i. R. ihres Ermessens entscheiden, den Zuwendungsbescheid ganz oder teilweise aufzuheben und die bereits ausgezahlten GRW-Zuschüsse entsprechend zurückzufordern; dabei ist ihr Ermessen im Regelfall (zumindest bei einer Zweckverfehlung) auf eine Rückforderungsentscheidung „intendiert“ (siehe dazu oben Rz. 29 ff.). Gleichwohl bieten der Koordinierungsrahmen (siehe dazu oben Rz. 32) sowie die zu seiner Ausführung ergangenen Richtlinien der Länder Ermessensspielräume für die zuständige Behörde, trotz Verfehlung der Arbeitsplatzvorgaben den GRW-Zuschuss ganz oder teilweise „stehenzulassen“. Diese Spielräume lassen sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen:45) Unter bestimmten, im Koordinierungsrahmen genannten Voraussetzungen46) 38 kann die Behörde im Einzelfall von einer Rückforderung absehen, die Arbeits___________ 44) Weitere Implikationen für GRW-Zuschüsse können sich in der „Krise“ des Unternehmens etwa dann ergeben, wenn ein mit GRW-Zuschüssen gefördertes Investitionsprojekt (z. B. die Errichtung oder Erweiterung einer Betriebsstätte) noch nicht abgeschlossen ist. So droht hier etwa eine Kürzung bzw. Einstellung noch nicht ausbezahlter, aber schon bewilligter Zuschüsse sowie ggf. sogar eine Rückforderung bereits ausbezahlter Zuschüsse, falls etwa die für die GRW-Förderung erforderliche Gesamtfinanzierung des Vorhabens nicht mehr gewährleistet ist; vgl. hierzu etwa Krämer/Schmidt, Zuwendungsrecht, D. II. 3. 45) Eine ausführliche Darstellung der Ermessensspielräume der Behörde findet sich bei Tetsch/ Benterbusch/Letixerant, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, S. 217 ff. (diese Darstellung ist zwar schon etwas älter, in den wesentlichen Grundzügen gilt sie aber heute unverändert fort). 46) Insbesondere Nr. II. A. 4.2 des Koordinierungsrahmens.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

platzvorgaben aus dem ursprünglichen GRW-Zuwendungsbescheid absenken oder die fünfjährige Bindefrist vorübergehend aussetzen. Hierzu ist sie befugt und – i. R. einer möglicherweise ständigen Verwaltungspraxis – ggf. sogar auch verpflichtet (zur Selbstbindung der Verwaltung über Art. 3 GG siehe Rz. 32). Voraussetzung für eine solche – aus Sicht des Zuwendungsempfängers – positive Ermessensentscheidung ist aber immer Folgendes: x

Der Zuwendungsempfänger muss darlegen, dass die Verfehlung der Arbeitsplatzziele auf Umständen beruht, die er nicht zu vertreten hat und die er im Zeitpunkt der Antragstellung auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht vorhersehen konnte.47)

x

Auch bei einer Reduzierung der Arbeitsplatzvorgaben muss das Projekt des Zuwendungsempfängers grundsätzlich noch die allgemeinen Fördervoraussetzungen einhalten. Insbesondere muss sich der bereits ausbezahlte Zuschuss immer noch durch GRW-förderfähige Investitionskosten „unterdecken“ lassen. Das bedeutet: Auch bei einer Absenkung der Arbeitsplatzziele müssen noch genügend Arbeitsplätze geschaffen bzw. gesichert werden, um 0,75 Mio. € pro neugeschaffenem Dauerarbeitsplatz und 0,5 Mio. € pro gesichertem Arbeitsplatz an GRW-förderfähigen Investitionskosten zu generieren (siehe dazu Rz. 26).

x

Trotz der Schwierigkeiten des Unternehmens, die Arbeitsplatzvorgaben zu erfüllen, muss für die Zukunft eine positive „Fortführungsprognose“ bestehen.

39

Praxishinweis Im Falle der Insolvenz des Zuwendungsempfängers ohne Fortführung des Geschäftsbetriebs („Zerschlagung“) oder der Stilllegung der Betriebsstätte scheidet ein Absehen vom Widerruf bzw. der Rückforderung aus.48)

40 In diesem Zusammenhang noch der Hinweis, dass die Einführung von Kurzarbeit grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Arbeitsplatzverpflichtungen darstellt: Nach den GRW-Bestimmungen ist die Schaffung und Sicherung von Dauerarbeitsplätzen förderfähig, die mit solchen Mitarbeitern besetzt werden müssen, welche mit dem Zuwendungsempfänger in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen.49) Hieran ändert die Einführung von ___________ 47) Vgl. Nr. II. A. 4.2.1 des Koordinierungsrahmens. Diese Vorschrift ist zwar von ihrem Wortlaut her nicht auf alle Fälle einer Verfehlung der Arbeitsplatzvorgaben anwendbar, sondern nur auf eine bestimmte Konstellation; die dort niedergelegten Erwägungen lassen sich aber insgesamt auf sämtliche Fälle der Unterschreitung der Arbeitsplatzvorgaben übertragen; dies entspricht auch der Förderpraxis der meisten GRW-Behörden. 48) Vgl. auch Nr. II. A. 4.2.2 (2) des Koordinierungsrahmens. 49) Vgl. Nr. II. A. 1.1.4; 2.3.1 des Koordinierungsrahmens. Im Rahmen eines Kurzarbeitsverhältnisses wird zwar die regelmäßige Arbeitszeit der Betroffenen verringert. Die Dauerhaftigkeit des Arbeitsverhältnisses bleibt hiervon aber unberührt.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

Kurzarbeit nichts: Denn auch Mitarbeiter in Kurzarbeit stehen nach wie vor in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zum Arbeitgeber (Zuwendungsempfänger).50) Überdies ist die Kurzarbeit immer auf einen vorübergehenden Zeitraum beschränkt.51) bb)

Veräußerung des Unternehmens bzw. von Unternehmensteilen

In Sanierungssituationen kommt es immer wieder zur Veräußerung des Unter- 41 nehmens insgesamt bzw. von Unternehmensteilen. Hat das betroffene Unternehmen GRW-Zuschüsse erhalten, ist hier Folgendes zu beachten: Eine Veräußerung im Wege des Anteilskaufs (Share Deal) ist grundsätzlich för- 42 derunschädlich: Mit Erlass des GRW-Bescheids wird ein personengebundenes Verwaltungsrechtsverhältnis begründet.52) Dieses Rechtsverhältnis wird durch einen Share Deal nicht beeinträchtigt. Es bleibt nach wie vor bei der Rechtsbeziehung zwischen dem Zuwendungsempfänger auf der einen Seite und dem Verwaltungsträger der Zuwendungsbehörde auf der anderen Seite. Die einzige Änderung tritt hier bei der Gesellschafterstruktur des Zuwendungsempfängers ein, nicht aber bei diesem selbst. 43

Praxishinweis Demzufolge bestehen in der Praxis bei einem Share Deal aus GRW-rechtlicher Sicht regelmäßig auch keine grundsätzlichen Probleme. Die Transaktion ist allerdings der Zuwendungsbehörde anzuzeigen (allgemein zu den Informationspflichten des Zuwendungsempfängers siehe oben Rz. 27 f.

Anpassungsbedarf hinsichtlich bereits erteilter GRW-Zuwendungsbescheide 44 kann allenfalls dann eintreten, wenn der Zuwendungsempfänger bislang ein kleines und mittleres Unternehmen i. S. des Europarechts (KMU) sein sollte53) und der KMU-Status des Zuwendungsempfängers durch die Transaktion verlorengehen sollte: KMU können höhere GRW-Förderungen erhalten als Nicht-KMU.54) Weiterhin müssten ggf. Bürgschaften und Haftungserklärungen, die die bisherigen

___________ 50) Welkoborsky in: NK-ArbR, § 95 SGB III Rz. 37. Bei Beziehern von Kurzarbeitergeld bleibt die Versicherungspflicht nach § 192 Abs. 1 Nr. 4 SGB V erhalten. 51) Umfassend Petrak, NZA Beilage 2/2010, S. 44; Kleinbrink, DB 2009, 342, 343; Reufels in: Hümmerich/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, § 1 Rz. 3112; hierzu auch BAG, Urt. v. 23.2.2012 – 2 AZR 548/10, NJW 2012, 2747, 2749 = NZA 2012, 852, 854. 52) So auch Koenig/Wetzel, EuZW 2006, 653, 655; Koenig/Schramm, EWS 2013, 267; vgl. auch EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-277/00 (Deutschland/Kommission), ZIP 2004, 1013, 1018 = EuZW 2004, 370, 372. 53) Zum KMU-Begriff vgl. Nr. II. A. 1.1.5 des Koordinierungsrahmens, Empfehlung der Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. (EU) L 124/36 v. 20.5.2003. 54) Vgl. Nr. II. A. 2.6.1 des Koordinierungsrahmens.

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Gesellschafter des Zuwendungsempfängers für den möglichen Rückforderungsfall abgegeben haben, auf die neue Gesellschafterstruktur umgeschrieben werden.55) 45 Anders verhält es sich hingegeben bei einem Unternehmens(teil-)kauf im Wege des Asset Deals: Dieser ist grundsätzlich GRW-schädlich. Hier bleibt der Verkäufer angesichts der Personengebundenheit des Subventionsrechtsverhältnisses zunächst „Inhaber“ der GRW-Zuschüsse, ist also auch nach dem Verkauf aus dem ihm gegenüber erlassenen Zuschussbescheid berechtigt und verpflichtet.56) Betrifft der Unternehmenskauf auch geförderte Wirtschaftsgüter bzw. Betriebsstätten, so liegt in der Veräußerung – während der Bindefrist – grundsätzlich ein Verstoß gegen die Zuwendungsbestimmungen vor.57) Überdies wird der Zuwendungsempfänger (Verkäufer) nach dem Verkauf auch tatsächlich in der Regel nicht mehr in der Lage sein, die Pflichten aus dem Zuwendungsbescheid zu erfüllen (etwa eigenbetriebliche Nutzung der geförderten Betriebsstätte; Besetzung der geförderten Dauerarbeitsplätze, siehe dazu oben Rz. 24 f.). 46 Um bei einem Asset Deal also eine Rückforderung zu vermeiden, muss der GRW-Zuwendungsbescheid auf den Käufer ganz oder teilweise überschrieben werden.58) Hat dieser die gesamte geförderte Betriebsstätte erworben, wäre er nunmehr zumindest rein faktisch auch in der Lage, für den restlichen Bindungszeitraum die GRW-Vorgaben zu erfüllen (siehe dazu oben Rz. 24 f.). Rechtstechnisch erfolgt eine solche Umschreibung durch einen Widerruf des GRWBescheids gegenüber dem ursprünglichen Zuwendungsempfänger (Verkäufer) nach § 49 VwVfG und dem (Neu-)Erlass eines identischen GRW-Zuwendungsbescheids gegenüber dem Erwerber. In der Praxis üblich ist es dabei, einen bestimmten Stichtag zwischen den Parteien zu vereinbaren, zu dem die Behörde den Zuwendungsbescheid gegenüber dem bisherigen Zuwendungsempfänger (Verkäufer) aufhebt und ab dem die Rechte und Pflichten aus dem GRW-Bescheid auf den Erwerber übergehen (§ 49 Abs. 4 VwVfG). Das bedeutet aber, dass für den Verkauf eines Unternehmens bzw. eines Unternehmensteiles, soweit GRWZuschüsse betroffen sind, stets die (vorherige) Zustimmung der Zuwendungsbehörde erforderlich ist. Insofern unterscheidet sich in dieser Hinsicht der Asset Deal maßgeblich vom Share Deal. ___________ 55) Zur Haftung des Gesellschafters eines Zuschussempfängers aus Bürgschaft, öffentlichrechtlichem Schuldbeitritt etc. vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 22.2.1996 – 11 L 6450/92, Nds. VBl. 1996, 193; OVG Thüringen, Urt. v. 14.1.1997 – 2 KO 182/95, BB 1997, 912; OVG Frankfurt/O., Beschl. v. 12.8.1998 – 4 B 31/98, ZIP 1998, 1636 = NJW 1998, 3513; BVerwG, Urt. v. 26.8.1999 – 3 C 17.98, DVBl. 2000, 907 = NVwZ-RR 2000, 196; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.7.2011 – I-18 U 159/10; VG Aachen, Urt. v. 29.8.2014 – 7 K 365/14; VG Berlin, Urt. v. 21.1.2015 – 7 K 400.14. 56) Koenig/Wetzel, EuZW 2006, 653, 655. 57) Vgl. Nr. II. A. 2.7.2 (4) des Koordinierungsrahmens: Verbleib der geförderten Wirtschaftsgüter für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach Abschluss des Investitionsvorhabens in der geförderten Betriebsstätte. 58) Vgl. VG Minden, Urt. v. 26.8.2011 – 11 K 2689/10, Rz. 33 f., juris.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

47

Praxishinweis In der Praxis erteilt die Zuwendungsbehörde in der Regel ihre Zustimmung und schreibt den Zuwendungsbescheid auf den Erwerber um, wenn hierdurch sichergestellt ist, dass in der Sache das geförderte Projekt fortgesetzt und die Arbeitsplatzziele erreicht werden. Ein Rechtsanspruch auf eine solche Zustimmung besteht hingegen grundsätzlich nicht; vielmehr steht die Erteilung der Zustimmung grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Zu beachten ist hierbei aber auch, dass sich eine solche Lösung (Käufer tritt in förderrechtliche Bindung des Verkäufers ein) in aller Regel auf den Kaufpreis auswirkt: Der Käufer lässt sich zumeist seinen förderrechtlichen Eintritt „bezahlen“, wird also auf eine Reduzierung des Kaufpreises bestehen.

cc)

Sonderproblem: Insolvenz

Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass bereits die Beantragung der Er- 48 öffnung eines Insolvenzverfahrens eine Verfehlung des Zuwendungszwecks (§ 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG) darstelle und deshalb automatisch zu einem vollständigen Widerruf und einer entsprechenden Rückforderung der GRWZuschüsse berechtige.59) Häufig enthalten GRW-Bescheide in der Praxis auch einen Widerrufsvorbehalt (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG), wonach der Zuwendungsbescheid widerrufen werden könne bzw. zu widerrufen sei, wenn der Zuwendungsempfänger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stelle bzw. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zuwendungsempfängers eröffnet werde. Diese Ansicht überzeugt nicht: Es steht im Zeitpunkt der Beantragung der Er- 49 öffnung eines Insolvenzverfahrens oft noch gar nicht fest, ob die materiellen Förderbestimmungen (insbesondere die Schaffung und Besetzung von Dauerarbeitsplätzen) in Zukunft nicht doch noch erfüllt werden können. Streng genommen steht dies selbst im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch noch nicht fest: So kann der Insolvenzverwalter sich etwa entscheiden, den Betrieb fortzuführen; oder aber er sucht einen strategischen Investor, der das Unternehmen erwirbt und damit für die Zukunft die Erfüllung der GRW-Förderbestimmungen sicherstellt (zur Veräußerung mit GRW-Zuschüssen geförderter Unternehmen bzw. Unternehmensteile siehe oben unter Rz. 41 ff.). Insofern stellt der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bzw. die Eröffnung des Verfahrens selbst noch keine zum Widerruf nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG berechtigende Zweckverfehlung dar, sondern allenfalls eine „Zweckgefährdung“. Eine solche „Gefährdung“ berechtigt für sich genommen aber noch nicht zum (rückwirkenden) Widerruf eines Zuwendungsbescheids. Vielmehr muss ___________ 59) Vgl. etwa OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.1.2011 – 1 L 77/10; VG Würzburg, Urt. v. 25.1.2012 – W 6 K 11/404, Rz. 7, juris; VG Greifswald, Urt. v. 13.7.2000 – 4 A 1665/96, Rz. 25 ff., juris; VG Regensburg, Urt. v. 12.2.2015 – RN 7 K 14.34; Krämer/Schmidt, Zuwendungsrecht, G. III. 4.3.1.1. Rz. 32.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

es hierfür gerade in Folge der Insolvenz zu einem Verstoß gegen Förderbestimmungen, insbesondere Arbeitsplatzvorgaben, kommen.60) 50 Insofern wäre es ermessensfehlerhaft, wenn die Zuwendungsbehörde allein mit dem Hinweis auf eine Insolvenz den Zuwendungsbescheid widerriefe, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststeht bzw. aufgeklärt worden ist, ob der Betrieb durch den Insolvenzverwalter oder einen Dritten fortgeführt und dadurch ggf. der Zuwendungszweck doch noch erreicht werden kann bzw. die Förderauflagen noch erfüllt werden können. Die Interessen der Zuwendungsbehörde (sparsame und effiziente Verwendung von Haushaltsmitteln) werden hierdurch nicht beeinträchtigt: Denn üblicherweise müssen die Gesellschafter des Zuwendungsempfängers für die zweckgerechte Verwendung des Zuschusses (und damit auch für mögliche Rückforderungen) einen öffentlich-rechtlichen Schuldbeitritt oder eine Bürgschaft abgeben.61) e)

Gestaltungsmöglichkeiten/praktische Hinweise

51 Unternehmenskrisen, die die Erreichung der Arbeitsplatzvorgaben gefährden und damit Auswirkungen auf GRW-Förderungen haben können, sind in der Praxis nicht selten. Häufig gelingt es hier aber, Lösungen zu entwickeln, die zumindest eine vollständige Rückforderung der GRW-Zuschüsse zu vermeiden helfen. Diese sollten aber nach Möglichkeit konsensual, also in Abstimmung mit der Zuwendungsbehörde erfolgen: Wie aufgezeigt, bestehen trotz der strengen Rechtsprechung zum „intendierten Ermessen“ noch durchaus Spielräume der Behörde, auch im Sanierungsfall von einer Rückforderung (zumindest anteilig) abzusehen (siehe oben Rz. 38 f. und 32). Im Folgenden sollen einige „Grundregeln“ für die Behandlung von Sanierungsfällen und mögliche Lösungswege aufgezeigt werden, die sich in der Praxis bewährt haben: aa)

Frühzeitige und pro-aktive Abstimmung mit den Förderbehörden

52 Zeichnet sich ein Sanierungsfall ab, der negative Auswirkungen auf die Erfüllung der GRW-Arbeitsplatzvorgaben oder sonstige Förderbestimmungen haben könn___________ 60) In diesem Sinne etwa OVG Greifswald, Urt. v. 20.2.2002 – 2 L 212/00, Rz. 34 f., NVwZ-RR 2002, 805 = GewArch 2002, 464; OVG Berlin, Urt. v. 21.8.2008 – 10 B 1/07 Rz. 40, juris; BGH, Urt. v. 28.4.2009 – XI ZR 86/08, Rz. 42, ZIP 2009, 1367; BGH, Urt. v. 23.5.2017 – XI ZR 219/16; vgl. auch Nr. II. A. 4.2.2 (2) des Koordinierungsrahmens: Hiernach gelten die Regelungen, wonach ausnahmsweise bei einem Verstoß gegen die GRW-Fördervoraussetzungen von einem Widerruf des Zuwendungsbescheides abgesehen werden kann (s. dazu Rz. 37 ff.), nicht „im Falle der Insolvenz des Zuwendungsempfängers ohne Fortführung des Geschäftsbetriebs („Zerschlagung“)“. 61) Vgl. etwa Nr. VI. 5. der Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft einschließlich der Tourismuswirtschaft im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW RIGA), v. 12.2.2019, SächsABl. 2019 Nr. 9, S. 385.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

te, sollte der Zuwendungsempfänger umgehend das Gespräch mit der zuständigen Förderbehörde suchen. 53

Praxishinweis Aus „atmosphärischen“ Gründen kann es ausgesprochen negativ sein, wenn die Behörde vom Sanierungsfall und evtl. Sanierungsmaßnahmen erst „aus der Presse“ erfährt. Mögliche Entscheidungsspielräume, die evtl. noch bestanden hätten, werden dann u. U. eingeengt. Überdies besteht insoweit das konkrete Risiko, dass der Zuwendungsempfänger gegen seine förderrechtlichen Informationspflichten verstößt und hierdurch einen eigenen Rückforderungsgrund schafft, sich möglicherweise sogar strafbar macht (siehe oben Rz. 27 f.).

Insgesamt empfiehlt es sich aber, nicht erst in einem Sanierungsfall das Gespräch 54 mit der Förderbehörde zu suchen; vielmehr hat es sich in der Praxis bewährt, laufend die Förderbehörde über den Stand des Vorhabens und die zukünftigen Aussichten der geförderten Betriebsstätte zu informieren. 55

Praxishinweis Überdies sollte der Zuwendungsempfänger bereits im Vorfeld des Erlasses des Zuwendungsbescheids einige Fragen vorsorglich klären, die in einem späteren Sanierungsfall relevant werden könnten: Insbesondere bietet es sich an, ein „gemeinsames Verständnis“ mit der Zuwendungsbehörde über die konkrete Berechnung der Arbeitsplatzvorgaben zu entwickeln (z. B. Abstellen auf jährliche Durchschnittswerte zur Abfederung von Personalschwankungen; Einbeziehung von Werkstudenten, Diplomanden, Leih-Arbeitnehmern62) oder Ex-Pats). Dies kann dem Unternehmen im Sanierungsfall eine größere Flexibilität verschaffen, trotz der Krise die arbeitsplatzbezogenen Förderauflagen doch noch zu erfüllen.

Im Regelfall haben die Zuwendungsbehörden kein Interesse an einer Rückfor- 56 derung des GRW-Zuschusses. Vielmehr liegt es primär im Interesse der Behörde, die in der geförderten Betriebsstätte vorhandenen Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Insofern dürfte die Behörde – bei entsprechend konstruktivem Verhalten des Zuwendungsempfängers – durchaus geneigt sein, gemeinsam eine rechtlich belastbare Lösung zu finden, die zumindest einen vollständigen Widerruf der Zuschüsse abwenden kann. bb)

Konkrete Lösungsmöglichkeiten

Bei den Verhandlungen in einem Sanierungsfall über die (zumindest anteilige) 57 Abwendung einer Rückforderung der Zuschüsse sollte der Zuwendungsempfänger die rechtlichen Ermessensspielräume der Behörde kennen und diese ihr – bei Bedarf – noch einmal aufzeigen. Bei einer sich abzeichnenden Gefährdung

___________ 62) Die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Anrechnung von Dauerarbeitsplätzen liegt im Ermessen der Länder, vgl. II. A. 1.1.4 (4) des Koordinierungsrahmens.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

der Arbeitsplatzvorgaben können auf dieser Grundlage etwa folgende Lösungsmöglichkeiten verhandelt werden: x

Vorzeitiger Abschluss des geförderten Projekts, ggf. unter Reduzierung des GRW-Zuschusses; hierdurch lässt sich die fünfjährige Bindefrist für die Besetzung der Dauerarbeitsplätze nach vorne verlegen und im Ergebnis daher „verkürzen“.

x

Zeitweise Aussetzung der arbeitsplatzbezogenen Bindungen mit entsprechender Verlängerung des Bindungszeitraums.63)

x

Umstrukturierung der GRW-Förderung: Insbesondere nach den GRWRichtlinien der Länder werden verschiedene Typen von Investitionsprojekten („Erstinvestitionsvorhaben“) unterschiedlich gefördert. So gibt es bestimmte Typen von Förderprojekten, die zwar nur mit einem geringeren GRW-Fördersatz gefördert werden können, dafür aber auch niedrigere Arbeitsplatzvorgaben verlangen.64)

x

Zumindest anteiliges Absehen von einer Rückforderung, etwa durch den konkreten Nachweis „marktstruktureller Veränderungen“ (siehe oben Rz. 32 und Rz. 38).

x

Zustimmung der Förderbehörde zu einer Veräußerung geförderter Wirtschaftsgüter bzw. Übertragung der geförderten Betriebsstätte insgesamt; Umschreibung des GRW-Zuwendungsbescheids auf den Erwerber (siehe oben Rz. 45 ff.).

x

Falls doch eine (Teil-)Rückforderung nicht vermeidbar ist: Abwendung zumindest der Verzinsungspflicht, etwa nach § 49a Abs. 3 Satz 2 VwVfG.65)

2.

Förderungen für Forschung und Entwicklung

a)

Rechtliche Grundlagen und wesentliche Verpflichtungen, Sanktionsmöglichkeiten

58 Forschung und Entwicklung (FuE) umfasst Tätigkeiten, die zum Erkenntniszuwachs beitragen, indem sie etwa offene wissenschaftliche oder technologische Fragen klären. Die FuE-Förderung durch die öffentliche Hand erfolgt in der Regel durch nicht rückzahlbare Zuschüsse für konkrete Vorhaben. ___________ 63) Vgl. hierzu etwa Nr. II. A. 4.2.2 (1) b) des Koordinierungsrahmens. 64) In Betracht kommt hier etwa die nachträgliche Umstellung der Förderung auf das sog. „Abschreibungskriterium“: Die Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte kann entweder dann gefördert werden, wenn die Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze um mindestens 10 % erhöht wird; eine Förderung ist aber auch dann möglich, wenn die getätigten Investitionen in einem bestimmten Verhältnis zu den in der Vergangenheit verdienten Abschreibungen des Unternehmens liegen; vgl. hierzu Nr. II. A. 2.3.2 (2) des Koordinierungsrahmens. 65) Hierzu allgemein Stelkens/Bonk/Sachs-Sachs, VwVfG, § 49a Rz. 78 ff.

212

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

EU-rechtlich gilt hier Folgendes: Gemäß Art. 25 Abs. 1 AGVO sind Beihilfen 59 für FuE-Vorhaben i. S. des Art. 107 Abs. 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nur bestimmte Arten der Forschungstätigkeit sind förderfähig (Art. 25 Abs. 2 AGVO): x

Grundlagenforschung,

x

industrielle Forschung,

x

experimentelle Entwicklung,

x

Durchführbarkeitsstudien.66)

Die Art der Forschungstätigkeit ist auch maßgeblich für die höchstzulässige 60 Beihilfenintensität. Diese beträgt von maximal 100 % für die Grundlagenforschung bis zu maximal 25 % für die experimentelle Entwicklung. Mittlere und kleine Unternehmen können auch von höheren Beihilfen profitieren. Ferner müssen die Kosten beihilfefähig sein (Art. 25 Abs. 3, 4 AGVO). Finanziell gefördert werden vor allem Personalkosten, die konkret für das jeweilige Vorhaben anfallen. Weiterhin können z. B. Kosten für Ausrüstungsgegenstände und Instrumente, für Gebäude und Grundstücke sowie für Auftragsforschung unterstützt werden, sofern sie dem entsprechenden Projekt klar zugeordnet werden können.67) Soweit Art. 25 AGVO nicht eingreift, können die Beihilfen für FuE-Vorhaben 61 nach dem Unionsrahmen68) genehmigt werden, bedürfen aber zuvor der Anmeldung bei der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV. Rechtsgrundlage von FuE-Förderungen sind die Haushaltsordnungen des Bun- 62 des und der Länder i. V. m. einem jeweils einschlägigen Förderprogramm (in der Regel eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, siehe hierzu die parallele Rechtslage bei GRW-Zuschüssen oben unter Rz. 19 ff.), nach deren Maßgabe die Zuwendung zumeist durch Verwaltungsakt gewährt wird.69) „Gegenleistung“ für den erhaltenen FuE-Zuschuss ist in aller Regel die Ver- 63 pflichtung des Zuwendungsempfängers, nach Beendigung des Forschungsprojekts die in dem Projekt gewonnenen Ergebnisse zu „verwerten“. Eine solche Verwertungspflicht ist in aller Regel im Zuwendungsbescheid inhaltlich und zeitlich festgelegt. Die Verwertung kann insbesondere „produktiv“ erfolgen (Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von neuen oder verbesserten Produkten), aber auch „finanziell“ (entgeltliche Vergabe von Lizenzen an Dritte) oder „wis___________ 66) Vgl. Definitionen in Art. 2 Nr. 84 – 87 AGVO. 67) Grabitz/Hilf/Nettesheim-v. Wallenberg/Schütte, Recht der EU, Art. 107 AEUV Rz. 257 ff.; Calliess/Ruffert-Cremer, AEUV, Art. 107 Rz. 69 f. 68) Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, ABl. (EU) C 198/1 v. 27.6.2014. 69) Gennen, IPRB 2016, 9, 13.

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§ 11 Beihilferecht und Sanierungsarbeitsrecht

senschaftlich“ (Verwendung der Projektergebnisse für weitere Forschungs- und Entwicklungsvorhaben). Art und Ziele der Verwertung hat der Zuwendungsempfänger in seinem Förderantrag zu beschreiben; in der Praxis wird dies häufig als „Verwertungsplan“ bezeichnet, der – je nach den einschlägigen Bestimmungen des Bundes oder der Länder – regelmäßig fortzuschreiben ist. In aller Regel ist eine Verwertung außerhalb des jeweiligen Bundeslandes (bei Förderungen der Länder) bzw. außerhalb des EWR und der Schweiz (bei Bundesförderungen) nur eingeschränkt zulässig; zumeist bedarf es hierfür einer vorherigen schriftlichen Zustimmung des Zuwendungsgebers, sofern eine Verwertung außerhalb des jeweiligen „Fördergebiets“ von den Angaben im Antrag bzw. im Verwertungsplan abweicht.70) 64 Verstöße gegen die Verwertungspflicht bzw. gegen sonstige Bestimmungen des Zuwendungsbescheids können zum (teilweisen oder vollständigen) Widerruf des Zuwendungsbescheids nach § 49 VwVfG und einer entsprechenden Rückforderung der FuE-Förderung nach § 49a VwVfG führen. Insofern ist die Rechtslage vergleichbar mit der Rückforderung von GRW-Zuschüssen (siehe dazu Rz. 29 ff.). b)

In der Praxis typische Rückforderungsszenarien/-konstellationen

65 Wie bereits hervorgehoben, sind FuE-Zuschüsse in der Regel nicht an die Schaffung bzw. Besetzung von Arbeitsplätzen gebunden, sondern rein projektbezogen. Das bedeutet: Entscheidet das Unternehmen sich im Sanierungsfall, Arbeitsplätze abzubauen, hat dies (anders als bei den GRW-Zuschüssen) zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf die FuE-Zuschüsse.71) 66 Gleichwohl kommt es in Sanierungsfällen typischerweise immer wieder auch zu Konstellationen, die für erhaltene FuE-Zuschüsse relevant werden können. Personalbezogene Maßnahmen haben häufig auch Auswirkungen auf die Fortsetzung eines FuE-Projekts bzw. auf die sich daran anschließende Verwertung der Projektergebnisse: x

Sind von einem Arbeitsplatzabbau Mitarbeiter betroffen, die an dem geförderten Projekt tätig sind, kann es passieren, dass das geförderte Unternehmen rein faktisch nicht mehr in der Lage ist, das Projekt entsprechend den Vorgaben des Zuwendungsbescheids zum Abschluss zu bringen.

___________ 70) Zu FuE-Förderungen des Bundes vgl. Nr. 3 der „Nebenbestimmungen für Zuwendungen auf Kostenbasis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an gewerbliche Unternehmen für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben“ (NKBF 2017), abrufbar unter https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1429.html (Abrufdatum: 15.4.2019). 71) Etwas anderes gilt dann, wenn der Zuwendungsbescheid eine ausdrückliche Regelung enthält, dass der Zuwendungsempfänger durch das FuE-Vorhaben eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen bzw. für einen bestimmten Zeitraum nach Abschluss des Projekts vorzuhalten hat. Dies ist etwa bei FuE-Förderungen des Freistaats Sachsen häufig der Fall. In dieser Konstellation kann ein Abbau von Arbeitsplätzen unmittelbar zu einer Rückforderung der Zuwendungen führen.

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III. Rückforderung bereits gewährter Beihilfen in Krisensituationen

x

Entsprechendes gilt für die sich an den Projektabschluss anschließende Verwertungspflicht: Auch diese kann „tatsächlich“ an bestimmte Mitarbeiter des Zuwendungsempfängers anknüpfen (etwa bei einer Verwertung in Form von sich an das Projekt anschließenden weiteren Forschungs- und Entwicklungsvorhaben).

x

Weiterhin kann im Sanierungsfall das Unternehmen sich auch gezwungen sehen, aus Kostengründen das geförderte Projekt einzustellen bzw. einzugrenzen, Projektergebnisse an Dritte zu veräußern oder Unternehmensteile stillzulegen bzw. an Dritte zu veräußern, in welchen das FuE-Vorhaben durchgeführt bzw. die anschließende Verwertung dargestellt werden sollte.72)

x

Die bloße Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens selbst ist hingegen für sich genommen noch förderunschädlich. Auch insoweit gilt das oben zu den GRWZuschüssen Gesagte (siehe Rz. 48 ff.) entsprechend.

All diese Konstellationen können für die Fortsetzung oder den Bestand der För- 67 derung (mittelbar) negative Auswirkungen haben, die das Unternehmen im Sanierungsfall im Auge behalten sollte, bevor es entsprechende Maßnahmen ergreift. Weiterhin bestehen in all diesen Konstellationen (ähnlich wie bei den GRW- 68 Zuschüssen, siehe dazu Rz. 27 f.) Informationspflichten: So muss der Zuwendungsempfänger der zuständigen Förderbehörde unverzüglich alle Umstände anzeigen, die für die Fortsetzung der Förderung bzw. für das „Behaltendürfen“ dieser relevant sein können. c)

Gestaltungsmöglichkeiten/praktische Hinweise

Grundsätzlich bestehen im Sanierungsfall bei FuE-Förderungen ähnliche Lö- 69 sungsansätze wie bei den GRW-Zuschüssen (siehe dazu oben Rz. 51 ff.). Daneben kann es sich auch anbieten, der Förderbehörde darzulegen, dass (etwa infolge geänderter Marktverhältnisse, aber auch angesichts der nunmehr bestehenden wirtschaftlichen Situation des Zuwendungsempfängers) eine Verwertung der Projektergebnisse nicht mehr so stattfinden kann, wie es ursprünglich im Förderantrag bzw. im Verwertungsplan dargelegt wurde. „Wirtschaftlich sinnlose“ Verwertungen sind dem Zuwendungsempfänger in der Regel nicht zuzumuten.73) Insofern sollte man mit der Zuwendungsbehörde eine entsprechende Anpassung des Verwertungsplans (etwa in zeitlicher Hinsicht) abstimmen. ___________ 72) In der letztgenannten Konstellation (Veräußerung von Unternehmensteilen, die einen Bezug zu dem FuE-Vorhaben haben) gilt das oben zu den GRW-Zuschüssen Gesagte entsprechend: Zumindest wenn die Übertragung in Form eines Asset Deals erfolgt, ist es erforderlich, dass der Erwerber in die Bindungen des Zuwendungsbescheids eintritt, um eine Rückforderung zu vermeiden (s. dazu oben Rz. 45 f.). 73) In diesem Sinne etwa OVG Lüneburg, Urt. v. 10.4.1984 – 9 A 223/81, NVwZ 1985, 120, 121.

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Teil III Sanierungsarbeitsrecht in der Insolvenz Einführung der Herausgeber In diesem Teil werden alle Aspekte des Insolvenzarbeitsrechts dargestellt. Exemplarisch für dessen Bedeutung beginnt die Darstellung mit dem Fall Airberlin, bei dem es in vielen Bereichen – kollektiv- und individualarbeitsrechtlich – zu Rechtsstreitigkeiten kam, bei denen sich die Stärken einer präzisen arbeitsrechtlichen Umsetzung der bestehenden Regelungen gezeigt haben. Alle Stadien eines Insolvenzverfahrens, einschließlich des Schutzschirm- und Insolvenzplanverfahrens, werden mit ihren arbeitsrechtlichen Besonderheiten erläutert, wobei hier auch auf den Blickwinkel der kollektiven Interessenvertreter der Belegschaft – Betriebsrat und Gewerkschaft – eingegangen wird. Abgerundet wird die Darstellung durch Kapitel zum internationalen Insolvenzarbeitsrecht und zu den arbeitsrechtlichen Bezügen des europäischen Insolvenzrechts.

§ 12 Case Study: Der Fall Airberlin – Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz von Luftfahrtunternehmen –

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Übersicht I. Einleitung........................................... 1 II. Auskunfts- und Unterlassungsansprüche im einstweiligen Rechtsschutz ...................................... 3 1. Sperrwirkung des § 122 InsO ............ 4 2. Auskunftsansprüche........................... 7 3. Unterlassungsansprüche .................... 8 III. Der Antrag nach § 122 InsO.......... 10 1. Allgemeines....................................... 10 2. Besondere Problemfelder................. 11 a) Anwendbarkeit auf Vertretungen gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG ...................................... 12

b) Beginn der Drei-WochenFrist............................................ 14 c) Wirtschaftliche Lage des Unternehmens........................... 16 d) Rechtsschutzinteresse............... 19 aa) Verstoß gegen § 117 Abs. 2 BetrVG....................................... 20 bb) Verstoß gegen § 113 Abs. 3 BetrVG....................................... 21 cc) Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG.................................. 22 dd) Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG....................... 24

Literatur: Schmädicke/Fackler, Die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung gem. § 122 InsO, NZA 2012, 1199.

I.

Einleitung

In der Insolvenz von Luftfahrtunternehmen können sich mit Blick auf das Be- 1 triebsverfassungsrecht besondere Rechtsfragen stellen. Hintergrund ist die Vorschrift des § 117 Abs. 2 BetrVG, wonach für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden kann. Man hat es hier also nicht mit einem „Betriebsrat“ bzw. dem BetrVG, sondern mit einer „Vertretung“ bzw. einem Tarifvertrag zu tun. Das gilt allerdings nur, sofern ein solcher Tarifvertrag auch tatsächlich abgeschlossen wurde. Anderenfalls greift nämlich ab dem 1.5.2019 der neue § 117 Satz 2 BetrVG, wonach auf im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen das Betriebsverfassungsgesetz anzuwenden ist, wenn keine Vertretung durch Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG errichtet wurde.1) Zur Bestimmung der Rechte dieser Vertretung ist daher auf die tarifliche Regelung zurückzugreifen. Dabei kommt den Tarifvertragsparteien ein erheblicher Spielraum zu.2) Sie können die Vorschriften des BetrVG übernehmen oder die Beteiligungsrechte ___________ 1) Die Geltung des neuen § 117 Satz 2 BetrVG hat auf die nachfolgenden Ausführungen keine Auswirkungen. Diese gelten insbesondere auch für Tarifverträge, die erst nach dem 30.4.2019 abgeschlossen werden. Es kann nicht „ergänzend“ auf das BetrVG zurückgegriffen werden, weil dieses gem. § 117 Satz 2 BetrVG nur gilt „wenn“ und nicht „soweit“ keine Vertretung durch Tarifvertrag gebildet wurde. 2) Vgl. Franzen in: GK-BetrVG, § 117 Rz. 19.

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§ 12 Case Study: Der Fall Airberlin

abweichend vom Gesetz regeln.3) Obwohl derartige Tarifverträge regelmäßig an das BetrVG angelehnt sein werden, können sich damit bedeutende Nuancierungen ergeben. 2 Dies gilt insbesondere mit Blick auf eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG. So ist bereits für die Prüfung, ob eine solche überhaupt vorliegt, auf die eigenständige tarifvertragliche Definition zurückzugreifen. Ist das der Fall und sind demnach Interessenausgleichsverhandlungen erforderlich, fällt der Blick schnell auf den § 122 InsO. Diese Vorschrift ermöglicht mit Zustimmung des ArbG die Durchführung der Betriebsänderung, ohne dass das Verfahren zum Versuch eines Interessenausgleichs abgeschlossen werden muss. Gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2 InsO entstehen dann auch keine Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG. Damit wird richtigerweise berücksichtigt, dass es in der Insolvenz häufig „schnell“ gehen muss, d. h. Betriebsänderungen nicht erst nach langwierigen, ggf. verzögerten Interessenausgleichsverhandlungen umgesetzt werden können. Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend zwei praxisrelevante Themenfelder näher beleuchtet und betroffenen Arbeitgebern Argumentationshilfen gegeben werden. II.

Auskunfts- und Unterlassungsansprüche im einstweiligen Rechtsschutz

3 Auch bei einer beabsichtigten Betriebsänderung in der Insolvenz von Luftfahrunternehmen kann sich die typische Situation ergeben, dass die Arbeitnehmervertretung, in diesem Fall also die nach § 117 Abs. 2 BetrVG i. V. m. dem jeweiligen Tarifvertrag gebildete Vertretung, versucht, Auskunfts- und vor allem Unterlassungsansprüche im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen. 1.

Sperrwirkung des § 122 InsO

4 Eine einstweilige Verfügung wird bereits unter Verweis auf die bloße Möglichkeit des Insolvenzverwalters, ab Insolvenzeröffnung einen Antrag gemäß § 122 InsO stellen zu können, abzulehnen sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Insolvenzverwalter erklärt hat, das Verfahren nach § 122 InsO einleiten zu wollen. Für ein Eilverfahren der Vertretung bleibt hier kein Raum, weil die Frage ihrer ordnungsgemäßen Unterrichtung i. R. des § 122 InsO Tatbestandsvoraussetzung ist, d. h. dort geklärt wird.4) Der § 122 InsO ist nur erfüllt, wenn der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Nur unter dieser und bei Erfüllung aller weiteren Voraussetzungen darf das Gericht gemäß § 122 InsO die Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung ohne vorherigen Abschluss des Interessenausgleichsverfahrens erteilen. Würde man dennoch bzw. parallel eine einstweilige Verfügung der Vertretung zulassen, konter___________ 3) Vgl. BAG, Beschl. v. 17.3.2015 – 1 ABR 59/13, BeckRS 2015, 69185. 4) Vgl. ArbG Berlin, Beschl. v. 2.11.2017 – 38 BVGa 13035/17, BeckRS 2017, 140300.

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II. Auskunfts- und Unterlassungsansprüche im einstweiligen Rechtsschutz

karierte dies den Beschleunigungszweck des § 122 InsO. Es entstünde ggf. ein unübersichtliches und prozessunökonomisches Nebeneinander von Verfahren, in denen der Insolvenzverwalter an verschiedenen Stellen den gleichen Vortrag leisten müsste: Einmal, um die einstweilige Verfügung abzuwehren, und gleichzeitig, um seinen Antrag nach § 122 InsO zu begründen. 5

Praxishinweis Insolvenzverwalter sollten die Vertretung schriftlich und nachweisbar bereits über die Absicht informieren, ein Verfahren nach § 122 InsO einleiten zu wollen. Diese Information nebst Zugangsnachweis kann dann z. B. in einer Schutzschrift bei Gericht hinterlegt werden, um den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung zu verhindern (auch wenn diese in der arbeitsrechtlichen Praxis selten sind). Jedenfalls lässt sich auf diese Weise frühzeitig ein Einwand gegen das Rechtsschutzbedürfnis bzw. den Verfügungsgrund schaffen.

Nach a. A. entfällt dagegen ein Verfügungsgrund, im Wege einstweiliger Verfü- 6 gung Unterrichtungs- und Informationsansprüche bei einer drohenden Betriebsänderung geltend machen zu können, nicht allein durch die Möglichkeit einer Vorprüfung i. R. eines anderen Verfahrens, sondern frühestens in dem Moment, in dem die ordnungsgemäße Unterrichtung der Vertretung festgestellt wird.5) 2.

Auskunftsansprüche

Die Reichweite des Auskunftsanspruchs der Vertretung bestimmt sich nach dem 7 zugrunde liegenden Tarifvertrag und den darin getroffenen Regelungen. Der Umfang ist also in jedem Einzelfall gesondert zu ermitteln. Bezieht sich die Formulierung in dem Tarifvertrag auf „geplante“ Betriebsänderungen, ist auch nur auf die Planung des Insolvenzverwalters abzustellen.6) Bei der Frage, welche Informationen notwendig sind, ist also darauf abzustellen, was der Insolvenzverwalter plant.7) Ist z. B. die Stilllegung des Flugbetriebs geplant, hat die Vertretung keinen Anspruch auf Informationen um zu klären, ob nicht doch die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang vorliegen.8) Zu einem eventuellen Betriebsübergang braucht der Insolvenzverwalter schon deswegen keine Informationen mitzuteilen, weil ein solcher keine Betriebsänderung darstellt.9) Aus diesem Grund hat die Vertretung z. B. auch kein Informations- und Unterrichtungsrecht betreffend die Frage der Übernahme von Slots und Flugzeugen durch Dritte, weil dies die Problematik eines Betriebs___________ 5) Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299. 6) Vgl. ArbG Berlin, Beschl. v. 2.11.2017 – 38 BVGa 13035/17, BeckRS 2017, 140300. 7) Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299. 8) Vgl. ArbG Berlin, Beschl. v. 2.11.2017 – 38 BVGa 13035/17, BeckRS 2017, 140300. 9) Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299.

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§ 12 Case Study: Der Fall Airberlin

übergangs betrifft.10) Im Rahmen einer Betriebsstilllegung ist die Übertragung von Slots keine notwendige Information.11) Wenn sich dies nicht aus dem Tarifvertrag ergibt, hat die Vertretung auch keinen Anspruch auf Informationen um zu klären, ob nicht eine andere Planung des Insolvenzverwalters möglich gewesen wäre.12) Entspricht die tarifliche Regelung nahezu wörtlich dem § 111 BetrVG, sind die unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters von der Vertretung nicht auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, d. h. es besteht in diesem Zusammenhang auch kein Anspruch auf dahingehende Informationen bzw. die Beratung hierüber.13) 3.

Unterlassungsansprüche

8 Im Eilverfahren durchsetzbare Unterlassungssprüche der Vertretung werden regelmäßig nicht bestehen. Eine sog. „Stopp-Verfügung“, die sich z. B. auf die Unterlassung der Herausgabe von Flugzeugen beziehen könnte, ist demnach ausgeschlossen. Unter der Geltung des BetrVG ist zwar umstritten, ob ein solcher Unterlassungsanspruch besteht.14) Abgesichert werden soll damit der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats gemäß § 111 BetrVG. Insbesondere mit Blick auf die Regelung des § 113 Abs. 3 BetrVG sprechen dabei die besseren Argumente gegen das Bestehen eines solchen Unterlassungsanspruchs.15) Für die Frage, ob er auch den nach § 117 Abs. 2 BetrVG gebildeten Vertretungen zusteht, ist indes ausschließlich auf den jeweiligen Tarifvertrag abzustellen. Enthält dieser – was regelmäßig der Fall sein wird – keine ausdrückliche Regelung, besteht kein Unterlassungsanspruch.16) Denn den Tarifparteien kann und darf nicht unterstellt werden, sie hätten einen derart weitreichenden Anspruch gewissermaßen stillschweigend vereinbaren wollen. Dies gilt umso mehr, als ihnen der Streit über das Bestehen des Anspruchs unter Geltung des BetrVG bei ihren Verhandlungen bewusst gewesen sein wird. Etwaige Bezugnahmen in dem Tarifvertrag gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG auf die „höchstrichterliche Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsgesetz“ o. Ä. helfen über dieses Ergebnis nicht hinweg. Denn Entscheidungen des BAG zu dieser Frage gibt es nicht bzw. kann es wegen § 72 Abs. 4 ArbGG nicht geben. Es existiert aber auch noch nicht ___________ 10) Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299. 11) Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299. 12) Vgl. ArbG Berlin, Beschl. v. 2.11.2017 – 38 BVGa 13035/17, BeckRS 2017, 140300. 13) Vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299. 14) Vgl. die Darstellung bei Oetker in: GK-BetrVG, § 111 Rz. 276 m. w. N. 15) A. A. LAG-Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299. 16) So auch ArbG Berlin, Beschl. v. 2.11.2017 – 38 BVGa 13035/17, BeckRS 2017, 140300.

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III. Der Antrag nach § 122 InsO

einmal eine einheitliche Rechtsprechung der LAG, so dass der Verweis, wenn man ihn überhaupt dahingehend verstehen könnte, insoweit intransparent und deswegen unwirksam wäre. 9

Praxishinweis Ein Unterlassungsanspruch der Vertretung besteht schließlich jedenfalls dann nicht, wenn sie vollständig unterrichtet wurde und der Insolvenzverwalter seine Bereitschaft zu Verhandlungen erklärt und die Vertretung hierzu aufgefordert hat, weil sie es dann selbst in der Hand hat, Verhandlungen aufzunehmen.17)

III.

Der Antrag nach § 122 InsO

1.

Allgemeines

Der Antrag nach § 122 InsO ist ein Spezifikum des kollektiven Insolvenzarbeits- 10 rechts. Er ermöglicht dem Insolvenzverwalter unter bestimmten Voraussetzungen eine Betriebsänderung durchzuführen, ohne zuvor das Interessenausgleichsverfahrens durchlaufen haben zu müssen (siehe den Überblick zu § 122 InsO bei § 13 Rz. 237 ff. [Gossak]). Kommt trotz rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung des Betriebsrats nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich zustande, kann das ArbG die Zustimmung zur Durchführung der Betriebsänderung erteilen. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit das u. U. erhebliche Interesse des Insolvenzverwalters an einer zügigen Durchführung der Betriebsänderung, in der oft die einzige Chance zum Erhalt von Arbeitsplätzen liegt. Zugleich, das stellt § 122 Abs. 1 Satz 2 InsO ausdrücklich klar, ist § 113 Abs. 3 BetrVG insoweit nicht anzuwenden. Das bedeutet, der Insolvenzverwalter sieht sich keinerlei Nachteilsausgleichsansprüchen betroffener Arbeitnehmer gegenüber, wenn er die Betriebsänderung aufgrund einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 122 InsO durchführt, auch wenn er mit der Vertretung zuvor keinen Interessenausgleich entsprechend dem in § 111 BetrVG vorgesehenen Verfahren versucht hat. 2.

Besondere Problemfelder

Mit Blick auf Luftfahrtunternehmen können sich in der Praxis im Zusammen- 11 hang mit § 122 InsO diverse Problemfelder stellen, von denen nachfolgend einige besonders wichtige dargestellt werden. a)

Anwendbarkeit auf Vertretungen gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG

Die Vorschrift des § 122 InsO ist auch auf gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG i. V. m. 12 einem entsprechenden Tarifvertrag gebildete Vertretungen anzuwenden. Dies gilt trotz des Wortlauts von § 122 Abs. 1 InsO, der lediglich von dem „Betriebsrat“ ___________ 17) Vgl. LAG-Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17, BeckRS 2017, 140299.

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§ 12 Case Study: Der Fall Airberlin

und nicht von sonstigen Vertretungen spricht.18) Gleichwohl sind Vertretungen i. S. des § 117 Abs. 2 BetrVG ohne weiteres als „Betriebsrat“ anzusehen.19) Jedenfalls aber wäre der § 122 InsO analog anzuwenden. Insoweit bestünde eine unbewusste Regelungslücke. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber Vertretungen gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG bewusst aus dem Anwendungsbereich des § 122 InsO herausgenommen hätte. Darüber hinaus ist auch von einer vergleichbaren Interessenlage auszugehen. Für die Interessenlage hinsichtlich der zügigen Durchführung einer Betriebsänderung macht es nämlich keinen Unterschied, ob sich der Insolvenzverwalter einem Betriebsrat oder einer Vertretung gegenübersieht. 13

Praxishinweis Sollte sich in dem der Errichtung der Vertretung zugrunde liegenden Tarifvertrag ein Ausschluss des § 122 InsO finden, ist dies unerheblich. Denn ein solcher Ausschluss würde die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien überschreiten. Diese kann sich hier wegen des Sachzusammenhangs nur auf das BetrVG beziehen und umfasst nicht die Befugnis, quasi „bei Gelegenheit“ zwingende Regelungen der Insolvenzordnung wie z. B. § 122 InsO aufzuheben.

b)

Beginn der Drei-Wochen-Frist

14 Der Antrag nach § 122 InsO setzt voraus, dass es trotz rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung des Betriebsrats nicht binnen drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs gekommen ist. An die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung der Vertretung über die geplante Betriebsänderung sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie i. R. des § 111 Satz 1 BetrVG.20) Der Insolvenzverwalter kann dabei für den Fristbeginn auch an eine Unterrichtung durch den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren anknüpfen und in die Verhandlungen eintreten, sofern es unverändert um dieselbe Betriebsänderung geht.21) Jedenfalls muss die Frist erst im Zeitpunkt des Anhörungstermins des § 83 Abs. 4 ArbGG abgelaufen sein,22) so dass der Antrag auch schon vor Fristablauf gestellt werden kann. Es ist danach ausreichend, wenn im Zustimmungsverfahren ___________ 18) Im Ergebnis ebenso: ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17, BeckRS 2017, 140300. 19) Vgl. BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05 (Aero Lloyd), ZIP 2007, 2136 = BeckRS 2007, 46205, dazu EWiR 2008, 11 (Lindemann). 20) Vgl. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = BeckRS 1999, 30824730, dazu EWiR 1999, 1131 (Moll). 21) Vgl. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = BeckRS 1999, 30824730. 22) Vgl. K. Schmidt-Ahrens, InsO, § 122 Rz. 27 m. w. N.

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III. Der Antrag nach § 122 InsO

die umfassende Unterrichtung des Betriebsrats nachgeholt wird.23) Der Insolvenzverwalter kann hier also ggf. oder vorsorglich noch nachlegen, wenn (wie so häufig) Streit über die (Kern-) Frage der umfassenden Unterrichtung der Vertretung entstehen sollte. 15

Praxishinweis Gerade wenn sich der Insolvenzverwalter für ein „Nachlegen“ entscheiden sollte, muss die Vertretung vorsorglich noch einmal schriftlich und nachweisbar zu Verhandlungen aufgefordert werden, um sich im Anhörungstermin vor dem ArbG auf den Ablauf der Drei-Wochen-Frist berufen zu können. Darüber hinaus gilt dies natürlich auch in allen Fällen, in denen es bislang noch nicht zu einem „Verhandlungsbeginn“ gekommen ist.

c)

Wirtschaftliche Lage des Unternehmens

Gemäß § 122 Abs. 2 InsO erteilt das ArbG die Zustimmung, wenn die wirt- 16 schaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird. Bei der Prüfung dieser Voraussetzung muss der gesetzliche Zweck des § 122 InsO beachtet werden. Demnach dient die Vorschrift der zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens.24) Nach Eintritt der Insolvenz sind häufig umgehend Betriebsänderungen bis hin zur Einstellung der Unternehmenstätigkeit erforderlich.25) Dabei kann das Verfahren zum Versuch eines Interessenausgleichs selbst in der nach § 121 InsO abgekürzten Form hierfür zu zeitaufwendig sein.26) Insoweit obliegt dem Gericht i. R. des § 122 InsO nur die Prüfung, ob die Betriebsänderung eilbedürftig in dem Sinne ist, dass eine frühere Betriebsänderung in Bezug auf die Gesamtmasse zu nicht ganz unerheblichen Einsparungen führt.27) Eilbedürftig ist die Maßnahme, falls die Durchführung des regulären Interes- 17 senausgleichsverfahrens zu einer nicht unwesentlichen Schmälerung der Masse führt.28) Nach richtiger Ansicht liegt diese Eilbedürftigkeit jedenfalls dann vor, wenn Masseunzulänglichkeit droht. Besteht die Gefahr, nicht einmal alle Massegläubiger befriedigen zu können, erfordert die wirtschaftliche Situation des Unternehmens eine sofortige Umsetzung der geplanten Betriebsänderung, um zumindest die Befriedigung der Massegläubiger möglichst weitgehend zu si___________ 23) Vgl. K. Schmidt-Ahrens, InsO, § 122 Rz. 27 m. w. N. 24) Vgl. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = BeckRS 2003, 41742, dazu EWiR 2004, 239 (Moll/Henke). 25) Vgl. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = BeckRS 2003, 41742. 26) Vgl. BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = BeckRS 2003, 41742. 27) Vgl. Caspers in: MünchKomm-InsO, § 122 Rz. 40. 28) Vgl. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = BeckRS 1999, 30824730; Caspers in: MünchKomm-InsO, § 122 Rz. 41.

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§ 12 Case Study: Der Fall Airberlin

chern.29) Außerdem ist die Umsetzung dann eilig, falls das Unternehmen nicht mehr produktiv genug ist, um seine laufenden Kosten zu erwirtschaften. In solchen Fällen steht fest, dass jeder unveränderte Weiterbetrieb des Unternehmens die Masse schmälert, so dass eine unverzügliche Umsetzung der Betriebsänderung geboten ist.30) Der detaillierten Darlegung der „Alternativkosten“ bzw. Ersparnisse im Vergleich mit der Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens durch den Insolvenzverwalter bedarf es in diesem Fall nicht. 18

Praxishinweis Der Insolvenzverwalter kann sich hier erheblichen Anforderungen der ArbG gegenübersehen, was die bis ins letzte Detail gehende Darlegung der Zeit- und Kostenersparnisse angeht, die mit dem Antrag nach § 122 InsO im Vergleich mit der Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens erreicht werden. Auch wenn solche Anforderungen den Rahmen des Zulässigen bei weitem überspannen können, sollten entsprechende Zahlen vorsorglich bereitgehalten werden.

d)

Rechtsschutzinteresse

19 Das Rechtsschutzinteresse eines gegen die Vertretung des Kabinenpersonals gerichteten Antrags gemäß § 122 InsO kann nicht mit der Begründung verneint werden, das Luftfahrtunternehmen habe mit der Kündigung aller Piloten, für die eine eigene Vertretung gebildet wurde, bereits unumkehrbar mit der Betriebsänderung in Form einer Stilllegung begonnen.31) Insbesondere verwirkt der Insolvenzverwalter mit der Kündigung der Piloten keine Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG gegenüber dem Kabinenpersonal. Auf die Argumentation, mit der Stilllegung eines „Betriebs Cockpit-Personal“ würde automatisch auch der „Betrieb Kabinenpersonal“ geschlossen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Solange eine nach § 117 Abs. 2 BetrVG gebildete Vertretung existiert, besteht das notwendige Rechtsschutzinteresse des Insolvenzverwalters für einen Antrag nach § 122 InsO. Die gegenteilige Entscheidung des ArbG Berlin vom 21.12.201732) ist aus mehreren Gründen unzutreffend und abzulehnen. aa)

Verstoß gegen § 117 Abs. 2 BetrVG

20 Die Entscheidung blendet die nach § 117 Abs. 2 BetrVG zulässige und wirksame Bildung zweier, voneinander getrennter Vertretungen von Piloten und Kabinenpersonal systemwidrig aus. Ein Nachteilsausgleichsanspruch gemäß § 113 Abs. 3 ___________ 29) Vgl. Regh in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 10 Rz. 78; Caspers in: MünchKomm-InsO, § 122 Rz. 43; Schmädicke/Fackler, NZA 2012, 1199, 1202. 30) Vgl. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = BeckRS 1999, 30824730; Caspers in: MünchKomm-InsO, § 122 Rz. 41; Regh in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 10 Rz. 78; Schmädicke/Fackler, NZA 2012, 1199, 1202; Moll in: KPB-InsO, § 122 Rz. 45, 45d. 31) A. A. ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17, BeckRS 2017, 138890. 32) ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17, BeckRS 2017, 138890.

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III. Der Antrag nach § 122 InsO

BetrVG kann nur entstehen durch die Missachtung der Beteiligungsrechte des zuständigen Vertretungsgremiums. Dessen Verhandlungsanspruch soll mit dieser Norm abgesichert werden. Verletzt der Insolvenzverwalter diesen Verhandlungsanspruch, ist es gerechtfertigt, ihn mit der Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG zu belegen. Nach der Entscheidung des ArbG Berlin vom 21.12.2017 könnte demgegenüber die paradoxe Situation entstehen, dass trotz einer rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung der Vertretung des Kabinenpersonals, die i. R. des § 122 InsO einzelfallbezogen zu prüfen ist, Nachteilsausgleichsansprüche gegenüber dieser Arbeitnehmergruppe verwirkt würden. bb)

Verstoß gegen § 113 Abs. 3 BetrVG

Diese geradezu absurde Rechtsfolge ist von § 113 Abs. 3 BetrVG33) ebenfalls nicht 21 gedeckt. Die Vorschrift sichert auch im Insolvenzverfahren die Beteiligungsrechte des zuständigen Betriebsrats bei Betriebsänderungen und weist insoweit den Charakter einer Sanktionsnorm auf.34) Eine Sanktion ohne rechtswidriges Verhalten ist indes nicht nur dem Betriebsverfassungsrecht, sondern der gesamten Rechtsordnung fremd. Erst recht kann deswegen keine „doppelte Sanktion“ ohne rechtswidriges Verhalten eintreten. Genau das wäre aber nach der Entscheidung des ArbG Berlin vom 21.12.2017 der Fall. Der Insolvenzverwalter sähe sich in derartigen Konstellationen trotz rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung der Vertretung des Kabinenpersonals Nachteilsausgleichsansprüchen gegenüber, ohne jemals die Gelegenheit gehabt zu haben, die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens gegenüber dieser Vertretung i. R. eines Antrag gemäß § 122 InsO überprüfen zu lassen. cc)

Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG

Die Entscheidung lässt sich mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß 22 Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbaren. Der § 122 InsO sieht ausdrücklich einen Antrag gegen den „Betriebsrat“ vor und enthält keine einschränkende Ausnahmeregelung für Luftfahrtunternehmen mit mehreren Vertretungen für das fliegende Personal. Damit besteht für den Insolvenzverwalter das Recht, sowohl gegen die Vertretung der Piloten als auch gegen diejenige des Kabinenpersonals einen Antrag gemäß § 122 InsO stellen zu können. Der Ausschluss eines Antrags gegen eine der beiden Vertretungen vollkommen unabhängig vom (rechtmäßigen) Verhalten dieser gegenüber kommt einer Aufhebung des § 122 InsO gleich, die jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten wäre. Das ArbG Berlin meint dagegen in der Entscheidung vom 21.12.2017: „Der Beteiligten zu 1) zuzumuten, mit der Umsetzung des Interessenausgleichs mit der Personalvertretung Cockpit bis zu einem Interessenausgleich mit der Personalvertretung Kabinenpersonal (bzw. bis zum Scheitern eines Interessen-

___________ 33) Bzw. der entsprechenden Regelung in einem Tarifvertrag gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG. 34) Vgl. Oetker in: GK-BetrVG, § 113 Rz. 3, 4 und 46.

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§ 12 Case Study: Der Fall Airberlin ausgleichsverhandlungsversuchs oder bis zu einem stattgebenden Beschluss nach § 122 InsO) zu warten, missachtet nicht die unterschiedlichen Regelungszuständigkeiten der Gruppen-Personalvertretungen, sondern ist die schlicht faktische Konsequenz daraus, dass die Beteiligte zu 1) den ‚Betrieb Kabinenpersonal‘ nicht ohne Piloten führen kann, bildlich gesprochen das Cockpit-Personal und das Kabinenpersonal zusammen ‘im selben Flugzeug sitzen‘.“35)

23 Mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG ist das jedoch keine taugliche Argumentation. Der Verweis auf ein einprägsames Bild („Piloten und Kabinenpersonal in einem Flugzeug“) ersetzt nicht Begründung, weshalb dem Insolvenzverwalter ohne gesetzliche Grundlage das Recht auf einen Antrag gegen eine der beiden Vertretungen a priori genommen werden könnte. Im Ergebnis würde der § 122 InsO damit schlicht ausgehebelt. Das vom Gesetzgeber gewollte „Damoklesschwert“ über jedweder Verzögerungstaktik der Vertretung in der Insolvenz würde, bildlich gesprochen, abgehängt. dd)

Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

24 Besondere Brisanz gewinnt die Entscheidung des ArbG Berlin vom 21.12.2017 mit Blick auf die in § 122 Abs. 3 InsO enthaltene Beschränkung des Rechtswegs gegen Entscheidungen der ArbG über einen Antrag gemäß § 122 InsO. 25 Denn gemäß § 122 Abs. 3 Satz 1 InsO findet gegen den Beschluss des ArbG die Beschwerde an das LAG nicht statt. Die Rechtsbeschwerde an das BAG findet gemäß § 122 Abs. 3 Satz 2 InsO nur statt, wenn sie in dem Beschluss des ArbG zugelassen wird, wobei § 72 Abs. 2 und 3 ArbGG entsprechend gelten sollen. Mangels eines Verweises auf die §§ 72a, 92a ArbGG in § 122 Abs. 3 Satz 2 InsO ist die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen ausgeschlossen.36) Bei Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde bleibt dem Insolvenzverwalter damit gegen ablehnende Entscheidung des ArbG nur die Verfassungsbeschwerde. Diese scheidet als erfolgversprechender Rechtsbehelf in der Insolvenz jedoch schon aus Zeitgründen, zumindest im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung, regelmäßig aus. 26 Nach der Entscheidung des ArbG Berlin vom 21.12.2017 stünde der Insolvenzverwalter also in jeder Hinsicht „mit leeren Händen“ da, ohne dass sich ein Gericht näher mit der Frage einer rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung der Vertretung, gegen die sich der Antrag nach § 122 InsO richtet, hätte befassen müssen. Alleine das Verhalten gegenüber der von einer anderen Vertretung repräsentierten Mitarbeitergruppe würde für die Zurückweisung des Antrags gemäß § 122 InsO genügen. Man wird argumentieren können, dass damit im Ergebnis ein unzulässiger Entzug des Richters i. S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbunden ist. ___________ 35) Vgl. ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17, Rz. 97, BeckRS 2017, 138890. 36) Vgl. BAG, Beschl. v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, BeckRS 2001, 41591.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

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Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. Beendigung von Arbeitsverhältnissen ........................................... 5 III. Besonderheiten im Insolvenzantragsverfahren ............................. 10 IV. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen ......................................... 19 1. Grundsatz ......................................... 19 2. Insolvenzforderungen/Masseforderungen..................... 22 a) Sonderleistungen und sonstige Einmalzahlungen................ 28 b) Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld................................ 32 c) Vergütung bei Altersteilzeit im Blockmodell.......................... 34 d) Teilvergütung und Schadensersatz bei fristloser Kündigung ................................. 36 e) Provisionen ................................ 37 3. Vergütungsansprüche bei Masseunzulänglichkeit ..................... 38 V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall .................................... 48 1. Insolvenzgeld.................................... 51 a) Lohnersatz als Versicherungsleistung ............................. 51 b) Anspruch.................................... 52 c) Antrag und Ausschlussfrist ...... 64 d) Umfang und Höhe .................... 67 e) Gesetzlicher Anspruchsübergang..................................... 77 2. Beendigung von Arbeitsverhältnissen................................................. 79 a) Freistellungsbefugnis ................ 80 aa) Arten der Freistellung............... 84 bb) Rechtsfolgen einer erklärten Freistellung ................................ 86

(1) Arbeitspflicht und Vergütung ........................................ 86 (2) Urlaubsansprüche ..................... 93 (3) Anderweitiger Zwischenverdienst..................................... 96 (4) Wettbewerbsverbot im Freistellungszeitraum ...................... 98 (5) Gleichwohlgewährung ............ 100 b) Kündigungsbefugnis ............... 105 aa) Lösungsklausel ........................ 107 bb) Vertretung und Vollmacht ..... 109 c) Kündigungsfristen................... 119 d) Verfrühungsschaden ............... 136 e) Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen................. 145 3. Interessenausgleich und Sozialplan ........................................ 149 a) Interessenausgleich ................. 149 b) Betriebsänderung..................... 160 c) Namensliste ............................. 166 d) Sozialplan................................. 200 aa) Altersgruppen.......................... 202 bb) Sozialplanpflicht ..................... 204 cc) Scheitern der Sozialplanverhandlungen ......................... 209 dd) Sozialplan nach Verfahrenseröffnung (§ 123 InsO) .......... 211 ee) Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) .......... 228 4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) ................. 237 5. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO ....... 260 6. Massebelastende Kollektivvereinbarungen ............................... 282 VI. Insolvenzanfechtung .................... 300

Literatur: Arend, Die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung nach § 122 InsO, ZInsO 1998, 303; Bayreuther, Sanierungs- und Insolvenzklausel im Arbeitsrecht, ZIP 2008, 573; Belling/Hartmann, Die Tarifbindung in der Insolvenz, NZA

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick 1998, 57; Berscheid, Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nach § 113 InsO, Teil I, ZInsO 1998, 115; Franzen, Begriff der Entlassung nach der Massenentlassungsrichtlinie, NZA 2016, 26; Göpfert/Stark, Neues von der Namensliste – „Schaffung“ einer ausgewogenen Personalstruktur, ZIP 2015, 155; Heinze, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, NZA 1999, 57; Hohenstatt, Der Interessenausgleich in einem veränderten rechtlichen Umfeld, NZA 1998, 846; Kania, Arbeitsrecht in Konkurs und Insolvenz, DStR 1996, 832; Kindler/Bitzer, Die Reform der Insolvenzanfechtung, NZI 2017, 369; Klar, Einvernehmliche Freistellung und Anrechnung anderweitigen Verdienstes, NZA 2004, 576; Kreuzer/Rößner, Die Betriebsänderung in der Insolvenz und die Darstellung der „wirtschaftlichen Lage des Unternehmens“ nach § 122 InsO, NZI 2012, 699; Lakies, Der Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 183 SGB III), NZA 2000, 565; Lakies, Das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO, NZI 2000, 345; Lingemann/Rolf, Leistungsträger – Abwägung, Auswahlrichtlinie und Namensliste, NZA 2005, 264; Löwisch, Neugestaltung des Interessenausgleichs durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz, RdA 1997, 80; Maschmann, Was ist ein Betrieb im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie? EuGH v. 30.4.2015 und 13.5.2015 – Rs. Wilson, Lyttle und Rabal Cañas, EuZA 2015, 488; Mückl/Krings, Betriebsvereinbarungen und Insolvenzanfechtung, ZIP 2015, 1714; Oetker, Die Kündigung von Tarifverträgen, RdA 1995, 82; Oetker/Friese, Der Interessenausgleich in der Insolvenz, DZWiR 2001, 133; Oetker/Friese, Massebelastende Betriebsvereinbarungen in der Insolvenz (§ 120 InsO), DZWIR 2000, 397; Schaub, Arbeitsrecht in der Insolvenz, DB 1999, 217; Rieble, Das insolvenzarbeitsrechtliche Beschlußverfahren des § 126 InsO, NZA 2007, 1393; Schrader, Übergangsregelungen zum Konkursrecht, NZA 1997, 70; Seifert, Die insolvenzrechtliche Einordnung der Entgeltansprüche von Altersteilzeitarbeitnehmern in der Freistellungsphase, DZWIR 2004, 103; Seel, Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten beim Unternehmenskauf in der Krise, JA 2011, 372.

I.

Einführung Die Konkurseröffnung als solche bildet keinen wichtigen Grund für eine fristlose Entlassung: BAG, Urt. v. 25.10.1968 – 2 AZR 23/68 (Hamm), NJW 1969, 525

1 In der Insolvenz sind die Arbeitsplätze in größter Gefahr. Denn in § 1 InsO wird neben der Sanierung des Unternehmens und der Möglichkeit zur übertragenden Sanierung auch die zerschlagende Liquidation des Unternehmens als gleichrangiges Ziel genannt. Daran hat sich trotz Einführung des ESUG1) grundsätzlich nichts geändert. Bei einer Sanierung in Eigenverwaltung behalten die Arbeitnehmer jedoch die Perspektive der Weiterführung des Unternehmens und dadurch eine ganz andere Motivation im Vergleich zu einer Zerschlagung oder einer übertragenden Sanierung. 2 Eine erfolgreiche Sanierung von Unternehmen gelingt regelmäßig nur durch eine erhebliche Senkung von Personalkosten mit Hilfe von Entlassungen sowie durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Weniger Leute arbeiten für weniger Geld! Falls überhaupt keine Aussicht auf Erhalt des angeschlagenen Unternehmens besteht oder die Sanierung scheitert, bedeutet dies Arbeitsplatzverlust und weitere finanzielle Einbußen für die gesamte Belegschaft. Zusätzlich ___________ 1) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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II. Beendigung von Arbeitsverhältnissen

besteht die Gefahr, dass erhaltene Leistungen zurückbezahlt werden müssen. Denn die Regeln über die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 f. InsO gelten auch nach der Reform des Anfechtungsrechts2) immer noch gegenüber Arbeitnehmern. Nur ein Teil der Belastungen wird durch die finanzielle Absicherung rückstän- 3 diger Vergütungsansprüche für einen Zeitraum von maximal drei Monaten i. R. des Insolvenzgelds (§§ 165 ff. SGB III) sowie durch die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersvorsorge durch den Pensionssicherungsverein (§§ 7 ff. BetrAVG) ausgeglichen. Zu den wichtigsten arbeitsrechtlichen Instrumenten im Insolvenzfall zählen

4

x

die Einordnung rückständiger Arbeitnehmerforderungen als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO),

x

die Verkürzung von Kündigungsfristen auf maximal drei Monate (§ 113 InsO),

x

die Begrenzung finanzieller Belastungen aus Sozialplänen (§ 123 InsO),

x

die Straffung des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsänderungsverfahrens (§§ 111 ff. BetrVG i. V. m. § 125 InsO) sowie

x

die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen im Insolvenzplanverfahren.

II.

Beendigung von Arbeitsverhältnissen Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl durchzuführen. Dies gilt auch dann, wenn ein Betriebsteil stillgelegt und der andere Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen werden soll: BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, ZIP 2005, 412 = NZA 2005, 285

Die Beendigung von Arbeitsverhältnisses erfolgt auch im Insolvenzfall unter 5 Anwendung der allgemeinen Regeln des Arbeitsrechts, lediglich ergänzt bzw. modifiziert durch die Sondervorschriften des Insolvenzarbeitsrechts (§§ 113, 120 – 122, 125 – 128 InsO). Die Insolvenz des Unternehmens beendet nicht das Arbeitsverhältnis (§ 108 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO). Weder der Insolvenzantrag noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an sich stellen einen Grund zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen dar. Das KSchG ist auch in der Insolvenz zu beachten. Damit bleiben soziale Ge- 6 sichtspunkte des Arbeitnehmers wie Lebensalter oder Dauer der Betriebszugehörigkeit für die Wirksamkeit der Kündigung relevant (vgl. § 1 KSchG). Dies ___________ 2) Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, v. 29.3.2017, BGBl. I 2017, 654, ist am 5.4.2017 in Kraft getreten.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

gilt auch dann, wenn ein Betriebsteil stillgelegt und der andere Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen werden soll.3) 7 Neben dem allgemeinen Kündigungsschutz sind ferner in bestimmten Fällen Sonderregelungen zu beachten, etwa bei Berufsausbildungsverhältnissen (§ 22 BBiG), bei schwerbehinderten Menschen (§§ 168 ff. SGB IX), in Elternzeit (§§ 18, 19 BEEG), während der Schwangerschaft und im Mutterschutz (§ 17 MuSchG), bei Heimarbeitern (§ 29 Abs. 3, 4 HAG), für Wehrdienstleistende (§ 2 ArbPlSchG) oder für Mitglieder betriebsverfassungsrechtlicher Organe (§ 15 KSchG, § 103 BetrVG, § 179 Abs. 3 SGB IX, § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX). 8 Besteht ein Betriebsrat, so ist dieser nach allgemeinen Regelungen (§§ 102, 103 BetrVG) zu beteiligen sowie bei Massenentlassungen vollständig und schriftlich zu konsultieren (§ 17 Abs. 2 KSchG). 9

Praxishinweis Die Anhörung des Betriebsrats kann ausnahmsweise vor der Insolvenzeröffnung durch den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter durchgeführt werden, wenn die beabsichtigte Kündigung zwar nach der Eröffnung erfolgen soll, aber auf einem Sanierungsgutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters beruht und dieser zum endgültigen Verwalter bestellt wird.4)

III.

Besonderheiten im Insolvenzantragsverfahren Die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Unternehmensstilllegung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter wegen der von ihm beabsichtigten Stilllegung: BAG, Urt. v. 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, ZIP 2006, 585 = NZA 2006, 727

10 Bei einer Kündigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner oder durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ist die „normale“ gesetzliche, tarifvertragliche oder einzelvertragliche Kündigungsfrist ohne Berücksichtigung der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO einzuhalten. Die Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO steht nur dem Insolvenzverwalter oder Eigenverwalter im eröffneten Verfahren zu.5) Sie gilt nicht für den (auch „starken“) vorläufigen Insolvenzverwalter. Dies ergibt sich aus der systematischen Einordnung des § 113 InsO in den dritten Teil der InsO – Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Während des Insolvenzantragsverfahrens kann sich der vorläufige Insolvenzverwalter selbst dann nicht auf § 113 InsO berufen, wenn dem Schuldner ein allgemeines Verwaltungs- und Verfügungsverbot auferlegt und ihm ___________ 3) BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, ZIP 2005, 412 = NZA 2005, 285, dazu EWiR 2005, 263 (Richter). 4) BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, ZIP 2006, 631 = NZA 2006, 658. 5) BAG, Urt. v. 2.3.2006 – 2 AZR 23/05, NZA 2006, 1352.

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III. Besonderheiten im Insolvenzantragsverfahren

die Rechtsstellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) übertragen wurde. 11

Praxishinweis Die arbeitsrechtlichen Erleichterungen der §§ 113, 120 – 122 sowie §§ 125 – 128 InsO stehen dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht zur Verfügung.

Die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Verwalters ist der gesetzlich gere- 12 gelte Normalfall. Der statistische Normalfall bleibt jedoch der sog. schwache vorläufige Verwalter (§ 22 Abs. 2 InsO). Bestimmt das Insolvenzgericht einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter, überträgt es diesem die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das Vermögen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gleichzeitig legt das Insolvenzgericht dem Unternehmen ein allgemeines Verfügungsverbot auf. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übernimmt bereits im Insolvenzantragsverfahren die Arbeitgeberfunktion, so dass nur er (allein) zum Ausspruch von Kündigungen befugt ist. Ihn treffen auch die steuerrechtlichen (z. B. Lohnsteuervoranmeldungen) und sozialversicherungsrechtlichen (Beitragsmeldungen) Verpflichtungen. Der sog. starke vorläufige Insolvenzverwalter ist nach dem Wortlaut des § 22 13 Abs. 1 Nr. 2 InsO zur Betriebsstilllegung nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichts befugt. Aus dieser Regelung wird zum Teil gefolgert, dass eine Kündigung wegen Stilllegung nur dann wirksam ist, wenn das Insolvenzgericht den (vorläufigen) Insolvenzverwalter zuvor zur Stilllegung des Betriebs ermächtigt hat. Die Zustimmung des Insolvenzgerichts ist nach dieser Meinung Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung wegen Stilllegung des (Teil-)Betriebs.6) Erst nach Vorliegen dieser materiellen Berechtigung dürfe der Insolvenzverwalter Arbeitsverträge wegen der beabsichtigten Betriebsstilllegung kündigen. Dieser Auffassung ist das BAG nicht gefolgt und hat entschieden, dass Kündi- 14 gungen des vorläufigen Insolvenzverwalters auch ohne Zustimmung des Insolvenzgerichts im Außenverhältnis arbeitsrechtlich rechtswirksam sind. Die Sanktion für ein zu weit gehendes Handeln nach insolvenzrechtlichen Vorschriften begründet allein eine eventuelle Schadensersatzpflicht gemäß § 60 InsO. Bestimmt das Insolvenzgericht einen sog. schwachen vorläufigen Insolvenzver- 15 walter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 2 InsO), hängen seine Befugnisse von den Regelungen im Bestellungsbeschluss ab. Das Insolvenzgericht kann – i. R. der Einzelermächtigung – dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter entweder die Arbeitgeberstellung übertragen oder Handlungen des Schuldners im arbeitsrechtlichen Bereich von der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig machen. Wird die Rechtsstellung des ___________ 6) LAG Düsseldorf, Urt. v. 8.5.2003 – 10 (11) Sa 246/03, ZIP 2003, 1811 = NZA-RR 2003, 466; LAG Hamburg, Urt. v. 16.10.2003 – 8 Sa 63/03, ZIP 2004, 869, dazu EWiR 2004, 981 (Peters-Lange).

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters durch Einzelermächtigungen gestärkt, spricht man gelegentlich auch vom sog. „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter. 16 Auch der sog. schwache vorläufige Insolvenzverwalter benötigt für eine Betriebsstilllegung die Zustimmung des Insolvenzgerichts, da seine Befugnisse nicht über die Rechtsstellung des sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters hinausreichen können. Ein Verstoß gegen die insolvenzrechtliche Vorschrift führt jedoch ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung im Außenverhältnis. 17 Das Insolvenzgericht kann jedoch bereits mit dem Anordnungsbeschluss den vorläufigen Insolvenzverwalter generell zur Betriebsstilllegung des Betriebes ermächtigen7) und auf diese Weise eine mögliche Haftung von vornherein ausschließen. Liegt die gerichtliche Ermächtigung oder Zustimmung vor, dann kann der vorläufige Insolvenzverwalter mit zugewiesener Arbeitgeberfunktion den Betrieb ohne Haftungsgefahr selbst stilllegen; ohne Arbeitgeberfunktion kann der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter der Stilllegungsentscheidung des Schuldners nur zustimmen. 18

Praxishinweis Zu Beweiszwecken sollte die Stilllegungsentscheidung, die vor Ausspruch der Kündigungen getroffen sein muss, schriftlich dokumentiert werden.

IV.

Forderungen aus Arbeitsverhältnissen

1.

Grundsatz

19 Zu den finanziellen Arbeitnehmeransprüchen zählen alle Geld- oder Naturalleistungen, die als Gegenwert für die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung einzustufen sind. Hierzu gehören alle Arten der vertragsmäßigen Vergütung, unabhängig von der gewählten Bezeichnung: Lohn, Gehalt, Honorar, Mehrarbeits- und Überstundenvergütung, Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, erfolgsabhängige Gehaltsbestandteile wie Gewinnbeteiligungen und Tantiemen, Gratifikationen, Vorruhestandsleistungen, Urlaubsentgelt, Urlaubsgeld und Urlaubsabgeltung, Deputate und andere Sachbezüge.8) 20

Praxishinweis Ist das Arbeitsverhältnis vor der Insolvenzeröffnung beendet, werden alle finanziellen Forderungen oder Forderungen, die nach § 45 InsO in Geld umgerechnet werden können, Insolvenzforderungen nach § 108 Abs. 3 InsO.

21 Ansprüche aus unvertretbaren Handlungen (z. B. Zeugnis) werden nicht durch Anmeldung zur Insolvenztabelle behandelt. Der Zeugnisanspruch muss erfüllt ___________ 7) BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180, dazu EWiR 2000, 1165 (Peters-Lange). 8) BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, ZIP 2003, 1802 = NZA 2004, 43; Kania, DStR 1996, 832; Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 55 Rz. 155, 167.

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Gossak

IV. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen

werden. Wer für die Ausstellung des Zeugnisses zuständig ist, richtet sich nach der Arbeitgeberstellung: Wenn das Arbeitsverhältnis vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet wird, bleibt der insolvente Arbeitgeber selbst zuständig. Die Verpflichtung der Erteilung des Zeugnisses geht nicht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, wenn auf diesen im Eröffnungsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht gemäß § 22 Abs. 1 InsO oder i. R. einer Einzelermächtigung für die Arbeitsverhältnisse gemäß § 22 Abs. 2 InsO übergegangen ist. Im Umkehrschluss ist der (vorläufige) Insolvenzverwalter zuständig für die Erteilung des Zeugnisses, wenn auf diesen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist. Damit der Insolvenzverwalter dieser Verpflichtung auch nachkommen kann, hat er einen Auskunftsanspruch gegenüber dem insolventen Arbeitgeber nach § 97 InsO. Wenn der Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen titulierten Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses erwirkt hat, dann bleibt der Anspruch weiterhin gegen den ehemaligen Arbeitgeber vollstreckbar, auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 2.

Insolvenzforderungen/Masseforderungen Vereinbarte Vergütungserhöhung für den Fall der Insolvenz: BAG, Urt. v. 19.1.2006 – 6 AZR 529/04, ZIP 2006, 1366 = BB 2007, 52

Leistet eine Arbeitnehmerin durch eine Teilzeitvereinbarung einen Sanie- 22 rungsbeitrag und soll sie bei Insolvenz für die letzten zwölf Monate vor ihrem Ausscheiden bezüglich ihrer monatlichen Vergütung so gestellt werden, wie sie ohne diese Teilzeitvereinbarung gestanden hätte, wobei für diesen Zeitraum auch die volle Arbeitsleistung verlangt werden kann, so unterliegt diese Vereinbarung weder der Insolvenzanfechtung noch ist sie sittenwidrig. Die Vergütungsdifferenzen sind (nur) für die Zeit nach Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeiten. Ob der Vergütungsanspruch als Masseverbindlichkeit oder als Insolvenzfor- 23 derung anzusehen ist, bestimmt sich nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.9) Für die insolvenzrechtliche Einstufung von finanziellen Arbeitnehmeransprü- 24 chen ist maßgeblich auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung abzustellen. Entscheidend ist, ob die Forderung „für“ die Zeit vor der Eröffnung (§ 108 Abs. 3 InsO) entstanden ist oder ob die Erfüllung durch den Arbeitnehmer „für“ die Zeit nach Eröffnung zu erfolgen hat (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO). Nicht entscheidend ist die Fälligkeit. Maßgebend ist, ob der Anspruch vor oder nach Eröffnung des Insolvenzver- 25 fahrens entstanden ist. Das Arbeitsentgelt wird dem Zeitraum zugerechnet, zu dem die entsprechende Tätigkeit verrichtet wurde oder, im Falle von Annah___________ 9) BAG, Urt. v. 19.1.2006 – 6 AZR 529/04, ZIP 2006, 1366 = BB 2007, 52.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

meverzug des Arbeitgebers/Verwalters, hätte verrichtet werden müssen. Das gilt auch für Arbeitszeitkonten.10) 26 Vergütungsansprüche, die vor Insolvenzeröffnung begründet wurden, sind Insolvenzforderungen, § 108 Abs. 2 InsO.11) Hierzu gehören auch sog. „Sanierungsstunden“, die nur vergütet werden sollen, wenn der Arbeitnehmer betriebsbedingt ausscheidet.12) Eine Ausnahme gilt hier aufgrund des Verweises in § 22 Abs. 1 InsO auf § 55 Abs. 2 InsO nur für Ansprüche, die während des Eröffnungsverfahrens entstanden sind, wenn ein sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde. Solche Vergütungsansprüche sind bereits im Insolvenzantragsverfahren Masseverbindlichkeiten.13) 27 Sämtliche Lohn- und Gehaltsforderungen, die nach Insolvenzeröffnung entstanden sind, sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO stets Masseverbindlichkeiten.14) Der Erfüllungsanspruch richtet sich gegen den Insolvenzverwalter, der nach § 80 Abs. 1 InsO in die Rechte und Pflichten des Schuldners eingetreten ist. a)

Sonderleistungen und sonstige Einmalzahlungen

28 Bei Sonderzuwendungen kann die Einordnung als Masseforderung oder Insolvenzforderung dann problematisch sein, wenn die Sonderzahlung erst nach Insolvenzeröffnung fällig wird, aber für einen Bezugszeitraum geleistet wird, der teilweise auch vor Insolvenzeröffnung liegt. Sonderzuwendungen sind in vielfältiger Ausgestaltung mit unterschiedlichen Zielrichtungen denkbar. Mit ihnen kann ausschließlich der Zweck verfolgt werden, die Betriebstreue des Arbeitnehmers zu belohnen, andererseits kann der Zweck auch ausschließlich darin liegen, eine zusätzliche Vergütung für die geleistete Arbeit zu gewähren. Liegen beide Zweckelemente vor, wird die Sonderzahlung als Gratifikation mit Mischcharakter bezeichnet. 29 Zusätzliche Vergütungen, also Leistungen, die einzelnen Monaten zugeordnet werden können, stellen nur Masseverbindlichkeiten dar, soweit sie der Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuordnen sind. Ein Anspruch auf eine ___________ 10) BAG, Urt. v. 24.9.2003 – 10 AZR 640/02, ZIP 2004, 124 = NZA 2004, 980, dazu EWiR 2004, 391 (Bezani/Richter); Hinweis: Nach § 7e i. V. m. § 7b SGB IV bestehen Absicherungspflichten für Langzeitarbeitskonten. Werden diese nicht erfüllt, können auch Ansprüche gegen Organmitglieder bestehen. 11) BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682 = NZA 2009, 432, dazu EWiR 2009, 403 (Mückl). 12) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.3.2011 – 5 Sa 2740/10, ZIP 2011, 1833 = BeckRS 2011, 75319. 13) Braun-Kind, InsO, § 61 Rz. 3. 14) BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527; BAG, Urt. v. 19.1.2006 – 6 AZR 529/04, ZIP 2006, 1366 = BB 2007, 52; BAG, Urt. v. 19.7.2007 – 6 AZR 1087/06, ZIP 2007, 2173 = NZA-RR 2009, 94; BAG, Urt. v. 27.9.2007 – 6 AZR 975/06, ZIP 2008, 374 = NZA 2009, 89, dazu EWiR 2008, 335 (Holzer).

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IV. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen

solche Vergütung ist bei Verfahrenseröffnung anteilig aufzuteilen, gleichgültig, wann er fällig wird.15) Die Sonderleistung ist dann teilweise eine Insolvenzforderung, teilweise eine Masseverbindlichkeit. Beispiel Wird das Verfahren z. B. zum 31.3. eröffnet, stellen 3/12 einer kalenderjährlichen zusätzlichen Vergütung eine Insolvenzforderung dar, 9/12 sind Masseverbindlichkeit. Bei sonstigen Einmalzahlungen, die nicht einzelnen Kalendermonaten zuzu- 30 ordnen sind, ist auf das Ziel der Zahlung abzustellen: Dient die Einmalzahlung der zusätzlichen Honorierung der Arbeitsleistung, erfolgt eine zeitratierliche Zuordnung. Die Sonderzuwendung erfolgt dann ausschließlich leistungsbezogen und stellt Arbeitsentgelt im engeren Sinne dar. Der Insolvenzverwalter schuldet die Sonderzuwendung nur zeitanteilig für den nach der Insolvenzeröffnung liegenden Bezugszeitraums; für die Zeiten vor Verfahrenseröffnung ist die Sonderzahlung anteilig als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden. Denn dann wird durch die Sonderzahlung nur die unmittelbare Arbeitsleistung im Bezugszeitraum abgegolten, die als Vergütungsbestandteil im jeweiligen Bezugszeitraum verdient, angespart und erst später zum vereinbarten Fälligkeitstermin ausbezahlt wird. 31

Praxishinweis Bei Kleinstgratifikationen bis 100 € erfolgt keine zeitratierliche Aufteilung, die Zuordnung erfolgt ausnahmsweise zum maßgeblichen Stichtag (Fälligkeit).

Beispiele Ein Leistungsbonus wird für die Zielerreichung bestimmter Ziele innerhalb eines Zeitraums gewährt, auch wenn der Zielerreichungsgrad erst nach Ablauf des Geschäftsjahres ermittelt wird.16) Eine Gewinnbeteiligung wird, soweit eine konkrete zeitlich zuordenbare Leistung belohnt wird, auf den Zeitraum aufgeteilt, für den sie gezahlt wird.17) Ansprüche auf Sonderleistungen dagegen, welche sich keinem bestimmten Zeitabschnitt zuordnen lassen, sondern an einem Stichtag fällig werden, wie etwa Zahlungen anlässlich eines Firmenzugehörigkeitsjubiläums, entstehen erst mit Eintritt der jeweiligen Voraussetzungen.18) Gleiches gilt, wenn der Zweck der Einmalzahlung nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpft. Treue- oder Halteprämie, Weihnachtsgratifikation: Hier erfolgt eine Zuordnung zum maßgeblichen Stichtag.19) ___________ 15) 16) 17) 18)

BAG, Urt. v. 21.5.1980 – 5 AZR 337/78, ZIP 1980, 666 = NJW 1981, 77. BAG, Urt. v. 14.11.2012 – 10 AZR 793/11, FD-InsR 2013, 342747. BAG, Urt. v. 21.5.1980 – 5 AZR 337/78, ZIP 1980, 666 = NJW 1981, 77. BAG, Urt. v. 27.9.2007 – 6 AZR 982/06, NZA 2009, 89; LAG Düsseldorf, Urt. v. 1.9.2006 – 17 (14) Sa 436/06, FD-InsR 2007, 231816. 19) BAG, Urt. v. 14.11.2012 – 10 AZR 793/11, FD-InsR 2013, 342747.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Die insolvenzrechtliche Einordnung hat im jeweiligen Einzelfall nach der konkreten Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen zu erfolgen. Nur dann, wenn es sich bei der Sonderzuwendung um Arbeitsentgelt im weiteren Sinne handelt und der Anspruch auf die Sonderzahlung erst nach Verfahrenseröffnung entsteht, haftet die Insolvenzmasse für die gesamte Sonderzahlung.20) Ist der Anspruch bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden, handelt es sich um eine Insolvenzforderung. Bei einer Gratifikation mit Mischcharakter handelt es sich um keine allein leistungsbezogene Sondergratifikation, so dass die Sonderzuwendung wie Arbeitsentgelt im weiteren Sinne zu behandeln ist. b)

Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld Urlaubsabgeltung in der Insolvenz-Einordnung als Masseverbindlichkeit: BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, ZIP 2003, 1802 = NZA 2004, 43

32 Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld sind dem Zeitraum zugeordnet, für den sie bestimmt sind. Fallen die Urlaubstage in den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist die dafür zu zahlende Vergütung eine Insolvenzforderung, soweit der Anspruch nicht durch das Insolvenzgeld abgesichert ist.21) 33 Das Urlaubsentgelt ist dabei wie Arbeitsentgelt zu behandeln, weil es sich dabei um den fortbestehenden Anspruch auf Arbeitsvergütung bei Arbeitsbefreiung handelt.22) c)

Vergütung bei Altersteilzeit im Blockmodell Altersteilzeit in der Insolvenz: BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, ZIP 2005, 457 = NZA 2005, 408

34 Auch bei den Vergütungsansprüchen aufgrund einer vertraglichen Regelung über Altersteilzeit ist die insolvenzrechtliche Einordnung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit problematisch. Es geht dabei vor allem um die Einordnung der Entgeltansprüche von Altersteilzeitarbeitnehmern im Blockmodell, die sich bei Stellung des Insolvenzantrages bereits in der Freistellungsphase befinden.23) Geht man – wie das BAG – vom Erarbeitungsprinzip aus, kommt es in Bezug auf die Einordnung darauf an, wann sie „erdient“ worden sind. 35 Das BAG hat entschieden, dass die Altersteilzeitarbeitnehmer in der Arbeitsphase (= Aktivphase) die Hälfte ihres Arbeitsentgelts „stunden“, so dass das Wertguthaben, das sie in der Arbeitsphase vor der Insolvenzeröffnung ansammeln oder aufbauen, in der Insolvenz als rückständige Forderung und da___________ 20) 21) 22) 23)

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LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12.3.2008 – 6 Sa 411/07, NZA-RR 2008, 594. BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, ZIP 2003, 1802 = NZA 2004, 43. BAG, Urt. v. 15.2.2005 – 9 AZR 78/04, ZIP 2005, 1653 = NZA 2005, 1124. Dazu Seifert, DZWIR 2004, 103.

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IV. Forderungen aus Arbeitsverhältnissen

mit als Insolvenzforderung zu behandeln sei. Nur das Wertguthaben, das sie nach der Insolvenzeröffnung aufbauen, wird – am Ende der Freistellungsphase (= Passivphase) – spiegelbildlich24) als Masseverbindlichkeit behandelt.25) Das BAG begründet seine Entscheidung mit § 108 Abs. 2 InsO und § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. d)

Teilvergütung und Schadensersatz bei fristloser Kündigung

Vom Arbeitsentgelt zu unterscheiden ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf 36 Teilvergütung und Schadensersatz bei einer unwirksamen fristlosen Kündigung, § 628 BGB. Hierbei handelt es sich nicht um einen Arbeitsentgeltanspruch, sondern um einen Ersatzanspruch wegen entgangenem Arbeitsentgelt. Dieser Ersatzanspruch ist auch dann Insolvenzforderung, wenn er sich auf Entgeltausfall für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezieht.26) e)

Provisionen

Bei Provisionen von Handels- und Firmenvertreter nach § 92a HGB und sons- 37 tiger Außendienstmitarbeiter ist auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäfts abzustellen.27) Die Anwartschaft auf Provision ist entstanden, wenn der Auftrag erteilt und damit „hereingebracht“ ist, selbst wenn die Ausführung des Geschäfts erst nach dem Insolvenzereignis erfolgt oder wegen der Insolvenzeröffnung unterbleibt. 3.

Vergütungsansprüche bei Masseunzulänglichkeit Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters; Beurteilungsspielraum: BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 6 AZR 321/11, ZIP 2013, 638

Masseunzulänglichkeit liegt vor, wenn die Masseverbindlichkeiten bei Fällig- 38 keit nicht aus der Masse beglichen werden können. Es geht um die Fälle der Insolvenz in der Insolvenz. Um dies festzustellen, müssen die vorhandenen flüssigen Mittel den fälligen Verbindlichkeiten in einer Planrechnung gegenüber gestellt werden.28) Ergibt sich aus der Finanzplanung, dass die Masse nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit in der Lage ist, so liegt Masseunzulänglichkeit vor. Ist absehbar, dass mit der aktuellen Insolvenzmasse in Zukunft fällige Forderungen auf Dauer nicht mehr beglichen werden können, so handelt es sich um drohende Masseunzulänglichkeit. In beiden Fällen ist der Insolvenzverwalter zur Anzeige gegenüber dem Insolvenzgericht verpflichtet, vgl. § 208 Abs. 1 InsO. ___________ 24) 25) 26) 27) 28)

„Spiegelbildlich“ ist i. S. von „zeitversetzt“ zu verstehen. BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, ZIP 2005, 457 = NZA 2005, 408. BAG, Urt. v. 22.10.1998 – 8 AZR 73/98, BeckRS 1998, 13940. BGH, Urt. v. 21.12.1989 – IX ZR 66/89, ZIP 1990, 318 = NJW 1990, 1665. Braun-Kießner, InsO, § 208 Rz. 5.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

39 Im Falle der Masseunzulänglichkeit bestimmt § 209 InsO die Rangordnung der Masseverbindlichkeiten. Wird der Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Arbeitsleistung herangezogen, so sind seine ab diesem Zeitpunkt entstehenden Entgeltansprüche als Neumasseverbindlichkeiten im Rang § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berücksichtigen. 40

Praxishinweis Im Arbeitsrecht gehören zu den Neumasseverbindlichkeiten z. B.:  Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG, wenn der Insolvenzverwalter keine ausreichenden Interessenausgleichsverhandlungen geführt hat. 

Forderungen „für“ die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter hätte kündigen können (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 InsO).



Alle Forderungen, soweit der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 InsO).

41 Die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstandenen und noch offenen Ansprüche werden als Altmasseverbindlichkeiten quotal befriedigt (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Wegen einer offenen Altmasseverbindlichkeit kann wegen § 210 InsO nicht gegen die Insolvenzmasse vollstreckt werden. 42 Auch im Falle der Masseunzulänglichkeit hat der Insolvenzverwalter noch offene Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 BUrlG durch Freistellung von der Arbeitspflicht ohne jede Einschränkung zu erfüllen. Für den vom Insolvenzverwalter gewährten Urlaub gilt, dass der Anspruch auf Urlaubsentgelt im Falle der Masseunzulänglichkeit nur anteilig als Neumasseverbindlichkeit zu berücksichtigen ist. Zur Berechnung ist der in Geld ausgedrückte Jahresurlaub des Arbeitnehmers ins Verhältnis zu der Dauer der nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erbrachten Arbeitsleistung zu setzen. Gleiches gilt für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung. 43

Praxishinweis Nach dem BAG gilt folgende Berechnungsformel: (UEG: 260) x Arbeitstage nach Anzeige der MUZ Bei einem in der Fünf-Tage-Woche beschäftigten Arbeitnehmer ist das für den gesamten Jahresurlaub zustehende Urlaubsentgelt (UEG) durch 260 (= regelmäßig anfallende Arbeitstage) zu dividieren und mit den nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (MUZ) geleisteten Arbeitstagen einschließlich entschuldigter Fehlzeiten zu multiplizieren.

44 Bei Masseunzulänglichkeit werden freigestellte Arbeitnehmer nachrangig behandelt (§ 209 InsO). Dann werden sowohl die Vergütungsansprüche freigestellter Arbeitnehmer wie auch die Erstattungsansprüche der Bundesagentur zu „drittrangigen“ (nachrangigen) Masseforderungen nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO abgestuft.29) Das Risiko in Bezug auf seine Entgeltansprüche kann der Arbeit___________ 29) LAG Hamm, Urt. v. 6.9.2001 – 4 Sa 1276/01, NZI 2002, 51 = BeckRS 2001, 30461582.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

nehmer im Falle einer Freistellung dadurch minimieren, dass er sich am Tag der Freistellung bei der Arbeitsagentur arbeitsuchend meldet und Arbeitslosengeld i. R. der Gleichwohlgewährung beantragt. 45

Praxishinweis Solange weder die Masseunzulänglichkeit noch die drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt wurde, kann der Arbeitnehmer trotz Freistellung von seiner Arbeitsleistung und des Bezuges von Arbeitslosen- oder Krankengeld gegen den Insolvenzverwalter Zahlungsklage wegen seiner Auslauflöhne erheben.

Eine unterbliebene Freistellung oder eine weitere Betriebsfortführung kön- 46 nen, wenn sie die Masse schmälern, zu einer Verletzung einer insolvenzrechtlichen Verpflichtung und damit zu einer Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO führen, wenn zu einem späteren Zeitpunkt Masseunzulänglichkeit angezeigt werden muss. Ein dadurch verhinderter Erwerb von Arbeitslosengeld kann für den Arbeitnehmer ebenfalls einen Schadensersatzanspruch gemäß § 60 InsO begründen. Die weiterzuzahlenden Arbeitsentgelte bleiben bei der Schadensermittlung außen vor, weil sie ohnehin anfallen. Dem Verwalter ist jedoch in Bezug auf den Zeitpunkt einer Freistellung ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzustehen.30) Unterlässt es der Insolvenzverwalter, die auf die Bundesagentur für Arbeit 47 wegen Gleichwohlgewährung übergegangenen Forderungen zu erfüllen und entstehen dadurch Arbeitnehmern finanzielle Schäden, weil sie wegen der Anrechnung des Zeitraums der Gleichwohlgewährung auf den Bezugszeitraum des Arbeitslosengeldes kürzer Arbeitslosengeld I beziehen können, so tritt keine Haftung nach § 60 InsO gegenüber den Arbeitnehmern ein, weil ihnen gegenüber keine insolvenzrechtliche Pflicht besteht.31) Erfüllt er hingegen ordnungsgemäß die auf die Bundesagentur übergeleiteten Ansprüche, weil zu einem späteren Zeitpunkt die Masseunzulänglichkeit beseitigt wird, so wird der Zeitraum der Gleichwohlgewährung nicht auf den Bezugszeitraum angerechnet mit der Folge, dass der reguläre Bezugszeitraum ungekürzt bestehen bleibt. V.

Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Das Insolvenzgeld sowie die Möglichkeit zu dessen sofortiger Vorfinanzierung 48 stehen zur Schonung der Masse bereits im Insolvenzantragsverfahren zur Verfügung. Durch die zeitweise Absicherung ausstehender Löhne und Gehälter durch die Bundesagentur für Arbeit bleiben die Mitarbeiter in aller Regel zur Weiterarbeit motiviert. Sanierungsmöglichkeiten können entwickelt und umgesetzt werden. ___________ 30) BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 6 AZR 321/11, ZIP 2013, 638, dazu EWIR 2013, 211 (Mückl/Herrnstadt). 31) LAG Hessen, Urt. v. 20.3.2008 – 8 Sa 761/07, BeckRS 2008, 54493.

Gossak

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

49 Im eröffneten Verfahren stehen dem Insolvenzverwalter weitere Entlastungen zur Sanierung eines insolventen Unternehmens zu Verfügung: So erleichtert etwa § 113 InsO die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Arbeitnehmern unter „Zurückhaltung der Vergütung“ von der Arbeitsleistung freizustellen. § 120 InsO vereinfacht ferner die Kündigung von „teuren“ Betriebsvereinbarungen. § 123 InsO begrenzt die finanziellen Belastungen aus Sozialplänen und der Pensionssicherungsverein (PSVaG) beteiligt sich an den Leistungen aus betrieblicher Altersvorsorge. 50 Durch die Regelungen zum Interessenausgleich mit Namensliste (§§ 125 – 128 InsO) werden ferner Personalanpassungen bei Massenentlassungen und Betriebsänderungen vereinfacht und der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer eingeschränkt. Dadurch wird die Sanierungsfähigkeit insolventer Unternehmen arbeitsrechtlich begünstigt und die Chance für eine übertragende Sanierung gesteigert. 1.

Insolvenzgeld

a)

Lohnersatz als Versicherungsleistung

51 Das Insolvenzgeld ist eine Lohnersatzleistung durch die Bundesagentur für Arbeit.32) Es dient den Arbeitnehmern zur Absicherung ihrer Vergütungsansprüche bis zu drei Monate in der Insolvenz des Arbeitgebers. Insoweit besteht nach wie vor eine Besserstellung der Arbeitnehmerschaft gegenüber den übrigen Insolvenzgläubigern. b)

Anspruch

52 Nach § 165 Abs. 1 SGB III haben nur Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gelten: x

die Eröffnung des Insolvenzverfahrens;

x

die Abweisung des Antrags mangels Masse;

x

die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn kein Antrag gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.

53 Nicht erforderlich ist, dass das Arbeitsverhältnis dem Insolvenzereignis unmittelbar vorausging.33) Wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch einen ___________ 32) Die Bundesagentur für Arbeit hat ein Merkblatt zum Insolvenzgeld erstellt (Aktualisierung, Stand: 9/2018), welches im Internet mit weiteren Hinweisen unter https:// con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/Merkblatt-10Insolvenzgeld_ba015369.pdf abrufbar ist (Abrufdatum: 12.4.2019). 33) BSG, Urt. v. 23.10.1984 – 10 RAr 12/83, ZIP 1985, 109 = NJW 1985, 3040 (LS).

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Gossak

V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Schuldner oder die Firma zum Zeitpunkt der Beendigung der Betriebstätigkeit nicht beantragt worden ist oder ein solcher Antrag als unzulässig zurückgewiesen wurde, hat die zuständige Agentur für Arbeit die Voraussetzungen für ein Insolvenzereignis nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III von Amts wegen zu prüfen. 54

Praxishinweis Es gelten die Abgrenzungsmerkmale, wie sie in den Vorschriften über die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung (vgl. §§ 25 ff. SGB III) verwendet werden. Versicherungspflichtig sind danach alle Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Beschäftigung ist dabei jede nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Zu den Arbeitnehmern i. S. des § 165 SGB III gehören auch Auszubildende 55 (§§ 14, 25 Abs. 1 SGB III), Heimarbeiter (§ 13 SGB III), Handelsvertreter (§ 84 Abs. 2 HGB) und Handlungsgehilfen i. S. des § 59 HGB, die als Abhängige Geschäfte mit Anspruch auf Provision abschließen oder vermitteln (§ 65 HGB), nicht jedoch Hausgewerbetreibende, Zwischenmeister und die den Heimarbeitern gleichgestellten Personen (vgl. § 12 Abs. 1, 4 und 4 SGB III). 56

Praxishinweis Gesellschafter-Geschäftsführer oder mitarbeitende Gesellschafter einer GmbH haben nur dann einen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft stehen. Dies bestimmt sich nach dem Inhalt der jeweiligen Dienstverträge sowie nach den tatsächlichen Verhältnissen. Maßgebliche ist der Einfluss in der Regel bei einer Beteiligungsquote am Stammkapital von über 50 %. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft haben eine unternehmerähnliche, unabhängige Stellung im Unternehmen und sind deshalb keine Arbeitnehmer i. S. des § 165 Abs. 1 SGB III.

In Altersteilzeit beschäftigte Arbeitnehmer haben bei Vorliegen der sonstigen 57 Voraussetzungen ebenfalls Anspruch auf Insolvenzgeld. Dieser Anspruch ist auf den Aufstockungsbetrag des Arbeitgebers zum Teilzeitarbeitsentgelt begrenzt und erfasst nach § 175 SGB III n. F. die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Unterschiedsbetrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1b Altersteilzeitgesetz (AtG). Im Rahmen sog. Blockmodelle (in der Regel mit verstetigtem Monatsentgelt) kann Insolvenzgeld nur insoweit beansprucht werden, als es sich um rückständige Arbeitsentgelt-/Beitragsansprüche „für“ den Insolvenzgeld-Zeitraum handelt. 58

Praxishinweis Bei Eintritt des Insolvenzereignisses kann sowohl in der Vollarbeits-/als auch in der Freistellungsphase Insolvenzgeld gleichermaßen nur für das Arbeitsentgelt beansprucht werden, das der Arbeitgeber für die Teilzeitarbeit schuldet (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AtG).

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

59 Die Insolvenzgeld-Regelung sichert den Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers für die letzten dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. 60

Praxishinweis Zeiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erklärung gemäß § 12 KSchG zählen zum Drei-Monats-Zeitraum nicht mit. Der Tag des Insolvenzereignisses zählt ebenfalls nicht mit.

61 Die Bezahlung von Insolvenzgeld erfolgt durch die Bundesagentur für Arbeit auf Grundlage einer Insolvenzgeldbescheinigung. Diese ist nach § 314 SGB III vom Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder auszufüllen, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist bzw. vom Arbeitgeber in den Fällen, in denen ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden ist. Das Insolvenzgeld kann mit Zustimmung der Agentur für Arbeit über ein Kreditinstitut vorfinanziert werden. Die Initiative zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld geht regelmäßig vom vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. vom Sanierungsberater in den Fällen der (vorläufigen) Eigenverwaltung aus, weil er die Arbeitnehmer nur dann zur Weiterarbeit bewegen kann, wenn er die Ausbezahlung von Insolvenzgeld so schnell als möglich sicherstellt. Da das Insolvenzgeld erst nach dem Insolvenzereignis für den geschützten Zeitraum (vor Eröffnung) ausgezahlt wird, ist es erforderlich, diese Phase zu überbrücken. Hier setzt die Insolvenzgeldvorfinanzierung an und schließt die Zeitspanne zwischen tatsächlicher Arbeitsleistung im Eröffnungsverfahren und der Auszahlung des Insolvenzgeldes durch die Agentur für Arbeit. Die Insolvenzgeldvorfinanzierung ist damit ein wichtiges Instrument für die Betriebsfortführung. 62 Die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes kann in der Weise erfolgen, dass eine Bank dem vorläufigen Insolvenzverwalter ein Massedarlehen zur Bezahlung der Nettovergütungen aller Arbeitnehmer gewährt (kollektive Vorfinanzierung) und die Arbeitnehmer im Gegenzug ihre Insolvenzgeldansprüche an die Bank zur Rückführung des Darlehens abtreten. Alternativ und sicherer wird mit Forderungsverkäufen gearbeitet. Die Arbeitnehmer verkaufen hierbei ihre Insolvenzgeldforderungen zum Preis ihrer Nettolöhne an eine Bank. Die kollektive Abtretung der Insolvenzgeldansprüche bedarf gemäß § 170 Abs. 4 SGB III der Zustimmung der Agentur für Arbeit. Die Agentur erteilt die Zustimmung, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze dauerhaft erhalten bleibt. Nach den Durchführungsanweisungen orientiert sich die Agentur für Arbeit bei ihrer Beurteilung einerseits an den Zahlen des § 112a BetrVG. Andererseits muss sich aus einer Prognose die Erhaltung der Arbeitsplätze ergeben. 63 Die Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen nach § 170 Abs. 4 SGB III ist grundsätzlich auch während eines Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) möglich, sobald das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 270b Abs. 1

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

InsO getroffen hat. Die Gewährung von Insolvenzgeld hängt auch in diesem Fall vom Eintritt eines Insolvenzereignisses ab (vgl. § 270b Abs. 4 InsO). Kommt es daher zu einer Sanierung des Unternehmens, ohne dass das Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnet oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ablehnt, scheidet die Gewährung von Insolvenzgeld aus. Nach § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO gelten vom eigenverwaltenden Schuldner im Schutzschirmverfahren eingegangene Verbindlichkeiten als nach § 55 Abs. 2 InsO begründete Verbindlichkeiten. Dies führt zu einer direkten Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO. Die Bundesagentur kann – unabhängig davon, ob ein eigenverwaltender Schuldner während des Schutzschirmverfahrens oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung der Beschäftigten in Anspruch nimmt – gemäß § 169 SGB III übergegangene Arbeitsentgeltansprüche demnach nur als Insolvenzforderungen geltend machen. c)

Antrag und Ausschlussfrist

Insolvenzgeld wird nur auf Antrag des Arbeitnehmers gewährt, § 323 SGB III. 64 Der Antrag ist fristgebunden und spätestens innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu stellen, § 324 Abs. 3 SGB III. Die Frist ist europarechtlich nicht zu beanstanden.34) 65

Praxishinweis Die Frist ist eine Ausschlussfrist. Bei Versäumung der Frist erlischt der Anspruch auf Insolvenzgeld. Ein verspäteter Antrag kann nur in den sehr engen Grenzen des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III Berücksichtigung finden.

Bei der Prüfung einer „Nachfrist“ nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III darf jedoch 66 die Effektivität des Insolvenzgeldanspruchs nicht gefährdet werden. Deshalb ist dem Arbeitnehmer zwar auch das Verschulden eines Vertreters oder Prozessbevollmächtigten35) zuzurechnen, aber nicht das Verhalten eines Dritten, der, wie ggf. der Insolvenzverwalter, lediglich gefälligkeitshalber die Übermittlung der Anträge übernommen hat.36) d)

Umfang und Höhe

Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche (Geld- und Na- 67 turalleistungen) mit Entgeltcharakter, z. B. Gehalt, Lohn (Zeit- oder Akkordlohn), Vergütung und Zuschläge für Mehrarbeit, Ruf- und Bereitschaftsdienste, Überstunden, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit, Zulagen (Gefahren-, Wegeund Schmutzzulagen), Auslösungen, Kleidergelder, Kostgelder, vermögenswirksame Leistungen, Gewinnanteile (Tantiemen), Sachbezüge, Urlaubsentgelte, Ur___________ 34) BSG, Beschl. v. 17.10.2007 – B 11a AL 75/07, BeckRS 2007, 48606. 35) LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.3.2012 – L 18 AL 340/09, BeckRS 2012, 68780. 36) LSG NRW, Urt. v. 12.1.2012 – L 16 AL 264/10, NZI 2013, 174 = ZInsO 2013, 36.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

laubsgelder, Jahressonderleistungen, Jubiläumszuwendungen, Zuschüsse zum Krankengeld, Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld, Reisekosten und sonstige Spesen, die dem Arbeitnehmer in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung erstattet werden, Fahrgeldentschädigungen für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstelle und Mankogelder. 68

Praxishinweis Auch Annahmeverzugsansprüche nach § 615 Satz 1 BGB sind Arbeitsentgelt.

69 Das Insolvenzgeld wird als Nettoleistung nach Abzug der hierauf entfallenden individuellen Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge ausbezahlt. Die Sozialversicherungsbeiträge übernimmt die Agentur für Arbeit,37) ebenso auch Arbeitgeberzuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag nach § 257 SGB V. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt, das bei der Insolvenzgeldberechnung berücksichtigt werden kann, wird durch die Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosenversicherung gedeckelt. Diese beträgt im Jahr 2019 6.700 € (alte Bundesländer) bzw. 6.150 € (neue Bundesländer). Sie gilt auch dann, wenn in einem Monat neben dem laufenden Arbeitsentgelt einmalig zu zahlendes Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist. 70 Entgeltansprüche oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze (sog. „Übergrenzer“) sind vom Insolvenzgeld nicht erfasst; eine Berücksichtigung erfolgt grundsätzlich nur als Insolvenzforderung, soweit mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter keine Regelung im jeweiligen Einzelfall gefunden wird. Durch Einzelermächtigung (§ 22 Abs. 1, 2 InsO) kann dem vorläufigen Insolvenzverwalter auf Antrag gestattet werden, dass Entgeltdifferenzen über der Beitragsgrenze aus der Insolvenzmasse bezahlt werden, weil ansonsten Leistungsträger nicht zur Weiterarbeit im Unternehmen motiviert werden können. 71

Praxishinweis Die zeitliche Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum erfolgt genauso wie nach der InsO, jedoch stellt das BSG im Unterschied zum BAG genauer nach dem Zweck der Leistung darauf ab, ob eine Zuordnung nach bestimmten Monaten erfolgt oder nicht.

72 Tariferhöhungen, die in Form einer Nachzahlung innerhalb des InsolvenzgeldZeitraums für frühere Lohnperioden gezahlt werden, sind nicht zu berücksichtigen.38) Bloße Verschiebungen der Fälligkeit von Arbeitnehmeransprüchen sind ebenfalls unbeachtlich.39) ___________ 37) Erfasst sind auch freiwillige Beiträge zur Sozialversicherung, nicht aber Leistungen in Umlageverfahren, wie die Sozialkasse im Baugewerbe, vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 8.12.2011 – L 2 AL 54/08, NZI 2012, 332. 38) Lakies, NZA 2000, 565. 39) BSG, Urt. v. 21.7.2005 – B 11a/11 AL 53/04 R, ZIP 2005, 1933 = NZA-RR 2006, 437, dazu EWiR 2006, 281 (Wank).

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

73

Praxishinweis Bei tariflichen Sonderzahlungen kann der Auszahlungstag regemäßig durch eine Betriebsvereinbarung bestimmt werden. Wird jedoch durch Betriebsvereinbarung der Fälligkeitszeitpunkt einer Jahressonderzahlung in den Insolvenzgeld-Zeitraum vorverlegt, nachdem bereits die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens eingetreten war, so verstößt dies gegen die guten Sitten mit der Folge, dass allein der tarifvertraglich festgelegte Stichtag maßgebend bleibt. Liegt dieser außerhalb des Zeitraums, ist die tarifliche Sonderzahlung bei der Gewährung von Insolvenzgeld nicht zu berücksichtigen.

Der Arbeitnehmer hat nach § 166 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf Insol- 74 venzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat (z. B. Abfindungsansprüche, Überbrückungsleistungen). Gleiches gilt für Ansprüche, die durch eine nach der InsO angefochtene Rechtshandlung oder eine Rechtshandlung erworben wurden, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar wären oder die der Insolvenzverwalter wegen eines Rechts zur Leistungsverweigerung nicht erfüllt. Umstritten ist, ob der Anspruch auf Urlaubsabgeltung wegen der Beendigung 75 des Arbeitsverhältnisses geschuldet und daher vom Ausschluss des § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III erfasst wird. Das BSG bejaht einen Ausschluss, weil es zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Anspruch einen ursächlichen Zusammenhang annimmt.40) 76

Praxishinweis Einem ausscheidenden Arbeitnehmer ist deshalb zu empfehlen, dass er seine Urlaubsansprüche noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich realisiert.

e)

Gesetzlicher Anspruchsübergang

Die Ansprüche auf Arbeitsentgelt wegen Insolvenzgeld gehen bereits mit Antrag- 77 stellung auf die Bundesagentur für Arbeit über,41) sofern wenigstens die entfernte Möglichkeit besteht, dass ein Insolvenzgeldanspruch begründet sein kann. Erst mit Ablehnung des Insolvenzgeldantrages wird der Arbeitnehmer wieder Inhaber des Vergütungsanspruchs.42) 78

Praxishinweis Der Anspruchsübergang erfasst die gesamte Bruttovergütung; eventuelle steuerliche Nachteile verbleiben beim Arbeitnehmer.

___________ 40) BSG, v. 20.2.2002 – B 11 AL 71/01 R, NZA 2002, 786 = NZI 2002, 506. 41) BAG, Urt. v. 10.2.1982 – 5 AZR 936/79, ZIP 1982, 1105 = NJW 1983, 592. 42) LAG Hamm, Urt. v. 17.2.2000 – 4 Sa 1137/99, NZA-RR 2001, 161.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

2.

Beendigung von Arbeitsverhältnissen

79 Im eröffneten Insolvenzverfahren erlangt der Insolvenzverwalter das Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach § 80 InsO kraft Gesetzes. Der Insolvenzverwalter übt die Arbeitgeberfunktion aus und ist zur Freistellung und zur Kündigung befugt. Erteilte Vollmachten erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 117 InsO). a)

Freistellungsbefugnis

80 In aller Regel erfolgt eine Freistellung bei einer bevorstehenden oder erfolgten Kündigung. Zur Ausübung der Arbeitgeberfunktion durch den Insolvenzverwalter gehört auch das Direktionsrecht, welches die Befugnis zur Freistellung eines Arbeitnehmers grundsätzlich einschließt. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers tritt zurück, wenn ihm überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen.43) Durch die Freistellung wird das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Der Arbeitnehmer wird bei bestehendem Arbeitsvertrag von der Pflicht zur Arbeitsleistung entbunden und nach Hause geschickt. Im Gegenzug wird der Arbeitgeber von seiner Beschäftigungspflicht freigestellt, grundsätzlich aber nicht auch von seiner Pflicht, das Arbeitsentgelt zu zahlen. Die Vergütungsverpflichtung des Arbeitgebers entfällt nur bei einer besonderen gesetzlichen, vertraglichen oder kollektiv-rechtlichen Regelung. 81

Praxishinweis Die Freistellung von der Arbeitsleistung ist gegenüber dem Betriebsrat mitbestimmungsfrei; sie stellt insbesondere keine mitbestimmungspflichtige Versetzung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG dar, weil dem betroffenen Arbeitnehmer kein neuer Arbeitsbereich zugewiesen wird.

82 Ob sich aus der InsO allerdings das Recht des Insolvenzverwalters ableiten lässt, Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners gegen deren Willen von ihrer Arbeitspflicht freizustellen, ist umstritten. Das LAG Hessen44) hat ein insolvenzspezifisches Freistellungsrecht in einer aktuellen Entscheidung zuletzt abgelehnt, wegen grundsätzlichen Bedeutung der Frage aber die Revision zugelassen, die beim BAG eingelegt wurde45). Das BAG hat zu der Frage bisher nicht abschließend Stellung genommen.46) Sollte ein insolvenzspezifisches Freistellungsrecht, insbesondere in Fällen der Masseunzulänglichkeit, abgelehnt, könnte die Freistellung (mangels Rechtsgrundlage) gemäß § 61 InsO ggf. einen Schadensersatzanspruch begründen. ___________ 43) BAG (Großer Senat), Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84, ZIP 1985, 1214 = NJW 1985, 2968. 44) LAG Hessen, Urt. v. 10.4.2017 – 7 Sa 650/16, ZIP 2018, 647 = NZI 2017, 902, dazu EWiR 2018, 213 (Webel). 45) Az. d. BAG: 9 AZR 367/17. 46) BAG, Urt. v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, ZIP 2004, 1660 = NZI 2004, 636, dazu EWiR 2004, 1139 (Schneider).

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Gesetzlich geregelt sind über §§ 55 Abs. 2, 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO lediglich die 83 Folgen für die Vergütungsansprüche, je nachdem ob der Insolvenzverwalter die Gegenleistung in Anspruch genommen oder aber den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt hat. Daraus ergibt sich zunächst nur, dass der Gesetzgeber die Freistellungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter voraussetzt. Bejaht werden kann ein insolvenzspezifisches Freistellungsrecht des Insolvenzverwalters u. U. bei reduziertem Beschäftigungsbedarf sowie zur Schonung der Masse.47) Für die Kriterien des Freistellungsrechts muss deshalb mangels anderweitiger Regelungen auf die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausübung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts, insbesondere die Grenzen billigen Ermessens gemäß § 315 Abs. 1 und 3 BGB, zurückgegriffen werden. aa)

Arten der Freistellung

Das BAG unterscheidet innerhalb der Freistellungen zwischen einer einseitigen 84 Freistellungsanordnung und einer von den Parteien einvernehmlich getroffenen Freistellungsabrede48) sowie danach, ob sie widerruflich oder unwiderruflich erteilt wurde.49) 85

Praxishinweis Eine Freistellung ist nur unwiderruflich, wenn sie als solche unmissverständlich bezeichnet wird oder sich durch Auslegung der Erklärung ergibt, dass sie unwiderruflich gewollt ist. Das ist etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen freistellt.

bb)

Rechtsfolgen einer erklärten Freistellung

(1)

Arbeitspflicht und Vergütung

Hinsichtlich der Rechtsfolgen kommt es darauf an, ob es sich um eine einver- 86 nehmliche Freistellungsabrede oder um eine einseitige Freistellungsanordnung handelt: Im Falle einer einseitigen Freistellungsanordnung wird der Arbeitnehmer von 87 der Erbringung seiner Arbeitspflicht einseitig entbunden, weil ihn der Arbeitgeber nicht mehr beschäftigen will.50) Der Arbeitgeber kommt dadurch automatisch in Annahmeverzug gemäß § 615 88 BGB und behält seinen Vergütungsanspruch. ___________ 47) LAG Hamm, Urt. v. 26.10.2005 – 2 Sa 1682/05, BeckRS 2009, 66269; LAG Hamm, Urt. v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435 = NZA-RR 2001, 654, dazu EWiR 2001, 487 (Moll). 48) BAG, Urt. v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, ZIP 2002, 2186 = NZA 2002, 1055; BAG, Urt. v. 22.11.2005 – 1 AZR 407/04, ZIP 2006, 1312 = NZA 2006, 736; BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36; Bayreuther, ZIP 2008, 573. 49) BAG, Urt. v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, AP BUrlG § 7 Nr. 32. 50) Glaser in: Münch-AHB ArbR, § 24 Rz. 258, 259.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

89 Beruht die Freistellung auf einer einvernehmlichen Freistellungsvereinbarung, bleibt der Arbeitgeber grundsätzlich ebenfalls zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Etwas anderes gilt nur dann, wenn durch die Vereinbarung neben der Arbeitspflicht auch die Entgeltzahlungspflicht zum Ruhen kommen sollte. 90

Praxishinweis Das BAG lehnt bei einer einvernehmlichen Freistellung die Anrechnung anderweitigen Verdienstes des Arbeitnehmers ab.51) Denn der Arbeitnehmer schuldet keine Dienste mehr, welche er anbieten könnte, so dass der Anwendungsbereich des § 615 BGB nicht eröffnet ist.

91 Rechtlich ist die einvernehmliche Freistellungsabrede hinsichtlich der Ansprüche des Arbeitgebers auf Arbeitsleistung und des Arbeitnehmers auf Beschäftigung entweder als Erlassvertrag i. S. von § 397 BGB oder als einvernehmliche Suspendierung auszulegen.52) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer bei fehlender ausdrücklicher Regelung nicht auf seinen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch verzichten will.53) Neben dem Lohnanspruch bestehen daher auch alle sonstigen Nebenleistungs-, Treue- und Sorgfaltspflichten fort. 92

Praxishinweis Die Entgeltansprüche im eröffneten Insolvenzverfahren bleiben auch im Falle der Freistellung Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 InsO).

(2)

Urlaubsansprüche

93 Der Insolvenzverwalter ist grundsätzlich berechtigt, den Arbeitnehmer unter Anrechnung seines restlichen Erholungsurlaubs von der Arbeitsleistung freizustellen.54) Eine Anrechnung von Urlaub erfolgt jedoch nur dann, wenn dies im Freistellungsschreiben ausdrücklich erklärt wird und die Freistellung unwiderruflich erfolgt. Behält sich der Insolvenzverwalter den jederzeitigen Widerruf vor, kann der Arbeitnehmer seine Urlaubsansprüche nämlich nicht ohne weiteres planen und umsetzen.55) Die Freistellung unter Anrechnung von vergütungspflichtigen Urlaubsansprüchen setzt nicht voraus, dass der Arbeitgeber den Urlaubszeitraum konkret bezeichnet. 94

Praxishinweis Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Freistellung erkrankt, scheidet für die Dauer der Erkrankung eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen aus.

___________ 51) 52) 53) 54) 55)

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BAG, Urt. v. 23.1.2001 – 9 AZR 26/00, ZIP 2001, 897 = BB 2001, 1259. Bayreuther, ZIP 2008, 573. Schüren in: Münch-Hdb. ArbR, § 49 Rz. 23. BAG, Vers.-Urt. v. 25.1.1994 – 9 AZR 312/92, NZA 1994, 652. BAG, Urt. v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, ZIP 2002, 2186 = NZA 2002, 1055.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offene Urlaubsansprüche sind 95 Masseverbindlichkeiten. (3)

Anderweitiger Zwischenverdienst Das BAG hat seine Rechtsprechung zur Anrechnung von Zwischenverdienst erneut bestätigt: BAG, Urt. v. 17.10.2012 – 10 AZR 809/11, ZIP 2013, 950 (LS) = NZA 2013, 207

Eine Anrechnung eines anderweitigen Zwischenverdiensts kommt grundsätz- 96 lich nur bei einer einseitigen Freistellungsanordnung in Betracht.56) Folge des bei der einseitigen Freistellungsanordnung eintretenden Annahmeverzugs ist nämlich gemäß § 615 Satz 2 BGB die Anrechnung des Verdienstes, den der Arbeitnehmer in Folge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erwirbt. Bei einer einvernehmlichen Freistellungsabrede ist mangels Annahmeverzugs 97 keine Anrechnung gemäß § 615 Satz 2 BGB möglich. Eine Anrechnung kann wegen der grundsätzlich fortbestehenden Vergütungspflicht nach § 611 BGB nur dann erfolgen, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben.57) (4)

Wettbewerbsverbot im Freistellungszeitraum Freistellung von der Arbeit: BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36

Bei einer einseitigen Freistellung durch den Arbeitgeber kann der Arbeitnehmer 98 regelmäßig davon ausgehen, dass er in der Verwertung seiner Arbeitsleistung frei und nicht an die vertraglichen Wettbewerbsverbote i. S. von § 60 HGB gebunden ist. Nach Ansicht des BAG enthält eine einseitige Freistellung, mit der der Arbeitgeber Annahmeverzug herbeiführt, regelmäßig einen Verzicht auf das gesetzliche Wettbewerbsverbot, wenn sich der Arbeitgeber die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB vorbehält.58) Bei einer einvernehmlichen Freistellungsabrede gilt demgegenüber grundsätz- 99 lich das Wettbewerbsverbot des § 60 HGB. Es findet jedoch keine Anwendung, soweit eine Freistellungsabrede unter dem Vorbehalt der Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes erfolgt.59) In diesem Fall kann der Arbeitnehmer nämlich regelmäßig davon ausgehen, er könne seine Arbeitskraft frei verwerten und trotz des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits konkurrierend tätig werden. Erzielt der freigestellte Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst unter Verstoß gegen dieses Wettbewerbsverbot, bedarf es auch für dessen Anrech___________ 56) 57) 58) 59)

BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36. Klar, NZA 2004, 576, 579. BAG, Urt. v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36. Küttner-Poeche, Personalbuch 2019, Wettbewerb Rz. 10.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

nung einer entsprechenden vertraglichen Regelung. Ansonsten findet – wie auch sonst bei vereinbarten Freistellungen – keine Anrechnung statt.60) (5)

Gleichwohlgewährung

100 Stellt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei und gewährt er während der Freistellungsphase bestehende und noch entstehende Urlaubsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, bleibt der Entgeltanspruch gegen die Insolvenzmasse unberührt. Der Arbeitnehmer erwirbt mit der Freistellung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG I) i. R. der sog. Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III. 101 Nach § 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III wird Arbeitslosengeld für die Zeit geleistet, in der der Arbeitslose einen rechtlichen Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung hat, dieser aber tatsächlich nicht erfüllt wird. Vom Anwendungsbereich dieser Regelung sind sowohl Sachverhalte erfasst, in denen Unklarheit über die Fortdauer des Arbeitsverhältnisses (z. B. im Kündigungsschutzprozess) und infolgedessen über den Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, als auch solche, in denen der zur Arbeitsentgeltzahlung verpflichtete Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter aus Gründen der Zahlungsunfähigkeit für Zeiten nach einem Insolvenzereignis kein Arbeitsentgelt zahlt. 102 Erkrankt der Arbeitnehmer im Freistellungszeitraum, so steht er für die Dauer seiner Erkrankung der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung und erhält kein Arbeitslosengeld. In diesem Falle hat die zuständige Krankenkasse an den Arbeitnehmer Krankengeld zu bezahlen. Während des Entgeltfortzahlungszeitraumes von § 3 Abs. 1 EFZG ruht der Anspruch auf Krankengeldbezug, sofern der Arbeitnehmer vom Insolvenzverwalter das Arbeitsentgelt, also die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, erhält (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Hieraus ergibt sich, dass der Arbeitnehmer für den Zeitraum, in dem der Insolvenzverwalter die Lohnfortzahlungspflicht nicht erfüllt, seinen Krankengeldanspruch behält. 103 Die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers gehen i. H. der Krankengeldleistungen auf die Krankenkasse über (§ 115 Abs. 1 SGB X). Im Übrigen geht der Anspruch des Arbeitnehmers auf sein Arbeitsentgelt auf die Bundesagentur für Arbeit über (§ 115 SGB X), wobei sich dieser Forderungsübergang nicht nur auf das Arbeitslosengeld erstreckt, sondern auch Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge erfasst. Die auf die Bundesagentur bzw. die Krankenkasse übergeleiteten Ansprüche haben denselben Rang wie die beim Arbeitnehmer verbliebenen Entgeltdifferenzansprüche.61)

___________ 60) BAG, Urt. v. 17.10.2012 – 10 AZR 809/11, ZIP 2013, 950 = NZA 2013, 207. 61) BAG, Urt. v. 16.10.1985 – 5 AZR 203/84, ZIP 1986, 242 = NJW 1986, 1632.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

104

Praxishinweis Die Bundesagentur bzw. die Krankenkasse rechnet dann im Nachgang ihre Leistungen aus gewährtem Arbeitslosengeld/Krankengeld mit dem Insolvenzverwalter ab und macht gegenüber der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ihren jeweiligen Erstattungsanspruch geltend. Die Differenz zwischen Arbeitslosengeld/Krankengeld und vollem Arbeitsentgelt kann der Arbeitnehmer gegenüber dem Insolvenzverwalter als Masseschuld nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend machen.

b)

Kündigungsbefugnis

Die Kündigungsbefugnis des Insolvenzverwalters ergibt sich aus § 80 InsO kraft 105 Gesetzes. Die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis des Schuldners wird entzogen. 106

Praxishinweis Bei Kapitalgesellschaften endet auch bei fortbestehendem Dienstvertrag (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO) die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers, so dass seine Kündigungsbefugnis entfällt.

aa)

Lösungsklausel

Eine Lösungsklausel im Arbeitsvertrag, welche im Insolvenzfall für den Arbeit- 107 geber das Recht zur außerordentlichen Kündigung oder die automatische Vertragsbeendigung bestimmt, ist nach § 119 InsO unwirksam. Der Insolvenzverwalter hat kein Wahlrecht nach § 103 InsO, ob er in bestehende 108 Dienstverträge eintritt. Anstelle des Wahlrechts tritt die Kündigungsbefugnis nach § 113 InsO. bb)

Vertretung und Vollmacht 109

Praxishinweis Der Insolvenzverwalter muss die Kündigungserklärungen nicht persönlich abgeben, vielmehr kann er generell oder im Einzelfall einen Dritten bevollmächtigen.

Der Insolvenzverwalter selbst ist „Partei kraft Amtes“ und benötigt keine Voll- 110 macht für eigene Handlungen, die Wirkung für und gegen die Masse entfalten.62) Er ist jedoch nicht verpflichtet, Kündigungen höchstpersönlich zu erklären sondern kann sich nach allgemeinen Regeln vertreten lassen. Nach § 167 BGB kann er einen Dritten mit der Abgabe der Kündigungserklärung generell oder im Einzelfall bevollmächtigen.63)

___________ 62) BAG, Urt. v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412. 63) BAG, Urt. v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

111

Praxishinweis Nach § 174 BGB kann der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigung grundsätzlich zurückweisen, wenn dem Kündigungsschreiben (§ 623 BGB, Schriftform der Kündigung) keine Vollmachtsurkunde im Original vorgelegt wird.64)

112 Lässt der Arbeitnehmer die Kündigungserklärung mangels Vollmachtvorlage durch einen Bevollmächtigten zurückweisen, so hat der Bevollmächtigte seinerseits eine entsprechende Vollmachtsurkunde im Original mit Abgabe der Zurückweisungserklärung vorzulegen, um zu vermeiden, dass nun seine Erklärung gemäß § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen wird. 113

Praxishinweis Die Zurückweisung der Kündigungserklärung hat unverzüglich i. S. des § 121 BGB zu erfolgen. Auch bei der Einholung von Rechtsrat durch den Arbeitnehmer ist die Zurückweisung nach Ablauf von drei Wochen jedenfalls nicht mehr unverzüglich.65)

114 Wird die Vollmachtsurkunde erst nach der Zurückweisung der Kündigungserklärung vorgelegt, wird die Kündigungserklärung nicht geheilt. Eine Genehmigung durch den Vertretenen ist nach § 177 BGB nicht möglich, so dass die Kündigungserklärung erneut vorgenommen werden muss. 115 Eine für einen Kündigungsschutzprozess erteilte Prozessvollmacht deckt weitere, in einem Kündigungsstreit ausgesprochene Kündigungen durch den Prozessbevollmächtigten nicht, da die erneute Kündigung nicht Gegenstand des Kündigungsrechtsstreites ist.66) Auch in diesem Falle ist die Prozesskündigungserklärung unverzüglich zurückzuweisen (§ 174 Satz 1 i. V. m. § 121 Abs. 1 BGB). 116

Praxishinweis Führt der Insolvenzverwalter den Betrieb längere Zeit fort und beschäftigt den bisherigen Personalleiter in gleicher Funktion weiter, so ist bei einer Kündigung durch den Personalleiter die Vorlage einer Vollmachtsurkunde nicht erforderlich.67)

117 Ansonsten bedarf es in der Regel einer hinreichenden Bekanntmachung der Bevollmächtigung. Der allgemeine Hinweis auf einen – zeitlich befristeten – Aushang am Schwarzen Brett reicht hierfür allein grundsätzlich nicht aus.68) 118 Eine Vollmachtsurkunde muss grundsätzlich auch vorgelegt werden, wenn sich der Insolvenzverwalter von einem Kanzleisozius vertreten lässt.69) ___________ 64) 65) 66) 67) 68) 69)

254

BAG, Urt. v. 11.7.1991 – 2 AZR 107/91, ZIP 1992, 497. BAG, Urt. v. 11.3.1999 – 2 AZR 427/98, NZA 1999, 818. Müller-Glöge in: ErfK, § 620 BGB Rz. 179. BAG, Urt. v. 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, ZIP 1998, 748 = NZA 1998, 699. BAG, Urt. v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427. BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, ZIP 2002, 2003 = NZA 2002, 1207.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

c)

Kündigungsfristen Verdrängung einer längeren tarifvertraglichen Kündigungsfrist; Art. 9 Abs. 3 GG, abstrakte Abwägung zwischen Belangen der Arbeitnehmer und denen der sonstigen Insolvenzgläubiger: BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, ZIP 1999, 1933 = NZA 1999, 1331 Insolvenzkündigung und Standortsicherungsvereinbarung – Sozialauswahl: BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774 = NZA 2006, 661

Die maximale Kündigungsfrist beträgt im eröffneten Insolvenzverfahren drei 119 Monate zum Monatsende (§ 113 Satz 2 InsO) und gilt für beide Parteien des Arbeitsvertrags. Die Insolvenzsituation macht die Einhaltung der Kündigungsfrist nicht unzumutbar.70) Umgekehrt kommt eine Verlängerung der Mindestfrist aus persönlichen Gründen nicht in Betracht.71) § 113 Satz 2 InsO untersagt es dem Insolvenzverwalter zwar nicht, mit einer längeren Frist als der in § 113 Satz 2 InsO vorgesehenen zu kündigen; aus der in § 241 Abs. 2 BGB normierten Rücksichtnahmepflicht i. V. m. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erwächst aber auch unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 GG kein Anspruch auf Verlängerung der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO.72) Durch § 113 Satz 2 InsO wird kein besonderer Kündigungsgrund geschaffen. 120 Es werden lediglich die Kündigungsfristen nach §§ 621, 622 Abs. 2 BGB im Interesse eines beschleunigten Personalabbaus im eröffneten Insolvenzverfahren verkürzt.73) Deshalb kann auch während einer vereinbarten Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) das Arbeitsverhältnis mit der gesetzlichen Frist von zwei Wochen gekündigt werden, nicht nur zum Monatsende. Die Frist des § 113 Satz 2 InsO stellt also keine Regel-, sondern eine Höchstfrist dar.74) Da es bei einer außerordentlichen Kündigung keine ordentliche Kündigungs- 121 frist geben kann,75) handelt es sich bei einer Kündigung nach § 113 Satz 1 InsO stets um eine „ordentliche Kündigung“76) und nicht etwa um eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, auch wenn die „erdienten“ Kündigungsfristen gemäß § 113 Satz 2 InsO auf längstens drei Monate zum Monatsende „gekappt“ werden.

___________ 70) 71) 72) 73)

BAG, Urt. v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, ZIP 2005, 132 = NZA 2005, 43. LAG Nürnberg, Urt. v. 11.1.2012 – 4 Sa 627/11, DB 2012, 1448 = BeckRS 2012, 70164. BAG, Urt. v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, ZIP 2014, 1685 = NZA 2014, 897. BAG, Urt. v. 5.12.2002 – 2 AZR 571/01, ZIP 2003, 1169 = NZA 2003, 789, dazu EWiR 2004, 119 (Herbst). 74) BAG, Urt. v. 6.7.2000 – 2 AZR 695/99, ZIP 2000, 1941 = NZA 2001, 23, dazu EWiR 2001, 27 (Moll). 75) BAG, Beschl. v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157. 76) Berscheid, ZInsO 1998, 115, 119.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

122

Praxishinweis Sofern einzelarbeitsvertraglich, tarifvertraglich oder gesetzlich (§§ 621 Nr. 1 bis 3, 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BGB) eine kürzere Frist als drei Monate zum Monatsende maßgeblich ist, so verbleibt es bei der kürzeren Frist.77)

123 Nach § 113 Satz 1 InsO kann jedes Dienstverhältnis, bei dem der Insolvenzschuldner der Dienstberechtigte ist, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Auch die regelmäßig im Geschäftsführeranstellungsvertrag vereinbarten langen Kündigungsfristen werden im eröffneten Insolvenzverfahren auf drei Monate zum Monatsende (§ 113 Satz 2 InsO) abgekürzt. 124

Praxishinweis Der Geschäftsführer einer GmbH ist nur dann nach § 621 BGB zu kündigen, wenn er einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft besitzt. Im Übrigen bemisst sich die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB.78)

125 Der Insolvenzverwalter hat kein Wahlrecht nach § 103 InsO, ob er in bestehende Dienstverträge eintritt. Anstelle des Wahlrechts tritt die Kündigungsbefugnis nach § 113 InsO. Wird das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet, stehen die insolvenzrechtlichen Sondervorschriften dem Eigenverwalter zu.79) Darum kann in der Eigenverwaltung der Schuldner selbst mit der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO kündigen. Soweit er dabei entgegen der Sollvorschrift des § 279 Satz 2 InsO zuvor kein Einvernehmen mit dem Sachwalter herstellt, ist die Kündigung gleichwohl wirksam, sofern nicht gemäß § 277 InsO Zustimmungsbedürftigkeit angeordnet ist. Der Gesetzgeber hat nur in den in § 279 Satz 3 InsO ausdrücklich genannten Fällen, in denen in die Rechtsstellung einer Vielzahl von Arbeitnehmern eingegriffen wird, einen Zustimmungsvorbehalt normiert.80) Die Regelung ist nur auf Kündigungen durch den Insolvenzverwalter bzw. Eigenverwalter, also nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, anwendbar. Sie gilt nicht für den – auch „starken“ – vorläufigen Insolvenzverwalter. Sie gilt auch für Arbeitsverhältnisse, die nach der Eröffnung durch den Verwalter für die Masse begründet wurden. 126

Praxishinweis Die Vorschrift erfasst auch befristete Dienstverhältnisse, wenn eine Kündigungsmöglichkeit nicht vereinbart wurde.

___________ 77) BAG, Urt. v. 3.12.1998 – 2 AZR 425/98, ZIP 1999, 370 = NJW 1999, 1571, dazu EWiR 1999, 267 (Oetker). 78) BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, ZIP 1984, 1088 = NJW 1984, 2528. 79) BAG, Urt. v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, ZIP 2017, 1083 = NZI 2017, 577, dazu EWiR 2017, 443 (Stütze). 80) BAG, Urt. v 24.9.2015 – 6 AZR 492/14, Rz. 49, ZIP 2015, 2387 = NZI 2015, 1041, dazu EWiR 2016, 121 (Paulus).

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Die Vorschrift erfasst auch befristete Dienstverhältnisse oder auflösend bedingte 127 Arbeitsverhältnisse, wenn eine Kündigungsmöglichkeit nicht vereinbart wurde. Für befristete Arbeitsverhältnisse gilt die gesetzliche Höchstkündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende immer dann, wenn das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung durch den Insolvenzverwalter ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit noch für zumindest drei weitere Monate befristet ist.81) Die Kündigungsfrist beträgt bei befristeten Arbeitsverhältnissen ohne vereinbarte Kündigungsmöglichkeit somit drei Monate zum Monatsende, sofern die Laufzeit noch mindestens drei (weitere) Monate beträgt. Ein Rückgriff auf die kürzere gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, wonach das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende des Kalendermonats gekündigt werden kann, verbietet sich, wenn eben diese Kündigungsfrist vertraglich ausgeschlossen wurde und § 622 BGB deshalb nicht zur Anwendung kommt.82) § 113 InsO findet auch auf Kündigungen vor Dienstantritt Anwendung.83) 128 Selbst wenn das (befristete oder unbefristete) Arbeitsverhältnis noch nicht angetreten und die Kündigungsmöglichkeit vor Arbeitsaufnahme ausgeschlossen ist, muss der Insolvenzverwalter mit der Kündigung nicht warten, bis der Arbeitnehmer seine Arbeitsstelle zum vereinbarten Termin antritt. Die Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO beginnt mit dem Zugang der Kündigungserklärung und nicht erst mit dem vereinbarten Dienstantritt.84) Bei einer Kündigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuld- 129 ner oder durch den (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter findet die Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO keine Anwendung. 130

Praxishinweis Nach Verfahrenseröffnung hat der Insolvenzverwalter zu prüfen, ob er unter Ausnutzung der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO die gekündigten Arbeitsverhältnisse eventuell auch zu einem früheren Kündigungstermin beendigen kann. Ist dies der Fall, ist der Insolvenzverwalter im Interesse der Insolvenzmasse zur Nachkündigung verpflichtet.85) Die Kündigung des Insolvenzverwalters mit der Frist des § 113 Satz 2 InsO unterliegt keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.86) Die Nachkündigung stellt keine unzulässige Wiederholungskündigung dar, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Abkürzung der Kündigungsfrist einen neuen Kündigungsgrund darstellen.87) § 113 InsO gilt auch für Arbeitsverhältnisse oder Dienstverhältnisse, die nach der Eröffnung durch den Verwalter für die Masse begründet wurden.

___________ 81) 82) 83) 84) 85)

LAG Hamm, Urt. v. 1.4.2004 – 4 Sa 1340/03, ZInsO 2000, 407 = BeckRS 2004, 30460633. A. A. Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 113 Rz. 104, 105. BAG, Urt. v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, ZIP 2017, 1083 = NZI 2017, 577. BAG, Urt. v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, NZA 2006, 1207. BAG, Urt. v. 26.7.2007 – 8 AZR 769/06, ZIP 2008, 428 = NZA 2008, 112, dazu EWiR 2008, 229 (Lindemann). 86) BAG, Urt. v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, ZIP 2014, 1685 = NZA 2014, 897. 87) BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 69/98, n. v., ZInsO 1999, 714 = BeckRS 1999, 30779252.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

131 § 113 InsO eröffnet auch die Möglichkeit zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen, bei denen die ordentliche Kündigung durch Vertrag oder Tarifvertrag ausgeschlossen ist. Gesetzliche Kündigungsbeschränkungen (z. B. § 15 KSchG) bleiben unberührt. Das bei der Abspaltung geltende Verschlechterungsverbot nach § 323 UmwG von zwei Jahren steht § 113 InsO nicht entgegen. Ist die ordentliche Kündigung durch Tarifvertrag ausgeschlossen, so wird diese Regelung durch § 113 Satz 1 InsO durchbrochen. Damit wird gewährleistet, dass i. R. eines Personalabbaus nicht zunächst vorrangig alle nicht altersgeschützten Arbeitnehmer entlassen werden müssen, was automatisch zu einer personellen Überalterung des zu sanierenden Betriebs führen würde. Dieser Vorrang gewährleistet, dass es trotz Massenkündigungen möglich bleibt, eine ausgewogene Personalstruktur zu erhalten oder zu schaffen (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO). 132 Die Verdrängung von tarifvertraglichen Kündigungsfristen durch § 113 Satz 2 InsO ist verfassungskonform und stellt keinen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) dar.88) Auch eine Standortsicherungsvereinbarung mit dem Verbot betriebsbedingter Kündigungen steht der Kündigungsmöglichkeit nach § 113 Satz 2 InsO nicht entgegen.89) Tarifvertragliche Regelungen, wonach bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze die betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen oder nur gegen Zahlung einer bestimmten Abfindungssumme zulässig ist, stellen in der Insolvenz unzulässige Kündigungserschwerungen dar und sind unanwendbar. Mit der Zielsetzung des § 113 InsO ist eine Unterscheidung zwischen (absolutem) Kündigungsausschluss und (finanziellen) Kündigungserschwerungen nicht zu vereinbaren.90) Davon unberührt bleibt die Möglichkeit des Insolvenzverwalters, das Arbeitsverhältnis zur Vermeidung einer Kündigung oder zur Beendigung einer Kündigungsschutzklage gegen Zahlung einer Abfindung (als Masseschuld nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) aufzuheben. 133 Ist in einem Tarifvertrag geregelt, dass betriebsbedingte Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, so enthält diese Bestimmung keine Unkündbarkeitsklausel,91) sondern eine verfahrensmäßige Absicherung des individuellen Kündigungsschutzes auf der kollektiven Ebene, wonach die Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Verhältnis zur bloßen Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG und zum Widerspruchsrecht nach § 102 Abs. 3 BetrVG durch eine zusätzliche verfahrensmäßige Hürde verstärkt werden. Bei einer reinen Personalanpassung nach Verfahrenseröffnung ist ein solches Zustimmungserfordernis deshalb vom Insolvenzverwalter zu beachten, sodass der Betriebsrat ___________ 88) BAG, Urt. v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, ZIP 1999, 1933 = NZA 1999, 1331. 89) BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774 = NZA 2006, 661, dazu EWiR 2006, 499 (Thüsing/v. Medem). 90) LAG Hamm, Urt. v. 14.1.1999 – 8 Sa 1991/98, ZInsO 1999, 544 = BeckRS 1999 30460007. 91) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 911/98, BeckRS 2009, 68954.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

nicht nur nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG anzuhören ist, sondern der Kündigung ausdrücklich zustimmen muss. Dass die Regelung wie eine zeitlich befristete Kündigungssperre wirken kann, ist als Reflex dieser Bestimmung hinzunehmen. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, die Einigungsstelle anzurufen. Lediglich bei einer vollständigen Betriebsstilllegung ist durch einschränkende Auslegung der betrieblichen oder tariflichen Vorschrift der Zustimmungsvorbehalt unbeachtlich, um eine „Kollision“ mit § 119 InsO zu vermeiden. § 113 Satz 1 – 2 InsO sind unabdingbar und unterliegen nicht der Dispositions- 134 befugnis. Nach § 119 InsO sind alle Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 – 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt werden, unwirksam. Dies gilt auch für im sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) getroffene Vereinbarungen, durch welche die Anwendung des § 113 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird.92) Das Schutzschirmverfahren ist eine spezielle Variante des Eröffnungsverfahrens. Es ist auf den Zeitraum ab dem Eröffnungsantrag bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt. Kündigt der Insolvenzverwalter mit der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO, un- 135 terliegt diese Wahl der Kündigungsfrist keiner Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.93) d)

Verfrühungsschaden

Kündigt der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis nach § 113 Satz 1 InsO, so 136 steht dem Arbeitnehmer wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 113 Satz 3 InsO ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch als Insolvenzgläubiger zu. Voraussetzung für die Geltendmachung dieses sog. Verfrühungsschadens ist, dass das Arbeitsverhältnis früher endet als bei einer Kündigung ohne den Insolvenzfall. Der Schaden ist die entgangene Kündigungsfrist. Einen Ausgleich allgemein für durch die Insolvenz bedingte Nachteile und Risiken begründet § 113 Satz 3 InsO hingegen nicht. Voraussetzung für die Geltendmachung dieses sog. Verfrühungsschadens ist, dass das Arbeitsverhältnis durch Kündigung des Insolvenzverwalters früher endet als ohne den Insolvenzfall. Kündigt der Arbeitnehmer selbst, steht ihm ein Schadensersatzanspruch nach § 113 Satz 3 InsO nicht zu. Schließen die Parteien in einem Kündigungsschutzprozess einen Vergleich, 137 durch den das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf der Höchstfrist des § 113 Satz 3 InsO, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt endet, schließen sie materiellrechtlich einen Aufhebungsvertrag, der die Kündigung gegenstandslos macht und durch den Prozessvergleich als neuen, eigenständigen Beendigungstatbestand er___________ 92) BAG, Urt. v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, ZIP 2017, 1083 = NZI 2017, 577. 93) BAG, Urt. v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, ZIP 2014, 1685 = NZA 2014, 897.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

setzt. Dies schließt den Schadenersatzanspruch nach § 113 Satz 3 InsO aus.94) Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags zwischen Arbeitnehmer und Insolvenzverwalter begründet also keinen Anspruch nach § 113 Satz 3 InsO.95) Aus diesem Grunde entsteht auch dann kein Schadensersatzanspruch, wenn Arbeitnehmer durch dreiseitigen Aufhebungsvertrag in eine Transfergesellschaft wechseln. 138

Praxishinweis Scheidet der Arbeitnehmer durch einen „Drei-Parteien-Aufhebungsvertrag“ bei gleichzeitigem Wechsel in eine Transfergesellschaft aus, so entsteht ihm kein Verfrühungsschaden.

139 Nimmt der Arbeitnehmer die Kündigung letztlich nur hin, gegen die er sich in einem Kündigungsschutzprozess noch zur Wehr gesetzt hat, schafft er durch den Vergleich keinen eigenständigen Beendigungsgrund mit der Folge, dass der Schadensersatzanspruch nach § 113 Satz 3 InsO davon unberührt bleibt.96) 140 Der Schadensersatz umfasst die dem Arbeitnehmer entgangene Vergütung, Provisionsverluste wie auch Einbußen im Hinblick auf die betriebliche Altersvorsorge.97) Andere Nachteile wegen der Kündigung in der Insolvenz sind nicht ersetzbar, insbes. nicht der Nachteil durch den eventuell früher endenden Bezugszeitraum für ALG I, wenn der Arbeitnehmer z. B. im Freistellungszeitraum i. R. der Gleichwohlgewährung Leistungen der Agentur für Arbeit bezieht und im Nachgang keine Erstattung aus der Insolvenzmasse erfolgt.98) Dabei handelt es sich um eine Insolvenzforderung i. S. von § 38 InsO und nicht um eine Masseforderung.99) 141 Ist die ordentliche Kündigung vertraglich ausgeschlossen, ist der nach § 113 Satz 3 InsO zu ersetzende Verfrühungsschaden ausschließlich auf die ohne die vereinbarte Unkündbarkeit maßgebliche längste ordentliche Kündigungsfrist beschränkt;100) die für § 628 Abs. 2 BGB entwickelten Grundsätze gelten in diesem Fall nicht.101) 142

Praxishinweis Nach den für § 628 Abs. 2 BGB entwickelten Grundsätzen wäre neben der entgangenen ordentlichen Kündigungsfrist auch ein „Bestandsschutzwert“, der sich nach § 10 KSchG orientiert, zu ersetzen gewesen.

___________ 94) BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 6 AZR 558/14, ZIP 2016, 228 = NZI 2016, 181. 95) BAG, Urt. v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, ZIP 2007, 1875 = NZA 2008, 1135. 96) BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, ZIP 2016, 178 = NZA 2016, 314, dazu EWiR 2016. 179 (Klasen). 97) Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 55 Rz. 183. 98) LAG Hessen, Urt. v. 22.1.2013 – 13 Sa 1108/12, ZIP 2013, 1137 = NZI 2013, 363, dazu EWiR 2013, 451 (Mückl). 99) LAG Düsseldorf, Urt. v. 6.8.2014 – 7 Sa 1190/13, BeckRS 2014, 72696. 100) Vossen in: Münch-AHB ArbR, § 43 Rz. 45. 101) BAG, Urt. v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, ZIP 2007, 1829, dazu EWiR 2007, 775 (Brose).

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Sofern der Insolvenzverwalter jedoch, unabhängig von § 113 InsO, zum ent- 143 sprechenden Zeitpunkt oder vorzeitig kündigen kann, z. B. weil ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegt, hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Schadensersatz. Unerheblich ist dabei, ob der Grund, der zur fristlosen Kündigung berechtigt, vor oder nach Insolvenzeröffnung eingetreten ist. Nach § 87 Abs. 3 AktG ist der Schadensersatzanspruch bei Vorstandsmitglie- 144 dern einer AG begrenzt auf zwei Jahre nach Ablauf des Dienstverhältnisses. Der Insolvenzverwalter kann gegenüber einem Schadensersatzanspruch mit Gegenansprüchen der Gesellschaft, z. B. aus Pflichtverletzungen des Vorstandsmitglieds, aufrechnen. e)

Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen 1. Ein tariflicher Kündigungsschutz für ältere, langjährig beschäftigte Arbeitnehmer – Ausschluss der ordentlichen Kündigung – wird bei einer Kündigung durch den Konkurs-/Insolvenzverwalter durch die in § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgegebene Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende verdrängt. 2. Diese Regelung verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG. BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, ZIP 2000, 985 = NZA 2000, 658

§ 113 Abs. 1 Satz 2 InsO unterliegt nicht der Dispositionsbefugnis. Nach § 119 145 InsO sind alle Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt werden, unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn eine ebensolche Vereinbarungen zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat in einem Interessenausgleich zur Verlängerung der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO getroffen wurde.102) Tarifvertragliche Regelungen, wonach bei Vorliegen einer bestimmten Alters- 146 grenze die betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen oder nur gegen Zahlung einer bestimmten Abfindungssumme zulässig ist, stellen in der Insolvenz unzulässige Kündigungserschwerungen dar und sind unanwendbar. Bestimmt der Tarifvertrag hingegen, dass betriebsbedingte Kündigungen der 147 Zustimmung des Betriebsrates (§ 102 Abs. 6 BetrVG) bedürfen, so ist diese Kündigungserschwernis jedenfalls bei einer vollständigen Betriebsstilllegung im eröffneten Insolvenzverfahren unbeachtlich.103) Bei einer reinen Personalanpassung nach Verfahrenseröffnung dürfte eine solche tarifvertragliche Regelung zulässig sein, so dass der Betriebsrat nicht nur nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG anzuhören ist, sondern der Kündigung ausdrücklich zustimmen muss. 148

Praxishinweis Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, die Einigungsstelle anzurufen.

___________ 102) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 910/98, NZI 2001, 53 = KTS 2001, 186. 103) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 910/98, NZI 2001, 53 = KTS 2001, 186.

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261

§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

3.

Interessenausgleich und Sozialplan

a)

Interessenausgleich Keine Durchsetzung des Interessenausgleichs durch einstweilige Verfügung: BAG, Beschl. v. 28.8.1991 – 7 ABR 72/90, ZIP 1992, 950 (siehe auch § 12 Rz. 4 [Möller])

149 Der Interessenausgleich ist die schriftliche Vereinbarung (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) zwischen Arbeitgeber/Insolvenzverwalter und Betriebsrat über die Umsetzung der beabsichtigten Betriebsänderung. Gegenstand der Beratung ist das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung.104) Der Inhalt des Interessenausgleichs umschreibt die unternehmerische Maßnahme, die betroffenen Arbeitnehmer und die Art, in der sie betroffen sind, ob sie also z. B. entlassen, freigestellt, versetzt, qualifiziert oder umgeschult werden sollen.105) 150

Praxishinweis Im Interessenausgleich können auch Auswahlrichtlinien i. S. des § 95 BetrVG für anstehende Kündigungen oder Versetzungen aufgestellt werden.

151 Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderung schriftlich niederzulegen und von Unternehmer/Insolvenzverwalter und Betriebsrat zu unterschreiben. Auf das gesetzliche Schriftformerfordernis sind die §§ 125, 126 BGB anwendbar. Nach § 126 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BGB muss bei einem Vertrag die Unterzeichnung der Parteien eigenhändig durch Namensunterschrift auf derselben Urkunde erfolgen. Da § 125 Abs. 1 InsO verlangt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer „in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet“ werden, erstreckt sich das Schriftformerfordernis auch auf die Namensliste. Gleichwohl treten die Wirkungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO nicht nur ein, wenn die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, unmittelbar im Text des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind, sondern auch, wenn Interessenausgleich und Namensliste zwar zwei textlich separate Schriftstücke sind, aber gleichwohl eine einheitliche Urkunde bilden, die insgesamt dem Schriftformerfordernis der §§ 125, 126 BGB genügt.106) Wird die Namensliste getrennt von dem Interessenausgleich erstellt, reicht es dafür aus, dass im Interessenausgleich auf die zu erstellende Namensliste verwiesen wird, die erstellte Namensliste – ebenso wie zuvor der Interessenausgleich – von den Betriebspar-

___________ 104) BAG, Urt. v. 19.1.1999 – 1 AZR 342/98, ZIP 1999, 1411, dazu EWiR 1999, 727 (Ehrich). 105) BAG, Beschl. v. 17.9.1991 – 1 ABR 23/91, ZIP 1992, 261 = NZA 1992, 227. 106) BAG, Urt. v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 = AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 20; BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329 = AP KSchG 1969 § 1 Nr. 80.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

teien unterschrieben worden ist und die Liste ihrerseits eindeutig auf den Interessenausgleich Bezug nimmt.107) Besteht der Interessenausgleich aus mehreren Seiten, die z. B. mittels Heftma- 152 schine verbunden sind, genügt die Unterschrift auf nur einem Blatt.108) Nimmt der Interessenausgleich auf eine als Anlage beigefügte Liste Bezug, auf der die zu entlassenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind (sog. Kündigungsnamensliste, § 125 InsO), genügt es, wenn die nicht unterzeichnete Namensliste mittels Heftklammer fest mit dem unterschriebenen Interessenausgleich verbunden ist.109) Dies muss aber schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Fall sein.110) Eine spätere Verbindung durch den Arbeitgeber reicht nicht aus.111) Anderenfalls genügt es, wenn die Betriebsparteien im Interessenausgleich auf eine Liste verwiesen haben, diese Liste selbst zeitnah112) unterschrieben wird und zusätzlich sämtliche Einzelseiten paraphiert sind.113) 153

Praxishinweis Es empfiehlt sich, die Kündigungsnamensliste sowie alle weiteren Anlagen ebenfalls zu unterschreiben und dem Interessenausgleich (mindestens zwei Ausfertigungen) im Wege einer zusammengesetzten Urkunde mittels Heftmaschine beizufügen. Eine weitere (dritte) Ausfertigung des Interessenausgleichs wird mit sämtlichen Anlagen ebenfalls unterschrieben, aber nicht geheftet, so dass hiervon Abschriften hergestellt werden können.

Die gemeinsame Unterschrift auf einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 154 Abs. 3 KSchG stellt ebenso wenig einen wirksamen Interessenausgleich dar wie ein gemeinsam von Arbeitgeber und Betriebsrat unterschriebenes Protokoll über den Verhandlungsverlauf oder ein gemeinsam unterschriebenes Rundschreiben. Wird der Interessenausgleich vor der Einigungsstelle geschlossen, bedarf es der Unterschrift dessen Vorsitzenden (§ 112 Abs. 3 Satz 3 BetrVG). Der zustande gekommene Interessenausgleich ist für den Insolvenzverwalter 155 nicht bindend. Der Betriebsrat kann nicht die Einhaltung des Interessenausgleichs erzwingen.114) Solange der Interessenausgleich nicht abgeschlossen ist oder ___________ 107) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234 = NZA 2013, 86; BAG, Urt. v. 12.5.2010 – 2 AZR 551/08, NZA 2011, 114 = AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 20; LAG Hamm, Urt. v. 5.1.2018 – 16 Sa 1410/16, BeckRS 2018, 15595. 108) BAG, Urt. v. 20.5.1999 – 2 AZR 278/98, NZI 2001, 87 = BeckRS 2010, 73037. 109) BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = NZA 1998, 1110. 110) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234 = NZA 2013, 86. 111) BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, ZIP 2007, 2136 = NZA 2008, 72, dazu EWiR 2008, 11 (Lindemann). 112) Sechs Wochen sollen nach dem BAG noch zeitnah sein, vgl. BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64 (LS) = NJOZ 2005, 5103, sowie BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151 = ArbRAktuell 2009, 70, m. Anm Lingemann. 113) BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05, ZIP 2007, 2136 = NZA 2008, 72. 114) BAG, Beschl. v. 28.8.1991 – 7 ABR 72/90, ZIP 1992, 950.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

der Vorsitzende der Einigungsstelle das Scheitern eines Interessenausgleichs nicht festgestellt hat, kann der Insolvenzverwalter den Beschluss der Gläubigerversammlung zur Betriebsstilllegung durch Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht ohne Massebelastung umsetzen, da er dann Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG auslöst. Der Nachteilsausgleichsanspruch stellt insoweit eine Art „Strafzahlung“ für die Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung gemäß §§ 111 ff. BetrVG dar. 156

Praxishinweis Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ist nur dann eine Masseschuld nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn die Betriebsänderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt wird.115) Der Nachteilsausgleichsanspruch steht neben einem Anspruch aus einem abzuschließenden Sozialplan.116) Es können Anrechnungsklauseln vereinbart werden.

157 Dem Insolvenzverwalter steht es frei zu entscheiden, wann er einen Interessenausgleich in freien Verhandlungen nicht mehr für erreichbar hält, sofern ernsthafte Verhandlungen mit dem Betriebsrat stattgefunden haben.117) Er kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen die Verhandlungen für gescheitert erklären und die Einigungsstelle anrufen. Bei der Bildung der Einigungsstelle gilt § 76 BetrVG. Die Einigungsstelle hat eine Einigung zwischen den Parteien zu versuchen und hierzu auch Vorschläge zu unterbreiten. Eine verbindliche Entscheidung gegen den Willen des Insolvenzverwalters kann die Einigungsstelle nicht treffen, weil der Interessenausgleich nicht der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Kommt eine Einigung vor der Einigungsstelle nicht zustande, wird dort das Scheitern festgestellt und das Verfahren eingestellt. Der Insolvenzverwalter kann sodann die Betriebsänderung durch Ausspruch der erforderlichen Kündigungen umsetzen, ohne die Insolvenzmasse mit Nachteilsausgleichsansprüchen zu belasten. 158

Praxishinweis Anstelle eines Einigungsstellenverfahrens kann der Insolvenzverwalter auch die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung der geplanten Betriebsänderung nach § 122 InsO beantragen.

159 Die Regelung des § 112 Abs. 2 BetrVG, nach der nach dem Scheitern der Verhandlungen sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen können, wird in der Insolvenz insoweit modifiziert, als nach § 121 InsO Betriebsrat und Insolvenzverwalter nur gemeinsam einen Vermittlungsversuch durchsetzen können. Unterbleibt ein ___________ 115) BAG, Urt. v. 3.4.1999 – 1 AZR 150/89, ZIP 1990, 873 = NZA 1990, 619. 116) BAG, Urt. v. 13.6.1989 – 1 AZR 819/87, ZIP 1989, 1205. 117) LAG Frankfurt/M., Beschl. v. 12.11.1991 – 4 TaBV 148/91, NZA 1992, 853.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Vermittlungsgesuch oder bewirkt dieser keine Einigung, kann jede Partei die Einigungsstelle anrufen und ggf. ihre Einrichtung erzwingen. Die Regelung des § 121 InsO, dass ohne den Willen des Insolvenzverwalters keine Vermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit durchgeführt werden kann, ermöglicht einen beschleunigten Verfahrensablauf. b)

Betriebsänderung

Plant der Insolvenzverwalter eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung 160 in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge hat, muss er den zuständigen Betriebsrat ebenso wie nach § 111 Abs. 1 BetrVG rechtzeitig und umfassend hierüber unterrichten und mit diesem in Beratungen über einen Interessenausgleich eintreten.118) Der Insolvenzverwalter ist selbst dann zum Interessenausgleich verpflichtet, wenn die geplante Betriebsänderung eine zwangsläufige Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist.119) 161

Praxishinweis Gemäß § 111 Abs. 2 BetrVG gilt als Betriebsänderung auch die Einschränkung und Stilllegung des gesamten Betriebs oder wesentlicher Betriebsteile.

Eine Betriebsänderung in Form der Einschränkung des Betriebs liegt vor, wenn 162 seine Leistungsfähigkeit durch eine Verringerung der Betriebsmittel auf Dauer herabgesetzt wird. Dies kann auch im bloßen Personalabbau unter Beibehaltung der sächlichen Mittel liegen.120) 163

Praxishinweis Als Richtgröße dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG über die Anzeigepflicht bei Massenentlassungen heranzuziehen, wobei aber in größeren Betrieben mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein müssen.121) Maßgeblich ist die Zahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung. Im Insolvenzverfahren ist rückblickend auf die bisherige, normale Belegschaftsstärke abzustellen122) (siehe dazu § 5 [Lutz]).

___________ 118) 119) 120) 121) 122)

LAG Hamm, Beschl. v. 1.3.1972 – 8 BV Ta 1/72, DB 1972, 632. BAG, Urt. v. 17.9.1974 – 1 AZR 16/74, NJW 1975, 182. BAG, Urt. v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, ZIP 1997, 1471 = NZA 1997, 787. BAG, Urt. v. 8.6.1999 – 1 AZR 694/98, BeckRS 1999, 30779040. BAG, Beschl. v. 9.5.1995 – 1 ABR 51/94, ZIP 1995, 1762 = NZA 1996, 166.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Zu beachten ist, dass der EuGH den Begriff der „Entlassung“ i. S. der Massenentlassungs-RL 98/59/EG weiter ausgedehnt hat:123) Zum einen zählt der EuGH befristet beschäftigte Arbeitnehmer wohl generell zu den Arbeitnehmern, die für die Bestimmung der Betriebsgröße für die Berechnung des Schwellenwerts maßgeblich sind. Dies kann die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer in § 17 Abs. 1 KSchG und ggf. § 111 BetrVG beeinflussen. Zum anderen qualifiziert der EuGH bereits eine wesentliche Veränderung der Vertragsbedingungen durch den Arbeitgeber, die nicht auf Gründen in der Person des Arbeitnehmers beruht, als Entlassung i. S. der MassenentlassungsRL 98/59/EG. Für das deutsche Recht dürfte sich insoweit nichts ändern, weil Änderungskündigungen bereits nach der Rechtsprechung des BAG bei § 17 Abs. 1 KSchG berücksichtigt werden müssen.124)

164 Gemäß § 50 BetrVG kann anstelle des örtlichen Betriebsrats der Gesamtbetriebsrat zuständig sein.125) Dies ist dann der Fall, wenn nach den Planungen des Arbeitgebers126) der Personalabbau auf Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzeptes durchgeführt wird, mehrere Betriebe vom Personalabbau betroffen sind und das „Verteilungsproblem“ nur betriebsübergreifend gelöst werden kann.127) Der Gesamtbetriebsrat, nicht der jeweilige örtliche Betriebsrat, bleibt dann auch zuständig für den Abschluss einer betriebsübergreifenden Namensliste nach § 125 InsO. Unschädlich ist es, wenn nach dem Abschluss des Interessenausgleichs durch den Gesamtbetriebsrat sich auch die örtlichen Betriebsräte das Ergebnis zu Eigen machen und den Interessenausgleich mitunterzeichnen.128) 165 Die Unterrichtung des Betriebsrats hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Interessenausgleich noch vor der Betriebsänderung verhandelt werden kann. Sie hat spätestens bei Einholung der Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Betriebsstilllegung (§ 158 Abs. 1 InsO) oder bei Unterrichtung des Schuldners von der Schließungsabsicht (§ 158 Abs. 1 Satz 1 InsO) zu erfolgen. Die Unterrichtung des Betriebsrats und die Beratung mit dem Betriebsrat stehen dann zunächst unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Betriebsschließung. Fasst die Gläubigerversammlung einen Stilllegungsbeschluss ___________ 123) Dazu bereits EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – Rs. C-392/13 (Rabal Canas), Rz. 63 ff., NZA 2015, 669 = ECLI:EU:C:2015:318, dazu EWiR 2015, 459 (Forst); dazu Maschmann, EuZA 2015, 488, 498 ff.; EuGH, Urt. v. 11.11.2015 – Rs. C-422/14 (Pujante Rivera), Rz. 51, ZIP 2015, 2292 = ECLI:EU:C:2015:743, dazu EWiR 2016, 59 (Klopp). 124) BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, ZIP 2014, 1691 = NZA 2014, 1069, dazu EWiR 2014, 635 (Schubert); Franzen, NZA 2016, 26. 125) BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, ZIP 2011, 1786 = NJW 2011, 3180, dazu EWiR 2011, 677 (Mückl). 126) LAG Hessen, Urt. v. 25.2.2011 – 3 Sa 1095/10, BeckRS 2011, 73347. 127) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011, dazu EWiR 2013, 49 (Knof/Stütze). 128) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

(§§ 156, 159 InsO), so hat der Insolvenzverwalter den Betriebsrat auch hierüber zu unterrichten. c)

Namensliste Interessenausgleich, Namensliste: BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = NZA 1998, 1110 Vertrauensschutz bei unterbliebener Massenentlassungsanzeige: BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 760/05, ZIP 2007, 1577 = NZA 2007, 435

§ 125 InsO statuiert eine Einschränkung des Kündigungsschutzes, wenn mit dem 166 Interessenausgleich zugleich eine Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer vereinbart ist. Die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer sind entweder in den Interessenausgleich selbst aufzunehmen oder in einer gesonderten, mit dem Interessenausgleich fest verbundenen (Namens-)Liste aufzuführen. Die Kündigungen müssen noch bevorstehen, wobei auch Änderungskündigungen erfasst sind. Die Vorschrift erleichtert den Personalabbau durch eine kollektive Vorabklärung mit dem Betriebsrat über die erforderlichen Kündigungen, welche die betroffenen Arbeitnehmer nur eingeschränkt gerichtlich überprüfen lassen können. Um dem Bedürfnis eines möglichst schnellen und rechtssicheren Personalabbaus 167 in der Insolvenz Rechnung zu tragen, wird das KSchG durch §§ 125 – 127 InsO modifiziert: Einigen sich Insolvenzverwalter und Betriebsrat im Interessenausgleich über die zu kündigenden Arbeitnehmer durch deren namentliche Benennung, so wird gemäß § 125 InsO die Betriebsbedingtheit der Kündigung der namentlich genannten Arbeitnehmer vermutet und die Sozialauswahl kann gerichtlich nur auf einen groben Fehler überprüft werden. Mit der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf „grobe Fehler“ wird der Prüfungsmaßstab gesenkt und gleichzeitig der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der sozialen Auswahl zugunsten einer mit dem Betriebsrat vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert.129) Dies ist in Bezug auf jeden Arbeitnehmer gesondert zu überprüfen,130) wobei die Sozialauswahl nur im Ausnahmefall scheitern soll.131) Dies gilt auch für ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung, für das nach 168 §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 279 Satz 1 InsO grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für ein Regelinsolvenzverfahren und somit auch die Vorschriften für die

___________ 129) LAG Hamm, Urt. v. 5.1.2018 – 16 Sa 1410/16, BeckRS 2018, 15595. 130) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, NZA 2013, 333. 131) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387, dazu EWiR 2007, 363 (Grimm/Michaelis).

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten.132) 169 § 125 InsO setzt voraus, dass eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG vorliegt133) und diese für die Kündigung kausal ist.134) Es gilt dann grundsätzlich das Recht der betriebsbedingten Kündigung, jedoch ergeben sich Änderungen bei der Sozialauswahl und Erleichterungen bei der gerichtlichen Überprüfung der Sozialkriterien. § 125 InsO ist Spezialregelung zu § 1 Abs. 5 KSchG und enthält hierzu Abweichungen.135) 170

Praxishinweis Die Vorschrift des § 125 InsO ist nur im eröffneten Insolvenzverfahren anwendbar. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann keinen Interessenausgleich nach § 125 InsO (analog) schließen, sondern nur das Verfahren nach den §§ 111, 112 BetrVG durchführen.136) Für einen vor Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Interessenausgleich mit Namensliste gilt jedoch § 1 Abs. 5 KSchG als Prüfungsmaßstab.137)

171 Es ist zulässig, zunächst einen Interessenausgleich zu vereinbaren und erst später, aber zeitnah(!), diesen um eine Namensliste zu ergänzen.138) Bis zu welchem Zeitpunkt eine „zeitnahe“ Ergänzung des Interessenausgleichs vorliegt, lässt sich dabei nicht durch eine starre Regelfrist bestimmen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, wie bspw. die fortdauernden Verhandlungen der Betriebsparteien über die Erstellung einer Namensliste. Allerdings muss die Ergänzung spätestens vor Ausspruch der Kündigung erfolgen. Auch müssen die Arbeitnehmer, die in die Namensliste aufgenommen werden, gerade aufgrund der im Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsänderung zu kündigen sein. Erforderlich ist somit ein Kausalzusammenhang zwischen der maßgeblichen Betriebsänderung und den Kündigungen der Arbeitnehmer, die in der Namensliste benannt sind. 172 Nach § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten die Vermutungen der Betriebsbedingtheit der Kündigung der im Interessenausgleich benannten Arbeitnehmer und die Beschränkung der Nachprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit insoweit nicht, als sich „die Sachlage nach Zustandekommen des Interessen___________ 132) BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, ZIP 2011, 1786 = NJW 2011, 3180; LAG Hamm, Urt. v. 5.1.2018 – 16 Sa 1410/16, BeckRS 2018, 15595. 133) BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93. 134) BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64 (LS) = NJOZ 2005, 5103. 135) BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, ZIP 2012, 2080 = NZA-RR 2012, 570, dazu EWiR 2012, 655 (Grau/Sittard). 136) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029, dazu EWiR 2012, 707 (Hützen). 137) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029. 138) BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151 = ArbRAktuell 2009, 70, m. Anm Lingemann.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

ausgleichs wesentlich geändert hat“. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn im Kündigungszeitpunkt von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist.139) Für § 125 InsO ist es ausreichend, wenn die Betriebsänderung erst durch einen 173 Betriebserwerber durchgeführt werden soll, § 128 Abs. 1 Satz 1 InsO. Es ist statthaft, dass eine Betriebsänderung auf Grundlage eines sog. Erwerbermodells erstellt wird. Dies führt aber nicht dazu, dass auch der Erwerber eine eigene Namensliste vereinbaren kann, sondern bedeutet nur, dass der Verwalter diese Liste im Hinblick auf eine beim Erwerber vorzunehmende Betriebsänderung vereinbaren kann. Teileinigungen sind wohl nur dann möglich, wenn mehrere Kündigungswellen 174 geplant sind und zunächst nur für die erste(n) Welle(n) eine Einigung auf eine Namensliste erfolgt ist.140) Eine „Teilnamensliste“ ist immer dann „problematisch“, wenn sich die Teilnamensliste nicht auf abgrenzbare Regelungskomplexe bezieht, sondern bewusst unvollständig gehandhabt wird.141) Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO abgeschlossen, 175 so wird gesetzlich vermutet (widerleglich, § 292 Satz 1 ZPO), dass die Kündigungen der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb entgegenstehen.142) Diese Vermutung bezieht sich sowohl auf den Wegfall der bisherigen Beschäftigung als auch auf das Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb.143) Der Insolvenzverwalter braucht zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung keine weiteren Tatsachen vortragen, wenn er die Vermutungsgrundlage dargelegt hat. Hierzu muss er durch konkreten Vortrag darlegen und unter Beweis stellen, dass die Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) erfolgt ist und ein rechtswirksamer, von beiden Betriebsparteien unterzeichneter Interessenausgleich mit Namensliste vorliegt. Der Namensliste kommt somit eine Richtigkeitsgewähr dahingehend zu, dass sich Insolvenzverwalter und Betriebsrat Gedanken darüber gemacht haben, welchen aufgrund ihrer Tätigkeit vergleichbaren Arbeitnehmern unter Abwägung der sozialen Schutzbedürftigkeit gekündigt werden soll. Es findet somit eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast statt, weshalb entgegen § 1 KSchG nicht der Insolvenzverwalter den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten ___________ 139) BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 6 AZR 289/11, ZIP 2013, 184 = NZA-RR 2013, 68, m. Anm. Krings; Caspers in: MünchKomm-InsO, § 125 Rz. 103. 140) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234 = NZA 2013, 86. 141) BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151 = ArbRAktuell 2009, 70, m. Anm Lingemann. 142) BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = NZA 1998, 1110. 143) BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559 = AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 24.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Arbeitnehmers darlegen und beweisen muss, sondern der Arbeitnehmer konkret zu behaupten und unter Beweis zu stellen hat, dass im Betrieb ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem seine Weiterbeschäftigung möglich ist. 176 Nach § 292 ZPO ist (nur) der Beweis des Gegenteils zulässig. Es ist deshalb Sache des Arbeitnehmers darzulegen und ggf. zu beweisen, dass in Wirklichkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn weiterhin besteht. Eine bloße Erschütterung der Vermutung reicht nicht aus.144) Diese Vermutungswirkung wird auch durch eine fehlerhafte Sozialauswahl in der Namensliste nicht beseitigt.145) Selbst eine Klausel, die den Einsatz von Leiharbeitnehmern regelt, lässt die Vermutungswirkung nicht entfallen.146) 177

Praxishinweis Der Einsatz von Leiharbeitnehmern schließt dringende betriebliche Erfordernisse nur aus, wenn damit ein Dauerbedarf befriedigt wird.

178 Die Vermutung erstreckt sich auch darauf, dass der Arbeitnehmer nicht in einem anderen Betrieb des Insolvenzschuldners weiterbeschäftigt werden kann, sofern sich die Betriebsparteien mit dieser Frage befasst haben.147) Das BAG gewährt dem Arbeitnehmer jedoch gewisse Erleichterungen durch Begründung einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Mit Hinweisen des Arbeitnehmers, insbesondere zu Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, muss sich der Insolvenzverwalter konkret auseinandersetzen. Dies gilt verstärkt, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Betriebsrat während der Verhandlungen die Einsatzmöglichkeit in einem anderen Betrieb nicht ausreichend prüfen konnte.148) 179

Praxishinweis Gemäß § 125 Abs. 2 InsO ersetzt im Insolvenzfall die Namensliste des Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG bei Massenentlassungen.149)

180 Der Insolvenzverwalter kann sich demnach zunächst auf die Behauptung beschränken, dass eine Betriebsänderung i. S. von § 111 BetrVG vorliegt und der gekündigte Arbeitnehmer in einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich namentlich bezeichnet ist. Der Arbeitgeber ist jedoch auch in den Fällen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO verpflichtet, dem Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 KSchG auf dessen Verlangen die Gründe mitzuteilen, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Hierzu sind vor allem ___________ 144) LAG Hamm, Urt. v. 5.1.2018 – 16 Sa 1410/16, BeckRS 2018, 15595. 145) BAG, Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023. 146) BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 6 AZR 289/11, ZIP 2013, 184 = NZA-RR 2013, 68, m. Anm. Krings. 147) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011. 148) BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633. 149) BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, ZIP 2011, 1786 = NJW 2011, 3180.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

die klägerischen Sozialdaten und diejenigen der vergleichbaren Arbeitnehmer vorzutragen, damit das Gericht die Sozialauswahl nachvollziehen kann. Eines diesbezüglichen umfangreichen Sachvortrags des Insolvenzverwalters im Kündigungsschutzprozess bedarf es vor allem dann, wenn der vorgelegte Interessenausgleich selbst weder die Sozialdaten, noch eine organisatorische Zuordnung des Arbeitsplatzes des gekündigten Arbeitnehmers enthält. Insoweit besteht eine abgestufte Darlegungslast. Als Konsequenz aus der materiellen Auskunftspflicht des Arbeitgebers folgt, dass er auf Verlangen des Arbeitnehmers im Prozess substantiiert die Gründe vortragen muss, die ihn zu seiner Auswahl veranlasst haben. Erst nach Erfüllung der Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl.150) Teilt der Insolvenzverwalter seine Auswahlüberlegungen im Arbeitsgerichtsprozess nicht mit, läuft er Gefahr, dass der Kündigungsschutzklage bereits aus diesem Grund stattgegeben wird.151) Die Vermutungsregelung des § 125Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO greift mithin erst 181 dann ein, wenn der die Sozialauswahl bestimmende Sachverhalt nach den auch für „normale“ Kündigungsschutzprozesse geltenden Regeln der Darlegungsund Beweislast vollständig aufgeklärt ist.152) Es reicht dabei nicht aus, dass der Arbeitnehmer die gesetzliche Vermutung nur erschüttert, er muss vielmehr das Gegenteil beweisen. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert an der Verteilung der Darlegungslast nichts.153) Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Betriebsänderung und 182 ihrer Kausalität für die Kündigungen trägt der Arbeitgeber.154) Wenn und soweit allerdings der Arbeitnehmer keine Kenntnis über die Einzelheiten der Betriebsänderung hat und sich diese auch nicht aus dem Interessenausgleich selbst ergeben, hat der Arbeitgeber schon auf bloßes Bestreiten zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen vorzutragen.155) Die Überprüfung der Sozialauswahl erfolgt nur im Hinblick auf die Dauer der 183 Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen. Das in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannte Kriterium „Schwerbehinderung“ bleibt bei der Sozialauswahl unberücksichtigt, ist aber als Sonderkündigungsschutz nach §§ 168 ff. SGB IX zu beachten. Der besondere Kündigungsschutz nach ___________ 150) BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64 = NJOZ 2005, 5103; BAG, Urt. v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, NZA 2002, 1360 (LS) = NJOZ 2003, 1631. 151) ArbG Mönchengladbach, Urt. v. 23.7.2015 – 4 Ca 993/15, NZI 2016, 161 = BeckRS 2015, 70964. 152) ArbG Mönchengladbach, Urt. v. 23.7.2015 – 4 Ca 993/15, NZI 2016, 161 = BeckRS 2015, 70964. 153) BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774 = NZA 2006, 661. 154) BAG, Urt. v. 13.2.2008 – 2 AZR 79/06, RDG 2008, 234. 155) LAG Hamm, Urt. v. 1.6.2011 – 4 Sa 1772/10, BeckRS 2011, 73933.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

§ 168 SGB IX gilt immer dann, wenn die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung bereits anerkannt war oder der Antrag auf Anerkennung drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung gestellt war. Ihn genießt ein Arbeitnehmer aber nur, wenn es sich bei ihm um einen schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 2 SGB IX handelt. Danach sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Den besonderen Kündigungsschutz genießen daneben auch Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30, die nach § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen von der Agentur für Arbeit gleichgestellt wurden. 184

Praxishinweis Bei einem Interessenausgleich nach § 125 InsO ist die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes gemäß § 172 Abs. 3 SGB IX eingeschränkt. Es soll die Zustimmung erteilen, wenn 

der schwerbehinderte Mensch in einem Interessenausgleich gemäß § 125 InsO namentlich bezeichnet wird,



die Schwerbehindertenvertretung beim Zustandekommen des Interessenausgleichs gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX beteiligt worden ist, der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden schwerbehinderten Menschen, gemessen an der Zahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen, nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer gemessen an der Zahl der übrigen beschäftigten Arbeitnehmer, die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen, die nach dem Interessenaus-gleich weiterbeschäftigt werden, zur Erfüllung der Pflichtzahlen gemäß § 154 SGB IX ausreicht.



185 Hinsichtlich der Korrektheit der Sozialauswahlerwägungen bleibt die Darlegungsund Beweislast beim Insolvenzverwalter, jedoch mit der Erleichterung, dass die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO). 186 Die beschränkte Prüfungsmöglichkeit im Arbeitsgerichtsprozess bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 125 InsO bezieht sich nicht nur auf die Sozialindikatoren und deren Gewichtung, sondern auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppe als Bestandteil der Sozialauswahl.156) Dies gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe jedenfalls insoweit, als dies gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO dem Erhalt oder der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur. Die bloße Verkennung des Betriebsbegriffs und damit des auswahlrelevanten Personenkreises reicht nicht aus, um grobe Fehlerhaftigkeit anzunehmen.157) 187 Grobe Fehlerhaftigkeit liegt vor, wenn die Gewichtung der Sozialkriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt158) wenn sie also mit einem so schweren und ___________ 156) BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = NZA 1998, 1110. 157) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 483/11, ZIP 2013, 284 = NZA 2013, 94. 158) BAG, Beschl. v. 20.1.2000 – 2 ABR 30/99, NZA 2001, 170.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

ins Auge springenden Fehler behaftet ist, dass sie angesichts der Funktion der Sozialauswahl nicht hingenommen werden kann.159) Dies ist etwa dann der Fall, wenn z. B. ein soziales Grunddatum überhaupt nicht beachtet worden ist, ein weiter Spielraum überschritten wird bzw. in der Sache nichtmehr von einer sozialen Auswahl die Rede sein kann.160) Umgekehrt ist die Grenze zur groben Fehlerhaftigkeit deutlich unterschritten, solange gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen vorliegen.161) Dabei muss sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer im Ergebnis als grob fehlerhaft erweisen. Nicht entscheidend ist, ob das ausgewählte Auswahlverfahren als solches Anlass zu Beanstandungen gibt.162) Auch wenn die Betriebsparteien die Sozialauswahl auf einzelne Abteilungen bezogen haben, ist sie nur dann grob fehlerhaft, wenn nicht auf mögliche Einarbeitungszeiten abgestellt wurde.163) Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es ausreichend, bei den Unterhaltspflichten lediglich auf der Lohnsteuerkarte vermerkte Kinder zu berücksichtigen. Ehegatten müssen wegen der Verpflichtung zum Familienunterhalt zumindest in irgendeiner Weise berücksichtigt werden.164) 188

Praxishinweis Im Falle eines Betriebsübergangs (§ 613a BGB) erstreckt sich die gesetzliche Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO auch darauf, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs unwirksam ist (§ 128 Abs. 2 InsO).165)

Die Sozialauswahl ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine angemes- 189 sene Personalstruktur i. S. eines „funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteams“ erhalten oder geschaffen werden soll (§ 125 Abs. 1 S 1 Nr. 2 InsO a. E.), wenn also z. B. in einem Betrieb verschiedene Arbeitsgruppen tätig sind und in diesen Arbeitsgruppen („Lebensalterskorridore“) alle Altersgruppen anteilsmäßig mit Kündigungen belastet werden.166) Die Bildung der Altersgruppen muss sachgemäß erfolgt sein, wobei eine Verringerung der Abstände zur nächsten Gruppe bei höherem Alter möglich ist.167) Das BAG hat bereits mehrfach entschieden, dass die Bildung von Altersgruppen mit dem Zweck der ___________ 159) BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 284/06, BeckRS 2007, 44268; BAG, Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023. 160) BAG, Urt. v. 21.7.2005 – 6 AZR 592/04, ZIP 2006, 199 = NZA 2006, 162. 161) BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 760/05, ZIP 2007, 1577 = NZA 2007, 435. 162) BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, NZA 2013, 333; LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.11.2015 – 4 Sa 478/15, ZIP 2016, 737 = NZI 2016, 368. 163) LAG Düsseldorf, Urt. v. 6.7.2011 – 7 Sa 1859/10, BeckRS 2011, 76738. 164) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, ZIP 2012, 1927 = NJW-Spezial 2012, 628, dazu EWiR 2012, 673 (Oetker). 165) BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, ZIP 2012, 1623 = BeckRS 2012, 69831, dazu EWiR 2012, 535 (Wank). 166) LAG Hamm, Urt. v. 28.5.1998 – 8 Sa 76/98, ZInsO 1998, 236 = NZA-RR 1998, 536. 167) BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, MDR 2007, 664 = BeckRS 2007, 41120.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur i. R. der Sozialauswahl auch unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Altersdiskriminierung innerhalb und außerhalb der Insolvenz zulässig ist.168) Unter diesen Voraussetzungen entspricht die Altersgruppenbildung auch europarechtlichen Vorgaben.169) 190 Der Begriff der Personalstruktur in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO ist nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen.170) Er ist im Hinblick auf die Gesetzesbegründung,171) nach der dem Schuldner oder dem Übernehmer ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung stehen soll, in einem umfassenderen Sinn zu verstehen, so dass auch weitere Aspekte in Betracht kommen.172) Als weitere Aspekte einer Personalstruktur kommen deshalb auch die Ausbildung und die Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und damit die Bildung entsprechender Qualifikationsgruppen und -bereiche in Betracht.173) Auch Leistungen, Fehlzeiten und bestimmte Verhaltensweisen können einbezogen werden.174) 191 Eine Altersgruppenbildung zur Erhaltung der Altersstruktur der Belegschaft ist nach dem BAG nur geeignet, wenn sie dazu führt, dass die bestehende Struktur bewahrt bleibt. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, muss deshalb eine proportionale Berücksichtigung aller Altersgruppen auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppen erkennbar sein.175) § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO geht insoweit darüber hinaus, als in der Insolvenz nicht nur die Möglichkeit der Erhaltung einer bestehenden Altersstruktur, sondern auch die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur durch Bildung von Altersgruppen für zulässig erklärt wird, ohne dass das Verbot der Altersdiskriminierung verletzt wird.176) Das BAG erkennt in seiner Entscheidung an, dass die gegenüber § 1 Abs. 3 KSchG weitergehende Regelung der InsO durch ein legitimes Ziel, nämlich die Sanierung eines insolventen Unternehmens, gerechtfertigt ist. Es schränkt die praktische Anwendbarkeit der Vorschrift aber durch verschärfte Anforderungen an die Darlegungslast des Insolvenzverwalters ein. ___________ 168) 169) 170) 171) 172)

173) 174) 175) 176)

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BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234 = NZA 2013, 86. BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, ZIP 2009, 1339 = NJW-Spezial 2009, 242. LAG Sachsen, Urt. v. 16.5.2017 – 3 Sa 630/16, ZInsO 2018, 826 = BeckRS 2017, 133768. Begr. RegE InsO, BT-Drucks.12/7302, S. 172. BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271, dazu EWiR 2004, 1233 (Moll/Henke); LAG Hamm, Urt. v. 5.1.2018 – 16 Sa 1410/16, BeckRS 2018, 15595. BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432, 435 = ZIP 2004, 1271. LAG Sachsen, Urt. v. 16.5.2017 – 3 Sa 630/16, ZInsO 2018, 826 = BeckRS 2017, 133768. BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234 = NZA 2013, 86. BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536, dazu EWiR 2014, 295 (Mückl); s. dazu auch Göpfert/Stark, ZIP 2015, 155.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Während bei einer Massenentlassung vom BAG unterstellt wird, dass die Bil- 192 dung von Altersgruppen mit dem Ziel der Erhaltung der Altersstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt und damit nicht gegen § 10 AGG und das Unionsrecht (Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) verstößt, setzt die Durchführung einer Sozialauswahl mit dem Ziel der Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur eine konkrete Darlegung des Insolvenzverwalters hinsichtlich eines nachvollziehbaren Bezugs zu einem konkreten Sanierungsvorhaben voraus. Der bloße Wunsch nach einer Verjüngung der Belegschaft oder ein bloßer Vergleich mit der durchschnittlichen Altersstruktur vergleichbarer Betriebe reicht nicht aus. Allein das Erreichen eines bestimmten Durchschnittsalters ist keine „Struktur“.177) Vielmehr muss der Insolvenzverwalter im Streitfall selbst im Falle einer Massenentlassung darlegen und ggf. beweisen, weshalb die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur erforderlich ist.178) Hierbei müssen alle maßgeblichen Aspekte in einem Gleichgewicht stehen, um „ausgewogen“ sein zu können. Bezogen auf das Lebensalter muss es daher insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Gesetzgeber langjährig beschäftigten, älteren Arbeitnehmern grundsätzlich einen besonderen Schutz vor Kündigungen zukommen lässt, in einem Betrieb sowohl jüngere als auch ältere Arbeitnehmer geben.179) Ist eine solche „Ausgewogenheit“ zu bejahen, kann die „Erforderlichkeit“ nach Auffassung des BAG bspw. mit erhöhten Personalkosten oder aus Gründen einer besseren Verkäuflichkeit zur Sanierung des insolventen Unternehmens begründet werden. Setzen sich die Betriebsparteien in einem bestimmten Punkt gemeinsam über 193 eine vereinbarte Auswahlrichtlinie hinweg, ist die Namensliste zumindest dann maßgeblich, wenn Interessenausgleich und Auswahlrichtlinie von denselben Betriebsparteien herrühren.180) Dies gilt auch dann, wenn die Sozialauswahl nicht in einer (echten) Auswahlrichtlinie, sondern „nur“ in einem als „Sozialbetrachtung“ formulierten Punktesystem geregelt ist. Die Namensliste ist zur Vermeidung eines Widerspruchs insbes. dann gegenüber dem Punktesystem zur Sozialauswahl vorrangig, wenn beide Regelungen bzw. Betrachtungen am selben Tag verabschiedet wurden, da davon auszugehen ist, dass die Namensliste als speziellere und inhaltlich verbindliche Regelung der bloßen „Betrachtung“ vorgeht.181) Für diesen Fall bleibt also die Namensliste als Prüfungsmaßstab für die Sozialauswahl gleichwohl erhalten.182) ___________ 177) 178) 179) 180)

LAG Sachsen, Urt. v. 16.5.2017 – 3 Sa 630/16, ZInsO 2018, 826 = BeckRS 2017, 133768. BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536. LAG Sachsen, Urt. v. 16.5.2017 – 3 Sa 630/16, ZInsO 2018, 826 = BeckRS 2017, 133768. BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, ZIP 2012, 1623 = BeckRS 2012, 69831; Lingemann/ Rolf, NZA 2005, 264, 268. 181) LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.11.2015 – 4 Sa 478/15, ZIP 2016, 737 = NZI 2016, 368. 182) BAG, Urt. v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, ZIP 2013, 2476 = NZA 2014, 46, dazu EWiR 2014, 125 (Dahlbender).

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

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Praxishinweis Die Voraussetzungen zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG bestehen auch beim Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste. Lediglich die im Interessenausgleichsverfahren bereits mitgeteilten Tatsachen sind nicht erneut mitzuteilen. Beide Verfahren können jedoch verbunden werden, sofern dies im Text des Interessenausgleichs vermerkt oder in sonstiger Weise gegenüber dem Betriebsrat verdeutlicht wird.183)

195 Im Rahmen der Sozialauswahl wird die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht bereits dadurch widerlegt, dass im Interessenausgleich eine sog. Leiharbeitnehmerklausel vereinbart wird, auf dessen Grundlage der Arbeitgeber bei einem zukünftigen Personalmehrbedarf berechtigt ist, vorrangig eine festgelegte Anzahl von Leiharbeitnehmern zu beschäftigen. Ob die (geplante) Beschäftigung von Leiharbeitnehmern die Annahme rechtfertigt, im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitgebers seien freie Arbeitsplätze vorhanden, hängt dann von den Umständen des Einzelfalls ab. Keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG besteht, wenn Leiharbeitnehmer lediglich eingesetzt werden, um Auftragsspitzen aufzufangen. An einem freien Arbeitsplatz fehlt es in der Regel auch, wenn der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer als Personalreserve vorhält, um den Bedarf zur Vertretung abwesender Stammarbeitnehmer zu decken. Das gilt unabhängig davon, ob der Vertretungsbedarf vorhersehbar ist und regelmäßig anfällt. Andernfalls bliebe der Arbeitgeber nicht frei in seiner Entscheidung, ob er Vertretungszeiten überhaupt und – wenn ja – für welchen Zeitraum überbrückt. Beschäftigt der Arbeitgeber dagegen Leiharbeitnehmer, um mit ihnen ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen zu decken, kann von einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG auszugehen sein, die vorrangig für sonst zur Kündigung anstehende Stammarbeitnehmer genutzt werden muss.184) 196

Praxishinweis Bei Vorliegen „berechtigter betrieblicher Interessen“ können Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ausgenommen werden.

197 Bei der Sozialauswahl sind die sozialen Gesichtspunkte gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG „ausreichend“ zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber hat damit bei der Gewichtung der Sozialkriterien einen Wertungsspielraum. Die Auswahlentscheidung muss lediglich sozial vertretbar sein. Dies führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zu___________ 183) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10, ZIP 2012, 1927 = NJW-Spezial 2012, 628. 184) BAG, Urt. v. 18.10.2012 – 6 AZR 289/11, ZIP 2013, 184 = NZA-RR 2013, 68, m. Anm. Krings.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

nächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann.185) Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen („qualifikationsmäßige Austauschbarkeit”). Die Vergleichbarkeit wird noch nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass einzelne Arbeitnehmer bestimmte Tätigkeiten besonders beherrschen, bspw. bestimmte Maschinen bedienen können. Die Sozialauswahl ist dabei bei jeder betriebsbedingten Kündigung notwendig, 198 auch wenn diese i. R. einer Massenentlassung erfolgt.186) Jedoch kann hier die „Leistungsträgerklausel“ des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG besondere Bedeutung gewinnen, da die Sozialauswahl betriebsbezogen (und nicht nur abteilungsbezogen) vorzunehmen ist,187) der Arbeitgeber aber ein schützenswertes Interesse daran hat, dass der Arbeitsprozess nicht durch das Auseinanderreißen eingespielter Abteilungen ernsthaft gefährdet wird. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG stellt dabei die Regel für die Sozialauswahl dar. Die Ausklammerung sog. Leistungsträger bildet die Ausnahme. Nach der Leistungsträgerklausel dürfen Mitarbeiter aus der Sozialauswahl herausgenommen werden, wenn ihre Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Problematisch an der Leistungsträgerklausel ist, dass nach der Rechtsprechung 199 des BAG ein Herausnehmen des Leistungsträgers nur nach Abwägung mit der sozialen Schutzbedürftigkeit des dann zu entlassenden Mitarbeiters möglich ist.188) Das höhere Alter, die längere Betriebszugehörigkeit etc. (also das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers) sind abzuwägen mit den besonderen Kenntnissen des Leistungsträgers (das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des sog. Leistungsträgers). Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. Diese Bewertung ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Letztlich muss bspw. also die Frage beantwortet werden, welche Qualifikation wie viele Jahre einer längeren Betriebszugehörigkeit aufwiegt. d)

Sozialplan

Der Sozialplan ist eine Betriebsvereinbarung.189) Nach § 112 Abs. 1 Satz 4 200 BetrVG gilt für den Sozialplan nicht der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG, wonach Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifver___________ 185) 186) 187) 188) 189)

BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332, dazu EWiR 1999, 271 (Krasshöfer). BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 725/97, NZA 1998, 1332. BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, ZIP 2005, 412 = NZA 2005, 285. BAG, Urt. v. 22.3. 2012 – 2 AZR 167/11, NZA 2012, 1040. BAG, Beschl. v. 18.12.1990 – 1 ABR 15/90, ZIP 1991, 535.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

trag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. 201 Der Sozialplan ist nach der Legaldefinition des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG eine schriftliche Einigung zwischen Arbeitgeber/Insolvenzverwalter und Betriebsrat über den Ausgleich oder die Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) entstehen. Er soll die möglichen Folgen einer geplanten Betriebsänderung für die Arbeitnehmer pauschal und sozialverträglich gestalten und abgelten.190) Im Sozialplan sind auch Individualregelungen für einzelne Arbeitnehmer zulässig. aa)

Altersgruppen

202 Gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG haben Insolvenzverwalter und Betriebsrat darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung i. S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG durch die Bildung von Altersgruppen kann bei Aufstellung eines Sozialplanes allerdings unter den in § 10 AGG genannten Voraussetzungen nach wie vor grundsätzlich zulässig sein. In diesem Fall ist auch der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt.191) Nach § 10 Satz 1 und 2 AGG ist die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn diese objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen ihrerseits angemessen und erforderlich sein. Gemäß § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG kann eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern auch durch eine nach Alter gestaffelte Abfindungsregelung erfolgen, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt werden.192) 203

Praxishinweis Sozialplanabfindungen sind keine Entschädigungen, sondern haben Ausgleichs-, Vorsorge- und Überbrückungsfunktion.193) In einem Sozialplan können deshalb Arbeitnehmer von Leistungen ausgeschlossen werden, die bereits einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben;194) auch können verminderte Leistungen für Mitarbeiter vorgesehen werden, die kurz vor Erreichen des Rentenalters stehen.195)

___________ 190) 191) 192) 193) 194) 195)

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BAG, Beschl. v. 17.9.1991 – 1 ABR 23/91, ZIP 1992, 261 = NZA 1992, 227. BAG, Urt. v. 23.3.2010 – 1 AZR 832/08, EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 35. BAG, Urt. v. 12.4.2011 – 1 AZR 764/09, NZA 2011, 988. BAG, Urt. v. 9.11.1994 – 10 AZR 281/94, ZIP 1995, 767. BAG, Urt. v. 30.11.1994 – 10 AZR 649/93, DB 1995, 1238. BAG, Urt. v. 20.11.1997 – 6 AZR 215/96, NZA 1998, 1021.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

bb)

Sozialplanpflicht

Eine Sozialplanpflicht besteht, wenn eine Betriebsänderung geplant wird (§ 111 204 Satz 1 BetrVG), im Betrieb ein Betriebsrat eingerichtet ist und dort mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Ob es dem Unternehmen wirtschaftlich gut oder schlecht geht, ist unerheblich. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine Sozialplanpflicht auch in der Insolvenz (§ 123 InsO). 205

Praxishinweis Ein Sozialplan ist vom Betriebsrat nur dann erzwingbar, wenn der Personalabbau die Größenordnung des § 112a Abs. 1 BetrVG erreicht oder überschreitet. Erreicht der Personalabbau „nur“ die Größenordnung des § 17 Abs. 1 BetrVG, nicht aber die des § 112a Abs. 1 BetrVG, werden nur die Beteiligungsrechte des Betriebsrates im Zusammenhang mit dem Interessenausgleichsverfahren ausgelöst.

Trotz Erreichens der Größenordnung des § 112a Abs. 1 BetrVG ist die Auf- 206 stellung eines Sozialplanes aber dann nicht erzwingbar, wenn das Unternehmen – nicht der Betrieb – nicht älter als vier Jahre ist. Maßgeblich für die Bestimmung des Alters ist der Zeitpunkt der Aufnahme der Erwerbstätigkeit gemäß § 138 Abs. 1 AO. Diese Privilegierung bezieht sich auf die Neugründung von Unternehmen, nicht auf die Errichtung oder Übernahme eines neuen Betriebes.196) 207

Praxishinweis Die Befreiung von der Sozialplanpflicht gilt nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen (§ 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG), sondern nur dann, wenn ein unternehmerischer Neuanfang vorliegt.

Keine Befreiung von der Sozialplanpflicht besteht in allen Fällen der Verschmel- 208 zung von Unternehmen auf ein neu gegründetes Unternehmen, der Umwandlung auf ein neugegründetes Unternehmen, der Auflösung eines Unternehmens und Übertragung seines Vermögens auf ein neugegründetes Unternehmen, der Aufspaltung eines Unternehmens auf mehrere neugegründete Unternehmen oder der Abspaltung von Unternehmensteilen und Übertragung auf neugegründete Tochtergesellschaften. cc)

Scheitern der Sozialplanverhandlungen

In der Praxis werden Interessenausgleich und Sozialplan oftmals parallel ver- 209 handelt. Der Sozialplan bedarf wie der Interessenausgleich der Schriftform nach § 125 BGB; beide können in einer (Gesamt-)Urkunde vereinbart werden.197) Vor jeder geplanten Betriebsänderung müssen Insolvenzverwalter und Betriebsrat versuchen, einen Sozialplan im Verhandlungswege abzuschließen. ___________ 196) BAG, Beschl. v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88, ZIP 1989, 1487. 197) BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, ZIP 1994, 1466 = DB 1994, 2038.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

210 Kommt ein Sozialplan nicht zustande, können Insolvenzverwalter oder Betriebsrat die Aufstellung des Sozialplans durch die Einigungsstelle erzwingen (§ 112 Abs. 4 BetrVG). dd)

Sozialplan nach Verfahrenseröffnung (§ 123 InsO)

211 § 123 InsO gilt nur für die Ausgestaltung eines Sozialplans nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Eine analoge Anwendung auf den Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 2 BetrVG nach Verfahrenseröffnung, der als „Strafgeld“ für eine unzulässige Vorwegnahme einer Betriebsänderung ohne Abschluss des Verfahrens über den Abschluss eines Interessenausgleichs nach §§ 111 ff. BetrVG bzw. ohne Gerichtsbeschluss nach § 122 InsO durch den Insolvenzverwalter im Rang einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu zahlen ist, scheidet aus.198) 212 In der Insolvenz ist der Ermessensspielraum bei der Aufstellung eines Sozialplans wegen §§ 123, 124 InsO eingeschränkt. Die §§ 123, 124 InsO bestimmen dabei Rang und Volumen von Sozialplänen im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren. Nach § 123 Abs. 1 InsO wird die absolute Obergrenze des Sozialplanvolumens auf das 2,5-fache der Bruttomonatsverdienste – ohne Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen – aller aus dem Betrieb entlassenen Arbeitnehmer begrenzt. Dazu gehören neben der Grundvergütung auch Zulagen, Sonderzahlungen sowie Akkordzuschläge, die anteilig umzulegen sind. Überschreitet der Sozialplan die absolute Obergrenze des § 123 Abs. 1 InsO, ist er unwirksam und muss neu aufgestellt werden. Der Begriff der Entlassung umfasst neben der betriebsbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung auch ein Ausscheiden aufgrund eines vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrages oder nach Eigenkündigung des Arbeitnehmers. Bei der Ermittlung der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmerzahl sind neben den Vollzeitkräften auch Teilzeitbeschäftigte zu berücksichtigen, nicht jedoch leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 KSchG. Befristet Beschäftigte sind bei der Bestimmung des Sozialplanvolumens dann zu berücksichtigen, wenn sie ursächlich wegen der Entlassung vor Fristablauf aus ihrem Arbeitsverhältnis ausscheiden. 213 Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Anreicherung und Sicherung der Insolvenzmasse eine Beschränkung von Sozialplanforderungen erforderlich macht. Die Insolvenzsituation gebietet es, die Belastungen aus den betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsbefugnissen des Betriebsrats zu beschränken, um Gläubigerinteressen zu schützen, deren Befriedigungschancen durch übermäßige Sozialplanvolumina beeinträchtigt würden.199) ___________ 198) LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.1.2016 – 7 Sa 457/13, ArbR 2016, 329 = BeckRS 2016, 68613. 199) LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.1.2016 – 7 Sa 87/13, NZI 2016, 682 = BeckRS 2016, 68616.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Wenn (im eröffneten Insolvenzverfahren) kein Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) 214 zustande kommt, darf nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO für die Berichtigung von Sozialplanforderungen nur maximal ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne einen Sozialplan für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stünde (sog. „Relative Obergrenze“). 215

Praxishinweis Die Regelungen zum Insolvenzplan greifen für Unternehmen und Verbraucher. Das Ziel des Insolvenzplans bei Unternehmen ist es, dieses durch eine Sanierung zu stabilisieren und fortzuführen. Im Rahmen des Insolvenzplans verzichten die Gläubiger auf Teile ihrer Forderungen mit der Erwartungshaltung an eine zukünftige Bedienung aller Forderungen durch das Unternehmen.

Übersteigt der Gesamtbetrag aller Sozialplanforderungen (ggf. aus mehreren 216 Sozialplänen) die relative Obergrenze, so sind die einzelnen Forderungen nach § 123 Abs. 2 Satz 3 InsO quotal zu kürzen.200) Nach Abzug der Verfahrenskosten (§ 54 InsO) und den sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO), die gemäß § 53 InsO vorabzuberichtigen sind, ist also zunächst eine fiktive Teilungsmasse zur Berechnung der relativen Obergrenze zu bilden. Beträgt der Sozialplanhöchstbetrag mehr als ein Drittel der fiktiven Teilungsmasse, sind die entsprechenden individuellen Abfindungsbeträge im Verhältnis entsprechend zu kürzen. Liegt der Sozialplanhöchstbetrag auf oder unterhalb dieser Grenze, kann der Sozialplan zu 100 % ausgezahlt werden. Wird der Sozialplan gekürzt, erhöht sich die Teilungsmasse zugunsten der Insolvenzgläubiger. Umgekehrt gilt relative Obergrenze dann nicht, wenn ein Insolvenzplan zu- 217 stande kommt. Aber die absolute Obergrenze ist auch im Falle des Zustandekommens eines Insolvenzplans zu beachten. Der Insolvenzplan ist ein Sanierungsplan i. R. eines Insolvenzverfahrens. Er dient dazu, ein Unternehmen in einem Insolvenzverfahren als solches zu erhalten und orientiert sich an den spezifischen Anforderungen der InsO. Im Insolvenzplan kann jedoch gleichfalls eine relative Obergrenze ausdrücklich vereinbart werden. Die Aufnahme einer relativen Obergrenze im Insolvenzplan kann zweckmäßig und geboten sein, um zu verhindern, dass ansonsten einzelne Gläubiger durch den Insolvenzplan schlechtergestellt werden als ohne Insolvenzplan und dem Plan deshalb widersprechen (§§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 251 InsO). Die Abfindungszahlungen aus einem Insolvenzsozialplan sind nach § 123 Abs. 2 218 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten, weshalb gegenüber der KO die Anmeldung und Feststellung zur Tabelle entfallen ist. Dies gilt auch für solche Sozialplanansprüche, die nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgeschlossen werden, aber auf eine noch von der insolventen Gesellschaft (Insolvenzschuldnerin) selbst geplante Betriebsänderung zurückgehen.201) Zwar stellt § 123 Abs. 1 ___________ 200) LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 5 Sa 747/13, NZI 2014, 183. 201) LAG Hamm, Beschl. v. 30.4.2010 – 10 TaBV 7/10, ZIP 2010, 2315.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

InsO auf eine „geplante Betriebsänderung“ ab, jedoch lässt der Wortlaut ausdrücklich offen, ob die einen Sozialplan verursachende Betriebsänderung vom Insolvenzverwalter oder von der Insolvenzschuldnerin geplant sein muss. 219 Anstelle bzw. zusätzlich zu Abfindungszahlungen kann der Sozialplan auch Leistungen vorsehen, die den Arbeitnehmern den Übertritt in eine Transfergesellschaft ermöglichen („Transfersozialplan“). Der Transfersozialplan ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die die Unterstützung des Transfers der Arbeitnehmer in eine neue Beschäftigung regelt. Im Vordergrund steht u. a. die Verwendung von Sozialplanmitteln für Maßnahmen zur Unterstützung der Integration der Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt.202) Ein solcher Transfersozialplan regelt den Ausgleich der Kosten der beruflichen Weiterbildung, Mobilitätshilfen (Fahrtkosten, Trennungskosten, Umzugskosten), Kosten für Trainingsmaßnahmen zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten sowie Bewerbungskosten und Reisekosten im Zusammenhang mit Fahrten zur Berufsberatung, Eignungsfeststellung und zu Vorstellungsgesprächen.203) Dem Betriebsrat stehen die vollen Beteiligungsrechte nach den §§ 111 ff. BetrVG auch beim Transfersozialplan zu. Auch die Entscheidung ob ein „Abfindungssozialplan“ oder ein „Transfersozialplan“ vereinbart wird und wie dieser ausgestaltet wird, unterliegt der vollen, erzwingbaren Mitbestimmung des zuständigen Betriebsratsgremiums. Lediglich die Einigungsstelle wird nach § 112a Abs. 5 Nr. 2a BetrVG gesetzlich verpflichtet, Transferleistungen (§§ 110 ff. SGB III) zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen; sie kann aber davon absehen, wenn die Beteiligten, also Betriebsrat und Unternehmen keinen Transfersozialplan mit Inanspruchnahme von Transferleistungen wollen. 220 Der vollständige Ausschluss der Arbeitnehmer von Sozialplanabfindungsansprüchen, die das sofortige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und den Wechsel in eine Transfergesellschaft („BQG“) durch den Abschluss eines (vom Arbeitgeber veranlassten) dreiseitigen Vertrags abgelehnt haben, verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.204) Es bleibt aber möglich, die Vertragsbedingungen in der Transfergesellschaft im Sozialplan durch Aufnahme einer Motivations- und Turboprämie oder einer Aufzahlung auf das Nettoentgelt so auszugestalten, dass ein Anreiz zum Übertritt besteht. 221 In „massearmen Verfahren“ mit einer geringen Verteilungsquote kann es wegen § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO zweckmäßig sein, auf einen bestimmten Verteilungsschlüssel für alle Arbeitnehmer zu verzichten und stattdessen einen Härtefonds einzurichten, aus dem nur diejenigen Arbeitnehmer eine Leistung erhalten, ___________ 202) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Transfermaßnahmen – § 110/Transferkurzarbeitergeld – § 111, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/ prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016428.pdf (Abrufdatum: 12.4.2019). 203) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 123 Rz. 31. 204) LAG Hamm, Urt. v. 11.11.2015 – 2 Sa 753/15, BeckRS 2016, 68679.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

die durch die Betriebsänderung besonders hart getroffen werden. Als abgrenzbares Sondervermögen ist ein solcher Härtefonds eine Sozialeinrichtung i. S. des § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG, die vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat gemeinsam verwaltet wird.205) Sind ausreichende Barmittel in der Insolvenzmasse vorhanden, soll nach § 123 222 Abs. 3 Satz 1 InsO der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts Abschläge auf die Sozialplanforderungen auszahlen. Da die zur Bestimmung der relativen Obergrenze relevante fiktive Teilungsmasse in aller Regel erst mit Abschluss des Verfahrens abschließend berechnet werden kann, besteht bei einer Vorabzahlung immer die Gefahr, dass eine zu hohe Quote ausbezahlt wird und die in § 123 Abs. 2 InsO normierte relative Obergrenze dadurch überschritten wird. Für eine Überzahlung haftet der Insolvenzverwalter nach § 60 InsO, wenn Rückzahlungen durch die Arbeitnehmer ausbleiben und dadurch die Teilungsmasse zulasten der Insolvenzgläubiger verkürzt wird. Bei masseunzulänglichen Verfahren gehen die Arbeitnehmer trotz der Masse- 223 schuldqualität ihrer Forderungen finanziell leer aus. Denn dann reicht die Masse schon nicht zur vollständigen Vorwegbefriedigung der Massekosten und sonstigen Masseverbindlichkeiten. Daraus folgt, dass im Falle der Masseunzulänglichkeit keine Sozialplanleistungen an die Arbeitnehmer erfolgen.206) § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO statuiert ein Zwangsvollstreckungsverbot wegen einer 224 Sozialplanforderung. Sozialplanabfindungsansprüche können in der Insolvenz deshalb nur mit einer Feststellungsklage geltend gemacht werden.207) Der Übergang von der Leistungsklage zur Feststellungsklage ist auch noch in der Berufungsinstanz nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.208) Da nach § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO eine Zwangsvollstreckung in die Masse wegen einer Sozialplanforderung unzulässig ist, ist eine Leistungsklage wegen Forderungen aus einem Sozialplan ebenfalls unzulässig.209) Einer Leistungsklage fehlt dann das erforderliche Rechtschutzbedürfnis, weil ein entsprechender Leistungstitel dauerhaft keine Vollstreckungsgrundlage wäre.210) Die besondere Normierung eines Vollstreckungsverbots für Sozialplanforde- 225 rungen ist erforderlich, weil das Vollstreckungsverbot nach § 90 InsO zeitlich ___________ 205) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 123 Rz. 31. 206) LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 5 Sa 747/13, NZI 2014, 183. 207) BAG, Urt. v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, ZIP 2010, 546 = NZA 2010, 413, dazu EWiR 2010, 301 (Moll/Krahforst); LAG Hamm, Urt. v. 14.5.2014 – 2 Sa 1652/13, ZIP 2015, 193 = ArbRAktuell 2014, 622. 208) LAG Hamm, Urt. v. 11.11.2015 – 2 Sa 753/15, BeckRS 2016, 68679. 209) BAG, Urt. v. 22.11.2005 – 1 AZR 458/04, ZIP 2006, 489 = NZA 2006, 220, dazu EWiR 2006, 237 (Grimm/Brock). 210) LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.8.2010 – 1 Ca 74/10, NZI 2011, 6 = BeckRS 2011, 66407.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

nur für sechs Monate begrenzt ist und § 89 InsO nur für Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) gilt. Das besondere Vollstreckungsverbot für Sozialplanforderungen stellt sicher, dass durch Vollstreckungsmaßnahmen ausgeschiedener Arbeitnehmer die in § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO bestimmte relative Obergrenze eingehalten bleibt. 226 Ansprüche der Arbeitnehmer aus Sozialplänen unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB.211) Maßgeblich ist auch hierbei grundsätzlich der Zeitpunkt, in welchem der Anspruch erstmals geltend gemacht werden kann, also regelmäßig die Fälligkeit des Anspruchs. Soweit keine anderweitige Regelung im Sozialplan getroffen wurde, tritt die Fälligkeit einer Sozialplanabfindung im Zweifel mit rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein, wenn der Sozialplan zu diesem Zeitpunkt bereits besteht.212) Die Verjährung von Sozialplanansprüchen in der Insolvenz beginnt nicht zu laufen, solange die Ansprüche nicht wenigstens im Wege der Feststellungsklage verfolgt werden können.213) Dadurch bleibt berücksichtigt, dass eine Bezifferung der Sozialplanansprüche so lange nicht möglich ist, wie nicht sicher berechnet werden kann, ob – und wenn ja in welchem Umfang – die Gesamtheit der Sozialplanansprüche die Drittelgrenze des § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO übersteigt. Dies gilt auch und gerade im Fall der angezeigten Masseunzulänglichkeit unabhängig von den Regelungen der §§ 209, 210 InsO, da § 123 InsO insoweit vorgeschaltet ist.214) Die Erhebung der Verjährungseinrede wird jedoch in aller Regel gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn die Regelungen im Sozialplan erkennen lassen, dass eine zeitnahe Auszahlung nicht möglich ist und sowohl Arbeitnehmer, Insolvenzverwalter als auch sonstige Massegläubiger kein Interesse an der Durchführung eines Rechtsstreits wegen eines unstreitigen Anspruchs und wegen der besonderen Kostentragungspflicht gemäß § 12a ArbGG haben.215) 227 Die Rückforderung einer Sozialplanabfindung gemäß § 123 InsO durch den Insolvenzverwalter unterliegt den tariflichen Verfallfristen.216) ee)

Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO)

228 Ein Sozialplan, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO), aber nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag (§ 13 Abs. 1 InsO) aufge___________ 211) BAG, Urt. v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, ZIP 2007, 1173 = NZA 2007, 821. 212) BAG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 AZR 523/82, NJW 1984, 1650; a. A. ArbG Duisburg, Urt. v. 6.5.2013 – 3 Ca 650/13, ZIP 2013, 2482 (LS) = NZI 2013, 752. 213) LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 5 Sa 823/13, ZIP 2014, 592, dazu EWiR 2014, 195 (Klasen). 214) LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 5 Sa 823/13, ZIP 2014, 592; a. A. ArbG Oberhausen, Urt. v. 19.4.2012 – 4 Ca 2167/11, BeckRS 2013, 65300. 215) LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2013 – 5 Sa 747/13, NZI 2014, 183; ArbG Duisburg, Urt. v. 6.5.2013 – 3 Ca 650/13, ZIP 2013, 2482 (LS) = NZI 2013, 752. 216) LAG Hamm, Urt. v. 10.10.2007 – 2 Sa 429/07, NZI 2008, 288 = BeckRS 2008, 50918.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

stellt wurde, kann (nicht: muss) vom Betriebsrat und dem Insolvenzverwalter nach § 124 Abs. 1 InsO widerrufen werden. Der Sozialplan ist an dem Tag aufgestellt, an dem er von beiden Parteien unterschrieben ist (§ 126 BGB). Bei einem von der Einigungsstelle aufgestellten Sozialplan ist auf den Zeitpunkt der Zustellung an beide Betriebspartner abzustellen (§ 76 Abs. 3 Satz 3 BetrVG). Ein vor Verfahrenseröffnung aufgestellte Sozialplan ist nicht der Sozialplan- 229 höchstgrenze des § 123 Abs. 1 InsO unterworfen, begründet für die Arbeitnehmer aber nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. § 124 InsO ermöglicht deshalb beiden Betriebsparteien den Widerruf von Sozialplänen aus dem Zeitraum von drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ergänzt somit die Regelung des § 123 InsO. Bereits empfangene Leistungen sind wegen des Widerrufs nicht rückforderbar, können jedoch in einem nach Verfahrenseröffnung aufgestellten Sozialplan berücksichtigt werden (§ 124 Abs. 2 – 3 Satz 2 InsO). 230

Praxishinweis Da der vor Verfahrenseröffnung aufgestellte Sozialplan für die Arbeitnehmer nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO begründet und deshalb in aller Regel wirtschaftlich wertlos ist,217) wird der Betriebsrat einen solchen Sozialplan immer dann widerrufen, wenn die Sozialplanforderungen noch nicht zur Auszahlung gekommen sind. Der Insolvenzverwalter wird hingegen widerrufen, wenn der vor Verfahrenseröffnung abgeschlossene Sozialplan in seinem Volumen über der absoluten Obergrenze des § 123 Abs. 1 InsO liegt und keine Anpassungsklausel für den Fall der Insolvenz vereinbart ist.

Der Widerruf führt zur Unwirksamkeit des Sozialplans und die durch ihn be- 231 gründeten Forderungen (Abfindungsansprüche) der Arbeitnehmer entfallen. Der Widerruf schafft dadurch die Möglichkeit, die betroffenen Arbeitnehmer in den im eröffneten Insolvenzverfahren aufgestellten Sozialplan aufzunehmen, sodass auch deren Abfindungsansprüche als Masseverbindlichkeiten nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO zu qualifizieren sind. Im Gegenzug werden diese Sozialplanforderungen der absoluten und relativen Obergrenze des § 123 InsO unterstellt. Dies gilt auch dann, wenn der widerrufene Sozialplan vor Verfahrenseröffnung von einem sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 InsO) aufgestellt wurde und die Forderungen zunächst als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO zu qualifizieren waren.218) Auf Ansprüche aus einem in den letzten drei Monaten vor Insolvenzeröffnung 232 abgeschlossenen Tarifsozialplan oder einem Abfindungsspruch auf arbeitsver___________ 217) BAG, Urt. v. 27.10.1998 – 1 AZR 94/98, ZIP 1999, 540 = NZA 1999, 719, dazu EWiR 1999, 659 (Diller). 218) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 124 Rz. 9.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

traglicher Grundlage ist § 124 InsO seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Es spricht jedoch vieles dafür, die Vorschrift wegen des gesetzlichen Ziels, einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Arbeitnehmer mit denen der Insolvenzgläubiger zu erzielen, hier analog anzuwenden.219) 233

Praxishinweis Gewerkschaften können bei Betriebsschließungen und Massenentlassungen aktiv werden und für tarifliche Regelungen und den Abschluss eines sog. „Tarifsozialplans“ streiken: Dies hat das BAG mit Urteil vom April 2007 ausdrücklich klargestellt.220) Die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit von Tarifsozialplänen hatte das BAG zuvor im Dezember 2006 i. S. der Gewerkschaften entschieden.221) In der diesbezüglichen Pressemitteilung des BAG heißt es: „Die Tarifvertragsparteien sind frei, im Rahmen ihrer Tarifzuständigkeit einen Tarifvertrag zu vereinbaren, der die sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer Betriebsteilschließung für die davon betroffenen Arbeitnehmer ausgleicht oder mildert. Hieran sind sie durch die etwa von Rechts wegen eröffnete Möglichkeit des Betriebsrats oder Personalrats und des Arbeitgebers, einen Sozialplan abzuschließen, nicht gehindert.“

234 Ein Widerruf ist ausgeschlossen, wenn es nach Verfahrenseröffnung nicht mehr zur Aufstellung eines Sozialplans nach § 123 InsO kommen kann, wenn etwa der Betrieb zwischenzeitlich betriebsratslos geworden ist und keine Betriebsratsmitglieder zur Ausübung eines Restmandats (§ 21b BetrVG) vorhanden sind. Denn Sinn und Zweck der Widerrufsmöglichkeit ist die Anpassung des in der Krise abgeschlossenen Sozialplans an die wirtschaftliche Situation eines insolventen Unternehmens und nicht die rückwirkende Beseitigung der bei Aufstellung des Sozialplans noch bestehenden Sozialplanpflicht.222) Das Recht zur Insolvenzanfechtung gemäß §§ 130 – 132, 133 InsO bleibt neben der Möglichkeit zum Widerruf unberührt. Ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellter Sozialplan und aufgrund eines solchen Plans an Arbeitnehmer erbrachte Leistungen können bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach §§ 129 ff. InsO anfechtbare Rechtshandlungen sein.223) Auf das Widerrufsrecht kann auch verzichtet werden.224) 235 Eine Ausübungsfrist kennt § 124 InsO nicht. Gleichwohl kann das Recht zum Widerruf verwirkt werden, wenn es sehr spät ausgeübt und durch das Verhalten des Betriebsrats ein Vertrauenstatbestand beim Insolvenzverwalter begründet ___________ 219) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 124 Rz. 22. 220) BAG, Urt. v. 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, ZIP 2007, 1768, m. Anm. Kock = NZA 2007, 987, daz EWiR 2007, 657 (Weller). 221) BAG, Urt. v. 6.12.2006 – 4 AZR 798/05, ZIP 2007, 1173 = NZA 2007, 821. 222) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 124 Rz. 13. 223) LAG Hamm, Beschl. v. 20.1.1982 – 12 TaBV 120/81, ZIP 1982, 615. 224) LAG Köln, Beschl. v. 17.10.2002 – 5 (4) TaBV 44/02, NZI 2003, 335 = NZA-RR 2003, 489.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

wird, etwa dadurch, dass er den Sozialplan „bestätigt“. Ein Widerruf über ein Jahr nach Insolvenzeintritt ist wegen des bestehenden Klärungsbedarfs über das Schicksal eines vor Insolvenz abgeschlossenen Sozialplans erheblich verspätet.225) Auf Sozialpläne, die früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufge- 236 stellt worden sind, finden weder § 124 noch § 123 InsO Anwendung. Aus diesen Sozialplänen erhalten die Arbeitnehmer Abfindungszahlungen nur als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst nach Verfahrenseröffnung sein Ende findet.226) Die vom Gesetzgeber in §§ 123, 124 InsO geregelten Rechtsfolgen einer Insolvenzeröffnung für Sozialpläne sind abschließend und können weder durch eine Regelung im Sozialplan selbst, noch durch die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage umgangen werden. Die Betriebspartner können die Aufstellung eines neuen Sozialplans nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht dadurch herbeiführen, dass sie die Wirksamkeit des Sozialplans von der auflösenden Bedingung der Erfüllung der Sozialplanforderungen vor Insolvenzeröffnung abhängig machen. Dadurch wäre es sonst möglich, aus einer einfachen Insolvenzforderung unter Umgehung der §§ 123, 124 InsO eine Masseforderung zu machen.227) In der Praxis ist daher beim Abschluss eines Sozialplans in einem „notleidenden“ Unternehmen darauf zu achten, dass die Ansprüche aus einem Sozialplan insolvenzgesichert sind. Andernfalls sind sie praktisch wertlos. 4.

Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO)

§ 122 InsO gibt dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, die gerichtliche Zu- 237 stimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung ohne vorheriges Einigungsstellenverfahren, ohne drohende Unterlassungsverfügungen sowie ohne die Gefahr von Nachteilsausgleichsansprüchen zu bekommen.228) Die Regelung findet nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung und 238 setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter mit der Durchführung der Betriebsänderung noch nicht begonnen hat. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Durchführung der gesetzlichen Regelungen nach §§ 111 ff. BetrVG einen erheblichen Zeitaufwand erfordert, wodurch im Insolvenzverfahren Sanierungen insbesondere durch die Übertragung von Betriebsteilen unter gleichzeitiger Entlassung von Arbeitnehmern oftmals scheitern. Dem Insolvenzverwalter steht deshalb in wirtschaftlich dringenden Fällen mit dem Verfahren auf gerichtliche ___________ 225) LAG Köln, Beschl. v. 17.10.2002 – 5 (4) TaBV 44/02, NZI 2003, 335 = NZA-RR 2003, 489. 226) BAG, Urt. v. 27.4.2006 – 6 AZR 364/05, ZIP 2006, 1962 = NZI 2006, 716. 227) LAG Niedersachsen, Beschl. v. 24.9.2009 – 4 TaBV 44/08, ZIP 2010, 442 = ArbRAktuell 2009, 245, m. Anm. Schindele, dazu EWiR 2010, 335 (Moll/Krahforst). 228) LAG Niedersachsen, Beschl. v. 27.3.1997 – 16a TaBV 18/97, ZIP 1997, 1201.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung nach § 122 InsO eine echte Wahlmöglichkeit zum Einigungsstellenverfahren zur Verfügung.229) 239

Praxishinweis § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO hat die gleichen Voraussetzungen wie § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, setzt also eine geplante Betriebsänderung in einem Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern voraus, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können.

240 Nach § 122 InsO kann der Insolvenzverwalter bereits nach drei Wochen vergeblicher Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs die Zustimmung des ArbG zur Durchführung der geplanten Betriebsänderung ohne Rücksicht auf den Stand der Interessenausgleichsverhandlungen beantragen. Die bestehende Verhandlungsbereitschaft des Insolvenzverwalters ist Antragsvoraussetzung. 241

Praxishinweis Es empfiehlt sich, das arbeitsgerichtliche Zustimmungsverfahren nach § 122 InsO parallel zu dem Interessenausgleichsverfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG zu betreiben, um keine zeitlichen Verzögerungen hinnehmen zu müssen.230) Bereits in der Antragstellung sollte darauf hingewiesen werden, dass das Verfahren nach § 122 Abs. 2 Satz 3 InsO durch das ArbG beschleunigt zu bearbeiten ist.

242 Der Insolvenzverwalter kann dabei das Verfahren auf gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung nach § 122 InsO einleiten, auf den Zustimmungsantrag verzichten oder längere Interessenausgleichsverhandlungen bewusst in Kauf nehmen, um bspw. eine Namensliste für die zu kündigenden Arbeitnehmer nach § 125 Abs. 1 InsO zu bekommen. Selbst nach Durchführung des gerichtlichen Zustimmungsverfahrens nach § 122 InsO bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, mit dem Betriebsrat noch einen Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 Abs. 1 InsO abzuschließen. 243 Ist aber die Betriebsänderung bereits durchgeführt, ist ein nachträglicher Antrag nach § 122 InsO unzulässig, da es sich dann nicht mehr um eine „geplante“ Betriebsänderung handelt.231) Einer nachträglichen Zustimmung zu einer vom Insolvenzverwalter (oder Eigenverwalter) bereits eingeleiteten Betriebsänderung fehlt nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO das Rechtsschutzinteresse. Als Merkmal, wann mit der Betriebsänderung begonnen wurde, wendet das ArbG Berlin die Entstehung des Nachteilsausgleichsanspruchs nach § 113 Abs. 3 BetrVG an.232) Denn auch in der Insolvenz sieht § 113 BetrVG als einzige Sanktion für ___________ 229) LAG Niedersachsen, Beschl. v. 27.3.1997 – 16a TaBV 18/97, ZIP 1997, 1201. 230) Kreuzer/Rößner, NZI 2012, 699. 231) LAG Sachsen-Anhalt Urt. v. 12.1.2016 – 7 Sa 87/13, NZI 2016, 682 = BeckRS 2016, 68616; ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17, NZI 2018, 222, m. Anm. Krings. 232) ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17, NZI 2018, 222, m. Anm. Krings.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

die vorgezogene Betriebsänderung den Nachteilsausgleich vor. § 122 InsO soll nach dem Normzweck nur die Masse vor einer massezehrenden „Verzögerungstaktik des Betriebsrats“233) schützen, nicht den betriebsverfassungswidrig agierenden Insolvenzverwalter, der bereits vollendete Tatsachen geschaffen hat, begünstigen. Diese Bewertung ist folgerichtig, da § 122 InsO nur den betriebsverfassungskonform handelnden Insolvenzverwalter vor der Entstehung von Nachteilsausgleichsansprüchen schützen möchte. Der Normzweck des § 122 InsO besteht insofern in der gerichtlichen Freistellung des Insolvenzverwalters von der Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG. Wird die Betriebsänderung aber durchgeführt und mit deren Umsetzung bereits begonnen, ohne über sie entweder einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben bzw. ohne dass vom Insolvenzverwalter zuvor die gerichtliche Zustimmung nach § 122 InsO eingeholt wurde, entstehen Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG. Der Nachteilsausgleichsanspruch dient vornehmlich der Sicherung des sich aus § 111 Satz 1 BetrVG ergebenden Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats und schützt dabei mittelbar die Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer.234) Wird eine Betriebsänderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlos- 244 sen und durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht oder ein Beschlussverfahren nach § 122 InsO durchgeführt zu haben, so ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich eine Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO235) und kann grundsätzlich im Wege der Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.236) Dies gilt aber nicht mehr, wenn der Insolvenzverwalter die Unzulänglichkeit der Masse anzeigt. Dann wird nach § 210 InsO die Vollstreckung einer zuvor begründeten Masseverbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und lässt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage entfallen. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter nur noch im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend machen.237) Bei dem Anspruch auf Nachteilsausgleich handelt es sich nur dann um eine Insolvenzforderung, die gemäß §§ 38, 108 Abs. 2 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden ist, wenn die Betriebsänderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen wurde. Der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG ___________ 233) Regh in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 10 Rz. 56. 234) LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.6.2015 – 10 Sa 59/14, ZInsO 2016, 1270 = BeckRS 2016, 69656. 235) BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 137/05, BeckRS 2006, 30806164. 236) BAG, Urt. v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, ZIP 2003, 1850 = NZA 2003, 1087, dazu EWiR 2004, 243 (Pape). 237) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZA 2004, 93, dazu EWiR 2004, 239 (Moll/Henke).

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

ist in der Insolvenz nicht auf 2 1/2 Monatsverdienste begrenzt,238) sondern bestimmt sich hinsichtlich der Höhe ausschließlich durch § 113 Abs. 3, Abs. 1 Halbs. 2 BetrVG i. V. m. § 10 KSchG. Für eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 InsO fehlt es an einer Regelungslücke. 245 Das Zustimmungsverfahren nach § 122 InsO setzt voraus, dass der Betriebsrat, wie in § 111 Satz 1 BetrVG bestimmt, rechtzeitig und umfassend unterrichtet wurde. § 122 InsO stellt insoweit klar, dass den Insolvenzverwalter die gleiche Unterrichtungspflicht trifft, wie gemäß § 111 BetrVG den Unternehmer. Nur wenn der Betriebsrat objektiv betrachtet ausreichend informiert wurde, hat der Insolvenzverwalter seiner Pflicht genügt und auch nur dann beginnt die dreiwöchige Frist des § 122 Abs. 1 InsO zu laufen.239) Dies ist dann der Fall, wenn die geplante Betriebsänderung bisher weder ganz noch teilweise verwirklicht ist und dem Betriebsrat die wirtschaftlichen und sozialen Gründe, die für die Durchführung der Betriebsänderung sprechen, so mitgeteilt wurden, dass sich dieser ein vollständiges Bild hierüber machen kann.240) Eine unzureichende Unterrichtung bewirkt, dass die Informationsphase nicht abgeschlossen ist, so dass die sich hieran anschließende Dreiwochenfrist nicht in Gang gesetzt wird. Allerdings ist der Betriebsrat vor dem Hintergrund der Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG verpflichtet, den Insolvenzverwalter darauf hinzuweisen, wenn er die Unterrichtung nicht für umfassend hält. Verletzt der Betriebsrat diese Obliegenheit, kann er sich im Nachhinein nicht auf die mangelhafte Unterrichtung berufen. 246 Die Unterrichtung ist nur dann rechtzeitig, wenn Kündigungen noch nicht ausgesprochen wurden und die tatsächliche Stilllegung, Verlegung oder Veräußerung von Produktionsmaschinen noch nicht durchgeführt worden ist. Das Eröffnungsgutachten des Insolvenzverwalters kann dabei eine wichtige Informationsquelle hinsichtlich der wirtschaftlichen Gesamtsituation darstellen. Der allgemeine Hinweis auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens genügt den Voraussetzungen einer umfassenden Unterrichtung nicht. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem Insolvenzverwalter. Die in § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmte Dreiwochenfrist fängt mit dem Aufnahme der Verhandlungen über den Interessenausgleich an zu laufen. Statt des Beginns der Verhandlungen genügt die schriftliche zugegangene (§ 130 BGB) Aufforderung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Betriebsrat, die Beratungen aufzunehmen.

___________ 238) BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216 = NZA 2004, 93; LAG SachsenAnhalt, Urt. v. 12.1.2016 – 7 Sa 457/13, ArbR 2016, 329 = BeckRS 2016, 68613; a. A. LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.8.2002 – 5 Sa 534/02, ZInsO 2004, 572 = BeckRS 2004, 40921. 239) ArbG Zwickau, Beschl. v. 20.11.2007 – 3_BV_21-07, BeckRS 2008, 58149. 240) ArbG Berlin, Beschl. v. 26.3.1998 – 5 BV 5735/98, ZInsO 1999, 51 = BeckRS 1998, 30888904.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

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Praxishinweis Die Aufforderung kann mit der Unterrichtung verbunden werden, wobei die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Betriebsrat vollständig unterrichtet ist.

Das Gericht erteilt die Zustimmung zur Durchführung der beabsichtigten Be- 248 triebsänderung ohne Interessenausgleich, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird (§ 122 Abs. 2 InsO). § 122 InsO gibt insofern eine zweistufige Prüfung der Zustimmungskriterien 249 vor. Zunächst ist festzustellen, ob die „wirtschaftliche Lage“ für sich betrachtet, die Durchführung einer Betriebsänderung notwendig macht. Danach sind die sozialen Belange der Arbeitnehmer zu bewerten. Beachtliche soziale Belange der Arbeitnehmer sind dabei nur solche, die durch die Einhaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG überhaupt oder besser gewährleistet werden können.241) Die Abwägung der sozialen Belange kann schwierig sein, weil die sofortige Durchführung der Betriebsänderung für den einen Teil der Belegschaft den Erhalt der Arbeitsplätze, für einen anderen Teil hingegen den schnellen Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes bedeuten kann. 250

Praxishinweis Im Rahmen des § 122 InsO ist es kein relevanter Belang der Arbeitnehmer, dass die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens die Realisierung der Betriebsänderung verzögert und infolgedessen auch die Kündigungstermine hinausgeschoben werden.242)

Das Interesse der Arbeitnehmer an einer bloß verzögerten Durchführung der Be- 251 triebsänderung ist dabei unbeachtlich.243) Der Betriebsrat muss vielmehr unter Darlegung echter Alternativen substantiiert vortragen können, dass bei der Durchführung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG sozialverträglichere Lösungen für die betroffenen Arbeitnehmer gefunden werden können, die die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nicht unangemessen mehr strapazieren.244) Das Interessenausgleichverfahren ist dabei zur Vermeidung von Nachteilsaus- 252 gleichsansprüchen gemäß § 113 BetrVG erst dann abgeschlossen, wenn nach einem Scheitern der Verhandlungen auch das Einigungsstellenverfahren durchlaufen ist. Das in § 112 Abs. 2 BetrVG normierte zwischengeschaltete zeitaufwändige Vermittlungsverfahren des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit für einen Einigungsversuch, welches bereits durch einseitiges Anrufen des Be___________ 241) 242) 243) 244)

Oetker/Friese, DZWiR 2001, 133, 138. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, dazu EWiR 1999, 1131 (Moll). Kreuzer/Rößner, NZI 2012, 699. Schaub, DB 1999, 217, 226.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

triebsrat eingeleitet werden kann, ist wegen § 121 InsO entbehrlich. § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wird im eröffneten Insolvenzverfahren dadurch modifiziert, dass ein Vermittlungsversuch durch den Vorstand der Bundesagentur einer Durchführung des Einigungsstellenverfahrens nur dann vorgeschaltet ist, wenn Insolvenzverwalter und Betriebsrat gemeinsam darum bitten. 253 In der Insolvenz kann die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens jedoch nicht wie im Normalfall eines wirtschaftlich-werbenden Unternehmens ausgelegt werden, sondern muss entsprechend dem Hauptzweck des Insolvenzverfahrens aus dem Blickwinkel einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung heraus beurteilt werden245) und hat sich dabei an den Interessen der Verfahrensgläubiger zu orientieren. Die Insolvenz als solche reicht als Grund naturgemäß nicht aus, will man § 112 Abs. 2 BetrVG nicht leerlaufen lassen.246) Zu berücksichtigen sind etwaige Nachteile für die Insolvenzmasse, die aus einer verzögerten Durchführung des Einigungsstellenverfahrens und der damit verbundenen späteren Durchführung der Betriebsänderung resultieren können. Der Insolvenzverwalter muss insoweit konkret vortragen, welche Verluste für die Insolvenzmasse drohen und welche künftigen Massebelastungen entstehen, wenn ein Einigungsstellenverfahren über den Interessenausgleich durchgeführt wird. Hierzu bedarf es einer Prognoseberechnung, wie in welcher Höhe die zu erwartenden Massebelastungen durch einen Aufschub der Betriebsänderung anfallen und wie sich der damit zusammenhängende Quotenausfall berechnet.247) Das Gericht hat dann festzustellen, ob sich wesentliche Nachteile für die Insolvenzmasse daraus ergeben wobei bei der Bewertung dieser Frage die Vermögenshaftung des Schuldners aus der Insolvenzmasse im Vordergrund steht.248) Denn die Insolvenzmasse soll möglichst ungeschmälert und vollständig zur Befriedigung der Gläubiger eingesetzt werden.249) Anknüpfungspunkt dafür ist nach dem Wortlaut von § 122 Abs. 2 InsO das (Gesamt-)Unternehmen, nicht nur der von der Betriebsänderung betroffene Betrieb oder Betriebsteil.250) 254 Das ArbG kann trotz der prognostischen Massebelastung seine Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung dann noch verweigern, wenn es im konkreten Einzelfall zu der Auffassung gelangt, dass im Einigungsstellenverfahren ggf. doch noch eine sozialverträglichere Lösung für die Arbeitnehmerschaft gefunden werden kann.251) ___________ 245) 246) 247) 248) 249) 250) 251)

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Arend, ZInsO 1998, 303, 304. ArbG Zwickau, Beschl. v. 20.11.2007 – 3_BV_21-07, BeckRS 2008, 58149. ArbG Zwickau, Beschl. v. 20.11.2007 – 3_BV_21-07, BeckRS 2008, 58149. Kreuzer/Rößner, NZI 2012, 699. Hohenstatt, NZA 1998, 846, 850. Oetker/Friese, DZWiR 2001, 133, 137. Caspers in: MünchKomm-InsO, §§ 121, 122 Rz. 44.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Die Entscheidung des ArbG nach § 122 Abs. 2 Satz 1 InsO ergeht dabei nicht 255 über die Frage des „Ob“ der Betriebsänderung, sondern über die Frage des „Wann“ (vor Durchführung des Einigungsstellenverfahrens oder danach). Der Gerichtsbeschluss enthält also keine Zustimmung zur geplanten Betriebsänderung. Es geht lediglich um die Eilbedürftigkeit der Umsetzung der Entscheidung des Insolvenzverwalters, also um den Zeitpunkt der Betriebsänderung. Ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist, hat das Gericht nicht zu entscheiden.252) Im Antrag nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO hat der Insolvenzverwalter die geplante 256 Betriebsänderung so genau wie möglich zu bezeichnen. Er muss vortragen, dass zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande gekommen ist, obwohl der Insolvenzverwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Er hat zu beantragen, dass der Insolvenzverwalter zur Durchführung der Betriebsänderung berechtigt ist, ohne das zeitaufwändige Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchlaufen zu haben. Gemäß § 82 Abs. 1 ArbGG ist das ArbG zuständig, in dessen Bezirk der Betrieb liegt.253) Beispiel für einen Antrag Es wird dem Antragsteller durch Beschluss gestattet, den gesamten Geschäftsbetrieb der Firma XYZ GmbH, (Adresse) stillzulegen, ohne dass das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorangegangen ist. Gegen den Beschluss des ArbG findet die Beschwerde an das LAG nicht statt. 257 Die Rechtsbeschwerde an das BAG findet nur statt, wenn sie in dem Beschluss des ArbG zugelassen wird (§ 122 Abs. 3 InsO). Die praktische Relevanz des § 122 InsO ist gering, obwohl der Beschluss nach 258 § 122 InsO – im Unterschied zu einem erstinstanzlichen Beschluss nach § 98 ArbGG – grundsätzlich nicht mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angegriffen werden kann,254) was gleichfalls zur Verfahrensbeschleunigung beiträgt. Die Bedeutung des § 122 InsO wird auch zukünftig vor allem davon abhängen, 259 welche Anforderungen die Gerichte an eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats stellen. 5.

Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO

Hat der Betrieb keinen Betriebsrat oder kommt innerhalb von drei Wochen 260 kein Interessenausgleich zustande, obwohl der Betriebsrat rechtzeitig und um___________ 252) ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892. 253) ArbG Bautzen, Beschl. v. 30.11.2005 – 5 BV 5001/05, ZIP 2006, 732. 254) BAG, Beschl. v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = BeckRS 2001, 41591.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

fassend vom Insolvenzverwalter unterrichtet worden ist, kann der Insolvenzverwalter nach § 126 InsO ein Beschlussverfahren beim ArbG anhängig machen. § 126 InsO gilt– wie die §§ 120 ff. InsO insgesamt– nur für den endgültigen, nicht bereits für den vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 InsO). Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung im Dritten Teil der InsO (Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens) sowie aus dem Wortlaut der Norm, denn es ist nur vom „Insolvenzverwalter“ die Rede. Auch in § 22 Abs. 1 InsO gibt es keine entsprechende Verweisungsnorm.255) 261 Der Insolvenzverwalter hat die Feststellung zu beantragen, dass die Kündigung bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und darüber hinaus auch sozial gerechtfertigt ist. Das Feststellungsverfahren gilt dabei für geplante, aber auch für bereits erfolgte betriebsbedingte Kündigungen (§ 127 Abs. 2 InsO). Die soziale Auswahl kann dann, wie bei § 125 InsO, nur auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und etwaige Unterhaltsverpflichtungen überprüft werden. 262

Praxishinweis Dies gilt auch, wenn die Betriebspartner zuvor einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abgeschlossen haben, aber i. R. wegen einer weiteren Betriebsänderung ein zweiter Interessenausgleich nicht zustande kommt.256)

263 § 126 InsO ermöglicht dem Insolvenzverwalter somit die Durchführung eines kollektiven Kündigungsschutzverfahrens mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit einer Mehrzahl von Kündigungen feststellen zu lassen, wobei unerheblich ist, ob es sich um Änderungs- oder Beendigungskündigungen handelt, die geplant oder bereits erfolgt sind.257) 264 Kündigungsschutzklage und Beschlussverfahren nach § 126 InsO haben unterschiedliche Streitgegenstände: Die Kündigungsschutzklage bezieht sich mit ihrem punktuellen Streitgegenstand auf eine konkrete Kündigungserklärung. Das Verfahren nach § 126 InsO behandelt abstrakt die Kündbarkeit als solche, also das Vorliegen eines betriebsbedingten Grunds, der für eine Kündigung genutzt werden kann.258) Weil es sich um unterschiedliche Streitgegenstände handelt, bleibt die Kündigungsschutzklage trotz rechtshängigem Beschlussverfahren zulässig – ja zur Verhinderung der Heilung nach § 7 KSchG geboten. Die gerichtliche Feststellung des Kündigungsgrunds oder der Kündbarkeit ist Vorfrage für den Individualprozess. Deswegen ordnet § 127 Abs. 2 InsO die Aussetzung des Individualprozesses an. ___________ 255) 256) 257) 258)

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Lakies, NZI 2000, 345. BAG, Beschl. v. 20.1.2000 – 2 ABR 30/99, NZA 2001, 170. BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180. Rieble, NZA 2007, 1393.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Die Vorschrift stellt somit ein Bindeglied zwischen den §§ 125, 128 und 127 265 InsO dar. Voraussetzung ist, dass die Kündigungen im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG stehen. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf das Nichtzustandekommen eines Interessenausgleichs nach § 125 Abs. 1 InsO, der seinerseits voraussetzt, dass eine Betriebsänderung geplant ist. Aber auch bei einer geplanten Betriebsänderung in einem Kleinbetrieb, der nicht unter § 111 Satz 1 BetrVG fällt, kann das Verfahren nach § 126 InsO betrieben werden, denn § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO erwähnt ausdrücklich auch den betriebsratslosen Betrieb.259) Die rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 126 InsO ent- 266 faltet Bindungswirkung für das individuelle Kündigungsschutzverfahren (§ 127 Abs. 1 InsO) bei betriebsbedingte ordentliche Kündigungen, nicht aber verhaltens- oder personenbedingte Kündigungen260) sowie bei Kündigungen aus wichtigem Grund im eröffneten Insolvenzverfahren. Die Bindungswirkung bezieht sich dabei ausschließlich auf die Frage der sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG. Eine betriebsbedingte Kündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn eine unternehmerische Entscheidung vorliegt, der zufolge ein veränderter Arbeitsbedarf im Betrieb gegeben ist, die Kündigung dringlich ist, also durch andere Maßnahmen nicht ersetzt werden kann und die notwendige Folge betrieblicher Erfordernisse darstellt.261) 267

Praxishinweis Auch die Entscheidung des Insolvenzverwalters, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, gehört zu den unternehmerischen Maßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und damit den entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lassen können.262)

Der an die Kündigungen anzulegende Prüfungsmaßstab entspricht dabei unein- 268 geschränkt dem des Kündigungsschutzprozesses nach dem KSchG. Insbesondere wird die Sozialauswahl nicht analog § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur auf grobe Fehlerhaftigkeit geprüft, wenn kein Interessenausgleich mit Namensliste vorliegt. Sind die Kündigungen bereits ausgesprochen, so müssen die Verhandlungen über eine Kündigungsschutzklage bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren nach § 126 InsO auf Antrag des Insolvenzverwalters ausgesetzt werden. Unerheblich ist, wie viele Arbeitnehmer sich gegen ihre Kündigung zur Wehr setzen, sodass das Feststellungverfahren auch dann durchzuführen ist, wenn nur ein einziger Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage führt (str.).263) Wenn die Vorschrift das präventive Kündigungsverfahren in betriebsratslosen Betrieben für zu___________ 259) 260) 261) 262) 263)

Lakies, NZI 2000, 345. Plössner in: BeckOK-ArbR, § 126 InsO Rz. 2. ArbG Offenbach, Urt. v. 17.2.2000 – 5 BV 023/99, ZInsO 2001, 684. BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = NZA 1998, 1110. Caspers in: MünchKomm-InsO, § 126 Rz. 9; a. A. Rieble, NZA 2007, 1393, 1394.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

lässig bestimmt, dann ist es nur konsequent, dieses auch bei Betrieben unterhalb der Größenordnung des § 111 Satz 1 BetrVG zuzulassen.264) Das Bedürfnis zur erleichterten Sanierung im Insolvenzfall ist nämlich nicht von der Anzahl der Kündigungsschutzklagen abhängig, da die Beschränkung der Sozialauswahlkriterien auf das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten auch bei einer einzigen Kündigungsschutzklage zur gebotenen Verfahrenserleichterung führt. 269 Ob das Sammelverfahren die gewünschte Effektivität erreicht, wird vielfach bezweifelt.265) Denn der im Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz und das allen betroffenen Arbeitnehmern zu gewährende rechtliche Gehör werden zu manchen Verzögerungen führen. 270 Der praktische Nutzen der Regelung ist für den Insolvenzverwalter eher gering, was auch die geringe Zahl gerichtlicher Entscheidungen belegt. Durch das Verfahren des § 126 InsO können jedoch zumindest unterschiedliche Urteile und Vergleichsvorschläge verschiedener Kammern vermieden werden.266) Eine zusätzliche Erleichterung besteht darin, dass nach § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO eine bestehende Schwerbehinderung nicht als zusätzlicher sozialer Gesichtspunkt i. R. der Sozialauswahl Berücksichtigung finden muss. 271 Bei der Entscheidung darüber, ob die im Antrag bezeichneten Kündigungen sozial gerechtfertigt sind, hat das ArbG jeden einzelnen Fall individuell zu überprüfen und auch die Sozialauswahlkriterien nachzuvollziehen. Die Überprüfung der Sozialkriterien ist im Beschlussverfahren jedoch insoweit eingeschränkt, als dass das Kriterium der Schwerbehinderung aus der Nachprüfbarkeit i. R. der Sozialauswahl ausgenommen ist. Die Sozialauswahl kann vom ArbG damit nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten nachgeprüft werden. 272

Praxishinweis Anders als bei § 125 InsO wird der Prüfungsmaßstab in Bezug auf die Sozialauswahl aber nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit reduziert; auch die Betriebsbedingtheit der Kündigung wird nicht vermutet, eine Umkehr der Beweislast findet also nicht statt.267)

273 Das Verfahren nach § 126 InsO steht neben den Mitbestimmungsrechten nach den §§ 111 ff. BetrVG, wenn ein Betriebsrat eingerichtet ist. Das Verfahren nach § 126 InsO wirkt sich auch nicht auf die Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG aus. Diese hat der Insolvenzverwalter gesondert zu erfüllen, auch wenn die Kün___________ 264) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 126 Rz. 6; Löwisch, RdA 1997, 80, 85; Lakies, NZI 2000, 345. 265) Heinze, NZA 1999, 57. 266) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 126 Rz. 2. 267) Schrader, NZA 1997, 70, 76; Plössner in: BeckOK-ArbR, § 126 InsO Rz. 11.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

digungen erst nach Abschluss des Verfahrens nach § 126 InsO erklärt werden (sollen). Gibt es im Betrieb keinen Betriebsrat, so kann ein Interessenausgleich mit Na- 274 mensliste nach § 125 InsO mangels betrieblicher Interessenvertretung nicht geschlossen werden. In diesem Fall hat der Insolvenzverwalter die 3-Wochen-Frist nicht einzuhalten. Er kann den Antrag unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim ArbG stellen.268) Auf die Unternehmensgröße kommt es beim betriebsratslosen Betrieb (§ 126 275 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 InsO) nicht an mit der Folge, dass das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz auch dann eingeleitet werden kann, wenn das Unternehmen weniger als 21 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt oder wenn der Personalabbau die Schwelle der Massenentlassung (§ 17 Abs. 1 KSchG) unterschreitet (str.).269) Der Anwendungsbereich des § 126 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 InsO verlangt nämlich nicht, dass die Voraussetzungen des § 111 Satz 1 und 3 BetrVG vorliegen müssen. Ansonsten würde man einer erheblichen Anzahl kleinerer oder mittlerer Unternehmen den Zugang zu den arbeitsrechtlichen Sanierungserleichterungen im Insolvenzverfahren nehmen, bei denen das KSchG wegen Überschreitens der Kleinbetriebsschwelle des § 23 Abs. 1 KSchG (mehr als 10 Arbeitnehmer im Betrieb) Anwendung findet, deren Personalgröße aber unterhalb der Schwellenwerte des § 111 Satz 1 und 3 BetrVG (mindestens 21 wahlberechtigte Arbeitnehmer im Unternehmen) liegen und somit nicht nach den Vorschriften der §§ 125 – 128 InsO saniert bzw. veräußert werden können. Die Vorschrift muss deshalb in betriebsratslosen Betrieben auf alle betriebsbedingten Kündigungen, unabhängig von Unternehmensgröße und Anzahl der Kündigungen Anwendung finden.270) Ist ein Betriebsrat eingerichtet, ist der Anwendungsbereich des § 126 Abs. 1 276 Satz 1 Alt. 2 InsO nur eröffnet, wenn auch die betriebsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen des § 111 Satz 1 – 2 BetrVG vorliegen. Danach ist ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO nur dann zu verhandeln, wenn in Betrieben eines Unternehmens mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind und eine Betriebsänderung i. S. des § 111 Satz 3 BetrVG geplant ist. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig. Der Anwendungsbereich ist auch dann eröffnet, wenn die Betriebspartner zuvor 277 einen Interessenausgleich nach § 125 InsO abgeschlossen haben, aber ein wegen einer weiteren Betriebsänderung i. S. des § 111 Satz 3 BetrVG erforderlich werdender zweiter Interessenausgleich nach § 125 InsO nicht zustande kommt. ___________ 268) Plössner in: BeckOK-ArbR, § 126 InsO Rz. 5 – 10. 269) A. A. Plössner in: BeckOK-ArbR, § 126 InsO Rz. 9. 270) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 126 Rz. 6 m. w. N.; a. A. Moll in: KPB-InsO, § 126 Rz. 11 f.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

278 Es gelten die Vorschriften des ArbGG über das Beschlussverfahren entsprechend. Gemäß § 82 Abs. 1 ArbGG ist das ArbG zuständig, in dessen Bezirk der Betrieb liegt.271) Neben den allgemeinen Antragsvoraussetzungen (§§ 80 ff. ArbGG) müssen die besonderen Verfahrensvoraussetzungen des Feststellungsverfahrens nach § 126 Abs. 1 InsO vorliegen. Es herrscht – wie in jedem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren – der Amtsermittlungsgrundsatz. Beteiligte des Beschlussverfahrens sind der Insolvenzverwalter und – wenn ein Betriebsrat eingerichtet ist – der Betriebsrat sowie diejenigen Arbeitnehmer, die mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses oder mit der Änderung ihrer Arbeitsbedingungen nicht einverstanden sind. Die Kosten der anwaltlichen Vertretung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gehören, soweit sie erforderlich sind, zu den gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten der Betriebsratstätigkeit. Der Freistellungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber wandelt sich bei der Abtretung an einen anwaltlichen Vertreter in einen Zahlungsanspruch.272) 279 Das ArbG entscheidet über den Feststellungsantrag durch Beschluss (§ 84 ArbGG). Dem Antrag des Insolvenzverwalters kann dabei stattgegeben oder er kann als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden. Die rechtskräftige Entscheidung nach § 126 InsO entfaltet Bindungswirkung für das individuelle Kündigungsschutzverfahren (§ 127 Abs. 1 InsO). Die Bindungswirkung erstreckt sich nur auf betriebsbedingte Kündigungen und bezieht sich ausschließlich auf die Frage der sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG. Beruft sich der Arbeitnehmer bei seiner individuellen Kündigungsschutzklage auf andere Unwirksamkeitsgründe, wie z. B. die Nichtbeachtung von gesetzlichem Sonderkündigungsschutz oder sonstiger Zustimmungserfordernisse, hat das ArbG diese insoweit in einem „ordentlichen“ Kündigungsschutzverfahren zu überprüfen. Wird dem Antrag des Insolvenzverwalters stattgegeben, so tritt die Bindungswirkung zulasten der betroffenen Arbeitnehmer ein. Erweist es sich, dass die Kündigung nur in Bezug auf einen Teil der angegebenen Arbeitnehmer gerechtfertigt ist, so ist dem Antrag teilweise stattzugeben.273) Das BAG hat die kündigungsrechtlichen Risiken eines derartigen Teilunterliegens mit der Aufgabe der Dominotheorie deutlich reduziert.274) Gleichwohl kann ein Sozialauswahlfehler immer noch eine Mehrzahl von Kündigungen vernichten. Das würde das Verfahren nach § 126 InsO entwerten, weil eine zweite „korrigierende” Kündigungsrunde mit neuem Kündigungskonzept ein zweites Feststellungsverfahren Verfahren erforderlich machen würde.275) § 126 InsO will dem Verwalter aber frühzeitig Rechtsklarheit in Bezug ___________ 271) ArbG Bautzen, Beschl. v. 30.11.2005 – 5 BV 5001/05, ZIP 2006, 732. 272) LAG Hamburg, Beschl. v. 26.4.2017 – 6 TaBV 13/16, ArbRAktuell 2017, 425, m. Anm. Schindele. 273) BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = NZA 2000, 1180. 274) BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549. 275) Rieble, NZA 2007, 1393.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

auf anstehende Kündigungen verschaffen. Ein Teilunterliegen in Bezug auf einige Arbeitnehmer schließt eine zweite Kündigungsrunde somit nicht aus – weder gegenüber solchen Arbeitnehmern, die im Antrag gar nicht genannt waren (und mithin nicht von der Rechtskraft erfasst werden) noch gegenüber obsiegenden Arbeitnehmern, denen auf der Basis einer erneuten und fehlerfreien Sozialauswahl gekündigt worden ist, weil sich insofern die Sachlage wesentlich geändert hat (§ 127 Abs. 1 Satz 2 InsO).276) Wird der Antrag jedoch teilweise oder ganz abgewiesen, so sind die betroffenen 280 Arbeitnehmer von der Bindungswirkung in ihrem individuellen Kündigungsschutzprozess begünstigt. Denn ein Antrag auf positive Feststellung enthält bei Abweisung zugleich die Feststellung des genauen Gegenteils.277) § 126 Abs. 2 Satz 2 InsO verweist auch auf § 122 Abs. 3 InsO. Danach findet ge- 281 gen den Beschluss des ArbG die Beschwerde an das LAG nicht statt. Eine Rechtsbeschwerde an das BAG findet nur statt, wenn sie in dem Beschluss des ArbG zugelassen ist. An die Entscheidung des ArbG sind alle Beteiligten, also die benannten Arbeitnehmer, der Insolvenzverwalter, der potenzielle Betriebserwerber und der Betriebsrat gebunden – vorbehaltlich einer nachträglichen Änderung der Sachlage gemäß § 127 Abs. 1 Satz 2 InsO. 6.

Massebelastende Kollektivvereinbarungen

Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleiben neben den individualarbeits- 282 rechtlichen Ansprüchen auch sämtliche kollektivrechtlichen Regelungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Gesamtzusagen) bestehen, an die Arbeitnehmer, Betriebsräte und Insolvenzverwalter gebunden sind. § 103 InsO gibt dem Insolvenzverwalter kein Recht zum Nichteintritt in kollektivrechtliche Regelungen. Gemäß § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Nach dem Ablauf des Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Vereinbarung ersetzt werden (§ 4 Abs. 5 TVG). 283

Praxishinweis Ist ein Tarifvertrag allgemeinverbindlich (§ 5 TVG), so sind dessen Rechtsnormen auch für den Insolvenzverwalter zwingend.

Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 InsO sollen sich Insolvenzverwalter und Betriebsrat 284 über eine einvernehmliche Herabsetzung einer die Insolvenzmasse belastenden Leistung aus einer Betriebsvereinbarung verständigen. Denn in insolventen Unternehmen sind diese Leistungen nicht mehr gerechtfertigt. Eine einvernehmliche Änderung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat kann dabei darin bestehen, die bestehende Betriebsvereinbarung entweder inhaltlich abzuändern, die bisherige Betriebsvereinbarung durch eine neue Betriebsvereinba___________ 276) Rieble, NZA 2007, 1393. 277) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 126 Rz. 10.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

rung abzulösen oder eine einvernehmliche ersatzlose Aufhebung der Betriebsvereinbarung zu vereinbaren. In allen drei Fällen ist die Schriftform des § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG einzuhalten.278) 285 § 120 Abs. 2 InsO enthält die klarstellende Regelung, dass das Recht zur Kündigung einer Betriebsvereinbarung aus wichtigem Grund von der Insolvenzeröffnung unberührt bleibt, wenn ihre Fortgeltung bis zum vereinbarten Ende oder zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer Seite nicht zugemutet werden kann,279) wobei auch in diesem Fall die allgemeinen Regelungen zur Nachwirkung zu beachten sind.280) 286 § 120 InsO erfasst alle Betriebsvereinbarungen i. S. von § 77 Abs. 2 BetrVG einschließlich Gesamtbetriebsvereinbarungen und Konzernbetriebsvereinbarungen,281) soweit diese Leistungsverpflichtungen begründen, die über die „normale“ Entlohnung hinausgehen und von der Insolvenzmasse zu tragen sind.282) Unerheblich ist dabei, ob diese Betriebsvereinbarung im Bereich der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung (insbesondere § 87 BetrVG) als „erzwingbare Betriebsvereinbarung“ oder ob es sich um eine sog. „freiwillige Betriebsvereinbarung“ nach § 88 BetrVG außerhalb des Regelungsbereichs der erzwingbaren betrieblichen Mitbestimmung handelt. 287 Auf Regelungsabreden ist § 120 InsO entsprechend anwendbar. Auch sie können erfasst werden, wenn sie den Arbeitgeber zu Leistungen verpflichtet, die die Insolvenzmasse belasten. Regelungsabreden sind formlose Vereinbarungen zwischen den Betriebsparteien, in denen mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten geregelt werden. Die Regelungsabrede wirkt lediglich schuldrechtlich zwischen den Betriebsparteien und hat keine normative Wirkung auf den Inhalt der Arbeitsverhältnisse.283) Die Regelungsabrede ist wie eine Betriebsvereinbarung kündbar, entfaltet aber – soweit sie keine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit zum Inhalt hat – keine Nachwirkung. 288

Praxishinweis Vereinbaren Insolvenzverwalter und Betriebsrat somit eine einvernehmliche Herabsetzung von Leistungen in einer Regelungsabrede, wirkt diese Vereinbarung nicht unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse ein. Vielmehr muss der Insolvenzverwalter die Herabsetzungen noch individualvertraglich gegenüber dem Arbeitnehmer als „Dritter“ durchsetzen.

___________ 278) Richardi, BetrVG, § 77 Rz. 33 ff. 279) LAG Köln, Urt. v. 10.5.2016 – 12 Sa 864/15, NZA-RR 2016, 543. 280) BAG, Beschl. v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, ZIP 1995, 1037 = NZA 1995, 314; a. A. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 153; Oetker, RdA 1995, 82, 95. 281) Oetker/Friese, DZWIR 2000, 397, 398. 282) Seel, JA 2011, 372. 283) BAG, Urt. v. 20.11.1990 – 1 AZR 643/89, NZA 1991, 426.

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V. Sanierungserleichterungen im Insolvenzfall

Von § 120 InsO erfasst sind nur in Betriebsvereinbarungen enthaltene Leistungen, 289 die die Insolvenzmasse materiell belasten, wie z. B. Sozialeinrichtungen i. S. von § 88 Nr. 2 BetrVG, Urlaubsgelder, Arbeitskleidung, Essensgeldzuschüsse, Gratifikationen, Akkordregelungen, Schichtzuschläge, Ausbildungsbeihilfen, Jubiläumszuwendungen etc.284) Erfasst werden auch Leistungen an den Betriebsrat, z. B. überobligatorische Freistellungen, über die Verpflichtung des § 40 BetrVG hinausgehende Kostentragungsregelungen. Auch diese Leistungen können über § 120 InsO reduziert werden.285) 290

Praxishinweis Auf die Anpassung von Sozialplänen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens findet § 120 InsO grundsätzlich ebenfalls Anwendung, allerdings nur, wenn der Sozialplan früher als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags aufgestellt wurde. Auf einen Sozialplan, der später als drei Monate vor Antragstellung aufgestellt wurde, ist § 124 InsO als lex specialis vorrangig. Sozialpläne gelten zwar gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG als Betriebsvereinbarungen, ihre Behandlung in der Insolvenz wird aber durch § 124 InsO geregelt.

Betriebsvereinbarungen können bereits nach allgemeinen Grundsätzen mit einer 291 Frist von drei Monaten gekündigt werden (§ 77 Abs. 5 BetrVG), soweit keine längere Kündigungsfrist vereinbart wurde. Das vorzeitige Kündigungsrecht des § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO bezieht sich nur auf „massebelastende“ Betriebsvereinbarungen, bei denen eine längere Kündigungsfrist oder eine längere restliche Geltungsdauer vereinbart ist und steht sowohl dem Insolvenzverwalter als auch dem Betriebsrat zu. Teilkündigungen sind dann zulässig, wenn dies in der Betriebsvereinbarung selbst 292 zugelassen ist oder wenn die Betriebsvereinbarung mehrere selbstständige Regelungskomplexe enthält, die für sich (auch) in getrennten Betriebsvereinbarungen hätten geregelt werden können.286) Der Betriebsrat wird u. U. dann von seiner Kündigungsmöglichkeit Gebrauch machen, um einer selektiven (Teil-)Kündigung durch den Insolvenzverwalter zuvorzukommen. Soweit erzwingbare Betriebsvereinbarungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) ge- 293 kündigt werden, wirken diese im Unterschied zu freiwilligen Betriebsvereinbarungen bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung nach (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Eine unmittelbare Entlastung der Insolvenzmasse erreicht der Insolvenzverwalter deshalb durch eine Kündigung nach § 120 InsO in allen Fällen der erzwingbaren Betriebsvereinbarungen nicht. Soll die massebelastende Wir-

___________ 284) Vgl. umfangreiche Aufstellung nebst Rspr.-Nachw. bei Uhlenbruck-Berscheid/Ries, InsO § 120 Rz. 7 ff. 285) Caspers in: MünchKomm-InsO, § 122 Rz. 11. 286) BAG, Urt. v. 6.11.2007 – 1 AZR 826/06, NZA 2008, 422.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

kung sofort entfallen, erscheint vor diesem Hintergrund eine Anfechtung (des Abschlusses) der Betriebsvereinbarung nach §§ 129 ff. InsO zielführender.287) 294

Praxishinweis Die Anfechtung hätte gegenüber der Kündigung nach § 120 InsO einen sofort spürbaren erheblichen liquiditätsschonenden Effekt.

295 § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO ermöglicht dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat das Recht zur Kündigung mit einer Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende auch dann, wenn in der Betriebsvereinbarung eine längere Frist vereinbart ist. Der Kündigung müssen keine Beratungen vorangestellt werden. Die Kündigungsbefugnis erstreckt sich dabei nicht nur auf Betriebsvereinbarungen, in denen eine längere Frist vereinbart wurde, sondern auch auf Betriebsvereinbarungen, die auf eine bestimmte Zeit ohne vorzeitige Kündigungsmöglichkeit abgeschlossen wurden oder bei denen die ordentliche Kündigungsfrist gänzlich ausgeschlossen wurde. Ansonsten würde der Sinn und Zweck der Regelung, die in Betriebsvereinbarungen geregelten Personalkosten in der Insolvenz senken zu können, durch vor der Insolvenz abgeschlossene „ordentlich unkündbare“ Betriebsvereinbarungen vereitelt werden. Kündigungsempfänger ist bei einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter der Betriebsratsvorsitzende (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). 296 Soweit die gekündigten Betriebsvereinbarungen für die Arbeitnehmer Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung enthalten, fallen die noch nicht unverfallbaren Versorgungsansprüche, die nicht über den PSVaG insolvenzgeschützt sind (§§ 7 ff. BetrAVG), infolge der Kündigung nicht ohne weiteres weg. Zum Schutz wohlerworbener Rechte ist nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes auf Grundlage der vom BAG entwickelten Stufenlehre im Einzelfall zu entscheiden, inwieweit diese trotz Kündigung der Betriebsvereinbarung bestehen bleiben.288) 297 Aus wichtigem Grund können Betriebsvereinbarungen ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden (§ 120 Abs. 2 InsO), wobei selbst dann die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG zu beachten ist.289) Dabei ist es grundsätzlich möglich, eine Betriebsvereinbarung aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen – allerdings nur, wenn ihre Fortgeltung bis zum vereinbarten Ende oder zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer Seite nicht zugemutet werden kann.

___________ 287) Mückl/Krings, ZIP 2015, 1714. 288) BAG, Beschl. v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, ZIP 2000, 850, m. Anm. Strick = NZA 2000, 498, dazu EWiR 2000, 657 (Griebeling). 289) BAG, Beschl v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, ZIP 1995, 1037 = NZA 1995, 314.

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VI. Insolvenzanfechtung

Dabei sind an die Gründe für die fristlose Kündigung strenge Anforderungen 298 zu stellen.290) Eine pauschale Begründung kann die Kündigung nicht rechtfertigen.291) Nach allgemeinen Grundsätzen muss derjenige, der nicht länger an einem Vertragsverhältnis festhalten will und eine außerordentliche Kündigung erklärt, im einzelnen Tatsachen vortragen, denen zu entnehmen ist, dass wichtige Gründe für eine vorzeitige Beendigung vorliegen und warum ein Festhalten am Vereinbarten auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht von ihm verlangt werden kann.292) Die Insolvenz und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen für sich gesehen keine wichtigen Gründe zur fristlosen Kündigung einer Betriebsvereinbarung dar.293) Soll die massebelastende Wirkung sofort entfallen, bleiben neben der Anfech- 299 tung (des Abschlusses) der Betriebsvereinbarung nach §§ 129 ff. InsO die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur Lösung von der Betriebsvereinbarung anwendbar. VI.

Insolvenzanfechtung

Die InsO sieht in den §§ 129 ff. InsO die Anfechtung von Rechtshandlungen 300 durch den Insolvenzverwalter vor, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden und die Gläubiger benachteiligen, soweit nicht das redliche Vertrauen darauf, dass vor der Insolvenzeröffnung erfolgte Verfügungen des Schuldners Bestand haben, für schutzwürdig angesehen wird. Die Vorschriften der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO gelten auch gegenüber Arbeitnehmern. Der Arbeitnehmer trägt deshalb insbesondere das Risiko, dass er eine deutlich verspätete Zahlung des Arbeitsentgelts wieder zurückzahlen muss. Gegen den Rückforderungsanspruch nach § 143 Abs. 1 InsO kann dann nicht der Einwand der Entreicherung erhoben werden. Der durch §§ 130 bis 132 InsO besonders geschützte Zeitraum zur Wiedererlan- 301 gung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung umfasst den Zeitraum der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung. Der Anfechtungszeitraum wegen einer unentgeltlichen Leistung beträgt bis vier Jahre ab Eröffnung (§ 134 InsO), genauso wie nach der Anfechtungsreform jetzt auch im Falle einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung (§ 133 Abs. 2 InsO n. F.). Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach 302 der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.3.2017294) ist ein vorläufiger Schlusspunkt unter die Diskussion in Wissenschaft und Praxis des ___________ 290) 291) 292) 293) 294)

BAG, Beschl. v. 28.4.1992 – 1 ABR 68/91, NZA 1993, 31. LAG Köln, Urt. v. 10.5.2016 – 12 Sa 864/15, NZA-RR 2016, 543. BAG, Beschl. v. 28.4.1992 – 1 ABR 68/91, NZA 1993, 31. Belling/Hartmann, NZA 1998, 57, 63. Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, v. 29.3.2017, BGBl. I 2017, 654.

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§ 13 Der „worst case“: Insolvenzarbeitsrecht im Überblick

Anfechtungsrechts gesetzt. Es ist am 5.4.2017 in Kraft getreten. Auf Insolvenzverfahren, die vor diesem Tag eröffnet worden sind, sind grundsätzlich die bis dahin geltenden Vorschriften weiteranzuwenden (Art. 103 Abs. 1 EGInsO n. F.). 303 Kernstück der Anfechtungsreform sind die Änderungen bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO: Für die Anfechtung einer Sicherung oder Befriedigung beträgt der Anfechtungszeitraum gemäß § 133 Abs. 2 InsO nunmehr vier Jahre anstelle von vormals zehn Jahren. Handelt es sich dabei um eine kongruente Deckung, wird nach § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO die Kenntnis des anderen Teils von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nur noch dann vermutet, wenn dieser die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte. Bislang genügte für diese Vermutung auch die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Wenn mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen wurde oder diesem eine Zahlungserleichterung gewährt wurde, wird nunmehr nach § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO vermutet, dass der andere Teil zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. 304 Weiterer Schwerpunkt der Anfechtungsreform sind die Änderungen beim Bargeschäftsprivileg nach § 142 InsO, um die Anfechtbarkeit von Arbeitslöhnen einzuschränken. Nach dem neuen § 142 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt ein unmittelbarer Leistungsaustausch vor, wenn er nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt. Dies ist nach § 142 Abs. 2 Satz 2 InsO bei Gewährung von Arbeitsentgelt an einen Arbeitnehmer dann der Fall, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt. Dies gilt nach § 142 Abs. 2 Satz 3 InsO auch dann, wenn das Arbeitsentgelt durch einen Dritten gewährt wird. Außerdem wird ein Bargeschäft nach § 142 Abs. 1 InsO nur noch dann i. R. der Vorsatzanfechtung anfechtbar sein, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 – 3 InsO gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte. 305 Mit der Regelung des § 142 Abs. 2 und 3 InsO wird die Rechtsprechung des BAG295) kodifiziert. Insoweit dürften sich die Auswirkungen der Neuregelung in Grenzen halten. Denn bereits seit 2010 war entschieden, dass Entscheidungen über die Anfechtbarkeit von Arbeitsentgelt der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesen sind. Das BAG hat mit Urteil vom 29.1.2014296) die Vorsatzanfechtung bereits insoweit dahingehend eingeschränkt, dass die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nicht schon dann zu bejahen seien, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig war und der Arbeitnehmer dies wusste. Vielmehr muss auch dieses Indiz einzelfallbezogen auf seine Beweiskraft hin überprüft ___________ 295) BAG, Urt. v. 6.10.2011 – 6 AZR 262/10, ZIP 2011, 2366 = ArbRAktuell 2011, 666, dazu EWiR 2011, 817 (Huber); BAG, Urt. v. 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 = NZI 2014, 372, dazu EWiR 2014, 291 (Huber). 296) BAG, Urt. v. 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 = NZI 2014, 372.

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VI. Insolvenzanfechtung

werden. Erfolgt eine Entgeltzahlung im Wege des Bargeschäfts, kann sich auch bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit der Wille des Arbeitgebers darauf beschränken, eine gleichwertige Gegenleistung für die zur Fortführung des Unternehmens nötige Arbeitsleistung zu erbringen, ohne dass ihm eine damit verbundene Gläubigerbenachteiligung bewusst wird.297) Mit den Begriffen „Arbeitsentgelt“ und „Arbeitnehmer“ werden allerdings zwei 306 neue Tatbestandsmerkmale eingeführt, die in Zweifelsfällen – etwa in Abgrenzung zu selbstständig Tätigen – wohl auch zu neuen Auslegungsproblemen und Unsicherheiten führen werden. Trotz des hohen Stellenwertes des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes – der „Magna Charta des Insolvenzrechts“ – stellt sich die Frage, warum die Lohnzahlung eher der Gläubigergemeinschaft zustehen soll als dem Arbeitnehmer, der dafür gearbeitet hat und dessen wirtschaftliche und soziale Existenz von dem Arbeitsverhältnis abhängt. Erfolgt die Entgeltzahlung in der vertraglich geschuldeten Höhe, handelt es sich im Allgemeinen um einen gleichwertigen Leistungsaustausch.298)

___________ 297) BAG, Urt. v. 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 = NZI 2014, 372. 298) Kindler/Bitzer, NZI 2017, 369.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

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Übersicht I. 1.

2.

Bestandsaufnahme der tariflichen Situation.................................... 1 Tarifpolitische Ausgangslage ............. 1 a) Tarifbindung ................................ 5 b) Der Organisationsgrad als Parameter ................................... 16 c) Einbeziehung des Arbeitgeberverbands? .......................... 21 d) Die Gewerkschaft und der Betriebsrat – kommunizierende Röhren ............................. 24 e) Was soll geändert werden?........ 26 Alternativszenarien .......................... 27

a) Austritt aus dem Arbeitgeberverband ................................. 29 b) Kündigung des Tarifvertrags .... 32 II. Inhalte eines Sanierungstarifvertrags............................................. 36 1. Modifizierung der Vergütung.......... 37 2. Verlängerung der Arbeitszeit .......... 40 3. Kurzarbeit......................................... 43 4. Gegenleistungen für Verzichtsbeiträge.............................................. 44 III. Praxisbeispiele ................................. 49 1. Muster 1: Sanierungstarifvertrag ..... 49 2. Muster 2: Firmenbezogener Verbandstarifvertrag ........................ 50

Literatur: Belling/Hartmann, Die Tarifbindung in der Insolvenz, NZA 1998, 57; Däubler/ Heuschmid, Tarifverträge nur für Gewerkschaftsmitglieder?, RdA 2013, 1; Gaul/Janz, Chancen und Risiken tariflicher Lösungen, NZA Beilage 2010, S. 60; Heise/Schwald, Arbeitsrechtliche Instrumente in der Wirtschaftskrise, NZA 2009, 753; Melms, Der unternehmensbezogene Verbandstarifvertrag – nichts als Risiken?, NZA 2017, 365; Rieble, „Blitzaustritt“ und tarifliche Vorbindung, RdA 2009, 280.

I.

Bestandsaufnahme der tariflichen Situation

1.

Tarifpolitische Ausgangslage

Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag setzt voraus, dass im 1 Unternehmen Tarifverträge angewendet werden. Dies kann aufgrund einer Mitgliedschaft im (tarifschließenden) Arbeitgeberverband, als Partei eines Haustarifvertrages oder durch Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen geschehen.1) Ist aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ein Eingreifen in 2 tarifvertraglich vereinbarte Arbeitsbedingungen erforderlich, so ist das einzig in Betracht kommende wirksame Sanierungsinstrument ein für das Unternehmen geltender Tarifvertrag, der für eine gewisse Zeit die bisher geltenden tariflichen

___________ 1) Tarifverträge können auch im Wege der Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG oder durch Rechtsverordnung, z. B. gemäß §§ 7, 7a AEntG unmittelbar und zwingend gelten. Auf diese Sonderform der Erstreckung tariflicher Arbeitsbedingungen auf nicht organisierte Dritte wird im Folgenden nicht eingegangen.

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307

§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

Bedingungen verdrängt. Die Frage, welche Lösungen zu Sanierungszwecken möglich sind, ist eine tarifpolitische keine rechtliche.2) 3 Bei dem Tarifvertrag kann es sich um einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag handeln, bei dem der Arbeitgeberverband Tarifpartei ist, der Tarifvertrag aber nur für ein verbandsangehöriges Unternehmen gilt3) oder das Unternehmen selbst schließt einen Tarifvertrag als Partei ab (sog. Haustarifvertrag). In beiden Fällen wird ein solcher Tarifvertrag in der Regel als Sanierungstarifvertrag bezeichnet. 4 Bevor der Insolvenzverwalter tarifpolitisch agiert, muss er folgende Fragen klären: x

Auf welcher Grundlage gelten Tarifverträge im Unternehmen?

x

Wie hoch ist ungefähr der Organisationsgrad der Beschäftigten?

x

Will er selbst handeln oder soll der Arbeitgeberverband handeln?

x

Wie eng ist das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft?

x

Welche tariflichen Arbeitsbedingungen müssen aus welchem Grund und für wie lange abweichend geregelt werden?

a)

Tarifbindung

5 Ist das Unternehmen Mitglied in einem Arbeitgeberverband, ist zu klären, ob dieser Verband ein tarifschließender Arbeitgeberverband (sog. T-Verband) oder ein tariffreier Arbeitgeberverband (sog. OT-Verband) ist. Nur wenn das Unternehmen in einem T-Verband Mitglied ist, besteht eine Tarifbindung des Arbeitgebers als Mitglied gemäß § 3 Abs. 1 Var. 1 TVG. 6 Ergibt die erste Prüfung, dass das Unternehmen Mitglied in einem OT-Verband ist, sollte vorsorglich geklärt werden, ob vor Begründung dieser OT-Mitgliedschaft eine T-Mitgliedschaft bestand. Ist dies der Fall, muss weiter geprüft werden, ob das Unternehmen wirksam den Wechsel in die OT-Mitgliedschaft vollzogen hat. 7 Mit Vorsicht sind die sog. Blitzaustritte bzw. Blitzwechsel zu betrachten.4) Hierunter werden die Fälle verstanden, in denen das Unternehmen unter Abkürzung der satzungsgemäß vorgesehenen Kündigungsfrist den Verband mit Zustimmung der zuständigen Gremien verlassen hat (Blitzaustritt) oder in den OT-Verband gewechselt ist (Blitzwechsel). Hier muss im Einzelfall genauer geprüft werden, ob dieses Vorgehen rechtlich wirksam war.5) ___________ 2) So zu Recht ausdrücklich: Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 137. 3) Zu möglichen Risiken eines solchen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrags: Melms, NZA 2017, 365. 4) Ausführlich: Rieble, RdA 2009, 280 ff. 5) Hierzu: BAG, Urt. v. 20.2.2008 – 4 AZR 64/07, NZA 2008, 946; BAG, Urt. v. 19.6.2012 – 1 AZR 775/10, NZA 2012, 1372; Braun in: Thüsing/Braun, Tarifrecht, Kap. 6 Rz. 21 ff.; Höpfner in: Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2 Rz. 6 ff., und Teil 6 Rz. 48 ff.

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I. Bestandsaufnahme der tariflichen Situation

Besteht keine Tarifbindung über eine Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberver- 8 band ist zu klären, ob das Unternehmen in der Vergangenheit selbst Tarifverträge abgeschlossen hat, womit eine arbeitgeberseitige Tarifbindung als Partei des Tarifvertrags gemäß § 3 Abs. 1 Var. 2 TVG besteht. Eine bestehende Tarifbindung wird durch die Insolvenz nicht berührt.6) Tarif- 9 verträge gelten also unmittelbar und zwingend weiter. § 103 InsO gilt wegen des normativen Charakters der Bestimmungen nicht für Tarifverträge.7) Ob eine unmittelbare Tarifbindung des Arbeitnehmers besteht, ist meist unbe- 10 kannt. Denn die Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers kennt der Arbeitgeber in der Regel nicht. Weder wird im Vorstellungsgespräch danach gefragt, noch nach Abschluss des Arbeitsvertrags. Für eine unmittelbare Tarifbindung des Arbeitnehmers ist seine Mitgliedschaft in der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft aber zwingend erforderlich (§ 3 Abs. 1 Var. 1 TVG). Lediglich für die hier nicht weiter interessierenden betrieblichen- und betriebsverfassungsrechtlichen Normen reicht es für eine unmittelbare und zwingende Geltung aus, wenn der Arbeitgeber unmittelbar tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG). Betriebliche Normen betreffen Fragen der Organisation und Gestaltung des 11 Betriebs. Sie regeln Rechtsverhältnisse zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv und schließen eine Differenzierung zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern generell aus, z. B. Regelungen zum Arbeitsschutz oder qualitative und quantitative Besetzungsregelungen.8) Betriebsverfassungsrechtliche Normen regeln Fragen der betrieblichen Mitbestimmung, z. B. Betriebsratsstrukturen gemäß § 3 Abs. 1 BetrVG. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers kann aber dann vernach- 12 lässigt werden, wenn eine (wirksame) Bezugnahmeklausel auf die im Unternehmen angewandten Tarifverträge im Arbeitsvertrag vereinbart ist. Aufwendig wird die Prüfung, wenn die im Unternehmen verwendeten Arbeitsvertragsmuster verschiedene Bezugnahmeklauseln enthalten. Wie die Bezugnahmeklausel auszulegen ist, kann sich am Stichtag des Arbeits- 13 vertragsschlusses entscheiden. Bezugnahmeklauseln in Verträgen, die von einem tarifgebundenen Arbeitgeber vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden (sog. Altverträge), sind grundsätzlich als Gleichstellungsabrede zu verstehen,9) also als Abrede, mit der der Arbeitgeber lediglich die Gleichstellung von tarifgebundenen Gewerkschaftsmitgliedern zu nicht tarifgebundenen Beschäftigten ___________ 6) BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 911/98, BeckRS 2009, 68954; Krois in: NK-GA, § 3 TVG Rz. 52; Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz. 173; ausführlich: Belling/Hartmann, NZA 1998, 57. 7) Tintelnot in: KPB-InsO, § 103 Rz. 127; Huber in: MünchKomm-InsO, § 103 Rz. 96. 8) Lorenz in: NK-TVG, § 3 Rz. 70. 9) Grundlegend: BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

herstellen wollte. Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen, die von einem tarifgebundenen Arbeitgeber nach dem 31.12.2001 abgeschlossen wurden (sog. Neuverträge), sind dagegen anhand der allgemeinen Kriterien auszulegen, was dann durchaus dazu führen kann, dass eine Differenzierung hinsichtlich der geltenden tariflichen Bestimmungen eintritt.10) 14 Eine sorgfältige Prüfung der Bezugnahmeklausel ist aber noch aus einem ganz anderen Grund von Relevanz: Ergibt sich, dass die Bezugnahmeklausel nur (Flächen-)Tarifverträge erfasst, also solche Tarifverträge, die vom Arbeitgeberverband abgeschlossen werden, folgt im Umkehrschluss, dass Haustarifverträge nicht von der Bezugnahmeklausel erfasst sind.11) Damit muss Tarifpartei eines möglichen Sanierungstarifvertrags zwingend der Arbeitgeberverband sein. Ein Sanierungstarifvertrag als Haustarifvertrag würde die Arbeitsverhältnisse individual-rechtlich nicht erfassen und wäre insofern praktisch wirkungslos. 15

Praxishinweis Besteht eine Tarifbindung, sollte schließlich vor Aufnahme von Tarifverhandlungen zum Abschluss eines Sanierungstarifvertrags geprüft werden, ob es nicht bereits ausreichende flächentarifvertragliche Lösungen gibt, um die Unternehmenskrise zu lösen. Beispielhaft sei auf den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung und zum Beschäftigungsaufbau in der M+E-Industrie verwiesen, der zugunsten der Betriebsparteien Öffnungsklauseln zur Absenkung der Arbeitszeit bei Verminderung des Arbeitsentgelts vorsieht.

b)

Der Organisationsgrad als Parameter

16 Auch eine Gewerkschaft handelt nicht fremdnützig. Sie ist für ihre Mitglieder da und handelt nicht für Dritte.12) Damit stellt sich die Frage, wie viele Beschäftigte in der für das Unternehmen zuständigen Gewerkschaft organisiert sind. Erst wenn der Organisationsgrad eine bestimmte Mindestgröße erreicht, wird die Gewerkschaft auch ihre Ressourcen einsetzen, um die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu regeln und deren Arbeitsplätze durch Einschnitte in tarifliche Besitzstände zu retten. 17 Selbstverständlich wird keine Gewerkschaft dem Unternehmen den genauen Organisationsgrad im Betrieb oder gar die Namen der gewerkschaftsangehörigen Beschäftigten mitteilen. In einem Erstgespräch mit dem zuständigen Gewerkschaftssekretär wird sich aber sehr schnell ergeben, ob der Organisationsgrad „reicht“, damit die Gewerkschaft tarifpolitisch aktiv wird. Sicherlich gibt es immer noch Branchen, in denen keinerlei Zweifel an einem ausreichenden Organisationsgrad der Gewerkschaft bestehen (z. B. im Bereich der M+E-Industrie Westdeutsch___________ 10) BAG v. 5.7.2017 – 4 AZR 867/16, NZA 2018, 47. 11) BAG, Urt. v. 12.12.2018 – 4 AZR 123/18, NZA 2019, 543; BAG, Urt. v. 13.12.2017 – 4 AZR 202/15, NZA 2018, 793; BAG, Urt. v. 15.6.2016 – 4 AZR 485/14, NZA 2017, 593; BAG, Urt. v. 26.8.2015 – 4 AZR 719/13, NZA 2016, 177. 12) Pointiert: Däubler/Heuschmid, RdA 2013, 1 ff.

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I. Bestandsaufnahme der tariflichen Situation

lands). Umgekehrt gilt aber auch, dass es in bestimmten Regionen oder Branchen kaum noch Gewerkschaftsmitglieder in Unternehmen gibt. Dort wird es dann nur in Ausnahmefällen von überregionaler Bedeutung möglich sein, einen Verhandlungspartner für einen Sanierungstarifvertrag zu finden. Der Sanierungstarifvertrag muss mit der „richtigen“ Gewerkschaft abgeschlossen 18 werden. Dass verschiedene Gewerkschaften für einen Betrieb zuständig sind, kommt vor, auch wenn im Zuständigkeitsbereich des DGB eine Abgrenzung der Zuständigkeiten versucht wird und ein Nebeneinander verschiedener (konkurrierender) Gewerkschaften möglichst vermieden werden soll. Überschneidungen kann es trotzdem geben, insbesondere zwischen den Gewerkschaften IG Metall und ver.di, da beide für Teile der Dienstleistungsbetriebe die Zuständigkeit für sich beanspruchen. Klassische Beispiele für ein gelebtes Nebeneinander mehrerer Gewerkschaften sind die Deutsche Bahn und die Deutsche Lufthansa. Diese Großunternehmen mit ihrer tarifpluralen Organisation sind aber die Ausnahme. Als Grundsatz gilt (noch): Ein Betrieb, eine Gewerkschaft. Richtiger Verhandlungspartner ist die Gewerkschaft, die auch den Tarifvertrag 19 abgeschlossen hat, dessen Normen durch den Sanierungstarifvertrag verändert werden sollen. Es gab zwar in der Vergangenheit Versuche, als unpassend empfundene Regelungen eines Flächentarifvertrags durch einen Haustarifvertrag, der mit einer anderen Gewerkschaft geschlossen wurde, zu verdrängen. Dies war aber schon im Ansatz fragwürdig, weil hierzu Gewerkschaften gebraucht wurden, die im Betrieb bisher nicht in Erscheinung getreten sind und mit denen es sich „leichter“ verhandeln ließ als mit den etablierten Gewerkschaften. Dass Großgewerkschaften wie die IG Metall ein solches Vorgehen nicht akzeptieren würden, war zu erwarten.13) Ungeachtet der tarifpolitischen Unwägbarkeiten ist ein solches Handeln jeden- 20 falls mit Aufgabe des Prinzips der Tarifeinheit bei Tarifpluralität durch das BAG14) auch rechtlich nicht mehr interessant. Zu einer Ablösung geltender Tarifregelungen kommt es grundsätzlich nur noch bei Tarifkonkurrenz, also in Fällen, in denen zwei oder mehr Tarifverträge für den gleichen Regelungsgegenstand oder sich überschneidende Regelungsbereiche im Arbeitsverhältnis normative Wirkung beanspruchen.15) Tarifpluralität – also die Geltung mehrerer Tarifverträge verschiedener Tarifparteien im Unternehmen16) – ist dagegen prinzipiell hinzunehmen. Der Gesetzgeber hat zwar eine Regelung zur Tarifeinheit bei Tarifpluralität geschaffen. Die ursprüngliche Regelung des § 4a Abs. 2 TVG ___________ 13) Ein größeres Unternehmen, dass die Flächentarifverträge der IG Metall durch einen Haustarifvertrag mit der CGM (Christliche Gewerkschaft Metall) ablösen wollte, scheiterte öffentlichkeitswirksam. 14) BAG, Urt. v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068. 15) Greiner in: Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 9 Rz. 92 ff. 16) Braun in: Thüsing/Braun, Tarifrecht, Kap. 6 Rz. 121.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

zur Tarifeinheit hielt aber einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.17) Inwieweit es aufgrund der deshalb durch Gesetz vom 18.12.201818) zum 1.1.2019 in Kraft getretenen Änderung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG zukünftig wirklich zur Verdrängung kollidierender Tarifverträge durch einen Mehrheitstarifvertrag kommen wird, bleibt abzuwarten. Der Sanierungstarifvertrag kann jedenfalls rechtlich und praktisch nur dann Erfolg haben, wenn er mit derjenigen Gewerkschaft verhandelt und abgeschlossen wird, die auch den zu verdrängenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. c)

Einbeziehung des Arbeitgeberverbands?

21 Tarifpolitik ist Kernaufgabe des tarifschließenden Arbeitgeberverbands. Dies gilt nicht nur für die turnusmäßigen Tarifverhandlungen über Entgelte (Löhne und Gehälter), sondern auch für die grundlegenden, in den Manteltarifverträgen geregelten, Arbeitsbedingungen. Wenig bekannt ist, dass es eine Reihe von tariflichen Sonderlösungen auch außerhalb der Krise und Insolvenz gibt, die der Arbeitgeberverband für seine Mitglieder verhandelt. Dabei kann es durchaus sein, dass der Verband nur die Verhandlungen begleitet und unterstützt, Tarifpartei aber das jeweilige Unternehmen ist, also ein Haustarifvertrag geschlossen wird. 22 Ungeachtet dessen muss der Insolvenzverwalter klären, ob er selbst mit der Gewerkschaft verhandelt oder den Arbeitgeberverband „ins Boot holt“. Für eine Einbeziehung des Verbandes spricht, dass hier das tarifpolitische Knowhow verfügbar ist. Außerdem kennen die Verbandsvertreter ihren „Gegenspieler“ auf Gewerkschaftsseite gut und haben ein Gespür dafür, welche Ergebnisse sich in den Tarifverhandlungen erzielen lassen können. Das Verhandlungsgeschick der Gewerkschaften sollte nicht unterschätzt werden. 23

Praxishinweis Gegen eine Einbeziehung des Verbands kann aber sprechen, dass der klassische Kanon betrieblicher Sonderlösungen durchbrochen werden muss, um die existenzielle Krise des Unternehmens zu überwinden. Nötige harte Einschnitte machen es dann erforderlich, dass der Insolvenzverwalter mithilfe restrukturierungserfahrener Berater allein die Verhandlungen mit dem erforderlichen Entscheidungsdruck auf die Gewerkschaft führt.

d)

Die Gewerkschaft und der Betriebsrat – kommunizierende Röhren

24 Gewerkschaft und Betriebsrat haben klar abgegrenzte Zuständigkeitsbereiche, sind aber trotzdem durch eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten verknüpft. Betriebsratsmitglieder üben Funktionen in der Gewerkschaftsorganisation aus und Mitarbeiter der Gewerkschaft sind im Bereich der betrieblichen und unter___________ 17) BVerfG, Urt. v. 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15, u. a. Rz. 205 ff., ZIP 2017, 1390 = NZA 2017, 915. 18) Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung – Qualifizierungschancengesetz, v. 18.12.2018, BGBl. I 2018, 2651.

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I. Bestandsaufnahme der tariflichen Situation

nehmerischen Mitbestimmung im und für das Unternehmen aktiv. Beide Arbeitnehmervertretungen dürfen daher nicht isoliert betrachtet werden sondern – jedenfalls in der Krise und Insolvenz des Unternehmens – als Einheit. Erfahrungsgemäß wird die Gewerkschaft vom Betriebsrat über die wirtschaftli- 25 che Lage des Betriebs jedenfalls dann laufend in Kenntnis gesetzt, wenn sich die Krisenszenarien verdichten. Aus heiterem Himmel kommt ein Insolvenzantrag für die Arbeitnehmervertretungen selten.19) Da der Betriebsrat oft gut darüber informiert ist, wo die Probleme im Unternehmen sind, sollte idealerweise zusammen mit ihm der Kontakt zur Gewerkschaft gesucht werden. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Arbeitnehmervertretungen steigert die Erfolgschancen für den Abschluss eines Sanierungstarifvertrags. Mitglieder des Betriebsrats werden ohnehin in der Verhandlungskommission der Gewerkschaft vertreten sein. e)

Was soll geändert werden?

Zwingt die wirtschaftliche Lage zu Einschnitten, müssen diese präzise sein. Es 26 ist weder sinnvoll noch erforderlich, alle tariflichen Arbeitsbedingungen auf den Prüfstand zu stellen. Im Rahmen der Fortführungsprognose wird sich ergeben, auf welchen Gebieten gehandelt werden muss. Sind die Lohnkosten zu hoch, werden entgeltrelevante Faktoren gestaltet werden müssen. Ist die Auslastung zu gering, ist die Dauer der Arbeitszeit zu gestalten. Nur wenn den Arbeitnehmervertretern substantiiert verdeutlicht werden kann, dass es hier Handlungsbedarf gibt und dass die Krise bei einer (befristeten) Abweichung von flächentariflichen Standards überwunden werden kann, wird ein Entgegenkommen der Gewerkschaft erwartet werden können. 2.

Alternativszenarien

Die Verhandlungsposition des Insolvenzverwalters ist ambivalent. Einerseits 27 handelt er aus der Position der Stärke heraus. Denn er allein ist für das Unternehmen verantwortlich. Sein unternehmerisches Geschick entscheidet über den Fortbestand oder die Liquidation und damit über den Erhalt der Arbeitsplätze. Andererseits ist seine Durchsetzungsstärke beschränkt, da er nur im Einvernehmen mit der Gewerkschaft einen Tarifabschluss erzielen kann. Der Abschluss eines Sanierungstarifvertrags im Wege des Arbeitskampfs ist in der Praxis ausgeschlossen. 28

Praxishinweis Insofern muss in der Vorbereitung der Tarifverhandlungen natürlich auch der worst case, in dem die Tarifverhandlungen scheitern, durchgespielt werden. Soll das Unternehmen fortgeführt werden, muss die erstrebte Kostenentlastung dann auf anderen Wegen erfolgen.

___________ 19) Allenfalls „strategische“ Insolvenzen könnten hier Überraschungseffekte auslösen.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

a)

Austritt aus dem Arbeitgeberverband

29 Es könnte eine Beendigung der Tarifbindung durch Austritt aus dem Verband erwogen werden. Eine ordentliche Kündigung der Mitgliedschaft im Verband wird in der Regel keinen Sinn ergeben, weil zum einen die Kündigungsfrist einzuhalten ist und zum anderen die Tarifbindung bis zum Ende des Tarifvertrags erhalten bleibt (§ 3 Abs. 3 TVG). Wie erwähnt, werden Manteltarifverträge auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, so dass die dort geregelten Materien bis zu ihrer Änderung auch bei einem Verbandsaustritt unmittelbar und zwingend weitergelten. 30 Denkbar ist zwar, die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband außerordentlich zu kündigen.20) Dies setzt aber voraus, dass die Belastung durch die Tarifbedingungen für das Mitglied unzumutbar ist.21) Für eine solche außerordentliche Kündigung der Verbandsmitgliedschaft müssen dann dieselben Voraussetzungen gelten, wie für die außerordentliche Kündigung des Tarifvertrags selbst (siehe hierzu Rz. 34). 31 Lediglich bei Vergütungstarifverträgen, deren Laufzeitende in Sicht ist, kann ein Verbandsaustritt Handlungsspielraum verschaffen. Ist die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband vor dem Abschluss eines neuen Vergütungstarifvertrags wirksam beendet, ist das Unternehmen nicht mehr an den neuen Vergütungstarifvertrag gebunden. Der alte Vergütungstarifvertrag wirkt zwar nach. Im Nachwirkungszeitraum verliert er aber seine unmittelbare und zwingende Geltung und kann daher auch zulasten der Beschäftigten verändert werden (§ 4 Abs. 5 TVG). Ob die Hürde des Abschlusses einer anderweitigen Vereinbarung dann wirklich genommen werden kann, steht aber auf einem anderen Blatt. b)

Kündigung des Tarifvertrags

32 Flächentarifverträge können ohnehin nur von den daran beteiligten Tarifparteien gekündigt werden. Der Insolvenzverwalter hat hier also keine Kündigungsbefugnis. 33 Bei Haustarifverträgen ist dies anders. Hier steht dem Verwalter die Kündigungsbefugnis zu. Gegen eine ordentliche Kündigung sprechen aber folgende Erwägungen: Für die Kündigung des Tarifvertrags ist die Kündigungsfrist einzuhalten. § 113 InsO gilt nicht. Auch das Sonderkündigungsrecht des § 120 InsO gilt nicht.22) Denn dieses Sonderkündigungsrecht gilt nur für Betriebsvereinbarungen und nicht für Tarifverträge.23) Eine analoge Anwendung kommt wegen des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht.24) § 120 InsO ___________ 20) 21) 22) 23) 24)

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Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz. 154, 298. Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz. 154, 298. K. Schmidt-Ahrens, InsO, § 120 Rz. 11. Jaeger-Giesen, InsO, § 120 Rz. 17; Caspers in: MünchKomm-InsO, § 120 Rz. 13. A. A. Mückl in: Mückl/Fuhlrott/Niklas/Otto/Schwab, Arbeitsrecht in der Umstrukturierung, Kap. 6 Rz. 88.

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II. Inhalte eines Sanierungstarifvertrags

und die ihm unmittelbar folgenden Bestimmungen beziehen sich klar und eindeutig auf die betriebliche bzw. betriebsverfassungsrechtliche Ebene. Wie sich aus dem Fehlen jeglicher Bestimmung zu tariflichen Normen im arbeitsrechtlichen Teil der InsO ergibt, hat der Gesetzgeber generell von einer Regelung abgesehen. Dieser Wille – bewusstes Nichtregeln – ist zu respektieren. Im Übrigen fehlt es an der für einen Analogieschluss nötigen vergleichbaren Interessenlage,25) weil es keine funktionale Parallelität zwischen Tarifvertragsvorschriften und Betriebsvereinbarungen gibt.26) Eine außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrags ist zwar möglich, bedarf 34 aber analog § 626 BGB eines wichtigen Grundes.27) Dieser kann allenfalls dann gegeben sein, wenn durch die tariflichen Arbeitsbedingungen die Existenz des Unternehmens gefährdet ist. Vor einer außerordentlichen Kündigung ist entsprechend des ultima-ratio-Grundsatzes zu versuchen, mit der anderen Tarifvertragspartei auf dem Verhandlungsweg eine Einigung über die Ablösung belastender Tarifregelungen zu erzielen. Ob dazu schon die vorausgegangenen Verhandlungen über den Abschluss eines Sanierungstarifvertrags ausreichen, ist fraglich, da es dort ja nur um Teilregelungsbereiche des Tarifvertrags ging, der nun als Ganzes außerordentlich gekündigt werden soll.28) Eine Teilkündigung eines Tarifvertrags ist nur dann zulässig, wenn ein solches Teilkündigungsrecht im Tarifvertrag ausdrücklich vereinbart ist, ansonsten ist die Teilkündigung unzulässig.29) 35

Praxishinweis Fraglich ist des Weiteren, ob im Falle einer wirksamen außerordentlichen Kündigung die Tarifbindung nach § 3 Abs. 3 TVG entfällt.30) Und selbst wenn die Tarifbindung entfallen würde (und sich die Nachwirkung anschließt), muss es noch gelingen, mit den Beschäftigten Änderungsverträge zu schließen, um die Tarifregelungen endgültig abzulösen. Dies mag in einer existenzbedrohenden Lage erreichbar sein, der Erfolg ist aber höchst ungewiss.

II.

Inhalte eines Sanierungstarifvertrags

Inhalt eines Sanierungstarifvertrags kann alles sein, was tariflich regelbar ist. Er- 36 forderlich ist aber in der Regel nur ein Eingriff an bestimmten Stellen: Arbeitszeit und/oder Entgelt. Bei der Frage der Entgeltgestaltung ist dann nicht (nur) die Tabellenvergütung maßgeblich, sondern auch alle sonstigen entgeltrelevanten ___________ 25) Zum Erfordernis der vergleichbaren Interessenlage: BGH v. 13.3.2003 – I ZR 290/00, ZIP 2003, 1204 = NJW 2003, 1932, dazu EWiR 2003, 753 (Derleder). 26) Jaeger-Giesen, InsO, § 120 Rz. 17. 27) BAG, Urt. v. 18.12.1996 – 4 AZR 129/96, NZA 1997, 830. 28) Zu dieser Rechtsunsicherheit vgl. Löwisch, Anm. zu BAG v. 18.12.1996 – 4 AZR 129/96, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Kündigung. 29) BAG v. 15.4.2008 – 1 AZR 86/07, ZIP 2008, 1544 = NZA 2008, 1074, dazu EWiR 2009, 5 (Oetker); Braun in: Thüsing/Braun, Tarifrecht, Kap. 6 Rz. 36. 30) Dafür: Franzen in: ErfK, § 3 TVG Rz. 10, Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rz. 298; dagegen: Lorenz in: NK-TVG, § 3 Rz. 54.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

Faktoren, z. B. 13. Gehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Zuschläge und Zuschüsse jeglicher Art oder bezahlte Freistellungen. Da in Rechtspositionen der Beschäftigten eingegriffen wird, sollte eine (abgestimmte) Kommunikation der Verhandlungen gegenüber der Belegschaft erfolgen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, schutzwürdiges Vertrauen verletzt zu haben.31) 1.

Modifizierung der Vergütung

37 Das gemäß dem geltenden Vergütungstarifvertrag zu zahlende Entgelt wird selten zum Verhandlungsgegenstand gemacht. Auch wenn die Realität anders aussieht, setzt der Tarifvertrag im Grundverständnis unseres Wirtschaftssystems (nur) Mindestarbeitsbedingungen fest. Kernelement ist die Wertschätzung der Leistung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber, also die Festlegung des Entgelts für die erbrachte Leistung. 38 Aus der praktischen Erfahrung heraus werden die Tabellenvergütungen als solche selten modifiziert, weil die Gewerkschaft es nur in absoluten Ausnahmefällen mitträgt, den unmittelbaren Wert der Arbeitsleistung ihrer Mitglieder herabzusetzen. Das heißt aber nicht, dass es im Entgeltgefüge keine Eingriffsmöglichkeiten gibt. Die Handlungsoptionen liegen aber woanders. 39 Kann die unmittelbare Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung nicht verändert werden, muss an die sonstigen (zusätzlichen) Entgeltbestandteile gegangen werden. In der Regel wird dies das 13. Gehalt (entweder als echtes 13. Gehalt oder als Weihnachtsgeld) betreffen. Auch das sog. Urlaubsgeld kann gestaltet werden. Das Urlaubsgeld ist eine zusätzlich zum Urlaubsentgelt nach § 11 BUrlG gezahlte Vergütung. Einschnitte hier können erhebliche wirtschaftliche Einsparungen nach sich ziehen. Denkbar ist auch, Zuschläge, etwa für Überstunden/Mehrarbeit, zu vermindern oder ganz auszusetzen. Dies macht aber nur dann Sinn, wenn Mehrarbeit im Unternehmen überhaupt zu erwarten ist. Ist die Insolvenz auch durch eine Minderauslastung – etwa durch Auftragsverluste – bedingt und gibt es einen Personalüberhang, besteht hier kein Handlungsbedarf. Ist dagegen eine Liquiditätskrise mitursächlich und sind die Auftragsbücher voll, mag hier eine Handlungsoption bestehen. 2.

Verlängerung der Arbeitszeit

40 Einer der wesentlichen Inhalte des Flächentarifvertrags ist die Festlegung der Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Es ist in den vergangenen Jahrzehnten die tragende Säule der Tarifpolitik der Gewerkschaften gewesen, dass die Dauer der Arbeitszeit abgesenkt wurde, ohne dass das Entgelt entsprechend verringert wurde. ___________ 31) Gaul/Janz, NZA Beilage 2010, S. 60.

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II. Inhalte eines Sanierungstarifvertrags

In der Krise kann versucht werden, die Dauer der Arbeitszeit zu ändern. Eine 41 Verlängerung kommt dann in Betracht, wenn die Auslastung so hoch ist, dass entweder Aufträge nicht oder nicht rechtzeitig abgearbeitet werden können oder nur mit (zuschlagspflichtiger) Mehrarbeit. Dann mag es sein, dass eine Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit eine Handlungsalternative ist. 42

Praxishinweis Praktisch bewährt hat sich dabei, dass nicht die Dauer der Arbeitszeit an sich erhöht wurde, sondern dass die Beschäftigten dem Unternehmen ein bestimmtes Arbeitszeitvolumen zusätzlich zur tariflichen Wochenarbeitszeit zur Verfügung stellen, das das Unternehmen bei Bedarf abrufen kann. Ob dieses Arbeitszeitvolumen dann noch zu vergüten ist und wenn ja, in welcher Höhe, ist eine Frage des Einzelfalls.

3.

Kurzarbeit

Ist die Krise (auch) durch eine Unterauslastung bedingt, stellt sich die Frage der 43 Arbeitszeitverlängerung nicht. Je mehr ungenutzte Arbeitszeit zur Verfügung steht, desto höher ist der Personalüberhang und desto größer wird die Zahl der zu entlassenden Mitarbeiter werden. Bei einer Unterauslastung können daher die arbeitsmarktpolitischen Instrumente der Kurzarbeit eingesetzt werden. Hier kann dann auch ergänzend der in einigen Tarifverträgen geregelte Zuschuss zum Kurzarbeitergeld tariflich abgesenkt werden, um Kosten zu senken. Denkbar ist auch, Kurzarbeit durch Tarifvertrag statt Betriebsvereinbarung einzuführen.32) 4.

Gegenleistungen für Verzichtsbeiträge

Klassisches Zugeständnis i. R. von Tarifverhandlungen ist der Verzicht auf or- 44 dentliche betriebsbedingte Kündigungen. Ein solches Zugeständnis im Sanierungstarifvertrag kann aber natürlich nur dann gegeben werden, wenn ein Personalabbau nicht erforderlich ist oder bereits vor Abschluss des Tarifvertrags vollzogen wurde. Im Hinblick auf § 113 InsO, der einen solchen tariflichen Ausschluss des Kündigungsrechts kippen würde, wird die Gewerkschaft verlangen, dass Kündigungen nur mit Zustimmung des Betriebsrats oder mit Zustimmung der Gewerkschaft zulässig sind. Ein solcher Zustimmungsvorbehalt wird nicht durch § 113 InsO durchbrochen.33) Ist aber für den Verwalter noch nicht sicher absehbar, ob er kurz- oder mittel- 45 fristig zu Personalanpassungsmaßnahmen gezwungen ist, wird ein nur laufzeitbegrenzter Ausschluss des Kündigungsrechts für ihn nicht vertretbar sein. ___________ 32) Heise/Schwald, NZA 2009, 753, 754. 33) Annuß in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, § 113 InsO Rz. 2; Linck in: HK-InsO, § 113 Rz. 17; a. A. Müller-Glöge in: ErfK, § 113 InsO Rz. 6; Moll in: KPB-InsO, § 113 Rz. 116 m. v. N., und LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.11.2015 – 4 Sa 478/15, ZIP 2016, 737 – Verdrängung durch § 113 Satz 1 InsO, wenn keine Verfahrensregelung zur Herbeiführung einer Entscheidung über Zustimmung des Betriebsrats oder Gewerkschaft.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

Denkbar ist dann aber, einen zeitlich begrenzten Kündigungsausschluss zu vereinbaren, um der Arbeitnehmerseite zumindest für einen überschaubaren Zeitraum Planungssicherheit zu geben. 46 Als weiteres Zugeständnis des Verwalters kommt die Vereinbarung eines sog. Besserungsscheins in Frage. Als solchen bezeichnet man in Anlehnung an § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG eine Regelung, wonach den Arbeitnehmern bei einer nachhaltigen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens Kompensationszahlungen für die geleisteten Verzichtsbeiträge zugesagt werden. 47 Denkbar sind weiterhin Investitionszusagen. Diese sind zwar keine Kompensationen im klassischen Sinne. Mit solchen bindenden Zusagen wird aber das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft auf den Fortbestand des Standorts und damit auch auf den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse bestärkt. Und das Unternehmen profitiert durch die mit den Investitionen einhergehenden wirtschaftlichen Effekte, z. B. Produktivitätssteigerungen. 48 Schließlich mag auch an die Verpflichtung zur Übernahme von Auszubildenden gedacht werden. Eine (begrenzte) Übernahmeverpflichtung ist zwar teilweise in Flächentarifregelungen enthalten. Sie trifft aber zum einen nicht die über Bedarf eingestellten Auszubildenden. Zum anderen geht mit einer solchen Regelung ein weiteres Signal an die Belegschaft, dass das Unternehmen auch in Zukunft Bestand haben wird, einher. III.

Praxisbeispiele

1.

Muster 1: Sanierungstarifvertrag Sanierungstarifvertrag 49 zwischen … §1 Geltungsbereich Dieser Tarifvertrag gilt für alle Beschäftigten der [Firma] an den Standorten [Standort 1] und [Standort 2]. §2 Beschäftigungssicherung (1) 1Eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers ist während der Laufzeit dieses Tarifvertrages grundsätzlich ausgeschlossen. 2 Sie ist aber zulässig, wenn der Betriebsrat ihr zugestimmt hat. 3 In diesem Falle wird die Kündigung erst mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam. 4 Die Zustimmung des Betriebsrats kann nicht ersetzt werden. (2) Der Betriebsrat wird die [Gewerkschaft] im Rahmen des Zustimmungsverfahrens hinzuziehen.

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III. Praxisbeispiele

(3) Beschäftigte sollen im Falle einer Kündigung nach Absatz 1 Satz 2 wirtschaftlich so gestellt werden, als ob diese Vereinbarung auf ihr Arbeitsverhältnis keine Anwendung gefunden hätte. §3 Übernahme von Auszubildenden (1) 1Es ist das Ziel der [Firma], Auszubildende, die ihre Ausbildung im Jahre [Jahreszahl] beenden werden, in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen. 2 Insoweit wurden sie auch nicht über Bedarf ausgebildet. (2) 1Die [Firma] wird während der Laufzeit dieses Vertrages die Ausbildung im bisherigen Umfang beibehalten und strebt an, die Ausgebildeten nach Möglichkeit für mindestens ein Jahr zu übernehmen. 2 Im Übrigen gelten die entsprechenden tariflichen Bestimmungen. §4 Investitionen Zur nachhaltigen Sicherung des Standortes und der Arbeitsplätze in [Standort1] wird die [Firma] in [Standort 1] die folgenden Investition(en) vornehmen: im Wert von ca. X € bis zum [Datum] §5 Sanierungsbeiträge (1) 1Der Anspruch auf „Weihnachtsgeld“ (Teil eines 13. Monatseinkommens) besteht für das Jahr [Jahreszahl] nur zu 50 % des tariflichen Anspruchs. 2 Dieses Weihnachtsgeld ist am [Datum] ausgezahlt worden. (2) Für die Jahre [Jahreszahl] bis [Jahreszahl] besteht der Anspruch auf Weihnachtsgeld und zusätzliche Urlaubsvergütung (ZUV) jeweils nur zu 50 % des tariflichen Anspruchs. (3) 1Der Anspruch auf eine Einmalzahlung gemäß § 2 Ziff. 3 des Entgeltabkommens vom [Datum] besteht nicht. 2 Der Anspruch auf die dort in § X Ziff. X vereinbarte Tariferhöhung über X % wird wie folgt geändert: „Ab dem Jahr [Jahreszahl] bis zum Jahr [Jahreszahl] erhalten die Beschäftigten eine Tariferhöhung von je X %, im Jahre [Jahreszahl] erhalten die Beschäftigten eine Tariferhöhung von X % und im Jahre [Jahreszahl] von X %. Der Zeitpunkt der Tariferhöhung wird im Einvernehmen zwischen den Betriebsparteien festgelegt, wobei dieser Zeitpunkt in den Monaten März bis Juni des Jahres liegen muss. Im Falle der Nichteinigung der Betriebsparteien erfolgt die Tariferhöhung zum 1. [Monat] des jeweiligen Jahres.“ (4) 1Die für das Jahr [Jahreszahl] vereinbarte Einmalzahlung in Höhe von X € (gesamt) wird den Beschäftigten nur zu 50 % (X €) mit der Entgeltabrechnung für den Monat Mai gezahlt. 2 Die für das Jahr [Jahreszahl] vereinbarte tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte in Höhe von X % wird auf den [Datum] verschoben. Schöne

319

§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

(5) 1Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass zukünftige Tarifvereinbarungen, die eine Anhebung der Monatsgrundentgelte oder sonstiger Entgeltbestandteile mit zeitlicher Wirkung auf die Laufzeit dieses Tarifvertrages vorsehen, oder die eine Verpflichtung zu Einmalzahlungen beinhalten, nur mit Zustimmung der Tarifparteien dieses Sanierungsvertrages unmittelbar wirksam werden. 2 Kommt eine Einigung hierüber nicht zustande, gilt Folgendes: Tabellenwirksame Erhöhungen der Entgelte werden grundsätzlich um jeweils X Monate, auch über die Laufzeit dieses Tarifvertrages hinaus, verschoben. 3 Die Parteien werden jedoch spätestens sechs Monate vor Ablauf dieses Tarifvertrages in Verhandlungen darüber eintreten, wie eine schrittweise Anpassung der Entgelte an die nach Ablauf dieses Tarifvertrages geltenden Entgelte im Flächentarif schon während seiner Laufzeit vorgenommen werden kann. (6) 1Die Beschäftigten stellen dem Arbeitgeber für die Laufzeit dieses Tarifvertrages ein zusätzliches unentgeltliches Arbeitsvolumen von jährlich jeweils X Stunden zur Verfügung, das bei Bedarf – nach Vereinbarung mit dem Betriebsrat über die Lage – abgerufen werden kann. 2 Die Parteien sind sich darüber einig, dass dieses zusätzliche Arbeitsvolumen durch den Arbeitgeber nur dann in Anspruch genommen wird, wenn dies aus betrieblichen Gründen (z. B. bedingt durch die Auftragslage) erforderlich ist. 3 Der Arbeitgeber weist dies gegenüber dem Betriebsrat nach. Eine Übertragung eines nicht ausgeschöpften Arbeitszeitvolumens auf das Folgejahr erfolgt nicht. §6 Erfolgsbeteiligung (1) Die Beschäftigten erhalten eine Erfolgsbeteiligung als Anerkennung ihrer Sanierungsbeiträge gemäß § 5, wenn die entsprechenden – vorher mit dem Betriebsrat zu beratenden – Schwellenwerte überschritten werden: –

EBITDA für das Jahr [Jahreszahl1]:

X€



EBITDA für das Jahr [Jahreszahl2]:

X€



EBITDA für die Jahre [Jahreszahl3] bis [Jahrszahl4]:

320

Pro Jahr jeweils X €



Wird der Schwellenwert für das Jahr [Jahreszahl1] erreicht, erhalten die Beschäftigten eine Einmalzahlung bis zu einem Betrag in Höhe der gemäß § 5 Abs. 1 gekürzten Leistungen.



Wird der Schwellenwert für das Jahr [Jahreszahl2] erreicht, erhalten die Beschäftigten eine Einmalzahlung bis zu einem Betrag in Höhe der gemäß § 5 Abs. 2 und § 5 Abs. 5 Satz 1 gekürzten Leistungen.



Wird in den folgenden Geschäftsjahren der Laufzeit dieses Tarifvertrages der Schwellenwert im jeweiligen Kalenderjahr erreicht, erhalten die Beschäftigten eine Einmalzahlung bis zu einem Betrag in Höhe der gemäß § 5 Abs. 2 für das betreffende Kalenderjahr gekürzten Leistungen.

Schöne

III. Praxisbeispiele

(2) 1Das Gesamtvolumen der Einmalzahlung berechnet sich aus dem den Schwellenwert für das jeweilige Jahr übersteigenden Betrag. 2 Reicht dieses Volumen nicht für eine vollständige Auszahlung der Einmalzahlung, erfolgt eine anteilige Kürzung. (3) Der Auszahlungszeitpunkt ist jeweils mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. §7 Besserungsschein 1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass die von den Beschäftigten geleisteten Sanierungsbeiträge in einen Besserungsschein überführt werden sollen, soweit sie nicht als Einmalzahlung ausgezahlt worden sind. 2 Dieser Besserungsschein soll eine Laufzeit von fünf Jahren nicht überschreiten. §8 Laufzeit 1 Dieser Tarifvertrag tritt am [Datum] in Kraft und endet am [Datum] ohne Nachwirkung. 2 Die Regelung zum Besserungsschein (§ 7) wirkt nach. Ort, Datum Unterschriften 2.

Muster 2: Firmenbezogener Verbandstarifvertrag Firmenbezogener Verbandstarifvertrag zwischen … wird mit Zustimmung der Geschäftsleitung der FIRMA sowie des SACHWALTERs

50

folgendes vereinbart: §1 Abweichung von Flächentarifregelungen (1) 1Abweichend von § 3 Ziff. 1 EMTV beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden. Die Anhebung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 38,5 Stunden erfolgt ohne Lohnausgleich. 2 Die Auszubildenden sind von dieser Regelung nicht betroffen. (2) Für diejenigen Arbeitnehmer, mit denen eine individuelle Entgeltregelung vereinbart wurde, verringert sich das zu zahlende Monatsbruttoentgelt ab [Datum] um X %.

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§ 14 Gestaltung tariflicher Arbeitsbedingungen durch Sanierungstarifvertrag

(3) Für Teilzeitkräfte besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen einer zehnprozentigen Anhebung der individuellen Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich oder einer entsprechenden Entgeltminderung. (4) Die gemäß § 2 Ziff. 2 b) EA mit Wirkung ab dem … vorgesehene Erhöhung der Monatsgrundentgelte wird – unter Beachtung der Minderung der Monatsgrundentgelte gemäß Absatz 2, 3 – auf den … verschoben. (5) Die gemäß § 4 Ziff. 2 b) EA mit Wirkung ab dem … vorgesehene Erhöhung der Ausbildungsvergütungen wird auf den … verschoben. (6) Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass Tarifvereinbarungen, die eine Anhebung der Monatsgrundentgelte oder sonstiger Entgeltbestandteile mit zeitlicher Wirkung für die Laufzeit dieses Sanierungstarifvertrages vorsehen, erst nach Beendigung dieses Sanierungstarifvertrages wirksam werden. (7) Die gemäß dem Einheitlichen Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens (ETV 13. ME) zu gewährenden Leistungen werden für das Jahr [Jahreszahl] und das Jahr [Jahreszahl] um X % gemindert. (8) 1Die Beschäftigten haben für das Urlaubsjahr [Jahreszahl] keinen Anspruch auf die zusätzliche Urlaubsvergütung gemäß § 14 Ziff. 1 Abs. 2 EMTV. 2 Es wird jedoch vereinbart, dass in Abhängigkeit des für das Jahr [Jahreszahl] erreichten Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit vor Zinsen (EBIT) nach folgender Staffelung eine (Teil-)Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung erfolgt: – EBIT [Jahreszahl]: [Betrag] € = X1 % Auszahlung – EBIT [Jahreszahl]: [Betrag] € = X2 % Auszahlung – EBIT [Jahreszahl]: [Betrag] € = 100 % Auszahlung. 3 Die Fälligkeit der (Teil-)Auszahlung richtet sich nach Satz 5 bis 8. 4 In Abhängigkeit des erreichten EBIT im 1. Quartal [Jahreszahl] (Q1) erfolgt im [Monat] [Jahreszahl] eine Abschlagszahlung auf die ggf. gemäß Satz 1 bis 3 zu leistende (Teil-)Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung nach folgender Staffelung: – EBIT Q1 [Jahreszahl]: [Betrag] € = ¼ x X1 % – EBIT Q1 [Jahreszahl]: [Betrag] € = ¼ x X2 % – EBIT Q1 [Jahreszahl]: [Betrag] € = ¼ x 100 %. 5 Mit Feststellung des EBIT für das Jahr [Jahreszahl] im [Monat] [Jahreszahl] ist die nach Satz 1 bis 3 zu zahlende zusätzliche Urlaubsvergütung fällig. 6 Eine erfolgte Auszahlung nach Satz 4 ist hierbei anzurechnen. 7 Ergibt sich, dass für das Jahr [Jahreszahl] das EBIT nach Satz 1 bis 3 nicht erreicht wurde und somit die zusätzliche Urlaubsvergütung nicht zu zahlen ist, ist eine nach Satz 4 erfolgte Abschlagszahlung zurückzuzahlen. 8 Die Rückzahlung erfolgt durch Verrechnung mit der Vergütung für [Monat] [Jahreszahl].

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III. Praxisbeispiele

§2 Beschäftigungssicherung 1 Eine betriebsbedingte Beendigungskündigung, die während der Laufzeit dieses Tarifvertrages gegenüber einem Arbeitnehmer ausgesprochen werden soll, der von den unter § 2 genannten Maßnahmen betroffen ist, bedarf zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung des Betriebsrates. 2 Der Arbeitnehmer ist im Falle einer solchen Kündigung wirtschaftlich so zu stellen, als ob dieser Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung gefunden hätte. 3 Im Hinblick auf den durch die Anhebung der Wochenarbeitszeit erlittenen geldwerten Einkommensverzicht ist dabei allerdings nur das Monatsgrundentgelt ohne Mehrarbeitszuschläge zu berücksichtigen. §3 Besserungsschein 1 Mit Ablauf dieses Tarifvertrages werden Gespräche zwischen den vertragsschließenden Parteien darüber aufgenommen, den von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingebrachten Entgeltverzicht hinsichtlich der Einmalzahlungen in einen Besserungsschein zu überführen. 2 Dieser Besserungsschein soll eine maximale Laufzeit von fünf Jahren nicht überschreiten. §4 Inkrafttreten und Laufzeit 1 Dieser Tarifvertrag tritt mit Wirkung ab dem [Datum] in Kraft. 2 Er gilt befristet bis zum [Datum] und endet mit Ablauf des [Datum] bis auf den Besserungsschein ohne Nachwirkung. Ort, Datum Unterschriften

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§ 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren

Frommhold

Übersicht I.

Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO............................ 1 1. Überblick und Zweck des Schutzschirmverfahrens..................... 1 2. Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens ................................ 5 II. Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren ...... 11 1. Die Vorbereitung des Insolvenzplans im Schutzschirmverfahren ..... 12 2. Begründung von Masseverbindlichkeiten........................................... 17

3.

Insbesondere: Sozialversicherungsbeiträge im Schutzschirmverfahren................................ 22 4. Vorfinanzierung von Insolvenzgeld ........................................... 25 5. Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Schutzschirm- und Planverfahren.................................... 29 6. Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der Eigenverwaltung............................... 34 III. Zusammenfassung .......................... 37

Literatur: Commandeur/Schaumann, Neuere Entwicklungen im Insolvenzrecht, NZG 2012, 620; Ganter, Zur drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 270b InsO, NZI 2012, 985; Göpfert/Brune, Die Rechtsstellung der Arbeitnehmer im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren, NZI-Beilage 2017, 43; Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG- Herausforderungen für die Praxis, ZIP 2012, 158; Köster/Feil, Insolvenzanfechtung von Sozialversicherungsbeiträgen im Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO, NZI 2016, 763; Kraft/Lambrecht, Die Anwendbarkeit des § 113 InsO auf im Eröffnungsverfahren begründete Arbeitsverhältnisse, NZI 2015, 639, Lakies, Die arbeitsrechtliche Bedeutung der Eigenverwaltung in der Insolvenzordnung, BB 1999, 1759.

I.

Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO

1.

Überblick und Zweck des Schutzschirmverfahrens

Neben dem Schutz der Gläubiger besteht die Intention der InsO in der Er- 1 möglichung der Sanierung der von Insolvenz betroffenen Unternehmen. Unternehmenssanierungen bedingen regelmäßig auch grundlegende betriebliche Änderungen, die wiederum arbeitsrechtlichen Handlungsbedarf auslösen.1) Aus diesem Grund enthalten die §§ 103 und §§ 120 bis 128 InsO Sonderregeln, die das allgemeine Arbeitsrecht modifizieren und die selbstbestimmte Restrukturierung insolventer Unternehmen erleichtern sollen. Die Geltung der erleichternden Bestimmungen des Insolvenzarbeitsrechts ist jedoch grundsätzlich geknüpft an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Aber nicht erst ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind insolvenzarbeitsrechtliche Besonderheiten zu beachten. Auch bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren bestehen Gestaltungsmöglichkeiten. Der Gesetzgeber hat in § 270b InsO durch Implementierung des sog. Schutz- 2 schirmverfahrens eine sanierungsorientierte Modifizierung des vorläufigen In___________ 1) Schöne in: Kübler, HRI, § 55 Rz. 96.

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325

§ 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren

solvenzverfahrens vorgesehen. Mit dem Schutzschirmverfahren soll dem Schuldner zwischen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung ein eigenständiges Sanierungsverfahren zur Verfügung gestellt werden.2) Dem schuldnerischen Unternehmen soll es möglich sein, unter Beibehaltung der handelnden Organe eine finanz- und ggf. auch leistungswirtschaftliche Restrukturierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens vorzubereiten.3) Hiermit soll dem Kontrollverlust vorgebeugt werden, der durch ein vorläufiges Insolvenzverfahren mit der mangelnden Vorhersehbarkeit des vom Insolvenzgericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters oftmals einhergeht. 3 Das Schutzschirmverfahren sieht einen für den Schuldner disponiblen Vollstreckungsschutz und die Vermeidung weitergehender Sicherungsmaßnahmen des Eröffnungsverfahrens vor. Im Schutzschirmverfahren hat der Schuldner das Recht, den nur überwachend tätigen vorläufigen Sachwalter vorzuschlagen; das Gericht darf von diesem Vorschlag nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich nicht geeignet ist. Insbesondere ist die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ausgeschlossen. 4 In dem bis zu drei Monaten dauernden Zeitraum der Durchführung des Schutzschirmverfahrens soll der Schuldner Gelegenheit haben, einen Insolvenzplan auszuarbeiten. Die Regelung soll das Vertrauen der Schuldner in das Insolvenzverfahren stärken und gleichzeitig einen Anreiz schaffen, frühzeitig einen Eröffnungsantrag zu stellen. Das Schutzschirmverfahren stellt damit eine besondere Ausgestaltung des Insolvenzeröffnungsverfahrens dar. 2.

Voraussetzungen des Schutzschirmverfahrens

5 Voraussetzung für den Antrag auf Anordnung eines Schutzschirms ist die noch vorhandene Zahlungsfähigkeit des Schuldners; entsprechend dürfen lediglich die Insolvenzgründe Überschuldung (§ 19 InsO) oder drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) vorliegen. Indes hindert der spätere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Durchführung eines bereits angeordneten Schutzschirmverfahrens nach allgemeiner Ansicht4) nicht; vielmehr soll hier die – allerdings unverzügliche – Mitteilung an das Insolvenzgericht genügen (§ 270b Abs. 4 Satz 3 InsO). 6 Der Antrag auf Einleitung des Schutzschirmverfahrens gemäß § 270b InsO muss des Weiteren die Anordnung der Eigenverwaltung des Schuldners beinhalten, da Ziel des Schutzschirms die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens in Eigenverwaltung ist. ___________ 2) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 60. 3) Koch/Jung in: Kübler, HRI, § 8 Rz. 4. 4) Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, § 270b Rz. 38; Ganter, NZI 2012, 985.

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I. Das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO

Das Schutzschirmverfahren wird nur auf Antrag des Schuldners angeordnet. 7 Neben dem Eröffnungsantrag ist auch der Antrag auf Durchführung der Sanierungsvorbereitung erforderlich. Dabei ist insbesondere die Vorlage einer Bescheinigung einer qualifizierten Person, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und zudem die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, zwingend. Voraussetzungen:

8

x

Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO);

x

Eröffnungsantrag des Schuldners;

x

Antrag auf Eigenverwaltung;

x

Antrag auf Durchführung der Sanierungsvorbereitung.

Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, so entscheidet das Insolvenzge- 9 richt über die Rechtsfolgen und trifft folgende Anordnungen: x

Auf Antrag des Schuldners: Anordnung des Insolvenzgerichts, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen kann (§ 270b Abs. 3 InsO);

x

Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (§ 270a Abs. 1 InsO);

x

Anordnung eines Vollstreckungsverbots gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO auf Antrag des Schuldners;

x

Setzen einer Frist von bis zu maximal drei Monaten, binnen derer ein Insolvenzplan vorzulegen ist (Schutzschirmzeitraum);

x

Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1a, 3 – 5 (insbesondere Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses und Gewährung von Nutzungsrechten hinsichtlich Gegenständen, die mit Ausund Absonderungsrechten belastet sind) nach richterlichem Ermessen.

Wenn das Konzept, das dem Schutzschirm zugrunde lag, sich offensichtlich 10 nicht plangemäß entwickelt, hat das Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 4 Satz 3 InsO nach Aufhebung der Anordnung oder nach Ablauf der zunächst für den Schutzschirm gesetzten Frist über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden. Ob die Insolvenzgerichte zukünftig neben dem vom Schuldner vorgeschlagenen Sachwalter einen weiteren, vom Sachwalter personenverschiedenen Sachverständigen bestellen, der als neutrale, schuldnerfremde Person den Prozess überwacht und parallel prüft, ob das Vermögen des Schuldners die Verfahrenskosten deckt, bleibt abzuwarten, ist aber überwiegend wahrscheinlich und in der Vergangenheit bereits erfolgt.5)

___________ 5) Commandeur/Schaumann, NZG 2012, 620, 621.

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§ 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren

II.

Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren

11 Mit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt es zu keiner Veränderung der Parteistellungen der jeweiligen Arbeitsverhältnisse des Schuldners. Dies gilt auch im Schutzschirmverfahren, so dass die jeweils handelnden Organe Arbeitgeber bleiben. Erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Arbeitgeberstellung auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO); er rückt mit der Eröffnung in die Arbeitgeberstellung ein und nimmt sämtliche hiermit verbundenen Rechte ein. Sämtliche arbeitsvertraglichen Grundlagen werden alleine von der Antragstellung nicht berührt. Auch während des Schutzschirmverfahrens bleibt der Schuldner insbesondere zunächst auch befugt neue Arbeitsverhältnisse einzugehen.6) Dabei ist die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters nur in den Fällen des §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 275 Abs. 1 InsO erforderlich, wenn Arbeitsverhältnisse begründet werden, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Schuldners gehören. 1.

Die Vorbereitung des Insolvenzplans im Schutzschirmverfahren

12 Der Insolvenzplan ist wesentlicher nachfolgender Teil des Schutzschirmverfahrens. Durch den Insolvenzplan erhält der Schuldner die Möglichkeit, das Unternehmen zu erhalten und in eigener Verantwortung zu restrukturieren. Der Insolvenzplan gibt dem Schuldner und dessen Beratern insbesondere die Möglichkeit von insolvenzrechtlichen Vorschriften abzuweichen. Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens ist ein solcher Insolvenzplan innerhalb von max. drei Monaten nach Antragsstellung auszuarbeiten. Das Gericht hat dabei die Möglichkeit auch eine kürzere Frist zu setzen. 13 Bestandteil eines solchen Insolvenzplans muss u. a. die Gruppenbildung gemäß § 222 InsO sein, wobei in jedem Verfahren, in dem die Arbeitnehmer mehr als nur unerhebliche Forderungen haben, für diese eine eigene Gruppe zu bilden ist (§ 222 Abs. 3 InsO). Im Insolvenzplanverfahren ist die Schlechterstellung einzelner Gläubigergruppen, also die Reduzierung der Befriedigungsabsichten gegenüber der in einem Regelinsolvenzverfahren zu erwartenden Befriedigung, nur mit Zustimmung aller betroffenen Insolvenzgläubiger möglich.7) Ansprüche der Arbeitnehmer können daher im Insolvenzplan geregelt und ggf. beschränkt werden. Unproblematisch ist dies für Insolvenzforderungen der Fall, denn ein Verzicht i. S. von § 4 Abs. 3 TVG oder § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG wird in der Regel wegen der wirtschaftlicher Bedeutungslosigkeit dieser Ansprüche nicht vorliegen. 14 Soll die Sanierung durch besondere Zugeständnisse einzelner Gläubigergruppen – etwa der Arbeitnehmer – ermöglicht werden, wird auch die Bescheinigung gemäß § 270b InsO sich über die in Aussicht genommenen Maßnahmen ___________ 6) Plössner in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 29 Rz. 10. 7) Hölzle, ZIP 2012, 158, 161.

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II. Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren

verhalten müssen. Damit besteht im Schutzschirmverfahren ein besonderes Interesse daran, jedenfalls innerhalb der Dauer des Schutzschirmes den Insolvenzplan im Einzelnen auszuarbeiten, die dort getroffenen Regelungen auf Ihre Konsensfähigkeit zu überprüfen und – bestenfalls – i. S. eines „Pre-PackagedPlans“ gemäß § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO auszuarbeiten. Da die vom Schuldner angestrebte Sanierung bereits in der beim Antrag auf das Schutzschirmverfahren vorzulegenden Bescheinigung als „nicht offensichtlich aussichtslos“ bestätigt werden muss, wäre insbesondere bei einer angestrebten Sanierung unter Einbeziehung erheblicher Verzichte der Arbeitnehmer damit möglicherweise bereits vor Antragstellung jedenfalls die grundsätzliche Bereitschaft der Arbeitnehmer und ggf. zuständigen Gewerkschaft, diese Verzichte zu leisten, zu eruieren. Den Betriebspartnern und Tarifvertragsparteien kommt damit bereits im Vorfeld der Insolvenzeröffnung die Aufgabe zu, wesentliche Sanierungsmaßnahmen jedenfalls vor zu verhandeln, um dem Austeller der Bescheinigung gemäß § 270b InsO die Möglichkeit zu geben, zu etwaigen Verzichten Aussagen i. R. der Bescheinigung zu treffen. Jedenfalls dürfte eine ernsthafte Verweigerung der zu beteiligenden Arbeitnehmer- oder deren Vertretungen zu dringend benötigten Arbeitnehmerbeiträgen bei der Beurteilung der Frage nach der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens nicht unerwähnt bleiben. Spätestens nach Ablauf der Drei-Monats-Frist gemäß § 270b Abs. 1 Satz 2 InsO 15 endet der Schutzschirmzeitraum, innerhalb dessen dem Schuldner und seinen Beratern die Möglichkeit geben werden sollte, eine Eigensanierung zu konzipieren und diese im eröffneten Insolvenzverfahren umzusetzen. Jedenfalls binnen dieses Zeitraums sollten die von den Arbeitnehmern erwarteten und für die Sanierung gemäß dem vorzulegenden Plan erforderlichen Verzichte (vor-)verhandelt und ggf. im gestaltenden Teil des Insolvenzplans abgebildet werden. Da sowohl Betriebsrat als auch Sprecherausschuss gemäß § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO das Recht zur Stellungnahme zum vorgelegten Insolvenzplan haben, sollte bereits aus diesem Grund der wesentliche Teil der Verhandlungen abgeschlossen und eine mehr als nur vage Aussicht, etwaig im Plan abgebildeten Sanierungsmaßnahmen und Verzichte kurzfristig umsetzen zu können, bestehen. Das Schutzschirmverfahren dürfte insoweit zu einer deutlichen Straffung der (Tarif-)Verhandlungen bei der angestrebten Sanierung führen. Das Bedürfnis, innerhalb von drei Monaten Verhandlungsergebnisse zwar nicht unterschrieben, aber jedenfalls ihren wesentlichen Grundzügen nach verhandelt zu haben, dürfte die sonst bei Tarifvertragsverhandlungen gelegentlich anzutreffenden Verzögerungstaktiken bis hin zu Arbeitskampfmaßnahmen weitgehend verhindern. Andererseits dürften insbesondere bei komplexen Sanierungsprozessen in größeren Verfahren die erforderlichen Vorarbeiten im Vorfeld der Tarifverhandlungen, wie etwa die sachverständige Begutachtung der Unternehmenskennzahlen und Finanzplanung, kaum zu leisten sein. Hier ist eine sorgfältige Vorbereitung bereits im Vorfeld der Antragsstellung unabdingbar.

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§ 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren

16 Neben der Gruppenbildung kann durch den Insolvenzplan auch in die Stellung des Arbeitnehmers als Insolvenzgläubiger eingegriffen werden. Im Insolvenzplan sind Regelungen, die die Befriedigung der Arbeitnehmer betreffen, zulässig.8) So ist der Arbeitnehmer insbesondere mit seinen offenen Lohnforderungen, die vor der Insolvenz entstanden sind, als Insolvenzgläubiger auch am Insolvenzplan beteiligt. Gemäß §§ 217, 254 Abs. 1 InsO ist ein Eingriff möglich. Masseforderungen sind dagegen nicht vom § 217 InsO erfasst. 2.

Begründung von Masseverbindlichkeiten

17 In der kritischen Phase des Eröffnungsverfahrens ist es besonders geboten, das Vertrauen der Geschäftspartner zu gewinnen, deren Mitwirkung für eine Betriebsfortführung unerlässlich ist.9) Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dem Schuldner die Ermächtigung einzuräumen, Masseverbindlichkeiten zu begründen. 18 Hinsichtlich der Begründung von Masseverbindlichkeiten findet im Schutzschirmverfahren § 270b Abs. 3 InsO Anwendung: Die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, mithin auch die Möglichkeit zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, wird nur dem Schuldner selbst erteilt. Das gleiche soll nach teilweise vertretener Ansicht im Verfahren gemäß § 270a InsO gelten.10) Nach a. A. soll die Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nur dem vorläufigen Sachwalter eingeräumt werden.11) 19

Praxishinweis Insbesondere bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten zum Zwecke der Insolvenzgeldfinanzierung sollte frühzeitig das Vorgehen zwischen dem Insolvenzgericht, der Bundesagentur für Arbeit, den Organen der Schuldnerin und dem (vorläufigen) Sachwalter abgestimmt werden, um in der zeitkritischen Phase unmittelbar nach Insolvenzantragstellung Verzögerungen zu vermeiden.

20 Regelmäßig wird sich der Schuldner im Schutzschirmverfahren die Ermächtigung einräumen lassen, Masseverbindlichkeiten zu begründen (§§ 270b Abs. 3, 55 Abs. 2 InsO). Tut er dies i. R. einer Globalermächtigung,12) steht er grundsätzlich einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter gleich.13) 21 Es steht nicht in seinem Belieben, ob er im Einzelfall Masseverbindlichkeiten oder Insolvenzforderungen begründet. Maßgebend hierfür ist allein das Gesetz, ___________ Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 14. Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 = NZI 2013, 91. AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67 g IN 74/12, NZI 2012, 566. Zur Zulässigkeit verneinend z. B. BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt); BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 = ZIP 2010, 141, dazu EWiR 2010, 155 (Voß). 13) Beschlussempfehlung und Bericht d. RA z. ESUG, BT-Drucks. 17/7511, S. 37; Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 326a.

8) 9) 10) 11) 12)

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II. Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren

insbesondere § 55 Abs. 2 InsO.14) Der vorläufige Sachwalter ist zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht befugt; er hat lediglich dem schuldnerischen Antrag zuzustimmen, wenn das zugrundeliegende Rechtsgeschäft nicht in den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb fällt.15) 3.

Insbesondere: Sozialversicherungsbeiträge im Schutzschirmverfahren

Auch im Insolvenzgeldzeitraum besteht grundsätzlich die gesetzliche Verpflich- 22 tung zur Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung. Bezüglich der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung besteht aufgrund konkurrierender Pflichtenanordnungen im Zeitraum der Insolvenzgeldvorfinanzierung eine Pflichtenkollision. Soweit der Schuldner unter dem Schutzschirm im Insolvenzgeldzeitraum Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abführt, droht eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB, wonach das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt strafbewehrt ist, sowie ergänzend die zivilrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB. Führt der Schuldner Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung hingegen an die Einzugsstelle ab, besteht ein Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue nach § 266 StGB sowie wegen Gläubigerbegünstigung nach § 283c Abs. 1 StGB, weil ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gläubigergleichbehandlung und Masseerhaltung vorliegen könnte, sowie eine Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG bzw. §§ 92 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6 AktG. Der Schuldner kann sich zur Lösung des Konflikts die Ermächtigung einräu- 23 men lassen, die Sozialversicherungsbeiträge als Masseverbindlichkeit zu begründen. Dies hat jedoch weitreichende Folgen für die spätere Anfechtbarkeit; denn nach der Rechtsprechung soll die Anfechtung der nach Erteilung der Ermächtigung gezahlten Sozialversicherungsbeiträge dann nicht mehr möglich sein, weil die Ansprüche auf Zahlung der Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung Masseverbindlichkeiten darstellen.16) 24

Praxishinweis Insbesondere zur Vermeidung einer Strafbarkeit gemäß § 266a StGB sollte der Schuldner beim Insolvenzgericht eine Einzelermächtigung beantragen; diese Möglichkeit hat der BGH ausdrücklich bestätigt. Führt er auf Grundlage einer Generalermächtigung Sozialversicherungsbeiträge und Steuern ab, kann der (spätere) Sachwalter sie selbst bei offen angekündigter Anfechtung nicht anfechten, weil er damit sodann Masseverbindlichkeiten bedient hat, deren Anfechtung ausscheidet.

___________ 14) BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372 = ZIP 2016, 1295, dazu EWiR 2016, 501 (Hofmann). 15) Seagon in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 26 Rz. 21; a. A. AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787 = NZI 2012, 566, dazu EWiR 2012, 361 (Zipperer). 16) BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372 = ZIP 2016, 1295.

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§ 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren

4.

Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

25 Von erheblicher Relevanz ist das Bestehen des Anspruchs auf Insolvenzgeld, da dies die Fortführung des Geschäftsbetriebs des schuldnerischen Unternehmens erst möglich macht und damit regelmäßig Grundpfeiler der angestrebten Sanierung ist. Durch das Insolvenzgeld wird der Anspruch des Arbeitnehmers auf seinen Arbeitslohn gesichert. 26 Da die Einführung des Schutzschirmverfahrens das Instrument der Vorfinanzierung der Arbeitsentgeltansprüche nach § 165 SGB III unberührt gelassen hat, besteht grundsätzlich wie bei der Eigenverwaltung im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a InsO auch während der Eigenverwaltung unter einem Schutzschirm gemäß § 270b InsO die Möglichkeit der kollektiven Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen, nachdem der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt und das Gericht das Schutzschirmverfahren angeordnet sowie einen vorläufigen Sachwalter bestellt hat.17) Die Agentur für Arbeit darf der Vorfinanzierung nur zustimmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass hierdurch die ein erheblicher Teil der Arbeitsstellen erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III). Gleichzeitig handelt es sich bei der Vorfinanzierung nicht um ein Rechtsgeschäft im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb, so dass die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters einzuholen ist. 27

Praxishinweis Da eine einheitliche Rechtsprechung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Schutzschirmverfahren nicht existiert, da die Entscheidungen der Amtsgerichte nicht beschwerdefähig sind, empfiehlt es sich, für die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch die Vorfinanzierung eine Einzelermächtigung zu beantragen.

28 Die Gewährung von Insolvenzgeld hängt auch im Fall einer vorläufigen Eigenverwaltung unter einem Schutzschirm vom Eintritt eines (späteren) Insolvenzereignisses ab. Kommt es z. B. zu einer Sanierung des Unternehmens, ohne dass das Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnet oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ablehnt, scheidet die Gewährung von Insolvenzgeld ggf. auch trotz vorheriger Genehmigung der Vorfinanzierung aus. Praxisrelevant waren in der Vergangenheit auch Fälle, in denen der Schuldner den Insolvenzantrag zurückgenommen hat, so dass es nicht zur Eröffnung des Verfahrens und nicht zum insolvenzgeldauslösenden Ereignis gekommen ist. Die vorfinanzierenden Banken begegnen diesem Risiko zumeist durch Einräumung von Sicherheiten und Schuldbeitritt der Organe des Schuldners, um die Rücknahme zu verhindern. Kommt es dagegen zu einem ___________ 17) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Insolvenzgeld, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016429.pdf (Abrufdatum: 23.4.2019).

332

Frommhold

II. Arbeitsrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren

Insolvenzereignis, so ist die Gewährung des Insolvenzgeldes ein wichtiger Bestandteil des Schutzschirmverfahrens und des Gelingens der Sanierung. 5.

Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Schutzschirm- und Planverfahren

Während des Schutzschirmverfahrens behält der Schuldner die Befugnis, Ar- 29 beitsverträge zu kündigen. Nach § 113 Satz 1 InsO können Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Dies gilt nach § 279 Satz 1 InsO auch im Schutzschirmverfahren.18) Um eine Kündigung auszusprechen zu können, bedarf es nicht der Zustimmung des vorläufigen Sachwalters, wohingegen eine ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.19) Darüber hinaus können, wie bereits dargestellt, im Insolvenzplan Regelungen 30 getroffen werden, die die Beendigung von Arbeitsverhältnissen betreffen. Allerdings sind im Schutzschirmverfahren getroffene Vereinbarungen, durch welche die Anwendung des § 113 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, nach § 119 InsO unwirksam.20) Eine Abweichung von den Kündigungsfristen ist nur nach Maßgabe des § 622 Abs. 4 und Abs. 5 BGB möglich. Darüber hinaus ist für eine Kürzung der Kündigungsfrist stets die schriftlich dokumentierte Zustimmung des Arbeitnehmers bzw. des Tarifvertragspartners erforderlich. Die erleichterte Kündigung nach § 113 InsO, der Abschluss eines Insolvenzso- 31 zialplans gemäß §§ 123 f. InsO sowie der eines Interessenausgleichs mit Namensliste gemäß § 125 InsO ist an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geknüpft und soll nur im Einvernehmen mit dem Sachwalter erfolgen. Allerdings ist das fehlende Einvernehmen jedenfalls im Verhältnis zu den Arbeitnehmern und Betriebsparteien unbeachtlich, die Handlungen des Schuldners gleichwohl wirksam.21) Die Ausübung der Rechte aus § 120 InsO (Kündigung von Betriebsvereinbarungen), § 122 InsO (Beschlussverfahren auf vorzeitige Durchführung einer Betriebsänderung) und § 126 InsO (Beschlussverfahren auf Feststellung der Wirksamkeit von Kündigungen) bedarf allerdings der Zustimmung des Sachwalters, die bei Ausspruch der Kündigung bzw. im Falle der Beschlussverfahren bis zum Anhörungstermin vorliegen muss.22) ___________ 18) BAG, Urt. v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, ZIP 2017, 1083 = NZA 2017, 995, dazu EWiR 2017, 443 (Stütze). 19) Plössner in: Mohrbutter/Ringstmeier, Hdb. Insolvenzverwaltung, Kap. 29 Rz. 10; Braun-Beck, InsO, § 113 Rz. 15; zum Zustimmungserfordernis des vorläufigen Insolvenzverwalters BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161 = NZA 2003, 909, dazu EWiR 2004, 709 (Peters-Lange). 20) BAG, Urt. v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, ZIP 2017, 1083 = NZA 2017, 995. 21) Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 335a. 22) Lakies, BB 1999, 1759.

Frommhold

333

§ 15 Arbeitsrecht im Schutzschirmverfahren

32 Darüber hinaus stellt sich eine besondere Problematik hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 113 InsO für den Fall eines während des Schutzschirmverfahrens neu begründeten Arbeitsverhältnisses. Für die Frage der Anwendbarkeit des § 113 InsO ist zunächst entscheidend, ob der Schuldner vom Gericht dazu ermächtigt worden ist, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Wurde eine solche Ermächtigung erteilt, soll die Anwendbarkeit des § 113 InsO ausgeschlossen sein, weil es ein widersprüchliches Verhalten darstellen und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der Schuldner in Kenntnis der wirtschaftlichen Lage Arbeitsverhältnisse mit langfristigen Kündigungsfristen zu Lasten der Masse begründe und nach Eröffnung mit verkürzter Frist des § 113 Satz 1 InsO wieder kündigen könne.23) 33 Ob dem Schuldner, der nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt ist, auch der Rückgriff auf den § 113 InsO verwehrt ist, ist umstritten. Das Spannungsverhältnis ergibt sich aus dem Umstand, dass der Schuldner durch das neu begründete Arbeitsverhältnis nicht die Masse belastet, aber der Arbeitnehmer ein gleiches Vertrauen in das Arbeitsverhältnis besitzt wie ein Arbeitnehmer, der mit Ermächtigung des Schuldners eingestellt wurde. Aufgrund dieses Vertrauens sind Teile der Literatur der Auffassung, dass auch in diesem Fall die Anwendbarkeit des § 113 InsO ausgeschlossen sei. Dieser Auffassung wurde durch das BAG eine Absage erteilt. Demnach sollen im Schutzschirmverfahren getroffene Vereinbarungen, die die Anwendbarkeit des § 113 InsO ausschließen, gemäß § 119 InsO unwirksam sein.24) Der Einwand der Treuwidrigkeit greife nicht durch. 6.

Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der Eigenverwaltung

34 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens und erfolgter Anordnung der Eigenverwaltung finden über § 279 InsO sodann die §§ 103 bis 128 InsO dem Grunde nach auch in der Eigenverwaltung Anwendung. Damit bestehen zunächst keine Besonderheiten zwischen dem Arbeitsrecht im Regularinsolvenzverfahren und der Eigenverwaltung. An die Stelle des Insolvenzverwalters tritt der Schuldner; gleichzeitig werden jedoch dem Sachwalter Kompetenzen und Befugnisse eingeräumt. Die Kündigungserleichterungen des § 113 Abs. 1 InsO gelten auch im Verfahren über die Eigenverwaltung, wenn der Sachwalter zustimmt. Gleiches gilt für die Regeln über die Aufstellung des Sozialplans, §§ 123 f. InsO, sowie die Vereinbarung über den Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste, § 125 InsO. Fehlt die Zustimmung des Sachwalters, soll dies jedoch weder zur Unwirksamkeit der ohne Zustimmung ausgesprochenen ___________ x

23) Kraft/Lambrecht, NZI 2015, 639. 24) BAG, Urt. v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, Rz. 32, ZIP 2017, 1083 = NZA 2017, 995.

334

Frommhold

III. Zusammenfassung

Kündigung noch zur Unwirksamkeit des Sozialplans oder Interessenausgleichs mit Namensliste führen.25) x Die Regelungen über die erleichtere Kündigungsmöglichkeit für Betriebsvereinbarungen, der Möglichkeit, im Beschlussverfahren eine Betriebsvereinbarung vorzeitig durchzuführen und die Möglichkeit zur Durchführung eines Beschlussverfahrens zum Kündigungsschutz, § 126 InsO, sollen nur dann Anwendung finden, wenn die Zustimmung des Sachwalters vorliegt. Teilweise wird vertreten, dass § 113 Satz 1 InsO nur eingeschränkt gelten soll. 35 So soll sich der eigenverwaltete Schuldner oder auch der Insolvenzverwalter dann nicht auf die verkürzte Kündigungsfrist berufen können, wenn das Arbeitsverhältnis erst im Insolvenzantragsverfahren und mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters oder von dem eigenverwalteten Schuldner aufgrund einer erteilten Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten begründet worden ist.26) Dies überzeugt nicht, da zum einen die Vorschrift des § 113 Satz 1 InsO unabdingbar ist (§ 119 InsO) und zum anderen auch der Arbeitnehmer im Insolvenz(antrags-)verfahren keines über den Schadenersatzanspruch des § 113 Satz 3 InsO hinausgehenden Schutzes bedarf.27) 36

Praxishinweis Auch wenn der praktische Anwendungsbereich eher gering sein dürfte, da im Insolvenzantragsverfahren begründete Arbeitsverhältnisse, die dann bereits im Insolvenzverfahren gekündigt werden, in der Regel eher eine kurze Bestandsdauer und regelmäßig unterhalb der Drei-Monats-Frist des § 113 Satz 1 InsO liegende Kündigungsfristen haben dürften, empfiehlt es sich, i. R. des gesetzlich und (tarif-)vertraglich zulässigen, kürzere als die Kündigungsfristen des § 113 Satz 1 InsO zu vereinbaren.

III.

Zusammenfassung

Letztlich stellt der Gesetzgeber einem Schuldner mit dem Schutzschirmverfahren 37 gegenüber einem „konventionellen“ Insolvenzantragsverfahren mit gleichzeitiger Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters keinen zusätzlichen „Werkzeugkasten“ mit besonderen Sanierungswerkzeugen zur Verfügung. Allerdings ergeben sich durch die besondere Situation der Vorlage eines Insolvenzplans bis zur Verfahrenseröffnung besondere taktische Gestaltungsmöglichkeiten. Ob dies alleine für die Bewertung des Schutzschirmverfahrens als „sanierungsfreundlicheres“ Insolvenzantragsverfahren ausreicht, ist fraglich. Insbesondere entbindet es den Arbeitgeber auch und gerade im Schutzschirmverfahren nicht von einer frühzeitigen Einbindung der zuständigen Mitarbeitervertretung oder Tarifgewerkschaft, da ohne diese nachhaltige Sanierungsergebnisse im Personalbereich nicht zu erzielen sein dürften. ___________ 25) Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 336 f. 26) Kraft/Lambrecht, NZI 2015, 639. 27) LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.7.2007 – 23 Sa 450/07, ZIP 2007, 2002 = LAGE InsO § 113 Nr. 14.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

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Übersicht I. Vorbemerkung................................... 1 II. Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ........................ 3 1. Allgemeines......................................... 3 2. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt ............... 5 3. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ..................................... 6 III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung ........................ 8 1. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt ............... 8 a) Auswirkungen im Individualarbeitsrecht ........................... 9 aa) Arbeitgeberkündigungen ............ 9 bb) Abschluss von Arbeits- und Aufhebungsverträgen................ 14 cc) Direktionsrecht ......................... 16 dd) Urlaub ........................................ 17 ee) Zeugnisse ................................... 22 ff) Rechtsstreite .............................. 24 gg) Betriebliche Altersvorsorge ...... 25 hh) Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG .................... 28 b) Auswirkungen im Kollektivarbeitsrecht ............................... 31 aa) Keine Anwendung der §§ 122, 123, 125 InsO ............... 31 bb) Beginn von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen (§ 111 BetrVG, § 122 InsO)................................ 32

cc) Interessenausgleich und Kündigungsschutz (§ 125 InsO).............................. 35 dd) (Sonstige) Beschlussverfahren (§ 126 InsO) .................. 37 ee) Erstattung von Sachverständigenkosten des Betriebsrats als Masseverbindlichkeiten ....... 38 2. Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ............................... 39 a) Auswirkungen im Individualarbeitsrecht ............................. 40 b) Auswirkungen im Kollektivarbeitsrecht ............................... 47 aa) Beginn von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen (§ 111 BetrVG, § 122 InsO) ............................... 48 bb) Vor Insolvenzeröffnung aufgestellte Sozialpläne (§ 123 InsO).............................. 49 IV. Insolvenzgeldvorfinanzierung ..... 50 V. Mitarbeiterkommunikation........... 54 1. Bedeutung für die Sanierung ........... 55 2. Formen der Kommunikation .......... 56 a) Betriebsversammlungen............ 57 b) Frage- und Antwortlisten ......... 60 c) Direkte Ansprechbarkeit .......... 63 d) Betriebsrat.................................. 65 3. Beispiel für einen Frage- und Antwortkatalog ................................ 66

Literatur: Berscheid, Auswirkungen von Freistellung und Kündigung im Eröffnungsverfahren und bei Masseunzulänglichkeit, in: Festschrift für Günter Greiner, 2005, S. 1; Berscheid, Schriftform für Beendigung und Befristung von Arbeitsverträgen, ZInsO 2000, 208; Blank, Der gesetzestreue (vormals „starke“ vorläufige) Insolvenzverwalter in der Bredouille? – Die Rechtsprechung des BAG zu § 55 Abs. 2 InsO und ihre Folgen in der Praxis, ZInsO 2001, 780; Düwell/Pulz, Urlaubsansprüche in der Insolvenz, NZA 2008, 786; Ennemann, Interessenausgleichsverhandlungen und arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren in der Insolvenz, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2009, S. 1473; Mückl/Krings, Rettung des durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste, ZIP 2012, 106; Stiller, Der Zeugnisanspruch in der Insolvenz des Arbeitgebers, NZA 2005, 330.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

I.

Vorbemerkung

1 Die Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist in den allerhäufigsten Fällen die kritische Phase, in der in Sanierungsfällen die wesentlichen Weichenstellungen für das spätere Insolvenzverfahren erfolgen. Auf den ersten Blick verwunderlich mag es daher anmuten, dass eigene Regelungen für das Arbeitsrecht in dieser Phase kaum existieren und im Grundsatz das allgemeine Arbeitsrecht mit nur sehr wenigen Modifizierungen weitergilt. Der Gesetzgeber hat alle wesentlichen Sonderregelungen der InsO, die das Arbeitsrecht überlagern, für das eröffnete Insolvenzverfahren vorbehalten. Gleichwohl ergeben sich einige Besonderheiten, deren Kenntnis zwingend erforderlich ist, um die Übergangsphase nach der Insolvenzantragstellung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgreich zu überstehen. 2 Von besonderer Bedeutung ist, da während der vorläufigen Insolvenzverwaltung die Umstellung von einem Betrieb unter Geltung der allgemeinen Regelungen in Vorbereitung auf das eröffnete Insolvenzverfahren erfolgt, die Kommunikation mit allen Verfahrensbeteiligten, also hier insbesondere den Arbeitnehmern, dem Betriebsrat und ggf. den Vertretern der Gewerkschaft. Dies alles erfolgt im Regelfall der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt aus rechtlichen und aus tatsächlichen Gründen in enger Abstimmung mit der Geschäftsführung und der Personalleitung. Aus den besonderen Umständen folgt zudem, dass in Sanierungs- und Krisenfällen fast immer eine angespannte Atmosphäre herrscht, weil situationsbedingt Verlustängste bei den betroffenen Arbeitnehmern bestehen. Die Krise ist nicht nur für den Betrieb, sondern auch für den Bestand der Arbeitsverhältnisse in hohem Maße existenzbedrohend. Es wird von dem vorläufigen Insolvenzverwalter erwartet, dass er diese Situation beruhigt, um i. R. des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Vorbereitungen treffen zu können. Neben der Organisation der Insolvenzgeldvorfinanzierung ist es daher vor allem die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit den Verfahrensbeteiligten zu kommunizieren und die hierzu nötigen Kommunikationswege zu etablieren. II.

Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung

1.

Allgemeines Keine Anwendbarkeit der §§ 113, 120 – 128 InsO: BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352

3 Ist ein Insolvenzantrag durch das Insolvenzgericht zugelassen worden, so erfolgt häufig die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung über das Vermögen des Insolvenzschuldners und zugleich die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 InsO). Dabei handelt es sich um eine Sicherungsmaßnahme während des Vorverfahrens. Dem Insolvenzgericht stehen

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II. Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung

hinsichtlich der Ausgestaltung des vorläufigen Insolvenzverfahrens drei verschiedene Grundvarianten zur Verfügung: x

So besteht die Möglichkeit, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen bei gleichzeitigem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter (sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter, § 22 Abs. 1 InsO).

x

Andererseits kann das Insolvenzgericht anordnen, dass der Schuldner lediglich durch einen Zustimmungsvorbehalt belastet wird, mit der Folge, dass der Schuldner nur bei Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam verfügen kann (sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter).

x

Schließlich kann das Gericht nach neuem Recht die vorläufige Eigenverwaltung anordnen und einen vorläufigen Sachwalter bestellen (§ 270a Abs. 1 Nr. 2 InsO).

Losgelöst von der Frage, welche Kompetenzen der vorläufige Insolvenzverwal- 4 ter oder der Sachwalter erhält, hat dessen Bestellung ebenso wie die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung keine Auswirkung auf bestehende Arbeitsverhältnisse. Die arbeitsrechtlichen Sondervorschriften in §§ 113, 120 – 128 InsO finden im vorläufigen Insolvenzverfahren keine direkte oder entsprechende Anwendung.1) 2.

Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt

Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bei gleichzeitiger Anord- 5 nung eines Zustimmungsvorbehalts entspricht der üblichen Praxis der Insolvenzgerichte.2) Dem zu Beginn des Antragsverfahrens meist fehlendem Überblick der Gerichte über die Vermögenslage des Schuldners und dem sich hieraus ergebenden Sicherungsbedürfnis kann bei dieser Variante ausreichend Rechnung getragen werden, ohne zugleich Belastungen für die Masse und den vorläufigen Insolvenzverwalter zu begründen. Denn anders als im Fall des sog. starken, verfügungsberechtigten vorläufigen Insolvenzverwalters bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots sind die von dem sog. schwachen, zustimmungsberechtigten vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten im später eröffneten Verfahren keine Masseverbindlichkeiten i. S. von § 55 Abs. 2 InsO, für deren Erfüllung der Insolvenzverwalter persönlich einzustehen hätte (§ 61 i. V. m. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Verfügt der Schuldner ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, so ist die Verfügung (schwebend) absolut unwirksam (§ 81 Abs. 1 InsO). Dabei verbleibt der Schuldner ___________ 1) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352, dazu EWiR 2005, 867 (Thüsing/Grosse-Brockhoff). 2) Etwa 90 %, vgl. Blank, ZInsO 2001, 780.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

grundsätzlich in seiner Stellung als Arbeitgeber.3) Soweit mit einzelnen arbeitsrechtlichen Maßnahmen keine vermögensrelevanten Folgen verbunden sind, bedürfen diese der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht. Die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer, die während der vorläufigen Insolvenzverwaltung entstehen, sind einfache Insolvenzforderungen, da § 55 Abs. 2 InsO auf den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter keine (entsprechende) Anwendung findet.4) Dies gilt auch, soweit aufgrund der Zahlung von Insolvenzgeld die Entgeltansprüche auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind (§ 55 Abs. 3 InsO). 3.

Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis

6 Die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots sind in § 22 Abs. 1 InsO geregelt. Danach hat der vorläufige starke Insolvenzverwalter die besondere Pflicht, ein vom Schuldner betriebenes Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Verfügungen des Schuldners sind stets absolut unwirksam (§ 24 Abs. 1 InsO). Diese Variante stellt jedoch wegen der sich hieraus ergebenden besonderen Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters für die von ihm begründeten Masseforderungen (siehe oben Rz. 5) gemäß § 61 InsO und der damit verbundenen Risiken die Ausnahme in der Praxis dar.5) Mit dem Übergang der Verfügungsbefugnis als Folge der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots geht auch die Stellung als Arbeitgeber im Ganzen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über.6) Insofern findet eine weitgehende Gleichstellung des vorläufigen mit dem endgültigen Insolvenzverwalter statt. Dies gilt sowohl außer- wie innerprozessual. 7 Die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer für ihre Arbeitsleistung, die der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen in Anspruch genommen hat, sind Masseforderungen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO. Nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung hingegen nicht in Anspruch, stellt die Arbeitnehmer stattdessen frei und verweist sie auf das Arbeitslosengeld, so entstehen keine Masseforderungen. Die dadurch auf die ___________ 3) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 57; Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 128; BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161 = ZInsO 2003, 817, dazu EWiR 2004, 709 (Peters-Lange). 4) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 = NJW 2002, 3326, dazu EWiR 2002, 919 (Spliedt). 5) Hinsichtlich der weitgehenden Pflichten, die aus der Inbesitznahme und Unternehmensfortführung folgen, wird verwiesen auf Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 18. 6) Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 128; BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 347/01, ZInsO 2002, 1198, dazu EWiR 2003, 1073 (Schneider); BAG, Urt. v. 5.2.2009 – 6 AZR 110/08, ZIP 2009, 984, dazu EWiR 2009, 615 (Hertzfeld/Höher).

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

Bundesagentur für Arbeit übergehenden Entgeltansprüche der Arbeitnehmer (§ 115 Abs. 1 SGB X) sind einfache Insolvenzforderungen nach § 108 Abs. 3 InsO. Gleiches gilt für die wegen der Zahlung von Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche (§ 169 SGB III). Auch diese sind gemäß § 55 Abs. 3 InsO nur als einfache Insolvenzforderungen zu berücksichtigen. III.

Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

1.

Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt

Wie bereits dargestellt, verbleibt die Arbeitgeberfunktion im Fall der vorläufigen 8 Insolvenzverwaltung mit (allgemeinem) Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich bei dem Schuldner. Gleichwohl kann das Gericht i. R. seines Ermessens den Übergang der Arbeitgeberfunktion bei der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters anordnen. Formulierungsbeispiel Zum Zweck der Klarstellung bietet sich dann folgende gebräuchliche Formulierung an: „Das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberfunktion einschließlich der Ermächtigung, Kündigungen auszusprechen und mit einem vorhandenen Betriebsrat Interessensausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu führen, wird dem vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen.“7) a) aa)

Auswirkungen im Individualarbeitsrecht Arbeitgeberkündigungen Kündigungsbefugnis: BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161 = ZInsO 2003, 817

Obwohl der sog. schwache vorläufige Insolvenzverwalter keine Arbeitgeber- 9 funktion einnimmt, ist eine Kündigungserklärung durch den Schuldner ohne dessen Zustimmung unwirksam gemäß § 24 Abs. 1. i. V. m. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO. Denn bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen handelt es sich um Verfügungen über das schuldnerische Vermögens i. S. des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO.8) Der Arbeitnehmer kann daher die Kündigungserklärung als einseitiges Rechtsgeschäft des Schuldners gemäß §§ 174, 182 Abs. 3 i. V. m. § 111 Satz 2 BGB wirksam zurückweisen, wenn dieser mit der Kündigung nicht zugleich die Einwilligung des vorläufigen Insolvenz___________ 7) Uhlenbruck-Ries, InsO, § 22 Rz. 66; vgl. AG Bielefeld, Beschl. v. 8.11.2000 – 43 IN 610/00; AG Detmold, Beschl. v. 29.6.2001 – 10c IN 20/01; AG Münster, Beschl. v. 4.10.2001 – 79 IN 46/01. 8) BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161 = ZInsO 2003, 817.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

verwalters in schriftlicher Form vorgelegt hat.9) Der sog. schwache vorläufige Insolvenzverwalter ist jedoch dann allein kündigungsbefugt, wenn ihm das Gericht das Kündigungsrecht durch ausdrückliche Kompetenzzuweisung übertragen hat. Insoweit kommt ihm dann auch die Arbeitgeberfunktion zu. 10 Unabhängig davon, welche Kompetenzen der Insolvenzverwalter im Einzelnen erhalten hat, richtet sich das anzuwendende Kündigungsrecht nach den allgemeinen Vorschriften. Insolvenzrechtliche Sondervorschriften, wie z. B. § 113 InsO, finden im vorläufigen Insolvenzverfahren keine Anwendung.10) Insbesondere stellt ein zulässiger Insolvenzantrag keinen Kündigungsgrund dar.11) Zur Wirksamkeit der Kündigung sind demnach vorrangig die allgemeinen Vorschriften zu beachten. So bedarf die Kündigung der Schriftform gemäß § 623 BGB bzw. der nach dem jeweils einschlägigen Tarifvertrag bzw. Betriebsvereinbarung oder individualvertraglich vereinbarten besonderen Form. 11

Praxishinweis Bei befristeten Arbeitsverhältnissen besteht ein ordentliches Kündigungsrecht nur dann, wenn ein solches gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG vereinbart worden ist.

12 Wurde das ordentliche Kündigungsrecht durch eine Unkündbarkeitsregelung ausgeschlossen, so kann eine außerordentliche Kündigung aufgrund einer Betriebsstilllegung gerechtfertigt sein.12) Die Kündigungsfristen richten sich nach § 622 Abs. 2 BGB oder der individualvertraglichen bzw. tarifvertraglichen Vereinbarung. Auch eine analoge Anwendung des § 113 InsO kommt insoweit nicht in Betracht.13) 13 Befindet sich das schuldnerische Unternehmen bzw. Unternehmensteile in einem Betriebsübergang, so gelten die Regelungen des § 613a BGB ohne jede Einschränkung. Der Arbeitnehmer, der sich gegen die Kündigung wehren will, muss seine Kündigungsschutzklage gegen den Schuldner als Inhaber der Arbeitgeberfunktion richten, es sei denn, dass das Gericht dem Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion ausdrücklich zugewiesen hat.14) Diese Aufzählung ist selbstverständlich nicht abschließend. ___________ 9) BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161 = ZInsO 2003, 817; UhlenbruckRies, InsO, § 22 Rz. 75. 10) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352; Künzl in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 113 InsO Rz. 9. 11) Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 130. 12) Als soziale Auslauffrist ist dann die sonst geltende gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfrist einzuhalten, BAG, Urt. v. 18.9.1997 – 2 ABR 15/97, NJW 1998, 2238. 13) Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 131. 14) Zur Rubrumsberichtigung bei irrtümlicher Falschbezeichnung der Partei, BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, ZIP 2007, 1078; Unzulässigkeit einer alternativen Klageerhebung gegen Schuldner und sog. schwachen vorläufigen Verwalter, LAG Hamm, Beschl. v. 2.2.2002 – 4 (14) Ta 24/02, ZIP 2002, 579; Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 134.

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

bb)

Abschluss von Arbeits- und Aufhebungsverträgen

Die Abschlüsse von Arbeits- und Aufhebungsverträgen bedürfen zu ihrer Wirk- 14 samkeit eines Zusammenwirkens von Schuldner und vorläufigem Insolvenzverwalter. Die Rechtshandlungen des Schuldners in diesem Zusammenhang sind unwirksam, solange sie nicht von dem Insolvenzverwalter gebilligt worden sind. Um Rechtsunklarheiten und Missverständnisse zu vermeiden, sollte auch hier die Zustimmungserklärung stets ausdrücklich und schriftlich und idealerweise innerhalb desselben Dokuments erfolgen. Dabei behält der Schuldner nach oben genannten Grundsätzen die Arbeitgeberfunktion, sofern nicht eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung zugunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters besteht. Für Aufhebungsverträge gilt nach § 623 BGB das Schriftformerfordernis; dies 15 auch dann, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar in eine Beschäftigungs- und Weiterbildungsgesellschaft übergeleitet wird.15) Neben der einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer während des vorläufigen Insolvenzverfahrens von der Arbeit freigestellt werden. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann den Arbeitnehmer entweder selbst freistellen oder er stimmt einer Freistellung durch den Schuldner zu.16) Jedoch bedarf es eines sachlichen Grundes, der jedenfalls dann gegeben ist, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers keine Verwendung mehr findet. Eine wirksame Freistellung erfordert gleichwohl nicht, dass der Betriebsrat nach § 102 BetrVG gehört wird oder nach § 99 BetrVG zustimmt.17) Die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sind ebenso nicht beachtlich.18) cc)

Direktionsrecht

Solange der Schuldner entsprechend den obigen Ausführungen die Arbeitgeber- 16 position behält, obliegt ihm auch die Direktion der Arbeitnehmer. Das dem Schuldner somit grundsätzlich zustehende Direktionsrecht ist jedoch dann begrenzt, wenn seine konkrete Ausübung die Qualität einer Verfügung über das Vermögen erreichen würde. dd)

Urlaub

Da die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung keinen Einfluss auf das 17 Arbeitsverhältnis hat, bleibt auch der urlaubsrechtliche Freistellungsanspruch ___________ 15) LAG Köln, Urt. v. 22.5.2003 – 10 Sa 970/02, ZInsO 2005, 333. 16) Vgl. Berscheid in: FS Greiner, S. 1 f. Anders als für den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter ergibt sich die Freistellungskompetenz nicht schon aus § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO. 17) BAG, Urt v. 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, ZIP 1998, 748 = ZInsO 1998, 190; vgl. auch Koch in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 102 BetrVG Rz. 232a. 18) BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 9 AZR 80/01, ZIP 2002, 1261 = ZInsO 2002, 889, dazu EWiR 2002, 771 (Berscheid).

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

des Arbeitnehmers unberührt.19) Die Freistellung hat durch den Schuldner kraft seines ihm weiterhin zustehenden Direktionsrechts zu erfolgen. 18 Wird der Arbeitnehmer während des vorläufigen Insolvenzverfahrens von seiner Arbeitsleistung freigestellt, so handelt es sich bei dem Anspruch auf Urlaubsentgelt und dem an die Freistellung geknüpften Anspruch auf Urlaubsgeld um Ansprüche für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 108 Abs. 3 InsO.20) Die Ansprüche können daher nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden, sind jedoch über das Insolvenzgeld gemäß §§ 165 f. SGB III gesichert. 19 Wird das Arbeitsverhältnis während des vorläufigen Insolvenzverfahrens beendet, so begründet der nach § 7 Abs. 4 BUrlG wegen der Nichterfüllung des Urlaubsanspruchs bestehende Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitsnehmers ebenso eine Insolvenzforderung.21) 20 Wird der Arbeitnehmer jedoch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht von der Arbeitsleistung freigestellt und steht ihm deshalb ein Urlaubsanspruch oder Urlaubsabgeltungsanspruch im eröffneten Verfahren noch zu bzw. entsteht dieser erst während des eröffneten Verfahrens, so handelt es sich um Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.22) 21

Praxishinweis Stellt der vorläufige Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer frei, so sollte er zur Vermeidung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs die Freistellung unter gleichzeitiger Anrechnung auf den Resturlaub erklären. Denn die Freistellung allein führt nicht dazu, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitsnehmers erfüllt wird.23) Auch wenn der Arbeitnehmer i. R. eines Aufhebungsvertrags von der Arbeitspflicht bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses freigestellt wird, bedarf es einer entsprechenden Anrechnungserklärung.24)

___________ 19) Dies gilt selbst im eröffneten Verfahren; vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, ZIP 2004, 1013 = NZA 2004, 651. 20) Düwell/Pulz, NZA 2008, 786. 21) Düwell/Pulz, NZA 2008, 786. 22) Denn nach der Rspr. des BAG ist eine Aufteilung in einen vor oder nach Verfahrenseröffnung entstehenden Teil-Urlaubsanspruch mit dem gesetzlichen Urlaubsrecht nicht vereinbar, BAG, Urt. v. 21.11.2006 – 9 AZR 97/06, ZIP 2007, 834 = NZA 2007, 696, dazu EWiR 2008, 87 (Henkel). Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch ist dann als Masseforderung zu behandeln, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Beendigung gereicht hätte, den Urlaubsanspruch durch Freistellung von der Arbeitspflicht zu erfüllen, BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, ZIP 2003, 1802 = BB 2003, 2404; s. a. Gallner in: ErfK, § 1 BUrlG Rz. 36 f. 23) Henn-Anschütz in: Nerlich/Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 99 ff. (bis Rz. 101). 24) BAG, Urt. v. 18.12.1986 – 8 AZR 481/84, ZIP 1987, 798 = NZA 1987, 633.

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

ee)

Zeugnisse

Der sog. schwache vorläufige Insolvenzverwalter hat grundsätzlich keine 22 Kompetenz zur Erteilung des Arbeitszeugnisses. Der Arbeitnehmer hat daher keinen Zeugnisanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter für vor der Insolvenzeröffnung beendete Arbeitsverhältnisse.25) Hierzu ist entsprechend seiner weiterhin bestehenden Arbeitgeberfunktion nur der Schuldner selbst verpflichtet.26) Dies ist auch dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer den Anspruch auf Zeugniserteilung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend macht.27) Eine erhobene Zeugnisklage gegen den Schuldner wird nicht durch die Verfahrenseröffnung gemäß § 240 ZPO unterbrochen.28) Ist der Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses jedoch erst nach Ver- 23 fahrenseröffnung entstanden, weil das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus fortbestanden hat, ist die Zeugniserteilung Aufgabe des endgültigen Insolvenzverwalters, auch wenn er keine Kenntnisse über die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gewinnen konnte.29) Zum Zweck der Zeugniserteilung ist der Schuldner dem Insolvenzverwalter jedoch gemäß § 97 InsO zur Auskunft verpflichtet.30) Besteht gegen den Insolvenzverwalter kein Anspruch auf Zeugniserteilung, so kann diese i. Ü. nicht deshalb von dem Insolvenzverwalter verlangt werden, weil die Inanspruchnahme des eigentlich verpflichteten Schuldners nicht möglich ist.31) ff)

Rechtsstreite

Anhängige Arbeitsrechtsprozesse werden bei der Bestellung eines sog. schwachen 24 vorläufigen Insolvenzverwalters nicht gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen.32) Der Schuldner bleibt Prozesspartei im anhängigen ___________ 25) BAG, Urt. v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, ZIP 2004, 1974 = BB 2004, 2526, dazu EWiR 2004, 1185 (Richter). 26) Vgl. Stiller, NZA 2005, 330, 331; Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 136. 27) Der Anspruch kann auch gegen den Schuldner eingeklagt und vollstreckt werden, vgl. LAG Düsseldorf, Beschl. v. 7.11.2003 – 16 Ta 571/03, ZIP 2004, 631, 632, dazu EWiR 2004, 863 (Johlke/Schröder). 28) LAG Nürnberg, Beschl. v. 5.12.2002 – 2 Ta 137/02, NZI 2003, 336; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 7.11.2003 – 16 Ta 571/03, ZIP 2004, 631, 632. 29) BAG, Urt. v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, ZIP 2004, 1974 = BB 2004, 2526, dazu EWiR 2004, 1185 (Richter); Müller-Glöge in: ErfK, § 109 GewO Rz. 4; eine Übertragung auf einen Bevollmächtigten, der über entsprechende Kenntnisse verfügt und dem ehemaligen Arbeitnehmer übergeordnet war, ist jedoch möglich, da es sich nicht um insolvenzspezifische Geschäfte handelt, BAG, Urt. v. 21.7.1988 – 2 AZR 82/88, ZIP 1989, 57. 30) BAG, Urt. v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, ZIP 2004, 1974 = BB 2004, 2526. 31) Stiller, NZA 2005, 330, 331. 32) BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314 = NJW 1999, 2822; BAG, Urt. v. 25.4.2001 – 5 AZR 360/99, ZInsO 2001, 1024.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

Verfahren, der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht prozessführungsbefugt.33) Es findet kein Wechsel hinsichtlich der Aktiv- und Passivlegitimation statt und auch das Rubrum ist nicht zu berichtigen.34) Dies gilt ebenso bei einer Zahlungsklage des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitsgerichtsprozess wegen einer wenig später erfolgenden Verfahrenseröffnung nach Anmeldung der vorinsolvenzlichen Forderung gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen wird.35) Erhebt der Arbeitnehmer eine arbeitsrechtliche Klage, so ist diese weiterhin gegen den Schuldner zu richten. gg)

Betriebliche Altersvorsorge

25 Sondervorschriften, die die betriebliche Altersvorsorge im Eröffnungsverfahren regeln, bestehen nicht. Der Arbeitnehmer erwirbt daher auch im Eröffnungszeitraum Anwartschaften i. R. der betrieblichen Altersvorsorge. Ansprüche aus den wichtigsten Fällen der Direktzusage und der Direktversicherung sind Insolvenzforderungen, wenn sie vor Verfahrenseröffnung erdient worden sind.36) Es kommt dabei nicht darauf an, welche Kompetenz der vorläufige Insolvenzverwalter hat. Gemäß § 3 BetrAVG kann der anwartschaftsberechtigte Arbeitnehmer hinsichtlich des Teils der Anwartschaft, den er ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erworben worden hat, auch ohne seine Zustimmung abgefunden werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird.37) 26 Im Übrigen greift gemäß § 7 BetrAVG die gesetzliche Versicherung der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer und ihrer Hinterbliebenen, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden ist. Diese haben dann einen Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung i. H. der Leistung, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. 27 Im Umkehrschluss kann aus §§ 3 und 7 BetrAVG abgeleitet werden, dass der Arbeitnehmer einerseits hinsichtlich seiner während des vorläufigen Insolvenzverfahrens erworbenen Anwartschaften gegen seinen Willen nicht abgefunden ___________ 33) Vgl. LG Essen, Beschl. v. 6.4.2000 – 44 O 68/00, NZI 2000, 552. 34) BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 = NZI 2011, 602, dazu EWiR 2011, 603 (Hackenberg). 35) Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 58; Henn-Anschütz in: Nerlich/Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 141. 36) Nach Verfahrenseröffnung handelt es sich um Masseforderungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO; vgl. die umfangreiche Darstellung bei Henn-Anschütz in: Nerlich/Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 130 f. 37) Dieser Vorschrift kommt nur dann eine Bedeutung zu, wenn das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgesetzt wird. Zweck ist die erleichterte Liquidation eines Unternehmens im Insolvenzverfahren, Begr. RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 110.

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

werden kann, andererseits dass der Arbeitnehmer im Fall des Versorgungsausfalls (noch) keinen Anspruch aus der gesetzlichen Insolvenzsicherung geltend machen kann. hh) Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG Gemäß § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der zuständigen 28 Agentur für Arbeit eine Massenentlassung anzuzeigen. Unterlässt der Arbeitgeber dies, so sind sämtliche Kündigungen – nicht nur solche, die die Schwellenwerte des § 17 KSchG überschreiten – unwirksam.38) Dies gilt gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG auch für alle anderen Beendigungsformen von Arbeitsverträgen, insbesondere für Auflösungsverträge, die die tatbestandlichen Schwellenwerte erreichen.39) Da der Schuldner im Fall der Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen In- 29 solvenzverwalters die Arbeitgeberstellung beibehält, hat er die Massenentlassung anzuzeigen. Umstritten ist jedoch, ob es sich bei der Massenentlassungsanzeige um eine Verfügung i. S. des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO handelt, zu deren Wirksamkeit die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters notwendig ist. Nach richtiger Auffassung liegt jedoch keine zustimmungspflichtige Verfügung vor.40) Denn die Massenentlassungsanzeige sowie die von ihr ausgehenden Wirkungen sind keine Verfügungen über das schuldnerische Vermögen und haben darauf auch keinen unmittelbaren Einfluss. Schon aus teleologischen Gesichtspunkten kann somit aus § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO keine Mitteilungspflicht abgeleitet werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Massenentlassungsanzeige nach ihrer Rechtsnatur keine Verfügung, sondern vielmehr reine Wissensmitteilung des Arbeitgebers ist. 30

Praxishinweis In der Praxis wird es sich jedoch vorsorglich gleichwohl anbieten, dass der Schuldner als Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige bei gleichzeitiger Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erklärt. Auch sonst erscheint die Erklärung einer vorsorglichen Massenentlassungsanzeige im Hinblick auf die bei einem Verstoß erheblichen Folgen empfehlenswert.41)

___________ 38) BAG, Urt. v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, NJW 1982, 2839; LAG Düsseldorf, Urt. v. 1.3.2007 – 13 Sa 1275/06, ZIP 2007, 1025, dazu EWiR 2007, 631 (Grimm/Windeln); Moll in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 17 KSchG Rz. 133. 39) BAG, v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, ZIP 1999, 1568 = ZInsO 1999, 420, dazu EWiR 1999, 853 (Wertheimer); s. a. Hergenröder in: MünchKomm-BGB, § 17 KSchG Rz. 25. 40) Henn-Anschütz in: Nerlich/Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 319. 41) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 22 Rz. 86; Berscheid, ZInsO 2000, 208, 209.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

b)

Auswirkungen im Kollektivarbeitsrecht

aa)

Keine Anwendung der §§ 122, 123, 125 InsO

31 Ist im vorläufigen Verfahren ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bestellt worden, finden die §§ 122, 123, 125 InsO weder direkt noch analog Anwendung. Es handelt sich insoweit um abschließende Regelungen für die Zeit nach Verfahrenseröffnung. bb)

Beginn von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen (§ 111 BetrVG, § 122 InsO)

32 Im Rahmen von Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG bleibt der Unternehmer Verhandlungspartner des Betriebsrats, auch wenn er für den Abschluss eines Sozialplans wegen der finanziellen Auswirkungen die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters benötigt.42) Möglich ist jedoch, dass der vorläufige Insolvenzverwalter auch ohne Ausspruch eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO durch Einzelanordnung im Bestellungsbeschluss ermächtigt wird, mit dem Betriebsrat Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu führen. In diesem Fall wird der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter Ansprech- und Verhandlungspartner des Betriebsrats.43) 33 Die dreiwöchige Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO beginnt ab der Aufnahme eines Einigungsverfahrens oder ab dem Zugang der Aufforderung des Insolvenzverwalters an den Betriebsrat, Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu beginnen. Verhandlungen, die vor Verfahrenseröffnung vom Insolvenzschuldner geführt wurden, sind hier mit einzurechnen.44) 34

Praxishinweis Auch in dem wohl häufigsten Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bei Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts ohne die Erteilung besonderer Ermächtigungen empfiehlt sich daher die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Betriebsrat, wenn sich die Durchführung einer Betriebsänderung als notwendig abzeichnet. Die Verhandlungsführung hat in diesem Fall gemeinsam mit dem Schuldner zu erfolgen, um den formellen Anforderungen zu genügen.

cc)

Interessenausgleich und Kündigungsschutz (§ 125 InsO)

35 Ist eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, modifiziert § 125 InsO die Regelungen des § 1 KSchG. Nach der Rechtsprechung und der in der Literatur h. M. ist § 125 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ___________ 42) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 22 Rz. 99. 43) Vgl. Ennemann in: Kölner Schrift, S. 1473, 1479 Rz. 14; Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 22 Rz. 99. 44) Ahrendt in: HambKomm-InsR, § 122 InsO Rz. 5.

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

weder direkt noch analog anwendbar.45) Ein vom vorläufigen Verwalter abgeschlossener Interessenausgleich nach § 125 InsO kann vom endgültigen Verwalter jedoch nach § 184 BGB (analog) genehmigt werden. Diese Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zurück.46) Der Abschluss einer solchen Vereinbarung mit dem Betriebsrat während des 36 Antragsverfahrens erfolgt aber praktisch nie. Der Regelfall ist, dass während des Antragsverfahrens Verhandlungen mit dem Betriebsrat geführt werden, um für eine zeitnah nach Eröffnung des Verfahrens abzuschließende Vereinbarung vorbereitet zu sein. dd)

(Sonstige) Beschlussverfahren (§ 126 InsO)

Der vorläufige Insolvenzverwalter ist i. R. eines Beschlussverfahrens nach § 126 37 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht antragsbefugt, es findet keine direkte oder analoge Anwendung der Norm im vorläufigen Verfahren statt.47) ee)

Erstattung von Sachverständigenkosten des Betriebsrats als Masseverbindlichkeiten

Der Betriebsrat kann sich nach § 80 Abs. 3 Satz 1 BetrVG oder im Falle der Be- 38 triebsänderung nach § 111 Satz 2 BetrVG sachverständig beraten lassen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Hat der Betriebsrat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers nach §§ 80 Abs. 3, 111 Satz 2 BetrVG einen Sachverständigen oder einen Berater konsultiert und dauerte dessen Tätigkeit bis nach der Insolvenzeröffnung an, sind die Honoraransprüche für die bis zur Insolvenzverfahrenseröffnung erbrachten Beratungsleistungen keine Masseverbindlichkeiten, sondern Insolvenzforderungen i. S. des § 38 InsO.48) Liegt keine Einzelermächtigung vor,49) basieren entsprechende Ansprüche nicht auf einem nach Verfahrenseröffnung vom Insolvenzverwalter eingegangen Schuldverhältnis (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, Abs. 2 Satz 1 InsO).

___________ 45) Vgl. Mückl/Krings, ZIP 2012, 106, 107 f. m. w. N.; es findet auch keine analoge Anwendung auf den sog. starken Insolvenzverwalter statt. 46) Vgl. Mückl/Krings, ZIP 2012, 106, 109 ff. 47) Plössner in: BeckOK-ArbR, § 126 InsO Rz. 17. 48) BAG, Beschl. v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, ZIP 2010, 588 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 96, dazu EWiR 2010, 543 (Tintelnot/Graj) (2. Instanz: LAG München); vgl. auch Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., § 233 Rz. 21 ff. 49) Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 135 a. E., 95; BAG, Beschl. v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, Rz. 35, ZIP 2010, 588 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 96.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

2.

Vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis

39 Bestellt das Insolvenzgericht einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, so gelten die vorstehenden Ausführungen weitestgehend nicht.50) Da der vorläufige Insolvenzverwalter in dieser Variante der vorläufigen Insolvenzverwaltung die Stellung eines Arbeitgebers einnimmt, ist vielmehr eine Orientierung an der arbeitsrechtlichen Stellung des endgültigen Insolvenzverwalters geboten. Im Übrigen ist er dem Schuldner gleichgestellt.51) Dabei ist jedoch zu beachten, dass die arbeitsrechtlichen Sondervorschriften für das eröffnete Verfahren nach §§ 113, 120 – 128 InsO auch bei Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters weder unmittelbar noch entsprechende Anwendung finden.52) a)

Auswirkungen im Individualarbeitsrecht

40 Als wesentliche Folge des Übergangs der Arbeitgeberstellung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ist dieser ausschließlich kündigungsbefugt. Eine Mitwirkung des Schuldners ist nicht erforderlich. Somit hat der vorläufige Insolvenzverwalter auch die Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG zu erklären.53) Wie auch im Fall der Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ist das Kündigungsschutzrecht uneingeschränkt zu berücksichtigen. 41 Kündigungsschutzklagen der Arbeitnehmer sind gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter zu richten. Geschieht dies nicht, so wird die Frist des § 4 KSchG nicht gewahrt.54) Im Übrigen werden alle anhängigen Prozesse gegen den Schuldner gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen. Die Prozessführungsbefugnis für die laufenden und zukünftigen Arbeitsrechtsprozesse geht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über.55) Eine Aufnahme der unterbrochenen Rechtsstreite kann nur nach den insolvenzrechtlichen Sonderbestimmungen der §§ 24 Abs. 2, 85, 86 InsO erfolgen. Das Rubrum ist ___________ 50) Da die Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters der Ausnahmefall ist (s. Fn. 2), erfolgt hier nur eine Kurzdarstellung. Zur weiteren Vertiefung s. Henn-Anschütz in: Nerlich/ Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 1 f.; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 19 ff.; Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 128. 51) Vgl. Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 128; Uhlenbruck-Vallender, InsO, § 22 Rz. 53. 52) BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289 = NZA 2006, 1352; LAG Hamburg, Urt. v. 16.10.2003 – 8 Sa 63/03, ZIP 2004, 869, dazu EWiR 2004, 981 (Peters-Lange). Zum Meinungsstreit, ob eine analoge Anwendung geboten ist, s. Henn-Anschütz in: Nerlich/ Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 19, 20. 53) Henn-Anschütz in: Nerlich/Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 319. 54) Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 134. 55) AG Göttingen, Beschl. v. 2.1.2002 – 21 C 216/01 (A), ZInsO 2002, 386.

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III. Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

dabei jeweils auf den vorläufigen Insolvenzverwalter umzustellen, da er nun Prozesspartei ist. Neben der Kündigung kommt dem vorläufigen Insolvenzverwalter aus § 55 42 Abs. 2 InsO unmittelbar das Recht zu, Arbeitnehmer, für deren Arbeitsleistung es keine Verwendung gibt, freizustellen. Des Weiteren kommt dem sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter auf- 43 grund der ihm zugewiesenen Arbeitgeberstellung nicht nur das Direktionsrecht zu, so dass er gegenüber jedem Arbeitnehmer weisungsbefugt ist. Er ist auch ausschließlich für den Abschluss von Arbeits- und Aufhebungsverträgen zuständig. Der urlaubsrechtliche Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers bzw. die daraus 44 resultierenden Ansprüche auf Urlaubsabgeltung (§ 7 Abs. 4 BUrlG), Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld, die nach Bestellung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters entstehen, sind Masseforderungen.56) Wird der vorläufige Insolvenzverwalter während des Urlaubs des Arbeitnehmers bestellt, so sind die Urlaubstage bzw. urlaubsrechtlichen Ansprüche nach Insolvenzforderungen (vor Bestellung) und Masseforderungen (nach Bestellung) aufzuteilen.57) Der vorläufige Insolvenzverwalter hat zudem den Anspruch des Arbeitnehmers 45 auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses gemäß § 630 BGB bzw. § 109 GewO zu erfüllen. Eine entsprechende Klage ist gegen den vorläufigen Verwalter zu richten. Bei mangelnder Kenntnis über die Arbeitsleistung hat der Schuldner den vorläufigen Verwalter bei der Zeugniserstellung gemäß § 97 InsO zu unterstützen. 46

Praxishinweis Die nichtabschließende Aufzählung der Arbeitgeberpflichten, die den vorläufig starken Insolvenzverwalter treffen, zeigt die geringe Praktikabilität dieser Anordnung. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird in diesem Fall mit Pflichten konfrontiert, die er regelmäßig gar nicht oder nur sehr schwer erfüllen kann. Auch aus diesem Grund bleibt die Anordnung dieser Maßnahme in der Rechtspraxis die Ausnahme.

b)

Auswirkungen im Kollektivarbeitsrecht

Für den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter ergeben sich gegenüber 47 dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter Besonderheiten hinsichtlich der Anwendung der §§ 122, 123 InsO.

___________ 56) BAG, Urt. v. 21.6.2005 – 9 AZR 295/04, NZI 2006, 309. 57) Henn-Anschütz in: Nerlich/Kreplin, Münch-AHB Sanierung und Insolvenz, § 34 Rz. 98.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

aa)

Beginn von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen (§ 111 BetrVG, § 122 InsO)

48 Soweit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO bestellt wurde, ist dieser auch schon im Eröffnungsverfahren befugt, Betriebsänderungen einzuleiten und umzusetzen. Da die Arbeitgeberfunktion mit Ausspruch des allgemeinen Verfügungsverbots gegenüber dem Insolvenzschuldner auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist (siehe oben Rz. 39), obliegt es auch dem Verwalter, bei Betriebsänderungen i. S. des § 111 Satz 3 BetrVG die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit dem Betriebsrat zu führen.58) Die – praktisch ohnehin wenig bedeutungsvolle – Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung nach § 122 InsO bleibt jedoch auch ihm verwehrt, § 122 InsO ist unanwendbar.59) Entsprechend der Situation beim sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter beginnt die dreiwöchige Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO hier mit Verhandlungsaufforderung des vorläufigen Verwalters gegenüber dem Betriebsrat. Scheitern die Verhandlungen, ist der vorläufige Verwalter gehalten, das für den Versuch einer Einigung über den Interessenausgleich vorgesehene Verfahren des § 112 Abs. 1 – 3 BetrVG voll auszuschöpfen und von sich aus die Einigungsstelle anzurufen, um Ansprüche auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu vermeiden.60) bb)

Vor Insolvenzeröffnung aufgestellte Sozialpläne (§ 123 InsO)

49 Grundsätzlich enthält § 123 InsO nur Sonderregelungen für Sozialpläne, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt wurden. Für Verbindlichkeiten aus solchen Sozialplänen schreibt § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, dass sie Masseverbindlichkeiten sind. Verbindlichkeiten aus Sozialplänen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind mithin grundsätzlich Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Dies entspricht der Systematik der InsO, die Masseverbindlichkeiten nur nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen lässt.61) Von dieser Grundregel macht die InsO eine Ausnahme, wenn ein sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter Verbindlichkeiten mit Verfügungsbefugnis nach §§ 21 Abs. 2, 22 InsO vor Eröffnung des Verfahrens begründet.62) Sozialpläne, die ein solcher ___________ 58) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 22 Rz. 99; Ennemann in: Kölner Schrift, S. 1473, 1479 Rz. 14 f. 59) Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 122 Rz. 39; a. A. Andres/Leithaus-Andres, InsO, § 122 Rz. 1. 60) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 22 Rz. 99; vgl. auch Ennemann in: Kölner Schrift, S. 1473, 1479 Rz. 15; vgl. LAG München, Beschl. v. 4.7.2002 – 4 Sa 565/01. 61) Vgl. BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 10 AZR 275/01, ZIP 2002, 2051 = BB 2002, 2451, dazu EWiR 2003, 283 (Moll/Langhoff). 62) Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 124 Rz. 23; für den vorläufigen Verwalter mit Befugnis nach §§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 22 InsO vgl. BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 10 AZR 275/01, ZIP 2002, 2051 = BB 2002, 2451.

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IV. Insolvenzgeldvorfinanzierung

vorläufiger Verwalter vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abschließt, begründen kraft gesetzlicher Fiktion Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 InsO). IV.

Insolvenzgeldvorfinanzierung

Ein wichtiges Instrument zur Finanzierung von Betriebsfortführungen im In- 50 solvenzeröffnungsverfahren ist die sog. Insolvenzgeldvorfinanzierung.63) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben gemäß § 165 SGB III Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.64) Die Vorbereitung und Durchführung der Insolvenzgeldvorfinanzierung steht regelmäßig an erster Stelle des Maßnahmenkatalogs in der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Hierbei werden die durch das Gesetz geschützten Arbeitsentgeltansprüche mit Zustimmung der Agentur für Arbeit an eine das Insolvenzgeld vorfinanzierende Bank abgetreten. Die Arbeitnehmer erhalten als Kaufpreiszahlung für die abgetretenen Ansprüche aus einem gesonderten Darlehen, das nicht der schuldnerischen Gesellschaft gewährt wird, eine Zahlung von bis zu 100 % netto, beschränkt auf die Beitragsbemessungsgrenze. Gemäß § 170 Abs. 1 SGB III folgt der Anspruch auf Insolvenzgeld dem An- 51 spruch auf Arbeitsentgelt, soweit der Arbeitnehmer diesen vor Antragstellung auf Insolvenzgeld auf einen Dritten übertragen hat. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 170 Abs. 4 SGB III der neue Gläubiger keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, die ihm vor dem Insolvenzereignis ohne Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte übertragen wurden. Daher liegt die erste Amtshandlung des vorläufigen Insolvenzverwalters darin, nach Erfassung des Sachverhalts die Zustimmung zur Vorfinanzierung des Insolvenzgelds bei der hierfür örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu beantragen, die hierüber per Bescheid entscheidet. Hierbei agiert der vorläufige Insolvenzverwalter in Vertretung für die vorfinanzierende Bank. Wenn die Agentur für Arbeit die Zustimmung durch Bescheid erteilt hat, führt 52 der vorläufige Insolvenzverwalter die Insolvenzgeldvorfinanzierung im Zusammenspiel mit der vorfinanzierenden Bank aus. Die Zahlung der Zinsen und Kosten hat dabei aus der Insolvenzmasse zu erfolgen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Insolvenzverwalter die Bank 53 bei der Erstellung des Antrags „Insolvenzgeld Dritte“ unterstützen, um so die Rückführung des Darlehens durch Auszahlung des Insolvenzgelds an die Bank ___________ 63) Schröder in: HambKomm-InsR, § 22 InsO Rz. 135. 64) Durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, v. 20.12.2011, BGBl. I 2011, 2854, wurden die Regelungen in das SGB III unter §§ 165 – 172 eingefügt. Bis dahin galten praktisch inhaltsgleich die §§ 183 – 189 SGB III.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

sicherzustellen. Der Antrag ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Vorliegen des Insolvenzereignisses, im Falle der Vorfinanzierung also der Insolvenzeröffnung, zu stellen (§ 324 Abs. 3 SGB III). V.

Mitarbeiterkommunikation

54 Wie bereits in der Vormerkung geschildert, liegt eine der wesentlichen Aufgaben des vorläufigen Insolvenzverwalters im Bereich des Arbeitsrechts in der Mitarbeiterkommunikation. Hierunter fallen in diesem Zusammenhang die Kommunikation mit den Arbeitnehmern als auch die Kommunikation mit dem Betriebsrat und den Vertretern der Gewerkschaften. Die unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten haben dabei unterschiedliche Interessen und Blickwinkel, die der vorläufige Insolvenzverwalter kennen muss. 1.

Bedeutung für die Sanierung

55 Eine kompetente und beteiligtenspezifische Kommunikation ist unerlässliche Voraussetzung für das Gelingen einer möglichen Sanierung. Die Kommunikation schafft die erforderliche Transparenz für die Verfahrensbeteiligten, die graduell unterschiedlich insolvenzerfahren sind. Arbeitnehmer verfügen regelmäßig über gar keine Insolvenzerfahrung, so dass keine Vorkenntnisse und keine Erfahrungswerte vorhanden sind. Betriebsräte können aufgrund von Schulungen schon über Vorkenntnisse verfügen, haben jedoch nur in seltenen Fällen eigene praktische Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können. Vertreter von Gewerkschaften oder den Rechtsberatungsgesellschaften der Gewerkschaften verfügen hingegen regelmäßig über einschlägige Vorkenntnisse und Insolvenzerfahrungen. Die Art der Ansprache und die Inhalte der Kommunikation können sich daher gerade zu Beginn des Insolvenzantragsverfahrens, wenn völlig unterschiedliche Voraussetzungen gegeben sind, sehr stark unterscheiden. Eine Sanierung wird nur dann zum erfolgreichen Erhalt des Unternehmens führen können, wenn es dem vorläufigen Insolvenzverwalter gelingt, das Vertrauen dieser Verfahrensbeteiligten zu gewinnen, wozu neben den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen auch fundierte Kenntnisse der Kommunikationsregeln erforderlich sind. 2.

Formen der Kommunikation

56 In Abhängigkeit der unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten ergibt sich die Notwendigkeit, die Form der Kommunikation der Situation und den Verfahrensbeteiligten anzupassen. Häufig ist es auch erforderlich, die im Unternehmen ursprünglich bestehenden Kommunikationswege, die sich bereits vor dem Insolvenzantrag etabliert hatten, wiederherzustellen. Die durch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung eingetretene neue Situation führt fast regelmäßig zur Verunsicherung auf Arbeitnehmerseite, da, wie zuvor erwähnt,

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V. Mitarbeiterkommunikation

keine genauen Kenntnisse über die dadurch eingetretenen rechtlichen Änderungen vorliegen. Dies gepaart mit der gleichzeitigen Fehlannahme, dass der vorläufige Insolvenzverwalter generell für alle Themen zuständig ist, kann dazu führen, dass in den ersten Stunden und Tagen nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung jeder Verfahrensbeteiligte, darunter auch die Arbeitnehmer, sich mit den unterschiedlichsten Anliegen unmittelbar an den vorläufigen Insolvenzverwalter wenden. Einen dadurch eintretenden Kommunikationsstau gilt es dann durch eine zügige geeignete Information der Verfahrensbeteiligten wieder aufzulösen. Dabei muss als erste Kernbotschaft vermittelt werden, dass trotz der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung die im Unternehmen vorhandenen Strukturen, die auch den Hierarchien entsprechen sollten, weiter zu nutzen. Die Frage nach der Lösung eines operativen Problems wird nicht der vorläufige Insolvenzverwalter beantworten können, sondern nur der Fachvorgesetzte. a)

Betriebsversammlungen

Der Betriebsrat ist berechtigt, über die in § 43 Abs. 1 Satz 1 und 4 BetrVG ge- 57 nannten regelmäßigen und zusätzlichen Betriebsversammlungen hinaus noch außerordentliche Betriebsversammlungen durchzuführen, wenn er dies für notwendig erachtet (§ 43 Abs. 3 BetrVG).65) Die Notwendigkeit einer außerordentlichen Betriebsversammlung ist insbesondere dann zu bejahen, wenn in einer Frage von besonderer Bedeutung die unverzügliche Abhaltung einer Betriebsversammlung sachlich und dringend geboten ist.66) Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und die dadurch eingetretene Situation begründet die Notwendigkeit der Einberufung einer außerordentlichen Betriebsversammlung durch den Betriebsrat. Die Betriebsversammlung besteht aus den Arbeitnehmern des Betriebs.67) Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 ist der Arbeitgeber zu den Betriebs- und Abteilungsversammlungen unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen. Hierunter wird auch die Teilnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters zu 58 subsumieren sein, auch wenn im Falle der Anordnung des Zustimmungsvorbehalts noch nicht von einem Übergang der Arbeitgeberbefugnis auszugehen ist. Da die Teilnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters regelmäßig im Interesse der Arbeitnehmer und des Betriebsrats steht, bedarf dies keiner weiteren Erörterung. Anders kann dies im Falle der Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung sein, weil die Vertretungs- und Verfügungsbefugnis dann nahezu uneingeschränkt beim Schuldner verbleibt und auch die Eröffnung des Verfahrens nicht zu einem Übergang der Arbeitgeberbefugnis führen soll. In diesem Fall ___________ 65) Fitting, BetrVG, § 43 Rz. 38. 66) Weber in: GK-BetrVG, § 43 Rz. 44. 67) Fitting, BetrVG, § 42 Rz. 14.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

wird es der Abstimmung im Einzelfall bedürfen, ob der vorläufige Sachwalter an einer solchen außerordentlichen Betriebsversammlung teilnehmen darf und soll. 59 Innerhalb der in den häufigsten Fällen zeitnah vom Betriebsrat einberufenen außerordentlichen Betriebsversammlung erteilt der Betriebsrat dem vorläufigen Insolvenzverwalter das Wort und ermöglicht so eine Information der Arbeitnehmer über die neue Situation, die sich nach der Insolvenzantragstellung ergibt und ihren unmittelbaren Konsequenzen für die Arbeitnehmer. Häufig wird diese Veranstaltung schon genutzt, um Erstinformationen über den Insolvenzschutz der Arbeitnehmer durch das Insolvenzgeld und eine angestrebte Insolvenzgeldvorfinanzierung zu erteilen. b)

Frage- und Antwortlisten

60 Die Mitarbeiter im Betrieb konfrontieren den vorläufigen Insolvenzverwalter häufig mit einer Vielzahl unterschiedlicher Fragen, die in Abhängigkeit der Arbeitnehmerzahlen im Betrieb mitunter schon aus faktischen Kapazitätsgründen nicht beantwortet werden können. Auch zeigt sich, dass viele Mitarbeiter die praktisch gleichen Fragen stellen, so dass es sich empfiehlt, diese Fragen zu bündeln und einheitlich zu beantworten. Die Erstellung von Frage- und Antwortlisten ist daher nicht nur eine prozessökonomische Lösung, sondern folgt auch der Regel der einheitlichen Kommunikation, um Missverständnisse und Widersprüche zu vermeiden. Im Anhang wird als Beispiel ein möglicher Frageund Antwortkatalog ausschnittsweise zu den Themen Insolvenzgeld und betriebliche Altersvorsorge angefügt. 61

Praxishinweis Die Erstellung eines entsprechenden Frage- und Antwortkatalogs kann sich als sehr arbeitsintensiv erweisen. Noch arbeitsintensiver ist es jedoch zu versuchen, entsprechende Fragen einzeln zu beantworten. Keine Lösung ist indes, die entsprechenden Fragen der Mitarbeiter unbeantwortet zu lassen.

62 In Abhängigkeit von den technischen Möglichkeiten und der Kommunikationskultur im Unternehmen wird der Frage- und Antwortkatalog im Intranet oder als Aushang, in Einzelfällen auch als Rundschreiben, zugänglich gemacht. Da das Insolvenzverfahren ein nicht öffentliches Verfahren ist, verbietet sich eine unbeschränkte Veröffentlichung bspw. durch unbeschränkten Zugang im Internet. c)

Direkte Ansprechbarkeit

63 Trotz der allgemeinen Informationen im Wege von Betriebsversammlungen und Frage- und Antwortkatalogen wird es Einzelfälle und Detailprobleme geben, die auch eine individuelle Beantwortung und Bearbeitung erfordern. So wie es die Prozessökonomie gebietet, die Betriebsversammlung nicht mit der Lösung von Einzelfallproblemen zu belasten, so ist die individuelle Beantwortung im Nachgang entsprechend berechtigter und relevanter Fragen unumgänglich.

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V. Mitarbeiterkommunikation

Auch insoweit gilt jedoch, vorhandene Strukturen zu nutzen und ggf. Fragen 64 und Fälle über die Personalabteilung zu bündeln und hierüber Kommunikationswege für das weitere Antragsverfahren zu etablieren. Der von Mitarbeitern häufig gewünschte direkte Zugang zum vorläufigen Insolvenzverwalter oder seinen Mitarbeitern ist in den meisten Fällen nicht zielführend, da in Unkenntnis des vollständigen Sachverhalts keine kompetenten Antworten gegeben werden können. Eine Strukturierung und Sachverhaltsaufbereitung im Vorfeld ist daher für alle Verfahrensbeteiligten von Vorteil. Die Kommunikation wird über die im Unternehmen üblichen Medien erfolgen können, wobei in der veränderten Situation der Krise eine Anpassung aus Gründen der Dokumentation erforderlich werden kann. d)

Betriebsrat

Wenn in dem Betrieb ein Betriebsrat bestellt ist, so empfiehlt sich die unver- 65 zügliche Kontaktaufnahme. Schon zur Abstimmung bzw. Anregung der Einberufung einer außerordentlichen Betriebsversammlung, die nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung zeitnah erfolgen sollte, ist dies erforderlich. Aufgrund der Vielzahl der Fragestellungen, die schon im Verlauf des Antragsverfahrens betriebsverfassungsrechtlich relevant sein können, ist die umfassende Information und Einbindung des Betriebsrates geboten. Dafür, dass aufgrund der zu Beginn des Antragsverfahrens bestehenden Hektik die zeitlichen Ressourcen des vorläufigen Insolvenzverwalters knapp sind, wird jeder Betriebsrat Verständnis aufbringen können. Allerdings kann es sein, dass im Laufe des weiteren Antragsverfahrens oder auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i. R. eines möglichen Sanierungs- und Veräußerungsprozesses unter Hochdruck Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich, Sozialplan oder sonstige Betriebsvereinbarungen zu führen sein werden. Es liegt auf der Hand, dass ein Betriebsrat, der sich bis dahin von dem Informationsfluss ausgeschlossen gefühlt hat, ein ganz anderer Verhandlungspartner sein wird, als der Betriebsrat, der bis dahin vollumfänglich informiert wurde und seine Informations- und Mitwirkungsrechte gewahrt sieht. 3.

Beispiel für einen Frage- und Antwortkatalog

Fragen zum Insolvenzverfahren allgemein: x

66

Wie und wann kann ich meine Forderungen für die Insolvenztabelle einreichen? Nach Eröffnung der Insolvenz erhalten Sie ein Schreiben des Insolvenzverwalters mit einer Auflistung Ihrer Ansprüche, welche Sie dann prüfen und gegenzeichnen bzw. ggf. korrigiert zurücksenden müssen. Mitarbeiter, die das Unternehmen bereits verlassen haben, erhalten diese Mitteilung per Post zugesandt.

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

x

Kann ein potenzieller Investor nur Teile des Unternehmens (z. B. einen Standort) erwerben? Ja, dies wäre möglich.

x

Sind die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen der Mitarbeiter öffentlich einsehbar? Sämtliche zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen können von den übrigen Gläubigern, nicht aber von der Öffentlichkeit, eingesehen werden.

x

Gibt es im vorläufigen Insolvenzverfahren einen Vorrang bzgl. Gehalts-/ Lohnforderungen gegenüber Forderungen anderer Gläubiger (z. B. Banken, Lieferanten)? Nein, in diesem Zusammenhang besteht kein besonderer Schutz der Mitarbeiterinteressen. Die Mitarbeiterforderungen werden genauso behandelt wie die Forderungen aller anderen Gläubiger.

x

Wenn es am Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der X-AG weitergeht, aber meine Stelle in der neuen Firma eventuell wegfällt, gelten dann die üblichen vertraglichen Kündigungsfristen? Nach Insolvenzeröffnung gelten die vertraglichen Kündigungsfristen. Der Insolvenzverwalter ist dabei jedoch an eine maximale Kündigungsfrist von drei Monaten gebunden.

x

Was ist eine Insolvenz? Insolvenz bezeichnet die Eigenschaft eines Schuldners, seine Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Gläubiger nicht erfüllen zu können. Das Insolvenzverfahren ist ein gerichtliches Verfahren, das der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger dient.

x

Wie ist die Situation seit Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens? An allen deutschen Standorten geht der Geschäftsbetrieb zunächst weiter. Die Geschäftsführung der X-AG bleibt im Amt und leitet die Geschäfte in Abstimmung mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Bis spätestens … wird dann voraussichtlich das Insolvenzverfahren vom AG … eröffnet.

x

Was geschieht jetzt mit unserem Standort? An allen Standorten geht der Geschäftsbetrieb zunächst weiter. Unser Ziel ist es, mit einem neuen Investor alle Standorte und so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten.

x

Welche Funktion hat eigentlich der Insolvenzverwalter im Unternehmen? Zunächst einmal befindet sich X-AG im vorläufigen Insolvenzverfahren und hat deshalb einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Die Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters ergeben sich aus den Beschlüssen des AG X sowie aus dem Gesetz. Ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters können bspw. keine wirksamen Verträge mehr abgeschlossen werden.

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V. Mitarbeiterkommunikation

x

Was passiert mit meinem Arbeitsverhältnis? Das Arbeitsverhältnis und somit auch die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen bestehen unverändert fort.

x

Gelten während des Insolvenzverfahrens alle arbeitsvertraglichen Regelungen, insbesondere auch in Bezug auf Kündigungsfristen? Grundsätzlich gelten alle arbeitsrechtlichen Regelungen auch i. R. der Insolvenz fort. Hinsichtlich der Kündigungsfristen gilt jedoch, dass ein Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit einer maximalen Kündigungsfrist von drei Monaten beenden kann.

x

Welche Rechte hat der Betriebsrat während der Insolvenz? Die betriebliche Mitbestimmung bleibt sowohl vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich unverändert.

x

Was ist eine Insolvenztabelle? Dabei handelt es sich um das Verzeichnis der beim Insolvenzgericht angemeldeten Insolvenzforderungen (§§ 174 ff. InsO).

Einzelthemen: x

67

Werde ich für Bewerbungsgespräche freigestellt? Die Freistellung für ein Bewerbungsgespräch muss mit der Führungskraft abgesprochen werden. Für die ausfallende Arbeitszeit sollen Gleitzeitguthaben verwendet oder Urlaubstage in Anspruch genommen werden. Wenn das Arbeitsverhältnis bereits gekündigt ist, müssen hierfür keine Urlaubs- und Zeitguthaben eingebracht werden. Die Abstimmung mit der Führungskraft muss dennoch erfolgen.

x

Benötige ich zukünftig eine spezielle Reisegenehmigung? Für die Mitarbeiter der X-AG wurde der neue Prozess am … kommuniziert. Bitte entnehmen Sie die weiteren Details der entsprechenden E-Mail.

x

Sollen Reisekosten, die vor dem Tag der Antragstellung angefallen sind, noch eingereicht werden? Werden diese Reisekosten noch erstattet werden? Wenn ja: Wann? Für die Mitarbeiter der X-AG wurde der neue Prozess am … kommuniziert. Bitte entnehmen Sie die weiteren Details der entsprechenden E-Mail.

x

Was passiert mit den Reisekostenabrechnungen, die vor dem Tag der Antragstellung noch eingereicht wurden, jedoch noch nicht ausbezahlt sind? Für die Mitarbeiter der X-AG wurde der neue Prozess am … kommuniziert. Bitte entnehmen Sie die weiteren Details der entsprechenden E-Mail.

x

Sollen Reisekosten, die nach dem Tag der Antragstellung angefallen sind, auf dem bekannten Weg eingereicht werden? Wann erfolgt die Erstattung?

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§ 16 Arbeitsrecht der vorläufigen Insolvenzverwaltung

Für die Mitarbeiter der X-AG wurde der neue Prozess am … kommuniziert. Bitte entnehmen Sie die weiteren Details der entsprechenden E-Mail. x

Kann ich meine Firmenkreditkarte weiterhin für Reisen verwenden? Alle Kreditkarteninhaber wurden mit einer E-Mail am … darüber informiert, dass die Firmenkreditkarten wieder freigeschaltet sind.

x

Wie kann ich meinen Urlaub beantragen? Urlaub muss wie bisher beim Vorgesetzten beantragt werden.

x

Wird mein Urlaubsgeld wie gehabt ausbezahlt? Urlaubsgeld ist ein normaler Bestandteil der Löhne und Gehälter.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

Undritz/Röger

Übersicht I.

Übertragende Sanierung als rettender Neustart............................. 1 II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen .......................................... 4 1. Übertragung von Einzelvermögenswerten (Asset Deal) .............. 4 2. Sanierungshindernis § 613a BGB ...... 5 3. Betriebsübergang in Abgrenzung zur Betriebsstilllegung ....................... 8 a) Betriebsübergang ......................... 9 b) Betriebsstilllegung ..................... 13 aa) Kriterien für die Stilllegung ...... 19 bb) Wiedereinstellungs/Fortsetzungsansprüche bei übertragender Sanierung ........... 23 c) Vermeidung eines Betriebsübergangs bei übertragenden Sanierungen................................ 27 4. Eingeschränkte Rechtsfolge des § 613a BGB in der Insolvenz ........... 34 a) Reduzierte Haftung des Erwerbers ....................................... 35 b) Sonderfall Urlaubsansprüche.... 38 c) Sonderfall Altersteilzeit ............ 40 d) Betriebliche Altersversorgung ...................................... 41

III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung............... 45 1. Gestaltung von Kaufvertragsklauseln ............................................. 46 2. Umsetzung eines Personalabbaus................................................ 48 a) Erwerberkonzept....................... 53 aa) Vereinbarkeit mit § 613a Abs. 4 BGB ................................ 54 bb) Anforderungen an ein Erwerberkonzept........................... 55 cc) Kombination mit anderen arbeitsrechtlichen Instrumenten ....................................... 59 b) Zwischenschaltung von Transfergesellschaften (BQG-Modell) .......................... 62 3. Beteiligung der Arbeitnehmervertretung ......................................... 65 4. Unterrichtung der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang .............. 73 a) Form der Unterrichtung........... 75 b) Inhalt der Unterrichtung .......... 77 c) Rechtsfolgen.............................. 78 IV. Ausblick ........................................... 82

Literatur: Annuß, Der Betriebsübergang nach „Ayse Süzen“, NZA 1998, 70; Bauer/ v. Steinau-Steinrück, Neuregelung des Betriebsübergangs: Erhebliche Risiken und viel mehr Bürokratie!, ZIP 2002, 457; Bonanni/Niklas, Der Wiedereinstellungsanspruch bei überraschendem Betriebsübergang, DB 2010, 1826; Bothe, Europäisches Arbeitsrecht bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz, ZIP 2017, 2441; Düwell/Pulz, Urlaubsansprüche in der Insolvenz, NZA 2008, 786; Fuhlrott, Zwischengeschaltete Transfergesellschaften zur Vermeidung von Betriebsübergängen, NZA 2012, 549; Fuhlrott/Salamon, Vermeidungsstrategien und Gestaltungsmöglichkeiten bei Betriebsübergängen, BB 2012, 1793; Gaul/Otto, Unterrichtungsanspruch und Widerspruchsrecht bei Betriebsübergang und Umwandlung, DB 2002, 634; Göpfert/Buschbaum, „Vierseitiger Vertrag“ zur Abwehr von Widerspruchsrisiken bei Insolvenz des Betriebserwerbers, ZIP 2011, 64; Grau, Unterrichtung und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang gem. Paragraph 613a Abs. 5 und 6 BGB, Dissertation 2005; Grau/Schaut, Neuere Entwicklungen bei den Anforderungen an § 613a BGB-Unterrichtungsschreiben, NZA 2018, 216; Hanau, Aufhebungsvertrag und Betriebsübergang, ZIP 1999, 324; Hanau, Perversion und Prävention bei § 613a BGB, ZIP 1998, 1817; Hausch, Gestaltungsmittel im Asset Deal-Unternehmenskaufvertrag im Hinblick auf § 613a BGB, BB 2008, 1392; Hilgenstock, Ordnungsgemäße Unterrichtung beim Betriebsübergang doch möglich?, ArbRAktuell 2012, 303; Hinrichs/ Kleinschmidt, Sanierungsmodell mit neuen Hindernissen?, ZInsO 2012, 949; Hoffmann/

Undritz/Röger

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung Marquardt, Der Übergang von Arbeitsverhältnissen bei der übertragenden Sanierung, NZI 2017, 513; Holler, Konturierung des Begriffs der "Entlassung" nach dem § 17 KSchG, NZA 2019, 291; Krieger/Fischinger, Umstrukturierung mit Hilfe von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, NJW 2007, 2289; Krieger/Willemsen, Der Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang, NZA 2011, 1128; Klocke, Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bei fehlerhafter Information nach § 613a Abs. 5 BGB, RdA 2017, 311; Lakies, Kündigung in der Insolvenz, ArbRAktuell 2012, 366; Lakies, Das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO, NZI 2000, 345; Lembke, Besonderheiten beim Betriebsübergang in der Insolvenz, BB 2007, 1333; Lipinski/Kaindl, Risiken und Chancen des § 613a BGB bei M&A-Transaktionen: Strategien zur Vermeidung und Gestaltung eines Betriebs(teil)übergangs, BB 2018, 245; Lunk, Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die Unterrichtungspflicht bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 5 BGB, RdA 2009, 48; Menke/Wolf, Alles hat ein Ende …? – Betriebsübergang versus Betriebsstilllegung in der Insolvenz, BB 2011, 1461; Merten, Personalabbau beim Unternehmenskauf aus der Insolvenz, in: Festschrift für Jobst-Hubertus Bauer, 2010, S. 755; Moll, Betriebsübergang und Betriebsänderung, RdA 2003, 129; Mückl, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz – jetzt erst recht ein Sanierungshindernis?, ZIP 2012, 2373; Mückl/Götte, Die sog. „Widerspruchslösung“ – sinnvolle Alternative zu Transfergesellschaft und Erwerberkonzept oder vergebliche Liebesmühe?, ZInsO 2017, 357; Pils, Umgehung von § 613a BGB durch Einsatz einer Transfergesellschaft, NZA 2013, 125; Reinhard, Einflüsse und Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf das nationale Recht – Betrachtung des Unternehmers K., RdA 2015, 321; Rieble, Das insolvenzarbeitsrechtliche Beschlussverfahren des § 126 InsO, NZA 2007, 1393; Röger, Das zuständige Betriebsratsgremium beim Personalabbau in der Insolvenz, ZIP 2018, 2045; Römermann, Neues Insolvenz- und Sanierungsrecht durch das ESUG, NJW 2012, 645; Schiefer, Rechtsfolgen des Betriebsübergangs nach § 613a BGB, NJW 1998, 1817; Schmädicke/Fackler, Die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung gem. § 122 InsO, NZA 2012, 1199; Schmidt, K., Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1980, 328; Stenslik, Unternehmenskauf in der Insolvenz – Arbeitsrechtliche Besonderheiten, DStR 2016, 874; Tretow, Die Betriebsveräußerung in der Insolvenz, ZInsO 2000, 309; Vallender, Insolvenzkultur gestern, heute und morgen, NZI 2010, 838; Wellensiek, Probleme bei der Betriebsveräußerung aus der Insolvenz, NZI 2005, 603; Willemsen, „Freikauf durch Einkauf?“ – Vermeidung des § 613a BGB durch Austausch wesentlicher Betriebsmittel, NZA 2017, 953; Willemsen, Aufhebungsverträge bei Betriebsübergang – ein „Erfurter Roulette“?, NZA 2013, 242; Willmer/Fuchs/Berner, Der Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613a IV BGB als Sanierungsinstrument – Die Widerspruchslösung, NZI 2015, 263; Zipperer, Übertragende Sanierung – Sanierung ohne Grenzen oder erlaubtes Risiko?, NZI 2008, 206.

I.

Übertragende Sanierung als rettender Neustart Arbeitsrechtliche Anforderungen: BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152 BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 = DB 2013, 236

1 Das für die Praxis wichtigste Instrument zur Rettung eines in die Insolvenz geratenen Unternehmens ist die sog. übertragende Sanierung.1) Mit ihr werden alle ___________ 1) Der Begriff wurde von K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336, geprägt und ist seitdem im Insolvenzrecht fest eingebürgert. Auch im Arbeitsrecht hat sich der Begriff etabliert, vgl. BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, BAGE 153, 271 = ZIP 2016, 178, dazu EWiR 2016, 179 (Klasen); BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, ZIP 2013, 537 = NZI 2013, 407; zur übertragenden Sanierung im Überblick Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 29 ff., 206 ff.

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Undritz/Röger

I. Übertragende Sanierung als rettender Neustart

oder wesentliche Unternehmensgegenstände auf einen anderen Rechtsträger übertragen und auf diese Weise die Vermögensgegenstände (Aktiva) von den an der Insolvenzschuldnerin haftenden Verbindlichkeiten (Passiva) getrennt. Der Erwerber erhält die Chance eines wirtschaftlichen Neustarts und kann das so von den Verbindlichkeiten befreite Unternehmen fortführen sowie ggf. weiter sanieren. Für die Überlebenschance des angeschlagenen Unternehmens ist demnach von 2 zentraler Bedeutung, dass seine Altverbindlichkeiten rechtlich nicht den Erwerber belasten.2) Nachdem die drohende Haftung nach § 419 BGB durch dessen Abschaffung zum 1.1.1999 ganz entfallen ist und die Haftung des Erwerbers bei einer übertragenden Sanierung auch durch andere Vorschriften3) ausgeschlossen oder begrenzt wird, steht und fällt der Erfolg einer übertragenden Sanierung in der Praxis nicht selten mit seinen arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen. Vielfach sind Personalreduzierungen und Änderungen an den Arbeitsbedingungen unverzichtbar, um das Unternehmen veräußern zu können und damit wenigstens einen Teil der Arbeitsplätze zu retten.4) Gerade dies wird aber durch die Vorschrift des § 613a BGB, der auch in der Insolvenz anwendbar ist (siehe unten Rz. 5 ff.), erschwert. Zwar hat auch das BAG ausdrücklich erkannt, dass die InsO der Möglichkeit 3 diene, zur Rettung von Unternehmen oder Unternehmensteilen das Unternehmen von Schulden der Insolvenzschuldnerin zu befreien und dem Erwerber einen Neustart zu ermöglichen.5) Und auch die InsO selbst bietet einige arbeitsrechtliche Erleichterungen für die übertragende Sanierung (bspw. § 120 InsO (Kündigung von Betriebsvereinbarungen), § 122 InsO (gerichtliche Zustimmung zur vorzeitigen Durchführung einer Betriebsänderung), § 125 InsO (Interessenausgleich mit Namensliste) und § 126 InsO (Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz)). Andererseits zeigt die Praxis der übertragenden Sanierung, dass die arbeitsrechtlichen Hürden für einen Erwerber, sich an die Rettung und Sanierung eines insolventen Unternehmens zu wagen, nach wie vor hoch6) und in der jüngeren Vergangenheit zudem noch gewachsen sind.7) ___________ 2) Zutreffend: „Unternehmen in der Insolvenz sind eine schwer verkäufliche Ware.“, so Zipperer, NZI 2008, 206. 3) Vgl. § 75 Abs. 2 AO und zu § 25 HGB BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, ZIP 2013, 1186, dazu EWiR 2013, 369 (Bross); BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151 = ZIP 1988, 727, dazu EWiR 1988, 811 (Joost). 4) So auch Wellensiek, NZI 2005, 603; Röger-Meyer, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 206. 5) BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, ZIP 2013, 537 = NZI 2013, 407. 6) Insbesondere kritisch zur Geltung des § 613a BGB i. R. von Insolvenzen: Undritz in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 364 ff., und Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 30. 7) Hinrichs/Kleinschmidt, ZInsO 2012, 949, zum Sanierungsinstrument der BQG nach den Entscheidungen des BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152, dazu EWiR 2012, 41 (Joost), und BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 = DB 2013, 236; kritisch auch Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 309 ff.; Mehrens, BB 2010, 2184.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

II.

Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

1.

Übertragung von Einzelvermögenswerten (Asset Deal)

4 Ein Unternehmen kann durch eine Veräußerung der Anteile (Share Deal) oder durch Veräußerung von Einzelvermögenswerten (Asset Deal) übertragen werden. Befindet sich das zu verkaufende Unternehmen allerdings in der Insolvenz, ist die Veräußerung nur erfolgreich, wenn der Erwerber mit der übertragenden Sanierung bestehende Risiken und Verbindlichkeiten abschütteln kann. Das gelingt nur durch einen Asset Deal, da bei einer reinen Anteilsveräußerung (Share Deal) der auf diesem Wege erworbene Rechtsträger die Verbindlichkeiten noch mit sich führen würde.8) Mit gleichem Ergebnis (Übertragung des Unternehmens bei Befreiung von gewissen Verbindlichkeiten) kann ein Unternehmen in der Insolvenz auch über einen Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) mit einem sog. Kapitalschnitt saniert und übertragen werden.9) 2.

Sanierungshindernis § 613a BGB

5 Der faktische Zwang, für die übertragende Sanierung Einzelvermögenswerte zu veräußern (Asset Deal), führt – anders als bei einem Share Deal10) – unmittelbar in das arbeitsrechtliche Revier des § 613a BGB. Geht demnach ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen der dem Betrieb oder Betriebsteil zugeordneten Arbeitnehmer ein und „erbt“ auf diese Weise auch alle zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs für die betroffenen Arbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen.11) 6 Diese den Neustart des Unternehmens durchaus belastende Norm des § 613a BGB findet auch bei einer Betriebsveräußerung durch einen Insolvenzverwal-

___________ 8) Eingehend zum Share und Asset Deal: Undritz in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 273 ff.; insbesondere einzeln zu Vor- und Nachteilen vom Asset und Share Deal: Buchta in: Hölters, Hdb. Unternehmenskauf, Teil 14 Rz. 14.34 ff.; vgl. hierzu auch: Stenslik, DStR 2016, 874 9) Der Anteil sog. „Plansanierungen“ nimmt seit den verbesserten Möglichkeiten einer Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO durch das ESUG zu, vgl. Lau/Schlicht in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 2 Rz. 97 ff. 10) Der bloße Erwerb von Anteilen an einer Gesellschaft und die Ausübung von Herrschaftsmacht über diese Gesellschaft durch eine andere Gesellschaft genügen nicht für die Annahme eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB, BAG, Urt. v. 23.3.2017 – 8 AZR 91/15, ZIP 2017, 1434, dazu EWiR 2017, 671 (Weller). 11) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 116 ff. Dies umfasst etwa auch die beim Veräußerer zurückgelegte Betriebszugehörigkeit, was u. a. für die Berechnung der maßgeblichen Frist für eine nach Betriebsübergang vom Erwerber ausgesprochene Kündigung von Bedeutung ist, EuGH, Urt. v. 6.4.2017 – Rs. C-336/15, ZIP 2017, 1038 = NZA 2017, 484, dazu EWiR 2017, 379 (Mückl).

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

ter Anwendung.12) Der Erwerber sieht sich danach den Personalkosten, die womöglich ein Grund für die Unternehmenskrise waren, unverändert ausgesetzt. Der von ihm zu schulternde Kostenaufwand führt dann zwangsläufig dazu, dass der Erwerber bei der Bemessung des Kaufpreises für das Unternehmen entsprechende Abzüge macht und so letztlich ein geringerer Erlös zur Befriedigung der Gläubiger erzielt wird.13) Nicht selten nehmen Investoren wegen der Belastung des § 613a BGB gänzlich vom Erwerb des Unternehmens Abstand. Die Vorschrift, die Arbeitnehmer und ihren Arbeitsplatz schützen will, lässt dann die Rettung scheitern und vernichtet Arbeitsplätze statt sie zu retten.14) Die Vorschrift des § 613a BGB wird demnach zu Recht in der Insolvenz als Sanierungshindernis bezeichnet.15) Das BAG macht dem eine übertragende Sanierung in den Blick nehmenden Er- 7 werber keine Hoffnung auf Besserung. Nach ständiger Rechtsprechung16) ist § 613a BGB in der Insolvenz uneingeschränkt anwendbar, sofern es um den Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse geht.17) Es bestehe darüber hinaus keine Notwendigkeit einer besonders „sanierungsfreundlichen“ Auslegung der Norm. § 613a BGB solle insbesondere verhindern, dass eine Betriebsveräußerung zum Anlass genommen wird, die erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer abzubauen. Dagegen bezwecke § 613a BGB nicht, Sanierungen im Falle von Betriebs-

___________ 12) Die europäische Richtlinie, der § 613a BGB zugrunde liegt, regelt (wohlweislich) ausdrücklich, dass ihre Vorschriften bei einer Veräußerung aus der Insolvenz nicht anwendbar sind, die Mitgliedstaaten aber davon abweichend die Regelungen zum Betriebsübergang auch für diese Fälle festlegen können (Art. 5 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates v. 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnhemer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl.(EG) L 82/16 v. 22.3.2001). Viele europäische Staaten sind diesem Grundsatz der Richtlinie gefolgt und wenden die Vorschriften der Richtlinie damit bei übertragenden Sanierungen nicht an (vgl. z. B. in England Reg. 8 (7) Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006). Vgl. ausführlich auch Bothe, ZIP 2017, 2441 ff. 13) Dazu Undritz in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 364 ff. 14) Vgl. etwa Hanau, ZIP 1999, 324 – „zu einem Instrument des Arbeitsplatzabbaus pervertiert“. 15) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 30; Mückl, ZIP 2012, 2373. 16) BAG, Urt. v. 14.11.2012 – 5 AZR 778/11, AuR 2013, 226; BAG, Beschl. v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, ZIP 2010, 588, dazu EWiR 2010, 543 (Tintelnot/Graj); BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682, dazu EWiR 2009, 403 (Mückl); BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, BB 2007, 1281 = DB 2007, 1707; BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027, dazu EWiR 2003, 909 (Schnitker/Grau); zum Konkursverwalter bereits: BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377. 17) Das wird u. a. aus dem Wortlaut des § 128 Abs. 2 InsO gefolgert. Vgl. Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 31; Undritz in: Runkel/J. M. Schmidt, AHB Insolvenzrecht, § 15 Rz. 83; Bothe, ZIP 2017, 2441, 2449.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

übernahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern.18) Der Sanierungspraxis bleibt derzeit nichts anderes übrig, als mit diesen Folgen zu leben und im Verhandlungswege zwischen Insolvenzverwalter und Erwerber Lösungen zu finden, die eine zumindest teilweise Fortführung des Unternehmens sichern. 3.

Betriebsübergang in Abgrenzung zur Betriebsstilllegung

8 Die Veräußerung von Einzelvermögenswerten i. R. einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz wird in den meisten Fällen den Tatbestand des § 613a BGB erfüllen. In der Sanierungspraxis gibt es aber Fälle, in denen § 613a BGB nicht zum Tragen kommt. Die den Sanierungserfolg u. U. hindernden Rechtsfolgen des § 613a BGB treten nämlich nur ein, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.19) a)

Betriebsübergang

9 Ein Betriebsübergang nach § 613a BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger einen Betrieb oder Betriebsteil unter Wahrung seiner Identität fortführt.20) Die in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zu findende sprachliche Trennung von Betrieb und Betriebsteil hat nach der für die Anwendung des § 613a BGB prägenden Rechtsprechung des EuGH nur untergeordnete Bedeutung.21) Für die Sanierungspraxis ist demnach maßgeblich, ob mit der übertragenden Sanierung eine wirtschaftliche Einheit identitätswahrend übergeht. Nach Art. 1 Abs. 1 lit. b der Betriebsübergangsrichtlinie22) gilt als Übergang i. S. der Richtlinie „… der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit i. S. einer organisatorischen Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.“

___________ 18) BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 = DB 2013, 236, dazu EWiR 2013, 169 (Lindemann); BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, NZA-RR 2008, 367 = DB 2008, 989; a. A. LAG Hamm, Urt. v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, ZInsO 2000, 292. 19) § 613a BGB verbietet keine Gestaltung, mit der die tatsächlichen Voraussetzungen eines Betriebsübergangs vermieden werden, BAG, Urt. v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, BAGE 124, 159 = ZIP 2008, 801, dazu EWiR 2008, 519 (Lindemann); Menke/Wolf, BB 2011, 1461, 1464. 20) BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, ZIP 2018, 441 = NJW 2018, 885, dazu EWiR 2018, 285 (Joost); BAG, Urt. v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123, dazu EWiR 2017, 317 (Bross/Kühler). 21) Zur Prägung der Rspr. des BAG durch die Rspr. des EuGH auch Willemsen in: Willemsen/ Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Abschn. G Rz. 11 f. 22) Richtlinie 2001/23/EG des Rates v. 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen – Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG, ABl. (EG) L 82/16 v. 22.3.2001.

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

Die Rechtsprechung verwendet zur Prüfung, ob ein Betriebsübergang vorliegt, 10 einen Sieben-Punkte-Katalog mit Einzelkriterien, die jeweils im Einzelfall in eine Gesamtabwägung einzubeziehen sind: x

Art des Unternehmens oder Betriebs,

x

Übergang materieller Betriebsmittel,

x

Wert der immateriellen Aktiva,

x

Übernahme der Hauptbelegschaft,

x

Übergang der Kundschaft,

x

Ähnlichkeitsgrad zwischen den vor und nach Übergang verrichteten Tätigkeiten,

x

Dauer einer Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit.

Übernimmt ein Erwerber bei einer übertragenden Sanierung das Unternehmen 11 mit den wesentlichen materiellen und immateriellen Betriebsmitteln sowie dem Großteil des Mitarbeiterstamms, wird fast immer ein Übergang des gesamten Betriebs vorliegen. Aber auch der Erwerb bestimmter Unternehmensteile aus der Insolvenz kann zur Anwendung des § 613a BGB führen, wenn und soweit die übertragenen Vermögenswerte einen Betriebsteil i. S. von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ausmachen. Die in der Vergangenheit in der Praxis verwendete Strategie, den übernomme- 12 nen Betrieb mit einer Zerschlagung in seine Einzelteile zu zerlegen, in eine beim Erwerber bereits bestehende Organisation einzugliedern und auf diese Weise das von § 613a BGB geforderte Merkmal der Identitätswahrung auszuschließen, hat nach der Ferrotron/Klarenberg-Entscheidung des EuGH23) an Bedeutung verloren. Wenn der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit nicht bewahrt, die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren aber beibehalten wird und sie es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen, wird ein Betriebsübergang nämlich nicht verhindert.24) Bei einer Zerschlagung kommt es mit anderen Worten nicht auf formale Aspekte der Betriebsorganisation an, sondern vielmehr darauf, ob der Erwerber den Betrieb bzw. Betriebsteil auf die Art nutzt, wie es der Veräußerer getan hat.25) ___________ 23) EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C-466/07 (Klarenberg), Slg. 2009, I-803 = ZIP 2009, 433, dazu 2009, 281 (Laskawy/Lomb). 24) EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – Rs. C-466/07 (Klarenberg), Slg. 2009, I-803 = ZIP 2009, 433; BAG, Urt. v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13, NZG 2016, 35 = AP Nr. 462 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412 = AP Nr. 373 zu § 613a BGB; Menke/Wolf, BB 2011, 1461, 1464. 25) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 203; Reinhard, RdA 2015, 321, 324.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

b)

Betriebsstilllegung

13 Ein Betriebsübergang liegt nicht vor, wenn der Betrieb stillgelegt wird. Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen einander aus.26) Legt ein Insolvenzverwalter den Betrieb still und verwertet bloß die Vermögenswerte der Insolvenzschuldnerin, ist ein Betriebsübergang in der Regel ausgeschlossen. 14 Die Grenze zum Betriebsübergang und dem Eingreifen der Rechtsfolgen des § 613a BGB ist allerdings in der Praxis bisweilen schwer zu ziehen. Führt die Verwertung von Gegenständen aus der Insolvenzmasse nämlich dazu, dass ein Erwerber eine wirtschaftliche Einheit im oben genannten Sinne fortführt, ist die Anwendung des § 613a BGB selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Insolvenzverwalter sich zunächst zur Stilllegung des Betriebs entschlossen hatte. 15

Praxishinweis Der Erwerber, der Vermögenswerte von einem Insolvenzverwalter aus der Verwertung der Insolvenzmasse erwirbt, muss deshalb sorgfältig prüfen, ob er in der Gefahr steht, eine wirtschaftliche Einheit zu erwerben und damit in mit der Insolvenzschuldnerin noch bestehende Arbeitsverhältnisse einzutreten.

16 Die arbeitsrechtlichen Risiken für den Erwerber bei einer übertragenden Sanierung sind umso geringer, je mehr Zeit seit der Stilllegung des Betriebs vergangen ist. Denn eine Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit kann dazu führen, dass ein Betriebsübergang ausgeschlossen ist. Da zudem ein Erwerber eines Betriebs i. R. einer übertragenden Sanierung nur in die zum Zeitpunkt des Übergangs rechtlich noch bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt und die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer zwischenzeitlich durch die Kündigung des Insolvenzverwalters nach Ablauf der Kündigungsfrist (maximal drei Monate, § 113 InsO) schon beendet sein können, lassen sich die arbeitsrechtlichen Risiken des Erwerbs mit dem Laufe der Zeit in den Griff bekommen. 17

Praxishinweis Die arbeitsrechtlichen Vorteile eines hinausgeschobenen Betriebsübergangs müssen mit den Nachteilen abgewogen werden, die mit dem Lauf einer Unterbrechung der Betriebstätigkeit zunehmen, wenn bspw. Lieferanten- oder Kundenbeziehungen abbrechen oder mehr und mehr Arbeitnehmer das Unternehmen verlassen.

18 Liegt die im Anschluss an eine Stilllegung und Kündigung der Arbeitsverhältnisse vorgenommene übertragende Sanierung aber noch innerhalb der Kündigungsfristen der betroffenen Arbeitnehmer oder gibt es schwebende Kündigungsschutzverfahren über die wegen Stilllegung ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen, bekommt die kündigungsschutzrechtliche Stellung der Arbeitneh___________ 26) BAG, Urt. v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13, NZG 2016, 35 = AP Nr. 462 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 = DB 2012, 1817.

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

mer für die übertragende Sanierung eine zentrale Bedeutung. Für die Arbeitsverhältnisse der gekündigten Arbeitnehmer gilt in diesen Grenzfällen Folgendes: aa)

Kriterien für die Stilllegung

Hat der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer 19 wegen Betriebsstilllegung gekündigt, ist seine Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.27) Dazu reicht es aus, wenn die Stilllegung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kündigungszugangs greifbare Formen angenommen hat und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist die Stilllegung durchgeführt ist und der Arbeitnehmer entbehrt werden kann.28) Erforderlich ist dazu aber, dass der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt des Kündigungszugangs den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen.29) An einem endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es hingegen, wenn 20 der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt des Kündigungszugangs in Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebs steht und gleichwohl wegen Betriebsstilllegung kündigt.30) Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber sich im Zeitpunkt der Kündigung noch um neue Aufträge bemüht.31) Ist andererseits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Betriebsstillle- 21 gung endgültig geplant und bereits eingeleitet, behält sich der Arbeitgeber aber ___________ 27) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 = DB 2012, 1817; zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen bei Betriebsstilllegung Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 21 ff., und Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 91 f. 28) Seit BAG, Urt. v. 27.2.1958 – 2 AZR 445/55, BAGE 6, 1 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 29) BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 = DB 2012, 1817; vgl. BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 = NZA 2007, 1431 = AP Nr. 325 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2008, 199 (Wißmann/Cieslak); BAG, Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849 = AP Nr. 16 zu § 115 SGB X, dazu EWiR 2010, 319 (Klasen); BAG, Urt. v. 26.4.2007 – 8 AZR 612/06, AP Nr. 5 zu § 125 InsO = NZA 2007, 1319; BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, AP Nr. 237 zu § 613a BGB = NZA 2003, 93; Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 22, und Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 89 f.; Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 57; Moll, RdA 2003, 129, 131. 30) BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, ZIP 2018, 994 = DB 2018, 774, dazu EWiR 2018, 377 (Hergenröder); BAG, Urt. v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13, NZG 2016, 35 = AP Nr. 462 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720 = AP Nr. 139 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, lehnt auch hier die endgültige Stilllegungsabsicht eines Insolvenzverwalters ab und stützt sich dabei insbesondere auf die im vorausgegangenen Interessenausgleich vereinbarte Neuverhandlung, falls ein Betriebsübergang auf einen dritten Interessenten erfolgt. 31) BAG, Urt. v. 21.5.2015 – 8 AZR 409/13, NZG 2016, 35 = AP Nr. 462 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 = DB 2012, 1817.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

eine spätere Betriebsveräußerung vor, falls sich eine Chance biete, und gelingt dann später doch noch eine Betriebsveräußerung, bleibt es bei der sozialen Rechtfertigung der Kündigung.32) 22

Praxishinweis Um keine ungerechtfertigten Zweifel an der ursprünglichen Betriebsstilllegung aufkommen zu lassen und Klagen der betroffenen Arbeitnehmer zu provozieren, ist in der Praxis eine sorgfältig bedachte Außenkommunikation der Insolvenzverwaltung und des Erwerbers von großer Bedeutung.

bb)

Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsansprüche bei übertragender Sanierung

23 Insbesondere im Fall einer Insolvenz ist es allerdings nicht unüblich, dass es doch noch nach Ausspruch der Kündigungen aufgrund der Betriebsstilllegung zu einer übertragenden Sanierung des Betriebs oder wenigstens eines Betriebsteils kommt. Weil es für die Wirksamkeit einer wegen einer Betriebsstilllegung ausgesprochenen Kündigung auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem die Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist, machen der spätere Betriebsübergang und die daraus folgende Reaktivierung der Arbeitsplätze die vorangegangenen Kündigungen nicht nachträglich unwirksam.33) Es stellt sich in diesem Fall vielmehr die Frage, ob die Arbeitnehmer vom Insolvenzverwalter und/oder Betriebserwerber ihre Wiedereinstellung bzw. Fortsetzung des zunächst gekündigten Arbeitsverhältnisses verlangen können. Dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: 24 Kommt es nach Kündigung und faktischer Betriebseinstellung noch während des Laufs der Kündigungsfrist zu einem Übergang des ganzen Betriebs oder einzelner Betriebsteile, wird der neue Betriebsinhaber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der Arbeitgeber der dem Betrieb oder Betriebsteil zuzuordnenden Arbeitnehmer und übernimmt so deren Arbeitsverhältnisse, wenn auch im gekündigten Zustand.34) Ob einem vom nachträglichen Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer auch ein Fortsetzungsanspruch gegen den neuen Betriebsinhaber zusteht, ist vom BAG bislang nicht entschieden, wird von den

___________ 32) BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687 = AP Nr. 199 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG, Urt. v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465 = DB 2012, 1817. 33) BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, AP Nr. 237 zu § 613a BGB = NZA 2003, 93; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 91. 34) BAG, Urt. v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849 = AP Nr. 16 zu § 115 SGB X, dazu EWiR 2010, 319 (Klasen); LAG Saarland, Urt. v. 24.2.2016 – 2 Sa 80/15, BeckRS 2016, 67772; Cohnen in: Münch-AHB ArbR, § 53 Rz. 44.

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

Instanzgerichten überwiegend aber abgelehnt.35) Soweit hingegen ein Fortsetzungsanspruch dem Grunde nach bejaht wird, ist er wiederum ausgeschlossen, wenn der Erwerber schon Dispositionen getroffen hat, die ein schutzwürdiges, die Belange des Arbeitnehmers überwiegendes Interesse daran begründen, es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.36) Wenn zudem die vom Erwerber übernommene Anzahl an Arbeitsplätzen geringer ist als die Anzahl der vom Insolvenzverwalter gekündigten Arbeitnehmer, die ihren Anspruch auf Wiedereinstellung geltend machen können, müssten bei der Auswahl der wiedereinzustellenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte (Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten der Arbeitnehmer) berücksichtigt werden.37) Wenn der Betriebs(teil)übergang nach einer Kündigung wegen insolvenzbe- 25 dingter Betriebsstilllegung erst nach Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist erfolgt, ist die Rechtsprechung klar: In diesem Fall besteht nach dem BAG kein Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch.38) Etwas anderes widerspräche dem Konzept der InsO, die auf schnelle Abwicklung und Sanierung abzielt.39) Im entschiedenen Fall hat das Gericht einen Anspruch bei einem nur vier Tage nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Betriebsübergang unter Verweis auf die Besonderheiten des auf eine zügige Abwicklung und Sanierung zielenden Insolvenzverfahrens abgelehnt.40)

___________ 35) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 95; gegen einen Wiedereinstellungsanspruch in dieser Konstellation LAG Köln, Urt. v. 13.10.2004 – 7 (5) Sa 273/04, ZIP 2005, 1090; LAG Hessen, Urt. v. 27.2.2003 – 11 Sa 799/02, ZInsO 2003, 1060; LAG Köln, Urt. v. 20.12.2002 – 11 (13) Sa 593/02, ZIP 2003, 592, dazu EWiR 2003, 467 (Joost); LAG Hessen, Urt. v. 25.1.2001 – 11 Sa 908/99, ZInsO 2002, 48; für einen Wiedereinstellungsanspruch LAG Hamm, Urt. v. 11.11.1998 – 2 Sa 1111/98, NZA-RR 1999, 576; kritisch auch Moll in: KPB-InsO, § 128 Rz. 84. Gänzlich gegen den Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz: Hanau, ZIP 1998, 1817, 1820; unklar: Tretow, ZInsO 2000, 309, 314. 36) BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, BAGE 87, 221 = NJW 1998, 2379, dazu EWiR 1998, 773 (Krasshöfer). 37) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050; BAG, Urt. v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, BAGE 114, 374 = ZIP 2005, 1978 = AP Nr. 284 zu § 613a BGB (Ballering/Willemsen), dazu EWiR 2006, 165 (Grimm/Brock); BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, BAGE 87, 221 = NJW 1998, 2379, dazu EWiR 1998, 773 (Krasshöfer); Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1131. 38) BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, LS 2, ZIP 2004, 1610 = AP Nr. 264 zu § 613a BGB m. Anm. Germakowski. 39) BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, ZIP 2004, 1610 = AP Nr. 264 zu § 613a BGB; Bonnani/Niklas, DB 2010, 1826, 1826. 40) BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, ZIP 2004, 1610 = AP Nr. 264 zu § 613a BGB.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

26

Praxishinweis Angesichts der fehlenden Rechtsprechung des BAG kann es für einen Erwerber, der die Risiken möglicher Fortsetzungsansprüche gekündigter Arbeitnehmer vermeiden will, empfehlenswert sein, den Betrieb oder Betriebsteil erst nach dem Auslaufen der Kündigungsfristen zu übernehmen. In der Praxis ist es jedoch schwierig, über einen längeren Zeitraum der Ungewissheit die für den Betrieb erforderlichen Strukturen aufrechtzuerhalten und den mit der Zeit wachsenden Weggang von Arbeitnehmern auf Schlüsselfunktionen („key employees“) abzuwenden.

c)

Vermeidung eines Betriebsübergangs bei übertragenden Sanierungen

27 Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 613a BGB lassen den Beteiligten in der Praxis etwas Spielraum, die den Erfolg einer übertragenden Sanierung oftmals hinderlichen Rechtsfolgen des § 613a BGB zu vermeiden. Folgende Konstellationen haben sich dazu in der Praxis herausgebildet: 28 Erstens kann der Erwerber den Umfang des Erwerbs von Betriebsmitteln und Arbeitsverhältnissen steuern und damit unterhalb dem tatbestandlichen Schwellenwert des Übergangs einer wirtschaftlichen Einheit bleiben. Nach der neueren Rechtsprechung des BAG ist nämlich bei sowohl durch sächliche, wie auch durch personelle Ressourcen maßgeblich geprägten Betrieben oder Betriebsteilen für einen Betriebsübergang notwendig, dass der Erwerber sowohl sächliche, als auch personelle Betriebsmittel übernimmt. Übernimmt der Erwerber in einer solchen Konstellation entweder keine sächlichen Betriebsmittel oder keine Arbeitnehmer, ist ein Betriebsübergang i. S. von § 613a BGB ausgeschlossen.41) 29 Zweitens bleibt einem Erwerber die Möglichkeit, im Zusammenwirken mit dem Veräußerer das Zielunternehmen im Vorwege der übertragenden Sanierung durch Umorganisationsmaßnahmen so zu restrukturieren, dass zum angepeilten Zeitpunkt der Übernahme eine Betriebsorganisation existiert, die den Erwerb nur bestimmter Betriebe oder Betriebsteile ermöglicht, ohne dass der Erwerber quasi über die Automatik des § 613a BGB auch die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern übernehmen muss, die in nicht zur Übernahme bestimmten Unternehmensteilen beschäftigt sind.42) Liegt bereits eine Struktur mit getrennten Betriebsteilen vor, kann sich der Erwerber diese Organisation ebenfalls zunutze machen, nur einzelne Betriebsteile (bspw. nur einzelne Produktionsstätten, aber nicht Zentralverwaltung) erwerben und so den Übergang von Arbeitsverhältnissen aus den anderen Betriebsteilen vermeiden.43) ___________ 41) BAG, Urt. v. 25.8.2016 – 8 AZR 53/15, NZA-RR 2017, 123; Willemsen, NZA 2017, 953, 956. 42) Ausführlich Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 199 ff.; s. a. Fuhlrott/Salamon, BB 2012, 1793, 1793 f. und Hausch, BB 2008, 1392, 1393. 43) LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.12.2017 – 5 Sa 35/17, ZInsO 2018, 392.

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

In dieser Konstellation ist zudem die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse zu 30 den übergehenden bzw. den nicht übergehenden Betriebsteilen von Bedeutung. Nur wenn ein Arbeitsverhältnis dem übergehenden Betriebsteilen zugeordnet und der Arbeitnehmer in diesen Betriebsteil eingegliedert ist, tritt der Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in das Arbeitsverhältnis ein. Es reicht nicht aus, dass der Arbeitnehmer des fremden Betriebsteils Tätigkeiten für den übertragenen Betriebsteil verrichtet, ohne jedoch in dessen Struktur eingebunden zu sein.44) Für die Zuordnung eines Arbeitsverhältnisses zu einem Betriebsteil kommt es zunächst auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien an. Wenn dieser nicht in ausdrücklicher oder konkludenter Form vorliegt, kann die Zuordnung ausdrücklich oder konkludent durch den Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts erfolgen.45) Praktische Bedeutung hat die Zuordnung von Arbeitnehmern zu einzelnen Betriebsteilen insbesondere bei Arbeitnehmern in zentralen Verwaltungsfunktionen (Overhead- oder Querschnittsfunktionen).46) 31

Praxishinweis Bei einer Umstrukturierung des Unternehmens mit anschließender Veräußerung einzelner Betriebsteile ist die zeitliche Reihenfolge des Vorgehens von entscheidender Bedeutung: Denn wird zunächst ein Betriebsteil übertragen, gehen die diesem Betriebsteil zugeordneten Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a BGB auf den Erwerber über und sind fortan nicht mehr Bestandteil des verbleibenden Restbetriebs. Legt der Insolvenzverwalter anschließend diesen Restbetrieb still und kündigt alle verbleibenden Arbeitsverhältnisse, muss er mit den bereits durch Übertragung des Betriebsteils per § 613a BGB ausgeschiedenen Arbeitnehmern keine soziale Auswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) mehr vornehmen. Bei zeitlich umgekehrter Reihenfolge (erst Stilllegung des nicht verkäuflichen Restbetriebs und Kündigung der dortigen Arbeitnehmer, dann Übertragung des Betriebsteils) ist der Insolvenzverwalter hingegen zu einer sozialen Auswahl über den ganzen Betrieb, einschließlich des zur Übertragung anstehenden Betriebsteils verpflichtet.47) Diese soziale Auswahl kann dazu führen, dass Arbeitnehmer noch vor dem Betriebsteilübergang aus dem stillzulegenden Restbetrieb wegen ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit auf Arbeitsplätze im geretteten Betriebsteil versetzen werden müssen und der Erwerber – jedenfalls nach Abschluss entsprechender Arbeitsgerichtsprozesse – letztlich einen personell anders besetzten Betriebsteil erhält.

___________ 44) Vgl. EuGH, Urt. v. 12.11.1992 – Rs. C-209/91 (Watson Rask und Christensen), Rz. 16, Slg. 1992, I-5755 = NZA 1995, 475; EuGH, Urt. v. 7.2.1985 – Rs. C-186/83 (Botzen u. a.), Rz. 15, Slg. 1985, 519 = BeckRS 2004, 72088; BAG, Urt. v. 19.10.2017 – 8 AZR 63/16, ZIP 2018, 441 = NJW 2018, 885; BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZARR 2014, 175 = AP Nr. 446 zu § 613a BGB. 45) BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, DB 2013, 1178 = NJW-Spezial 2013, 338; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 107 ff. 46) Annuß, NZA 1998, 70, 76; vgl. auch LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.12.2017 – 5 Sa 35/17, ZInsO 2018, 392. 47) BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, ZIP 2005, 412 = DB 2005, 673, dazu EWiR 2005, 263 (Richter).

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

32 Drittens kann der Erwerber das Konzept des Betriebs so grundlegend verändern, dass von einer „Ähnlichkeit der Tätigkeit“ i. S. des Prüfungskatalogs des EuGH (siehe oben Rz. 10) nicht mehr die Rede sein kann (Konzeptveränderung).48) Die Konzepte bzw. Tätigkeiten vor und nach dem Betriebsübergang müssen sich allerdings wesentlich unterscheiden; reine Optimierungsmaßnahmen oder geringfügige Modifikationen des Betriebskonzepts schließen den Betriebsübergang nicht aus.49) 33 Viertens haben sich in der Praxis Modelle entwickelt, die den Eintritt des Erwerbers in Arbeitsverhältnisse dadurch vermeiden wollen, dass diese Arbeitsverhältnisse beendet sind und deshalb der übernommene Betrieb oder Betriebsteil vor dem maßgeblichen Übergangszeitpunkt gänzlich arbeitnehmerlos ist oder zumindest von einigen Arbeitsverhältnissen „befreit“ wird. Die dazu neben dem sog. BQG-Modell (siehe unten Rz. 62) entwickelte Widerspruchslösung,50) bei der Arbeitnehmer mit Blick auf eine in Aussicht genommene übertragende Sanierung noch vor dem Übergangszeitpunkt dazu bewegt werden, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, begegnet jedoch erheblichen rechtlichen Bedenken und hat in der Praxis bislang keine große Rolle gespielt.51) 4.

Eingeschränkte Rechtsfolge des § 613a BGB in der Insolvenz

34 Die Vorschrift des § 613a BGB zielt auf den Schutz von Bestand und Kontinuität des Arbeitsverhältnisses.52) Die InsO basiert auf dem Prinzip der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO). Bei einem Betriebsübergang aus der Insolvenz müssen beide Prinzipien in einen Ausgleich gebracht werden.53) a)

Reduzierte Haftung des Erwerbers

35 Ähnlich wie bei der eingeschränkten Anwendung des § 25 HGB ist nach der Rechtsprechung des BAG die Rechtsfolge des § 613a BGB bei einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz eingeschränkt.54) Der Erwerber haftet dem___________ 48) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 204 f.; ein Beispiel aus der Rspr. ist die Änderung eines Restaurants mit gutbürgerlicher Küche in 80-jähriger Tradition zu einem arabischen Spezialitätenrestaurant („Essen wie aus Tausend und einer Nacht“) mit Bauchtanz, BAG, Urt. v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, ZIP 1998, 36 = NZA 1998, 31. 49) BAG, Urt. v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021. 50) Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263. 51) Kritisch Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 323 ff.; Hoffmann/Marquardt, NZI 2017, 513; Mückl/Götte, ZInsO 2017, 357. 52) Vgl. BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 164. 53) Grundlegend hierzu BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117. 54) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 165 ff.

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

nach nicht für Verbindlichkeiten gegenüber den Arbeitnehmern, die dem Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuzuordnen sind, sondern nur für Masseverbindlichkeiten.55) Die Rechtsprechung begründet diese Haftungseinschränkung mit dem Vorrang des Grundsatzes der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger, der die Arbeitnehmer insoweit mit allen anderen Gläubigern gleichstellt. Ohne die geschilderte Einschränkung würden die Arbeitnehmer als ein Teil der Insolvenzgläubiger mit ihrem über § 613a BGB ausgewechselten Arbeitgeber einen neuen solventen Gläubiger erhalten und demnach besser dastehen als die anderen Gläubiger der Insolvenzschuldnerin. Die zeitliche Zäsur für die Haftungseinschränkung ist die Eröffnung des In- 36 solvenzverfahrens. Eine Haftungsbeschränkung kommt demnach nicht zum Tragen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil schon im vorläufigen Insolvenzverfahren übernommen wird oder wenn das Verfahren von vorneherein mangels Masse abgewiesen wurde.56) 37

Praxishinweis Ein am Erwerb des Unternehmens interessierter Erwerber sollte unbedingt darauf achten, dass er nicht unabsichtlich einen verfrühten Betriebsübergang auslöst, indem er schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die betriebliche Leitungsmacht über den Betrieb des Insolvenzschuldners übernimmt (bspw. durch Schreiben an Kunden, Bezug der Räumlichkeiten und Anweisungen an Arbeitnehmer). Denn in diesem Fall haftet er uneingeschränkt nach § 613a Abs. 1 BGB für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, was sich insbesondere daran bemerkbar macht, dass die Agentur für Arbeit die auf sie übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt i. H. des gezahlten Insolvenzgelds gegen den Erwerber geltend macht.57)

b)

Sonderfall Urlaubsansprüche

Zwar ist die Haftung eines Erwerbers für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis 38 eingeschränkt, wenn es sich um Insolvenzforderungen, also um Forderungen "für" die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt. Urlaubsansprüche als auf eine Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung der Bezüge gerichtete Forderungen werden nach Ansicht der Rechtsprechung nicht monatlich „erdient“ und sind deshalb nicht Insolvenzforderung, sondern als Masseverbindlichkeiten zu behandeln.58) Soweit sie noch nicht zeitlich festgelegt sind,

___________ 55) St. Rspr. seit BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117; vgl. zuletzt etwa BAG, Beschl. v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, ZIP 2010, 588, und BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, BB 2007, 1281 = DB 2007, 1707. 56) Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 Abschn. G Rz. 52. 57) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 83 und 186 f. 58) Düwell/Pulz, NZA 2008, 786, 789 und Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 3 Rz. 61 ff. – auch zur beschränkten Haftung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

können sie keinem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden59) und eine rechnerische Zuordnung bestimmter Urlaubstage auf Zeitpunkte vor und nach Eröffnung der Insolvenz scheidet aus.60) Dies gilt ebenso für Restansprüche aus dem übertragenen Urlaub aus Vorjahren.61) 39

Praxishinweis Damit bleiben offene Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern auch nach der Übertragung des Betriebs auf den Erwerber in vollem Umfang bestehen und können bei ihm als neuen Arbeitgeber geltend gemacht werden. Bei einer übertragenden Sanierung ist der Erwerber deshalb gut beraten sich einen Überblick über die offenen Urlaubsansprüche zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu verschaffen und deren wirtschaftlichen Gegenwert u. U. kaufpreismindernd zu berücksichtigen.

c)

Sonderfall Altersteilzeit

40 Für Altersteilzeitverhältnisse, die in der Praxis nahezu ausnahmslos im sog. Blockmodell durchgeführt werden, greifen die vorstehend skizzierten Einschränkungen. Der Erwerber haftet gemäß § 613a BGB lediglich für die nach Insolvenzeröffnung während der Arbeitsphase erarbeiteten Ansprüche „spiegelbildlich“ in der Freistellungsphase. Bei den vor Insolvenzeröffnung erarbeiteten Ansprüchen handelt es sich um Insolvenzforderungen, für die der Erwerber nicht haftet.62) d)

Betriebliche Altersversorgung

41 Die Haftung des Erwerbers nach § 613a BGB und ihre Einschränkung bei einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz spielt eine besonders große praktische Rolle im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Nach § 613a BGB tritt der Erwerber auch in die bestehenden Versorgungsverbindlichkeiten gegenüber übergehenden Arbeitnehmern ein. Der Betriebserwerber muss allerdings nach § 613a BGB nur zum Zeitpunkt der übertragenden Sanierung bestehende Arbeitsverhältnisse und deren Versorgungsversprechen übernehmen, nicht aber solche von bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern. Für Betriebsrentner sowie

___________ 59) BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, BAGE 105, 345 = ZIP 2003, 1802; BAG, Urt. v. 15.5.1987 – 8 AZR 506/85, ZIP 1987, 1266 = AP Nr. 35 zu § 7 BUrlG Abgeltung; Düwell/ Pulz, NZA 2008, 786 f. 60) BAG, Urt. v. 21.11.2006 – 9 AZR 97/06, BAGE 120, 232 = ZIP 2007, 834, dazu EWiR 2008, 87 (Henkel); BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, BAGE 108, 357 = ZIP 2004, 1013; BAG, Urt. v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, BAGE 105, 345 = ZIP 2003, 1802. 61) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, BAGE 108, 357 = ZIP 2004, 1013. 62) BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682; Depré/Heck in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 27 Rz. 31 ff.; Hinrichs in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 3 Rz. 133 f., 136.

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II. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen

mit unverfallbaren Versorgungsanwartschaften ausgeschiedene Arbeitnehmer muss der Erwerber demnach keine Versorgungsleistungen erbringen.63) Die Rechtsprechung gewährt dem Erwerber für die zwangsweise übernomme- 42 nen Versorgungszusagen der übergehenden Arbeitnehmer aber eine Haftungserleichterung. Die entscheidende Zäsur für die insolvenzrechtliche Einschränkung der Haftung nach § 613a BGB ist auch hier der Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.64) Der Betriebserwerber muss bei Eintritt des Versorgungsfalls die Ansprüche der Arbeitnehmer zwar erfüllen, schuldet aber bei einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz nur die ab Insolvenzeröffnung von den Arbeitnehmern erdienten Versorgungsleistungen. Führt der Insolvenzverwalter den Betrieb zunächst fort und kommt es im Laufe der Betriebsfortführung zu einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB, tritt der Betriebserwerber für den Teil der Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung ein, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient worden sind.65) Auf die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdienten verfallbaren und unverfallbaren Anwartschaften und Ansprüche ist die Rechtsfolge des § 613a BGB insoweit nicht anzuwenden; der Erwerber haftet für sie nicht.66) Die Stellung des Arbeitnehmers für den vor Insolvenzeröffnung erdienten An- 43 teil seiner Altersversorgung richtet sich zunächst danach, ob diese Anwartschaften zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits unverfallbar waren.67) Wenn dies der Fall ist, greift für die bis zur Insolvenzeröffnung erdienten unverfallbaren Anwartschaften nach §§ 7 ff. BetrAVG die gesetzliche Insolvenzsicherung über den Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG), soweit die Sicherung des Arbeitnehmers nicht bereits durch die Art des konkreten Durchführungswegs gewährleistet ist.68) ___________ 63) BAG, Urt. v. 23.3.2004 – 3 AZR 151/03, ZIP 2004, 1227 = NZA 2005, 711, dazu EWiR 2004, 853 (Laskawy/Lomb); BAG, Urt. v. 24.3.1987 – 3 AZR 384/85, ZIP 1987, 1474 = NZA 1988, 246, dazu EWiR 1988, 171 (Rühle); Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, Vor § 113 Rz. 143. 64) Unklar und irreführend noch BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247 = AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG, dazu EWiR 1992, 859 (Schaub). 65) BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, BAGE 114, 349 = ZIP 2005, 1706, dazu EWiR 2005, 855 (Richter). 66) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 177 ff.; Blomeyer/Rolfs/Otto-Rolfs, BetrAVG, § 7 Rz. 178 f.; das BAG hat jüngst zwei Fälle zum Umfang der Haftung eines Betriebserwerbers aus der Insolvenz dem EuGH vorgelegt, vgl. BAG, Beschl. v. 16.10.2018 – 3 AZR 139/17 (A) und 3 AZR 878/17 (A). 67) BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, BAGE 114, 349 = ZIP 2005, 1706, dazu ablehnend EWiR 2005, 855 (Richter), zu Betriebsrentenansprüchen aus Betriebsvereinbarungen vgl. Lembke, BB 2007, 1333. 68) Hinrichs in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 678 ff.; Blomeyer/Rolfs/Otto-Rolfs, BetrAVG, § 7 Rz. 48 ff., 175 ff.; BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, BAGE 114, 349 = ZIP 2005, 1706; BAG, Urt. v. 23.7.1991 – 3 AZR 366/90, BAGE 68, 160 = ZIP 1992, 49, dazu EWiR 1992, 153 (Joost).

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

44 Soweit die Anwartschaft hingegen bei Insolvenzeröffnung verfallbar war, kann sie nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden, die wie alle anderen Insolvenzforderungen dem insolvenzrechtlichen Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung unterliegt.69) III.

Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

45 Aus den vorgenannten rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich für den mit einer übertragenden Sanierung befassten Arbeitsrecht-Praktiker einige immer wiederkehrende Aufgabenfelder. 1.

Gestaltung von Kaufvertragsklauseln

46 Der Kauf- und Übertragungsvertrag, der die rechtliche Grundlage für die übertragende Sanierung bildet,70) enthält in nahezu allen Fällen eine separate, umfassende Klausel über die arbeitsrechtliche Behandlung der Transaktion.71) In ihr finden die Ergebnisse der arbeitsrechtlichen Due Diligence Eingang.72) Ist die übertragende Sanierung mit einem Betriebsübergang verbunden, bedürfen insbesondere folgende arbeitsrechtliche Punkte regelmäßig einer Regelung in einer „Arbeitnehmer-Klausel“: x

Bestimmung der übernommenen Betriebe oder Betriebsteile, ggf. unter Beifügung von Organigrammen etc.;

x

Aufzählung der betroffenen Arbeitnehmer mit wesentlichen Personal- und Sozialdaten;

x

Zuordnung der Arbeitsverhältnisse zu einzelnen Betrieben oder Betriebsteilen;

x

verbindliche Einbindung eines Erwerberkonzepts in die übertragende Sanierung (siehe unten Rz. 53 ff.) oder einer Transfermaßnahme (siehe unten Rz. 60 ff.);

___________ 69) Blomeyer/Rolfs/Otto-Rolfs, BetrAVG, § 7 Rz. 143; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 177; Schnitker in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Abschn. J Rz. 426; BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, BAGE 114, 349 = ZIP 2005, 1706. 70) Einzelheiten zur Vertragsgestaltung von Asset Deals aus einer Insolvenz: Undritz in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rz. 281 ff.; Heckschen in: Reul/Heckschen/ Wienberg, InsR Gestaltungspraxis, § 4 Rz. 1411 ff. 71) Als Muster für eine solche arbeitsrechtliche Klausel in einem Kauf- und Übertragungsvertrag s. Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 9 III. 2. 72) Eine Due-Diligence-Checkliste zu Arbeitnehmern findet sich bei Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Anh. A, S. 382. Bei einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz ist die Due Diligence in der Praxis allerdings in zeitlicher und materieller Hinsicht deutlich eingeschränkter als außerhalb der Insolvenz.

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Undritz/Röger

III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

x

interne und stichtagsbezogene Haftungsabgrenzung unter Berücksichtigung der Besonderheiten in der Insolvenz (siehe oben Rz. 35 ff.);

x

Verfahrensweise zur Unterrichtung der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang (siehe unten Rz. 73 ff.); Abgrenzung der Haftungssphären für unvollständige oder fehlerhafte Informationen bei der Unterrichtung;

x

Umgang mit widersprechenden Arbeitnehmern, Verteilung der Kosten;

x

Verteilung der aus Kündigungen resultierenden Risiken und Kosten;

x

Übernahme von Personalakten.

Die in Kauf- und Übertragungsverträgen außerhalb der Insolvenz häufig zu 47 findenden Garantieklauseln haben bei einer übertragenden Sanierung meist keinen Platz. Der Insolvenzverwalter, der das Unternehmen selbst erst nur wenige Monate kennt, wird naturgemäß keine Zusagen oder Garantien abgeben, zumal Ansprüche aus einem solchen Kaufvertrag nicht nur Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind, sondern ebenso auch eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO in Frage kommen kann.73) 2.

Umsetzung eines Personalabbaus

Bei einer übertragenden Sanierung ist ein Abbau des Personals oft unerlässlich, 48 um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB untersagt allerdings die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen des Übergangs eines Betriebs. Die Kündigung ist demnach unzulässig, wenn der Betriebsübergang der tragende Grund für die Kündigung und nicht nur der äußere Anlass ist.74) Das ist etwa der Fall, wenn der neue Betriebsinhaber die Übernahme eines bestimmten Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz erhalten bleibt, ablehnt, weil er ihm „zu teuer“ sei.75) Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen als „wegen des Betriebsüber- 49 gangs“ bleibt nach § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB hingegen unberührt. Wenn es neben dem Betriebsübergang einen sachlichen Grund gibt, der aus sich heraus die Kündigung zu rechtfertigen vermag, bleibt eine betriebsbedingte Kündigung möglich.76) ___________ 73) Heckschen in: Reul/Heckschen/Wienberg, InsR Gestaltungspraxis, § 4 Rz. 1413; zur „Garantiefeindlichkeit“ des Insolvenzverwalters auch Windhöfel/Ziegenhagen/Denkhaus, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, Rz. 388 ff. 74) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387, dazu EWiR 2007, 363 (Grimm/Michaelis); ebenso LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 9.1.2013 – 2 Sa 166/12, NZA-RR 2013, 238 = BeckRS 2013, 67105. 75) BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377; LAG SchleswigHolstein, Urt. v. 23.11.2010 – 5 Sa 247/10, ZinsO 2011, 738 = ArbRAktuell 2011, 75 (Seeger). 76) Vgl. BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; BAG, Urt. v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720 = AP Nr. 139 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

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Praxishinweis Zulässig sind auch Kündigungen, die der Insolvenzverwalter erklärt, um vor einer übertragenden Sanierung durch eine bessere Betriebsorganisation die Chancen für eine übertragende Sanierung zu erhöhen („verkaufsfähig machen“, sog. Ansanierung) – diese Kündigungen erfolgen dann nicht wegen eines Betriebsübergangs, sondern aus anderen, nämlich betriebsbedingten Gründen.77)

51 Ebenso ist es einem Erwerber nach einer übertragenden Sanierung nicht verwehrt, die Sanierung des Unternehmens durch weitere Restrukturierungsmaßnahmen fortzusetzen und dazu Arbeitsverhältnisse übernommener Arbeitnehmer zu kündigen. Für ihn gelten insoweit die allgemeinen kündigungsrechtlichen Vorschriften wie für jeden anderen Arbeitgeber. Ebenso können Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die dem Übergang widersprochen haben, wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit oder wegen Stilllegung des Betriebs unbeschadet des § 613a Abs. 4 BGB gekündigt werden.78) 52 Aber auch im direkten Zusammenhang mit einer übertragenden Sanierung ist ein Personalabbau unter bestimmten Voraussetzungen zulässig und mit § 613a BGB vereinbar. In der Praxis sind das sog. Erwerberkonzept und der Einsatz von Transfergesellschaften („BQG-Modell“) von wesentlicher Bedeutung. a)

Erwerberkonzept

53 Plant der Erwerber nach der übertragenden Sanierung das Unternehmen nur mit einer reduzierten Anzahl von Arbeitnehmer fortzuführen, kann der Insolvenzverwalter im Vorgriff auf ein vom Erwerber entwickeltes Personalkonzept noch vor der übertragenden Sanierung einen Personalabbau umsetzen (sog. Veräußererkündigung aufgrund Erwerberkonzept).79) Der Insolvenzverwalter kann dabei nicht nur auf die Maximal-Kündigungsfrist von drei Monaten (§ 113 InsO), sondern auch auf die in der InsO geregelten besonderen arbeitsrechtlichen Instrumente (§§ 120 ff. InsO) zurückgreifen und für die übertragende Sanierung nutzbar machen.

___________ 77) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 9.1.2013 – 2 Sa 166/12, NZA-RR 2013, 238 = BeckRS 2013, 67105; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 213 ff.; Schiefer, NJW 1998, 1817, 1823. 78) BAG, Urt. v. 29.3.2007 – 2 AZR 31/06, NJW 2007, 2942 = NZA 2007, 855, 857; BAG, Urt. v. 30.10.1986 – 2 AZR 696/85, NZA 1987, 382, 383 = ZIP 1987, 734; vgl. auch BAG, Urt. v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, NZA 1985, 493, 494 = ZIP 1985, 698. 79) BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, ZIP 2013, 537 = NZI 2013, 407; BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387; LAG Köln, Urt. v. 28.6.2018 – 7 Sa 794/17, ZIP 2019, 488 = NZI 2019, 47; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 217 ff.

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III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

aa)

Vereinbarkeit mit § 613a Abs. 4 BGB

Dieses Zusammenwirken von Insolvenzverwalter und Erwerber steht nach der 54 Rechtsprechung des BAG nicht mit dem Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB im Widerspruch. Der Schutzzweck des § 613a BGB liege darin, den Erwerber daran zu hindern, bei der Übernahme der Belegschaft eine Auslese zu treffen.80) Sinn und Zweck der Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BGB sei es aber nicht, den Erwerber auch bei einer, aufgrund betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte voraussehbaren, fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit zu verpflichten, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer noch einmal künstlich zu verlängern, bis er selbst die Kündigung aussprechen kann.81) Für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Insolvenzverwalters nach einem verbindlichen Erwerberkonzept kommt es nicht darauf an, ob das Konzept auch beim Insolvenzverwalter hätte durchgeführt werden können. Wer das umgesetzte Konzept entwickelt hat und wer gekündigt hat, d. h. der Insolvenzverwalter vor oder der Erwerber nach Betriebsübergang, ist letztlich unerheblich.82) bb)

Anforderungen an ein Erwerberkonzept

Um einen Personalabbau auf der Grundlage eines Erwerberkonzepts bei einer 55 übertragenden Sanierung erfolgreich umsetzen zu können, muss das Konzept oder der Sanierungsplan des Erwerbers plausibel und detailliert beschreiben, welche betriebliche Veränderungen zu einem Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten und damit zu einem personellen Überhang im übernommenen Unternehmen führen. Üblicherweise werden der Ausgangszustand und die Zielorganisation in einem ausführlichen Text erläutert und mit entsprechenden Organigrammen o. Ä. unterlegt.83) 56

Praxishinweis In der Sanierungspraxis hat sich bewährt, im Konzept bereits eine Darstellung der betrieblichen Veränderungen vorzusehen, die den Maßstäben einer Kündigungsbegründung in einem Kündigungsschutzprozess genügt.

Das Erwerberkonzept muss verbindlich sein und seine Durchführung im Zeit- 57 punkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen haben.84) Die bloße Forderung eines potenziellen Investors, die Belegschaft vor einer übertragenden Sanierung zu verkleinern, genügt zur Rechtfer___________ 80) BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377 stellt insbesondere auf die „Auslese“ besonders schutzbedürftigen älteren, schwerbehinderten, unkündbaren oder sonst sozial schwächeren Arbeitnehmern ab. 81) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027. 82) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027. 83) Ein ausführliches Muster für ein Erwerberkonzept findet sich bei Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 9 III. 1. 84) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

tigung der Kündigung hingegen nicht.85) In der Praxis wird die von der Rechtsprechung geforderte Verbindlichkeit des Konzepts dadurch hergestellt, dass das Erwerberkonzept entweder Teil eines mit dem zuständigen Betriebsrat geschlossenen Interessenausgleichs wird oder das Erwerberkonzept in den Kaufund Übertragungsvertrag (zumeist als separate Anlage) integriert wird. 58 Die zeitliche Planung und Abstimmung der übertragenden Sanierung unter Verwendung eines Erwerberkonzepts stellt die Beteiligten in der Praxis vor große Herausforderungen.86) So müssen nicht nur die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Verhandlungen des Unternehmenskauf- und Übertragungsvertrags zeitlich koordiniert werden, sondern auch die für die Umsetzung des Personalabbaus erforderlichen Maßnahmen – Anhörung des Betriebsrat nach § 102 BetrVG, Anzeige der Entlassungen und Beteiligungsverfahren mit dem Betriebsrats nach § 17 KSchG (dazu unten Rz. 70), Einholung von behördlichen Zustimmungen bei Sonderkündigungsschutzfällen nach dem BEEG, MuSchG, SGB IX – in die Zeitplanung integriert werden. Zeitlich erfolgen die Kündigungen regelmäßig unmittelbar nach Abschluss des Übernahmekaufvertrags, der meist kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam wird, und müssen vor Vollzug des Kaufvertrags (Closing) zugegangen sein.87) cc)

Kombination mit anderen arbeitsrechtlichen Instrumenten

59 Der Erfolg einer übertragenden Sanierung mit einem Personalabbau über ein Erwerberkonzept kann zusätzlich abgesichert werden, wenn der Insolvenzverwalter als Veräußerer mit dem zuständigen Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbart, in dem die abzubauenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind (Interessenausgleich mit Namensliste, § 125 Abs. 1 InsO, siehe dazu unten Rz. 68). 60 Die vom Personalabbau betroffenen Arbeitnehmer können zudem durch Transfermaßnahmen nach §§ 110, 111 SGB III mit Transferleistungen der Agentur für Arbeit, insbesondere mit dem Transferkurzarbeitergeld (Transfer-KuG), in einer Transfergesellschaft (sog. „betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE)“ nach § 111 Abs. 3 Nr. 2 SGB III) qualifiziert und in den Arbeitsmarkt vermittelt werden.88) Die über die Gewährung von Transfer-KuG hinausgehenden, nicht von der Agentur für Arbeit getragenen Kosten (Remanenzkosten ___________ 85) BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377. 86) Eingehend zum „Timing“ des Personalabbaus: Merten in: FS Bauer, S. 755, 758. 87) Der Vollzug des Kaufvertrags ist praktisch immer auch der für den Betriebsübergang maßgebliche Zeitpunkt der Übernahme betrieblicher Leitungsmacht. Zur Problematik der erst nach Betriebsübergang erteilten Zulässigkeitserklärung einer Behörde bei Sonderkündigungsschutz nach dem SGB IX vgl. BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, ZIP 2013, 537 = NZI 2013, 407. 88) S. Janko/Seidensticker in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 350 ff.

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III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

(Aufstockung Transfer-KUG, Urlaubs-/Feiertagsentgelt, Sozialversicherungsbeiträge), Verwaltungskosten, Qualifizierung, Coaching, Profiling) können, insbesondere im Fall der Massunzulänglichkeit (§§ 208, 209 InsO), häufig nicht oder nicht vollständig aus der Insolvenzmasse finanziert werden,89) so dass ein Investor oder die öffentliche Hand entsprechende Zuschüsse leisten muss.90) Wechseln Arbeitnehmer auf dieser Grundlage über einen Aufhebungsvertrag mit dem Insolvenzverwalter und einem Arbeitsvertrag mit dem Träger der Transfergesellschaft91) in die Transfereinrichtung, sieht sich der Erwerber insoweit keinen aus kündigungsschutzrechtlichen Auseinandersetzungen resultierenden arbeitsrechtlichen Risiken mehr ausgesetzt. 61

Praxishinweis Für den Erfolg dieser das Erwerberkonzept flankierenden Maßnahmen ist ausschlaggebend, dass die Beteiligten dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern das Konzept und seine Alternativlosigkeit für die Rettung des Unternehmens plausibel und in vertrauensvoller Zusammenarbeit erläutern.

b)

Zwischenschaltung von Transfergesellschaften (BQG-Modell)

Aufbauend auf der Grundsatzentscheidung des BAG zum sog. Dörries-Schar- 62 mann-Fall92) und einer Reihe von Folgeentscheidungen93) wurde die Zwischenschaltung einer Transfergesellschaft (Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft – BQG) als alternatives Instrument zur Ermöglichung einer übertragenden Sanierung genutzt. Bei dieser auch als „BQG-Modell“94) bezeichneten Sanierungsmaßnahme wechseln die Arbeitnehmer des in seiner Existenz bedrohten Unternehmens vor dem Betriebsübergang über kombinierte Aufhebungs- und Arbeitsverträge in eine Transfergesellschaft, so dass der Betrieb zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs frei von Arbeitsverhältnissen ist und der Erwerber deshalb nicht mit den Rechtsfolgen des § 613a BGB belastet wird. Nach Vollzug der übertragenden Sanierung kann der Erwerber die benötigten Arbeitnehmer – auch zu anderen Arbeitsbedingungen – dann entweder aus der Transfergesellschaft oder aus dem klassischen Arbeitsmarkt heraus einstellen. ___________ 89) Die gesetzlichen Grenzen für Sozialplanleistungen (§ 123 InsO) limitieren auch die Zuwendungen aus der Insolvenzmasse für Transfermaßnahmen, s. Janko/Seidensticker in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 151 f. 90) Zuschüsse durch die öffentliche Hand können jedoch beihilferechtlich bedenklich sein, s. Janko/Seidensticker in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 409. 91) Beide Verträge werden in der Praxis häufig in einem sog. dreiseitigen Vertrag zusammengefasst. 92) BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, BAGE 90, 260 = ZIP 1999, 320. 93) BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = AP Nr. 1 zu § 613a BGB Wiedereinstellung; BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, BAGE 115, 340 = ZIP 2006, 148, dazu EWiR 2006, 197 (Lindemann) und im Überblick Fuhlrott, NZA 2012, 549. 94) LAG Hessen, Urt. v. 27.5.2013 – 16 Sa 1187/12, ZInsO 2014, 790 = GWR 2014, 137 m. Anm. Fuhlrott; Lipinski/Kaindl, BB 2018, 245; Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2289.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

63 Um das BQG-Modell von dem als unzulässige Umgehung des § 613a BGB angesehenen sog. Lemgoer Modell,95) bei dem die Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag mit dem Betriebsveräußerer einzig zu dem Zweck abschließen, anschließend ein Arbeitsverhältnis zum Erwerber einzugehen, abzugrenzen, stellt das BAG darauf ab, dass der Erwerber dem Arbeitnehmer bei Abschluss des Aufhebungsvertrags keinen Arbeitsvertrag zugesagt oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt haben darf.96) Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem Betriebsveräußerer und damit zusammenhängend der Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einer BQG trotz eines anschließenden Betriebsübergangs sind demnach grundsätzlich wirksam, wenn die Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist. Wenn der Arbeitnehmer aber keine sichere Aussicht, sondern nur eine mehr oder minder begründete Hoffnung auf eine Einstellung beim Erwerber habe, gehe er ein bloßes Risikogeschäft ein und der Aufhebungsvertrag sei auf sein Ausscheiden aus dem Betrieb gerichtet. 64 Mit zwei Entscheidungen97) ist das BAG vor einiger Zeit von dieser bislang sanierungsfreundlichen Auslegung des § 613a BGB abgerückt und hat die Anforderungen an das BQG-Modell in einem für die Sanierungspraxis bedenklichen Maß verschärft.98) Dass der Arbeitnehmer keine konkrete Zusage oder verbindliche Aussicht für eine Einstellung beim Erwerber hat, spielt für das BAG keine Rolle mehr. Schon bestimmte mathematische Wahrscheinlichkeiten einer Übernahme oder die vom Arbeitnehmer subjektiv so gewerteten Gesamtumstände bringen das BQG-Modell zu Fall. Die sozialpolitisch sinnvolle übertragende Sanierung wird durch diese Rechtsprechung weiter erschwert und Arbeitsplätze werden vernichtet.99) Es bleibt weiterhin zu hoffen, dass das BAG zur ursprünglichen, der Sanierungspraxis gerecht werdenden Linie zurückkehrt, auch um den rechtspolitisch gewünschten und durch das neue ESUG100) umgesetzten,

___________ 95) BAG, Urt. v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, BAGE 70, 209 = ZIP 1992, 1408; BAG, Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 228 = ZIP 1988, 120, dazu EWiR 1988, 247 (Seiter/ Hergenröder). 96) BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 = DB 2013, 236. 97) BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203 = DB 2013, 236, BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152. 98) Zutreffend die Kritik von Willemsen, NZA 2013, 242; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 8 Rz. 315; kritisch auch Cohnen in: Münch-AHB ArbR, § 54 Rz. 186 f. und Pils, NZA 2013, 125, 128. 99) Willemsen, NZA 2013, 242, 246, der Aufhebungsverträge im Zusammenhang mit einer übertragenden Sanierung zutreffend als Roulettespiel einordnet. 100) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582.

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III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

insolvenzrechtlichen Paradigmenwechsel hin zu einer neuen Sanierungskultur101) nicht evident zu gefährden. 3.

Beteiligung der Arbeitnehmervertretung

Ist in dem von einer übertragenden Sanierung betroffenen Betrieb ein Betriebs- 65 rat gewählt, sind die betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte zu beachten. Der reine Betriebsübergang nach § 613a BGB stellt indes keine mitbestimmungs- 66 pflichtige Betriebsänderung nach § 111 BetrVG dar. Anderes gilt nur dann, wenn mit dem Betriebsübergang Betriebsänderungen verbunden sind, die dem Katalog des § 111 Satz 3 BetrVG unterfallen. Eine Betriebsänderung kann insbesondere dann vorliegen, wenn die übertragende Sanierung mit einem erheblichen Personalabbau einhergeht oder es zu betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsspaltungen kommt. In diesem Fall ist der Insolvenzverwalter dazu verpflichtet, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan zu beraten und zu verhandeln. Für den Sozialplan gilt in der Insolvenz indes die absolute (§ 123 Abs. 1 InsO) und relative (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO) Schranke der InsO, wonach das Sozialplanvolumen gleich in zweifacher Hinsicht „gedeckelt“ wird.102) Zur Verkürzung des Mitbestimmungsverfahrens nach § 111 BetrVG steht in der 67 Insolvenz mit § 122 InsO ein gerichtliches Verfahren zur Einholung einer Zustimmung für eine Betriebsänderung zur Verfügung, das allerdings in der Praxis kaum Bedeutung hat.103) Auch § 121 InsO, wonach der von § 112 Abs. 2 BetrVG vorgesehene Vermittlungsversuch des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vor dem Einigungsstellenverfahren nur durchzuführen ist, wenn sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Betriebsrat darum ersuchen, dient der Beschleunigung des Verfahrens.104) Der Insolvenzverwalter als Veräußerer kann bei einer Betriebsänderung mit 68 dem zuständigen Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbaren, in dem zu kündigende Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind (Interessenausgleich mit Namensliste, § 125 Abs. 1 InsO). Mit § 125 Abs. 1 InsO stellt das Gesetz für diesen Fall die vom Arbeitnehmer im Streitfall nur extrem schwer zu widerlegende Vermutung auf, dass der Kündigung betriebsbedingte Gründe zugrunde ___________ 101) Vallender, NZI 2010, 838; insbesondere zur Einführung des ESUG: Römermann, NJW 2012, 645; das Bestreben um Erhalt von Arbeitsplätzen wird auch in der Begründung des RegE ESUG besonders betont (vgl. Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 2, 17). 102) Janko/Seidensticker in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 133; Röger, ZIP 2018, 2045, 2049 f. 103) Zu § 122 InsO ausführlich Hützen in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 95 ff., und Purschwitz in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 7 Rz. 152 ff.; Schmädicke/Fackler, NZA 2012, 1199. 104) Hützen in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 89.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

liegen, und verringert den Prüfungsmaßstab des Gerichts für die in der Praxis häufig kaum rechtssicher vorherzusagende soziale Auswahl auf das Kriterium der „groben Fehlerhaftigkeit“.105) Darüber hinaus kann das Gericht die soziale Auswahl der Arbeitnehmer auch dann nicht beanstanden, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder sogar erst geschaffen wird.106) Kann der Insolvenzverwalter den Betriebsrat für die übertragende Sanierung und das dazu vom Erwerber vorgelegte Erwerberkonzept über eine Personalreduzierung gewinnen und eine Namensliste nach § 125 Abs. 1 InsO vereinbaren, sind die für den Erwerber bei einer übertragenden Sanierung bestehenden arbeitsrechtlichen Risiken deutlich gemindert. Über § 128 InsO ist sichergestellt, dass die Wirkungen des § 125 InsO auch nach der übertragenden Sanierung für den Erwerber eintreten. 69 Mit § 126 InsO steht dem Insolvenzverwalter zudem bei einem unvermeidbaren Personalabbau ein Instrument zur Verfügung, die soziale Rechtfertigung von Kündigungen in einem eigenen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 126 Abs. 2 InsO positiv feststellen zu lassen und somit eine annähernde Rechtssicherheit wie bei einem Interessenausgleich mit Namensliste (§ 125 InsO) zu gewinnen. Praktisch hat dieses Verfahren aber keine erkennbare Bedeutung.107) 70 Ist die übertragende Sanierung mit Kündigungen verbunden, ist der Betriebsrat nach § 102 BetrVG rechtzeitig anzuhören. Bei Überschreiten der Schwellenwerte des § 17 KSchG ist zudem vor Ausspruch der Kündigungen das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG bei Massenentlassungen durchzuführen und sind die beabsichtigten Entlassungen nach § 17 Abs. 2, Abs. 3 KSchG der Arbeitsagentur anzuzeigen.108) Eine Erleichterung für den Insolvenzverwalter bringt insoweit § 125 Abs. 2 InsO, wonach ein Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt. Bei einer betriebsübergreifenden Betriebsänderung ersetzt der vom Insolvenzverwalter mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossene Interessenausgleich ___________ 105) Hützen in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 249 ff. 106) Die zusätzliche Möglichkeit, mit der Auswahl eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen und nicht nur diese zu erhalten, ist ein insolvenzarbeitsrechtlicher Vorteil gegenüber der Parallelvorschrift des § 1 Abs. 3, Abs. 5 KSchG, vgl. Gallner in: ErfK, § 125 InsO Rz. 15b. 107) Hützen in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 284; Annuß/Lembke/Hangarter, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 324, führen die geringe praktische Bedeutung auf die Komplexität und Schwerfälligkeit des Verfahrens zurück; zu Recht kritisch auch Lakies, NZI 2000, 345; Rieble, NZA 2007, 1393. 108) Zum Anzeigeverfahren bei Massenentlassungen Stütze in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 513 ff. Nach LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.8.2018 – 12 Sa 17/18, ZIP 2019, 386 = NZA-RR 2019, 24, dazu EWiR 2019, 283 (Köhler/Goldstein), muss die Anzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG vor Unterzeichnung der Kündigungserklärung bei der Agentur für Arbeit eingegangen sein; diese Entscheidung ist jedoch abzulehnen (ebenso Holler, NZA 2019, 291), und wurde vom BAG (Urt. v. 13.6.2019 – 6 AZR 459/18) zutreffend revidiert.

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III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

mit Namensliste die ansonsten vom örtlichen Betriebsrat abzugebende Stellungnahme zu der geplanten Massenentlassung.109) 71

Praxishinweis Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG und die Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG werden in der Praxis meist im Interessenausgleich geregelt.110) Ein separates, schriftliches Unterrichtungs- und Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist gleichwohl empfehlenswert.

Eine übertragende Sanierung mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB 72 kann i. Ü. ein Vorgang sein, der die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berührt und damit gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG zur Pflicht des Insolvenzverwalters führen, den Wirtschaftsausschuss zu unterrichten und mit ihm darüber zu beraten.111) 4.

Unterrichtung der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang

Bei einem Betriebsübergang sind die betroffenen Arbeitnehmer nach § 613a 73 Abs. 5 BGB zu unterrichten. Auch wenn das Gesetz fordert, dass die Unterrichtung vor dem Betriebsübergang zu erfolgen hat, kann die Unterrichtung auch noch nach erfolgtem Betriebsübergang nachgeholt werden und löst dann den Lauf der Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB aus.112) 74

Praxishinweis Bei einer übertragenden Sanierung ist es empfehlenswert, im Unternehmenskauf- und Übertragungsvertrag zwischen Insolvenzverwalter und Erwerber die Umsetzung der Unterrichtung und die möglichen Haftungsfolgen zu regeln.

a)

Form der Unterrichtung

Für die Form der Unterrichtung schreibt das Gesetz die Textform (§ 126b BGB) 75 vor. Eine mündliche Ankündigung auf einer Betriebsversammlung, die pauschale Mitteilung allein an den Betriebsrat oder ein Aushang am schwarzen Brett erfüllen die Anforderung, dass dem Arbeitnehmer die Unterrichtung in Textform zugehen muss, nicht. Möglich ist aber eine Unterrichtung per E-Mail oder ___________ 109) BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, BAGE 138, 301 = ZIP 2011, 1786, dazu EWiR 2011, 677 (Mückl); zum zuständigen Betriebsratsgremium beim Personalabbau in der Insolvenz ausführlich Röger, ZIP 2018, 2045. 110) Vgl. dazu BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 371/14, BeckRS 2015, 70714 = ArbRAktuell 2015, 431 (Merten); BAG, Urt. v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, ZIP 2012, 1259 = NZA 2012, 1058, dazu EWiR 2012, 429 (Fuhlrott) – zu § 17 Abs. 2 KSchG mit Formulierungshinweisen. In der Praxis wird die Anhörung nach § 102 BetrVG häufig vorsorglich separat wiederholt, auch wenn sie im Interessenausgleich als abschließend vereinbart wurde. 111) Vgl. BAG, Beschl. v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/89, BAGE 67, 97 = NZA 1991, 649. 112) BAG, Urt. v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, BAGE 114, 374 = ZIP 2005, 1978 = AP Nr. 284 zu § 613a BGB (Ballering/Willemsen).

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387

§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

Telefax. Die Unterrichtung kann in einem Standardschreiben erfolgen; sie muss jedoch etwaige Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses erfassen.113) 76

Praxishinweis Aus praktischen Gründen bietet es sich bei einer Informationspflicht gegenüber ein Großzahl von Mitarbeitern an, diese nach ihren arbeitsrechtlichen Umständen und beabsichtigten Maßnahmen in Gruppen einzuteilen, zu denen jeweils angepasste Standardschreiben aufgesetzt werden, um so den Aufwand möglichst gering zu halten und dabei doch individuelle Informationen zu erteilen. In der Sanierungspraxis hat es sich schließlich bewährt, dass Insolvenzverwalter und Investor ein gemeinsames Schreiben herausgeben und damit zusammen bei den Arbeitnehmern für die übertragende Sanierung werben. Für den Beweis des Zugangs wird in der Praxis meist ein förmliches Unterrichtungsschreiben verwendet und zusammen mit einem Durchschlag versehen, auf dem der Arbeitnehmer unmittelbar bei Übergabe den Empfang quittiert.

b)

Inhalt der Unterrichtung

77 Die inhaltlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung hat das BAG zunehmend konkretisiert, aber zugleich auch erheblich verschärft.114) Nach § 613a Abs. 5 BGB und der dazu einschlägigen Rechtsprechung sind die betroffenen Arbeitnehmer über x

die Person des Betriebserwerbers,

x

den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs (§ 613a Abs. 5 Nr. 1 BGB),

x

den Grund für den Übergang (§ 613a Abs. 5 Nr. 2 BGB),

x

die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer (§ 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB) und

x

die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen (§ 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB)

zu unterrichten.115) Die reine Wiederholung des Gesetzeswortlauts ist allerdings keine ausreichende Unterrichtung, erforderlich ist vielmehr eine konkrete betriebsbezogene Darstellung in einer auch für juristische Laien möglichst ver-

___________ 113) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB = DB 2012, 581, dazu EWiR 2012, 375 (Hartmann); BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 114) BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, ZIP 2017, 1129, dazu EWiR 2017, 413 (Wolff); BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, NZA 2015, 866; BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, DB 2007, 975 = AP Nr. 318 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2007, 553 (Schreiner); BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 115) Ausführlich Cohnen in: Münch-AHB ArbR, § 55 Rz. 19 ff.

388

Undritz/Röger

III. Arbeitsrechtlich relevante Aufgabengebiete bei der übertragenden Sanierung

ständlichen Sprache.116) Gleichzeitig müssen die Hinweise über die rechtlichen Folgen präzise sein und dürfen keine juristischen Fehler beinhalten.117) Um diese schwierige Gratwanderung118) zwischen juristischer Präzision und verständlicher Lesbarkeit erfolgreich zu bewältigen, orientiert sich die Praxis eng an den als Musterschreiben dienenden Unterrichtungsschreiben, die den Urteilen des BAG vom 14.12.2006119) und vom 10.11.2011120) zugrunde lagen und jeweils vom BAG für ordnungsgemäß erachtet wurden.121) c)

Rechtsfolgen

Die Unterrichtungspflicht ist eine echte Rechtspflicht und nicht lediglich eine 78 Obliegenheit.122) Daher können aus deren Verletzung Schadensersatzansprüche gegen den bisherigen Arbeitgeber oder auch den neuen Inhaber folgen, was in der Praxis aber bislang kaum relevant wurde.123) Die bedeutsamere Rechtsfolge ist, dass die ordnungsgemäße Unterrichtung 79 nach § 613a Abs. 5 BGB den Lauf einer Widerspruchsfrist von einem Monat auslöst, in der der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses schriftlich gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Betriebsinhaber widersprechen kann (§ 613a Abs. 6 BGB). Nach Ablauf der Frist ist ein Widerspruch nicht mehr möglich. In der Insolvenzpraxis ist der Widerspruch eines i. R. einer übertragenden Sanierung auf einen Erwerber übergehender Arbeitnehmer allerdings die absolute Ausnahme. Erfüllt die Unterrichtung nicht die Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB, 80 insbesondere weil sie unvollständig oder widersprüchlich ist, beginnt die einmonatige Widerspruchsfrist für den Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB ___________ 116) BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, DB 2007, 975 = AP Nr. 318 zu § 613a BGB; hierzu Grau/Schaut, NZA 2018, 216. 117) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB = DB 2012, 581; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 118) Zwischenzeitlich wurde eine i. S. des BAG ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB praktisch für unmöglich gehalten, vgl. Hilgenstock, ArbRAktuell 2012, 303; Göpfert/Buschbaum, ZIP 2011, 64. 119) BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, DB 2007, 975 = AP Nr. 318 zu § 613a BGB. 120) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB = DB 2012, 581. 121) S. Röger in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 9 III. 3, mit einem Muster einer Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB. 122) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, ZIP 2007, 87 = NZA 2006, 1406; BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1022/06, NZA 2008, 1297 = AP Nr. 341 zu § 613a BGB; Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 94; a. A. Bauer/v. Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457, 463. 123) BAG, Urt. v. 11.11.2010 – 8 AZR 169/09, BeckRS 2011, 69270 = NJW-Spezial 2011, 211 m. Anm. Grobys/v. Steinau-Steinrück; BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, ZIP 2008, 987 = NZA 2008, 642, dazu EWiR 2008, 457 (Bieszk); dazu Lunk, RdA 2009, 48; hierzu auch Klocke, RdA 2017, 311; Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 192; Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 94; ausführlich Gaul/Otto, DB 2002, 634, 639.

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§ 17 Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung

nicht zu laufen.124) Ein Widerspruch bleibt dann auch noch lange Zeit nach Zugang des (ungenügenden) Unterrichtungsschreibens möglich.125) Eine gesetzlich festgelegte zeitliche Grenze, bis wann ein Widerspruch in diesem Fall noch erklärt werden kann, gibt es nicht. 81 Das Recht zum Widerspruch unterliegt aber der Verwirkung, was die Erfüllung eines Zeit- und eines Umstandsmoments erfordert.126) Zu einer längeren Zeitspanne müssen deshalb noch besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten wie auch des Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die spätere Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen.127) Hat der Arbeitnehmer zumindest grundlegende Informationen nach Maßgabe des § 613a Abs. 5 BGB (Gegenstand des Übergangs, Betriebsübernehmer und Zeitpunkt des Übergangs) erhalten und in Kenntnis hiervon bei dem neuen Betriebsinhaber für längere Zeit widerspruchslos weitergearbeitet, ist das Widerspruchsrecht regelmäßig verwirkt.128) In jüngster Zeit hat sich in der Rechtsprechung herauskristallisiert, dass spätestens nach einem Zeitraum von sieben Jahren ein Widerspruchsrecht nicht mehr ausgeübt werden kann.129) IV.

Ausblick

82 Die Lösung arbeitsrechtlicher Fragestellungen ist bei nahezu jeder übertragenden Sanierung für deren Erfolg von zentraler Bedeutung. Im Interesse eines Investors lassen sich aber meist Lösungen finden, wobei alle Beteiligten sehr präzise und professionell vorgehen müssen. Es bleibt nach wie vor zu hoffen, dass der Schwung im Insolvenzrecht, der durch die Förderung einer neuen Sanierungskultur im ESUG gewonnen wurde, auch das BAG in Erfurt erreicht. Ein überbordender Schutz von Arbeitnehmerinteressen führt leider häufig zum Gegenteil des Gewünschten, nämlich zur Zerschlagung fortführungswürdiger Unternehmen. Hinzu kommt der europäische Wettbewerb der Systeme, der durch die anstehenden Regelungen zum sog. „vorinsolvenzlichen Sanierungs___________ 124) BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89, 92 = ZIP 2010, 46, dazu EWiR 2010, 143 (Grimm); BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, DB 2007, 975 = AP Nr. 318 zu § 613a BGB. 125) Meyer in: Röger, Insolvenzarbeitsrecht, § 5 Rz. 192. 126) Ausführlich Cohnen in: Münch-AHB ArbR, § 55 Rz. 95 ff. 127) BAG, Urt. v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097. Der Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen oder die Hinnahme einer Kündigung des neuen Arbeitgebers sind in der Praxis häufig ein Umstandsmoment. 128) BAG, Urt. v. 21.12.2017 – 8 AZR 99/17, ArbRAktuell 2018, 257 m. Anm. Fuhlrott = BeckRS 2017, 146233, und BAG, Urt. v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, ZIP 2018, 193 = NZA 2018, 168 m. Anm. Löw, dazu EWiR 2018, 217 (Greiner/Bitzenhofer); LAG Thüringen, Urt. v. 15.2.2018 – 3 Sa 373/17, BeckRS 2018, 5467 – Weiterarbeit über fast neun Jahre. 129) Vgl. BAG, Urt. v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, ZIP 2018, 193 = NZA 2018, 168 m. Anm. Löw.

390

Undritz/Röger

IV. Ausblick

verfahren“ (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren) befeuert wird und – über die bisherige Migration (Sitzverlagerung) hinaus – die Fantasie der Restrukturierungsbranche zur Schaffung kreativer Sanierungslösungen anregen wird.

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391

§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

Hermann

Übersicht I.

II. III. IV. 1. 2.

3. 4. V. 1.

2.

3.

Insolvenzplanverfahren im Verhältnis zum Arbeits- und Gesellschaftsrecht ............................. 1 Übertragender Insolvenzplan.......... 4 Übertragende Sanierung versus Insolvenz ............................................ 6 Arbeitsrechtliche Vorbereitung eines Insolvenzplanverfahrens ...... 11 Arbeitsrechtliche Betriebsspaltung ............................................. 12 Individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern/Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen/ Sanierungstarifverträge..................... 16 a) Individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern ............ 17 b) Betriebsvereinbarungen............. 20 c) Tarifverträge .............................. 21 d) Verknüpfung.............................. 23 Abbau von Arbeitsplätzen ............... 24 Einbeziehung in den Insolvenzplan .................................................... 27 Übertragung im Insolvenzplanverfahren................................... 28 Grundstrukturen des übertragenden Insolvenzplans ..................... 29 a) Regelungen auf Schuldnerseite ............................................ 30 b) Annahmeerklärung.................... 32 c) Eingriff in Aus- und Absonderungsrechte ............................ 35 d) Übernahmeverpflichtung.......... 36 Übertragende Sanierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens .................. 39 a) Regelungen im Insolvenzplan .... 40 b) Arbeitsrechtliche Auswirkungen........................................ 42 Gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens................................... 45 a) Tatbestände................................ 46

aa) Regelungsfähigkeit in dem Insolvenzplan ............................ 48 bb) Erfordernis der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung sowie Wahrung der Verhältnismäßigkeit ........................ 49 b) Prüfung durch Insolvenzgericht und Handelsregister/ Vollzug im Handelsregister...... 51 aa) Prüfung durch das Insolvenzgericht ................................ 52 bb) Eintragung in das Handelsregister/Prüfungskompetenz des Registergerichts .................. 53 cc) Besonderes Risiko Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung ........... 55 c) Arbeitsrechtliche Auswirkungen gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungsmaßnahmen/Mitwirkung des Betriebsrats ......................... 58 aa) Auswirkungen des Gesellschafterwechsels/Besonderheiten nach dem UmwG........... 59 bb) Mitwirkung des Betriebsrats..... 63 VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens auf Arbeitnehmerschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften....................... 67 1. Gläubigerstellung der Arbeitnehmer in einem Insolvenz- und Insolvenzplanverfahren.................... 68 a) Stellung als Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO ................................... 69 aa) Eigenschaft als Insolvenzgläubiger..................................... 70 bb) Eingriffsmöglichkeiten durch den Insolvenzplan........... 72 b) Als Anteilseigner....................... 74 c) Als Massegläubiger.................... 75

Hermann

393

§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan 2.

3.

4.

5.

Teilnahmerecht der Arbeitnehmer, des Betriebsrats im Insolvenzplanverfahren im Abstimmungs- und Erörterungstermin ...... 76 a) Arbeitnehmerschaft .................. 77 aa) Stimmrecht als Insolvenzgläubiger, Anteilseigner, Massegläubiger .......................... 78 bb) Teilnahmerechte/ Vertretungsbefugnisse .............. 81 b) Teilnahmerecht des Betriebsrats ............................................. 87 Einbeziehung des Betriebsrats bei Aufstellung und Einreichung des Insolvenzplans ........................... 89 Stellung der Arbeitnehmer in dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss..... 97 a) Endgültiger Gläubigerausschuss ................................... 98 b) Vorläufiger Gläubigerausschuss ................................. 100 Gruppenbildung ............................. 103 a) Bildung der Arbeitnehmergruppe(n) gemäß § 222 Abs. 3 InsO als Insolvenzgläubiger... 104 aa) Grundsätzliche Einbeziehung in eine Gruppe......................... 105 bb) Gleichbehandlung innerhalb einer Gruppe ........................... 113 cc) Erörterungs- und Abstimmungstermin ........................... 115

b) Gruppe der Anteilseigner........117 c) Gruppenbildung bei Masseunzulänglichkeit ............122 VII. Der PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger im Insolvenzverfahren ................................126 1. Stellung des PSVaG als Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO ............127 2. Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten im Insolvenzplanverfahren...............................................129 a) Vertikale Aufteilung ................130 b) Horizontale Aufteilung...........132 c) Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 Satz 2, 3 BetrAVG im übertragenden Insolvenzplan – Einschränkungen durch § 613a BGB...............................134 3. Besserungsklausel ...........................142 4. Gruppe PSVaG................................145 5. Misslingen der Sanierung ...............147 VIII. Weitere Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin/Scheitern des Insolvenzplans ................................................150 a) Gerichtliche Bestätigung .........151 b) Aufhebung des Insolvenzverfahrens .................................157 c) Scheitern des Insolvenzplans..........................................160

Literatur: Berentz, Gesetzesmaterialien zum BetrAVG, 2003; Bremer, Insolvenzplan: Fortführung betrieblicher Altersversorgung durch den Arbeitgeber, DB 2011, 875; Brünkmans, Präklusions- und Ausschlussklauseln in Insolvenzplänen, ZInsO 2016, 245; Brünkmans, Die Prüfung gesellschaftsrechtlicher Regelungen im Insolvenzplan durch Insolvenzgericht und Registergericht, ZInsO 2015, 1585; Brünkmans, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen von Umwandlungen im Insolvenzplanverfahren, ZInsO 2014, 2533; Brünkmans, Die Unternehmensakquisition über ein Kapitalschnitt im Insolvenzplanverfahren, ZIP 2014, 1857; D’Avoine/Michels, Darlehen mittelbarer Gesellschafter in der Insolvenz, ZIP 2018, R64; Ehlers, Insolvenzplanverfahren – die Alternative, DStR 2010, 2523; Frind, Die Praxis fragt, „ESUG“ antwortet nicht, ZInsO 2011, 2249; Horstkotte, Der Insolvenzplan in der gerichtlichen Vorprüfung, ZInsO 2014, 1297; Kamp/Tresselt, Der Umgang mit Nachzüglern im Insolvenzplan, DZWIR 2017, 501; Kindler/Bitzer, Die Reform der Insolvenzanfechtung, NZI 2017, 369; Kirchhof, EStG, 18. Aufl., 2019; Krings, Arbeitsrecht im Insolvenzplanverfahren – so geht das (nicht), ZInsO 2017, 577; Lohkemper, Die Erwerberhaftung für Ruhegeldanwartschaften bei der übertragenden Sanierung, 1997; Madaus, Keine verbindliche Regelung der Vergütung des Insolvenzverwalters im Insolvenzplan für Planüberwachung, Anm. zu LG Hamburg, Beschluss vom 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018,

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I. Insolvenzplanverfahren im Verhältnis zum Arbeits- und Gesellschaftsrecht 264; Madaus, Möglichkeiten und Grenzen von Insolvenzplanregelungen, ZIP 2016, 1141; Madaus, Rechtliche Anforderungen an einen Insolvenzplan, NZI 2015, 697; Maschmann, Betriebsrat und Betriebsvereinbarung bei einer Umstrukturierung, NZA Beilage 1 Heft 7/2009, S. 32; Mückl/Götte, Aktuelle Entwicklung im Insolvenzarbeitsrecht, ArbRAktuell 2017, 609; Neufeld, Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung bei der übertragenden Sanierung, BB 2008, 2346; Obermüller, Der Gläubigerausschuss nach dem „ESUG“, ZInsO 2012, 18; Schröder/Berner, Die Ausgliederung eines einzelkaufmännischen Unternehmens im Insolvenzplanverfahren: Rechtliche Grundlagen und Praxisbericht, NZI 2017, 837; Smid, Pläne bei Masseunzulänglichkeit – Zu Voraussetzungen und Grenzen von Insolvenzplänen nach § 210a InsO, ZInsO 2017, 2085; Steinwachs, Die Wahl des vorläufigen Insolvenzverwalters durch den vorläufigen Gläubigerausschuss, ZInsO 2011, 410; Völkel, EU-Kommission billigt Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne – Dennoch Gesetzesänderung erforderlich, DB 2018, 2080; Wellensiek, Die übertragende Sanierung, NZI 2002, 233.

I.

Insolvenzplanverfahren im Verhältnis zum Arbeits- und Gesellschaftsrecht

Anders als im Regelinsolvenzverfahren können in einem Insolvenzplanverfahren 1 insolvente Unternehmen mit Arbeitsplätzen unter Erhalt des Rechtsträgers fortgeführt und das Insolvenzverfahren beendet werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten für eine erfolgreiche Restrukturierung sind beliebig zu variieren und zu nutzen. Es wird deshalb auch von einer Privatisierung der Insolvenzabwicklung gesprochen.1) Auch der Insolvenzplan dient jedoch dem Hauptzweck des Insolvenzverfahrens einer möglichst hohen Gläubigerbefriedigung. Es gewährt zur Erreichung dieses Ziels teilweise auch abweichend von den Vorschriften der Insolvenzordnung größtmögliche Gläubigerautonomie. Mit dem in Kraft getretenen ESUG2) beseitigte der Gesetzgeber insbesondere 2 die bisher fehlende Abstimmung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Vor allem bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren gemäß § 270a und § 270b InsO eröffnet das Insolvenzverfahren besondere Sanierungsmöglichkeiten.3) Insgesamt wird das Planverfahren attraktiver gemacht, indem die Eigenverantwortlichkeit des Schuldners und der Gläubiger gestärkt werden. Das gilt insbesondere für den wesentlich erleichterten Gesellschafterwechsel i. R. eines Insolvenzplanverfahrens. Je nach dem, welche Gestaltungsmöglichkeiten i. R. des Insolvenzplans einge- 3 schlagen werden, bestimmen sich die arbeitsrechtlichen Konsequenzen. In einem Regelinsolvenzverfahren kann ein Unternehmen vor allem im Wege der sog. übertragenden Sanierung (Asset Deal) restrukturiert werden. Im Grundsatz wird dabei jeder einzelne Vermögensgegenstand des Unternehmens liquidiert (siehe hierzu § 17 [Undritz/Röger]) Arbeitsrecht in der übertragenden Sanierung). Die ___________ 1) Madaus, ZIP 2016, 1141, 1141 ff., Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 217 – 269 Rz. 1. 2) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582. 3) Ehlers, DStR 2010, 2523, 2523 ff.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

Gestaltungsmöglichkeiten des Insolvenzplanverfahrens eröffnen demgegenüber weitere zahlreiche Varianten der Restrukturierung. Es besteht kein abschließender Katalog möglicher Gestaltungsmöglichkeiten. Hervorzuheben sind jedoch folgende grundsätzliche Strukturen, die untereinander frei kombinierbar sind: 1. Zerschlagung des Unternehmens mit Stilllegung des Geschäftsbetriebs abweichend von den Bestimmungen des Regelinsolvenzverfahrens. Somit können die Gläubiger nur über die bestmögliche Verwertung des Vermögens der Gesellschaft entscheiden. Hierzu bedarf es im Regelfall aber keines Insolvenzplans; 2. Fortführung des Unternehmens sowohl unter Beibehaltung des Unternehmensträgers als auch der Gesellschaftsstruktur. Der Insolvenzplan enthält dann neben einem Fortsetzungsbeschluss (§ 225a Abs. 3 Halbs. 2 Var. 1 InsO) grundsätzlich einen Schuldenschnitt und eine Sanierung. Weder wird das Unternehmen übertragen noch ändert sich die Anteilsstruktur; 3. vollständige und teilweise Übertragung des Unternehmens i. R. eines Insolvenzplanverfahrens; 4. Fortführung des Unternehmens unter Beibehaltung des Unternehmensträgers, aber Änderungen der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte kraft Insolvenzplans. Die Anteile selbst werden ganz oder teilweise an Insolvenzgläubiger, Mitgesellschafter oder neue Gesellschafter abgetreten (Share Deal); 5. Fortführung des Unternehmens unter Beibehaltung des Unternehmensträgers. Die Mitgliedschafts- und Anteilsrechte werden durch eine Kapitalmaßnahme neu geregelt. Zunächst muss das Grund-/Stammkapital der Gesellschaft regelmäßig auf Null herabgesetzt werden. Daran schließt sich unmittelbar eine Kapitalerhöhung und Ausgabe an neue oder alte Gesellschafter an (Debt to Equity Swap). II.

Übertragender Insolvenzplan

4 Kennzeichnend für einen übertragenden Insolvenzplan ist, dass entweder Vermögensteile (z. B. das Unternehmen) oder Gesellschaftsanteile an Dritte übergehen oder neu strukturiert werden. Als übertragender Insolvenzplan kommen damit nur die obigen Varianten 3 bis 5 in Betracht. 5 In diesen Varianten werden die Fortführung oder der Übergang des Unternehmens und der Anteile davon abhängig gemacht, dass der Insolvenzplan zustande kommt. Das Werkzeug hierfür bietet entweder ein bedingter Plan gemäß § 249 InsO oder seltener ein unter aufschiebende oder auflösende Bedingungen nach §§ 158 ff. BGB gestellter Insolvenzplan. Der Anteilseigner oder die Erwerber verpflichten sich, das Unternehmen der Gesellschaft fortzuführen und die gezeichneten Einlagen auf das Grund- oder Stammkapital zu erbringen. Regelmäßig legen die Anteilseigner zusätzlich i. R. des Übertragungsvertrags in die Gesellschaft ein Aggio in die Kapitalrücklage ein, auch um eine Besserstellung 396

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III. Übertragende Sanierung versus Insolvenz

gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren zu erreichen. In weiteren Varianten ist auch die Zahlung eines Entgelts in die Insolvenzmasse z. B. bei der Übertragung von Unternehmensteilen in Form eines Unternehmenskaufvertrags möglich. Ebenfalls sind Ausgliederungen, z. B. an neu gegründete Tochtergesellschaften eröffnet. Da regelmäßig die neuen Anteilseigner die Insolvenzforderungen jedoch nicht in voller Höhe tragen werden – selbst wenn sie unmittelbar Befriedigung außerhalb des Insolvenzverfahrens gewähren –, verzichten die Gläubiger i. R. des Insolvenzplans ganz oder teilweise auf Forderungen oder sind zur Stundung bereit. Es besteht zwar auch die Möglichkeit, i. R. eines sog. Liquidationsplans die Zerschlagung des Unternehmens abweichend von den Bestimmungen des Regelinsolvenzverfahrens zu regeln. Im Fokus eines Insolvenzplanverfahrens steht jedoch die Sanierung, so dass es sich hierbei lediglich um eine theoretische Möglichkeit handelt. III.

Übertragende Sanierung versus Insolvenz

Welcher Weg zur Sanierung ergriffen wird, ist daher im Vorfeld genau von allen 6 Beteiligten abzuwägen, indem Vor- und Nachteile der jeweiligen Transaktionsstruktur gegenübergestellt werden.4) Eine sanierende Übertragung ist in der Regel leichter und schneller umzusetzen. 7 Die Insolvenzgründe sind nicht zu beseitigen. Das bedingt weiterhin, dass ein sog. Sanierungsgewinn mit den sich ergebenden steuerlichen Fragestellungen nicht anfällt. Nachteilig ist, dass bestehende Vertragsverhältnisse nicht einfach übergehen. § 613a BGB gilt allerdings mit der Möglichkeit, über ein Erwerberkonzept eine neue arbeitsrechtliche Struktur zu schaffen. Öffentlich rechtliche Genehmigungen und sonstige Zertifizierungen sind ebenso regelmäßig neu einzuholen.5) Grunderwerbsteuern fallen an. Es muss eine völlig neue finanzielle Struktur aufgebaut werden.6) Demgegenüber bleiben i. R. eines Share Deal im Wesentlichen alle notwendigen 8 Vertragsbeziehungen erhalten. Change-of-Control-Klauseln greifen gemäß § 225a Abs. 4 InsO nicht. Da das Unternehmen erhalten bleibt, ist § 613a BGB grundsätzlich nicht anwendbar. Öffentlich-rechtliche Genehmigungen sowie sonstige Zertifizierungen und Subventionszusagen bleiben erhalten, ohne dass es eines neuen Antrags bedarf. Vor allem aus diesem Grund ist der Insolvenzplan häufig der einzige Weg, um den Erhalt des unternehmerischen Betriebs zu ermöglichen. Bei einer entsprechenden Ausgestaltung der Anteilsverhältnisse lässt sich nach ___________ 4) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 5 – 10, insbesondere die umfassende tabellarische Darstellung. 5) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 5 – 10, insbesondere die umfassende tabellarische Darstellung; Spahlinger in: KPB-InsO, § 225a Rz. 71. 6) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 5 – 10, insbesondere die umfassende tabellarische Darstellung.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

gegenwärtigem Recht die Grunderwerbsteuer vermeiden. In der Praxis führt bei einer Sanierung durch Insolvenzplan aber immer noch die Steuerfreiheit des sog Sanierungsgewinns nach § 3a EStG zu erheblicher Unsicherheit. Denn die Vorschrift des § 3a EStG sollte zunächst erst nach Feststellung der EU-Kommission in Kraft treten, dass die Regelungen entweder keine Beihilfe darstellen oder die Beihilfe mit den Regeln des EU-Binnenmarkts vereinbar ist.7) Die EUKommission entschied aber nicht durch förmlichen Beschluss, sondern nur durch einen Comfort Letter, wonach eine beabsichtigte Neuregelung nicht gegen das europäische Beihilfenrecht verstoßen soll.8) Die nach dem Gesetz erforderliche förmliche Zustimmung war damit nicht erteilt, so dass es weiterer gesetzgeberischer Umsetzungsmaßnahmen bedurfte. In der Zwischenzeit hat der deutsche Gesetzgeber den mit Rücksicht auf das europäische Notifizierungsverfahren geschaffenen Inkrafttretensvorbehalt aufgehoben. Der § 3a EStG ist daher seit dem 15.12.2018 in Kraft. Nicht beseitigt sind damit allerdings die Unwägbarkeiten, die sich daraus ergeben, dass die Gerichte nicht an die Auffassung der EU-Kommission gebunden sind. Der EuGH könnte i. R. eines Vorabentscheidungsersuchens eines nationalen FG noch immer zu einer unzulässigen Beihilfe gelangen. § 3a EStG wäre wegen des durch den Comfort Letter gewährten Dispositionsschutzes in diesem Fall aber nur mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben oder zu ändern.9) 9 Auch taktische Vorteile lassen sich ggf. durch ein Insolvenzplanverfahren erreichen. Die Kombination mit einem Erörterungs- und Abstimmungstermin bietet die Chance, alle wesentlichen Maßnahmen in einem Zuge zu regeln. Die wechselseitige Verbindung ist auch geeignet, das Druckpotenzial auf einzelne Gläubiger zu erhöhen. Das gilt insbesondere für das Obstruktionsverbot, aber auch für den Minderheitenschutz und den Nachteilsausgleich nach §§ 251 ff. InsO. Werden sanierende Übertragung und Insolvenzplan miteinander kombiniert, so wird bei einem ordnungsgemäßen Bieterverfahren sich dieser Wert erheblich leichter darstellen und rechtfertigen lassen, als in einem reinen Insolvenzplanverfahren.10) Denn gerade dieser Vergleich zwischen den Quotenaussichten im Insolvenzplan- und Regelinsolvenzverfahren ist regelmäßig das wesentliche Argument, um mögliche Nachteile für die Gläubigerschaft zu begründen, auch wenn die §§ 251, 252 und 253 InsO an einen entsprechenden Nachweis erhöhte Anforderungen stellen. Regelmäßig wird insbesondere die Vorlage von Gutachten und Gegengutachten zum Unternehmenswert nicht ausreichen, um einen solchen Nachteil darlegen zu können.11) ___________ 7) 8) 9) 10) 11)

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S. hierzu Schmidt-Levedag, EStG, § 3a Rz. 2 ff. Völkel, DB 2018, 2080, 2081; d’Avoine/Michels, ZIP 2018, R64. S. hierzu Kirchhof-Seer, EStG, § 3a EStG Rz. 7 f. S. hierzu Wellensiek, NZI 2002, 233, 238. S. hierzu Nerlich/Römermann-Rühle, InsO, § 245 Rz. 11 und Rz. 36 m. w. H.

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IV. Arbeitsrechtliche Vorbereitung eines Insolvenzplanverfahrens

Schließlich bietet sich ein übertragender Insolvenzplan in Fällen der Insolvenz 10 eines einzelkaufmännisch geführten Unternehmens an.12) In einem Insolvenzplan ist frei gestaltbar, inwieweit die Haftung des Einzelkaufmanns, d. h. des Unternehmensträgers, fortbesteht. Insbesondere ist regelbar, welche gegenwärtigen Vermögensgegenstände und welche Teile der künftigen Erträge dem Einzelkaufmann verbleiben.13) Bei der übertragenden Sanierung dagegen bleibt der Einzelkaufmann als Unternehmensträger in der fortbestehenden Haftung für die Verbindlichkeiten. Die Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO bietet nur eine unbefriedigende Lösung. Dagegen lässt ein Insolvenzplanverfahren großen Gestaltungsspielraum zu. IV.

Arbeitsrechtliche Vorbereitung eines Insolvenzplanverfahrens

Im Vorfeld jeder Übertragung ist zu klären, welche vorbereitenden Maßnahmen 11 zu ergreifen sind, um eine erfolgreiche Übertragung sicherzustellen. Sowohl das Arbeitsrecht als auch das Insolvenzrecht stellen hierfür Instrumentarien zur Verfügung. 1. Arbeitsrechtliche Betriebsspaltung Arbeitsrechtlich wird zwischen dem Unternehmen und dem Betrieb unterschie- 12 den. Unternehmen meint den Rechtsträger der Organisation (Gesellschaft oder Einzelperson) oder die Einheit, mit der wirtschaftliche oder ideelle Ziele verfolgt werden.14) Demgegenüber wird unter dem Betrieb die Organisationseinheit verstanden, die dinglich greifbar ist. Umfasst werden z. B. das Grundstück, die Gebäude, die sonstigen Betriebsmittel und die Maschinen, mit denen der Arbeitgeber technische Zwecke verfolgt, etwas herstellt, eine Dienstleistung erbringt, etwas verkauft. Betrieb ist also das Werk, die Niederlassung, das Kaufhaus, das Hotel usw.15) § 613a BGB knüpft nicht an das Unternehmen, sondern an den Übergang des Betriebs oder eines Betriebszweigs an.16) Da die Vorschrift des § 613a BGB nach h. M. auch unmittelbar auf den Übergang von Arbeitsverhältnissen bei Verschmelzung, Spaltung und Vermögensübertragung angewandt wird,17) ist diese Vorschrift auch bei Umwandlungsvorgängen i. R. des Insolvenzplans zu beachten. ___________ 12) Bernsau in: Bernsau/Höpfner/Rieger/Wahl, Hdb. der übertragenden Sanierung, S. 35, nennt als weitere Beispiele, dass der Kaufpreis für die im Wege der übertragenden Sanierung veräußerten Assets nicht sofort bezahlt werden kann, sondern der Masse aus den Erträgen der neuen Gesellschaft zufließen soll oder die Masse an der neuen Gesellschaft beteiligt bleibt und dieser Anteil später gewinnbringend veräußert werden kann. 13) Wellensiek, NZI 2002, 233, 238 m. w. N. 14) Maschmann, NZA Beilage 1 Heft 7/2009, S. 32; BAG, Urt. v. 7.8.1986 – 6 ABR 57/85, ZIP 1987, 183 = NZA 1987, 131. 15) Maschmann, NZA Beilage 1 Heft 7/2009, S. 32, 33. 16) S. hierzu Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rz. 3, 4. 17) BAG, Urt. v. 25.5.2000 – 8 ARZ 416/99, NZA 2000, 1115; Oetker in: ErfK, § 324 UmwG Rz. 2 m. w. N.; Schmitt/Hörtnagl/Stratz-Langner, UmwG/UmwStG, Vor §§ 322 – 325 UmwG Rz. 9.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

13

Praxishinweis Gerade in Großverfahren ergibt sich die besondere Problematik, dass verschiedene betriebliche Einheiten ohne klare Trennung in der Vergangenheit geführt wurden. Wird entweder i. R. einer übertragenden Sanierung oder einer Umwandlung i. R. eines Insolvenzplans erstrebt, unterschiedliche betriebliche Einheiten auf verschiedene Rechtsträger auszugliedern, so sollte schon im Vorfeld frühzeitig eine Spaltung der verschiedenen betrieblichen Einheiten i. R. einer arbeitsrechtlichen Betriebsspaltung erreicht werden.

14 Die Bildung von solchen selbstständigen Betrieben setzt voraus: x

Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat über die Reorganisation des Betriebs und die Bildung selbständiger Spartenbetriebe;

x

Sicherstellung eines jeweiligen Betriebsleiters mit umfassender Personalvollmacht;

x

Zuordnung der Belegschaft zu diesen neu gebildeten Betrieben (klare Zuordnung, Versetzung bzw. Änderungskündigung);

x

nach Möglichkeit räumliche Trennung der Betriebe;

x

Übergangsmandat des Betriebsrats nach § 21a BetrVG;

x

Mitwirkung des Betriebsrats nach § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG;18)

x

Vollzug vor jeglicher Übertragung.19)

15 In gleicher Weise könnte sich diese Notwendigkeit auch dann ergeben, wenn verschiedene Betriebe auf einen gemeinschaftlichen Betrieb verschmolzen werden sollen. 2.

Individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern/ Kündigungsmöglichkeiten von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen/Sanierungstarifverträge

16 Im Insolvenzverfahren bieten darüber hinaus die §§ 103 ff. InsO eine besondere Handhabe, um auch im Vorfeld des beabsichtigten Insolvenzplans eine arbeitsrechtliche Restrukturierung zu erreichen. a)

Individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern

17 Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen zwar Dienstverhältnisse, insbesondere also auch Arbeitsverhältnisse, des Schuldners mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort.20) Soweit individual-rechtlich möglich, sind jedoch Anpassungen vorzubereiten (z. B. bei Probearbeitsverhältnissen, befristeten Arbeitsverhältnissen, ___________ 18) S. hierzu Kania in: ErfK, § 111 BetrVG Rz. 17 ff. 19) Maschmann, NZA Beilage 1 Heft 7/2009, S. 32, 34, 35; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 1.6 f. 20) S. hierzu ausführlich Uhlenbruck-Wegener/Ries, InsO, § 108 Rz. 46 ff.

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IV. Arbeitsrechtliche Vorbereitung eines Insolvenzplanverfahrens

kündbaren Nebenbestimmungen etc.). Jede andere Änderung von Arbeitsverträgen bedarf individueller Vereinbarungen mit dem Arbeitnehmer.21) In einem Insolvenzplan sind Vereinbarungen über Lohnsenkungen nur unter 18 der Voraussetzung zulässig und wirksam, wenn solche Maßnahmen individualarbeitsvertraglich mit den betroffenen Arbeitnehmern ausgehandelt und entsprechende Erklärungen dem Insolvenzplan als Plananlage beigefügt sind.22) Für die Praxis, insbesondere bei größeren Unternehmen, stellt dies keinen probaten Weg dar. Eine Änderungskündigung (§ 2 KSchG) zur Entgeltabsenkung ist zwar grundsätzlich möglich.23) Das BAG stellt aber so hohe Anforderungen an eine Änderung des Arbeitsentgelts, dass die Änderungskündigung kein probates Mittel zur Reduzierung der Personalkosten darstellt. 19

Praxishinweis Allerdings sollen nach dem BAG24) Änderungskündigungen zur Anpassung vertraglicher Nebenabreden nicht den strengen Anforderungen zur Herabsetzung des Entgelts unterliegen. Nach welchen Kriterien diese Nebenabreden angepasst werden können, sagt das BAG leider nicht.25)

b)

Betriebsvereinbarungen

Es besteht weiterhin die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen gemäß § 120 Abs. 1 20 InsO anzupassen oder ggf. mit einer Drei-Monats-Frist zu kündigen. Ein Recht zur fristlosen Kündigung räumt § 120 Abs. 2 InsO ein. Hierunter fallen auch Zusagen über die betriebliche Altersversorgung (siehe hierzu § 25 [Frommhold]). Soweit opportun, wird der Insolvenzverwalter gleichzeitig neue Betriebsvereinbarungen verhandeln und abschließen. Erzwingbar auch durch Insolvenzplan ist eine neue Betriebsvereinbarung ebenfalls nicht. c)

Tarifverträge

Kollektiv-rechtliche Regelungen, wie insbesondere die Tarifgebundenheit gemäß 21 § 3 Abs. 3 TVG, bleiben bestehen. Ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag gilt zwingend gemäß § 5 TVG auch für den Insolvenzverwalter (siehe hierzu § 14 [Schöne]). Zwar wäre die Kopplung der Annahme des Insolvenzplans durch den Abschluss 22 eines Sanierungstarifvertrags (Haustarifvertrag) möglich. Ein derartiger Sanierungstarifvertrag könnte eine Reduzierung des Gehaltniveaus und damit eine ___________ 21) S. hierzu im Einzelnen Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 37 ff. 22) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 8.30. 23) BAG, Urt. v. 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182, dazu EWiR 2009, 31 (Himmelsbach/ Piniek); Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 244 ff. 24) BAG, Urt. v. 27.3.2003 – 2 AZR 74/02, NJW 2003, 3579, 3580, dazu EWiR 2003, 1099 f. (Pomberg). 25) Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 249.

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Reduzierung des Personalaufwands beinhalten. Erzwingbar wäre eine derartige Kopplung allerdings gleichfalls nicht. Ein etwaig bestehender Flächentarifvertrag kann nicht durch einen Haustarifvertrag verdrängt werden, wenn dieser mit einer anderen Gewerkschaft abgeschlossen worden ist. Ein weiterer Hinderungsgrund wäre eine dynamische oder statische Verweisung26) in den Individualarbeitsverträgen der Arbeitnehmer. Sollte hier eine Verweisung auf einen Flächentarifvertrag bestehen, wäre ein Abschluss eines Sanierungstarifvertrags nicht zielführend, da, wie bereits dargestellt, in die Individualarbeitsverträge der Arbeitnehmer mittels Plan nicht eingegriffen werden kann. Der Abschluss eines Sanierungstarifvertrags ist ebenso wie die Kopplung i. S. des § 249 InsO jedoch nicht erzwingbar.27) d)

Verknüpfung

23 Schon im Vorfeld eines Insolvenzplans haben der Insolvenzverwalter und der Planersteller diese Möglichkeiten durchzuspielen und müssen ggf. in Verhandlungen mit den Arbeitnehmern, dem Betriebsrat und den Tarifvertragsparteien eintreten. Hierdurch kann erhebliches Kostenpotenzial eröffnet werden. Um Sicherheit für alle Beteiligten herzustellen, wird der Abschluss solcher Vereinbarungen regelmäßig entweder nach § 249 InsO oder §§ 158 ff. BGB davon abhängig gemacht, dass der Insolvenzplan tatsächlich zustande kommt. 3.

Abbau von Arbeitsplätzen

24 Auch bei einer Sanierung i. R. eines übertragenden Insolvenzplans wird es regelmäßig erforderlich sein, die Personalaufwendungen zu vermindern. Häufig waren eine verfehlte Personalpolitik oder ungenügende Rationalisierung die Insolvenz auslösende Gründe, so dass erst die Reduzierung der Personalkosten den Weg für eine erfolgreiche Sanierung ebnet. Ein Interessent will den Geschäftsbetrieb des schuldnerischen Unternehmens nur übernehmen und fortführen, wenn die Personalaufwendungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Ertragschancen stehen. 25 Grundsätzlich wird ein solcher Arbeitsplätzeabbau in gleicher Weise wie bei der übertragenden Sanierung auch i. R. eines Insolvenzplanverfahrens ermöglicht. Es ergeben sich keine Unterschiede, so dass insoweit auf die Ausführungen unter § 17 [Undritz/Röger] verwiesen wird. 26 Weitere arbeitsrechtliche Besonderheiten sind im (übertragenden) Insolvenzplan nicht zu beachten. Anerkannt ist, dass in Sanierungsfällen der Alt-Betrieb aus sich heraus nicht mehr sanierungsfähig ist, so dass die Anwendbarkeit des Er___________ 26) Zur Unterscheidung, auf die es vorliegend nicht ankommt vgl. Franzen in: ErfK, § 3 TVG Rz. 36 m. w. N. zur Rspr. 27) Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 57.

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V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren

werberkonzepts nicht davon abhängig ist, ob auch der alte Arbeitgeber (Insolvenzverwalter) das Sanierungskonzept hätte durchführen können.28) Dieses Ergebnis entspricht auch der neueren Rechtsprechung des BAG zum Erwerberkonzept, wonach es nicht darauf ankommt, ob der Sanierungsplan auch beim Veräußerer hätte umgesetzt werden können.29) 4.

Einbeziehung in den Insolvenzplan

Die Umsetzung der oben genannten Konzepte bedarf individueller Vereinbarun- 27 gen mit Arbeitnehmern oder den zuständigen Vertretungen. Auch insoweit gilt der Grundsatz: Kein Vertrag zulasten Dritter, so dass eine unmittelbare gestaltende Regelung im Insolvenzplan nicht möglich ist.30) Das angemessene Instrumentarium zur Verknüpfung mit dem Insolvenzplan stellt § 249 InsO dar. Die Bestätigung des Insolvenzplans kann daher unter die aufschiebende Bedingung gestellt werden, dass solche Vereinbarungen rechtwirksam zustande kommen. V.

Übertragung im Insolvenzplanverfahren

Grundziel eines Insolvenzplanverfahrens ist, das Unternehmen in der bestehen- 28 den Trägerschaft zu sanieren, indem die Insolvenzgründe beseitigt und der langfristige Erhalt erstrebt werden. Die Sanierung des arbeitsrechtlichen Betriebs stellt dabei nur eine – wenn auch wesentliche – Komponente dar. Demgegenüber wechselt beim übertragenden Insolvenzplan entweder das Unternehmen, also nicht unmittelbar der arbeitsrechtliche Betrieb selbst, in eine neue Rechtsträgerschaft oder die Anteilsverhältnisse werden neu geregelt. 1.

Grundstrukturen des übertragenden Insolvenzplans

Unabhängig davon, ob das Unternehmen selbst übertragen oder die Seite der 29 Anteilseigner neu strukturiert wird, vollzieht sich die Übertragung in zwei wesentlichen Schritten, die wechselseitig ebenfalls regelmäßig durch Bedingungen verknüpft werden. a)

Regelungen auf Schuldnerseite

Neben den allgemein insolvenzrechtlichen Instrumentarien und Regelungsmög- 30 lichkeiten zur Sanierung einer Gesellschaft und des Unternehmens können in dem Insolvenzplan selbst auf Schuldnerseite die notwendigen Erklärungen zur Übertragung entweder des Unternehmens oder der Geschäftsanteile abgegeben ___________ 28) Schmidt, Arbeits- und Sozialrecht in der Insolvenz, S. 93 f. 29) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671, 1672 = NJW 2003, 3506, 3507, dazu EWiR 2003, 909 f. (Schnitker/Grau); Annuß/Lembke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Rz. 178 ff.; Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 169 f. 30) Spahlinger in: KPB-InsO, § 254 Rz. 5, 6b.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

werden.31) Das gilt auch für einen möglichen Gesellschafterwechsel. Neben dem Fortsetzungsbeschluss gemäß § 225a Abs. 3 InsO können sämtliche gesellschaftsrechtlichen Fragen in den Insolvenzplan integriert werden, soweit der beabsichtigte Rechtseingriff außerhalb der Insolvenz nach dem gesetzlichen Numerus clausus grundsätzlich verhandelbar wäre. Im Insolvenzplanverfahren tritt die Gläubigerversammlung umfassend an die Stelle der Gesellschaftsorgane und der Gesellschafterversammlung.32) Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben werden durch das Insolvenzplanverfahren verdrängt. Gemäß § 254a Abs. 1 InsO gelten die in einem Insolvenzplan aufgenommenen Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben, soweit Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben oder Geschäftsanteile einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung abgetreten werden. Formbedürftige dingliche Übertragungserklärungen, z. B. bei einer Grundstücksveräußerung, können ebenfalls durch den Insolvenzplan geregelt werden.33) Mit Rechtskraft der Planbestätigung werden alle formellen Anforderungen ersetzt, die aus gesellschaftsrechtlicher Sicht für die Wirksamkeit des Vorgangs erforderlich wären. Insbesondere gilt das für die Beurkundungserfordernisse des § 15 Abs. 3, 4 GmbHG oder das Beurkundungserfordernis für Satzungsänderungen nach § 53 Abs. 2 GmbHG.34) 31 Ergänzend greift § 254a Abs. 2 InsO, wonach bei Eingriffen in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen die in dem Plan gemäß § 225a InsO aufgenommen Beschlüsse der Anteilsinhaber oder sonstigen Willenserklärungen der Beteiligten in der vorgeschriebenen Form als abgegeben gelten.35) b)

Annahmeerklärung

32 Entsprechend den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, kein Vertrag zulasten Dritter, kann der Insolvenzplan aber notwendige Erklärungen Dritter nicht ersetzen. Bei einem Unternehmenskaufvertrag folgt die Annahmeerklärung des Schuldners im schuldrechtlichen Teil ebenfalls i. R. eines Insolvenzplans allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Die Annahmeerklärung ist zwingend notwendig.36) 33 Praxishinweis Auch i. R. von gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen bedarf es folglich der Annahmeerklärung des neustrukturierten Gesellschafterkreises. Dasselbe gilt für Vorgänge nach dem UmwG.

___________ 31) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 59 ff. 32) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 9.9 und 9.10; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 162. 33) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 60. 34) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 9.19. 35) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 9.20. 36) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 61; K. Schmidt in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 3 sowie Rz. 7, 19.

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V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren

Soweit Organe der Gesellschaft neu bestellt werden, gilt das in gleicher Weise 34 für Geschäftsführer, Vorstände, Aufsichtsrat etc.37) c)

Eingriff in Aus- und Absonderungsrechte

Grundsätzlich werden Absonderungsrechte durch den Plan nicht berührt.38) 35 Regelungsmöglichkeiten sind lediglich nach Maßgabe des § 223 InsO möglich. Da i. R. eines übertragenden Sanierungsplans jedoch regelmäßig auch Beiträge von absonderungsberechtigten Gläubigern berührt werden (z. B. Festlegung auf die Höhe eines auszukehrenden Betrags gegen Verzicht auf das Sicherungsrecht, weite Stundung oder Darlehensgewährung, Nutzungsentschädigung bei Nutzung, sonstiger Abschluss von schuldrechtlichen Nutzungsverträgen etc.), bedarf es regelmäßig für eine erfolgreiche Sanierung schon im Vorfeld des Insolvenzplans unabhängig von den Gestaltungsmöglichkeiten nach § 223 InsO einer Einbindung der absonderungsberechtigten Gläubiger. Regelmäßig werden daher mit diesen Gläubigern schon vor dem Abstimmungs- und Erörterungstermin Vereinbarungen getroffen (siehe hierzu nachfolgend Rz. 36 ff.).39) d)

Übernahmeverpflichtung

Im Rahmen eines übertragenden Insolvenzplanverfahrens sind daher die Interes- 36 sen dreier Beteiligter in Einklang zu bringen: x

des Schuldners,

x

des Übernehmers,

x

der absonderungsberechtigten Gläubiger.

Verbindliche Erklärungen können zwar auch erst nach erfolgreichem Abschluss 37 des Erörterungs- und Abstimmungstermins abgegeben werden. Entsprechende Bedingungsvorbehalte hat der Insolvenzplan zu enthalten.40) Da weder Altgesellschafter noch Dritte zur Übernahme und der sich daraus ergebenden Einlageverpflichtung gezwungen werden können, wird aber regelmäßig zur Regelung dieser Verhältnisse im Vorfeld des Erörterungs- und Abstimmungstermins ein entsprechender Vertrag über die Verpflichtung zur Übernahme und damit verbundene weitere Verpflichtungen abgeschlossen.41) In einen solchen, allgemeinen Formen und Erfordernissen unterliegendem Vertrag über die Verpflichtung zur ___________ 37) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 11 Rz. 184 ff.; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 31 – für Geschäftsführer einer GmbH, Rz. 48 ff. – für Aufsichtsrat und Vorstand einer AG. 38) Schmidt in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 10 Rz. 35; Braun-Frank, InsO, § 223 Rz. 1; K. Schmidt in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 7. 39) Schmidt in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 10 Rz. 89 – 122. 40) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 61. 41) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 35 – 64 und Rz. 62 – für Maßnahmen nach dem UmwG; K. Schmidt in: MünchKomm-InsO, § 254a Rz. 26.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

Übernahme von Unternehmensteilen oder Geschäftsanteilen sowie die damit verbundenen weiteren Verpflichtungen (Übernahmevertrag) können alle Beteiligten eingebunden werden. Der Vollzug dieses Übernahmevertrags ist dann wiederum dadurch bedingt, dass der Insolvenzplan rechtskräftig zustande kommt.42) 38 Daher sollte der Insolvenzplan regelmäßig zumindest schon in den Grundzügen dem Übernahmevertrag als Anlage beigefügt werden. Für den Fall des Scheiterns des Insolvenzplans sind in dem Übertragungsvertrag entsprechende aufschiebende Bedingungen oder Rücktrittsrechte aufzunehmen.43) Um irreparable Schäden zu vermeiden, ist der Vollzug des Übertragungsvertrags nicht nur von der Rechtskraft des Insolvenzplans, sondern der endgültigen Aufhebung und insbesondere auch der Wirksamkeit der gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen abhängig zu machen (siehe hierzu Rz. 51 ff.). Zwischen Übertragungsvertrag und Insolvenzplan besteht also ein umfangreiches wechselseitiges Beziehungsgeflecht, das auch das Insolvenzgericht bei Zulassung und Bestätigung des Insolvenzplans sowie der Aufhebung des Insolvenzverfahrens vor erhebliche Herausforderungen stellt. 2.

Übertragende Sanierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens

39 Ein Asset Deal in Form der übertragenden Sanierung wird regelmäßig außerhalb des Insolvenzplanverfahrens vollzogen, da er sich in einem Regelverfahren leichter umsetzen lässt. Die Einbindung in ein Insolvenzplanverfahren kommt vor allem dann in Betracht, wenn einzelne Betriebsteile an einen Dritten veräußert werden sollen.44) Daher hat die vorherige Betriebsspaltung (siehe hierzu Rz. 12 ff.) im Vorfeld besondere Bedeutung. Möglich ist eine Regelung im Insolvenzplan auch dann, wenn im Zusammenhang mit der vorherigen oder der Übertragung durch Insolvenzplan besondere Abwicklungsszenarien der Liquidation entwickelt werden sollen. a)

Regelungen im Insolvenzplan

40 Im Insolvenzplan selbst werden die Willenserklärungen des Schuldners auch verpflichtend zur Übertragung des Unternehmens geregelt. Einbezogen werden kann auch die dingliche Übertragung der Vermögensgegenstände.45) Nach § 254a Abs. 1 und 3 InsO kann die Formbedürftigkeit fingiert werden.46) Im Vorfeld dieser Übertragung durch Insolvenzplan sind die Annahmeerklärungen entsprechend ___________ 42) Zum übrigen Regelungsgehalt s. umfassend m. w. H. Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 16. 43) Schröder/Berner, NZI 2017, 837, 840. 44) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 58, 61. 45) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 6 ff.; Braun in: MünchKommInsO, § 228 Rz. 3. 46) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 60: Jaffé in: FK-InsO, § 254a Rz. 4 und 8.

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V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren

den Ausführungen oben (siehe Rz. 36 ff.) separat durch einen schuldrechtlichen Kauf- und Übertragungsvertrag zu regeln. Wird das Unternehmen bereits im Vorfeld durch übertragende Sanierung veräu- 41 ßert, so ergibt sich im anschließenden Insolvenzplanverfahren kein eigenständiger Regelungsbedarf. Es gelten die Ausführungen in § 17 [Undritz/Röger]. b)

Arbeitsrechtliche Auswirkungen

§ 613a BGB kann durch einen Insolvenzplan nicht unterlaufen werden. § 613a 42 Abs. 4 Satz 1 BGB verbietet eindeutig, Arbeitsverhältnisse insolvenzbedingt zu kündigen.47) Beschränken sich die Übertragung und der Insolvenzplan lediglich auf den Be- 43 triebsübergang, ergeben sich für den Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte nach § 111 BetrVG.48) Das gilt auch dann, wenn einzelne vorher ausgegliederte Betriebsteile übergehen.49) Die arbeitsrechtliche Betriebsspaltung selbst bedarf dagegen – wie bereits oben dargelegt – der Mitwirkung des Betriebsrats. Auch sonstige im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang sich ergebende Fragestellungen, wie z. B. Entlassung von Arbeitskräften und sonstige Änderungen der Betriebsorganisation etc. bedürfen dagegen der Mitwirkung des Betriebsrats nach § 111 BetrVG. Im Rahmen eines Insolvenzplans beschränken sich daher die Rechte des Betriebs- 44 rats auf: x

die Vorschriften der § 118 Abs. 3 InsO,

x

die Möglichkeit zur Stellungnahme nach § 232 Abs. 1 Satz 1 InsO,

x

die Teilnahme an dem Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 Abs. 3 Satz 3 InsO.

3.

Gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung i. R. eines Insolvenzplanverfahrens

Den weitesten Raum und den häufigsten Grund für ein Insolvenzplanverfahren 45 stellt die Notwendigkeit gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungen dar. Für die Arbeitnehmerseite ergeben sich hieraus zahlreiche Besonderheiten. a)

Tatbestände

Hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und der Einzelheiten der 46 Einbeziehung gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierung muss angesichts der ___________ 47) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 8.31; Müller-Glöge in: MünchKomm-BGB, § 613a Rz. 196. 48) Kania in: ErfK, § 111 BetrVG Rz. 12. 49) Düwell-Steffan, BetrVG, § 111 Rz. 31.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

Breite und Tiefe der sich ergebenden Fragestellungen auf die spezielle Literatur verwiesen werden.50) Dies gilt insbesondere für die einzelnen Gesellschaftsformen, die Erforderlichkeit und den Inhalt der zu fassenden Fortsetzungsbeschlüsse, des Bezugsrechtsausschlusses sowie des Ausschlusses von Gesellschaftern allgemein, der gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen sowie der Bewertung, insbesondere bei Kapitalerhöhung auch bei einem sog. Debt to Equity Swap.51) 47 Bei Personengesellschaften bedarf es immer als Anlage der besonderen Erklärung nach § 230 InsO. Das gilt sowohl für die Altgesellschafter als auch die neu hinzutretenden persönlich haftenden Gesellschafter.52) Die Regelungen in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans können diesen Fortsetzungsbeschluss und die dabei einzuhaltenden Voraussetzungen nicht ersetzen.53) aa)

Regelungsfähigkeit in dem Insolvenzplan

48 Regelungsfähig durch Insolvenzplan sind damit insbesondere: x

Share Deal durch vorgelagerten Anteilskauf- und Abtretungsvertrag und vorgelagerten Insolvenzplan,54)

x

Share Deal durch unmittelbare Einbeziehung in den Insolvenzplan,55)

x

Kapitalherabsetzung und anschließende Kapitalerhöhung mit Insolvenzplan und Ausgabe neuer Anteile,56)

x

Maßnahmen nach dem UmwG,57)

x

Ausschluss von Gesellschaftern und Neuhinzutritt von Gesellschaftern.58)

bb)

Erfordernis der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung sowie Wahrung der Verhältnismäßigkeit

49 Auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in einem Insolvenzplanverfahren heben den Grundsatz der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung nicht auf. Durch die übliche Vergleichsrechnung ist sicherzustellen, dass die betroffenen Insolvenzgläubiger zumindest nicht schlechtergestellt werden als ohne Insolvenz___________ 50) Umfassend jeweils: Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, §§ 30, 31, 33 und 34; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Kap. 9 Rz. 9 ff. 51) S. hierzu insbesondere Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 34. 52) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 28. 53) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 230 Rz. 33. 54) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 14 ff. 55) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 33 Rz. 18 ff. 56) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 58 ff., 135 ff.; Smid/Rattunde/ Martini, Insolvenzplan, Rz. 9.11 ff.; Brünkmans, ZIP 2014, 1857 ff.; Brünkmans in: Brünkmans/ Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 480 ff. 57) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 97 ff.; Brünkmans, ZInsO 2014, 2533 ff. 58) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 439 ff.

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V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren

plan.59) Das gilt auch für die betroffenen Anteilseigner, die nach Maßgabe des § 225a Abs. 5 Satz 1 InsO bei noch bestehender Werthaltigkeit ihres Anteils einen Abfindungsanspruch haben. Bei den Insolvenzgründen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ist aber regelmäßig von Wertlosigkeit auszugehen.60) Auch wenn der Eingriff in die Gesellschaftsrechte grundsätzlich europarechtlich 50 und verfassungsrechtlich für zulässig erachtet wird,61) gilt bei dem Eingriff in die Gesellschaftsrechte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderem Umfange. Für jede konkrete Planregelung ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich dieser Eingriff auch bei verfassungskonformer Auslegung als verhältnismäßig darstellt.62) Ein Insolvenzplan ist dann schon i. R. der Zulassung nach § 231 InsO von dem Insolvenzgericht zurückzuweisen, wenn er offensichtlich dem Zweck dient, einzelne Gesellschafter ohne Verbesserung der Befriedigungsmöglichkeiten auszuschließen bzw. „kaltzustellen“. Das gilt insbesondere, wenn gleichzeitig mit der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme die Gläubiger zu 100 % befriedigt werden.63) Regelmäßig wird die Verhältnismäßigkeit bei Insolvenzantragstellung wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bejaht. Besondere Prüfung ist jedoch bei Antragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit erforderlich.64) b)

Prüfung durch Insolvenzgericht und Handelsregister/Vollzug im Handelsregister

Alle gesellschaftsrechtlichen Regelungen im Insolvenzplan sind sowohl durch das 51 Insolvenzgericht i. R. der Zulassung des Insolvenzplans und durch das Handelsregister i. R. des Vollzugs zu prüfen. Wirksam werden alle Gestaltungen letztendlich erst mit Eintragung im Handelsregister. aa)

Prüfung durch das Insolvenzgericht

Das zuständige Insolvenzgericht hat den vorgelegten Insolvenzplan zunächst ge- 52 mäß § 231 InsO vor Zulassung des Insolvenzplans zu prüfen. Insoweit war bisher in der Literatur nicht eindeutig geklärt, ob ausschließlich der Einhaltung der §§ 217, 219 bis 230 InsO oder der Insolvenzplan vollständig auf seine Recht-

___________ 59) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 48, 89: Jaffé in: FK-InsO, § 217 Rz. 5, 21. 60) Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 225a Rz. 49. 61) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 33 ff.; Jaffé in: FK-InsO, § 238 Rz. 4 – 7. 62) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 47 ff., 88 ff. 63) S. hierzu insbesondere LG Frankfurt, Urt. v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13 (Suhrkamp), ZIP 2013, 1831 ff., dazu EWiR 2013, 589 (Hölzle); OLG Frankfurt, Beschl. v. 1.10.2013 – 5 U 145/13, ZIP 2013, 2018 ff., dazu EWiR 2013, 753 (Bähr/Schwartz). 64) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 52, 91.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

mäßigkeit geprüft werden müssen.65) Diese Frage dürfte letztendlich jedoch höchstrichterlich entschieden sein. Das Gericht hat i. R. des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO unter Berücksichtigung sämtlicher rechtlicher Aspekte zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorlagerecht und den Inhalt des Plans beachtet sind. Einzubeziehen ist auch, ob die Vorschriften zur Bildung von Gruppen gewahrt wurden.66) Nicht nur offensichtliche Rechtsfehler sind zu beanstanden.67) Nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin schließt sich vor Bestätigung des Insolvenzplans nach § 250 InsO eine weitere Prüfung durch das Insolvenzgericht an. Diese Prüfung deckt sich weitestgehend mit der Vorprüfung nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Eine Bindung an die Ergebnisse dieser Vorprüfung besteht aber nicht.68) bb)

Eintragung in das Handelsregister/Prüfungskompetenz des Registergerichts

53 Regelmäßig bedarf die Umsetzung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen zur Wirksamkeit der Anmeldung und Eintragung zum Handels-, Genossenschafts-, Partnerschaft- oder Vereinsregister. Für die GmbH sowie die AG gelten § 57 GmbH, §§ 184, 188 AktG. Der Anmeldung ist eine beglaubigte Abschrift des Insolvenzplans beizufügen. Bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens bleibt der Insolvenzverwalter zur Anmeldung berechtigt. Das gilt auch für die Abgabe von Versicherungen und Unterschriften, insbesondere zur vollständigen Erbringung der gezeichneten Einlagen.69) 54 Teilweise wird eine eigene Prüfungskompetenz des Registergerichts aufgrund der Vorprüfung durch das Insolvenzgericht vollständig abgelehnt.70) Überwiegend wird jedoch angenommen, dass das Registergericht wegen der intensiven Vorprüfung durch das Insolvenzgericht nur noch eine eingeschränkte Prüfungskompetenz im Hinblick auf schwerwiegende und offensichtliche Fehler hat. Regelmäßig ist danach das Registergericht zur Eintragung verpflichtet. Anderes soll nur gelten, wenn der rechtkräftig bestätigte Insolvenzplan an einem beson___________ 65) S. hierzu allgemein zum Meinungsstand Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 99, 100 m. w. H. sowie § 31 Rz. 205 ff.; Brünkmans, ZInsO 2015, 1585, 1586 ff.; Horstkotte, ZInsO 2014, 1297, 1300 ff. 66) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660 = ZIP 2015, 1346, 1347, dazu EWiR 2015, 483 (Spliedt); Brünkmans, ZInsO 2015, 1585, 1592 ff. 67) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 100; ausführlich zum Prüfungsumfang Brünkmans in: Brünkmans/Thole, InsO, § 14 Rz. 60 ff. 68) Sinz in: MünchKomm-InsO, § 250 Rz. 5, 6. 69) S. hierzu umfassend Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 167 – 176. 70) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 103 m. w. H.; K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 225a Rz. 54; zum Meinungsstand weiterhin Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 177.

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V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren

deren Fehler leidet und dies bei vollständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände unter Verweis auf § 44 Abs. 1 VwVfG offensichtlich ist.71) cc)

Besonderes Risiko Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung

Regelmäßig verbunden mit der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung ist 55 die Kapitalherabsetzung auf null und die anschießende Kapitalerhöhung im Insolvenzplanverfahren. Diese Vorgehensweise bietet die besondere Handhabe, um auch gegen den Willen der Altgesellschafter neue Anteilseigner aufnehmen zu können. Einer sachlichen Rechtfertigung bedarf es hierfür nicht.72) Im Wesentlichen gelten für die Prüfungspflichten des Registergerichts dieselben Grundsätze wie allgemein zur Eintragung in das Handelsregister.73) Sowohl der Beschluss über die Kapitalherabsetzung als auch die anschließende 56 Kapitalerhöhung müssen jedoch innerhalb einer Frist von drei Monaten bei der GmbH (§ 58a Abs. 4 GmbHG) und für die AG innerhalb von sechs Monaten (§ 228 Abs. 1 AktG) in das Handelsregister eingetragen werden. Die bloße Anmeldung reicht nicht aus. Aufgrund der speziellen Beschwerdemöglichkeiten gegen den gerichtlichen Bestätigungsbeschluss für den Insolvenzplan beginnt die Frist für die Anmeldung mit der Rechtkraft des bestätigten Insolvenzplans zu laufen, da aufgrund dieser besonderen Beschwerdemöglichkeiten kein Raum für eine analoge Anwendung von § 58 Abs. 4 Satz 3 GmbHG bzw. § 228 Abs. 2 Satz 2 AktG besteht.74) Das besondere Risiko für alle Beteiligten besteht darin, dass mit Ablauf dieser Frist die Beschlüsse in dem Insolvenzplan nichtig und nicht mehr eintragungsfähig sind, d. h. der Insolvenzplan wird mit erheblichen Haftungsrisiken für alle Beteiligten nicht mehr umgesetzt werden können.75) Aus diesem Grund kommt dem wechselseitigen Geflecht der Bedingungen und Rücktrittsrechte in dem Übertragungsvertrag und dem Insolvenzplan die besondere Bedeutung zu. 57 Praxishinweis Neben der frühzeitigen Absprache auch mit dem zuständigen Handelsregister schon im Vorfeld des Insolvenzplans sollten daher alle Bedingungen auch auf arbeitsrechtlicher Seite, wie Abschluss von Betriebsvereinbarungen, Sanierungstarifverträgen etc. entweder i. R. einer Bedingung oder eines Rücktrittsrechtes unter dem Vorbehalt gestellt werden, dass alle gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen tatsächlich vollzogen werden. Das betrifft ebenfalls vorherige Abstandszahlungen an absonderungsberechtigte Gläubiger etc.

___________ 71) Allgemein hierzu Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 179; s. insbesondere die umfassende Übersicht zum Gegenstand und Tiefe der Prüfung praxisrelevanter Strukturmaßnahmen durch das Insolvenzgericht und Registergericht, Rz. 182. 72) S. hierzu insgesamt Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 58 ff. 73) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 95 – 97. 74) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 99 – für die GmbH, Rz. 129 f. – für die AG. 75) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 99, 130.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

c)

Arbeitsrechtliche Auswirkungen gesellschaftsrechtlicher Umstrukturierungsmaßnahmen/Mitwirkung des Betriebsrats

58 In einem Insolvenzplanverfahren gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrats. aa)

Auswirkungen des Gesellschafterwechsels/Besonderheiten nach dem UmwG

59 Bei einem reinen Gesellschafterwechsel gilt § 613a BGB nicht. Die Identität der Gesellschaft als Arbeitgeberin wird gewahrt.76) 60 Anderes gilt jedoch für Vorgänge nach dem UmwG. Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 613a BGB ist, dass es in Folge des umwandlungsrechtlichen Vorgangs zu einem Rechtsträgerwechsel/Arbeitgeberwechsel kommt. Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung.77) Gemäß § 324 UmwG bleibt daher § 613a Abs. 1, 4 – 6 BGB bei Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt. Die h. M. sieht in Bezug auf die Haftung nach § 613a Abs. 2 BGB, §§ 22, 133 UmwG als vorrangig an.78) Folge der Anwendbarkeit des § 613a BGB ist zunächst das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 BGB. Alle Arbeitnehmer, bei denen es zum Rechtsträgerwechsel kommt, sind nach § 613a Abs. 5 BGB zu unterrichten.79) Auch das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB greift. Es gilt allerdings dann beschränkt, wenn der bisherige Rechtsträger seine rechtliche Existenz verliert (bei Verschmelzung und Aufspaltung). Stattdessen wird den Arbeitnehmern in diesen Fällen anstelle des Widerspruchsrechts ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zugestanden.80) Schließlich greift § 323 Abs. 1 UmwG, wonach die kündigungsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer (die vor der Spaltung bzw. Vermögensübertragung mit dem zu übertragenden Rechtsträger in einem Arbeitsverhältnis stehen) in Folge der Spaltung und Teilübertragung für die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens nicht berührt wird. Die Reichweite ist zwar streitig. Klar ist allerdings, dass das KSchG auch dann anwendbar bleiben soll, wenn der Schwellenwert des § 23 KSchG nicht mehr erreicht wird.81) 61 Durch einen Spaltungs- und Übernahmevertrag wird keine Möglichkeit eröffnet, die Arbeitsverhältnisse abweichend von den zwingenden Vorgaben des § 613a ___________ 76) BGH, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 803/06, ZIP 2008, 239 = NZA 2007, 1428, 1430; PalandtWeidenkaff, BGB, § 613a Rz. 6. 77) BAG, Urt. v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115, 1117 = ZIP 2000, 1630, m. Anm. Bauer/Megel, dazu EWiR 2000, 1009 (Joost); Oetker in: ErfK, § 324 UmwG Rz. 2. 78) Oetker in: ErfK, § 324 UmwG Rz. 5. 79) Oetker in: ErfK, § 324 UmwG Rz. 6, 7. 80) Oetker in: ErfK, § 324 UmwG Rz. 8 – 10 m. w. N. 81) Oetker in: ErfK, § 323 UmwG Rz. 3 ff.

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V. Übertragung im Insolvenzplanverfahren

BGB sowohl des übernehmenden als auch den übertragenden Rechtsträgers zu ändern.82) Gemäß § 323 Abs. 2 UmwG gelten jedoch in gleicher Weise wie bei der übertragenden Sanierung bei einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung die Erleichterungen für einen entsprechenden Interessenausgleich.83) Auf die vorherigen Ausführungen zum übertragenden Insolvenzplan zur übertragenden Sanierung wird daher verwiesen, siehe Rz. 39 ff. § 613a BGB ist dagegen bei bloßen Formwechseln gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 1 62 UmwG nicht anwendbar. Die Nachhaftung gemäß § 613a Abs. 2 BGB greift gemäß § 613a Abs. 3 BGB dann nicht, wenn die Gesellschaft aufgrund des Umwandlungsvorgangs erlischt.84) bb)

Mitwirkung des Betriebsrats

Der Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen neuen Inhaber stellt nach 63 ständiger Rechtsprechung des BAG für sich alleine keine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG dar. Das gilt auch dann, wenn der Betrieb – wie bereits oben dargelegt – vorher betriebsverfassungsrechtlich aufgespalten wurde.85) Anders gilt jedoch dann, wenn mit dem Übergang weitere Maßnahmen des Er- 64 werbers oder des Veräußerers verbunden sind, also unmittelbar auf die Betriebsorganisation Einfluss genommen wird. Damit sind Fälle gemeint, in denen der Veräußerer eine Betriebsänderung plant, um eine leichtere Übertragung zu erreichen.86) Für die Verschmelzung und die Abspaltung gelten abweichende Grundsätze. Um 65 die Folgen und Auswirkungen für den Betrieb selbst überprüfen zu können, ist sowohl bei der Verschmelzung gemäß § 5 Abs. 3 UmwG87) als auch bei der Abspaltung gemäß § 126 Abs. 3 UmwG88) der Verschmelzungs- oder Abspaltungsvertrag89) dem zuständigen Betriebsrat zuzuleiten. Diese Informationen dienen dem Zweck, dem Betriebsrat ggf. die Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG sowie §§ 99, 102 BetrVG zu ermöglichen.90)

___________ 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89) 90)

Oetker in: ErfK, § 324 UmwG Rz. 3. S. hierzu näher Oetker in: ErfK, § 323 UmwG Rz. 7 ff. Palandt-Weidenkaff, BGB, § 613a Rz. 7. Düwell-Steffan, BetrVG, § 111 Rz. 33. Düwell-Steffan, BetrVG, § 111 Rz. 31. S. hierzu Schmitt/Hörtnagl/Stratz-Langner, UmwG/UmwStG, § 5 UmwG Rz. 87 ff. S. hierzu Schmitt/Hörtnagl/Stratz-Langner, UmwG/UmwStG, § 5 UmwG Rz. 108 ff. Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 556. Schmitt/Hörtnagl/Stratz-Langner, § 5 UmwG Rz. 91 und § 126 UmwG Rz. 110.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

66

Praxishinweis In der Praxis wirkt der Betriebsrat bereits bei der Ausstellung des Insolvenzplans gemäß § 218 Abs. 3 InsO sowie bei der Abstimmung nach § 235 Abs. 3 Satz 1 – 2 InsO mit. Da die Einbindung des Betriebsrats beider beteiligten Rechtsträger erforderlich ist, kann das nur für den Betriebsrat der i. R. des Insolvenzplans restrukturierenden Schuldnerin gelten. Daher wird davon ausgegangen, dass diese gesetzliche Einwendung auch die förmliche Unterrichtung nach dem UmwG ersetzt.91)

VI.

Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens auf Arbeitnehmerschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften

67 Unabhängig von der Einbeziehung in den Übertragungsvorgang, bestimmen sich die Rechte der Arbeitnehmer, des Betriebsrats und der Gewerkschaft im Prozess eines Insolvenzplanverfahrens. Einzubeziehen sind v. a. die Mitbestimmungsrechte und Entscheidungsbefugnisse i. R. eines Insolvenzverfahrens allgemein, wenn der Insolvenzverwalter von seinem Recht auf Abkürzung der Kündigungsfrist auf maximal drei Monate nach § 113 Satz 2 InsO Gebrauch gemacht hat.92) Für die Zeit bis zum Ablauf der nächsten vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist steht dem Arbeitnehmer eine Insolvenzforderung zu. 1.

Gläubigerstellung der Arbeitnehmer in einem Insolvenz- und Insolvenzplanverfahren

68 Die Stellung der Arbeitnehmer in einem Insolvenzverfahren unterscheidet sich danach, inwieweit in die Rechte der Arbeitnehmer als Gläubiger eingegriffen wird. Zu unterscheiden sind: x

Stellung als Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO i. R. eines Insolvenzplan- und Insolvenzverfahrens allgemein;

x

Einbeziehung in die Umstrukturierung auf Gesellschafterebene;

x

Einbeziehung bei Insolvenzplanverfahren über die Masseunzulänglichkeit.

a)

Stellung als Insolvenzgläubiger im Rang des § 38 InsO

69 Teilnahmemöglichkeiten der Arbeitnehmer bestehen zunächst aufgrund der möglichen Stellung als Insolvenzgläubiger. aa)

Eigenschaft als Insolvenzgläubiger

70 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob es sich um Insolvenzverbindlichkeiten oder Masseverbindlichkeiten handelt, ist die Anspruchsentstehung und nicht der Zeitpunkt der Fälligkeit. Bei Gratifikationen, Abfindungen und Ansprüchen auf ___________ 91) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 31 Rz. 53, 599. 92) Für Angemessenheit von Ausschlussfristen s. insoweit Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 65.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

Nachteilsausgleich ist der Stichpunkt entscheidend, an dem diese regelmäßig fällig werden.93) Das gilt auch für solche Arbeitnehmerforderungen, die nach vorheriger Anfechtung und Rückzahlung wieder aufleben.94) Ebenfalls sind als Insolvenzforderungen alle bis zum Insolvenzeröffnungsstichtag begründeten Abfindungsansprüche aus abgelaufenen Zeitkonten, rückständige Urlaubsgelder, Schadenersatzansprüche wegen vorzeitiger Kündigung im Insolvenzverfahren nach § 113 Satz 3 InsO (sog. Verfrühungsschaden) als Insolvenzforderungen zu berücksichtigen.95) 71

Praxishinweis Schon bei der Anmeldung zur Insolvenztabelle ist daher eine substantiierte Abgrenzung, ggf. auch unter Einbeziehung anwaltlichen oder sonstigen Rats unabdingbar. Das gilt insbesondere in einem Insolvenzplanverfahren. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Übertragung an neue Gesellschafter droht anderenfalls das Risiko, dass die neue Geschäftsleitung Zahlungen an die Arbeitnehmer verweigert, da es sich nicht um neu begründete Masseverbindlichkeiten, sondern allgemein um Insolvenzforderungen handelt.

bb)

Eingriffsmöglichkeiten durch den Insolvenzplan

In die persönlichen Insolvenzforderungen der Arbeitnehmer können die Regelun- 72 gen des Insolvenzplans gemäß §§ 38, 217, 254 Abs. 1 InsO uneingeschränkt insoweit eingreifen, als die Verteilung der Masse betroffen ist.96) Unzulässig sind dagegen auch sog. materielle Präklusionsvorschriften, durch die die Gläubiger von nicht angemeldeten Forderungen auf die vereinbarte Planquote ausgeschlossen sind.97) Eine dauerhafte Entwertung oder Einschränkung des grundsätzlichen materiell- 73 rechtlichen Anspruchs ist dagegen ausgeschlossen.98) Daher können durch einen Insolvenzplan bestehende Arbeitsverträge nicht für die Zukunft geändert werden, z. B. mittels Herabsetzung des Gehalts. Hierzu bedarf es individueller Verein___________ 93) Mückl/Götte, ArbRAktuell 2017, 609 ff.; Krings, ZInsO 2017, 577 ff. 94) Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz, v. 29.3.2017, BGBl. I 2017, 654, wurde u. a. das BAG, Urt. v. 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628, dazu EWiR 2014, 291 (Huber), umgesetzt. Die Norm privilegiert die Arbeitnehmer des Schuldners, indem der enge zeitliche Zusammenhang auch dann gegeben ist, wenn zwischen Arbeitsleistung und Zahlung des Arbeitsentgelts drei Monate liegen (ausführlich zu den Gesetzesänderungen: Kindler/Bitzer, NZI 2017, 369 ff.). 95) Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 27. 96) Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 8.51; Krings, ZInsO 2017, 577 ff. 97) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660, 2662 = ZIP 2015, 1346; Brünkmans, ZInsO 2016, 245 ff. 98) BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 6 AZR 559/14, ZIP 2016, 178 = NZI 2016 175 ff., m. Anm. Krings S. 179 f., dazu EWiR 2016, 179 (Klasen); Kamp/Tresselt, DZWIR 2017, 501 ff.; Krumbiegel in: Münch-Hdb. ArbR, § 27 Rz. 51 – 53.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

barungen zwischen Arbeitnehmern und im Vorfeld des Insolvenzplanverfahrens dem Insolvenzverwalter. Solche Verhandlungen werden regelmäßig im Vorfeld der Einreichung des Insolvenzplans geführt und können ggf. als Planbedingungen i. S. des § 249 InsO ausgestaltet werden.99) b)

Als Anteilseigner

74 Wesentliches Element des übertragenden Sanierungsplans ist die Restrukturierung des Gesellschafterkreises. Bei beabsichtigten Eingriffen ist für die am Schuldner beteiligten Personen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO eine eigene Gruppe zu bilden. Auch insoweit können Arbeitnehmer betroffen sein, z. B wenn ihnen spezielle Arbeitnehmerbeteiligungen eingeräumt wurden. Zur Gruppenbildung selbst und zu den möglichen Eingriffsrechten siehe unten Rz. 103 ff. c)

Als Massegläubiger

75 Soweit Masseunzulänglichkeit eintritt, eröffnet § 210a InsO nunmehr ebenfalls die Möglichkeit eines Insolvenzplanverfahrens. Auch Arbeitnehmer können insoweit betroffen sein, da nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO Regelungen für Altmasseverbindlichkeiten in einem solchen Insolvenzplanverfahren getroffen werden können. Insbesondere kommt ein Forderungserlass für Altmassegläubiger in Betracht.100) Hinsichtlich der Abgrenzung von Neu- und Altmasseverbindlichkeiten gelten die Ausführungen oben (siehe Rz. 70 f.) entsprechend. Konsequenz einer Regelung durch ein Insolvenzplanverfahren ist für die Arbeitnehmer, dass zunächst ihre Altmasseverbindlichkeiten beschränkt werden können, gleichzeitig sie aber mit ihren Insolvenzforderungen an die Stelle der nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger treten.101) 2.

Teilnahmerecht der Arbeitnehmer, des Betriebsrats im Insolvenzplanverfahren im Abstimmungs- und Erörterungstermin

76 Für die betroffenen Arbeitnehmer sowie den Betriebsrat bestehen unterschiedliche Teilnahmerechte. Wesentlich ist insbesondere, in welchem Umfang an den Abstimmungen mit Entscheidungsbefugnis teilgenommen werden kann. a)

Arbeitnehmerschaft

77 Regelmäßig sind die Arbeitnehmer unmittelbar betroffen. In Höhe ihrer Forderungen nehmen sie an den Abstimmungen teil. ___________ 99) Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 13. 100) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 12 Rz. 4. 101) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 12 Rz. 1; kritisch hierzu Smid, ZInsO 2017, 2085 ff.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

aa)

Stimmrecht als Insolvenzgläubiger, Anteilseigner, Massegläubiger

Soweit Forderungen im Rang des § 38 InsO betroffen sind, nehmen Arbeitneh- 78 mer i. H. ihrer festgestellten Forderungen an der Verteilung sowie an Gläubigerversammlungen teil.102) Sollten Forderungen noch nicht geprüft oder bestritten sein, so greift das eigenständige Stimmrechtsfestsetzungsverfahren nach § 77 Abs. 2 InsO. Die jeweilige Stimmrechtsfestsetzung gilt nur für den bestimmten Termin der Gläubigerversammlung.103) Gemäß § 238a InsO bestimmt sich das Stimmrecht von Anteilseignern allein nach 79 der jeweiligen Beteiligung am gezeichneten Kapital oder Vermögen der Gesellschaft im Zeitpunkt der Abstimmung über den Insolvenzplan.104) Soweit Stimmrechte streitig geblieben sind, wird eine entsprechende Anwendung des § 77 Abs. 2 InsO zu Recht abgelehnt. Entscheidend ist die Gesellschafterliste.105) In dem Verfahren bei Masseunzulänglichkeit nach § 210a InsO gilt für streitig 80 gebliebene Masseforderungen zunächst die allgemeine Feststellung durch Gerichtsurteil mit der Maßgabe, dass anstelle eines Zahlungstitels die Aufnahme in das Masseschuldverzeichnis tritt.106) Fehlt es an einer erforderlichen Feststellung durch den Insolvenzverwalter, sollen Streitfragen zu dem jeweiligen Stimmrecht nach den allgemeinen Instrumentarien von § 237 Abs. 1 Satz 1, § 77 Abs. 2 InsO gelöst werden.107) bb)

Teilnahmerechte/Vertretungsbefugnisse

Jeder Arbeitnehmer ist berechtigt, soweit er Insolvenzforderungen hat, in einer 81 Gläubigerversammlung also auch in dem Abstimmungs- und Erörterungstermin selbst aufzutreten. Dasselbe gilt, wenn Arbeitnehmer Anteilseigner oder Massegläubiger sind. Schon manche Gläubigerversammlungen nahmen aber einen völlig anderen Ver- 82 lauf als geplant, da insbesondere in großen Masseverfahren Arbeitnehmer nicht wirksam vertreten waren. Gemäß § 4 InsO gelten die Vorschriften der ZPO für das Insolvenzverfahren entsprechend, soweit die InsO selbst nichts anderes bestimmt. Die besonderen insolvenzrechtlichen Regelungen verdrängen in ihrem Anwendungsbereich als Spezialregelungen teilweise die allgemeinen Vorschriften der ZPO.108) Da die §§ 74 bis 79 ZPO für Gläubigerversammlungen keine dem ___________ 102) Andres/Leithaus, InsO, § 77 Rz. 5. 103) Andres/Leithaus, InsO, § 77 Rz. 6 ff. 104) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 120; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 238a Rz. 1 ff. 105) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 141 – 143. 106) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 210a Rz. 27. 107) Uhlenbruck-Ries, InsO, § 210a Rz. 11 m. w. H. 108) AG Göttingen, Beschl. v. 15.7.2016 – 71 IK 111/10, VIA 2016, 86.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

§ 174 Abs. 1 Satz 3 InsO entsprechende Spezialregelung enthalten, ist gemäß § 4 InsO die Vorschrift des § 79 ZPO entsprechend anzuwenden.109) Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 ZPO wären daher außer Rechtsanwälten nur noch die danach genannten Personen zur Vertretung befugt, also gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 1 ZPO insbesondere andere Beschäftigte des Unternehmens, gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, volljährige Familienangehörige mit Befähigung zum Richteramt. Einzelne Insolvenzgerichte verweigern jedoch die Vertretung durch andere Arbeitnehmer, sondern akzeptieren nur Rechtsanwälte. 83 Da das Insolvenzverfahren gerade kein streitiges Erkenntnisverfahren ist, sondern der Quotenverbesserung dient, ist bei entsprechender Anwendung gemäß § 4 InsO, § 79 Abs. 2 ZPO zu modifizieren.110) Überwiegend wird vertreten, dass die Beschränkung der Vertretungsmacht auf Rechtsanwälte oder andere juristisch qualifizierte Personen diesem Ziel nicht gerecht wird.111) Eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertretungsbeschränkung im Zivilprozess auf Rechtsanwälte ist nach dem Willen des Gesetzgebers ausweislich der Gesetzesbegründung auch aus sozialen Gründen gerechtfertigt,112) wenn die Prozessvertretung nicht beruflich, sondern aufgrund eines besonderen Näheverhältnisses zu der vertretenen Partei (wie etwa bei Familienangehörigen) oder durch uneigennützig handelnde, juristisch qualifizierte Personen (wie etwa Verbraucherverbände) übernommen wird. Da eine Vertretung von Arbeitnehmern in der Gläubigerversammlung grundsätzlich keine so hohen Anforderungen an die Personen des Bevollmächtigten stellen, wie in einem streitigen Zivilprozess,113) besteht ein solches besonderes Näheverhältnis i. R. der sozialen Interessengemeinschaft im Insolvenzverfahren gerade auch zwischen den Arbeitnehmern des schuldnerischen Unternehmens. Dafür spricht z. B. auch das BetrVG, wonach die Arbeitnehmer eines Betriebs eine Interessengemeinschaft bilden, die z. B durch den Betriebsrat repräsentiert wird.114) Wie auch die Vorschrift des § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO zur Gruppenbildung zeigt, ist die Eigenschaft als Arbeitnehmer ein sachgerechtes Abgrenzungskriterium zu anderen Insolvenzgläubigern.115) Aufgrund dieses Näheverhältnisses lässt sich daher mit guten Gründen vertreten, dass bei entsprechender Anwendung des § 79 ZPO die Vertretung eines Arbeitnehmers in der Gläubigerversammlung durch einen anderen Arbeitnehmer zulässig ist. ___________ 109) AG Duisburg, Beschl. v. 02.12.2002 – 62 IK 61/00, NZI 2003, 455, 455; AG Itzehoe, Beschl. v. 22.7.2014 – 28 IE 1/14, NZI 2014, 1006, 1006 = ZIP 2014, 1545, dazu EWiR 2014, 565 (Spliedt). 110) Ganter/Bruns in: MünchKomm-InsO, § 4 Rz. 3; Braun-Baumert -InsO, § 4 Rz. 2 ff. 111) Spliedt, EWiR 2014, 565 – 566 (Urteilsanm.). 112) Begr. RegE Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drucks. 16/3655, S. 34. 113) AG Itzehoe, Beschl. v. 22.7.2014 – 28 IE 1/14, NZI 20141006, 1006 ff. = ZIP 2014, 1545. 114) Koch in: ErfK, § 1 BetrVG Rz. 17. 115) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 31; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 123 ff.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

Die Verweise in § 4 InsO umfassen trotz ihres auf die ZPO beschränkten Wort- 84 lauts zudem auch andere verfahrensrechtliche Gesetze, die für besondere Teilbereiche des Zivilprozesses relevante Normen enthalten.116) Im Arbeitsgerichtsprozess sind nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ArbGG auch Vertreter von Gewerkschaften vertretungsbefugt.117) Auch wenn die Vertretung von Gläubigern in der Gläubigerversammlung regelmäßig keine so hohen Anforderungen an die Person des Bevollmächtigten stellt, wie die Vertretung in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren,118) erscheint es dennoch zweifelhaft, ob ein Gewerkschaftssekretär einen Arbeitnehmer auch in einer Gläubigerversammlung vertreten kann, obwohl ausreichende Rechtskenntnisse mit Sicherheit zur Vertretung angenommen werden können. Häufig tritt der Betriebsrat in Gläubigerversammlungen auch für einzelne Ar- 85 beitnehmer auf. Da er jedoch kein eigenes Rechtssubjekt119) ist, sondern nur i. R. der ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben tätig werden kann, kann er nur in den vom BetrVG ausdrücklich genannten Fällen die Interessen der Arbeitnehmer als Organisation wahrnehmen und vertreten. Individualansprüche einzelner Arbeitnehmer kann er nicht geltend machen, da er die Interessen der gesamten Belegschaft schützen muss und nicht die Interessen einzelner Arbeitnehmer wahrzunehmen hat.120) Es können daher allenfalls einzelne Mitglieder des Betriebsrats persönlich als Kollegen des betreffenden Arbeitnehmers gemäß den obigen Ausführungen für andere Arbeitnehmer auftreten. 86

Praxishinweis Auch wenn gemäß § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten bis zur seiner Zurückweisung wirksam sind,121) sollte im Vorfeld von Abstimmungen in einer Gläubigerversammlung einschließlich des Erörterungs- und Abstimmungstermins über einen Insolvenzplan immer mit dem Gericht die Frage der Vertretungsbefugnis geklärt werden, um vor Überraschungsentscheidungen geschützt zu sein. Sollte eine vorherige gerichtliche Klärung nicht möglich gewesen sein, empfiehlt es sich insbesondere in Fällen der Eigenverwaltung immer einen Anwalt auch mit der Vertretung einzelner Arbeitnehmer zu beauftragen.

___________ Braun-Baumert, InsO, § 4 Rz. 4. Koch in: ErfK, § 11 ArbGG Rz. 5. AG Itzehoe, Beschl. v. 22.7.2014 – 28 IE 1/14, NZI 2014, 1006, 1006 ff. = ZIP 2014, 1545. BAG, Urt. v. 24.4.1986 – 6 AZR 607/83, NZA 1987, 100; BGH, Urt. v. 25.10.2012 – III ZR 266/11, NJW 2013, 464, 466 = ZIP 2012, 2362, dazu EWiR 2012, 783 (Thüsing/Fütterer). 120) BAG, Beschl. v. 18.1.2005 – 3 ABR 21/04, NZA 2006, 167, 170; Koch in: ErfK, § 1 BetrVG Rz. 18. 121) AG Coburg, Beschl. v. 5.2.2016 – IK 242/14, VIA 2017, 21, 22.

116) 117) 118) 119)

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

b)

Teilnahmerecht des Betriebsrats

87 Gemäß § 235 Abs. 3 Satz 1 sind auch der Betriebsrat und der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten zum Erörterungs- und Abstimmungstermin zu laden. Der Kreis der Beteiligten im Erörterungstermin wird damit wesentlich erweitert, um die Standpunkte dieser Gremien erörtern zu können.122) Erörtern heißt nicht abstimmen. Der Betriebsrat kann daher lediglich gehört werden, hat aber kein eigenes Stimmrecht. 88

Praxishinweis Bei fehlender Ladung hat der Betriebsrat die Möglichkeit, Gegenvorstellungen zu äußern. Er kann außerdem ohne weiteres an dem Erörterungs- und Abstimmungstermin teilnehmen. Möglicherweise ist der Erörterungs- und Abstimmungstermin jedoch zu vertagen.123)

3.

Einbeziehung des Betriebsrats bei Aufstellung und Einreichung des Insolvenzplans

89 Sowohl der Betriebsrat als auch das Insolvenzgericht haben den Betriebsrat hinzuzuziehen. Die Pflichtenstellung ergibt sich für den Insolvenzverwalter bzw. die Eigenverwaltung schon im Vorfeld der Einreichung, während das Insolvenzgericht einen Insolvenzplan erst nach entsprechender Zuleitung und Gelegenheit zur Stellungnahme des Betriebsrats den Insolvenzplan zulassen kann. 90 Gemäß § 218 Abs. 3 InsO wirken bei Aufstellung eines Plans durch den Insolvenzverwalter, unabhängig, ob auf dessen Eigeninitiative oder im Auftrag der Gläubigerversammlung, der Gläubigerausschuss, der Betriebsrat sowie der Sprecherausschuss der leitenden Angestellten mit. Eine Mitwirkung ist also ausgeschlossen, wenn der Schuldner selbst den Insolvenzplan aufstellt.124) Eine entsprechende Anwendung wird zu Recht abgelehnt.125) Bei Eigenverwaltung wird danach differenziert, ob der Schuldner selbst den Plan ausgearbeitet (Unanwendbarkeit des § 218 Abs. 1 Satz 3 InsO) oder der Sachwalter den Plan vorgelegt hat. Dann wird eine entsprechende Anwendung des § 218 Abs. 3 InsO angenommen.126) Für den jeweiligen Ersteller des Insolvenzplans wird eine echte Pflichtenstellung begründet, bei deren Verletzung riskiert wird, dass der Insolvenzplan durch das Insolvenzgericht zurückgewiesen werden wird.127)

___________ 122) Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 16. 123) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 76; Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 308 – 312. 124) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 218 Rz. 36, 49. 125) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 41. 126) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 218 Rz. 36. 127) Zur Informationspflicht s. Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 51 ff.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

Der Insolvenzverwalter oder Sachwalter kommen ihrer Pflichtenstellung nach, 91 indem sie: x

den Betriebsrat schon vorab über seine Absicht unterrichten, einen Insolvenzplan aufzustellen;

x

dem Betriebsrat die tatsächlichen Grundlagen mitteilen, auf denen das Sanierungskonzept im Insolvenzplan und die in das Auge gefasste Beseitigung der Insolvenzgründe basieren;

x

den vorbereiteten Insolvenzplan einschließlich aller Anlagen dem Betriebsrat zuleiten;

x

nicht nur auf substantiierte Einwendungen des Betriebsrats in angemessener Weise reagieren und weiter über die geplante Vorgehensweise unterrichten.128)

Ob die Pflicht des Insolvenzverwalters mit einer eigenen Pflicht des Betriebsrats 92 zur Stellungnahme korrespondiert, ist streitig.129) Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Betriebsrat letztendlich selbst schadet, wenn er von seinem Mitwirkungsrecht keinen Gebrauch macht.130) Anhörung des Betriebsrats bedeutet mehr als reine Informationspflicht. Der Betriebsrat ist umfassend berechtigt, zu dem Planvorhaben selbst sowie dessen tatsächlichen Grundlagen auf eigene Kosten substantiiert Stellung zu beziehen und eigene Vorschläge einzubringen.131) Inhaltlich wird der Insolvenzverwalter zwar solche Gegenvorstellungen bei Aufstellung des Insolvenzplans berücksichtigen, alleine um im Erörterungs- und Abstimmungstermin Stellung nehmen zu können. Es besteht für ihn jedoch keine Pflicht, solche abweichenden Meinungen in dem Plan aufzunehmen.132) Da die Vorlage der Stellungnahme zwingend ist,133) ist jedenfalls eine umfang- 93 reiche Dokumentation der Erfüllung dieser Pflicht unabdingbar. Das gilt insbesondere deswegen, da der gesamte Plan einschließlich aller notwendigen Plananlagen anders als bei der Ladung zum Erörterungs- und Abstimmungstermin nach § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO zu übermitteln ist.134) Die Frist zur Abgabe der Stellungnahme nach § 232 Abs. 3 InsO beginnt nicht 94 mit dem Eingang des Aufforderungsschreibens beim Adressaten, sondern gemäß § 8 InsO in Verbindung mit § 175 ZPO bereits mit der Aufgabe des Schreibens zur Post.135) Zwar steht die Zwei-Wochen-Frist nach § 232 Abs. 3 Satz 2 InsO ___________ 128) Umfassend hierzu Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 51 ff.; s. hierzu Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 69 ff. 129) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 51 ff. 130) Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 69. 131) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 218 Rz. 52; Jaffé in: FK-InsO, § 218 Rz. 50. 132) Jaffé in FK-InsO, § 218 Rz. 52. 133) Jaffé in: FK-InsO, § 232 Rz. 4. 134) Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 6. 135) Jaffé in: FK-InsO, § 232 Rz. 20, 21.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

nicht im freien Ermessen des Gerichts. Als Sollvorschrift wird aber grundsätzlich eine Verlängerung für zulässig erachtet, wobei die Größe des Unternehmens sowie der Planumfang mit Anlagen eine wesentliche Rolle spielen.136) Aus Gründen der angebrachten Verfahrensbeschleunigung sollte von dieser Möglichkeit jedoch nur in engen Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden. Zwar ist es nach dem Gesetzeswortlaut aufgrund der Ausgestaltung als Sollvorschrift grundsätzlich nicht ausgeschlossen, auch kürzere Fristen zu setzen. Angesicht der Komplexität eines Insolvenzplanverfahrens sowie der weiteren gesetzlichen Mitwirkungs- und Ladungsfristen verbietet sich generell aber eine Abkürzung. Da es sich um keine Ausschlussfrist handelt, sind auch nach Setzung der Frist eingegangene Stellungnahmen zu berücksichtigen.137) Streitig ist, ob eine unterbliebene Zustellung einen solchen Verfahrensmangel darstellt, der nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur zwingenden Versagung des Insolvenzplans führt138) oder ein solcher Verstoß unbeachtlich ist, da die Beteiligten nach § 235 Abs. 3 InsO ohnehin eine Zusammenfassung des Planes erhalten.139) Da i. R. der Zustellung nach § 235 Abs. 3 InsO die Beteiligten aber lediglich eine verkürze Fassung erhalten, dürfte zu Recht eine Bestätigung nur dann möglich sein, wenn die Beteiligten auch ohne ausdrückliche Aufforderung rechtzeitig zu dem Planinhalt Stellung genommen haben.140) 95

Praxishinweis Bei der gesamten Vorgehensweise ist sich im Vorfeld intensiv mit dem Insolvenzgericht abzustimmen, um Verzögerungen zu vermeiden. Das gilt auch für die Fragen, ob der Insolvenzverwalter den Insolvenzplan bereits im Vorfeld den Beteiligten zustellen sollte, um die Verfahrensdauer abzukürzen. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so ist auf jeden Fall klar durch entsprechende Bestätigungen nachzuweisen, dass die Beteiligten den Plan in der Fassung erhalten haben, der schließlich auch dem Gericht vorliegt.

96 Auch nach entsprechender Anhörung des Betriebsrats hat das Insolvenzgericht nach § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO den Betriebsrat und die anderen dort genannten Personenkreise besonders zu laden. Diese Ladung ist mit der Beifügung der Unterlagen gemäß § 235 Abs. 3 Satz 2 InsO, also zumindest mit einer Zusammenfassung des wesentlichen Insolvenzplans verbunden. Das Insolvenzgericht selbst kann diese Zusammenfassung nicht erstellen.141) Ein Verstoß, insbesondere gegen die Beifügung der Unterlagen, kann nicht dadurch geheilt werden, dass die Gläubiger im Erörterungs- und Abstimmungstermin erscheinen, sondern nur ___________ 136) 137) 138) 139) 140) 141)

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Jaffé in: FK-InsO, § 232 Rz. 17; Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 13. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 14; Jaffé in: FK-InsO, § 232 Rz. 19. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 9. Laroche in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 15 Rz. 8 f. Breuer in: MünchKomm-InsO, § 232 Rz. 9. Hintzen in: MünchKomm-InsO, § 235 Rz. 18.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

dann, wenn auf die Erhebung dieser Rüge verzichtet wird.142) Als Konsequenz kann das zur Folge haben, dass entweder der Abstimmungs- und Erörterungstermin zu vertagen ist143) oder ggf. sogar die Bestätigung bzw. die Aufhebung des Insolvenzplans versagt werden muss. 4.

Stellung der Arbeitnehmer in dem (vorläufigen) Gläubigerausschuss

Die Arbeitnehmerschaft hat über die Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss oder 97 über den Betriebsrat weitere Mitwirkungsmöglichkeiten im Insolvenzplanverfahren. a)

Endgültiger Gläubigerausschuss

Gemäß § 232 InsO haben die vorgenannten Gremien ein Recht zur Stellung- 98 nahme zum Plan. Bei der Planüberwachung wirkt der Gläubigerausschuss weiter mit (§§ 261, 262 InsO). Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO soll ein Vertreter der Arbeitnehmer dem Gläubigerausschuss angehören. Die Arbeitnehmer sind Regelmitglied im Gläubigerausschuss.144) In der Regel wird der Vorsitzende des Betriebsrats zum Mitglied im Gläubigerausschuss bestellt. Umstritten ist die Mitwirkungsmöglichkeit der Gewerkschaft. Vertretbar ist die 99 Ansicht, wonach eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft als Mitglied bestellt werden kann (§ 2 Abs. 1, 2 BetrVG).145) Der in den Gläubigerausschuss gewählte Arbeitnehmer kann sich von der Gewerkschaft vertreten lassen.146) Dies deckt sich mit der für zulässig erachteten Vertretungsmöglichkeit des Gläubigerausschussmitglieds.147) b)

Vorläufiger Gläubigerausschuss

Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt für den Gläubigerausschuss nach Er- 100 öffnung des Insolvenzverfahrens. Da aber nach § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO zur Mitgliedern eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses nur Personen bestellt werden können, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden, fragt sich, ob diese Regelungen schon für die Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschus___________ 142) 143) 144) 145) 146) 147)

Jaffé in: FK-InsO, § 235 Rz. 50. Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 76. Ampferl in: Kübler, HRI, § 9 Rz. 120; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2250. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 22. Ampferl in: Kübler, HRI, § 9 Rz. 121. Zumindest für eine zeitweise Zulässigkeit der Vertretung: Voss in: Cranshaw/Steinwachs/ Vallender, Der Gläubigerausschuss, Rz. 26; Cranshaw/Paulus/Michel-Bruhn, Bankenkommentar zum InsR, § 67 InsO Rz. 33, der darauf abstellt, ob es sich um einen dauernden „Verhinderungsvertreter“ handelt. Dies lässt sich für die Gewerkschaft gerade nicht bejahen, da diese nicht als „Verhinderungsvertreter“ im GA tätig sein soll, sondern als aktives Mitglied den Arbeitnehmer vertritt.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

ses nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 1a, 22a InsO gelten. Denn danach können Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses (vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) nur solche Personen werden, die nach Eröffnung des Verfahrens Gläubiger sein werden. 101 § 21 Abs. 2 Nr. 1a InsO gilt jedoch ausdrücklich auch für den vorläufigen Gläubigerausschuss § 67 Abs. 2 InsO. Danach soll dem Gläubigerausschuss ein Vertreter der Arbeitnehmer angehören, so dass die Bestellung eines Betriebsratsmitglieds zulässig ist. Denn der Betriebsrat ist zur Vertretung der Arbeiternehmer berufen. 102 Da die Gewerkschaften nur über § 67 Abs. 3 InsO als Gläubigerausschussmitglied in Betracht kommen, wird die Bestellung einer Gewerkschaft schon im vorläufigen Ausschuss als Mitglied kritisch gesehen, es sei denn, die Gewerkschaft hätte ihrerseits Forderungen gegen die spätere Insolvenzschuldnerin. Dennoch sieht das AG Hannover zumindest die Bestellung eines Gewerkschaftsmitgliedes gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO als zulässig an, um schon im vorläufigen Gläubigerausschuss zu ermöglichen, dass fachkundiger Rat in den Gremien geholt werden kann, ohne dass etwa Forderungen an solche Mitglieder abgetreten werden müssen. § 67 Abs. 2 Satz 2 InsO sei insoweit teleologisch zu reduzieren, da die angemessene Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer schon in diesem Verfahrensstatus sichergestellt werden müsse.148) Da es schon in dem vorläufigen Verfahren vor allem darum geht, umfangreiche Sanierungsmaßnahmen auch durch Sanierungstarifverträge vorzubereiten, sollte von dieser Möglichkeit daher auch Gebrauch gemacht werden. 5.

Gruppenbildung

103 Wegen der Auswirkung für die Annahme des Plans und der Ersetzungsmöglichkeiten durch Obstruktionsverbot nach §§ 243, 244, 245 InsO kommt der Gruppenbildung eine wesentliche Bedeutung in einem Insolvenzplanverfahren zu. Die Gruppen sind unterschiedlich zu bilden. Je nach dem, ob die Arbeitnehmer nur als Insolvenzgläubiger, als besondere Anteilseigner oder als Masseschuldgläubiger betroffen sind. a)

Bildung der Arbeitnehmergruppe(n) gemäß § 222 Abs. 3 InsO als Insolvenzgläubiger

104 Als Insolvenzgläubiger sind die Arbeitnehmer regelmäßig in besonderer Weise von einem Insolvenzplan betroffen.

___________ 148) AG Hannover, Beschl. v. 14.9.2015 – 908 IN 594/15-1, ZInsO 2015, 1982, 1983.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

aa)

Grundsätzliche Einbeziehung in eine Gruppe

Sofern den Arbeitnehmern nicht nur unerhebliche Insolvenzforderungen zuste- 105 hen, soll im Plan – abweichend zu § 222 Abs. 2 InsO – eine besondere Gruppe der Arbeitnehmer gebildet werden, § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO. Der Gesetzgeber wollte damit der besonderen Interessenlage der Arbeitnehmer Rechnung tragen.149) Die Bildung einer Arbeitnehmergruppe wird sogar als verpflichtend angesehen, wenn deren Forderungen „nicht unerheblich“ sind.150) Allerdings soll ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls gleichwohl von der Bildung dieser Gruppe abgesehen werden können.151) Erheblich sind Forderungen, welche 10 % des Jahreseinkommens von zumindest 106 25 % der Arbeitnehmer betragen.152) Noch weitergehend ist eine Ansicht, wonach bereits eine Forderung erheblich ist, wenn diese ein Monatsgehalt überschreitet.153) Dabei sind Arbeitnehmerforderungen aus einem Sozialplan nach § 123 InsO und sonstige Masseforderungen nach § 55 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht mit einzubeziehen.154) Ebenfalls unberücksichtigt bleiben Forderungen, die wegen der Gewährung von Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind.155) 107

Praxishinweis Wenn möglicherweise auch keine Gruppe oder Untergruppe für bestimmte Arbeitnehmer mangels Erheblichkeit zu bilden ist, so bedeutet das nicht, dass die Arbeitnehmer nicht an den Gläubigerversammlungen oder dem Erörterungsund Abstimmungstermin teilnehmen und abstimmen können. Jeder Insolvenzgläubiger, sei die Forderung noch so klein, ist teilnahme- und stimmberechtigt. Wenn keine eigene Gruppe für Arbeitnehmer gebildet wird, so nehmen sie in einer anderen Gruppe an der Abstimmung teil, z. B. einer besonderen Gruppe der Kleingläubiger. Im darstellenden Teil des Insolvenzplans ist darauf zu achten, dass in ausreichendem Maße dargestellt wird, warum für die Arbeitnehmer der Insolvenzplan mehr Vorteile bringt als ein Regelinsolvenzverfahren bzw. warum es im Regelinsolvenzverfahren zum Fortfall der Arbeitsplätze kommen wird. Allein die pauschale Behauptung, nur mit dem Insolvenzplan könnten die Arbeitsplätze gesichert werden, genügt nicht.156)

___________ 149) Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 200. 150) LG Mühlhausen, Beschl. v. 17.9.2007 – II T/06, NZI 2007, 724, 725. 151) Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 31; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 132. 152) Thies in: HambKomm-InsR, § 222 InsO Rz. 25; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 34; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 129. 153) Schöne in: Kübler, HRI, § 29 Rz. 9. 154) Kebekus/Wehler in: Graf-Schlicker, InsO, § 222 Rz. 6; Spahlinger in: KPB-InsO, § 222 Rz. 45. 155) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 128; Spahlinger in: KPB-InsO, § 222 Rz. 45. 156) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 30, NJW 2015, 2660, 2664 = ZIP 2015, 1346.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

108 Nach der Rechtsprechung soll auch eine Untergruppenbildung möglich sein, dabei ist jedoch auf die Gleichbehandlung der Beteiligten innerhalb einer Gruppe zu achten. Besondere Gruppen innerhalb der Arbeitnehmer können sein:157) x

Arbeitnehmergruppe, die einen Sanierungsbeitrag leistet;

x

Arbeitnehmergruppe mit Forderungen aus rückständigen Sozialplänen;

x

Arbeitnehmergruppe mit Forderungen auf rückständiges Weihnachts- oder Urlaubsgeld;

x

Arbeitnehmergruppe, die in der Krise dem Unternehmen ihre Forderungen gestundet hat.

109 Eine solche Untergliederung wird in der Literatur zum Teil sogar als Pflicht angesehen, wenn es offensichtliche Divergenzen bei den wichtigsten insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen innerhalb der Arbeitnehmerschaft gibt.158) 110 Besonders für nicht anwaltlich vertretene Arbeitnehmer ist wesentlich, dass keine „Sondergruppe“ für Insolvenzgläubiger gebildet werden kann, die ihre Forderungen nicht rechtzeitig angemeldet haben,159) da der Zeitpunkt der Verfahrensbeteiligung als Kriterium für eine Gruppenbildung unsachlich ist.160) 111

Praxishinweis Eine Zuordnung der Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit in einer eigenen Gruppe ist zulässig.161) Abgestellt wird dabei zu Recht auf den Umstand, dass die Bundesagentur für Arbeit als Körperschaft des öffentlichen Rechts als Ziel deren Tätigkeit den Erhalt der Arbeitsplätze verfolgt.162)

112 Das Insolvenzgericht hat eine Prüfungskompetenz, ob die von § 222 Abs. 2 InsO abweichenden Voraussetzungen der Gruppenbildung nach § 222 Abs. 3 InsO eingehalten sind.163) Umso mehr ist deshalb darauf zu achten, in dem Plan die Kriterien der Abgrenzung und die für die Gruppenbildung nach § 222 InsO maßgeblichen Erwägungen zu erläutern.164) Wird lediglich eine gemeinsame Gruppe für die Arbeitnehmer geschaffen, kann auf eine spezifische Erläuterung grundsätzlich verzichtet werden, da die Gruppe der Arbeitnehmer eine besondere ___________ 157) LAG Hannover, Urt. v. 1.6.2010 – 11 Sa 1658/09, NZI 2011, 156, 157; Nerlich/RömermannRühle, InsO, § 222 Rz. 20 ff.; Krings, ZInsO 2017, 577 ff.; Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 27. 158) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 127. 159) LG Hamburg, Beschl. v. 7.2.2018 – 326 T 120/16, NZI 2018, 261, 264, m. Anm. Madaus, NZI 2018, 264. 160) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660, 26634 = ZIP 2015, 1346; Madaus, NZI 2015, 697, 699. 161) BGH v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, NJW 2015, 2660 = ZIP 2015, 1346 – 1352; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 222 Rz. 26. 162) Schöne in: Kübler, HRI, § 29 Rz. 29. 163) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 9, NZI 2015, 697, 698 = ZIP 2015, 1346. 164) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 10, NZI 2015, 697, 698 = ZIP 2015, 1346.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

Stellung einnimmt und offensichtlich ist, dass die Interessenlage der Arbeitnehmer von den anderen Insolvenzgläubigern abweicht.165) bb)

Gleichbehandlung innerhalb einer Gruppe

Besondere Bedeutung kommt der Gruppenbildung auch deswegen zu, da das 113 Gleichbehandlungsgebot des § 226 InsO nur innerhalb der Gruppe, nicht aber allgemein für sämtliche Gläubiger gilt. Insoweit sind also abweichende Regelungen im Insolvenzplanverfahren zulässig. Innerhalb einer Gruppe sind jedoch allen Beteiligten gleiche Rechte anzubieten. In den einzelnen Gruppen können also den betroffenen Gläubigern die jeweils 114 abweichende Quote gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren gewährt werden. Im Rahmen des Obstruktionsverbots gemäß § 245 Abs. 3 InsO gilt jedoch, dass alle Gläubiger, also auch über die Gruppen hinweg, im Rang einer einfachen Insolvenzforderung wirtschaftlich gleichgestellt werden müssen.166) Beispiel Quote Gläubigergruppe 1

10 %

Quote Gläubigergruppe 2

15 %

Quote Gläubigergruppe 3 20 % Im Rahmen einer Regelinsolvenz erhielten die Gläubiger über alle Gruppen hinweg allenfalls 5 %. Keine Nachteilhaftigkeit. Dasselbe mit 15 %. Benachteiligung für Gläubigergruppe 1 in diesem Beispiel, Obstruktionsverbot greift nicht. cc)

Erörterungs- und Abstimmungstermin

In Höhe des sich für sie ergebenden Stimmrechts können die Gläubiger im Er- 115 örterungs- und Abstimmungstermin auch an der Abstimmung teilnehmen. In der Gruppe der Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO ist ein Insolvenzplan angenommen, wenn gemäß § 244 Abs. 1 InsO sowohl die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger (Kopfmehrheit) als auch die Summe der abstimmenden Gläubiger (Summenmehrheit) mit mehr als die Hälfte der angemeldeten Forderungen zugestimmt haben. Auch wenn die Arbeitnehmer in besonderer Weise durch den übertragenden 116 Sanierungsplan betroffen sind, können sie i. R. des Insolvenzplanverfahrens als Insolvenzgläubiger gemäß § 217 InsO mit abstimmen und entscheiden. Zunächst sind sie nicht Partei des Übertragungsvertrags, so dass insoweit keine Interessenkollisionen bestehen. Auch soweit über den Interessenausgleich und ein Sozi___________ 165) BGH, Beschl. v. 7.5.2015 – IX ZB 75/14, Rz. 18, NZI 2015, 697, 699 = ZIP 2015, 1346. 166) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 7 Rz. 108, 109 und § 8 Rz. 45.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

alplan zu entscheiden ist, wird keine unmittelbare Betroffenheit angenommen. Dies ergibt sich unproblematisch aus den auch hier anzuwendenden Grundsätzen zur Gültigkeit von abgegebenen Stimmen bei staatsrechtlichen Wahlen.167) b)

Gruppe der Anteilseigner

117 Wird in die Rechte der Anteilseigner entsprechend der oben dargestellten Grundsätzen eingegriffen, so ist nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO für die beteiligten Personen zwingend eine Gruppe zu bilden. Es ist dabei nicht erforderlich, dass die rechtlichen Gestaltungen der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte betroffen sind. Ausreichend ist es schon, wenn der Fortsetzungsbeschluss als Regelung im Insolvenzplan aufgenommen wird.168) 118 Die Bildung von Untergruppen ist möglich. Ausdrücklich ist im § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO geregelt, dass für geringfügig beteiligte Anteilsinhaber mit einer Beteiligung von weniger als 1 % oder weniger als 1.000 € besondere Gruppen gebildet werden können.169) Die Möglichkeit, Untergruppen zu bilden, beschränkt sich aber nicht auf geringfügig beteiligte Anteilsinhaber. Vielmehr ist die Bildung von Untergruppen auch nach allgemeinen Regeln möglich, soweit unterschiedliche wirtschaftliche Interessen betroffen sind. Ob die Abgrenzung sachgerecht ist, richtet sich nach den unterschiedlichen insolvenzbezogenen wirtschaftlichen Interessen der jeweiligen Beteiligten.170) Ein sachgerechtes Kriterium dürfte es auch darstellen, ob Arbeitnehmern Beteiligungsrechte eingeräumt wurden. 119 Im Zusammenhang mit dem Obstruktionsverbot kommt der Bildung von Untergruppen auf Ebene der Anteilseigner auch deswegen besonderes Gewicht zu, da gemäß § 244 Abs. 3 InsO allein die Summenmehrheit entscheidet. Nach Köpfen wird in dieser Gruppe nicht abgestimmt. Nach Auffassung des Gesetzgebers gilt der Grundsatz des Gesellschaftsrechts, nach dem für Beschlüsse in der Regel die Mehrheit des Kapitals maßgeblich ist.171) 120 Für die Bestimmung des Stimmrechts ist nach § 238a Abs. 1 InsO die nominale Beteiligung am statuarischen Kapital zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Insolvenzplan entscheidend. Bei der GmbH ist ausschließlich auf den Anteil am eingetragenen Stammkapital abzustellen. Grundlage ist die zum Handelsregister ___________ 167) AG Duisburg, Beschl. v. 1.4.2003 – 62 IN 187/02, NZI 2003, 447, 447; Smid/Rattunde/ Martini, Insolvenzplan, Rz. 13.63. 168) K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 222 Rz. 10; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 64. 169) S. zur begrifflichen Definition; Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 146, 147; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 65 – 69. 170) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 71, 72 mit entsprechenden Beispielen. 171) Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 34; Jaffé in: FK-InsO, § 244 Rz. 31; Andres/ Leithaus, InsO, § 244 Rz. 3; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 119.

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VI. Allgemeine Auswirkungen eines Insolvenzplanverfahrens

eingereichte Gesellschafterliste, die im Zweifelsfall zum Abstimmungstermin mitzunehmen ist.172) Bei der AG ist nach der Art der Aktien zu unterscheiden.173) Bei Personengesellschaften gilt der Gesellschaftsvertrag, der im Zweifelsfall vorzulegen ist. Das Stimmrecht kann sich dann sogar anhand einer Auseinandersetzungsbilanz nach §§ 706, 733 Abs. 2 BGB ermitteln.174) Bei der Stimmrechtsfestsetzung wird eine entsprechende Anwendung des § 77 Abs. 2 InsO erwogen.175) Demgegenüber vertritt die h. M. aber zu Recht im Spannungsverhältnis zwischen Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht, dass die gesellschaftsrechtlichen Regelungen maßgeblich sind, vor allem die Gesellschafterlisten.176) Auch i. R. des Gleichbehandlungsgrundsatzes verdrängt das Insolvenzrecht das 121 Gesellschaftsrecht. Innerhalb einer Gruppe sind den Anteilseignern die gleichen Rechte anzubieten. Jede Ungleichbehandlung bedarf der Zustimmungserklärung jedes einzelnen Betroffenen.177) Grundsätzlich gelten daher keine Unterschiede zu der Einbeziehung der Insolvenzgläubiger in die Gruppe der abstimmenden Gläubiger. Ergänzt werden die Rechte der Anteilseigner i. R. eines Insolvenzplanverfahrens durch den Abfindungsanspruch nach § 225a Abs. 5 InsO.178) Da der Liquidationswert anzusetzen ist, dürfte sich regelmäßig, außer in Fällen der drohenden Zahlungsunfähigkeit, kein Abfindungsanspruch ergeben.179) Vor allem greift auch für die Einbeziehung von Anteilseignern das Obstruktionsverbot nach § 245 InsO. Es gelten insoweit die allgemeinen Regelungen. Auch eine differenzierte Behandlung der Gesellschafter ist gemäß § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO ausgeschlossen.180) c)

Gruppenbildung bei Masseunzulänglichkeit

Zwingend ist für die Altmassegläubiger gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3, § 210a InsO 122 eine Gruppe zu bilden, die gemäß § 210a Nr. 1 InsO an die Stelle der nicht ___________ 172) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 220 sowie Rz. 132, 135 m. w. N. 173) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 124 – 129, zum Nachweis § 30 Rz. 136: Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 238a Rz. 5. 174) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 130, 131, 140. 175) Thies in: HambKomm-InsR, § 238a InsO Rz. 32. 176) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 141 – 143 ff. 177) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 77 – 78; UhlenbruckLüer/Streit, InsO, § 226 Rz. 6, 7. 178) S. hierzu im Einzelnen: Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 225a Rz. 114 ff.; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 211 ff. 179) Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 313 zum Ansatz des Liquidationswerts. 180) So die h. M.: K. Schmidt-Spliedt, InsO, § 245 Rz. 35; Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 30 Rz. 153 – 157.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

nachrangigen Insolvenzgläubiger tritt.181) Untergruppen sind zulässig. Teilweise wird aber kritisch beurteilt, ob auch für Arbeitnehmer, insbesondere für freigestellte Arbeitnehmer eine Untergruppe gemäß § 222 Abs. 3 Satz 2 InsO zu bilden ist.182) Wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen ist es jedoch sachlich jedenfalls gerechtfertigt, auch eine besondere Arbeitnehmergruppe nach § 222 Abs. 3 Satz 1 InsO zu bilden.183) Für die Möglichkeit einer eigenen Gruppenbildung für Arbeitnehmer i. R. des § 210a InsO gelten die gleichen Regelungen wie in einem allgemeinen Insolvenzplanverfahren.184) 123

Praxishinweis Auch im Hinblick auf das auch für masseunzulängliche Verfahren anwendbare Obstruktionsverbot ist eine solche besondere Gruppenbildung immer zu erwägen.

124 In einem Planverfahren ist jede geltend gemachte Forderung mit ihrem vollen Wert zu berücksichtigen, da bei gerichtlicher Verurteilung zugunsten des Massegläubigers entsprechende Vorkehrungen getroffen werden müssen.185) Stimmrechte werden entsprechend § 77 Abs. 2 InsO, also durch Stimmrechtseinigung oder gerichtliche Feststellung, festgesetzt.186) 125 Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln für die Annahme, einschließlich des Obstruktionsverbots.187) VII. Der PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger im Insolvenzverfahren 126 Der Eintritt des Sicherungsfalls bewirkt, dass der aus der betrieblichen Altersversorgung Berechtigte einen gesetzlichen Anspruch gegen den PSVaG erhält (§ 7 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG). 1.

Stellung des PSVaG als Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO

127 Da der Versorgungsberechtigte aufgrund des Sicherungsfalls seine Leistungen vom PSVaG erhält, regelt § 9 Abs. 2 BetrAVG, dass mit Eintritt des Sicherungsfalls der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung auf den PSVaG mittels eines gesetzlichen Forderungsübergang (cessio legis) übergeht. Weil der PSVaG für die Erfüllung der Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung einsteht, soll er eventu___________ 181) Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 9 Rz. 40; Uhlenbruck-Ries, InsO, § 210a Rz. 11. 182) Uhlenbruck-Ries, InsO, § 210a Rz. 15. 183) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 210a Inso Rz. 15; Kießner in: FK-InsO, § 210a Rz. 7. 184) Smid, ZInsO 2017, 2095, 2098; Beck/Pechartscheck in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 40. 185) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 210a Rz. 12. 186) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 210a Rz. 19. 187) Madaus in: MünchKomm-InsO, § 210a Rz. 20 ff.

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VII. Der PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger im Insolvenzverfahren

ell vorhandene werthaltige Ansprüche zur Schadensminderung nutzen können. Die Ansprüche oder Anwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung haben regelmäßig nur deshalb einen Wert, weil der insolvente Arbeitgeber die zur Sicherung der Versorgungszusage abgeschlossene Rückdeckungsversicherung verpfändet hat oder über ein Contractual Trust Arrangement – CTA188) den Versorgungsanwärtern/Versorgungsempfängern mittels eines Vertrags zugunsten Dritter Sicherungsrechte eingeräumt wurden. Die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den PSVaG übergegangenen Anwartschaften werden im Insolvenzverfahren gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG kapitalisiert als unbedingte Forderung nach § 46 Satz 2 i. V. m. § 45 Satz 1 InsO geltend gemacht, d. h. neben den Ansprüchen aus Rentenzahlungen zur Insolvenztabelle angemeldet. Aufgrund dieses gesetzlichen Forderungsübergangs ist der PSVaG im Regelfall Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) und erhält ggf. eine entsprechende Quotenzahlung aus der Insolvenzmasse. Der PSVaG nimmt also für den Fall der Liquidation eines Unternehmens in einem 128 Insolvenzverfahren als nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger quotal an der Verwertung des Vermögens durch den Insolvenzverwalter teil. Für die Berechnung der Forderung des PSVaG ist der Wert zugrunde zu legen, der für den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermittelt werden kann (§ 45 InsO). 2.

Abweichende Gestaltungsmöglichkeiten im Insolvenzplanverfahren

Die InsO sieht gemäß § 217 InsO die Möglichkeit vor, im Insolvenzplan eine 129 von den Vorschriften der InsO abweichende Regelung zu treffen, d. h. dass die Rechtsstellung des PSVaG im Insolvenzplan gesondert geregelt werden kann. Denkbar ist bspw., dass der gesetzliche Forderungsübergang nicht in Form einer Quotenzahlung, sondern ganz oder teilweise durch Rückübertragung von Versorgungsverpflichtungen auf den Insolvenzschuldner ausgeglichen wird. In § 7 Abs. 4 Sätze 2, 3 BetrAVG ist dazu geregelt, dass aufgrund eines rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans im Fortführungsfall die Verpflichtungen zwischen dem Arbeitgeber und dem PSVaG aufgeteilt werden können. a)

Vertikale Aufteilung

§ 7 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG ist die Möglichkeit einer quotalen Aufteilung ge- 130 regelt. Wörtlich heißt es in § 7 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG: „Wird im Insolvenzverfahren ein Insolvenzplan bestätigt, vermindert sich der Anspruch auf Leistungen gegen den Träger der Insolvenzsicherung insoweit, als nach dem Insolvenzplan der Arbeitgeber oder sonstige Träger der Versorgung einen Teil der Leistungen selbst zu erbringen hat.“

___________ 188) Contractual Trust Arrangement (CTA) ist ein Modell i. R. der betrieblichen Altersvorsorge, um über eine Direktzusage Pensionsverpflichtungen aus der Bilanz auszugliedern.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

131 Danach ergeben sich unterschiedliche Formen einer quotalen Aufteilung der Versorgungsverpflichtungen im Insolvenzplan.189) x

Insbesondere kann im Insolvenzplan eine zeitlich unbeschränkte prozentuale Aufteilung der Versorgungsverpflichtungen zwischen Arbeitgeber und PSVaG festgelegt werden. Dieses einfache Auswahlkriterium birgt den Nachteil eines erhöhten Bearbeitungs- und Verwaltungsaufwands.

x

Weiter ist eine Aufteilung nach Personenkreisen denkbar. Der Insolvenzplan kann bspw. die Fortführung der Anwartschaften durch den Arbeitgeber vorsehen, während der PSVaG die Rentenansprüche der bereits ausgeschiedenen Rentner erfüllt. Bremer190) nennt als Argument für diese Aufteilungsform die Liquiditätsschonung in den ersten Jahren nach Durchlaufen des Insolvenzplans oder den steuermindernden Aufbau von Pensionsrückständen für einen überschaubaren Personenkreis.

b)

Horizontale Aufteilung

132 Die horizontale Aufteilung ist in § 7 Abs. 4 Satz 3 BetrAVG geregelt. Danach entfällt der Anspruch auf Leistungen gegen den Träger der Insolvenzsicherung (PSVaG), wenn in dem Insolvenzplan vorgesehen ist, dass der Arbeitgeber oder sonstige Träger der Versorgung die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von einem bestimmten Zeitpunkt an selbst zu erbringen hat. Die Übernahme der Versorgungsleistungen durch den PSVaG kann somit durch den Insolvenzplan zeitlich beschränkt werden. Der PSVaG übernimmt die Leistungen nur für einen bestimmten Zeitraum in voller Höhe und ist nach Ablauf des vereinbarten Zeitraumes von seiner Leistungspflicht (sowohl von den laufenden Rentenverpflichtungen als auch von der Sicherung der unverfallbaren Anwartschaften) befreit. Auf diese Weise erhält der Unternehmer eine vorübergehende und wichtige Liquiditätshilfe, die als Anschubfinanzierung einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Sanierung dienen kann. Misslingt die Sanierung und wird das Unternehmen in einem weiteren Insolvenzverfahren liquidiert, haftet der PSVaG aber nicht nur für die während des Sanierungszeitraums ausgefallenen, sondern auch für die später anfallenden Versorgungsleistungen.191) 133

Praxishinweis Neben der rein quotalen oder zeitlichen Aufteilung der betrieblichen Alterversorgung ist auch deren Kombination möglich.192)

___________ 189) Ausführlich dazu: Bremer, DB 2011, 875, 876. 190) Bremer, DB 2011, 875. 191) Blomeyer/Rolfs/Otto-Rolfs, BetrAVG, § 7 Rz. 276; LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.1.2017 – 6 Sa 582/16, NZI 2017, 980 = NZA-RR 2017, 549 – Betriebsübergang in der Insolvenz – Betriebsrente. 192) Höfer/de Groot/Küpper/Reich-Höfer/Reich, BetrAVG, Bd. I, S. 1387; Blomeyer/Rolfs/ Otto-Rolfs, BetrAVG, § 7 Rz. 274.

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VII. Der PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger im Insolvenzverfahren

c)

Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 Satz 2, 3 BetrAVG im übertragenden Insolvenzplan – Einschränkungen durch § 613a BGB

Im Rahmen eines übertragenden Insolvenzplans wird der schuldnerische Ge- 134 schäftsbetrieb regelmäßig nicht unter Beibehaltung des Rechtsträgers, sondern gerade durch Übertragung auf einen neuen Rechtsträger sichergestellt. Bei der übertragenden Sanierung verbinden sich folglich Sanierung und Liquidation. Durch die Übertragung des sanierungsfähigen Unternehmens oder eines Teils aus dem Insolvenzverfahren an die Übernahmegesellschaft wird die Fortführung des schuldnerischen Geschäftsbetriebs außerhalb des Insolvenzverfahrens ermöglicht. Der übrig bleibende Rechtsträger wird innerhalb des Insolvenzverfahrens liquidiert. Eine Aufteilung der Verpflichtungen aus den betrieblichen Altersversorgungen ist beim übertragenden Insolvenzplan daher allenfalls zwischen dem (neuen) Arbeitgeber und dem PSVaG denkbar. Da der übertragende Insolvenzplan lediglich das Mittel und die äußere Form für 135 die Regelung und Gestaltung einer Betriebsveräußerung darstellt, bleiben die Rechtsfragen und Probleme dieselben, die auch eine übertragende Sanierung (Betriebsübergang) mit sich bringt. Es ist somit zu beachten, dass nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der Übernehmer grundsätzlich in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt. Soweit diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt sind, bleiben diese Regelungen Bestandteil des Arbeitsverhältnisses. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert an diesem Ergebnis zunächst 136 nichts. Das BAG hatte bereits 1980 in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Bestandsschutz- und Mitbestimmungsfunktion des § 613a BGB auch in der Insolvenz uneingeschränkt anzuwenden sind.193) Auch die seit dem 1.1.1999 geltende InsO sieht keine den § 613a BGB einschränkenden Regelungen vor. Der Gesetzgeber hat insofern die Arbeitnehmerinteressen als schutzwürdiger bewertet.194) Die Rechtsfolgen des § 613a BGB sind grundsätzlich zwingend. Um eine Besserstellung der übergehenden Arbeitnehmer gegenüber den sonstigen Insolvenzgläubigern und einen damit einhergehenden Verstoß gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu vermeiden, findet § 613a BGB im Insolvenzverfahren im Wege der teleologischen Reduktion keine Anwendung, soweit die Vorschrift die Haftung des Betriebserwerbers für die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits entstandenen Ansprüche vorsieht.195) Die Verteilungsgrundsätze sind insoweit vorrangig zu beachten. Der Erwerber des schuldnerischen Betriebs tritt nur in die Versorgungsanwartschaften der begünstigten ___________ 193) BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124, 1125 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB. 194) Kritisch dazu: Lohkemper, Erwerberhaftung für Ruhegeldanwartschaften, S. 55. 195) Neufeld, BB 2008, 2346.

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aktiven Arbeitnehmer ein. Er schuldet aber im Versorgungsfall nur die bei ihm erdienten Versorgungsleistungen sowie den Teil der Anwartschaften, die die Arbeitnehmer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Betriebsübergang erworben haben.196) 137 Für bereits entstandene Rentenansprüche und unverfallbare Anwartschaften haftet der Erwerber dagegen nicht; diese sind vielmehr gemäß § 7 Abs. 2 BetrAVG vom PSVaG zu übernehmen.197) 138 Seit dem Urteil des BAG vom 19.5.2005198) ist die lange streitige Frage dahingehend entschieden, dass der Betriebserwerber nunmehr für die vom Arbeitnehmer zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Betriebsübergang erdienten Versorgungsanwartschaften aufgrund von § 613a Abs. 2 BGB haftet. 139 Das LAG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 20.1.2017199) festgestellt, dass bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz der Erwerber nicht für die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits erdiente endgehaltsbezogene Dynamik haftet. Die Differenz, die sich daraus ergibt, dass der PSVaG aufgrund der Veränderungssperre in § 7 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG i. V. m. § 2 Abs. 5 BetrAVG den von ihm zu tragenden Teil der Betriebsrente nicht dynamisch, auf der Grundlage des nach Insolvenzeröffnung sich entwickelnden Gehalts, sondern auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bezogenen Entgelts berechnet, kann der Arbeitnehmer daher nach den Verteilungsgrundsätzen der Insolvenz im Insolvenzverfahren geltend machen. Für die Berechnung der Anspruchshöhe ist die künftige Gehaltsentwicklung zu schätzen. 140 Ebenfalls wurde die Frage der Begründung eines Aussonderungsrechts der Altersversorgungsbeiträge nach § 47 InsO, die die Insolvenzschuldnerin nicht an die Pensionskassen gezahlt hat, durch das BAG – unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Webb-Sämann200) – dahingehend entschieden, dass weder ein Aussonderungsrecht dem Arbeitnehmer noch der Pensionskasse zusteht.201) ___________ 196) Pluta/Heidrich in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 30 Rz. 126; Neufeld, BB 2008, 2346, 2347; Preis in: ErfK, § 613a Rz. 136. 197) BAG, Urt. v. 23.7.1991 – 3 AZR 366/90, NJW 1992, 708, 709 = ZIP 1992, 49 = EzA § 613a BGB Nr. 94; BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, NJW 1980, 1124, 1124 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB; ausführlich dazu: Neufeld, BB 2008, 2346 f. 198) BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, ZIP 2005, 1706 ff. = BB 2006, 943, dazu EWiR 2005, 855 (Richter). 199) LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.1.2017 – 6 Sa 582/16, NZI 2017, 980, 982 = NZI 2017, 980 = NZA-RR 2017, 54. 200) EuGH, Urt. v. 24.11.2016 – Rs. C-454/15 (Webb-Sämann), NZA 2016, 1558, 1558 = ZIP 2017, 98, dazu EWiR 2017, 217 (Forst). 201) BAG, Urt. v. 21.3.2017 – 3 AZR 718/15, BAGE 158, 244, 255 = ZIP 2017, 1340, dazu EWiR 2017, 509 (Gossak).

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VII. Der PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger im Insolvenzverfahren

Da das Insolvenzplanverfahren den Gläubigern jedoch größtmögliche Autono- 141 mie zubilligt und die Wahrung der Interessen des PSVaG insbesondere durch § 9 Abs. 4 BetrAVG (Recht einer eigenen Gruppenbildung) gewahrt werden, ist sowohl eine vertikale als auch eine horizontale Aufteilung der betrieblichen Altersversorgung bei einem Betriebsübergang denkbar; soweit die einzelnen Gläubigergruppen der geplanten Aufteilung zustimmen. 3.

Besserungsklausel

Im Insolvenzplan soll eine institutionalisierte Besserungsklausel für den PSVaG 142 vorgesehen werden, d. h. bei nachhaltiger Besserung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens sollen die Pensionslasten wieder durch den Arbeitgeber übernommen werden (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG). Der Gesetzgeber hat § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet, 143 so dass der Insolvenzplan nur in begründeten Ausnahmefällen eine solche Klausel nicht enthalten braucht. Enthält der Insolvenzplan keine Besserungsklausel und liegt kein begründeter Ausnahmefall vor, hat das Insolvenzgericht den Insolvenzplan von Amts wegen – nach § 231 InsO – zurückzuweisen. Ein besonderer Ausnahmefall dürfte im Falle eines übertragenden Insolvenz- 144 plans regelmäßig vorliegen. Im Gegensatz zu einem üblichen Insolvenzplan wird im Falle eines übertragenden Insolvenzplans der schuldnerische Geschäftsbetrieb regelmäßig nicht unter Beibehaltung des Rechtsträgers, sondern gerade durch Übertragung auf einen neuen Rechtsträger sichergestellt. Da der alte Rechtsträger (das schuldnerische Unternehmen) regelmäßig durch das Insolvenzverfahren seine Liquidation erfährt, ist dann für eine Besserungsklausel kein Raum. Der Übernehmer ist entweder ein extra zum Zweck der Übernahme des schuldnerischen Geschäftsbetriebs neu gegründetes Unternehmen oder ein bereits bestehendes Unternehmen. In beiden Fällen passt der Rechtsgedanke der Besserungsklausel nicht in die Sanierungskonstruktion. 4.

Gruppe PSVaG

Um der besonderen Interessenlage des PSVaG als gesetzlicher Zwangsgläubiger 145 Rechnung zu tragen, kann nach § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG für den PSVaG im Insolvenzplan eine eigene Gruppe bestimmt werden. Die Vorschrift ist als. „Kann-Vorschrift“ konzipiert worden. Nach der Gesetzesbegründung ist für den PSVaG jedoch stets eine besondere Gruppe zu bilden, wenn eine Fortführung eines Unternehmens oder eines Betriebs vorgesehen ist. Nur bei Stilllegung und Liquidation des gesamten Unternehmens kann sich das Interesse des PSVaG auf eine möglichst hohe Liquidationsquote beschränken und insoweit mit dem der übrigen Gläubiger übereinstimmen. Die Regelung gewährleistet damit, dass der PSVaG im Falle einer Sanierung nicht zum Nachteil der von ihm vertretenen Solidargemeinschaft von anderen Gläubigern überstimmt werden kann. Auf der

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

anderen Seite ist durch das Obstruktionsverbot § 245 InsO sichergestellt, dass ein Sanierungsplan, der die vom PSVaG vertretenen Interessen angemessen berücksichtigt, trotz des Widerstands des PSVaG bestätigt werden kann.202) 146 Kritisiert wird,203) dass die Regelung nicht als zwingendes Recht gestaltet wurde. Darin wird Konfliktpotential zwischen den beteiligten Gläubigern gesehen. Damit sind erhöhte Schwierigkeiten für den Planersteller verbunden, die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zu vereinen. Folgt der Planersteller den allgemeinen insolvenzrechtlichen Prinzipien, so hat er den PSVaG wie jeden anderen Gläubiger zu behandeln. Soweit er sich jedoch hieran hält und das Einvernehmen mit den übrigen Gläubigern herstellt, vernachlässigt er seine Möglichkeiten aus der Kann-Vorschrift.204) Der Planersteller ist demnach bei der Erstellung des Insolvenzplans in seinem Bemühen um Ausgewogenheit und Gerechtigkeit in der Diskussion mit den beteiligten Gläubigern in besonderer Weise gefordert. 5.

Misslingen der Sanierung

147 Schließlich regelt § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG den Fall, dass die Sanierung misslingt. Sofern im Insolvenzplan nichts anderes vorgesehen ist, kann der Träger der Insolvenzsicherung, wenn innerhalb von drei Jahren nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ein Antrag auf Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers gestellt wird, in diesem Verfahren als Insolvenzgläubiger Erstattung der von ihm erbrachten Leistungen verlangen. 148 Insolvenzgeld nach § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III wird nicht gewährt, wenn die Zahlungsunfähigkeit bezüglich desselben Insolvenzereignisses andauert. Dies gilt auch, wenn der Insolvenzverwalter Teile des Betriebs freigegeben hat, und im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das freigegebene Sondervermögen, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers fortbesteht.205) 149

Praxishinweis Es empfiehlt sich, in einem übertragenden Insolvenzplan diese Regelung zur Klarstellung abzubedingen. Sie passt ebenso wenig wie § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG in die Konstruktion des übertragenden Insolvenzplans, der gerade nicht die Beibehaltung des schuldnerischen Rechtsträgers, sondern die Übertragung.

___________ 202) 203) 204) 205)

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Berentz, Gesetzesmaterialien zur BetrAVG, S. 286. Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 8.39. Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rz. 8.39. BSG, Urt. v. 9.6.2017 – B 11 AL 14/16 R, ZInsO 2017, 2183 – 2188.

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VIII. Weitere Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft

VIII. Weitere Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft nach dem Erörterungsund Abstimmungstermin/Scheitern des Insolvenzplans Auch nach dem Erörterungs- und Abstimmungstermin ist die Arbeitnehmerschaft 150 in die weitere Abwicklung des Insolvenzplanverfahrens einzubeziehen. Auswirkungen ergeben sich auch dann, wenn der Insolvenzplan scheitern sollte. a)

Gerichtliche Bestätigung

Der Insolvenzplan entfaltet seine Wirkung nicht unmittelbar im Anschluss an 151 einen positiven Entscheid i. R. des Erörterungs- und Abstimmungstermins. Er bedarf vielmehr der rechtkräftigen Bestätigung des Insolvenzgerichts nach § 248 InsO. Von Amts wegen ist die Bestätigung zu versagen, wenn er x

unter wesentlichen Mängeln leidet oder

x

unlauter zustande gekommen ist.206)

152

Auf Antrag ist die Bestätigung zu versagen, wenn die gesetzlichen Regelungen 153 über den Minderheitenschutz verletzt werden. Antragsberechtigt ist, wer als Beteiligter spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll widersprochen hat.207) Daran ist auch das Beschwerderecht gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO geknüpft.208) Der Betriebsrat ist an dem Bestätigungsverfahren nicht zu beteiligen.209)

154

Erst mit rechtkräftiger Bestätigung des Plans treten die in ihm vorgesehenen 155 Wirkungen, insbesondere die rechtlichen Gestaltungen, gemäß § 254 InsO ein. Notwendige Erklärungen gelten gemäß § 254a InsO als abgegeben. Die Wirkung erstreckt sich dann auf alle Beteiligten, auch wenn sie dem Plan widersprochen haben (§ 254b Alt. 2 InsO).210) Vor endgültiger Bestätigung hat das Insolvenzgericht aber vor allem gemäß § 249 156 InsO zu klären, ob die Planbestätigungsvoraussetzungen gemäß § 249 InsO erfüllt sind. Anders als bei einem aufschiebend oder auflösend bedingten Plan handelt es sich gemäß § 249 InsO nicht um rechtsgeschäftliche Bedingungen, die den gesamten Insolvenzplan oder auch nur einzelne Regelungen des gestaltenden Teils unter eine aufschiebende oder auflösende Bedingung stellen.211) Planbestätigungsvoraussetzungen können auch neben den bereits oben erwähnten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen auch arbeitsrechtliche Maßnahmen, insbesondere ___________ 206) 207) 208) 209) 210) 211)

S. hierzu allgemein Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 301, 302. Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 303 – 305c. Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 305a – 305c. Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 308. Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 306. Zur Abgrenzung s. insoweit: Brünkmann/Thole-Brünkmans, § 8 Rz. 409 ff., 459 ff.

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§ 18 Arbeitsrecht im übertragenden Insolvenzplan

der Abschluss von Sanierungs- und Fortführungstarifverträgen sein.212) Vor Bestätigung hat das Gericht also zu prüfen, ob entsprechende individualrechtliche Maßnahmen zustande gekommen sind. b)

Aufhebung des Insolvenzverfahrens

157 Endgültig treten die Wirkungen eines Insolvenzplans insbesondere der Übergang der Vertretungsbefugnis auf die neue Geschäftsleitung erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 258 InsO ein. Soweit der Insolvenzplan selbst aufschiebend oder auflösend bedingt ist, hängt hiervon nicht die Bestätigung, sondern die endgültige Aufhebung ab. Angesichts der sich insoweit stellenden massiven Schwierigkeiten der Prüfung durch das Gericht wird der Planersteller regelmäßig versuchen, solche Bedingungen zu vermeiden.213) 158 Für die Arbeitnehmerschaft ist v. a. der § 258 Abs. 2 InsO von Bedeutung, dass der Insolvenzverwalter vor der Aufhebung die unstreitig fälligen Masseansprüche zu begleichen und für die streitigen oder nicht fälligen Masseansprüche Sicherheit leisten muss. Der Insolvenzverwalter hat daher Sorge dafür zu tragen, dass auch die weiteren zwischen der Bestätigung des Insolvenzverfahrens bis zur endgültigen Aufhebung weiter laufenden Forderungen der Arbeitnehmer aus der Insolvenzmasse befriedigt werden können. Da auch Überstunden, Zeitkonto, Gratifikation etc. einzubeziehen sind, ist der Stichtag entscheidend, an dem diese regelmäßig fällig werden.214) Da die Aufhebung des Insolvenzplans regelmäßig in der Zukunft liegt, ist diese Abgrenzung i. R. eines übertragenden Insolvenzplans zwischen dem Insolvenzverwalter und dem neuen Rechtsträger im Einzelnen abzustimmen. Soweit aufgrund dieser Abgrenzung Masseansprüche zu dem entsprechenden Stichtag noch nicht fällig sein sollten, bedarf es eines Finanzplans mit entsprechender Liquiditätsrechnung, um die Gläubiger sicherstellen zu können.215) 159

Praxishinweis Das es damit im Wesentlichen auf die Begründetheit der maßgeblichen Ansprüche ankommt, ist in die Abgrenzung eng das Lohnbüro einzubeziehen. Auch der Zahlungsplan für die danach noch nicht fälligen Ansprüche soll durch den Betriebsrat geprüft werden, damit Arbeitnehmer später nicht mit Forderungen ausfallen. Im Insolvenzplan empfiehlt sich ebenfalls eine entsprechende Klarstellung.

c)

Scheitern des Insolvenzplans

160 Scheitert der Insolvenzplan und kommt es dann zum zweiten Insolvenzantrag, so ist die Arbeitnehmerschaft in zweierlei Beziehung betroffen. ___________ 212) 213) 214) 215)

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Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 426 ff. S. hierzu Brünkmans in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 8 Rz. 459 ff. Mückl/Götte, ArbRAktuell 2017, 609. Zum Finanzplan s. Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 258 Rz. 7, 8.

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VIII. Weitere Einbeziehung der Arbeitnehmerschaft

Wird innerhalb von drei Jahren ein erneuter Insolvenzantrag nach Aufhebung 161 des Insolvenzverfahrens gestellt, so kann der PSVaG gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG erneut Insolvenzforderungen insoweit anmelden, als er bereits Leistungen an Insolvenzgläubiger erbracht hat. Diese Klausel soll allerdings dispositiv sein.216) Arbeitnehmer haben nur dann erneut in dem zweiten Insolvenzverfahren einen 162 Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn die Zahlungsfähigkeit nach dem ersten Insolvenzverfahren wiedererlangt worden ist. Die Ausschüttung der festgelegten Quoten ist hierfür nicht entscheidend.217) Die zur Grundlage des ursprünglichen Insolvenzplans gemachte Beseitigung des Insolvenzgrunds der Zahlungsunfähigkeit ist daher zur begründeten Geltendmachung eines weiteren Insolvenzgeldanspruchs erneut entsprechend den Kriterien zur rechtlichen Zahlungsunfähigkeit ggf. anhand eines Liquiditätsstatus- und plans darzustellen und zu überprüfen.

___________ 216) Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 93; Uhlenbruck-Lüer/Streit, InsO, § 255 Rz. 13. 217) Näher hierzu: Krings in: Brünkmans/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 37 Rz. 95 ff.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

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Übersicht I. 1.

Einführung......................................... 1 Anwendbarkeit des § 613a BGB in Krise und Insolvenz ..................... 10 2. Die Regelung des § 613a BGB im Überblick..................................... 15 II. Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang ................... 20 1. Zulässigkeit von Kündigungen trotz Betriebsübergang..................... 21 2. Kündigungen aufgrund eines Erwerberkonzepts ............................ 25

3.

Interessenausgleich mit Namensliste .................................................... 31 4. Einsatz einer Transfergesellschaft................................................. 33 5. Änderung der Arbeitsbedingungen vor Betriebsübergang ................ 39 6. Kollektiver Widerspruch gemäß § 613a Abs. 4 BGB ............... 42 III. Insolvenzrechtliches Haftungsprivileg ............................................. 45

Literatur: Annuß/Stamer, Die Kündigung des Betriebsveräußerers auf Erwerberkonzept, NZA 2003, 1247; Hagebusch/Oberle, Gläubigerbefriedigung durch Unternehmenssanierung: die übertragende Sanierung, NZI 2006, 618; Hanau, Zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen wegen Betriebsübergangs, ZIP 1984, 141; Hoffmann/Marquardt, Der Übergang von Arbeitsverhältnissen bei der übertragenden Sanierung, NZI 2017, 513; Lembke, Umstrukturierung in der Insolvenz unter Einschaltung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, BB 2004, 773; Lipinski, Reichweite der Kündigungskontrolle durch § 613a IV 1 BGB, NZA 2002, 75; Mückl, Der Betriebsübergang nach § 613a BGB in der Insolvenz – jetzt erst recht ein Sanierungshindernis? ZIP 2012, 2373; Müller-Feldhammer, Die übertragende Sanierung – ein ungelöstes Problem der Insolvenzrechtsreform, ZIP 2003, 2186; Raif, Personalabbau und Transfergesellschaft, ArbRAktuell 2009, 225; Rieble, Kollektivwiderspruch nach § 613a VI BGB, NZA 2005, 1; Ristelhuber, Sanierende Unternehmensübertragung und Fusionskontrolle, ZIP 2003, 378; Schmidt, K, Organverantwortlichkeit und Sanierung im Insolvenzrecht der Unternehmen, ZIP 1980, 328; Vossen, Die betriebsbedingte Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber aus Anlaß des Betriebsübergangs, BB 1984, 1557; Willemsen, Die Kündigung wegen Betriebsübergangs – Zur Auslegung des § 613a Abs. 4 BGB, ZIP 1983, 411; Willmer/Fuchs/Berner, Der Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613a VI BGB als Sanierungsinstrument – Die Widerspruchslösung, NZI 2015, 263.

I.

Einführung § 613a Abs. 1 BGB bezweckt insbesondere den Erhalt des sozialen Besitzstands der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer sowie die Gewährung eines lückenlosen Bestandsschutzes. Eine dem Normzweck zuwiderlaufende Vertragsgestaltung, die zielgerichtet der „personellen Bereinigung“ des Betriebs zum Zweck des anschließenden Betriebsübergangs dient, stellt eine Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB dar und ist gemäß § 134 BGB rechtsunwirksam. LAG Köln, Urt. v. 25.2.2011 – 3 Sa 1470/09, ZIP 2011, 1633 = BeckRS 2011, 74337 (ArbG Siegburg)

Bestehen bei einem Unternehmen Fortführungschancen, kommt neben einer Sa- 1 nierung durch Insolvenzplan oftmals eine Sanierung durch Übertragung des Geschäftsbereichs auf einen (externen) Investor in Betracht.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

2 Auch bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung wird im Gläubigerausschusses zunehmend durchgesetzt, dass neben einer Sanierung des Rechtsträgers durch Insolvenzplan zusätzlich ein Investorenprozess mit dem Ziel der Veräußerung des Geschäftsbetriebs in Teilen oder im Ganzen initiiert wird, um den Gläubigern eine wirtschaftlich sinnvolle Alternative zum Insolvenzplanverfahren und zur Gewährleistung der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu bieten. 3 Die Praxis spricht dann häufig in Anlehnung an Karsten Schmidt von „übertragender Sanierung“1) oder auch von „sanierender Liquidation“,2) „in-court sale“,3) „übertragender Umwandlung“,4) oder „sanierender Übertragung“.5) 4 Die übertragende Sanierung ist dabei eine Unternehmensveräußerung im Wege eines Asset Deals (Aktivakauf), bei der die einzelnen Vermögensgegenstände nach den jeweils hierfür geltenden Regelungen der Verfügungsgeschäfte unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes auf einen neuen Rechtsträger überführt werden. Die übertragende Sanierung führt zu einer Sanierung des Unternehmens, nicht jedoch des insolventen Unternehmensträgers. Die insolvente Gesellschaft bleibt als „leere Hülle“ zurück.6) 5 Bei der übertragenden Sanierung stellt sich regelmäßig das Problem des Betriebsübergangs nach § 613a BGB. Die Vorschrift regelt die arbeitsrechtlichen Beziehungen sowie die Haftung zwischen dem Arbeitnehmer und dem alten sowie dem neuen Arbeitgeber. Ob ein Betriebsübergang mit den Folgen des § 613a BGB vorliegt, ist unter Beachtung des Art. 1 Abs. 1 lit. b der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.3.20017) sowie der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu bestimmen. Der EuGH hat zur Prüfung der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität übertragen wird, mehrere maßgebliche Faktoren in einem sog. „Sieben-Punkte-Katalog“ entwickelt, die einen Betriebsübergang indizieren.8) Dazu zählen u. a. der Übergang materieller Betriebsmittel, die Übernahme der Hauptbelegschaft sowie die Ähnlichkeit der vorher und nachher verrichteten Tätigkeit in dem Betrieb.

___________ Schmidt, ZIP 1980, 328. Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rz. 434. Hagebusch/Oberle, NZI 2006, 618, 619. Müller-Feldhammer, ZIP 2003, 2186. Ristelhuber, ZIP 2003, 378. Madaus, Der Insolvenzplan, S. 28 f. Richtlinie 2001/23/EG des Rates v. 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, ABl. (EG) L 82/16 v. 22.3.2001. 8) Vgl. Preis in: ErfK, § 613a BGB Rz. 11 ff.

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

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I. Einführung

6

Praxishinweis Die Feststellung eines Betriebsübergangs erfolgt durch eine typologische Gesamtbetrachtung. Ob eine „wirtschaftliche Einheit“ vorliegt und beim Übergang ihre Identität wahrt, ist im Wege einer Abwägung auf Basis folgender Kriterien („SiebenPunkte-Katalog“) zu ermitteln: (1)

Art des Unternehmens: produzierendes Gewerbe oder Dienstleister?

(2)

Übergang der materiellen Betriebsmittel

(3)

Übergang und Wert der immateriellen Betriebsmittel

(4)

Übernahme der Arbeitnehmer (ggf. auch nur Angebot)

(5)

Übernahme der Kundschaft

(6)

Ähnlichkeit der Tätigkeit vor und nach Übernahme

(7)

Dauer der Unterbrechung der Geschäftstätigkeit

Diese Kriterien haben je nach Unternehmenstätigkeit und Arbeitsmethoden unterschiedliches Gewicht, was es i. R. einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen gilt.

Geht ein Betrieb oder Betriebsteil, also eine organisatorisch in sich abgeschlossene 7 Einheit aus sächlichen und personellen Ressourcen, auf einen anderen Inhaber über, so tritt gleichzeitig gemäß § 613a Abs. 1 BGB der neue Betriebsinhaber in alle Rechte und Pflichten aus den zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der Betriebserwerber übernimmt damit die Arbeitsverhältnisse in ihrem jeweiligen rechtlichen und sozialen Bestand, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs befunden haben. Dabei stellt sich die Frage, wie die Übernahme von Verbindlichkeiten und Personal durch den Erwerber gestaltet oder vermieden werden kann. Für den Erwerber des Unternehmens ist von Interesse, ob er für die Altver- 8 bindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen haftet und ob und welche vom Veräußerer geschlossenen Verträge, insbesondere Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge auf ihn übergehen. Denn eine typische Krisenursache besteht gerade darin, dass der Personalbestand eines Unternehmens entweder nicht (häufig wegen nicht finanzierbarer Sozialplankosten) oder nicht schnell und umfassend genug (wegen der langwierigen Verhandlungen mit Betriebsrat und Gewerkschaft sowie den langen Kündigungsfristen) an eine verschlechterte Auftragslage angepasst werden kann bzw. die Personalkosten nicht mehr durch die Umsätze des Unternehmens erwirtschaftet werden. Hinsichtlich der Übernahme von Altverbindlichkeiten hilft dem Erwerber die 9 Rechtsprechung des BAG, nach der der Erwerber eines Unternehmens nicht für Verbindlichkeiten haftet, die vor Verfahrenseröffnung entstanden sind, wenn er das Unternehmen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernimmt.9) Damit stellt das BAG im Hinblick auf die Übernahme von Verbindlichkeiten ___________ 9) BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, ZIP 2005, 1706, 1708 ff. = NZA-RR 2006, 373, dazu EWiR 2005, 855 (Richter).

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

eine Einheit mit der Rechtsprechung des BGH zu § 25 Abs. 1Satz 1 HGB her, wonach diese Vorschrift bei einem Unternehmenskauf aus der Insolvenz keine Anwendung findet.10) 1.

Anwendbarkeit des § 613a BGB in Krise und Insolvenz

10 Der Wortlaut des § 613a BGB unterscheidet nicht danach, ob ein Betrieb wirtschaftlich gesund ist oder ob sich der Rechtsträger in der Krise oder Insolvenz befindet. Auch die InsO geht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 613a BGB aus, vgl. § 128 InsO. Sie enthält jedoch mehrere sanierungserleichternde Sondervorschriften für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen i. R. eines Insolvenzverfahrens (§§ 113, 125 ff. InsO), die auch für den Fall der Betriebsveräußerung gelten. Auch das BAG hat in ständiger Rechtsprechung vor allem unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsplatzschutzes die Regelung des § 613a BGB in der Insolvenz uneingeschränkt für anwendbar erklärt.11) Lediglich bei einem Betriebserwerb im eröffneten Insolvenzverfahren greifen für den Betriebserwerber Haftungsbeschränkungen ein. 11 Nach der Rechtsprechung des BAG gewährt § 613a BGB Schutz vor einer Veränderung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang.12) § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB stellt zwingendes Recht dar und unterliegt nicht der Dispositionsbefugnis der Parteien. Eine Vereinbarung, die dagegen verstößt, ist nach § 134 BGB unwirksam.13) Deshalb muss jede Vereinbarung über die Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer einer gerichtlichen Umgehungskontrolle standhalten. 12

Praxishinweis § 613a BGB gewährt dem Arbeitnehmer einen Schutz vor Verschlechterung seiner Rechtsposition. Dies ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die getroffene Vereinbarung sich als nachteilig für den Arbeitnehmer darstellt. Die alleinigen Interessen von Betriebserwerber und Veräußerer sind nicht maßgeblich. Werden durch eine Vereinbarung mit dem Betriebsveräußerer und/oder Betriebserwerber die Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB umgangen, bleibt die getroffene Vereinbarung nach § 134 BGB ohne Folgen.

13 Zwingendes Recht verbietet aber weder (zulässige) Gestaltungsmöglichkeiten noch Vermeidungsstrategien im Hinblick auf die Minimierung oder den Ausschluss von Risiken im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang. Insolvenz___________ 10) BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727 = NJW 1988, 1912. 11) BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117 = NJW 1980, 1124; BAG, Urt. v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, ZIP 1996, 239 = NZA 1996, 432; BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027, dazu EWiR 2003, 909 (Schnitker/Grau). 12) BAG, Urt. v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, ZIP 2009, 1733 = NZA 2009, 1091, dazu EWiR 2009, 709 (Greiner); BAG, Urt. v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144; BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = NZA 2007, 866. 13) BAG, Urt. v. 19.3.2009 – 8 AZR 722/07, ZIP 2009, 1733 = NZA 2009, 1091.

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I. Einführung

verwalter sehen die Vorschrift des § 613a BGB gleichwohl als ein „Sanierungshindernis ersten Grades“, da eine übertragende Sanierung sich regelmäßig nur durch den Abbau von Arbeitsplätzen und durch die Anpassung von Arbeitsbedingungen realisieren lässt.14) Diese Aussage ist in dieser Pauschalität aber nicht gerechtfertigt, da in der Praxis auf geeignete Gestaltungsmöglichkeiten wie das sog. „Erwerberkonzept“ oder die Einschaltung einer Transfergesellschaft zurückgegriffen werden kann, die den Übergang von Arbeitsverhältnissen verhindern können. Ferner steht im eröffneten Insolvenzverfahren zur Gewährleistung eines schnellen und kostengünstigen Personalabbaues die verkürzte Kündigungsfrist des § 113 InsO zur Verfügung, so dass die Insolvenzmasse bei einer Kündigungsfrist von maximal drei Monaten zum Monatsende nicht mit zu hohen Auslauflöhnen belastet wird. § 113 InsO kann dabei weder durch eine einzelvertragliche, tarifliche oder sonstige kollektivrechtlich Vereinbarung von Unkündbarkeit,15) noch durch eine vereinbarte feste Vertragsdauer verhindert oder ausgeschlossen werden. Die Sozialplankosten sind wegen § 123 InsO in der Insolvenz der Höhe nach 14 gedeckelt, was zu einer erheblichen Masseschonung beiträgt. Abzustellen ist hierbei auf die Leistungsfähigkeit des Veräußerers und somit auf die Insolvenzmasse, so dass die in § 123 Abs. 1 InsO bestimmte Höchstgrenze auch bei einer Kündigung nach Erwerberkonzept einzuhalten ist.16) 2.

Die Regelung des § 613a BGB im Überblick Eine Kündigung verstößt auch dann nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, wenn sie jeder Betriebsinhaber – unabhängig von einer Veräußerung – aus notwendigen betriebsbedingten Gründen hätte aussprechen können. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027

§ 613a Abs. 1 BGB bestimmt den Eintritt des Betriebserwerbers in die beste- 15 henden Arbeitsverträge, wie sie im Zeitpunkt des Übergangs „stehen und liegen“. Dabei muss der Erwerber auch die Arbeitsbedingungen in einem Kollektivvertrag (Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) bis zu dessen Kündigung oder Ablauf bzw. bis zum Abschluss eines neuen, inhaltlich entsprechenden Kollektivvertrags beibehalten. Vor Ablauf einer einjährigen Veränderungssperre dürfen die Rechtsnormen der Kollektivverträge nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden, es sei denn, dass bei dem neuen Inhaber inhaltlich entsprechende Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung gelten. ___________ 14) Bernsau in: Bernsau/Dreher/Hauck, Betriebsübergang, Rz. 180; Hoffmann/Marquardt, NZI 2017, 513; vgl. auch Mückl, ZIP 2012, 2373, 2737. 15) BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, ZIP 2006, 774 = AP InsO § 113 Nr. 19, dazu EWiR 2006, 449 (Thüsing/v. Medem); ArbG Düsseldorf, Urt. v. 21.3.2018 – 12 Ca 6881/17, ZInsO 2018, 1582 = BeckRS 2018, 10092. 16) Cohnen in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 54 Rz. 168 – 175; Annuß/Stamer, NZA 2003, 1247, 1248.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

16 Gemäß § 613a BGB Abs. 2 BGB haften darüber hinaus der bisherige Arbeitgeber und der Betriebserwerber als neuer Arbeitgeber als Gesamtschuldner für Verpflichtungen aus bestehenden Arbeitsverträgen, soweit diese vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig werden. Werden diese Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber aber nur zeitanteilig entsprechend dem abgelaufenen Teil des Bemessungszeitraumes, während der neue Betriebsinhaber als Rechtsnachfolger zeitlich unbeschränkt haftet. Die gesamtschuldnerische Haftung gilt jedoch nicht, wenn eine juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt, § 613a Abs. 3 BGB. 17 Absatz 4 Satz 1 des § 613a BGB bestimmt ferner die Unwirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsvertrags durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Arbeitgeber wegen des Übergangs des Betriebs. Das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen bleibt hingegen unberührt, § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB. Nach der Rechtsprechung des BAG darf der Betriebsübergang zwar die Ursache bzw. der äußere Anlass, nicht aber der tragende Beweggrund für eine Kündigung sein.17) Eine Kündigung verstößt also insbesondere dann nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, wenn sie jeder Betriebsinhaber – unabhängig von einer Veräußerung – aus notwendigen betriebsbedingten Gründen hätte aussprechen können. Der Schutzzweck des § 613a BGB besteht also vor allem darin, den Erwerber daran zu hindern, bei der Übernahme der Belegschaft eine freie Auslese zu treffen. Unzulässig sind auch auf Veranlassung der Arbeitgeberseite erfolgte Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge, die zu einer Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit dem Arbeitgeber führen sollen, um anschließend mit dem Erwerber Arbeitsverträge zu ungünstigeren Bedingungen abzuschließen (sog. Lemgoer-Modell).18) Sinn und Zweck der Regelung ist es aber nicht, den Erwerber auch bei fehlender Beschäftigungsmöglichkeit zu verpflichten, das Arbeitsverhältnis noch einmal künstlich zu verlängern.19) 18 Die Vorschrift normiert das Recht des Arbeitnehmers, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber zu widersprechen (§ 613a Abs. 5 BGB) und bestimmt hierzu eine Monatsfrist, die nur nach ordnungsgemäßer Unterrichtung in Bezug auf den Betriebsübergang und dessen Folgen in Gang gesetzt wird (§ 613a Abs. 4 BGB). Den Betriebsübergang an sich kann der Arbeitnehmer nicht verhindern. Er kann nur dem Übergang „seines“ Arbeitsverhältnisses auf den neuen Arbeitgeber widersprechen. Denn gegen seinen Willen kann ihm kein neuer Arbeitgeber als Vertragspartner aufgezwungen werden. Der Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613a Abs. 6 BGB bedarf für seine Wirk___________ 17) BAG, Urt. v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NJW 1986, 87, 91 = ZIP 1985, 1088. 18) BAG, Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, ZIP 1988, 120 ff.; BAG, Urt. v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, ZIP 1992, 1408 ff. = AP BetrAVG § 1 Betriebsveräußerung Nr. 14. 19) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027.

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II. Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang

samkeit weder einer Begründung noch eines sachlichen Grundes.20) Übt der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht aus, so verbleibt sein Arbeitsverhältnis beim bisherigen Betriebsinhaber (Wirkung „ex tunc“). Die Ausübung des Widerspruchsrechts kann gemäß § 242 BGB rechtsmiss- 19 bräuchlich sein, wenn er anderen Zwecken als der Erhaltung der arbeitsvertraglichen Rechte und der Beibehaltung des ursprünglichen Arbeitgebers dienen soll21) oder wenn er sich als institutioneller Missbrauch oder Verstoß gegen die insolvenzrechtlichen Regeln darstellt.22) Üben z. B. eine Vielzahl von Arbeitnehmern das Widerspruchsrecht aus (sog. „kollektiver Widerspruch“), kann sich aus der Zweckrichtung der Widerspruchsausübung ein rechtsmissbräuchliches Handeln ergeben, soweit sie nicht im Schwerpunkt auf die Verhinderung des Arbeitgeberwechsels, sondern bspw. von der Motivation getragen ist, den Betriebsübergang als solches zu verhindern oder aber Vergünstigungen zu erzielen, auf die die Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch haben.23) II.

Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang 1. Die Kündigung des Betriebsveräußerers aufgrund eines Erwerberkonzepts verstößt dann nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, wenn ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat. 2. Der Zulassung einer solchen Kündigung steht der Schutzgedanke des § 613a Abs. 4 BGB nicht entgegen, denn diese Regelung bezweckt keine „künstliche Verlängerung“ des Arbeitsverhältnisses bei einer vorhersehbar fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers bei dem Erwerber. 3. Für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Veräußerers nach dem Sanierungskonzept des Erwerbers kommt es – jedenfalls in der Insolvenz – nicht darauf an, ob das Konzept auch bei dem Veräußerer hätte durchgeführt werden können. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027 (LAG Berlin, Urt. v. 30.11.2001 – 8 Sa 1601/01)

Wenn bei einem Betriebsübergang kraft Gesetzes alle Arbeitsverhältnisse, „wie 20 sie stehen und liegen“, auf den Erwerber übergehen, so kann der gesetzliche Arbeitsplatzschutz nach § 613a Abs. 1 BGB auf den ersten Blick durchaus als sanierungsfeindliches Hindernis wirken und Investoren, die den Betrieb übernehmen wollen, abschrecken. Denn gerade dieser Betrieb ist mit dieser Belegschaft in die Krise geraten oder sogar insolvent geworden. Gleichwohl gibt es auch unter ___________ 20) BAG, Urt. v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095 = ZIP 2009, 1779, dazu EWiR 2009, 769 (Roth/Ostermeyer). 21) BAG, Urt. v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, ZIP 2005, 132 = NZA 2005, 43. 22) BAG, Urt. v. 19.2.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095, 1097 = ZIP 2009, 1779; Kliemt/ Teusch in: JurisPK-BGB, § 613a Rz. 265. 23) Gussen in: BeckOK-ArbR, § 613a BGB Rz. 159 – 178e.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

Anwendung des § 613a BGB praktische Gestaltungsmöglichkeiten, um die Risiken aus einem Betriebsübergang zu minimieren. 1.

Zulässigkeit von Kündigungen trotz Betriebsübergang

21 Zunächst ist festzuhalten, dass § 613a BGB den Ausspruch von sozial gerechtfertigten Kündigungen (§ 1 KSchG) nicht ausschließt. Diese können bereits durch den Insolvenzverwalter erfolgen (vgl. § 113 InsO) oder durch den Erwerber i. R. eines Sanierungskonzepts nachgeholt werden, § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB. Restrukturierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Verkäuflichkeit eines Betriebs bleiben somit auch bei Anwendbarkeit des § 613a BGB zulässig.24) Eine Kündigung ist jedoch in keinem Fall sozial gerechtfertigt, wenn sie damit begründet wird, der neue Betriebsinhaber habe die Übernahme eines bestimmten Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz erhalten bleibt, deswegen abgelehnt, weil er „ihm zu teuer sei“.25) 22 Zur Gewährleistung des Arbeitsplatzschutzes bestimmt § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB lediglich die Unwirksamkeit von Kündigungen wegen eines Betriebsübergangs. Soweit aber Kündigungen ohnehin zulässig sind, werden sie nicht durch den Betriebsübergang an sich erschwert. Vor diesem Hintergrund ist es kündigungsrechtlich wirksam, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers aufgrund eines Sanierungskonzepts des Betriebserwerbers entfallen ist und die Durchführung des verbindlichen Konzepts oder Sanierungsplans des Erwerbers im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat.26) 23 Damit wird dem Interesse des Veräußerers, einen Personalbestand noch vor dem Betriebsübergang senken zu können und dem Interesse des Erwerbers, einen Betrieb möglichst ohne Personalüberhang zu übernehmen, entsprochen. 24

Praxishinweis Entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln trägt der Arbeitnehmer hinsichtlich der notwendigen Kausalität zwischen Betriebsübergang und Kündigung die Beweislast, wenn er die Unwirksamkeit der Kündigung geltend macht.27) Macht er dabei nur den Unwirksamkeitsgrund des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB geltend, muss er darlegen und beweisen, dass ihm wegen eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs gekündigt worden ist und der Betriebsübergang der Beweggrund und das Motiv der Kündigung war.28)

___________ 24) 25) 26) 27) 28)

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Vgl. BAG, Urt. v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, ZIP 1996, 2028 = NJW 1997, 611. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027. BAG, Urt. v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, ZIP 1986, 795 = NZA 1986, 522. BAG, Urt. v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, ZIP 1986, 795 = NZA 1986, 522; Treber in: KR, § 613a BGB Rz. 198.

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II. Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang

2.

Kündigungen aufgrund eines Erwerberkonzepts

Bei der Abwicklung eines Betriebsübergangs besteht regelmäßig das praktische 25 Bedürfnis, dass der Betriebsveräußerer eine vom Erwerber zeitgleich mit dem Betriebsübergang geplante Personalanpassung umsetzen kann, die Bestandteil dessen Übernahmekonzepts ist. Denn bei einem insolventen Unternehmen ist der Betrieb aus sich heraus oftmals nicht mehr sanierungsfähig,29) sondern auf die finanziellen und/oder organisatorischen Möglichkeiten des Erwerbers angewiesen.30) Sieht das Unternehmenskonzept des potentiellen Erwerbers dabei eine geringe- 26 re Anzahl von Mitarbeitern vor, als derzeit in dem betreffenden Unternehmen beschäftigt ist, stellt sich die Frage, ob der Betriebsveräußerer bereits zu Kündigungen berechtigt ist, deren Rechtfertigung sich daraus ergibt, dass der potentielle Erwerber im Zusammenhang mit der Betriebsübernahme aus dringenden betrieblichen Erfordernissen i. S. des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG die Belegschaft verringern will.31) Erfolgt die Personalanpassung noch vor dem Betriebsübergang, bleibt der wirtschaftliche Start des Erwerbers unternehmenspolitisch unbelastet und er kann noch vor dem Betriebsübergang abwarten, wie viele Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage erheben, um ggf. noch ein kaufvertraglich vorbehaltenes Rücktrittsrecht auszuüben.32) Dabei ist der Grundsatz der Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl zu beachten mit der Folge, dass allein auf die betrieblichen Verhältnisse bei dem kündigenden Arbeitgeber abzustellen ist. Wenn der Veräußerer im Vorfeld eines Betriebsübergangs oder Betriebsteilübergangs aufgrund eines Erwerberkonzepts kündigt, sind daher i. R. der Sozialauswahl lediglich die Arbeitnehmer des Veräußererbetriebs – und zwar des gesamten Veräußererbetriebs und nicht etwa nur des zu übertragenden Betriebsteils – zu berücksichtigen.33) Die Möglichkeit einer solchen Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerber- 27 konzepts wird vom BGH anerkannt.34) Die Kündigung durch den Betriebsveräußerer aufgrund eines Erwerberkonzepts verstößt jedenfalls dann nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB, wenn ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegen, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat.35) Der Recht___________ Hanau, ZIP 1984, 141, 143. Vossen, BB 1984, 1557, 1560. Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 189 – 191. Willemsen in: Willemsen/Hohenstatt/Schnitker/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, S. 829. 33) Cohnen in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 54 Rz. 168 – 175. 34) BAG, Urt. v, 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027; Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 189 – 191 m. w. N. 35) BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027.

29) 30) 31) 32)

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

mäßigkeit einer solchen Kündigung steht der Schutzgedanke des § 613a Abs. 4 BGB nicht entgegen, denn diese Regelung bezweckt keine „künstliche Verlängerung“ des Arbeitsverhältnisses bei einer vorhersehbar fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers beim Erwerber. Aber allein die Forderung des Erwerbers, die Belegschaft vor dem Betriebsübergang zu verkleinern, enthält für sich genommen kein für eine betriebsbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG notwendiges unternehmerisches Konzept.36) Nach dem Schutzzweck des § 613a Abs. 1 und 4 BGB soll der Erwerber zudem daran gehindert werden, bei Übernahme der Belegschaft eine freie Auslese nach Gutdünken zu treffen.37) 28 Für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Veräußerers nach dem Sanierungskonzept des Erwerbers kommt es – jedenfalls in der Insolvenz – nicht darauf an, ob das Konzept auch beim Veräußerer hätte durchgeführt werden können.38) Eine Kündigung nach Erwerberkonzept muss vielmehr selbst dann zulässig sein, wenn der Insolvenzverwalter ohne eigene Möglichkeit zur Sanierung nur durch Veräußerung des Geschäftsbetriebs die Stilllegung des Betriebs verhindern kann. Die Zulässigkeit einer Veräußererkündigung aufgrund eines Erwerberkonzepts folgt nämlich bereits aus den §§ 125 ff. InsO. Die in §§ 125 ff. InsO geregelten Modifizierungen des Kündigungsschutzes gelten nach § 128 Abs. 1 InsO nämlich auch dann, wenn die Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durch den Erwerber durchgeführt werden soll.39) Gemäß § 128 Abs. 2 InsO erstreckt sich die Vermutung der Rechtmäßigkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung im Fall des Betriebsübergangs auch darauf, dass die Kündigung der in einem Interessenausgleich gemäß § 125 InsO oder aufgrund eines Beschlussverfahrens nach § 126 InsO namentlich benannten Arbeitnehmer des insolventen bisherigen Arbeitgebers nicht gegen § 613a Abs. 4 BGB verstößt.40) Diese insolvenzrechtlichen Besonderheiten tragen der übertragenden Sanierung von Unternehmen im Kontext des Betriebsübergangs ausreichend Rechnung. 29 Zur Vermeidung einer Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB, dass allein aufgrund des Betriebsübergangs eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern einfach aus dem Betrieb ausscheiden soll, bedarf es allerdings einer rechtlichen Absicherung des Betriebsübergangs. Dabei muss sichergestellt sein, dass das betriebswirtschaftliche Konzept des Erwerbers tatsächlich verwirklicht wird.41) Diese Absicherung kann neben dem Konzept oder Sanierungsplan auch durch einen Vorvertrag ___________ 36) Müller-Glöge in: MünchKomm-BGB, § 613a Rz. 193. 37) Cohnen in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 54 Rz. 168 – 175. 38) BAG, Urt. v, 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027; Lipinski, NZA 2002, 75, 79; Hanau, ZIP 1984, 141, 142. 39) Cohnen in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 54 Rz. 168 – 175. 40) Cohnen in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 54 Rz. 168 – 175. 41) Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 189 – 191.

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II. Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang

zum Unternehmenskaufvertrag geschehen, der den Betriebsübergang selbst und die Anzahl der zu übernehmenden Arbeitnehmer fixiert.42) 30

Praxishinweis In der praktischen Umsetzung haben sich gemeinsame Verhandlungen über einen Interessenausgleich bewährt. Dort können dann auch Fragen der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit beim Veräußerer oder Erwerber sowie Grundsätze der Sozialauswahl geregelt werden. Ferner können die Verhandlungen für Gespräche über Sanierungstarifverträge, flexible Arbeitszeitmodelle und betriebliche Bündnisse genutzt werden.

3.

Interessenausgleich mit Namensliste § 125 InsO dient der Sanierung insolventer Unternehmen. Gerade im Insolvenzfall besteht oft ein Bedürfnis nach einer zügigen Durchführung einer Betriebsänderung und eines größeren Personalabbaus. Die Regelungen des § 125 InsO wollen eine erfolgreiche Sanierung insolventer Unternehmen fördern und im Insolvenzfall zusätzliche Kündigungserleichterungen schaffen. Deshalb gebieten Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung eine weite Anwendung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Sozialauswahl. BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 (LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.4.2002 – 3 Sa 1638/01)

Durch den Abschluss eines, ggf. mit dem Investor abgestimmten, Interessen- 31 ausgleichs mit Namensliste (§ 1 Abs. 5 KSchG, § 125 InsO) können die Risiken eines Personalabbaus auch im Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsveräußerung reduziert werden. § 613a BGB formuliert kein allgemeines Kündigungsverbot. Der Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen bleibt auch im Kontext des Betriebsübergangs möglich. Die Namensliste schafft Rechtssicherheit in Bezug auf einen durchzuführenden Personalabbau, wodurch sich die Chancen auf eine (anschließende) übertragende Sanierung trotz Anwendung des § 613a BGB erhöhen. Denn eine Namensliste verkürzt die rechtlichen Möglichkeiten des betroffenen Arbeitnehmers, sich in einem Kündigungsschutzprozess mit Erfolg gegen eine betriebsbedingte Kündigung zur Wehr zu setzen. Wird eine Namensliste vereinbart, besteht die gesetzliche Vermutung, dass die 32 Arbeitsplätze derjenigen Mitarbeiter, die in einer Namensliste zum Interessenausgleich aufgeführt sind, weggefallen sind. Die Sozialauswahl kann dann dabei nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit untersucht werden. Die einem Interessenausgleich nach § 125 InsO oder einem Feststellungsantrag nach § 126 InsO zugrunde liegende Betriebsänderung kann auch zeitlich nach der Betriebsveräußerung vom Erwerber selbst umgesetzt werden. Im Falle eines Betriebsübergangs erstreckt sich die Vermutungswirkung oder gerichtliche Feststellung auch darauf, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist. ___________ 42) Lipinski NZA 2002, 75, 79; Willemsen, ZIP 1983, 411, 416.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

4.

Einsatz einer Transfergesellschaft 1. Die Arbeitsvertragsparteien können das Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang wirksam durch Aufhebungsvertrag auflösen, wenn die Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist und nicht der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses dient. Dies gilt auch, wenn zugleich ein Übertritt des Arbeitnehmers in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vereinbart wird. 2. § 613a BGB wird nur umgangen, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezweckt, weil zugleich ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wird. § 613a BGB gewährt nur einen Schutz vor einer Veränderung des Vertragsinhalts ohne sachlichen Grund, nicht aber einen Schutz vor einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund. 3. Eine Umgehung des § 613a BGB kann vorliegen, wenn die Beschäftigungsgesellschaft zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt wird, die Sozialauswahl zu umgehen. 4. Der Aufhebungsvertrag kann gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten werden, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beim Abschluss des Vertrags vorspiegelt, der Betrieb solle geschlossen werden, in Wahrheit jedoch ein (Teil-)Betriebsübergang geplant ist. 5. Der Arbeitnehmer, der im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund eines Aufhebungsvertrags ausgeschieden ist, hat keinen Einstellungsanspruch gegen den Betriebsübernehmer, solange die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grunde beseitigt worden ist. 6. Ein Einstellungsanspruch ergibt sich auch nicht gemäß § 242 BGB aus dem Gesichtspunkt des unredlichen Erwerbs einer eigenen Rechtsstellung, wenn ein Betriebserwerber so lange mit einer Betriebsübernahme wartet, bis der Veräußerer eine Stilllegung plant, zahlreiche Arbeitsverhältnisse mittels Aufhebungsvertrag oder Kündigung beendet und deshalb ein Betrieb mit geringerer Arbeitnehmerzahl übernommen werden kann. BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = NZA 2007, 866 (LAG Brandenburg, Urt. v. 2.2.2006 – 9 Sa 328/05)

33 Ein Weg zum schnellen Personalabbau ohne Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen kann die Ausgliederung der Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft sein. Die Zwischenschaltung einer Transfergesellschaft kann in Krisenzeiten eine schnelle Kostenentlastung mit sich bringen und verhindern, dass ein Investor sämtliche Arbeitnehmer zu den alten Konditionen übernehmen muss. 34 Das BAG geht davon aus, dass der mit dem bisherigen Arbeitgeber geschlossene Aufhebungsvertrag wegen Umgehung von § 613a Abs. 4 BGB gemäß § 134 BGB unwirksam ist, wenn bei seinem Abschluss zugleich ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber begründet oder dem Arbeitnehmer jedenfalls verbindlich in Aussicht gestellt wird. Der Aufhebungsvertrag bezwecke dann nicht die Beendigung, sondern bloß eine Änderung des bisherigen Arbeitsvertrags. Hingegen werde § 613a Abs. 4 BGB nicht umgangen, wenn dem Arbeitnehmer 452

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II. Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang

nur eine unverbindliche Chance eingeräumt werde, vom Erwerber übernommen zu werden und er dann freiwillig den Aufhebungsvertrag abschließt. Es muss sich für den Arbeitnehmer bei Vertragsabschluss noch um ein „Risikogeschäft“ handeln.43) 35

Praxishinweis Nur wenn bei Vertragsabschluss der Übergang für die Arbeitnehmer tatsächlich ungewiss bleibt, kann sich der Erwerber aus dem Pool der Transfergesellschaft seine „Olympiamannschaft“ zur Fortsetzung des Betriebs auswählen. Für die Praxis ist daher vor allem die Kommunikation mit den Arbeitnehmern des Veräußerers entscheidend.44)

Durch die Einschaltung einer Transfergesellschaft können „verkaufsschädigende“ 36 Kündigungsschutzklagen und die damit verbundenen rechtlichen Risiken von betriebsbedingten Kündigungen vermieden werden. Bei der anschließenden Übertragung der Betriebsmittel in eine Auffanggesellschaft oder auf einen Investor findet nach der Rechtsprechung des BAG die Vorschrift des § 613a BGB bezüglich der in die Transfergesellschaft gewechselten Arbeitnehmer keine Anwendung.45) Der Investor wird deshalb seine Investitionsabsicht regelmäßig vom Erreichen einer bestimmten Übertritts-Quote abhängig machen. Der Betrieb kann so in gewisser Weise „mitarbeiterfrei“ gemacht werden, um dem 37 Erwerber die Personalauswahl aus der Transfergesellschaft zu ermöglichen, mit denen er neue Arbeitsverträge schließen will.46) So dient die Transfergesellschaft als Vehikel zur Personalreduzierung ohne komplette Stilllegung der Produktion und gleichzeitig zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung.47) 38

Praxishinweis Praktisch lässt sich allerdings eine Gestaltung unter Einschaltung einer Transfergesellschaft nur dann umsetzen, wenn der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer, den Betriebsrat und die Gewerkschaften hiervon überzeugen kann. Regelmäßig sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter nur dann zur Mitwirkung bereit, wenn die einzige Alternative zu dem beabsichtigten Unternehmensverkauf die Betriebsstilllegung und damit der Verlust sämtlicher Arbeitsplätze ist.

5.

Änderung der Arbeitsbedingungen vor Betriebsübergang

Der Betriebserwerber übernimmt die Arbeitsverhältnisse in dem Zustand, in dem 39 sie sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bei dem früheren Betriebsinha___________ 43) BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = NZA 2006, 866. 44) Vgl. auch Raif, ArbRAktuell 2009, 225, 227. 45) BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, dazu EWiR 1999, 247 (Joost); BAG, Urt. v. 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, dazu EWiR 1999, 1163 (Heckelmann). 46) BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = NZA 2006, 866. 47) Lembke, BB 2004, 773.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

ber (zuletzt) befunden haben. Dies eröffnet die Möglichkeit, Arbeitsbedingungen auch noch kurz vor dem Stichtag des Betriebsübergangs ohne Veränderungssperre so zu verändern, dass sie den Erwerberwünschen entsprechen. 40

Praxishinweis Die praktische Möglichkeit des Investors, auf die individual-rechtlichen Arbeitsverträge, die kollektiven Arbeitszeitregelungen und Tarifverträge noch vor dem Betriebsübergang Einfluss zu nehmen, ist dann am größten, wenn durch den Betriebsübergang eine ansonsten drohende Schließung des Geschäftsbetriebs vermieden werden kann.

41 In der Praxis werden die betroffenen Arbeitnehmer einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen unmittelbar vor einem Betriebsübergang nur gegen Beschäftigungsgarantien beim Investor zustimmen, wenn zugleich dem Betriebsübergang ein tragfähiges Konzept zugrunde liegt. Entsprechendes gilt für Sanierungstarifverträge, die vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs für die Zeit nach dem Betriebsübergang abgeschlossen werden. 6.

Kollektiver Widerspruch gemäß § 613a Abs. 4 BGB

42 Eine Möglichkeit, die Folgen des gesetzlichen Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu verhindern, besteht in der kollektiven Ausübung des Widerspruchsrechts der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 6 BGB. Dabei widersprechen alle oder eine vorgegebene bestimmte (Mindest-)Anzahl von Arbeitnehmern dem Übergang des Arbeitsverhältnisses durch Erklärung gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber. Ob dies zulässig ist, ist bislang höchstrichterlich noch nicht unmittelbar entschieden. Das BAG hat sich bisher nur mit der Zulässigkeit eines Aufhebungsvertrags mit gleichzeitigem Wechsel in eine Transfergesellschaft (siehe oben Rz. 34) und dem Fall der kollektiven Ausübung des Widerspruchsrechts als Druckmittel der Arbeitnehmer beschäftigt. Als Druckmittel können Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht bspw. einsetzen, um bestehende Arbeitsbedingungen abzusichern oder den Veräußerer zu einem Verzicht auf die Umstrukturierung zu bewegen. Dieser Fall dürfte in der Insolvenz aber praktisch kaum vorkommen, da die Arbeitnehmer bei Ausübung des Widerspruchsrechts mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und der Liquidation der Gesellschaft rechnen müssen und dies nicht in ihrem Interesse liegt. 43 Etwas anderes ist es aber, wenn einzelne oder alle Arbeitnehmer eines Betriebs vom Insolvenzverwalter oder Erwerber angehalten werden, das Widerspruchsrecht deshalb auszuüben, um den Betrieb „arbeitnehmerfrei“ zu bekommen und die übertragende Sanierung ohne Übernahme der Arbeitnehmer erfolgen zu lassen. Damit ist zumeist die Hoffnung der Arbeitnehmer verbunden, dass der Investor nach der Übernahme der Betriebsmittel zumindest einen Teil der bisherigen Belegschaft wieder einstellt und sie selbst berücksichtigt werden. In einem solchen Fall erfolgt die Entscheidung, das Widerspruchsrecht auszuüben, aber auf Druck und Veranlassung des bisherigen Arbeitgebers oder Erwerbers 454

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III. Insolvenzrechtliches Haftungsprivileg

ohne sachlichen Grund sowie ohne Kompensation etwa durch Einsatz einer Transfergesellschaft als „Ausgleich“ für die Aufgabe des Arbeitsplatzes. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen müssen die Grundsätze zum Aufhebungsvertrag bei gleichzeitigem Übertritt in die Transfergesellschaft auf den kollektiven Widerspruch übertragen werden.48) Denn das Recht zum Widerspruch ist ein Schutzrecht des Arbeitnehmers und Ausfluss der Vertragsfreiheit, damit ihm gegen seinen Willen bei einem Betriebsübergang kein Arbeitgeber aufgezwungen werden kann, den er sich bei Abschluss des Arbeitsvertrags nicht selbst ausgesucht hat. Der Widerspruch ist aber kein „aggressives“ Mitgestaltungsrecht.49) Dem Arbeitnehmer soll im Hinblick auf die Höchstpersönlichkeit und Nichtübertragbarkeit der Arbeitsleistung (§ 613 BGB), den Rechtsgedanken des § 415 Abs. 1 BGB sowie auf die Verfassungsrechtsgüter der Menschenwürde, des Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes kein anderer als der gewählte Arbeitgeber aufgezwungen werden können.50) Das Argument, der kollektive Widerspruch sei „schneller und kostengünstiger“ 44 als Kündigung und Transfer ist dabei kein sachliches Argument. Ferner besteht die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter das Gläubigerinteresse der Arbeitnehmer dadurch verletzt, dass er eine Sanierung nur unter der Voraussetzung der Benachteiligung der Arbeitnehmerschaft und somit unter Verstoß gegen die Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO) ermöglicht. Übt der Insolvenzverwalter bei der Bestimmung zum kollektiven Widerspruch unzulässigen Druck auf die Arbeitnehmer aus, besteht zudem die Gefahr einer Anfechtung der Widerspruchserklärung gemäß § 123 Abs. 1 BGB. III.

Insolvenzrechtliches Haftungsprivileg Auch unter der InsO gilt, wie schon vorher unter der KO, der Eintritt der Haftung des Betriebserwerbers für rückständige Forderungen nur eingeschränkt. BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527

Im Hinblick auf die Haftung des Erwerbers für vor der Insolvenzeröffnung 45 entstandene Forderungen bestimmt die Rechtsprechung des BAG eine teleologische Reduktion des § 613a BGB und erleichtert so Betriebsübernahmen in der Insolvenz.51) Müsste der Betriebserwerber auch für Altverbindlichkeiten des Veräußerers gegenüber seinen Arbeitnehmern einstehen, hätte dies eine Minderung des Kaufpreises und damit eine geringere Verteilungsmasse sowie schließlich eine unangemessene Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger zur Fol___________ 48) A. A. Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263, die den kollektiven Widerspruch als grundsätzlich zulässiges Instrument zur Umgehung des § 613a BGB sehen. 49) Rieble, NZA 2005, 1, 7. 50) BAG, Urt. v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, Rz. 26, ZIP 2005, 132 = NZA 2005, 43. 51) Vgl. BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117 = NJW 1980, 1124.

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§ 19 Betriebsübergang als Sanierungshindernis

ge. Diese Grundsätze gelten auch für die Haftung nach § 25 HGB, wenn das Unternehmen vom Insolvenzverwalter übernommen wird.52) 46 Das LAG Hamm hat durch Urteil vom April 2016 entschieden, dass eine Haftung des Erwerbers bei Firmenfortführung gemäß § 25 HGB für Verbindlichkeiten des bisherigen Firmeninhabers bei Firmenerwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 25 HGB auch dann ausscheidet, wenn kein Insolvenzverwalter bestellt, sondern eine Eigenverwaltung angeordnet wurde.53) Das Ziel der angeordneten Eigenverwaltung sei die Sanierung des Unternehmens entsprechend § 270b Abs. 1 InsO. Die mit der Eigenverwaltung angestrebte Sanierung könne nach allgemeiner Ansicht auch durch Übertragung des Unternehmens auf einen anderen Rechtsträger verwirklicht werden. Werde vom Sinn und Zweck der Eigenverwaltung auch eine übertragende Sanierung erfasst, die eine Fortführung der Firma durch einen neuen Rechtsinhaber zur Folge habe, greife der Grund für die Einschränkung des § 25 HGB auch bei Anordnung der Eigenverwaltung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. Die im Interesse der Insolvenzgläubiger liegende Verwertung des Geschäfts durch dessen Veräußerung wäre bei uneingeschränkter Anwendung des § 25 HGB in aller Regel praktisch unmöglich. Außerdem würde die Annahme einer Fortsetzungshaftung nach § 25 HGB im Falle einer Eigenverwaltung auch zu einer systemwidrigen Bevorzugung einzelner, hierdurch begünstigter Insolvenzgläubiger unter gleichzeitiger Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger führen, die sich angesichts einer dadurch zu erwartenden Erlösschmälerung mit einer geringeren Verteilungsmasse zu begnügen hätten. Dies gelte auch im Fall der Eigenverwaltung. 47 Interessant ist die Entscheidung des LAG Hamm auch für die Frage des Anwendungsbereiches des § 613a BGB. Auch hier sollen die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens – zumindest soweit Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) betroffen sind – der Anwendung des § 613a BGB vorgehen und die Norm insoweit unanwendbar sein, wie sie die Haftung des Betriebserwerbers für bereits entstandene Ansprüche vorsieht. Diese Einschränkung dürfte entsprechend der Argumentation des LAG Hamm deshalb auch im Anwendungsbereich des § 613a BGB für den Fall der Eigenverwaltung gelten. 48 § 613a Abs. 2 BGB tritt im Insolvenzverfahren, gleich ob in Fremdverwaltung oder Eigenverwaltung, hinter die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts zurück. Besondere Verteilungsgrundsätze bestehen nur hinsichtlich der Forderungen, die ein Gläubiger als Insolvenzgläubiger geltend zu machen hat (§§ 174 ff. InsO). Dagegen sind Forderungen, die sich als Masseverbind___________ 52) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, ZIP 2007, 386 = NZA 2007, 335, dazu EWiR 2007, 497 (Joost). 53) LAG Hamm, Urt. v. 6.4.2016 – 2 Sa 1395/15, ZIP 2016, 2167 = NZI 2016, 854, m. Anm. Juretzek.

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III. Insolvenzrechtliches Haftungsprivileg

lichkeiten gegen die Insolvenzmasse richten, aus dieser ohne irgendwelche Beschränkungen vorweg zu berichtigen (§ 53 InsO). Die insolvenzrechtliche Beschränkung des Eintritts der Haftung nach § 613a BGB ergreift deshalb lediglich Insolvenz-, nicht jedoch Masseforderungen.54) Denn die Arbeitnehmer sind mit ihren Lohnansprüchen für die Zeit nach Insolvenzeröffnung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 53 InsO geschützt. Bei rückständigen Lohnforderungen für die dem Insolvenzereignis vorausgehen- 49 den drei Monate kommt ein Anspruch auf Insolvenzgeld nach Maßgabe der §§ 165 ff. SGB III in Betracht; der Lohnanspruch des Arbeitnehmers gegen den Insolvenzschuldner geht nach § 169 SGB III mit Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit über. Diese kann den von der Haftung befreiten Betriebserwerber nicht in Anspruch nehmen. Vom Haftungsprivileg des Betriebserwerbers ebenfalls erfasst sind bereits ent- 50 standene Abfindungsansprüche aus einem Insolvenzsozialplan,55) aus einem Altersteilzeitvertrag56) oder Ansprüche auf Erstattung von Betriebsratskosten.57) Keine Haftungsbeschränkung des Betriebserwerbers besteht bei Urlaubsansprü- 51 chen, soweit sie nicht einem Zeitpunkt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden können.58) Der Erwerber tritt auch in die Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer 52 des vom Insolvenzverwalter übernommenen Betriebs ein. Allerdings gilt hier die oben dargestellte Haftungsbegrenzung. Bei Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung haftet der Betriebserwerber nur für den Teil der Betriebsrentenansprüche, der nach Eröffnung des insolvenzrechtlichen Verfahrens erdient worden ist. Waren bei Verfahrenseröffnung Betriebsrentenansprüche oder -anwartschaften entstanden, nehmen diese an der Verteilung als Insolvenzforderung teil. Soweit gesetzliche Unverfallbarkeit vorliegt, haftet der PSVaG als Träger der Insolvenzsicherung nach § 2 Abs. 2 Satz 1, 3 BetrAVG.59)

___________ 54) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, ZIP 2004, 1013 = NZA 2004, 651. 55) BAG, Urt. v. 15.1.2002 – 1 AZR 58/01, ZIP 2002, 1543 = NZA 2002, 1034. 56) BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682 = NZA 2009, 432, dazu EWiR 1009, 403 (Mückl). 57) BAG, Beschl. v. 13.7.1994 – 7 ABR 50/93, ZIP 1994, 1789 = AP KO § 61 Nr. 28. 58) Koch in: Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., § 118 Rz. 7. 59) BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914 = NZA 1997, 94.

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

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Übersicht I. II. 1. 2. 3. 4. 5.

Einführung......................................... 1 Inhalt der Unterrichtung................. 3 Person des Erwerbers......................... 5 Gegenstand des Betriebsübergangs.................................................. 10 (Geplanter) Zeitpunkt des Übergangs.................................................. 11 Grund für den Übergang ................. 14 Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer ........................................ 15

6. III. IV. V. VI.

In Aussicht genommene Maßnahmen.............................................. 25 Verpflichteter und Adressat der Unterrichtung .......................... 28 Form und Zeitpunkt der Unterrichtung............................................ 30 Folgen der fehlerhaften Unterrichtung............................................ 33 Prozessuale Lage.............................. 40

Literatur: Gaul/Krause, Sorgfalt wird (endlich) belohnt: Zur ordnungsgemäßen Unterrichtung über den Betriebsübergang nach § 613a Abs. 5 BGB, RdA 2013, 39; Göpfert/Giese, „Aggressives“ Erwerberverhalten im Betriebsübergang – Folgen für die Unterrichtung nach § 613a V BGB, NZA 2017, 966; Grau/Schaut, Neuere Entwicklungen bei den Anforderungen an § 613a BGB-Unterrichtungsschreiben, NZA 2018, 216; Lingemann, Richtig unterrichtet beim Betriebsübergang – neue Hilfestellungen des BAG, NZA 2012, 546; Morshäuser/Falkner, Unternehmenskauf aus der Insolvenz, NZG 2010, 881; Steffan, Das „nachträgliche“ Widerspruchsrecht beim Betriebsübergang – eine unendliche Geschichte?, NZA 2016, 608; Willemsen/Lembke, Die Neuregelung von Unterrichtung und Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang, NJW 2002, 1159; Worzalla, Neue Spielregeln bei Betriebsübergang – Die Änderungen des § 613a BGB, NZA 2002, 353.

I.

Einführung

Gerade beim Erwerb von Krisenunternehmen kommt es vielfach zu Betriebsüber- 1 gängen – werden doch derartige Veräußerungen häufig als Asset Deals konzipiert, um eine Übertragung aller Verbindlichkeiten des Veräußerers auf den Erwerber zu vermeiden.1) Ein Risiko birgt dabei die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB, da die Anforderungen an eine korrekte Unterrichtung sehr hoch sind. Seit Kodifizierung der Unterrichtungspflicht im Jahr 2002 hat das BAG diese Anforderungen stetig verschärft und nur vereinzelt haben Unterrichtungsschreiben der höchstrichterlichen Kontrolle standgehalten.2) Mag der gesetzgeberische Zweck der Unterrichtung auch darin bestanden haben, den Arbeitnehmer zu befähigen, über die Ausübung seines Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 BGB

___________ 1) Vgl. zur Transaktionsstruktur beim Erwerb insolventer Unternehmen Morshäuser/Falkner, NZG 2010, 881 ff. 2) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung, dazu EWiR 2012, 375 (Hartmann); BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, BAGE 119, 81 = ZIP 2006, 2143, dazu EWiR 2007, 41 (Laskawy).

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

zu entscheiden3) – de facto stellt sich die korrekte Unterrichtung vor allem als formale Hürde für die Arbeitgeberseite dar. 2

Praxishinweis Auf Arbeitnehmerseite steht diesem Manko nicht nur kein praktischer Nutzen gegenüber – ein auf alle Einzelheiten des Betriebsübergangs juristisch korrekt eingehendes Unterrichtungsschreiben ohne Unschärfen ist zwangsläufig umfangreich und wenig umgangssprachlich formuliert und ruft Angst vor dem Betriebsübergang und dem Übergang des Arbeitsverhältnisses oft überhaupt erst hervor. Dem Arbeitgeber ist daher dringend zu empfehlen, die Übergabe des Schreibens mit einer sorgfältigen Kommunikation (z. B. auf einer Informationsveranstaltung) zu begleiten, um Unruhe im Betrieb einzudämmen und Arbeitnehmer von unüberlegten Widersprüchen abzuhalten. Auch bei Krisenunternehmen kann dies sinnvoll sein, selbst wenn Veräußerer und Erwerber hier aufgrund des voranschreitenden Verlustes des Unternehmenswertes typischerweise unter hohem Zeitdruck stehen und sich die grundsätzlichen Probleme der Unterrichtung dadurch noch verschärfen.

II.

Inhalt der Unterrichtung

3 Nach § 613a Abs. 5 Nr. 1 – 4 BGB ist über x

den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,

x

den Grund für den Übergang,

x

die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und

x

die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen

zu informieren. Von der Rechtsprechung wird darüber hinaus eine Information über die Person des Erwerbers sowie über den Gegenstand des Betriebsübergangs verlangt.4) 4 Der Inhalt der Unterrichtung richtet sich nach dem Kenntnisstand des Veräußerers und Erwerbers zum Zeitpunkt der Unterrichtung; die erteilten Informationen müssen aber auf diesen Zeitpunkt bezogen objektiv zutreffend sein.5) Die Unterrichtung muss außerdem einerseits präzise sein und darf keine juristischen Fehler enthalten, andererseits soll sie sich einer auch für juristische Laien möglichst verständlichen Sprache bedienen.6) 1.

Person des Erwerbers

5 Der Erwerber muss grundsätzlich mit (aktueller) Firmenbezeichnung und Anschrift, d. h. mit Firmensitz und Adresse, genannt werden, so dass er identifi___________ 3) Vgl. Begr. RegE Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze, BTDrucks. 14/7760, S. 19. 4) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 5) Vgl. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 6) S. nur BAG, Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 18/10, AP Nr. 407 zu § 613a BGB = BB 2011, 2292.

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II. Inhalt der Unterrichtung

zierbar ist.7) Die Angabe einer Handelsregisternummer ist zur Identifizierung nicht erforderlich,8) erleichtert sie aber. Ist eine Umfirmierung oder Sitzveränderung geplant, empfehlen sich die Angabe der aktuellen und der zukünftigen Informationen sowie der Hinweis auf die Umfirmierung/Sitzverlegung und die erst erfolgende Eintragung in das Handelsregister.9) Bei Gesellschaften gehört, sofern eine vollständige gesetzliche Vertretung nicht angegeben wird oder angegeben werden kann, die Nennung einer identifizierbaren natürlichen Person mit Personalkompetenz als Ansprechpartner des Betriebserwerbers dazu.10) In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass und in welcher Weise die genannte Person dem Erwerber zuzuordnen ist und für ihn auftreten kann.11) Ist der Erwerber im Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht existent, sondern 6 wird erst gegründet, können die genannten Angaben nicht gemacht werden. Stattdessen muss offengelegt werden, dass der Erwerber noch zu gründen ist.12) Hier genügt jedoch nicht die bloße Bezeichnung als „neue Gesellschaft“ oder „in Gründung“.13) Vielmehr sollten die relevanten zukünftigen Details nach Möglichkeit angegeben und als solche gekennzeichnet angegeben werden.14) Ist der Unternehmensverkauf als Share Deal nach Einbringung des Geschäftsbe- 7 reichs in eine Zweckgesellschaft strukturiert, findet der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Zweckgesellschaft statt. Es ist daher über die Zweckgesellschaft als Erwerber zu informieren. Fraglich ist, ob auch bereits über den geplanten Erwerb der Zweckgesellschaft und über den potentiellen Erwerber informiert werden muss. Zweckmäßig wird hier sein, einen sich bereits konkret abzeichnenden Verkauf offenzulegen, da es sich hierbei grundsätzlich um eine mittelbare wirtschaftliche Folge des Betriebsübergangs handeln dürfte, über die nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB zu informieren ist. 8

Praxishinweis Über Einzelheiten zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erwerbers empfiehlt sich eine Information allerdings nicht; sie ist – wie unter Rz. 24 dargelegt – grundsätzlich auch nicht nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB geschuldet und kann vor allem Fehlerquellen eröffnen.

___________ 7) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 8) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 9) Zutreffend Grau/Schaut, NZA 2018, 216 unter Verweis auf BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, ZIP 2014, 839 = NZA 2014, 610, dazu EWiR 2014, 397 (Kock/Milenk). 10) BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46, dazu EWiR 2010, 143 (Grimm). 11) BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46. 12) BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46. 13) BAG, Urt. v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, AP Nr. 19 zu § 613a BGB Widerspruch = NZA 2012, 1097; BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 407/07, ZIP 2009, 1295 = NZA-RR 2009, 62, dazu EWiR 2009, 77 (Bergemann/Möller). 14) Vgl. BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, ZIP 2014, 839 = NZA 2014, 610.

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

9 Bei allen diesen Angaben ist äußerste Sorgfalt geboten, da nicht ausgeschlossen ist, dass offensichtliche oder für das Verständnis der Arbeitnehmer unerhebliche Fehler im Unterrichtungsschreiben in den Augen der Gerichte dazu führen können, dass die einmonatige Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt wird. So hat das BAG bspw. ausdrücklich offengelassen, ob bereits die fehlerhafte Bezeichnung des Vornamens des Geschäftsführers der Erwerberin mit „Jochen“ anstatt „Joachim“ einer ordnungsgemäßen Unterrichtung entgegensteht.15) 2.

Gegenstand des Betriebsübergangs

10 Der übergehende Betrieb oder der Teilbetrieb müssen im Unterrichtungsschreiben bezeichnet werden. Grundsätzlich genügt hier die Verwendung einer schlagwortartigen Bezeichnung wie bspw. „Betrieb X“, „Standort Y“ oder „Bereich Z“, sofern diese Bezeichnungen die übertragenen Assets ausreichend kennzeichnen.16) Werden jedoch wesentliche Wertgegenstände, die bei objektiver Betrachtung unter die Bezeichnung des Betriebs fallen würden, nicht veräußert oder anderweitig übertragen, so sollte dies offengelegt werden.17) 3.

(Geplanter) Zeitpunkt des Übergangs

11 Darüber hinaus ist über den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs zu unterrichten. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem der Erwerber die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführt oder wieder aufnimmt.18) Dabei wird es sich häufig um, den Zeitpunkt des dinglichen Vollzugs des Unternehmenskaufvertrages („Closing“) handeln. Zwingend ist dies jedoch nicht, da es für den Betriebsübergang keines besonderen Aktes der Übertragung einer irgendwie gearteten Leitungsmacht bedarf.19) Entscheidend ist, wer die Organisations- und Leitungsmacht im eigenen Namen ausübt.20) 12 Der Zeitpunkt des Übergangs muss mit einem konkreten Datum, nicht einem bloßen Zeitraum bezeichnet werden.21) Dies mag praktisch oftmals Schwierigkeiten bereiten, da der Übergangszeitpunkt gerade bei der Veräußerung von Krisenunternehmen wegen des typischerweise bestehenden Zeitdrucks oft knapp ___________ 15) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 16) Vgl. nur BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050; BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, AP Nr. 318 zu § 613a BGB = BB 2007, 1340. 17) Vgl. BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46; BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, ZIP 2008, 987 = AP Nr. 2 zu § 613a BGB Unterrichtung, dazu EWiR 2008, 457 (Bieszk). 18) BAG, Urt. v. 21.2.2008 – 8 AZR 77/07, ZIP 2008, 2132 = AP Nr. 343 zu § 613a BGB. 19) BAG, Urt. v. 21.2.2008 – 8 AZR 77/07, ZIP 2008, 2132 = AP Nr. 343 zu § 613a BGB; vgl. auch Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 66. 20) BAG, Urt. v. 21.2.2008 – 8 AZR 77/07, ZIP 2008, 2132 = AP Nr. 343 zu § 613a BGB. 21) Vgl. EuGH, Urt. v. 26.5.2005 – Rs. C-478/03 (Celtec), Slg. 2005, I-4389 = ZIP 2005, 1377, dazu EWiR 2005, 903 (Joost).

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II. Inhalt der Unterrichtung

kalkuliert ist und sich deswegen verschieben kann. Praktisch sollte deswegen immer über den geplanten Zeitpunkt unterrichtet werden;22) anderes würde nur dann gelten, wenn eine Verschiebung aufgrund der gewählten rechtlichen Gestaltung tatsächlich einmal ausgeschlossen wäre, etwa im Falle einer vereinbarten aufschiebenden Befristung. Ist hingegen gar kein konkreter Zeitpunkt avisiert, sondern dieser etwa von einer Eintragung, z. B. in das Handelsregister abhängig, muss über diesen Umstand und die voraussichtliche Eintragung unterrichtet werden.23) Höchstrichterlich nicht geklärt ist die Frage, ob oder ggf. ab wann eine erneute 13 Unterrichtungspflicht entsteht, wenn sich der Zeitpunkt des Betriebsübergangs verschiebt. Dass § 613a Abs. 5 Nr. 1 BGB lediglich eine Unterrichtung über den „geplanten“ Zeitpunkt des Übergangs verlangt, spricht grundsätzlich gegen das Entstehen einer erneuten Unterrichtungspflicht. Sollte sich die Verschiebung jedoch auf weitere unterrichtungspflichtige Tatbestände des § 613a Abs. 5 BGB auswirken, spricht vieles dafür, dass durch diese Auswirkung eine erneute Verpflichtung zur Unterrichtung entsteht.24) 4.

Grund für den Übergang

Als Grund für den Übergang sind zum einen die rechtsgeschäftliche Grundlage, 14 zum anderen die zugrunde liegenden unternehmerischen Erwägungen jedenfalls schlagwortartig anzugeben.25) Wird ein defizitäres Krisenunternehmen zu einem negativen Kaufpreis verkauft, sollte dies offengelegt werden.26) 5.

Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer

Nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB ist über die rechtlichen, wirtschaftlichen und so- 15 zialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer zu unterrichten. Dazu gehört zunächst die Information, dass das Arbeitsverhältnis durch den Betriebsübergang übergeht. Weiter sollte auch über das Widerspruchsrecht einschließlich x

dessen Form,

x

Frist und

x

Adressaten sowie

16

x über die ggf. eintretenden kündigungsrechtlichen Folgen beim Veräußerer ___________ 22) So auch Worzalla, NZA 2002, 353. 23) S. Breinlinger in: NK-GA, § 613a BGB Rz. 157. 24) So auch Worzalla, NZA 2002, 353; Cohnen in: Münch-AHB ArbR, § 55 Rz. 25; Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 207. 25) BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 26) Vgl. BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46.

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

zu unterrichten sein.27) Hierfür spricht nicht zwingend der Wortlaut des § 613a Abs. 5 BGB, der eine Unterrichtung über die Folgen des Übergangs, nicht des Widerspruchs vorsieht. Eine Unterrichtungspflicht ergibt sich aber angesichts des Sinn und Zwecks des § 613a Abs. 5 BGB, der den Arbeitnehmer dazu befähigen soll, ggf. nach Einholung von Rechtsrat, über die Ausübung seines Widerspruchs zu entscheiden. Dies erfordert grundsätzlich auch eine Information über die wesentlichen Nachteile, die mit der Ausübung des Widerspruchsrechts verbunden sind. Geboten – und regelmäßig im besonderen Interesse des Veräußerers – ist es damit, dem Arbeitnehmer zu verdeutlichen, dass das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 BGB nicht den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen nach Ausübung eines Widerspruchs erfasst und dass eine derartige betriebsbedingte Kündigung ihm persönlich drohen kann, sofern er sein Widerspruchsrecht ausübt. 17

Praxishinweis Es ist jedoch keine detaillierte Darstellung der Voraussetzungen für eine betriebsbedingte Kündigung geschuldet; allerdings empfiehlt sich nach der jüngsten Rechtsprechung ein Verweis auf die Kündigungsmöglichkeit „nach individueller Prüfung“.28) Im Insolvenzfall kann und sollte außerdem auch auf die erleichterten Kündigungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters hingewiesen werden. Insgesamt sollten allerdings – ungeachtet des großen Interesses, dem Arbeitnehmer die Nachteile eines Widerspruchs vor Augen zu führen und ihn von der Ausübung seines Widerspruchsrechts abzuhalten – die Folgen eines Widerspruchs nicht unzutreffend oder übertrieben dargestellt werden.

18 Zur Unterrichtung über die kündigungsrechtlichen Folgen eines Widerspruchs gehört außerdem auch eine Information über das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 BGB selbst.29) 19

Die rechtlichen Folgen des Übergangs beinhalten außerdem die Information darüber, ob Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge beim Erwerber weitergelten und falls dies zutrifft, ob sie kollektiv- oder individualrechtlich fortwirken.30) Entfällt die dynamische Wirkung eines Tarifvertrages, so ist dies im Unterrichtungsschreiben anzusprechen.31) Die detaillierte Bezeichnung einzelner Tarifverträge oder Rechtsnormen wurde in der Vergangenheit stets für nicht notwendig gehalten.32) Ob diese Auffassung vom BAG inhaltlich nach wie vor aufrecht er___________ 27) S. nur BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, BB 2008, 2072 = NZA 2008, 1354; a. A. Willemsen/Müller-Bonnani in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, § 613a BGB Rz. 332. 28) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung; vgl. auch Lingemann, NZA 2012, 546. 29) Vgl. Begr. RegE Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze, BTDrucks. 14/7760, S. 19. 30) S. nur BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung; zur Fortgeltung überblicksweise Gaul/Krause, RdA 2013, 39. 31) BAG, Urt. v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, AP Nr. 19 zu § 613a BGB Widerspruch = NZA 2012, 1097. 32) S. nur BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung.

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II. Inhalt der Unterrichtung

halten wird, ist indes unklar. Nach jüngerer Rechtsprechung des BAG soll sogar darüber zu informieren sein, ob bestimmte, für Arbeitnehmer besonders bedeutende Ansprüche aus konkreten kollektivrechtlichen Normen nach dem Betriebsübergang noch in Betracht kommen.33) Ob ein Hinweis auf die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfor- 20 derlich oder überhaupt zweckmäßig ist, ist umstritten.34) Wenn ein solcher Hinweis aufgenommen wird, sollte er von einer präzisen Subsumtion der denkbaren, unterschiedlichen Fallkonstellationen begleitet werden.35) Der bloße, an die Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB angelehnte Verweis, die Arbeitsbedingungen könnten für die Dauer eines Jahres nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden, ist ungenau und irreführend.36) Zu den darzulegenden rechtlichen Folgen gehört auch eine Darstellung der Haf- 21 tung des Veräußerers und des Erwerbers. Dabei wird in der Regel die gesamtschuldnerische Haftung nach § 613a Abs. 2 und 3 BGB zu erläutern sein. Da diesem Haftungsregime im Falle einer übertragenden Sanierung, d. h. einer Veräußerung als Asset Deal i. R. eines Insolvenzverfahrens, die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts vorgehen,37) ist das Unterrichtungsschreiben in diesen Fällen der insolvenzrechtlichen Situation anzupassen. Dies muss ebenfalls gelten, wenn der Unternehmenskauf als Share Deal nach Einbringung des Geschäftsbetriebes in eine Zweckgesellschaft durch den Insolvenzverwalter strukturiert ist.38) Über spezielle Haftungsvorschriften, etwa im Falle einer Spaltung nach §§ 133 f. UmwG ist ebenfalls zu unterrichten.39) Auf sich aus dem Betriebsübergang mittelbar ergebenden wirtschaftlichen oder 22 sozialen Folgen muss ebenfalls hingewiesen werden. Was hierzu rechnet, lässt sich indes abschließend weder der Gesetzesbegründung noch der Rechtsprechung zuverlässig entnehmen. Jedenfalls wird auf den Entfall des Kündigungsschutzes hinzuweisen sein, wenn 23 im neuen Betrieb der Schwellenwert des KSchG unterschritten wird.40) Ob ein ___________ 33) BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 783/13, AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7 = NZA 2015, 866; hierzu auch Grau/Schaut, NZA 2018, 216. 34) Dafür Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 209a; dagegen Cohnen in: Münch-AHB ArbR, § 55 Rz. 39. 35) Ein Beispiel für eine zulässige Formulierung findet sich bei BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung. 36) BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 37) Vgl. nur BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, BAGE 128, 229 = ZIP 2009, 682 m. w. N. (st. Rspr.), dazu EWiR 2009, 403 (Mückl). 38) Hierzu überzeugend unter Verweis auf die vergleichbare Rspr. des BAG zur übertragenden Sanierung in der Insolvenz Morshäuser/Falkner, NZG 2010, 881, 883. 39) S. Gaul/Krause, RdA 2013, 39 mit Formulierungsbeispiel für Spaltungen. 40) Vgl. Karthaus/Richter in: NK-ArbR, § 613a BGB Rz. 181; Willemsen/Müller-Bonnani in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, § 613a BGB Rz. 329.

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

Hinweis auch erforderlich ist, wenn das Unterschreiten von Schwellenwerten die betriebliche Vertretungsstruktur nachteilig beeinflusst, ist hingegen umstritten.41) Ein Vergleich mit §§ 5 Abs. 1 Nr. 9, 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG, die im Gegensatz zu § 613 Abs. 5 Nr. 3 BGB eine ausdrückliche Unterrichtungspflicht über die Folgen für die Arbeitnehmerschaft „und ihre Vertretungen“ vorsehen, spricht eher gegen eine Unterrichtungspflicht.42) Aufzunehmen ist aber ein Hinweis, wenn der neue Bewerber nur eingeschränkt der Sozialplanpflicht nach § 111 Satz 1 oder § 112a Abs. 2 BetrVG unterliegt.43) 24 Nicht unter die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs rechnet allgemein die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Erwerbers im Einzelnen.44) Der Arbeitnehmer darf jedoch nicht über das wirtschaftliche Potential des Erwerbers getäuscht werden; jedenfalls über eine wirtschaftliche Notlage oder ein bereits eingeleitetes Insolvenzverfahren ist zu unterrichten.45) 6.

In Aussicht genommene Maßnahmen

25 Nach § 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB ist über die in Aussicht genommenen Maßnahmen zu unterrichten. 26 Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollen zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen Weiterbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit geplanten Produktionsumstellungen gehören, außerdem Umstrukturierungen und andere Maßnahmen, welche die berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer betreffen.46) Dies legt nahe, dass vor allem über geplante Betriebsänderungen sowie über geplante einzelne Kündigungen und Versetzungen zu unterrichten ist; gerade an diesen für ihn bedeutsamen Informationen wird der Arbeitnehmer ein besonderes Interesse haben. 27

Praxishinweis In Aussicht genommen sind Maßnahmen (frühestens) dann, wenn sie ein Stadium konkreter Planung erreicht haben.47)

___________ 41) Dafür Karthaus/Richter in: NK-ArbR, § 613a BGB Rz. 182; dagegen Willemsen/MüllerBonnani in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, § 613a BGB Rz. 331. 42) Willemsen/Müller-Bonnani in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, § 613a BGB Rz. 331. 43) BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, BAGE 157, 317 = ZIP 2017, 1129, dazu EWiR 2017, 413 (Wolff). 44) BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, BAGE 157, 317 = ZIP 2017, 1129. 45) BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, BAGE 157, 317 = ZIP 2017, 1129. 46) Begr. RegE Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze, BT-Drucks. 14/ 7760, S. 19. 47) BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, BAGE 119, 81 = ZIP 2006, 2143.

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IV. Form und Zeitpunkt der Unterrichtung

III.

Verpflichteter und Adressat der Unterrichtung

Zur Unterrichtung sind Veräußerer und Erwerber gesamtschuldnerisch nach 28 § 421 BGB verpflichtet; beide haben einen wechselseitigen Anspruch auf Auskunftserteilung über Tatsachen, die jeweils in der Sphäre des anderen liegen.48) Jedenfalls in den Fällen, in denen der Veräußerer nicht liquidiert wird, sollte die diesbezügliche Haftungsverteilung im Unternehmenskaufvertrag geregelt werden. So kann der Veräußerer vermeiden, dass ihn selbst die Risiken eines möglicherweise unkooperativen Verhaltens eines Erwerbers treffen.49) Aus dem Zweck des Unterrichtungsschreibens, den Arbeitnehmer in die Lage 29 zu versetzen,50) über die Ausübung des Widerspruchsrechts zu entscheiden, folgt, dass Adressat allein der (nicht notwendigerweise individuell bezeichnete) widerspruchsberechtigte Arbeitnehmer sein kann – also der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis übergehen soll. IV.

Form und Zeitpunkt der Unterrichtung

Die Unterrichtung bedarf der Textform des § 126b BGB. Dies bedeutet zwingend, 30 dass ihm die Person des Erklärenden entnommen werden kann.51) Die Arbeitnehmer sollen die Unterrichtung ausweislich des Gesetzeswortlauts 31 zeitlich vor dem Betriebsübergang erhalten. Die Unterrichtung vor dem Betriebsübergang durchzuführen, wird in der Regel schon aus organisatorischen und personalpolitischen Gründen angezeigt sein. Um Sicherheit über Anzahl und Identität der übergehenden Arbeitnehmer zu erhalten, wird außerdem teilweise empfohlen, so rechtzeitig zu unterrichten, dass die Widerspruchsfrist bei Closing bereits abgelaufen ist. Dies ist gesetzlich jedoch nicht geschuldet. 32

Praxishinweis Es empfiehlt sich, die Soll-Regelung des § 613a Abs. 5 BGB auch einzuhalten – allein, um Streitigkeiten hierüber zu vermeiden. Außerdem können Falle der Verletzung der Verpflichtung zur rechtzeitigen Unterrichtung auch Ansprüche auf Ersatz von Verzugsschäden entstehen. Das Risiko solcher Schäden ist allerdings in den meisten Fällen eher theoretisch. Ob über die Soll-Regelung des § 613a Abs. 5 BGB hinaus bereits weit vor Closing unterrichtet und der Zeitdruck damit noch zusätzlich verschärft wird, muss im Einzelfall entschieden werden – in der Regel lassen sich Unsicherheiten über den Bestand der übergehenden Arbeitnehmer aber mit entsprechenden Formulierungen im Kaufvertrag begegnen.

___________ 48) BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 262/07, ZIP 2009, 2310 = NZA 2009, 1149; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, BAGE 128, 328 = ZIP 2009, 929, dazu EWiR 2009, 531 (UngerHellmich); Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159. 49) Zum praktischen Umgang mit unkooperativen Erwerbern bei Betriebsübergang s. Göpfert/ Giese, NZA 2017, 966. 50) S. nur BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = ZIP 2006, 2050. 51) BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, BAGE 131, 258 = ZIP 2010, 46.

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

V.

Folgen der fehlerhaften Unterrichtung

33 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG setzt nur die ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 BGB in Gang.52) Wurde nicht ordnungsgemäß unterrichtet, läuft die Widerspruchsfrist nicht an. Dies gilt nach Rechtsprechung des BAG allerdings dann nicht, wenn über eine Sozialplanprivilegierung des neu gegründeten Erwerbers nicht unterrichtet wurde. In diesem Fall beginnt die Widerspruchsfrist mit Ablauf des Privilegierungszeitraums von vier Jahren seit der Gründung des Erwerbers, d. h. wenn das ursprünglich unvollständige Unterrichtungsschreiben richtig wird.53) Diese Mechanik der nachträglichen Heilung eines ursprünglich falschen Unterrichtungsschreibens ist aber ausdrücklich nicht auf andere Fehler im Unterrichtungsschreiben übertragbar.54) 34 Widerspricht der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht, hat er damit im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung ein zeitlich nur durch den Verwirkungseinwand begrenztes Recht zum Widerspruch. Das Widerspruchsrecht ist dann verwirkt, wenn der Arbeitnehmer seine Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und u. U. untätig geblieben ist, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Veräußerer sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment).55) Ein Umstandsmoment liegt nach der Rechtsprechung des BAG insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer über sein (übergegangenes) Arbeitsverhältnis disponiert hat – so bspw., wenn er einen Aufhebungsvertrag oder Vergleich über das Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses unterzeichnet hat oder wenn er gegen eine spätere Kündigung nicht vorgegangen ist.56) 35 Nach jüngster Rechtsprechung des BAG57) soll auch widerspruchslose Weiterarbeit beim Erwerber ein Umstandsmoment begründen können. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Veräußerer den Arbeitnehmer über den Übergang seines Arbeitsverhältnisses grundlegend informiert hat, d. h. ihn unter Mitteilung des (geplanten) Zeitpunkts sowie des Gegenstands des Betriebsübergangs und des Betriebsübernehmers in Textform unterrichtet sowie über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB belehrt hat. Arbeitet der Arbeitnehmer daraufhin ___________ 52) 53) 54) 55)

S. nur BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung. BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, BAGE 157, 317 = ZIP 2017, 1129. BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 8 AZR 612/15, BAGE 157, 317 = ZIP 2017, 1129. Zuletzt BAG, Urt. v. 21.12.2017 – 8 AZR 700/16, AP BGB § 613a Nr. 473 = NZA 2018, 854. 56) BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, AP BGB § 613a Nr. 448 = NZA 2014, 774. 57) BAG, Urt. v. 21.12.2017 – 8 AZR 700/16, AP BGB § 613a Nr. 473 = NZA 2018, 854; BAG, Urt. v. 24.8.2017 – 8 AZR 265/16, ZIP 2018, 193 = AP BGB § 613a Nr. 471, dazu EWiR 2018, 217 (Greiner/Bitzenhofer).

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V. Folgen der fehlerhaften Unterrichtung

einen längeren Zeitraum (regelmäßig sieben Jahre) widerspruchslos beim Erwerber weiter, verwirkt er sein Widerspruchsrecht in aller Regel auch dann, wenn die grundlegende Unterrichtung im Übrigen nicht ordnungsgemäß war. Damit besteht für den Arbeitnehmer sehr lange die Möglichkeit, sich auszusuchen, mit welchem Arbeitgeber sein Arbeitsverhältnis bestanden haben und weiterbestehen soll.58) Ob er sein Widerspruchsrecht tatsächlich ausübt, wird freilich auch davon abhängen, wie sich die Unternehmen des Veräußerers und des Erwerbers nach dem Betriebsübergang wirtschaftlich entwickeln. In der Praxis hoffen Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens in der Krise zwar meist darauf, dass ihr Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs übergeht. Wurde der Veräußerer aber erfolgreich saniert, während sich die wirtschaftliche Lage des Erwerbers später verschlechtert hat oder dem Arbeitnehmer individuelle Verschlechterungen drohen, kann sich ein Arbeitnehmer möglicherweise dann zum Widerspruch veranlasst fühlen. 36

Praxishinweis Ob auf das Widerspruchsrecht verzichtet werden kann oder nicht, ist höchstrichterlich noch ungeklärt, auch wenn das LAG Niedersachsen hierzu vor kurzem die Revision zugelassen hat.59) Sofern es möglich ist, den Arbeitnehmer in der Krise zum Verzicht auf sein Widerspruchsrecht zu bewegen, besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass sich ein solcher Verzicht als nützlich erweisen kann. Der Verzicht darf allerdings selbstverständlich nicht durch Täuschungen oder Drohungen erwirkt werden.

Im Falle mehrerer aufeinanderfolgender Betriebsübergänge kann der Arbeit- 37 nehmer seinen Widerspruch regelmäßig nur gegen den letzten Übergang seines Arbeitsverhältnisses erklären, wenn er über den mit dem letzten und dem vorangegangenen Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses grundlegend unterrichtet wurde und er dem vorangegangenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht „fristgerecht“ innerhalb eines Monats widersprochen hat.60) Außerdem muss diese Monatsfrist noch vor dem weiteren Betriebsübergang ablaufen.61) Hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zeitnah wider- 38 sprochen und stellt sich danach heraus, dass das Unterrichtungsschreiben fehlerhaft war, kommt unter den Voraussetzungen auch die Anfechtung des einmal erklärten Widerspruchs in Betracht. Hierzu werden regelmäßig die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB vorliegen müssen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das Unterrichtungsschreiben erkennbar in der Absicht formuliert wurde, den Arbeitnehmer zum Widerspruch gegen den ___________ 58) Instruktiv zum „nachträglichen“ Widerspruchsrecht Steffan, NZA 2016, 608. 59) LAG Niedersachsen, Urt. v. 5.2.2018 – 8 Sa 831/17, ZIP 2018, 2088 = NZA-RR 2018, 411. 60) BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, BAGE 153, 296 = ZIP 2016, 990, dazu EWiR 2016, 447 (Wolff). 61) BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, BAGE 153, 296 = ZIP 2016, 990.

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§ 20 Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB bei Krisenunternehmen

Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu bewegen.62) Darüber hinaus sind die Voraussetzungen für arglistiges Handeln aber auch bereits dann erfüllt, wenn der Unterrichtende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt oder für möglich hält und wenn er die Vorstellung hat, die unrichtige Unterrichtung könne möglicherweise für die Entscheidung des Arbeitnehmers über die Ausübung des Widerspruchsrechts von Bedeutung sein.63) 39 Darüber hinaus kann eine unterbliebene oder fehlerhafte Unterrichtung zu Schadensersatzansprüchen der Arbeitnehmer führen, denn die Unterrichtungspflicht des § 613a Abs. 5 BGB ist echte Rechtspflicht.64) Dass und in welcher Höhe ihm infolge der mangelhaft erfüllten Unterrichtungsverpflichtung ein Schaden entstanden ist, hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen.65) Hatte der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht verwirkt, kann er jedoch nicht verlangen, wirtschaftlich so gestellt zu werden, als ob er sein Widerspruchsrecht wirksam ausgeübt hätte.66) Er kann damit weder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer im Wege der Naturalrestitution67) noch die Entschädigung in Geld für den Verlust des Arbeitsplatzes oder wegen anderer Nachteile68) verlangen. Dem Arbeitnehmer, der sein Widerspruchsrecht verwirkt hat, faktisch eine weitere Widerspruchsmöglichkeit oder ein wirtschaftliches Äquivalent einzuräumen, liegt nicht im Schutzzweck des Schadenersatzrechts.69) VI.

Prozessuale Lage

40 Die Erfüllung der Unterrichtungsverpflichtung ist gerichtlich voll überprüfbar.70) Dabei sind Veräußerer und Erwerber für die Erfüllung der Unterrichtungspflicht

___________ 62) BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 220/11, ZIP 2012, 1144 = AP Nr. 16 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2012, 477 (Greiner). 63) Vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, § 123 Rz. 11 m. w. N. 64) S. nur BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, ZIP 2008, 987 = AP Nr. 2 zu § 613a BGB Unterrichtung. 65) S. nur BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, ZIP 2008, 987 = AP Nr. 2 zu § 613a BGB Unterrichtung. 66) BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07, ZIP 2009, 2310 = AP Nr. 6 zu § 613a BGB Widerspruch; BAG Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 262/07, ZIP 2009, 2310 = NZA 2009, 1149. 67) Hierzu BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07, ZIP 2009, 2310 = AP Nr. 6 zu § 613a BGB Widerspruch. 68) BAG, Urt. v. 9.12.2010 – 8 AZR 592/08, Rz. 31, juris; BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 262/07, ZIP 2009, 2310 = NZA 2009, 1149. 69) BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 220/07, ZIP 2009, 2310 = AP Nr. 6 zu § 613a BGB Widerspruch. 70) S. nur BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung; BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 808/07, AP Nr. 4 zu § 613a BGB Unterrichtung = NZA 2009, 547.

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VI. Prozessuale Lage

darlegungs- und beweispflichtig. Es greift jedoch folgende abgestufte Verteilung der Darlegungslast nach § 138 Abs. 3 ZPO ein:71) x

Genügt die Unterrichtung zunächst formal den gesetzlichen Anforderungen und ist sie nicht offensichtlich, d. h. aus sich heraus,72) fehlerhaft, so ist es Sache des Arbeitnehmers, der sich auf die Unzulänglichkeit der Unterrichtung beruft, einen behaupteten Mangel näher darzulegen.73)

x

Der Arbeitgeberseite obliegt dann die Entkräftung der Einwände des Arbeitnehmers durch entsprechende Darlegungen und Beweisangebote.

___________ 71) S. nur BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung; BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, ZIP 2008, 987 = AP Nr. 2 zu § 613a BGB Unterrichtung (st. Rspr.). 72) Hierzu Lingemann, NZA 2012, 546. 73) S. nur BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, AP Nr. 15 zu § 613a BGB Unterrichtung; BAG, Urt. v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, ZIP 2008, 987 = AP Nr. 2 zu § 613a BGB Unterrichtung (st. Rspr.).

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

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Übersicht I. II. III. 1. 2.

3.

4.

Einführung......................................... 1 Rechtsquellen .................................... 5 Art. 13 EuInsVO ............................... 7 Anwendungsbereich........................... 7 Voraussetzungen .............................. 14 a) Arbeitsvertrag/Arbeitsverhältnis......................................... 14 b) Relevanter Zeitpunkt ................ 15 c) „Ausschließliche Geltung“........ 16 Rechtsfolge ....................................... 17 a) Verweis auf allgemeines Kollisionsrecht........................... 17 b) Internationales Arbeitsrecht..... 18 aa) Rom I-VO und EGBGB ........... 18 bb) Das Arbeitsvertragsstatut ......... 19 c) Reichweite der Sonderanknüpfung.................................... 23 Arbeitsvertragsstatut – Einzelfälle .... 25

a) Beendigung des Arbeitsverhältnisses.................................... 25 b) Betriebsübergang....................... 27 c) Kollektives Arbeitsrecht, insbesondere Betriebsverfassungsrecht ............................. 28 d) Betriebliche Altersversorgung .... 29 5. Insolvenzstatut – Einzelfälle ........... 30 a) Insolvenzgeld............................. 30 b) Lohnforderungen/Sozialplanansprüche/Rangfragen .............. 31 aa) Grundsatz .................................. 31 bb) Änderungen bzgl. des Rangs der Arbeitnehmerforderungen durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ..... 33 c) Pfändungsschutz ....................... 37 IV. § 337 InsO ........................................ 38

Literatur: Beck, Verteilungsverfahren im Verhältnis zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2007, 1; Braun/Wierzioch, Neue Entwicklungen beim Insolvenzgeld, ZIP 2003, 2001; Falder, Geschäftsführer bei Auslandsgesellschaften – Geschäftsführer ausländischer Tochtergesellschaften – leitende Angestellte nach deutschem Arbeitsrecht?, NZA 2000, 868; Göpfert/Müller, Englisches Administrationsverfahren und deutsches Insolvenzarbeitsrecht, NZA 2009, 1057; Liebmann, Der Schutz des Arbeitnehmers bei grenzüberschreitenden Insolvenzen, 2005; Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Paulus, EuInsVO: Änderungen am Horizont und ihre Auswirkungen, NZI 2012, 297; Riesenhuber, Die konkludente Rechtswahl im Arbeitsvertrag, DB 2005, 1571; Schall, Das Kornhaas-Urteil gibt grünes Licht für die Anwendung des § 64 GmbHG auf eine Limited mit Sitz in Deutschland – Alles klar dank EuGH!, ZIP 2016, 289; Schlachter, Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse, NZA 2000, 57; Schmidt, Eurofood – Eine Leitentscheidung und ihre Rezeption in Europa und den USA, ZIP 2007, 405; Schneider, Einfluss der Rom I-VO auf die Arbeitsvertragsgestaltung mit Auslandsbezug; NZA 2010, 1380; Vallander, Die Insolvenz von Scheinauslandsgesellschaften, ZGR 2006, 425; Wenner, Die Reform der EuInsVO – Ein Verriss, ZIP 2017, 1137.

I.

Einführung

In der wirtschaftsrechtlichen Praxis gewinnen das internationale Insolvenzrecht 1 und das internationale Arbeitsrecht durch die zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft stetig an Bedeutung.1) ___________ 1) Wenner/Schutser in: FK-InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 3; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 1; Haarmeyer/Wutzke/Förster-Albrecht/Karahan, InsO, § 335 Rz. 13; Undritz in: HambKomm-InsR, Vor § 335 InsO Rz. 1; bereits Schlachter, NZA 2000, 57.

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

2 Aus arbeitsrechtlicher Sicht stellen sich bei Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug eine Reihe von Fragen, entscheidet sich doch mit der geltenden Rechtsordnung, ob und wieweit etwa die deutschen Arbeitnehmerschutzvorschriften oder die Erleichterungen insbesondere nach §§ 113, 125 InsO Anwendung finden können.2) 3 Wird die Entscheidung, welche Rechtsordnung für die Regelung von Arbeitsverhältnissen mit Auslandsberührung zuständig sein soll, grundsätzlich nach den Bestimmungen des internationalen Arbeitsrechts getroffen,3) so beantwortet das internationale Insolvenzrecht alle Rechtsfragen, die sich aus grenzüberschreitenden Sachverhalten in Insolvenzfragen ergeben.4) 4 Allgemeiner kollisionsrechtlicher Grundsatz des internationalen Insolvenzrechts ist die Universalität, wonach grundsätzlich das Recht des Eröffnungsstaats maßgeblich ist, lex fori concursus,5) vgl. Art. 7 EuInsVO, § 335 InsO.6) Wegen der oftmals existentiellen Bedeutung für den Arbeitnehmer werden jedoch Arbeitsverhältnisse über Sonderkollisionsnormen als Schutznormen für Arbeitnehmer (Art. 13 Abs. 1 EuInsVO, § 337 InsO) dem Recht des Arbeitsorts (lex causae), also dem Arbeitsvertragsstatut unterstellt.7) II.

Rechtsquellen Zum deutschen autonomen Internationalen Insolvenzrecht: BAG Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, BeckRS 2013, 67590 = DB 2013, 1421

5 Wesentliche Rechtsquellen sind somit einerseits EuInsVO, die als Verordnung der EU in Deutschland unmittelbar gilt und zu der regelungstechnisch der Art. 102 ___________ 2) Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057. 3) Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. ROM I-VO Rz. 1 ff.; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/ Kalb, ArbR, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 1; Schlachter, NZA 2000, 57. 4) Wenner/Schuster in: FK-InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 3, 8; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 1; Haarmeyer/Wutzke/Förster-Albrecht/Karahan, InsO, § 335 Rz. 5, 13. 5) Uhlenbruck-Lüer/Knof, InsO, Vor §§ 335 – 358 Rz. 8, § 335 Rz. 6; Schmerbach in FK-InsO, § 3 Rz. 59; Thole in: MünchKomm-InsO, Art. 16 EuInsVO Rz. 3; Haarmeyer/Wutzke/ Förster-Albrecht/Karahan, InsO, Vor § 335 Rz. 31 ff. 6) Die Neufassung der EuInsVO 2015 – Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015 – bringt für die Regelung über das anwendbare Recht keine materiellen Änderungen. Der neue Art. 7 EuInsVO entspricht dem bisherigen Art. 4 EuInsVO 2000, so dass auf bisherige Kommentierungen auch noch nach dem 26.6.2017 zurückgegriffen werden kann, vgl. etwa Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 4 EuInsVO Rz. 31; Reinhart in MünchKommInsO, Art. 7 EuInsVO 2015; Parzinger, NZI 2016, 63, 66. 7) RegE Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BT-Drucks. 15/16; BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312, dazu EWiR 2013, 49 (Knof/Stütze); BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, BeckRS 2013, 67590 = DB 2013, 1421; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Vor §§ 335 ff. Rz 9 ff., 21, § 337 Rz. 1, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 1; Dornblüth in: HK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 1; Haarmeyer/ Wutzke/Förster-Albrecht/Karahan, InsO, § 337 Rz. 8; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 1, 7; Uhlenbruck-Lüer/Knof, InsO, § 337 Rz. 1, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 1; allgemein zum Arbeitsrecht als Schutzrecht des Arbeitnehmers Preis, ArbR, § 1 I.

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III. Art. 13 EuInsVO

§§ 1 – 11 EGInsO für bis zum 25.6.2017 eröffnete Verfahren bzw. ab dann der Art. 102c EGInsO §§ 1 – 26 gehört. Anderseits das deutsche autonome Insolvenzrecht der §§ 335 ff. InsO.8) Die EuInsVO beansprucht Geltung in allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnah- 6 me Dänemarks und verdrängt – soweit der Anwendungsbereich eröffnet wird – das deutsche autonome Insolvenzrecht. Dessen Anwendungsbereich wird daher zumindest für arbeitsrechtliche Sachverhalte entsprechend stark beschränkt auf Insolvenzverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO.9) III.

Art. 13 EuInsVO10)

1.

Anwendungsbereich Zum Center of Main Interest: EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I-03813 = ZIP 2006, 907 EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10 (Rastelli), ZIP 2012, 183 = NZI 2012, 147 Zu §§ 113, 125 InsO: BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312

Die EuInsVO normiert das supranationale europäische Insolvenzrecht für grenz- 7 überschreitende Insolvenzverfahren in den EU-Mitgliedstaaten. Gemäß Art. 7 Abs. 1 EuInsVO gilt grundsätzlich für das Insolvenzverfahren und seine Wirkung das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird. Nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Center of Main Interest); siehe auch § 22 Rz. 4 ff. [Tresselt/v. Medem].11) Mit dem BAG12) ist von den Gerich___________ 8) Art. 5 des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts v. 14.3.2003, BGBl. I 2003, 345 – 351, zuletzt geändert durch Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren v. 5.6.2017, BGBl. I 2017, 1476; vgl. Kindler in: MünchKomm-BGB, Vorbem. zur EGInsO Rz. 1 f.; Braun/Wierzioch, ZIP 2003, 2001, 2005. 9) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, BeckRS 2013, 67590 = DB 2013, 1421; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Vor Art. 1 EuInsVO Rz. 27, Vor §§ 335 ff. Rz. 3 und Rz. 22 ff.; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Vor §§ 335 Rz. 2; Haarmeyer/Wutzke/Förster-Albrecht/ Karahan, InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 8 und § 335 Rz. 7a; Uhlenbruck-Lüer/Knof, InsO, Vor §§ 335 – 358 Rz. 5; Vallander, ZGR 2006, 425, 428. 10) S. hierzu auch § 22 [Tresselt/v. Medem]. 11) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I-03813 = ZIP 2006, 907; dazu Schmidt, ZIP 2007, 405; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10 (Rastelli), ZIP 2012, 183 = NZI 2012, 147, m. Anm. Mankowski, dazu EWiR 2012, 87 (Paulus); Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057; Paulus, NZI 2012, 297, 299; auch daran hat die Reform der EuInsVO trotz Kritik nichts geändert, der EuGH sieht dies insbesondere als mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar an, EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – Rs. C-594/14 (Kornhaas), ZIP 2015, 2468, 2470, dazu EWiR 2016, 67 (Schulz); Schall, ZIP 2016, 289. 12) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312.

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

ten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen, wenn und soweit ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, bei dem der Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens i. S. der EuInsVO anhängig gemacht wird, seine Zuständigkeit bejaht und ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hat, sofern kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet und die Anwendungsvoraussetzungen der ordre-public-Klausel des Art. 33 EuInsVO nicht erfüllt sind. 8 Verrichten Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat des Hauptinsolvenzverfahrens ihre Arbeit, liegt häufig eine Niederlassung i. S. des Art. 2 lit. h EuInsVO vor, wodurch gemäß Art. 3 Abs. 2 EuInsVO die Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens begründet wird. Dies führt wiederum zu einem Gleichlauf zwischen dem Recht des Arbeitsorts und dem auf das Sekundärinsolvenzverfahren anwendbaren Recht, Art. 35 EuInsVO.13) 9 Art. 13 EuInsVO14) erklärt als „Schutznorm für Arbeitnehmer“ abweichend von Art. 7 EuInsVO (lex fori concursus), dass für die Wirkung des Insolvenzverfahrens auf den Arbeitsvertrag oder auf ein Arbeitsverhältnis nicht das Recht des Staats der Verfahrenseröffnung, sondern ausschließlich nach der für den Arbeitsvertrag und das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Rechtsordnung (lex causae) das sog. Arbeitsvertragsstatut des betreffenden EU-Mitgliedstaats maßgeblich ist.15) 10 Um zu vermeiden, dass ein Sekundärinsolvenzverfahren ausschließlich zu dem Zweck eingeleitet wird, einen stärkeren Kündigungsschutz herbeizuführen, wurde i. R. der Neufassung der EuInsVO mit Absatz 2 zu dem i. Ü. unveränderten Art. 13 EuInsVO (Art. 10 EuInsVO 2000) eine Regelung eingefügt, der eine spezialgesetzliche Zuständigkeitsvorschrift enthält, wenn es für die Beendigung oder Änderung des Arbeitsverhältnisses nach dem anwendbaren Arbeitsrecht der Zustimmung des Insolvenzgerichts oder des ArbG bedarf. Danach verbleibt die Zuständigkeit für etwaig notwendige Zustimmung bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, so dass die bloße Möglichkeit genügt.16) 11 Nach dem Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 2 gilt die Zuständigkeitsregelung auch dann, wenn anstelle eines Gerichts eine Behörde für die Zustimmung zur Beendigung ___________ 13) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 1. 14) Art. 13 Abs. 1 EuInsVO 2015 entspricht wörtlich Art. 10 EuInsVO a. F., auch materielle Änderungen gab es nicht, so dass insoweit für die Auslegung auch auf die Kommentierungen zu Art. 10 EuInsVO a. F. zurückgegriffen werden kann, vgl. Reinhart in: MünchKommInsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 1; Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 5. 15) Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 1; Wenner/Schuster in: FK InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 1; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 1; Kemper in: KPBInsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 1; Bork in: KPB-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 15. 16) Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 4; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 8 ff.; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 7; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 3 f.; Wenner, ZIP 2017, 1137 ff., 1138.

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III. Art. 13 EuInsVO

oder Änderung von Arbeitsverträgen zuständig ist. Der Wortlaut, Kontext und der entsprechende ErwG 72 Satz 2 sprechen deutlich dafür, dass hiervon auch Zustimmungsvorbehalte erfasst werden, die ihren Ursprung nicht in der Insolvenz haben, wie etwa Mutterschutz, Schwerbehindertenschutz oder den allgemeinen Kündigungsschutz bei Massenentlassungen.17) 12

Praxishinweis Für das Schicksal des Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich stets das Recht des Arbeitsorts maßgebend.

Untersteht der Arbeitsvertrag bzw. das Arbeitsverhältnis dem Recht eines Dritt- 13 staats, ist nicht Art. 13 EuInsVO, sondern mit der wohl h. M. das jeweilige autonome Kollisionsrecht, daher – sofern der Staat der Verfahrenseröffnung Deutschland ist – § 337 InsO anwendbar.18) 2.

Voraussetzungen

a)

Arbeitsvertrag/Arbeitsverhältnis Zum europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff: EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – Rs. 66/85 (Lawrie-Blum), Slg. 1986, 2121 EuGH, Urt. v. 23.3.2004 – Rs. C-138/02 (Collins/Secretary of State for Work and Pensions), Slg. 2004, I-2703 = AP Nr. 14 zu Art. 39 EG

Die Begriffe „Arbeitsvertrag“ und „Arbeitsverhältnis“ sind inhaltlich identisch. 14 Die Auslegung erfolgt nach h. M. autonom im Lichte der Europäischen Verordnungen und Richtlinien. Dies folgt bereits aus dem Gedanken der Rechtseinheit innerhalb der Union. Entsprechend ist Maßstab die Rechtsprechung des EuGH.19) Hiernach besteht das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung er___________ 17) Vgl. auch Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 5; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 5; Dornblüth in: HK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 6; a. A.: Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 11, da die EuInsVO insoweit weder das anwendbare Recht noch die Zuständigkeit regelt. 18) Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 12; Swierczok in: HK-InsO, § 337 Rz. 5 – „allseitige Kollisionsnorm“; Nerlich/Römermann-Nerlich/Hübler, InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 10 – „qualifizierter Binnenmarktbezug“; Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 13 EuInsVO Rz. 10; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 5 – jeweils m. w. N. zum Meinungsstreit; Bork in: KPB-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 16; vgl. auch Beck, NZI 2007, 1, 5; für den lex fori concursus und einen Günstigkeitsvergleich etwa Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 24 19) Braun-Josko de Marx InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 7; Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 7 m. w. N.; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 2; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1059; Liebmann, Schutz des Arbeitnehmers, S. 180; a. A. Kemper in: KPB-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 5; anders jetzt Bork in: KPB-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 6.

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

hält.20) Daher fallen auch Arbeitsverträge/Arbeitsverhältnisse mit Auszubildenden, Teilzeitbeschäftigten und Scheinselbständigen in den Anwendungsbereich des Art. 13 EuInsVO, nicht hingegen Verträge mit Personen, die selbständige, unabhängige und weisungsungebundene Dienstleistungen erbringen. Da die Auslegung autonom erfolgt, kommt es nicht darauf an, ob das Vertragsverhältnis nach dem Insolvenzstatut oder nach dem Arbeitsvertragsstatut als Arbeitsverhältnis eingeordnet wird.21) b)

Relevanter Zeitpunkt

15 Nach h. M. ist Art. 13 EuInsVO nur auf Arbeitsverträge/Arbeitsverhältnisse anwendbar, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits abgeschlossen waren, so dass die Anwendbarkeit des Art. 13 EuInsVO im Umkehrschluss ausscheidet, sofern ein Arbeitsvertrag erst i. R. des eröffneten Insolvenzverfahrens mit dem Insolvenzverwalter abgeschlossen wird.22) c)

„Ausschließliche Geltung“

16 Der Begriff „ausschließlich“ in Art. 13 Abs. 1 EuInsVO verdeutlicht lediglich, dass eine kumulative oder alternative Anknüpfung an die lex fori concursus nicht stattfindet.23) 3.

Rechtsfolge

a)

Verweis auf allgemeines Kollisionsrecht

17 Art. 13 Abs. 1 EuInsVO verweist auf das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Die Vorschrift legt als Sonderkollisionsnorm zu Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. e EuInsVO das anwendbare Recht nicht selbst fest, sondern gibt lediglich den Weg über das allgemeine Kollisionsrecht zur Anwendung des Rechts des Mitgliedstaats frei, das nach dem internationalen Privatrecht anzuwenden ist. Das Recht des Staats, dem das Arbeitsverhältnis unterliegt, soll

___________ 20) EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – Rs. 66/85 (Lawrie-Blum), Rz. 17, Slg. 1986, 2121 = NJW 1987, 1138 (LS); EuGH, Urt. v. 23.3.2004 – Rs. C-138/02 (Collins/Secretary of State for Work and Pensions), Rz. 26, Slg. 2004, I-2703 = AP Nr. 14 zu Art. 39 EG. 21) Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 7; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 5. 22) Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 8 m. w. N.; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 3; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 6; a. A. Pannen-Dammann, EuInsVO, Art. 10 Rz. 7. 23) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312; Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 15; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 21; Bork in: KPB-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 10.

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III. Art. 13 EuInsVO

auch die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diese Rechtsbeziehung bestimmen.24) b)

Internationales Arbeitsrecht

aa)

Rom I-VO und EGBGB

Das sog. „Internationale Arbeitsrecht“ innerhalb der europäischen Union wird 18 seit dem 17.12.2009 maßgeblich von den Art. 3, 8 und 9 der VO 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, sog. Rom I-VO bestimmt, Art. 29 Abs. 2 i. V. m. Art. 28 Rom I-VO.25) Zu diesem Zeitpunkt sind die Art. 27, 30 und 34 EGBGB außer Kraft getreten;26) sie gelten aber weiterhin für Arbeitsverträge, die vor dem 17.12.2009 geschlossen wurden. Mangels Übergangsvorschriften werden daher für einen längeren Zeitraum zwei kollisionsrechtliche Systeme nebeneinander bestehen bleiben. Die inhaltlichen Änderungen sind freilich marginal.27) Aus diesem Grund werden folgend auch die Parallelvorschriften mitzitiert. bb)

Das Arbeitsvertragsstatut

Die Festlegung des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren materiellen Rechts 19 kann entsprechend der Rechtswahl der Parteien gemäß Art. 3 Rom I-VO/Art. 27 EGBGB (subjektive Anknüpfung) oder durch objektive Anknüpfung gemäß Art. 8 Rom I-VO/Art. 30 Abs. 2 EGBGB erfolgen.28) Die Rechtswahl kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen, maßgeb- 20 lich ist der Parteiwille.29) Die Rechtswahlklausel muss jedoch erkennen lassen, welches fremde Recht gewählt wurde; Lässt sich der reale Parteiwille nicht bestimmen, so führen Unklarheiten zur Unwirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung und die maßgebliche Rechtsordnung ist „objektiv“ zu bestimmen, wobei das objektiv ___________ 24) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312; BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, BeckRS 2013, 67590 = DB 2013, 1421; Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 1. 25) Die Verordnung gilt nicht in Dänemark. Dieser Staat wendet weiter das EVÜ an, wohingegen die Gerichte der Mitgliedstaaten auch in Fällen mit Bezug zu Dänemark wegen Art. 2 Rom I-VO ab 17.12.2009 diese Verordnung anwenden, Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 1 ff., 3; Schneider, NZA 2010, 1380, 1381. 26) Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 v. 25.6.2009, BGBl. I 2009, 1574. 27) Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 3; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 1; Palandt-Thorn, BGB, Vorbem. Rom I-VO Rz. 1; Schneider, NZA 2010, 1380, 1381. 28) Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 5; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 11; Schlachter, NZA 2000, 57, 58. 29) BAG, Urt. v. 10.4.2013 – 2 AZR 741/13, AP Nr. 8 zu § 20 GVG = BB 2014, 2228; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.10.2002 – 11 Sa 49/02, LAGE Nr. 6 zu Art. 30 EGBGB = BB 2003, 901; Riesenhuber, DB 2005, 1571.

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

anwendbare Recht wiederum gemäß Art. 9 Rom I-VO/Art. 34 EGBGB und gemäß Art. 21 Rom I-VO/Art. 6 EGBGB durch den order public korrigiert wird.30) 21 Die Rechtswahl beim Arbeitsvertrag darf gemäß Art. 8 Rom I-VO/Art. 30 Abs. 1 EGBGB allerdings nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch zwingende Bestimmungen des Rechts gewährt wurde, das nach Art. 8 Rom I-VO/Art. 30 Abs. 2 EGBGB ohne Rechtswahl anzuwenden wäre. Fehlt eine Rechtswahl oder ist diese unwirksam, so knüpft Art. 8 Rom I-VO/Art. 30 Abs. 2 EGBGB objektiv zunächst an den gewöhnlichen Arbeitsort – lex loci laboris – an, wobei de EuGH diesen Begriff autonom und weit auslegt.31) An die einstellende Niederlassung (Betriebsteil, Betriebsstätte) wird demgegenüber dann angeknüpft, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in einem bestimmten Staat verrichtet, so dass die Arbeitsleistung keinen territorialen Schwerpunkt in einem bestimmten Staat aufweist.32) 22 Arbeitsort oder einstellende Niederlassung sind aber nur dann verbindlich (Art. 8 Rom I-VO/Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 EGBGB), wenn feststeht, dass keine engeren Verbindungen zu einem anderen Staat bestehen (Ausweichstatut).33) Als objektive Anknüpfungskriterien kommt nach der Rechtsprechung des BAG und der Instanzgerichte neben dem Erfüllungsort i. R. einer Gesamtbetrachtung etwa x

der Sitz des Arbeitgebers,

x

die Vertragssprache,

x

die Währung, in der Vergütung bezahlt wird und

x

der Ort des Vertragsschlusses

in Betracht.34) ___________ 30) Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 5; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 6, 16 f. – vorrangig sind damit insbesondere die Regelungen des AEntG, der Art. 23, 9 Rom I-VO sowie ErwG 34 zur Rom I-VO; Oetker in: Münch-AHB ArbR, § 13 Rz. 17, 35 ff. 31) EuGH, Urt, v. 15.12.2011 – Rs. C-384/10 (Voogsgeerd), ZIP 2012, 143, dazu EWiR 2012, 109 (Mankowski) – zu Art. 6 des Europäischen Schuldvertragsübereinkommen; BAG, Urt. v. 20.4.2004 – 3 AZR 301/03, NZA 2005, 297 = EZA Nr. 2 zu § 29 ZPO 2002; Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 9 ff.; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 18 f.; Oetker in: Münch-AHB ArbR, § 13 Rz. 36; Riesenhuber, DB 2005, 1571. 32) Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 9 ff.; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, ArbR, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 18; Oetker in: Münch-AHB ArbR, § 13 Rz. 42. 33) Schlachter in: ErfK, Art. 3 ff. Rom I-VO Rz. 17; Oetker in: Münch-AHB ArbR, § 13 Rz. 45 ff. 34) BAG, Urt. v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, NZA 1990, 841 = EZA Nr. 1 zu Art. 30 EGBGB; BAG, Urt. v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, ZIP 1993, 850 = NZA 1993, 743; BAG, Urt. v. 11.12.2003 – 2 AZR 627/02, BB 2004, 1393 = EZA Nr. 7 zu Art. 30 EGBGB; ebenso LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.10.2002 – 11 Sa 49/02, LAGE Nr. 6 zu Art. 30 EGBGB = BB 2003, 901; LAG Berlin, Urt. v. 20.7.1978 – 9 Sa 74/97, NZA-RR 1998, 555; Preis, ArbR, § 14 III Rz. 516 ff.; Dörner in: Dörner/Luzcak/Wildschütz/Baeck/Hoß, HdB ArbR., Kap. 1 F. III.; Falder, NZA 2000, 868 – zur Geschäftsführung bei Auslandsgesellschaften.

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III. Art. 13 EuInsVO

c)

Reichweite der Sonderanknüpfung

Die Sonderanknüpfung für das Arbeitsvertragsstatut gilt ausschließlich für die 23 Wirkung des Insolvenzverfahrens auf die Fortsetzung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Rechte und Pflichten aller an dem Arbeitsverhältnis beteiligten Parteien. Demgegenüber unterliegen Insolvenzprobleme, die nicht mit den Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf das Arbeitsverhältnis zusammenhängen, allein dem Insolvenzstatut. 24

Praxishinweis Ferner ist das Insolvenzstatut auch insoweit maßgeblich, als es um Ansprüche eines Arbeitgebers geht, die infolge seines Tätigwerdens auf Verlangen des Insolvenzverwalters entstanden sind.35)

4.

Arbeitsvertragsstatut – Einzelfälle

a)

Beendigung des Arbeitsverhältnisses Zu §§ 113, 125 InsO: BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312

Soll nach alledem ein in Deutschland gelegener Betrieb durch einen ausländischen 25 Insolvenzverwalter veräußert werden, sind grundsätzlich auch die Kündigungsvorschriften deutschen Rechts einschließlich der vereinfachten Möglichkeiten, sich im Insolvenzfall von dem Arbeitsverhältnis zu lösen, anwendbar.36) Das BAG hat Folgendes klargestellt.37)

26

x

Klagen gegen Kündigungen, die ein Insolvenzverwalter i. S. der EuInsVO in Deutschland und nach deutschem Recht erklärt hat, sind auch dann keine Annexverfahren i. S. des Art. 6 EuInsVO (Art. 3 EuInsVO 2000), wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 125 InsO und mit der kurzen Frist des § 113 InsO erklärt worden sind. Für solche Verfahren bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO und nicht nach der EuInsVO.

x

Auf die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Deutschland durch einen englischen Administrator sind die §§ 113, 125 InsO anwendbar. Mit dem BAG gebietet bei grenzüberschreitenden Insolvenzen, bei denen deutsches Arbeitsrecht aufgrund der Regelung in Art. 13 EuInsVO (Art. 10 EuInsVO 2000) anwendbar ist und bei denen ein Verwalter i. S. von Art. 2 Nr. 5

___________ 35) Zur Wirkung und Reichweite insbesondere ErwG 72. 36) Braun-Josko de Marx, InsO Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 13 f.; Undritz in: HambKommInsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 3 m. w. N.; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 6; Zwanziger, ArbR der InsO, Einf. Rz. 51; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1060. 37) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312.

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481

§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

EuInsVO (Art. 2 lit. b EuInsVO 2000) mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste schließt, die Anerkennungswirkung des Art. 3 i. V. m. Art. 19 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 EuInsVO (Art. 3 i. V. m. Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 EuInsVO 2000) sowie der die Anerkennungswirkung des Hauptinsolvenzverfahrens vervollständigende Art. 21 Abs. 1 EuInsVO (Art. 18 Abs. 1 EuInsVO 2000) die unionskonforme Auslegung des § 125 InsO. Handelt ein solcher Verwalter in der vom Insolvenzrecht des Staats der Verfahrenseröffnung vorgesehenen Weise für den Schuldner, ist er als Insolvenzverwalter i. S. des § 125 InsO anzusehen. Daher kann ein Administrator nach englischem Recht mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich i. S. des § 125 InsO für den von ihm vertretenen Schuldner schließen. b)

Betriebsübergang

27 Der Übergang eines Arbeitsverhältnisses i. R. eines Betriebsübergangs unterfällt dem Arbeitsvertragsstatut. Denn insbesondere die Bestimmung über Betriebsänderung oder Betriebsübertragung im Sanierungsverfahren zählen zu den typischen Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf Arbeitsverhältnisse (siehe hierzu § 22 Rz. 43 ff. [Tresselt/v. Medem]).38) c)

Kollektives Arbeitsrecht, insbesondere Betriebsverfassungsrecht

28 Fragen des kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere betriebsverfassungsrechtlicher Art, richten sich nach dem Arbeitsvertragsstatut.39) Liegt der Betrieb im Inland, so ist das BetrVG bereits nach dem Territorialitätsprinzip anwendbar.40) d)

Betriebliche Altersversorgung

29 Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung unterliegen gleichfalls dem Arbeitsvertragstatut.41)

___________ 38) Hierzu ausführlich Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 10; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 3; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 10. 39) Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 14; Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 13; Wenner/Schuster in: FK-InsO, § 337 Rz. 9. 40) BAG, Beschl. v. 22.3.2000 – 7 ABR 34/98, NZA 2000, 1119 = AP Nr. 8 – zu § 14 AÜG; Fitting, BetrVG, § 1 Rz. 13; Richardi-Richardi, BetrVG, Einl. BetrVG Rz. 66; Wenner/ Schuster in: FK-InsO, § 337 Rz. 9; auch LAG Hessen, Urt. v. 14.12.2010 – 13 Sa 969/10, ZIP 2011, 289 = NZI 2011, 203, dazu EWiR 2011, 215 (Schmidt). 41) Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 14; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 3; Reinhart in: MünchKomm-InsO, § 337 Rz. 9.

482

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III. Art. 13 EuInsVO

5.

Insolvenzstatut – Einzelfälle

a)

Insolvenzgeld Zum Insolvenzgeld: EuGH, Urt. v. 16.12.1999 – Rs. C-198/98 (Everson/Bell Lines), ZIP 2000, 89 = EuZW 2000, 669 EuGH, Urt. v. 17.9.1997 – Rs. C-117/96 (Mosbaek), Slg. 1997, I-5017 = NZA 1997, 1155

Für Ansprüche auf Insolvenzgeld ist gemäß § 8a der Richtlinie 2002/74/EG die 30 Einrichtung des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der betreffende Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet (vgl. § 165 SGB III). Art. 13 EuInsVO findet insoweit keine Anwendung.42) Nach Rz. 165/24 der Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 165 SGB III43) löst auch ein ausländisches Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld aus, wenn ein inländisches Beschäftigungsverhältnis besteht. b)

Lohnforderungen/Sozialplanansprüche/Rangfragen

aa)

Grundsatz

Für die insolvenzrechtliche Qualifizierung von Lohnforderungen und Sozial- 31 planansprüchen, und daher für ihre Anmeldung, rangmäßige Einordnung etc., greift über Art. 7 EuInsVO weiterhin das Insolvenzstatut. Denn die Frage, welchen Befriedigungsrang die Arbeitnehmerforderungen bei einer Verteilung der Insolvenzmasse einnehmen, ist lediglich eine indirekte Wirkung des Insolvenzverfahrens und als solche nicht von Art. 13 EuInsVO erfasst. 32

Praxishinweis Dies lässt Raum für taktische Überlegungen i. R. einer „gesteuerten Insolvenz“.44)

___________ 42) EuGH, Urt. v. 16.12.1999 – Rs. C-198/98 (Everson/Bell Lines), ZIP 2000, 89 = EuZW 2000, 669, dazu EWiR 2000, 139 (Gagel); EuGH, Urt. v. 17.9.1997 – Rs. C-117/96 (Mosbaek), Slg. 1997, I-5017 = NZA 1997, 1155; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 7; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsvO Rz. 5; Braun-Tashiro, InsO, § 337 Rz. 14; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1062. 43) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen – Insolvenzgeld, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/ dok_ba016429. pdf (Abrufdatum: 27.4.2019). 44) LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.3.2012 – 20 Sa 47/11, BeckRS 2012, 69167; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 4; Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO a. F. Rz. 5; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Art. 13 EuInsVO Rz. 6; Kemper in: KPB-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 9; Bork in: KPB-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 11; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 9; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1062.

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§ 21 Internationales Insolvenzarbeitsrecht

bb)

Änderungen bzgl. des Rangs der Arbeitnehmerforderungen durch die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens

33 Die Frage des Rangs der Arbeitnehmerforderungen richtet sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Durchführung des Sekundärinsolvenzverfahrens beantragt wird. Bei der Frage nach dem Rang von Arbeitnehmerforderungen könnten also unterschiedliche Rechtsordnungen maßgeblich sein. 34 Um dies zu verhindern und um den Anreiz für Arbeitnehmer an anderen europäischen Standorten zu nehmen, die Durchführung eines Sekundärinsolvenzverfahren zu beantragen, hat etwa der High Court of Justice Birmingham in dem Hauptinsolvenzverfahren über den MG Rover-Konzern administration orders für acht europäische Vertriebsgesellschaften des Konzerns erlassen, hierdurch Hauptinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000) eröffnet, um dann auf Antrag der Administratoren supplemental orders zu erlassen, die diese ermächtigten, die Forderungen der Arbeitnehmer der europäischen Vertriebsgesellschaften in demselben Rang zu bedienen, den sie nach dem jeweils anwendbaren nationalen Insolvenzrecht hätten, das gelten würde, wenn in dem jeweiligen Mitgliedstaat ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet würde. Ohne die supplemental orders hätte sich der Rang der Arbeitnehmerforderung gemäß Art. 7 EuInsVO (Art. 4 Abs. 2 lit. g und lit. i EuInsVO 2000) nach dem – für die Arbeitnehmer ggf. nachteiligen – englischen Recht gerichtet, während bei Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 35 EuInsVO (Art. 28 EuInsVO 2000) insoweit das Recht des jeweiligen Mitgliedstaats zur Anwendung gekommen wäre.45) 35

Praxishinweis Vermeidung von Sekundärinsolvenzverfahren durch das „virtuelle“ oder „synthetische“ Sekundärverfahren nach Art. 36 ff. EuInsVO.

36 Diese Gedanken haben nunmehr Aufnahme in die EuInsVO gefunden. Entsprechend einem Ziel der Reform 2015, die Eröffnung von Sekundärinsolvenzen einzudämmen,46) sieht die neue EuInsVO nun drei Ansätze zur Eindämmung von Sekundärinsolvenzverfahren vor, darunter insbesondere das „virtuelle“ oder auch „synthetische“ Sekundärverfahren. Art. 36 ff. EuInsVO sehen nun eine Zusicherung des Verwalters des Hauptverfahrens vor, mit der die Eröffnung eines Sekundärverfahrens vermieden werden kann. Der Verwalter sichert hier zu, die Gläubiger bei der Verteilung der Insolvenzmasse so zu berücksichtigen,

___________ 45) High Court of Justice, Beschl. v. 11.5.2005 – No. 2375 bis 2385/05, NZI 2005, 515, m. Anm. Penzlin/Riedemann; High Court of Justice, Beschl. v. 30.3.2006 – No. 2377/2006, NZI 2006, 416, m. Anm. Mankowski; Undritz in: HambKomm-InsR, Art. 10 EuInsVO Rz. 6; Müller/ Göpfert, NZA 2009, 1057, 1063. 46) ErwG 41 ff.

484

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IV. § 337 InsO

als sei tatsächlich ein Sekundärinsolvenzverfahren in ihrem Mitgliedstaat eröffnet worden, Art. 36 Abs. 1 EuInsVO.47) c)

Pfändungsschutz Zum Pfändungsschutz: BGH, Beschl. v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, ZIP 2017, 1578 = NJW-RR 2017, 1080 – das Insolvenzstatut gilt beim Pfändungsschutz

Die früher sehr umstrittene Frage48) nach der Pfändung von Arbeitseinkommen 37 dürfte mit der o. g. Entscheidung geklärt sein. Da Art. 7 EuInsVO bewusst weit gefasst wurde und die Ausnahmeregelungen in den Art. 8 – 18 EuInsVO explizit bezeichnet wurden, ist hier restriktiv auszulegen, weshalb es für den Pfändungsschutz beim Insolvenzstatut bleibt.49) IV.

§ 337 InsO

§ 337 InsO stellt die Kernnorm des deutschen autonomen internationalen Insol- 38 venzarbeitsrechts dar. Wie oben bereits dargetan (siehe Rz. 6), wird dessen Anwendungsbereich zumindest für arbeitsrechtliche Sachverhalte stark beschränkt auf Insolvenzverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO. Umgekehrt hat das BAG klargestellt, dass außerhalb des „closed-list-system“ der EuInsVO eine Anerkennung des Verfahrens nach dem deutschen autonomen internationalen Insolvenzrecht in Betracht kommt.50) § 337 InsO enthält eine zu Art. 13 EuInsVO fast identische Regelung und ist die- 39 sem nachgebildet. Es kann insoweit auf die obigen Ausführungen unter Rz. 7 ff. verwiesen werden, wobei für den Begriff des Arbeitsverhältnisses maßgeblich auf Art. 30 EGBGB abzustellen ist.51)

___________ 47) Parzinger, NZI 2016, 63, 66 f.; sehr kritisch mit Blick auf das im Einzelnen doch sehr umständliche Verfahren Wenner, ZIP 2017, 1137, 1140 f. 48) Vgl. zum Meinungsstreit die 1. Auflage, § 8 Rz. 32 [Prager/Gulbins] m. umfassenden Nachw. 49) Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 7 EuInsVO Rz. 18. 50) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, BeckRS 2013, 67590 = DB 2013, 1421; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Vor Art. 1 EuInsVO Rz. 27, Vor §§ 335 ff. Rz. 3 und Rz. 22 ff.; Wenner/Schuster in: FK-InsO, Vor §§ 335 Rz. 1; Haarmeyer/Wutzke/Förster-Albrecht/ Karahan, InsO, Vor §§ 335 ff. Rz. 8 und § 335 Rz. 7a; Uhlenbruck-Lüer/Knof, InsO, Vor §§ 335 – 358 Rz. 5 ff.; Vallander, ZGR 2006, 425, 428. 51) RegE Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BT-Drucks. 15/16; Braun-Tashiro, InsO, § 337 Rz. 6; Haarmeyer/Wutzke/Förster-Albrecht/Karahan, InsO, § 337 Rz. 7; Uhlenbruck-Lüer/Knof, InsO, § 337 Rz. 3.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

Tresselt/von Medem

Übersicht I.

Einführung: Art. 13 EuInsVO als „Dreh- und Angelpunkt“ des europäischen Insolvenzarbeitsrechts...... 1 1. Frage- und Problemstellung .............. 1 2. Neufassung der EuInsVO ................. 3 3. Eröffnungszuständigkeit am Centre of Main Interests.................... 4 II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO.................... 6 1. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO als Sonderanknüpfung ............................. 6 2. Normzweck ........................................ 8 3. Tatbestandliche Voraussetzungen...... 10 a) Insolvenzverfahren.................... 11 b) Arbeitsverhältnis ....................... 14 c) Zeitpunkt ................................... 20 4. Sachliche Reichweite: Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis ..... 21 5. Verweis auf das allgemeine Kollisionsrecht.......................................... 23 a) Bestimmung des Arbeitsvertragsstatuts nach der Rom I-VO........................................... 24 aa) Objektive Anknüpfung............. 25 bb) Rechtswahl................................. 26 cc) International zwingende Eingriffsnormen (Art. 9 Rom I-VO)................................ 28 b) Kollisionsrecht bezüglich des kollektiven Arbeitsrechts............. 29 6. Ausschließlichkeit ............................ 30 7. Sonderproblem: Vereinbarung von ausländischem Recht im Arbeitsvertrag .................................. 31 8. Praxisrelevante Fallgruppen aus Sicht des deutschen Rechts: Zur Reichweite des Verweises in Art. 13 Abs. 1 EuInsVO .................. 34 a) Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und Kündigungsmöglichkeiten in der Insolvenz (§§ 108, 113 InsO)..... 36

b) Änderungen des Arbeitsverhältnisses i. R. einer Unternehmenssanierung (§§ 120 – 128 InsO) ................... 40 c) Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf das Arbeitsverhältnis (§ 613a BGB).... 43 aa) Betriebsübergang in der Insolvenz nach der Richtlinie 2001/23/EG ............................... 43 bb) Betriebsübergang in der Insolvenz nach deutschem Recht .......................................... 46 cc) Betriebsübergang in der Insolvenz und Art. 13 Abs. 1 EuInsVO........................ 49 d) Rang der Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis ............... 53 aa) Rangfrage unterliegt lex fori concursus ................................... 53 bb) Auslandsforderungen in einem deutschen Insolvenzverfahren .................................... 54 e) Insolvenzgeld............................. 57 aa) Sonderanknüpfung für das Insolvenzgeld............................. 57 bb) Insolvenzgeld nach ESUG........ 59 III. Internationale Zuständigkeit (Art. 13 Abs. 2 EuInsVO) .............. 61 1. Grund für die Neuregelung ............. 62 2. Niederlassung ................................... 63 3. Zustimmungserfordernis ................. 65 a) Arbeitsvertrag............................ 65 b) Gericht oder Behörde ............... 66 c) Rechtsgrundlage des Zustimmungserfordernisses .......... 67 d) Beispiele aus dem deutschen Recht .......................................... 69 e) Ausschließliche Zuständigkeit ............................................. 70 IV. Sekundärinsolvenzverfahren ......... 71 V. Zusammenfassung .......................... 74

Tresselt/von Medem

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts Literatur: Geißler, Die Ermächtigung des Schuldners im Schutzschirmverfahren nach § 270b Abs. 3 InsO – Systematik und Auswirkungen auf die Insolvenzgeldsicherung, ZInsO 2013, 531; Göpfert/Müller, Englisches Administrationsverfahren und deutsches Insolvenzarbeitsrecht, NZA 2009, 1057; Prager/Gulbins, Im Auslegen seid frisch und munter … Gedanken zu Art. 10 EuInsVO: Insolvenzarbeitsrecht mit europarechtlichem Bezug, in: Festschrift für Bruno M. Kübler, 2015, S. 539; Skauradszun, Die „tatsächlichen Annahmen“ der Zusicherung nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO n. F., ZIP 2016, 1563; Skauradszun, Einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen nach Art. 36 Abs. 9 EuInsVO n. F., KTS 2016, 419; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Dokument des Rates der Europäischen Union 6500/96 LIMITE DRS 8 (CFC), v. 3.5.1996, Rz. 125, abrufbar unter http://aei.pitt.edu/952/1/ insolvency_report_schmidt_1988.pdf (Abrufdatum: 3.6.2019).

I.

Einführung: Art. 13 EuInsVO als „Dreh- und Angelpunkt“ des europäischen Insolvenzarbeitsrechts1)

1.

Frage- und Problemstellung

1 Die weltweite Verflechtung der Unternehmen schreitet stetig voran. Sowohl große Konzerne als auch mittelständische Unternehmen sind nicht nur auf ihrem jeweiligen Heimatmarkt tätig, sondern auch in ausländischen Märkten, und damit auch in ausländischen Rechtsordnungen aktiv. Aus deutscher Sicht sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die zentralen und prozentual bedeutendsten Absatzmärkte.2) 2 Im Falle einer Insolvenz eines grenzüberschreitenden Unternehmens mit mehreren Standorten europa- und ggf. weltweit sind die Gläubiger und sonstigen Stakeholder, d. h. auch die Arbeitnehmer, häufig einem schwer durchschaubaren Geflecht von Konzernunternehmen ausgesetzt und damit auch einer ganzen Reihe von komplexen insolvenzrechtlichen Fragen. Die wichtigste Frage ist dabei zunächst, in welchem Staat und nach welcher Rechtsordnung ein (Haupt-)Insolvenzverfahren eröffnet wird und ob es in anderen Staaten anerkannt wird. Aus Sicht der Arbeitnehmer ist bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren v. a. entscheidend, ob sie nach den Regeln der ihnen vertrauten Rechtsordnung behandelt werden oder ob etwa ein ihnen unbekanntes ausländisches Insolvenzrecht zur Anwendung kommt. 2.

Neufassung der EuInsVO

3 Im Gebiet der Europäischen Union werden diese Fragen durch die EuInsVO3) geregelt. Sie ersetzt die Verordnung (EG) 1346/20004) und findet gemäß Art. 84 ___________ 1) Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Unterstützung des Wissenschaftlichen Mitarbeiters Joachim Glöckler erstellt. 2) Vgl. Statistisches Jahrbuch 2018 des Statistischen Bundesamts, S. 429, abrufbar unter https:// www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/statistisches-jahrbuch-2018dl.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (Abrufdatum: 3.6.2019). 3) Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren – EuInsVO, ABl. (EU) L 141/19 v. 5.6.2015. 4) S. hierzu den entsprechenden § 9 in der 1. Auflage [Tresselt].

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Tresselt/von Medem

I. Einführung: Art. 13 EuInsVO als „Dreh- und Angelpunkt“ des Insolvenzarbeitsrechts

Abs. 1 auf Insolvenzverfahren Anwendung, die ab dem 26.6.2017 eröffnet wurden. Der für das Arbeitsrecht relevante Art. 10 EuInsVO 2000 wurde in Art. 13 Abs. 1 EuInsVO übernommen. Neu eingefügt wurde Art. 13 Abs. 2 EuInsVO, der eine Regelung zur Zuständigkeit enthält, wenn die Beendigung oder Änderung von Arbeitsverträgen der gerichtlichen oder behördlichen Zustimmung bedarf. Weitergehende Änderungen wurden im Bereich des Arbeitsrechts nicht vorgenommen. Die Kommission ging davon aus, dass eine Harmonisierung des stark im nationalen Recht verwurzelten Arbeitsrechts mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre.5) Vor allem aus Sicht der Insolvenzverwaltung muss man zumindest bei großen Konzerninsolvenzen die Frage aufwerfen, ob eine Vereinheitlichung der arbeitsrechtlichen Regeln zielführender wäre als eine Rechtszergliederung auf Ebene der einzelnen von der Insolvenz betroffenen Mitgliedstaaten. Denkbar wäre z. B. gewesen, einzelne Themengebiete aus dem Anwendungsbereich des Art. 13 EuInsVO auszunehmen, etwa die Regelungen zum Betriebsübergang (in Deutschland: § 613a BGB), so dass zumindest auf die Konzerngesellschaften, die ihren jeweiligen COMI im selben Mitgliedstaat haben, dasselbe (Insolvenz-)Arbeitsrecht Anwendung findet.6) 3.

Eröffnungszuständigkeit am Centre of Main Interests

Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bestimmt, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zustän- 4 dig sind, in dem das Unternehmen den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (Centre of Main Interests – COMI)7) hat. Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO enthält eine gegenüber der Vorgängerfassung modifizierte Vermutungsregelung: Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass sich der COMI am eingetragenen Sitz des Unternehmens befindet; die Vermutung greift jedoch nur dann ein, wenn nicht der Sitz in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. Liegt etwa der COMI einer Gesellschaft in Deutschland, dann wird das zu- 5 ständige deutsche Gericht ein Hauptinsolvenzverfahren in Deutschland eröffnen, und zwar auch dann, wenn die Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz in ___________ 5) Vgl. Report from the Commission to the European Parliament, the Council and the European Economic and Social Committee on the application of Council Regulation (EC) No 1346/2000 of 29 May 2000 on insolvency proceedings, COM (2012)743 final v. 12.12.2012, S. 12. 6) Eine einheitliche Anknüpfung beim Betriebsübergang hätte z. B. den Vorteil, dass ein Erwerber beim Kauf eines Geschäftsbereichs – angenommen dieser ist, wie häufig, über mehrere Tochtergesellschaften verteilt – nur mit einem (einheitlichen) Recht konfrontiert wird. 7) Näher zum COMI Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 3 Rz. 10 ff.; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 3 EuInsVO 2000 Rz. 1 ff.

Tresselt/von Medem

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

einem anderen Mitgliedstaat hat.8) Umgekehrt kann es sein, was in der Praxis häufiger vorkommt, dass über das Vermögen einer Gesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz in Deutschland ein Hauptinsolvenzverfahren nach ausländischem Recht, z. B. nach englischem Recht,9) eröffnet wird.10) Das ausländische Hauptinsolvenzverfahren ist in den anderen Mitgliedstaaten, die der EuInsVO unterliegen, unmittelbar und ohne weiteren Rechtsakt anzuerkennen, soweit die Entscheidung des Gerichts nicht gegen den ordre public verstößt (Art. 19, 33 EuInsVO).11) II.

Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

1.

Art. 13 Abs. 1 EuInsVO als Sonderanknüpfung

6 Wird ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in einem Mitgliedstaat eröffnet, dann ist grundsätzlich das Recht dieses Mitgliedstaats auf das Hauptinsolvenzverfahren anzuwenden (Art. 7 Abs. 1 EuInsVO). Aus Sicht der Arbeitnehmer ist in dieser Situation fraglich, ob auch auf die Arbeitsverhältnisse die (regelmäßig) unbekannte Insolvenzrechtsordnung anzuwenden ist, oder ob Sonderregeln gelten. Im europäischen Insolvenzrecht regeln die Art. 8 ff. EuInsVO verschiedene Ausnahmen, in denen nicht das Recht des Eröffnungsstaats anzuwenden ist, sondern jeweils eine Sonderanknüpfung gilt. Für Arbeitsverhältnisse bestimmt Art. 13 Abs. 1 EuInsVO, dass ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats gilt, welches auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist (Arbeitsvertragsstatut). Dies gilt allerdings nur wenn und soweit es sich um die unmittelbaren „Wirkungen“ (effects) des Insolvenzverfahrens auf den Arbeitsvertrag und das Arbeitsverhältnis handelt. Geht es demgegenüber um allgemeine Fragen des Verfahrens, die auch Arbeitsverhältnisse oder den Arbeits___________ 8) AG München, Beschl. v. 4.5.2004 – 1501 IE 1276/04 (Hettlage), ZIP 2004, 962 = NZG 2004, 782, dazu EWiR 2004, 493 (Paulus), wo das Gericht seine Zuständigkeit hinsichtlich einer insolventen österreichischen Tochtergesellschaft einer insolventen deutschen Konzernmutter bejahte. Vgl. aber auch LG Berlin, Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18 (NIKI), ZIP 2018, 140 = NZI 2018, 85, dazu EWiR 2018, 85 (Schmidt), wo das Gericht die Zuständigkeit hinsichtlich einer österreichischen Tochtergesellschaft verneinte und hierzu ausführte, dass an die Widerlegung der Vermutung strenge Anforderungen zu stellen seien. 9) Typischerweise „administration proceedings“ nach dem Insolvency Act 1986, s. hierzu Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1057 ff., sowie die Entscheidung des BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011, dazu EWiR 2013, 49 (Knof/Stütze). 10) So etwa in den internationalen Insolvenzverfahren MG Rover oder Nortel. 11) Ein Verstoß gegen den ordre public wird nur in engen Grenzen angenommen, so bei einem Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens und der Verletzung rechtlichen Gehörs, vgl. AG Nürnberg, Beschl. v. 15.8.2006 – 8004 IN 1326–1331/06 (Brochier), ZIP 2007, 81 = NZI 2007, 185, dazu EWiR 2007, 81 (Duursma-Kepplinger). Einen solchen Verstoß hat das AG Nürnberg zudem angenommen, wenn die in einem englischen Insolvenzverfahren bestellten administrators nicht unabhängig sind sowie auch dann, wenn die Eröffnungsentscheidung auf einer Täuschung beruht.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

vertrag betreffen, dann bleibt es bei der Grundregel des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO und der Anwendung der lex fori concursus. Art. 13 EuInsVO verweist nicht unmittelbar auf das anzuwendende Sachrecht 7 eines anderen Mitgliedstaats, sondern erklärt ein bestimmtes Kollisionsrecht – hier das Arbeitskollisionsrecht – für anwendbar. Der Arbeitnehmer kann daher – auch i. R. eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens – darauf vertrauen, dass dieses Kollisionsrecht angewendet wird.12) Das Kollisionsrecht ist in der EU weitgehend einheitlich in der Rom I-VO13) geregelt. Art. 8 Rom I-VO enthält Regelungen zu Individualarbeitsverträgen. 2.

Normzweck

Die Abweichung von dem Grundsatz der lex fori concursus generalis durch 8 Art. 13 Abs. 1 EuInsVO dient dem Schutz des Arbeitnehmers.14) Der Arbeitnehmer soll vor der Anwendung ausländischer Normen geschützt werden, die ihm in aller Regel unbekannt sind. Das bedeutet umgekehrt, der Arbeitnehmer soll auf die Jurisdiktion vertrauen dürfen, die dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegt. Eine solche Anknüpfung hat auch den Vorteil, dass es zu einem Gleichlauf zwischen arbeitsvertraglichen, sozialversicherungsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Ansprüchen des Arbeitnehmers kommt.15) ___________ 12) Zu Art. 10 EuInsVO 2000 s. Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 9; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 20. 13) Verordnung (EG) 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – Rom I, ABl. (EU) L 177/6 v. 4.7.2008. 14) Dies ergibt sich insbesondere auch aus ErwG 72 der Verordnung: „Zum Schutz der Arbeitnehmer und der Arbeitsverhältnisse sollten die Wirkungen der Insolvenzverfahren auf die Fortsetzung oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie auf die Rechte und Pflichten aller an einem solchen Arbeitsverhältnis beteiligten Parteien durch das gemäß den allgemeinen Kollisionsnormen für den jeweiligen Arbeitsvertrag maßgebliche Recht bestimmt werden. Zudem sollte in Fällen, in denen zur Beendigung von Arbeitsverträgen die Zustimmung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde erforderlich ist, die Zuständigkeit zur Erteilung dieser Zustimmung bei dem Mitgliedstaat verbleiben, in dem sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, selbst wenn in diesem Mitgliedstaat kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Für sonstige insolvenzrechtliche Fragen, wie etwa, ob die Forderungen der Arbeitnehmer durch ein Vorrecht geschützt sind und welchen Rang dieses Vorrecht gegebenenfalls erhalten soll, sollte das Recht des Mitgliedstaats maßgeblich sein, in dem das Insolvenzverfahren (Haupt- oder Sekundärverfahren) eröffnet wurde, es sei denn, im Einklang mit dieser Verordnung wurde eine Zusicherung gegeben, um ein Sekundärinsolvenzverfahren zu vermeiden.“ So auch Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 125; Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 4; Haß/Huber/Gruber/HeiderhoffHuber, EuInsVO, Art. 10 Rz. 1; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 1. 15) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 1.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

9 Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine (theoretisch denkbare) Anknüpfung an die lex fori concursus zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer gegenüber anderen Gläubigergruppen führen könnte. Während z. B. ein gesicherter Gläubiger (finanzierende Bank) auf die „Heimat-Jurisdiktion“ vertrauen dürfte (Schutz des dinglichen Gläubigers über Art. 8 EuInsVO), sähe sich die Gruppe der Arbeitnehmer den Regeln einer fremden (und ggf. nachteiligen) Rechtsordnung ausgesetzt. 3.

Tatbestandliche Voraussetzungen

10 Art. 13 Abs. 1 EuInsVO greift ein, wenn ein Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eröffnet ist (a) und ein Arbeitsverhältnis (b) im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht (c). a)

Insolvenzverfahren

11 Der Anwendungsbereich der EuInsVO muss in sachlicher und räumlicher Hinsicht eröffnet sein. In sachlicher Hinsicht muss es sich um ein „Insolvenzverfahren“ nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Nr. 4 i. V. m. Anhang A der EuInsVO handeln (Closed-List-System). In der Neufassung der Verordnung ist nunmehr durch Art. 1 Abs. 1 EuInsVO eindeutig klargestellt, dass hierunter auch ein vorläufiges Insolvenzverfahren fallen kann.16) 12 In räumlicher Hinsicht gilt die EuInsVO, wenn der COMI des Schuldners in einem Mitgliedstaat der EU – mit Ausnahme von Dänemark – liegt,17) und ein grenzüberschreitender Bezug besteht. 13 Die EuInsVO gilt nicht für europäische Insolvenzverfahren gegenüber Drittstaaten und regelt auch nicht die Anerkennung von in Drittstaaten eröffneten Insolvenzverfahren. Für die Anerkennung von Drittstaaten-Verfahren ist nationales Kollisionsrecht anzuwenden. Soweit ein Auslandsverfahren nach den §§ 335 ff. InsO anzuerkennen ist, richtet sich die Behandlung von Arbeitsverhältnissen nach § 337 InsO, der wiederum auf die Rom I-VO verweist. Im Ergebnis wird also auch hier – wie bei Art. 13 Abs. 1 EuInsVO – an das Arbeitsvertragsstatut angeknüpft (siehe hierzu insgesamt § 21 Rz. 5 f., 38 [Gulbins]).18) b)

Arbeitsverhältnis

14 Es muss ein „Arbeitsverhältnis“ bestehen. Der Begriff des Arbeitsverhältnisses ist im Recht der EU nicht legaldefiniert. Nach h. M. ist der Begriff „Arbeits___________ 16) So auch schon EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood), ZIP 2006, 907. 17) Vgl. ErwG 25 und 88. 18) Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff-Huber, EuInsVO, Art. 10 Rz. 2; Kindler in: MünchKommBGB, § 337 InsO Rz. 6; Reinhart in: MünchKomm-InsO, § 337 Rz. 10 zur Rechtslage vor Geltung des ESUG.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

verhältnis“ im Lichte der europäischen Rechtssetzungsinstrumente (Verordnungen und Richtlinien) und autonom auszulegen und folglich unionsweit einheitlich zu bestimmen.19) Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen das „Arbeitsverhältnis“ und den 15 Begriff des „Arbeitnehmers“ konkretisiert. Als Arbeitnehmer gilt eine Person, die „während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält“.20) Ein Arbeitsverhältnis i. S. des Art. 13 Abs. 1 EuInsVO ist folglich durch die Weisungsabhängigkeit und somit die Abhängigkeit und die daraus folgende Schutzbedürftigkeit21) des Arbeitnehmers gekennzeichnet, der gegen die Bezahlung einer Vergütung eine Leistung erbringt. Welche Personen oder Personengruppen von dieser allgemeinen Definition erfasst sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Einzelheiten der Auslegung sind daher umstritten. Der EuGH präferiert in anderem Zusammenhang eine weite Auslegung22) und zählt zu den Arbeitnehmern auch Beamte23), Soldaten24), Studenten25) und Arbeitssuchende26). Ob diese weite Auslegung auch i. R. der EuInsVO gelten soll, wurde bislang nicht entschieden. Nach der Literatur soll der extensive Arbeitnehmerbegriff des EuGH nicht auf Art. 13 EuInsVO (Art. 10 EuInsVO 2000) übertragbar sein. Vertreten wird daher eine restriktive Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs.27) Dieser restriktive Ansatz ist auch richtig, um der Norm einen sinnvollen An- 16 wendungsbereich zu eröffnen. Allerdings fehlt bisher noch eine überzeugende nähere Präzisierung dieser restriktiven Auslegung. Sinnvoll wäre eine Eingrenzung auf Personen, die in einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis weisungsgebundene Arbeit leisten. Dann wären folgerichtig die oben genannten Personengruppen (Beamte, Soldaten, Studenten, Arbeitssuchende) nicht als Arbeitneh___________ 19) Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 13 EuInsVO 2017 Rz. 7; Mankowski/Müller/SchmidtMankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 5; Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 13 EuInsVO Rz. 3; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 5; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 5. Für die Anwendung der Figur des „qualifikationsrechtlichen Rechtsformzwangs“ hingegen Krebber in: Europäisches ArbR, Art. 7, 13 EuInsVO Rz. 6. 20) EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – Rs. C-66/85 (Lawrie-Blum), Rz. 16 f., Slg. 1986, 2121; EuGH, Urt. v. 17.7.2008 – Rs. C-94/07 (Raccanelli), Rz. 33 m. w. N., Slg. 2008, I-5939; näher zu den einzelnen Merkmalen des Arbeitnehmers: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo-Schneider/ Wunderlich, EU-Kommentar, Art. 45 AEUV Rz. 20 m. w. N. 21) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 5. 22) EuGH, Urt. v. 17.7.2008 – Rs. C-94/07 (Raccanelli), Rz. 33 m. w. N., Slg. 2008, I-5939. 23) EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – Rs. 66/85 (Lawrie-Blum), Slg. 1986, III-2121. 24) EuGH, Urt. v. 24.3.1994 – Rs. C-71/93 (Van Poucke), Rz. 6 ff., Slg. 1994, I-1101. 25) EuGH, Urt. v. 21.6.1988 – Rs. C-39/86 (Lair), Rz. 37 ff., Slg. 1988, 3910. 26) EuGH, Urt. v. 26.2.1991 – Rs. C-292/89 (Antonissen), Rz. 10 ff., Slg. 1991, I-773; EuGH, Urt. v. 16.7.2009 – Rs. C-208/07 (Chamier-Glisczinski), Rz. 70 ff. m. w. N., Slg. 2009, I-6095. 27) Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 102; Duursma-Kepplinger/Duursma/ChalupskyDuursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 5.

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mer zu qualifizieren. Offen ist, ob Organmitglieder in einem Arbeitsverhältnis i. S. des Art. 13 EuInsVO stehen. In einem anderen Kontext qualifiziert der EuGH auch Organmitglieder, die keinen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen haben, als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne.28) Dieses Verständnis wird in der Literatur auch auf Art. 13 EuInsVO übertragen.29) 17

Praxishinweis Wegen der besonderen Rolle der Organvertreter einer Gesellschaft, die gerade im Falle einer Insolvenz spezifischen Restriktionen unterliegen kann, erscheint es hingegen vorzugswürdig, für eine etwaige insolvenzbedingte Beendigung des Dienstvertrags an das Insolvenzstatut anzuknüpfen.

18 Noch weitergehender wäre zu überlegen, ob die Auslegung nur teilweise autonom einheitlich erfolgen sollte. Vorteilhafter mag es sein, im Einzelfall die relevante Gruppe der Arbeitnehmer danach auszuwählen, welche lokale materielle Sachnorm im konkreten Fall Anwendung findet bzw. finden würde. Dazu müsste man zunächst die Anwendbarkeit des Art. 13 EuInsVO gedanklich unterstellen und prüfen, welche materielle Sachnorm – auf Basis des Arbeitsvertragsstatuts, Anwendung finden würde. Geht es z. B. um eine von einem Insolvenzverwalter in einem deutschen Hauptinsolvenzverfahren beabsichtigte Betriebsänderung, kann sich der Arbeitnehmer-Begriff sinnvollerweise nur an § 125 InsO i. V. m. § 5 BetrVG – und nicht an europarechtlichen Vorgaben – orientieren.30) Andernfalls bestünde die (theoretische) Möglichkeit, dass durch eine autonome (und strikte) Interpretation des Arbeitnehmerbegriffs einzelne Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des Art. 13 EuInsVO herausfallen würden, obwohl sie nach materiellem Sachrecht von der einschlägigen Norm umfasst wären. Das aber widerspräche jedenfalls dann dem Grundgedanken des Art. 13 EuInsVO, wenn die materielle Sachnorm für den Arbeitnehmer im konkreten Fall günstiger ist, als die Sachnorm, die bei Anwendung der lex fori concursus heranzuziehen wäre. 19

Praxishinweis Um aber einen besonderen „Günstigkeitsvergleich“ und dessen Schwierigkeiten (s. dazu in anderem Zusammenhang Rz. 26) zu vermeiden, bietet es sich an, von vornherein den Begriff des Arbeitnehmers – und damit die Begriffe „Arbeitsvertrag“ und „Arbeitsverhältnis“, auf Basis der konkret einschlägigen materiellen Sachnorm zu klären.

___________ 28) EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09 (Danosa), Slg. 2010, I-11435 = ZIP 2010, 2414, dazu EWiR 2011, 27 (Wank); EuGH, Urt. v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14 (Spies von Büllesheim), Rz. 33 ff., ZIP 2015, 2340, dazu EWiR 2016, 93 (Zarth/Buchner); EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – Rs. C-229/14 (Balkaya), ZIP 2015, 1555, dazu EWiR 2015, 553 (Lindemann); ebenso Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 7; Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 13 EuInsVO Rz. 4. 29) Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 7. 30) Mit der Konsequenz, dass etwa leitende Angestellte in diesem konkreten Zusammenhang nicht erfasst sind.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

c)

Zeitpunkt

Wie sich aus dem Schutzzweck der Norm ergibt, muss das Arbeitsverhältnis 20 bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehen.31) Ein während des Insolvenzverfahrens geschlossenes Arbeitsverhältnis unterfällt somit nicht dem Art. 13 Abs. 1 EuInsVO. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, folgt jedoch aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Norm.32) Denn allein ein Arbeitnehmer, der sich bereits in einem bestehenden Arbeitsverhältnis befindet, soll vor der Anwendung eines ihm fremden Rechts auf das Arbeitsverhältnis geschützt werden. 4.

Sachliche Reichweite: Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis

Art. 13 Abs. 1 EuInsVO führt nicht dazu, dass sämtliche rechtliche Fragen, die 21 irgendeinen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweisen, nach dem Recht des Staats zu entscheiden sind, dessen Recht für den Arbeitsvertrag maßgeblich ist. Dies ergibt sich schon aus ErwG 72, der in Satz 3 ausdrücklich festhält, dass sonstige insolvenzrechtliche Fragen, bspw. ob Forderungen der Arbeitnehmer durch ein Vorrecht geschützt sind, sich nach dem Recht des Mitgliedsstaats richten, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Von Art. 13 Abs. 1 EuInsVO erfasst werden also insbesondere die individualrechtlichen Regelungen des Insolvenzarbeitsrechts, z. B. § 113 InsO. 22

Praxishinweis Aus dem Sinn und Zweck von Art. 13 Abs. 1 EuInsVO lässt sich schließen, dass auch kollektivrechtliche Normen hierunter fallen, und zwar insbesondere auch die besonderen kollektivrechtlichen Normen, die in der Insolvenz gelten, z. B. §§ 120, 125 BetrVG.33)

5.

Verweis auf das allgemeine Kollisionsrecht

Liegen die dargestellten Tatbestandsvoraussetzungen vor, wird der Grundsatz 23 der lex fori concursus generalis des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO durchbrochen. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO stellt als eine Ausnahme von Art. 7 EuInsVO klar, dass sich die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis nach dem durch das Kollisionsrecht des Forums zu ermittelnden Arbeitsvertragsstatut richten. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO legt das anwendbare mate___________ 31) Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1059; Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff-Huber, EuInsVO, Art. 10 Rz. 3; Kindler in: MünchKomm-BGB, Art. 13 EuInsVO Rz. 5. 32) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 6. 33) Braun-Josko de Marx, InsO, Art. 3 EuInsVO Rz. 9; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1060; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 4; Prager/Gulbins in: FS Kübler, S. 539, 540 f. A. A. Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 8.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

rielle Recht demnach nicht autonom fest.34) Dieses wird vielmehr durch das allgemeine Kollisionsrecht, insbesondere nach der Rom I-VO35) (vormals: Art. 6 EVÜ)36) bestimmt.37) a)

Bestimmung des Arbeitsvertragsstatuts nach der Rom I-VO

24 Art. 8 Rom I-VO enthält für Individualarbeitsverträge besondere Bestimmungen für die Bestimmung des anwendbaren Rechts. Häufig treffen die Parteien keine Rechtswahl. Dann ist eine objektive Anknüpfung nach den Absätzen 2 bis 4 vorzunehmen. Treffen die Parteien gemäß Art. 3 Rom I-VO eine Rechtswahl, ist diese zwar grundsätzlich zu respektieren, jedoch darf durch die Rechtswahl nicht von unabdingbaren arbeitnehmerschützenden Normen derjenigen Rechtsordnung abgewichen werden, die bei objektiver Anknüpfung Anwendung fände. Schließlich bestimmt Art. 9 Rom I-VO, dass die sog. Eingriffsnormen ungeachtet der sonstigen Regelungen der Rom I-VO Anwendung finden. Als Eingriffsnormen definiert Art. 9 Rom I-VO zwingende nationale Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach der Rom I-VO anwendbaren Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen. aa)

Objektive Anknüpfung

25 Fehlt im Arbeitsvertrag, wie in der Praxis häufig,38) eine Rechtswahl der Parteien, gilt gemäß Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO grundsätzlich das Recht des Staats, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Bei einer Eingliederung in einen Betrieb ist dies somit in der Regel der Betriebsort.39) Andernfalls bestimmt sich der Arbeitsort nach dem zeitlichen und inhaltlichen Schwergewicht der Tätigkeit.40) Kann das anzuwendende Recht ___________ 34) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 4; Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff-Huber, EuInsVO, Art. 10 Rz. 1. 35) Allein für Dänemark gilt das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (80/934/EWG) weiter, vgl. auch ErwG 88 der EuInsVO. 36) Gesetz zu dem Übereinkommen v. 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – EVÜ, v. 19.6.1980, BGBl. II 1986, 809. 37) Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff-Huber, EuInsVO, Art. 10 Rz. 1; Reinhart in: MünchKommInsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 2; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1059 f.; DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 4; So auch Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 126, für das vor der Rom I-VO anwendbare Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (s. Fn. 35). 38) Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1060. 39) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 9. 40) Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 8 Rom I-VO Rz. 47.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

nicht nach Absatz 2 bestimmt werden, ist nach Absatz 3 das Recht des Staats maßgeblich, in dem sich die einstellende Niederlassung befindet. Absatz 4 enthält schließlich einen Vorbehalt, für den Fall, dass der Arbeitsvertrag aufgrund der Gesamtheit aller Umstände eine engere Bindung zu einem anderen als dem nach Absatz 2 oder 3 maßgeblichen Staat hat – dann ist das Recht dieses Staats maßgeblich. bb)

Rechtswahl

Die Rom I-VO lässt auch bei Arbeitsverträgen eine Rechtswahl zu. Allerdings 26 ist diese erheblich eingeschränkt: Durch die Rechtswahl darf nicht von unabdingbaren arbeitnehmerschützenden Normen derjenigen Rechtsordnung abgewichen werden, die bei objektiver Anknüpfung Anwendung fände (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO). Befindet sich der Arbeitsort eines Arbeitnehmers also in Deutschland, kann im Arbeitsvertrag zwar ausländisches Recht vereinbart werden. Hierdurch darf aber nicht von zwingenden deutschen Vorschriften abgewichen werden. Dies gilt z. B. für den Kündigungsschutz, die AGB-Kontrolle, aber auch arbeitnehmerschützende richterrechtlich entwickelte Regeln.41) Um im Einzelfall zu bestimmen, ob dem Arbeitnehmer ein garantierter Schutz durch die Rechtswahl entzogen wird, sind die gewählte und die abbedungene Rechtsordnung miteinander zu vergleichen. Die nach der objektiven Anknüpfung ermittelte Rechtsordnung (typischerweise: Staat der Verrichtung der Arbeit) kommt also nur dann zur Anwendung, wenn sie für den Arbeitnehmer zu günstigeren Ergebnissen führt als das gewählte Recht (sog. Günstigkeitsvergleich).42) Der Günstigkeitsvergleich ist nicht zwischen Einzelvorschriften, aber auch nicht zwischen der gesamten Arbeitsrechtsordnung der beiden Staaten vorzunehmen, sondern zwischen Gruppen sachlich zusammenhängender Vorschriften.43) Im Ergebnis unterliegt der Arbeitsvertrag einem „Mischrecht“44) aus den jeweils günstigeren Vorschriften der gewählten und der zwingend nach objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechtsordnung. 27

Praxishinweis Aus Arbeitgebersicht ist dies in der Regel nicht wünschenswert, weswegen meist davon abzuraten ist, eine Rechtswahl vorzunehmen, die von dem nach objektiver Anknüpfung anwendbaren Recht abweicht. Im Einzelfall kann dies jedoch aufgrund genereller personalpolitischer Erwägungen oder des Verlangens einzelner Arbeitnehmer anders sein, z. B. wenn ein dauerhaft im Ausland tätiger Arbeitnehmer die vertragliche Anwendung deutschen Arbeitsrechts verlangt hat.

___________ 41) 42) 43) 44)

Schlachter in: ErfK, Rom I-VO Rz. 19. Martiny in: MünchKomm-BGB, Art. 8 Rom I-VO Rz. 110. Schlachter in: ErfK, Rom I-VO Rz. 19. Schlachter in: ErfK, Rom I-VO Rz. 19.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

cc)

International zwingende Eingriffsnormen (Art. 9 Rom I-VO)

28 Als international zwingende Eingriffsnorm, die unabhängig von einer Rechtswahl bzw. anderweitigen objektiven Anknüpfung Anwendung verlangen, sind in Deutschland z. B. die Schutzvorschriften zugunsten von Schwangeren und Müttern anerkannt.45) b)

Kollisionsrecht bezüglich des kollektiven Arbeitsrechts

29 Wie oben erläutert, umfasst die sachliche Reichweite des Art. 13 Abs. 1 EuInsVO auch das kollektive Arbeitsrecht, insbesondere das Betriebsverfassungsrecht. Insoweit kommt es kollisionsrechtlich nicht auf Art. 8 Rom I-VO an, denn diese Norm befasst sich mit Individualarbeitsverträgen und regelt nicht das kollektivarbeitsrechtliche Kollisionsrecht.46) Für das im Insolvenzkontext bedeutsame Betriebsverfassungsrecht gilt nach h. M. das Territorialitätsprinzip.47) Das bedeutet: Für in Deutschland gelegene Betriebe gilt auch im Insolvenzfall deutsches Betriebsverfassungsrecht, selbst wenn das Insolvenzverfahren vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats eröffnet wurde.48) 6.

Ausschließlichkeit

30 Art. 13 Abs. 1 EuInsVO bestimmt, das „ausschließlich“ das Recht des Mitgliedstaats gilt, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Es ist also nicht etwa alternativ oder kumulativ das Recht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, anzuwenden.49) Dies gilt auch dann, wenn dieses Recht für den Arbeitnehmer günstigere Vorschriften enthält. 7.

Sonderproblem: Vereinbarung von ausländischem Recht im Arbeitsvertrag

31 Wie oben erläutert, ist im Arbeitsrecht eine Rechtswahl zwar grundsätzlich zulässig, hierdurch dürfen aber unabdingbare arbeitnehmerschützende Vorschriften des nach objektiver Anknüpfung anwendbaren Rechts nicht abbedungen werden. Bisher wenig erörtert ist die Frage, ob die Regeln des Insolvenzarbeitsrechts, z. B. die Sondervorschriften zur Kündigung (in Deutschland: §§ 108, 113 ff. InsO) oder über Betriebsänderungen und Sozialplanansprüche (§§ 120 ff. InsO), zwingende Schutzvorschriften i. S. von Art. 8 Rom I-VO sind. Dasselbe Problem stellt sich für die Frage des Betriebsübergangs nach § 613a BGB. Relevant werden diese Fragen, wenn nach ausländischem Insolvenzarbeitsrecht ___________ 45) BAG, Urt. v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00, NZA 2002, 734. 46) Schlachter in: ErfK, Rom I-VO Rz. 28. 47) BAG, Urt. v. 21.11.1996 – 2 AZR 832/95, NZA 1997, 493; Schlachter in: ErfK, Rom I-VO Rz. 29. 48) S. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011. 49) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 21; Kindler in: MünchKommBGB, Art. 13 EuInsVO Rz. 9.

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für die Insolvenzmasse günstigere Regeln eingreifen würden als nach deutschem Recht (z. B. strengere Deckelung von Sozialplanansprüchen oder Erleichterungen beim Betriebsübergang). Jedoch wird man auch hier – gemessen am Schutzzweck – davon ausgehen müssen, dass keine für den Arbeitnehmer „ungünstigere“ Regelung eingreifen soll als dies bei einem reinen Inlandssachverhalt nach dem Recht des Betriebsorts der Fall wäre. Ein für die Insolvenzmasse günstigeres Insolvenzarbeitsrecht kann daher erst (und nur dann) zur Anwendung kommen, wenn der ausländische Insolvenzverwalter nach Eröffnung des (Haupt-)Insolvenzverfahrens ein neues Arbeitsverhältnis begründet. Denn dann greift nicht mehr Art. 13 EuInsVO, sondern die lex fori concursus. 32

Praxishinweis Praktisch dürfte dieser Fall aber wenig Bedeutung haben, da es aus Sicht der Verwaltung in Restrukturierungssituationen häufig darum gehen wird, bestehende (d. h. vor Insolvenzeröffnung begründete) Arbeitsverhältnisse zu regeln und im Zweifel auch abzubauen.

Denkbar ist, dass durch eine Rechtswahl mit einem in Deutschland arbeitenden 33 Arbeitnehmer die Geltung ausländischen Arbeitsrechts vereinbart wurde und dass diese ausländische Rechtsordnung für den Mitarbeiter günstigere Vorschriften enthält (z. B. eine längere als die in § 113 InsO vorgesehene dreimonatige Kündigungsfrist). Sofern es sich bei dem gewählten Recht um das Recht eines anderen EU-Mitgliedstaats handelt, wird man diese für die Insolvenzmasse nachteilige Rechtswahl wohl grundsätzlich hinnehmen müssen, wenn das Arbeitsverhältnis einen hinreichenden Bezug zu diesem Mitgliedstaat aufweist. Fehlt ein solcher Bezug, greift Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO ein: Wenn die Parteien das Recht eines Staats wählen, der keinen relevanten Bezug zu dem Vertragsverhältnis aufweist, berührt die Rechtswahl nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staats, von denen durch Vereinbarung nicht abgewichen werden darf. Die Rechtswahl ist in einer solchen Konstellation nichts anderes als der Versuch, von zwingenden Vorschriften abzuweichen. Dies ist bei fehlendem Auslandsbezug auch zugunsten des Arbeitnehmers nicht zulässig. Die zwingende Norm des § 113 InsO behält ihre Wirkung. 8.

Praxisrelevante Fallgruppen aus Sicht des deutschen Rechts: Zur Reichweite des Verweises in Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

Eine Insolvenz hat typischerweise eine Vielzahl von Auswirkungen auf ein Ar- 34 beitsverhältnis wie die Möglichkeit zu dessen Fortsetzung, etwaige besondere Lösungsrechte von Verwalter und Arbeitnehmer im Falle einer Arbeitgeberinsolvenz und die sich hieraus ergebenden besonderen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen wie die Bestimmungen über Betriebsänderungen oder Betriebsübertragungen.50) ___________ 50) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 11.

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35 Die Reichweite der Verweisung von Art. 13 EuInsVO – und damit die Abgrenzung zwischen Arbeitsvertragsstatut und Insolvenzstatut – ist daher praktisch relevant und teilweise noch nicht abschließend geklärt. Bei dieser Abgrenzung sind der Wortlaut51) und der Schutzzweck der Norm von besonderer Bedeutung.52) Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass eine Sonderanknüpfung nur hinsichtlich der „Wirkungen“ (effects) des Insolvenzverfahrens auf das Arbeitsverhältnis vorzunehmen ist,53) es i. Ü. jedoch bei der Anwendung des lex fori concursus generalis bleibt.54) Nachfolgend sollen einige praktisch wichtige Fallkonstellationen diskutiert werden: a)

Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und Kündigungsmöglichkeiten in der Insolvenz (§§ 108, 113 InsO)

36 Die Frage, ob Arbeitsverhältnisse in einer Insolvenz fortbestehen und wie sie von den Parteien aufgelöst werden können, ist ein zentraler Regelungsgegenstand in jeder Jurisdiktion. Es ist daher unstreitig, dass es sich bei Lösungsrechten, die an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anknüpfen, um eine „Wirkung“ des Verfahrens auf das Arbeitsverhältnis handelt.55) Anzuknüpfen ist daher an das Arbeitsvertragsstatut; verweist dieses auf deutsches Recht, gelten die §§ 108, 103 ff. InsO. 37 Arbeitsverhältnisse bestehen nach § 108 Abs. 1 InsO ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort.56) Die Forderungen der Arbeitnehmer, die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, sind Masseverbindlichkeiten. Trotz der Belastung mit Masseverbindlichkeiten kennt das deutsche Insolvenzarbeitsrecht – anders als bei Mietverträgen – kein eigenständiges Kündigungsrecht – weder für Arbeitgeber noch für Arbeitnehmer – und zwar insbesondere nicht wegen der Insolvenz des Arbeitgebers.57) Auch § 113 InsO setzt daher ___________ 51) Insbesondere mit den Begriffen „ausschließlich“ und „Wirkungen“; vgl. auch BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011; Paulus, EuInsVO, Art. 10 Rz. 6. 52) Dies ergibt sich insbesondere auch aus ErwG 72 der EuInsVO (Fn. 14). 53) Dies folgt auch aus ErwG 72 der EuInsVO (Fn. 14); Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 128; so auch Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff-Huber, EuInsVO, Art. 10 Rz. 4; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 8; a. A. Thierhoff/Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 824, die aufgrund des (Vertrauens-)Schutzes der Arbeitnehmer auf die Anwendung des nationalen Rechts einen weiten Anwendungsbereich der Norm befürworten. 54) Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 127; Duursma-Kepplinger/Duursma/ChalupskyDuursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 10; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1060. 55) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky-Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 10 Rz. 11. 56) Näher hierzu Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1060. 57) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, 388 = ZIP 2007, 595, dazu EWiR 2007, 363 (Grimm/Michaelis); Thierhoff/Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 840.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

einen Kündigungsgrund voraus und regelt nur die Kündigungsfrist bei Bestehen eines Kündigungsgrunds. Das bedeutet, der Kündigungsschutz bleibt grundsätzlich intakt, Erleichterungen ergeben sich lediglich bei Betriebsänderungen (§ 125 InsO).58) 38

Praxishinweis Nach § 113 Satz 1 und 2 InsO können sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von drei Monaten kündigen, sofern keine kürzere Frist maßgeblich ist.59) Tarifliche und vertragliche Kündigungsausschlüsse wie auch Befristungen mit mehr als drei Monaten Restlaufzeit werden hierdurch überwunden.60)

§ 113 Satz 3 InsO eröffnet dem Arbeitnehmer – ebenso wie die Parallelnorm 39 bei Mietverträgen (§ 109 Abs. 1 Satz 3 InsO) – die Geltendmachung eines sog. Verfrühungsschadens, eines Schadensersatzes wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, und qualifiziert diesen als Insolvenzforderung i. S. des § 38 InsO.61) Freilich gilt auch beim Verfrühungsschaden – wie sonst auch außerhalb der Insolvenz – dass sich der Arbeitnehmer ein etwaiges Mitverschulden anrechnen lassen muss, so z. B. wenn er es unterlässt, eine zumutbare andere Tätigkeit anzunehmen.62) b)

Änderungen des Arbeitsverhältnisses i. R. einer Unternehmenssanierung (§§ 120 – 128 InsO)

Fragen betreffend die Änderung des Arbeitsverhältnisses i. R. eines Sanie- 40 rungsverfahrens unterfallen nach bisher herrschender Lehre und jetzt auch nach der klaren Auffassung des BAG63) dem Arbeitsvertragsstatut, da es sich hierbei um typische Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf die Arbeitsverhältnisse handelt.64) Soweit solche Betriebsänderungen – wie zumeist – einen Stellenabbau mit sich 41 bringen, sind die §§ 121 bis 124 InsO anzuwenden. Diese regeln die Geltung ___________ 58) LAG Hessen, Urt. v. 15.2.2011 – 13 Sa 767/10 (Nortel Group), ZIP 2011, 683 (LS) = BeckRS 2011, 70634 m. w. N.; LAG Hessen, Teilurt. v. 5.3.2007 – 17 Sa 122/06, juris. 59) Zur Frage der Zuständigkeit für erhobene Kündigungsschutzklagen, s. BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, BB 2013, 948 = BeckRS 2013, 67590, sowie BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011. 60) BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387, 388 = ZIP 2007, 595; Thierhoff/ Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 839; Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 Kap. G Rz. 3. 61) Bauer/Haußmann/Krieger, Umstrukturierung, Teil 4 Kap. G Rz. 7; Thierhoff/Müller-Beck/ Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 839. 62) Uhlenbruck-Zobel, InsO, § 113 Rz. 163 m. w. N. 63) BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011. 64) Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 10; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 10. A. A. Dornblüth in: HK-InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 4.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

des Betriebsverfassungsgesetzes, die Notwendigkeit der Zustimmung des ArbG zur Durchführung einer Betriebsänderung sowie die Details eines Sozialplans und begrenzen insoweit die Wirkungserstreckung des Rechts des Eröffnungsstaats, wenn ein deutsches Arbeitsvertragsstatut vorliegt.65) 42 In einem Urteil vom 20.9.2012 hat das BAG klargestellt, dass ein ausländischer Insolvenzverwalter als Insolvenzverwalter i. S. des § 125 InsO anzusehen ist, wenn er in der vom Insolvenzrecht des Staats der Verfahrenseröffnung vorgesehenen Weise für den Schuldner handelt.66) Demnach hängt es in einem Fall der Anwendbarkeit deutschen Arbeitsrechts nach Art. 13 EuInsVO nicht von der spezifischen Rechtsstellung des Insolvenzverwalters nach ausländischem Recht ab, ob ihm die Erleichterung zugutekommt, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz nach §§ 113, 125 und § 128 Abs. 2 InsO zu kündigen.67) c)

Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf das Arbeitsverhältnis (§ 613a BGB)

aa)

Betriebsübergang in der Insolvenz nach der Richtlinie 2001/23/EG

43 Sofern der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb oder einen Betriebsteil im Wege des Asset Deals an einen Erwerber veräußert, stellt sich die Frage, ob die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverträgen ipso iure und ohne individuelle vertragliche Vereinbarung auf den Erwerber mit übergehen. 44 Nach der Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergangsrichtlinie),68) die im deutschen Recht durch § 613a BGB umgesetzt wird, gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über (Art. 3). Nach Art. 4 der Richtlinie stellt der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten diese beiden Vorschriften nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkurs- (bzw. Insolenz-)verfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde. ___________ 65) 66) 67) 68)

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Thierhoff/Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 836. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, Rz. 39 ff., ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, Rz. 36 ff., ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011. Richtlinie 2001/23/EG des Rates v. 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen – Betriebsübergangsrichtlinie, ABl. (EG) L 82/16 v. 22.3.2001.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

Die Betriebsübergangsrichtlinie überlässt es daher jedem Mitgliedstaat selbst 45 zu bestimmen, ob bei Betriebsveräußerungen eines insolventen Unternehmens die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag auf den Erwerber übergehen sollen und ob ein Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs gegeben ist. bb)

Betriebsübergang in der Insolvenz nach deutschem Recht

Im deutschen Recht ist nicht explizit geregelt, ob die arbeitsrechtlichen Schutz- 46 vorschriften bei einem Betriebsübergang (§ 613a BGB) auch in der Insolvenz eines Veräußerers gelten sollen. Lange Zeit war daher streitig, ob die Betriebsveräußerung in der Insolvenz von § 613a BGB erfasst wird.69) Die Rechtsprechung des BAG, die durch den Gesetzgeber durch Einführung des § 128 InsO grundsätzlich bestätigt wurde, bejaht diese Frage, unterscheidet aber nach den verschiedenen Normzwecken. Soweit es um den Schutz der Arbeitsplätze und die Kontinuität des Betriebsrats geht, ist § 613a BGB uneingeschränkt anwendbar. 47

Praxishinweis Nicht anwendbar ist § 613a BGB hingegen insoweit, als er die Haftung des Betriebserwerbers für bereits (vorinsolvenzlich) entstandene Ansprüche vorsieht.70) Eine solche Haftung kann daher nur individualvertraglich vereinbart werden, was aber in der Praxis kaum vorkommen dürfte, da ein Erwerber kaum bereit ein dürfte, Altverbindlichkeiten eines insolventen Unternehmens zu übernehmen.

Nach deutschem Recht gilt, dass § 613a BGB grundsätzlich auch bei Betriebs- 48 übergängen in das Ausland anwendbar ist. Zwar kann es dazu kommen, dass nach dem Betriebsübergang das Recht des Staats zur Anwendung kommt, in dem das Arbeitsverhältnis nach dem Betriebsübergang besteht, sofern keine Rechtswahl in dem Arbeitsverhältnis getroffen wurde. Die Fragen, ob ein Betriebsübergang vorliegt und ob ein Kündigungsverbot eingreift, richten sich aber nach dem Arbeitsvertragsstatut, das vor dem Betriebsübergang anzuwenden ist, d. h. im deutschen Recht nach der Vorschrift des § 613a BGB.71) cc)

Betriebsübergang in der Insolvenz und Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

Nach h. M. in der Literatur handelt es sich bei Fragen des Betriebsübergangs 49 um „Wirkungen“ des Insolvenzverfahrens i. S. von Art. 13 Abs. 1 EuInsVO. Demnach ist die Frage des Betriebsübergangs nach dem Arbeitsvertragsstatut zu lösen.72) ___________ 69) Vgl. etwa Steffan in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 613a BGB Rz. 235. 70) St. Rspr. seit BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117 = NJW 1980, 1124; s. BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, ZIP 2007, 386 = NZA 2007, 335 m. w. N., dazu EWiR 2007, 497 (Joost). 71) BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, Rz. 40 ff., BB 2013, 948 = BeckRS 2013, 67590. 72) Vgl. hierfür z. B. Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 10; Nerlich/ Römermann-Nerlich/Hübler, InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 6; Thierhoff/Müller-Beck/ Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 848; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1061 f.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

50 Die Anwendung des Arbeitsvertragsstatuts ist keinesfalls zwingend. Art. 5 der Betriebsübergangsrichtlinie überlässt es gerade dem nationalen Gesetzgeber, einen den Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie vergleichbaren Arbeitnehmerschutz auch in einem Insolvenzverfahren bereitzustellen. Dieses Wahlrecht der Mitgliedstaaten versteht der europäische Gesetzgeber offenbar als sachgerecht. Einen Verstoß gegen zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht sieht er hierin demnach nicht. Vorgesehen ist lediglich ein Missbrauchsschutz zugunsten der Arbeitnehmer. Nach Art. 5 Abs. 4 der Betriebsübergangsrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit Insolvenzverfahren nicht in missbräuchlicher Weise in Anspruch genommen werden, um den Arbeitnehmern die in der Richtlinie vorgesehenen Rechte vorzuenthalten. 51 Im Ergebnis wäre es daher ebenso denkbar, bei der Frage des Betriebsübergangs an das Insolvenzstatut, anstatt an das Arbeitsvertragsstatut anzuknüpfen.73) Der Normzweck des Art. 13 Abs. 1 EuInsVO, d. h. der Schutz der Arbeitnehmer, stünde einer solchen Auslegung nicht entgegen. Eine Anknüpfung an das Insolvenzstatut hätte weitergehend den Vorteil, dass bei komplexen grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen ein einheitliches materielles Recht bei einem oder mehreren Betriebsübergängen zur Anwendung käme. Angenommen, ein Erwerber kauft einen bestimmten Geschäftsbereich eines international tätigen Unternehmens von einem Insolvenzverwalter, dann kommt es vor, dass die Vermögensgegenstände, die diesen Bereich betreffen, häufig auf mehrere Gesellschaften im In- und Ausland verteilt sind. Wenn diese Gesellschaften ihren COMI in derselben Jurisdiktion haben und jeweils ein Hauptinsolvenzverfahren nach dieser Jurisdiktion eröffnet worden ist, dann sind häufig auch dieselbe(n) Person(en) als Insolvenzverwalter in den einzelnen Gesellschaften bestellt. 52 Verkauft und überträgt dieser Insolvenzverwalter die Gegenstände des Geschäftsbereichs nach dem jeweiligen Sachrecht der einzelnen Jurisdiktionen in separaten Asset Deals, dann sieht sich der Erwerber – auf Basis der h. M. – letztlich einer Vielzahl von unterschiedlichen Rechtsordnungen ausgesetzt, in der die Fragen des Betriebsübergangs unterschiedlich geregelt sein können. Das ist für beide Seiten – Erwerber und Insolvenzverwalter – letztlich unbefriedigend, da der Asset Deal an Planbarkeit verliert und aufgrund der erhöhten Komplexität in aller Regel nicht unerhebliche Mehrkosten für die Insolvenzmasse entstehen. Eine einheitliche Anknüpfung des Betriebsübergangs an das Insolvenzstatut könnte diese Nachteile verhindern. d)

Rang der Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis

aa)

Rangfrage unterliegt lex fori concursus

53 Die Frage, ob es sich bei den Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis um Masseforderungen oder einfache Insolvenzforderungen handelt, richtet sich aus___________ 73) Zustimmend Prager/Gulbins in: FS Kübler, S. 539, 543.

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II. Art. 13 Abs. 1 EuInsVO

schließlich nach dem Recht des Verfahrensstaats (Art. 7 Abs. 2 lit. i EuInsVO) und ist nicht von Art. 13 Abs. 1 EuInsVO erfasst.74) Die Anforderungen an die Anmeldung, Prüfung und Feststellung einer Forderung aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis unterfallen ebenfalls nicht Art. 13 Abs. 1 EuInsVO,75) da diese Fragen nicht unmittelbar mit dem Arbeitsverhältnis verbunden sind. Gleiches gilt für die Frage des Pfändungsschutzes für das Gehalt des Arbeitnehmers, da es hierbei um die Frage geht, inwieweit das Gehalt des Arbeitnehmers zur Insolvenzmasse zählt und somit um eine Frage, die nach Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO der lex fori concursus unterfällt.76) bb)

Auslandsforderungen in einem deutschen Insolvenzverfahren

In einem deutschen Insolvenzverfahren richtet sich der Rang der Forderungen 54 von Arbeitnehmern nach deutschem Insolvenzrecht (§§ 38 ff. InsO). Dieses gilt sowohl für inländische als auch ausländische Forderungen von Arbeitnehmern. Bei inländischen Ansprüchen, die aus arbeitsrechtlichen Kündigungen oder Aufhebungsvereinbarungen herrühren, gibt es zum Teil Abgrenzungsschwierigkeiten, da sich diese Ansprüche aus unterschiedlichen Sachverhalten und unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ergeben können. Diese Fragen bei rein inländischen Sachverhalten sind aber durch die Rechtsprechung weitestgehend geklärt.77) Weitaus schwieriger dürfte die Einordnung ausländischer Arbeitnehmerfor- 55 derungen sein. Probleme treten insbesondere dann auf, wenn ausländische Forderungen in einem deutschen Insolvenzverfahren geltend gemacht werden, die dem deutschen Recht unbekannt sind oder nur in abgewandelter Form bestehen, wie etwa gesetzliche Abfindungsansprüche (während das deutsche Recht gesetzliche Abfindungsansprüche grundsätzlich nicht vorsieht). Explizite Rechtsprechung zu diesen Fragen existiert, soweit ersichtlich, nicht und auch die Literatur hat sich mit diesem Problemfeld bisher nicht beschäftigt. Die Abgrenzung erfolgt grundsätzlich auch hier nach dem Zeitpunkt der Be- 56 gründung der Forderung. Wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war („Schuldrechtsorganismus“), liegt eine Insolvenzforderung vor. Andernfalls, also bei Rechtsgeschäften, die der Insolvenzverwalter nach Eröffnung abschließt, handelt es sich um Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Bei (gesetzlichen) ___________ 74) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 9. 75) Thierhoff/Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 831. 76) Uhlenbruck-Lüer, InsO, Art. 10 EuInsVO Rz. 12; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 17; so auch Paulus, EuInsVO, Art. 10 Rz. 9. 77) S. hierzu näher BAG, Urt. v. 27.4.2006 – 6 AZR 364/05, ZIP 2006, 1962 = NZA 2006, 1282; BAG, Urt. v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, NJW 2004, 875 = ZIP 2003, 2216, dazu EWiR 2004, 239 (Moll/Henke); BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 10 AZR 275/01, ZIP 2002, 2051 = NZA 2002, 1332, dazu EWiR 2003, 283 (Moll/Langhoff); BAG, Urt. v. 12.6.2002 – 10 AZR 180/01, ZIP 2002, 1495 = NJW 2002, 3045.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

Abfindungsansprüchen wird man danach differenzieren müssen, wann und von wem die Kündigung ausgesprochen worden ist. Bei einer Kündigung nach Insolvenzeröffnung, d. h. durch den Insolvenzverwalter, sind aus der Kündigung resultierende Ansprüche auf Abfindung, Schadensersatz oder dergleichen grundsätzlich Masseforderungen. Hat dagegen der Insolvenzschuldner vor Insolvenzeröffnung gekündigt, handelt es sich bei den genannten Ansprüchen dagegen um einfache Insolvenzforderungen.78) e)

Insolvenzgeld

aa)

Sonderanknüpfung für das Insolvenzgeld

57 Die Frage, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld hat, unterfällt nicht der EuInsVO, sondern folgt eigenen Regeln.79) Zuständig ist nach einer Entscheidung des EuGH die Garantieeinrichtung des Staats, in dem die Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Befriedigung beschlossen oder die Stilllegung des Unternehmens oder des Betriebs des Arbeitgebers festgestellt wurde.80) Andernfalls, sofern der Arbeitgeber eine Zweigniederlassung im Ausland betreibt, ist nach Art. 9 der Richtlinie 2008/94/EG81) i. V. m. § 165 Abs. 1 Satz 3 SGB III die Garantieeinrichtung des Staats zuständig, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.82) 58

Praxishinweis In der Praxis dürfte dies kaum zu Abweichungen von den Ergebnissen führen, die man bei Anwendung von Art. 13 EuInsVO und einer Anknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut erzielen würde. Demnach können z. B. deutsche Arbeitnehmer auch dann nach den inländischen Regeln Insolvenzgeld beanspruchen, wenn über das Vermögen des Arbeitgebers ein ausländisches (z. B. englisches) Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. § 165 Abs. 1 Satz 3 SGB III stellt zudem klar, dass im Inland beschäftigte Arbeitnehmer auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben.

___________ 78) Im Ergebnis kann daher die in Fn. 77 zitierte Rspr., die für reine Inlandssachverhalte gilt, auch auf Auslandsforderungen übertragen werden. 79) LAG Hessen, Urt. v. 15.2.2011 – (Nortel Group), ZIP 2011, 683 (LS) = BeckRS 2011, 70634; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 10 EuInsVO 2000 Rz. 12. 80) EuGH, Urt. v. 17.9.1997 – Rs. C-117/96 (Mosbæk), NZA 1997, 1155. 81) Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. (EU) L 283/36 v. 28.10.2008. 82) EuGH, Urt. v. 16.12.1999 – Rs. C-198/98 (Everson and Barrass), ZIP 2000, 89 = NZA 2000, 995, dazu EWiR 2000, 139 (Gagel), zur durch die Richtlinie 2008/94/EG ersetzten Richtlinie 80/987/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers v. 20.10.1980.

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III. Internationale Zuständigkeit (Art. 13 Abs. 2 EuInsVO)

bb)

Insolvenzgeld nach ESUG

Seit Einführung des ESUG83) stellt sich die Frage, wie die Ansprüche der Bun- 59 desagentur für Arbeit zu behandeln sind, wenn Insolvenzgeld im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) an die Arbeitnehmer ausbezahlt wird. Nach § 270b Abs. 3 InsO kann sich der Schuldner ermächtigen lassen, im vorläufigen Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten zu begründen. Von dieser Möglichkeit wird mittlerweile häufig Gebrauch gemacht, um eine reibungslose Fortführung des Geschäftsbetriebs unter dem Schutzschirm zu ermöglichen. Aufgrund des Wortlauts des § 270b Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 55 Abs. 2 InsO könnte man theoretisch die Auffassung vertreten, die (Regress-)Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit seien als Masseverbindlichkeiten zu beurteilen, da auch die zugrunde liegenden Arbeitnehmerforderungen Masseforderungen sind. Denn § 270b Abs. 3 Satz 2 verweist gerade nicht auf § 55 Abs. 3 InsO (sondern nur auf § 55 Abs. 2 InsO). § 55 Abs. 3 InsO bestimmt, dass die (Regress-)Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können. Einzig richtiges Ergebnis ist jedoch, dass die Ansprüche der Bundesagentur für 60 Arbeit – auch im Schutzschirmverfahren und trotz des missverständlichen Verweises in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO – nur einfache Insolvenzforderungen sind und keine Masseverbindlichkeiten.84) Die Neuregelung durch das ESUG ist an dieser Stelle ungenau, es handelt sich um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Der Praxis dürfte dadurch geholfen sein, dass die Bundesagentur für Arbeit in ihren internen Richtlinien85) ebenfalls davon ausgeht, ihre (Regress-)Ansprüche nur als einfacher Insolvenzgläubiger zu verfolgen. Widerspruch von der Bundesagentur für Arbeit ist in Schutzschirmverfahren daher nicht zu erwarten.86) III.

Internationale Zuständigkeit (Art. 13 Abs. 2 EuInsVO)

Art. 13 Abs. 2 EuInsVO enthält eine in der Vorgängernorm nicht enthaltene 61 Regel zur internationalen Zuständigkeit. Danach verbleibt die Zuständigkeit für die Zustimmung zu einer Beendigung oder Änderung von Verträgen nach diesem Artikel bei den Gerichten (bzw. nach Unterabs. 2 den Behörden) des Mitgliedstaats, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte,

___________ 83) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG, v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2582; Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, mit seinen wesentlichen Teilen am 1.3.2012 in Kraft getreten. 84) S. hierzu ausführlich und zutreffend Geißler, ZInsO 2013, 531 ff. 85) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Insolvenzgeld, Stand: 20.12.2018, Rz. 169.2, abrufbar unter https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/ dok_ba016429.pdf (Abrufdatum: 3.6.2019). 86) Vgl. hierzu auch Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 70.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

auch wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat kein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. 1.

Grund für die Neuregelung

62 Der europäische Gesetzgeber hat mit dem eingefügten Absatz 2 auf Probleme in der Praxis reagiert. In manchen Mitgliedstaaten, z. B. in Spanien, bedürfen Änderungen oder Beendigungen von Arbeitsverhältnisses im Insolvenzfall einer gerichtlichen oder behördlichen Zustimmung.87) Unter der früheren Verordnung war es rechtlich zweifelhaft und jedenfalls praktisch schwierig, derartige Erfordernisse durchzusetzen, wenn das Insolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet wurde, dessen Rechtsordnung keine solchen Zustimmungserfordernisse kannte und dessen Gerichte und Behörden hiermit auch nicht vertraut waren. Es drohte Konfliktpotential, wenn die Restrukturierung eines internationalen Konzerns aus einem restrukturierungsfreundlichen Mitgliedstaat heraus betrieben wurde, und zwar auch für Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten, in denen Kündigungserschwernisse in Form von behördlichen oder gerichtlichen Zustimmungserfordernissen bestanden.88) Um solche nationalen Arbeitnehmerschutzregelungen durchzusetzen, wurden in diesen Mitgliedstaaten Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet. Um diese Probleme zu vermeiden, wurde Art. 13 Abs. 2 EuInsVO in die Neufassung eingefügt.89) 2.

Niederlassung

63 Art. 13 Abs. 2 EuInsVO setzt voraus, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats zuständig ist, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden kann. Diese Voraussetzung lässt die Entstehungsgeschichte der Regelung erkennen: Es geht darum, Sekundärinsolvenzverfahren, die in der Vergangenheit allein aus Arbeitnehmerschutzgründen eröffnet wurden, überflüssig zu machen. Da ein Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eine Niederlassung voraussetzt, ist für die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 EuInsVO somit eine Niederlassung in dem betreffenden Mitgliedstaat erforderlich. 64 Teilweise wird vertreten, dass entgegen dem Wortlaut auf das Erfordernis der Möglichkeit eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu verzichten sei.90) Andernfalls könne es dazu kommen, dass ein Zustimmungserfordernis leerlaufe, wenn ein Arbeitnehmer in einem anderen als dem Mitgliedstaat des COMI arbeitet, ohne dass dort eine Niederlassung besteht. Dem ist nicht zu folgen: Der Wortlaut ___________ 87) Bork/van Zwieten-Garcimartin/Virgós, Commentary on the European Insolvency Regulation, Art. 13 Rz. 13.14. 88) Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 35. 89) Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 35. 90) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 13 EuInsVO 2015 Rz. 4.

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III. Internationale Zuständigkeit (Art. 13 Abs. 2 EuInsVO)

wurde offenbar bewusst gewählt, weil es dem Reformgeber (nur) darum ging, Sekundärinsolvenzverfahren zu vermeiden. 3.

Zustimmungserfordernis

a)

Arbeitsvertrag

Das Zustimmungserfordernis muss sich gemäß Art. 13 Abs. 2 EuInsVO auf eine 65 „Beendigung oder Änderung von Verträgen nach diesem Artikel“ beziehen. Gemeint sind also Verträge, die nach autonomer unionsrechtlicher Auslegung als Arbeitsverträge zu qualifizieren sind. b)

Gericht oder Behörde

Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 EuInsVO bezieht sich zunächst einmal auf die ge- 66 richtliche Zustimmung. Unterabsatz 2 erstreckt die Regelung auf behördliche Zustimmungen. Nicht erfasst sind damit insbesondere etwaig erforderliche Zustimmungen von Betriebsräten oder Tarifparteien.91) c)

Rechtsgrundlage des Zustimmungserfordernisses

Aus welcher Rechtsgrundlage das Zustimmungserfordernis folgt, wird durch 67 die Verordnung nicht näher eingegrenzt. Es muss sich daher nicht um ein spezifisch insolvenzrechtliches Zustimmungserfordernis handeln. Nach teilweise vertretener Auffassung muss es sich aber um die Zustimmung zu einer insolvenzbedingten Änderung oder Beendigung des Arbeitsvertrags handeln. Dies ist etwa bei Zustimmungserfordernissen zu Massenentlassungen der Fall.92) Bei sonstigen Zustimmungserfordernissen (z. B. Mutterschutz, Schwerbehindertenschutz) soll es darauf ankommen, ob die Kündigung in einem Zusammenhang mit der Insolvenz steht oder aus davon unabhängigen Gründen (z. B. wegen Diebstahls) erfolgt.93) Diese Differenzierung ist aufgrund des Zusammenhangs mit Absatz 1 folgerichtig, denn auch Absatz 1 erfasst ja nur solche Tatbestände, die einen Insolvenzbezug haben. Ungeklärt ist, aus welchem Recht sich das Zustimmungserfordernis ergeben 68 muss: lex fori concursus principalis, lex fori concursus secundarii oder Arbeitsvertragsstatut? Nach dem Telos und der Entstehungsgeschichte der Norm geht

___________ 91) Krebber in: Europäisches ArbR, Art. 13 EuInsVO Rz. 23; Mankowski/Müller/SchmidtMankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 42. 92) Krebber in: Europäisches ArbR, Art. 13 EuInsVO Rz. 23. 93) Krebber in: Europäisches ArbR, Art. 13 EuInsVO Rz. 23. Ohne Einschränkung auf insolvenzbedingte Gründe Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 35.

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§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

es um Zustimmungserfordernisse, die sich aus dem (potentiellen) Sekundärinsolvenzstatut ergeben.94) d)

Beispiele aus dem deutschen Recht

69 Beispiele aus dem deutschen Recht für Zustimmungserfordernisse i. S. des Art. 13 Abs. 2 EuInsVO sind etwa: § 17 Abs. 2 MuSchG, § 18 Abs. 1 BEEG, § 168 SGB IX. Die Regelung in § 126 InsO, wonach der Insolvenzverwalter beim ArbG die Feststellung beantragen kann, dass die Kündigung bestimmter Arbeitnehmer betriebsbedingt und sozial gerechtfertigt ist, beinhaltet zwar nicht unmittelbar die Zustimmung zu einer Kündigung, nimmt den Arbeitnehmern aber faktisch weiteren Kündigungsschutz (vgl. § 127 InsO), so dass die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 EuInsVO geboten ist. Die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung nach § 122 InsO betrifft zwar ebenfalls nicht unmittelbar die Kündigung, sollte nach Sinn und Zweck aber ebenfalls unter Art. 13 Abs. 2 EuInsVO fallen. e)

Ausschließliche Zuständigkeit

70 Art. 13 Abs. 2 EuInsVO lässt seinem Wortlaut nach offen, ob er eine ausschließliche oder alternative Zuständigkeit begründet. Der Schutzzweck spricht aber für eine ausschließliche Zuständigkeit. Teilweise wird vertreten, die Regelung solle nur zugunsten der Arbeitnehmer wirken, weswegen es zulässig sein könne, dass sich die Arbeitnehmer, wenn sie dies für günstiger halten, mit einer Zuständigkeit des Gerichts des Hauptinsolvenzverfahrens einverstanden erklären.95) Damit würde die Regelung allerdings praktisch zur Disposition der Parteien gestellt, was mit dem Arbeitnehmerschutzgedanken nicht zu vereinbaren ist. IV.

Sekundärinsolvenzverfahren

71 Ein nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO zuständiges Gericht kann ein territorial begrenztes Sekundärinsolvenzverfahren eröffnen, sofern sich in dem betroffenen Mitgliedstaat eine Niederlassung des Schuldners befindet. 72 Art. 35 EuInsVO verweist für ein solches Sekundärinsolvenzverfahren, bei dem ein anzuerkennendes Hauptverfahren vorliegt, auf die Rechtsvorschriften des Staats, in dem das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wurde.96) Somit kommt die lex fori concursus secundarii zur Anwendung.97) Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf das Arbeitsverhältnis bleibt es jedoch auch insoweit bei ___________ 94) Hierfür Mankowski/Müller/Schmidt-Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 13 Rz. 39. 95) Bork/van Zwieten-Garcimartin/Virgós, Commentary on the European Insolvency Regulation, Art. 13 Rz. 13.17. 96) Thierhoff/Müller-Beck/Voss, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rz. 882. 97) Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 28 EuInsVO 2000 Rz. 1.

510

Tresselt/von Medem

V. Zusammenfassung

der Regelung des Art. 13 EuInsVO, da Art. 13 EuInsVO nicht durch Art. 35 EuInsVO derogiert wird.98) Da Sekundärverfahren jedoch aufgrund der Gefahr wertvernichtender Frag- 73 mentierung des Konzerns, möglichen Blocksituationen und Betriebsschließungen grundsätzlich eine wesentliche Gefahr für den Erfolg der Sanierung darstellen, wird der Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens in der Regel versuchen, Sekundärinsolvenzverfahren zu vermeiden. Durch die Neuregelung in Art. 13 Abs. 2 EuInsVO ist eine wesentliche arbeitnehmerorientierte Motivation zur Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren entfallen. Zudem sieht der neue Art. 36 EuInsVO die Möglichkeit vor, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch die Abgabe einer Zusicherung zu vermeiden. Dabei handelt es sich um einen äußerst komplexen Regelungsmechanismus, der zahlreiche Fragen aufwirft, die hier nicht vertieft werden können.99) Jedenfalls kann der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO in Bezug auf das Vermögen, das in dem Mitgliedstaat, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, belegen ist, eine einseitige Zusicherung des Inhalts geben, dass er bei der Verteilung dieses Vermögens oder des bei seiner Verwertung erzielten Erlöses die Verteilungs- und Vorzugsrechte nach nationalem Recht wahrt, die Gläubiger hätten, wenn ein Sekundärinsolvenzverfahren in diesem Mitgliedstaat eröffnet worden wäre. Diese Zusicherung muss gemäß Art. 36 Abs. 5 Satz 1 EuInsVO von den bekannten lokalen Gläubigern gebilligt werden.100) Wenn eine Zusicherung gemäß Art. 36 EuInsVO abgegeben wurde, eröffnet das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahren befasste Gericht gemäß Art. 38 Abs. 2 EuInsVO auf Antrag des Verwalters kein solches Verfahren, wenn es der Überzeugung ist, dass die Zusicherung die allgemeinen Interessen der lokalen Gläubiger angemessen schützt. V.

Zusammenfassung

Nach dem Ausgeführten können die wesentlichen Punkte und Thesen des Bei- 74 trags wie folgt zusammengefasst werden: x

Ein Insolvenzverfahren eines grenzüberschreitenden Konzerns wirft erhebliche Probleme auf, auch im Hinblick auf die Behandlung der Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse in einer solchen Konzerninsolvenz. Trotz der Bedeutung, die diesem Bereich in der Praxis zukommt, hat die Neufassung der EuInsVO zur arbeitsrechtlichen Kollisionsregel in Art. 13 EuInsVO (ehemals Art. 10 EuInsVO) wenig Neuerungen gebracht.

___________ 98) LAG Hessen, Teilurt. v. 5.3.2007 – 17 Sa 122/06, juris; Reinhart in: MünchKomm-InsO, Art. 28 EuInsVO 2000 Rz. 2; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057, 1062 f. 99) S. aber Skauradszun, ZIP 2016, 1563 ff.; Skauradszun, KTS 2016, 419 ff. 100) Der Begriff des lokalen Gläubigers wird in Art. 2 Nr. 11 EuInsVO definiert.

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511

§ 22 Arbeitsrechtliche Bezüge des europäischen Insolvenzrechts

x

In der weiteren Reformdiskussion anzuregen wäre die Frage, ob jedenfalls Betriebsübergänge (§ 613a BGB) allein vom Insolvenzstatut (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO) und nicht vom Arbeitsvertragsstatut (Art. 13 EuInsVO) umfasst sein sollten. Dies würde eine Anknüpfung an das Insolvenzrecht des Hauptinsolvenzverfahrens erlauben und damit die Praktikabilität von M&A-Transaktionen in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen erhöhen.

x

Die Auslegung der Begriffe „Arbeitsvertrag“ und „Arbeitsverhältnis“ i. S. von Art. 13 EuInsVO sind aus dem durch die Rechtsprechung geprägten Begriff des „Arbeitnehmers“ herzuleiten. Die h. M. möchte den Arbeitnehmerbegriff europarechtlich autonom auslegen. Es wäre aber zu überlegen, ob die Auslegung tatsächlich in allen Fällen autonom einheitlich erfolgen sollte. Geht es z. B. um eine von einem Insolvenzverwalter in einem deutschen Hauptinsolvenzverfahren beabsichtigte Betriebsänderung, kann sich der Arbeitnehmerbegriff sinnvollerweise nur an § 125 InsO i. V. m. § 5 BetrVG – und nicht an europäischen Vorgaben – orientieren.

x

Die Frage der Rechtswahl kann bei Arbeitsverträgen eine nicht unwichtige Rolle spielen. Grundsätzlich ist auch die Vereinbarung eines ausländischen Rechts durch die Parteien des Arbeitsvertrags zulässig. Diese Vereinbarung kann jedoch zwingende Vorschriften nicht abbedingen, die im Staat der Verrichtung der Arbeit gelten (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO). Bisher wenig erörtert ist die Frage, ob die Regeln des Insolvenzarbeitsrechts, z. B. die Sondervorschriften zur Kündigung (in Deutschland: §§ 108, 113 ff. InsO) oder über Betriebsänderungen und Sozialplanansprüche (§§ 120 ff. InsO), zwingende Schutzvorschriften i. S. von Art. 8 Rom I-VO sind. Gemessen am Schutzzweck des Art. 13 EuInsVO wird man dies bejahen müssen.

x

Die Reichweite der Verweisung von Art. 13 EuInsVO – und damit die Abgrenzung zwischen Arbeitsvertragsstatut und Insolvenzstatut – ist praktisch relevant und teilweise noch nicht abschließend geklärt. Aus deutscher Sicht werden insbesondere § 108, § 113 und §§ 120 ff. InsO sowie betriebsverfassungsrechtliche Normen vom Arbeitsvertragsstatut erfasst.

x

Demgegenüber unterfällt der Rang von Forderungen sowie die Frage nach Anforderungen an die Anmeldung, Prüfung und Feststellung einer Forderung aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis der lex fori concursus generalis.

x

Die Einordnung ausländischer Arbeitnehmerforderungen kann Schwierigkeiten bereiten, v. a. wenn ausländische Forderungen in einem deutschen Insolvenzverfahren geltend gemacht werden, die dem deutschen Recht unbekannt sind oder nur in abgewandelter Form bestehen. Es lassen sich jedoch unter Anwendung allgemeiner insolvenzrechtlicher Grundsätze sachgerechte Lösungen finden.

x

Das Insolvenzgeld untersteht weder dem Arbeitsvertrags- noch dem Insolvenzstatut, sondern folgt eigenen Regeln. In aller Regel können etwa deutsche

512

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V. Zusammenfassung

Arbeitnehmer nach den inländischen Regeln Insolvenzgeld beanspruchen, selbst wenn über das Vermögen des Arbeitgebers ein ausländisches (z. B. englisches) Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. x

Besondere Probleme des Insolvenzgelds stellen sich seit Einführung des ESUG, wenn Insolvenzgeld im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) ausbezahlt wurde und die Bundesagentur für Arbeit ihre Forderungen im Verfahren anmeldet. Trotz des missverständlichen Verweises in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO sind die Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit nur einfache Insolvenzforderungen und keine Masseverbindlichkeiten.

x

Art. 13 Abs. 2 EuInsVO enthält eine in der Vorgängernorm nicht enthaltene Regel zur internationalen Zuständigkeit. Danach verbleibt die Zuständigkeit für die Zustimmung zu einer Beendigung oder Änderung von Verträgen nach diesem Artikel bei den Gerichten (bzw. nach Unterabs. 2 den Behörden) des Mitgliedstaats, in dem ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden könnte, auch wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat kein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

x

Im Falle eines Sekundärinsolvenzverfahrens, bei dem ein anzuerkennendes Hauptverfahren vorliegt, kommt die lex fori concursus secundarii zur Anwendung (Art. 35 EuInsVO). Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf das Arbeitsverhältnis bleibt es allerdings bei der Regelung des Art. 13 EuInsVO. Durch die Neuregelung in Art. 13 Abs. 2 EuInsVO ist eine wesentliche arbeitnehmerorientierte Motivation zur Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren entfallen. Außerdem können Sekundärinsolvenzverfahren durch die Abgabe einer Zusicherung gemäß Art. 36 EuInsVO vermieden werden.

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Teil IV Besondere Formen der Beendigung von Arbeitsverträgen in der Sanierung und Insolvenz Einführung der Herausgeber Das letzte Kapitel des Sammelbandes befasst sich mit allen denkbaren Formen, Arbeitsverträge in der Krise zu beenden. Im Mittelpunkt stehen naturgemäß der Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag, die Transfergesellschaft und die Ruhestandsmodelle sowie alle Instrumente typischer „Freiwilligenprogramme“, gleich ob in oder außerhalb der Insolvenz.

§ 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften

Sigle

Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. Voraussetzungen ............................... 2 1. Betriebliche Voraussetzungen ........... 2 a) Vorliegen einer Betriebsänderung ...................................... 2 b) Einrichtung einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit................................... 4 c) Organisation und Mittelausstattung sowie System zur Qualitätssicherung ...................... 7 2. Persönliche Voraussetzungen.......... 10 a) Bedrohung von Arbeitslosigkeit.............................................. 10 b) Fortsetzen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung............................................ 11

c) Arbeitssuchendmeldung und Teilnahme am Profiling ..................................... 14 3. Beratung durch die Bundesagentur für Arbeit .......................................... 18 4. Massenentlassungsanzeige ............... 19 III. Ausgestaltung der Beschäftigungsgesellschaft ............................ 20 IV. Kosten............................................... 25 1. Transferkurzarbeitergeld ................. 26 2. Remanenzkosten und Kosten des Dienstleisters ............................. 27 3. Qualifizierungskosten...................... 31 4. Overheadförderung.......................... 33 V. Transfermaßnahmen ...................... 34

Literatur: Sigle, Rechtssichere Gestaltung von Transfersozialplänen, FA 2013, 73; Sigle, Einrichtung von Transfergesellschaften, FA 2013, 168; Sigle, Die Massenentlassungsanzeige, FA 2013. 229; Sigle, Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines Transfermitarbeiters wegen Wegfalls der Refinanzierungsmaßnahmen, FA 2013, 297.

I.

Einführung

Der Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften (auch Transfergesellschaften) hat 1 sich in den vergangenen Jahren als festes Instrument bei einem Stellenabbau in den Unternehmen etabliert. Ziel ist es, für die betroffenen Arbeitnehmer die drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden, indem sie in neue Beschäftigung vermittelt werden. Beschäftigungsgesellschaften werden von der Bundesagentur für Arbeit durch das sog. Transferkurzarbeitergeld (Transfer-KuG), bis Ende 2003 Strukturkurzarbeitergeld, gefördert, aber zu einem erheblichen Teil vom abgebenden Unternehmen finanziert. Auch sog. Transfermaßnahmen werden gefördert, die unten bei Rz. 34 ff. näher erläutert werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind in den §§ 110, 111 SGB III (bis 31.3.2012: §§ 216a, 216b SGB III) enthalten. Seit dem 1.8.2016 besteht die Möglichkeit der Förderung von beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen bei Transfer-KuG gemäß § 111a SGB III.

Sigle

517

§ 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften

II.

Voraussetzungen

1.

Betriebliche Voraussetzungen

a)

Vorliegen einer Betriebsänderung

2 Für die Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen für den Bezug von TransferKuG müssen zunächst in einem Betrieb Personalanpassungsmaßnahmen aufgrund einer Betriebsänderung durchgeführt werden (§ 111 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Als Betriebsänderung gilt eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG, jedoch unabhängig von der Betriebsgröße und unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Betrieb das BetrVG anzuwenden ist (§§ 111 Abs. 2 Satz 1, 110 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Damit werden auch Arbeitnehmer von solchen öffentlich-rechtlichen Unternehmen gefördert, die in selbstständiger Rechtsform erwerbswirtschaftlich betrieben werden, §§ 111 Abs. 8 Satz 2, 110 Abs. 3 Satz 3 SGB III. Ausgeschlossen sind Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Hinsichtlich des Umfangs der Entlassungen müssen in Abhängigkeit von der Zahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer einen Mindestzahl von Arbeitnehmern entlassen werden. Zur Ermittlung dieser Anzahl werden dabei die Zahlen des § 17 KSchG herangezogen. Bei Betrieben, in denen 600 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt werden, müssen mindestens 5 % der Belegschaft entlassen werden.1) 3 Das Erfordernis des Vorliegens einer Betriebsänderung bringt es mit sich, dass – sofern ein Betriebsrat vorhanden ist – ein Interessenausgleich und Sozialplan, häufig dann als Transfersozialplan bezeichnet, abgeschlossen werden muss. Ist kein Betriebsrat vorhanden, werden die Leistungen regelmäßig in schriftlichen Erklärungen des Arbeitgebers und den sog. dreiseitigen Verträgen festgelegt. b)

Einrichtung einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit

4 Für den Bezug von Transfer-KuG werden sog. betriebsorganisatorisch eigenständige Einheiten entweder beim Arbeitgeber selbst („interne beE“) oder bei Dienstleistern („externe beE“) eingerichtet. Der Zeitraum einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit kann max. zwölf Monate betragen. Der Wechsel in die Beschäftigungsgesellschaft findet mittels sog. dreiseitiger Verträge statt, in denen die Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag mit ihrem bisherigen Arbeitgeber und einen befristeten Arbeitsvertrag mit der Beschäftigungsgesellschaft abschließen. 5 Scheiden die Arbeitnehmer sukzessive aus dem Betrieb aus, weil sie z. B. noch für Abwicklungsarbeiten benötigt werden, können mehrere betriebsorganisa___________ 1) Eine detaillierte Übersicht der maßgeblichen Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer bezogen auf die Betriebsgröße enthält der Beitrag von Schimmelpfennig/Sigle in: SWKArbR, Transfergesellschaft Rz. 5. Nach Auffassung des LSG NRW bedarf es im Hinblick auf die Quantität des Personalabbaus nicht der Erfüllung eines Mindestschwellenwerts (LSG NRW, Urt. v. 23.2.2017 – L 9 AL 88/15).

518

Sigle

II. Voraussetzungen

torisch eigenständige Einheiten eingerichtet werden. Der Zeitraum der Bewilligung beginnt dabei jeweils am 1. eines Monats. Beispiel Wechsel der Arbeitnehmer zum 15.4., Bewilligung der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit bereits ab dem 1.4. bis max. 31.3. des Folgejahres. Wechseln die Arbeitnehmer also im Laufe eines Monats in die betriebsorgani- 6 satorisch eigenständige Einheit, kann bei Vertragslaufzeiten von zwölf Monaten nicht der volle Bezugszeitraum ausgeschöpft werden. Im Beispielsfall erfolgt keine Erstattung des im Folgejahr im Zeitraum 1.4. bis 14.4. gezahlten Entgelts. c)

Organisation und Mittelausstattung sowie System zur Qualitätssicherung Keine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines Transfermitarbeiters wegen Wegfalls der Refinanzierungszahlungen: BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 453/11, DB 2013, 1366

Für die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit muss die Organisation und 7 Mittelausstattung gewährleistet sein (§ 111 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB III). Organisation meint dabei, dass für die Beratung der Transfermitarbeiter eine ausreichende Infrastruktur durch den Dienstleister zur Verfügung gestellt wird. Dies betrifft einerseits die technische Ausstattung und das Vorhandensein von Beratungsbüros vor Ort sowie andererseits die Anzahl und Qualifikation des für die Beratung eingesetzten Personals. Während für die Qualifikation dabei durch die Bundesagentur für Arbeit keine Vorgaben gemacht werden, soll unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zum Beschäftigungschancengesetz2) bei der Anzahl der Berater ein Betreuungsschlüssel von 1:50 eingehalten werden, also ein Berater je 50 Transfermitarbeiter. Die Mittelausstattung ist dann ausreichend, wenn die Durchführung der Trans- 8 fergesellschaft in finanzieller Hinsicht gesichert ist, auch für den Fall, dass der bisherige Arbeitgeber die Beschäftigungsgesellschaft nicht (mehr) finanziert. Hier haben sich in der Praxis Bankbürgschaften oder die vollständige Vorfinanzierung als Absicherung bewährt. Spätestens seit der Entscheidung des BAG vom 24.1.2013, wonach eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung eines Transfermitarbeiters wegen Wegfalls der Refinanzierungszahlungen nicht möglich ist, muss auch die Transfergesellschaft selbst ein besonderes Augenmerk auf die Absicherung legen.3)

___________ 2) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt – Beschäftigungschancengesetz, v. 24.10.2010, BGBl. I 2010, 1417. 3) Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Inhalten des Urteils s. Sigle, FA 2013, 297.

Sigle

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§ 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften

9 Die Anwendung eines Systems zur Qualitätssicherung muss im Falle der internen betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit nachgewiesen werden. Dieses System soll die Arbeit der Beschäftigungsgesellschaft mess- und vergleichbar machen. Die Beschäftigungsgesellschaft soll dabei die angebotenen Maßnahmen (Stellenanzeigen, Qualifizierungsmaßnahmen etc.) in transparenter Weise festhalten. Für externe betriebsorganisatorisch eigenständige Einheiten sieht § 111 Abs. 3 Satz 2 SGB III vor, dass eine sog. Trägerzulassung nach § 178 SGB III nachgewiesen werden muss, die allerdings auch die Anwendung eines Qualitätssicherungssystems voraussetzt. Für die Trägerzulassung muss gemäß den Inhalten der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) vom 2.4.20124) die finanzielle und fachliche Leistungsfähigkeit des Trägers vorliegen und es dürfen keine Tatsachen gegeben sein, die seine Unzuverlässigkeit oder die der für die Führung der Geschäfte bestellten Personen darlegen. Die Beurteilung der Kriterien erfolgt durch eine fachkundige Stelle, also die Zertifizierungsstellen nach § 177 SGB III. Der Nachweis der Trägerzulassung ist Voraussetzung für die Gewährung von Transfer-KuG; ein nicht zugelassener Dienstleister kann also nicht mit der Durchführung einer Beschäftigungsgesellschaft beauftragt werden. 2.

Persönliche Voraussetzungen

a)

Bedrohung von Arbeitslosigkeit Betriebsbedingte Kündigungen „unkündbarer“ Mitarbeiter: BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, ZIP 1999, 326 = NZA 1999, 258 Bedrohung von Arbeitslosigkeit „unkündbarer“ Mitarbeiter: BSG, Beschl v. 18.6.2013 – B 11 AL 41/13 B, n. v.

10 Für die Gewährung von Transfer-KuG muss der betroffene Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit bedroht sein (§ 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Diese Voraussetzung stellt sich grundsätzlich in der Praxis nicht als problematisch dar. Ausnahmen gelten dann, wenn die Arbeitnehmer über einen besonderen Kündigungsschutz verfügen. So sind bspw. Betriebsräte regelmäßig während der Schutzfrist des § 15 Abs. 1 KSchG grundsätzlich nicht von Arbeitslosigkeit bedroht und damit von Transferleistungen ausgeschlossen. Gleiches galt bisher auch für die Arbeitnehmer, die über einen besonderen tarif- oder einzelvertraglichen Kündigungsschutz verfügen und ordentlich nicht (mehr) kündbar sind. Hier hat die Bundesagentur für Arbeit bisher unter Verweis auf die Rechtsprechung des BAG5) zur Kündbarkeit von kündigungsbeschränkten Arbeitnehmern nur ausnahmsweise Transfer-KuG gewährt. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des ___________ 4) Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung – AZAV, BGBl. I 2012, 504. 5) BAG, Urt. v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, ZIP 1999, 326 = NZA 1999, 258.

520

Sigle

II. Voraussetzungen

BSG vom 18.6.2013,6) wonach auch ein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit bedroht sein kann, wenn der Arbeitgeber die ernste Absicht hat, den Arbeitnehmer zu entlassen, wurden die Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit geändert. Eine Gewährung von Leistungen nach den §§ 110, 111 SGB III an diesen Arbeitnehmerkreis ist seither möglich. b)

Fortsetzen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung

Die in § 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III geregelte Voraussetzung, dass eine versi- 11 cherungspflichtige Beschäftigung fortgesetzt werden muss, beinhaltet einerseits, dass nur versicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer in eine Beschäftigungsgesellschaft wechseln können. Dies schließt geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer (Grenze seit 1.1.2013: 450 €/Monat, § 8 SGB IV) regelmäßig aus. Andererseits setzt das Fortsetzen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung voraus, dass die Beschäftigung in der Beschäftigungsgesellschaft während Kurzarbeit null versicherungspflichtig ist. Damit sind Arbeitnehmer in Elternzeit während der Fortdauer der mit dem bis- 12 herigen Arbeitgeber vereinbarten Elternzeit vom Transfer-KuG-Bezug ausgeschlossen. Ein Abbrechen der Elternzeit für den Wechsel in die Beschäftigungsgesellschaft, um dort Transfer-KuG zu beziehen, ist nach Auffassung der Agenturen für Arbeit ausgeschlossen. Arbeitnehmer, die länger arbeitsunfähig erkrankt sind, müssen vor dem Wechsel 13 in die Beschäftigungsgesellschaft, spätestens aber innerhalb eines Monats danach (§ 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 lit. b Halbs. 2 SGB III) am Profiling teilgenommen haben. c)

Arbeitssuchendmeldung und Teilnahme am Profiling

Vor dem Wechsel in die Beschäftigungsgesellschaft müssen die Arbeitnehmer 14 sich arbeitssuchend melden und am Profiling teilgenommen haben, § 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB III. Die Arbeitssuchendmeldung kann auch als kollektive Arbeitssuchendmeldung unter Nutzung der hierfür vorgesehenen Vordrucke der Bundesagentur für Arbeit erfolgen. Durch die Arbeitssuchendmeldung wird der Arbeitnehmer auch in die Vermittlungsbemühungen der für ihn zuständigen Agentur für Arbeit aufgenommen. Dieses durch das Beschäftigungschancengesetz7) neu eingeführte Erfordernis hat dazu geführt, dass die Arbeitnehmer auch regelmäßig bei der Agentur für Arbeit zu Gesprächen eingeladen und die Ver___________ 6) BSG, Beschl. v. 18.6.2013 – B 11 AL 41/13 B, BeckRS 2013, 70406; Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Transfermaßnahmen – § 110/Transferkurzarbeitergeld – § 111, zu § 110 Abs. 1, Nr. 110.7, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/ prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016428.pdf (Abrufdatum: 12.4.2019). 7) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt – Beschäftigungschancengesetz, v. 24.10.2010, BGBl. I 2010, 1417.

Sigle

521

§ 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften

mittlungsbemühungen nachgewiesen und erörtert werden. Hierfür wird die sog. Transfermappe genutzt, in der die Bewerbungsunterlagen und -aktivitäten festgehalten werden und die für alle drei betroffenen Stellen (Arbeitnehmer, Beschäftigungsgesellschaft, Bundesagentur für Arbeit) als Arbeitsgrundlage dienen soll. 15 Die verpflichtende Teilnahme am in der Regel zweitägigen Profiling erfordert insbesondere in kurzfristig umzusetzenden Umstrukturierungsmaßnahmen ein erhebliches Organisationstalent des mit der Umsetzung beauftragten Dienstleisters. Das Profiling wird regelmäßig bereits durch den (externen) Anbieter der Beschäftigungsgesellschaft durchgeführt, da hier bereits für die nachfolgenden Vermittlungsbemühungen wertvolle Informationen erarbeitet werden. Das Profiling muss zwingend von einem Dritten durchgeführt werden, § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III, und wird von der Agentur für Arbeit bezuschusst. 16 Ziel des Profilings ist die Feststellung der Eingliederungsaussichten des einzelnen Arbeitnehmers; es beinhaltet in diesem Sinne also die Aufnahme der Ausbildung, des bisherigen Berufswegs, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie bereits die Aussicht auf die weitere berufliche Perspektive und ggf. das Erarbeiten eines Qualifizierungsbedarfes. 17 Kann in berechtigten Ausnahmefällen trotz Mithilfe der Agentur für Arbeit das Profiling nicht rechtzeitig durchgeführt werden, kann das Profiling innerhalb eines Monats nach Überleitung in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit nachgeholt werden (siehe Rz. 13). Als berechtigter Ausnahmefall gilt insbesondere der Fall, dass die Betriebsparteien den Interessenausgleich/Sozialplan erst kurzfristig vor dem Wechsel der Arbeitnehmer in die Beschäftigungsgesellschaft abschließen oder eine Erkrankung des Arbeitnehmers vorliegt. Die Agentur für Arbeit ist dabei mit den Vorgaben des Gesetzes einzubinden, wobei die dort erwähnte „Mithilfe“ regelmäßig nicht die Durchführung des Profilings durch die Agentur für Arbeit selbst bedeutet. Wird das Profiling innerhalb des ersten Monats nachgeholt, besteht an den betroffenen Tagen kein Anspruch auf Transfer-KuG, welches dann vom bisherigen Arbeitgeber zu finanzieren ist. Der Zuschuss der Agentur für Arbeit wird hingegen für das „verspätete“ Profiling gezahlt. 3.

Beratung durch die Bundesagentur für Arbeit

18 Die gesetzlich in § 111 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III vorgeschrieben Beratung der Betriebsparteien durch die Agentur für Arbeit ist zwingend vor Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans durchzuführen. Am Beratungsgespräch muss – sofern ein Betriebsrat vorhanden ist – auch ein Vertreter des Betriebsrats teilnehmen. Die Beratung erfolgt min. durch einen Vertreter der für den Betrieb zuständigen Agentur für Arbeit; sind mehrere Standorte betroffen, ist zuvor zu klären, ob jeweils ein betriebsbezogenes Beratungsgespräch durchgeführt, die „Federführung“ durch eine einzelne Agentur übernommen oder das Gespräch

522

Sigle

II. Voraussetzungen

unter Beteiligung aller betroffenen Agenturen geführt wird. In der Regel nehmen auch Vertreter für die Bereiche Arbeitslosigkeit und Massenentlassungsanzeige (siehe hierzu Rz. 19) der Agentur für Arbeit teil. Inhalte des Beratungsgespräches sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Transferleistungen, Inhalte eines vermittlungsorientierten Transfersozialplanes, vermittlungshemmende Elemente und die Voraussetzungen für die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen. Regelmäßig werden auch die Entwürfe der abzuschließenden Betriebsvereinbarungen übergeben, wobei in den internen Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit ausdrücklich klargestellt wird, dass eine aktive Einbindung in die Ausgestaltung dieser Vereinbarung ausgeschlossen ist.8) Über die Inhalte des Beratungsgespräches wird ein Beratungsvermerk erstellt, der den Betriebsparteien zur Verfügung gestellt wird. Die Durchführung des Beratungsgespräches ist Voraussetzung für die Gewährung von Transferleistungen, so dass auf die Vereinbarung dieses Gespräches zu einem ausreichend frühen Zeitpunkt ebenfalls ein besonderes Augenmerk zu richten ist. 4.

Massenentlassungsanzeige Fehlerhafte Massenentlassungsanzeige: BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029, 1033

Auch bei einem vorgesehenen Wechsel der vom Stellenabbau betroffenen Ar- 19 beitnehmer in die Beschäftigungsgesellschaft ist zu prüfen, ob eine Pflicht zur Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG gegeben ist. Das BAG9) hat hierzu am 28.6.2012 entschieden, dass jedenfalls die Arbeitnehmer, bei denen im Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige noch nicht feststeht, dass sie in eine Beschäftigungsgesellschaft wechseln werden, bei der Berechnung des Schwellenwerts für die Ermittlung der Anzeigepflicht mitzuzählen sind. Dies wurde in den internen Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zum Dritten und Vierten Abschnitt des KSchG10) zwischenzeitlich dahingehend nachvollzogen, dass für die Ermittlung der Überschreitung des Schwellenwerts diejenigen Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, die zum Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige noch nicht den dreiseitigen Vertrag unterschrieben haben. ___________ 8) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Transfermaßnahmen – § 110/Transferkurzarbeitergeld – § 111, zu § 110 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 110.9, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016428.pdf (Abrufdatum: 12.4.2019). Zu den Inhalten eines Transfersozialplanes s. Sigle, FA 2013, 73. 9) BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, ZIP 2012, 1822 = NZA 2012, 1029, 1033. 10) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Dritter und Vierter Abschnitt Kündigungsschutzgesetz – KSchG, Stand: 20.10.2017, Nr. 17/23 (4), abrufbar unter https://con.arbeits agentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/Fachliche-Weisung-KSchG_ba016401 .pdf (Abrufdatum: 12.4.2019). Detaillierte Ausführungen zur Umsetzung bei Transfergesellschaften sind in dem Aufsatz von Sigle, FA 2013, 229, enthalten.

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§ 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften

III.

Ausgestaltung der Beschäftigungsgesellschaft

20 Hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse in der Beschäftigungsgesellschaft sind Mindestvorgaben zu berücksichtigen. Danach soll die Verweildauer des einzelnen Arbeitnehmers dessen individuelle Kündigungsfrist überschreiten,11) wobei regelmäßig eine um einen Monat längere Verweildauer empfohlen wird. Im Falle einer Insolvenz gilt § 113 Satz 2 InsO auch bezogen auf die Mindestverweildauer. Die maximale Befristungsdauer ist durch die Bezugsfrist des TransferKuG von zwölf Monaten, § 111 Abs. 1 Satz 2 SGB III, auf diesen Zeitraum begrenzt. 21

Praxishinweis Etabliert haben sich Regelungen, wonach die Verweildauer die doppelte individuelle Kündigungsfrist, mindestens aber eine bestimmte Anzahl von Monaten beträgt. Unter dem Aspekt effektiver Vermittlungsaktivitäten sollte eine möglichst lange Verweildauer vereinbart werden.

22 Regelmäßig werden hinsichtlich der Vergütung Aufstockungsleistungen auf das Transfer-KuG gezahlt, die in der Regel eine Absicherung auf ca. 80 % des bisherigen Nettoeinkommens gewährleisten. Vorgaben zu einer maximalen Höhe des Aufstockungsbetrags durch die Agentur für Arbeit gibt es nicht, seit sog. Zumutbarkeitsregelungen insoweit ein „Korrektiv“ geben. Danach ist ein Stellenangebot für einen Transfer-KuG-Bezieher nicht zumutbar, wenn entweder die individuelle restliche Verweildauer in der Beschäftigungsgesellschaft länger ist als die Dauer der angebotenen befristeten Beschäftigung, oder das erzielbare Bruttoentgelt die Höhe des Bruttoentgelts in der Beschäftigungsgesellschaft unterschreitet.12) Bewirbt sich ein Transfermitarbeiter auf eine solche, von der Agentur für Arbeit angebotene und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Stellenausschreibung nicht, können Sanktionen in Form von Sperrzeiten verhängt werden. 23

Praxishinweis Um die Aufnahme einer neuen Tätigkeit für den Transfermitarbeiter zu erleichtern, sollte die Ruhendstellung des Arbeitsvertrags mit der Beschäftigungsgesellschaft ermöglicht werden. Im Falle der Beendigung des aufgenommenen Arbeitsverhältnisses ist dann die Rückkehr in die Beschäftigungsgesellschaft möglich.13)

___________ 11) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Transfermaßnahmen – § 110/Transferkurzarbeitergeld – § 111, zu § 111 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Nr. 111.8, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016428.pdf (Abrufdatum: 12.4.2019). 12) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Transfermaßnahmen – § 110/Transferkurzarbeitergeld – § 111, zu § 111 Abs. 7, Nr. 111.36, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016428.pdf (Abrufdatum: 12.4.2019). 13) Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Transfermaßnahmen – § 110/Transferkurzarbeitergeld – § 111, zu § 111 Abs. 7, Nr. 111.34, Stand: 20.12.2018, abrufbar unter: https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba016428.pdf (Abrufdatum: 12.4.2019).

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IV. Kosten

In gleicher Weise fördern sog. Sprinterprämien die Vermittlungsbereitschaft der 24 Transfermitarbeiter. Diese als Abfindung sozialversicherungsfrei zahlbaren Beträge werden dann gezahlt, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis mit der Beschäftigungsgesellschaft wegen einer Arbeitsaufnahme kündigt. Dabei werden entweder feste Beträge oder die (anteilige) Beteiligung an den eingesparten Kosten je Monat der vorzeitigen Beendigung gezahlt und häufig auch Ruhenszeiten erfasst. Für den Arbeitgeber stellen die Sprinterprämien keine zusätzliche finanzielle Belastung dar, da durch die Aufnahme der neuen Tätigkeit die Gehaltszahlung durch die Beschäftigungsgesellschaft entfällt.14) IV.

Kosten

Werden betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgesprochen, sondern findet statt- 25 dessen ein Wechsel der Arbeitnehmer zu Beginn der „Kündigungsfrist“ in die Beschäftigungsgesellschaft statt, können Beschäftigungsgesellschaften kostenneutral oder sogar günstiger als die Kosten einer Kündigungsfrist gestaltet werden. Diese Möglichkeit ergibt sich insbesondere aus der Refinanzierung eines erheblichen Gehaltsbestandteiles durch das Transfer-KuG. Durch Ruhendstellungen und vorzeitige Vermittlungen werden die Kosten weiter verringert. 1.

Transferkurzarbeitergeld

Das Transfer-KuG wird von der Agentur für Arbeit erstattet und beträgt 60 bzw. 26 67 % der Nettoentgeltdifferenz. Die Höhe ist abhängig davon, ob der Transfermitarbeiter oder sein Ehegatte/Lebenspartner mindestens ein Kind i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 EStG haben, dann beträgt das Transfer-KuG 67 % der Nettoentgeltdifferenz. Da es sich um einen Erstattungsanspruch handelt, wird das Transfer-KuG erst nach Auszahlung an den Mitarbeiter und Beantragung bei der Agentur für Arbeit jeweils ausgezahlt. Damit ist mindestens im ersten Monat einer Beschäftigungsgesellschaft auch das Transfer-KuG arbeitgeberseitig vorzufinanzieren. 2.

Remanenzkosten und Kosten des Dienstleisters

Der bisherige Arbeitgeber finanziert für die in die Beschäftigungsgesellschaft 27 wechselnden Arbeitnehmer die sog. Remanenzkosten, also x

die Vergütung für Urlaubs- und Feiertage,

x

den Aufstockungsbetrag,

x

die Krankheitsbezahlung sowie

x

die Sozialversicherungsbeiträge inkl. der Beiträge zur Berufsgenossenschaft.

___________ 14) Weitere Details zur Gestaltung von Transfersozialplänen und Transfergesellschaften s. Sigle, FA 2013, 73, und Sigle, FA 2013, 168.

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§ 23 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften

28 Dabei bilden die Sozialversicherungsbeiträge den verhältnismäßig höchsten Betrag, da die Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung für die Tage, an denen Transfer-KuG gezahlt wird, i. H. von 80 % des diesen Tagen zugeordneten Bruttoentgelts allein vom Arbeitgeber getragen werden. Bei der Urlaubsund Feiertagsvergütung werden zu allen vier Sozialversicherungsträgern Beiträge abgeführt. 29 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der EuGH am 8.11.201215) entschieden hat, dass das Unionsrecht nicht entgegensteht, wenn in einem Sozialplan vereinbart wird, dass der Anspruch eines sich in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub im Verhältnis zur Arbeitszeitverkürzung gekürzt wird und bei Kurzarbeit null dann einen Urlaubsanspruch null bewirkt. Bisher vertreten die Agenturen für Arbeit jedoch mit Verweis auf die Mitwirkungspflichten der Arbeitnehmer, die während Kurzarbeit null nicht ausgesetzt seien, die Auffassung, dass Urlaub in der Beschäftigungsgesellschaft gewährt und vergütet werden muss. Sie berufen sich auch auf die bisherige Rechtsprechung des BAG, wonach das Entstehen des gesetzlichen Erholungsurlaubs – etwa im ruhenden Arbeitsverhältnis – keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraussetzt.16) Das BAG hat seine Ansicht zwischenzeitlich für den Fall unbezahlten Sonderurlaubs revidiert17), so dass hier die weitere Entwicklung beobachtet werden muss. 30 Für die Beauftragung einer externen Beschäftigungsgesellschaft entstehen zusätzlich Kosten für deren Dienstleistung. Häufig werden sog. Beratungspauschalen in Rechnung gestellt, die je Mitarbeiter und Monat anfallen. Vielfach haben sich aber auch prozentuale Beteiligungen an Kosteneinsparungen aufgrund der Vermittlung der Transfermitarbeiter etabliert. Ein Kostenvergleich zwischen verschiedenen Anbietern gestaltet sich durchaus als schwierig, da häufig verschiedenen Komponenten berechnet werden und eine einheitliche Vorgehensweise nicht gegeben ist. 3.

Qualifizierungskosten

31 Seit dem 1.8.2016 können Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Transfer-KuG haben, bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung durch die Übernahme der Weiterbildungskosten durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert werden. Diese in § 111a SGB III geregelte Förderung richtet sich an Arbeitnehmer, die über keinen Berufsabschluss verfügen oder bei Beginn der Teilnahme das 45. Lebensjahr vollendet haben. Der Arbeitgeber trägt 50 % der Lehr___________ 15) EuGH, Urt. v. 8.11.2012 – Rs. C-229/11, Rs. C-230/11 (Heimann und Toltschin), ZIP 2012, 2522 = NZA 2012, 1273, dazu EWiR 2013, 7 (Forst). 16) So BAG, Urt. v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, ZIP 2013, 239 = NZA 2012, 1216, dazu EWiR 2013, 45 (Köhler). 17) BAG, Urt. v. 19.3.2019 – 9 AZR 315/17, n. n. v.

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V. Transfermaßnahmen

gangskosten, im Falle eines Insolvenzereignisses kann die Bundesagentur für Arbeit aber eine niedrigere Beteiligung des Arbeitgebers an den Lehrgangskosten festlegen. 32

Praxishinweis Die tatsächliche über die gesetzlich vorgesehene Höhe von 50 % hinaus gehende Förderung bei Insolvenzereignissen ist regional unterschiedlich; teilweise übernimmt die Agentur für Arbeit bis zu 100 % der Maßnahmekosten. Eine frühzeitige Einbindung der Bundesagentur für Arbeit ist daher sinnvoll.

4.

Overheadförderung

Ebenfalls aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds kann eine sog. Overhead- 33 förderung erfolgen, die die Kosten des Dienstleisters für die Durchführung der Beschäftigungsgesellschaft (teilweise) übernimmt. Auch hier gibt es erhebliche regionale Unterschiede, so dass die Möglichkeit dieser Förderung ebenfalls mit der Agentur für Arbeit i. R. des Beratungsgespräches zu erörtern ist; ggf. wird an andere Ansprechpartner/Stellen verwiesen. V.

Transfermaßnahmen

Werden die Arbeitnehmer noch für die Tätigkeit im Unternehmen während 34 der Kündigungsfrist benötigt, bietet sich die Einrichtung einer sog. Transferagentur an. Dabei wechseln die Arbeitnehmer nicht in Kurzarbeit null in eine Beschäftigungsgesellschaft, sondern arbeiten beim bisherigen Arbeitgeber weiter. Ziel ist, während der Transferagentur eine Vermittlung in eine neue Beschäftigung zu erreichen. Hierfür werden ebenfalls Dienstleister beauftragt, die dann Bewerbungstrainings, Stellensuche etc. vor Ort im Unternehmen durchführen. Die Arbeitnehmer werden für die Teilnahme an den Maßnahmen bezahlt von der Arbeit freigestellt. Die Kosten für die Durchführung der Maßnahmen werden von der Agentur für Arbeit über einen Zuschuss gefördert, der 50 %, max. 2.500 € beträgt. 35

Praxishinweis Für die Akzeptanz der Maßnahmen ist von wesentlicher Bedeutung, dass diese während der Arbeitszeit und nicht vorher oder nachher veranstaltet werden. Auch sollten die konkreten Zeiten mit den zuständigen Führungskräften besprochen werden, damit von dort eine Freigabe zur Teilnahme erfolgt.

Da die Transfermaßnahmen, also die Suche nach neuen Arbeitsplätzen, während 36 der Beschäftigung im Unternehmen durchgeführt werden, können diese Maßnahmen schon während der Kündigungsfrist zu Kosteneinsparungen durch Vermittlungen führen. Dennoch wird dies unternehmensseitig häufig als Nachteil gesehen, weil die Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Unternehmen ausscheiden, obwohl sie für die Tätigkeiten noch gebraucht werden.

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§ 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang – ein Umgehungsthema? –

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Übersicht I. Einführung......................................... 1 II. Entwicklung der Rechtsprechung ........................................... 2 1. Die Dörries ScharmannEntscheidung ...................................... 2 2. Die Jahre 1998 bis 2010.................... 10 3. Rechtsprechung seit 2011 ................ 13 III. Zukünftige Vorgehensweise.................................................. 16

1.

Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Abschluss der dreiseitigen Verträge ........................ 17 2. Dauer der Befristung in der Beschäftigungsgesellschaft .............. 21 3. Umgehung der Sozialauswahl.......... 23 IV. Haltung der Agenturen für Arbeit zur genannten Vorgehensweise.......................................... 25

Literatur: Fuhlrott, Zwischengeschaltete Transfergesellschaften zur Vermeidung von Betriebsübergängen, NZA 2012, 549; Pils, Umgehung von § 613a BGB durch Einsatz einer Transfergesellschaft, NZA 2013, 125.

I.

Einführung

Seit Jahren werden Beschäftigungsgesellschaften bei Veräußerungen von Betrieben 1 oder Betriebsteilen eingesetzt, um die Folgen eines Betriebsübergangs zu umgehen. Die Gestaltung basiert dabei auf der Rechtsprechung des BAG, welches in den vergangenen Jahren mehrfach zu verschiedenen Konstellationen geurteilt hat. Nachfolgend wird dargestellt, wie eine Beschäftigungsgesellschaft bei Betriebsübergängen unter Beachtung dieser Rechtsprechung eingesetzt werden kann. II.

Entwicklung der Rechtsprechung

1.

Die Dörries Scharmann-Entscheidung Keine Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses: BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97 (Dörries Scharmann I), ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422

Selbstverständlich können Verhandlungen des Arbeitgebers mit der Arbeitneh- 2 mervertretung über Umstrukturierungsmaßnahmen nicht immer geheim gehalten werden; oft gehört es auch zur Unternehmenspolitik, offen über diese Verhandlungen zu kommunizieren. Dies erfasst auch solche Verhandlungen, die im Zusammenhang mit der Übernahme von Betrieben oder Betriebsteilen durch einen Erwerber geführt werden. Dann ist es auch nicht auszuschließen, dass die Arbeitnehmer aus Sorge, den Job möglicherweise ohnehin zu verlieren, aus Eigeninitiative einen neuen Job suchen und dabei auch erfolgreich sind. In solchen Fällen bleibt es dem Arbeitnehmer selbstverständlich unbenommen, sich mit dem bisherigen Arbeitgeber über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einigen (siehe zum Aufhebungsvertrag oben § 3).

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§ 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang

3 Das BAG1) hatte hierzu entschieden, dass solche Vereinbarungen, die zwischen dem Arbeitnehmer und dem alten oder dem neuen Betriebsinhaber geschlossen werden und auf ein endgültiges Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sind, ohne Rücksicht auf ihre sachliche Berechtigung wirksam sind. Die Rechtsprechung trage damit dem Umstand Rechnung, dass der Arbeitnehmer alternativ dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprechen und damit den Eintritt der Rechtsfolgen des § 613a BGB verhindern könne. 4 Auf dieser Grundlage hatte das BAG2) im Jahr 1998 über folgende Konstellation zu entscheiden: Im Zuge der Insolvenz seines bisherigen Arbeitgebers hatte der Kläger einen dreiseitigen Vertrag abgeschlossen und war in eine Beschäftigungsgesellschaft gewechselt. Eine Erwerbergesellschaft nahm sodann mit den gleichen Betriebsmitteln des bisherigen Arbeitgebers ihre Tätigkeit im gleichen Sektor auf und stellte in der Folge ca. 250 Mitarbeiter vorrangig aus dem Kreis der bisher ca. 500 Arbeitnehmer zu veränderten – verschlechterten – Bedingungen ein. Der Kläger wurde nicht eingestellt, sondern nahm an Maßnahmen der Beschäftigungsgesellschaft teil. Er machte gerichtlich geltend, dass sein Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB auf die Auffanggesellschaft übergegangen sei. 5 Dies hat das BAG nicht so gesehen. Der für den Wechsel in die Beschäftigungsgesellschaft abgeschlossene dreiseitige Vertrag sei nicht wegen Umgehung von § 613a BGB gemäß § 134 BGB nichtig. In diesem Zusammenhang geschlossene Aufhebungsverträge sind nur dann wegen objektiver Gesetzesumgehung nichtig, wenn sie lediglich die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezwecken und dabei die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen sachlich ungerechtfertigt sind. 6 Ist hingegen der in dem dreiseitigen Vertrag enthaltene Aufhebungsvertrag darauf ausgerichtet, dass der Arbeitnehmer endgültig aus dem Betrieb ausscheidet, und weiß der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Vereinbarung nicht, ob er vom Betriebserwerber übernommen wird – oder zumindest nicht sicher damit rechnen kann –, kommt die Vertragskonstellation für den Arbeitnehmer einem Risikogeschäft gleich. Nach den Ausführungen des BAG konnten die Arbeitnehmer durch den Abschluss des dreiseitigen Vertrages ihre Stellung rechtlich geringfügig verbessern. Der Vertrag habe ihnen neben der sozialrechtlichen Positionsverbesserung die Chance eröffnet, beim Betriebserwerber ein neues Arbeitsverhältnis zu finden. Da die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim Erwerber für den Kläger jedoch nicht absehbar war, diente der dreiseitige Vertrag nicht der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses. ___________ 1) BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262, 263. 2) BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97 (Dörries Scharmann I), ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, daz EWiR 1999, 247 (Joost).

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II. Entwicklung der Rechtsprechung

Im Nachgang zu dieser sog. Dörries-Scharmann-Entscheidung wurden Beschäf- 7 tigungsgesellschaften häufig bei vergleichbaren Konstellationen eingesetzt, wobei die Vorgehensweise vorrangig im Zusammenhang mit (drohenden) Insolvenzen genutzt wurde. Indem durch den Erwerber dabei häufig vorgegeben wurde, dass nahezu alle Arbeitnehmer in die Beschäftigungsgesellschaft wechseln müssen (die Quoten belaufen sich regelmäßig auf deutlich über 90 %), bevor die materiellen Betriebsmittel übernommen werden, hat sich dabei etabliert, dass die dreiseitigen Verträge zuerst von den Arbeitnehmern unterzeichnet werden. Ist der Rücklauf ausreichend, nimmt der Erwerb der Betriebsmittel seinen Lauf und der Betrieb vom Erwerber fortgeführt. Es versteht sich von selbst, dass Erklärungen zu einer hohen Wahrscheinlichkeit 8 der individuellen Übernahme beim Erwerber oder sogar diesbezügliche Zusagen schädlich sind. Andererseits hat schon das BAG in seiner Entscheidung im Jahr 1998 ausgeführt, dass das Wissen, dass eine Betriebsfortführung durch den Erwerber „angestrebt“ wird, nicht dazu führt, dass ein Umgehungstatbestand gegeben ist. Im Jahr 1999 hat das BAG3) hierzu zusätzlich sogar erläutert, dass selbst mit 9 detaillierten Ausführungen i. R. einer Betriebsversammlung über den Zweck des gesamten Modells – Entlastung der Masse, Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die BQG, damit verbundene sozialrechtliche Vorteile und eine Chance zur Rettung von Arbeitsplätzen ohne soziale Gesichtspunkte – die Voraussetzungen für eine Anfechtung der Erklärung zum Abschluss des dreiseitigen Vertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung nicht gegeben seien. 2.

Die Jahre 1998 bis 2010 Zur Wirksamkeit von Aufhebungsverträgen bei Einschaltung einer BQG: BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, ZIP 2006, 148 BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = BB 2007, 1054

Das BAG hatte nach der Entscheidung aus dem Jahr 1999 erst wieder in 2005 10 Veranlassung, sich zur Konzeption zu äußern und dabei auch die Gelegenheit ergriffen, sich intensiv mit der zwischenzeitlich in der Literatur geäußerten Kritik4) zu befassen. Diese bestand im Wesentlichen darin, dass durch die Vorgehensweise der Kündigungsschutz umgangen werde, da die Auswahl der Arbeitnehmer außerhalb einer Sozialauswahl erfolge; auch würde sich der Arbeitnehmer ___________ 3) BAG, Urt. v. 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, dazu EWiR 1999, 1163 (Heckelmann). 4) BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, ZIP 2006, 148, dazu EWiR 2006, 197 (Lindemann). Nach Kania in: Küttner, Personalbuch 2019, Beschäftigungsgesellschaft, Rz. 6, begegnet die in dem Modell liegende Kombination von Aufhebungsvertrag mit allen und Neubegründung mit einem Teil der Arbeitnehmer „erheblichen Bedenken“. Eine Übersicht über die durchaus kritischen Entscheidungen der Instanzgerichte ist im Aufsatz von Fuhlrott, NZA 2012, 549, 551, enthalten.

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§ 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang

tatsächlich nicht autonom entscheiden und sich vielmehr zugunsten einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit einer Drucksituation beugen. 11 Das BAG hielt aber an seiner Auffassung fest, dass ein Aufhebungsvertrag auch bei einer objektiv bezweckten Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes nur dann unwirksam ist, wenn die mit dieser Vertragsgestaltung verbundene Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sachlich unberechtigt ist. Werde hingegen die Übernahme in eine Beschäftigungsgesellschaft nur zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt, die Sozialauswahl zu umgehen, seien die Aufhebungsverträge unwirksam. 12 Zur Frage einer möglichen Anfechtung des Aufhebungsvertrages gemäß § 123 Abs. 1 BGB hat das BAG mit Urteil vom 23.11.20065) ergänzend entschieden, dass diese Möglichkeit dann gegeben ist, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beim Abschluss des Vertrages vorspiegelt, der Betrieb solle geschlossen werden, in Wahrheit jedoch ein (Teil-)Betriebsübergang beschlossen ist. 3.

Rechtsprechung seit 2011 Unwirksamkeit einer sog. dreiseitigen Vereinbarung: BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152 BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, ArbRB 2013, 69

13 Mit der als „Lotterie-Urteil“ titulierten Entscheidung des BAG vom 18.8.20116) hat sich die Lage dahingehend gewandelt, als erstmals die Unwirksamkeit eines dreiseitigen Vertrages bestätigt wurde. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit wurde zunächst zwischen dem Kläger i. R. der Insolvenz seines bisherigen Arbeitgebers ein dreiseitiger Vertrag zum Wechsel des Klägers in eine Beschäftigungsgesellschaft geschlossen, nachdem ihm zuvor sechs Versionen dieses Vertrages mit unterschiedlichen Ein- und Austrittsdaten beim Insolvenzverwalter bzw. in der Beschäftigungsgesellschaft angeboten worden waren. Eine von allen Parteien unterzeichnete Version des dreiseitigen Vertrages hat der Kläger jedoch nicht erhalten. Der Insolvenzverwalter legte dem Kläger und den weiteren Beschäftigten in der Folge zusätzlich vor Eintritt in die Beschäftigungsgesellschaft jeweils auf sie ausgefertigte Verträge mit einer Erwerbergesellschaft in einer unbefristeten und einer befristeten Version vor und wies dabei darauf hin, dass keine Sicherheit und kein Anspruch darauf bestehe, dass das „Angebot“ der Arbeitnehmer auf Abschluss der vorbereiteten Verträge angenommen werde. Der Kläger unterschrieb beide Vertragsangebote. Auf einer Betriebsversammlung am ersten Tag der Befristung des Klägers bei der Beschäftigungsgesellschaft wurde mitgeteilt, dass 352 von 452 Mitarbeitern bei der Erwerbergesellschaft eingestellt ___________ 5) BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = BB 2007, 1054, m. Anm. Müller. 6) BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426 = NZA 2012, 152, dazu EWiR 2012, 41 (Joost).

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III. Zukünftige Vorgehensweise

würden, die zwischenzeitlich das Betriebs- und Anlagevermögen vom Insolvenzverwalter erworben hatte. Die Auswahl der Mitarbeiter fand durch ein Losverfahren statt; der Kläger erhielt einen befristeten Arbeitsvertrag bei der Erwerbergesellschaft. Der Beginn dieses Arbeitsverhältnisses entsprach dem vorgesehenen zweiten Tag des Klägers in der Beschäftigungsgesellschaft; das Arbeitsverhältnis mit der Beschäftigungsgesellschaft wurde rückwirkend aufgehoben, und zwar zum Ablauf des ersten dortigen Befristungstages. Das BAG hatte bereits Bedenken, ob mit dem tatsächlichen Geschehen überhaupt 14 ein dreiseitiger Vertrag zustande gekommen ist. Unterstellt, ein solcher sei zustande gekommen, könne dieser aber die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses nicht unterbrechen, da er wegen Umgehung des § 613a BGB unwirksam sei. Es handelt sich damit um die erste Entscheidung des BAG, in der dieses einen sachlichen Grund für die Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung in einem dreiseitigen Vertrag verneint. Als Begründung wird angeführt, durch die Chance, einer der 352 von 452 zu übernehmenden Mitarbeitern zu sein, sei ein Arbeitsverhältnis „verbindlich in Aussicht gestellt“ worden, da sich der Erwerber zum Zeitpunkt der Losentscheidung an das Ergebnis gebunden hatte. Zusätzlich sei die Übernahme in die Beschäftigungsgesellschaft für 24 Stunden nur zum Schein erfolgt. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger die Entscheidung über das neue Arbeitsverhältnis an seinem alten Arbeitsplatz getroffen habe. Dies führe dazu, dass zwischen dem bisherigen Arbeitsverhältnis beim Insolvenzverwalter und dem neuen Arbeitsverhältnis beim Erwerber ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehe. In ähnlicher Weise hat das BAG7) dann am 25.10.2012 entschieden, dass der 15 Abschluss eines dreiseitigen Vertrages, durch den ein Arbeitsverhältnis mit einer Beschäftigungsgesellschaft nur 30 Minuten besteht, dem Zweck dient, die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu umgehen. Hier wurde über 1.500 Arbeitnehmern von bisher ca. 1.600 Arbeitnehmern eine tarifvertragliche Zusage gemacht, vom Erwerber übernommen zu werden. Dies erwecke beim Arbeitnehmer zwangsläufig den Eindruck, dass er zu denjenigen Arbeitnehmern gehört, die übernommen werden sollen. III.

Zukünftige Vorgehensweise

Die beiden aktuellen Entscheidungen (siehe Rz. 10 ff.) haben dazu geführt, den 16 Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften im Zusammenhang mit der Veräußerung von Betrieben/Betriebsteilen auf den Prüfstand zu stellen.8) Im Ergebnis können weiterhin Beschäftigungsgesellschaften bei einem möglichen Betriebsübergang eingesetzt werden, denn auch das BAG hat an seiner bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten. Unter Beachtung der dargestellten Recht___________ 7) BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, ArbRB 2013, 69. 8) Pils, NZA 2013, 125; Fuhlrott, NZA 2012, 549.

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§ 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang

sprechung ergeben sich jedoch folgende Punkte, die bei Nutzung einer Beschäftigungsgesellschaft im Zusammenhang mit der Veräußerung von Betrieben/ Betriebsteilen beachtet werden müssen. 1.

Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Abschluss der dreiseitigen Verträge

17 Das BAG hat selbst bestätigt, dass es weiterhin ständige Rechtsprechung ist, dass der Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit einem Betriebsveräußerer und damit zusammenhängend der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einer Beschäftigungsgesellschaft trotz eines anschließenden Betriebsübergangs grundsätzlich wirksam ist und hat erneut betont, dass die Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden aus dem Betrieb gerichtet sein muss.9) Es ist also weiterhin ganz wesentlich, wie die Kommunikation im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der dreiseitigen Verträge erfolgt. 18

Praxishinweis Dabei kommt es tatsächlich nicht nur auf die gesprochenen Äußerungen an, sondern auch auf die sonstigen Handlungen wie z. B. Rückgabe der Arbeitsmittel (Mobiltelefone, technische Geräte), Erstellen von Arbeitszeugnissen etc. Auch sollte das Erstellen von Einsatzplänen für den – nicht sicheren – Fall der Veräußerung der Betriebsmittel an den Erwerber nur „zur Sicherheit“ und auf keinen Fall unter Nennung von Namen o. Ä. erfolgen.

19 Bezogen auf das Arbeitsverhältnis beim Erwerber dürfen keine Arbeitsverträge zur Unterzeichnung vorgelegt werden; gleiches gilt für die Übergabe eines entsprechenden Entwurfes. Mit der dargestellten Rechtsprechung ist auch nicht nur die Zusage an einzelne Arbeitnehmer, sie gehörten zum Kreis der zu übernehmenden Mitarbeiter, schädlich. Vielmehr genügt schon die Aussage an die gesamte Belegschaft, einen überwiegenden Teil der Belegschaft zu übernehmen, um von einer verbindlichen Zusage i. S. der Rechtsprechung auszugehen. 20 Andererseits kann es nicht schädlich sein, wenn der Arbeitgeber über Verhandlungen mit dem Erwerber berichtet und hierbei darstellt, dass im Falle einer Veräußerung ein Teil der Belegschaft aus der Beschäftigungsgesellschaft übernommen werden soll. Diese doppelte Unsicherheit (ungewisser Verkauf und Auswahl durch den Erwerber) führt dann aus Sicht des Arbeitnehmers weiterhin zu einem i. S. der Rechtsprechung zulässigen Risikogeschäft. 2.

Dauer der Befristung in der Beschäftigungsgesellschaft

21 Die Betrachtung der den dargestellten Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte zeigt, dass die tatsächliche Dauer der Befristung immer kürzer wurde, um schließlich bei 30 Minuten anzugelangen. Dabei erscheint natürlich der ___________ 9) BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, ArbRB 2013, 69.

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Sigle

III. Zukünftige Vorgehensweise

Beginn eines (neuen) Arbeitsverhältnisses zu einer bestimmten Uhrzeit (hier 0:30 Uhr) sehr unüblich, zeigt aber gleichzeitig das Dilemma, in dem sich insbesondere Unternehmen im produktiven Bereich befinden, die nicht ohne weiteres Maschinen für einen gewissen Zeitraum stilllegen können. Hinzu kommt der nicht mehr mögliche Einsatz der Mitarbeiter i. R. eines Zeitarbeitsverhältnisses beim bisherigen oder neuen Arbeitgeber (siehe unten Rz. 27). In diesem Spannungsfeld führt unter dem Blickwinkel des „engen zeitlichen Zusammenhangs“ jeder Tag, der zwischen der Beendigung des bisherigen und der Aufnahme des neuen Arbeitsverhältnisses beim Erwerber liegt, zu einer Verneinung eines solchen Zusammenhanges. Dabei muss dann beachtet werden, dass die Beschäftigungsgesellschaft selbstverständlich ihrer Tätigkeit auch nachgehen können muss, also insbesondere die Vermittlungsbemühungen durch Teilnahme an Bewerbungstrainings und Beratungsgesprächen aufgenommen werden. In diesem Sinne sind auch die gesetzlich vorgeschriebene Teilnahme am Profiling und die Arbeitssuchendmeldung vor dem Eintritt in die Beschäftigungsgesellschaft (siehe § 23 Rz. 14 ff. [Sigle]) zwingend erforderlich. Entsprechend ist die vorherige Kommunikation zu führen, da ansonsten die Arbeitnehmer, die sicher mit der Übernahme durch den Erwerber rechnen, zur Teilnahme an den angebotenen Maßnahmen nicht zu motivieren sind. 22

Praxishinweis Eine rechtssichere Mindestverweildauer – unabhängig von der Frage der relevanten Verweildauer für die Gewährung von Transfer-KuG (siehe § 23 Rz. 20 ff. [Sigle]) – kann hingegen nicht empfohlen werden; mit den in 2011 und 2012 ergangenen Entscheidungen sollte sie einen Tag in jedem Fall überdauern.

3.

Umgehung der Sozialauswahl

Das LAG Niedersachsen10) hat als zweite Instanz der „Lotterie-Entscheidung“ 23 in dem angewandten Losverfahren eine Umgehung der Sozialauswahl gesehen. Die Beklagte habe letztlich erreichen wollen, dass sie den Betrieb mit dem überwiegenden Teil der ehemaligen Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin fortsetzen konnte, ohne eine Sozialauswahl durchzuführen und ohne die Kontinuität der Arbeitsverhältnisse zu wahren. Diesen Aspekt hat das BAG in der darauf folgenden Entscheidung nicht aufgenommen, so dass geschlussfolgert wird, dass es hierauf – und einhergehend auf eine Sozialauswahl durch den Erwerber – nicht mehr ankommt.

___________ 10) LAG Niedersachsen, Urt. v. 18.2.2010 – 7 Sa 780/09, n. v.

Sigle

535

§ 24 Beschäftigungsgesellschaft und Betriebsübergang

24

Praxishinweis Zu Recht weist Fuhlrott11) darauf hin, dass die Heranziehung der Grundsätze der Sozialauswahl rechtsdogmatisch verfehlt ist, da § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB vor Kündigungen wegen des Betriebsübergangs schützt, nicht hingegen vor freiwilligen Beendigungen des Arbeitsverhältnisses. Wenn aus einer falschen Unterrichtung Aufhebungsverträge hervorgehen, seien die Arbeitnehmer über die Anfechtungsregeln ausreichend geschützt. Konsequenterweise wird deshalb das Erfordernis einer Sozialauswahl zur Auswahl der Arbeitnehmer aus der Beschäftigungsgesellschaft verneint.

IV.

Haltung der Agenturen für Arbeit zur genannten Vorgehensweise

25 Der Umstand, dass Verhandlungen mit einem Erwerber geführt werden, sollte auf jeden Fall der zuständigen Agentur für Arbeit mitgeteilt werden. Die zuständigen Sachbearbeiter sind mit der Materie in der Regel vertraut. Nur selten wurde die Bewilligung von Transfer-KuG unter Berufung auf eine – aus Sicht des Sachbearbeiters – bestehende Umgehung des § 613a BGB verwehrt. In der Regel wird vielmehr nur für solche Arbeitnehmer, die im Nachgang des Wechsels zur Beschäftigungsgesellschaft dann zum Erwerber wechseln, kein TransferKuG gewährt. Da es sich um einen Erstattungsanspruch handelt und die Arbeitnehmer häufig innerhalb des ersten Monats bereits aus der Beschäftigungsgesellschaft zum Erwerber wechseln, kann dies bei dem Antrag auf Erstattung des Transfer-KuG berücksichtigt werden; diese Arbeitnehmer werden in den Antragsformularen nicht aufgeführt. 26 Praxishinweis Bei dieser Konstellation sollte auch bedacht werden, dass die Möglichkeit der Ruhendstellung des Arbeitsverhältnisses mit der Beschäftigungsgesellschaft ausgeschlossen wird. Häufig sind ohnehin enge finanzielle Spielräume gegeben, so dass das Risiko, dass der Arbeitnehmer vom Erwerber in die Beschäftigungsgesellschaft zurückkehrt, ausgeschlossen werden muss.

27 Bis zu den Änderungen, die das Beschäftigungschancengesetz12) für die Transferleistungen gebracht hat, wurde im Zusammenhang mit dem Einsatz von Beschäftigungsgesellschaften bei Betriebsübergängen häufig eine bei den Gesellschaften vorhandene Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis genutzt, um Arbeitnehmer aus der Beschäftigungsgesellschaft heraus im Betrieb wieder einzusetzen. Dieses als „Rückverleih“ bekannte Modell ist jedoch seit dem 1.1.2011 im Ergebnis ausgeschlossen. Zumindest aber wird solchen Arbeitnehmern, die nach der Zeit des Rückverleihs in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit zurückkehren, kein Transfer-KuG (mehr) gewährt. Dies hat dazu geführt, dass bei Nutzung von Beschäftigungsgesellschaften ein (Rück-)Verleih zum bisherigen oder auch neuen Unternehmen nicht mehr stattfindet. ___________ 11) Fuhlrott, NZA 2012, 549, 553. 12) Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt – Beschäftigungschancengesetz, v. 24.10.2010, BGBl. I 2010, 1417.

536

Sigle

§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

Frommhold

Übersicht I. Einleitung........................................... 1 II. Rechtsgrund für Versorgungsansprüche ........................................... 3 1. Individualrechtliche Rechtsgrundlagen .......................................... 5 a) Echte Individualzusage ............... 6 b) Reine Beitragszusage................... 7 c) Betriebliche Einheitsregelung........................................ 8 d) Gesamtzusage .............................. 9 e) Betriebliche Übung ................... 10 2. Kollektivrechtliche Rechtsgrundlagen ........................................ 13 a) Zusage durch Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG) .......... 14 b) Zusage durch Tarifvertrag......... 16 c) Ansprüche aufgrund Gleichbehandlungsgesichtspunkten.... 18 3. Der Anpassungsanspruch gemäß § 16 BetrAVG ................................... 22 III. Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung......... 28 1. Die Versorgungszusage.................... 29 a) Klassische Versorgungszusage ............................................. 29 b) Treuhandmodelle....................... 30 2. Direktversicherung........................... 32 3. Pensionskasse ................................... 36 4. Pensionsfonds................................... 38 5. Unterstützungskasse........................ 39 IV. Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG............................ 41 V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise ........................................... 46 1. Einseitige Änderung von Zusagen der betrieblichen Altersversorgung ....................................... 46

a) Widerruf..................................... 46 b) Kündigung von Betriebsvereinbarungen .......................... 51 c) Änderungskündigung ............... 64 d) „Gegenläufige“ betriebliche Übung ........................................ 65 2. Einvernehmliche Anpassung ........... 66 a) Änderungsvertrag...................... 66 b) Abschluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung ................ 68 c) Ablösung durch Tarifvertrag .... 78 d) Außergerichtliches Vergleichsverfahren......................... 80 3. Die Abdingbarkeit des BetrAVG für Organmitglieder ......................... 85 VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren ......................... 86 1. Die Versorgungszusage im Insolvenzantragsverfahren .................. 86 2. Einstandspflicht des PSVaG ............ 88 3. Schicksal der einzelnen Versorgungszusagen im Insolvenzverfahren ................................................ 93 a) Direktzusage.............................. 95 b) „Reine“ Beitragszusage ............. 97 c) Direktversicherung ................... 98 d) Pensionskasse .......................... 104 e) Pensionsfonds ......................... 105 f) Unterstützungskassen ............ 106 4. Die Abfindung von Versorgungszusagen durch den Insolvenzverwalter.................................. 107 5. Die Versorgungszusage bei Betriebsübergang nach Insolvenzeröffnung ........................................ 113 6. Besonderheiten bei der Sanierung im Insolvenzplanverfahren ... 122

Literatur: Bätzel, Die überbetriebliche Treuhand als flexible Lösung für den Mittelstand, DB 2008, 1761; Beck, Aktuelle Rechtsprechung des BAG zur betrieblichen Altersversorgung, ArbRAktuell 2018, 143; Börner/Lämpe, Aktuelle Entwicklungen zur Anpassungsprüfung von Betriebsrenten nach § 16 I BetrAVG, BB 2018, 761; Bremer, Insolvenzplan: Fortführung betrieblicher Altersversorgung durch den Arbeitgeber, DB 2011, 875; Gantenberg/

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz Hinrichs/Janko, Die Betriebsrentenzusage in der Insolvenz, ZInsO 2009, 1000; Hinrichs/ Plitt, Die Abfindung von Betriebsrentenansprüchen in der Insolvenz, ZInsO 2011, 2109; Kort, Die Kündigung von Betriebsvereinbarungen über Betriebsrenten, NZA 2004, 889; Neufeld, Besonderheiten der betrieblichen Altersversorgung bei der übertragenden Sanierung, BB 2008, 2346; Neufeld/Flockenhaus, Die Abfindung von laufenden Leistungen und Anwartschaften nach § 3 BetrAVG, RdA 2016, 274; Reinhard/Hoffmann-Remy, Gestalterische Möglichkeiten im Hinblick auf den kollektiven Bezug einer betrieblichen Altersversorgung, NZA Beilage 2012, S. 79; Rolfs, Auswirkungen der „Rente mit 67“ auf betriebliche Versorgungssysteme, NZA 2011, 540; Rolfs, Die betriebliche Altersversorgung beim Betriebsübergang, NZA Beilage 2008, S. 164; Schäfer, Anfechtbarkeit der Prämienzahlungen eines Arbeitgebers auf eine zu Gunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossene Direktversicherung, NZI 2008, 151; Schnitker/Grau, Fixkostenblock betriebliche Altersversorgung?, NZA Beilage 2010, S. 68; Schnitker/Sittard, Die gesetzliche und privatrechtliche Insolvenzsicherung von Pensionen, NZA 2012, 963; Schnitker/Sittard, Wie frei ist der Arbeitgeber? Betriebliche Altersversorgung und Mitbestimmung, NZA 2011, 331; Schulze/Wimmi, Änderung von Arbeitsbedingungen – Was kann der Arbeitgeber durchsetzen? ArbRAktuell 2013, 145; Simon/Rein, Betriebsrentenanpassung im Fokus von Praxis und Öffentlichkeit, NZA 2013, 169.

I.

Einleitung

1 Die betriebliche Altersversorgung nimmt im Alterssicherungssystem neben der gesetzlichen Rentenversicherung und der privaten Eigenvorsorge den Status einer dritten Säule ein.1) Der Anteil der Arbeitnehmer, die betriebliche Versorgungsleistungen erhalten, soll nach Schätzungen bei ca. 60 % liegen; größere Steigerungsraten sind entgegen den Erwartungen ausgeblieben.2) Die hinter der betrieblichen Altersversorgung stehenden Vermögenswerte sind gleichwohl von enormer praktischer und wirtschaftlicher Bedeutung; alleine der Barwert aller beim Pensions-Sicherungs-Vereins auf Gegenseitigkeit (PSVaG) mit Sitz in Köln gesicherten Anwartschaften betrug im Jahr 2018 3,1 Mrd. €.3) 2 Die vorhandene betriebliche Altersversorgung eines Unternehmens spielt damit sowohl i. R. einer Restrukturierung als auch bei einem Unternehmenskauf eine essentielle Rolle, da es sich hierbei regelmäßig um einen bedeutenden Posten auf der Passivseite der Bilanz handelt und begründete Pensionsverpflichtungen die Entscheidung über Erwerb des Unternehmens oder das Bestehen von Insolvenzantragsgründen beeinflussen können. II.

Rechtsgrund für Versorgungsansprüche

3 Die betriebliche Altersvorsorge beruht auf einer Zusage des Arbeitgebers auf Versorgungsleistungen bei Erreichen der Altersgrenze, bei Tod oder Invalidität, also bei Eintritt bestimmter biologischer Ereignisse. Ansprüche auf betriebliche ___________ 1) Steindorf/Regh in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 5 Rz. 1. 2) Karst/Cisch-Cisch, BetrAVG, Einf. Rz. 16; Bäcker, FD-ArbR 2013, 342783, geht von einem Anteil von 50 % der Erwerbstätigen aus. 3) PSVaG, Pressemitteilung v. 10.5.2019, abrufbar unter https://www.psvag.de/fileadmin/doc/ 220/pressemitteilungen/pressemitteilung_jahresabschluss_2018.pdf (Abrufdatum: 17.5.2019).

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Frommhold

II. Rechtsgrund für Versorgungsansprüche

Altersversorgung resultieren auf Versorgungszusagen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, die auf individualrechtlicher oder kollektivrechtlicher Basis erfolgen können. Wurde in der Vergangenheit die Versorgungszusage regelmäßig auf das Erreichen des 65. Lebensjahrs erteilt, wird sich dies durch die Anhebung der Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung auf das 67. Lebensjahr angleichen (vgl. § 35 SGB VI). Für Zusagen unter Bezugnahme auf die Regelaltersgrenze vor Änderung des § 635 SGB VI hat dies regelmäßig Auswirkungen, wenn und soweit die Versorgungszusage auf das „gesetzliche Rentenalter“ abstellt; in diesem Fall sollte auch der Anspruch auf die betriebliche Altersversorgung erst ab dem individuell gesetzlichen Rentenalter bestehen.4) Alt-Zusagen, die auf das Erreichen des 65. Lebensjahrs abstellen, seien ohne Hinzutreten weiterer Umstände dahingehend auszulegen, dass eine Bezugnahme auf das gesetzliche Rentenalter beabsichtigt gewesen sei.5) Nach der Rechtsprechung des BAG ist davon auszugehen, dass ohne anderweitige Anhaltspunkte in Auslegungsfragen eine Versorgungsordnung regelmäßig dahingehend auszulegen sei, dass damit auf die Regelaltersgrenze gemäß §§ 35, 235 Abs. 2 SGB IV Bezug genommen werde.6) Da die betriebliche Altersversorgung eine – mit der Einschränkung durch den 4 seit dem 1.1.2002 gesetzlich normierten Anspruch auf Entgeltumwandlung gemäß § 1a BetrAVG – nach wie vor freiwillige Sozialleistung des Arbeitgebers darstellt, entstehen Ansprüche auf eine betriebliche Altersversorgung nur dann, wenn hierfür individualrechtlich oder kollektivrechtlich eine Rechtsgrundlage geschaffen worden ist. 1.

Individualrechtliche Rechtsgrundlagen

Individualrechtliche Zusagen existieren in fünf Erscheinungsformen, nämlich als x

„echte“ Individualzusage,

x

„reine“ Beitragszusage,

x

betriebliche Einheitsregelung,

x

betriebliche Übung,

x

Gesamtzusage.

a)

5

Echte Individualzusage

Eine Versorgungszusage kann durch einzelvertragliche Vereinbarung im Arbeits- 6 oder Dienstvertrag begründet werden. Die anspruchsbegründenden Normen sind dann Teil des Dienst- oder Arbeitsvertrags. ___________ 4) Rolfs, NZA 2011, 540. 5) BAG, Urt. v. 15.5.2012 – 3 AZR 11/10, ZIP 2012, 1983 = NZA-RR 2012, 433, dazu EWiR 2012, 547 (Matthießen). 6) BAG, Urt. v. 15.5.2012 – 3 AZR 11/10, ZIP 2012, 1983 = NZA-RR 2012, 433.

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

b)

Reine Beitragszusage

7 Seit der Geltung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1.1.2018 sind auf Grundlage eines Tarifvertrags auch reine Beitragszusagen möglich, bei denen der Arbeitgeber lediglich die Zahlung eines vorgegebenen Versorgungsbeitrags an die Versorgungseinrichtung schuldet. Weder er noch die Versorgungseinrichtung haften für die Erfüllung bestimmter Leistungen. Diese Form der Beitragszusage muss allerdings in einem Tarifvertrag geregelt sein. Gemäß § 24 BetrAVG n. F. können jedoch auch nichttarifgebundene Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmern die Anwendung der einschlägigen tariflichen Regelung vereinbaren. Soweit ein nichttarifgebundener Arbeitgeber eine Beitragszusage erteilen will, muss er dann zumindest den für seine Branche einschlägigen Tarifvertrag arbeitsvertraglich vereinbaren.7) Mit der reinen Beitragszusage können nur laufende Leistungen über einen versicherungsförmigen Durchführungsweg, also über einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung, zugesagt werden. c)

Betriebliche Einheitsregelung

8 Unter einer betrieblichen Einheitsregelung versteht man die Zusage eines Arbeitgebers an die Arbeitnehmer des Betriebs. Die Einheitsregelung gewährt dem einzelnen begünstigten Arbeitnehmer einen individualrechtlichen Versorgungsanspruch mit einem kollektiven Bezug; der Arbeitgeber handelt also die Altersversorgung inhaltlich nicht individuell mit dem einzelnen Arbeitnehmer aus, sondern nimmt Bezug auf vorformulierte Arbeits- bzw. Versorgungsbedingungen, die oft als „Ruhegeld-“, „Pensions-“ oder „Versorgungsordnungen“ bzw. „-Richtlinien“ oder auch „Versorgungswerke“ bezeichnet werden und in denen die Anspruchsvoraussetzungen abstrakt-generell geregelt sind.8) Die Einheitsregelung stellt regelmäßig ein Vertragsangebot an die einzelnen Arbeitnehmer, oftmals durch Aushang am Schwarzen Brett, Rundschreiben oder mündliche Bekanntgabe, dar, dass durch konkludentes Verhalten der Arbeitnehmer angenommen wird.9) d)

Gesamtzusage

9 Eine Gesamtzusage ist die an alle oder an eine bestimmte abgrenzbare Gruppe von Arbeitnehmern in allgemeiner Form gerichtete, ausdrückliche und mit Rechtsbindungswillen ausgestattete Erklärung des Arbeitgebers, zusätzliche Leistungen zu erbringen.10) Auf die konkrete Kenntnis des einzelnen Arbeitnehmers ___________ 7) Clemens in: BeckOK-ArbR, § 1 BetrAVG Rz. 46b. 8) Blomeyer/Rolfs/Otto-Rolfs, BetrAVG, Anh. zu § 1 Rz. 14. 9) Schnitker in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Kap. J Rz. 13; BAG, Urt. v. 13.3.1975 – 3 AZR 446/74, DB 1975, 1563. 10) BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 659/02, BeckRS 2010, 72807.

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Frommhold

II. Rechtsgrund für Versorgungsansprüche

kommt es nicht an. Rechtstechnisch handelt es sich um das Angebot paralleler Einzelzusagen ohne Bezugnahme auf eine einheitliche Versorgungsordnung, bei dem die Annahme durch den Arbeitnehmer aufgrund des begünstigenden Charakters gemäß § 151 BGB als stillschweigend erfolgt unterstellt wird.11) e)

Betriebliche Übung

Arbeitsverträge können durch das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung in- 10 haltlich verändert werden. Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen seine Arbeitnehmer schließen können, ihnen soll eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Die Möglichkeit, einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung aufgrund betrieblicher Übung zu begründen, ist bereits im Gesetz festgehalten (§ 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG). Die betriebliche Übung unterscheidet sich von der Gesamtzusage im Wesent- 11 lichen dadurch, dass es hier keiner ausdrücklichen Erklärung des Arbeitgebers bedarf. Der Anspruch aus einer betrieblichen Übung kann sowohl durch mehrfache Zahlung eines Ruhegehalts oder auch die mehrfach getätigte Zusage, ein solches zahlen zu wollen, begründet werden, selbst wenn die Leistung wiederholt als freiwillig gekennzeichnet worden ist.12) Zuletzt hat das BAG13) in einem Fall, in dem eine Bank in einem Mitarbeiterhandbuch, einer Personalinformation und einer Intranet-Präsentation den Mitarbeitern mitgeteilt hatte, dass sie zugunsten von Mitarbeitern, die mindestens zwanzig Jahre im Bankgewerbe beschäftigt waren und davon mindestens zehn Jahre bei ihr, die eine gute Beurteilung durch ihre Vorgesetzten erhalten hatten und in einer gesundheitlichen Verfassung waren, die keine vorzeitige Verrentung erwarten ließ, einen Versorgungsvertrag abschließen werde, einen Grund für eine betriebliche Übung angenommen. Damit ist höchstrichterlich auch den Argumenten der Arbeitgeber eine Absage erteilt worden, die gegen das Entstehen einer betrieblichen Übung regelmäßig u. a. die arbeitsvertraglichen Regelungen in Gestalt der Schriftformklausel oder des enthaltenen Freiwilligkeitsvorbehalts, die wirtschaftliche Bedeutung des Versorgungsversprechens für das Unternehmen und die fehlende Beteiligung der Mitbestimmungsgremien bei der Entstehung der betrieblichen Übung ins Feld führen. Nach der Vertragstheorie der heute ganz h. M. sind die betriebliche Einheits- 12 regelung, die Gesamtzusage und die betriebliche Übung Gegenstand arbeitsvertraglicher Vereinbarung.14) ___________ 11) 12) 13) 14)

Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber/Betz-Rehm, BetrAVG, § 1 Rz. 142. BAG, Urt. v. 19.5.2005 – 3 AZR 660/03, AP BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 8. BAG, Urt. v. 15.11.2016 – 3 AZR 582/15, NZA 2017, 1058. Waas in: BeckOK-ArbR, § 1 TVG Rz. 135.

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

2.

Kollektivrechtliche Rechtsgrundlagen

13 Als Rechtsgrundlage für Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung kommen auch kollektivrechtliche Rechtsbegründungsakte in Betracht. Während im öffentlichen Dienst die Zusatzversorgung tarifvertraglich geregelt ist, ist dies in der Privatwirtschaft eher die Ausnahme. In Unternehmen mit Betriebsrat kann die Einführung eines Versorgungswerks der betrieblichen Altersversorgung über den Weg einer Betriebsvereinbarung erfolgen, da die betriebliche Altersversorgung zu den sozialen Angelegenheiten eines Betriebs gehört. a)

Zusage durch Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG)

14 Die Zusage in Gestalt der betrieblichen Einheitsregelung erfolgt in vielen Fällen durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung gemäß § 77 BetrVG. Das BetrVG weist dem Betriebsrat die Regelungskompetenz für den Abschuss von Versorgungszusagen über eine Unterstützungskasse, Pensionskasse und oder Pensionsfonds zu (§ 88 Nr. 2 BetrVG); hinsichtlich zusätzlicher Gestaltungsmöglichkeiten ergibt sich die Kompetenz aus der umfassenden funktionellen Zuständigkeit in sozialen Angelegenheiten.15) 15 Zugunsten leitender Angestellter räumt § 28 Abs. 1 SprAuG Arbeitgeber und Sprecherausschuss der leitenden Angestellten die Möglichkeit ein, Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung aufzustellen. b)

Zusage durch Tarifvertrag

16 Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung können auch durch Tarifverträge begründet werden. Gemäß den allgemeinen tarifrechtlichen Grundsätzen enthalten die in Tarifverträgen enthaltenen Regelungen gegenüber tarifgebundenen Arbeitnehmern zwingende Vorgaben, d. h., abweichende Regelungen sind nichtig; allerdings kann die tarifliche Regelung hinter Versorgungszusagen des Arbeitgebers zurücktreten.16) 17 Die tarifvertraglichen Regelungen können durch individualrechtliche Bezugnahme auch für nichttarifgebundene Arbeitnehmer übernommen werden (§ 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG). Derartige Bezugnahmeklauseln führen regelmäßig dann zu Unsicherheiten, wenn im Falle des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB ein anderer Tarifvertrag kollektivrechtlich gilt. Wird durch eine sog. „große“ dynamische Bezugnahmeklausel auf die jeweils für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge verwiesen, führt die Bindung an den neuen Tarifvertrag auch zu einer Geltung der neuen Versorgungstarife. In der Regel sind Bezugnahmen auf einen Tarifvertrag dahingehend auszulegen, dass ein bestimmter Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung Anwendung auf das Arbeitsverhältnis ___________ 15) BAG, Urt. v. 16.3.1956 – GS 1/55, DB 1956, 573. 16) BAG, Urt. v. 25.2.1986 – 3 AZR 455/84, BB 1982, 1550.

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Frommhold

II. Rechtsgrund für Versorgungsansprüche

finden soll („kleine“ dynamische Bezugnahmeklausel). Auch hier führt der Tarifwechsel auf kollektivrechtlicher Ebene in der Regel nicht zu einem Wechsel des in Bezug genommenen Tarifvertrags. Dies wird nur ausnahmsweise dann gelten, wenn besondere Umstände gelten und diese im Wortlaut der Klausel auch ihren Niederschlag finden. Verweist der Arbeitsvertrag hingegen nur auf einen konkret bezeichneten Tarifvertrag in einer an einem Stichtag geltenden Fassung (statische Bezugnahmeklausel) gilt der in Bezug genommene Tarifvertrag auch nach einem Tarifwechsel grundsätzliches fort. c)

Ansprüche aufgrund Gleichbehandlungsgesichtspunkten

Im Bereich des Betriebsrentenrechts hat der allgemeine arbeitsrechtliche Gleich- 18 behandlungsgrundsatz aufgrund der Regelung des § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG kraft Gesetzes anspruchsbegründende Wirkung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Gruppenbildung; der Arbeitgeber hat seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleichzubehandeln.17) Aus diesen Grundsätzen können für einzelne Arbeitnehmer Ansprüche erwach- 19 sen, wenn der Arbeitgeber Leistungen auf betriebliche Altersversorgung nach sachverhaltsbezogenen Kriterien gewährt oder personenbezogen verschiedene Personen ungleich behandelt. Während bei einer sachverhaltsbezogenen Ungleichbehandlung ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung erst dann anzunehmen ist, wenn sie willkürlich ist, weil sich ein vernünftiger Grund für die Differenzierung nicht finden lässt, wird bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung dann von einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auszugehen sein, wenn eine Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können.18) Sieht ein Arbeitgeber eine stichtagsbezogene Besserstellung für Arbeitnehmer 20 vor, da die Versorgungsordnung für Neumitarbeiter nach einem Stichtag verbesserte Versorgungsleistungen zusagt, kann dies eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund und damit einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot darstellen, welcher dazu führt, dass den länger beschäftigten, eigentlich ausgeschlossenen Arbeitnehmern ein Anspruch auf die verbesserten Versorgungsleistungen zusteht. Zulässig ist jedoch die Anknüpfung einer Zusage an eine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit. So ist auch die Bestimmung in einer vom Arbeitgeber geschaffenen Versorgungsordnung, wonach ein Anspruch ___________ 17) BAG, Urt. v. 28.6.2011 – 3 AZR 448/09, AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 64. 18) BAG, Urt. 21.8.2012 – 3 AZR 81/10, BeckRS 2012, 75178.

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nur besteht, wenn der Arbeitnehmer eine mindestens 15-jährige Betriebszugehörigkeit bis zur Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zurücklegen kann, wirksam und verstößt weder gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters oder des Geschlechts.19) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ebenfalls nicht verletzt, wenn ein Arbeitgeber freiwillig eine Betriebsrente zahlt, bei deren Berechnung er auch Beschäftigungszeiten zugrunde legt, auf deren Berücksichtigung nach seiner Auffassung kein Rechtsanspruch besteht, diese Begünstigung stichtagsbezogen jedoch nur den Versorgungsempfängern, nicht aber den Versorgungsanwärtern gewährt.20) 21

Praxishinweis Bei der erstmaligen Erteilung wie auch der Umstellung einer bestehenden Versorgungszusage ist stets zu prüfen, ob diese zu einer – sachlich nicht gerechtfertigten – Ungleichbehandlung führt.

3.

Der Anpassungsanspruch gemäß § 16 BetrAVG

22 Gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen, unter Berücksichtigung insbesondere der Belange des Versorgungsempfängers und der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers, zu entscheiden. Dies beinhaltet „lediglich“ eine Anpassungsprüfung und keine Anpassungspflicht.21) 23 Damit soll (ausschließlich) den Betriebsrentnern als Versorgungsempfängern ein Ausgleich für die inflationsbedingte Abwertung ihrer Betriebsrenten zugestanden werden, wenn die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers dies zulässt. § 16 Abs. 1 BetrAVG räumt dem Arbeitgeber bei der zu treffenden Anpassungsentscheidung ein Beurteilungs- und Ermessenspielraum zu; hierbei stehen die berechtigten Belange der Versorgungsempfänger einerseits und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens andererseits grundsätzliches gleichrangig nebeneinander.22) Der Arbeitgeber muss einen gerechten Interessenausgleich zwischen Belangen der Versorgungsempfänger und eigenen Belangen finden.23) Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers rechtfertigt die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung insoweit, als der Arbeitgeber annehmen darf, dass es ihm mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein wird, den Teuerungsausgleich ___________ 19) BAG, Urt. v. 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, ZIP 2013, 1090 = BeckRS 2013, 68637, dazu EWiR 2013, 471 (Matthießen). 20) BAG, Urt. v. 14.11.2017 – 3 AZR 515/16, ArbRAktuell 2018, 125. 21) Börner/Lämpe, BB 2018, 761. 22) Blomeyer/Rolfs/Otto-Rolfs, BetrAVG, § 16 Rz. 158. 23) Simon/Rein, NZA 2013, 169, 170 f.

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Frommhold

III. Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung

aus den Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens in der Zeit bis zum nächsten Anpassungsstichtag aufzubringen.24) Beurteilungsmaßstab ist die voraussichtliche Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung des Unternehmens; ist das Eigenkapital ausgezehrt, muss verlorene Vermögenssubstanz wieder aufgebaut werden. Bis dahin besteht keine Verpflichtung zur Anpassung von Versorgungsleistungen.25) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er zur Anpassung nicht in der Lage ist, trägt der Arbeitgeber. Der Anpassungsanspruch verdient bereits aufgrund der besonderen wirtschaft- 24 lichen Tragweite besondere Beachtung; ist die Anpassung zu Unrecht unterblieben oder zu niedrig ausgefallen, so muss der Arbeitgeber die Anpassung auch mit Wirkung für die Vergangenheit nachholen. 25

Praxishinweis Der Anpassungsanspruch sollte vom Arbeitgeber beachtet und proaktiv behandelt werden; im Zweifel ist eine Anpassung oder die Gründe für das Unterlassen derselben sorgfältig zu prüfen und die Gründe für die Entscheidung ausführlich, ggf. unter Hinzuziehung von Gutachten o. ä., zu dokumentieren.

Für Pensionskassen i. S. des § 1 b Abs. 3 BetrAVG entfällt die Pflicht zur Anpas- 26 sungsprüfung, wenn ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden. Keine Rolle bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Ar- 27 beitgebers spielen die an den Treuhänder übertragenen Vermögenswerte.26) Allein die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers ist entscheidend, die des Treuhänders hingegen irrelevant. Die Anpassungsprüfungspflicht trifft allein den Arbeitgeber, der die Versorgungszusage erteilt hat.27) III.

Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung

Für die betriebliche Altersversorgung stehen fünf verschiedene Durchführungs- 28 wege zur Verfügung: 1.

Die Versorgungszusage

a)

Klassische Versorgungszusage

Die Versorgungszusage (Direktzusage) ist der in Deutschland am häufigsten 29 anzutreffende Durchführungsweg betrieblicher Altersversorgung.28) Bei der ___________ 24) 25) 26) 27) 28)

BAG, Urt. v. 11.12.2012 – 3 AZR 615/10, APNews 2013, 117. BAG, Urt. v. 11.12.2012 – 3 AZR 615/10, APNews 2013, 117. BAG, Urt. v. 21.2.2017 – 3 AZR 455/15, ZIP 2017, 1136 (LS) = ArbRAktuell 2017, 245. Beck, ArbRAktuell 2018, 143, 144. Clemens in: BeckOK-ArbR, § 1 BetrAVG Rz. 33; Bertram in: Gottwald, InsR-Hdb., § 109 Rz. 17.

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

Versorgungszusage verspricht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, diesen in Fällen des Alters, der Invalidität oder des Todes zu versorgen. Der Arbeitnehmer erwirbt damit einen vertraglichen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber. Der Arbeitgeber schuldet die Erfüllung aus dem Betriebsvermögen oder – soweit es sich um einen Einzelkaufmann oder persönlich haftenden Gesellschafter handelt – auch mit seinem Privatvermögen.29) b)

Treuhandmodelle

30 Kein eigenständiger Durchführungsweg, sondern lediglich eine Sonderform der Direktzusage ist die Einschaltung eines Treuhänders i. R. von Treuhandvereinbarungen (Contractual Trust Arrangement – CTA). Auch das CTA beruht auf einer Direktzusage des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber beauftragt i. R. eines Treuhandvertrags einen externen Treuhänder mit der fremdnützigen Verwaltung der ihm übertragenen Vermögenswerte, wobei regelmäßig eine Vermögensanlage über eine Kapitalanlagegesellschaft oder ein Kreditinstitut i. R. eines vom Treuhänder abgeschlossenen Vermögensverwaltungsvertrags erfolgt.30) Ergänzend zu dem Verwaltungsvertrag wird zwischen dem Versorgungsträger und dem Treuhänder im Wege eines echten Vertrags zugunsten Dritter eine Sicherungsvereinbarung getroffen (DoppeltreuhandModell), wonach bei Eintritt des Sicherungsfalls die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer einen unmittelbaren Anspruch gegen den Treuhänder auf Befriedigung ihrer Versorgungsansprüche aus den übertragenen Vermögenswerten erhalten sollen.31) Denkbar ist auch die Verpfändung des Rückübertragungsanspruchs des Unternehmens gegen den Treuhänder an den versorgungsberechtigten Arbeitnehmer (Verpfändungsmodell). 31 Durch dieses Modell wird die eigentliche Versorgungszusage nicht tangiert; der Arbeitgeber bleibt Schuldner des Arbeitnehmers. Das Treuhandmodell begründet für den Treuhänder ein Absonderungsrecht, das er für die Versorgungsberechtigten geltend macht; ihm und nicht dem Insolvenzverwalter steht bei adäquater CTA-Gestaltung auch regelmäßig das Verwertungsrecht zu.32) Der Arbeitnehmer erhält damit einen zusätzlichen Schuldner in Person des Treuhänders. Aus diesem Grund bedarf die Begründung eines CTA weder der Zustimmung des Arbeitnehmers noch unterliegt sie der Mitbestimmung gemäß § 87 BetrVG. Da zudem eine Bilanzverkürzung durch die Verrechnungsmöglichkeit der Versorgungsverpflichtungen (Pensionsrückstellungen) mit den zur Abdeckung der Versorgungsverpflichtungen übertragenen Vermögenswerten (plan assets) ge___________ 29) 30) 31) 32)

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Schrader/Straube, Insolvenzarbeitsrecht, Kap. X Rz. 19. Rengier in: Münch-AHB ArbR, § 36 Rz. 170. Rengier in: Münch-AHB ArbR, § 36 Rz. 170. Schnitker/Sittard, NZA 2012, 963, 966.

Frommhold

III. Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung

mäß § 246 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 HGB i. d. F. des BilMoG erreicht wird,33) erfreut sich das CTA-Modell wachsender Beliebtheit. 2.

Direktversicherung

Beim Versorgungsmodell der Direktversicherung schließt der Arbeitgeber einen 32 Versicherungsvertrag auf das Leben des Arbeitnehmers mit einem Versicherungsunternehmen ab. Der Arbeitnehmer ist nicht Vertragspartei des Versicherungsvertrags; er ist lediglich Begünstigter, indem ihm eine Bezugsberechtigung eingeräumt wird. Der Versorgungsempfänger erhält ab Eintritt des Versorgungs- und Versicherungsfalls einen unmittelbaren Leistungsanspruch gegen den Lebensversicherer gemäß § 335 BGB. Dieses Bezugsrecht auf die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag kann wi- 33 derruflich oder unwiderruflich eingeräumt werden. Ohne ausdrückliche Regelung ist hierbei stets von einem widerruflichen Bezugsrecht auszugehen (§ 166 Abs. 1 VVG). Bei einem widerruflichen Bezugsrecht ist der Arbeitgeber als Versicherungsvertragspartei berechtigt, einseitig die Person des Bezugsberechtigten zu bestimmen und zu ändern, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag abzutreten, zu beleihen oder zu verpfänden. Eine Kombination aus widerruflichem und unwiderruflichem Bezugsrecht stellt das sog. eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht dar, bei dem der Arbeitgeber dem Begünstigten zwar grundsätzlich eine gesicherte Rechtsposition einräumt, sich aber den Widerruf des Bezugsrechts unter bestimmten Umständen vorbehält. 34

Praxishinweis Vom Arbeitgeber in der Krisensituation wie vom späteren Insolvenzverwalter zu prüfen ist in Fällen der Abtretung bzw. Verpfändung auch stets die Frage der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit. Anfechtbar soll jedenfalls die Übertragung einer Direktversicherung an den Arbeitnehmer im letzten Monat vor Insolvenzantragsstellung sein, wenn der der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt noch keine unverfallbare Anwartschaft erworben hatte.

Keine Direktversicherung liegt in den Fällen vor, in denen der Arbeitnehmer 35 selbst Versicherungsnehmer ist und der Arbeitgeber lediglich zur Prämienzahlung verpflichtet ist. 3.

Pensionskasse

Beim Durchführungsweg über eine Pensionskasse werden die Verpflichtungen 36 auf Gewährung einer betrieblichen Altersvorsorge auf eine der Versicherungsaufsicht unterliegende rechtsfähige Versorgungseinrichtung (Lebensversicherungsunternehmen in der Rechtsform des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit oder einer Aktiengesellschaft) übertragen, die dem Arbeitnehmer oder ___________ 33) Ausführlich hierzu: Bätzel, DB 2008, 1761; Rengier in: Münch-AHB ArbR, § 36 Rz. 173.

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

seinen Hinterbliebenen auf ihre Leistungen einen eigenen Rechtsanspruch gewähren, § 1b Abs. 3 Satz 1 BetrAVG. 37 Träger der Pensionskasse ist der Arbeitgeber, der die Leistungen alleine oder mit Beteiligung der Arbeitnehmer finanziert. Der Arbeitnehmer ist Versicherungsnehmer der Pensionskasse; ihm steht das Bezugsrecht auf die Versicherungsleitungen unmittelbar zu. Damit besteht auch bei der Pensionskasse ein Dreiecksverhältnis zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Pensionskasse. Bleibt der Anspruch gegen die Pensionskasse hinter dem zurück, was der Arbeitgeber schuldet, verbleibt in dieser Höhe der Anspruch gegen den Arbeitgeber. Im Gegensatz zur Direktversicherung können die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht beliehen oder abgetreten werden. 4.

Pensionsfonds

38 Bei der Durchführung über einen Pensionsfonds werden die Verpflichtungen auf eine der Finanzdienstleistungsaufsicht durch die Bundesanstalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unterliegende rechtsfähige Versorgungseinrichtung in Form der AG oder eines Pensionsfonds aG übertragen, die dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen auf ihre Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge einen Rechtsanspruch gewährt (§ 1b Abs. 3 Satz 1 BetrAVG). Im Unterschied zu den Durchführungswegen über eine Direktversicherung oder die Pensionskasse, darf der Pensionsfonds nicht für alle Leistungsfälle eine Beitrags-Leistungsgarantie geben. Für den Versorgungsfall dürfen lediglich lebenslange Rentenzahlungen oder Auszahlungspläne mit Restverrentung zugesagt werden; die Abwicklung über eine Einmalkapitalzahlung oder die Verpflichtung zur Zahlung lediglich befristeter Renten ist unzulässig (§ 112 Abs. 1 Nr. 4 VAG). 5.

Unterstützungskasse

39 Unterstützungskassen sind nach der Legaldefinition des § 1 b Abs. 4 BetrAVG rechtsfähige Versorgungseinrichtungen, die eine betriebliche Altersversorgung durchführen, auf deren Leistungen der Arbeitnehmer keinen Anspruch hat. 40 Eine Unterstützungskasse ist eine juristische Person, deren satzungsmäßiger Zweck es ist, Versorgungsleistungen ausschließlich auf freiwilliger Basis und ohne Rechtsanspruch zu erbringen. Häufig nutzen Unterstützungskassen als Finanzierungsinstrument eine Rückdeckungsversicherung, bei der der Verpflichtungsumfang insgesamt (kongruente Rückdeckungsversicherung) oder teilweise (inkongruente Rückdeckungsversicherung) abgedeckt wird. Sind die Versorgungsleistungen nicht vollständig abgedeckt, verbleibt es bei der subsidiären Ausfallhaftung des Arbeitgebers.

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IV. Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG

IV.

Die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG

Die betriebliche Altersversorgung gehört zu den Fragen der betrieblichen Lohn- 41 gestaltung und unterliegt daher der Mitbestimmung nach § 87 Nr. 10 BetrVG, soweit sie nicht durch eine Sozialeinrichtung geleistet wird und deshalb das Mitbestimmungsrecht bereits nach § 87 Nr. 8 besteht. Hinsichtlich der Entscheidung, ob der Arbeitgeber eine betriebliche Altersver- 42 sorgung zusagen will, sowie über den Dotierungsrahmen, die Festlegung des begünstigten Personenkreises und den Durchführungsweg, ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei.34) Trifft der Arbeitgeber diese Entscheidungen frei, bedarf auch der Wechsel des Durchführungswegs nicht der Beteiligung des Betriebsrats. Schließen die Betriebsparteien über diese Regelungsinhalte gleichwohl Betriebsvereinbarungen ab, handelt es sich um freiwillige Betriebsvereinbarungen (§ 88 BetrVG). Erzwingbar ist hingegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsicht- 43 lich der Ausgestaltung des Leistungsplans sowie der Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 8, 10 BetrVG). Pensionskassen, Unterstützungskassen und Pensionsfonds sind klassische Sozialeinrichtungen i. S. des § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG, so dass dem Betriebsrat bei der Form, Ausgestaltung und Verwaltung ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Der Betriebsrat entscheidet daher darüber mit, ob die Sozialeinrichtung als rechtlich unselbständiger Bestandteil des Betriebs, als nicht rechtsfähiger Verein, BGB-Gesellschaft oder als juristische Person organisiert werden soll. Die Ausgestaltung betrifft das Aufstellen einer Satzung, Geschäftsordnung sowie die Wahl der Verwaltungsgremien entsprechend der Satzung. Das wichtigste Mitbestimmungsrecht steht dem Betriebsrat bei der Aufstellung des Leistungsplans zu. Im Leistungsplan erfolgen die Festlegungen, unter welchen Voraussetzungen ein Leistungsanspruch entstehen soll und wie die Verteilung des vom Arbeitgeber (mitbestimmungsfrei) festgelegten Budgets erfolgt. Weitgehend der Mitbestimmung entzogen ist der Bereich der arbeitnehmer- 44 finanzierten betrieblichen Altersversorgung, da das Verfahren gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4, § 1a BetrAVG zwingende Vorgaben enthält. 45

Praxishinweis Bei der Einführung von Systemen der betrieblichen Altersversorgung ist stets sorgfältig zu prüfen, ob diese der Mitbestimmung unterliegen: Bestehen keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte und wird dennoch eine Betriebsvereinbarung geschlossen, ist diese nur nach den allgemeinen Regeln (und damit grundsätzliches nicht einseitig!) änderbar; werden hingegen bestehende Mitbestimmungsrechte nicht beachtet, sind die getroffenen Regelungen unwirksam und nichtig.

___________ 34) BAG, Urt. v. 12.6.1975 – 3 ABR 13/74, DB 1975, 1559; Schnitker/Sittard, NZA 2011, 331.

Frommhold

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

V.

Sanierungsmöglichkeiten in der Krise

1.

Einseitige Änderung von Zusagen der betrieblichen Altersversorgung

a)

Widerruf

46 Während nach der Rechtslage bis zum 1.1.1999 der Widerruf einer Betriebsrentenzusage wegen wirtschaftlicher Notlage in § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG a. F. gesetzlich geregelt war und bei Zustimmung durch das ArbG oder mit Zustimmung des PSVaG möglich war, hat der Gesetzgeber durch Art. 91 EGInsO diese Möglichkeit aus dem Gesetz ersatzlos gestrichen. Die Rechtsprechung35) hat dem Widerruf von Zusagen der betrieblichen Altersversorgung wegen wirtschaftlicher Notlage seither nicht mehr zugelassen. Selbst wenn die zugrunde liegende Versorgungsordnung einen Widerrufsvorbehalt durch den Arbeitgeber bei Eintreten einer wirtschaftlichen Notlage zulassen sollte, begründet ein solcher Vorbehalt kein eigenständiges Recht zum Widerruf.36) Hat der Arbeitgeber die Zusage unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt, ist im Einzelfall die Wirksamkeit einer solchen Klausel zu überprüfen. Die Rechtsprechung hat für Arbeitsverträge unter der Geltung der nach der Schuldrechtsreform abgeschlossenen Verträge die Wirksamkeit davon abhängig gemacht, dass die Gründe für einen möglichen Widerruf in der entsprechenden Klausel angegeben sein müssen und es sich um einen widerruflichen Anteil von nicht mehr als 25 % bis 30 % der Gesamtvergütung handelt.37) 47 Eine Befugnis zur Anpassung eines Versorgungswerks wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) kann sich nach der Rechtsprechung dann ergeben, wenn sich die zugrunde gelegte Rechtslage nach Schaffung des Versorgungswerks wesentlich und unerwartet geändert und dies beim Arbeitgeber zu erheblichen Mehrbelastungen geführt hat. Daneben oder im Zusammenhang damit kann es auch dadurch zu einer Störung der Geschäftsgrundlage kommen, dass aufgrund von Gesetzesänderungen der für den Arbeitnehmer bei Erteilung der Versorgungszusage erkennbar verfolgte Versorgungszweck nunmehr verfehlt wird (Zweckverfehlung), weil die unveränderte Anwendung der Versorgungszusage zu einer gegenüber dem ursprünglichen Versorgungsziel planwidrig eintretenden Überversorgung führen würde. Eine solche planwidrige Überversorgung liegt vor, wenn sich die zugrunde liegende Rechtslage nach Erteilung der Versorgungszusage ganz wesentlich und unerwartet geändert hat und dies beim Arbeitgeber zu erheblich Mehrbelastungen führt oder wenn der bei der Versorgungszusage erkennbare Versorgungszweck dadurch verfehlt wird, dass ___________ 35) BAG, Urt. v. 17.6.2003 – 3 AZR 396/02, BAG AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 24, dazu EWiR 2004, 267 (Schumann); seit BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012 – 1 BvR 2378/10, ZIP 2012, 1979, auch nicht mehr für Fälle vor Inkrafttreten des BetrAVG 1974. 36) BAG, Urt. v. 8.7.1982 – 3 AZR 481/71, DB 1972, 2069. 37) BAG, Urt. v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, ZIP 2005, 633, dazu EWiR 2005, 379 (Bartz/Oberschäfer); Schöne in: Kübler, HRI, § 55 Rz. 8.

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V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise

deren unveränderte Anwendung zu einer gegenüber dem ursprünglichen Versorgungsziel planwidrig eintretenden Überversorgung führen würde.38) Die Störung der Geschäftsgrundlage wegen planwidriger Überversorgung löst 48 ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers aus, das dieser nach billigem Ermessen auszuüben hat.39) Durch das Anpassungsrecht darf in die geltende Vereinbarung nicht stärker eingegriffen werden, als es durch die Grundlagen der ursprünglichen Vereinbarung geboten ist. 49

Praxishinweis Da der Abbau einer Überversorgung weder ein Fall der wirtschaftlichen Notlage noch ein Fall der Äquivalenzstörung, sondern ein Fall der Zweckverfehlung ist,40) kann der Anspruch auf Anpassung auch unabhängig von einer wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers bestehen und sollte entsprechend geprüft werden.

Dass unter äußerst restriktiven Voraussetzungen ausnahmsweise ein Widerruf 50 wegen schwerer Treuepflichtverletzung in Betracht kommen kann, soll, da dies unter Restrukturierungsgesichtspunkten keine Rolle spielt, lediglich erwähnt werden. Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch nicht nur ein individuelles (Fehl-)Verhalten, welches ggf. zu einer auch außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde; vielmehr muss der Betriebsrentner oder der Anwartschaftsberechtigte seine Pflichten in grober Weise verletzt und seinem Arbeitgeber einen so schweren Schaden zugefügt haben, dass sich die in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue nachträglich als wertlos oder zumindest erheblich entwertet herausstellt.41) b)

Kündigung von Betriebsvereinbarungen

Betriebsvereinbarungen können nach § 77 Abs. 5 BetrVG gekündigt werden. 51 Der Kündigung müssen keine Verhandlungen über den Abschluss einer abändernden Betriebsvereinbarung vorausgehen. Die Rechtsfolgen der Kündigung richten sich nach der Erklärung bzw. der Beschränkung derselben durch den Arbeitgeber. Eine Beschränkung kommt insbesondere in Betracht in Form der x

Schließung für Neueintritte,

x

Beschränkung von dienstzeitabhängigen Anwartschaftssteigerungen,

x

Einfrieren/Einschränkung einer in der Versorgungsordnung vorgesehenen Dynamik,

x

Beseitigung bereits erworbener Besitzstände.

___________ 38) 39) 40) 41)

Kania in: ErfK, § 77 BetrVG Rz. 87. BAG, Urt. v. 28.7.1998 – 3 AZR 100/98, NZA 1999, 444, dazu EWiR 1999, 51 (Blomeyer). BAG, Urt. v. 28.7.1998 – 3 AZR 100/98, NZA 1999, 444. BAG, Urt. v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, ZIP 1990, 1612 = AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG – Treubruch; BGH, Urt. v. 11.3.2002 – 2 ZR 5/00, DB 2002, 1207.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

52 Unterbleibt eine Einschränkung bei der Kündigungserklärung, ist vom Willen des Arbeitgebers auszugehen, sämtliche, auf der Betriebsvereinbarung beruhenden Versorgungsleistungen zu beseitigen.42) 53 Die Kündigung bewirkt die unmittelbare Beendigung der Geltung der in der gekündigten Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelungen; eine Nachwirkung kommt nicht in Betracht, weil die Regelungen nicht durch den Spruch einer Einigungsstelle ersetzt werden können (§ 77 Abs. 6 BetrAVG). 54 Aus der Tatsache, dass die Betriebsvereinbarung grundlos gekündigt werden kann, lässt sich jedoch nicht schließen, dass der Arbeitgeber berechtigt wäre, ohne weiteres sämtliche begünstigenden Regelungen zu beseitigen. Dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer und dem Vertrauen auf die Geltung der begünstigenden Normen ist vielmehr durch eine Begrenzung der Kündigungswirkung Rechnung zu tragen. 55 Die Schließung eines bestehenden Versorgungswerks für neu eingestellte Arbeitnehmer ist auch ohne sachlichen Grund statthaft. Die neu eintretenden Mitarbeiter haben weder einen Anspruch aus einer gekündigten Betriebsvereinbarung noch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten oder einer vor Eintritt begründeten betrieblichen Übung.43) 56 Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung mit einer bereits erteilten Versorgungszusage ist aufgrund des Vertrauensschutzes der Arbeitnehmer, die bei Eintritt in das Unternehmen eine bestehende Versorgungsregelung vorgefunden haben, nur sehr eingeschränkt möglich. In Abhängigkeit der Intention des Arbeitgebers und der sich daraus ergebenden Eingriffstiefe ist anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Drei-Stufen-Theorie zu ermitteln. 57 Eine Entziehung bereits erdienter Anwartschaften stellt einen Eingriff auf der 1. Stufe dar. Dieser ist nur aus zwingenden Gründen zulässig. Als solche anerkannt sind x

Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB),

x

grobe Treuepflichtverletzung (§ 242 BGB),

x

planwidrige Überversorgungstatbestände sowie

x

insolvenzgleiche wirtschaftliche Notlagen des Arbeitgebers.

58 Bei Vorliegen triftiger Gründe sollen auch Eingriffe auf der 2. Stufe in eine zeitanteilig erdiente Dynamik möglich sein. Bei einem solchen Eingriff wird entgegen der ursprünglichen Versorgungszusage der variable Faktor „Endgehalt“ auf dem Stand des Zeitpunkts des Eingriffs eingefroren oder auf einen be___________ 42) BAG, Beschl. v. 17.8.1999 – 3 ABR 55/98, ZIP 2000, 850, m. Anm. Strick = NZA 2000, 498, dazu EWiR 2000, 657 (Griebeling). 43) Schnittker in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Kap. J Rz. 724.

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V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise

stimmten Betrag gekappt.44) Auch Zuwächse, die sich aus dienstzeitunabhängigen variablen Berechnungsfaktoren ergeben, sollen als „erdiente Dynamik“ auf zweiter Stufe geschützt sein, etwa wenn der Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung entgegen der ursprünglichen Versorgungsordnung Leistungen nicht mehr nach dem tatsächlichen Rentenanspruch bei Eintritt des Versorgungsfalls, sondern nach der individuellen Rentenauskunft von 2004, (fiktiv) hochgerechnet bis zum 65. Lebensjahr, zusagt.45) Triftige Gründe für einen solchen Eingriff können z. B. wirtschaftlicher Natur 59 sein, etwa wenn eine langfristige Substanzgefährdung oder Substanzauszehrung des Arbeitgebers drohen oder eine angemessene Eigenkapitalverzinsung nicht mehr aus Erträgen und Wertzuwächsen erwirtschaftet werden kann.46) Als Gründe nicht betriebswirtschaftlicher Natur können Änderungen des Leistungskatalogs oder der Verteilungsgrundsätze herangezogen werden. Bei allen Eingriffen auf der 2. Stufe soll jedenfalls stets eine Verhältnismäßig- 60 keitsprüfung vorgenommen werden, in der die gegenseitigen Belange – Bedürfnis nach Anpassung auf Seiten des Arbeitgebers gegenüber dem Vertrauensschutz des Arbeitnehmers – abgewogen werden müssen. Denkbar sind schließlich Eingriffe auf der 3. Stufe, in künftige und noch nicht 61 erdiente dienstzeitabhängige Zuwächse, sog. Eingriffe auf der 3. Besitzstandsstufe. Die Rechtsprechung verlangt hierfür als Rechtfertigung lediglich willkürfreie, nachvollziehbare und aus der Situation anzuerkennende Gründe, wie z. B. das Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage, die zwar im Einzelnen dargelegt werden, jedoch nicht den Status eines Sanierungsplans erreicht haben müssen.47) Beruhen die Eingriffe auf allen drei Stufen auf einer wirtschaftlich schwierigen 62 Situation des Unternehmens, bedarf es in jedem Fall eines geeigneten Nachweises. Der Nachweis kann erbracht werden z. B. durch Prüfberichte eines Wirtschaftsprüfers, Steuerberaters oder anderer sachverständiger Dritter. Ist die Kündigung der Betriebsvereinbarung wirksam, erwerben nach Kündi- 63 gung in das Unternehmen eintretende Mitarbeiter keinen Anspruch mehr aus der gekündigten Betriebsvereinbarung. Die Betriebsvereinbarung bleibt jedoch in dem Umfang in Kraft, der durch die Beschränkung der Kündigung aufrechterhalten bleiben sollte. Von der Kündigung betroffene Eingriffe in Besitzstände ___________ 44) Schnittker in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Kap. J Rz. 733. 45) BAG, Urt. v. 15.1.2013 – 3 AZR 705/10, BeckRS 2013, 68639. 46) BAG, Urt. v. 15.1.2013 – 3 AZR 705/10, BeckRS 2013, 68639; BAG, Urt. v. 17.4.1996 – 3 AZR 56/95, ZIP 1996, 2085 = NZA 1997, 155. 47) BAG, Urt. v. 18.9.2001 – 3 AZR 728/00, BAGE 99, 75, 89 = ZIP 2002, 907, dazu EWiR 2002, 693 (Griebeling).

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

werden wiederum anhand der Drei-Stufen-Theorie überprüft und – vorbehaltlich der Wirksamkeit – angepasst. c)

Änderungskündigung

64 Von eher theoretischer Bedeutung dürfte die Möglichkeit sein, durch den einzelnen Arbeitnehmern gegenüber auszusprechende Änderungskündigungen einseitig Änderungen der Individualzusagen zu erreichen. Zwar wäre unter den restriktiven Vorgaben der Rechtsprechung zu Änderungskündigungen bei Verzicht auf Lohn- und Gehaltsbestandteile (akute Gefahr für die Arbeitsplätze oder eine Existenzbedrohung des Unternehmens)48) eine Aufhebung oder Herabsetzung der Versorgungszusage grundsätzliches möglich. Allerdings dürfte die praktische Umsetzbarkeit aufgrund des Erfordernisses, eine solche Änderungskündigung gegenüber allen versorgungsberechtigten Arbeitnehmern, mithin auch denjenigen, die ordentlich nicht kündbar sind, auszusprechen und des daraus resultierenden Prozessrisikos in der Praxis nicht durchsetzbar sein. d)

„Gegenläufige“ betriebliche Übung

65 Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der Schuldrechtsrechtsreform entsprach es der h. M. in der Literatur und Rechtsprechung, dass Ansprüche, die auf einer betrieblichen Übung beruhen, durch eine sog. „negative“ oder „gegenläufige“ betriebliche Übung beseitigt werden konnten. Mit Einführung des § 308 Nr. 5 BGB, welcher das Verbot fingierter Erklärungen normiert, hat das BAG auch seine frühere Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer negativen betrieblichen Übung aufgegeben.49) Ein einmal entstandener Rechtsanspruch aufgrund betrieblicher Übung kann deshalb nur noch durch Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung beseitigt werden.50) Für Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung ist die gegenläufige betriebliche Übung ohnehin ausdrücklich ausgeschlossen worden.51) 2.

Einvernehmliche Anpassung

a)

Änderungsvertrag

66 Auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung existiert der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Hat sich der Arbeitgeber einzelvertraglich oder i. R. einer Gesamtzusage zur Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verpflichtet, kann diese Verpflichtung ganz oder teilweise im Wege einer ___________ 48) BAG, Urt. v. 20.3.1986 – 2 AZR 294/85, NZA 1986, 824; BAG, Urt. v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, ZIP 1990, 944 = NZA 1990, 607. 49) BAG, Urt. v. 18.3.2009 – 10 AZR 281/08, ZIP 2009, 1178 = NZA 2009, 601, dazu EWiR 2009, 401 (Mehrens). 50) Schulze/Wimmi, ArbRAktuell 2013, 145. 51) BAG, Urt. v. 16.2.2010 – 3 AZR 118/08, NZA 2011, 104.

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V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise

individuellen Änderungsvereinbarung beseitigt werden. Insbesondere bei der Gesamtzusage ist jedoch mit jedem einzelnen Arbeitnehmer eine abändernde Vereinbarung zu treffen, was praktisch kaum durchsetzbar sein dürfte. Eine Einschränkung erfährt der Grundsatz der Vertragsfreiheit in zwei Kons- 67 tellationen: Zum einen kommt eine verschlechternde Abänderung oder gar ein Verzicht des Arbeitnehmers durch Individualvertrag auf eine durch Tarifvertrag zugesagte Versorgung wegen § 4 Abs. 3 TVG nicht in Betracht; zum anderen lässt § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB eine entsprechende Vereinbarung im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nicht zu, soweit diese nicht durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt ist. b)

Abschluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung

Versorgungszusagen können auch durch den Abschluss einer Betriebsvereinba- 68 rung inhaltlich geändert werden. Zu unterscheiden ist jedoch, ob die Versorgungszusage selbst bisher auf einer Betriebsvereinbarung oder auf einer Gesamtzusage oder betrieblichen Einheitsregelung beruht. Die auf einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Einheitsregelung beru- 69 hende Versorgungszusage kann durch eine ablösende Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Durch nachfolgende Betriebsvereinbarungen können Leistungen grundsätzlich auch verschlechtert werden. Im Verhältnis mehrerer Betriebsvereinbarungen untereinander ist dies unproblematisch; hier gilt das Ablösungsprinzip, d. h., jüngere Vereinbarungen lösen ältere ab. Aber auch eine auf einer Individualzusage beruhende Versorgungszusage kann durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn sich der abzulösenden Regelung dieses Regelungsziel ausdrücklich oder zumindest durch Auslegung entnehmen lässt, die Neuregelung bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger ist oder die Geschäftsgrundlage gestört ist.52) Nach den vom BAG in der Grundsatzentscheidung vom 16.9.198653) aufge- 70 stellten Grundsätzen gilt daher Folgendes: Die auf betrieblicher Übung oder einer individualrechtlichen Einheitsregelung 71 beruhende Versorgungszusage kann durch eine ablösende, d. h., auch insgesamt verschlechternde Betriebsvereinbarung abgelöst werden, wenn sie betriebsvereinbarungsoffen ist. Dies ist der Fall, wenn ein ausdrücklicher oder stillschweigender Vorbehalt einer nachträglichen Veränderung durch eine Betriebsvereinbarung enthalten ist.54) Aufgrund des kollektiven Charakters der auf betrieblicher Übung oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz beruhenden Versor___________ 52) Karst/Cisch-Rihn, BetrAVG, § 1 Rz. 304. 53) BAG, Urt. v. 16.9.1986 – GS 1/82, ZIP 1987, 251 = DB 1987, 383. 54) Schnitker in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Kap. J Rz. 684.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

gungsregelungen richtet sich auch deren Ablösbarkeit nach den für eine Gesamtzusage geltenden Regeln. Es gilt das Günstigkeitsprinzip, wonach eine verschlechternde Regelung durch Betriebsvereinbarung nur getroffen werden kann, wenn die betriebliche Übung ihre Geschäftsgrundlage verloren hat, sich die neue Regelung bei kollektiver Gesamtbetrachtung nicht ungünstiger darstellt als die bisherige Regelung und in der einzelvertraglichen Grundlage selbst für den einzelnen Arbeitnehmer erkennbar die Möglichkeit zur kollektivrechtlichen Veränderung eröffnet war.55) 72 Schwierig gestaltet sich unter Sanierungsgesichtspunkten insbesondere der kollektive Günstigkeitsvergleich, nach dem die neue Betriebsvereinbarung dann wirksam ist, wenn der Dotierungsrahmen insgesamt gewahrt bleibt.56) Daraus folgt im Ergebnis, dass zwar in die Verteilungsgrundsätze eingegriffen werden kann, aber die wirtschaftlichen Folgen insgesamt durch eine umstrukturierende Betriebsvereinbarung nicht verringert werden können. Der einzelne von einer Zusage mit kollektivem Bezug Begünstigte muss damit rechnen, dass auf Grund veränderter Gerechtigkeitsvorstellungen im Gesamtpaket eine Umverteilung stattfindet, die auch zu seinen Lasten gehen können.57) Enthält die ursprüngliche Regelung oder Gesamtzusage also keinen Änderungsvorbehalt und liegt kein Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor, ist aufgrund des kollektiven Günstigkeitsvergleichs nur eine umstrukturierende, nicht jedoch eine die bisherige Regelung verschlechternde Betriebsvereinbarung wirksam.58) Zwar wird vereinzelt vertreten, dass in der Insolvenz der Günstigkeitsvergleich nur eingeschränkt anwendbar sein soll und insbesondere vor dem Hintergrund der Fortführung des Geschäftsbetriebs und dem insolvenzrechtlichen Prinzip der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung auch eine kollektiv ungünstigere Betriebsvereinbarung wirksam abgeschlossen werden soll.59) Für eine derartige Auslegung und Einschränkung des Grundsatzes, dass die Insolvenzeröffnung keinen Einfluss auf die Fortgeltung des allgemeinen Arbeitsrechts hat, dürfte jedoch kein Raum sein. Eine Verschlechterung der durch Gesamtzusage begründeten Rechte durch eine Betriebsvereinbarung kommt jedoch ausnahmsweise in Betracht, wenn der Arbeitgeber sich den Widerruf der Gesamtzusage vorbehalten hat.60) 73 Liegen die von der Rechtsprechung statuierten Voraussetzungen kumulativ vor, ist die einvernehmliche Änderung und Beendigung von Zusagen betreffend die ___________ BAG, Urt. v. 18.3.2003 – 3 AZR 101/02, DB 2004, 327, dazu EWiR 2004, 313 (Matthießen). BAG, Urt. v. 23.10.2001 – 3 AZR 74/01, AP Nr. 33 Ablösung BetrAVG § 1. Reinhard/Hoffmann-Remy, NZA Beilage 2012, S. 79, 82. Schnitker in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Kap. J Rz. 687. 59) Gantenberg/Hinrichs/Janko, ZInsO 2009, 1000, 1006. 60) BAG, Urt. v. 15.2.2011 – 3 AZR 35/09, NZA-RR 2011, 541. 55) 56) 57) 58)

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V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise

betriebliche Altersversorgung immer noch nur in den Grenzen der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes möglich. Nach der DreiStufen-Theorie muss es dafür in Abhängigkeit von der Eingriffstiefe zwingende, triftige oder sachliche Gründe geben. Beruht die Versorgungszusage auf einer Betriebsvereinbarung, kann die dort 74 enthaltene Regelung ebenfalls durch eine neue Betriebsvereinbarung geändert werden. Im Verhältnis zweier Betriebsvereinbarungen gilt die Zeitkollisionsregel, d. h., die neuere Regelung löst die ältere ab. Da es sich um eine einvernehmliche Aufhebung der bisherigen Regelung handelt, findet grundsätzliches auch das Günstigkeitsprinzip Anwendung; auch die Verschlechterung der Versorgungszusage ist möglich.61) Die neue, ablösende Betriebsvereinbarung unterliegt allerdings einer Billigkeitskontrolle anhand der Drei-Stufen-Theorie und zusätzlich einer konkreten Billigkeitskontrolle, durch die in jedem Fall für betroffene Arbeitnehmer unzumutbare Härten ausgeschlossen werden müssen.62) Der Versuch, eine zugesagte Gesamtversorgung von der künftigen Entwick- 75 lung einer anzurechnenden gesetzlichen Rente abzukoppeln, stellt nach einer Entscheidung des BAG63) einen Eingriff in die „erdiente Dynamik“ dar, der nur aus nachweisbarem triftigem Grund zulässig ist. Voraussetzung ist allerdings immer, dass der Arbeitgeber sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, die die Anpassung erforderlich macht. Stützt der Arbeitgeber den Eingriff auf wirtschaftliche Schwierigkeiten, kommt es hierbei grundsätzlich auf die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens an, das Versorgungsschuldner ist. Ist der Arbeitgeber in einen Konzern eingebunden, können Verflechtungen innerhalb des Konzerns allerdings dazu führen, dass ausnahmsweise eine konzerneinheitliche Betrachtung zulässig ist und der Arbeitgeber wirtschaftliche Schwierigkeiten im Konzern zum Anlass für Eingriffe in die noch nicht erdienten dienstzeitabhängigen Zuwächse nehmen darf.64) Dies soll jedenfalls dann angenommen werden, wenn sämtliche Anteile an dem die Versorgung schuldenden Arbeitgeber von der Führungsgesellschaft des Konzerns gehalten werden, deren ausschließlicher Unternehmensgegenstand die Leitung einer Gruppe von Unternehmen ist.65) Noch höher sind die Anforderungen der Rechtsprechung, wenn eine durch Be- 76 triebsvereinbarung begründete Betriebsrentenzusage auf laufende Leistungen durch eine Betriebsvereinbarung auf eine Kapitalleistung eingeführt werden soll. Für eine solche Änderung bedarf es aufgrund der Grundsätze des Vertrau___________ BAG, Urt. v. 18.3.2003 – 3 AZR 101/02, DB 2004, 327; Kort, NZA 2004, 889. BAG, Urt. v. 8.12.1981 – 3 ABR 53/80, ZIP 1982, 89. BAG, Urt. v. 15.1.2013 – 3 AZR 705/10, BeckRS 2013, 68639. BAG, Urt. v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, ZIP 2015, 941 = BeckRS 2015, 66352, dazu EWiR 2015, 359 (Büdenbender). 65) BAG, Urt. v. 9.12.2014 – 3 AZR 323/13, ZIP 2015, 941 = BeckRS 2015, 66352.

61) 62) 63) 64)

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

ensschutzes und der Verhältnismäßigkeit einer eigenständigen Rechtfertigung.66) Die Verlagerung des Langlebensrisikos auf den Arbeitnehmer, der Entfall der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG, die Nachteile bei der Besteuerung der Altersversorgungsleistungen und die mögliche Pfändbarkeit müssen hierbei i. R. einer Interessenabwägung gegenüber den Vorteilen in Verhältnis gesetzt werden. 77 Streitig wird zunehmend die Frage diskutiert, ob die Betriebsparteien auch in bestehende Ansprüche für bereits im Ruhestand befindliche oder ausgeschiedene Arbeitnehmer eingreifen dürfen. Das BAG hat dies in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit des Betriebsrats für Betriebsrentner und ausgeschiedene Mitarbeiter verneint.67) c)

Ablösung durch Tarifvertrag

78 Versorgungszusagen, die sich aus einem Tarifvertrag ergeben, können durch eine abändernde Tarifregelung verändert werden. Im Grundsatz herrscht Einigkeit, dass die neue Tarifregelung auch verschlechternde Bedingungen und einen Eingriff in bereits erdiente Anwartschaften zulässt. Insbesondere gilt die DreiStufen-Theorie nicht, so dass i. R. einer Tarifablösung weitergehende Eingriffe denkbar sind als i. R. einer Ablösung von Betriebsvereinbarungen.68) Allerdings haben auch die Tarifvertragsparteien hier Gesichtspunkte wie Vertrauensschutz, Verhältnismäßigkeit und prinzipielles Rückwirkungsverbot zu beachten. Eine Kontrolle verschlechternder Tarifverträge soll lediglich dahingehend erfolgen, ob eine Norm gegen das Grundgesetz, nicht dispositive gesetzliche Vorschriften einschließlich der §§ 138, 242 BGB oder zwingende Grundsätze des Arbeitsrechts verstößt.69) Nicht abschließend geklärt ist, ob weitere Voraussetzungen hinzutreten müssen. Teilweise wird die Prüfung der ablösenden Tarifregelung anhand des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit gefordert.70) Jedenfalls soll ein Tarifvertrag einer Willkürkontrolle unterzogen werden,71) deren praktischer Anwendungsbereich jedoch nicht eröffnet sein dürfte. 79 Im Gegensatz zur Regelungskompetenz des Betriebsrats erstreckt sich die tarifliche Regelungsmacht unstreitig auch auf ausgeschiedene Arbeitnehmer und die Versorgungsansprüche von Betriebsrentnern.72) Allerdings werden Tarifverträge, welche in erdiente Anwartschaften bereits ausgeschiedener Arbeitnehmer ___________ 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72)

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BAG, Urt. v. 15.5.2012 – 3 AZR 11/10, ZIP 2012, 1983 = NZA-RR 2012, 433. St. Rspr., vgl. BAG, Urt. v. 28.7.1998 – 3 AZR 100/98, NZA 1999, 444. Schnitker/Grau, NZA Beilage 2010, S. 68. BAG, Urt. v. 16.8.2005 – 9 AZR 378/04, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8. BAG, Urt. v. 27.2.2007 – 3 AZR 734/05, AP BetrAVG § 1 Nr. 44. Clemens in: BeckOK-ArbR, § 1 BetrAVG Rz. 73. BAG, Urt. v. 27.2.2007 – 3 AZR 734/05, AP BetrAVG § 1 Nr. 44.

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V. Sanierungsmöglichkeiten in der Krise

eingreifen, nach den Prinzipien des Vertrauensschutzes und des darauf beruhenden Rückwirkungsverbots überprüft.73) d)

Außergerichtliches Vergleichsverfahren

Gesetzlich vorgesehenes Sanierungsinstrument ist das Vergleichsverfahren, das 80 in § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG der Insolvenz als Sicherungsfall ausdrücklich gleichgestellt ist. Der Arbeitgeber kann beim PSVaG einen Antrag auf – ggf. teilweise – Übernahme der Versorgungsverpflichtungen gegenüber den Versorgungsempfängern stellen. Durch das Vergleichsverfahren wollte der Gesetzgeber die Möglichkeit des Widerrufs von Versorgungszusagen wegen wirtschaftlicher Notlage gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG a. F. beseitigen. Die Rechte der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer, insbesondere die Höhe der zugesagten Leistungen, wird dadurch nicht berührt; die Versorgungsempfänger erhalten die ihnen zugesagten Leistungen aufgrund des Vergleichs nur entweder vom Arbeitgeber oder vom PSVaG oder von beiden, je nachdem in welchem Umfang der PSVaG in die Versorgungsverpflichtungen eintritt. Der Antrag an den PSVaG ist gesetzlich in § 3 a Abs. 1 AIB geregelt; danach 81 setzt der Antrag folgende Angaben voraus: x

Art der geplanten Maßnahmen, insbesondere, ob das Unternehmen liquidiert oder fortgeführt werden soll,

x

Mitteilung der geplanten wirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Änderungen sowie

x

Beteiligung der Inhaber des Unternehmens, der übrigen Gläubiger und der Arbeitnehmer an dem außergerichtlichen Vergleich.

Im Rahmen der vorinsolvenzrechtlichen Sanierung spielt insbesondere der Quo- 82 tenvergleich74) eine Rolle. Der ebenfalls mögliche Stundungsvergleich, bei dem Leistungen nur gestundet werden, und der Liquidationsvergleich, bei dem das Unternehmen liquidiert wird und die Gläubiger eine vereinbarte Abfindungsquote für ihre Forderungen erhalten, sind jedenfalls unter Insolvenzvermeidungs- und Sanierungsgesichtspunkten nicht zielführend. Der Quotenvergleich ist in vielen Variationen denkbar und bietet daher eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten. Häufigster Fall dürfte in der Praxis die prozentuale Aufteilung aller Versor- 83 gungsansprüche und Anwartschaften auf Arbeitgeber und PSVaG sein. Denkbar ist einerseits eine Aufteilung nach Durchführungswegen oder andererseits nach abgrenzbaren Personenkreisen, insbesondere in Anlehnung an die Verteilung bei Insolvenzeröffnung, so dass die Erfüllung der laufenden Betriebsrenten___________ 73) BVerfG, Urt. v. 15.10.1996 – 1 BvL 48/92, BVerfGE 95, 64. 74) Bremer, DB 2011, 875, 876.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

ansprüche der Betriebsrentner der PSVaG, die Fortführung der Anwartschaften hingegen der Arbeitgeber übernimmt. 84 Stimmt der PSVaG einem solchen Vergleich zu, übernimmt er gegenüber den Versorgungsempfängern anstelle des Arbeitgebers oder ausgefallenen Versorgungsträgers die Verpflichtung, Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu erbringen. Das BAG fordert darüber hinaus die Zustimmung jedes betroffenen Arbeitnehmers zum außergerichtlichen Vergleich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG, weil der Vergleich aus einer Vielzahl von Einzelverträgen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern bestünde und der PSVaG weder eine gesetzliche Vertretungsmacht noch eine Verfügungsbefugnis für den Abschluss außergerichtlicher Vergleiche über Versorgungsrechte der Arbeitnehmer habe.75) Praktisch wird hierdurch die Sanierung erschwert und weitgehend unmöglich gemacht, da eine Zustimmung aller betroffenen Arbeitnehmer eingeholt werden müsste, zumal für einen erfolgreichen Sanierungsplan gemäß § 3 AIB eine gleichmäßige Belastung aller Gläubiger verlangt wird. 3.

Die Abdingbarkeit des BetrAVG für Organmitglieder

85 Von erheblicher Bedeutung für die Beratung in einem Restrukturierungs- oder Sanierungsfall ist die Frage, inwieweit zulasten von Organmitgliedern, die gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG grundsätzlich vom Geltungsbereich des BetrAVG umfasst sind, wenn und soweit sie nicht beherrschende Gesellschafter sind, die Schutzregelungen des BetrAVG abdingbar sind. Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Das BAG hat in einer Entscheidung76) festgestellt, dass von einer Ruhegeldvereinbarung zum Nachteil von Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft im selben Umfang abgewichen werden könne, wie Abweichungen durch Tarifvertrag zulasten von Arbeitnehmern zulässig sind. Der eigentlich regelmäßig zuständige BGH hat dies grundsätzliches bestätigt und geht davon aus, dass von den Vorschriften des Betriebsrentengesetzes zum Nachteil von Organmitgliedern in einer Kapitalgesellschaft abgewichen werden kann, soweit auch den Tarifvertragsparteien Abweichungen erlaubt sind.77) Diverse praxisrelevante Folgefragen sind höchstgerichtlich ungeklärt, etwa, ob die Abdingbarkeit des BetrAVG bei Organmitgliedern nur abweichende Regelungen im Anstellungsvertrag erlaubt oder auch abweichend von § 3 BetrAVG eine spätere einvernehmliche Abfindung oder Aufhebung der Ruhegeldzusage zulässt. ___________ 75) BAG, Urt. v. 9.11.1999 – 3 AZR 361/98, ZIP 1983, 979 = NZA 2000, 1290, dazu EWiR 2000, 1039 (Schumann). 76) BAG, Urt. v. 21.4.2009 – 3 AZR 285/07, ArbRAktuell 2009, 142. 77) BGH, Urt. v. 23.5.2017 – II ZR 6/16, ZIP 2017, 1364 = ArbRAktuell 2017, 365, dazu EWiR 2017, 493 (Büdenbender).

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VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren

VI.

Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren

1.

Die Versorgungszusage im Insolvenzantragsverfahren

Mit der Stellung des Insolvenzantrags werden die Zahlungen an Versorgungs- 86 träger eingestellt. In Kenntnis des Insolvenzantrags durch den Arbeitgeber vorgenommene Prämienzahlungen auf eine Direktversicherung des Arbeitnehmers sind vielmehr nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO durch den späteren Insolvenzverwalter anfechtbar.78) Entrichtet der Arbeitgeber nach drohender Zahlungsunfähigkeit die Prämien für eine Direktversicherung eines Geschäftsführers weiter, so benachteiligt dies im Regelfall trotz der als Gegenleistung erhaltenen Dienste die Gläubiger der Gesellschaft und kann bei entsprechendem Vorsatz gegenüber dem Geschäftsführer angefochten werden, selbst wenn der Geschäftsführer auf die Leistung nach seinem Anstellungsvertrag einen Anspruch hat.79) Im Hinblick auf den Anspruch auf Insolvenzausfallgeld gilt gemäß § 165 Abs. 2 87 Satz 3 SGB III eine Entgeltumwandlung für die Berechnung des Insolvenzgeldes als nicht vereinbart, wenn der Arbeitnehmer einen Teil seines Arbeitsentgelts gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG umgewandelt hat und dieser Entgeltanteil in den Durchführungswegen Pensionsfonds, Pensionskasse oder Direktversicherung verwendet wird. 2.

Einstandspflicht des PSVaG

Für die betriebliche Altersversorgung normieren die §§ 7 bis 15 BetrAVG eine 88 gesetzliche Insolvenzsicherungspflicht. Träger der Insolvenzsicherung ist der PSVaG mit Sitz in Köln. Der PSVaG ist eine Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Wirtschaft zum Schutz der betrieblichen Altersversorgung bei Insolvenz des Arbeitgebers. Ende 2018 waren beim PSVaG 95.100 (Vorjahr 94.795) Arbeitgeber mit insolvenzsicherungspflichtiger betrieblicher Altersversorgung gemeldet. Insgesamt stehen 11,1 Mio. (Vorjahr 10,9 Mio.) Versorgungsberechtigte unter Insolvenzschutz. Dabei handelt es sich um 4,0 Mio. Rentner und 7,1 Mio. Arbeitnehmer mit unverfallbaren Anwartschaften. Seit seinem Bestehen hat der PSVaG Ansprüche von über 1,4 Mio. Versorgungsberechtigten aus Insolvenzen gesichert.80) Der PSVaG wird für die Ansprüche von Versorgungsberechtigten leistungs- 89 pflichtig, wenn bei dem Arbeitgeber, der die betriebliche Altersversorgung ge___________ 78) OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.1.2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 = NZI 2008, 188, dazu EWiR 2007, 405 (Schröder); kritisch hierzu Schäfer, NZI 2008, 151. 79) BGH, Urt. v. 12.1.2012 – IX ZR 95/11, ZIP 2012, 285 = NZI 2012, 246, dazu EWiR 2012, 249 (Kirstein). 80) PSVaG, Bericht über das Geschäftsjahr 2018, abrufbar unter https://www.psvag.de/ fileadmin/doc/220/pressemitteilungen/pressemitteilung_jahresabschluss_2018.pdf (Abrufdatum: 17.5.2019).

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

währt, einer der in § 7 Abs. 1 BetrAVG abschließend aufgezählten Sicherungsfälle vorliegt, als da sind x

Eröffnung des Insolvenzverfahrens;

x

Abweisung mangels Masse;

x

Gerichtliche Vergleiche mit Gläubigern zur Abwendung des Insolvenzverfahrens (mit Zustimmung des PSVaG);

x

Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit.

90 Mit Eintritt eines Falls der o g. Sicherungsfälle kommt es hinsichtlich der bestehenden Versorgungsansprüche zu einem Schuldnerwechsel vom Arbeitgeber zum PSVaG; gegenüber diesem besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis. Bis zum Eintritt eines der o. g. Sicherungsfälle liegt keine Einstandspflicht vor. Im Insolvenzeröffnungsverfahren werden daher die Ansprüche der Betriebsrentner weder vom Arbeitgeber bzw. (mit Zustimmung des) vorläufigen Insolvenzverwalters noch vom PSVaG befriedigt. Der PSVaG erfasst jedoch auch rückständige Versorgungsleistungen, soweit diese bis zu sechs Monate vor Entstehen der Leistungspflicht fällig geworden sind (§ 7 Abs. 1a Satz 3 BetrAVG). 91 Ein Anspruch auf laufende Leistungen gegen den PSVaG beträgt im Monat höchstens das Dreifache der im Zeitpunkt der ersten Fälligkeit maßgebenden monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV; im Jahr 2018 betrug die monatliche Bezugsgröße 3.045 € in den alten und 2.695 € in den neuen Bundesländern. 92 Spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter dem PSVaG die Grundlagen für dessen Eintrittspflicht mitzuteilen. Dies beinhaltet die Mitteilung x

des Eröffnungsdatums,

x

des Namens und der Anschrift des Versorgungsberechtigten sowie

x

der Höhe der Rechte,81)

unter Verwendung der vom PSVaG zur Verfügung gestellten Formblätter.82) Für die weiteren Eintrittsfälle der Abweisung mangels Masse oder der unterbliebenen Eröffnung trifft die Informationspflicht den Arbeitgeber bzw. sonstigen Träger der Versorgung (§ 11 Abs. 5 BetrAVG). 3.

Schicksal der einzelnen Versorgungszusagen im Insolvenzverfahren

93 Da der Eintritt der Insolvenz nicht zu einem Erlöschen von Versorgungsansprüchen führt, nehmen die nicht insolvenzgeschützten Teile der betrieblichen Altersversorgung im Insolvenzverfahren am Insolvenzverfahren teil. Hinsicht___________ 81) Jakubowski in: MAH ArbR in der Insolvenz, § 13 Rz. 86. 82) Abrufbar unter https://www.psvag.de/mitglieder-beitrag/online-formulare.html (Abrufdatum: 17.5.2019).

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VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren

lich aller nach Insolvenzeröffnung erdienten Versorgungsanwartschaften bzw. fällig werdenden Beitragszahlungen an externe Versorgungsträger stellen die Forderungen Masseverbindlichkeiten dar (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO).83) Das Schicksal der Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung richtet sich nach 94 dem gewählten Durchführungsweg. a)

Direktzusage

Bei Direktzusage beurteilt sich die Frage, ob die Ansprüche auf Versicherungs- 95 leistung Masseansprüche oder Insolvenzforderungen sind, nach dem Zeitpunkt, in dem sie erdient worden sind. Entsprechend der insolvenzrechtlichen Einordnung sind Ansprüche für Zeiten, die vor Insolvenzeröffnung liegen, einfache Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO, und Ansprüche für Zeiten nach Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Versorgungszusage bleibt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt und gilt ununterbrochen fort; entsprechend kann eine Direktzusage sogar erst durch nach der Insolvenzeröffnung geleistete Dienstzeiten unverfallbar werden.84) Soweit die Versorgungsordnung eine Dynamik enthält, ist eine zeitanteilige 96 Aufteilung geboten: Während die bis zur Insolvenzeröffnung erdiente Anwartschaft eine Insolvenzforderung darstellt, handelt es sich bei den nach Eröffnung anteilig entstandenen Versorgungsansprüchen um Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.85) b)

„Reine“ Beitragszusage

Da die Leistungsfähigkeit der Versorgungseinrichtung, an die der insolvente 97 Arbeitgeber schuldbefreiend gezahlt hat, von dem Insolvenzereignis unberührt bleibt, können keine Leistungsansprüche der berechtigten Arbeitnehmer ausfallen. Entsprechend sind diese Ansprüche von der Insolvenzsicherung nicht erfasst (vgl. § 7 BetrAVG). c)

Direktversicherung

Da bei dem Durchführungsweg über eine Direktversicherung der Versor- 98 gungsempfänger ab Eintritt des Versorgungs- und Versicherungsfalls einen unmittelbaren Leistungsanspruch gegen den Lebensversicherer gemäß § 335 BGB erlangt, bedarf es eines Insolvenzschutzes nur, wenn der Arbeitgeber das Bezugsrecht vor Eintritt des Versicherungsfalls beeinträchtigt hat, indem er ___________ 83) Neufeld, BB 2008, 2346, 2350. 84) BAG, Urt. v. 4.4.2000 – 3 AZR 222/99, KTS 2002, 152 ff.; Zwanziger, ArbR der InsO, § 108 InsO Rz. 164. 85) BGH, Urt. v. 6.12.2007 – IX ZR 284/03, ZIP 2008, 279 = NZI 2008, 185.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

Ansprüche aus der Direktversicherung abgetreten oder beliehen hat und seiner Verpflichtung, nach Eintritt der Unverfallbarkeit, diese wieder herzustellen, wegen des Insolvenzverfahrens nicht nachkommt.86) Bei der Behandlung von Ansprüchen aus einer zugunsten des Arbeitnehmers abgeschlossenen Direktversicherung war nach der Rechtsprechung des BAG87) zwischen der versicherungsrechtlichen und der arbeitsrechtlichen Rechtsbeziehung zu unterschieden. Das BAG hat wiederholt88) klargestellt, dass es hinsichtlich der Frage, wem die Rechte aus der Direktversicherung zustehen, ausschließlich auf die versicherungsrechtliche Rechtsbeziehung ankommt. 99 Ist im Versicherungsvertrag ein unwiderrufliches Bezugsrecht vereinbart, so kann der begünstigte Arbeitnehmer nach § 47 InsO gegenüber der Insolvenzmasse die Aussonderung verlangen, da er den Anspruch auf die Versicherungsleistung sofort erworben hat, oder gegenüber dem Versicherer die Fortsetzung und die Übertragung des Vertrags auf ihn als neuen Versicherungsnehmer verlangen.89) 100 Ist dem Berechtigten nur ein (uneingeschränkt) widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden, kann die Bezugsberechtigung widerrufen und die Versicherung bzw. der Rückkaufswert zur Masse gezogen und verwertet werden. 101 Problematisch wird die Beurteilung dann, wenn dem Arbeitnehmer ein sog. eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden ist, bei dem der Arbeitnehmer zwar von Beginn an als Bezugsberechtigter eingesetzt ist, der Arbeitgeber sich aber unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit vorbehalten hat, bis zum Eintritt der gesetzlichen Unverfallbarkeit die Bezugsberechtigung zu ändern. Sind die Voraussetzungen des Vorbehalts nicht erfüllt, hat der begünstigte Arbeitnehmer im Insolvenzfall die gleiche Rechtsstellung wie ein uneingeschränkt unwiderruflich Bezugsberechtigter. Ansonsten hat der Insolvenzverwalter das Widerrufsrecht zwingend auszuüben; durch den Widerruf erfüllt der Verwalter seine insolvenzrechtlichen Verwertungspflichten gemäß §§ 159, 148 InsO. 102 Da sich die Frage der Widerruflichkeit der Versicherung ausschließlich nach der versicherungsrechtlichen Rechtsbeziehung beurteilt, wird der Insolvenzverwalter das Bezugsrecht stets dann widerrufen müssen, wenn dies nach der versicherungsrechtlichen Betrachtung möglich ist. Ein unterbliebener Widerruf würde daher zu einer Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO führen, selbst wenn dem Verwalter arbeitsvertraglich kein Widerrufsrecht zusteht. ___________ 86) Bertram in: Gottwald, InsR-Hdb., § 109 Rz. 20. 87) BAG, Urt. v. 8.6.1993 – 3 AZR 670/92, AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unverfallbarkeit = BB 1994, 73. 88) BAG, Beschl. v. 22.5.2007 – 3 AZR 334/06, ZIP 2007, 1869 = NZA 2007, 1169; BAG, Urt. v. 26.6.1990 – 3 AZR 2/89, NZA 1991, 144. 89) OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.1.2001 – 4 U 93/00, NVersZ 2001, 504.

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VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren

Nach h. M. stehen dem Arbeitnehmer beim Widerruf trotz Unverfallbarkeit der Ansprüche oder Gehaltsumwandlung Schadensersatzansprüche zu, die als einfache Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO anzumelden wären. Dies ist zwar insbesondere aufgrund der Tatsache, dass letztlich die (arbeits)vertragswidrige Handlung des Insolvenzverwalters erst den Schadensersatzanspruch auslöst, nicht unumstritten, entspricht aber der Sichtweise der Rechtsprechung und h. M.90) Streitig war die Beurteilung, ob bei einem eingeschränkt unwiderruflichen 103 Bezugsrecht ein in den Versicherungsvertrag aufgenommener Vorbehalt des Widerrufs für die Zeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Unverfallbarkeit auch für den Fall einer insolvenzbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Versicherungsnehmer wirksam sein sollte. Der Gemeinsame Senat des BGH hat das Verfahren hierüber eingestellt, nachdem sich die beteiligten Senate des BAG und BGH geeinigt haben, dass ein Betriebsübergang in der Insolvenz zwar die Arbeitsverhältnisse zur Insolvenzschuldnerin beende, aber nicht zu einem Ausscheiden der Beschäftigten i. S. des Versicherungsvertragsverhältnisses führe.91) Soweit häufig ein (Widerrufs-)Vorbehalt für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalls endet, eingeräumt worden ist, soll hierdurch nur verhindert werden, dass Arbeitnehmer von sich aus unter Mitnahme erworbener Versicherungsansprüche vorzeitig ausscheiden. Allerdings soll der Arbeitgeber bei insolvenzbedingter Betriebseinstellung nach h. M. aber nicht berechtigt sein, das Bezugsrecht des Arbeitnehmers zu widerrufen, um die Masse zugunsten der Insolvenzgläubiger zu erhöhen.92) d)

Pensionskasse

Da Pensionskassen der Versicherungsaufsicht unterliegen, gib es diesbezüglich 104 keine relevanten Insolvenzrisiken.93) Bei Insolvenz des Arbeitgebers (nicht der Unterstützungskasse) erhalten die Betriebsrentner und Arbeitnehmer einen Anspruch gegen den PSVaG i. H. der nach dem Leistungsplan der Pensionskasse vorgesehenen Leistungen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BetrAVG). Ein eventuell vorhandenes Vermögen der Pensionskasse geht gemäß § 9 Abs. 3 BetrAVG auf den PSVaG über.

___________ 90) Zwanziger, ArbR der InsO, § 108 Rz. 169. 91) BAG, Urt. v. 15.6.2010 – 3 AZR 31/07, ZIP 2010, 2260 = BeckRS 2010, 72936, dazu EWiR 2011, 5 (Kruip). 92) BGH, Urt. v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, ZIP 2006, 1309 = NZI 2006, 527, dazu EWiR 2006, 661 (Gundlach/Frenzel); BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836; Hefermehl in: MünchKomm-InsO, § 55 Rz. 193. 93) Zwanziger, ArbR der InsO, § 108 Rz. 175.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

e)

Pensionsfonds

105 Der Pensionsfonds ist nur eine Ausgestaltung der mittelbaren Versorgungszusage, so dass der Arbeitgeber für die Leistungspflicht des Pensionsfonds einstandspflichtig bleibt (§ 2 Abs. 3a BetrAVG). Kann der Pensionsfonds die zugesagten Leistungen oder die garantierte Mindestleistung nicht erbringen, weil der Arbeitgeber insolvent geworden ist und seine Beiträge nicht zahlt, kommt es zur Eintrittspflicht des PSVaG gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG. f)

Unterstützungskassen

106 Da eine Unterstützungskasse nur die Direktzusagen des Arbeitgebers abwickelt, für die dieser noch Zahlungen leistet, wird es in der Regel zum Zahlungsausfall in der Insolvenz des Arbeitgebers kommen. Der Anspruch richtet sich jedoch unabhängig von der Zahlungsfähigkeit der Unterstützungskasse der Insolvenzeröffnung gegen den insolventen Arbeitgeber; diese Ansprüche werden daher insolvenzrechtlich wie Direktzusagen behandelt.94) Die Arbeitnehmer und Betriebsrentner erhalten einen gesetzlichen Anspruch gegen den PSVaG in der Höhe, in der die Unterstützungskasse nach dem Leistungsplan Leistungen erbracht hätte (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BetrAVG). 4.

Die Abfindung von Versorgungszusagen durch den Insolvenzverwalter

107 Versorgungszusagen können im eröffneten Insolvenzverfahren die Abwicklung des Verfahrens erschweren, jedenfalls erheblich verzögern. Führt der Insolvenzverwalter den schuldnerischen Betrieb zunächst fort und kommt es später zu einer Liquidation oder aber Übertragung des Unternehmens, kann die Erfüllung von Betriebsrentenansprüchen von Arbeitnehmern, deren Versorgungsfall nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist, zu einer langwierigen Verfahrensdauer führen. Sind Betriebsrentenansprüche Masseverbindlichkeiten, soll der Insolvenzverwalter die Möglichkeit erhalten, diese ohne Zustimmung des Arbeitnehmers und ohne betragliche Höchstgrenze abzufinden (§ 3 Abs. 4 BetrAVG). 108 Voraussetzung des Abfindungsanspruchs gemäß § 3 Abs. 4 BetrAVG ist die Liquidation des Unternehmens nach Insolvenzeröffnung oder die übertragende Sanierung gemäß § 613a BGB, wobei bei einer Übertragung des Unternehmens nur die Anwartschaften derjenigen Mitarbeiter abgefunden werden können, die x

nach Insolvenzeröffnung, aber vor Betriebsübergang, ausgeschieden sind oder

x

vom Betriebsübergang nicht erfasst sind oder

x

dem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben.

___________ 94) Zwanziger, ArbR der InsO, § 108 Rz. 177.

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VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren

Fälle der Eigenverwaltung oder die übertragende Sanierung erlauben die Ab- 109 findung i. R. von § 3 Abs. 4 BetrAVG daher nicht.95) Die Rechtsprechung des BAG zum Betriebsübergang gemäß § 613a BGB, nach der sich Betriebsstilllegung und Betriebsübergang ausschließen, ist auf § 3 Abs. 4 BetrAVG nicht zu übertragen.96) Dem Insolvenzverwalter muss die Möglichkeit der Abfindung eingeräumt werden, um eine Liquidation zu erleichtern.97) Die Höhe der Abfindung ist nicht auf die Bagatellgrenze des § 3 Abs. 2 BetrAVG beschränkt und ermittelt sich gemäß § 4 Abs. 5 BetrAVG in Abhängigkeit vom gewählten Durchführungsweg der Versorgungsansprüche. Abb. 1: Übersicht Direktzusage/Unterstützungskasse

Direktversicherung/Pensionskasse/ Pensionsfonds

§ 4 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG

§ 4 Abs. 5 Satz 2 BetrAVG

Barwert zum Zeitpunkt der Übertragung

Kapitalwert im Abfindungszeitpunkt

110

Ist der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 4 BetrAVG nicht eröffnet, weil z. B. 111 das Arbeitsverhältnis noch fortdauert, kommt eine Abfindung nur unter Beachtung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln in Betracht: Beruht die Versorgungszusage auf einer individualvertraglichen Grundlage, bedarf die Abfindung einer Änderungsvereinbarung. Beruht sie auf einer kollektivrechtlichen Grundlage in Form einer Tarifvereinbarung, kann durch Änderungsvereinbarung wirksam eine Abfindung vereinbart werden. Beruht sie auf einer Betriebsvereinbarung, bedarf die Abfindung der Zustimmung des Arbeitgebers und des Betriebsrats (§ 77 Abs. 4 BetrVG). 112

Praxishinweis Bei der Abfindung von Anwartschaften im zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des BAG eine Umgehung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen kann, wenn die Einschränkung der Versorgung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.98)

5.

Die Versorgungszusage bei Betriebsübergang nach Insolvenzeröffnung

Eine wesentliche Rolle spielt die Behandlung von Versorgungszusagen bei einem 113 Betriebsübergang in der Insolvenz. Während die Bestandsschutzfunktion des ___________ 95) Neufeld/Flockenhaus, RdA 2016, 274, 284. 96) BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, ZIP 2010, 897 = GWR 2010, 224, dazu EWiR 2010, 311 (Büdenbender). 97) LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 3.7.2007 – 22 Sa 1/07, ZIP 2007, 2045 = BeckRS 2007, 17181. 98) Str., s. BAG, Urt. v. 29.6.1985 – 3 AZR 95/75, DB 1986, 1779; a. A. Schnitker in: Willemsen/ Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung, Kap. J Rz. 221.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

§ 613a BGB vollumfänglich gilt, also Arbeitsverhältnisse uneingeschränkt auf den Betriebserwerber übergehen und von diesem zu unveränderten Bedingungen fortgeführt werden müssen, soll hinsichtlich der vor Insolvenzeröffnung erdienten Ansprüche eine teleologische Reduzierung der Norm geboten sein. Grund ist, dass der Arbeitnehmer nicht besser stehen soll als andere am Verfahren teilnehmende Gläubiger, indem ihnen neben dem PSV ein zusätzlicher Schuldner gestellt würde.99) 114 Demgemäß soll die Haftung des Erwerbers für solche Ansprüche, die vor Insolvenzeröffnung entstanden sind, ausgeschlossen sein. Der insolvenzrechtliche Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung gebietet es, die Forderungen der Arbeitnehmer nicht vollständig zu befriedigen, während die anderen Insolvenzgläubiger auf das insolvenzrechtliche Verteilungsverfahren verwiesen werden.100) Ebenfalls nicht haftet der Erwerber für die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits erdiente endgehaltsbezogene Dynamik. Die Differenz, die sich daraus ergibt, dass der PSVaG aufgrund der Veränderungssperre in § 7 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG i. V. m. § 2 Abs. 5 BetrAVG den von ihm zu tragenden Teil der Betriebsrente nicht dynamisch auf der Grundlage des nach Insolvenzeröffnung sich entwickelnden Gehalts, sondern auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bezogenen Entgelts berechnet, kann der Arbeitnehmer daher nach den Verteilungsgrundsätzen der Insolvenz nur als Insolvenzforderung im Insolvenzverfahren geltend machen.101) Für die Berechnung der Anspruchshöhe ist die künftige Gehaltsentwicklung zu schätzen. 115 In Bezug auf unmittelbare Versorgungszusagen bedeutet dies, dass der Erwerber in die vertragliche Versorgungsverpflichtung eintritt, im Versorgungsfall jedoch nur für denjenigen Teil der Betriebsrente, der im Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient worden ist.102) 116

Praxishinweis Bei der Beratung eines Erwerbers eines Betriebs aus der Insolvenz ist darüber aufzuklären, dass er als neuer Arbeitgeber nicht nur für die nach dem Betriebsübergang, sondern bereits auch für die nach der Insolvenzeröffnung (bis zum Betriebsübergang) erdienten Zuwächse haftet.103) Ggf. empfiehlt sich hier die Vereinbarung einer Ausgleichsklausel im Innenverhältnis.

___________ 99) BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB. 100) Grundlegend BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB. 101) LAG Düsseldorf Urt. v. 20.1.2017 – 6 Sa 582/16, 6 Sa 581/16, BeckRS 2017, 119772. 102) BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, ZIP 2010, 897 = GWR 2010, 224. 103) Rolfs, NZA Beilage 2008, S. 164, 170.

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VI. Die Versorgungszusage im Insolvenzverfahren

Nur hinsichtlich aller vor Insolvenzeröffnung erdienter, unverfallbarer An- 117 wartschaften (§ 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) haftet der Erwerber nicht; diese werden von der Eintrittspflicht des PSVaG erfasst. Hinsichtlich aller vor Insolvenzeröffnung erdienter, jedoch (noch) nicht un- 118 verfallbarer Anwartschaften haftet der Erwerber ebenfalls nicht. Da eine Einstandspflicht des PSVaG nicht besteht (vgl. § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) nimmt der Arbeitnehmer mit diesen Ansprüchen als einfache Insolvenzforderungen am Insolvenzverfahren teil. Die bereits zurückgelegte Anwartschaftszeit kann jedoch beim Erwerber durch 119 Zurücklegung weiterer Betriebszugehörigkeitszeit unverfallbar werden. Allerdings verbleibt es auch hinsichtlich bei Betriebsübergang verfallbarer, später durch Anrechnung der bereits bei der veräußernden Schuldnerin zurückgelegter Anwartschaftszeit unverfallbar gewordener Ansprüche bei der beschränkten Haftung des Erwerbers für die nach Insolvenzeröffnung erdienten Anwartschaften.104) Scheidet der Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang aus oder widerspricht er 120 diesem gemäß § 613a Abs. 6 BGB, hat der Insolvenzverwalter für die während der Dauer des Insolvenzverfahrens erworbenen Anwartschaften einzustehen. Beschäftigt der Insolvenzverwalter Arbeitnehmer nach Insolvenzeröffnung weiter, entstehen bzgl. der weiter anwachsenden Versorgungsanwartschaften Masseverbindlichkeiten, die aus der Insolvenzmasse befriedigt werden müssen. Die Berechnung der insolvenzgesicherten Anwartschaften erfolgt wie bei einem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers gemäß § 2 Abs. 1, 2 BetrAVG. § 3 Abs. 4 BetrAVG, räumt dem Insolvenzverwalter jedoch die Möglichkeit ein, den nach Insolvenzeröffnung erdienten Teil abzufinden.105) Kommt es im Laufe der Betriebsfortführung durch den Insolvenzverwalter zum Betriebsübergang gemäß § 613a BGB, tritt der Betriebserwerber für den Teil der Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung ein, die nach Eröffnung des insolvenzrechtlichen Verfahrens erdient worden sind. In dem Betriebsübergang ist eine Betriebseinstellung i. S. des § 3 Abs. 4 BetrAVG 121 zu sehen; insbesondere findet der für § 613a BGB entwickelte Grundsatz, dass sich eine Betriebsstillegung und ein Betriebsübergang ausschließen, für den Bereich des BetrAVG keine Anwendung. Dem Fall des (im Falle einer unwirksamen Unterrichtung über den Betriebsübergang möglicherweise lange nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgenden) Widerspruchs muss daher aus Sicht des Insolvenzverwalters im Unternehmenskaufvertrag, ggf. durch Freistellungsansprüche gegen den Erwerber im Innenverhältnis, Rechnung getragen werden. ___________ 104) Annuß/Lemke, Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz, Teil B S. 2 Rz. 28. 105) BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, ZIP 2010, 897 = GWR 2010, 224.

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§ 25 Betriebliche Altersversorgung vor und in der Insolvenz

6.

Besonderheiten bei der Sanierung im Insolvenzplanverfahren

122 Regelungen für im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits entstandene Versorgungsansprüche können Bestandteil eines Insolvenzplans sein, soweit diese zur Disposition des Arbeitnehmers stehen.106) Bei der Sanierung im Insolvenzplanverfahren vermindert sich der Anspruch auf Leistungen gegen den Träger der Insolvenzsicherung insoweit, als nach dem Insolvenzplan der Arbeitgeber oder sonstige Träger einen Teil der Leistungen zu erbringen haben. Regelmäßig wird in einem Insolvenzplan gemäß § 7 Abs. 4 Satz 5 BetrAVG eine Besserungsklausel zugunsten des PSVaG aufgenommen. Der PSVaG ist in den meisten Unternehmensinsolvenzen einer der größten Gläubiger. Dem besonderen Stellenwert des PSVaG in den meisten Insolvenzverfahren wird hierbei zusätzlich durch eine Berufung in den (vorläufigen) Gläubigerausschuss sowie im Insolvenzplanverfahren der Bildung einer eigenen Gruppe gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG Rechnung getragen. Da im Insolvenzplanverfahren alle beteiligten Gläubigergruppen zustimmen müssen, wird dadurch verhindert, dass ein Insolvenzplan ohne Zustimmung des PSVaG angenommen werden kann. 123 Aufmerksamkeit verdient die Behandlung der Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung für den Fall einer gescheiterten Sanierung im Insolvenzplanverfahren. Scheitert die Sanierung nach der Bestätigung des Plans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und wird das Unternehmen in einem zweiten Insolvenzverfahren liquidiert, haftet der PSVaG sowohl für die während des im Insolvenzplan bestimmten Zeitraums als auch für die nach Eintritt des neuen Sicherungsfalls zu erbringenden Versorgungsleistungen in voller Höhe. Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 BetrAVG kann der PSVaG die Erstattung von Leistungen verlangen, die er gegenüber Berechtigten des Schuldners erbracht hat, wenn innerhalb von drei Jahren nach dem Insolvenzereignis ein neuer Insolvenzantrag gestellt wird.

___________ 106) Gantenberg/Hinrichs/Janko, ZInsO 2009, 1000, 1008.

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Stichwortverzeichnis Abfindung – betriebliche Altersversorgung § 25, 107 ff. – Freiwilligenprogramm § 3, 15 ff. – Insolvenzgeld § 13, 74 – Sanierungskonzept § 1, 14 ff. – Sozialplan § 1, 27 f.; § 2, 13 – steuerrechtliche Aspekte § 3, 47 Absonderungsrechte – Insolvenzplan, übertragender § 18, 35 Abstimmungstermin – Insolvenzplan, übertragender § 18, 115 f. Airberlin – Case Study, Betriebsverfassungsrecht § 12, 1 ff. Allgemeine Geschäftsbedingungen – Berater, Haftungsbeschränkung § 10, 57 Altersdiskriminierung – Sozialauswahl § 13, 189 ff. Altersteilzeit – Aufstockungsbetrag § 13, 57 – Betriebserwerber, Haftung § 17, 40 – Blockmodell § 13, 34 ff. – Insolvenzgeld § 13, 57 – Vergütung § 13, 34 ff. Änderungskündigung § 2, 28 ff. – betriebliche Altersversorgung § 25, 64 Arbeitgeberfunktion – Insolvenzverwalter § 13, 79 – Insolvenzverwalter, vorläufiger § 16, 8 – Insolvenzverwalter, vorläufiger starker § 16, 39 ff. Arbeitgeberverband – Austritt § 14, 29 ff.

– Einbeziehung, Tarifverhandlungen § 14, 21 ff. Arbeitnehmer s. a. Personalmaßnahmen – Arbeitszeugnis § 13, 21 – Begriff, EuInsVO § 22, 15 – Begriff, Fremdgeschäftsführer § 5, 3 – Begriff, Leiharbeitnehmer § 5, 4 – Bonuszahlungen § 7, 27 f. – Erkrankung, während Freistellung § 13, 102 ff. – Freistellung § 13, 44 f.; s. a. dort – Freistellung, durch Insolvenzverwalter § 13, 79 ff. – Freiwilligenprogramm § 3, 8 ff.; s. a. dort – Gläubigerausschuss § 18, 97 ff. – Gleichbehandlungsgrundsatz § 25, 18 ff. – Gruppenbildung § 18, 103 ff. – Information über Betriebsübergang § 1, 32 – Insolvenzplan, übertragender § 18, 42 ff., 58 ff., 68 ff., 76 ff., 97 ff. – Interessengruppen, Einbindung § 2, 75 ff. – Kommunikation § 16, 54 ff. – Krisensituation § 8, 1 – Kündigung s. dort – Prämien § 8, 22 f. – psychologischer Arbeitsvertrag § 8, 3 ff. – Qualifizierungskosten § 23, 31 f. – Retentions-Programm § 7, 27 f. – Risikogeschäft § 24, 6 – Rückkehr in Betrieb nach Übergang § 1, 54 ff.

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Stichwortverzeichnis

– Ruhen d. Arbeitsverhältnisses § 23, 23 – Teilzeitvereinbarung, Sanierungsbeitrag § 13, 22 – übertragende Sanierung, Unterrichtung § 17, 73 ff. – Umschulungen § 1, 22; § 7, 27 f. – Verdienst, Anrechnung § 13, 96 f. – Verfrühungsschaden § 13, 136 ff. – vorläufiger Gläubigerausschuss, Vertreter § 8, 60 ff. – Wertschätzung § 8, 2 ff. – Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch § 17, 23 ff. Arbeitnehmerforderung s. a. Gehaltsforderung – Altersteilzeit, Vergütung § 13, 34 ff. – Befriedigungsrang § 21, 31 ff.; § 22, 53 ff. – finanzielle § 13, 19 f. – freigestellte Arbeitnehmer § 13, 44 f. – Gratifikationen § 13, 28 ff. – Insolvenzanfechtung § 13, 2, 300 ff. – Insolvenzforderungen § 13, 22 ff. – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 19 ff. – Insolvenzstatut, Gehaltsforderung § 21, 31 ff. – Insolvenzstatut, Sozialplanansprüche § 21, 31 ff. – Masseunzulänglichkeit § 13, 38 ff. – Masseverbindlichkeiten § 13, 22 ff. – Neumasseverbindlichkeiten § 13, 39 f. – Provisionen § 13, 37 572

– Sachbezüge § 13, 19 – Sonderleistungen § 13, 28 ff. – Teilvergütung, nach Kündigung § 13, 36 – unvertretbare Handlungen § 13, 21 – Urlaubsentgelt/-geld § 13, 32 f. Arbeitnehmerschutz – EuInsVO § 22, 8 f. Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis – Rückverleih § 24, 27 Arbeitsgerichtsprozess s. a. Kündigungsschutzverfahren – Prozesspartei § 16, 24 Arbeitslosengeld – Gleichwohlgewährung § 13, 100 ff. – Schadensersatzansprüche § 13, 46 f. – Sperrzeit § 3, 43 ff. Arbeitspapiere – Interessenausgleich, Regelungen § 8, 37 Arbeitsplatzsuche – Förderung § 8, 43 – Meldung § 23, 14 Arbeitsrecht – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 1 ff. – Kündigungsschutz § 1, 2 ff.; s. a. dort – Sanierung § 1, 1 ff. – übertragender Insolvenzplan § 18, 11 ff. Arbeitsschutz – Belastungssituation § 8, 24 ff. Arbeitssuchendmeldung § 23, 14 Arbeitsverhältnis – Begriff § 21, 14, 39 – Rechtswahl § 22, 31 ff. Arbeitsvertrag – Aufhebung § 3, 8 ff.; s. a. Freiwilligenprogramm

Stichwortverzeichnis

– Aufhebungsvertrag, Massenentlassungen s. a. dort – Auslandsberührung § 22, 6 ff. – Begriff § 21, 14, 39 – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 23, 20 ff.; § 24, 1 ff. – Insolvenzeröffnung § 21, 15 – Kontinuität des Arbeitsverhältnisses § 24, 6 – Kündigungserschwerungen, Unzulässigkeit § 13, 145 ff. – Lösungsklausel § 13, 107 ff. – psychologischer § 8, 3 ff. – Recht des Arbeitsortes § 21, 4, 9; § 22, 25 – Rechtswahl § 21, 20 ff.; § 22, 26 f., 31 ff. – Risikogeschäft § 24, 6 – Ruhen § 23, 23 – Zustimmung, Insolvenzverwalter § 16, 14 f. Arbeitsvertragsstatut – Änderung v. Arbeitsverhältnissen § 22, 40 ff. – Anwendungsbereich § 21, 23 f. – Arbeitnehmer, Begriff § 22, 15 – Arbeitsort § 21, 22 f. – betriebliche Altersversorgung § 21, 29 – Betriebsübergang § 21, 27; § 22, 43 ff. – Einzelfälle § 21, 25 ff.; § 22, 34 ff. – Günstigkeitsvergleich § 22, 18 f. – Kollektivarbeitsrecht § 21, 28; § 22, 29 – Kündigung § 21, 25 ff.; § 22, 36 ff. – lex causae § 21, 9 – objektive Anknüpfung § 21, 19 – Parteiwille § 21, 20

– Recht des Arbeitsortes § 22, 25 – Rechtswahl § 21, 20 ff.; § 22, 26 f. – Rom I-VO § 22, 7 – subjektive Anknüpfung § 21, 19 – Territorialitätsprinzip § 21, 28 Arbeitszeit – Konten/Modelle § 8, 16 f. – Kurzarbeit § 8, 20; s. a. dort – Neuregelung § 8, 16 ff. – Überstunden § 8, 19 – Vorschlagsrecht d. Betriebsrats § 9, 12 f. Arbeitszeugnis – Anspruch § 13, 21 – Interessenausgleich, Regelungen § 8, 37 Asset Deal § 17, 4 ff. – Beihilfen, Rückforderung § 11, 41 ff. – Sanierung, übertragende § 19, 4 – übertragende Sanierung § 18, 3, 6 ff. Aufhebungsvereinbarungen – Personalmaßnahmen § 2, 8 Aufhebungsvertrag – Abschluss § 16, 43 – Anspruch § 4, 11 – Freiwilligenprogramm § 3, 8 ff., 19 ff. – Gestaltung § 3, 79 ff. – Insolvenzrisiko § 3, 52 ff., 64 ff. – Rücktritt d. Arbeitnehmers § 3, 60 ff. – Verfrühungsschaden § 13, 136 – Zustimmung, Insolvenzverwalter § 16, 14 f. Aufstockungsleistungen – Zumutbarkeitsregelungen § 23, 22 Auskunftsansprüche – Antrag nach § 122 InsO § 12, 10 ff. 573

Stichwortverzeichnis

– Antrag nach § 122 InsO, Rechtsschutzinteresse § 12, 19 ff. – Arbeitnehmervertretung § 12, 3 ff. – Sperrwirkung des § 122 InsO § 12, 4 ff. Auslandsberührung – Drittstaaten, autonomes Kollisionsrecht § 21, 13 – europäisches Insolvenzrecht § 21, 5 ff.; § 22, 3 ff. – internationales Arbeitsrecht/ Insolvenzrecht § 21, 3 ff.; § 22, 1 ff. Ausproduktion – Retentions-Programm § 7, 27 f. Aussonderungsrecht – Insolvenzplan, übertragender § 18, 35

Beihilfen – Arbeitsplatzvorgaben, Reduzierung § 11, 40 – Arbeitsplatzvorgaben, Verfehlung § 11, 36 ff. – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 23, 33 – Betriebsveräußerung § 11, 41 ff. – Bürgschaften § 11, 5 – Durchführungsverbot § 11, 6 – Durchführungsverbot, Verstöße § 11, 8 – EU-Rahmenbedingungen § 11, 4 ff. – Förderung von Forschung/ Entwicklung § 11, 58 ff. – Freistellung durch EUKommission § 11, 6 – Genehmigung § 11, 11 – Gruppenfreistellungsverordnung § 11, 7 – GRW-Zuschüsse § 11, 18 ff. – Insolvenzantrag § 11, 48 ff. 574

Kurzarbeit § 11, 40 Notifizierung § 11, 6 Programme § 11, 7 Rettungs-/Umstrukturierungsbeihilfen § 11, 3, 9 ff. – Rückforderung, Krisensituation § 11, 16 ff., 29 ff. – Sanierungsfälle § 11, 3 – sozialpolitische Maßnahmen § 11, 15 – Verbot § 11, 5 Beitragsbemessungsgrenze – Insolvenzgeld, Deckelung § 13, 69 ff. Bekanntgabe – Frage-/Antwort-Prozess § 16, 60 ff. Berater – Haftung – Aufklärungspflicht § 10, 53 ff. – Deliktshaftung § 10, 66 – ggü. Geschäftsführung § 10, 58 ff. – ggü. Gesellschaft § 10, 52 ff. – ggü. Gesellschaftsgläubigern § 10, 65 f. – Insolvenzreife, fehlerhafte Einschätzung § 10, 52 – Insolvenzverschleppung § 10, 66 – Treu und Glauben § 10, 56 – Vertrag m. Schutzwirkung zugunsten Dritter § 10, 59 ff. – vertragliche Beschränkung § 10, 56 f. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft s. a. Transfergesellschaft – Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis § 24, 27 – Arbeitssuchendmeldung § 23, 14 – Arbeitsverträge, Gestaltung § 23, 20 ff. – – – –

Stichwortverzeichnis

– Aufstockungsleistungen § 23, 22 – außerhalb d. Insolvenzverfahrens § 1, 57 – Beratung durch Bundesagentur für Arbeit § 23, 18 – Beratungskosten § 23, 30 – Betriebsänderung § 23, 2 ff. – Betriebsübergang § 1, 54; § 24, 1 ff. – Betriebsveräußerung, eröffnetes Verfahren § 1, 52 ff. – Bundesagentur für Arbeit § 24, 25 ff. – Dauer der Befristung § 24, 21 f. – Dörries ScharmannEntscheidung § 24, 2 ff. – dreiseitiger Vertrag § 1, 55 f.; § 13, 137 f.; § 24, 4 ff., 17 ff. – Einsatz bei Betriebsübergang § 19, 33 ff. – Kontinuität des Arbeitsverhältnisses § 24, 6 – Kosten § 23, 25 ff. – Kündigungsschutz, Umgehung § 24, 10 ff. – Kurzarbeitergeld § 1, 53; § 23, 10 ff.; § 24, 27 – Lemgoer-Modell § 17, 63 – Lotterie-Urteil § 24, 13 – Massenentlassungsanzeige § 23, 19 – Mittelausstattung § 23, 7 f. – organisatorische Einheiten § 23, 4 ff. – Overhead-Förderung § 23, 33 – Profiling § 23, 14 ff. – Qualifizierungskosten § 23, 31 f. – Qualitätssicherung § 23, 9 – Remanenzkosten § 23, 27 ff. – Risikogeschäft § 24, 6

– Rückkehr v. Arbeitnehmern in Betrieb nach Übergang § 1, 54 ff. – Rückverleih § 24, 27 – Ruhen d. Arbeitsverhältnisses § 23, 23 – übertragende Sanierung § 17, 52, 59, 62 ff. – Umgehung der Sozialauswahl § 24, 23 ff. – Vereinbarung m. Arbeitnehmer § 24, 3 ff. – Verweildauer § 23, 20 f. – Voraussetzungen § 17, 62 ff.; § 23, 1 ff.; § 24, 16 ff. – Zulassung, Träger § 23, 9 Beschäftigungssicherung § 9, 1 ff. – Arbeitsorganisation § 9, 15 – Arbeitsverfahren § 9, 16 – Arbeitszeitgestaltung § 9, 12 f. – Interessenausgleich/Sozialplan § 9, 53 ff. – Mischvereinbarungen § 9, 53 ff. – Mitarbeiterqualifizierung § 9, 17 – Outsourcing § 9, 18 ff. – Produktions-/Investitionsprogramm § 9, 21 – Vorschlagsrecht d. Betriebsrats § 9, 8 ff., 22 ff. – Vorschlagsrecht d. Betriebsrats, Rechtsfolgen § 9, 44 ff. – Vorschlagsrecht d. Betriebsrats, Verfahren § 9, 30 ff. – Vorschlagsrecht d. Betriebsrats, Verhältnis z. anderen Rechten § 9, 25 ff. Besserungsschein – Insolvenzplan, übertragender § 18, 142 ff. – Sanierungstarifvertrag § 14, 46 Betriebliche Altersversorgung – Abfindung durch Insolvenzverwalter § 25, 107 ff. 575

Stichwortverzeichnis

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 576

Altersgrenze § 25, 3 Änderungskündigung § 25, 64 Änderungsvertrag § 25, 66 f. Anpassungsanspruch § 25, 22 ff. anteilig erdiente Anwartschaften § 25, 58 ff. Arbeitsvertragsstatut § 21, 29 betriebliche Übung § 25, 10 ff. betriebliche Übung, gegenläufige § 25, 65 Betriebserwerber, Haftung § 17, 41 ff. Betriebsübergang § 19, 52 Betriebsvereinbarung § 25, 14 f. Betriebsvereinbarung, Kündigung § 25, 51 ff. Betriebsvereinbarung, Neuabschluss § 25, 68 ff. Direktversicherung § 25, 32 ff., 98 ff. Direktzusage § 25, 29, 95 f. Durchführungswege § 25, 28 ff. echte Individualzusage § 25, 5 ff. Einheitsregelung § 25, 8 Entgeltumwandlung § 25, 4, 87 erdiente Anwartschaften § 25, 57 erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse § 25, 61 eröffnetes Verfahren § 25, 93 ff., 113 ff. Gesamtzusage § 25, 9 Gleichbehandlungsgrundsatz § 25, 18 ff. Insolvenzantragsverfahren § 25, 86 ff. Insolvenzplan, übertragender § 18, 126 ff. Insolvenzplanverfahren § 25, 122 f. Insolvenzsicherung § 25, 88 ff.

– Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 25 ff. – kollektivrechtliche Grundlagen § 25, 13 ff. – Mitbestimmungsrechte § 25, 41 ff. – Organmitglieder, Abdingbarkeit § 25, 85 – Pensionsfonds § 25, 38, 105 – Pensionskasse § 25, 36 f., 104 – planwidrige Überversorgung § 25, 47 – PSVaG § 25, 80 ff., 88 ff. – Rechtsgrundlage § 25, 5 ff. – reine Beitragszusage § 25, 7, 97 – Sanierungsfall § 25, 46 ff. – Störung d. Geschäftsgrundlage § 25, 47 – Tarifvertrag § 25, 16 f. – Tarifvertrag, Abänderung § 25, 78 f. – Treuepflichtverletzung § 25, 50 – Treuhandmodelle § 25, 30 f. – übertragende Sanierung § 25, 109 ff. – Unterstützungskasse § 25, 39 f., 106 – Verbreitung § 25, 1 – Vergleichsverfahren § 25, 80 ff. – Widerruf § 25, 46 ff. – wirtschaftliche Notlage § 25, 46 – Zusage § 25, 3 f. – Zusage, kollektivrechtliche § 25, 14 ff. Betriebliche Übung – betriebliche Altersversorgung § 25, 10 ff., 65 Betriebsänderung – Antrag nach § 122 InsO § 12, 10 ff. – Antrag nach § 122 InsO, Rechtsschutzinteresse § 12, 19 ff.

Stichwortverzeichnis

– Arbeitsvertragsstatut § 22, 40 ff. – Begriff § 13, 161 – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 23, 2 ff. – gerichtliche Zustimmung, Antrag § 13, 237 ff. – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 31 ff., 47 ff. – Interessenausgleich § 13, 149 ff. – Interessenausgleich, Erforderlichkeit § 8, 34 – Mitbestimmungsrecht § 1, 19 ff.; § 13, 160 ff. – Sozialplanpflicht § 23, 3 – Tarifvertrag § 12, 2 – Unterlassungsanspruch § 8, 34 – Unterrichtungsschreiben § 20, 25 ff. – Verhandlungszeitpunkt § 13, 165 f. Betriebserwerber – Altersteilzeit § 17, 40 – betriebliche Altersversorgung § 17, 41 ff. – Erwerberkonzept § 17, 53 ff. – Haftung § 1, 30, 51; § 17, 34 ff.; § 19, 45 ff. – Übernahme v. Arbeitnehmern aus Transfergesellschaft § 1, 54 ff. – Urlaubsansprüche § 17, 38 f. Betriebsrat – Arbeitsorganisation § 9, 15 – Arbeitsschutz § 8, 24 ff. – Arbeitsverfahren § 9, 16 – Arbeitszeitgestaltung § 9, 12 f. – Beteiligung, Kündigungen § 13, 8 – Beteiligung, übertragende Sanierung § 17, 65 ff. – betriebliche Altersversorgung § 25, 41 ff.

– Betriebsänderung § 13, 160 ff. – Betriebsänderung, Sozialplan § 2, 12 f. – Betriebsregelungen § 8, 12 – Betriebsstilllegung § 8, 13 – Bundesagentur für Arbeit, Vermittlungsfunktion § 8, 35 f. – einstweiliger Rechtsschutz § 3, 40 f. – Gesamtbetriebsrat § 13, 164 – Informations- oder Unterrichtungsphase § 5, 12 ff. – Informationsrecht § 1, 20 ff. – Insolvenzgeldzeitraum § 8, 14 ff. – Insolvenzplan, übertragender § 18, 63 ff., 87 ff. – Interessenausgleich/Sozialplan § 8, 12; § 9, 53 ff. – Interessenausgleich/Sozialplan, Mitwirkung § 8, 28 ff. – Interessengruppen, Einbindung § 2, 77 – Kommunikation § 16, 65 – Konsultationsphase § 5, 17 ff. – Kündigung, Zustimmungsrecht § 13, 147 f. – Kurzarbeit § 8, 20 – Kurzarbeitergeld § 8, 12 – Massenentlassung, Beteiligung § 5, 9 ff. – Massenentlassung, Verfahren § 5, 1 ff. – Mischvereinbarungen § 9, 53 ff. – Mitarbeiterqualifizierung § 9, 17 – Mitbestimmungsrecht § 1, 19 ff. – Outsourcing § 9, 18 ff. – Prämienzahlungen § 8, 23 – proaktive Maßnahmen § 9, 3 ff., 22 ff.; s. a. Beschäftigungssicherung 577

Stichwortverzeichnis

– Produktions-/Investitionsprogramm § 9, 21 – Sachverständige, Hinzuziehung § 8, 55 ff. – Sachverständigenkosten § 16, 38 – Sanierungsbeteiligung § 8, 6 ff. – Sonderkündigungsschutz § 1, 4 – Transfermaßnahmen § 8, 12 – Ursachenanalyse § 8, 6 f. – Verhältnis z. Gewerkschaft § 14, 24 f. – Vermittlerrolle § 8, 6 – Verschleppungsschutz § 9, 59 ff. – vorläufiger Gläubigerausschuss, Vertreter § 8, 60 ff. – Vorschlagskategorien § 9, 10 – Vorschlagsrecht § 9, 8 ff. – Vorschlagsrecht, Rechtsfolgen § 9, 44 ff. – Vorschlagsrecht, Verfahren § 9, 30 ff. – Vorschlagsrecht, Verhältnis z. anderen Rechten § 9, 25 ff. – Wahl, vor Betriebsänderung § 1, 24 – Zuständigkeit, Sozialplan § 8, 39 f. Betriebsregelungen – Änderung, Betriebsratsbeteiligung § 8, 12 Betriebsschließung – Sozialplan § 2, 14 Betriebsspaltung – Insolvenzplan, übertragender § 18, 12 ff. Betriebsstilllegung – Betriebsratsbeteiligung § 8, 13 – Betriebsübergang, Abgrenzung § 17, 8 ff., 13 ff. – Insolvenzverwalter § 13, 13, 16 ff. 578

– Kommunikation § 7, 24 ff. – Kündigungen § 17, 18 ff. – Unterbrechungen § 17, 16 Betriebsübergang – Änderung d. Arbeitsbedingungen vor Übergang § 19, 39 ff. – Arbeitsvertragsstatut § 21, 27; § 22, 43 ff. – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 1, 54; § 24, 1 ff. – betriebliche Altersversorgung § 17, 41 ff.; § 19, 52 – betriebliche Altersversorgung, Abfindung § 25, 109 ff. – Betriebserwerber, Haftung § 17, 34 ff. – Betriebsstilllegung, Abgrenzung § 17, 8 ff. – Betriebsteile § 17, 11 f. – Betriebsvereinbarungen § 1, 31 – dreiseitiger Vertrag § 1, 55 f. – eröffnetes Verfahren § 1, 51 ff. – Erwerberkonzept § 19, 25 ff. – Ferrotron/KlagenbergEntscheidung § 17, 12 – Gesamtabwägung § 17, 10; § 19, 6 – Gestaltungsmöglichkeiten § 19, 20 ff. – Grundsätze § 1, 29 ff. – Haftung § 1, 30, 51; § 17, 34 ff.; § 19, 45 ff. – Informationspflichten § 1, 32 – Interessenausgleich m. Namensliste § 19, 31 f. – kollektiver Widerspruch § 19, 42 ff. – Kommunikation § 17, 73 ff. – Krisen-/Insolvenzstadium § 19, 10 ff. – Kündigungen, Zulässigkeit § 19, 21 ff.

Stichwortverzeichnis

– Kündigungsschutz, Wegfall § 20, 23 – Sanierung, übertragende § 19, 1 ff. – Schadensersatzansprüche § 20, 39 – Sieben-Punkte-Katalog § 19, 5 f. – Tarifvertrag § 1, 31 – Transfergesellschaft § 19, 33 ff. – Überblick § 19, 5 ff., 15 ff. – übertragende Sanierung § 17, 5 ff. – Unterrichtung d. Arbeitnehmer § 17, 73 ff. – Unterrichtungsschreiben § 20, 1 ff.; s. a. dort – Urlaubsansprüche § 17, 38 f. – Veränderungssperre § 20, 20 – Vermeidung bei übertragender Sanierung § 17, 27 ff. – Voraussetzungen, SiebenPunkte-Katalog § 17, 10 ff. – Vorschriften, Umgehung § 1, 33 f., 55 – Widerspruchsfrist, Beginn § 20, 33 f. – Widerspruchsrecht § 20, 16 ff.; s. a. dort Betriebsunterbrechung § 17, 16 Betriebsveräußerer – Haftung § 1, 30; § 19, 45 ff. Betriebsveräußerung s. a. Betriebsübergang; Erwerberkonzept; Übertragende Sanierung – Asset Deal § 17, 4 ff. – Beihilfen, Rückforderung § 11, 41 ff. – eröffnetes Verfahren § 1, 51 ff. – Kündigungen, bei Erwerberkonzept § 17, 53 ff. – Share Deal § 17, 4 Betriebsvereinbarung – Freiwilligenprogramm § 3, 48

Betriebsvereinbarungen – Arbeitszeitmodelle § 8, 17 – betriebliche Altersversorgung § 25, 14 f. – Betriebsübergang § 1, 31 – Insolvenzplan, übertragender § 18, 20 – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 31 ff., 47 ff. – Kündigung § 13, 282 ff. – Kündigung, betriebliche Altersversorgung § 25, 51 ff. – Neuabschluss, betriebliche Altersversorgung § 25, 68 ff. – Sozialplan § 13, 200 ff. Betriebsverfassungsgesetz – Beschäftigungssicherung § 9, 1 ff.; s. dort Betriebsverfassungsrecht – Arbeitsvertragsstatut § 21, 28 – Case Study, Airberlin § 12, 1 ff. Betriebsversammlung – Kommunikation § 16, 57 ff. Brückenfinanzierung § 7, 9 Bundesagentur für Arbeit – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 23, 18; § 24, 25 ff. – Erstattungsansprüche § 13, 44 – Insolvenzgeld, Vorfinanzierung § 1, 62 f.; § 13, 61 ff.; § 16, 50 ff. – Massenentlassung, Verfahren § 5, 1 ff. – Massenentlassungsanzeige § 5, 23 ff. – Schadensersatzansprüche § 10, 46 – Vermittlungsfunktion § 1, 21; § 8, 35 f. Bürgschaften – öffentliche § 11, 5

579

Stichwortverzeichnis

Cashpooling – Insolvenzverursachung § 10, 28 Compliance-Struktur § 10, 39

Direktionsrecht

§ 16, 16, 43 Direktversicherung – betriebliche Altersversorgung § 25, 32 ff. – Insolvenzverfahren § 25, 98 ff. Direktzusage – betriebliche Altersversorgung § 25, 29 – Insolvenzverfahren § 25, 95 f. Dörries-Scharmann-Entscheidung § 24, 2 ff.

Eigenverwaltung – Schutzschirmverfahren § 15, 34 ff. Eingliederungszuschuss § 2, 49 Einigungsstelle § 1, 22 f.; § 13, 157 f. – Alternativen § 13, 237 ff. Einstweilige Verfügung – Antrag nach § 122 InsO § 12, 10 ff. – Antrag nach § 122 InsO, Rechtsschutzinteresse § 12, 19 ff. – Auskunftsansprüche § 12, 3 ff. – Sperrwirkung des § 122 InsO § 12, 4 ff. – Unterlassungsansprüche § 12, 3 ff. Einstweiliger Rechtsschutz – Betriebsratsbeteiligung § 3, 38 ff. Elternzeit – Betriebsgröße § 1, 4 Erfolgskrise – Krisenintensität § 7, 3 ff. Erörterungstermin – Insolvenzplan, übertragender § 18, 115 f. 580

Ertragskrise – Krisenintensität § 7, 3 ff. Erwerberkonzept § 17, 53 ff. – Änderung d. Arbeitsbedingungen vor Übergang § 19, 39 ff. – Betriebsübergang § 19, 25 ff. – Kombination m. Interessenausgleich § 17, 59 – Kündigungen, Rechtfertigung § 17, 55 – Planung § 17, 55 ff. – Transfermaßnahmen § 17, 60 ff. – Veräußererkündigungen § 17, 53 ff. – Voraussetzungen § 17, 54 ff. ESUG – Zielsetzung § 8, 8 EuInsVO s. a. Europäisches Insolvenzrecht – Arbeitnehmer, Begriff § 22, 15 – Arbeitsverhältnis, Begriff § 22, 14 ff. – Art. 13, Anwendungsbereich § 21, 7 ff., 15; § 22, 6 ff., 10 ff., 32 ff. – Art. 13, Normzweck § 22, 8 f. – closed-list-system § 21, 38 – Geltungsbereich § 21, 6 – Neufassung § 22, 3 – Sekundärinsolvenzverfahren § 21, 8 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Vermeidung § 21, 35 f. Europäische Sozialfonds § 2, 47 f. Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung § 2, 46 Europäisches Insolvenzrecht – Anhängigkeit, Hauptinsolvenzverfahren § 21, 7; § 22, 4 f. – anwendbares Recht, Ausschließlichkeit § 22, 30 – Arbeitsverhältnis § 21, 14 ff.; § 22, 14 ff.

Stichwortverzeichnis

– Arbeitsvertrag § 21, 14 ff.; § 22, 14 ff. – Arbeitsvertragsstatut § 21, 9, 19 ff.; s. a. dort – Betriebsübergang § 22, 49 ff. – Center of Main Interest § 21, 7; § 22, 4 f. – EuInsVO § 21, 5 ff.; § 22, 3 ff. – Geltungsbereich § 21, 5 ff., 15; § 22, 3 ff. – Günstigkeitsvergleich § 22, 18 f. – Insolvenzgeld § 21, 30 – Insolvenzstatut § 21, 23 f., 30 ff.; § 22, 53 ff. – Kollektivarbeitsrecht § 22, 29 – lex causae § 21, 9 – lex fori concursus § 22, 7 ff. – Niederlassung § 22, 62 ff. – Pfändungsschutz § 21, 37 – Recht des Arbeitsortes § 21, 9 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren § 21, 8 ff.; § 22, 59 ff. – Sekundärinsolvenzverfahren, Vermeidung § 21, 35 f. – unionskonforme Auslegung § 21, 26 – Wirkung des Insolvenzverfahrens § 22, 21 ff. – Zuständigkeit § 22, 4 f., 61 ff. Europäisches Recht – Beihilfen § 11, 4 ff.; s. a. dort

Ferrotron/Klagenberg-Entscheidung – Betriebsübergang § 17, 12 Finanzierung – Brückenfinanzierung § 7, 9 – Personalmaßnahmen, Leistungen Dritter § 8, 49 ff. – Transfergesellschaft § 8, 46 Förderung von Forschung/ Entwicklung – Gestaltungshinweise/Lösungen § 11, 69 f.

– Grundlagen § 11, 58 ff. – Rückforderung § 11, 65 ff. Freistellung – Arbeitslosengeld, Gleichwohlgewährung § 13, 100 ff. – Arten § 13, 84 f. – durch Insolvenzverwalter § 13, 79 ff. – Erkrankung § 13, 102 ff. – eröffnetes Verfahren § 13, 79 ff. – Gehaltsforderungen § 13, 44 f. – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 17 ff., 42 – Rechtsfolgen § 13, 86 ff. – Urlaub, Anrechnung § 16, 21 – Urlaubsansprüche § 13, 93 f. – Verdienst, Anrechnung § 13, 96 f. – Wettbewerbsverbot § 13, 98 f. Freiwilligenprogramm – Abfindung § 3, 15 ff. – Alternativen § 3, 8 ff.; § 4, 32 ff. – alters-/geschlechtsspezifische Merkmale § 4, 15 – Angebotsverfahren § 3, 12 ff. – Arbeitslosengeld § 3, 43 ff. – Aufhebungsvertrag § 3, 19 ff. – Aufhebungsvertrag, Gestaltung § 3, 79 ff. – Auswahlentscheidung § 4, 5, 8 – Bedarf § 3, 11 – betriebsbedingter Kündigungsgrund § 4, 9 f. – Betriebsratsbeteiligung § 3, 38 ff. – Betriebsvereinbarung § 3, 48 – doppelte Freiwilligkeit § 2, 25; § 4, 3 f. – Gleichbehandlungsgrundsatz § 3, 32 ff.; § 4, 5 ff., 11 – Insolvenzrisiko § 3, 52 ff., 64 ff. 581

Stichwortverzeichnis

– Interessenausgleich § 3, 37 – Key-Player-Liste § 2, 25 – kollektivrechtliche Aspekte § 3, 35 ff. – Kommunikation § 3, 49 ff.; § 4, 22 ff. – Leistungsträger § 4, 6 – Massenentlassungsanzeige § 3, 38 f. – Mitbestimmungsrechte § 4, 12 ff. – Nachteilsausgleich § 3, 40 f. – Personalabbaukonzept § 3, 23 ff. – Rücktritt d. Arbeitnehmers § 3, 60 ff. – Schriftform § 3, 32 – sozialversicherungsrechtliche Aspekte § 3, 43 ff. – steuerrechtliche Aspekte § 3, 47 – Umsetzung § 2, 22 ff.; § 3, 48 – Verhandlungsphase, Taktik § 4, 16 ff. – Zweck § 3, 1 ff. Fremdgeschäftsführer – Arbeitnehmerbegriff § 5, 3

Gehaltsforderung – ausländische § 22, 54 ff. – Befriedigungsrang § 21, 31 ff.; § 22, 53 – freigestellte Arbeitnehmer § 13, 44 f. – Insolvenzanfechtung § 13, 2, 300 ff. – Insolvenzforderungen § 13, 22 ff. – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 19 ff. – Insolvenzstatut § 21, 31 ff.; § 22, 53 ff. – Masseforderung § 22, 37 – Masseunzulänglichkeit § 13, 38 ff. – Masseverbindlichkeiten § 13, 22 ff. 582

– Neumasseverbindlichkeiten § 13, 39 f. – Pfändungsschutz § 21, 37 – Prämien § 8, 22 f.; s. a. dort – Provisionen § 13, 37 – Teilvergütung, nach Kündigung § 13, 36 – Verdienst, Anrechnung § 1, 13 – Verzugslohn § 1, 13 Gesamtbetriebsrat – Betriebsänderung § 13, 164 Geschäftsführung – Gesamtverantwortung § 10, 2 – Geschäftsverteilung § 10, 2 – Haftung s. Geschäftsführung – Haftung – Insolvenzantragspflicht § 10, 1 – Insolvenzgeld § 13, 56 – Interventionspflicht § 10, 2 – Krisenmanagement § 10, 1 – Krisensituation § 8, 9 – Kündigungsfrist § 1, 41; § 13, 123 f. – unternehmerisches Ermessen § 10, 3 Geschäftsführung – Haftung – Außenverhältnis § 10, 4, 42 ff. – Compliance-Struktur § 10, 39 – Darlegungs-/Beweislast § 10, 22 f. – Deliktshaftung § 10, 35 ff., 51 – Geltendmachung § 10, 21 – Innenverhältnis § 10, 5 ff. – Insolvenzantragspflicht § 10, 1 – Insolvenzreife, Kenntnis § 10, 19 f. – Insolvenzverschleppung § 10, 33 ff., 46 ff.; s. a. dort – Insolvenzverursachung § 10, 24 ff.; s. a. dort – Interventionspflicht § 10, 2 – Krisenmanagement § 10, 1 – Masseschmälerung § 10, 6 ff.

Stichwortverzeichnis

– Quotenschaden § 10, 44 – Sanierungskonzept § 10, 17 – Sanierungsmaßnahmen, Unterlassen § 10, 40 – Sorgfaltsmaßstab § 10, 6, 17 ff., 39 ff. – Sozialversicherungsbeiträge § 10, 18 – Überschuldung § 10, 16 – Verschulden § 10, 19 f. – Verschulden bei Vertragsverhandlungen § 10, 48 ff. – Zahlungen, Begriff § 10, 7 ff. – Zahlungsunfähigkeit § 10, 11 ff. Gesellschafter – Insolvenzplan, übertragender § 18, 117 ff. – Obstruktionsverbot § 18, 119 Gewerkschaft – Anhörung, Insolvenzverwalterauswahl § 8, 69 – Hinzuziehung § 8, 58 f. – Interessengruppen, Einbindung § 2, 77 – Tarifverhandlungen § 14, 16 ff. – Verhältnis z. Betriebsrat § 14, 24 f. – vorläufiger Gläubigerausschuss, Vorteile § 8, 60 ff. Gewinnbeteiligung – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 28 ff. Gläubiger – Altgläubiger § 10, 44 f. – Gruppenbildung § 18, 103 ff. – Neugläubiger § 10, 44 f. – Quotenschaden § 10, 44 Gläubigerausschuss – Insolvenzplan, übertragender § 18, 97 ff. Gläubigerausschuss, vorläufiger – Gewerkschaften, Vorteile § 8, 60 ff.

– Insolvenzverwalter, Benennung § 8, 68 f. Gläubigerbefriedigung – Insolvenzplan, übertragender § 18, 49 f. Gleichbehandlungsgrundsatz – betriebliche Altersversorgung § 25, 18 ff. Gratifikationen – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 28 ff. Grenzüberschreitende Insolvenz s. Auslandsberührung; Europäisches Insolvenzrecht; Internationales Arbeitsrecht; Internationales Insolvenzrecht GRW-Zuschüsse – Gestaltungshinweise/Lösungen § 11, 51 ff. – Rückforderung § 11, 18 ff.

Härtefallfonds – Sozialplan § 1, 49 Hauptinsolvenzverfahren – administration orders § 21, 34 – supplemental orders § 21, 34

Insolvenz – Betriebsübergang § 19, 10 ff. Insolvenzanfechtung § 13, 300 ff. – Arbeitnehmerforderung § 13, 2 – Aufhebungsvertrag § 3, 80 Insolvenzantrag – Beihilfen, Rückforderung § 11, 48 ff. Insolvenzantragspflicht – Frist § 10, 34 f. – Geschäftsführung § 10, 1 Insolvenzantragsverfahren – betriebliche Altersversorgung § 25, 86 ff. – Kündigung, Höchstfrist § 13, 10 ff. 583

Stichwortverzeichnis

Insolvenzeröffnung – arbeitsrechtliche Instrumente § 13, 1 ff. – Arbeitsvertrag § 21, 15 – Betriebsveräußerung § 1, 51 ff. – Center of Main Interest § 21, 7; § 22, 4 f. – Kündigungserschwerungen, Unzulässigkeit § 13, 145 ff. – Kündigungsschutz, Besonderheiten § 1, 50 – Sanierungserleichterungen § 1, 38 ff. – Schutzschirmverfahren § 15, 34 ff. – Sozialplan § 13, 211 ff. – Zuständigkeit s. dort Insolvenzforderung – Entstehungszeitpunkt § 13, 24 ff. – Sozialplan, vor Insolvenzeröffnung § 13, 228 ff. – Urlaubsentgelt/-abgeltung § 16, 18 ff. Insolvenzgeld – Abfindungen § 13, 74 – Altersteilzeit § 13, 57 – anfechtbare Ansprüche § 13, 74 – Anspruch § 1, 59 f.; § 13, 52 ff. – Anspruchsübergang § 13, 77 f. – Antrag § 13, 64 – Antragsfrist § 13, 65 f. – Auslandsberührung § 22, 57 ff. – Auszahlung § 1, 62 f. – Bescheinigung § 13, 61 – Deckelung, Beitragsbemessungsgrenze § 13, 69 ff. – Entgeltumwandlung § 25, 87 – Geschäftsführung § 13, 56 – Höhe § 13, 67 ff. – Insolvenzstatut § 21, 30 – Schutzschirmverfahren § 13, 63; § 22, 59 f. 584

– Sicherungsumfang § 1, 61; § 13, 59 f., 67 – Tariferhöhungen § 13, 72 f. – Urlaubsabgeltung § 13, 75 f. – Vorfinanzierung § 1, 62 f.; § 13, 61 ff.; § 16, 50 ff. – Vorfinanzierung, Schutzschirmverfahren § 15, 17 ff., 25 ff. – Zweck § 1, 58; § 13, 51 Insolvenzgeldzeitraum – Mitbestimmungsrecht § 8, 14 ff. – Personalabbau, Vorbereitung § 8, 28 ff. Insolvenzgericht – Anhängigkeit, Hauptinsolvenzverfahren § 21, 7; § 22, 4 f. – Center of Main Interest § 21, 7; § 22, 4 f. Insolvenzgläubiger – Insolvenzplan, übertragender § 18, 68 ff. Insolvenzmasse – Sozialplanvolumen § 1, 48 f. Insolvenzplan – Beendigung von Arbeitsverhältnissen § 15, 29 ff. – betriebliche Altersversorgung § 25, 122 f. – Masseverbindlichkeiten, Ermächtigung § 15, 17 ff. – Personalmaßnahmen § 18, 11 ff. – Schutzschirmverfahren § 15, 12 ff. Insolvenzplan, übertragender – Annahmeerklärung § 18, 32 ff. – Anwendungsmöglichkeiten § 18, 3 ff. – Arbeitnehmer, Gläubigerstellung § 18, 68 ff. – Arbeitnehmer, Teilnahmerechte § 18, 76 ff. – Arbeitsrecht § 18, 11 ff.

Stichwortverzeichnis

– Aus-/Absonderungsrechte § 18, 35 – Besserungsschein § 18, 142 ff. – Betriebsrat, Mitwirkung § 18, 63 ff. – Betriebsrat, Teilnahmerecht § 18, 87 f. – Betriebsspaltung § 18, 12 ff. – Betriebsübertragung § 18, 28 ff. – Betriebsvereinbarungen, Kündigung § 18, 20 – Erörterungs-/Abstimmungstermin § 18, 115 f. – gerichtliche Bestätigung § 18, 150 ff. – gerichtliche Prüfung § 18, 51 ff. – gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung § 18, 45 ff. – Gläubigerausschuss § 18, 97 ff. – Gläubigerbefriedigung § 18, 49 f. – Gruppenbildung § 18, 103 ff. – Gruppenbildung, Anteilseigner § 18, 117 ff. – Individualvereinbarungen m. Arbeitnehmern § 18, 16 ff. – Insolvenzverfahren, Aufhebung § 18, 157 ff. – Kapitalerhöhung mit Kapitalherabsetzung § 18, 55 ff. – Masseunzulänglichkeit § 18, 122 ff. – Obstruktionsverbot § 18, 119 – Pensions-Sicherungs-Verein § 18, 126 ff. – Personalabbau § 18, 24 ff. – Personalmaßnahmen § 18, 11 ff. – Regelungen im Insolvenzplan § 18, 40 ff. – Regelungen im Insolvenzplan, arbeitsrechtliche Auswirkungen § 18, 42 ff., 58 ff.

– Regelungen, Schuldnerseite § 18, 30 f. – Sanierungstarifvertrag § 18, 21 f. – Scheitern § 18, 160 ff. – Struktur § 18, 29 ff. – Tarifvertrag, Kündigung § 18, 21 f. – Übernahmeerklärung § 18, 36 ff. – Umwandlung § 18, 59 ff. – Vorbereitung § 18, 11 ff. – Vorteile § 18, 6 ff. Insolvenzreife – fehlerhafte Einschätzung § 10, 52 – Kenntnis § 10, 19 f. – Verschulden bei Vertragsverhandlungen § 10, 48 ff. Insolvenzschuldner s. a. Geschäftsführung – Direktionsrecht § 16, 16, 43 – Kündigungen, Zustimmungserfordernis § 16, 9 ff. – Prozesspartei § 16, 24 – Vertragsschluss, Zustimmungserfordernis § 16, 14 f. – Zeugnis § 16, 22 f. Insolvenzstatut – Anwendungsbereich § 21, 23 f., 30 ff.; § 22, 53 ff. – Arbeitnehmerforderung § 21, 31 ff. – Insolvenzgeld § 21, 30 – Pfändungsschutz § 21, 37 Insolvenzursachen § 8, 6 f.; s. a. Erfolgskrise; Krisensituation; Liquiditätskrise Insolvenzverfahren – Aufhebung, Planverfahren § 18, 157 ff. – Auslandsbezug § 21, 2 ff.; § 22, 1 ff.

585

Stichwortverzeichnis

– betriebliche Altersversorgung § 25, 1 ff., 46 ff., 93 ff.; s. a. dort – Zuständigkeit s. dort Insolvenzverschleppung § 10, 33 ff. – Antragsfrist § 10, 34 f. – Außenhaftung § 10, 43 ff. – Beihilfe § 10, 66 – Deliktshaftung § 10, 46 ff. – Folgen § 10, 38 – Gesellschafterweisungen § 10, 37 – Verschulden § 10, 36 Insolvenzverursachung – Cashpooling § 10, 28 – Darlegungs-/Beweislast § 10, 26 – Haftung § 10, 24 ff. – Illiquidität, Verursachung § 10, 24, 30 ff. – Solvenzprognose § 10, 27 – verbundene Unternehmen § 10, 28 f. – Vermögensverschiebung § 10, 24 – Verschulden § 10, 25 – Zahlungsempfänger § 10, 27 ff. Insolvenzverwalter – Arbeitgeberfunktion § 13, 79 – Arbeitgeberverband, Austritt § 14, 29 ff. – betriebliche Altersversorgung, Abfindung § 25, 107 ff. – Betriebsstilllegung § 13, 13, 16 ff. – Betriebsvereinbarung, Kündigung § 13, 282 ff. – Einzelermächtigung § 13, 15 – Freistellungsbefugnis § 13, 79 ff. – Geschäftsführerhaftung, Geltendmachung § 10, 21 – Interessenausgleich, Abweichung § 13, 155 f. – Interessenausgleich, Genehmigung § 16, 35 f. 586

– Kündigungen, bei Erwerberkonzept § 17, 53 ff. – Kündigungsbefugnis § 13, 105 ff. – Sozialplan, Widerruf § 1, 48; § 13, 229 ff. – Tarifverhandlungen § 14, 16 ff., 27 ff. – Tarifvertrag, Kündigung § 14, 32 ff. – Unterrichtung d. Arbeitnehmervertretung § 12, 4 ff. – Vollmachterteilung/Vertretung § 13, 109 ff. Insolvenzverwalter – Auswahl – Gewerkschaft, Anhörung § 8, 69 – vorläufiger Gläubigerausschuss § 8, 68 f. Insolvenzverwalter – Haftung – Arbeitslosengeld § 13, 46 f. – Kündigungsausspruch § 13, 13 f. Insolvenzverwalter, vorläufiger – Anordnung § 16, 3 ff. – Arbeitgeberfunktion § 16, 8, 39 ff. – arbeitsrechtliche Besonderheiten § 16, 1 ff., 9 ff. – betriebliche Altersversorgung § 16, 25 ff. – Direktionsrecht § 16, 16, 43 – Interessenausgleich § 16, 32 ff. – Kommunikation § 16, 2 – Kündigungen, Zustimmung § 16, 9 ff. – Kündigungsbefugnis § 16, 43 – Kündigungsfristen § 13, 10 ff. – Massenentlassungsanzeige § 16, 28 ff. – Prozesspartei § 16, 24, 41 – Sachverständigenkosten § 16, 38 – schwacher § 16, 3 – Sicherungsmaßnahmen § 16, 3 – starker § 16, 3, 39 ff.

Stichwortverzeichnis

Urlaubsansprüche § 16, 44 Varianten § 16, 3 Verträge, Zustimmung § 16, 14 f. Vertragsabschlüsse § 16, 43 Verwaltungs-/Verfügungsbefugnis § 16, 6 f., 39 ff. – Zeugnis § 16, 22 f., 45 – Zustimmungsvorbehalt § 16, 5, 8 ff. Insolvenzverwaltung – Bundesagentur für Arbeit, Vermittlungsfunktion § 8, 35 f. Integrationsamt § 13, 183 f. Interessenausgleich – Abweichung, durch Insolvenzverwalter § 13, 155 f. – Altersdiskriminierung § 13, 189 ff. – Arbeitspapiere/-zeugnis § 8, 37 – Begriff § 13, 149 f. – Betriebsänderung § 8, 34 – Betriebsratsbeteiligung § 8, 12; § 9, 53 ff. – Betriebsübergang § 19, 31 f. – dringende betriebliche Erfordernisse, Vermutung § 13, 175 ff. – Einigung § 1, 21; § 8, 33 – Einigungsstelle § 1, 21 f. – eröffnetes Verfahren § 1, 43 ff. – flankierender, Standortsicherungsvereinbarung § 6, 10, 26 f. – Formerfordernisse § 13, 151 ff. – Freiwilligenprogramm § 3, 37 – Frist § 16, 33 – Genehmigung § 16, 35 f. – gerichtliche Überprüfung § 13, 176 ff. – Information d. Betriebsrats § 1, 20 ff. – Kombination m. Erwerberkonzept § 17, 59 – Leiharbeitnehmer § 13, 195 – Leistungsträger § 13, 198 f. – – – – –

Mischvereinbarungen § 9, 53 ff. Nachteilsausgleich § 13, 155 f. Namensliste § 13, 166 ff. Namensliste, Altersstruktur § 8, 32 – Namensliste, Vorteile § 1, 35 ff. – Scheitern § 13, 260 ff. – Schwerbehinderte § 13, 183 f. – Umschulungen § 1, 22 – Verhandlungen § 1, 20 ff. – Verhandlungen, Führung § 16, 32 ff., 48 – Verhandlungen, Scheitern § 1, 22 f.; § 8, 33 – Verhandlungsprozess § 7, 69 ff. – Verhandlungszeitpunkt § 13, 165 f. – Vermittlung. Bundesagentur für Arbeit § 1, 21 – Verschleppungsschutz § 9, 59 ff. – Vorbereitung § 7, 62 ff.; § 8, 28 ff. Internationales Arbeitsrecht § 21, 1 ff.; § 22, 1 ff. – Arbeitsvertragsstatut § 21, 9, 19 ff.; s. a. dort – Drittstaaten, autonomes Kollisionsrecht § 21, 13 – Kollektivarbeitsrecht § 22, 29 – Rechtswahl § 22, 31 ff. – Rom I-VO § 21, 18 ff.; § 22, 24 ff. – Sonderkollisionsnormen § 21, 4, 17 Internationales Insolvenzrecht § 21, 1 ff.; § 22, 1 ff.; s. a. Europäisches Insolvenzrecht; Internationales Arbeitsrecht – administration orders § 21, 34 – closed-list-system § 21, 38 – deutsches autonomes § 21, 38 – Drittstaaten, autonomes Kollisionsrecht § 21, 13 – – – –

587

Stichwortverzeichnis

– EuInsVO § 21, 5 ff.; § 22, 3 ff. – europäisches Insolvenzrecht § 21, 5 ff.; § 22, 3 ff. – Insolvenzgeld § 22, 57 ff. – Kollisionsnormen § 21, 4 – lex causae § 21, 4 – Recht des Arbeitsortes § 21, 4 – Rechtsquellen § 21, 5 f. – Rechtswahl § 22, 31 ff. – Schutzschirmverfahren § 22, 59 f. – Sonderkollisionsnormen § 21, 4, 17; § 22, 6 ff. – supplemental orders § 21, 34 – Wirkung auf Arbeitsverhältnisse § 22, 21 ff.

Kollektivarbeitsrecht

s. Betriebsvereinbarungen; Tarifvertrag Kommunikation – Ansprechpartner § 16, 63 f. – Arbeitnehmer § 16, 54 ff. – Betriebsrat § 16, 65 – Betriebsversammlung § 16, 57 ff. – Formen § 16, 56 ff. – Frage-/Antwort-Katalog, Beispiel § 16, 66 f. – Frage-/Antwort-Prozess § 16, 60 ff. – Freiwilligenprogramm § 3, 49 ff. – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 2 – Liquidation § 7, 24 ff. – Standortschließung § 7, 35 – übertragende Sanierung § 17, 65 ff., 73 ff. Konsultationsverfahren § 5, 1 ff. – Informations- oder Unterrichtungsphase § 5, 12 ff. – Konsultationsphase § 5, 17 ff. – Massenentlassung § 5, 9 ff. 588

– Wirkung § 5, 21 f. Krankheit – Freistellungsphase § 13, 102 ff. Krisensituation s. a. Personalmaßnahmen – Arbeitnehmerperspektive § 8, 1 – Beihilfen § 11, 1 ff.; s. a. dort – Beihilfen, Rückforderung § 11, 16 ff., 29 ff. – Betriebsübergang § 19, 10 ff. – Brückenfinanzierung § 7, 9 – Drei-Phasen-Modell § 7, 5 f. – Erfolgskrise § 7, 3 ff. – Erkennung § 7, 4 – Ertragskrise § 7, 3 ff. – Intensität § 7, 3 ff. – Kostensenkung § 7, 11 – Krisenmanagement § 10, 1 – Leitungsstrukturen, Auflösung § 8, 9 – operative Sanierung § 7, 1 ff. – Sozialplan § 13, 228 ff. – Standortsicherungsvereinbarung § 6, 1 ff. – Strategiekrise § 7, 3 ff. – Unterrichtungsschreiben § 20, 1 ff.; s. a. dort Kündigung s. a. Personalmaßnahmen – Arbeitsvertragsstatut § 21, 25 ff.; § 22, 36 ff. – Beschlussverfahren § 13, 260 ff. – Betriebsrat, Zustimmung § 13, 147 f. – Betriebsstilllegung § 17, 18 ff. – Betriebsvereinbarungen § 13, 282 ff. – durch Insolvenzverwalter § 13, 105 ff. – eröffnetes Verfahren § 13, 5 ff., 105 ff. – Erschwerungen, Unzulässigkeit § 13, 145 ff. – Erwerberkonzept § 19, 25 ff.

Stichwortverzeichnis

– Frist § 13, 119 ff. – Insolvenzverwalter, vorläufiger § 16, 43 – Lösungsklausel § 13, 107 ff. – Massenentlassungsanzeige § 23, 19 – Probearbeitsverhältnis § 13, 120 – Schutzschirmverfahren/Planverfahren § 15, 29 ff. – soziale Rücksichtnahme § 1, 3 – Teilvergütung/Schadensersatz § 13, 36 – Transferagentur § 23, 34 ff. – übertragende Sanierung § 17, 48 ff. – Verfrühungsschaden § 13, 136 ff. – Zulässigkeit, Betriebsübergang § 19, 21 ff. – Zustimmung, Insolvenzverwalter § 16, 9 ff. Kündigung, betriebsbedingte – Abfindung § 1, 14 ff. – Aufhebungsvertrag s. a. dort – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 19, 33 ff. – Beschlussverfahren § 13, 260 ff. – Betriebsänderung § 13, 160 ff. – Betriebsrat, Zustimmung § 13, 147 f. – Betriebsstilllegung § 17, 18 ff. – dringende betriebliche Erfordernisse § 1, 47; § 2, 9 – dringende betriebliche Erfordernisse, Vermutung § 13, 175 ff. – eröffnetes Verfahren § 1, 39 ff., 47; § 13, 5 ff. – Erschwerungen, Unzulässigkeit § 13, 145 ff. – Frist § 13, 119 ff. – Haftung, Insolvenzverwalter § 13, 13 f.

– insolvenzrechtliches Beschlussverfahren § 1, 50 – Interessenausgleich m. Namensliste § 1, 35 ff. – Kündigungsfrist § 1, 13, 39 ff. – Massenentlassung s. dort – Massenentlassungsanzeige § 23, 19 – Probearbeitsverhältnis § 13, 120 – Sanierungskonzept § 1, 7 – Sonderkündigungsschutz § 13, 7 – Sozialauswahl § 1, 8 ff.; s. a. dort – Sprinterprämie § 23, 24 – Transferagentur § 23, 34 ff. – übertragende Sanierung § 17, 48 ff. – Umstrukturierung § 1, 11 – Unternehmerentscheidung § 1, 6 ff. – Unternehmerentscheidung, Überprüfung § 1, 7 – Verdienst, Anrechnung § 1, 13 – Verfrühungsschaden § 13, 136 ff. – Verzugslohn § 1, 13 – Voraussetzungen § 1, 5 ff. – Weiterbeschäftigungsmöglichkeit § 1, 11 f. – Wertungsermessen § 1, 7 f. Kündigungsschutz – Beschäftigtenanzahl § 1, 2, 5 – betriebsbedingter Kündigungsgrund § 1, 5 ff.; s. a. Kündigung, betriebsbedingte – Betriebsübergang § 20, 23 – eröffnetes Verfahren § 1, 50; § 13, 5 ff. – Kleinstbetriebe § 1, 2 ff. – Umgehung, Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 24, 10 ff.

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Stichwortverzeichnis

Kündigungsschutzverfahren s. a. Arbeitsgerichtsprozess – Drei-Wochen-Frist § 1, 17 – insolvenzrechtliches Beschlussverfahren § 1, 50 – Interessenausgleich m. Namensliste § 1, 35 ff. – nachträgliche Klagezulassung § 1, 17 – Prozesspartei § 16, 24, 41 – Unternehmerentscheidung, Überprüfung § 1, 7 Kurzarbeit – Beihilfen, Rückforderung § 11, 40 – Mitbestimmungsrecht § 8, 20 Kurzarbeitergeld § 2, 43 ff. – Arbeitssuchendmeldung § 23, 14 ff. – Aufstockung § 1, 53 – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 1, 53; § 23, 10 ff. – Betriebsratsbeteiligung § 8, 12 – drohende Arbeitslosigkeit § 23, 10 – Kostentragung § 23, 26 – Prüfling § 23, 14 ff. – Rückverleih § 24, 27 – Transfergesellschaft § 8, 44 f. – Versicherungspflicht § 23, 11 ff. – Voraussetzungen § 23, 10 ff.

Leiharbeitnehmer – Arbeitnehmerbegriff § 5, 4 – Sozialauswahl § 13, 195 Leistungsträger – Kündigungsfrist § 1, 41 – Retentions-Programm § 7, 27 f. – Sozialauswahl § 1, 10; § 13, 198 f. – Weiterbeschäftigung § 1, 47 590

Liquidation – Kommunikation § 7, 24 ff. – schrittweise § 7, 23 ff. Liquidität – Insolvenzverursachung § 10, 24 ff., 30 ff. Liquiditätskrise – Insolvenzverursachung § 10, 30 ff. Lohnforderung s. Gehaltsforderung Lotterie-Urteil – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 24, 13 Luftfahrtunternehmen – Case Study, Betriebsverfassungsrecht § 12, 1 ff.

Management-Buy-Out – Insolvenzverursachung § 10, 29 Masseforderungen – Gehaltsforderungen § 22, 37 – Urlaubsentgelt/-abgeltung § 16, 20 Massenentlassung – Entlassungsbegriff § 5, 7 f. – Konsultationsverfahren § 5, 1 ff., 9 ff. – Massenentlassungsanzeige § 5, 23 ff.; s. a. dort – Schwellenwerte § 5, 5 f. – Verpflichtungen d. Arbeitgebers § 5, 1 ff. Massenentlassungsanzeige – Anzeigeverfahren § 5, 1 ff. – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 23, 19 – Bundesagentur für Arbeit § 5, 23 ff. – fehlerhafte § 5, 33 f. – Freiwilligenprogramm § 3, 38 f. – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 28 ff. – Wirkung § 5, 29 ff.

Stichwortverzeichnis

Masseunzulänglichkeit – Arbeitnehmerforderungen § 13, 38 ff. – Insolvenzplan, übertragender § 18, 122 ff. – Urlaubsansprüche § 13, 42 f. Masseverbindlichkeiten – Entstehungszeitpunkt § 13, 24 ff. – Sachverständigenkosten § 16, 38 – Sozialplan, vorläufige Insolvenzverwaltung § 16, 49 Mitbestimmungsrecht – Arbeitsschutz § 8, 24 ff. – betriebliche Altersversorgung § 25, 41 ff. – Betriebsänderung § 1, 19 ff.; § 13, 160 ff. – Fortbestehen § 8, 15 – Freiwilligenprogramm § 3, 35 ff.; § 4, 12 ff. – Kurzarbeit § 8, 20 – Prämienzahlungen § 8, 23 – Stärkung § 9, 5 ff. Mutterschutz – Betriebsgröße § 1, 4

Nachteilsausgleich – Freiwilligenprogramm § 3, 40 f. Namensliste § 13, 166 ff. – Betriebsübergang § 19, 31 f. – dringende betriebliche Erfordernisse, Vermutung § 13, 175 ff. – Erwerbermodell § 13, 173 – Formerfordernisse § 13, 151 ff. – gerichtliche Überprüfung § 13, 176 ff. – Kausalzusammenhang, Kündigung § 13, 171 f. – Kündigungsschutzverfahren, Vorteile § 1, 35 ff. – Sozialplan § 2, 15 ff. – Teil-Namensliste § 13, 174

Neumasseverbindlichkeiten – Arbeitnehmerforderungen § 13, 39 f.

Ordnungswidrigkeit – Informationsrecht d. Betriebsrats § 1, 20 Organe – Haftung s. Geschäftsführung – Haftung

Pensionsfonds – betriebliche Altersversorgung § 25, 38, 105 Pensionskasse – betriebliche Altersversorgung § 25, 36 f., 104 Pensions-Sicherungs-Verein – Betriebsübergang § 19, 52 – Einstandspflicht § 25, 88 ff. – Insolvenzplan, übertragender § 18, 126 ff. – unverfallbare Anwartschaften § 17, 43 – Vergleichsverfahren § 25, 80 ff. Personalkosten – direkte § 2, 58 f. – indirekte § 2, 56 f. Personalmaßnahmen – (Transfer-)Kurzarbeitergeld § 2, 43 ff. – Alternativen zum Freiwilligenprogramm § 3, 8 ff.; § 4, 32 ff. – Änderungskündigung § 2, 28 ff. – arbeitsbezogene § 2, 39 – Aufhebungsvereinbarungen § 2, 8 – Auslandsberührung s. Arbeitsvertragsstatut; Internationales Arbeitsrecht – Beschlussverfahren § 13, 260 ff. – Betriebsänderung, Sozialplan § 2, 12 f. 591

Stichwortverzeichnis

– Datentransparenz § 2, 74 – Eingliederungszuschuss § 2, 49 – einstweiliger Rechtsschutz § 3, 40 f. – eröffnetes Verfahren § 13, 1 ff. – Erwerberkonzept § 17, 53 ff. – Europäische Sozialfonds § 2, 47 f. – Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung § 2, 46 – Finanzierung § 2, 42 ff. – Finanzierung, Leistungen Dritter § 8, 49 ff. – Finanzierung, Transfergesellschaft § 8, 46 – Förderung der beruflichen Weiterbildung § 2, 50 ff. – Freiwilligenprogramm § 3, 1 ff.; § 4, 1 ff.; s. a. dort – Freiwilligenprogramm, Konzept § 3, 23 ff. – gerichtliche Zustimmung, Antrag § 13, 237 ff. – Informationsphase § 2, 68 – Insolvenzplan § 18, 11 ff. – Insolvenzplan, übertragender § 18, 24 ff. – Insolvenzrisiko § 3, 52 ff., 64 ff. – Interessenausgleich/Sozialplan § 8, 28 ff.; s. a. dort – Interessengruppen, Einbindung § 2, 75 ff. – Kosten § 23, 25 ff. – Kostensenkung § 7, 12 – Kündigung, betriebsbedingte § 2, 9; s. a. dort – Leistungsträger § 2, 40 f. – Massenentlassung § 5, 1 ff.; s. a. dort – Medien/Öffentlichkeit § 2, 79 f. – mitarbeiterbezogene Überlegungen § 2, 6 ff. 592

monitäre § 2, 38 ohne Betriebsänderung § 1, 25 f. operative § 7, 48 ff. Optionen § 2, 3 ff. personalpolitische Maßnahmen § 7, 51 ff. – Personalstruktur § 2, 54 ff. – Reorganisation/Kapazitätsanpassung § 7, 41 ff. – Retentions-Programm § 7, 27 f. – Sanierung § 1, 1 ff. – Sanierungskonzept § 7, 16 ff. – Sozialauswahl s. dort – Stakeholder-Management § 7, 80 ff. – Standort-/Betriebsschließung § 2, 14 – Standortschließung § 7, 12, 19, 41 ff. – Standortverlagerung § 2, 32 ff. – Teilzeitvereinbarung, Sanierungsbeitrag § 13, 22 – temporäre § 7, 12 – Transferagentur § 23, 34 ff. – Transfergesellschaften/-agentur § 2, 35 f. – übertragende Sanierung § 17, 48 ff. – Umorganisation § 2, 28 ff. – Umstrukturierung § 1, 11 – Verhandlungsphase § 2, 71 ff. – Versetzung § 2, 8 – Vorbereitungsphase § 2, 69 f. – Weißbuch/Dokumentation § 2, 60 ff. – Weiterbildung/Umschulung § 2, 8 Pfändungsschutz – Arbeitseinkommen § 21, 37 – Insolvenzstatut § 21, 37 Politische Maßnahmen – Sanierung § 11, 15 – – – – –

Stichwortverzeichnis

Prämien – Mehrarbeit § 8, 22 f. – Retentions-Programm § 7, 27 f. – Sprinterprämie § 23, 24 Probearbeitsverhältnis – Kündigung § 13, 120 Produktivitätssteigerung – Sanierungskonzept § 7, 12 Profiling § 23, 14 ff. Provisionen – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 37 Prozess s. Arbeitsgerichtsprozess Prozessvergleich – Rücktritt d. Arbeitnehmers § 3, 60 ff.

Rechtswahl – Arbeitsvertragsstatut § 21, 20 ff.; § 22, 26 f. – ausländisches Recht § 22, 31 ff. Restrukturierung – (Transfer-)Kurzarbeitergeld § 2, 43 ff. – Beihilfen § 11, 1 ff.; s. a. dort – betriebliche Altersversorgung § 25, 1 ff., 46 ff.; s. a. dort – Eingliederungszuschuss § 2, 49 – Europäische Sozialfonds § 2, 47 f. – Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung § 2, 46 – finanzielle § 7, 10 – Finanzierung § 2, 42 ff. – Förderung der beruflichen Weiterbildung § 2, 50 ff. – Personalkostenreduzierung, Optionen § 2, 3 ff.; s. a. dort – Personalstruktur § 2, 54 ff. – Praxisfälle § 7, 1 ff. – Rettungs-/Umstrukturierungsbeihilfen § 11, 3, 9 ff.

– Stakeholder-Management § 7, 80 ff. Retentions-Programm § 7, 27 ff. Rettungs-/Umstrukturierungsbeihilfen – EU-Rahmenbedingungen § 11, 9 ff. – Genehmigung § 11, 11 – Zulässigkeit § 11, 3 Rom I-VO § 21, 18 ff.; § 22, 24 ff. – anwendbares Recht § 22, 24 ff. – Arbeitsverträge § 22, 7 – Eingriffsnormen, zwingende § 22, 28 Rücktritt – Aufhebungsvertrag/-vergleich § 3, 60 ff.

Sachverständige – Hinzuziehung, Betriebsrat § 8, 55 ff. – Kosten § 16, 38 Sachwalter – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 3 Sanierung s. a. Personalmaßnahmen – Arbeitsrecht § 1, 1 ff. – Beihilfen § 11, 1 ff.; s. a. dort – Beihilfen, Rückforderung § 11, 16 ff., 29 ff. – betriebliche Altersversorgung § 25, 1 ff., 46 ff.; s. a. dort – Betriebsrat, Mitwirkung § 8, 12 f. – Betriebsratsperspektive § 8, 1 ff. – eröffnetes Verfahren § 1, 39 ff. – Förderung von Forschung/ Entwicklung § 11, 58 ff. – Geschäftsführung, Haftung § 10, 17, 40 – GRW-Zuschüsse § 11, 18 ff. – Kommunikation § 16, 54 ff. – Krisensituation § 7, 1 ff. – Praxisfälle § 2, 1 ff. 593

Stichwortverzeichnis

– Rettungs-/Umstrukturierungsbeihilfen § 11, 3, 9 ff. – Sozialplan § 13, 228 ff. – sozialpolitische Maßnahmen § 11, 15 – übertragende s. Übertragende Sanierung Sanierungskonzept – Abfindung § 1, 14 ff. – Brückenfinanzierung § 7, 9 – Erstellung § 7, 9 – Kostensenkung § 7, 11 – Kündigung, betriebsbedingte § 1, 7 – operative Sanierung § 7, 11, 48 ff. – Personalmaßnahmen § 7, 16 ff. – personalpolitische Maßnahmen § 7, 51 ff. – Produktivitätssteigerung § 7, 12 – Reorganisation/Kapazitätsanpassung § 7, 41 ff. – Stakeholder-Management § 7, 80 ff. – Standortschließung § 7, 12, 19 – strukturelle Maßnahmen § 7, 19 ff. Sanierungstarifvertrag § 14, 1 ff. – Arbeitszeit, Anpassungen § 14, 40 ff. – Besserungsschein § 14, 46 – Inhalt § 14, 36 ff. – Insolvenzplan, übertragender § 18, 21 f. – Kündigungsausschluss § 14, 44 ff. – Muster 1 § 14, 49 – Muster 2 § 14, 50 – Tarifverhandlungen § 14, 16 ff. – Vergütung, Modifizierung § 14, 37 ff. Schutzschirmverfahren – arbeitsrechtliche Besonderheiten § 15, 11 ff. 594

– Auslandsberührung § 22, 59 f. – Beendigung von Arbeitsverhältnissen § 15, 29 ff. – Insolvenzeröffnung/Eigenverwaltung § 15, 34 ff. – Insolvenzgeldvorfinanzierung § 15, 17 ff., 25 ff. – Insolvenzplan, Vorbereitung § 15, 12 ff. – Masseverbindlichkeiten, Ermächtigung § 15, 17 ff. – Sozialversicherungsbeiträge § 15, 22 ff. – Überblick § 15, 1 ff. – Voraussetzungen § 15, 5 ff. Schwerbehinderte – Betriebsgröße § 1, 4 – Interessenausgleich § 13, 183 f. Sekundärinsolvenzverfahren § 22, 59 ff., 71 ff. – europäisches Insolvenzrecht § 21, 8 ff. – Niederlassung § 22, 62 ff. – Zustimmungserfordernis § 22, 61 ff. Share Deal – Begriff § 17, 4 – Beihilfen, Rückforderung § 11, 41 ff. – Nachteile § 18, 8 Sicherungsmaßnahmen – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 3 Sonderkündigungsschutz § 13, 7 – Betriebsgröße § 1, 4 – Betriebsrat § 1, 4 Sonderleistungen – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 28 ff. Sozialauswahl § 2, 19 ff. – Alternativen zum Freiwilligenprogramm § 3, 8 ff.

Stichwortverzeichnis

– Altersdiskriminierung § 13, 189 ff. – Beschäftigungsgesellschaft § 24, 23 ff. – Beschlussverfahren § 13, 260 ff. – dringende betriebliche Erfordernisse, Vermutung § 13, 175 ff. – Faktoren § 1, 8 – Fehler § 13, 187 ff. – Fehler, Folgen § 1, 9 – gerichtliche Überprüfung § 13, 176 ff. – Leiharbeitnehmer § 13, 195 – Leistungsträger § 1, 10; § 13, 198 f. – Punkteschema § 1, 9 – Schwerbehinderte § 13, 183 f. – schwervermittelbare Arbeitnehmer § 1, 10 Sozialplan – Abfindung § 1, 27 f.; § 2, 13 – Alternativen, Tarifvertrag § 8, 47 ff. – Altersgruppen § 13, 202 ff. – Begriff § 13, 201 – Betriebsänderung § 2, 12 f. – Betriebsratsbeteiligung § 8, 12; § 9, 53 ff. – Betriebsvereinbarungen § 13, 200 ff. – eröffnetes Verfahren § 1, 43 ff., 48 f.; § 13, 211 ff. – flankierender, Standortsicherungsvereinbarung § 6, 10, 26 f. – Freiwilligenprogramm § 2, 22 ff. – Genehmigung § 16, 35 f. – Härtefallfonds § 1, 49 – Inhalt § 1, 27 – Insolvenzstatut § 21, 31 ff. – Insolvenzverwalter, vorläufiger starker § 16, 49 – Leistungsträger § 2, 20

Mischvereinbarungen § 9, 53 ff. Namensliste § 2, 15 ff. ohne Betriebsänderung § 1, 25 f. Pflicht § 13, 204 ff. Sachverständige/Gewerkschaft, Hinzuziehung § 8, 55 ff. – Scheitern § 13, 209 f. – Sozialauswahl § 2, 19 ff.; s. a. dort – Standort-/Betriebsschließung § 2, 14 – Tarifsozialplan § 6, 12 f. – Verhandlungen, Führung § 16, 32 ff., 48 – Verhandlungsprozess § 7, 69 ff. – Verschleppungsschutz § 9, 59 ff. – Volumen § 1, 48 f.; § 8, 41 f. – vor Insolvenzeröffnung § 13, 228 ff. – Vorbereitung § 7, 62 ff.; § 8, 28 ff. – Vorschusszahlungen § 8, 54 – Widerruf, Insolvenzverwalter § 1, 48 – Zuständigkeit § 8, 39 f. Sozialtarifvertrag § 8, 47 ff. Sozialversicherungsbeiträge – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 23, 27 ff. – Schutzschirmverfahren § 15, 22 ff. – Vorenthalten von Arbeitgeberanteilen § 10, 18 Sprinterprämie § 23, 24 Staatliche Förderung – Beihilfen § 11, 1 ff.; s. a. dort Stakeholder-Management – Personalmaßnahmen § 7, 80 ff. Standortschließung § 7, 19, 32 ff. – Kommunikation § 7, 35 – Sanierungskonzept § 7, 12 – – – – –

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Stichwortverzeichnis

Standortsicherungs-/Entwicklungsvereinbarung § 6, 1 ff. – flankierender Interessenausgleich/ Sozialplan § 6, 10 – Gebot der Rechtsquellenklarheit § 6, 8 ff. – Inhalte § 6, 15 ff. – Nachwirkung § 6, 5 – Outsourcing § 6, 3 f. Standortverlagerung § 2, 32 ff. Störung d. Geschäftsgrundlage – betriebliche Altersversorgung § 25, 47 Strategiekrise – Krisenintensität § 7, 3 ff.

Tarifvertrag – Abänderung, betriebliche Altersversorgung § 25, 78 f. – Antrag nach § 122 InsO § 12, 10 ff. – Antrag nach § 122 InsO, Rechtsschutzinteresse § 12, 19 ff. – Arbeitgeberverband, Austritt § 14, 5 ff. – Auskunfts-/Unterlassungsansprüche § 12, 3 ff. – Ausschluss-/Verjährungsfristen § 8, 38 – betriebliche Altersversorgung § 25, 16 f. – Betriebsänderung § 12, 2 – Betriebsübergang § 1, 31 – Bezugnahmeklausel § 14, 12 ff. – Bindung des Insolvenzverwalters § 13, 282 ff. – Case Study, Airberlin § 12, 1 ff. – firmenbezogener, Muster § 14, 50 – Haustarifvertrag, statt Sozialplan § 8, 47 ff. – Insolvenzplan, übertragender § 18, 21 f. 596

– Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 31 ff., 47 ff. – Kündigung § 14, 32 ff. – Kündigungserschwerungen, Unzulässigkeit § 13, 146 ff. – Nachwirkung § 6, 5 – Sanierungstarifvertrag § 6, 6 – Sanierungstarifvertrag, Muster § 14, 49 – Sozialtarifvertrag § 8, 47 ff. – Standortsicherungsvereinbarung § 6, 2 ff.; s. a. Standortsicherungs-/ Entwicklungsvereinbarung – Tarifbindung, Prüfung § 14, 5 ff. – Tariferhöhungen, Insolvenzgeld § 13, 72 f. – Tarifsozialplan § 6, 12 f. – Tarifverhandlungen § 14, 16 ff. – Verbindlichkeit § 14, 5 ff. Teilzeitarbeit – Insolvenzgeld § 13, 58 Transferagentur § 23, 34 ff. – Zweck § 2, 35 f. Transfergesellschaft s. a. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft – Betriebsratsbeteiligung § 8, 12 – Betriebsübergang § 19, 33 ff. – Betriebsveräußerung, eröffnetes Verfahren § 1, 52 ff. – Finanzmittel, Bereitstellung § 8, 46 – Finanzmittel, Zwischenfinanzierung § 8, 46 – Förderung § 8, 43 ff. – Sozialplanregelungen § 8, 31 – Voraussetzungen § 23, 1 ff. – Zweck § 2, 35 f. Transferkurzarbeitergeld § 2, 43 ff.; § 8, 44 f. – Kostentragung § 23, 26

Stichwortverzeichnis

Treuhandmodelle – betriebliche Altersversorgung § 25, 30 f.

Überschuldung – Begriff § 10, 16 Übertragende Sanierung – Altverbindlichkeiten § 17, 2 – Änderung d. Arbeitsbedingungen vor Übergang § 19, 39 ff. – Arbeitnehmerklausel § 17, 46 – Arbeitsfelder, Praxis § 17, 45 ff. – arbeitsrechtliche Situation § 17, 4 ff. – Asset Deal § 17, 4 ff.; § 18, 3, 6; § 19, 4 – Begriff § 17, 1 – Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft § 17, 52, 62 ff. – betriebliche Altersversorgung § 25, 1 ff., 46 ff.; s. a. dort – betriebliche Altersversorgung, Abfindung § 25, 109 ff. – Betriebsrat, Beteiligung § 17, 65 ff. – Betriebsstilllegung § 17, 13 ff. – Betriebsstilllegung/-übergang, Abgrenzung § 17, 8 ff. – Betriebsübergang § 17, 5 ff.; § 19, 1 ff. – Betriebsübergang, Vermeidung § 17, 27 ff. – Due Diligence § 17, 46 – Erwerberkonzept § 17, 53 ff.; § 19, 25 ff. – Garantieklausel § 17, 47 – Gestaltungsmöglichkeiten § 19, 20 ff. – Kaufvertrag § 17, 46 ff. – Kaufvertragsklauseln § 17, 46 ff. – Kommunikation § 17, 73 ff. – Kündigungen § 17, 18 ff. – Personalabbau § 17, 48 ff.

– Sanierungsinstrument § 17, 1 ff. – Share Deal § 17, 4 – übertragender Insolvenzplan § 18, 1 ff.; s. a. Insolvenzplan, übertragender – Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch § 17, 23 ff. Umschulungen § 1, 22 – Retentions-Programm § 7, 27 f. Umstrukturierung – Beihilfen s. dort – Personalmaßnahmen § 1, 11 Umwandlungen – Insolvenzplan, übertragender § 18, 59 ff. Unterlassungsansprüche – Antrag nach § 122 InsO § 12, 10 ff. – Antrag nach § 122 InsO, Rechtsschutzinteresse § 12, 19 ff. – Arbeitnehmervertretung § 12, 3 ff. – Betriebsänderung § 8, 34 – Sperrwirkung des § 122 InsO § 12, 4 ff. Unternehmensleitung s. Geschäftsführung Unterrichtungsschreiben § 20, 1 ff. – Adressat § 20, 28 f. – Fehler, Folgen § 20, 33 ff. – Form § 20, 30 – Prozessuales § 20, 40 – übertragende Sanierung § 17, 73 ff. – Verpflichteter § 20, 28 f. – Widerspruchsfrist, Beginn § 20, 33 f. – Zeitpunkt § 20, 31 f. Unterrichtungsschreiben – Inhalt § 20, 3 ff. – Betriebsänderungen § 20, 25 ff. – Erwerberidentität § 20, 5 ff. 597

Stichwortverzeichnis

– Fehler, Folgen § 20, 33 ff. – Fortwirkung v. Betriebsvereinbarungen § 20, 19 – Fortwirkung v. Tarifverträgen § 20, 19 – Gegenstand des Betriebsübergangs § 20, 10 – Haftung, Erwerber § 20, 21 – Haftung, Veräußerer § 20, 21 – Kündigungsschutz, Wegfall § 20, 23 – Maßnahmen, geplante § 20, 25 ff. – Übergangsfolgen, Arbeitsverhältnis § 20, 15 ff. – Übergangsfolgen, für Arbeitnehmer § 20, 15 ff. – Übergangsfolgen, mittelbare § 20, 22 – Übergangsgrund § 20, 14 – Übergangszeitpunkt, Planung § 20, 11 ff. – Veränderungssperre § 20, 20 – Widerspruchsrecht § 20, 16 ff. Unterstützungskasse – betriebliche Altersversorgung § 25, 39 f. – Insolvenzverfahren § 25, 106 Urlaub – Anrechnung bei Freistellung § 16, 21 Urlaubsabgeltung – Insolvenzforderung § 16, 19 – Insolvenzgeld § 13, 75 f. Urlaubsansprüche – Bestandsaufnahme § 8, 21 – Betriebserwerber, Haftung § 17, 38 f. – Erfüllung § 8, 21 – freigestellte Arbeitnehmer § 13, 93 f. – Insolvenzverwalter, vorläufiger § 16, 17 ff. 598

– Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 44 – Masseunzulänglichkeit § 13, 42 f. Urlaubsentgelt – Insolvenzforderung § 16, 18 – insolvenzrechtliche Behandlung § 13, 32 f.

Veränderungssperre – Unterrichtungsschreiben § 20, 20 Vergleich – Rücktritt d. Arbeitnehmers § 3, 60 ff. Verschulden bei Vertragsverhandlungen – Geschäftsführung, Haftung § 10, 48 ff. Vertretung – Insolvenzverwalter § 13, 109 ff. Vollmacht – Insolvenzverwalter § 13, 109 ff.

Weiterbeschäftigung – Leistungsträger § 1, 47 – übertragende Sanierung § 17, 23 ff. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit § 1, 11 f. Weiterbildung – Förderung der beruflichen Weiterbildung § 2, 50 ff. Wettbewerbsverbot – freigestellte Arbeitnehmer § 13, 98 f. Widerspruchsrecht – Anfechtung d. Erklärung § 20, 38 – Betriebsübergang § 19, 42 ff.; § 20, 16 ff. – Fristbeginn § 20, 33 ff.

Stichwortverzeichnis

– mehrere Betriebsübergänge § 20, 37 – Verzicht § 20, 36

Zahlungsunfähigkeit – Begriff § 10, 11 ff. – Wesentlichkeitsschwelle § 10, 13 Zeugnis – Insolvenzverwaltung, vorläufige § 16, 22 f., 45

– Interessenausgleich, Regelungen § 8, 37 Zuständigkeit – Anhängigkeit, Hauptinsolvenzverfahren § 21, 7 ff.; § 22, 4 f. – Center of Main Interest § 21, 7; § 22, 4 f. – Sekundärinsolvenzverfahren, Zustimmung § 22, 61 ff.

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